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+Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for
+eBook #69894 (https://www.gutenberg.org/ebooks/69894)
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-The Project Gutenberg eBook of Allerhand Sprachdummheiten, by Gustav
-Wustmann
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you
-will have to check the laws of the country where you are located before
-using this eBook.
-
-Title: Allerhand Sprachdummheiten
- Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des
- Häßlichen
-
-Author: Gustav Wustmann
-
-Editor: Rudolf Wustmann
-
-Release Date: January 28, 2023 [eBook #69894]
-
-Language: German
-
-Produced by: the Online Distributed Proofreading Team at
- https://www.pgdp.net
-
-*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK ALLERHAND
-SPRACHDUMMHEITEN ***
-
-
- ####################################################################
-
- Anmerkungen zur Transkription
-
- Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1912 so weit
- wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler
- wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr
- verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert;
- fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.
-
- Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt; besondere
- Schriftschnitte werden im vorliegenden Text mit Hilfe der folgenden
- Sonderzeichen gekennzeichnet:
-
- kleinere Schrift: |senkrechte Striche|
- kursiv: _Unterstriche_
- fett: =Gleichheitszeichen=
- gesperrt: +Pluszeichen+
- Antiqua: ~Tilden~ (Buchwerbung am Ende ausgenommen)
-
- ####################################################################
-
-
-
-
- Allerhand Sprachdummheiten
-
- [Illustration]
-
-
-
-
- Die erste Ausgabe dieses Buches ist 1891 erschienen, die zweite
- 1896, die dritte 1903, die vierte 1908, die fünfte 1911.
-
-
-
-
- Allerhand
- Sprachdummheiten
-
- Kleine deutsche Grammatik
- des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen
-
- Ein Hilfsbuch für alle
- die sich öffentlich der deutschen Sprache bedienen
-
- von
-
- Gustav Wustmann
-
- Gewohnheit macht den Fehler schön
- Den wir von Jugend auf gesehn
-
- +Gellert+
-
- Sechste Auflage
-
- [Illustration]
-
- Straßburg
- Verlag von Karl J. Trübner
- 1912
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Aus dem Vorwort des Verfassers zur dritten Auflage
-
-
-Viele von denen, in deren Hände dieses Buch gekommen ist, haben es
-als Nachschlagebuch benutzt, als eine Art von „Duden“ für Grammatik
-und Stilistik. Das ist ein Irrtum. Die „Sprachdummheiten“ sind kein
-Sprachknecht, der auf jede grammatische oder stilistische Frage die
-gewünschte Antwort bereit hat, sondern ein Buch für denkende Leser,
-das im Zusammenhange studiert und gehörig verarbeitet sein will. Wer
-Nutzen davon haben will, muß sich den Geist des Buches zu eigen machen.
-Gewiß soll es auch der herrschenden Fehlerhaftigkeit und Unsicherheit
-unsers Sprachgebrauchs steuern, aber vor allem soll es doch das
-Sprachgefühl schärfen und dadurch das Aufkommen neuer Fehler verhüten,
-und seine Hauptaufgabe ist eine ästhetische: es soll der immer ärger
-gewordnen Steifheit, Schwerfälligkeit und Schwülstigkeit unsrer Sprache
-entgegenarbeiten und ihr wieder zu einer gewissen Einfachheit und
-Natürlichkeit verhelfen, die, gleichweit entfernt von Gassensprache wie
-von Papierdeutsch, die Freiheit einer feinern Umgangssprache mit der
-Gesetzmäßigkeit einer guten Schriftsprache vereinigt.
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Vorwort zur fünften Auflage
-
-
-Die fünfte Auflage dieses Buches erscheint unter veränderten Umständen.
-
-Am 22. Dezember 1910 starb der Verfasser des Buches. Kurz darauf
-erhielt ich von dem Grunowschen Verlag die Aufforderung, eine neue
-Auflage zu besorgen. Mir lag dazu das mit Nachträgen versehene
-Handexemplar des Verfassers von der vierten Auflage vor und manche
-sonstige von ihm aufgezeichnete Einzelbemerkung. Davon ist aber nur
-das wenige, was den Text wirklich berichtigte oder durch ein besonders
-treffendes Beispiel verbesserte, in die neue Auflage aufgenommen
-worden, sodaß diese im ganzen der vierten Auflage gleicht.
-
-Während des Druckes der fünften Auflage ist das Buch aus dem Verlag von
-Fr. Wilh. Grunow, der die ersten vier Auflagen des Buches verlegt hat,
-sich aber nun in anderer Richtung zu betätigen wünscht, in den von Karl
-J. Trübner übergegangen.
-
- Ende September 1911
-
- =Rudolf Wustmann=
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-Inhaltsverzeichnis
-
-
- Zur Formenlehre
-
- Seite
-
- Starke und schwache Deklination 3
-
- Frieden oder Friede? Namen oder Name? 5
-
- Des Volkes oder des Volks, dem Volk oder dem Volke? 6
-
- Des Rhein oder des Rheins 7
-
- Franz’ oder Franzens? Goethe’s oder Goethes? 8
-
- Friedrich des Großen oder Friedrichs des Großen? 13
-
- Kaiser Wilhelms 13
-
- Leopolds von Ranke oder Leopold von Rankes? 15
-
- Böte oder Boote? 16
-
- Generäle oder Generale? 17
-
- Die Stiefeln oder die Stiefel? 18
-
- Worte oder Wörter? Gehälter oder Gehalte? 20
-
- Das s der Mehrzahl 23
-
- Fünf Pfennig oder fünf Pfennige? 24
-
- Jeden Zwanges oder jedes Zwanges? 25
-
- Anderen, andren oder andern? 27
-
- Von hohem geschichtlichen Werte oder von hohem geschichtlichem
- Werte? 29
-
- Sämtlicher deutscher Stämme oder sämtlicher deutschen
- Stämme? 31
-
- Ein schönes Äußeres oder ein schönes Äußere? Großer
- Gelehrter oder großer Gelehrten? 33
-
- Das Deutsche und das Deutsch 35
-
- Lieben Freunde oder liebe Freunde? 36
-
- Wir Deutsche oder wir Deutschen? 36
-
- Verein Leipziger Gastwirte -- an Bord Sr. Maj. Schiff 38
-
- Steigerung der Adjektiva. Schwerwiegender oder
- schwerer wiegend? 41
-
- Größtmöglichst 43
-
- Gedenke unsrer oder unser? 44
-
- Derer und deren 45
-
- Einundderselbe 46
-
- Man 46
-
- Jemandem oder jemand? 47
-
- Jemand anders 47
-
- Ein andres und etwas andres 48
-
- Zahlwörter 49
-
- Starke und schwache Konjugation 50
-
- Verschieden flektierte und schwankende Zeitwörter 51
-
- Frägt und frug 54
-
- Übergeführt und überführt 56
-
- Ich bin gestanden oder ich habe gestanden? 59
-
- Singen gehört oder singen hören? 60
-
- Du issest oder du ißt? 62
-
- Stände oder stünde? Begänne oder begönne? 62
-
- Kännte oder kennte? 63
-
-
- Zur Wortbildungslehre
-
- Reformer und Protestler 67
-
- Ärztin und Patin 68
-
- Tintefaß oder Tintenfaß? 69
-
- Speisenkarte oder Speisekarte? 73
-
- Äpfelwein oder Apfelwein? 74
-
- Zeichnenbuch oder Zeichenbuch? 76
-
- Das Binde-s 77
-
- ig, lich, isch. Adlig, fremdsprachlich, vierwöchig, zugänglich 80
-
- Goethe’sch oder Goethisch? Bremener oder Bremer? 84
-
- Hallenser und Weimaraner 87
-
-
- Zur Satzlehre
-
- Unterdrückung des Subjekts 91
-
- Die Ausstattung war eine glänzende 92
-
- Eine Menge war oder waren? 96
-
- Noch ein falscher Plural im Prädikat 98
-
- Das Passivum. Es wurde sich 100
-
- Ist gebeten oder wird gebeten? 101
-
- Mißbrauch des Imperfekts 101
-
- Worden 105
-
- Wurde geboren, war geboren, ist geboren 108
-
- Erzählung und Inhaltsangabe 109
-
- Tempusverirrung beim Infinitiv 111
-
- Relativsätze. Welcher, welche, welches 112
-
- Das und was 116
-
- Wie, wo, worin, womit, wobei 118
-
- Wechsel zwischen der und welcher 120
-
- Welch letzterer und welcher letztere 123
-
- Relativsätze an Attributen 125
-
- Einer der schwierigsten, der oder die? 127
-
- Falsch fortgesetzte Relativsätze 128
-
- Relativsatz statt eines Hauptsatzes 130
-
- Nachdem -- zumal -- trotzdem -- obzwar 131
-
- Mißbrauch des Bedingungssatzes 134
-
- Unterdrückung des Hilfszeitworts 135
-
- Indikativ und Konjunktiv 140
-
- Die sogenannte ~consecutio temporum~ 148
-
- Der unerkennbare Konjunktiv 150
-
- Der Konjunktiv der Nichtwirklichkeit 153
-
- Vergleichungssätze. Als ob, als wenn 157
-
- Würde 158
-
- Noch ein falsches würde 160
-
- Der Infinitiv. Zu und um zu 161
-
- Das Partizipium. Die stattgefundene Versammlung 165
-
- Das sich ereignete Unglück 168
-
- Hocherfreut oder hoch erfreut 169
-
- Partizipium statt eines Neben- oder Hauptsatzes 170
-
- Falsch angeschloßnes Partizipium 171
-
- In Ergänzung 172
-
- Das Attribut 175
-
- Leipzigerstraße oder Leipziger Straße? 176
-
- Fachliche Bildung oder Fachbildung? 183
-
- Erstaufführung 188
-
- Sedantag und Chinakrieg 191
-
- Shakespearedramen, Menzelbilder und Bismarckbeleidigungen 193
-
- Schulze-Naumburg und Müller-Meiningen 199
-
- Die Sammlung Göschen 200
-
- Die Familie Nachfolger 204
-
- Ersatz Deutschland 205
-
- Der grobe Unfugparagraph 206
-
- Die teilweise Erneuerung 207
-
- Der tiefer Denkende, der Tieferdenkende oder der tiefer
- denkende? 210
-
- Die Apposition 213
-
- Der Buchtitelfehler 215
-
- Frl. Mimi Schulz, Tochter usw. 217
-
- Bad-Kissingen und Kaiser Wilhelm-Straße 218
-
- Der Dichter-Komponist und der Doktor-Ingenieur 220
-
- In einer Zeit wie der unsrigen 221
-
- Gustav Fischer, Buchbinderei 221
-
- Die persönlichen Fürwörter. Der erstere und der
- letztere 223
-
- Derselbe, dieselbe, dasselbe 226
-
- Darin, daraus, daran, darauf usw. 231
-
- Derjenige, diejenige, dasjenige 235
-
- Jener, jene, jenes 237
-
- Zur Kasuslehre. Ich versichere dir oder dich? 238
-
- Er hat mir oder er hat mich auf den Fuß getreten? 242
-
- Zur Steuerung des Notstandes 243
-
- Voller Menschen 244
-
- Zahlwörter. Erste Künstler 245
-
- Die Präpositionen 246
-
- Nördlich, südlich, rechts, links, unweit 248
-
- Im oder in dem? zum oder zu dem? 250
-
- Aus: „Die Grenzboten“ 254
-
- Nach dort 256
-
- Bis 257
-
- In 1870 258
-
- Alle vier Wochen oder aller vier Wochen? 259
-
- Donnerstag und Donnerstags -- nachmittag und nachmittags 260
-
- Drei Monate -- durch drei Monate -- während dreier
- Monate 261
-
- Am (!) Donnerstag den (!) 13. Februar 263
-
- Bindewörter. Und 265
-
- Als, wie, denn beim Vergleich 268
-
- Die Verneinungen 270
-
- Besondere Fehler. Der Schwund des Artikels 274
-
- Natürliches und grammatisches Geschlecht 276
-
- Mißhandelte Redensarten 278
-
- Vertauschung des Hauptworts und des Fürworts --
- ein schwieriger Fall 283
-
- Die fehlerhafte Zusammenziehung 286
-
- Tautologie und Pleonasmus 290
-
- Die Bildervermengung 293
-
- Vermengung zweier Konstruktionen 295
-
- Falsche Wortstellung 297
-
- Die alte gute Zeit oder die gute alte Zeit? 299
-
- Höhenkurort für Nervenschwache ersten Ranges 301
-
- Die sogenannte Inversion nach und 304
-
- Die Stellung der persönlichen Fürwörter 308
-
- In fast allen oder fast in allen? 314
-
- Zwei Präpositionen nebeneinander 317
-
- Zur Interpunktion 318
-
- Fließender Stil 324
-
-
- Zum Wortschatz und zur Wortbedeutung
-
- Die Stoffnamen 337
-
- Verwechselte Wörter 338
-
- Hingebung und Hingabe. Aufregung und Aufgeregtheit 343
-
- Vertauschung der Hilfszeitwörter 346
-
- Der Dritte und der Andre 347
-
- Verwechslung von Präpositionen 349
-
- Hin und her 352
-
- Ge, be, ver, ent, er 354
-
- Neue Wörter 359
-
- Modewörter 365
-
- Der Gesichtspunkt und der Standpunkt 393
-
- Das Können und das Fühlen 396
-
- Bedingen 398
-
- Richtigstellen und klarlegen 402
-
- Fort oder weg? 404
-
- Schwulst 405
-
- Rücksichtnahme und Verzichtleistung 408
-
- Anders, andersartig und anders geartet 409
-
- Haben und besitzen 410
-
- Verbalsurrogate 416
-
- Vermittelst, mit Zuhilfenahme von 418
-
- Seitens 422
-
- Bez. beziehungsweise bezw. 426
-
- Provinzialismen 430
-
- Fremdwörter 433
-
-
- Alphabetisches Wortregister 453
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Zur Formenlehre
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-Starke und schwache Deklination
-
-Bekanntlich gibt es -- oder wir wollen doch lieber ehrlich sein und
-einfach sagen: es gibt im Deutschen eine starke und eine schwache
-Deklination. Unter der starken versteht man die, die einen größern
-Formenreichtum und eine größere Formenmannigfaltigkeit hat. Sie hat in
-der Einzahl im Genitiv die Endung +es+, im Dativ e, in der Mehrzahl
-im Nominativ, Genitiv und Akkusativ die Endung e (bei vielen Wörtern
-männlichen und sächlichen Geschlechts +er+), im Dativ +en+ (+ern+). Die
-Stammvokale a, o, u und der Diphthong +au+ werden dabei in der Mehrzahl
-gewöhnlich in ä, ö, ü, +äu+ verwandelt, was man den Umlaut nennt.[1]
-Unter der schwachen Deklination versteht man die formenärmere. Hier
-haben alle Kasus der Einzahl (mit Ausnahme des Nominativs) und alle
-Kasus der Mehrzahl die Endung +en+. Die schwache Deklination hat auch
-keinen Umlaut. Zur starken Deklination gehören Wörter männlichen,
-weiblichen und sächlichen, zur schwachen nur Wörter männlichen und
-weiblichen Geschlechts. Die Wörter weiblichen Geschlechts verändern in
-beiden Deklinationen nur in der Mehrzahl ihre Form.
-
-Zur starken Deklination gehören z. B. der +Fuß+, die +Hand+, das
-+Haus+; zur schwachen der +Mensch+, die +Frau+.[2]
-
-Im Vergleich zu dem großen Reichtum unsrer Sprache an Hauptwörtern und
-der großen Mannigfaltigkeit, die innerhalb der beiden Deklinationen
-besteht, ist die Zahl der Fälle, wo heute Deklinationsfehler im
-Schwange sind, oder wo sich Unsicherheit zeigt, verhältnismäßig klein.
-Aber ganz fehlt es doch nicht daran.
-
-Mehr und mehr greift die Unsitte um sich, schwach zu deklinierende
-Maskulina im Akkusativ ihrer Endung zu berauben: +den Fürst+, +den
-Held+, +den Hirt+. Es heißt aber: +den Fürsten+, +den Helden+ usw.
-
-+Zu Mann+ gibt es eine doppelte Mehrzahl: +Männer+ und +Leute+. Man
-sagt: die +Bergleute+, die +Hauptleute+, die +Spielleute+, aber die
-+Wahlmänner+, die +Ehrenmänner+, die +Biedermänner+, die +Ehemänner+;
-unter +Eheleuten+ versteht man Mann und Frau zusammen.
-
-Ein Wort, mit dem die Leute nicht mehr recht umzugehen wissen, und das
-sie doch jetzt sehr gern gebrauchen, ist +Gewerke+ (für +Handwerker+).
-Ein +Gewerke+ ist ein zu einer Innung gehörender Meister oder ein
-Teilnehmer an einem gesellschaftlichen Geschäftsbetrieb (das alte gute
-deutsche Wort für das heutige +Aktionär+). Das Wort ist aber schwach
-zu flektieren, die Mehrzahl heißt +die Gewerken+ (die +Baugewerken+).
-Daneben gibt es aber das Wort auch im sächlichen Geschlecht: +das
-Gewerk+ (für +Handwerk+, +Innung+), und das ist stark zu flektieren;
-hier heißt die Mehrzahl die +Gewerke+. Viele gebrauchen aber jetzt
-fälschlich die starke Form, auch wo sie offenbar die einzelnen
-Personen, nicht die Handwerksinnungen meinen, z. B. heimische +Künstler
-und Gewerke+. Umgekehrt sind jetzt +die Gauen+ beliebt: das Lied ging
-durch +alle+ deutschen +Gauen+. Aber auch sie sind falsch; +Gau+,
-ursprünglich sächlichen Geschlechts (+das Gäu+), jetzt Maskulinum,
-bildet den Genitiv +des Gaus+ und die Mehrzahl +die Gaue+.
-
-In Leipziger Zeitungen werden oft +Darlehne+ gesucht (+Pfanddarlehne+,
-+Hypothekendarlehne+), und die Geistlichen treten für ihre alten
-+Kirchlehne+ ein. Die Einzahl heißt aber das +Lehen+, und wenn das
-auch kein substantivierter Infinitiv ist, wie +Wesen+, +Schreiben+,
-+Vermögen+, +Verfahren+, +Vergnügen+, +Unternehmen+, so wird es doch
-in der guten Schriftsprache so flektiert wie diese, und die Mehrzahl
-heißt: die +Lehen+, die +Darlehen+, die +Kirchlehen+, so gut wie die
-+Wesen+, die +Verfahren+, die +Unternehmen+.
-
-
-Frieden oder Friede? Namen oder Name?
-
-Bei einer kleinen Anzahl von Hauptwörtern schwankt der Nominativ
-zwischen einer Form auf e und einer auf en; es sind das folgende
-Wörter: +Friede+, +Funke+, +Gedanke+, +Gefalle+, +Glaube+, +Haufe+,
-+Name+, +Same+, +Schade+ und +Wille+. Die Form auf en ist aber
-eigentlich falsch. Diese Wörter gehören der schwachen Deklination
-an,[3] neigen jedoch zur starken: im Genitiv bilden sie eine Mischform
-aus der starken und der schwachen Deklination auf +ens+ (des +Namens+),
-und von +Schade+ hat der Plural sogar den Umlaut: die +Schäden+. Da
-hat sich nun unter dem Einflusse jener Mischform das +en+ aus dem
-Dativ und dem Akkusativ auch in den Nominativ gedrängt.[4] Die alte
-richtige Form ist aber doch überall daneben noch lebendig und im
-Gebrauch (von +Schade+ allerdings fast nur noch in der Redensart: es
-+ist schade+). Der +Gefalle+ (bei Lessing öfter) ist wenigstens in
-Sachsen und Thüringen noch ganz üblich: es geschieht mir ein großer
-+Gefalle+ damit. Daher sollte die alte Form auch immer vorgezogen, also
-gesagt werden: der +Friede+ von 1871, nicht der +Frieden+ von 1871.
-Vollends der künstlerische +Gedanken+, wie man bisweilen lesen muß, ist
-unerträglich.[5]
-
-
-Des Volkes oder des Volks, dem Volk oder dem Volke?
-
-Ob in der starken Deklination die volle Genitivendung +es+ oder das
-bloße Genitiv-s vorzuziehen sei, ob man lieber sagen solle: des
-+Amtes+, des +Berufes+, oder des +Amts+, des +Berufs+, darüber läßt
-sich keine allgemeine Regel aufstellen. Von manchen Wörtern ist nur
-die eine Bildung, von manchen nur die andre, von vielen sind beide
-Bildungen nebeneinander üblich; selbst in Zusammensetzungen stehen
-ältere Bildungen wie +Landsmann+ und +Landsknecht+ neben jüngern wie
-+Landesherr+ und +Landesvater+. Oft kommt es nur auf den Wohlklang des
-einzelnen Wortes und vor allem auf den Rhythmus der zusammenhängenden
-Rede an: die kurzen Formen können kräftig, aber auch gehackt, die
-langen weich und geschmeidig, aber auch schleppend klingen, je nach der
-Umgebung. Ich würde z. B. schreiben: die sicherste Stütze des +Throns+
-liegt in der Liebe und Dankbarkeit des +Volkes+, die täglich neu aus
-der Überzeugung geboren werden muß, daß die berechtigten Interessen des
-+Volks+ ihre beste Stütze im +Throne+ finden.
-
-Zu beklagen ist es, daß immer mehr die Neigung um sich greift (teils
-von Norddeutschland, teils von Süddeutschland aus), das Dativ-e ganz
-wegzuwerfen und zu sagen: vor dem +König+, in dem +Buch+, aus dem
-+Haus+, nach dem +Krieg+, nach dem +Tod+, im +Jahr+, im +Recht+, im
-+Reich+, im +Wald+, auf dem +Berg+, am +Meer+ (statt +Könige+, +Buche+,
-+Hause+, +Kriege+, +Jahre+, +Rechte+ usw.). Ja manche möchten das jetzt
-geradezu als Forderung aufstellen. Aber abgesehen davon, daß dadurch
-der Formenreichtum unsrer Deklination, der ohnehin im Vergleich zu
-der ältern Zeit schon stark verkümmert ist, immer mehr verkümmert,
-erhält auch die Sprache, namentlich wenn das e bei einsilbigen Wörtern
-überall weggeworfen wird, etwas zerhacktes. Ein einziges Dativ-e kann
-oft mitten unter klapprigen einsilbigen Wörtern Rhythmus und Wohllaut
-herstellen. Man sollte es daher sorgfältig schonen, in der lebendigen
-Sprache wie beim Schreiben, und die Schule sollte sich bemühen, es
-zu erhalten. Besonders häßlich wirkt das Abwerfen des Dativ-e, wenn
-das Wort dann mit demselben Konsonanten schließt, mit dem das nächste
-anfängt, z. B. im +Goldland des+ Altertums. Nur wo das Wort mit einem
-Vokal anfängt, also ein sogenannter Hiatus entstehen würde, mag man
-das e zuweilen fallen lassen -- zuweilen, denn auch da ist immer der
-Rhythmus zu berücksichtigen; eine Regel, daß jeder Hiatus zu meiden
-sei, soll damit nicht ausgesprochen werden. Ganz unerträglich würde das
-Fehlen des Dativ-e in formelhaften Wendungen erscheinen wie: +zustande+
-kommen, +im Wege+ stehen, +zugrunde+ gehen, +zu Kreuze+ kriechen,
-ebenso unerträglich freilich die Erhaltung des Dativ-e in andern
-formelhaften Wendungen wie: +mit Dank+, +von Jahr zu Jahr+, +von Ort zu
-Ort+.
-
-An den Wörtern auf +nis+ und +tum+ und an Fremdwörtern wirkt das
-Dativ-e meist unangenehm schleppend; man denke an Dative wie: dem
-+Verhältnisse+, dem +Eigentume+, dem +Systeme+, dem +Probleme+,
-dem +Organe+, dem +Prinzipe+, dem +Rektorate+, dem +Programme+,
-dem +Metalle+, dem +Offiziere+, dem +Romane+, dem +Ideale+, dem
-+Madrigale+, dem +Oriente+, dem +Manifeste+, dem +Archive+ usw. Man
-kann nicht sagen, daß diese Formen an sich häßlich wären, denn die
-Plurale, die die meisten dieser Wörter bilden, klingen ja ebenso; aber
-als Dative des Singulars wirken sie häßlich.
-
-
-Des Rhein oder des Rheins?
-
-Vielfache Unsicherheit herrscht in der Deklination der Ortsnamen. Haben
-sie keinen Artikel, wie die meisten Länder- und Städtenamen, so bildet
-wohl jedermann einen richtigen Genitiv (+Deutschlands+, +Wiens+); bei
-den Berg- und Flußnamen aber, die den Artikel bei sich haben, muß man
-jetzt immer öfter Genitive lesen wie +des Rhein+, +des Main+, +des
-Nil+, +des Brocken+, +des Petersberg+, +des Hohentwiel+, +des Vesuv+,
-und ebenso ist es bei Länder- und Städtenamen, wenn sie durch den
-Zusatz eines Attributs den Artikel erhalten; auch da hat sich immer
-mehr die Nachlässigkeit verbreitet, zu schreiben: des +kaiserlichen
-Rom+, des +modernen Wien+, des +alten Leipzig+, des +damaligen
-Frankreich+, des +nordöstlichen Böhmen+, des erst noch +zu erobernden
-Jütland+. Bei den Personennamen ist ja, wenn sie den Artikel haben, der
-Genitiv rettungslos verloren; des +großen Friedrichs+ oder die Leiden
-des +jungen Werthers+ (wie Goethe noch 1774 schrieb) getraut sich
-heute niemand mehr zu schreiben. Ebenso geht es den Monatsnamen. Auch
-diese wurden früher alle zwölf richtig dekliniert: +des Aprils+, +des
-Oktobers+ (Klopstock: Sohn +des Mais+; Schlegel: Nimm vor des +Märzen+
-Idus dich in acht). Heute schreibt man fast nur noch: zu Anfang +des
-Oktober+, wenn man nicht lieber gar stammelt: +Anfang Oktober+. Aber
-bei Ortsnamen sind wir doch noch nicht ganz so weit.
-
-
-Franz’ oder Franzens? Goethe’s oder Goethes?
-
-Großes Vergnügen macht es vielen Leuten, den Genitiv von Personennamen
-mit einem Apostroph zu versehen: +Friedrich’s+, +Müller’s+. Selbst
-große Gelehrte sind in den Apostroph so verliebt, daß es ihnen ganz
-undenkbar erscheint, +Goethes+ ohne das hübsche Häkchen oben zu
-schreiben. Nun ist ja der Apostroph überhaupt eine große Kinderei. Alle
-unsre Schriftzeichen bedeuten doch Laute, die gesprochen werden. Auch
-die Interpunktionszeichen gehören dazu. Nicht bloß das Ausrufe- und das
-Fragezeichen, sondern auch Komma, Kolon, Semikolon und Punkt, Klammern
-und Gedankenstriche lassen sich beim Vorlesen sehr wohl vernehmlich
-machen. Nur der Apostroph bedeutet gar nichts; ja er soll geradezu
-einen Laut bedeuten, der -- nicht da ist, der eigentlich da sein
-sollte, aber ausgefallen ist. Ist nicht das schon kindisch? Nun ist ja
-aber bei diesen Genitiven gar nichts ausgefallen. Wenn man schreibt:
-+des Müllers+ Esel, warum soll man nicht auch +Otfried Müllers+
-Etrusker schreiben?[6]
-
-Nun aber vollends bei Personennamen auf s, ß, z und x -- welche
-Anstrengungen werden da gemacht, einen Genitiv zu bilden! Die Anzahl
-solcher Namen ist ja ziemlich groß; man denke an +Fuchs+, +Voß+,
-+Krebs+, +Carstens+, +Görres+, +Strauß+, +Brockhaus+, +Hinrichs+,
-+Brahms+, +Begas+, +Dickens+, +Curtius+, +Mylius+, +Cornelius+,
-+Berzelius+, +Rodbertus+, +Marx+, +Felix+, +Max+, +Franz+, +Fritz+,
-+Moritz+, +Götz+, +Uz+, +Schütz+, +Schwarz+, +Leibniz+, +Opitz+,
-+Rochlitz+, +Lorenz+, +Pohlenz+, nicht zu reden von den griechischen,
-römischen, spanischen Namen, wie +Sophokles+, +Tacitus+, +Olivarez+
-usw.; die Veranlassung ist also auf Schritt und Tritt gegeben. Bei den
-griechischen und römischen Namen pflegt man sich damit zu helfen, daß
-man den Artikel vorsetzt: die Tragödien +des Sophokles+, die Germania
-+des Tacitus+. Man ist an diese Genitive von seiner Schulzeit her
-so gewöhnt, daß man gar nichts anstößiges mehr darin findet, obwohl
-man es sofort als anstößig empfinden würde, wenn jemand schriebe:
-die Gedichte +des Goethe+. Der Artikel vor dem Personennamen ist
-süddeutscher oder österreichischer Provinzialismus (in Stuttgart sagt
-man: +der Uhland+, in Wien: +der Raimund+), aber in die Schriftsprache
-gehört das nicht; in kunstgeschichtlichen Büchern und Aufsätzen immer
-von Zeichnungen +des Carstens+ und Entwürfen +des Cornelius+ lesen
-zu müssen oder gar, wie in der beschreibenden Darstellung der Bau-
-und Kunstdenkmäler Leipzigs, von einem Bildnis +des Gottsched+, einem
-Bildnis +des Gellert+, ist doch gar zu häßlich. Manche setzen denn
-nun auch an solche Namen fröhlich das Genitiv-s (natürlich mit dem
-unvermeidlichen Apostroph davor!), also: +Fues’s+ Verlag, +Rus’s+
-Kaffeehandlung, +Harras’s+ Grabstein in der Thomaskirche, Kurfürst
-+Moritz’s+ Verdienste um Leipzig, +Leibniz’s+ ägyptischer Plan, Gabriel
-+Max’s+ Illustrationen zu Uhlands (oder vielmehr Uhland’s) Gedichten.
-Noch andre -- und das ist das beliebteste und das, was in Grammatiken
-gelehrt, in den Druckereien befolgt und jetzt auch für die Schulen
-vorgeschrieben wird -- meinen, einen Genitiv zu bilden, indem sie einen
-bloßen Apostroph hinter den Namen setzen, z. B. +Celtes’+ Ausgabe der
-Roswitha, +Junius’+ Briefe, +Kochs’+ Mikroskopierlampe (der Erfinder
-heißt wirklich +Kochs+!), +Uz’+ Gedichte, +Voß’+ Luise, Heinrich
-+Schütz’+ sämtliche Werke, +Rochlitz’+ Briefwechsel mit Goethe. Und
-solche Beispiele, in denen der Name +vor+ dem Worte steht, von dem
-er abhängt, sind noch nicht die schlimmsten. Ganz toll aber ist: die
-Findung +Moses’+, der Kanzler +Moritz’+ (das soll heißen: der Kanzler
-des Herzogs Moritz), die berühmte Ketzerschrift +Servetus’+, auf
-Anregung +Gervinus’+, der Besuch König +Alfons’+, der Stil +Rabelais’+,
-der Dualismus +Descartes’+ (in +Descartes+ ist ja das es stumm, und
-der Genitiv von +Descartes+ wird wirklich gesprochen: +karts+!).
-Das neueste ist, daß man sogar Namen, die auf +sch+ endigen, in
-diesen Unsinn mit hereinzieht und schreibt: in den Tagebuchblättern
-Moritz +Busch’+, zum siebzigsten Geburtstage Wilhelm +Busch’+, das
-allerneueste, daß man sogar im Dativ(!) schreibt: ~Dr.~ +Peters’+ als
-Vorsitzendem lag die Pflicht ob!
-
-Sollten wir uns nicht vor den Ausländern schämen ob dieser kläglichen
-Hilflosigkeit? Ist es nicht kindisch, sich einzubilden und dem
-Ausländer, der Deutsch lernen möchte, einzureden, daß im Deutschen
-auch ein Kasus gebildet werden könne, indem man ein Häkchen hinter
-das zu deklinierende Wort setzt, ein Häkchen, das doch nur auf dem
-Papiere steht, nur für das Auge da ist? Wie klingt denn der Apostroph
-hinter dem Worte? Kann man ihn hören? Spreche ihn doch einer! Soll man
-vielleicht den Mund eine Weile aufsperren, um ihn anzudeuten? oder sich
-einmal räuspern? Irgend etwas muß doch geschehen, um den Apostroph
-fürs Ohr vernehmlich zu machen, sonst ist ja zwischen +Leibniz+ und
-+Leibniz’+, zwischen dem Nominativ und dem angeblichen Genitiv, gar
-kein Unterschied. Nachdenklichen Setzern und Buchbindern will denn auch
-die Sache gewöhnlich gar nicht in den Kopf. Daher kommt es, daß man in
-den Korrekturabzügen und auf Bücherrücken so oft Titel lesen muß wie:
-+Sophokle’s+ Tragödien, +Carsten’s+ Werke, +Dicken’s+ Romane, +Brahm’s+
-Requiem, Friedrich +Perthe’s+ Leben und +Siever’s+ Phonetik.
-
-Eine gewisse Schwierigkeit ist ja nun freilich da, und es fragt sich,
-wie man ihr am besten abhilft. Die ältere Sprache schrieb entweder
-unbedenklich +Romanus Haus+ (ohne den Apostroph), oder sie half sich
-bei deutschen Namen damit, daß sie (wie bei andern Substantiven, z. B.
-+Herz+, und bei den Frauennamen) eine Mischform aus der schwachen
-und der starken Deklination auf +ens+ bildete, also: +Fuchsens+,
-+Straußens+, +Schützens+, +Hansens+, +Franzens+, +Fritzens+, +Götzens+,
-+Leibnizens+ (vgl. +Luisens+, +Friederikens+, +Sophiens+). Im
-Volksmunde sind diese Formen auch heute noch durchaus gang und gäbe
-(ebenso wie die Dative und Akkusative +Hansen+, +Fritzen+, +Sophien+
--- hast du +Fritzen+ nicht gesehen? gibs +Fritzen+! --, die jetzt
-freilich in der Sprachziererei der Vornehmen mehr und mehr durch die
-unflektierte Form verdrängt werden: hast du +Fritz+ nicht gesehen? gibs
-+Fritz+!), und es ist nicht einzusehen, weshalb sie nicht auch heute
-noch papierfähig sein sollten.[7] Oder wollen wir vielleicht nun auch
-im Götz von Berlichingen +Hansens Küraß+ in +Hans’ Küraß+ verwandeln?
-+Franzensbad+ und +Franzensfeste+ in +Franz’bad+ und +Franz’feste+
-verschönern? Verständige Schriftsteller, die vom Papierdeutsch zur
-lebendigen Sprache zurückkehren, gebrauchen denn auch die flektierte
-Form allmählich wieder und schreiben wieder: +Vossens Luise+. Wenn sie
-nur auch die Schule wieder zu Gnaden annehmen wollte!
-
-Unmöglich erscheint dieser Ausweg natürlich bei Namen, die selbst
-Genitive sind, wie +Carstens+ (eigentlich Carstens Sohn), +Hinrichs+,
-+Brahms+. +Brahmsens+ dritte Geigensonate -- das klingt nicht schön.
-Auch +Phidiassens+ Zeus und +Sophoklessens+ Antigone nicht, obwohl
-auch solche Formen zu Goethes und Schillers Zeit unbedenklich gewagt
-worden sind; sprach man doch damals auch, da man den Familiennamen
-der Frau auf +in+ bildete, von der +Möbiussin+. Das beste ist wohl,
-solchen Formen aus dem Wege zu gehen, was sehr leicht möglich ist,
-ohne daß jemand eine Verlegenheit, einen Zwang merkt. Man kann durch
-Umgestaltung des Satzes den Namen leicht in einen andern Kasus bringen,
-statt des Genitivs +sein+ setzen, +des Dichters+, +des Künstlers+ dafür
-einsetzen usw. Aber nur nicht immer: die Zeichnungen +des Carstens+!
-Und noch weniger +Voß’s Luise+ oder gar das +Grab Brahms’+, denn das
-ist gar zu einfältig.
-
-In dieselbe Verlegenheit wie bei den Eigennamen auf +us+ gerät man
-übrigens auch bei gewissen fremden Appellativen. Man spricht zwar
-unbedenklich von +Omnibussen+, aber Not machen uns die +Ismusse+,
-und der Deutsche hat sehr viel +Ismusse+! Die Komödie erlognen
-+Patriotismus’+, wie jetzt gedruckt wird, oder: im Lichte berechtigten
-+Lokalpatriotismus’+ oder: ein unglaubliches Beispiel preußischen
-+Partikularismus’+ oder ein Ausfluß erstarkten +Individualismus’+ --
-das sind nun einmal keine Genitive, trotz des schmeichelnden Häkchens.
-Da hilft es nichts, man muß zu der Präposition +von+ greifen oder
-den unbestimmten Artikel zu Hilfe nehmen und sagen: +eines+ erlognen
-+Patriotismus+, +von+ preußischem +Partikularismus+.
-
-
-Friedrich des Großen oder Friedrichs des Großen?
-
-Daß von +Friedrich+ der Genitiv +Friedrichs+ heißt, das weiß man
-allenfalls noch. Aber sobald eine Apposition zu dem Namen tritt,
-wissen sich die meisten nicht mehr zu helfen. Man frage einmal nach
-dem Genitiv von +Friedrich der Große+; die Hälfte aller Gefragten
-wird ihn +Friedrich des Großen bilden+. Fortwährend begegnet man
-jetzt so abscheulichen Genitiven wie: +Heinrich des Erlauchten+,
-+Albrecht des Beherzten+, +Georg des Bärtigen+. Es gibt Leute, die
-alles Ernstes glauben, solche Verbindungen seien eine Art von Formeln
-oder Sigeln, die nur am Ende dekliniert zu werden brauchten! Auch
-wenn die Apposition eine Ordinalzahl ist -- der häufigste Fall --,
-wird kaum noch anders geschrieben als: die Urkunden +Otto+ III., die
-Gegenreformation +Rudolf+ II., die Gemahlin +Heinrich+ VIII., die
-Regierungszeit +Ludwig+ XIV. Wenn man das aussprechen will, so kann
-man doch gar nicht anders sagen als: +Otto der dritte+, +Rudolf der
-zweite+, +Heinrich der achte+. Denn wie kann der Schreibende erwarten,
-daß man die Zahl im Genitiv lese, wenn der Name, zu dem sie gehört, im
-Nominativ steht?[8]
-
-
-Kaiser Wilhelms
-
-Tritt vollends der Herrschertitel dazu, so pflegt alle Weisheit zu
-Ende zu sein. Wie dekliniert man: +Herzog Ernst der Fromme+, +Kaiser
-Friedrich der Dritte+? Bei einer vorangestellten Apposition wie
-+Kaiser+, +König+, +Herzog+, +Prinz+, +Graf+, +Papst+, +Bischof+,
-+Bürgermeister+, +Stadtrat+, +Major+, +Professor+, +Doktor+, +Direktor+
-usw. kommt es darauf an, ob die Apposition als bloßer Titel, oder ob
-sie wirklich als Amt, Beruf, Tätigkeit der Person aufgefaßt werden
-soll oder aufgefaßt wird. Im ersten Fall ist es das üblichste, nur den
-Eigennamen zu deklinieren, den Titel aber ohne Artikel und undekliniert
-zu lassen, also +Kaiser Wilhelms+, +Papst Urbans+, +Doktor Fausts
-Höllenfahrt+, +Bürgermeister Müllers Haus+. Der Titel verwächst für
-das Sprachgefühl so mit dem Namen, daß beide wie eins erscheinen.[9]
-Im achtzehnten Jahrhundert sagte man sogar +Herr Müllers+, +Herr
-Müllern+, nicht: +Herrn Müller+. Im zweiten Falle wird der Artikel zur
-Apposition gesetzt und die Apposition dekliniert, dagegen bleibt der
-Name undekliniert: +des Kaisers Wilhelm+, +des Herzogs Albrecht+, ein
-Bild +des Ritters Georg+. Freilich geht die Neigung vielfach dahin,
-auch hier die Apposition undekliniert zu lassen, z. B. +des Doktor
-Müller+, +des Professor Albrecht+. Treten zwei Appositionen zu dem
-Namen, eine davor, die andre dahinter, so ist für die voranstehende
-nur das erste der eben besprochnen beiden Verfahren möglich, also: die
-Truppen +Kaiser Heinrichs des Vierten+, das Denkmal +König Friedrichs
-des Ersten+, eine Urkunde +Markgraf Ottos des Reichen+, die Bulle
-+Papst Leos des Zehnten+. Beide Appositionen zu deklinieren und den
-Namen undekliniert zu lassen, z. B. +Königs+ Christian +des Ersten+,
-+des Kaisers+ Wilhelm +des Siegreichen+, wirkt unangenehm wegen des
-Zickzackganges der beiden Kasus (Genitiv, Nominativ, Genitiv).[10]
-
-
-Leopolds von Ranke oder Leopold von Rankes?
-
-Verlegenheit bereitet vielen auch die Deklination adliger Namen
-oder solcher Namen, die adligen nachgebildet sind. Soll man
-sagen: die Dichtungen +Wolframs von Eschenbach+ oder +Wolfram von
-Eschenbachs+? Richtig ist -- selbstverständlich -- nur das erste,
-denn Eschenbach ist, wie alle echten Adelsnamen, ein Ortsname, der
-die Herkunft bezeichnet; den kann man doch hier nicht in den Genitiv
-setzen wollen.[11] So muß es denn auch heißen: die Heimat +Walters
-von der Vogelweide+, die Burg +Götzens von Berlichingen+, die
-Lebensbeschreibung +Wiprechts von Groitzsch+, die Gedichte +Hoffmanns
-von Fallersleben+, auch die Werke +Leonardos da Vinci+, die Schriften
-+Abrahams a Sancta Clara+.
-
-Wie steht es aber mit den Namen, die nicht jedermann sofort als
-Ortsnamen empfindet, wie +Hutten+? Wer kann alle deutschen Ortsnamen
-kennen? Soll man sagen +Ulrichs von Hutten+ oder +Ulrich von Huttens+
-deutsche Schriften? Und nun vollends die zahllosen unechten Adelsnamen,
-über die sich schon Jakob Grimm lustig gemacht hat: diese +von Richter+
-und +von Schulz+, +von Schmidt+ und +von Weber+, +von Bär+ und +von
-Wolf+, wie stehts mit denen? Soll man sagen: +Heinrichs von Weber+
-Lehrbuch der Physik, +Leopolds von Ranke+ Weltgeschichte? Streng
-genommen müßte es ja so heißen; warum behandelt man Namen, die alles
-andre, nur keinen Ort bezeichnen, als Ortsnamen, indem man ihnen das
-sinnlose +von+ vorsetzt! Im achtzehnten Jahrhundert war das Gefühl für
-die eigentliche Bedeutung der adligen Namen noch lebendig; da adelte
-man einen +Peter Hohmann+ nicht zum +Peter von Hohmann+, sondern zum
-+Peter von Hohenthal+, einen +Maximilian Speck+ nicht zum +Maximilian
-von Speck+, sondern zum +Maximilian Speck von Sternburg+, indem man
-einen (wirklichen oder erdichteten) Ortsnamen zum Familiennamen setzte;
-in Österreich verfährt man zum Teil noch heute so. Da aber nun einmal
-die unechten Adelsnamen vorhanden sind, wie soll man sich helfen? Es
-bleibt nichts weiter übrig, als das +von+ hier so zu behandeln, als
-ob es nicht da wäre, also zu sagen: +Leopold von Rankes+ sämtliche
-Werke, besonders dann, wenn der Genitiv vor dem Worte steht, von dem er
-abhängig ist; steht er dahinter, so empfiehlt es sich schon eher, den
-Vornamen zu flektieren: die Werke +Leopolds von Ranke+, denn man möchte
-natürlich den Genitiv immer so dicht wie möglich an das Wort bringen,
-zu dem er gehört. Und so verfährt man oft auch bei echten Adelsnamen,
-selbst wenn man weiß, oder wenn kein Zweifel ist, daß sie eigentlich
-Ortsnamen sind. Es ist das ein Notbehelf, aber schließlich erscheint er
-doch von zwei Übeln als das kleinere.
-
-
-Böte oder Boote?
-
-Bei einer Anzahl von Hauptwörtern wird der Plural jetzt oft mit dem
-Umlaut gebildet, wo dieser keine Berechtigung hat. Solche falsche
-Plurale sind: +Ärme+, +Böte+, +Bröte+, +Röhre+, +Täge+, +Böden+,
-+Bögen+, +Kästen+, +Krägen+, +Mägen+, +Wägen+, +Läger+. Man redet jetzt
-von Geburts+tägen+, Muster+lägern+, Fuß+böden+, Gummi+krägen+ usw. Bei
-den Wörtern auf +en+ und +er+ wird dadurch allerdings ein Unterschied
-zwischen der Einzahl und der Mehrzahl geschaffen, der namentlich in
-Süddeutschland üblich geworden ist.[12] Dennoch ist nur die Form ohne
-Umlaut richtig: +die Arme+, +die Kasten+, +die Lager+, +die Rohre+ usw.
-Man denke sich, daß es in Eichendorffs schönem Liede: O Täler weit, o
-Höhen -- am Schlusse hieße: Schlag noch einmal die +Bögen+ um mich,
-du grünes Zelt! Auch +Herzöge+ ist eigentlich falsch; das Wort ist
-bis ins siebzehnte Jahrhundert hinein nur schwach dekliniert worden:
-des +Herzogen+, dem +Herzogen+, die +Herzogen+. Dann sprang es aber
-in die starke Deklination über (des +Herzogs+), und nun blieben auch
-die +Herzöge+ nicht aus: der +Trog+, die +Tröge+ -- der +Herzog+, die
-+Herzöge+, die Ähnlichkeit war überwältigend.
-
-
-Generäle oder Generale?
-
-Von den Fremdwörtern sind viele in den Umlaut hineingezogen worden,
-obwohl er ihnen eigentlich auch nicht zukommt, nicht bloß Lehnwörter,
-deren fremde Herkunft man nicht mehr fühlt, wie +Bischöfe+, +Paläste+,
-+Pläne+, +Bässe+, +Chöre+, sondern auch Wörter, die man noch lebhaft
-als Fremdwörter empfindet, wie +Altäre+, +Tenöre+, +Hospitäler+,
-+Kanäle+. Aber von andern wird doch die Mehrzahl noch richtig ohne
-Umlaut gebildet, wie +Admirale+, +Prinzipale+, +Journale+. Wenn sich
-daher irgendwo ein Schwanken zu zeigen beginnt, so ist es klar, daß
-die Form ohne Umlaut den Vorzug verdient. Besser also als +Generäle+
-ist unzweifelhaft +Generale+. Bisweilen hat die Sprache auch hier die
-Möglichkeit der doppelten Form zu einer Unterscheidung des Sinnes
-benutzt: +Kapitale+ (oder +Kapitalien+) sind Gelder, +Kapitäle+
-Säulenknäufe; hier heißt freilich auch schon die Einzahl +Kapitäl+.
-
-Auch zwischen der starken und der schwachen Deklination hat die
-Pluralbildung der Fremdwörter vielfach geschwankt und schwankt zum
-Teil noch jetzt. Im achtzehnten Jahrhundert sagte man +Katalogen+,
-+Monologen+; jetzt heißt es +Kataloge+, +Monologe+. Dagegen sagen
-die meisten jetzt +Autographen+ und +Paragraphen+; +Autographe+ und
-+Paragraphe+ klingt gesucht. Unverständlich ist es, wie unsre Techniker
-dazu gekommen sind, die Mehrzahl +Motore+ zu bilden, da es doch nicht
-+Faktore+, +Doktore+ und +Pastore+ heißt; wahrscheinlich haben sie an
-die +Matadore+ im Skat gedacht. +Effekte+ und +Effekten+ werden wieder
-dem Sinne nach unterschieden: +Effekte+ sind Wirkungen, +Effekten+
-Wertpapiere oder Habseligkeiten.
-
-
-Die Stiefeln oder die Stiefel?
-
-Von den Hauptwörtern auf +el+ und +er+ gehören alle Feminina der
-schwachen Deklination an; daher bilden sie den Plural: +Nadeln+,
-+Windeln+, +Kacheln+, +Kurbeln+, +Klingeln+, +Fackeln+, +Wurzeln+,
-+Mandeln+, +Eicheln+, +Nesseln+, +Regeln+, +Bibeln+, +Wimpern+,
-+Adern+, +Nattern+, +Leitern+, +Klaftern+, +Scheuern+, +Mauern+,
-+Kammern+; alle Maskulina und Neutra dagegen gehören zur starken
-Deklination, wie +Schlüssel+, +Mäntel+, +Wimpel+, +Zweifel+, +Spiegel+,
-+Kessel+, +Achtel+, +Siegel+, +Kabel+, +Eber+, +Zeiger+, +Winter+,
-+Laster+, +Ufer+, +Klöster+.[13] Die Regel läßt sich sehr hübsch bei
-Tische lernen: man vergegenwärtige sich nur die richtigen Plurale von
-+Schüssel+ und +Teller+, +Messer+, +Gabel+ und +Löffel+, +Semmel+,
-+Kartoffel+ und +Zwiebel+, +Auster+, +Hummer+ und +Flunder+. Sie gilt,
-wie die Beispiele zeigen, ebenso für ursprünglich deutsche wie für
-Lehnwörter, und sie ist so fest, daß, wenn ein Lehnwort (wie es im
-Laufe der Sprachgeschichte oft geschehen ist) in ein andres Geschlecht
-übergeht, sofort auch die Pluralbildung wechselt. Im sechzehnten
-Jahrhundert sagte man noch in der Einzahl +die Zedel+ (~schedula~),
-folglich in der Mehrzahl +die Zedeln+, im achtzehnten Jahrhundert
-noch in der Einzahl +die Aurikel+ (~auricula~), folglich in der
-Mehrzahl die +Aurikeln+; heute heißt es +der Zettel+, +das Aurikel+
-und folglich die Mehrzahl +die Zettel+, +die Aurikel+. Also sind
-Plurale wie +Buckeln+, +Möbeln+, +Stiefeln+, +Schlüsseln+, +Titeln+,
-+Ziegeln+, +Aposteln+, +Hummern+ falsch und klingen gemein. Nur
-+Muskel+, +Stachel+, +Pantoffel+ und +Hader+ (Lump, Fetzen) machen
-eine Ausnahme (die +Muskeln+, die +Stacheln+, die +Pantoffeln+, die
-+Hadern+), doch auch nur scheinbar, denn diese Wörter haben seit alter
-Zeit neben ihrer männlichen auch eine weibliche Singularform (ital.
-~pantofola~) oder, wie +Hader+, eine schwache männliche Nebenform (des
-+Hadern+), und die hat bei der Pluralbildung überwogen. Ein Fehler ist
-auch: die +Trümmern+ (in +Trümmern+ schlagen); die Einzahl heißt: der
-oder das +Trumm+ (in der Bergmannsprache noch heute gebräuchlich), die
-Mehrzahl die +Trümmer+. Wer noch gewöhnt ist, +Angel+ als Maskulinum zu
-gebrauchen (Türangel ebenso wie Fischangel), wird die Mehrzahl bilden
-+die Angel+, wer es weiblich gebraucht, sagt +die Angeln+. Ebenso ist
-es mit +Quader+; wer +Quader+ männlich gebraucht, wird in der Mehrzahl
-sagen: die +Quader+, wer es für weiblich hält, kann nur sagen: die
-+Quadern+. Der +Oberkiefer+ und der +Unterkiefer+ heißen zusammen die
-+Kiefer+; im Wald aber stehen +Kiefern+. Die +Schiffe+ haben +Steuer+
-(das +Steuer+), der Staat erhebt +Steuern+ (die +Steuer+).
-
-In der niedrigen Geschäftssprache machen sich jetzt aber noch andre
-falsche schwache Plurale breit. In Leipziger Geschäftsanzeigen muß
-man lesen: +Muffen+, +Korken+ (auch +Korken+zieher, +Korken+fabrik),
-+Stutzen+ (Feder+stutzen+), auch +Korsetten+ und +Jaquetten+ (als ob
-die Einzahl +Jaquette+ und +Korsette+ hieße!). Anständige Kaufleute
-werden sich vor solcher Gassensprache hüten. +Muff+, +Kork+, +Stutz+
-gehören in gutem Schriftdeutsch zur starken Deklination: der +Muff+,
-des +Muffs+, die +Müffe+, der +Kork+, des +Korks+, die +Korke+; die
-+Muffen+ sind eins der vielen Beispiele, wo sich -- unter dem Einflusse
-Berlins -- das Plattdeutsche, das man schon für abgetan hielt, wieder
-durchzusetzen versucht.
-
-
-Worte oder Wörter? Gehälter oder Gehalte?
-
-Die meisten reden von +Fremdwörtern+, manche aber auch von
-+Fremdworten+. Was ist richtig? Die Pluralendung +er+, die namentlich
-bei Wörtern sächlichen Geschlechts vorkommt (+Gräber+, +Kälber+,
-+Kräuter+, +Lämmer+, +Rinder+, +Täler+), aber auch bei Maskulinen
-(+Männer+, +Leiber+, +Geister+, +Wälder+, +Würmer+, +Reichtümer+),
-im Althochdeutschen ~ir~ (daher der Umlaut), ist im Laufe der Zeit
-auf eine große Masse von Wörtern namentlich sächlichen Geschlechts
-ausgedehnt worden, die sie früher nicht hatten. Um 1500 hieß es noch:
-+die Amt+, +die Kleid+, +die Pfand+, +die Land+, +die Dach+, +die
-Fach+, +die Gemach+, +die Rad+, +die Schloß+, +die Schwert+, +die
-Faß+, +die Bret+, daneben: +die Amte+, +die Rade+, +die Schwerte+,
-+die Fasse+, und endlich kam auf: +die Ämter+, +die Räder+ usw. Bei
-manchen Wörtern hat sich nun neben der jüngern Pluralform auf er
-auch noch die ältere erhalten. Dann erscheint aber die ältere Form
-jetzt als die edlere, vornehmere und ist auf die Ausdrucksweise des
-Dichters oder des Redners beschränkt.[14] Man denke an +Denkmale+
-und +Denkmäler+, +Gewande+ und +Gewänder+, +Lande+ und +Länder+,
-+Tale+ und +Täler+ (Es geht durch alle +Lande+ ein Engel still
-umher -- Die +Tale+ dampfen, die Höhen glühn u. ähnl.). Bei andern
-Wörtern hat sich zwischen der ältern und der jüngern Form ein
-Bedeutungsunterschied gebildet. So unterscheidet man +Bande+ (des
-Bluts, der Verwandtschaft, der Freundschaft) und +Bänder+, +Bande+
-sind gleichsam ein ganzes Netz von Fesseln, +Bänder+ sind einzelne
-Stücke. Auch +Gesichte+ und +Gesichter+, +Lichte+ und +Lichter+ sind
-dem Sinne nach zu unterscheiden. +Gesichte+ sind Erscheinungen (im
-Faust: die Fülle der +Gesichte+). +Lichte+ sind Kerzen (Wachslichte,
-Stearinlichte), +Lichter+ sind Flammen (durch das Fenster strahlen
-unzählige +Lichter+, Sonne, Mond und Sterne sind die Himmels+lichter+).
-Auf dem Altar stehen immer große +Kirchenlichte+, auf der Kanzel
-aber nicht immer große +Kirchenlichter+. Bisweilen kommt auch noch
-ein Geschlechtsunterschied dazu: +Schilde+ (+der Schild+) gehören zur
-Rüstung; +Schilder+ (+das Schild+) sind an den Kaufmannsläden. Neben
-den +Banden+ und den +Bändern+ stehen noch die +Bände+ (der Roman
-hat drei +Bände+). So kam auch neben der Mehrzahl +die Wort+ oder
-+die Worte+ im sechzehnten Jahrhundert die Form auf +er+ auf: +die
-Wörter+. In der Bedeutung wurde anfangs kein Unterschied gemacht. Im
-achtzehnten Jahrhundert aber begann man unter +Wörtern+ bloße Teile der
-Sprache (~vocabula~), unter +Worten+ Teile der zusammenhängenden Rede
-zu verstehen. Man sprach also nun von +Hauptwörtern+, +Zeitwörtern+,
-+Fürwörtern+, +Wörterbüchern+, dagegen von +Dichterworten+,
-+Textworten+, +Vorworten+ (Vorreden), +schöne Worte+ machen usw. Und
-an diesem Unterschied wird auch seitdem fast allgemein festgehalten.
-+Worte+ haben Sinn und Zusammenhang, +Wörter+ sind zusammenhanglos
-aufgereiht. Wenn es also auch nicht gerade falsch ist, von
-+Fremdworten+ oder +Schlagworten+ zu reden, so ist doch die Mehrzahl
-+Fremdwörter+ vorzuziehen. Dagegen wird niemand sagen: der +Wörter+
-sind genug +gewechselt+.
-
-In der Sprache des niedrigen Volkes ist nun eine starke Neigung
-vorhanden, die Pluralendung auf +er+ immer weiter auszudehnen. Es ist
-das aber ein durchaus plebejischer Sprachzug. Nur das niedrige Volk
-redet in Leipzig von +Gewölbern+ und +Geschäftern+, der Gebildete von
-+Gewölben+ und +Geschäften+. Nur das niedrige Volk bildet Plurale
-wie +Zelter+, +Gewinner+, +Mäßer+, +Sträußer+, +Butterbröter+,
-+Kartoffelklößer+. Nur die „Ausschnitter“ preisen ihre +Rester+ an, nur
-die Telephonarbeiter kommen, um „+die Elementer+ nachzusehen“.[15] Und
-wie gemein erscheinen die +Dinger+, mit denen sich das Volk überall
-da hilft, wo es zu unwissend oder zu faul ist, einen Gegenstand mit
-seinem Namen zu nennen![16] So kommt es, daß die Endung +er+ in der
-guten Schriftsprache bisweilen selbst da wieder aufgegeben worden
-ist, wo sie früher eine Zeit lang ausschließlich im Gebrauch war, wie
-bei +Scheit+; die Mehrzahl heißt jetzt +Scheite+, früher hieß sie
-+Scheiter+ (vgl. +Scheiterhaufe+ und +scheitern+). Auch bei +Ort+ ist
-eine rückläufige Bewegung zu beobachten: während früher die Mehrzahl
-+Örter+ ganz gebräuchlich war, ist sie in neuerer Zeit fast ganz
-verschwunden; man spricht fast nur noch von +Orten+. Dagegen hat leider
-der plebejische Plural +Gehälter+ (Lehrer+gehälter+, Beamten+gehälter+)
-gleichzeitig mit dem häßlichen Neutrum +das Gehalt+ von Norddeutschland
-aus selbst in den Kreisen der Gebildeten große Fortschritte gemacht.
-Auch in Leipzig, wo Freytag noch 1854 in seinen Journalisten richtig
-+der Gehalt+ und +die Gehalte+ geschrieben hat, halten es schon viele
-für fein, +das Gehalt+ und die +Gehälter+ zu sagen. Nun verteilen
-sich ja die Hauptwörter, die aus Zeitwortstämmen mit dem Präfix
-+Ge-+ gebildet sind, auf alle drei Geschlechter. Männlich sind:
-+Geruch+, +Geschmack+, +Gedanke+; weiblich: +Geburt+, +Geduld+;
-sächlich: +Gehör+, +Gesicht+, +Gewehr+, +Gewicht+. Man mag auch die
-Unterscheidung von: +der Gehalt+ (Gedankengehalt, Silbergehalt des
-Erzes) und +das Gehalt+ (Besoldung) in Norddeutschland als willkommne
-Bereicherung der Sprache empfinden (vgl. +der Verdienst+ und +das
-Verdienst+, wo freilich der Bedeutungsunterschied gerade umgekehrt
-ist).[17] In Mitteldeutschland klingt aber vorläufig vielen Gebildeten
-+das Gehalt+ noch gemein, und +die Gehälter+ stehen für unser Ohr
-und unser Gefühl durchaus auf einer Stufe mit den +Gewölbern+, den
-+Geschäftern+ und den +Geschmäckern+.[18] Weshalb sollen wir uns also
-so etwas aufnötigen lassen?
-
-
-Das s der Mehrzahl
-
-Von zwei verschiednen Seiten her ist eine Pluralbildung auf s in unsre
-Sprache eingedrungen. Wenn wir von +Genies+, +Pendants+, +Etuis+,
-+Portemonnaies+, +Korsetts+, +Beefsteaks+ und +Meetings+ reden, so ist
-das s natürlich das französische und englische Plural-s, das diesen
-Wörtern zukommt. Aber man redet auch von +Jungens+ und +Mädels+,
-+Herrens+ und +Fräuleins+, +Kerls+ und +Schlingels+, +Hochs+ und
-+Krachs+, +Bestecks+, +Fracks+, +Schmucks+, +Parks+ und +Blocks+
-(Bau+blocks+), +Echos+ und +Villas+ (statt Villen), +Vergißmeinnichts+
-und +Stelldicheins+, +Polkas+, +Galopps+, +Tingeltangels+ und +Trupps+
-(Studenten+trupps+), +Uhus+ und +Känguruhs+, +Wenns+ und +Abers+, U’s
-und T’s, +Holbeins+ und +Lenbachs+ (zwei neue +Lenbachs+, ein paar
-echte +Holbeins+), von den +Fuggers+ und den +Schlegels+, und einzelne
-Universitätslehrer kündigen gar schon am schwarzen Brett ihre +Kollegs+
-an! Alle diese Formen sind unfein. In Süddeutschland bezeichnet man sie
-als ~pluralis Borussicus~. Ihr Plural-s stammt aus der niederdeutschen
-Mundart[19]; nur dieser gehören ursprünglich die +Jungens+ und die
-+Mädels+ an. Aus Verlegenheit ist dieses s dann auch im Hochdeutschen
-an Fremdwörter, an unechte Substantiva und schließlich auch an echte
-deutsche Substantiva gehängt worden.
-
-Beschämend für uns Deutsche, die wir uns so gern etwas auf unsre
-Kenntnisse zugute tun, sind Formen wie +Solis+, +Mottis+, +Kollis+ und
-+Portis+, denn da ist das falsche deutsche Plural-s an die richtige
-italienische Pluralendung gehängt! Die Einzahl heißt ja +Solo+,
-+Motto+, +Kollo+ und +Porto+. Freilich wird auch schon in der Einzahl
-+das Kolli+ gesagt, und nicht bloß von Markthelfern und Laufburschen!
-
-
-Fünf Pfennig oder fünf Pfennige?
-
-Wenn fünf einzelne Pfennige auf dem Tische liegen, so sind das
-unzweifelhaft fünf Pfennige; wenn ich aber mit diesen fünf Pfennigen
-(oder auch mit einem Nickelfünfer) eine Zigarre bezahle, kostet die
-dann fünf +Pfennige+ oder, wie auf dem Nickelfünfer steht, fünf
-+Pfennig+? Schwierige Frage!
-
-Bei Angaben von Preis, Gewicht, Maß, Zeit, Lebensalter usw. ist oft
-eine Pluralform üblich, die sich vom Singular nicht unterscheidet,
-wenigstens bei Wörtern männlichen und sächlichen Geschlechts,[20] wie
-bei +Taler+, +Gulden+, +Groschen+, +Heller+, +Pfennig+, +Batzen+,
-+Pfund+, +Lot+, +Fuß+, +Zoll+, +Schuh+, +Faden+, +Faß+, +Glas+ (zwei
-+Glas+ Bier), +Maß+, +Ries+, +Buch+ (drei +Buch+ Papier), +Blatt+,[21]
-+Jahr+, +Monat+, +Mann+ (sechs +Mann+ Wache), +Schritt+, +Schuß+
-(tausend +Schuß+), +Stock+ (drei +Stock+ hoch). Diese Formen sind
-natürlich keine wirklichen Singulare, sondern zum Teil sind es alte
-Pluralformen (vgl. S. 20 +Fach+ und +Fächer+), zum Teil Formen, die
-solchen unwillkürlich nachgebildet worden sind. Von einer Regel also,
-daß in allen solchen Fällen der Singular stehen müsse, kann keine Rede
-sein. Es ist ganz richtig, zu sagen: das Kind ist +drei Monate+ alt,
-+drei+ Jahre alt, wie denn auch jeder +drei Taler+, +drei Gulden+,
-+drei Groschen+ sicherlich als Plural fühlen, folglich auch sagen wird:
-ich habe das Bild mit +zehn Talern+ bezahlt (nicht mit +zehn Taler+!).
-Und so haben wir auch in Mitteldeutschland früher immer +Pfennige+
-gesagt so gut wie +Könige+, +Käfige+ und +Zeisige+. (In dem alten Liede
-von der Seestadt Leipzig heißt es sogar: Und ein einzig Lot Kaffee
-kostet +sechzehn Pfennigee+.) Bis 1880 war auch auf unsern Briefmarken
-so gedruckt. Wahrscheinlich war das aber nicht „schneidig“ genug,
-und so hieß es von da an 3 +Pfennig+, 5 +Pfennig+, worauf 1889 die
-Abkürzung +Pf.+ erschien, die jeder lesen konnte, wie er wollte, bis
-schließlich gar nur noch die Ziffer übrig blieb!
-
-
-Jeden Zwanges oder jedes Zwanges?
-
-Zu den unbehaglichsten Kapiteln der deutschen Grammatik gehört die
-Deklination zweier miteinander verbundner Nomina, eines Substantivs
-und eines Adjektivs. Heißt es: +jeden Zwanges+ oder +jedes Zwanges+?
-+sämtlicher deutscher Stämme+ oder +sämtlicher deutschen Stämme+?
-+großer Gelehrter+ oder +großer Gelehrten+? ein +schönes Ganzes+ oder
-ein +schönes Ganze+? von +hohem praktischen Werte+ oder von +hohem
-praktischem Werte+? So unwichtig die Sache manchem vielleicht scheint,
-so viel Verdruß oder Heiterkeit (je nachdem) bereitet sie dem Fremden,
-der Deutsch lernen möchte, und so beschämend ist es für uns Deutsche
-selbst, wenn wir dem Fremden sagen müssen: Wir wissen selber nicht, was
-richtig ist, sprich, wie du willst! Mit einigem guten Willen ist aber
-doch vielleicht zu ein paar klaren und festen Regeln zu gelangen.
-
-Die Adjektiva können stark und auch schwach dekliniert werden. In der
-schwachen Deklination haben sie, wie die Hauptwörter, nur die Endung
-+en+, in der starken haben sie die Endungen des hinweisenden Fürwortes:
-+es+, +em+, +en+ usw. Nach der starken Deklination gehen sie, wenn sie
-allein beim Substantiv stehen, ohne vorhergehenden Artikel, und im
-Singular, wenn ein Pronomen ohne Endung vorhergeht: +mein guter Hans+,
-+du alter Freund+, +unser jährlicher Umsatz+, +welch vorzüglicher+
-Wein. In allen andern Fällen gehn sie nach der schwachen Deklination.
-Es muß also heißen: +gerades Wegs+, +guter Hoffnung+, +schwieriger
-Fragen+, dagegen +des geraden Wegs+, +der guten Hoffnung+, +der
-schwierigen Fragen+, +dieser schwierigen+ Fragen, +welcher schwierigen+
-Fragen, +solcher schwierigen+ Fragen, auch +derartiger+ und +folgender
-schwierigen+ Fragen, +beifolgendes kleine+ Buch (denn +derartiger+
-steht für +solcher+, +folgender+ und +beifolgender+ für +dieser+).
-
-So ist auch die ältere Sprache überall verfahren; Luther kennt Genitive
-wie +süßen Weines+ fast noch gar nicht. Im siebzehnten und achtzehnten
-Jahrhundert aber drang, obgleich Sprachkundige eifrig dagegen
-ankämpften, bei dem männlichen und dem sächlichen Geschlecht im Genitiv
-des Singulars immer mehr die schwache Form ein, und gegenwärtig hat
-sie sich fast überall festgesetzt; man sagt: +frohen Sinnes+, +reichen
-Geistes+, +weiblichen Geschlechts+, +größten Formats+. Höchstens +gutes
-Muts+, +reines Herzens+, +gerades Wegs+ wird bisweilen noch richtig
-gesagt. Bei den besitzanzeigenden Adjektiven (+mein+, +dein+, +sein+,
-+unser+, +euer+, +ihr+) hat sich die starke Form überall unangetastet
-erhalten (+meines Wissens+, +unsers Lebens+), dagegen ist es bei den
-Zahlbegriffen (+jeder+, +aller+, +vieler+, +keiner+, +mancher+) ins
-Schwanken gekommen. Wie man sagt: +größtenteils+ und +andernteils+,
-so sagt man auch +jedenfalls+ und +allenfalls+ neben +keineswegs+,
-+keinesfalls+, +jedes Menschen+, +keines Worts+, +alles Lebens+, +alles
-Ernstes+. Nur wenige schreiben noch richtig: trotz +alles Leugnens+,
-trotz +manches Erfolgs+, trotz +vieles Aufwands+; die meisten
-schreiben: trotz +allen Leugnens+ usw.
-
-Bei +jeder+ erklärt sich das Schwanken vielleicht daher, daß +jeder+
-wie ein Adjektiv auch mit dem unbestimmten Artikel versehen werden
-kann (+ein jeder+ Mensch), eine Verbindung, die manche Schriftsteller
-bis zum Überdruß lieben, als ob sie das bloße +jeder+ gar nicht mehr
-kennten.
-
-Die Schule sollte sich auch hier bemühen, die alte, richtige Form, wo
-sie sich noch erhalten hat, sorgfältig zu schützen und zur Schärfung
-des Sprachgefühls zu benutzen. Und wo ein Schwanken besteht, wie bei
-+jeder+, da sollte doch kein Zweifel sein, wie man sich zu entscheiden
-hat. Falsch ist: die Abwehr +jeden+ Zwanges; richtig ist nur: die
-Abwehr +jedes Zwanges+ oder +eines jeden Zwanges+ (wie die Bekämpfung
-+solches Unsinns+ oder +eines solchen Unsinns+).
-
-Merkwürdig ist, daß sich nach +solcher+ die schwache Deklination
-noch nicht so festgesetzt hat wie nach +welcher+. Während jeder ohne
-Besinnen sagt: +welcher gute+ Mensch, +welches guten+ Menschen, +welche
-guten+ Menschen, auch +solcher vollkommnen+ Exemplare, hört man im
-Nominativ und Akkusativ der Mehrzahl viel öfter: +solche vollkommne+
-Exemplare. Es kommt das wohl daher, daß auch +solcher+ oft mehr etwas
-adjektivisches hat. Ebenso ist es bei +derartiger+ (für +solcher+)
-und +folgender+ (für +dieser+). Jeder wird im Nominativ vorziehen:
-+folgende schwierige+ Fragen, dagegen im Genitiv vielleicht +folgender
-schwierigen+ Fragen (wie +dieser schwierigen+ Fragen).
-
-Manche Leute glauben, daß Adjektiva, deren Stamm auf m endigt, nur
-einen schwachen Dativ bilden könnten, weil +mem+ „schlecht klinge“,
-daß es also heißen müsse: mit +warmen Herzen+, mit +geheimen Kummer+,
-mit +stummen Schmerz+, mit +grimmen Zorn+, von +vornehmen+ Sinn, +bei
-angenehmen+ Wetter, bei +gemeinsamen+ Lesen -- ein ganz törichter
-Aberglaube.
-
-
-Anderen, andren oder andern?
-
-Ein garstiger Mißbrauch herrscht in der Deklination bei den Adjektiven,
-deren Stamm auf +el+ und +er+ endigt, wie +dunkel+, +edel+, +eitel+,
-+übel+, +lauter+, +wacker+; auch die Komparativstämme, wie +besser+,
-+größer+, +unser+, +euer+, +inner+, +äußer+, +ander+, gehören dazu.
-Bei diesen Adjektiven kommen in der Deklination zwei Silben mit kurzem
-e zusammen, also des +eitelen+ Menschen, dem +übelen+ Rufe, dem
-+dunkelen+ Grunde, +unseres+ Wissens, mit +besserem+ Erfolge, aus
-+härterem+ Holze. Diese Formen sind unerträglich: man schreibt sie wohl
-bisweilen, aber niemand spricht sie, eins der beiden e muß weichen.
-Aber welches von beiden? Die richtige Antwort darauf gibt der Infinitiv
-der Zeitwörter, die von Stämmen auf +el+ und +er+ gebildet werden.
-Auch da treffen zwei e zusammen, von denen eins beseitigt werden muß.
-Nun ist es zwar hie und da in Deutschland, z. B. in Hannover, beliebt,
-zu sagen: +tadlen+, +handlen+, +wandlen+, +veredlen+, +vermittlen+,
-+verdunklen+, +verwechslen+, +ausbeutlen+, +mildren+, +verwundren+,
-+erschüttren+, +veräußren+, +versilbren+, +versichren+, +erläutren+,
-im allgemeinen aber spricht, schreibt und druckt man doch +tadeln+,
-+veredeln+, +erinnern+, +erläutern+, d. h. man opfert das e der Endung
-und bewahrt das e des Stammes. Ebenso geschieht es auch in der Flexion
-des Verbums: +er vereitelt+, er +verändert+, nicht er +vereitlet+, er
-+verändret+. Und so ist es gut und vernünftig. Denn nicht nur daß das
-Stamm-e wichtiger ist als das der Endung, die Formen auf +eln+ und
-+ern+ klingen auch voller und schöner.[22] Genau so verhält sichs bei
-den genannten Adjektiven. Aber fast in allen Büchern und Zeitungen
-druckt man die häßlich weichlichen Formen: +unsres+ Jahrhunderts,
-des +üblen+ Rufes, die +ältren+ Ausgaben, meiner +teuren+ Gemeinde,
-in der +ungeheuren+ Menschenmenge, und doch spricht fast jedermann:
-+unsers+ Jahrhunderts, des +übeln+ Rufes, die +ältern+ Ausgaben, meiner
-+teuern+ Gemeinde, in der +ungeheuern+ Menschenmenge. Man druckt ja
-nicht: die +Eltren+, überall wird richtig +Eltern+ gedruckt, warum also
-nicht auch die +ältern+? beides ist doch dasselbe.[23] Bei dem Dativ-m
-kann man zugeben, daß, wenn das Stamm-e erhalten und das e der Endung
-ausgeworfen wird, zuweilen etwas harte Formen entstehen; im allgemeinen
-ist aber auch hier auf +dunkelm+ Grunde, mit +besserm+ Erfolg gewiß
-vorzuziehen.
-
-
-Von hohem geschichtlichen Werte oder von hohem geschichtlichem Werte?
-
-Wenn zu einem Hauptwort mehrere Eigenschaftswörter treten, so ist es
-selbstverständlich, daß sie in der Deklination gleichmäßig behandelt
-werden müssen. Da haben nun manche in der starken Deklination, wenn
-das Eigenschaftswort allein, ohne Artikel oder Fürwort steht, im Dativ
-der Einzahl einen künstlichen Unterschied schaffen wollen. Sie haben
-gelehrt, nur dann, wenn zwei Adjektiva gleichwertig nebeneinander
-stünden, wenn sie dem Sinne nach koordiniert wären, ~a-a-s~, dürften
-sie gleichmäßig behandelt werden, z. B. Tiere mit +rotem, kaltem+
-Blute, nach +langem, heißem+ Kampfe; wenn dagegen das zweite Adjektiv
-mit dem Substantiv einen einheitlichen Begriff bilde, der durch das
-erste Adjektiv nur näher bestimmt werde, das erste also dem zweiten
-übergeordnet sei, ~a~/(~a-s~), so müsse das zweite schwach dekliniert
-werden, wie wenn es hinter einem Fürwort stünde, z. B. mit +echtem
-Kölnischen+ Wasser, nach +allgemeinem deutschen+ Sprachgebrauch, zu
-+kühnem dramatischen+ Pathos, mit +eigentümlichem humoristischen+
-Anstrich, von +großem praktischen+ Wert, aus +übertriebnem
-patriotischen+ Zartgefühl, aus +süddeutschem adligen+ Besitz. Ebenso
-müsse im Genitiv der Mehrzahl unterschieden werden zwischen: +frischer,
-süßer Kirschen+ (denn die Kirschen seien frisch und süß) und +neuer
-isländischen Heringe+, +scharfer indianischen Pfeile+, +einheimischer
-geographischen Namen+, +ehemaliger freien+ Reichsstädte (denn die
-Heringe seien nicht neu +und+ isländisch, sondern die isländischen
-Heringe seien neu).
-
-Diese Unterscheidung ist logisch unzweifelhaft notwendig, und sie
-muß auch in der Interpunktion zum Ausdruck kommen: koordinierte
-Adjektiva werden durch ein Komma getrennt, während zwischen zwei
-Eigenschaftswörtern, von denen eins dem andern übergeordnet ist,
-kein Komma stehen darf. Grammatisch aber ist die Unterscheidung die
-reine Willkür. Warum sollte sie auch gerade auf diese beiden Kasus
-beschränkt werden? auf den Dativ im Singular und den Genitiv im Plural?
-Nur in diesen beiden Kasus aber soll sie gelten, in den übrigen Kasus
-fällt es niemand ein, das zweite Adjektiv jemals in die schwache Form
-zu bringen. Oder sagt jemand: ohne +selbständiges geschichtliche+
-Studium? von +bewährter christlichen+ Gesinnung?[24] Dazu kommt,
-daß sich in manchen Fällen kaum entscheiden läßt, ob zwei Adjektiva
-einander koordiniert sind oder eins dem andern untergeordnet, z. B.
-nach +ergebnislosem zweijährigem+ Versuche. Unsre Romanschriftsteller
-scheinen zu glauben, daß stets eine Unterordnung vorliege, wenn das
-zweite Adjektiv eine Farbe bedeutet: sie schreiben fast ausnahmlos:
-bei +schönem blauen+ Himmel, mit +langem schwarzen+ Haar, mit
-+schmalem braunen+ Rande, mit +auffälligem roten+ Bande. Das ist
-völlig widersinnig. Freilich gibt es langes schwarzes Haar und kurzes
-schwarzes Haar. Aber eine solche Sortierung schwebt doch hier nicht
-vor. Bei dem schönen, blauen Himmel vollends denkt doch niemand an eine
-andre, weniger schöne Art von blauem Himmel, sondern +blau+ ist eine
-weitere Ausführung und Begründung von +schön+: der Himmel ist schön,
-weil er blau ist. Ebenso ist das Band auffällig, weil es rot ist. In
-Todesanzeigen kann man täglich lesen, daß jemand nach +langem, schweren
-Leiden+ oder nach +kurzem, schweren+ Leiden gestorben sei. Man liest
-es so häufig, daß man fast glauben möchte, die Setzer setzten auch das
-gewohnheitsmäßig so, selbst wenn in der Druckvorlage richtig gestanden
-hat: nach +langem, schwerem+ Leiden. Denn daß auch gebildete Menschen
-das immer falsch schreiben sollten, ist doch kaum anzunehmen.
-
-
-Sämtlicher deutscher Stämme oder sämtlicher deutschen Stämme?
-
-Große Unsicherheit herrscht in der Deklination der Adjektiva im
-Genitiv der Mehrzahl nach den Zahlbegriffen +alle+, +keine+, +einige+,
-+wenige+, +einzelne+, +etliche+, +manche+, +mehrere+, +viele+,
-+sämtliche+, denen sich auch die Adjektiva +andre+, +verschiedne+
-und +gewisse+ anschließen, die beiden letzten, wenn sie in dem Sinne
-von +mehrere+ und +einige+ stehen. Da sagt man: +aller guten+ Dinge,
-+aller halben+ Stunden, +mancher kleinen+ Souveräne, +einzelner
-ausgezeichneten+ Schriftsteller, +verschiedner schweren+ Bedenken,
-+gewisser aristokratischen+ Kreise, aber auch: +vieler andrer+
-Gebiete, +vieler damaliger preußischer+ Offiziere, +einzelner großer
-politischer+ Ereignisse, +sämtlicher deutscher evangelischer+
-Kirchenregimente, +gewisser mathematischer+ Kenntnisse. Sollte es denn
-nicht möglich sein, hier Ordnung und Regel zu schaffen?
-
-Tatsache ist, daß auch nach allen diesen Wörtern die Adjektiva
-ursprünglich stark dekliniert worden sind. Ebenso ist es Tatsache, daß
-die schwache Form nur nach zweien von ihnen endgültig durchgedrungen
-ist: nach +alle+ und +keine+. Sollte das nicht einen tiefern Grund
-haben? Die schwache Form ist endgültig durchgedrungen auch hinter
-dem bestimmten Artikel, hinter den hinweisenden Fürwörtern (+dieser+
-und +jener+) und hinter den besitzanzeigenden Adjektiven (+mein+,
-+dein+ usw.). In allen diesen Fällen aber handelt es sich um eine
-ganz bestimmte Menge. Dagegen bezeichnet die artikellose Form eine
-unbestimmte Menge. Sollte es nun Zufall sein, daß gerade +alle+ (mit
-seiner Negation +keine+) der Form gefolgt ist, die eine bestimmte
-Menge ausdrückt? +Alle+ und +keine+ sind die einzigen in der ganzen
-Reihe. Alle übrigen (+viele+, +einige+, +manche+ usw.) bezeichnen eine
-unbestimmte Menge; +viele+ und +einige+ bleiben +viele+ und +einige+,
-auch wenn einer dazukommt oder abgeht. Sollte sich nicht deshalb hier
-die artikellose Form erhalten haben? Im Nominativ überall: +viele
-junge+ Leute, +manche bittre+ Erfahrungen, +verschiedne schwere+
-Bedenken, +gewisse aristokratische+ Kreise. Erst im Genitiv beginnt das
-Schwanken zwischen +vieler junger+ Leute und +vieler jungen+ Leute,
-+verschiedner freisinniger+ Blätter und +verschiedner freisinnigen+
-Blätter, +mehrerer andrer ausländischer+ Blätter und +mehrerer andern
-ausländischen+ Blätter. Unzweifelhaft wäre also die starke Form hier
-überall vorzuziehen. Nur noch hinter +sämtliche+ wäre die schwache am
-Platze, denn +sämtliche+ bedeutet ja dasselbe wie +alle+, also eine
-bestimmte Menge.
-
-Hinter den wirklichen Zahlwörtern +zwei+, +drei+, +vier+, +fünf+ usw.
-steht im Nominativ überall die starke Form, so auch im Genitiv, solange
-die Zahlwörter selbst undekliniert bleiben: die Kraft +vier starker+
-Männer, um +fünf Gerechter+ willen. Dagegen beginnt das Schwanken,
-sobald die Zahlwörter selbst wie Adjektiva dekliniert werden: ein Kampf
-+zweier großen+ Völker steht neben einem Kampf +zweier großer+ Völker.
-Daß aber auch hier die starke Form vorzuziehen sei, kann wohl keinem
-Zweifel unterliegen. +Beide+ dagegen schließt sich natürlich an +alle+
-und +keine+ an: +beide großen+ Männer, +beide+ hier +mitgeteilten+
-Schriftstücke.
-
-
-Ein schönes Äußeres oder ein schönes Äußere? Großer Gelehrter oder
-großer Gelehrten?
-
-Adjektiva und Partizipia, die substantiviert wurden, nahmen in der
-ältesten Zeit stets die schwache Form an, auch hinter dem unbestimmten
-Artikel. Reste davon sind +Junge+ (ein +Junge+), eigentlich ein
-+Junger+, das in der Form +Jünger+ noch daneben steht, und +Untertan+
-(e), eigentlich ein +Untertaner+. Später ist auch bei solchen
-substantivierten Adjektiven und Partizipien überall hinter +ein+ die
-starke Form eingetreten: ein +Heiliger+, ein +Kranker+, ein +Fremder+,
-ein +Gelehrter+, ein +Verwandter+, ein +Junges+ (von Hund oder
-Katze), ein +Ganzes+, und stark wird auch überall der alleinstehende
-artikellose Plural jetzt dekliniert: +Heilige+, +Verwandte+,
-+Geistliche+, +Gelehrte+, +Junge+ (der Hund hat +Junge+ bekommen).
-Werden aber diese substantivierten Adjektiva und Partizipia mit einem
-Adjektiv versehen, so erhält sich ihre schwache Form: ein +schönes
-Ganze+ (noch genau so wie ein +guter Junge+), +mein ganzes Innere+,
-von +auffälligem Äußern+, mit +zerstörtem Innern+, und namentlich
-im Genitiv der Mehrzahl: eine Anzahl +wunderlicher Heiligen+, eine
-Versammlung +evangelischer Geistlichen+, ein Kreis +lieber Verwandten+,
-die Stellung +höherer Beamten+, die Arbeiten +großer Gelehrten+,
-ein Kreis +geladner Sachverständigen+, große Züge +französischer
-Kriegsgefangnen+, die Lehren +griechischer Weisen+ usw.
-
-Neuerdings versucht man, auch hier überall krampfhaft die starke
-Form durchzudrücken und lehrt, weil es heißt +ein Ganzes+, so müsse
-es auch heißen: ein +schönes Ganzes+, mein +ganzes Inneres+, ein
-+ungewöhnliches Äußeres+, mit +zerrüttetem Innerm+, und im Genitiv
-der Mehrzahl: ein Dutzend +deutscher Gelehrter+, die Aufnahme
-+choleraverdächtiger Gefangner+, das Eigentum +französischer
-Staatsangehöriger+, inmitten +scheelblickender Fremder+, die
-Genossenschaft +deutscher Bühnenangehöriger+, der Verband +sächsischer
-Industrieller+, zum Besten +armer Augenkranker+, zur Unterstützung
-+verschämter Armer+, die Anstellung +pensionierter Geistlicher+,
-Mißgriffe +preußischer Polizeibeamter+, die Einführung +neugewählter
-Stadtverordneter+, Geldbeiträge +reicher Privater+, der Streit
-+zweier berühmter deutscher Gelehrter+, die Zustimmung +vieler
-amerikanischer+, +spanischer+ und +französischer Gelehrter+, die
-Einbildung +etlicher wunderlicher Heiliger+ usw. Daß die gehäuften
-+er+ in den Endungen nicht gerade schön klingen, würde nichts zu sagen
-haben; das ließe sich auch gegen manche andre Endung einwenden. Aber
-da die schwache Form in diesem Falle das ältere ist, so verdient sie
-unbedingt den Vorzug. Unsre besten Schriftsteller haben nie anders
-geschrieben als: zur Unterstützung +verschämter Armen+, Lieder +zweier
-Liebenden+, zur Bewaffnung +unbegüterter Freiwilligen+, inmitten
-+eifersüchtiger Fremden+ usw. Wenn man heute hört: nach dem Urteil
-+hervorragender Gelehrter+, so vermißt man stets das Hauptwort, denkt
-sich unwillkürlich +hervorragender gelehrter+ geschrieben (mit g)
-und meint, es müsse noch folgen: +Männer+. Nur die schwache Form
-erzeugt das Substantivgefühl. Ein +schönes Ganzes+ und nach dem Urteil
-+hervorragender Gelehrter+ sind unnatürliche, gewaltsame Erzeugnisse
-der Halbwisserei.
-
-Eine Liederlichkeit ist es, substantivierte weibliche Adjektivformen,
-wie die +Rechte+, die +Linke+, die +Weiße+ (eine Berliner +Weiße+),
-wie Substantiva zu behandeln und zu schreiben: die Einführung +der+
-Berliner +Weiße+; richtig ist nur: +der+ Berliner +Weißen+, wie in
-+seiner Rechten+, auf der +äußersten Linken+. Auch die +Herbstzeitlose+
-gehört hierher und die +junge Schöne+, die natürlich ebenso wie die
-Maskulina im Genitiv der Mehrzahl bilden muß: Ein Kreis +junger
-Schönen+ (nicht +Schöner+).
-
-
-Das Deutsche und das Deutsch.
-
-Die Sprach- und die Farbenbezeichnungen bilden ein substantiviertes
-Neutrum in zwei Formen nebeneinander, in einer Form mit
-Deklinationsendung und einer Form ohne Endung: +das Deutsche+ und
-+das Deutsch+, +das Englische+ und +das Englisch+, +das Blaue+ (ins
-+Blaue+ hinein reden) und +das Blau+ (das Himmelblau), +das Weiße+ (im
-Auge) und +das Weiß+ (das Eiweiß). Zwischen beiden Formen ist aber
-ein fühlbarer Bedeutungsunterschied. +Das Deutsche+ bezeichnet die
-Sprache überhaupt, und dem schließt sich auch das +Hochdeutsche+, das
-+Plattdeutsche+ usw. an. Sobald aber irgendein beschränkender Zusatz
-hinzutritt, der eine besondre Art oder Form der deutschen Sprache
-bezeichnet, wird die kürzere Form gebraucht: das +heutige Deutsch+, ein
-+fehlerhaftes Deutsch+, das +beste Deutsch+, +Goethes Deutsch+, +mein
-Deutsch+, +dieses Deutsch+, das +Juristendeutsch+, das +Tintendeutsch+
-(Goethe im +Faust+: in +mein geliebtes Deutsch+ zu übertragen; der
-Deutsche ist gelehrt, wenn er +sein Deutsch+ versteht).
-
-Die längere Form: +das Deutsche+, +das Blaue+ muß natürlich schwach
-dekliniert werden: der Lehrer +des Deutschen+, die beste Zensur +im
-Deutschen+, ein Kirchlein steht +im Blauen+, Willkommen im +Grünen+!
-Die kürzere Form halten manche für ganz undeklinierbar und schreiben:
-+des Juristendeutsch+, eines +feurigen Rot+. Sie steht aber durchaus
-auf einer Stufe mit andern endunglosen substantivierten Neutren, wie:
-das +Gut+, das +Übel+, das +Recht+, das +Dunkel+, das +Klein+ (für
-+Kleinod+, +Kleinet+, z. B. Gänse+klein+), das +Wild+, und es ist
-nicht einzusehen, weshalb man nicht sagen soll: des +Eigelbs+, des
-+Tintendeutschs+. An das +tschs+ braucht sich niemand zu stoßen, sonst
-dürfte man auch nicht sagen: des Erd+rutschs+, des Stadt+klatschs+.
-
-Ganz unsinnig ist, was man fort und fort auf den Titelblättern aus
-fremden Sprachen übersetzter Bücher lesen muß: +aus dem Französischen
-des Voltaire+ übersetzt u. ähnl. Man kann über +das Französisch
-Voltaires+ (nicht +das Französische+!) eine wissenschaftliche
-Abhandlung schreiben, aber übersetzen kann man etwas nur +aus dem
-Französischen+ schlechthin; der Name des französischen Verfassers muß
-an andrer Stelle auf dem Titelblatt angebracht werden: +Voltaires+
-Briefe, +aus dem Französischen+ übersetzt usw.
-
-
-Lieben Freunde oder liebe Freunde?
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-Obwohl es keinem Menschen einfällt, in der Anrede zu sagen: +teuern+
-Freunde, +geehrten+ Herren, +geliebten+ Eltern, schwankt man
-wunderlicherweise seit alter Zeit bei dem Adjektivum +lieb+. Das
-ursprüngliche ist allerdings, daß beim Vokativ die schwache Form steht.
-Aber bereits im Althochdeutschen dringt die starke Form ein, und im
-Neuhochdeutschen gewinnt sie bis zum achtzehnten Jahrhundert die
-Oberhand. Auch die Kanzleisprache sagte schließlich: +liebe Getreue+
-statt: +lieben Getreuen+! Und heute haben wir bei einer Verbindung
-wie +lieben Freunde+ (wie Luther noch schreibt) nicht mehr das Gefühl
-von etwas organischem, von etwas, das so in Ordnung wäre, sondern die
-Empfindung einer gewissen Altertümelei. Wer diese Empfindung nicht
-erregen will, wird die schwache Form in der Anrede vermeiden.
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-Wir Deutsche oder wir Deutschen?
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-Ist es richtiger, zu sagen: +wir Deutsche+ oder +wir Deutschen+?
-Diese Frage, die eine Zeit lang viel Staub aufgewirbelt hat, würde
-wohl gar nicht entstanden sein, wenn nicht Bismarck in der bekannten
-Reichstagssitzung vom 6. Februar 1888 den Ausspruch getan hätte, der
-dann auf zahllosen Erzeugnissen des Gewerbes (Bildern, Gedenkblättern,
-Denkmünzen, Armbändern usw.) angebracht worden ist: +Wir Deutsche+
-fürchten Gott, sonst nichts auf der Welt. Denn so hat er nach den
-stenographischen Berichten gesagt, und so war er also wohl gewohnt zu
-sagen. Aber schon der Umstand, daß die Zeitungen am 7. Februar (vor dem
-Erscheinen der stenographischen Berichte!) druckten: +Wir Deutschen+,
-und daß sich die Gewerbetreibenden vielfach zu vergewissern suchten,
-wie er denn eigentlich gesagt habe, zeigt, daß seine Ausdrucksweise
-auffällig war; dem Volksmunde war geläufiger: +wir Deutschen+, und so
-ist in der Tat schon im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert viel
-öfter gesagt worden als +wir Deutsche+, obwohl es in der Einzahl heißt:
-+ich Deutscher+, und heute vollends sagt niemand mehr: +wir Arme+, +ihr
-Reiche+, +wir Alte+, +ihr Junge+, sondern +wir Armen+ (Gretchen im
-Faust: am Golde hängt, nach Golde drängt doch alles, ach +wir Armen+!),
-+ihr Reichen+, +wir Alten+, +ihr Jungen+, +wir Konservativen+,
-+wir Liberalen+, +wir Wilden+ (Seume: +wir Wilden+ sind doch beßre
-Menschen), +wir Geistlichen+, +wir Gesandten+, +wir Vorgenannten+, +wir
-Unterzeichneten+, +wir armen Deutschen+, +wir guten dummen Deutschen+,
-+wir Deutschen+ sind halt +Deutsche+! Es ist gar nicht einzusehen,
-weshalb gerade die Deutschen von all diesen substantivierten Adjektiven
-und Partizipien eine Ausnahme machen sollen. Wenn sich augenblicklich
-gewisse Leute, denen es gar nicht einfallen würde, zu sagen: +wir
-Arme+, mit dem vereinzelt aufgeschnappten und ihrem eignen Munde ganz
-ungewohnten +wir Deutsche+ spreizen, so ist das einfach lächerlich.
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-Die Ursache, weshalb hinter +wir+ und +ihr+ schon früh die schwache
-Form bevorzugt worden ist, ist offenbar dieselbe, die hinter den
-hinweisenden Fürwörtern, den besitzanzeigenden Adjektiven und hinter
-+alle+ und +keine+ wirksam gewesen ist (vgl. S. 32): daß es sich um
-eine bestimmte Menge handelt. Wenn man sagt: +wir Deutschen+, so
-meint man damit entweder alle Deutschen überhaupt oder alle Deutschen
-in einem bestimmten Falle, z. B. alle, die in einer aus Angehörigen
-verschiedner Nationen gemischten Versammlung anwesend sind. Daß im
-Akkusativ der Mehrzahl die starke Form vorgezogen worden ist: +uns
-Deutsche+, hat seinen Grund wieder darin, daß man ihn sonst nicht hätte
-vom Dativ unterscheiden können (bei Burkhard Waldis aber: und das Reich
-an +uns Deutschen+ kummen).
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-Ein Unterschied läßt sich zwischen +wir beiden+ und +wir beide+
-machen. Wenn der Lehrer am Schluß der Stunde fragt: wer ist noch nicht
-drangewesen? ein Schüler dann antwortet: +Wir beiden+ sind noch nicht
-drangewesen, der Lehrer das bezweifelt und sagt: Ich dächte, +du+ wärst
-schon drangewesen, so kann der Schüler das zweitemal antworten: Nein,
-+wir beide+ sind noch nicht drangewesen. Im zweiten Falle wird +beide+
-zum Prädikat gezogen, +wir beiden+ dagegen ist dasselbe wie +wir zwei+.
-Freilich heißt es in Holteis Mantellied auch: +Wir beide+ haben niemals
-gebebt.
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-Verein Leipziger Gastwirte -- an Bord Sr. Maj. Schiff
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-Ein gemeiner Fehler, für den leider in den weitesten, auch in
-gebildeten Kreisen schon gar kein Gefühl mehr vorhanden zu sein
-scheint, liegt in Verbindungen vor wie: Verein +Leipziger Gastwirte+,
-Ausschank +Zwenkauer Biere+, Hilfskasse +Leipziger Journalisten+,
-Verein +Berliner Buchhändler+, Radierungen +Düsseldorfer Künstler+,
-Photographien +Magdeburger Baudenkmäler+, eine Sammlung +Meißner
-Porzellane+, die frühesten Namen +Breslauer Konsuln+, zur Topographie
-+südtiroler Burgen+, nach Meldungen +Dresdner Zeitungen+.
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-Die von Ortsnamen gebildeten Formen auf +er+ werden von vielen jetzt
-für Adjektiva gehalten, wie sich schon darin zeigt, daß sie sie mit
-kleinen Anfangsbuchstaben schreiben: +pariser+, +wiener+, +thüringer+,
-+schweizer+. Das ist ein großer Irrtum. Diese Formen sind keine
-Adjektiva, sondern erstarrte Genitive von Substantiven. Der +Leipziger
-Bürgermeister+ ist, wörtlich ins Lateinische übersetzt, nicht ~consul
-Lipsiensis~ -- das wäre der +Leipzigische+ Bürgermeister --, sondern
-~Lipsiensium consul~, der Bürgermeister +der Leipziger+. Man sieht das
-deutlich, wenn man solche Verbindungen zugleich mit einem wirklichen
-Adjektivum dekliniert, z. B. der +neue Berliner Ofen+. Dann lauten die
-einzelnen Kasus: des neu+en+ Berlin+er+ +Ofens+, dem neu+en+ Berlin+er+
-+Ofen+, den neu+en+ Berlin+er+ +Ofen+, die neu+en+ Berlin+er+
-+Öfen+ usw. Während also das Adjektiv +neu+ und das Substantiv
-+Ofen+ dekliniert werden, bleibt +Berliner+ stets unverändert. Ganz
-natürlich; es ist eben kein Adjektivum, sondern ein eingeschobner,
-abhängiger Genitiv. Der Irrtum ist dadurch entstanden, daß man, durch
-den Gleichklang der Endungen verführt, solche abhängige Genitive mit
-dem Genitiv von wirklichen Adjektiven wie +deutscher+, +preußischer+
-zusammengeworfen hat. Weil man richtig sagt: eine Versammlung
-+deutscher Gastwirte+, glaubt man auch richtig zu sagen: ein Verein
-+Leipziger Gastwirte+. Leider heißt nur hier der Nominativ nicht
-+Leipzige+, während er dort +deutsche+ heißt.
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-Nun ist aber in der artikellosen Deklination der Genitiv der Mehrzahl,
-wenn er nicht durch ein hinzugesetztes Adjektiv kenntlich gemacht wird,
-überhaupt nicht kenntlich; er muß (leider!) durch die Präposition +von+
-umschrieben werden. Wenn man sagt: eine +Versammlung großer Künstler+,
-so ist der Genitiv durch das Attribut +großer+ genügend kenntlich
-gemacht; aber ~societas artificum~ läßt sich nimmermehr übersetzen:
-ein +Verein Künstler+, sondern nur ein +Künstlerverein+ oder: ein
-+Verein von Künstlern+; erst durch das +von+ entsteht ein erkennbarer
-Genitiv. Ganz ebenso ist es aber auch, wenn zu dem Substantiv ein
-Attribut tritt, das nicht deklinierbar ist, z. B. ein Zahlwort oder ein
-abhängiger (kein attributiver) Genitiv. So unmöglich und so falsch es
-ist, zu sagen: infolge +Streitigkeiten+, wegen +Sonderzüge+, mangels
-+Beweise+, ein Bund +sechs Städte+, innerhalb +vier Wochen+, nach
-Verlauf +vier Wochen+, die Lieferung +fünftausend Gewehre+, in der
-ersten Zeit +dessen Leitung+, mit Bewilligung +dessen Eltern+, unter
-Angabe +deren Kennzeichen+, die Neubesetzung +Herrn Dornfelds Stelle+,
-unterhalb ~Dr.~ +Heines Brücke+, der Verkauf +ihres Mannes Bücher+,
-Genüsse +mancherlei Art+, eine Quelle +allerhand Verlegenheiten+, so
-gewiß in allen diesen Fällen der Genitiv nur mit Hilfe der Präposition
-+von+ kenntlich gemacht werden kann (ein Bund +von sechs Städten+, eine
-Quelle +von allerhand Verlegenheiten+), so gewiß muß es auch heißen:
-Verein +von Leipziger Gastwirten+, Verhaftung +von Erfurter Bürgern+,
-Verkauf +von Magdeburger Molkereibutter+; bei +Verein Berliner
-Künstler+ glaubt man immer nur einen Nominativ zu hören: ein +Verein
-Künstler+, wie bei: eine +Menge Menschen+, ein +Haufe Steine+, ein
-+Sack Geld+, ein +Stück Brot+ usw.[25]
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-Ebenso falsch ist es, wenn geschrieben wird: an Bord +Sr. Majestät
-Schiff Möwe+, die Forschungsreise +Sr. Majestät Schiff Gazelle+. Der
-Genitiv +Sr. Majestät+ hängt ab von +Schiff+. Aber wovon hängt +Schiff+
-ab? Von nichts: es schwebt in der Luft. Und doch soll auch das ein
-Genitiv sein, der von +Bord+ oder +Reise+ abhängt. Der kann nur dadurch
-erkennbar gemacht werden, daß man schreibt: an Bord +von Sr. Majestät
-Schiff+ Gazelle, denn an Bord +Sr. Majestät Schiffs+ Gazelle wird
-niemand sagen wollen.[26]
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-Anstatt des abhängigen +dessen+ und +deren+ braucht man sich nur
-des attributiven +sein+ und +ihr+ zu bedienen, und der Genitiv ist
-sofort erkennbar. Falsch ist: ich gedenke +dessen+ Güte und Macht
--- die Briefe Goethes an seinen Sohn während +dessen+ Studienjahre
-in Heidelberg -- eine Darstellung der alten Kirche und +deren+
-Kunstschätze -- die Interessen der Stadt und +deren+ Einwohner --
-eine Aufzählung aller Güter und +deren+ Besitzer -- eine Versammlung
-sämtlicher evangelischen Fürsten und +deren+ Vertreter -- eine Tochter
-des Herrn Direktor Schmidt und +dessen+ Gemahlin -- zum Besten der
-Verunglückten und +deren+ Hinterlassenen -- die Sicherstellung der
-Zukunft der Beamten und +deren+ Familien; es muß heißen: +seiner+ Güte
-und Macht, +seiner+ Gemahlin, +ihrer+ Hinterlassenen, +ihrer+ Familien
-usw.[27]
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-Steigerung der Adjektiva. Schwerwiegender oder schwerer wiegend?
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-Mannigfachen Verstößen begegnet man in der Steigerung der Adjektiva
-(Positiv, Komparativ, Superlativ). Von +viel+ heißt der Komparativ
-nicht +mehrere+, sondern +mehr+: ich habe in meinem Garten +viel+
-Rosen, du hast +mehr+ Rosen, er hat die +meisten+ Rosen. +Mehrere+
-ist nichts andres als +einige+, +etliche+. Wenn also ein Hausbesitzer
-genötigt wird, zu bescheinigen, daß +mehrere+ Hunde als die hier
-verzeichneten in seinem Hause nicht gehalten werden, so wird er
-genötigt, einen Schnitzer zu unterschreiben.
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-Bei Adjektiven, deren Stamm auf einen Zischlaut endigt, stoßen im
-Superlativ zwei Zischlaute zusammen. Das stört nicht, wenn die Wörter
-mehrsilbig sind (der +weibischste+, der +malerischste+), wohl aber,
-wenn sie einsilbig sind (der +hübschste+, der +süßste+). Man bewahrt
-dann lieber das e, das sonst immer ausgeworfen wird, und sagt: der
-+hübscheste+, der +süßeste+. Von +groß+ ist allgemein der +größte+
-üblich geworden (Goethe im Götz auch: der +hübschte+, in den Briefen
-aus Italien: der +genialischte+).
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-Bei der Vorliebe, womit jetzt einfache Begriffe wie +groß+, +stark+,
-+schwer+ durch schleppende Zusammensetzungen wie +tiefgehend+,
-+weitgehend+, +weittragend+, +schwerwiegend+ ersetzt werden, entsteht
-oft Verlegenheit, wie man solche Zusammensetzungen im Komparativ
-und im Superlativ behandeln soll. Logisch ist ja die Frage leicht
-zu beantworten; was gesteigert werden soll, ist nicht das Partizip
-+gehend+, sondern das dabeistehende Adverb +tief+ oder +weit+.
-In vielen solchen Zusammensetzungen ist aber das Adverb mit dem
-Partizip so innig verwachsen, daß man kaum noch die Zusammensetzung
-empfindet. Wenn also auch niemand wagen wird, eine +weitverbreitete+
-Unsitte zu steigern: eine +weitverbreitetere+ Unsitte, sondern eine
-+weiter verbreitete+,[28] das +hochbesteuerte Einkommen+, nicht:
-das +hochbesteuertste+, sondern das +höchstbesteuerte+, so ist doch
-gegen einen Komparativ wie +zartfühlender+ nichts einzuwenden, denn
-das Partizipium +fühlend+ wird hier gar nicht mehr als Verbalform
-empfunden, sondern etwa wie +fühlig+ in +feinfühlig+, und solche
-Zusammensetzungen (+feinsinnig+, +kleinmütig+, +böswillig+,
-+fremdartig+, +gleichmäßig+) gelten für einfache Wörter und können
-nur steigern: +kleinmütiger+, der +kleinmütigste+. Ihnen würde sich
-auch das neumodische +hochgradig+ anschließen. Dazwischen liegen aber
-nun Zusammensetzungen, bei denen manchmal kaum zu entscheiden ist, ob
-man sie als einfache oder als zusammengesetzte Wörter behandeln soll;
-sogar derselbe Mensch kann darin zu verschiednen Zeiten verschieden
-fühlen. Ganz unerträglich sind: der +schöngelegenste+ Teil, die
-+vielgenannteste+ Persönlichkeit, die +naheliegendste+ Erklärung,
-die +leichtlaufendste+ Maschine, die +tiefliegendere+ Bedeutung,
-+tiefgehendere+ Anregungen, die +feinschmeckenderen+ Sorten, die
-+weitblickendere+ Klugheit, eine +engbegrenztere+ Aufgabe; es muß
-heißen: der +schönstgelegne+, noch besser der am +schönsten gelegne+
-Teil, die +am meisten genannte+ Persönlichkeit, die +tiefer liegende+
-Bedeutung, +tiefer gehende+ Anregungen, die +feiner schmeckenden+
-Sorten, die +nächstliegende+ Erklärung, die +weiter blickende+
-Klugheit, eine +enger begrenzte+ Aufgabe. Nicht ganz so anstößig
-erscheint: die +wohlgemeinteste+ Warnung, die +weitgehendste+
-Mitwirkung, die +weittragendste+ Bedeutung, die +fernliegendsten+
-Dinge, die +hochfliegendsten+ Pläne, obwohl natürlich der
-+bestgemeinte+ Rat, die +weitestgehende+ Mitwirkung vorzuziehen ist.
-Völlig gewöhnt haben wir uns an den +tiefgefühltesten+ Dank und an die
-+hochgeehrtesten+ oder +hochverehrtesten+ Damen und Herren. Schön kann
-man trotzdem solche Steigerungen nicht nennen; sie klingen alle mehr
-oder weniger schleppend und schwülstig, und was sie ausdrücken sollen,
-kann meist durch ein einfacheres Wort oder durch einen kurzen Nebensatz
-ebenso kräftig und deutlich gesagt werden.
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-Größtmöglichst
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-Noch schlimmer freilich sind die jetzt so beliebten doppelten
-Superlativbildungen, wie die +besteingerichtetsten+ Verkehrsanstalten,
-die +bestbewährtesten+ Fabrikate, die +höchstgelegenste+ Wohnung, der
-+feinstlaubigste+ Kohlrabi u. ähnl. (statt der +besteingerichteten+
-oder der +bewährtesten+). Für +so gut wie möglich+ kann man natürlich
-auch sagen: +möglichst gut+. Es gibt ja verschiedne Grade der
-Möglichkeit, es kann etwas leichter möglich sein und auch schwerer
-möglich; man sagt auch: tue dein +möglichstes+! Wie muß sich aber diese
-Steigerung mißhandeln lassen! Die einen stellen die Wörter verkehrt,
-bringen den Superlativ an die falsche Stelle und sagen +bestmöglich+,
-in der irrigen Meinung, das Wort sei eine Zusammenziehung aus: der
-+beste+, der +möglich+ ist; andre wissen sich gar nicht genug zu tun
-und bilden auch hier wieder den doppelten Superlativ +bestmöglichst+,
-+größtmöglichst+: mit +größtmöglichster+ Beschleunigung. Das beste ist,
-auch solche schwülstige Übertreibungen zu vermeiden. Das gilt auch von
-der beliebten Steigerung: der +denkbar größte+. Wenn ein Nutzen nicht
-der +denkbar größte+ wäre, so wäre er doch auch nicht der +größte+.
-Welch unnötiger Wortschwall also! Manche sind aber in dieses +denkbar+
-so verliebt, daß sie es sogar zum Positiv setzen: in ihrer Stimmung
-sind beide Altarflügel +denkbar verschieden+.
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-Vollkommener Unsinn ist es natürlich, wenn gedankenlose Menschen jetzt
-der +erste beste+ zusammenziehen in der +erstbeste+, wenn ein Arzt
-bittet, +möglichst keine+ Briefe an ihn zu richten, da er verreist sei,
-eine Herrschaft einen +möglichst verheirateten+ oder einen +möglichst
-unverheirateten+ Kutscher zu +möglichst sofortigem+ Antritt sucht,
-Zeitungen ihre Abonnenten auffordern, das Abonnement +baldgefälligst+
-zu erneuern, oder ein Kaufmann seine Kunden bittet, ihm +baldmöglichst+
-oder +baldgefälligst+ ihre geschätzten Aufträge oder Bestellungen
-zukommen zu lassen. Was sie meinen, ist weiter nichts als: +womöglich
-keine+, +womöglich verheiratet+, +womöglich sofort+, und: +möglichst
-bald+, +gefälligst bald+. Aber namentlich das +baldgefälligst+, so
-albern es auch ist, gehört zu den Lieblingswörtern aller Geschäftsleute
-und Beamten.
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-Ebenso unsinnig ist es, wenn ein Superlativ von +einzig+ gebildet wird:
-der +Einzigste+, der bisher Großes in diesem Fache geleistet hat.
-Einziger als einzig kann doch niemand sein.
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-Gedenke unsrer oder unser?
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-Auch in der Deklination der Fürwörter herrscht hie und da Unwissenheit
-oder Unsicherheit. Daß man eine Frage besprechen muß wie die: gedenke
-+unsrer+ oder +unser+? ist sehr traurig, aber es ist leider nötig, denn
-der Fehler: wir sind +unsrer+ acht -- es harrt +unsrer+ eine schwere
-Aufgabe, oder: wir gedenken +eurer+ in Liebe, kommt so oft vor, daß man
-fast annehmen möchte, die Leute wären der Meinung, die kürzeren Formen
-seien nur durch Nachlässigkeit entstanden.
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-Die Genitive der persönlichen Fürwörter +ich+, +du+, +er+, +wir+,
-+ihr+, +sie+ heißen: +mein+, +dein+, +sein+, +unser+, +euer+, +ihr+,
-z. B.: gedenke +mein+, vergiß +mein+ nicht, der Buhle +mein+, ich
-denke +dein+, +unser+ einer, +unser aller+ Wohl, +unser+ keiner lebt
-ihm selber.[29] Daneben sind freilich im Singular schon früh die
-unorganischen Formen +meiner+, +deiner+, +seiner+ aufgekommen und
-haben sich festgesetzt, aber doch ohne die echten, alten Formen ganz
-verdrängen zu können (Gellert: der Herr hat +mein+ noch nie vergessen,
-vergiß, mein Herz, auch +seiner+ nicht); +ihr+ ist leider ganz durch
-+ihrer+ verdrängt worden; wir wollen uns +ihrer+ annehmen. Aber in
-der ersten und zweiten Person der Mehrzahl ist doch die richtige
-alte Form noch so lebendig, daß es unverantwortlich wäre, wenn man
-sie nicht gegen die falsche, die sich auch hier eindrängen will, in
-Schutz nähme. +Unsrer+ und +eurer+ sind Genitive des besitzanzeigenden
-Eigenschaftswortes, aber nicht des persönlichen Fürworts. Also: erbarmt
-euch +unser+ und +unsrer+ Kinder![30]
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-Derer und deren
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-Die Genitive der Mehrzahl +derer+ und +deren+ sind der alten Sprache
-überhaupt unbekannt, sie hat nur ~der~; beide sind -- ebenso wie die
-Genitive der Einzahl +dessen+ und +deren+ -- erst im Neuhochdeutschen
-gebildet worden und als willkommne Unterscheidungen des betonten und
-lang gesprochnen Determinativs und Relativs +der+ (~dēr~) von dem
-gewöhnlich unbetonten und kurz gesprochnen Artikel +der+ (~dĕr~)
-festgehalten worden. +Derer+ steht vor Relativsätzen (und verdient
-dort den Vorzug vor dem schleppenden +derjenigen+); +deren+ ist
-Demonstrativum: die Krankheit und +deren+ Heilung (d. i. +ihre+
-Heilung) und Relativum: die Krankheiten, +deren+ Heilung möglich ist.
-Falsch ist es also, wenn Relativsätze angefangen werden: in betreff
-+derer+, vermöge +derer+.
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-Ein ganz neuer Unsinn, den man jetzt bisweilen lesen muß, ist +dessem+
-und +derem+: der Dichter, +dessem+ löblichen Fortschreiten ich
-mit Freuden folge -- die Geschäfte werden inzwischen von +dessem+
-Stellvertreter besorgt -- die fremde Kunst, bei +derem+ Studium der
-Deutsche seine eigne Kunst vergaß -- für die Behörden zu +derem+
-alleinigen Gebrauch ausgefertigt. Der Dativ, der in diesen Sätzen
-steht, hat gleichsam den vorangehenden abhängigen Genitiv angesteckt
-und dadurch die Mißbildungen geschaffen. Die Verirrung geht aber wohl
-öfter in den Köpfen der Setzer als in denen der Schriftsteller vor;
-bei der Korrektur lesen die Verfasser über den Unsinn weg, und so
-wird er mit gedruckt. Auch +dergleichem+ findet sich schon: er ist zu
-Verschickungen und +dergleichem+ gebraucht worden.[31]
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-Einundderselbe
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-Der arge Mißbrauch, der mit dem Pronomen +derselbe+ getrieben wird
-(daß man es fortwährend für +er+ oder +dieser+ gebraucht; vgl. S.
-226), hat dazu geführt, daß man nun +einundderselbe+ sagen zu müssen
-glaubt, wo man +derselbe+ mit seiner wirklichen Bedeutung meint. Diese
-überflüssige Zusammensetzung wird vollends schleppend, wenn man sie
-pedantisch dekliniert: +eines und desselben+, +einem und demselben+.
-Wer sie nicht entbehren zu können glaubt, der schreibe wenigstens:
-an +einunddemselben Tage+, im Laufe +einunddesselben+ Jahres, in
-+einundderselben+ Hand. Dieselbe Freiheit nimmt man sich ja auch bei
-+Grund und Boden+: die Entwertung des +Grund und Bodens+ (als ob beides
-nur +ein+ Wort wäre), nicht des +Grundes und Bodens+; ebenso: ein Hut
-mit +blau und weißem+ Band, wenn nicht zwei verschiedenfarbige Bänder
-gemeint sind, sondern ein zweifarbiges.
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-Man
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-Daß auch das unpersönliche Fürwort +man+ dekliniert werden kann, dessen
-sind sich die allerwenigsten bewußt. In der lebendigen Rede bilden
-sie zwar, ohne es zu wissen, die ~casus obliqui~ ganz richtig, aber
-wenn sie die Feder in die Hand nehmen, getrauen sie sich nicht, sie
-hinzuschreiben, sondern sinnen darüber nach, wie sie sich ausdrücken
-sollen. Der Junge, der von einem andern Jungen geneckt wird, sagt: laß
-+einen+ doch gehn! und wenn er sich über den Necker beschwert, sagt er:
-der neckt +einen+ immer. Auch der Erwachsne sagt: das kann +einem+ alle
-Tage begegnen. Und Lessing schreibt: macht +man+ das, was +einem+ so
-einfällt? -- so was erinnert +einen+ manchmal, woran +man+ nicht gern
-erinnert sein will -- muß +man+ nicht grob sein, wenn +einen+ die Leute
-sollen gehn lassen? -- Goethe sagt sogar: +eines+ Haus und Hof steht
-gut, aber wo soll bar Geld herkommen? Es ist also klar, die ~casus
-obliqui~ von +man+ werden in der lebendigen Sprache gebildet durch
-+eines+, +einem+, +einen+. Aber viele scheinen diese Ausdrucksweise
-jetzt nicht mehr für fein zu halten, scheinen sich einzubilden, daß sie
-nur der niedrigen Umgangssprache zukomme. Das ist bloßer Aberglaube,
-man kann sich gar nicht besser ausdrücken, als wie es Goethe getan hat,
-wenn er z. B. sagt: wenn +man+ für einen reichen Mann bekannt ist, so
-steht es +einem+ frei, seinen Aufwand einzurichten, wie +man+ will.
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-Jemandem oder jemand?
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-In +jemand+ und +niemand+ ist das d ein unorganisches Anhängsel. Die
-Wörter sind natürlich mit +man+ (+Mann+) zusammengesetzt (~ieman~,
-~nieman~), im Mittelhochdeutschen heißen Dativ und Akkusativ noch
-~iemanne~, ~niemanne~, ~ieman~, ~nieman~. Da sich das Gefühl dafür
-durchaus noch nicht verloren hat, da es jedermann noch versteht, wenn
-man sagt: ich habe +niemand+ gesehen, du kannst +niemand+ einen Vorwurf
-machen, so ist nicht einzusehen, weshalb die durch Mißverständnis
-entstandnen Formen +jemandem+, +niemandem+, +jemanden+, +niemanden+ den
-Vorzug verdienen sollten.
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-Jemand anders
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-Der gute Rat, bei den Adjektiven, deren Stamm auf er endigt, immer die
-schönen, kräftigen Formen: +unsers+, +andern+ den weichlichen Formen:
-+unsres+, +andren+ vorzuziehen (vgl. S. 29), erleidet eine Ausnahme
-bei dem Neutrum +anders+. Unser heutiges Umstandswort +anders+ (ich
-hätte das +anders+ gemacht) ist ursprünglich nichts „andres“ als das
-Neutrum von +andrer+, +andre+, +andres+ (ein +andres+ Kleid). Die
-Sprache hat sich hier des ganz äußerlichen Mittels bedient, das einemal
-den Vokal der Endung, das andremal den des Stammes auszuwerfen, um
-einen Unterschied zwischen Adjektiv und Adverb zu schaffen. (Ebenso
-bei +besondres+ und +besonders+.) An diesem Unterschied ist natürlich
-nun festzuhalten, niemand wird schreiben ein +anders+ Kleid. Zum Glück
-hat sich aber in der lebendigen Sprache in den Verbindungen: +wer
-anders+, +was anders+, +jemand anders+, +niemand anders+ die kräftigere
-Form erhalten; man sagt: +wer anders+ sollte mir helfen? -- das ist
-+niemand anders+ gewesen als du -- und die Schlußzeile einer bekannten
-Fabel: ja, Bauer, das ist ganz was +anders+ -- ist durchaus nicht bloß
-wegen des Reimes auf +Alexanders+ so geschrieben. In allen diesen
-Verbindungen ist +anders+ nicht etwa als Adverb aufzufassen, sondern
-es ist der Genitiv des geschlechtslosen Neutrums, das zur Bezeichnung
-beider Geschlechter dient, wie in +jemand fremdes+. Darnach kann nun
-auch kein Zweifel sein, wie diese Verbindungen zu deklinieren sind. Der
-Volksmund hat das richtige, wenn er sagt: von +wem anders+ soll ich
-mir denn helfen lassen? -- ich bin mit +niemand anders+ in Berührung
-gekommen. Mit +niemand anderm+ ist falsch, freilich nicht viel falscher
-als: von +was anderm+, zu +was besserm+, zu +nichts gutem+, wo auch
-das abhängige Wort, das eigentlich im Genitiv stehen müßte, die
-Kasusbezeichnung übernommen hat, die in +was+ und +nichts+ nicht zum
-Ausdrucke kommt.
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-Ein andres und etwas andres
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-Das Neutrum von +jemand anders+ heißt +etwas andres+, im Volksmunde
-+was andres+. Die Mutter sagt: ich habe dir +was schönes+ oder +etwas
-schönes+ mitgebracht. Ebenso +etwas gutes+, +etwas rechtes+, +etwas
-wahres+, +etwas großes+, +etwas wesentliches+, +etwas neues+, +etwas
-weiteres+. Dieses schlichte +was+ oder +etwas+ verschmäht man aber
-jetzt, man schreibt: und noch +ein andres+ muß ich erwähnen -- zunächst
-möchte ich +ein allgemeines+ voranschicken -- und nun können wir
-noch +ein weiteres+ hinzufügen -- man darf nicht glauben, daß damit
-+ein wesentliches+ gewonnen sei -- auch der reichhaltigste Stoff muß
-+ein spezifisches+ haben, das ihn von tausend andern unterscheidet;
-und man kommt sich äußerst vornehm vor, wenn man so schreibt. Sogar
-ein Lied von Oskar von Redwitz, das in der Komposition von Liszt das
-Entzücken aller Backfische ist, fängt an: Es muß +ein wunderbares+ sein
-ums Lieben zweier Seelen! Es ist aber nichts als alberne Ziererei.
-Poetischer wird das Lied durch das +ein+ sicherlich nicht.
-
-„Etwas andres“ ist es, wenn +ein+ nicht das unbestimmte Fürwort,
-sondern das Zahlwort bedeuten soll, z. B.: dann hätte das Unternehmen
-wenigstens +ein gutes+ gehabt. Das ist natürlich ebenso richtig wie:
-+das eine gute+.
-
-
-Zahlwörter
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-Gegen die richtige Bildung der Zahlwörter werden nur wenig Verstöße
-begangen; es ist auch kaum Gelegenheit dazu. Lächerlich ist es, daß
-manche Leute immer +sechszig+ und +siebenzig+ drucken lassen, denn
-in ganz Deutschland sagt man +sechzig+ und +siebzig+. Für +fünfzehn+
-und +fünfzig+ sagen manche lieber +funfzehn+ und +funfzig+. Im
-Althochdeutschen stand neben unflektiertem ~funf~ ein flektiertes
-~funfi~, woraus im Mittelhochdeutschen +fünfe+ wurde. +Funfzig+ ist nun
-mit +funf+ gebildet, mit +fünf+ dagegen +fünfzehn+ und +fünfzig+, die
-in der Schriftsprache die Oberhand gewonnen haben.[32]
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-Statt +hundertunderste+ kann man jetzt öfter lesen: +hundertundeinte+,
-aber doch nur nach dem unbestimmten Artikel: nicht als ob ich zu den
-hundert Fausterklärungen noch +eine hundertundeinte+ hinzufügen wollte.
-Es schwebt dabei wohl weniger die Reihenfolge und der neue letzte
-Platz in dieser Reihenfolge vor, als die Zahl, die von +hundert+ auf
-+hundertundeins+ steigt. Trotzdem hat die Form keine Berechtigung.
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-Die Bildungen +anderthalb+ (d. h. der andre, der zweite halb),
-+drittehalb+ (2½), +viertehalb+ (3½) sind jetzt mehr auf die
-Umgangssprache beschränkt; in der Schriftsprache sind sie seltner
-geworden. Es ist aber nichts gegen sie einzuwenden.
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-Starke und schwache Konjugation
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-Wie bei den Hauptwörtern zwischen einer starken und einer schwachen
-Deklination, so unterscheidet man bei den Zeitwörtern zwischen einer
-starken und einer schwachen Konjugation. Starke Zeitwörter nennt
-man die, die ihre Formen nur durch Veränderung des Stammwortes
-bilden, schwache die, die zur Bildung ihrer Formen andrer Mittel
-bedürfen. Ein starkes Zeitwort ist: ich +springe+, ich +sprang+, ich
-bin +gesprungen+, ein schwaches: ich +sage+, ich +sagte+, ich habe
-+gesagt+. Die Veränderung des Stammvokals nennt man den Ablaut, die
-verschiednen Wege, die der Ablaut einschlägt, die Ablautsreihen.[33]
-Die wichtigsten Ablautsreihen sind: ei, i, i (+reite+, +ritt+,
-+geritten+), ei, ie, ie (+bleibe+, +blieb+, +geblieben+), ie, o, o
-(+gieße+, +goß+, +gegossen+), i, a, u (+binde+, +band+, +gebunden+), i,
-a, o (+schwimme+, +schwamm+, +geschwommen+), e, a, o (+nehme+, +nahm+,
-+genommen+), i, a, e (+bitte+, +bat+, +gebeten+), e, a, e (+lese+,
-+las+, +gelesen+), a, u, a (+fahre+, +fuhr+, +gefahren+). Außerdem gibt
-es noch eine Mischgruppe mit ie im Imperfekt und einunddemselben Vokal
-im Präsens und im Partizip, wie +falle+, +fiel+, +gefallen+, +stoße+,
-+stieß+, +gestoßen+, +rufe+, +rief+, +gerufen+, +laufe+, +lief+,
-+gelaufen+, +heiße+, +hieß+, +geheißen+, wofür man jetzt bisweilen
-falsch +gehießen+ hören muß, als ob es in die zweite Ablautsreihe
-gehörte.
-
-Fast noch bewundernswürdiger als in der Deklination der Hauptwörter
-ist in der Flexion der Zeitwörter die Sicherheit, mit der auch
-der Mindergebildete der Fülle und Mannigfaltigkeit der Formen
-gegenübersteht. Freilich gibt es auch hier Schwankungen und
-Verirrungen, darunter sogar recht ärgerliche und beschämende. Es gibt
-Verbalstämme, die eine starke und auch eine schwache Flexion erzeugt
-haben mit verschiedner Bedeutung; da ist dann Verwechslung eingetreten.
-Es gibt aber auch Zeitwörter, die sich bloß in die andre Flexion
-verirrt haben ohne Bedeutungswechsel. Bei gutem Willen ist aber doch
-vielleicht auch hier noch manches zu verhüten oder aufzuhalten.
-
-
-Verschieden flektierte und schwankende Zeitwörter
-
-Das intransitive +hangen+ und das transitive +hängen+ (eigentlich
-+henken+) jetzt noch streng auseinanderhalten zu wollen wäre wohl
-vergebliches Bemühen. Wenn auch im Perfekt noch richtig gesagt wird:
-ich habe das Bild +aufgehängt+, und +aufgehangen+ hier als fehlerhaft
-empfunden wird, so hat sich doch leider fast allgemein eingebürgert:
-ich +hing+ den Hut auf, und +hangen+, +abhangen+, +zusammenhangen+
-erscheint uns altertümlich gesucht, obwohl es das richtige ist
-(Heine: und als sie kamen ins deutsche Quartier, sie ließen die Köpfe
-+hangen+). Ähnlich verhält sichs mit +wägen+ und +wiegen+; man sagt
-jetzt ebenso: der Bäcker +wiegt+ das Brot, wie: das Brot +wiegt+ zu
-wenig, obwohl es im ersten Falle eigentlich +wägt+ heißen müßte.
-Auch bei +schmelzen+, +löschen+ und +verderben+ ist von Rechts wegen
-zwischen einer transitiven schwachen und einer intransitiven starken
-Flexion zu unterscheiden: die Sonne +schmelzt+ den Schnee, hat den
-Schnee +geschmelzt+, aber der Schnee +schmilzt+, er ist +geschmolzen+;
-der Wind +löscht+ das Licht +aus+, hat es +ausgelöscht+, aber das Licht
-+verlischt+, ist +verloschen+; das Fleisch +verdirbt+, +verdarb+,
-ist +verdorben+, aber der schlechte Umgang +verderbt+ die Jugend,
-+verderbte+ sie, hat sie +verderbt+. Leider wird der Unterschied
-nicht überall mehr beobachtet (am ehesten noch bei +löschen+). Sehr
-in Verwirrung geraten sind das intransitive und das transitive
-+schrecken+. Das intransitive +erschrecken+ wird allgemein noch
-richtig flektiert: du +erschrickst+, er +erschrickt+, ich +erschrak+,
-ich +bin erschrocken+ (in der niederdeutschen Vulgärsprache: +ich
-habe mich erschrocken+!); ebenso das transitive: du +erschreckst+
-mich, ich +erschreckte+, ich habe +erschreckt+. Bei +aufschrecken+
-und +zurückschrecken+ aber hat die schwache Form die starke fast
-ganz verdrängt; selten, daß man noch einmal richtig liest: daß die
-Sozialdemokratie hiervor nicht +zurückschrickt+. Von dem ursprünglich
-intransitiven +stecken+ (der Schlüssel +steckt+ an der Tür) hat sich
-ein transitives +stecken+ abgezweigt (ich +stecke+ den Schlüssel an die
-Tür). Beide werden jetzt meist schwach flektiert; das intransitive war
-aber früher stark: wo +stickst+ du? Und mundartlich heißt es ja noch
-heute: der Schlüssel +stak+.
-
-Schlechterdings nicht verwechselt werden sollte +gesonnen+ und
-+gesinnt+, +geschaffen+ und +geschafft+. +Gesonnen+ kann nur die
-Absicht oder den Willen bedeuten: ich bin +gesonnen+, zu verreisen;
-+gesinnt+, das gar nicht von dem Zeitwort +sinnen+, sondern von dem
-Hauptwort +Sinn+ gebildet ist (wie +gewillt+ nicht von +wollen+,
-sondern von +Wille+), kann nur von der Gesinnung gebraucht werden: er
-war gut deutsch +gesinnt+, er ist mir feindlich +gesinnt+. +Schaffen+
-bedeutet in der starken Flexion (+schuf+, +geschaffen+) die wirklich
-schöpferische Tätigkeit, das Hervorbringen: der Dichter hat ein neues
-Werk +geschaffen+. Ist aber nur arbeiten, hantieren, ausrichten,
-bewirken, bringen (z. B. Waren auf den Markt schaffen) gemeint,
-so muß es schwach flektiert werden (+schaffte+, +geschafft+). Von
-+Rat schaffen+ also, +Nutzen schaffen+, +Abhilfe schaffen+, +Ersatz
-schaffen+, +Raum schaffen+, +Luft schaffen+ und dem jetzt in der
-Zeitungssprache so beliebten +Wandel schaffen+ dürfen durchaus nur die
-schwachen Formen gebildet werden; es ist falsch, zu sagen: hier muß
-+Wandel geschaffen+ werden. Ein +neuer Raum+ (ein Zimmer, ein Saal)
-kann +geschaffen+ werden, aber +Raum+ (Freiheit der Bewegung) wird
-+geschafft+.
-
-Auch das starke Zeitwort +schleifen+ (+schliff+, +geschliffen+) hat
-im Laufe der Zeit ein schwaches von sich abgespaltet (+schleifte+,
-+geschleift+), das andre Bedeutung hat. Das Messer wird +geschliffen+,
-aber die Kleiderschleppe wird über den Boden +geschleift+. Früher
-wurden auch Städte und Festungen +geschleift+, auch Verbrecher auf
-einer Kuhhaut auf den Richtplatz +geschleift+; jetzt wird nur noch
-ein Student vom andern in die Kneipe +geschleift+, und dort wird dann
-+gekneipt+ (nicht +geknippen+), denn +kneipen+ „in diesem Sinne“ ist
-nur eine Ableitung von +Kneipe+.
-
-Zwei ganz verschiedne Verba, ein starkes und ein schwaches, begegnen
-einander in +laden+. Zwar werden jetzt ebenso Gäste +geladen+ wie
-Kohlen und Gewehre, auch sagt man schon in beiden Fällen: ich +lud+.
-Im Präsens wird aber doch noch bisweilen unterschieden zwischen: du
-+ladest+ oder er +ladet+ mich ein (Schiller: es lächelt der See, er
-+ladet+ zum Bade) und: er +lädt+ das Gewehr.
-
-Sehr unangenehm fällt die fortwährende Vermischung von +dringen+ und
-+drängen+ auf. +Dringen+ ist intransitiv und hat zu bilden: ich +drang+
-vor, ich bin +vorgedrungen+. +Drängen+ dagegen ist transitiv oder
-reflexiv und kann nur bilden: ich +drängte+, ich habe +gedrängt+; also
-auch: ich +drängte mich+ vor, ich habe +mich vorgedrängt+, es wurde
-mir +aufgedrängt+. Durchaus falsch ist: ich +dringe mich+ nicht auf,
-ich habe +mich+ nicht +aufgedrungen+, diese Auffassung hat sich mir
-+aufgedrungen+.
-
-Eine ärgerliche Verwirrung ist bei +dünken+ eingerissen. Man sollte
-dieses Wort, das ohnehin für unser heutiges Sprachgefühl etwas gesucht
-altertümelndes hat, doch lieber gar nicht mehr gebrauchen, wenn man es
-nicht mehr richtig flektieren kann! Das Imperfekt von +dünken+ heißt
-+deuchte+; beide Formen verhalten sich zueinander ebenso wie +denken+
-und +dachte+, womit sie ja auch stammverwandt sind. Aus +deuchte+ hat
-man aber ein Präsens +deucht+ gemacht, noch dazu falsch mit dem Dativ
-verbunden: +mir deucht+ (!). Wer sich ganz besonders fein ausdrücken
-will, sagt immer: +mir deucht+ (statt +mir scheint+) und macht dabei
-zwei Schnitzer in zwei Worten. Das richtige ist: +mich dünkt+ und +mich
-deuchte+.
-
-+Willfahren+ und +radebrechen+ (eine Sprache) sind nicht mit +fahren+
-und +brechen+ zusammengesetzt, sondern von Hauptwörtern abgeleitet,
-von einem nicht mehr vorhandnen ~willevar~ und von der +Radebreche+,
-einer abschüssigen, für die Wagen gefährlichen Straßenstelle.[34] Beide
-werden also richtig schwach flektiert: er +willfahrt+, +willfahrte+,
-hat +gewillfahrt+, er +radebrecht+, +radebrechte+, hat +geradebrecht+.
-
-Von manchen schwachen Verben ist vereinzelt ein starkes Partizip
-gebräuchlich mit einer besonders gefärbten Bedeutung, z. B.
-+verschroben+ (von +schrauben+), +verwunschen+ (der +verwunschne+
-Prinz, von +verwünschen+), +unverhohlen+ (ich habe ihm +unverhohlen+
-meine Meinung gesagt, von +verhehlen+).
-
-
-Frägt und frug
-
-Eine Schande ist es -- nicht für die Sprache, die ja nichts dafür kann,
-wohl aber für die Schule, die das recht gut hätte verhüten können und
-doch nicht verhütet hat --, mit welcher Schnelligkeit in ganz kurzer
-Zeit die falschen Formen +frägt+ und +frug+ um sich gegriffen haben,
-auch in Kreisen, die für gebildet gelten wollen und den Anspruch
-erheben, ein anständiges Deutsch zu sprechen. Der Fehler wird deshalb
-so ganz besonders widerwärtig, weil sichs dabei um ein Zeitwort
-handelt, das hundertmal des Tags gebraucht wird. Das immer falsch hören
-und -- lesen zu müssen, ist doch gar zu greulich.
-
-Die Zeitwörter mit +ag+ im Stamme teilen sich in zwei Gruppen; die
-eine Gruppe gehört dem starken Verbum, die andre dem schwachen an. Die
-erste Gruppe bilden die beiden Verba: ich +trage+, du +trägst+ -- ich
-+trug+ -- ich habe +getragen+, ich +schlage+, du +schlägst+ -- ich
-+schlug+ -- ich habe +geschlagen+; sie haben dieselbe Ablautsreihe wie
-+fahre+, +fuhr+, +gefahren+ -- +grabe+, +grub+, +gegraben+ -- +wachse+,
-+wuchs+, +gewachsen+ u. a. Zur zweiten Gruppe gehören: ich +sage+, du
-+sagst+ -- ich +sagte+ -- ich habe +gesagt+, ich +jage+, du +jagst+ --
-ich +jagte+ -- ich habe +gejagt+; ebenso +klagen+, +nagen+, +plagen+,
-+ragen+, +wagen+, +zagen+. +Fragen+ hat nun seit Jahrhunderten
-unbezweifelt zur zweiten Gruppe gehört: ich +frage+, du +fragst+ --
-ich +fragte+ -- ich habe +gefragt+. Unsre Klassiker kennen keine andre
-Form. Zwei der besten deutschen Prosaiker, Gellert und Lessing, wissen
-von +frägt+ und +frug+ gar nichts. Nur ganz vereinzelt findet sich in
-Versen, also unter dem beengenden Einflusse des Rhythmus, +frug+; so
-bei Goethe in den Venezianischen Epigrammen: niemals +frug+ ein Kaiser
-nach mir, es hat sich kein König um mich bekümmert -- bei Schiller
-im Wallenstein: jawohl, der Schwed +frug+ nach der Jahrszeit nichts.
-Auch Bürger hat es (Lenore: sie +frug+ den Zug wohl auf und ab, und
-+frug+ nach allen Namen), und da haben wir denn auch die Quelle: es
-stammt aus dem Niederdeutschen. Bürger war 1747 in Molmerswende bei
-Halberstadt geboren; wahrscheinlich sagte man dort schon zu seiner Zeit
-allgemein frug.[35] Aber noch in den fünfziger und sechziger Jahren des
-neunzehnten Jahrhunderts hörte man die Dialektform in der gebildeten
-Umgangssprache so gut wie gar nicht. Auf einmal tauchte sie auf. Und
-nun ging es ganz wie mit einer neuen Kleidermode, sie verbreitete
-sich anfangs langsam, dann schneller und immer schneller,[36] und
-heute schwatzen nicht bloß die Ladendiener und die Ladenmädchen in der
-Unterhaltung unaufhörlich: ich +frug+ ihn, er +frug+ mich, wir +frugen+
-sie, sondern auch der Student, der Gymnasiallehrer, der Professor, alle
-schwatzens mit, alle Zeitungen, alle Novellen und Romane schreibens,
-das richtige bekommt man kaum noch zu hören oder zu lesen. Es fehlte
-nur, daß auch noch gesagt und geschrieben würde: ich habe +gefragen+,
-er hat mich +gefragen+ usw.[37] Wie lange wird die alberne Mode
-dauern? wird sie nicht endlich dem Fluche der Lächerlichkeit verfallen?
-Alle guten Schriftsteller und alle anständigen Zeitschriften und
-Zeitungen brauchten nur die falschen Formen beharrlich zu meiden,
-so würden wir sie bald ebenso schnell wieder lossein, wie sie sich
-eingedrängt haben.[38]
-
-Merkwürdig ist es, daß in diesem Falle die Sprache einmal aus der
-schwachen in die starke Konjugation abgeirrt ist. Gewöhnlich verläuft
-sie sich in umgekehrter Richtung. Wie kleine Kinder, die erst reden
-lernen, anfangs starke Verba gern nach der schwachen Konjugation
-bilden: ich +schreibte+, der Käfer +fliegte+, der Mann, der da
-+reinkamte+, so haben es auch immer die großen Kinder gemacht, die
-nicht ordentlich hatten reden lernen. So werden +falten+ und +spalten+,
-die ursprünglich stark flektiert wurden (+falte+, +fielt+, +gefalten+),
-jetzt schwach flektiert: mit +gefalteten+ Händen; von +spalten+ hat
-sich nur das starke Partizip erhalten: +gespaltnes+ Holz. Aber einzelne
-Zeitwörter sind schon in alter Zeit auch den umgekehrten Weg gegangen;
-so ist das ursprüngliche +geweist+ und +gepreist+ schon längst durch
-+gewiesen+ und +gepriesen+ verdrängt worden, und in Mitteldeutschland
-kann man im Volksmunde hören: es wurde mit der großen Glocke
-+gelauten+, ich habe den ganzen Winter kalt +gebaden+.[39]
-
-
-Übergeführt und überführt
-
-Auch das transitive +führen+ (d. h. bringen) und das intransitive
-+fahren+ (d. h. sich bewegen) noch auseinanderhalten zu wollen, wäre
-vergebliches Bemühen. In beiden Bedeutungen wird schon längst bloß noch
-+fahren+ gebraucht: ich +fahre+ im Wagen, und der Kutscher +fährt+
-mich. Es kann aber gar nichts schaden, wenn man sich an +Fuhre+,
-+Fuhrmann+, +Bierführer+, dem ältern +Buchführer+ (statt Buchhändler)
-u. a. den ursprünglichen Unterschied gegenwärtig hält. Und dazu könnte
-auch +überführen+ dienen, das jetzt in der Zeitungsprache (als Ersatz
-für +transportieren+) beliebt geworden ist, wenn man es nur nicht
-fortwährend falsch flektiert lesen müßte! Täglich muß man in Zeitungen
-von +überführten+ Kranken und +überführten+ Leichen lesen, das soll
-heißen: von Personen, die in das oder jenes Krankenhaus oder nach ihrem
-Tode in die Heimat zum Begräbnis gebracht worden sind. Wie kann sich
-das Sprachgefühl so verirren! Verbrecher werden +überführt+, wenn ihnen
-trotz ihres Leugnens ihr Verbrechen nachgewiesen wird: dann aber werden
-sie ins Zuchthaus +übergeführt+, wenn denn durchaus „geführt“ werden
-muß.
-
-Es gibt eine große Anzahl zusammengesetzter Zeitwörter, bei denen,
-je nach der Bedeutung, die sie haben, bald die Präposition, bald das
-Zeitwort betont wird, z. B. +über+setzen (den Wandrer über den Fluß)
-und über+setzen+, +über+fahren (über den Fluß) und über+fahren+ (ein
-Kind auf der Straße), +über+laufen (vom Krug oder Eimer gesagt) und
-über+laufen+ (es über+läuft+ mich kalt, er über+läuft+ mich mit seinen
-Besuchen), +über+legen (über die Bank) und über+legen+, +über+gehen
-(zum Feinde) und über+gehen+ (den nächsten Abschnitt), +unter+halten
-(den Krug am Brunnen) und unter+halten+, +unter+schlagen (die Beine)
-und unter+schlagen+ (eine Geldsumme), +unter+breiten (einen Teppich)
-und unter+breiten+ (ein Bittgesuch), +hinter+ziehen (ein Seil) und
-hinter+ziehen+ (die Steuern), +um+schreiben (noch einmal oder ins
-Reine schreiben) und um+schreiben+ (einen Ausdruck durch einen
-andern), +durch+streichen (eine Zeile) und durch+streichen+ (eine
-Gegend), +durch+sehen (eine Rechnung) und durch+schauen+ (einen
-Betrug), +um+gehen und um+gehen+, +hinter+gehen und hinter+gehen+,
-+wieder+holen und wieder+holen+ usw. Gewöhnlich haben die Bildungen
-mit betonter Präposition die eigentliche, sinnliche, die mit betontem
-Verbum eine übertragne, bisweilen auch die einen eine transitive,
-die andern eine intransitive Bedeutung. Die Bildungen nun, die die
-Präposition betonen, trennen bei der Flexion die Präposition ab, oder
-richtiger: sie verbinden sie nicht mit dem Verbum (ich +breite unter+,
-ich +streiche durch+, ich +gehe hinter+, daher auch +hinterzugehen+)
-und bilden das Partizip der Vergangenheit mit der Vorsilbe +ge+
-(+untergebreitet+, +durchgestrichen+, +hintergegangen+); die dagegen,
-die das Verbum betonen, lassen bei der Flexion Verbum und Präposition
-verbunden (ich +unterbreite+, ich +durchstreiche+, ich +hintergehe+,
-daher auch +zu hintergehen+) und bilden das Partizip ohne die Vorsilbe
-+ge+ (+unterbreitet+, +durchstrichen+, +hintergangen+). Darnach ist es
-klar, daß von einem Orte zum andern etwas nur +übergeführt+, aber nicht
-+überführt+ werden kann. Ebenso verhält sichs mit +übersiedeln+, wo
-das Sprachgefühl neuerdings auch ins Schwanken gekommen ist. Richtig
-ist nur, wann siedelst du +über+? ich bin schon +übergesiedelt+, aber
-nicht: wann +übersiedelst+ du? ich bin schon +übersiedelt+, die Familie
-+übersiedelte+ nach Berlin.
-
-Die Verwirrung stammt aus Süddeutschland und namentlich aus Österreich,
-wo nicht nur der angegebne Unterschied vielfach verwischt wird,
-sondern überhaupt die Neigung besteht, das Gebiet der trennbaren
-Zusammensetzung immer mehr einzuschränken. Der Österreicher sagt stets:
-über+führt+, über+siedelt+; er an+erkennt+ etwas, er unter+ordnet+
-sich, eine Aufgabe ob+liegt+ ihm, er redet von einem unter+schobnen+
-Kinde, von dem Text, der einem Liede unter+legt+ ist, er unter+bringt+
-einen jungen Mann in einem Geschäft, er über+schäumt+ vor Entrüstung,
-er hat die verschiednen Weine des Landes durch+kostet+ usw. Wir sollen
-uns mit allen Kräften gegen diese Verwirrung wehren, da sie ein Zeichen
-trauriger Verlotterung des Sprachgefühls ist.
-
-Von den mit +miß+ zusammengesetzten Zeitwörtern sind Partizipia mit
-oder ohne +ge+- gebräuchlich, je nachdem man sich lieber +miß+ oder
-das Verbum betont denkt, also miß+lungen+, miß+raten+, miß+fallen+,
-miß+billigt+, miß+deutet+, miß+gönnt+, miß+braucht+, miß+handelt+,
-neben +gemiß+braucht, +gemiß+billigt, +gemiß+handelt. Die Vorsilbe
-+ge+- kann aber niemals zwischen +miß+ und das Zeitwort treten, +miß+
-bleibt in der Flexion überall mit dem Zeitwort verwachsen. Daher
-ist es auch falsch, Infinitive zu bilden wie +mißzuhandeln+, es muß
-unbedingt heißen: +zu mißhandeln+, +zu mißbrauchen+.
-
-Für +neubacken+ wird jetzt öfter +neugebacken+ geschrieben: ein
-neu+gebackner+ Doktor, ein neu+gebackner+ Ehemann usw., aber doch
-immer nur von solchen, die sich die gute alte Form nicht zu schreiben
-getrauen. Und doch fürchten sie sich weder vor +neuwaschen+ noch vor
-+altbacken+ noch vor +hausbacken+.
-
-
-Ich bin gestanden oder ich habe gestanden?
-
-Ufm Bergli +bin i gsässe+, ha de Vögle zugeschaut; hänt gesunge, +hänt
-gesprunge+, hänt’s Nestli gebaut -- heißt es in Goethes Schweizerlied.
-+Ich bin gesessen+, +gestanden+, +gelegen+ ist das Ursprüngliche, das
-aber in der Schriftsprache längst durch +habe gesessen+, +gestanden+,
-+gelegen+ verdrängt ist. Nur mundartlich lebt es noch fort, und in
-einer bayrischen oder österreichischen Erzählung aus dem Volksleben
-läßt man sichs auch gern gefallen, auch in der Dichtersprache (Rückert:
-es +ist+ ein Bäumlein +gestanden+ im Wald); in einem wissenschaftlichen
-Aufsatz ist es unerträglich. Wie köstlich aber ist das +hänt
-gesprunge+! Die Verba der Bewegung bilden ja das Perfektum alle mit
-+sein+; manche können aber daneben auch ein Perfektum mit +haben+
-bilden, nämlich dann, wenn das Verbum der Bewegung eine Beschäftigung
-bezeichnet. Schon im fünfzehnten Jahrhundert heißt es in Leipzig: Der
-Custos zu S. Niclas +hat+ mit dem Frohnen nach Erbgeld +gangen+, d. h.
-er hat den Auftrag ausgeführt, das Geld einzusammeln. Und heute heißt
-es allgemein: vorige Woche +haben+ wir +gejagt+, aber: ich +bin+ in der
-ganzen Stadt +herumgejagt+, eine Zeit lang +bin+ ich diesem Trugbilde
-+nachgejagt+, wir +haben+ die halbe Nacht +getanzt+, aber: das Pärchen
-+war+ ins Nebenzimmer +getanzt+. Jedermann sagt: +ich bin gereist+,
-nur der Handlungsreisende nicht, der sagt: ich +habe+ nun schon zehn
-Jahre +gereist+, denn das Reisen ist seine Beschäftigung![40] Wenn
-er aber sagt: Ich +bin+ mit Müller und Kompagnie zehn Jahre lang
-+verkehrt+, so ist das falsch: auch +verkehren+ bildet sein Perfektum
-mit +haben+. Und geradezu entsetzlich ist es, wenn er seine junge Frau
-in der Stadt herumführt und ihr ein Haus zeigt mit den Worten: Hier
-+bin+ ich ein Jahr lang +jewohnt+! Richtig unterschieden wird wohl
-allgemein zwischen: er +ist+ mir +gefolgt+ (nachgegangen) und er +hat+
-mir +gefolgt+ (gehorcht), er +ist fortgefahren+ (im Wagen) und er +hat
-fortgefahren+ (zu lügen).
-
-
-Singen gehört oder singen hören?
-
-Eine der eigentümlichsten Erscheinungen unsrer Sprache, die dem
-Ausländer, der Deutsch lernen will, viel Kopfzerbrechen macht, wird
-mit der Frage berührt, ob es heiße: ich habe dich +singen gehört+ oder
-+singen hören+.
-
-Bei den Hilfszeitwörtern +können+, +mögen+, +dürfen+, +wollen+,
-+sollen+ und +müssen+ und bei einer Reihe andrer Zeitwörter, die
-ebenfalls mit dem Infinitiv verbunden werden, wie +heißen+, +lehren+,
-+lernen+, +helfen+, +lassen+ (+lassen+ in allen seinen Bedeutungen:
-befehlen, erlauben und zurücklassen), +machen+, +sehen+, +hören+ und
-+brauchen+ (+brauchen+ im Sinne von +müssen+ und +dürfen+) ist schon
-in früher Zeit das Partizipium der Vergangenheit, namentlich wenn es
-unmittelbar vor dem abhängigen Infinitiv stand (der +Rat+ hat ihn
-+geheißen gehen+), durch eine Art von Versprechen mit diesem Infinitiv
-verwechselt und vermengt worden. In der zweiten Hälfte des fünfzehnten
-Jahrhunderts heißt es bunt durcheinander: man hat ihn +geheißen gehen+
-und +heißen gehen+, und passiv: er ist +geheißen gehen+, er ist +heißen
-gehen+, er ist +geheißen zu gehen+, ja sogar er ist +gegangen heißen+.
-Schließlich drang an der Stelle des Partizips der Infinitiv vollständig
-durch, namentlich dann, wenn der abhängige Infinitiv unmittelbar
-davorstand, und so sagte man nun allgemein: ich habe ihn +gehen
-heißen+, ich habe ihn +tragen müssen+, ich habe ihn +kommen lassen+,
-ich habe ihn +kennen lernen+, ich habe ihn +laufen sehen+, ich habe ihn
-+rufen hören+, er hat viel von sich +reden machen+ (Goethe im Faust:
-ihr habt mich weidlich +schwitzen+ machen, der Kasus +macht+ mich
-+lachen+), du hättest nicht zu +warten brauchen+.[41] Das merkwürdigste
-ist, daß bei vieren von diesen Zeitwörtern der abhängige Infinitiv
-ebenfalls erst durch ein Mißverständnis aus dem Partizip entstanden
-ist, nämlich bei +hören+, +sehen+, +machen+ und +lassen+: ich höre ihn
-+singen+, ich mache ihn +schwitzen+, ich lasse ihn +liegen+ ist ja
-entstanden aus: ich höre ihn +singend+, ich mache ihn +schwitzend+,
-ich lasse ihn +liegend+.[42] In der Verbindung also: ich habe ihn
-+singen hören+ sind, so wunderbar das klingt, zwei Partizipia, eins der
-Gegenwart und eins der Vergangenheit, durch bloßes Mißverständnis zu
-Infinitiven geworden! Diese merkwürdige Erscheinung ist aber nun durch
-jahrhundertelangen Gebrauch in unsrer Sprache so eingebürgert, und sie
-ist uns so vertraut und geläufig geworden, daß es gesucht, ungeschickt,
-ja geradezu fehlerhaft erscheint, wenn jemand schreibt: ich habe sie
-auf dem Ball +kennen gelernt+ -- Dozent auf der Hochschule hatte ich
-+werden gewollt+ (behüt dich Gott! es hat nicht +sein gesollt+!) --
-er hatte ein Mädchen mit einem Kinde gewissenlos +sitzen gelassen+ --
-wir haben die Situation +kommen gesehen+ -- über diesen Versuch hat
-er nie Reue zu +empfinden gebraucht+ -- du hast mir das Verständnis
-+erschließen geholfen+ usw. Wer sich ungesucht ausdrücken will, bleibt
-beim Infinitiv, ja er dehnt ihn unwillkürlich gelegentlich noch auf
-sinnverwandte Zeitwörter aus und schreibt: wir hätten diese Schuld auch
-dann noch auf uns +lasten fühlen+ (statt: +lasten gefühlt+). (Lenau:
-Drei Zigeuner +fand+ ich einmal +liegen+ an einer Weide.)
-
-Kommen zwei solche Hilfszeitwörter zusammen, so hilft es nichts, und
-wenn sich der Papiermensch noch so sehr darüber entsetzt: es stehn
-dann drei Infinitive nebeneinander: wir hätten den Kerl +laufen lassen
-sollen+, +laufen lassen müssen+, +laufen lassen können+. Klingt
-wundervoll und ist -- ganz richtig.
-
-
-Du issest oder du ißt?
-
-In der Flexion innerhalb der einzelnen Tempora können keine Fehler
-gemacht werden und werden auch keine gemacht. Bei Verbalstämmen, die
-auf s, ß oder z ausgehen, empfiehlt sichs, im Präsens in der zweiten
-Person des Singular das e zu bewahren, das sonst jetzt ausgeworfen
-wird: du +reisest+, du +liesest+, du +hassest+, du +beißest+, du
-+tanzest+, du +seufzest+. Allgemein üblich ist freilich: du +mußt+,
-du +läßt+, fast allgemein auch: du +ißt+. Aber zu fragen: du +speist+
-doch heute bei mir? wäre nicht fein; zwischen +speisen+ und +speien+
-muß man hübsch unterscheiden. (Vgl. auch +du haust+ und +du hausest+.)
-Bei Verbalstämmen dagegen, die auf sch endigen, kann man getrost
-sagen: du +naschst+, du +wäschst+, du +drischst+, du +wünschst+,
-sogar du +rutschst+. Auch in der zweiten Person der Mehrzahl wird
-das e, wenigstens in Nord- und Mitteldeutschland, schon längst nicht
-mehr gesprochen; also hat es auch keinen Sinn, es zu schreiben. Über
-Maueranschläge, wie: +Besuchet+ Augsburg mit seinen Sehenswürdigkeiten,
-oder: +Waschet+ mit Seifenextrakt, lacht man in Leipzig schon wegen
-des altmodischen +et+. Nur bei der Abendmahlsfeier läßt man sich gern
-gefallen: +Nehmet+ hin und +esset+.
-
-
-Stände oder stünde? Begänne oder begönne?
-
-Immer größer wird die Unbeholfenheit, den Konjunktiv des Imperfekts
-richtig zu bilden. Viele getrauen sichs kaum noch, sie umschreiben
-ihn womöglich überall durch den sogenannten Konditional (+würde+ mit
-dem Infinitiv), auch da, wo das nach den Regeln der Satzlehre ganz
-unzulässig ist (vgl. S. 158). Besonders auffällig ist bei einer Reihe
-von Zeitwörtern die Unsicherheit über den Umlautsvokal: soll man
-ä oder ü gebrauchen? Das Schwanken ist dadurch entstanden, daß im
-Mittelhochdeutschen der Pluralvokal im Imperfektum vielfach anders
-lautete als der Singularvokal (~half~, ~hulfen~; ~wart~, ~wurden~),
-dieser Unterschied sich aber später ausglich. Da nun der Konjunktiv
-immer mit dem Umlaut des Pluralvokals gebildet wurde, so entstand
-Streit zwischen ü und ä. Da aber die ursprünglichen Formen (+hülfe+,
-+stürbe+, +verdürbe+, +würbe+, +würfe+) doch noch lebendig sind, so
-verdienen sie auch ohne Zweifel geschützt und den später eingedrungnen
-+hälfe+, +stärbe+, +verdärbe+, +wärbe+, +wärfe+ vorgezogen zu
-werden. Neben +würde+ ist die Form mit ä gar nicht aufgekommen. Von
-+stehen+ hieß das Imperfekt ursprünglich überhaupt nicht +stand+,
-sondern +stund+, wie es in Süddeutschland noch heute heißt; das u
-ging durch den Singular wie durch den Plural. Folglich ist auch hier
-+stünde+ älter und richtiger als +stände+. Bei einigen Verben, wie
-bei +beginnen+, hat der Streit zwischen ä und ü im Anschluß an das o
-des Partizips (+begonnen+) im Konjunktiv des Imperfekts ö in Aufnahme
-gebracht. Auch diese Formen mit ö (+beföhle+, +begönne+, +besönne+,
-+empföhle+, +gewönne+, +gölte+, +rönne+, +schölte+, +schwömme+,
-+spönne+, +stöhle+) verdienen, da sie den Formen mit umgewandeltem
-Pluralvokal entsprechen, den Vorzug vor denen mit ä.
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-Kännte oder kennte?
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-Ein Irrtum ist es, wenn man glaubt, aus dem Indikativ +kannte+ einen
-Konjunktiv +kännte+ bilden zu dürfen. Die sechs schwachen Zeitwörter:
-+brennen+, +kennen+, +nennen+, +rennen+, +senden+ und +wenden+ haben
-eigentlich ein a im Stamm, sind also schon im Präsens umgelautet.
-Ihr Imperfekt bilden sie ebenso wie das Partizip der Vergangenheit
-(durch den sogenannten Rückumlaut) mit a: +brannte+, +gebrannt+,
-+sandte+, +gesandt+, und da der Konjunktiv bei schwachen Verben
-nicht umlautet, so sollte er eigentlich ebenfalls +brannte+, +sandte+
-heißen. Zur Unterscheidung hat man aber (und zwar ursprünglich nur im
-Mitteldeutschen) einen Konjunktiv +brennete+, +kennete+, +nennete+,
-+rennete+, +sendete+ und +wendete+ gebildet. Das e dieser Formen ist
-nicht etwa ein jüngerer Umlaut zu dem a des Indikativs, sondern es
-ist das alte Umlauts-e, das durch das Präsens dieser Zeitwörter geht.
-Wirft man nun, wie es jetzt geschieht, aus +brennete+, +kennete+ das
-mittlere e aus, das in +sendete+ und +wendete+ beibehalten wird, so
-bleibt +brennte+, +kennte+ übrig. In früherer Zeit gehörten noch andre
-Verba zu dieser Reihe, z. B. +setzen+ und +stellen+; der Konjunktiv
-des Imperfekts heißt hier +setzte+, +stellte+, der Indikativ und das
-Partizipium aber hießen früher: +sazte+, +stalte+, +gesazt+, +gestalt+
-(das noch in +wohlgestalt+, +mißgestalt+, +ungestalt+ erhalten ist).
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-[Illustration]
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-Zur Wortbildungslehre
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-[Illustration]
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-[Illustration]
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-Reformer und Protestler
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-Erstaunlich ist die Fülle und Mannigfaltigkeit in unsrer Wortbildung,
-noch erstaunlicher die Sicherheit des Sprachgefühls, mit der sie doch
-im allgemeinen gehandhabt und durch gute und richtige Neubildungen
-vermehrt wird. Doch fehlt es auch hier nicht an Mißhandlungen und
-Verirrungen.
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-Im Volksmund ist es seit alter Zeit üblich, zur Bezeichnung von
-Männern dadurch Substantiva zu bilden, daß man an ein Substantiv,
-das eine Sache bezeichnet, oder an ein andres Nomen die Endung
-+er+ hängt. In Leipzig sprach man im fünfzehnten und sechzehnten
-Jahrhundert nicht bloß von +Barfüßern+, sondern nannte auch die
-Insassen der beiden andern Mönchsklöster kurzweg +Pauler+ und
-+Thomasser+, und im siebzehnten Jahrhundert die kurfürstliche Besatzung
-der Stadt +Defensioner+. Dazu kamen später die +Korrektioner+ (die
-Insassen des Arbeitshauses) und die +Polizeier+, und in neuerer
-Zeit die +Hundertsiebener+, die +Urlauber+, die +Sanitäter+, die
-+Eisenbahner+ und die +Straßenbahner+. Im Buchhandel spricht man von
-+Sortimentern+, in der gelehrten Welt von +Naturwissenschaftern+ und
-+Sprachwissenschaftern+, in der Malerei von +Landschaftern+, und in der
-Politik von +Botschaftern+, +Reformern+ und -- +Attentätern+![43] Da
-manche dieser Bildungen unleugbar einen etwas niedrigen Beigeschmack
-haben, der den von Verbalstämmen gebildeten Substantiven auf er
-(+Herrscher+, +Denker+, +Kämpfer+) nicht anhaftet, so sollte man sich
-mit ihnen recht in acht nehmen. In +Reformer+, das man dem Engländer
-nachplappert, liegt unleugbar etwas geringschätziges im Vergleich zu
-+Reformator+; unter einem +Reformer+ denkt man sich einen Menschen,
-der wohl reformatorische Anwandlungen hat, es aber damit zu nichts
-bringt. Noch viel deutlicher liegt nun dieses geringschätzige
-in den Bildungen auf +ler+, wie +Geschmäckler+, +Zünftler+,
-+Tugendbündler+, +Temperenzler+, +Abstinenzler+, +Protestler+,
-+Radler+, +Sommerfrischler+, +Barfüßler+, +Zuchthäusler+; deshalb ist
-es unbegreiflich, wie manche Leute so geschmacklos sein können, von
-+Neusprachlern+ und von +Naturwissenschaftlern+ zu reden. Eigentlich
-gehen ja die Bildungen auf +ler+ auf Zeitwörter zurück, die auf +eln+
-endigen, wie +bummeln+, +betteln+, +grübeln+, +kritteln+, +sticheln+,
-+nörgeln+, +kränkeln+, +hüsteln+, +frömmeln+, +tänzeln+, +radeln+,
-+anbändeln+, sich +herumwörteln+, +näseln+, +schwäbeln+, +französeln+.
-So setzen +Neusprachler+ und +Naturwissenschaftler+ die Zeitwörter
-+neuspracheln+ und +naturwissenschafteln+ voraus; das wären aber
-doch Tätigkeiten, hinter denen kein rechter Ernst wäre, die nur als
-Spielerei betrieben würden. An +Künstler+ haben wir uns freilich ganz
-gewöhnt, obwohl +künsteln+ mit seiner geringschätzigen Bedeutung
-daneben steht, auch an +Tischler+ und +Häusler+.
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-Ärztin und Patin
-
-Von Substantiven, die einen Mann bezeichnen, werden Feminina auf
-+in+ gebildet: +König, Königin+ -- +Wirt, Wirtin+ -- +Koch, Köchin+
--- +Berliner, Berlinerin+ -- sogar +Landsmann, Landsmännin+ (während
-sonst natürlich zu +Mann+ das Femininum +Weib+ oder +Frau+ ist: der
-+Kehrmann+, das +Waschweib+, der +Botenmann+, die +Botenfrau+). Von
-+Arzt+ hat man in letzter Zeit +Ärztin+ gebildet. Manche getrauten
-sich das anfangs nicht zu sagen und sprachen von +weiblichen Ärzten+,
-es ist aber gar nichts dagegen einzuwenden, und es ist abgeschmackt,
-wenn unsre Zeitungen immer von männlichen und +weiblichen Arbeitern+,
-männlichen und +weiblichen Lehrern+ reden statt von Arbeitern und
-+Arbeiterinnen+, Lehrern und +Lehrerinnen+ (abgeschmackt auch, wenn
-es in Polizeiberichten heißt, daß ein neugebornes +Kind+ männlichen
-oder +weiblichen Geschlechts+ im Wasser gefunden worden sei, statt
-ein neugeborner Knabe oder ein neugebornes +Mädchen+). Dagegen ist es
-nicht gut, ein Femininum auf +in+ zu bilden von +Pate+, +Kunde+ (beim
-Kaufmann) und +Gast+. In der ältern Sprache findet sich zwar zuweilen
-auch +Gästin+, auf Theaterzetteln konnte man noch vor gar nicht langer
-Zeit lesen, daß eine auswärtige Schauspielerin als +Gastin+ auftrete,
-aber wer möchte noch heute eine Frau oder ein Mädchen seine +Gästin+
-oder +Gastin+ nennen? Bei +Pate+ unterscheidet man +den Paten+ und
-+die Pate+, je nachdem ein Knabe oder ein Mädchen gemeint ist, und der
-Kaufmann sagt: das ist +ein guter Kunde+ oder +eine gute Kunde+ von
-mir. Entsetzlich sind die in der Juristensprache üblichen Bildungen:
-die +Beklagtin+, die +Verwandtin+ und -- das neueste -- die +Beamtin+.
-Von Partizipialsubstantiven -- und ein solches ist auch der +Beamte+,
-d. h. der +Beamtete+, der mit einem Amte versehene -- können keine
-Feminina auf +in+ gebildet werden; niemand sagt: meine +Bekanntin+,
-meine +Geliebtin+, auch Juristen nicht.
-
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-Tintefaß oder Tintenfaß?
-
-Zusammensetzungen aus zwei Substantiven wurden im Deutschen
-ursprünglich nur so gebildet, daß der Stamm des ersten Wortes, des
-Bestimmungswortes, an das zweite, das bestimmte Wort vorn angefügt
-wurde, z. B. +Tage-lohn+; das e in Tagelohn ist der abgeschwächte
-Stammauslaut. Später sind zusammengesetzte Wörter auch dadurch
-entstanden, daß ein vorangehendes Substantiv im Genitiv mit einem
-folgenden durch einfaches Aneinanderrücken verschmolz, z. B.
-+Gottesdienst+, +Sonntagsfeier+, +Tageslicht+, +Heeressprache+,
-+Handelskammer+. In manchen Fällen sind jetzt beide Arten der
-Zusammensetzungen nebeneinander gebräuchlich in verschiedner Bedeutung,
-z. B. +Landmann+ und +Landsmann+, +Wassernot+ und +Wassersnot+. Nun
-endet bei allen schwachen Femininen der Stamm ursprünglich ebenso wie
-der Genitiv, beide gehen eigentlich auf +en+ aus, und so haben diese
-schwachen Feminina eine sehr große Zahl von Zusammensetzungen mit +en+
-gebildet, auch in das Gebiet der starken Feminina übergegriffen, sodaß
-+en+ zum Hauptbindemittel für Feminina überhaupt geworden ist. Man
-denke +nur an Sonnenschein+, +Frauenkirche+ (d. i. die Kirche unsrer
-lieben +Frauen+, der Jungfrau Maria), +Erdenrund+, +Lindenblatt+,
-+Aschenbecher+, +Taschentuch+, +Seifensieder+, +Gassenjunge+,
-+Stubentür+, +Laubendach+, +Küchenschrank+, +Schneckenberg+,
-+Wochenamt+, +Gallenstein+, +Kohlenzeichnung+, +Leichenpredigt+,
-+Reihenfolge+, +Wiegenlied+, +Längenmaß+, +Breitengrad+, +Größenwahn+,
-+Muldental+, +Pleißenburg+, +Parthendörfer+, +Markthallenstraße+
-u. a. Sogar Lehn- und Fremdwörter haben sich dieser Zusammensetzung
-angeschlossen, wie in +Straßenpflaster+, +Tintenfaß+, +Kirchendiener+,
-+Lampenschirm+, +Flötenspiel+, +Kasernenhof+, +Bastillenplatz+,
-+Visitenkarte+, +Toilettentisch+, +Promenadenfächer+,
-+Kolonnadenstraße+. Ein reizendes Bild in der Dresdner Galerie ist das
-+Schokoladenmädchen+.
-
-Bei dem einfachen Zusammenrücken von Wörtern stellten sich nun aber
-Genitive im Plural als erster Teil der Zusammensetzung ein, und das
-hat neuerdings zu einer traurigen Verirrung geführt. Man bildet sich
-ein, das Binde-+en+ sei überhaupt nichts andres als das Plural-+en+,
-man fühlt nicht mehr, daß dieses +en+ ebenso gut die Berechtigung
-hat, einen weiblichen Singular mit einem folgenden Substantiv zu
-verbinden, und so schreibt und druckt man jetzt wahrhaftig aus Angst
-vor eingebildeten widersinnigen Pluralen: +Aschebecher+, +Aschegrube+,
-+Tintefaß+, +Jauchefaß+, +Sahnekäse+, +Hefezelle+, +Hefepilz+,
-+Rassepferd+ und +Rassehund+, +Stellegesuch+, +Muldetal+, +Pleißeufer+,
-+Parthebrücke+, +Gartenlaubekalender+, +Gartenlaubebilderbuch+,
-+Sparkassebuch+, +Visitekarte+, +Toiletteseife+, +Serviettering+,
-+Manschetteknopf+, +Promenadeplatz+, +Schokoladefabrik+ usw. In allen
-Bauzeitungen muß man von +Mansardedach+ und von +Lageplan+ lesen (so
-haben die Architekten, die erfreulicherweise eifrige Sprachreiniger
-sind, +Situationsplan+ übersetzt), in allen Kunstzeitschriften von
-+Kohlezeichnungen+ und +Kohledrucken+, offenbar damit ja niemand
-denke, die Zeichnungen oder Drucke wären mit einem Stück Stein- oder
-Braunkohle aus dem +Kohlenkasten+ gemacht -- nicht wahr? Wer nicht
-fühlt, daß das alles das bare Gestammel ist, der ist aufrichtig zu
-bedauern. Es klingt genau, wie wenn kleine Kinder dahlten, die erst
-reden lernen und noch nicht alle Konsonanten bewältigen können.
-Man setze sich das nur im Geiste weiter fort -- was wird die Folge
-sein? daß wir in Zukunft auch stammeln: +Sonneschein+, +Taschetuch+,
-+Brilleglas+, +Gosestube+, +Zigarrespitze+, +Straßepflaster+,
-+Roseduft+, +Seifeblase+, +Hülsefrucht+, +Laubedach+, +Geigespiel+,
-+Ehrerettung+, +Wiegelied+, +Aschebrödel+ usw.[44] Sollten einzelne
-dieser Wörter vor der Barbarei bewahrt bleiben, so könnte es nur
-deshalb geschehen, weil man annähme, ihr Bestimmungswort stehe im
-Plural, und der sei richtig, also ein +Taschentuch+ sei nicht ein Tuch
-für die Tasche, sondern -- für die Taschen!
-
-Wo das Binde-+en+ aus rhythmischen oder andern Gründen nicht gebraucht
-wird, bleibt für Feminina nur noch die eine Möglichkeit, den verkürzten
-Stamm zu benutzen, der wieder mit dem eigentlichen Stamm der alten
-starken Feminina zusammenfällt und dadurch überhaupt erst in der
-Zusammensetzung von Femininen aufgekommen ist. So findet sich in
-früherer Zeit +Leichpredigt+ neben +Leichenpredigt+, und so haben wir
-längst +Mühlgasse+ neben +Mühlenstraße+, +Erdball+ und +Erdbeere+
-neben +Erdenrund+ und +Erdenkloß+, +Kirchspiel+ und +Kirchvater+
-neben +Kirchenbuch+ und +Kirchendiener+, +Elbtal+, +Elbufer+ und
-+Elbbrücke+ neben +Muldental+ und +Muldenbett+. Vor dreißig Jahren
-sagte man +Lokomotivenführer+, und das war gut und richtig. Neuerdings
-hat die Amtssprache +Lokomotivführer+ durchgedrückt. Das ist zwar ganz
-häßlich, denn nun stoßen zwei Lippenlaute (v und f) aufeinander, aber
-es ist ja zur Not auch richtig. Aber ein Wort wie +Saalezeitung+ oder
-+Solebad+, wie man auch neuerdings lallt (das +Solebad+ Kissingen),
-ist doch die reine Leimerei. Bei +Saalzeitung+ könnte wohl einer an
-den +Saal+ denken statt an die +Saale+? Denkt denn beim +Saalkreis+,
-beim +Saalwein+ und bei der +Saalbahn+ jemand dran?[45] Die Amtssprache
-fängt jetzt freilich auch an, vom +Saalekreis+ zu stammeln. Als 1747
-das erste Rhinozeros nach Deutschland kam, nannten es die Leute bald
-+Nashorn+, bald +Nasenhorn+. Hätte man das Tier heute zu benennen,
-man würde es unzweifelhaft +Nasehorn+ nennen.[46] Das Neueste ist,
-daß sich die Herren von der Presse jetzt +Pressevertreter+ nennen und
-bisweilen ein +Pressefest+ oder einen +Presseball+ veranstalten. Von
-einem +Preßfest+ oder einem +Preßball+ zu reden fürchten sie sich,
-offenbar damit niemand an die +Preßwurst+ denke! Ein Glück, daß die
-Wörter +Preßfreiheit+, +Preßgesetz+, +Preßvergehen+, +Preßpolizei+,
-+Preßbureau+ schon in einer Zeit gebildet worden sind, wo die Herren
-von der Presse noch deutsch reden konnten!
-
-Besonders bei der Zusammensetzung mit Namen wird jetzt (z. B. bei
-der Taufe neuer Straßen oder Gebäude) fast nur noch in dieser Weise
-geleimt. Wer wäre vor hundert Jahren imstande gewesen, eine Straße
-+Augustastraße+, ein Haus +Marthahaus+, einen Garten +Johannapark+ zu
-nennen! Da sagte man +Annenkirche+, +Katharinenstraße+, +Marienbild+,
-und es fiel doch auch niemand ein, dabei an eine Mehrzahl von Annen,
-Katharinen oder Marien zu denken.
-
-
-Speisenkarte oder Speisekarte?
-
-Da haben also wohl die Schenkwirte, die statt der früher allgemein
-üblichen +Speisekarte+ eine +Speisenkarte+ eingeführt haben,
-etwas recht weises getan? Sie haben den guten alten Genitiv
-wiederhergestellt? Nein, daran haben sie nicht gedacht, sie haben
-die Mehrzahl ausdrücken wollen, denn sie haben sich überlegt: auf
-meiner Karte steht doch nicht bloß +eine+ Speise. Damit sind sie
-aber auch wieder gründlich in die Irre geraten. In +Speisekarte+ ist
-die erste Hälfte gar nicht durch das Hauptwort +Speise+ gebildet,
-sondern durch den Verbalstamm von +speisen+. Alles, was zum Speisen
-gehört: die +Speisekammer+, das +Speisezimmer+, der +Speisesaal+,
-das +Speisegeschirr+, der +Speisezettel+ -- alles ist mit diesem
-Verbalstamm zusammengesetzt. So ist auch die +Speisekarte+ nicht die
-Karte, auf der die Speisen verzeichnet stehen, sondern die Karte,
-die man beim Speisen gebraucht, wie die +Tanzkarte+ die Karte, die
-man beim Tanzen gebraucht, das +Kochbuch+ das Buch, das man beim
-Kochen benutzt, die +Spielregel+ die Regel, die man beim Spielen
-beobachtet, die +Bauordnung+ die Ordnung, nach der man sich beim
-Bauen richtet, der +Fahrplan+ der Plan, der uns darüber belehrt,
-wann und wohin gefahren wird, die +Singweise+ die Weise, nach der
-man singt, das +Stickmuster+ das Muster, nach dem man stickt, die
-+Zählmethode+ die Methode, nach der man zählt. Alle diese Wörter sind
-mit einem Verbalstamm zusammengesetzt. Hätten die Schenkwirte mit
-ihrer +Speisenkarte+ Recht, dann müßten sie doch auch +Weinekarte+
-sagen.[47] Glücklicherweise läßt sich der Volksmund nicht irremachen.
-Niemals hört man in einer Wirtschaft eine +Speisenkarte+ verlangen, es
-wird aber immer nur gedruckt, entweder auf Verlangen der Wirte, die
-damit etwas besonders feines ausgeheckt zu haben glauben, oder auf
-Drängen der Akzidenzdrucker, die es den Wirten als etwas besonders
-feines aufschwatzen. Ganz lächerlich ist es, wenn manche Wirte einen
-Unterschied machen wollen: eine +Speisekarte+ sei die, auf der ich mir
-eine Speise aussuchen könne, eine +Speisenkarte+ dagegen ein „Menu“,
-das Verzeichnis der Speisen bei einem Mahl, wofür man neuerdings auch
-das schöne Wort +Speisenfolge+ eingeführt hat. Die +Speisekarte+ ist
-die Karte, die zum +Speisen+ gehört, ob ich mir nun etwas darauf
-aussuche, oder ob ich sie von oben bis unten abesse.
-
-Ein Gegenstück zur +Speisenkarte+ ist die +Fahrrichtung+; an den
-ehemaligen Leipziger Pferdebahnwagen stand: nur in der +Fahrrichtung+
-abspringen! Es spricht aber niemand von +Fließrichtung+,
-+Strömrichtung+, +Schießrichtung+, wohl aber von +Flußrichtung+,
-+Stromrichtung+, +Schußrichtung+, +Windrichtung+, +Strahlrichtung+.
-Bedenkt man freilich, daß der Volksmund die +Fahrtrichtung+
-unzweifelhaft sofort zur +Fahrtsrichtung+ verschönert hätte (nach
-+Mietskaserne+), so muß man ja eigentlich für die +Fahrrichtung+ sehr
-dankbar sein.
-
-
-Äpfelwein oder Apfelwein?
-
-Unnötigen Aufruhr und Streit erregt bisweilen die Frage, ob in dem
-Bestimmungswort einer Zusammensetzung die Einzahl oder die Mehrzahl am
-Platze sei. Einen Braten, der nur von +einem+ Rind geschnitten ist,
-nennt man in Leipzig +Rinderbraten+, eine Schüssel Mus dagegen, die
-aus einem halben Schock Äpfel bereitet ist, +Apfelmus+. Das ist doch
-sinnwidrig, heißt es, es kann doch nur das umgekehrte richtig sein!
-Nein, es ist beides richtig. Es kommt in solchen Zusammensetzungen
-weder auf die Einzahl noch auf die Mehrzahl an, sondern nur auf den
-Gattungsbegriff. Im Numerus herrscht völlige Freiheit; die eine
-Mundart verfährt so, die andre so,[48] und selbst innerhalb der
-guten Schriftsprache waltet hier scheinbar die seltsamste Laune und
-Willkür. Man sagt: +Bruderkrieg+, +Freundeskreis+, +Jünglingsverein+,
-+Ortsverzeichnis+ (neuerdings leider auch +Namensverzeichnis+ und
-+Offizierskasino+!), +Adreßbuch+, +Baumschule+, +Fischteich+,
-+Kartoffelernte+, +Trüffelwurst+, +Federbett+, obwohl hier überall
-das Bestimmungswort unzweifelhaft eine Mehrzahl bedeutet; dagegen
-sagt man +Kinderkopf+ (in der Malerei), +Liedervers+, +Eierschale+,
-+Lämmerschwänzchen+, +Hühnerei+, +Städtename+, +Gänsefeder+, obwohl
-ein Vers nur zu +einem+ Liede, eine Schale nur zu +einem+ Ei gehören
-kann. Wer näher zusieht, findet freilich auch hinter dieser scheinbaren
-Willkür gute Gründe. +Baumschule+, +Bruderkrieg+ und +Fischteich+
-sind noch nach der ursprünglichen Zusammensetzungsweise, die nach
-singularischer oder pluralischer Bedeutung des Bestimmungswortes
-nicht fragte, mit dem bloßen Stamme des ersten Wortes gebildet.
-+Jünglingsverein+ und +Ortsverzeichnis+ haben das s, das eigentlich nur
-dem vorgesetzten maskulinen Genitiv zukommt, aber von da aus weiter
-gegriffen hat und zum Bindemittel schlechthin, selbst für pluralisch
-gemeinte Substantiva, geworden ist; auch +Freundeskreis+ ist ein
-Absenker dieser Bildungsweise. Und ebenso natürlich erklärt sich die
-Gruppe mit scheinbar pluralischer Form und singularischer Bedeutung.
-In ihr kommen nur Neutra mit der Pluralendung +er+ und umgelautete
-Feminina in Frage. Aber sowohl der Umlaut der Feminina wie das +er+
-(und der Umlaut) der Neutra gehörte in alter Zeit nicht nur dem
-Plural, sondern dem Stamme dieser Wörter an, und daß es sich bei den
-Zusammensetzungen mit ihnen um nichts weiter als um den Stamm handelt,
-können wir bei einigem guten Willen noch jetzt nachfühlen. Kein Mensch
-denkt bei dem Worte +Gänseblume+ an mehrere Gänse, sondern jeder nur an
-den Begriff Gans, so gut wie er bei +Rinderbrust+ nicht mehrere Rinder
-vor Augen hat.
-
-Trotz alledem ist natürlich +Äpfelwein+ neben +Apfelwein+ nicht zu
-verurteilen. Der wirklich pluralischen Zusammensetzungen und der
-pluralisch gefühlten gibt es zu viel, als daß ihnen ein Eingreifen
-in dieses Gebiet der Zusammensetzungen mit Gattungsbegriffen
-verwehrt werden könnte. Schwankt man doch auch in Zusammensetzungen
-wie +Anwaltstag+, +Juristentag+, +Ärztetag+, +Bischofkonferenz+,
-+Rektorenkonferenz+, +Gastwirtverein+, +Gastwirtstag+,
-+Architektenverein+ u. a. Wenn etwas hier bestimmend wäre, so könnte es
-nur der Wohlklang sein. Die schwach deklinierten ziehen augenscheinlich
-den Plural, die stark deklinierten den Singular vor; zu +Ärztetag+ hat
-man ausnahmsweise gegriffen, weil +Arzttag+ undeutlich, +Arztstag+
-unerträglich klingt, während gegen eine +Arztversammlung+ niemand
-etwas einwenden wird, also auch die +Ärztekammer+ (statt +Arztkammer+)
-überflüssig war, ebenso überflüssig wie der +Wirteverein+. Höchst
-ärgerlich aber ist es, wenn man, nachdem man vierzig Jahre lang von
-+Kollegienheften+ hat sprechen hören, plötzlich an dem Ladenfenster
-eines Schreibwarenkrämers +Kolleghefte+ angepriesen sieht. Aber der
-gute Mann macht es ja bloß den Professoren nach, die jetzt keine
-+Kollegiengelder+ mehr beanspruchen, sondern +Kolleggelder+!
-
-
-Zeichnenbuch oder Zeichenbuch?
-
-Die falschen Zusammensetzungen +Zeichnenbuch+, +Zeichnensaal+,
-+Rechnenheft+ sind in der Schule, wo sie sich früher auch breitmachten,
-jetzt wohl überall glücklich wieder beseitigt; außerhalb der Schule
-aber spuken sie doch noch und gelten noch immer manchen Leuten für das
-Richtige. In Wahrheit sind es Mißbildungen. Wenn in Zusammensetzungen
-das Bestimmungswort ein Verbum ist, so kann dieses nur in der Form des
-Verbalstammes erscheinen; daher heißt es: +Schreibfeder+, +Reißzeug+,
-+Stimmgabel+, +Druckpapier+, +Stehpult+, +Rauchzimmer+, +Laufbursche+,
-+Spinnstube+, +Trinkhalle+, +Springbrunnen+, +Zauberflöte+, oder auch
-mit einem Bindevokal: +Wartesaal+, +Singestunde+, +Bindemittel+.[49]
-Nun gibt es aber Verbalstämme, die auf n ausgehen, z. B. +zeichen+,
-+rechen+, +trocken+, +turn+; die Infinitive dazu heißen: +rechnen+
-(eigentlich +rechenen+), +zeichnen+ (eigentlich +zeichenen+),
-+trocknen+, +turnen+. Werden diese in der Zusammensetzung verwendet,
-so können natürlich nur Formen entstehen wie +Rechenstunde+,
-+Zeichensaal+, +Trockenplatz+, +Turnhalle+. Wäre +Rechnenbuch+ und
-+Zeichnensaal+ richtig, so müßte man doch auch sagen: +Trocknenplatz+,
-+Turnenhalle+, ja auch +Schreibenfeder+ und +Singenstunde+.
-
-
-Das Binde-s
-
-In ganz unerträglicher Weise greift jetzt das unorganisch eingeschobne
-s in zusammengesetzten Wörtern um sich. In +Himmelstor+, +Gotteshaus+,
-+Königstochter+, +Gutsbesitzer+, +Feuersnot+, +Wolfsmilch+ kann
-man ja überall das s als die Genitivendung des männlichen oder
-sächlichen Bestimmungswortes auffassen, wiewohl es auch solche
-Zusammensetzungen gibt, in denen der Genitiv keinen Sinn hat, das s
-also nur als Bindemittel betrachtet werden kann, z. B. +Rittersmann+,
-+segensreich+ (Schiller hat in der Glocke noch richtig +segenreiche
-Himmelstochter+ geschrieben). Aber wie kommt das s an Wörter
-weiblichen Geschlechts, die gar keinen Genitiv auf s bilden können?
-Wie ist man dazu gekommen, zu bilden: +Liebesdienst+, +Hilfslehrer+,
-+Geschichtsforscher+, +Bibliotheksordnung+, +Arbeitsliste+,
-+Geburtstag+, +Hochzeitsgeschenk+, +Weihnachtsabend+, +Fastnachtsball+,
-+Zukunftsmusik+, +Einfaltspinsel+, +Zeitungsschreiber+, +Hoheitsrecht+,
-+Sicherheitsnadel+, +Wirtschaftsgeld+, +Konstitutionsfest+,
-+Majestätsbeleidigung+, +ausnahmsweise+, +rücksichtsvoll+,
-+vorschriftsmäßig+?
-
-Dieses Binde-s stammt ebenso wie das falsche Plural-s (vgl. S. 23) aus
-dem Niederdeutschen. Dort wird es wirklich aus Verlegenheit gebraucht,
-um von artikellosen weiblichen Hauptwörtern einen Genitiv zu bilden,
-natürlich immer nur dann, wenn er dem Worte, von dem er abhängt,
-voransteht, wie +Mutters+ Liebling, vor +Schwesters Tür+, +Madames+
-Geschenk (Lessing: +Antworts+ genug, über +Naturs+ Größe), und so ist
-aus diesem Verlegenheits-s dann das Binde-s geworden. Es gehört aber
-erst der neuern Zeit an. Im Mittelhochdeutschen findet es sich nur
-vereinzelt, erst im Neuhochdeutschen ist es eingedrungen, hat sich
-dann mit großer Schnelligkeit verbreitet und sucht sich noch immer
-weiter zu verbreiten. Schon fängt man an zu sagen: +Doktorsgrad+,
-+Wertspapiere+, +Raumsgestaltung+, +Gesteinsmassen+, +Gewebslehre+,
-+Gesangsunterricht+, +Kapitalsanlage+, +Inventursaufnahme+,
-+Examensvorbereitung+, +Aufnahmsprüfung+, +Einnahmsquelle+,
-+teilnahmslos+, +Niederlagsraum+, +Schwadronsbesichtigung+, ja
-in einzelnen Gegenden Deutschlands, namentlich am Rhein, sogar
-schon +Stiefelsknecht+, +Erbsmasse+ (statt Erbmasse), +Ratshaus+,
-+Stadtsgraben+, +Nachtswächter+, +Zweimarksstück+, +Schiffsbruch+,
-+Kartoffelsbrei+ u. a. In Leipzig sind wir neuerdings mit einem
-+Kajütsbureau+ beglückt worden (!), und die sächsischen Eisenbahnen
-reden seit einiger Zeit nur noch von +Zugsverkehr+, +Zugsverbindungen+
-und +Zugsverspätungen+. Das widerwärtigste aber wegen ihrer Häufigkeit
-sind wohl die Zusammensetzungen mit +Miets-+ und +Fabriks-+: das
-+Mietshaus+, die +Mietskaserne+, der +Mietsvertrag+, der +Mietspreis+,
-der +Fabriksdirektor+, das +Fabriksmädchen+, das tollste der in
-rheinischen Städten übliche +Stehsplatz+ und der +Verpflegsdienst+. Das
-Binde-s hinter einem Verbalstamm eingeschmuggelt!
-
-Nur +eine+ Wortgattung hat sich des Eindringlings bis jetzt glücklich
-erwehrt: die Stoffnamen. Von +Gold+, +Silber+, +Wein+, +Kaffee+,
-+Mehl+, +Zucker+ usw. wird nie eine Zusammensetzung mit dem Binde-s
-gebildet. Nur mit +Tabak+ hat man es gewagt: +Tabaksmonopol+,
-+Tabaksmanufaktur+, natürlich durch das verwünschte k verführt.
-Der +Fabrikstabak+ und die +Tabaksfabrik+ sind einander wert. Die
-+Tabakspfeife+ geht freilich schon weit zurück.
-
-Wo das falsche s einmal festsitzt, da ist nun freilich jeder Kampf
-vergeblich, und das ist der Fall bei allen Zusammensetzungen mit
-+Liebe+, +Hilfe+, +Geschichte+, hinter vielen weiblichen Wörtern,
-die auf t endigen, ferner bei allen, die mit +ung+, +heit+, +keit+
-und +schaft+ gebildet sind, endlich bei den Fremdwörtern auf +ion+
-und +tät+. Hier jetzt noch den Versuch zu machen, das s wieder
-loszuwerden, wäre wohl ganz aussichtslos.[50] Wo es sich aber noch
-nicht festgesetzt hat, wo es erst einzudringen versucht, wie hinter
-+Fabrik+ und +Miete+, da müßte doch der Unterricht alles aufbieten, es
-fernzuhalten, das Sprachgefühl für den Fehler wieder zu schärfen.[51]
-Es ist das nicht so schwer, wie es auf den ersten Blick scheint, denn
-dieses Binde-s ist ein solcher Wildling, daß es nicht die geringste
-Folgerichtigkeit kennt. Warum sagt man +Rindsleder+, +Schweinsleder+,
-+vertragsbrüchig+, +inhaltsreich+, +beispielsweise+, +hoffnungslos+,
-da man doch +Kalbleder+, +Schafleder+, +wortbrüchig+, +gehaltreich+,
-+schrittweise+, +gefühllos+ sagt? Hie und da scheint wieder der
-Wohllaut im Spiele zu sein, aber doch nicht immer.
-
-Nach +Hilfe+ wird übrigens in der guten Schriftsprache ein Unterschied
-beobachtet: man sagt +Hilfsprediger+, +Hilfslehrer+, +Hilfsbremser+,
-+hilfsbedürftig+ und +hilfsbereit+, auch +aushilfsweise+, dagegen
-+Hilferuf+ und +Hilfeleistung+, weil man bei diesen beiden das
-Akkusativverhältnis fühlt, bei den übrigen bloß die Zusammensetzung.
-Ähnlich ist es mit +Arbeitgeber+ im Gegensatz zu +Arbeitsleistung+,
-+Arbeitsteilung+, mit +staatserhaltend+ und +vaterlandsliebend+ im
-Gegensatz zu +kriegführend+, +rechtsuchend+, +betriebstörend+. Niemand
-redet von +kriegsführenden+ Mächten, auch nicht von +Kriegsführung+,
-weil hier die einzelne Handlung vorschwebt und deshalb der Akkusativ
-(Krieg) deutlich gefühlt wird, während +vaterlandsliebend+ und
-+staatserhaltend+ eine dauernde Gesinnung bezeichnen. Was nützt
-aber die Freude über diesen feinen Unterschied? In der nächsten
-Zeitungsnummer stößt man auf den +geschäftsführenden+ Ausschuß, auf
-die +verkehrshindernde+ Barriere und auf die +vertragsschließenden+
-Parteien.[52]
-
-
-ig, lich, isch. Adlig, fremdsprachlich, vierwöchig, zugänglich
-
-Eigenschaftswörter können im Deutschen von Hauptwörtern auf sehr
-verschiedne Arten gebildet werden: mit +ig+, +lich+, +isch+, +sam+,
-+bar+, +haft+ usw. Zwischen allen diesen Bildungen waren ursprünglich
-fühlbare Bedeutungsunterschiede, die heute vielfach verwischt sind.
-Doch sind sie auch manchmal noch deutlich zu erkennen, selbst bei den
-am häufigsten verwendeten und deshalb am meisten verblaßten Endungen
-+ig+, +lich+ und +isch+; man denke nur an +weiblich+ und +weibisch+,
-+kindlich+ und +kindisch+, +herrlich+ und +herrisch+, +launig+ und
-+launisch+, +traulich+ und +mißtrauisch+, +göttlich+ und +abgöttisch+,
-+väterlich+ und +altväterisch+, +gläubig+ und +abergläubisch+ u. a.
-
-Das von +Adel+ gebildete Adjektiv soll nach der „neuen Orthographie“
-nun endgiltig +adlig+ geschrieben werden. Es schadet aber vielleicht
-nichts, wenn man sich darüber klar bleibt, daß das eigentlich falsch
-ist. +Adlich+ ist entstanden aus +adel-lich+, es gehört zu +königlich+,
-+fürstlich+, +ritterlich+, +männlich+, +weiblich+, +geistlich+,
-+weltlich+, +fleischlich+, aber nicht zu +heilig+, +geistig+,
-+luftig+, +fleißig+, +steinig+, +ölig+, +fettig+, +schmutzig+.
-Dieselbe Verwirrung des Sprachgefühls wie bei +adlig+ findet sich
-auch bei +billig+ (das noch bis in das siebzehnte Jahrhundert richtig
-+billich+ geschrieben wurde) und bei +unzählig+ und +untadlig+, die
-eigentlich +unzählich+ und +untadlich+ geschrieben werden müßten. Nur
-bei +allmählich+, das eine Zeit lang allgemein falsch +allmählig+
-geschrieben wurde (es ist aus +allgemächlich+ entstanden), ist das
-richtige in neuerer Zeit wiederhergestellt worden, wohl deshalb, weil
-hier doch gar zu offenbar ist, daß das l nicht zum Stamme gehören kann.
-
-Wenn aus einem Substantiv mit vorhergehendem Eigenschaftswort oder
-Zahlwort ein Adjektiv gebildet wird, so geschieht es immer mit
-der Endung +ig+. Bei +kurzweilig+, +langstielig+, +großmäulig+,
-+dickfellig+, +gleichschenklig+, +rechtwinklig+, +vierzeilig+ könnte
-man meinen, sie wären deshalb auf ig gebildet worden, weil der
-Stamm auf l endigt; es heißt aber auch: +fremdartig+, +treuherzig+,
-+gutmütig+, +schöngeistig+, +freisinnig+, +hartnäckig+, +vollblütig+,
-+breitschultrig+, +schmalspurig+, +freihändig+, +buntscheckig+,
-+eintönig+, +vierprozentig+ usw.
-
-Da hat man nun neuerdings +fremdsprachlich+ und +neusprachlich+
-gebildet -- ist das richtig? Leider Gottes! muß man sagen. Diese
-Adjektiva sind nicht etwa entstanden zu denken aus +fremd+ und
-+Sprache+, +neu+ und +Sprache+ (so wie +fremdartig+ aus +fremd+ und
-+Art+), sondern es sollen Adjektivbildungen zu +Fremdsprache+ und
-+Neusprache+ sein. Diese beiden herrlichen Wörter hat man nämlich
-gebildet, um nicht mehr von +fremden+ und +neuen Sprachen+ reden
-zu müssen; nur die +Altsprachen+ fehlen noch, aber stillschweigend
-vorausgesetzt werden sie auch, denn neben +neusprachlich+ steht
-natürlich +altsprachlich+. Und wie man nun nicht mehr von
-+Sprachunterricht+, sondern nur noch von +sprachlichem+ Unterricht
-redet, so nun auch von +fremdsprachlichem+, +altsprachlichem+
-und +neusprachlichem+. Neben diesen Bildungen gibt es aber auch
-+fremdsprachig+, das nun wirklich aus +fremd+ und +Sprache+
-gebildet ist. Während mit +fremdsprachlich+ bezeichnet wird, was
-sich auf eine fremde Sprache bezieht, bezeichnet +fremdsprachig+
-eine wirkliche Eigenschaft. Man redet oder kann wenigstens reden
-von +fremdsprachigen+ Völkern, +fremdsprachigen+ Büchern, einer
-+fremdsprachigen+ Literatur (wie von einer +dreisprachigen+ Inschrift
-und einer +gemischtsprachigen+ Bevölkerung). Sogar ein Unterricht kann
-zugleich +fremdsprachlich+ und +fremdsprachig+ sein, wenn z. B. der
-Lehrer die Schüler im Französischen unterrichtet und dabei zugleich
-französisch spricht. +Fremdsprachig+ steht also neben +fremdsprachlich+
-wie +gleichaltrig+ (gebildet aus +gleich+ und +Alter+) neben
-+mittelalterlich+ (gebildet von +Mittelalter+).
-
-Streng zu scheiden ist zwischen den Bildungen auf +ig+ und denen auf
-+lich+ bei den Adjektiven, die von +Jahr+, +Monat+, +Tag+ und +Stunde+
-gebildet werden. Auch hier bezeichnen die auf +ig+ eine Eigenschaft,
-nämlich die Dauer: +zweijährig+, +eintägig+, +vierstündig+.
-Bis vor kurzem konnte man zwar oft von einem +dreimonatlichen
-Urlaub+ oder einer +vierwöchentlichen+ Reise lesen; jetzt wird
-erfreulicherweise fast überall nur noch von einem +dreimonatigen+
-Urlaub und einer +vierwöchigen+ Reise gesprochen. Dagegen bezeichnen
-+einstündlich+, +dreimonatlich+ so gut wie +jährlich+, +halbjährlich+,
-+vierteljährlich+, +monatlich+, +wöchentlich+, +täglich+ und
-+stündlich+ den Zeitabstand von wiederkehrenden Handlungen. Da heißt
-es: in +dreimonatlichen+ Raten zu zahlen, +einstündlich+ einen Eßlöffel
-voll zu nehmen, ebenso wie: nach +vierteljährlicher Kündigung+. Unsinn
-also ist es, von +halbjährigen+ öffentlichen Prüfungen zu reden;
-es gibt nur +halbjährliche+, das sind solche, die alle halben Jahre
-stattfinden, und +halbstündige+, das sind solche, die eine halbe Stunde
-dauern.
-
-Falsch ist es auch, von einem +unförmlichen+ Fleischklumpen zu reden.
-+Unförmlich+ könnte nur als Verneinung von +förmlich+ verstanden
-werden. Das Betragen eines Menschen kann +unförmlich+ sein (ohne
-Förmlichkeit, formlos), ein Fleischklumpen aber nur +unförmig+
-(gebildet von +Unform+; vgl. +unsinnig+ und +unsinnlich+).
-
-Genau zu unterscheiden ist endlich auch noch zwischen +abschlägig+
-(eine +abschlägige+ Antwort) und +abschläglich+ (eine +abschlägliche+
-Zahlung). +Abschlägig+ ist unmittelbar aus dem Verbalstamm gebildet,
-eine +abschlägige+ Antwort ist eine abschlagende; +abschläglich+
-dagegen ist von +Abschlag+ gebildet, eine +abschlägliche+ Zahlung
-ist eine +Abschlagszahlung+. (Vgl. +geschäftig+ und +geschäftlich+.)
-Wenn Kaufleute oder Buchhändler neuerdings davon reden, daß Waren
-oder Bücher wegen ihres niedrigen Preises den weitesten Kreisen
-+zugängig+ seien, oder eine Zeitung schreibt: die Kinder müssen so
-viel Deutsch lernen, daß ihnen die deutsche Kultur +zugängig+ ist,
-oder das „Tuberkulosemerkblatt“ des Kaiserlichen Gesundheitsamtes als
-Hauptmittel gegen die Ansteckung eine dem Zutritte (!) von Luft und
-Licht +zugängige+ Wohnung bezeichnet, so ist das dieselbe Verwechslung.
-Die Wohnung soll der Luft +zugänglich+ sein, d. h. sie soll der Luft
-+Zugang+ bieten. +Zugängig+ könnte höchstens (aktiv!) etwas bedeuten,
-was jedermann zugeht, z. B. die Probenummer einer Zeitung, wie das
-neumodische +angängig+ (für +möglich+) doch das bedeuten soll, was
-angeht. (Vgl. auch +verständlich+ und +verständig+.) Wenn also amtlich
-bekanntgemacht wird, daß die sächsischen Sterbetaler der Allgemeinheit
-unmittelbar +zugängig+ gemacht werden sollen, so könnte ich mit Recht
-sagen: Schön, wann wird mir der meinige zugeschickt? Der Unterschied
-liegt auf der Hand, und doch hat das dumme +zugängig+ in der letzten
-Zeit mit ungeheurer Schnelligkeit um sich gegriffen.
-
-
-Goethe’sch oder Goethisch? Bremener oder Bremer?
-
-Eine rechte Dummheit ist in der Bildung der Adjektiva auf +isch+
-eingerissen bei Orts- und Personennamen, die auf e endigen; man liest
-nur noch von der +Halle’schen+ Universität, von +Goethe’schen+ und
-+Heine’schen+ Gedichten und von der +Ranke’schen+ Weltgeschichte. Man
-übersehe ja den Apostroph nicht; ohne den Apostroph würde die Sache den
-Leuten gar keinen Spaß machen. In dieses Häkchen sind Schulmeister und
-Professoren ebenso verliebt wie Setzer und Korrektoren (vgl. S. 8).
-
-Die Adjektivendung +isch+ muß stets unmittelbar an den Wortstamm
-treten. Von +Laune+ heißt das Adjektiv +launisch+, von +Hölle+
-+höllisch+, von +Satire+ +satirisch+, von +Schwede+ +schwedisch+;
-niemand spricht von +laune’schen+ Menschen, +hölle’schen+ Qualen,
-+satire’schen+ Bemerkungen oder +schwede’schen+ Streichhölzchen. Und
-sagt oder schreibt wohl ein vernünftiger Mensch: dieses Gedicht klingt
-echt +Goethe’sch+? oder: mancher versucht zwar Ranke nachzuahmen,
-aber seine Darstellung klingt gar nicht +Ranke’sch+? Jeder sagt doch:
-es klingt +Goethisch+, es klingt +Rankisch+. Wenn man aber in der
-undeklinierten, prädikativen Form das Adjektiv richtig bildet, warum
-denn nicht in der attributiven, deklinierten? Es könnte wohl am Ende
-einer denken, der Dichter hieße +Goeth+ oder +Goethi+, wenn man von
-+Goethischen+ Gedichten spricht? Denkt vielleicht bei der +hansischen+
-Geschichte irgend jemand an einen +Hans+ oder +Hansi+? August Hermann
-Francke, der Stifter des +Hallischen+ Waisenhauses (noch bis ins
-achtzehnte Jahrhundert hinein sagte man sogar mit richtigem Umlaut
-+hällisch+),[53] würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüßte, daß
-seine Stiftung jetzt das +Halle’sche+ Waisenhaus genannt wird. Genau
-so lächerlich aber sind die +Laube’schen+ Dramen, die +Raabe’schen+
-Erzählungen, das +Fichte’sche+ System, die +Heyse’schen+ Novellen, die
-+Stolze’sche+ Stenographie, der +Grote’sche+ Verlag, die +Moltke’sche+
-Strategie und der +Lippe’sche+ Erbfolgestreit. Unbegreiflicherweise
-stammelt man jetzt sogar in Germanistenkreisen von der +Manesse’schen+
-Handschrift, die doch seit Menschengedenken die +Manessische+ geheißen
-hat.[54]
-
-Man spricht aber neuerdings auch von dem +Meiningen’schen+ Theater
-(statt vom +Meiningischen+), von +rügen’schen+ Bauernsöhnen (statt von
-+rügischen+), vom +schonen’schen+ Hering (statt vom +schonischen+) und
-von +hohenzollern’schem+ Hausbesitz (statt von +hohenzollerischem+).
-Dann wollen wir nur auch in Zukunft von +thüringen’schen+ Landgrafen
-reden, von der +franken’schen+ Schweiz, vom +sachsen’schen+ und vom
-+preußen’schen+ König! Nein, auch hier ist die Bildung unmittelbar aus
-dem Wortstamm das einzig richtige. Die Ortsnamen auf +en+ sind meist
-alte Dative im Plural. Wenn ein Adjektiv auf +isch+ davon gebildet
-werden soll, so muß die Endung +en+ erst weichen. Es kann also nur
-heißen: +hohenzollerisch+, +meiningisch+.
-
-Derselbe Unsinn wie in +meiningen’sch+ liegt übrigens auch in Bildungen
-wie +Emdener+, +Zweibrückener+, +Eislebener+, +St. Gallener+ vor; da
-ist die Endung +er+ an die Endung +en+ gefügt, statt an den Stamm. In
-den genannten Orten selbst, wo man wohl am besten Bescheid wissen wird,
-wie es heißen muß, kennt man nur +Emder+, +Zweibrücker+, +Eisleber+,
-(das +Eisleber+ Seminar), +St. Galler+, wie anderwärts +Bremer+,
-+Kempter+, +Gießer+ (meine +Gießer+ Studentenjahre), +Barmer+. Bei
-+Bingen+ ist das +Binger+ Loch, und in Emden wird einer sofort als
-Fremder erkannt, wenn er von der +Emdener+ Zeitung redet. Ein wahres
-Glück, daß der +Nordhäuser+ und der +Steinhäger+ schon ihre Namen
-haben! Heute würden sie sicherlich +Nordhausener+ und +Steinhagener+
-genannt werden: Geben Sie mir einen +Nordhausener+![55]
-
-All dieser Unsinn hat freilich eine tiefer sitzende Ursache, er
-hängt zusammen mit der traurigen Namenerstarrung, zu der wir erst im
-neunzehnten Jahrhundert gekommen sind, und die, wie so manche andre
-Erscheinung in unserm heutigen Sprachleben, eine Folge des alles
-beherrschenden juristischen Geistes unsrer Zeit ist. Im fünfzehnten,
-ja noch im sechzehnten Jahrhundert bedeutete ein Name etwas. Um 1480
-heißt derselbe Mann in Leipziger Urkunden bald +Graue Hänsel+, bald
-+Graue Henschel+, bald +Hänsichen Grau+, um 1500 derselbe Mann bald
-+Schönwetter+, bald +Hellwetter+, derselbe Mann bald +Sporzel+,
-bald +Sperle+ (Sperling), derselbe Mann bald +Sachtleben+, bald
-+Sanftleben+, derselbe Mann bald +Meusel+, bald +Meusichen+, Albrecht
-Dürer nennt 1521 in dem Tagebuch seiner niederländischen Reise seinen
-Schüler +Hans Baldung+, der den Spitznamen der +grüne+ (mundartlich
-der +griene+) +Hans+ führte, nur den +Grünhans+,[56] und selbst als
-sich längst bestimmte Familiennamen festgesetzt hatten, behandelte
-man sie doch immer noch wie alle andern Nomina, man scherte sich
-den Kuckuck um ihre Orthographie, man deklinierte sie, man bildete
-frischweg Feminina und Adjektiva davon wie von jedem Appellativum.
-Noch Ende des achtzehnten Jahrhunderts berichtete der Leipziger
-Rat an die Landesregierung, daß er Gottfried +Langen+, Hartmann
-+Wincklern+, Friedrich +Treitschken+, Tobias +Richtern+ und Jakob
-+Bertramen+ zu Ratsherren gewählt habe. Frau Karsch hieß bei den
-besten Schriftstellern die +Karschin+ (das heute von „gebildeten“
-Leuten wie +Berlin+ betont wird!), und so war es noch zu Anfange des
-neunzehnten Jahrhunderts. Heute ist ein Name vor allen Dingen eine
-unantastbare Reihe von Buchstaben. Wehe dem, der sich daran vergreift!
-Wehe dem, der es wagen wollte, den großen +Winckelmann+ jetzt etwa
-+Winkelmann+ zu schreiben, weil man auch den +Winkel+ nicht mehr mit
-ck schreibt, oder +Joachimsthal+ mit T, weil man auch das +Tal+ jetzt
-nicht mehr mit Th schreibt, oder gar +Goethe+ mit ö! Er wäre sofort
-von der Wissenschaft in Acht und Bann getan. Das alles haben wir dem
-grenzenlosen juristischen Genauigkeitsbedürfnis unsrer Zeit zu danken,
-das keinen gesunden Menschenverstand kennt und anerkennt, das alles
-äußerlich in Buchstaben „festlegen“ muß, und dessen höchster Stolz es
-ist, selbst eine Straße mit einem Vornamen, eine Stiftung mit einem
-Doktortitel und ein Denkmal mit einem Doktortitel und einem Vornamen
-zu schmücken: +Gustav Freytag-Straße+, ~Dr.~ +Wünsche-Stiftung+, ~Dr.~
-+Karl Heine-Denkmal+.
-
-
-Hallenser und Weimaraner
-
-Daß wir Deutschen bei unsrer großen Gelehrsamkeit und
-Gewissenhaftigkeit die Bewohner fremder Länder und Städte mit einer
-wahren Musterkarte von Namenbildungen versehen, ist zwar sehr komisch,
-aber doch immerhin erträglich. Sprechen wir also auch in Zukunft
-getrost von Amerika+nern+, Mexika+nern+, Neapolita+nern+, Parmes+anern+
-und Venezol+anern+, Byzant+inern+, Florent+inern+ und Tarent+inern+,
-Chine+sen+ und Japane+sen+, Piemont+esen+ und Alban+esen+, Genu+esern+,
-Bolog+nesern+ und Veron+esern+, Bethlehem+iten+ und Sybar+iten+
-(denen sich als neue Errungenschaft die Sansibar+iten+ angereiht
-haben), Samarit+ern+ und Moskowit+ern+, Asia+ten+ und Ravenna+ten+,
-Candi+oten+ und Hydri+oten+, Franzo+sen+, Portugi+esen+, Provenz+alen+,
-Savoy+arden+ usw. Daß wir aber an deutsche(!) Städtenamen noch
-immer lateinische Endungen hängen, ist doch ein Zopf, der endlich
-einmal abgeschnitten werden sollte. Die +Athenienser+ und die
-+Carthaginienser+ sind wir aus den Geschichtsbüchern glücklich
-los, aber die +Hallenser+, die +Jenenser+ und die +Badenser+, die
-+Hannoveraner+ und die +Weimaraner+ wollen nicht weichen, auch die
-+Anhaltiner+ spuken noch gelegentlich. Und doch ist nicht einzusehen,
-weshalb man nicht ebensogut soll +Jenaer+ sagen können wie +Gothaer+,
-+Geraer+ und +Altonaer+,[57] ebenso gut +Badner+ wie +Münchner+,
-+Posner+ und +Dresdner+, ebenso gut +Haller+ wie +Celler+, +Stader+
-und +Klever+, ebenso gut +Hannoverer+ und +Weimarer+ wie +Trierer+,
-+Speierer+ und +Colmarer+.
-
-Freilich erstreckt sich die häßliche Sprachmengerei in unsrer
-Wortbildung nicht bloß auf geographische Namen, sie ist überhaupt
-in unsrer Sprache weit verbreitet; man denke nur an Bildungen wie
-+buchstabieren+, +halbieren+, +hausieren+, +grundieren+, +schattieren+,
-+glasieren+ (im sechzehnten Jahrhundert sprach man noch von +geglästen+
-Ziegeln und Kacheln), +amtieren+, +Hornist+, +Lagerist+, +Probist+,
-+Kursist+, +Wagnerianer+, +Börsianer+, +Goethiana+, +Beethoveniana+,
-+Lieferant+, +Stellage+, +Futteral+, +Stiefeletten+, +Glasur+,
-+schauderös+, +blumistisch+, +superklug+, +hypergeistreich+,
-+antideutsch+ usw. Manches davon stammt aus sehr früher Zeit und
-wird wohl nie wieder zu beseitigen sein; vieles aber ließe sich doch
-vermeiden, und vor allem sollte es nicht vermehrt werden.
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-[Illustration]
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-Zur Satzlehre
-
-[Illustration]
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-[Illustration]
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-
-Unterdrückung des Subjekts
-
-Die meisten Fehler gegen die grammatische Richtigkeit und den guten
-Geschmack werden natürlich auf dem schwierigsten Gebiete der Sprache,
-auf dem des Satzbaues begangen. Hier sollen zunächst Subjekt und
-Prädikat und dann die Tempora und die Modi des Zeitworts in Haupt- und
-Nebensätzen besprochen werden.
-
-Nicht bloß in dem Geschäfts- und Briefstil der Kaufleute, sondern im
-Briefstil überhaupt halten es viele für ein besondres Zeichen von
-Höflichkeit, das Subjekt ich oder wir zu unterdrücken. Kaufleute
-schreiben in ihren Geschäftsanzeigen: Kisten und Tonnen +nehmen+ zum
-Selbstkostenpreise zurück, Zeitungen drucken über ihren Inseratenteil:
-Sämtliche Anzeigen +halten+ der Beachtung unsrer Leser empfohlen, und
-Ärzte machen bekannt: +Habe+ mich hier niedergelassen, oder: Meine
-Sprechstunden +halte+ von heute ab von acht bis zehn Uhr. Aber auch
-gebildete Frauen und Mädchen, denen man etwas Geschmack zutrauen
-sollte, schreiben: Vorige Woche +habe+ mit Papa einen Besuch bei R.s
-gemacht.
-
-Wenn man jemand seine Hochachtung unter anderm auch durch die Sprache
-bezeugen will, so ist das gar nicht so übel. Aber vernünftigerweise
-kann es doch nur dadurch geschehen, daß man die Sprache so sorgfältig
-und sauber behandelt wie irgend möglich, aber nicht durch äußerliche
-Mittelchen, wie große Anfangsbuchstaben (+Du+, +Dein+), gesuchte
-Wortstellung, bei der man den Angeredeten möglichst weit vor, sich
-selbst aber möglichst weit hinter stellt (so +bitte Ew. Wohlgeboren+
-infolge unsrer mündlichen Verabredung +ich+ ganz ergebenst), oder gar
-dadurch, daß man den grammatischen Selbstmord begeht, wie es Jean Paul
-genannt hat, +ich+ oder +wir+ wegzulassen. Derartige Scherze schleppen
-sich aus alten Briefstellern fort -- wer Gelegenheit hätte, in den
-Briefen des alten Goethe zu lesen, würde mit Erstaunen sehen, daß sich
-auch der nie anders ausgedrückt hat --, sie sollten aber doch endlich
-einmal überwunden werden.
-
-Noch schlimmer freilich als die Unterdrückung von +ich+ und +wir+ ist
-die Albernheit, wenn man den andern nicht recht verstanden hat, zu
-fragen: +Wie meinen?+ Hier mordet man grammatisch gar den Angeredeten!
-
-
-Die Ausstattung war eine glänzende
-
-Eine häßliche Gewohnheit, die in unserm Satzbau eingerissen ist, ist
-die, das Prädikat, wenn es durch ein Adjektiv gebildet wird, nicht,
-wie es doch im Deutschen das richtige und natürliche ist, in der
-unflektierten, prädikativen Form hinzuschreiben, z. B.: das Verfahren
-ist +sehr einfach+, sondern in der flektierten, attributiven Form, als
-ob sich der Leser dazu das Subjekt noch einmal ergänzen sollte: das
-Verfahren ist +ein sehr einfaches+ (nämlich Verfahren). Es ist das
-nicht bloß ein syntaktischer, sondern auch ein logischer Fehler, und
-daß man das gar nicht empfindet, ist das besonders traurige dabei.
-
-Ein Adjektiv im Prädikat zu flektieren hat nur in einem Falle Sinn,
-nämlich wenn das Subjekt durch die Aussage in eine bestimmte Klasse
-oder Sorte eingereiht werden soll. Wenn man sagt: die Kirsche, die
-du mir gegeben hast, war +eine saure+ -- das Regiment dort ist +ein
-preußisches+ -- diese Frage ist +eine+ rein +wirtschaftliche+ -- der
-Genuß davon ist mehr +ein sinnlicher+, +kein+ rein +geistiger+ -- der
-Begriff der Infektionslehre ist +ein moderner+ -- der Hauptzweck der
-Regierung war +ein fiskalischer+ -- das Amt des Areopagiten war +ein
-lebenslängliches+ -- das Exemplar, das ich bezogen habe, war +ein
-gebundnes+ -- das abgelaufne Jahr war für die Geschäftswelt +kein
-günstiges+ -- so teilt man die Kirschen, die Regimenter, die Fragen,
-die Genüsse usw. in verschiedne Klassen oder Sorten ein und weist
-das Subjekt nun einer dieser Sorten zu. Es wäre ganz unmöglich, zu
-sagen: diese Frage ist rein +ästhetisch+ oder: das Regiment dort ist
-+preußisch+. Die Kirsche ist +sauer+ -- das kann man wohl von einer
-unreifen Süßkirsche sagen, aber nicht, wenn man ausdrücken will, daß
-die Kirsche zu der Gattung der sauern Kirschen gehöre. Das unflektierte
-Adjektiv also urteilt, das flektierte sortiert. An ein Sortieren ist
-aber doch nicht zu denken, wenn jemand sagt: meine Arbeit ist +eine
-vergebliche+ gewesen. Es fällt dem Schreibenden nicht im Traume ein,
-die Arbeiten etwa in erfolgreiche und vergebliche einteilen und nun die
-Arbeit, von der er spricht, in die Klasse der vergeblichen einreihen
-zu wollen, sondern er will einfach ein Urteil über seine Arbeit
-aussprechen. Da genügt es doch, zu sagen: meine Arbeit ist +vergeblich+
-gewesen.
-
-In der Unterhaltung sagt denn auch kein Mensch: die Suppe ist
-+eine zu heiße+, aber +eine sehr gute+. Der lebendigen Sprache
-ist diese unnötige und häßliche Verbreiterung des Ausdrucks ganz
-fremd, sie gehört ausschließlich der Papiersprache an, stellt sich
-immer nur bei dem ein, der die Feder in die Hand nimmt, oder bei
-dem Gewohnheitsredner, der bereits Papierdeutsch spricht, oder dem
-gebildeten Philister, der sich am Biertisch in der Sprache seiner
-Leibzeitung unterhält. Die Papiersprache kennt gar keine andern
-Prädikate mehr. Man sehe sich um: in zehn Fällen neunmal dieses
-schleppende flektierte Adjektiv, im Aktendeutsch durchweg, aber auch
-in der wissenschaftlichen Darstellung, im Essay, im Leitartikel, im
-Feuilleton. Lächerlicherweise ist das Adjektiv dabei oft durch ein
-Adverb gesteigert, sodaß gar kein Zweifel darüber sein kann, daß ein
-Urteil ausgesprochen werden soll. Aber es wird nirgends mehr geurteilt,
-es wird überall nur noch sortiert: das Befinden der Königin ist +ein
-ausgezeichnetes+ -- die Ausstattung war +eine überaus vornehme+ --
-die Organisation ist +eine sehr straffe, fast militärische+ -- der
-Andrang war +ein ganz enormer+ -- der Beifall war +ein wohlverdienter+
--- diese Forderung ist eine +durchaus gerechtfertigte+ -- die Stellung
-des neuen Direktors war +eine außerordentlich schwierige+ -- in einigen
-Lieferungen ist die Bandbezeichnung +eine falsche+ -- der Erfolg mußte
-von vornherein +ein zweifelhafter+ sein -- diese Anschauung vom Leben
-der Sprache ist +eine durchaus verkehrte+ -- die Verfrachtung ist +eine
-außerordentlich zeitraubende+ und +kostspielige+ -- die Beurteilung
-des Gedichts war +eine verschiedne+, doch +günstige+ -- dieser
-Standpunkt ist +ein völlig undurchführbarer+ -- die kirchliche Lage
-der kleinen Gemeinden war eine +sehr gedrückte, wenig beneidenswerte+
--- die Aussicht auf die kommende Session ist +eine sehr trübe+ --
-dieses Gedicht ist +ein+ dem ganzen deutschen Volke +teures+ (!) --
-allen Verehrern Moltkes dürfte der Besitz dieses Kunstblattes ein
-+sehr willkommner+ (!) sein -- die Notwendigkeit einer Ausdehnung wird
-schwerlich so bald +eine fühlbare+ (!) sein usw. Ebenso dann auch in
-der Mehrzahl: die Meinungen der Menschen sind +sehr verschiedne+ -- die
-Pachtsummen waren schon an und für sich +hohe+ -- die mythologischen
-Kenntnisse der Schüler sind gewöhnlich +ziemlich dürftige+ -- ich
-glaube nicht, daß die dortigen Verhältnisse von den unsrigen +so
-grundverschiedne+ (!) seien. Ist das Prädikat verneint, so heißt es
-natürlich +kein+ statt +nicht+: die Schwierigkeiten waren +keine
-geringen+ -- die Kluft zwischen den einzelnen Ständen war +keine sehr
-tiefe+ -- die Rührung ist +keine erkünstelte+ -- die Grenze ist +keine+
-für alle Zeiten +bestimmte+ und +keine+ für alle Orte +gleiche+ -- bei
-Goethe und Schiller ist der Abstand von der Gegenwart +kein so starker+
-mehr. Eine musterhafte Buchkritik lautet heutzutage so: ist der Inhalt
-des Lexikons +ein sehr wertvoller+ und die Behandlung der einzelnen
-Punkte +eine vorzügliche+, so hält die Ausstattung gleichen Schritt
-damit, denn sie ist +eine sehr gediegne+.[58]
-
-Von dem einfachen mit der Kopula gebildeten Prädikat geht aber der
-Schwulst nun weiter zu den Verben, die mit doppeltem Akkusativ, einem
-Objekts- und einem Prädikatsakkusativ, verbunden werden. Auch da heißt
-es nur noch: diesen Kampf kann man nur +einen gehässigen+ nennen
-(statt: +gehässig+ nennen!) -- mehr oder minder sehen wir alle die
-Zukunft als +eine ernste+ an (statt: als +ernst+ an) -- ich möchte
-diesen Versuch nicht als +einen durchaus gelungnen+ bezeichnen -- ich
-bin weit davon entfernt, diese Untersuchung als +eine abschließende+
-hinzustellen -- das, was uns diese Tage +zu unvergeßlichen+ macht
-(statt: +unvergeßlich+ macht!) -- und passiv: der angerichtete Schade
-wird als +ein beträchtlicher+ bezeichnet -- abhängige Arbeit löst sich
-los und wird zu +einer unabhängigen+ (statt: wird +unabhängig+) -- bis
-die Bildung der Frauen +eine andre+ und +bessere+ wird (statt: +anders+
-und +besser+ wird) -- unsre Kenntnis der japanischen Industrie ist
-+eine+ viel +umfassendere+ und +gründlichere+ geworden -- durch diese
-Nadel ist das Fleischspicken +ein müheloseres+ (!) geworden usw.
-
-Besonders häßlich wird die ganze Erscheinung, wenn statt des Adjektivs
-oder neben dem Adjektiv ein aktives Partizip erscheint, z. B.: das
-ganze Verfahren ist +ein durchaus+ den Gesetzen +widersprechendes+.
-Hier liegt ein doppelter Schwulst vor: statt des einfachen
-~verbum finitum~ +widerspricht+ ist das Partizip gebraucht: +ist
-widersprechend+, und statt des unflektierten Partizips auch noch das
-flektierte: ist +ein widersprechendes+. Aber gerade auch solchen Sätzen
-begegnet man täglich: das Ergebnis ist +ein verstimmendes+ -- da die
-natürliche Beleuchtung doch immer +eine wechselnde+ ist -- der Anteil
-war +ein+ den vorhandnen männlichen Seelen +entsprechender+ -- die
-Mache ist +eine verschiedenartige+, der Mangel selbständiger Forschung
-aber +ein+ stets +wiederkehrender+ -- die Stellung des Richters ist
-+eine+ von Jahr zu Jahr +sinkende+ -- das schließt nicht aus, daß der
-Inhalt der Sitte +ein verwerflicher+, d. h. dem wahren Besten der
-Gesellschaft +nicht entsprechender+ sei (statt: +verwerflich+ sei,
-d. h. +nicht entspreche+) -- die Armierung ist +eine sehr schwache+
-und absolut +nicht+ ins Gewicht +fallende+ -- die Sprache des Buchs
-ist +eine klare, einfache+ und allgemein +verständliche+, vom Herzen
-+kommende+ und zum Herzen +gehende+ -- im ganzen ist das Werk freilich
-+kein+ den Gegenstand +erschöpfendes+ -- und auch hier passiv: der
-Zweck des Buchs ist ein +durchaus anzuerkennender+ (statt: +durchaus
-anzuerkennen+).
-
-Es ist kein Zweifel, daß diese breitspurig einherstelzenden Prädikate
-allgemein für eine besondre Schönheit gehalten werden. Wer aber einmal
-auf sie aufmerksam gemacht worden oder von selbst aufmerksam geworden
-ist, der müßte doch jeden Rest von Sprachgefühl verloren haben, wenn er
-sie nicht so schnell wie möglich abzuschütteln suchte.
-
-
-Eine Menge war oder waren?
-
-Wenn das Subjekt eines Satzes durch ein Wort wie +Zahl+, +Anzahl+,
-+Menge+, +Masse+, +Fülle+, +Haufe+, +Reihe+, +Teil+ und ähnliche
-gebildet wird, so wird sehr oft im Prädikat ein Fehler im Numerus
-gemacht. Zu solchen Wörtern kann nämlich entweder ein Genitiv treten,
-der als Genitiv nicht erkennbar und fühlbar ist, sondern wie ein
-frei angeschlossener Nominativ erscheint (eine +Menge Menschen+) und
-deshalb sogar ein Attribut im Nominativ zu sich nehmen kann (eine
-+Menge unbedeutende Menschen+[59]), oder ein auf irgendeine Weise
-erkennbar gemachter Genitiv (eine +Menge von Menschen+, eine +Menge
-unbedeutender Menschen+); die eine Verbindung ist so gebräuchlich wie
-die andre. Nun ist wohl klar, daß in dem ersten Falle das Prädikat
-in der Mehrzahl stehn muß; der scheinbare Nominativ +Menschen+ tritt
-da so in den Vordergrund, daß er geradezu zum Subjekt, daher für
-die Wahl des Numerus im Prädikat entscheidend wird. Ebenso klar ist
-aber doch, daß in dem zweiten Falle das Prädikat nur in der Einzahl
-stehn kann, denn der abhängige Genitiv +von Menschen+ bleibt im
-Hintergrunde, und entscheidend für den Numerus im Prädikat kann dann
-nur der Singular +Menge+ sein. Man kann zwar zu solchen Begriffen
--- nach dem Sinne -- das Prädikat auch in die Mehrzahl setzen, aber
-doch nur, wenn sie allein stehen; durch den abhängigen deutlichen
-Plural-Genitiv wird das zusammenfassende, einheitliche in dem
-Begriff +Menge+ so eindringlich fühlbar gemacht, daß es in hohem
-Grade stört, wenn man Sätze lesen muß wie: eine auserlesene +Zahl
-deutscher Kunstwerke+ sind gegenwärtig in Leipzig zu sehen -- eine
-große +Anzahl seiner Erzählungen beginnen+ mit dem jugendlichen Alter
-des Helden -- erfreulich ist es, daß eine große +Anzahl unsrer Ärzte+
-schon über zehn Jahre ihren Dienst versehen +haben+ -- die größere
-+Anzahl+ der Lieder und Bearbeitungen +sind+ nicht frei -- eine +Menge
-abweichender Beispiele dürfen+ nicht dazu verleiten, die Regel als
-ungiltig zu bezeichnen -- außer den Seen +müssen+ noch eine +Menge
-kleiner Kanäle+ benutzt werden -- dem Reichsdeutschen +treten+ in dem
-schweizerischen Schriftdeutsch eine ganze +Menge von Besonderheiten+
-entgegen -- von diesem schönen Unternehmen +liegen+ nun schon +eine
-Reihe+ von Heften vor -- eine +Reihe von Kunstbeilagen ermöglichen+ dem
-Kunsthistoriker weitergehendes Studium -- kaum ein halbes +Dutzend der
-vorzüglichsten Dramen finden+ nachhaltige Teilnahme -- der größte +Teil
-der Grundbesitzer waren+ gar nicht mehr Eigentümer -- ein ganz geringer
-+Bruchteil der Stellen sind+ auskömmlich bezahlt -- mindestens ein
-+Viertel seiner Lieder stehen+ in jedem Gesangbuche -- wer da weiß, wie
-schrecklich unbeholfen die +Mehrzahl unsrer Knaben sind+ -- dem Erfolge
-+stehen+ eine +Fülle von verschiednen Bedingungen+ entgegen usw. Alle,
-die so schreiben, verraten ein stumpfes Sprachgefühl und lassen sich
-von dem Krämer beschämen, der in der Zeitung richtig anzeigt: ein
-großer +Posten zurückgesetzter Unterröcke ist+ billig zu verkaufen.
-Besonders beleidigend wird der Fehler, wenn das Zeitwort im Plural
-unmittelbar vor dem singularischen Begriff der Menge steht.
-
-Umgekehrt sind manche geneigt, alle Angaben von Bruchteilen als
-Singulare zu behandeln und zu schreiben: bei Aluminium +wird zwei
-Drittel+ des Gewichts erspart -- es +wurde nur fünf Prozent+ der Masse
-gerettet. Hier ist der Singular natürlich ebenso anstößig wie in den
-vorher angeführten Beispielen der Plural.
-
-Dem Deutschen eigentümlich ist die Anrede +Sie+, eigentlich die
-dritte Person der Mehrzahl. Sie ist dadurch entstanden, daß man
-vor lauter Höflichkeit den Angeredeten nicht bloß, wie andre
-Sprachen, als Mehrzahl, sondern sogar als abwesend hinstellte. Man
-wagte gleichsam gar nicht, ihm unter die Augen zu treten und ihn
-anzublicken. Das pluralische Prädikat zu diesem +Sie+ wird aber nun
-sogar mit singularischen Subjekten verbunden, wie +Eure Majestät+,
-+Exzellenz+, +der Herr Hofrat+ (Goethe im Faust: +Herr Doktor wurden+
-da katechisiert). So unnatürlich das ist, es wird schwerlich wieder zu
-beseitigen sein. Die wunderlichste Folge dieser Spracherscheinung ist
-wohl ein Satz wie der: Verzeihen Sie, daß ich +Sie, der Sie+ ohnehin so
-beschäftigt +sind+, mit dieser Frage belästige.
-
-
-Noch ein falscher Plural im Prädikat
-
-Ein Prädikat, das sich auf zwei oder mehr Subjekte bezieht, muß
-selbstverständlich im Plural stehen, wenn die Subjekte zu einer Gruppe
-zusammengefaßt werden. Das geschieht aber immer, wenn sie durch das
-Bindewort +und+ verbunden sind. Dagegen werden die Subjekte niemals zu
-einer Gruppe vereinigt, wenn sie mit trennenden (disjunktiven) oder
-gegenüberstellenden Bindewörtern verbunden werden -- eigentlich ein
-Widerspruch, aber doch nur ein scheinbarer, denn die Verbindung ist
-etwas äußerliches, rein syntaktisches, die Gegenüberstellung ist etwas
-innerliches, logisches. Zu diesen Bindewörtern (zum Teil eigentlich
-mehr Adverbien) gehören: +oder+, +teils -- teils+, +weder -- noch+,
-+wie+, +sowie+, +sowohl -- wie+, +sowohl -- als auch+. Es ist eins
-der unverkennbarsten Zeichen der zunehmenden Unklarheit des Denkens,
-daß in solchen Fällen das Prädikat jetzt immer öfter in den Plural
-gesetzt wird. Verhältnismäßig selten liest man ja so unsinnige Sätze
-wie: wenn ein schwacher Vater +oder+ eine schwache Mutter der Schule
-ein Schnippchen +schlagen+ (+schlägt+!) -- es ist sehr fraglich, ob ein
-roher, trunksüchtiger Mann +oder+ eine böse, schlecht wirtschaftende
-Frau im Hause mehr Schaden +anrichten+ (+anrichtet+!) -- so war es
-+teils+ die Willkür des Geschmacks, +teils+ die Willkür des Zufalls,
-die zu entscheiden +hatten+ (+hatte+!) -- oder gar: sein Milieu, +wenn
-nicht+ etwas andres in ihm, +erhalten+ (+erhält+!) ihn unparteiisch
-und nüchtern. Aber schon etwas ganz alltägliches ist der Fehler bei
-+weder -- noch+: wenn +weder+ der Beklagte +noch+ er selbst +sich
-stellen+ -- während doch sonst +weder+ Tinte +noch+ Papier gespart
-+werden+ -- da +weder+ der Vater +noch+ die Mutter des Jungen mit uns
-das geringste zu tun +haben+ -- +weder+ die Gräfin +noch+ ihr Bruder
-+verfügen+ über ein größeres Vermögen -- +weder+ Boccaccio +noch+
-Lafontaine +haben+ solche Abweichungen geduldet -- +weder+ Preußen
-+noch+ das junge Reich +waren+ stark genug, das Zentrum zu überwinden.
-Am häufigsten wird der Fehler bei +wie+, +sowie+ und den verwandten
-Verbindungen begangen: die vornehme Salondame +wie+ die schlichte
-Hausfrau +stellen+ an Dienstboten oft unerhörte Anforderungen -- der
-Verfasser zeigt, wie sich von da an das Heer +wie+ das Reich immer mehr
-+barbarisierten+ -- da der Rationalismus den Grundzug dieser Religion
-bildet, so ist es klar, daß ihr der Gebildete +wie+ der Ungebildete in
-gleicher Weise +anhängen+ -- die Ausbildung der städtischen Verfassung
-+wie+ die Entwicklung der Fürstentümer +zwangen+ zur Vermehrung der
-Beamten -- der höchste Gerichtshof +sowie+ der Rechnungshof des Reichs
-+befinden+ sich nicht in der Reichshauptstadt -- Frankreich +sowohl
-wie+ Deutschland +entwickeln sich+ sozialistisch -- Custine +sowohl
-wie+ die französische Regierung +waren+ hinlänglich davon unterrichtet
--- +sowohl+ der romantische +als+ der realistische Meister +hatten+ der
-Entwicklung eine breite Bahn geöffnet -- +sowohl+ der Wortschatz +als
-auch+ die Formenlehre +haben+ im Verlaufe von hundert Jahren merkliche
-Veränderungen erfahren -- die freundlichen Worte, die +sowohl+ der
-Vizepräsident an mich +als auch+ der Herr Ministerpräsident an die
-Direktoren gerichtet +haben+. In allen diesen Sätzen kann gar kein
-Zweifel sein, daß nur von einem Singular etwas ausgesagt wird. Dieser
-Singular wird einem andern Singular gleichgestellt, von dem dieselbe
-Aussage gilt. Aber dadurch wird doch aus den beiden Singularen noch
-kein Plural. Wer das Prädikat in den Plural setzen will, muß eben die
-Subjekte durch +und+ verbinden, nicht durch +wie+.
-
-
-Das Passivum. Es wurde sich
-
-Beim Gebrauche der Zeitwörter kommen in Betracht die Genera (Aktivum
-und Passivum), die Tempora und die Modi. Im Gebrauche der Genera
-können kaum Fehler vorkommen. Zu warnen ist nur vor der unter Juristen
-und Zeitungschreibern weit verbreiteten Gewohnheit, alles passivisch
-auszudrücken, z. B.: namentlich muß +von dem+ obersten +Leiter+ der
-Politik dieser Zustand als eine Erschwerung seines Amtes +empfunden
-werden+ (statt: der oberste Leiter muß empfinden) -- das hat sehr dazu
-beigetragen, +daß von der Regierung+ nicht an den bisher befolgten
-sozialpolitischen Grundsätzen +festgehalten worden ist+ (statt: daß
-die Regierung nicht festgehalten hat) -- bei einem Pachtverhältnis
-sollte +von seiten (!) des+ Verpächters nicht bloß auf die Höhe der
-gebotnen Pachtsumme +gesehen werden+, sondern auch die Persönlichkeit
-des Bewerbers +berücksichtigt+ und auf dessen Befähigung Wert
-+gelegt werden+ (statt: der Verpächter sollte berücksichtigen). Das
-nächstliegende ist doch immer das Aktivum.
-
-Geschmacklos ist es, ein Passivum von einem reflexiven Zeitwort zu
-bilden: es brach ein Gewitter los, und +es wurde sich+ in ein Haus
-+geflüchtet+ -- mit dem Beschlusse des Rats +wurde sich+ einverstanden
-+erklärt+ -- über dieses Thema +ist sich+ in pädagogischen
-Zeitschriften wiederholt +geäußert worden+. Dergleichen Sätze kann man
-höchstens im Scherz bilden. In gutem Deutsch müssen sie mit Hilfe des
-Fürworts +man+ umschrieben werden.
-
-
-Ist gebeten oder wird gebeten?
-
-Zahlreiche Verstöße werden gegen den richtigen Gebrauch der Tempora
-begangen. Ganz undeutsch und nichts als eine gedankenlose Nachäfferei
-des Französischen, noch dazu eines falsch verstandnen Französisch,
-ist es, zu schreiben: die Mitglieder +sind gebeten+, pünktlich zu
-erscheinen. In dem Augenblicke, wo jemand eine derartige Aufforderung
-erhält, +ist+ er noch nicht gebeten, sondern er +wird+ es erst. Man
-kann wohl sagen: du +bist geladen+, d. h. betrachte dich hiermit als
-geladen. Aber die Mitteilung einer Bitte, einer Einladung usw. kann nur
-durch das Präsens, nicht durch das Perfektum ausgedrückt werden.
-
-
-Mißbrauch des Imperfekts
-
-Ganz widerwärtig und ein trauriges Zeichen der zunehmenden Abstumpfung
-unsers Sprachgefühls ist ein Mißbrauch des Imperfekts, der seit einiger
-Zeit mit großer Schnelligkeit um sich gegriffen hat.
-
-Das Imperfektum ist in gutem Deutsch das Tempus der Erzählung. Was
-heißt erzählen?
-
-Mariandel kommt weinend aus der Kinderstube und klagt: +Wolf hat+
-mich +geschlagen+! Die Mutter nimmt sie auf den Schoß, beruhigt sie
-und sagt: erzähle mir einmal, wies zugegangen ist. Und nun erzählt
-Mariandel: ich +saß+ ganz ruhig da und +spielte+, da +kam+ der böse
-Wolf und +zupfte+ mich am Haar usw. Mit dem Perfektum also hat sie die
-erste Meldung gemacht; auf die Aufforderung der Mutter, zu erzählen,
-springt sie sofort ins Imperfektum über. Da sehen wir deutlich den Sinn
-des Imperfekts. Erzählen heißt aufzählen, herzählen. Das Wesentliche
-einer Erzählung liegt in dem Eingehen in Einzelheiten. Weiterhin
-besteht aber zwischen Imperfekt und Perfekt auch ein Unterschied in
-der Zeitstufe: das Imperfekt berichtet früher geschehene Dinge (man
-kann sich meist ein +damals+ dazu denken), das Perfektum Ereignisse,
-die sich soeben zugetragen haben, wie der Schlag, den Mariandel
-bekommen hat. Wenn ich eine Menschenmasse auf der Straße laufen sehe
-und frage: was gibts denn? so wird mir geantwortet: der Blitz +hat
-eingeschlagen+, und am Markt +ist+ Feuer +ausgebrochen+; d. h. das ist
-soeben geschehen. Wenn ich dagegen nach einigen Wochen oder Jahren über
-den Vorgang berichte, kann ich nur sagen: der Blitz +schlug ein+, und
-am Markte +brach+ Feuer +aus+. Nur wenn ich etwas, was mir ein andrer
-erzählt hat, weiter erzähle, gebrauche ich das Perfektum; selbst dann,
-wenn mirs der andre im Imperfekt erzählt hat, weil ers selbst erlebt,
-selbst mit angesehen hatte, kann ich es nur im Perfekt weiter erzählen.
-Wollte ich auch im Imperfekt erzählen, so müßte ich auf die Frage
-gefaßt sein: bist du denn dabei gewesen?
-
-Also mit dem Imperfekt wird erzählt, und zwar selbsterlebtes; es
-ist daher das durchgehende Tempus aller Romane, aller Novellen,
-aller Geschichtswerke, denn sowohl der Geschichtschreiber wie der
-Romanschreiber berichtet so, als ob er dabeigewesen wäre und die Dinge
-selbst mit angesehen hätte. Das Perfektum ist dagegen das Tempus der
-bloßen Meldung, der tatsächlichen Mitteilung. Der Unterschied ist so
-handgreiflich, daß man meinen sollte, er könnte gar nicht verwischt
-werden.
-
-Nun sehe man einmal die kurzen Meldungen in unsern Zeitungen an, die
-das Neueste vom Tage bringen, unter den telegraphischen Depeschen,
-unter den Stadtnachrichten usw. -- ist es nicht widerwärtig, wie da
-das Imperfekt mißbraucht wird? Da heißt es: Prinz A. +erkrankte+
-schwer in Venedig; seine Gemahlin +reiste+ aus München dahin ab --
-Bahnhofsinspektor S. in R. +erhielt+ das Ritterkreuz zweiter Klasse
--- in Heidelberg +starb+ Professor X -- Minister Soundso +reichte+
-seine Entlassung +ein+ -- in Dingsda +wurde+ die Sparkasse +erbrochen+
--- ein merkwürdiges Buch +erschien+ in Turin. Wann denn? fragte man
-unwillkürlich, wenn man so etwas liest. Du willst mir doch eine
-Neuigkeit mitteilen und drückst dich aus, als ob du etwas erzähltest,
-was vor dreihundert Jahren geschehen wäre. Ein merkwürdiges Buch
-+erschien+ in Turin -- das klingt doch, als ob der Satz aus einer
-Kirchengeschichte Italiens genommen wäre.
-
-Etwas andres wird es schon, wenn eine Zeitbestimmung der Vergangenheit
-hinzutritt, und wäre es nur ein +gestern+; dann kann der Satz den
-Charakter einer bloßen tatsächlichen Mitteilung verlieren und den der
-Erzählung annehmen. Es ist ebenso richtig, zu schreiben: gestern starb
-hier nach längerer Krankheit Professor X, wie: +gestern+ ist hier nach
-längerer Krankheit Professor X +gestorben+. Im zweiten Falle melde ich
-einfach das Ereignis, im ersten Falle erzähle ich. Fehlt aber jede
-Zeitangabe, soll das Ereignis schlechthin gemeldet werden, so ist der
-Gebrauch des Imperfekts ein Mißbrauch.
-
-Der Fehler ist aber nicht auf Zeitungsnachrichten beschränkt geblieben;
-auch unsre Geschäftsleute schreiben schon in ihren Anzeigen und Briefen
-und halten das für eine besondre Feinheit: ich +verlegte+ mein Geschäft
-von der Petersstraße nach der Schillerstraße -- ich +eröffnete+ am
-Johannisplatz eine zweite Filiale u. ähnl. Ein Schuldirektor schreibt
-einem Schüler ins Zeugnis: M. +besuchte+ die hiesige Schule und +trat+
-heute aus. Eine Verlagsbuchhandlung schreibt in der Ankündigung
-eines Werkes, dessen Ausgabe bevorsteht: wir +scheuten+ kein Opfer,
-die Illustrationen so prächtig als möglich auszuführen; den Preis
-+stellten+ wir so niedrig, daß sich unser Unternehmen in den weitesten
-Kreisen Eingang verschaffen kann. Wann denn? fragt man unwillkürlich.
-Sind diese Sätze Bruchstücke aus einer Selbstbiographie von dir?
-erzählst du mir etwas aus der Geschichte deines Geschäfts? über ein
-Verlagsunternehmen, das du vor zwanzig Jahren in die Welt geschickt
-hast? Oder handelt sichs um ein Buch, das soeben fertig geworden ist?
-Wenn du das letzte meinst, so kann es doch nur heißen: wir +haben+ kein
-Opfer +gescheut+, den Preis +haben+ wir so niedrig +gestellt+ usw. Eine
-andre Buchhandlung schreibt auf die Titelblätter ihrer Verlagswerke:
-den Buchschmuck +zeichnete+ Fidus. +Zeichneetee+! Wann denn?
-
-Es kommt aber noch eine weitere Verwirrung hinzu. Das Perfekt hat
-auch die Aufgabe, die gegenwärtige Sachlage auszudrücken, die durch
-einen Vorgang oder eine Handlung geschaffen worden ist. Auch in
-dieser Bedeutung wird es jetzt unbegreiflicherweise durch das
-Tempus der Erzählung verdrängt. Da heißt es: die soziale Frage ist
-das schwierigste Erbteil, das Kaiser Wilhelm von seinen Vorfahren
-+erhielt+ (statt: +erhalten hat+, denn er hat es doch nun!) -- auch die
-vorliegende Arbeit führt nicht zum Ziel, trotz der großen Mühe, die
-der Verfasser auf sie +verwandte+ (statt: +verwendet hat+, denn die
-Arbeit liegt doch vor!) -- da die Ehe des Herzogs kinderlos +blieb+
-(statt: +geblieben ist+) -- folgt ihm sein Neffe in der Regierung --
-die letzten Wochen haben dazu beigetragen, daß das Vertrauen in immer
-weitere Kreise +drang+ (statt: +gedrungen ist+) -- wir beklagen tief,
-daß sich kein Ausweg finden +ließ+ (statt: +hat finden lassen+) --
-kein Wunder, daß aus den Wahlen solche Ergebnisse +hervorgingen+ usw.
-Der letzte Satz klingt, als wäre er aus irgendeiner geschichtlichen
-Darstellung genommen, als wäre etwa von Wahlen zum ersten deutschen
-Parlament die Rede. Es sollen aber die letzten Reichstagswahlen damit
-gemeint sein, die den gegenwärtigen Reichstag geschaffen haben! Da
-muß es doch heißen: kein Wunder, daß aus den Wahlen solche Ergebnisse
-+hervorgegangen sind+, denn diese Ergebnisse bilden doch die
-gegenwärtige Sachlage.
-
-Es kann wohl kaum ein Zweifel darüber sein, woher der Mißbrauch des
-Imperfekts stammt. In Norddeutschland ist er durch Nachäfferei des
-Englischen entstanden und mit dem lebhaftern Betriebe der englischen
-Sprache aufgekommen. Der Engländer sagt: ~I +saw+ him this morning~
-(ich +habe+ ihn diesen Morgen +gesehen+) -- ~I +expected+ you last
-Thursday~ (ich +habe+ Sie vorigen Donnerstag +erwartet+) -- ~Yours
-I +received+~ (ich +habe+ Ihr Schreiben +erhalten+) -- ~That is the
-finest ship I ever +saw+~ (das ist das schönste Schiff, das ich je
-+gesehen habe+) -- ~Sheridan’s Plays, now printed as he +wrote+
-them~ (wie er sie +geschrieben hat+). Wahrscheinlich weniger durch
-nachlässiges Übersetzen aus englischen Zeitungen als durch schlechten
-englischen Unterricht, bei dem nicht genug auf den Unterschied
-der Sprachen in dem Gebrauche der Tempora hingewiesen, sondern
-gedankenlos wörtlich übersetzt wird, ist der Mißbrauch ins Deutsche
-hereingeschleppt worden. In Leipzig kann man schon hören, wie ein Geck,
-der den Tag zuvor aus dem Bade zurückgekehrt ist, einem andern Gecken
-auf der Straße zuruft: +Jä, ich käm gestern zurück+, wie ein Geck in
-Gesellschaft sagt: ich +hatte+ schon den Vorzug (ich habe schon die
-Ehre gehabt). In Süddeutschland aber kommt dazu noch eine andre Quelle.
-Dem bayrisch-österreichischen Volksdialekt fehlt das Imperfektum (mit
-Ausnahme von +ich war+) gänzlich; er kennt weder ein +hatte+, noch
-ein +ging+, noch ein +sprach+, er braucht in der Erzählung immer das
-Perfekt (+bin ich gewesen+ -- +hab ich gesagt+). Daher hat diese Form
-in Süddeutschland und Österreich den Beigeschmack des Vulgären, und
-wenn nun der Halbgebildete Schriftdeutsch sprechen will, so gebraucht
-er überall, auch da, wo es gar nicht hinpaßt, das Imperfektum, weil
-er mit dem Perfekt in den Dialekt zu fallen fürchtet. In großen
-Dresdner Pensionaten, wo englische, norddeutsche und österreichische
-Kinder zusammen sind, soll man den Einfluß beider Quellen gleichzeitig
-beobachten können.
-
-Ein wunderliches Gegenstück zu dem Mißbrauch des Imperfekts verbreitet
-sich in neuern Geschichtsdarstellungen, nämlich die Schrulle, im
-Perfektum zu -- erzählen! Nicht bloß vereinzelte Sätze werden so
-geschrieben, wie: der Enkel +hat+ ihm eine freundliche und liebevolle
-Erinnerung +bewahrt+ (statt: +bewahrte+ ihm), sondern halbe und ganze
-Seiten lang wird das Imperfekt aufgegeben und durch das Perfektum
-ersetzt. Geschmackvoll kann man auch das nicht nennen.
-
-
-Worden
-
-Ebenso schlimm wie die beiden eben bezeichneten ist aber nun noch
-eine dritte Verwirrung, die neuerdings aufgekommen ist und in kurzer
-Zeit reißende Fortschritte gemacht hat: die Verwirrung, die sich in
-dem Weglassen des Partizips +worden+ im passiven Perfektum zeigt. Es
-handelt sich auch hier um eine Vermengung zweier grundverschiedner
-Zeitformen, der beiden, die man in der Grammatik als Perfektum und als
-~Perfectum praesens~ bezeichnet.
-
-Nicht nur in gutem Schriftdeutsch, sondern auch in der gebildeten
-Umgangssprache ist noch bis vor kurzem aufs strengste unterschieden
-worden zwischen zwei Sätzen wie folgenden: auf dem Königsplatze +sind+
-junge Linden +angepflanzt worden+, und: auf dem Königsplatze +sind+
-junge Linden +angepflanzt+. Der erste Satz meldet den Vorgang oder
-die Handlung des Anpflanzens -- das ist das eigentliche und wirkliche
-Perfektum; der zweite beschreibt den durch die Handlung des Anpflanzens
-geschaffnen gegenwärtigen Zustand -- das ist das, was die Grammatik
-~Perfectum praesens~ nennt. Der Altarraum +ist+ mit fünf Gemälden
-+geschmückt worden+ -- das ist eine Mitteilung; der Altarraum +ist+ mit
-fünf Gemälden +geschmückt+ -- das ist eine Beschreibung. Wenn mir ein
-Freund Lust machen will, mit ihm vierhändig zu spielen, so sagt er:
-komm, das Klavier +ist gestimmt+! Dann kann ich ihn wohl fragen: so?
-wann +ist+ es denn +gestimmt worden+? aber nicht: wann +ist+ es denn
-+gestimmt+? denn ich frage nach dem Vorgange. Wenn ein Maler sagt: mir
-+sind+ für das Bild 6000 Mark +geboten+, so heißt das: ich kann das
-Geld jeden Augenblick bekommen, der Bieter ist an sein Gebot gebunden.
-Sagt er aber: mir +sind+ 6000 Mark +geboten worden+, so kann der Bieter
-sein Gebot längst wieder zurückgezogen haben.
-
-Handelte sichs um einen besonders feinen Unterschied, der schwer
-nachzufühlen und deshalb leicht zu verwischen wäre, so wäre es ja nicht
-zu verwundern, wenn er mit der Zeit verschwände. Aber der Unterschied
-ist so grob und so sinnfällig, daß ihn der Einfältigste begreifen muß.
-Und doch dringt der Unsinn, eine Handlung, einen Vorgang, ein Ereignis
-als Zustand, als Sachlage hinzustellen, in immer weitere Kreise und
-gilt jetzt offenbar für fein. Selbst ältere Leute, denen es früher
-nicht eingefallen wäre, so zu reden, glauben die Mode mitmachen zu
-müssen und lassen das +worden+ jetzt weg. Täglich kann man Mitteilungen
-lesen wie: ~Dr.~ Sch. +ist+ zum außerordentlichen Professor an der
-Universität Leipzig +ernannt+ -- dem Freiherrn von S. +ist+ auf sein
-Gesuch der Abschied +bewilligt+ -- in H. +ist+ eine Eisenbahnstation
-feierlich +eröffnet+ -- oder Sätze wie: über den Begriff der Philologie
-+ist+ viel +herumgestritten+ -- die märkischen Stände +sind+ um ihre
-Zustimmung offenbar nicht +befragt+ -- so ist die Reformation in
-Preußen als Volkssache +vollzogen+ -- er behauptete, daß er in dieser
-Anstalt wohl +gedrillt+, aber nicht +erzogen sei+ -- die Methode,
-in der Niebuhr so erfolgreich die römische Geschichte behandelte,
-+ist+ von Ranke auf andre Gebiete +ausgedehnt+ -- man rühmt sich bei
-den Nationalliberalen, daß über 12000 Stimmen von ihnen +abgegeben
-seien+ -- es kann nicht geleugnet werden, daß an Verhetzung +geleistet
-ist+, was möglich war -- es ist zu bedauern, daß so viel Fleiß nicht
-auf eine lohnendere Aufgabe +verwendet ist+ -- wie hätte die schöne
-Sammlung zustande kommen können, wenn nicht mit reichen Mitteln dafür
-+eingetreten wäre+?
-
-Doppelt unbegreiflich wird der Unsinn, wenn durch Hinzufügung einer
-Zeitangabe noch besonders fühlbar gemacht wird, daß eben der Vorgang
-(manchmal sogar ein wiederholter Vorgang) ausgedrückt werden soll,
-nicht die durch den Vorgang entstandne Sachlage. Aber gerade auch
-diesem Unsinn begegnet man täglich in Zeitungen und neuen Büchern.
-Da heißt es: das Verbot der und der Zeitung +ist heute+ wieder
-+aufgehoben+ (+worden+! möchte man immer dem Zeitungschreiber zurufen)
--- der österreichische Reichsrat +ist gestern eröffnet+ (+worden+!)
--- der Anfang zu dieser Umgestaltung +ist+ schon +vor längerer Zeit
-gemacht+ (+worden+!) -- diese Frage +ist schon einmal aufgeworfen+ und
-+damals+ in verneinendem Sinne +beantwortet+ (+worden+!) -- +vorige
-Woche ist+ ein Flügel angekommen und unter großen Feierlichkeiten im
-Kursaal +aufgestellt+ (+worden+!) -- +in späterer Zeit sind+ an dieser
-Tracht die mannigfachsten Veränderungen +vorgenommen+ (+worden+!) --
-+in gotischer Zeit ist+ das Schiff der Kirche äußerlich verlängert und
-dreiseitig +geschlossen+ (+worden+!) -- an der Stelle, wo Tells Haus
-gestanden haben soll, +ist+ 1522 eine mit seinen Taten bemalte Kapelle
-+errichtet+ (+worden+!) -- +am Tage darauf+, am 25. Januar, +sind+
-noch drei Statuen +ausgegraben+ (+worden+!) -- jedenfalls +ist+ der
-Scherz in Karlsbad +bei irgendeiner Gelegenheit aufs Tapet gebracht+
-(+worden+!) -- in B. +ist dieser Tage+ ein Kunsthändler wegen Betrugs
-zu sechs Monaten Gefängnis +verurteilt+ (+worden+!) -- diese Dinge
-sind offenkundig, denn sie +sind hundertmal besprochen+ (+worden+!)
--- die Wandlungen der Mode +sind+ zu allen Zeiten von Sittenpredigern
-+bekämpft+ (+worden+!) -- bis 1880 +ist+ von dieser Befugnis nicht +ein
-einzigesmal+ Gebrauch +gemacht+ (+worden+!).
-
-Wo der Unsinn hergekommen ist? Er stammt aus dem Niederdeutschen
-und hat seine schnelle Verbreitung unzweifelhaft auf dem Wege über
-Berlin gefunden. Die Unterscheidung der beiden Perfekta in unsrer
-Sprache ist nämlich verhältnismäßig jung, sie ist erst im fünfzehnten
-Jahrhundert zustande gekommen, und zwar ganz allmählich. Erst um
-die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts fing man an, zu sagen:
-daß ein Knecht +geschlagen ist worden+ (anfangs immer in dieser
-Wortstellung). Aber schon im sechzehnten Jahrhundert war die willkommne
-Unterscheidung durchgedrungen und unentbehrlich geworden. Nur die
-niederdeutsche Vulgärsprache lehnte sie ab und beharrt -- noch heute,
-nach vierhundert Jahren -- dabei. Welche Lächerlichkeit nun, diesen
-unvollkommnen Sprachrest, der heute doch lediglich auf der Stufe eines
-Provinzialismus steht, aller Vernunft und aller Logik zum Trotz der
-gebildeten Schriftsprache wieder aufnötigen zu wollen! Der Unterricht
-sollte sich mit aller Macht gegen diesen Rückschritt sträuben.
-
-
-Wurde geboren, war geboren, ist geboren
-
-Eine biographische Darstellung ist natürlich auch eine Erzählung, kann
-sich also in keinem andern Tempus bewegen als im Imperfekt. Aber der
-erste Satz, die Geburtsangabe, wie stehts damit? Soll man schreiben:
-Lessing +war geboren+, Lessing +wurde geboren+ oder Lessing +ist
-geboren+? Alle drei Ausdrucksweisen kommen vor. Aber merkwürdigerweise
-am häufigsten die falsche! Er +ist geboren+ -- das kann man doch
-vernünftigerweise nur von dem sagen, der noch lebt. Den Lebenden fragt
-man: wann +bist+ du denn +geboren+? Und dann antwortet er: +ich bin+ am
-23. Mai 1844 +geboren+. Von einem, der nicht mehr lebt, kann man wohl
-am Schlusse seiner Lebensbeschreibung sagen: +gestorben ist+ er am 31.
-Oktober 1880. Damit fällt man zwar aus der Form der Erzählung heraus
-in die der bloßen tatsächlichen Mitteilung; aber die ist dort ganz am
-Platze, denn sie drückt die gegenwärtige Sachlage aus. Am Anfang einer
-Lebensbeschreibung aber kann es vernünftigerweise nur heißen: er +war+
-oder er +wurde geboren+; mit +wurde+ versetze ich mich -- was das
-natürlichste ist -- an den Anfang des Lebenslaufs meines Helden, mit
-+war+ versetze ich mich mitten hinein. In wieviel hundert und tausend
-Fällen aber wird in Zeitungsaufsätzen, im Konversationslexikon, in
-Kunst- und Literaturgeschichten usw. die Gedankenlosigkeit begangen,
-daß man von Verstorbnen zu erzählen anfängt, als ob sie lebten! Den
-Fehler damit verteidigen zu wollen, daß man sagte: ein großer Mann lebe
-eben nach seinem Tode fort, wäre eine arge Sophisterei. Das Fortleben
-ist doch immer nur bildlich gemeint, in der Biographie aber handelt
-sichs um das wirkliche Leben.
-
-
-Erzählung und Inhaltsangabe
-
-Wer eine Geschichte erzählt, bedient sich des Imperfekts; alle
-Ereignisse; die vor der Geschichte liegen, die erzählt wird, also zu
-der sogenannten Vorfabel gehören, müssen im Plusquamperfekt mitgeteilt
-werden. Imperfekt und Plusquamperfekt sind die beiden einzigen Tempora,
-die in den erzählenden Abschnitten einer Novelle oder eines Romans
-vorkommen können. Die Vorfabel braucht nicht am Anfang der Novelle zu
-stehen, sie kann mitten in der Novelle nachgetragen, ja selbst auf
-mehrere Stellen der Novelle verteilt werden. Immer aber muß das sofort
-durch den Tempuswechsel kenntlich gemacht werden. Zieht sich nun die
-Vorfabel in die Länge, so wird der Leser bald des Plusquamperfekts
-überdrüssig, und der Erzähler muß dann auch für die Vorfabel in das
-Imperfekt einzulenken suchen. Das geschickt und fein und an der
-richtigen Stelle zu machen ist eine Aufgabe, an der viele Erzähler
-scheitern.
-
-Noch schwieriger freilich scheint eine andre Aufgabe zu sein: wenn
-Rezensenten den Inhalt eines Romans, eines erzählenden Gedichts,
-eines Dramas angeben, so zeigen sie nicht selten eine klägliche
-Hilflosigkeit in der Anwendung der Tempora. Man kann Inhaltsangaben
-lesen, deren Darstellung zwischen Präsens und Imperfekt, Perfekt und
-Plusquamperfekt nur immer so hin und her taumelt. Und doch ist auch
-diese Aufgabe eigentlich nicht schwieriger als die andre. Ein Buch, das
-besprochen wird, liegt vor. Da hat kein andres Tempus etwas zu suchen
-als das Präsens und das Perfektum, das Präsens für die Geschichte
-selbst, das Perfektum für die Vorgeschichte. Wer den Inhalt wissen
-will, fragt nicht: wie +war+ denn die Geschichte? sondern: wie +ist+
-denn die Geschichte? Und anders kann auch der nicht antworten, der
-den Inhalt des Buches angibt; er kann nur sagen: die Geschichte +ist
-so+, und nun fängt er im Präsens an: Auf einem Gut in der Nähe von
-Danzig +lebt+ ein alter Rittmeister; er +hat+ früher eine zahlreiche
-Familie +gehabt+, +steht+ aber jetzt allein da usw. Auch wer in der
-Unterhaltung den Inhalt eines Schauspiels angibt, das er am Abend zuvor
-im Theater gesehen hat, bedient sich keines andern Tempus und kann sich
-keines andern bedienen. Nur manche Zeitungschreiber scheinen das nicht
-begreifen zu können.[60]
-
-Nicht ganz leicht dagegen ist es wieder, in der Erzählung das
-sogenannte ~Praesens historicum~, das Präsens der lebhaften,
-anschaulichen Schilderung richtig anzuwenden. Genau an der richtigen
-Stelle in dieses Präsens einzufallen, genau an der richtigen Stelle
-sich wieder ins Imperfekt zurückzuziehen, das glückt nur wenigen. Die
-meisten fangen es recht täppisch an.
-
-
-Tempusverirrung beim Infinitiv
-
-Wenn jemand anstatt: da +muß+ ich mich +geirrt haben+ -- sagen
-wollte: da +mußte+ ich mich +irren+ oder: +da habe+ ich mich +irren
-müssen+, so würde man ihn wohl sehr verdutzt ansehen, denn eine
-solche Tempusverschiebung aus dem Infinitiv in das regierende Verbum
-ließe auf eine nicht ganz normale Geistesverfassung schließen. Der
-Fehler wird aber gar nicht selten gemacht, nur daß er nicht immer so
-verblüffend hervortritt, z. B.: ich glaube bewiesen zu haben, daß die
-Verfügung des Oberpräsidenten an dem Anschwellen der Bewegung nicht
-schuld +sein konnte+ (anstatt: nicht schuld +gewesen sein kann+).
-Nicht besser, eher noch schlimmer ist es, die Vergangenheit doppelt zu
-setzen, z. B.: später +mochten+ wohl die Arbeiten für den Kurfürsten
-dem Künstler nicht mehr die Muße +gelassen haben+. Wenn ein Vorgang aus
-der Vergangenheit nicht als wirklich, sondern mit Hilfe von +scheinen+,
-+mögen+, +können+, +müssen+ nur als möglich oder wahrscheinlich
-hingestellt werden soll, so gehört die Vergangenheit natürlich nicht in
-die Form der Aussage, denn die Aussage geschieht ja in der Gegenwart,
-sondern sie gehört in den Infinitiv. Es muß also heißen: +mögen nicht
-gelassen haben+.
-
-Manche möchten es ja nun gern richtig machen, sind sich aber über die
-richtige Form des Infinitivs nicht klar. Wenn z. B. jemand schreibt:
-Ludwig +scheint+ sich durch seine Vorliebe für die Musik etwas von
-den Wissenschaften +entfernt zu haben+ -- und sich einbildet, damit
-den Satz: Ludwig +hatte+ sich von den Wissenschaften +entfernt+ -- in
-das Gebiet der Wahrscheinlichkeit gerückt zu haben, so irrt er sich.
-Die Tempora des Indikativs und des Infinitivs entsprechen einander in
-folgender Weise:
-
- L. +entfernt+ sich -- scheint sich zu +entfernen+.
-
- L. +entfernte+ sich -- scheint sich +entfernt zu haben+ (nämlich
- damals).
-
- L. +hat+ sich +entfernt+ -- scheint sich +entfernt zu haben+ (nämlich
- jetzt).
-
- L. +hatte+ sich +entfernt+ -- scheint sich +entfernt gehabt zu haben+.
-
- L. +wird+ sich +entfernen+ -- scheint sich +entfernen zu wollen+.
-
-
-Relativsätze. Welcher, welche, welches
-
-Unter den Nebensätzen ist keine Art, in der so viel und so
-mannigfaltige Fehler gemacht würden wie in den Relativsätzen. Freilich
-sind sie auch die am häufigsten verwendete Art.
-
-Ein Hauptübel unsrer ganzen Relativsatzbildung liegt zunächst nicht im
-Satzbau, sondern in der Verwendung des langweiligen Relativpronomens
-+welcher+, +welche+, +welches+. Das Relativpronomen +welcher+ gehört,
-wie so vieles andre, fast ausschließlich der Papiersprache an, und
-da sein Umfang und seine Schwere in gar keinem Verhältnis zu seiner
-Aufgabe und Leistung stehen, so trägt es ganz besonders zu der
-breiten, schleppenden Ausdrucksweise unsrer Schriftsprache bei. In der
-ältern Sprache war +welcher+ (~swelher~) durchaus nicht allgemeines
-Relativpronomen, sondern nur indefinites Relativ, es bedeutete: +wer
-nur irgend+ (~quisquis~), +jeder, der+, noch bei Luther: +welchen+ der
-Herr lieb hat, den züchtiget er. Erst seit dem fünfzehnten Jahrhundert
-ist es allmählich zum gemeinen Relativum herabgesunken. Aber nur in
-der Schreibsprache, die sich so gern breit und wichtig ausdrückt,
-zuerst in Übersetzungen aus dem Lateinischen; der lebendigen Sprache
-ist es immer fremd geblieben und ist es bis auf den heutigen Tag
-fremd. Niemand spricht +welcher+, es wird immer nur geschrieben! Man
-beobachte sich selbst, man beobachte andre, stundenlang, tagelang,
-man wird das vollständig bestätigt finden. Es ist ganz undenkbar, daß
-sich in freier, lebendiger Rede, wie sie der Augenblick schafft, das
-Relativum +welcher+ einstellte; jedermann sagt immer und überall:
-+der+, +die+, +das+. Es ist undenkbar, daß jemand bei Tische sagte:
-die Sorte, +welche+ wir vorhin getrunken haben, oder: wir gehen wieder
-in die Sommerfrische, +in welcher+ wir voriges Jahr gewesen sind.[61]
-In stenographischen Berichten über öffentliche Versammlungen und
-Verhandlungen findet man allerdings oft Relativsätze mit +welcher+,
-aber darauf ist nicht viel zu geben, diese Berichte werden redigiert,
-und wer weiß, wie viele +der+ dabei erst nachträglich in +welcher+
-verwandelt werden, weil mans nun einmal so für schriftgemäß hält! Und
-dann: Leute, die viel öffentlich reden, sprechen nicht, wie andre
-Menschen sprechen, sie sprechen auch, wenn sie am Rednerpulte stehen,
-anders als in der Unterhaltung, sie sprechen nicht bloß für die
-Zeitung, sie sprechen geradezu Zeitung; alte Gewohnheitsredner, die Tag
-für Tag denselben Schalenkorb ausschütten und es gar nicht mehr für der
-Mühe wert halten, sich auf eine „Ansprache“ vorzubereiten, suchen auch
-mit ihrem +welcher+ Zeit zu gewinnen, wie andre mit ihrem äh -- äh.
-Wenn aber ein junger Pfarrer auf der Kanzel Relativsätze mit +welcher+
-anfängt, so kann man sicher sein, daß er die Predigt aufgeschrieben und
-wörtlich auswendig gelernt hat; wenn ein Festredner aller Augenblicke
-+welcher+ sagt, so kann man sicher sein, daß das Manuskript seiner
-Festrede schon in der Redaktion des Tageblatts ist. Wer den Ausdruck
-im Augenblicke schafft, sagt +der+, nicht +welcher+. Darum ist auch
-+welcher+ in der Dichtersprache ganz unmöglich. In Stellen, wie
-bei Goethe (in den Venezianischen Epigrammen): +welche+ verstohlen
-freundlich mir streifet den Arm -- oder bei Schiller (in Shakespeares
-Schatten): das große gigantische Schicksal, +welches+ den Menschen
-erhebt, wenn es den Menschen zermalmt -- oder bei Hölty: wunderseliger
-Mann, +welcher+ der Stadt entfloh -- oder bei Schikaneder: bei Männern,
-+welche+ Liebe fühlen -- oder bei Tiedge (in der Urania): mir auch
-war ein Leben aufgegangen, +welches+ reichbekränzte Tage bot -- oder
-bei Uhland: ihr habt gehört die Kunde vom Fräulein, +welches+ tief
-usw., ist es nichts als ein langweiliges Versfüllsel, eine Strohblume
-in einem Rosenstrauß. Darum wird es +ja+ auch mit Vorliebe in der
-Biedermeierpoesie verwendet und wirkt dort so unnachahmlich komisch:
-zu beneiden sind die Knaben, +welche+ einen Onkel haben, oder: wie
-z. B. hier von diesen, +welche+ Max und Moritz hießen. Aber auch in
-der dichterischen Prosa, was gäbe man da manchmal drum, wenn man das
-+welcher+ hinauswerfen könnte, wie bei Gottfried Keller in Romeo und
-Julia auf dem Dorfe: sie horchten ein Weilchen auf diese eingebildeten
-oder wirklichen Töne, +welche+ von der großen Stille herrührten, oder
-+welche+ sie mit den magischen Wirkungen des Mondlichtes verwechselten,
-+welches+ nah und fern über die grauen Herbstnebel wallte, +welche+
-tief auf den Gründen lagen!
-
-Leider lernt man in der Schule als Relativpronomen kaum etwas andres
-kennen als +welcher+. Man schlage eine Grammatik auf, +welche+ (hier
-ist es am Platze! denn hier heißt es: +welche auch immer+) man will,
-eine lateinische, eine griechische, eine französische, eine englische:
-wie ist das Relativpronomen ins Deutsche übersetzt? +Welcher+,
-+welche+, +welches!+ Allenfalls steht +der+, +die+, +das+ in Klammern
-dahinter, als ob das gelegentlich einmal als Ersatz dafür geduldet
-werden könnte! Und sieht man in die Beispielsätze, die zur Übung in die
-fremde Sprache übersetzt werden sollen, wie fangen die Relativsätze an?
-Mit +welcher+, +welche+, +welches+. Nur ja nicht mit +der+! der Schüler
-könnte ja einmal irre werden! Daß die lebendige Sprache eine einzige
-große Widerlegung dieses Unsinns ist, sieht gar niemand. Kein Wunder,
-daß den meisten später das langweilige Wort in die Feder läuft, sowie
-sie die Feder in die Hand nehmen. Gerade umgekehrt müßte es sein. In
-allen Grammatiken müßte +der+, +die+, +das+ als Relativpronomen stehn,
-dahinter in Klammern +welcher+, +welche+, +welches+, denn das ist
-doch das traurige Surrogat. Man benutze in Gottes Namen +welcher+ im
-Unterricht ein paar Wochen lang als Verständniskrücke; aber sobald der
-Junge den Begriff des Relativs gefaßt hat, müßte die Krücke unbedingt
-weggeworfen und er wieder auf seine eignen Beine gestellt werden. Wer
-einmal auf dieses Verhältnis zwischen +der+ und +welcher+ aufmerksam
-geworden oder aufmerksam gemacht worden ist, den verfolgt +welcher+
-förmlich beim Lesen, er sieht es immer gleichsam gesperrt oder fett
-gedruckt, und in wenigen Tagen ist es ihm ganz unerträglich geworden:
-wenn ers schreiben wollte, käme er sich entweder ganz schulknabenhaft
-vor, oder er sähe sich sitzen wie einen alten, verschleimten Aktuarius
-mit Vatermördern, Hornbrille und Gänsekiel. Bisweilen will ihm wohl
-noch einmal ein +wel+-- aus der Feder laufen! aber weiter kommt er
-nicht, dann streicht ers ohne Gnade durch und setzt +der+ darüber.[62]
-
-Aber gibt es denn nicht Fälle, wo man +welcher+ gar nicht umgehen
-kann, wo man es ganz notwendig braucht, um einen häßlichen Gleichklang
-zu vermeiden? Wenn nun unmittelbar auf +der+ (~qui~ oder ~cui~) der
-Artikel +der+ folgt, unmittelbar auf +die+ (~quae~ oder ~quam~ oder
-~quos~ oder ~quas~) der Artikel +die+? Nikolaus, +der der+ Vater des
-Andreas gewesen war -- eine Verwandlung, bei +der der+ große Vorhang
-nicht fällt -- die Prozessionsstraße, auf +der der+ Papst zum Lateran
-zog -- auf der Wiese, durch +die die+ Straße führt -- die Bildwerke,
-+die die+ hehre Göttin verherrlichen -- das Tau, +das das+ Fahrzeug
-am Ufer hielt -- das sind doch ganz unerträgliche Sätze, nicht wahr?
-Mancher Schulmeister behauptets. Es gehört das in das berühmte Kapitel
-von den angeblich unschönen Wiederholungen, vor denen der Unterricht
-zu warnen pflegt. Die Warnung ist aber ganz überflüssig, sie stammt
-nur aus der Anschauung des Papiermenschen, der die Sprache bloß noch
-schwarz auf weiß, aber nicht mehr mit den Ohren aufzufassen vermag. Der
-Papiermensch sieht das doppelte +der der+ oder +die die+, und das flößt
-ihm Entsetzen ein. Aber lies doch einmal solche Sätze laut, lieber
-Leser, hörst du nichts? Ich denke, es wird dir aufdämmern, daß es zwei
-ganz verschiedne Wörter sind, die hier nebeneinander stehen: ein lang
-und schwer gesprochnes +der+ (das Relativpronomen) und ein kurz und
-leicht gesprochnes +der+ (der Artikel). Was man hört, ist: +deer dr+.
-Jedermann spricht so, und keinem Menschen fällt es ein, daran Anstoß
-zu nehmen; warum soll man nicht so schreiben? Aberglaube, dummer
-Aberglaube! Und fürchtet sich denn jemand vor +daß das+? Jeder schreibt
-unbedenklich: wir wissen, +daß das+ höchste Gut die Gesundheit ist. Ach
-so, das sind wohl zwei verschiedne Wörter? das eine mit ß, das andre
-mit s? Nein, es sind keine verschiednen Wörter. Sie klingen gleich,
-und sie sind gleich; das Fügewort +daß+ ist ja nur in der Schrift ganz
-willkürlich von dem hinweisenden Fürwort +das+ unterschieden worden.[63]
-
-
-Das und was
-
-Ein häßlicher Fehler ist es, statt des relativen +das+ zu schreiben
-+was+, wenn sich das Relativ auf einen bestimmten einzelnen Gegenstand
-bezieht, z. B. +das Haus, was+ -- +das Buch, was+ -- +das Ziel,
-was+. Nur die niedrige Umgangssprache drückt sich so aus; in der
-guten Schriftsprache wie in der feinern Umgangssprache ist +was+
-als Relativ auf ganz bestimmte Fälle beschränkt: es wird nur hinter
-substantivierten Fürwörtern, Zahlwörtern und Eigenschaftswörtern
-gebraucht, z. B. +das, was+ -- +dasselbe, was+ -- +etwas, was+ --
-+alles, was+ -- +vieles, was+ -- +das wenige, was+ -- +das einzige,
-was+ -- +das erste, was+ -- +das letzte, was+ -- +das meiste, was+ --
-+das Gute, was+ -- +das Beste, was+. Doch ist auch hier, namentlich bei
-den substantivierten Adjektiven, wohl zu unterscheiden zwischen solchen
-Fällen, wo es sich um ein Allgemeines handelt, und solchen, wo etwas
-Besondres, Bestimmtes, Einzelnes vorschwebt. Fälle der zweiten Art
-sind z. B.: +etwas Ungeschicktes, das+ mich in Verlegenheit brachte --
-+das Bittre, das+ zwischen uns getreten ist -- +das Besondre, das+ dem
-Allgemeinen untergeordnet ist -- +das Schiefe und Hinkende, das+ jeder
-Vergleich hat -- +das Moralische, das+ einem doch nicht gleichgiltig
-sein kann -- +das Erlernbare, das+ sich jederzeit in Büchern wieder
-auffinden läßt -- wenn an +das Gute, das+ ich zu tun vermeine, gar
-zu nah was Schlimmes grenzt (Lessing). Hinter dem Superlativ von
-substantivierten Eigenschaftswörtern ist in den meisten Fällen +was+
-das richtige, aber doch nur deshalb, weil gewöhnlich ein partitiver
-Genitiv zu ergänzen ist (+von dem, von allem+), der das +was+ verlangen
-würde. Wenn ich sage: +das Erhabenste, was+ Beethoven geschaffen hat
--- so meine ich nicht das Erhabenste überhaupt, sondern eben das
-Erhabenste +von dem+ oder +von allem, was+ Beethoven geschaffen hat.
-Der Superlativ für sich allein bezeichnet hier noch gar nichts, der
-Relativsatz ist die notwendige Ergänzung dazu. Wenn ich dagegen sage:
-+das Erhabenste, das+ wir Gott nennen, so ist gar nichts zu ergänzen,
-der Relativsatz kann auch fehlen, es ist das Erhabenste schlechthin
-gemeint. Beispiele der ersten Art sind: +das Höchste, was+ wir
-erreichen können -- +das Schlimmste, was+ einem Staate widerfahren kann
--- +das Ärgste, was+ Menschen einander antun können -- +das Beste,
-was+ du wissen kannst, darfst du den Buben doch nicht sagen (Faust) --
-er preist +das Höchste, das Beste, was+ das Herz sich wünscht, +was+
-der Sinn begehrt (Schiller). Hier wird denn auch meist richtig +was+
-gesetzt. Nach dem Positiv gebrauchen aber auch gute Schriftsteller
-blindlings bald +das+, bald +was+. Sieht man sich die Beispiele näher
-an, so sieht man, daß sie viel öfter das Falsche als das Richtige
-getroffen haben.
-
-Endlich ist +was+ für +das+ auch da notwendig, wo sich das Relativ
-auf den Inhalt eines ganzen Satzes bezieht, z. B. der Mensch, +das
-Tier+ mit zwei Händen, +das+ auch lachen kann, +was+ der Affe immer
-noch nicht fertig bringt. In einem Satze wie: es ist kein freundliches
-Bild, +was+ der Verfasser vor uns aufrollt -- wird nicht deutlich, ob
-sich was auf Bild beziehen soll; man kann den Relativsatz auch als
-Subjektsatz auffassen: +was+ der Verfasser vor uns aufrollt, ist kein
-freundliches Bild. In diesem Falle wäre natürlich +was+ richtig, im
-andern müßte es +das+ heißen.
-
-
-Wie, wo, worin, womit, wobei
-
-Daß Präpositionen in Verbindung mit dem Relativpronomen durch die
-hübschen relativen Adverbia +worin+, +woraus+, +womit+, +wobei+,
-+woran+, +wofür+ usw. ersetzt werden können und in der lebendigen
-Sprache sehr oft ersetzt werden, wenn sich das Relativ auf eine Sache
-(nicht auf eine Person!) zurückbezieht, daran denken beim Schreiben
-die wenigsten, und wenn sie daran denken, so wagen sie nicht, Gebrauch
-davon zu machen. Am ehesten getrauen sie sichs noch da, wo sie auch
-+was+ statt +das+ sagen würden. Aber ein Brief, +worin+ -- eine Fläche,
-+worauf+ -- ein Messer, +womit+ -- ein Mittel, +wodurch+ -- eine Regel,
-+wobei+ -- ein Geschenk, +worüber+ -- eine Gefahr, +wovor+ -- (auch:
-der Grund, +weshalb+) -- wie wenigen will das aus der Feder! Sie halten
-es womöglich gar für falsch. Irgendein Schulmeister, der sich nicht vom
-Lateinischen hatte losmachen können, hat ihnen vielleicht einmal in der
-Jugend davor bange gemacht, und so schreiben sie denn: diese beiden
-Punkte sind es, +an welchen+ Grimm aufs strengste festgehalten hat --
-der innige Zusammenhang, +in welchem+ Glaube, Recht und Sitte stehen
--- das einfache, schmucklose Gewand, +mit welchem+ uns die Natur wie
-eine Mutter umfängt usw. Und doch heißt es in dem Bürgerschen Spruch:
-Die schlechtsten Früchte sind es nicht, +woran+ die Wespen nagen. Nun
-gar das einfache +wo+: das Gebäude, +wo+ -- ein Gebiet, +wo+ -- in
-einer Stadt, +wo+ -- in allen Fällen, +wo+ -- eine Gelegenheit, +wo+
--- eine Ausgabe, +wo+ (z. B. der Sopran die Melodie hat), und vollends
-dieses einfache +wo+ von der Zeit gebraucht: wir gedenken an jene Zeit
-der Jugend, +wo+ wir zuerst auszogen -- die Eltern sind genötigt,
-über den Bildungsgang ihrer Kinder schon zu einer Zeit Bestimmungen
-zu treffen, +wo+ deren Anlagen noch zu wenig hervorgetreten sind --
-seit dem 29. März, +wo+ die neue Bewegung begann -- seit dem Jahre
-1866, +wo+ er sein Amt niedergelegt hatte -- wie wenige wagen das zu
-schreiben, wie wenige haben eine Ahnung davon, daß auch das grammatisch
-ganz richtig und hundertmal schöner ist als das ungeschickte: seit dem
-29. März, +an welchem Tage+ -- seit 1866, in welchem Jahre usw.[64]
-Ist es nicht kläglich komisch, in einem Manuskript sehen zu müssen,
-wie der Verfasser erst geschrieben hat: die Depesche gelangte +an
-demselben Tage+ in seine Hände, +als+ usw., dann das +als+ wieder
-durchgestrichen und darübergesetzt hat: +an welchem+, aber auf das
-gute, einfache, natürliche +wo+ nicht verfallen ist? Und genau so ist
-es mit +wie+. Die Art und Weise, +wie+ -- in dem Grade, +wie+ -- in
-jenem Sinne, +wie+ -- in dem Maße, +wie+ -- über die Richtung, +wie+
--- wie wenige getrauen sich das zu schreiben! Die alten Innungen waren
-Produktivgenossenschaften in jenem vernünftigen Sinne, +in welchem+
-jeder Staat es ist -- man war im Zweifel über die Art und Weise, +in
-welcher+ die soziale Gesetzgebung vorzugehen habe -- ein Bier, das in
-demselben Grade ungenießbar wird, +in welchem+ sich seine Temperatur
-über den Gefrierpunkt erhebt -- in dem Maße, +in welchem+ (+wie+!)
-sich die Partei dem Augenblicke nähert, +in welchem+ (+wo+!) sie ihr
-Versprechen erfüllen soll -- anders schreibt der Papiermensch gar nicht.
-
-Das relative Adverbium +wo+ bedeutet keineswegs, wie so viele
-glauben, nur den Ort, es bedeutet, wie das ihm entsprechende +da+,
-ebensogut auch die Zeit. Merkwürdigerweise hat man noch eher den Mut,
-zu schreiben: die Zeit, +da+ -- als: die Zeit, +wo+. Manche lieben
-sogar dieses +da+, ziehen also hier das Demonstrativ in der relativen
-Bedeutung vor, während sie doch sonst immer +welcher+ für +der+
-schreiben. Aber +da+ als Relativ klingt uns heute doch etwas veraltet
-(man denke nur an den Bibelspruch: seid Täter des Worts und nicht Hörer
-allein, +damit+ ihr euch selbst betrüget), es kann auch leicht mit dem
-kausalen +da+ verwechselt werden, z. B. mitten in einer trüben Zeit,
-+da+ ihn ein Augenleiden heimsuchte. Für +in welchem+ sollte man, wo es
-irgend angeht, schreiben +worin+; bei +in dem+ entsteht der Übelstand,
-daß es mit dem Fügewort +indem+ verwechselt werden kann: der Aufsatz,
-+in dem+ ihm vorgeworfen wird, er heuchle Frömmigkeit. Auf dem Papier
-natürlich nicht, aber das Papier geht uns auch nichts an; beim Hören
-kanns verwechselt werden -- das ist die Hauptsache!
-
-
-Wechsel zwischen der und welcher
-
-Wenn zu einem Worte zwei (oder mehr) Relativsätze zu fügen sind, so
-halten es viele für eine besondre Schönheit, mit dem Relativpronomen
-abzuwechseln. Es ist das der einzige Fall, wo sie einmal mit Bewußtsein
-und Absicht zu dem Relativum +der+ greifen, während sie sonst, wie die
-Schulknaben, immer +welcher+ schreiben. Jeden Tag kann man Sätze lesen
-wie: das Allegro und das Scherzo fanden nicht das Maß von Beifall,
-+welches+ wir erwartet hatten, und +das+ sie verdienen -- jedes
-Grundstück, +welches+ mindestens zu einem Grundsteuerertrage von 200
-Mark eingeschätzt ist, und +das+ mindestens einen Taxwert von 1000 Mark
-hat -- lehrreich ist die Niederschrift durch die Korrekturen, +welche+
-der Komponist selbst darin vorgenommen hat, und +die+ sich nicht nur
-im Ändern einzelner Noten zeigen -- in eine weite Hausflur mündete die
-Treppe, +welche+ in die obern Stockwerke führte, und +die+ man gern als
-Wendeltreppe gestaltete -- die ehrwürdigen Denkmäler der Druckkunst,
-+welche+ uns der Altmeister selbst hinterlassen hat, und +die+ man mit
-dem Namen Wiegendrucke bezeichnet -- es geht nicht an, daß wir Schäden
-groß wachsen sehen, +die+ uns als schwache Köpfe erscheinen lassen,
-und auf +welche+ die Fremden mit Fingern weisen -- es war ein Klang
-in seinen Worten, +welcher+ alle Herzen ergriff, und +dem+ sie gern
-weiter gelauscht hätten -- Aufsätze, +welche+ bereits in verschiednen
-Zeitschriften erschienen sind, und +die+ durch ihre Beziehungen auf
-Schwaben zusammengehalten werden. Kein Zweifel: in allen diesen Fällen
-liegt ein absichtlicher Wechsel vor; alle, die so schreiben, glauben
-eine besondre Feinheit anzubringen.
-
-Aber das Gegenteil ist der Fall. Abgesehen davon, daß die Wiederholung
-des Relativpronomens bisweilen ganz überflüssig ist, weil das
-Satzgefüge dasselbe bleibt, ist es auch unbegreiflich, wie jemand in
-seinem Sprachgefühl so irre gehen kann. Wenn man an ein Hauptwort
-zwei oder mehr Relativsätze anschließt, so stehn doch diese Sätze als
-Bauglieder innerhalb des Satzgefüges parallel zueinander, etwa so:
-
- Erster Relativsatz
- ----------------------
- Hauptsatz /
- -----------------
- \ Zweiter Relativsatz
- ----------------------
-
-Wie kann man da auf den Gedanken kommen, diese beiden parallelstehenden
-Sätze verschieden anknüpfen zu wollen! Das natürliche ist es doch,
-parallellaufende Sätze auch gleichmäßig anzuknüpfen, ja es ist das
-geradezu notwendig, die Abwechslung stört nur und führt irre. Wenn
-ich erst +der+ lese und im nächsten Satze +welcher+, so suche ich
-unwillkürlich bei dem wechselnden Pronomen auch nach dem wechselnden
-Hauptwort und sehe zu spät, daß ich genarrt bin. Mit der vermeintlichen
-Schönheitsregel ist es also nichts; auch sie ist nur ein Erzeugnis
-der abergläubischen Furcht, kurz hintereinander zweimal dasselbe
-Wort -- geschrieben zu sehen. Die vernünftige Regel heißt: Parallele
-Relativsätze müssen mit demselben Relativpronomen beginnen, also alle
-mit +der+, +die+, +das+. Es gibt viele Talente, +die+ vielleicht nie
-selbständig etwas erfinden werden, +die+ man daher auf der Akademie
-zwecklos mit Kompositionsaufgaben plagt, +die+ aber beweglich genug
-sind, das in der Kopierschule erlernte frei umzubilden -- das ist gutes
-Deutsch. +Welcher+, +welche+, +welches+ ist auch hier ganz entbehrlich.
-
-Etwas andres ist es, wenn auf einen Relativsatz ein zweiter folgt, der
-sich an ein neues Hauptwort in dem ersten Relativsatz anschließt, etwa
-so:
-
- Hauptsatz
- -----------
- \ Erster Relativsatz
- ------------------------
- \ Zweiter Relativsatz.
- -----------------------
-
-Da wechselt die Beziehung, und da hat es etwas für sich, auch
-das Pronomen wechseln zu lassen; die Abwechslung kann da sogar
-die richtige Auffassung erleichtern und beschleunigen, wie in
-folgenden Sätzen: +Klaviere+, +die+ den +Anforderungen+ entsprechen,
-+welche+ in Tropengegenden an sie gestellt werden -- +Gesetze+, die
-bestimmte +Organisationen+ zum Gegenstande haben, +welche+ nur bei
-der katholischen Kirche vorkommen -- die +Bühnen+, +die+ mit einer
-ständigen Schar von +Freunden+ rechnen können, +welche+ mit liebevollem
-Interesse ihrer Entwicklung folgen -- +Verbesserungen+, +die+ der
-Dichter der +dritten Ausgabe+ seiner Gedichte zu geben beabsichtigte,
-+welche+ er leider nicht mehr erlebte -- Amerika zerfällt in zwei
-+Hälften+, die nur durch eine verhältnismäßig schwache +Brücke+
-zusammenhängen, +welche+ sich nicht zu einem Handelsweg eignet -- in
-dem +Pakt+, +den+ Faust mit dem +Geiste+ der Verneinung schließt,
-+welcher+ sich als der Zwillingsbruder des Todes bekennt -- es fehlte
-bisher an einer +Darstellung+, +die+ allen +Anforderungen+ entsprochen
-hätte, +welche+ an Kunstblätter von nationaler Bedeutung zu stellen
-sind -- es gelang uns, in Beziehung zu den +Stämmen+ zu treten, +die+
-die +Artikel+ produzieren, +welche+ unsern Kaufleuten zugehen, und
-+die+ zugleich ein weites Absatzgebiet für unsre Industrie bieten.
-Dabei empfiehlt sich übrigens (aus rhythmischen Gründen, der Steigerung
-wegen), +der+ immer an die erste, +welcher+ an die zweite Stelle zu
-bringen, nicht umgekehrt! Aber unbedingt nötig ist der Wechsel auch
-hier nicht.
-
-
-Welch letzterer und welcher letztere
-
-An einen ganzen Rattenkönig von Sprachdummheiten rührt man mit
-der so beliebten Verbindung: +welcher letztere+. Auf die häßliche
-unorganische Bildung +ersterer+ und +letzterer+ -- eine komparativische
-Weiterbildung eines Superlativs! -- soll dabei gar kein Gewicht gelegt
-werden, denn solche Erscheinungen gibt es viele in der Sprache und in
-allen Sprachen, wenn es auch nichts schaden kann, daß man sich einmal
-das Unorganische dieser Formen durch die Vorstellung zum Bewußtsein
-bringt, es wollte jemand der +größtere+, der +kleinstere+, der
-+bestere+, der +schönstere+ bilden. Viel schlimmer ist ihre unlogische
-Anwendung.
-
-Wenn ein Relativsatz nicht auf ein einzelnes Hauptwort, sondern auf
-eine Reihe von Hauptwörtern, zwei, drei, vier oder mehr folgt, so
-ist es selbstverständlich, daß das Relativ nicht an das letzte Glied
-angeschlossen, sondern nur auf die ganze Reihe bezogen werden kann,
-also nicht so:
-
- Erstes Hauptwort
- ------------------
- Zweites Hauptwort
- ------------------
- Drittes Hauptwort
- ------------------
- \ Relativsatz
- --------------
-
-sondern so:
-
- Erstes Hauptwort
- -------------------
- Zweites Hauptwort \ Relativsatz.
- ---------------------------------------
- Drittes Hauptwort /
- -------------------
-
-Die Hauptwörter werden gleichsam zu einer Gruppe, zu einem Bündel
-zusammengeschnürt, und der Relativsatz muß an dem ganzen Bündel hängen.
-Es kann also nicht heißen: Lessing, Goethe und Schiller, +der+, sondern
-nur: Lessing, Goethe und Schiller, +die+. Das fühlt auch jeder ohne
-weiteres. Nun möchte man aber doch manchmal, nachdem man zwei, drei,
-vier Dinge aufgezählt hat, gerade über das zuletzt genannte noch etwas
-näheres in einem Relativsatz aussagen. Ein bloßes +welcher+ -- das
-fühlt jeder -- ist unmöglich; es gehn ja drei voraus! Aber +welcher
-letztere+ oder +welch letzterer+ -- das rettet! Also: das Bild stellt
-Johannes den Täufer und den Christusknaben dar, +welch letzterer+ von
-dem Täufer in die Welt eingeführt wird -- einen Hauptartikel des Landes
-bildeten die Landesprodukte, wie Kobalt, Wein, Leinwand und Tuch,
-+welch letzteres+ allerdings dem niederländischen nachstand -- er war
-Regent der weimarischen, gothaischen und altenburgischen Lande, +welche
-letztern+ ihm aber erst kurz vor seinem Tode zufielen -- die Summe des
-Intellektuellen im Menschen setzt sich zusammen aus Geist, Bildung
-und Kenntnissen, +welchen letztern+ auch die Vorstellungen zugezählt
-werden dürfen -- es gibt von dem Bilde schwarze und braune Abdrücke,
-+welch letztere+ aber erst 1784 erschienen sind -- den Schluß bildet
-der Jahresbericht und das Mitgliederverzeichnis, +welch letzteres+ eine
-große Anzahl neuer Namen enthält -- der Neger überflügelt zuerst seine
-Schulkameraden weit, besonders in der Mathematik und in den Sprachen,
-für +welch letztere+ seine Begabung erstaunlich ist.
-
-Dieses +letztere+ ist ein bequemes, aber sehr häßliches
-Auskunftsmittel; ein guter Schriftsteller wird nie seine Zuflucht
-dazu nehmen. Es läßt sich auch sehr leicht vermeiden, z. B. indem
-man das letzte Glied für sich stellt: das Bild stellt Johannes den
-Täufer dar und den +Christusknaben+, +der+ usw., oder indem man statt
-des Relativsatzes einen Hauptsatz bildet, worin das letzte Hauptwort
-wiederholt wird.
-
-Noch schlimmer ist es freilich, wenn, wie so oft, +welch letzterer+
-selbst da geschrieben wird, wo nur ein einziges (!) Substantivum
-vorhergeht, eine falsche Beziehung also ganz unmöglich ist, z. B.:
-der Plan ist der Wiener Fachschule nachgebildet, +welch letztere+ ihn
-schon seit längerer Zeit hat -- der Urkunde ist die durch den Bischof
-von Merseburg erteilte Bestätigung beigegeben, +welche letztere+
-aber nichts besondres enthält -- den gesetzlichen Bestimmungen gemäß
-scheiden vier Mitglieder aus, +welch letztere+ aber wieder wählbar
-sind -- die Menge richtet sich nach den Beamten, nicht nach dem
-+Gesetz, welch letzteres+ sie selten kennt -- überall wechseln üppige
-Wiesengründe mit stattlichen Waldungen, +welch letztere+ namentlich die
-Bergkuppen und Hänge bedecken -- der König nahm in dem +Wagen+ Platz,
-+welch letzterer+ aber schon nach einer Minute vor dem Hotel hielt.
-Welch eine Schwulst! Vier Silben, wo drei Buchstaben genügen!
-
-
-Relativsätze an Attributen
-
-Sehr vorsichtig muß man damit sein, einen Relativsatz hinter ein
-Hauptwort zu stellen, das ein Attribut mit einem zweiten Hauptworte
-(am häufigsten als abhängigen Genitiv) bei sich hat. Jedes der beiden
-Hauptwörter, das erste so gut wie das zweite, kann einen Relativsatz zu
-sich nehmen; es kommt nur darauf an, welches von beiden den Ton hat.
-Beide zugleich sind nie betont, entweder hat das tragende den Ton, oder
-das getragne, das im Attribut steht. Welches von beiden betont ist,
-ergibt sich gewöhnlich sofort aus dem Zusammenhange. Nur an das betonte
-Hauptwort aber kann sich der Relativsatz anschließen.
-
-Es ist also nichts einzuwenden gegen Verbindungen wie folgende:
-mit zehn Jahren wurde ich in die unterste Klasse +der Kreuzschule+
-aufgenommen, +der ich+ dann acht Jahre lang als Schüler angehörte
--- bezeichnend ist sein Verhältnis +zum Gelde, das+ er stets wie
-ein armer Mann behandelte. In diesen Fällen ist das Hauptwort des
-Attributs betont, der Relativsatz schließt sich also richtig an.
-Ob man nicht trotzdem solche Verbindungen lieber meiden sollte,
-namentlich dann, wenn die beiden Hauptwörter gleiches Geschlecht haben,
-ist eine Frage für sich. Vorsicht ist auch hier zu empfehlen, ein
-Mißverständnis manchmal nicht ausgeschlossen. Unbedingt falsch dagegen
-ist folgender Satz: auch warne ich vor einer bravourmäßigen Auffassung
-der +zweiten Variation, die+ dort gar nicht am Platze ist. Es ist von
-den Variationen in einer Beethovenschen Sonate die Rede; die erste
-Variation ist besprochen, nun kommt die zweite an die Reihe. Da ist es
-klar, daß der Relativsatz nur heißen kann: +die+ eine solche (nämlich
-eine bravourmäßige Behandlung) gar nicht verträgt.
-
-Viel öfter kommt aber nun der umgekehrte Fehler vor: daß ein
-Relativsatz an das zweite Hauptwort angeschlossen wird, obwohl das
-erste den Ton hat. In den meisten Fällen -- das ist das Natürliche
-in jeder logisch fortschreitenden Darstellung -- wird das neu
-Hinzugekommne, das Unterscheidende, also das zu Betonende in dem
-tragenden Hauptworte liegen, nicht in dem Attribut. Wenn trotzdem
-an das Attribut ein Relativsatz gehängt wird, so entstehen störende
-Verbindungen wie folgende: der +Dichter+ dieses Weihnachtsscherzes,
-+der+ vortrefflich inszeniert war -- der +Empfang+ des Fürsten, +der+
-um sieben Uhr eintraf -- der +Tod+ des trefflichen Mannes, +der+
-eine zahlreiche Familie hinterläßt -- der +Appetit+ des Kranken,
-+der+ allerdings nur flüssige Nahrungsmittel zu sich nehmen darf --
-der +linke+ Arm des Verschwundnen, +der+ sich vermutlich herumtreibt
--- Flüchtigkeiten erklären sich aus dem +körperlichen Zustande+ des
-Verfassers, +dem+ es nicht vergönnt war, die letzte Hand an sein Werk
-zu legen -- die folgenden Radierungen tragen schon den +Namen+ des
-Künstlers, +der+ inzwischen auch mehrere Bildnisse gemalt hatte -- um
-den +neuen Lorbeer+ unsers Freundes, +der+ einen so tiefen Blick in
-das Leben getan hat, mit Champagner zu begießen -- eine +Beschränkung+
-der Korrekturlast, +die+ wissenschaftlich gebildete Männer täglich
-stundenlang bei mechanischer Arbeit festhält -- die +Hochzeitstorte+
-der Prinzessin, +die+ einen Untertanen, den Herzog von Fife heiratete
--- die +Glanznummer+ der Wahrsagerin, +die+ noch eine ziemlich junge
-Frau ist -- nun wurde das +Dach+ des Schlosses gerichtet, +das+ man in
-wenigen Jahren zu beziehen hoffte. Bei oberflächlicher Betrachtung wird
-mancher meinen, das Störende in diesen Verbindungen liege nur darin,
-daß die beiden Hauptwörter dasselbe Geschlecht haben, und deshalb eine
-falsche Beziehung des Relativsatzes möglich ist. Das ist aber nicht
-der Fall: es sind auch solche Verbindungen nicht gut wie: +das letzte
-Werk+ des russischen Erzählers, +der+ es seiner Freundin Viardot in die
-Feder diktierte -- die +lichtvollen Ausführungen+ des Redners, +der+
-durch seinen Eifer für die Sache der evangelischen Vereine bekannt ist
--- weist nicht der +Ursprung+ des Gewissens, +das+ ein unveräußerliches
-Erbteil des Menschen ist, auf eine höhere Macht hin? Für wen der
-Satzbau etwas mehr ist als ein bloßes äußerliches Zusammenleimen, der
-wird auch solche Verbindungen meiden.
-
-Oft sind solche falsch angeschlossene Relativsätze nicht bloß dynamisch
-anstößig (der Betonung wegen), sondern auch logisch; sie enthalten
-Gedanken, die überhaupt nicht in Relativsätze gehören, beiläufige
-Bemerkungen, zu denen man sich das beliebte „übrigens“ hinzudenken
-soll, oder Parenthesen, die eigentlich in Hauptsätzen stehen
-sollten. Da greifen nun auch hier wieder viele, um Mißverständnissen
-vorzubeugen, zu dem bequemen Auskunftsmittel +welcher letztere+ und
-schreiben: die übermäßigen +Aufgaben+ der +Schauspieler+, +welch
-letztere+ an einzelnen Tagen dreimal aufzutreten haben -- diese
-ausgezeichnete +Landschaftsstudie+ aus dem Garten der +Villa Medici+,
-+welch letztere+ der Künstler eine Zeit lang bewohnte -- er mußte sich
-mit dem +Anblick+ des +Waschschwamms+ begnügen, +welch letzterer+ am
-Fenster in der Sonne trocknete -- eine größere Reihe von +Abbildungen+
-kirchlicher +Gegenstände+, +welch letztere+ einst im Besitz der
-Michaeliskirche waren -- +die Freunde+ der zum Heere einberufnen
-+Studenten+, +welch letztern+ dieser Aufruf nicht zu Gesichte kommt
-usw. Ein schwächliches Mittel. Eine Geschmacklosigkeit soll dazu
-dienen, einen Fehler zu verbergen!
-
-
-Einer der schwierigsten, der oder die?
-
-Oft wird an einen Genitiv der Mehrzahl, der von dem Zahlwort +einer+,
-+eine+, +eins+ abhängt, ein Relativsatz angeschlossen, aber gewöhnlich
-in folgender falschen Weise: ich würde das für +einen+ der härtesten
-+Unfälle+ halten, +der+ je das Menschengeschlecht +betroffen hat+ --
-Leipzig ist +eine+ der wenigen +Großstädte+, in +der+ eine solche
-Einrichtung noch nicht besteht -- das Buch ist +eine+ der schönsten
-+Kriminalgeschichten+, +die+ je geschrieben +worden ist+ -- das
-Denkmal ist +eins+ der +schönsten+, +das+ bis jetzt ans Tageslicht
-gebracht +worden ist+ -- Klopstock ist +einer+ der +ersten+, +der+
-die Nachahmung des Franzosentums +verwirft+. In solchen Sätzen ist
-das +einer+, +eine+, +eins+ völlig tonlos, es ist wie ein bloßer
-Henkel für den abhängigen Genitiv, und dieser Genitiv hat den Ton.
-Es ist aber auch ein logischer Fehler, den Relativsatz an +einer+
-anzuschließen; denn der Inhalt des Relativsatzes gilt doch nicht bloß
-von dem einen, aus der Menge herausgehobnen, sondern von allen, aus
-denen das eine herausgehoben wird. Es kann also nur heißen: +einer+
-der härtesten +Unfälle+, +die+ je das Menschengeschlecht betroffen
-+haben+ -- +eine+ der wenigen +Großstädte+, +in denen+ (besser
-+wo+) eine solche Einrichtung noch nicht besteht usw. Nur scheinbar
-vermieden wird der Fehler, wenn jemand schreibt: er war +ein+ durch
-und durch +norddeutscher Charakter+, +der+ nur die Pflicht kennt;
-denn hier bezeichnet +ein+ die ganze Klasse, und +der+ geht auf den
-Einzelnen. Auch hier muß es heißen: er war +einer+ jener +norddeutschen
-Charaktere+, +die+ nur die Pflicht kennen.[65]
-
-
-Falsch fortgesetzte Relativsätze
-
-Ein gemeiner Fehler, dem man in Relativsätzen unendlich oft begegnet,
-ist der, daß an einen Relativsatz ein zweiter Satz mit +und+,
-+aber+, +jedoch+ angeknüpft wird, worin aus dem Relativ in das
-Demonstrativ oder in das Personalpronomen gesprungen oder sonstwie
-schludrig fortgefahren wird, z. B. eine Schrift, +die+ er auf
-seine Kosten drucken ließ +und sie+ umsonst unter seinen Anhängern
-austeilte -- Redensarten, +die+ der Schriftsteller vermeidet, +sie
-jedoch+ dem Leser beliebig einzuschalten überläßt -- die vielen
-Fische, +die+ er bisweilen selbst füttert +und ihnen+ zuschaut,
-wenn sie nach den Krumen schnappen -- ein Bauer, mit +dem+ ich über
-Feuerversicherungsgesellschaften sprach +und ihm+ meine Bewundrung
-dieser trefflichen Einrichtung ausdrückte -- am Schlusse gab Herr W.
-Erläuterungen über die Vorzüge der Neuklaviatur, +welch letztere+ (!)
-übrigens in der hiesigen Akademie für Tonkunst bereits eingeführt ist
-+und+ der Unterricht +auf derselben+ (!) mit bestem Erfolge betrieben
-wird (das richtige Dummejungendeutsch!) -- der Künstler, +der+ dem
-Männergesang zu jener hohen Stelle verhalf und +dieser ihm+ die
-gewaltige Bedeutung verdankte, die er heute einnimmt (ebenso!) -- eine
-übermächtige Verbindung, +welcher+ der Herzog schnell mürbe gemacht
-wich +und+ sich zu einer Landesteilung herbeiließ -- dieser Kranke, +an
-den+ ich seit zwanzig Jahren gekettet war +und+ nicht aufatmen durfte
--- er entwendete verschiedne Kleidungsstücke, +die+ er zu Gelde machte
-+und+ sich +dann+ heimlich von hier entfernte -- sie erhielt Saalfeld,
-+wo+ sie 1492 starb +und+ in +Weimar+ begraben wurde -- die +Seuche+,
-+an der+ zahlreiche Schweine zugrunde gehen +und dann+ noch verwendet
-werden -- es geht das aus dem Testament hervor, +das+ ich abschriftlich
-beifüge +und+ von fernern Nachforschungen absehen zu können glaube --
-ein +Augenblick+, +den+ der Verhaftete benutzte, um zu entweichen,
-+und+ bis zur Stunde noch nicht wieder aufgefunden worden ist.
-
-Es ist klar, daß durch +und+ nur gleichartige Nebensätze verbunden
-werden können. Geht also ein Relativsatz voraus, so muß auch ein
-Relativsatz folgen; die Kraft der relativen Verknüpfung wirkt über das
-+und+ hinaus fort. In den ersten Beispielen muß es also einfach heißen:
-+und+ umsonst austeilte --, +jedoch+ einzuschalten überläßt --, in den
-folgenden: +und denen+ er zuschaut, +und dem+ ich meine Bewundrung
-ausdrückte. In den letzten Beispielen ist der Anschluß eines zweiten
-Relativsatzes überhaupt unmöglich, weil der Begriff, der im Relativ
-erscheinen müßte, in dem zweiten Satze gar nicht wiederkehrt; es kann
-höchstens heißen: +worauf+ er sich entfernte -- +sodaß+ ich absehen zu
-können glaube.
-
-Steht das Pronomen der Relativsätze im Genitiv, so ist es ein beliebter
-Fehler, in dem zweiten Relativsatz, obwohl das Subjekt dasselbe bleibt,
-dieses Subjekt durch ein Relativpronomen zu wiederholen, z. B.: der
-+Kaiser+, +dessen Interesse+ für alle Zweige der Technik bekannt ist,
-+und das+ gerade bei der Berliner Ausstellung wieder klar zutage tritt
--- das +Sprachgewissen+, +dessen Stimme+ sich nicht überhören läßt,
-die sich vielmehr geltend macht bei allem, was wir lesen und schreiben.
-Ein ebenso beliebtes Gegenstück dazu ist es dann, einen zweiten
-Relativsatz, der dem ersten untergeordnet ist, mit +und+ anzuknüpfen,
-z. B.: eine +Ehe+, vor +deren+ Sündhaftigkeit sie ein wahres +Grauen+
-hat, +und das+ sie doch allmählich überwinden muß -- er war im Frühling
-geboren, +dessen Blumen+ ihm stets so lieb blieben, +und die+ er so
-gern im Knopfloch trug -- er sollte ihr ein Wort ins Ohr flüstern,
-von +deren Antlitz+ sein Herz geträumt hatte, +und von dem+ es sich
-nicht abwenden konnte. In den ersten beiden Sätzen muß das zweite
-Relativpronomen weichen, in den drei letzten das +und+; der letzte Satz
-bleibt freilich auch dann noch Unsinn.
-
-Ein abscheulicher Fehler ist es, wenn man zwei Relativsätze
-miteinander verbindet, ohne das Relativum zu wiederholen, obwohl
-das Relativpronomen in dem einen der beiden Sätze Objekt, in dem
-andern Subjekt ist, der eine also mit dem Akkusativ, der andre mit
-dem Nominativ anfängt, z. B.: ein paar +Kopien+, +die ich+ schon
-+vorfand+ und mir viel Freude +machen+ -- +die Festschrift+, +die+
-Georg Bötticher +verfaßt hat+ und von Kleinmichel mit Schildereien
-+versehen worden ist+. -- Dieser Fehler gehört unter die zahlreichen
-Sprachdummheiten, die dadurch entstehen, daß man ein Wort nicht als
-etwas lebendiges, sinn- und inhaltvolles, sondern bloß als eine
-Reihe von Buchstaben ansieht, also -- durch die Papiersprache. Ob
-diese Buchstabenreihe das einemal Akkusativ, das andremal Nominativ
-ist, ist dem Papiermenschen ganz gleichgiltig. Schreibt doch eine
-Memoirenerzählerin sogar: +Natur+ und +Kunst lernten wir+ lieben und
-+wurden+ in unserm Hause gepflegt!
-
-
-Relativsatz statt eines Hauptsatzes
-
-Ein schlimmer Fehler endlich, der sehr oft begangen wird, ist es, wenn
-ein Relativsatz gebildet wird, wo gar kein Relativsatz hingehört,
-sondern entweder eine andre Art von Nebensatz oder -- ein Hauptsatz.
-Wenn jemand schreibt: Harkort erfreute sich des Rufes +eines bewährten
-Geschäftsmannes+, der als Mitbegründer der Leipzig-Dresdner Eisenbahn
-rastlose Energie an den Tag gelegt hatte -- so ist klar, daß der
-Relativsatz keine Eigenschaft eines bewährten Geschäftsmannes angibt,
-sondern den Grund, weshalb Harkort in diesen Ruf kam; es muß also
-heißen: +da er+ als Mitbegründer usw. Wenn jemand schreibt: das Steigen
-des Flusses erschwerte +die Arbeiten+, +die+ mit größter Anstrengung
-ausgeführt wurden -- so ist klar, daß der Relativsatz keine Eigenschaft
-der Arbeiten angibt, sondern eine Folge davon, daß der Fluß steigt;
-es muß also heißen: +sodaß+ sie nur mit größter Anstrengung usw. Nun
-vollends: machen Sie +einen Versuch+ mit dem Werke, der Sie voll
-befriedigen wird -- kein Mittel vertreibt +den Geruch+, der wohl
-schwächer wird, aber immer bemerklich bleibt -- das ersehnte Glück
-fand er in +dieser Verbindung+ nicht, +die+ nach drei Jahren wieder
-gelöst wurde -- wie im Fluge verbreitete sich die Trauerkunde unter
-+den Vereinsmitgliedern+, +die+ dem teuern Genossen vollzählig das
-letzte Geleit gaben -- er widmete sich dem juristischen Studium ohne
-+innern Drang+, +der+ ihn zur Literatur und Geschichte führte -- jedes
-+Konzert+, +das+ er nie versäumte, war ihm ein Hochgenuß -- solche
-Sätze erscheinen wohl äußerlich in der Gestalt von Relativsätzen,
-ihrem Inhalte nach aber sind es Hauptsätze. Es muß heißen: kein Mittel
-vertreibt den Geruch; er wird wohl schwächer, bleibt aber immer
-bemerklich -- das ersehnte Glück fand er in dieser Verbindung nicht;
-sie wurde nach drei Jahren wieder gelöst. Noch fehlerhafter sind
-folgende Sätze: die Meister sind das +Ein und Alles+ der Kunst, +die+
-in ihren Werken und sonst nirgends niedergelegt und beschlossen ist --
-oder gar: +das Honorar+ beträgt jährlich 360 +Mark+, +welches+ (!) in
-drei Terminen zu entrichten ist. Hier ist der Relativsatz nicht bloß an
-das falsche Wort angeschlossen, sondern logisch falsch: er muß in einen
-Hauptsatz verwandelt werden.
-
-
-Nachdem -- zumal -- trotzdem -- obzwar
-
-Verhältnismäßig wenig Fehler kommen in den Nebensätzen vor, die
-eine Zeitbestimmung, einen Grund oder ein Zugeständnis enthalten
-(Temporalsätze, Kausalsätze, Konzessivsätze). In den Kausalsätzen ist
-vor allem vor einem Mißbrauch des Fügewortes +nachdem+ zu warnen.
-+Nachdem+ kann nur Temporalsätze anfangen. Es ist zwar schon früh auch
-auf das kausale Gebiet übertragen worden (wie +weil+ und +da+, die
-ja auch ursprünglich temporal und lokal sind); gegenwärtig aber ist
-das nur noch in Österreich üblich. +Nachdem+ der Kaiser keine weitere
-Verwendung für seine Dienste +hat+ -- +nachdem+ für die Anschaffung nur
-unbedeutende Kosten erwachsen -- +nachdem+ bei günstigem Wasserstande
-+sich+ die Verladungen lebhaft +entwickeln werden+ -- solche Sätze
-erscheinen als auffällige Provinzialismen. Falsch ist es aber auch,
-+nachdem+ in Temporalsätzen mit dem Imperfekt zu verbinden, z. B. der
-Grund, warum Lasalle, +nachdem+ seine Lebensarbeit +zerbrach+, doch
-immer deutlicher als historische Persönlichkeit hervortritt. +Nachdem+
-kann nur mit dem Perfekt oder dem Plusquamperfekt verbunden werden.
-
-Ein andrer Fehler, der jetzt in Kausalsätzen fort und fort begangen
-wird, ist der, hinter +zumal+ das Fügewort +da+ wegzulassen, als ob
-+zumal+ selber das Fügewort wäre, z. B.: der Zuziehung von Fachmännern
-wird es nicht bedürfen, +zumal+ in der Literatur einschlägige
-Werke genug vorhanden sind. +Zumal+ ist kein Fügewort, sondern ein
-Adverb, es bedeutet ungefähr dasselbe wie +besonders+, +namentlich+,
-+hauptsächlich+, hat aber noch eine feine Nebenfarbe, insofern
-es, ähnlich wie +vollends+, nicht bloß die Hervorhebung aus dem
-allgemeinen, sondern zugleich eine Steigerung ausdrückt; der Inhalt
-des Hauptsatzes wird, wenn sich ein Nebensatz mit +zumal+ anschließt,
-beinahe als etwas selbstverständliches hingestellt. Soll nun, wie es
-sehr oft geschieht, der in einem Nebensatz ausgedrückte Gedanke in
-dieser Weise hervorgehoben werden, so muß +zumal+ einfach davortreten,
-sodaß der Nebensatz nun beginnt: +zumal wer+, +zumal wo+, +zumal als+,
-+zumal wenn+, +zumal weil+, +zumal da+, je nachdem es ein Relativsatz,
-ein Temporalsatz, ein Bedingungssatz oder ein Kausalsatz ist, z. B.:
-das wäre die heilige Aufgabe der Kunst, +zumal seit+ sie bei den
-Gebildeten zugleich die Religion vertreten soll. So wenig nun jemand
-hinter +zumal+ das +wer+, +wo+, +wann+ oder +als+ weglassen wird, so
-wenig hat es eine Berechtigung, das +da+ oder +weil+ wegzulassen, und
-es ist eine Nachlässigkeit, zu schreiben: diese Maßregel erbitterte
-die Evangelischen, +zumal+ sie hörten -- schließlich ließ sich die
-Angelegenheit nicht länger aufschieben, +zumal+ sich die Aussicht
-eröffnete usw. Leider ist diese Nachlässigkeit schon so beliebt
-geworden, daß man bald wird lehren müssen: +zumal+ ist ein Adverb, aber
-zugleich ist es ein Fügewort, das Kausalsätze anfängt.
-
-Ähnlich wie mit +zumal+ steht es mit +trotzdem+; auch das möchte man
-jetzt mit aller Gewalt zum Fügewort pressen. Aber auch das hat keine
-Berechtigung. Auch +trotzdem+ ist ein Adverb, es bedeutet dasselbe wie
-+dennoch+; soll es zur Bildung eines Konzessivsatzes dienen, so muß
-es mit +daß+ verbunden werden. Zu schreiben, wie es jetzt geschieht:
-+trotzdem+ Camerarius den Aufgeklärten spielte -- +trotzdem+ die
-Arbeiten im Innern des Hauses noch nicht beendigt sind -- +trotzdem+ es
-an Festlichkeiten nicht mangelte -- ist ebenfalls eine Nachlässigkeit.
-Wir haben zur Bildung von Konzessivsätzen eine Fülle von Fügewörtern:
-+obgleich+, +obwohl+, +obschon+, +wenngleich+, +wenn auch+. Kennt
-man die gar nicht mehr, daß man sie jetzt alle dem fehlerhaften
-+trotzdem+ zuliebe verschmäht? Sie sind wohl zu weich, zu geschmeidig,
-zu verbindlich, nicht wahr? +Trotzdem+ ist gröber, „schneidiger“,
-trotziger, darum gefällts den Leuten.
-
-Freilich sind alle unsre Fügewörter früher einmal Adverbia gewesen.
-Auch +indem+, +seitdem+, +nachdem+, +solange+, +sooft+, +nun+ (+nun+
-die schreckliche Seuche glücklich erloschen ist) wurden zur Bildung von
-Nebensätzen anfangs gewöhnlich mit einem Fügewort gebraucht (+indem
-daß+, +solange als+). Aber warum soll man nicht einen Unterschied
-bewahren, solange das Bedürfnis darnach noch von vielen empfunden wird?
-Wer sorgfältig schreiben will, wird sich auch nicht mit +insofern+
-begnügen, wenn er +insofern als+ meint.
-
-Eine österreichische Eigentümlichkeit ist es, Konzessivsätze mit
-+obzwar+ anzufangen. In der guten Schriftsprache ist das, wie alle
-Austriazismen, unausstehlich.
-
-
-Mißbrauch des Bedingungssatzes
-
-Das temporale Fügewort +während+, das zunächst zwei Vorgänge als
-gleichzeitig hinstellt, kommt auf sehr leichte und natürliche Weise
-dazu, zwei Handlungen einander entgegenzusetzen. Den Übergang sieht man
-an einem Satze wie folgendem: +während+ ihr euerm Vergnügen nachgingt,
-habe ich gearbeitet; das Fügewort kann hier noch rein temporal
-aufgefaßt werden, hat aber schon einen Beigeschmack vom Adversativen.
-Man muß aber in der Anwendung dieser adversativen Bedeutung sehr
-vorsichtig sein, sonst kommt man leicht zu so lächerlichen Sätzen wie:
-+während+ Herr W. die Phantasie von Vieuxtemps für Violine vortrug,
-blies Herr L. ein Nocturno für Flöte von Köhler -- der Minister
-besuchte gestern (!) die Schulen zu Marienthal und Leubnitz, +während+
-er heute (!) die Besuche in den hiesigen Schulanstalten fortsetzte --
-König Albert brachte ein Hoch auf den Kaiser aus, +während+ der Kaiser
-ihm dafür dankte.
-
-Geradezu ein Unfug aber ist es, Bedingungssätze in adversativem
-Sinne zu verwenden. Es scheint das aber jetzt für eine ganz besondre
-Feinheit zu gelten. Man schreibt: +wenn+ bei vielen niedrigen Völkern
-die Priester als Träger höherer Bildung zu betrachten sind, +so+ ist
-das bei den Ephenegern nicht der Fall -- +wenn+ Adelung die Sprache
-hauptsächlich als Verständigungsmittel behandelt wissen wollte, +so+
-forderte Herder eine individuelle, schöpferische Empfindungssprache.
-Auch vergleichende Nebensätze werden schon, anstatt mit +wie+, mit
-+wenn+ gebildet: +wenn+ Indien die Geschichte der Philosophie ~in nuce~
-enthält, +so+ ist es an Materialien für die Geschichte der Religion
-gewiß reicher als ein andres Land -- +wenn+ bei uns vielfach über
-den Niedergang des politischen Lebens geklagt wird, +so+ ist auch in
-Amerika, wo das politische Leben schon bisher nicht sehr hoch stand,
-ein solcher Niedergang bemerkbar -- +wenn+ der Verein schon immer
-bestrebt war, die reichen Kunstschätze Freibergs zu heben, +so+ ist
-das in besonderm Maße in dem vorliegenden Hefte gelungen -- +war+ das
-Handpressenverfahren ungeeignet, +so+ konnte das Typendruckverfahren
-hinsichtlich der Güte nicht genügen -- +war+ das Haus damals recht
-unbehaglich, +so+ machten sich auch nach dem Umbau Übelstände
-bemerklich. Ebenso Kausalsätze: +wenn+ die Macht der Sozialdemokratie
-in der Organisation liegt, +so+ müssen wir uns eben auch organisieren.
-Ebenso Konzessivsätze: +wenn+ die gestellte Aufgabe sich +zwar+ (aha!)
-zunächst nur auf die Untersuchung der Goldlagerstellen bezog, +so+
-war es +doch+ nötig, auch andre Minerale in den Kreis der Betrachtung
-zu ziehen. Sogar wo einfach zwei Hauptsätze am Platze wären, kommt
-man mit diesem +wenn+ angerückt: +wenn+ mein Herr Amtsvorgänger vorm
-Jahre viel gutes wünschte, +so+ sind diese Wünsche nicht vergeblich
-gewesen -- +wenn+ im frühern Mittelalter die meisten Häuser einfache
-Holzhäuser gewesen waren, +so+ ist man erst später aus diesem Zustande
-herausgekommen. Welcher Unsinn!
-
-Wenn diese Art, sich auszudrücken, weitere Fortschritte macht, so kann
-es noch dahin kommen, daß der Bedingungssatz alle andern Arten von
-Fügewortsätzen nach und nach auffrißt.
-
-
-Unterdrückung des Hilfszeitworts
-
-Sehr verschieden sind merkwürdigerweise von jeher die Ansichten gewesen
-über den Gebrauch, das Hilfszeitwort und (was gleich damit verbunden
-werden kann) die sogenannte Kopula in Nebensätzen wegzulassen, also
-zu schreiben: der Bischof war bestrebt, von dem Einfluß, den er
-früher in der Stadt +besessen+ (nämlich +hatte+), möglichst viel
-zurückzugewinnen, der Rat dagegen trachtete, die wenigen Rechte, die
-ihm noch +geblieben+ (nämlich +waren+), immer mehr zu beschränken
--- die Wirkung der Mühlen würde noch erhöht, wenn sie beständig von
-Luft +durchstrichen+ (nämlich +würden+) -- seine Briefe blieben
-frei von Manier, während +sich+ in seine spätern Werke etwas davon
-+eingeschlichen+ (nämlich +hat+) -- die Pallas trug einst einen Helm,
-wie aus der oben abgeplatteten Form des Kopfes zu +erkennen+ (nämlich
-+ist+) -- eine Vorstellung wird um so leichter aufgenommen, je
-+einfacher+ ihr sprachlicher Ausdruck (nämlich +ist+) -- der Ursachen
-sind mehrere, wenn sie auch sämtlich auf eine Wurzel +zurückzuführen+
-(nämlich +sind+) -- verwundert fragt man, ob denn die Krankheit
-wirklich so gefährlich, das Übel gar so heillos +geworden+ (+ist+?
-+sei+?) -- so lautet das Schlagwort, womit das ideale Werk +begonnen+
-(+ist+? +hat+?) -- sogar: die Lukaspassion kann nicht, wie allgemein
-+behauptet+ (nämlich +wird+), von Bach geschrieben sein.
-
-Dieser Gebrauch hat eine ungeheure Verbreitung, viele halten ihn
-offenbar für eine ganz besondre Schönheit. Manche Romanschriftsteller
-schreiben gar nicht anders; aber auch in wissenschaftlichen,
-namentlich in Geschichtswerken geschieht es fort und fort. Ja es muß
-hie und da geradezu in Schulen gelehrt werden, daß dieses Abwerfen
-des Hilfszeitworts eine Zierde der Sprache sei. Wenigstens war
-einmal in einem Aufsatz einer Unterrichtszeitschrift verächtlich vom
-„Hattewarstil“ die Rede; der Verfasser meinte damit die pedantische
-Korrektheit, die das +hatte+ und +war+ nicht opfern will. Von
-ältern Schriftstellern liebt es namentlich Lessing, aus dessen
-Sprache man sich sonst die Muster zu holen pflegt, das Hilfszeitwort
-wegzulassen, und Jean Paul empfiehlt es geradezu, diese „abscheulichen
-Rattenschwänze der Sprache“ womöglich überall abzuschneiden.
-
-Halten wir uns, wie immer, an die lebendige Sprache. Tatsache ist, daß
-in der unbefangnen Umgangssprache das Hilfszeitwort niemals weggelassen
-wird. Es würde als arge Ziererei empfunden werden, wenn jemand sagte:
-es ist ein ganzes Jahr her, daß wir uns nicht +gesehen+. In der Sprache
-der Dichtung dagegen ist die Unterdrückung des Hilfszeitworts wohl das
-überwiegende. Man denke sich, daß Chamissos Frauenliebe und -leben
-anfinge: seit ich ihn +gesehen habe+, glaub ich blind zu sein! In der
-Prosa kommt es nun sehr auf die Gattung an. In poetisch oder rednerisch
-gehobner Sprache stört es nicht, wenn das Hilfszeitwort zuweilen
-unterdrückt wird; in schlichter Prosa, wie sie die wissenschaftliche
-Darstellung und im allgemeinen doch auch die Erzählung, die historische
-sowohl wie der Roman und die Novelle, erfordert, ist es geradezu
-unerträglich. Wer das bestreitet, hat eben kein Sprachgefühl. Wer sich
-einmal die Mühe nimmt, bei einem Schriftsteller, der das Hilfszeitwort
-mechanisch und aus bloßer Gewohnheit überall wegläßt, nur ein paar
-Druckseiten lang auf diese vermeintliche Schönheit zu achten, der wird
-bald täuschend den Eindruck haben, als ob er durch einen Tiergarten
-ginge, wo lauter unglückselige Bestien mit abgehackten Schwänzen ihres
-Verlustes sich schämend scheu um ihn herumliefen.
-
-Ganz unausstehlich wird das Abwerfen des Hilfszeitworts, wenn das übrig
-bleibende Partizip mit dem Indikativ des Präsens oder des Imperfekts
-gleich lautet, also ohne das Hilfszeitwort die Tempora gar nicht
-voneinander zu unterscheiden sind, z. B.: in unsrer Zeit, wo der Luxus
-eine schwindelhafte Höhe +erreicht+ (nämlich +hat+!) -- er ist auch
-dann strafbar, wenn er sich nur an der Tat +beteiligt+ (+hat+!) --
-das, was der Geschichtschreiber gewissenhaft +durchforscht+ (+hat+!)
--- er erinnert sich der Freude, die ihm so mancher gelungne Versuch
-+verursacht+ (+hat+!) -- einer jener Männer, die, nachdem sie in
-hohen Stellungen Eifer und Tatkraft +bewiesen+ (+haben+!), sich einem
-müßigen Genußleben hingeben -- nachdem 1631 Baner die Stadt vergeblich
-+belagert+ (+hatte+!) -- er verteilte die Waffen an die Partei, mit
-der er sich +befreundet+ (+hatte+!) -- ich kam im Herbstregen an, den
-mein Kirchdorf lange +ersehnt+ (+hatte+!) -- er schleuderte über die
-Republik und ihre Behörden den Bannstrahl, weil sie sich an päpstlichem
-Gut +vergriffen+ (+hatten+!) -- du stellst in Abrede, daß Vilmar mit
-dem Buch eine politische Demonstration +beabsichtigt+ (+habe+!). Oder
-wenn es in zwei oder mehr aufeinander folgenden Nebensätzen verschiedne
-Hilfszeitwörter sind, die dadurch verloren gehen, +haben+ und +sein+,
-z. B.: es war ein glücklicher Gedanke, dort, wo einst der deutsche
-Dichterfürst seinen Fuß +hingesetzt+ (nämlich +hat+), auf dem Boden,
-der durch seinen Aufenthalt geschichtlich +geworden+ (nämlich +ist+),
-eine Kuranstalt zu errichten -- wir wissen, auf welchen Widerstand
-einst das Interim +gestoßen+ (+ist+!), und welchen Haß sich Melanchthon
-durch seine Nachgiebigkeit +zugezogen+ (+hat+!) -- da sie das
-Führen der Maschine +unterlassen+ (+hatten+!) und auf den Fußwegen
-+gefahren+ (+waren+!). Oder endlich wenn gar von zwei verschiednen
-Hilfszeitwörtern das erste weggeworfen, das zweite aber gesetzt wird,
-sodaß man dieses nun unwillkürlich mit auf den ersten Satz bezieht,
-z. B.: als ich die Fastnachtsspiele +durchgelesen+ und schließlich zu
-dem Luzerner Neujahrsspiel +gekommen war+ (also auch: +durchgelesen
-war+?) -- seitdem die Philosophie exakt +geworden+, seitdem auch sie
-sich auf die Beobachtung und Sammlung von Phänomenen +verlegt hat+
-(also auch: +geworden hat+?) -- der Verfasser macht Banquo den Vorwurf,
-daß er nicht für die Rechte der Söhne Duncans +eingetreten+, sondern
-Macbeth als König +anerkannt habe+ (also auch: +eingetreten habe+?).
-Wie jemand so etwas schön finden kann, ist unbegreiflich.
-
-Selbst in Fällen, wo der nachfolgende Hauptsatz zufällig mit demselben
-Zeitwort anfängt, mit dem der Nebensatz geschlossen hat, ist das
-Wegwerfen des Hilfszeitworts häßlich, z. B.: soviel +bekannt+ (nämlich
-+ist+), +ist+ der Vorsitzende der Bürgermeister -- wie der Unglückliche
-hierher +gelangt+ (+ist+), +ist+ rätselhaft -- alles, was damit
-gewonnen +worden+ (+war+), +war+ unbedeutend gegen das verlorne -- wer
-diesen Forderungen Genüge +geleistet+ (+hatte+), +hatte+ sich dadurch
-den Anspruch erworben usw. Zwar nehmen auch solche, die im allgemeinen
-für Beibehaltung des Hilfszeitworts sind, hier das Abwerfen in Schutz,
-aber doch nur wieder infolge des weitverbreiteten Aberglaubens, daß ein
-Wort nicht unmittelbar hintereinander oder kurz hintereinander zweimal
-geschrieben werden dürfe. Es ist das eine von den traurigen paar
-stilistischen Schönheitsregeln, die sich im Unterricht von Geschlecht
-zu Geschlecht fortschleppen. Die lebendige Sprache fragt darnach gar
-nichts; da setzt jeder ohne weiteres das Verbum doppelt, und es fällt
-nicht im geringsten auf, kann gar nicht auffallen, weil mit dem ersten
-Verbum, fast tonlos, der Nebensatz ausklingt, mit dem zweiten, nach
-einer kleinen Pause, frisch betont der Hauptsatz anhebt. Sie klingen ja
-beide ganz verschieden, diese Verba, man traue doch nur seinen Ohren
-und lasse sich nicht immer von dem Papiermenschen bange machen!
-
-Nur in einem Falle empfiehlt sichs zuweilen, das Hilfszeitwort auch in
-schlichter Prosa wegzulassen, nämlich dann, wenn in den Nebensatz ein
-zweiter Nebensatz eingeschoben ist, der mit demselben Hilfszeitwort
-endigen würde, z. B.: bis die Periode, für die der Reichstag +gewählt
-worden+, +abgelaufen war+. Hier würden zwei gleiche Satzausgänge
-mit +war+ nicht angenehm wirken. Wo bei Häufung von Nebensätzen der
-Eindruck des Schleppens entsteht, liegt die Schuld niemals an den
-Hilfszeitwörtern, sondern immer an dem ungeschickten Satzbau.
-
-Die Sitte, das Hilfszeitwort in Nebensätzen gewohnheitsmäßig
-abzuwerfen, muß um so mehr als Unsitte bekämpft werden, als sie schon
-einen ganz verhängnisvollen Einfluß auf den richtigen Gebrauch der
-Modi ausgeübt hat. Daß manche Schriftsteller keine Ahnung mehr davon
-haben, wo ein Konjunktiv und wo ein Indikativ hingehört, daß in dem
-Gebrauche der Modi eine geradezu grauenvolle Verwilderung und Verrohung
-eingerissen ist und täglich weitere Fortschritte macht, daran ist
-zum guten Teil die abscheuliche Unsitte schuld, die Hilfszeitwörter
-wegzulassen. Wo soll noch Gefühl für die Kraft und Bedeutung eines
-Modus herkommen, wenn man jedes +ist+, +sei+, +war+, +wäre+, +hat+,
-+habe+, +hatte+, +hätte+ am Ende eines Nebensatzes unterdrückt und
-dem Leser nach Belieben zu ergänzen überläßt? In den meisten Fällen
-ist die Unterdrückung des Hilfszeitwortes nichts als ein bequemes
-Mittel, sein Ungeschick oder seine Unwissenheit zu verbergen. Freilich
-ist es sehr bequem, zu schreiben: daß viele Glieder der ersten
-Christengemeinde arm +gewesen+, ist zweifellos, daß es alle +gewesen+,
-ist sehr zu bezweifeln, oder: wenn man nicht annehmen will, daß ihm
-seine Genialität +geoffenbart+, was andre schon vorher +gefunden+,
-oder: wir bedauerten, daß sie nicht etwas +getan+, was sie in den Augen
-unsrer Gespielen recht groß und mächtig +gemacht+. Hätten die, die
-so geschrieben haben, gewußt, das es heißen muß: daß viele Glieder
-der ersten Christengemeinde arm +gewesen sind+, ist zweifellos, daß
-es alle +gewesen seien+, ist sehr zu bezweifeln -- wenn man nicht
-annehmen will, daß ihm seine Genialität +geoffenbart habe+, was andre
-schon vorher +gefunden hatten+ -- wir bedauerten, daß sie nicht etwas
-+getan hatten+, was sie in den Augen unsrer Gespielen recht groß und
-mächtig +gemacht hätte+ -- so hätten sie es schon geschrieben. Aber
-man weiß eben nichts, und da man seine Unwissenheit durch Hineintappen
-in den falschen Modus nicht verraten möchte, so läßt man einfach das
-Hilfszeitwort weg.
-
-
-Indikativ und Konjunktiv
-
-Sogar in Wunsch- und Absichtssätzen, wo man es kaum für möglich halten
-sollte, wird jetzt statt des Konjunktivs der Indikativ geschrieben!
-Da liest man: es ist zu wünschen, daß die Nation auch künstlerisch
-+zusammensteht+ -- wir wünschen von Herzen, daß das der letzte Fall
-eines solchen Verbrechens gewesen +ist+ -- wir hoffen, daß er sich nach
-längerer Prüfung davon +wird+ überzeugen lassen -- wir wollen alle
-mithelfen, daß es eine gute Ernte +gibt+ -- die staatliche Gewalt hat
-darüber zu wachen, daß der Sittlichkeit kein ernster Schaden zugefügt
-+wird+ -- als deutscher Fabrikant habe ich das lebhafteste Interesse
-daran, daß in deutschen Bureaus mit deutschen Federn geschrieben +wird+
--- wir bitten um Erneuerung des Abonnements, damit die Zusendung keine
-Unterbrechung +erleidet+ -- wir raten ihm, sich an deutsche Quellen zu
-halten, damit er das Deutsche nicht ganz +verlernt+. Die schlimmste
-Verwirrung des Indikativs und des Konjunktivs ist aber in den Subjekt-
-und Objektsätzen (Inhaltsätzen) und in den abhängigen Fragesätzen
-eingerissen. Und doch, wie leicht ist es, bei einigem guten Willen auch
-hier das Richtige zu treffen!
-
-Man vergleiche einmal folgende beiden Sätze: Curtius zeigte seinen
-Fachgenossen, daß er ihnen auch auf dieses Gebiet zu folgen
-+vermöchte+, und: Curtius zeigte seinen Fachgenossen, daß er ihnen
-auch auf dieses Gebiet zu folgen +vermochte+. Was ist der Unterschied?
-In dem ersten Falle lehne ich, der Redende oder Schreibende, ein
-Urteil darüber ab, ob Curtius wirklich seinen Fachgenossen habe folgen
-können, ich gebe nur seine eigne Meinung wieder; im zweiten Falle gebe
-ich selbst ein Urteil ab, ich stimme ihm bei, stelle es als Tatsache
-hin, daß er ihnen habe folgen können. Ein andres Beispiel: die meisten
-Menschen trösten sich damit, daß es früher auch +so war+, und: die
-meisten Menschen trösten sich damit, daß es früher auch +so gewesen
-sei+. Was ist der Unterschied? In dem ersten Falle gebe ich über den
-Trostgrund der Menschen ein Urteil ab, ich stimme ihnen bei, ich stelle
-ihren Trostgrund als richtig, als Tatsache hin; in dem zweiten Falle
-enthalte ich mich jedes Urteils, ich gebe nur die Meinung der Menschen
-wieder. Noch ein Beispiel: ich kann doch nicht sagen, daß ich krank
-+bin+, und: ich kann doch nicht sagen, daß ich krank +sei+. Der erste
-Satz bedeutet: ich trage Bedenken, die Tatsache meiner Erkrankung
-einzugestehen; der zweite: ich trage Bedenken, eine Krankheit
-vorzuspiegeln. Da haben wir deutlich den Sinn der beiden Modi.
-
-Darnach ist es klar, weshalb nach Zeitwörtern wie +wissen+, +beweisen+,
-+sehen+, +einsehen+, +begreifen+, +erkennen+, +entdecken+, ebenso
-wie nach den unpersönlichen Redensarten: +es ist bekannt+, +es steht
-fest+, +es ist sicher+, +es ist klar+, +es ist kein Zweifel+, +es ist
-Tatsache+, +es läßt sich nicht leugnen+ usw. der Inhaltsatz stets im
-Indikativ steht. In allen diesen Fällen kann das Subjekt oder Objekt
-nur eine Tatsache sein; welchen Sinn hätte es da, ein Urteil darüber
-abzulehnen? Es ist also ganz richtig, zu sagen: +kann es geleugnet
-werden+, daß die Erziehung des gemeinen Volks eines der wichtigsten
-Mittel +ist+, unsre Person und unser Eigentum zu schützen? Dagegen
-spricht aus folgenden Sätzen eine völlig unverständliche Ängstlichkeit:
-Hamerling hat +bewiesen+, daß man als Atheist ein edler und tüchtiger
-Mensch sein +könne+ -- die Besichtigung der Leiche +ergab+, daß es
-sich um einen Raubmord +handle+ -- schon seit Jahren hatte sich
-+herausgestellt+, daß die Räume unzureichend +seien+ -- als man die
-Kopfhaut entfernte, +sah+ man, daß die Schädeldecke vollständig entzwei
-geschnitten +sei+ -- zu meinem Schrecken +entdeckte+ ich, daß der junge
-Graf nicht einmal orthographisch schreiben +könne+ -- die Sammlung
-tritt sehr bescheiden auf und läßt +keinen Zweifel+ darüber, daß die
-Zeit des Sturms und Dranges vorüber +sei+. Was bewiesen, gesehen,
-entdeckt worden ist, sich ergeben, sich herausgestellt hat, nicht
-bezweifelt werden kann, das müssen doch Tatsachen sein. Weshalb soll
-man sich scheuen, solche Tatsachen anzuerkennen?
-
-Dieser Fehler kommt denn auch verhältnismäßig selten vor. Um so öfter
-wird der entgegengesetzte Fehler begangen, daß nach Zeitwörtern, die
-eine bloße Meinung oder Behauptung ausdrücken, der Indikativ gesetzt
-wird, obwohl der Redende oder Schreibende über die ausgesprochne
-Meinung oder Behauptung nicht das geringste Urteil abgeben, sondern
-sie als bloße Meinung oder Behauptung eines andern hinstellen
-will. Die Zeitwörter, hinter denen das geschieht, sind namentlich:
-+glauben+, +meinen+, +fühlen+, +denken+, +annehmen+, +vermuten+,
-+voraussetzen+, +sich vorstellen+, +überzeugt sein+, +schließen+,
-+folgern+, +behaupten+, +sagen+, +lehren+, +erklären+, +versichern+,
-+beteuern+, +bekennen+, +gestehen+, +zugeben+, +bezweifeln+,
-+leugnen+, +antworten+, +erwidern+, +einwenden+, +berichten+,
-+melden+, +erzählen+, +überliefern+, +erfahren+, +vernehmen+, +hören+
-u. a. Stehen diese Verba in dem Tempus der Erzählung, so setzt wohl
-jeder richtig den Konjunktiv dahinter, wiewohl sich auch Beispiele
-finden wie: er kam zu der +Überzeugung+, daß er zu alt +war+, sich
-noch den bildenden Künsten zu widmen. Aber wie, wenn sie im Präsens
-oder im Futurum stehen? Da wird geschrieben: man +glaubt+, daß die
-Diebe während der Fahrt in den Zug +stiegen+ -- der Ausschuß ist der
-+Meinung+, daß der Markt der geeignetste Platz für das Denkmal ist --
-der Herausgeber ist zu der +Ansicht+ gekommen, das sich diese Rede
-Ciceros nicht für die Schule +eignet+ -- man kann dem Verfasser darin
-(d. h. in der +Ansicht+) beistimmen, daß sich das Juristendeutsch
-gegen früher bedeutend gebessert +hat+ -- jeder wird von einer
-Privatsammlung, die in den fünfziger Jahren genannt wurde, +annehmen+,
-daß sie heute nicht mehr +besteht+ -- man geht von der albernen
-+Voraussetzung+ aus, daß Bach und Händel grobe Klötze gewesen +sind+ --
-hier wirkt noch die alte +Vorstellung+, daß das Wesen eines Dinges in
-seinem Bilde +steckt+ -- die Rede ist von der +Überzeugung+ erfüllt,
-daß das amerikanische Deutschtum mit der deutschen Sprache +steht+ und
-+fällt+ -- man behauptet, daß das Lateinische zu schwer +ist+, als
-erste fremde Sprache gelernt zu werden -- die +Behauptung+, daß dieser
-Aufsatz für die Zeitschrift kein Ruhmesblatt +bildet+, wird schwerlich
-auf Widerspruch stoßen -- Marx +sagt+, daß keine neue Gesellschaft
-ohne die Geburtshilfe der Gewalt +entsteht+ -- man +sagt+, daß er sich
-von einem Priester taufen +ließ+ -- der Fremde, der die Ausstellung
-besucht, wird +sagen+, daß es der Berliner Kunst an Schwung und
-Phantasie +gebricht+ -- von glaubwürdiger Seite wird uns +versichert+,
-daß die Stimmung sehr +flau+ war -- die Legende +erzählt+, daß, als
-die Greisin noch ein schönes Mädchen +war+, sie eine tiefe Neigung zu
-einem jungen Krieger +faßte+ -- die +Meldung+, daß Morenga +gefallen
-ist+, wird durch einen amtlichen Bericht bestätigt -- in Berliner
-Künstlerwerkstätten gilt noch heute die +Überlieferung+, daß Rauch
-nicht immer der große Mann +gewesen ist+, als den ihn die Nachwelt
-preist. In allen diesen Sätzen ist der Indikativ wahrhaft barbarisch.
-Doppelt beleidigend wirkt er, wenn in dem regierenden Satze die Meinung
-oder Behauptung, die im Nebensatze steht, ausdrücklich verneint
-wird, als falsch, als irrtümlich, als übertrieben, als unbewiesen
-bezeichnet wird. Und doch muß man täglich auch solche Sätze lesen wie:
-ich kann +nicht zugeben+, daß diese Satzfügung fehlerhaft ist -- es
-kann +nicht zugegeben+ werden, daß der große Zuzug der Bevölkerung
-die Ursache der städtischen Wohnungsnot +ist+ -- wir sind +nicht+
-zu der +Annahme+ berechtigt, daß er sich durch die Mitgift der
-Frau zu der Heirat bewegen +ließ+ -- aus dieser Tabelle läßt sich
-+keineswegs+ der +Schluß+ ziehen, daß die Kost dürftig +ist+ -- daß
-der sozialistische Geschäftsbetrieb in diesen Industrien möglich +ist+,
-hat noch +niemand bewiesen+ -- ich kann +nicht finden+, daß Wagners
-Musik +läutert+ -- ich muß aufs entschiedenste +bestreiten+, das es
-in einem unsrer Schutzgebiete Sklavenmärkte +gibt+ -- daß das Kreuz
-erst in christlicher Zeit religiöse Bedeutung +erhielt+, kann man
-+nicht behaupten+ -- +niemand+ wird +behaupten+, daß es dem Architekten
-gleichgiltig sein +kann+, ob sein Ornament langweilig oder geistreich
-ist -- die K. Zeitung geht +zu weit+ mit der +Behauptung+, daß die
-beiden vorigen Sessionen des Landtags unfruchtbar +gewesen sind+ -- es
-wird +schwerlich+ jemand +dafür eintreten+, daß die Ausführung dieses
-Planes möglich +ist+ -- es ist +nicht wahr+, daß man durch Arbeit und
-Sparen reich werden +kann+ -- +unwahr+ ist, daß Herr B. eine Sühne
-von 500 M. angeboten +hat+ -- es ist +falsch+, wenn der Verfasser
-behauptet, daß die Fehlerzahl den Ausschlag bei der Versetzung der
-Schüler +gibt+ -- es liegt +nicht+ der leiseste +Anhalt+ vor, daß eine
-neue Revision des Gesetzes beabsichtigt +ist+ -- mir ist +nichts+
-davon +bekannt+, daß das ausdrücklich betont worden +ist+ -- es ist
-+unzutreffend+, daß das Urteil bereits rechtskräftig geworden +ist+ --
-die Volkszeitung hat sich direkt +aus den Fingern gesogen+, daß mich
-der Minister wegen meines patriotischen Verhaltens gelobt +hat+ -- ich
-kann +nicht sagen+, daß ich diese Woche große Freude an der Arbeit
-+hatte+ -- damit soll +nicht gesagt+ sein, daß es der Sammlung ganz an
-duftigen Liederblüten +fehlt+ -- es soll damit +nicht gesagt+ sein, daß
-Beethoven je populär werden +kann+ -- wir glauben +widerlegt+ zu haben,
-daß der Schule in diesem Kampfe ein Vorwurf zu machen +ist+ -- wer +hat
-bewiesen+, daß die sittliche Höhe eines Künstlers der künstlerischen
-seiner Werke gleichstehen +muß+? (niemand!) -- +ist+ irgendwo offenbar
-geworden, daß der Abgeordnete sich seiner Aufgaben bewußt +gewesen ist+
-(nein!) usw. Welcher Unsinn, etwas in einem Atem zu leugnen oder zu
-bestreiten und zugleich als wirklich hinzustellen! Darauf laufen aber
-schließlich alle solche Sätze hinaus. Der Indikativ kann in solchen
-Fällen geradezu zu Mißverständnissen führen. Wenn einer schreibt:
-es ist +falsch+, daß die Arbeit ohne jeden Grund eingestellt worden
-+ist+ -- so kann man das auch so verstehen: sie ist ohne jeden Grund
-eingestellt worden, und das ist sehr dumm gewesen. Will einer deutlich
-sagen: sie ist +nicht+ ohne Grund eingestellt worden, so muß er
-schreiben: es ist +falsch+, daß die Arbeit ohne jeden Grund eingestellt
-worden +sei+.
-
-Gewiß gibt es zwischen den unbedingt nötigen Indikativen und den
-unbedingt nötigen Konjunktiven verschiedne Arten von zweifelhaften
-Fällen. Es gibt doppelsinnige Verba, wie z. B. +finden+, +sehen+,
-+zeigen+, die ebensogut eine Erkenntnis wie eine Meinung ausdrücken
-können; darnach hat sich der Modus des Nebensatzes zu richten. Als
-der erste Schrecken überwunden war, +sahen+ die Römer, daß sich der
-Aufstand nicht bis zum Rhein +ausdehne+ -- man erwartet den Indikativ:
-+ausdehnte+; aber der Schreibende hat mit +sehen+ vielleicht mehr den
-Gedankengang, die Erwägung der Römer ausdrücken wollen. So ist auch
-+beweisen wollen+, +zu beweisen suchen+ etwas andres als +beweisen+;
-Hamerling hat +beweisen wollen+, daß man als Atheist auch ein edler
-und tüchtiger Mensch sein +könne+ -- das wäre richtig, ebenso wie: er
-+will beweisen+, daß weiß schwarz +sei+. Ein Bigotter könnte aber auch
-sagen: beweisen läßt sich alles mögliche; hat nicht Hamerling sogar
-+bewiesen+, daß ein Atheist ein edler Mensch sein +könne+? Dann wäre
-der Sinn: trotz seines Beweises glaube ich es nicht. Und andrerseits
-kann man wieder sagen: warum +willst+ du erst noch +beweisen+, daß zwei
-mal zwei vier +ist+? Man vergleiche noch folgende Sätze: darin geben
-wir dem Verfasser Recht, daß es unerklärlich +ist+, wie der gütige Gott
-eine mit Übeln erfüllte Welt schaffen konnte; aber wir bestreiten,
-daß es deshalb logisch geboten +sei+, dem Wesen, das die sittliche
-Norm in sich enthält, die Weltschöpfung abzusprechen. Auch in dem
-ersten Satze ist der Konjunktiv möglich, mancher würde ihn vielleicht
-auch dort vorziehen. Bei guten Schriftstellern, bei denen man das
-angenehme Gefühl hat, daß sie jedes Wort mit Bedacht hinsetzen, macht
-es Vergnügen, solchen Dingen nachzugehen. Aber wie oft hat man dieses
-Gefühl? Meist lohnt es nicht der Mühe, hinter plumpen Schnitzern nach
-besondern Feinheiten zu suchen.
-
-Wenn das Verbum des Hauptsatzes im Präsens steht und das Subjekt die
-erste Person ist, so ist auch nach den Verben des Meinens und Sagens
-wohl allgemein der Indikativ üblich und auch durchaus am Platze. Wenn
-der Hauptsatz heißt: +ich glaube+ oder +wir behaupten+, so hätte
-es keinen Sinn, den Inhalt des Nebensatzes als bloße Vorstellung
-hinzustellen und ein Urteil über seine Wirklichkeit abzulehnen,
-denn +ich+ und der Redende sind ja +eine+ Person. Daher sagt man am
-liebsten: ich +glaube+, daß du Unrecht +hast+. Und sogar wenn der
-Hauptsatz verneint ist: ich +glaube nicht+, daß sie bei so rauher
-Jahreszeit noch in Deutschland +sind+ -- ich +glaube nicht+, daß der
-freie Wille der Gesellschaft heute schon stark genug +ist+ -- wir sind
-+nicht der Ansicht+, daß man die bestehende Welt willkürlich ändern
-+kann+. In den beiden letzten Sätzen würde vielleicht mancher den
-Konjunktiv vorziehen; aber schwerlich wird jemand sagen: +ich glaube
-nicht+, daß sie bei so rauher Jahreszeit noch in Deutschland +seien+.
-Selbst in Wunsch- und Absichtssätzen steht in solchen Fällen der
-Indikativ, zumal in der Umgangssprache. Jedermann sagt: spann deinen
-Schirm auf, daß du nicht naß +wirst+! +Werdest+ würde hier so geziert
-klingen, daß der andre mit Recht erwidern könnte: du sprichst ja wie
-ein Buch. Wenn man aber einen Bibelspruch anführt, sollte man ihn nicht
-so anführen: Richte nicht, damit du nicht gerichtet +wirst+!
-
-Genau so wie mit den Objektsätzen, die mit dem Fügewort +daß+
-anfangen, verhält sichs mit denen, die die Form eines abhängigen
-Fragesatzes haben: sie müssen im Konjunktiv stehen, wenn der Redende
-oder Schreibende kein Urteil darüber abgeben kann, ob ihr Inhalt
-wirklich sei oder nicht, weil es sich um Dinge handelt, die eben in
-Frage stehen, sie können im Indikativ stehen, wenn der Redende ein
-solches Urteil abgeben kann und will, sie müssen im Indikativ stehen,
-wenn es gar keinen Sinn hätte, ein solches Urteil abzulehnen, weil es
-sich um eine einfache Tatsache handelt. Richtig sind folgende Sätze:
-man darf sich nicht damit begnügen, zu behaupten, etwas sei Recht,
-sondern man muß doch wenigstens angeben, weshalb es Recht +sei+, und
-welches Ziel ein solches Recht +verfolge+ -- nicht darum handelt sichs
-in der Politik, ob eine Bewegung revolutionär +sei+, sondern ob sie
-eine innere Berechtigung +habe+ -- die Frage, ob der Angeklagte den
-beleidigenden Sinn eines Schimpfwortes +erkannt habe+, wird meist
-leicht zu bejahen sein -- man sollte sich fragen, ob man nicht selbst
-die Mißstände zum Teil +verschuldet habe+, die man beklagt -- es sollte
-nicht gefragt werden, ob die Zölle überhaupt zweckmäßig +seien+,
-sondern ob im einzelnen Fall ein Zoll angebracht +sei+, und ob damit
-erreicht +werde+, was erstrebt wird. Liederlich ist es dagegen, zu
-schreiben: die Verhandlung hat +keine Klarheit+ darüber gebracht, ob
-die Klagen berechtigt +sind+ oder nicht. Wie kann man etwas als gewiß
-hinstellen, wovon man eben gesagt hat, daß es noch unklar sei? Falsch
-sind aber auch -- trotz ihres schönen Konjunktivs -- folgende Sätze:
-wie weit das Gebiet +sei+, das K. bearbeitet, +zeigen+ seine Bücher --
-ältere Zuhörer, die mehr oder weniger schon +wissen+, wovon die Rede
-+sei+ -- es ist vom Schüler zu verlangen, daß er +wisse+, was eine
-Metapher +sei+ -- es wäre interessant, zu +wissen+, was Goethe mit
-dieser Bezeichnung gemeint +habe+.
-
-Schuld an der traurigen Verrohung des Sprachgefühls, die sich in den
-falschen Indikativen kundgibt, ist zum Teil sicherlich die Unsitte,
-die Hilfszeitwörter in den Nebensätzen immer wegzulassen; das stumpft
-das Gefühl für die Bedeutung der Modi so ab, daß man sich schließlich
-auch dann nicht mehr zu helfen weiß, wenn das Verbum gesetzt werden
-muß. Daneben aber ist noch etwas andres schuld, nämlich die unter
-dem verwirrenden Einflusse des Englischen immer ärger werdende
-Unkenntnis, welche Konjunktive und welche Indikative im Satzbau
-einander entsprechen, d. h. in welchen Konjunktiv im abhängigen Satz
-ein Indikativ des unabhängigen Satzes verwandelt werden muß; es scheint
-das geradezu nicht mehr gelernt zu werden. Man erinnert sich wohl
-dunkel einer Konjugationstabelle, worin die Indikative und Konjunktive
-einander so gegenübergestellt waren:
-
- ich bin ich sei
- ich war ich wäre
- ich bin gewesen ich sei gewesen
- ich war gewesen ich wäre gewesen
-
-oder:
-
- ich nehme ich nehme
- ich nahm ich nähme
- ich habe genommen ich habe genommen
- ich hatte genommen ich hätte genommen
-
-Aber daß einem diese Gegenüberstellung aus der Formenlehre für
-den Satzbau gar nichts helfen kann, das weiß man nicht. Die
-Gegenüberstellung der Modi für die Inhaltssätze sieht so aus:
-
- er trägt daß er trage oder: daß er trüge
- er trug } daß er getragen habe oder: daß
- er hat getragen } er getragen hätte
-
- ich bin daß ich sei oder: daß ich wäre
- ich war } daß ich gewesen sei oder: daß ich
- ich bin gewesen } gewesen wäre
-
-Daß sich gerade der Indikativ des Imperfekts jetzt so oft findet,
-wo ein Konjunktiv des Perfekts oder des Plusquamperfekts hingehört
-(Friedmann ist den Beweis dafür schuldig geblieben, daß dieser Verdacht
-haltlos und sinnwidrig +war+), zeigt deutlich, daß man einen richtigen
-Konjunktiv in abhängigen Sätzen zu bilden vollständig verlernt hat.
-
-
-Die sogenannte ~consecutio temporum~
-
-Daß ich +sei+ oder: daß ich +wäre+! Oder? Was heißt oder? Ist es
-gleichgiltig, was von beiden gesetzt wird? oder richtet sich das nach
-dem Tempus des regierenden Hauptsatzes? Mit andern Worten: gibt es
-nicht auch im Deutschen etwas ähnliches wie eine ~consecutio temporum~,
-die vorschreibt, daß auf die Gegenwart im Hauptsatz auch die
-Gegenwart im Nebensatze, auf die Vergangenheit im Hauptsatz auch die
-Vergangenheit im Nebensatze folgen müsse?
-
-Das Altdeutsche hat seine strenge ~consecutio temporum~ gehabt. Die
-hat sich aber schon frühzeitig gelockert, und zwar ist in den nieder-
-und mitteldeutschen Mundarten der Konjunktiv der Vergangenheit, in
-den oberdeutschen der Konjunktiv der Gegenwart bevorzugt worden. Dort
-ist die Vergangenheit auch nach Hauptsätzen der Gegenwart, hier die
-Gegenwart auch nach Hauptsätzen der Vergangenheit vorgezogen worden.
-Eine weitere Entwicklungsstufe, auf der wir noch stehen, ist die, daß
-die Eigentümlichkeit der oberdeutschen Mundarten, die Bevorzugung
-der Gegenwart, weiter um sich griff und mit der Eigentümlichkeit der
-mittel- und niederdeutschen in Kampf geriet. Schon Luther schreibt (Ev.
-Joh. 5, 15): der Mensch +ging+ hin und +verkündigte+ es den Juden, es
-+sei+ Jesus, der ihn gesund gemacht +habe+. Der gegenwärtige Stand
-ist der -- was namentlich auch für Ausländer gesagt sein mag --, daß
-es in allen Fällen, mag im regierenden Satze die Gegenwart oder die
-Vergangenheit stehen, im abhängigen Satze unterschiedslos +sei+ und
-+wäre+, +habe+ und +hätte+, +gewesen sei+ und +gewesen wäre+, +gehabt
-habe+ und +gehabt hätte+ heißen kann. Es ist ebensogut möglich, zu
-sagen: er +sagt+, er +wäre+ krank -- er +sagt+, er +wäre+ krank
-+gewesen+ -- er +sagte+, er +sei+ krank -- er +sagte+, er +sei+ krank
-+gewesen+ -- wie: er +sagt+, er +sei+ krank -- er +sagt+, er +sei+
-krank +gewesen+ -- er +sagte+, er +wäre+ +krank+ -- er +sagte+, er
-+wäre+ krank +gewesen+. In der Schriftsprache ziehen viele in allen
-Fällen den Konjunktiv der Gegenwart als das Feinere vor und überlassen
-den Konjunktiv der Vergangenheit der Umgangssprache. Wenn sich aber
-jemand in allen Fällen lieber des Konjunktivs der Vergangenheit
-bedient, so ist auch dagegen nichts ernstliches einzuwenden. Wer
-vollends durch die Verwirrung der Tempora in seinem Sprachgefühl
-verletzt wird, wem es Bedürfnis ist, eine ordentliche ~consecutio
-temporum~ zu beobachten, den hindert nichts, das auch jetzt noch zu
-tun. Das alles ist nun freilich eine Willkür, die ihresgleichen sucht;
-aber der tatsächliche Zustand ist so.
-
-Glücklicherweise hat aber diese Willkür doch gewisse Grenzen, und
-daß von diesen Grenzen die wenigsten eine Ahnung haben, ist wieder
-ein trauriger Beweis von der fortschreitenden Abstumpfung unsers
-Sprachgefühls.
-
-
-Der unerkennbare Konjunktiv
-
-Die eine Grenze liegt in der Sprachform unsrer Konjunktive. Der
-Konjunktiv der Gegenwart hat nämlich jetzt im Deutschen nur zwei (oder
-drei) Formen, in denen er sich von dem Indikativ unterscheidet: die
-zweite und die dritte Person der Einzahl (und allenfalls die zweite
-Person in der Mehrzahl); in allen übrigen Formen stimmen beide überein.
-Nur das Zeitwort +sein+ macht seine Ausnahme, und die Hilfszeitwörter
-+müssen+, +dürfen+, +können+, +wollen+, +mögen+ und +sollen+; die haben
-einen durchgeführten Konjunktiv des Präsens: +ich sei+, +du seist+, +er
-+sei+, +ich müsse+, +du müssest+, +er müsse+. Im Plural unterscheiden
-sich aber die beiden Modi auch bei den Hilfszeitwörtern nicht. Nur in
-der zweiten Person heißt es im Indikativ +wollt+, +müßt+, im Konjunktiv
-+wollet+, +müsset+; eigentlich sind aber auch diese Formen gleich, man
-hat nur im Konjunktiv das e bewahrt, das man im Indikativ ausgeworfen
-hat. Die Formen nun, in denen der Konjunktiv nicht erkennbar ist,
-weil er sich vom Indikativ nicht unterscheidet, haben natürlich nur
-theoretischen Wert, sie stehen gleichsam nur als Füllsel in der
-Grammatik (um das Konjugationsschema vollzumachen), aber praktische
-Bedeutung haben sie nicht, im Satzbau müssen sie durch den Konjunktiv
-des Imperfekts ersetzt werden. Das geschieht denn auch in der
-lebendigen Sprache ganz regelmäßig, so regelmäßig, daß es beinahe ein
-Unsinn ist, wenn unsre Grammatiken lehren: ~Conj. praes.~: +ich trage+,
-+du tragest+, +er trage+, +wir tragen+, +ihr traget+, +sie tragen+.
-Solche Schattenbilder sollten gar nicht in der Grammatik stehen,
-es könnte einfach gelehrt werden: ~Conj. praes.~: +ich trüge+, +du
-tragest+, +er trage+, +wir trügen+, +ihr trüget+, +sie trügen+. Dieser
-Gebrauch steht schon lange so fest, daß er selbst dann gilt, wenn das
-regierende Verbum in der Gegenwart steht, also -- gegen die ~consecutio
-temporum~. Unsre guten Schriftsteller haben ihn denn auch fast immer
-beobachtet. Nicht selten springen sie in einer längern abhängigen Rede
-scheinbar willkürlich zwischen dem Konjunktiv des Präsens und dem
-des Imperfekts hin und her; sieht man aber genauer zu, so sieht man,
-daß das Imperfekt immer nur dazu dient, den Konjunktiv erkennbar zu
-machen -- ganz wie in der lebendigen Sprache. Nun unterscheidet sich
-zwar der Konjunktiv des Imperfekts, zu dem man seine Zuflucht nimmt,
-bisweilen auch nicht von dem Indikativ des Imperfekts. Wenn er aber in
-der abhängigen Rede zwischen erkennbaren Konjunktiven der Gegenwart und
-abwechselnd mit ihnen erscheint, so wird er eben nicht als Indikativ
-gefühlt, sondern hier ist er das einzige Mittel, das Konjunktivgefühl
-aufrecht zu erhalten. Ganz dasselbe gilt natürlich von dem Konjunktiv
-des Perfekts und des Plusquamperfekts; der erste ist, abgesehen von den
-zwei erkennbaren Formen: +du habest gesagt+, +er habe gesagt+, für die
-lebendige Sprache so gut wie nicht vorhanden, er muß überall durch den
-des Plusquamperfekts ersetzt werden: +ich hätte gesagt+, +wir hätten
-gesagt+ usw.
-
-Nun vergleiche man damit die klägliche Hilflosigkeit unsrer
-Papiersprache! Da wird geschrieben: es ist eine Lüge, wenn man
-+behauptet+, daß wir die Juden nur +angreifen+, weil sie Juden sind.
-Es muß unbedingt heißen: +angriffen+, denn es muß der Konjunktiv
-stehen, und das Präsens +angreifen+ wird nicht als Konjunktiv
-gefühlt. Zu folgenden falschen Sätzen mag das richtige immer gleich
-in Klammern danebengesetzt werden: es ist ein Irrtum, wenn behauptet
-wird, daß sich die Ziele hieraus von selbst +ergeben+ (+ergäben+!)
--- wie oft wird geklagt, daß die Diener des Staats und der Kirche
-von der Universität nicht die genügende Vorbildung für ihren Beruf
-+mitbringen+ (+mitbrächten+!) -- von dem Gedanken, daß in Lothringen
-ähnliche Verhältnisse +vorliegen+ (+vorlägen+!) wie in Posen, muß
-ganz abgesehen werden -- es war eine ausgemachte Sache, daß ich in
-Kriegsdienst zu treten +habe+ (+hätte+!) -- es gibt noch Leute, die
-ernstlich der Meinung sind, daß die Nationalliberalen 1866 das Deutsche
-Reich +haben+ (+hätten+!) gründen helfen -- es wird mir vorgeworfen,
-daß ich die ursprüngliche Reihenfolge ohne zureichenden Grund verlassen
-+habe+[66] (+hätte+!) -- H. Grimm geht von der Voraussetzung aus,
-daß ich den Unterricht in der neuern Kunstgeschichte an der Berliner
-Universität bekrittelt +habe+ (+hätte+!) -- am Tage meiner Abreise
-konnte ich schreiben, daß ich die Taschen voll gewichtiger Empfehlungen
-+habe+ (+hätte+!) -- da mußte ich erkennen, daß ich für mein
-wissenschaftliches Streben nicht die gehoffte Förderung zu erwarten
-+habe+ (+hätte+!) -- der Verfasser ist der Meinung, das Verbrechen
-+müsse+ als gesellschaftliche Erscheinung betrachtet und bekämpft
-werden, zu seiner Ergründung +müssen+ (+müßten+!) die Ergebnisse der
-Gesellschaftswissenschaft berücksichtigt werden -- man behauptet,
-daß die Lehren des Talmud veraltet +seien+ und nicht mehr befolgt
-+werden+ (+würden+!) -- ich schrieb ihm, daß ich die Verantwortung
-nicht übernehmen +könne+, sondern die anstößigen Stellen beseitigen
-+werde+ (+würde+!)[67] -- er erhebt den Vorwurf gegen uns, daß wir
-damit ein bloßes Wahlmanöver +bezwecken+ (+bezweckten+!) -- er hatte
-vor seinem Tode den Wunsch geäußert, die Soldaten +mögen+ (+möchten+!)
-nicht auf seinen Kopf zielen -- der Verfasser sucht nachzuweisen,
-daß die behaupteten Erfolge nicht +bestehen+ (+bestünden+!) --
-durch die Städte und Dörfer eilte die Schreckenskunde, daß Haufen
-französischer Freischärler den Rhein überschritten +haben+ (+hätten+!)
-und sich sengend und brennend über das Land +ergießen+ (+ergössen+!)
--- ich hatte ihm bei der letzten Besprechung gesagt, ich +begreife+
-(+begriffe+!) sehr wohl, daß unser Verhältnis nicht wieder angeknüpft
-werden könne usw.
-
-Daß die Verfasser dieser Sätze den Indikativ hätten gebrauchen wollen,
-ist nicht anzunehmen; sie haben ohne Zweifel alle die redliche Absicht
-gehabt, einen Konjunktiv hinzuschreiben. Aber sie haben alle jenes
-Papiergespenst erwischt, das in der Schulgrammatik, um das Kästchen
-der Konjugationstabelle zu füllen, als Konjunktiv des Präsens oder des
-Perfekts dasteht, aber in der Satzbildung dazu völlig unbrauchbar ist.
-
-Ganz entsetzlich zu lesen sind Zeitungsberichte über „stattgefundne“
-Versammlungen und die dabei „stattgefundnen“ Debatten. Was die Redner
-da gesagt haben, erscheint ja in den Berichten in abhängiger Rede.
-Aber von Anfang bis zu Ende wird alles mechanisch in den Konjunktiv
-der Gegenwart gesetzt, dazwischen noch so und so viel Indikative. Da
-aber mindestens fünfzig von hundert solchen Konjunktiven gar nicht als
-solche gefühlt werden können, so taumeln die Berichte nun unausgesetzt
-zwischen Konjunktiv und Indikativ hin und her. Auch Protokolle werden
-jetzt zum größten Teil so abgefaßt.
-
-
-Der Konjunktiv der Nichtwirklichkeit
-
-Eine zweite, ebenso unüberschreitbare Grenze für die Neigung, überall
-den Konjunktiv der Gegenwart vorzuziehen, liegt in einer gewissen
-Bedeutung des Konjunktivs der Vergangenheit. Der Indikativ stellt
-etwas als wirklich hin, der Konjunktiv nur als gedacht, gleichviel, ob
-diesem Gedachten die Wirklichkeit entspricht oder nicht. Es gibt aber
-noch einen dritten Fall. Es kann etwas als gedacht hingestellt, aber
-zugleich aufs bestimmteste ausgedrückt werden, daß diesem Gedachten
-die Wirklichkeit +nicht+ entspreche. Diese Aufgabe kann aber nur der
-Konjunktiv der Vergangenheit erfüllen. Das bekannteste Beispiel dafür
-und eins, das niemand falsch bildet, sind die sogenannten irrealen
-Konditionalsätze oder Bedingungssätze der Nichtwirklichkeit. Jedermann
-sagt und schreibt richtig: wenn ich Geld +hätte+, +käme ich+, oder:
-wenn ich Geld +gehabt hätte+, +wäre ich gekommen+. Der Sinn ist in
-dem ersten Falle: ich +habe+ aber keins, im zweiten: ich +hatte+ aber
-keins, mit andern Worten: sowohl das Geldhaben als die Folge davon,
-das Kommen, wird in beiden Fällen als nichtwirklich, als „irreal“
-hingestellt. Die Sprache verfährt dabei sehr ausdrucksvoll. Sie rückt
-den Gedanken nicht bloß aus dem Bereiche der Wirklichkeit (den der
-Indikativ ausdrücken würde), sondern versetzt ihn außerdem auch noch
-in eine größere Zeitferne: eine irreale Bedingung in der Gegenwart
-wird durch das Imperfekt (wenn ich +hätte+), eine irreale Bedingung in
-der Vergangenheit durch das Plusquamperfekt (wenn ich +gehabt hätte+)
-ausgedrückt. Ein Schwanken in dem Tempus des Konjunktivs ist hier
-völlig ausgeschlossen; Imperfekt und Plusquamperfekt sind in solchen
-Sätzen unerläßlich.[68]
-
-Solche Sätze bildet ja nun jeder richtig, wenn er auch vielleicht nie
-darüber nachgedacht hat, warum er sie so bildet. Die Bedingungssätze
-sind aber keineswegs die einzigen Nebensätze, die irrealen Sinn
-haben können. Etwas sehr gewöhnliches sind auch Relativsätze,
-Objektsätze, Kausalsätze, Folgesätze mit irrealem Sinn. In allen diesen
-Sätzen verfährt die lebendige Sprache genau so wie in den irrealen
-Bedingungssätzen, jedermann bildet auch sie in der Umgangssprache
-ganz richtig, ohne sich einen Augenblick zu besinnen, und sagt: ich
-kenne +keinen+ Menschen, den ich lieber +hätte+ als dich -- ich weiß
-+nichts+ davon, daß er verreist +gewesen wäre+ -- ich will nicht
-+sagen+, daß ich keine Lust +gehabt hätte+[69] -- er ist zu dieser
-Arbeit nicht zu brauchen, +nicht+ etwa weil er zu dumm dazu +wäre+ --
-ich bin +nicht+ so ungeduldig, daß ich es nicht erwarten +könnte+ usw.
-Aber der Papiermensch getraut sich solche Sätze nicht zu schreiben, er
-stutzt, zweifelt, wird irre, schreibt schließlich -- den Indikativ, und
-so laufen einem denn täglich auch solche Sätze über den Weg wie: ich
-kenne +keine+ zweite Fachzeitschrift auf diesem Gebiete, die so allen
-Ansprüchen entgegen+kommt+ (+käme+!) -- die Geschichte kennt +keine+
-Musiker, die auf rein autodidaktischem Wege zur Bedeutung gelangt
-+sind+ (+wären+!) -- es dürfte heute +kein+ Physiker zu ermitteln
-sein, der an die Möglichkeit eines absolut leeren Raumes +glaube+
-(+glaubte+!) -- bei Shakespeare selbst findet sich +kein+ Wort, das
-auf eine solche Anschauung seines Helden +deutet+ (+deutete+!) -- es
-gibt +kein+ Stück Shakespeares, worin die Charaktere klarer entwickelt
-+sind+ (+wären+!) -- es gibt +kein+ zweites Industrieprodukt, das
-eine derartige Verbreitung gefunden +hat+ (+hätte+!) -- es gibt heute
-+keine+ Sängerin von Ruf, die diese Lieder nicht +singt+ (+sänge+!),
-kein Publikum, das sie nicht begeistert +aufnimmt+ (+aufnähme+!) --
-Wien ist gegenwärtig +kein+ Platz, wo goldne Sporen zu verdienen +sind+
-(+wären+!) -- es +fehlte+ bisher an einem Buche, +das+ dem Laien
-verständlich +war+ (+gewesen wäre+!) und zugleich auf der Höhe der
-Wissenschaft +stand+ (+gestanden hätte+!) -- es gibt +keinen+, +der+
-die Entwicklung der politischen Verhältnisse +kennt+ (+kennte+!),
-keinen, der sagen +kann+ (+könnte+!): morgen wird es so sein --
-+nie+ hat er etwas getan, +was+ mit seiner Untertanenpflicht in
-Widerspruch +stand+ (+gestanden hätte+!) -- wir haben seit langen
-Jahren +kein+ Abgeordnetenhaus gehabt, worin diese Partei so stark
-vertreten +war+ (+gewesen wäre+!) -- wir hören +nichts+ davon, daß
-die weniger betroffnen Gemeinden den Notleidenden die Hand +boten+
-(+geboten hätten+!) -- ich gebe diese Auslassung wörtlich wieder,
-+nicht+ weil ich sie für sehr bedeutend +halte+ (+hielte+!), sondern
-weil usw. -- gewiß sind manche Fehler begangen worden, nicht etwa
-weil unsre Vorfahren unverständige Leute +waren+ (+gewesen wären+!)
-und ihre Pflicht nicht getan +haben+ (+hätten+!), sondern weil eine
-solche Entwicklung nicht vorauszusehen war -- wie +selten+ sind diese
-Kenntnisse ein so sichrer Besitz geworden, +daß+ mit Freiheit darüber
-verfügt +wird+ (+würde+!) -- die Summe gewährt ihm +keine+ genügende
-Unterstützung, +daß+ er während seiner Studentenzeit sorgenfrei leben
-+kann+ (+könnte+!) -- so dumm sind unsre Schauspieler nicht, +daß+ man
-ihnen das alles haarklein vorschreiben +muß+ (+müßte+!) -- die Sache
-ist damals beanstandet worden, +ohne daß+ über den Grund aus den Akten
-etwas zu ersehen +ist+ (+wäre+!) -- ach, es war eine schöne Zeit, zu
-schön, +als daß+ sie lange dauern +konnte+ (+hätte+ dauern +können+!)
--- zum Glück war ich noch zu klein, +als daß+ mir der Inhalt des Buches
-großen Schaden zufügen +konnte+ (+hätte+ zufügen +können+!) -- die
-Hauswirte lassen lieber die Wohnungen leer stehen, +als daß+ sie sie
-billig +vermieten+ (+vermieteten+!) -- +anstatt daß+ eine Beruhigung
-+eintrat+ (+eingetreten wäre+!), bemächtigte sich vielmehr des ganzen
-Landes eine tiefe Aufregung.
-
-In allen diesen Sätzen drückt der Nebensatz etwas Nichtwirkliches
-aus. Zu allen diesen Nebensätzen ist gleichsam im Geist ein irrealer
-Bedingungssatz zu ergänzen: nie hat er etwas getan, was mit seiner
-Untertanenpflicht in Widerspruch +gestanden hätte+ (nämlich +wenn er
-es getan hätte+, was eben +nicht+ der Fall +war+). Also müssen sie
-auch alle in den Modus der Nichtwirklichkeit treten. Es würde ganz
-unbegreiflich sein, wie jemand solche Nebensätze in den Indikativ
-setzen kann, wenn nicht, wie so oft, die leidige Halbwisserei dabei im
-Spiele wäre. Man ist nicht unwissend genug, den richtigen Konjunktiv
-aus der lebendigen Sprache unangezweifelt zu lassen, aber man ist auch
-nicht wissend, nicht unterrichtet genug, den Zweifel niederzuschlagen
-und das richtige aufs Papier zu bringen.
-
-
-Vergleichungssätze. Als wenn, als ob
-
-Zu diesen Nebensätzen, die sehr oft irrealen Sinn haben, gehören nun
-auch die Vergleichungssätze, die mit +als ob+, +als wenn+, +wie wenn+
-anfangen. Sehr oft kann oder muß man zu solchen Sätzen im Geiste den
-Gedanken ergänzen: was +nicht+ der Fall +ist+ oder: was +nicht+ der
-Fall +war+, z. B.: er geht mit dem Gelde um, +als ob+ er (was nicht
-der Fall ist) ein reicher Mann +wäre+. Auch diese Sätze werden in der
-lebendigen Sprache wie alle andern irrealen Nebensätze behandelt,
-d. h. in der Gegenwart stehen sie im Konjunktiv des Imperfekts, in
-der Vergangenheit im Konjunktiv des Plusquamperfekts. Auf dem Papier
-ist aber jetzt auch hier Verwirrung eingerissen. Man schreibt z. B.:
-er tut, als +habe+ er schon damals diese Absicht gehabt -- er sah
-mich verwundert an, als ob ich irre +rede+ oder Fabeln +erzähle+.
-Es muß heißen: als +hätte+ er -- als ob ich irre +redete+ oder
-Fabeln +erzählte+ -- ganz abgesehen davon, daß sich in dem zweiten
-Beispiel die Konjunktive der Gegenwart nicht von den Indikativen
-unterscheiden. Die Verwirrung geht so weit, daß solche Sätze jetzt
-sogar in den Indikativ gesetzt werden, z. B.: es will uns scheinen,
-als ob die mißgünstige Kritik einen sehr durchsichtigen Grund +hat+ --
-es macht den Eindruck, als ob das Stück der Zensurbehörde +vorlag+,
-aber nicht die Sanktion +erhielt+ -- es war, als ob seit dem Einzuge
-der verwitweten Tochter ein unheimlicher Druck auf dem ganzen Hause
-+lag+.[70]
-
-Soll nicht angedeutet werden, daß der in dem Vergleichungssatze
-stehende Gedanke nicht wirklich sei, so kann (nach einem Präsens im
-Hauptsatze) natürlich auch im Nebensatze der Konjunktiv der Gegenwart
-stehen, z. B.: es +will+ mir scheinen, +als ob+ er geflissentlich die
-Augen dagegen +verschließe+ -- es +gewinnt+ den Anschein, +als wolle+
-der Verfasser das sittliche Gefühl des Zuschauers absichtlich verletzen
--- ich +habe+ die Empfindung, +als ob+ ihm die Welt zuweilen recht
-verzerrt +erschienen sei+.
-
-
-Würde
-
-Wieviel zu der herrschenden Unsicherheit im Gebrauche der Modi die
-Unsitte beiträgt, die Hilfszeitwörter wegzulassen, ist schon gezeigt
-worden (vgl. S. 139). Nicht nur der Unterricht sollte darauf halten,
-sondern auch jeder Einzelne sich selbst so weit in Zucht nehmen, daß
-gerade da, wo ein Zweifel über den Modus entstehen kann, das bequeme
-Auskunftsmittel, das Hilfszeitwort zu unterdrücken, verschmäht würde,
-der Gedanke stets reinlich und bestimmt zu Ende gebracht würde. Für
-den Konjunktiv des Imperfekts aber und seinen richtigen Gebrauch ist
-insbesondere noch der Umstand verhängnisvoll geworden, daß man ihn
-in Hauptsätzen zu Bedingungssätzen durch den sogenannten Konditional
-(+würde+ mit dem Infinitiv) umschreiben kann (+ich würde bringen+
-statt: +ich brächte+). Das hat nicht nur dazu geführt, daß sich viele
-Leute von gewissen Zeitwörtern kaum noch einen wirklichen Konjunktiv
-des Imperfekts zu bilden getrauen, daß sie sich überall da, wo sie
-zweifeln (vgl. S. 62), mit dem kläglichen +würde+ behelfen, anstatt
-sich die Kenntnis der richtigen Verbalform zu verschaffen, sondern sie
-hat auch schon eine bedenkliche Verwirrung im Satzbau angerichtet.
-Von Süddeutschland und namentlich von Österreich aus hat sich aus dem
-fehlerhaften Hochdeutsch der Halbgebildeten immer mehr die Unsitte
-verbreitet, den Konditional auch in Bedingungs- und Relativsätzen,
-Vergleichungs- und Wunschsätzen anzuwenden.
-
-Man schreibt: ich würde mich nicht wundern, wenn ich in einer Zeitung
-+lesen würde+ (+läse+!) -- von großer Bedeutung wäre es, wenn sich der
-Leserkreis des Blattes +erweitern würde+ (+erweiterte+) -- wir könnten
-eine monumentale Sprache wiedergewinnen, wenn wir unser Denkmalschema
-+verlassen würden+ (+verließen+!) -- wie schematisch würde eine
-historische Darstellung ausfallen, wenn sie immer nur diese Maßstäbe
-+anlegen würde+ (+anlegte+!) -- weniger Sauberkeit und Regelmäßigkeit
-wäre dichterisch wertvoller, wenn sich eine starke Natur, eine glühende
-Leidenschaft, ein hoher Sinn +offenbaren würden+ (+offenbarten+!) --
-der Christ, der sich +einbilden würde+ (+einbildete+!), daß seine
-Religion die Menschen zu Engeln gemacht habe, wäre ein Utopist --
-der Stil seiner Abhandlung wird oft so hoch, als wenn er über Goethe
-+schreiben würde+ (+schriebe+!) -- hat die Kochstunde geschlagen,
-so muß das Feuer flackern, als ob es auf Kommando +gehen würde+
-(+ginge+!) -- er fuhr mit den Händen auf und ab, als ob er +buttern
-würde+ (+butterte+!) -- wenn man diese Arbeit eines Spezialisten auf
-therapeutischem Gebiete durchstudiert, so bekommt man den Eindruck,
-als wenn man das Urteil eines Richters +lesen würde+ (+läse+!), der
-in eigner Sache entscheidet -- diese Romane tun, als +würden+ sie die
-Laster nur der Sittlichkeit wegen +schildern+ (+schilderten+!) -- es
-wäre zu wünschen, er +würde+ dieser Feier einmal +beiwohnen+ (+wohnte
-bei+!) -- es wäre dringend erwünscht, daß das Polizeiamt dieser
-Anregung Folge +geben würde+ (+gäbe+!) -- es gibt +keine+ Sphäre des
-Lebens, deren Anfänge nicht im Unbewußten +liegen würden+ (+lägen+!) --
-wenn nur wenigstens künstlerische Form ihre Darstellung +adeln würde+
-(+adelte+!) -- der Engländer ist zu sachlich und zu praktisch, als daß
-er selber beleidigend +auftreten würde+ (+aufträte+!) -- der Ernst des
-militärischen Lebens läßt es sich ab und zu gefallen, daß das Blümlein
-Humor an ihm emporwuchert, ohne daß sich dadurch das feste Gefüge der
-Disziplin +lockern würde+ (+lockerte+!).
-
-Ein wahres Wunder, daß wir den Kehrreim bei Mirza Schaffy und
-Rubinstein: ach, wenn es doch immer so +bliebe+! nicht längst
-verschönert haben zu: ach, wenn es doch immer +so bleiben würde+! Ein
-wahres Wunder, daß wir das alte Volkslied: wenn ich ein Vöglein +wär+
-und auch zwei Flüglein +hätt+! noch nicht umgestaltet haben zu: wenn
-ich ein Vöglein +sein würde+ und auch zwei Flüglein +haben würde+!
-Denn so müßte es doch eigentlich in dem schönen österreichischen
-Zeitungshochdeutsch heißen! Im Volksdialekt heißt es freilich ganz
-richtig: Wann i a Vögerl war (= wär) und a zwoa Flügerln hätt.
-
-Nicht zu verwerfen ist es, wenn in Bedingungs- und Wunschsätzen
-anstatt des Konjunktivs ein +wollte+, +sollte+ oder +möchte+ mit dem
-Infinitiv erscheint. Der Satz kann hierdurch bisweilen eine feine
-Färbung erhalten. Wenn ich mir das +erlauben wollte+ -- ist etwas
-andres als das einfache: wenn ich mir das +erlaubte+, wenn er sich so
-etwas +unterstehen sollte+ -- etwas andres als das einfache: wenn er
-sich das +unterstünde+ -- wenn sich doch die Regierung einmal ernstlich
-darum +kümmern möchte+ -- etwas andres als das einfache: wenn sie
-sich doch einmal darum +kümmerte+. Eine so sinnvolle Verwendung der
-Hilfszeitwörter ist natürlich mit dem inhaltlosen, nichtssagenden
-+würde+ nicht auf eine Stufe zu stellen.
-
-
-Noch ein falsches würde
-
-Ein abscheulicher Stilunfug, der jetzt durch unsre gesamte
-Erzählungsliteratur geht, ist die Schluderei, die Erzählung durch
-eine abhängige (indirekte) Rede zu unterbrechen, ohne ein Zeitwort
-des Sagens, Denkens oder Meinens vorauszuschicken oder wenigstens
-einzuschalten. Etwa so: Trotz solcher bittern Erfahrungen ließ H. den
-Mut nicht sinken. Er +würde+ nach Berlin gehn, +würde+ sich dort Arbeit
-suchen, und es +würden+ auch wieder bessere Zeiten kommen. Jeder, der
-das liest, glaubt zunächst, der Erzähler spreche weiter, „Er würde“
-sei der Konjunktiv des Imperfekts, und es werde nun ein Bedingungssatz
-folgen. Statt dessen ist der Satz als indirekte Rede dem Helden in den
-Mund gelegt, und „Er würde“ soll der Konjunktiv des Futurums sein (in
-direkter Rede: +ich werde+ nach Berlin gehn, +werde+ mir dort Arbeit
-suchen, und es werden auch wieder bessere Zeiten kommen). Ein guter
-Erzähler hätte etwa so geschrieben: Er +wollte+ nach Berlin gehn, er
-+beschloß+, nach Berlin zu gehn, er +hoffte+, daß auch wieder bessere
-Zeiten kommen würden. Das unvorbereitete Umspringen in die indirekte
-Rede soll wohl der Darstellung etwas dramatisch lebendiges geben, es
-ist aber eine Liederlichkeit. Leider ist sie in neuern Erzählungen
-schon so verbreitet, daß sie dem gewohnheitsmäßigen Romanfresser gar
-nicht mehr auffällt. Woher sie stammt? Wie es scheint, aus schlecht
-übersetzten Erzählungen aus den skandinavischen Sprachen.
-
-
-Der Infinitiv. Zu und um zu
-
-In den Infinitivsätzen werden mannigfaltige Fehler gemacht. Vor allem
-reißt eine immer größere Verwirrung in dem Gebrauch von +zu+ und
-+um zu+ ein, und zwar so, daß sich +um zu+ immer öfter an Stellen
-drängt, wo nur +zu+ hingehört. Und doch ist zwischen beiden ein großer
-Unterschied. Der Infinitiv mit +um zu+ bezeichnet den Zweck einer
-Handlung; der Infinitiv mit +zu+ dagegen dient zur Begriffsergänzung
-des Hauptworts oder Zeitworts, von dem er abhängt. In einem Satze wie:
-die schönen Tage +benutzte+ ich, die Gegend +zu durchstreifen+, +um+
-meine Gesundheit +zu kräftigen+ -- ist der Sinn von +zu+ und +um zu+
-deutlich zu sehen. Ich benutzte die schönen Tage -- das verlangt eine
-Ergänzung. Wozu denn? fragt man; das bloße +benutzte+ sagt noch nichts.
-Die notwendige Ergänzung lautet: die Gegend +zu durchstreifen+. Aber
-das ist kein Zweck; der Zweck wird dann noch besonders angegeben: +um+
-meine Gesundheit +zu kräftigen+.[71]
-
-Solche ergänzungsbedürftige Begriffe gibt es nun in Menge. Von
-Hauptwörtern gehören dazu: +Art und Weise+, +Mittel+, +Macht+, +Kraft+,
-+Lust+, +Absicht+, +Versuch+, +Zeit+, +Alter+, +Geld+, +Gelegenheit+,
-+Ort+, +Anlaß+ usw., von Zeitwörtern: +imstande sein+, +genug+ (+groß
-genug+, +alt genug+ usw.) +sein+, +genügen+, +hinreichen+, +passen+,
-+geeignet sein+, +angetan sein+, +dasein+, +dazu gehören+, +dienen+,
-+benutzen+ usw. Auf alle diese Begriffe darf nur der Infinitiv mit
-+zu+ folgen.[72] Dennoch wird jetzt immer öfter geschrieben: es wurde
-eine günstige +Gelegenheit+ benutzt, +um sich+ einen Weg durch die
-Feinde zu +bahnen+ -- hierin sehen wir das beste +Mittel+, +um+ einem
-Mißbrauch der Staatssteuer +vorzubeugen+ -- als er endlich +Kraft+
-und +Lust+ fühlte, +um+ sich an monumentalen Aufgaben zu +versuchen+
--- sogar eine Übung mit dem Zeitwort muß den +Anlaß+ geben, +um+ den
-Rachekrieg +zu predigen+ -- wo ist in der Türkei ein +Mann+, +um so+
-umfassende Aufgaben +durchzuführen+? -- wenn man wirklich einmal die
-+Zeit+ gewinnt, +um+ ein aus dem Drange des Herzens geschaffnes Werk
-+zu vollenden+ -- nach den Vorbereitungen für die Schule behielt
-sie noch +Zeit+ übrig, +um+ deutsche Gedichte +zu lesen+ -- alle
-waren in dem +Alter+, +um+ die Gefahr +zu begreifen+ -- wie viele
-Schulbibliotheken haben kein +Geld+, +um+ sich Rankes Weltgeschichte
-+zu kaufen+! -- er hatte das nötige +Geld+, +um+ durch Reisen seinen
-Wissensdurst +zu befriedigen+ -- es +gehört+ schon eine bedeutende
-Einnahme +dazu+, +um+ sich eine anständige Wohnung +verschaffen zu
-können+ -- manche Aufzeichnungen scheinen mir nicht +geeignet+, +um+
-einen Platz in diesen Denkwürdigkeiten +zu finden+ -- die Zeitlage
-ist nicht dazu +angetan+, +um+ diese Forderungen +zu bewilligen+ --
-den Aufenthalt in Berlin +benutzte+ ich, +um+ mich auch den ältern
-Fachgenossen +vorzustellen+ -- die Arbeiter +sind+ nur dazu +da+,
-+um+ den Hausbesitzern eine möglichst hohe Grundrente +zu sichern+
--- sind diese Gründe wirklich +genügend+, +um+ das Bestehen einer
-solchen Einrichtung +zu rechtfertigen+? -- ist unsre Sprache noch
-+jung genug+, +um+ (!) neue Wörter +zu erzeugen+? -- ein Jahrhundert
-ist +lang genug+, +um+ (!) in der Sprache erhebliche Änderungen
-+hervorzurufen+ -- der deutsche Geist war +stark genug+ geworden,
-+um+(!) die fremden Ketten +zu brechen+ -- ich muß abwarten, ob ihm
-mein Wesen +Interesse genug+ einflößen wird, +um+(!) sich mit mir
-abzugeben. Eine Zeitung schreibt: die englische Regierung wird +nichts
-tun+, +um+ die Gemeinsamkeit in dem Vorgehen der Mächte +zu stören+.
-Das kann doch nur heißen: sie wird sich untätig verhalten, damit sie
-das gemeinsame Vorgehen der Mächte störe. Es soll aber heißen: sie wird
-alles unterlassen, was das gemeinsame Vorgehen stören könnte. Solches
-Unheil richtet das dumme +um+ an!
-
-Namentlich hinter den Verbindungen mit +genug+ hat +um zu+ gewaltig um
-sich gegriffen, obwohl sich die lebendige Sprache meist noch mit dem
-bloßen zu begnügt, und die Mutter zu ihrem Jungen ganz richtig sagt:
-du bist +alt genug+, das +zu begreifen+! Vollends verdrängt worden
-ist aber das ursprüngliche einfache +zu+ nach den mit +zu+ verbundnen
-Adjektiven: Gott ist +zu hoch+, +um+ sich um die Kleinigkeiten der
-Welt +zu kümmern+ -- der Stoff ist viel +zu umfänglich+, +um+ ihn
-in öffentlichen Vorlesungen +zu behandeln+ -- sie haben +zu wenig+
-Bildung, +um+ ihre Taktlosigkeiten +zu erkennen+ -- die Mannschaft ist
-+zu gering+, +um+ einen festen Stützpunkt für die Schulung der Rekruten
-+abzugeben+. Auch hier genügt überall das einfache +zu+ und hat auch
-früher genügt. (Freilich heißt es auch schon im Faust: Ich bin +zu
-alt+, +um+ nur +zu spielen+, +zu jung+, +um+ ohne Wunsch +zu sein+.)
-
-Wie die angeführten Beispiele zeigen, ist es nicht nötig, daß
-das Subjekt des Infinitivsatzes immer dasselbe sei wie das des
-Hauptsatzes. Doch ist es gut, dabei vorsichtig zu sein. Es braucht bei
-Verschiedenheit des Subjekts nicht immer solcher Unsinn herauszukommen
-wie in dem Satze: +ohne Gefahr zu ahnen+, +geriet ein+ vom Abhange
-rollender +Stein+ unter das Vorderrad des Wagens -- es sind auch solche
-Sätze schlecht wie: die Kurfürstin ließ den Hofprediger rufen, um sie
-mit den Tröstungen der Religion +zu erquicken+; hier wird nur der
-Fehler durch den Gegensatz der Geschlechter verschleiert. Man setze
-statt der Kurfürstin den Kurfürsten, und sofort entsteht Unsinn, sofort
-müßte der Infinitivsatz geändert und geschrieben werden, +um sich+ von
-ihm mit den Tröstungen der Religion +erquicken zu lassen+. Erträglich
-sind aber folgende Sätze: der achteckige Aufbau soll wegfallen, +um+
-Turm und Schiff in größern Einklang +zu bringen+ -- das Fechten mit der
-blanken Waffe sollte fleißig geübt werden, +um+ nötigenfalls mit der
-eignen Person +eintreten zu können+ -- zurzeit liegt die Fregatte im
-Trockendock, +um+ sie für die Winterreise +vorzubereiten+. Hier schwebt
-beim Infinitiv ein unbestimmtes Subjekt (+man+) vor.
-
-Vorsichtig muß man auch mit einer Anwendung des Infinitivs mit
-+um zu+ sein, die manche sehr lieben, nämlich der, von zwei
-aufeinanderfolgenden Vorgängen den zweiten als eine Art von Verhängnis
-oder Schicksalsbestimmung hinzustellen und dabei in die Form eines
-Absichtssatzes zu kleiden, z. B.: der Herzog kehrte nach F. zurück, um
-es nie wieder +zu verlassen+. Der Sinn ist: es war ihm vom Schicksal
-bestimmt, es nie wieder zu verlassen, während seine Absicht vielleicht
-war, es noch recht oft zu verlassen. Man kann diesen Gebrauch das
-ironische +um zu+ nennen. Es entsteht aber sehr oft ein lächerlicher
-Sinn dabei, z. B.: er wurde in dem Kloster Lehnin beigesetzt, +um+
-später in den Dom zu Kölln an der Spree +überführt+ (!) +zu werden+
--- er schloß sich der Emin-Pascha-Expedition an, +um+ ein trauriges
-Ende dabei +zu finden+ -- täglich wird eine Masse von Konzert- und
-Theaterberichten geschrieben, +um+ schnell wieder +vergessen zu
-werden+ -- beim Eintreffen der Feuerwehr brannte das Gebäude bereits
-vollständig, +um+ schließlich +einzustürzen+ -- die Einzeichnungen
-beginnen im Jahre 1530, +um+ schon im Jahre 1555 wieder +abzubrechen+
--- vor etwa dreißig Jahren sind die Niersteiner Quellen versiegt, +um+
-erst neuerdings wieder +hervorzubrechen+ -- nach einigen Jahren wandte
-er sich nach Magdeburg, doch nur, +um+ dort in noch größere Bedrängnis
-+zu geraten+ -- die Schwestern reisten in die Schweiz, wo sie sich
-trennten, +um+ sich nie +wiederzusehen+. Das Richtige wären hier
-überall zwei Hauptsätze.
-
-Mit dem Hilfszeitwort +sein+ verbunden kann der Infinitiv mit +zu+
-sowohl die Möglichkeit wie die Notwendigkeit ausdrücken; das
-+ist zu erreichen+ heißt: das +kann+ erreicht werden, das +ist zu
-beklagen+ heißt: das +muß+ beklagt werden. Daher muß man sich vor
-Zweideutigkeiten hüten, wie: ein Fräulein sucht Stelle bei einem
-geistlichen Herrn; gute Zeugnisse +sind vorzulegen+.
-
-
-Das Partizipium. Die stattgefundne Versammlung
-
-Partizipia hat unsre Sprache nur zwei: ein aktives in der Gegenwart
-(ein +beißender+ Hund, d. i. ein Hund, der beißt), und ein passives in
-der Vergangenheit (ein +gebissener+ Hund, d. i. ein Hund, der +gebissen
-worden+ ist).[73] Für die Gegenwart fehlt es an einem passiven, für
-die Vergangenheit an einem aktiven Partizipium; weder ein Hund, der
-gebissen +wird+, noch ein Hund, der gebissen +hat+, kann durch ein
-Partizip ausgedrückt werden.[74] Nur wirkliche Passiva von transitiven
-Zeitwörtern und im Aktiv solche Intransitiva, die sich zur Bildung der
-Vergangenheit des Hilfszeitworts +sein+ bedienen (+gehen+, +laufen+,
-+sterben+), können ein Partizip der Vergangenheit bilden (+gegangen+,
-+gelaufen+, +gestorben+).
-
-Diese Schranke hat aber nicht immer bestanden. In der ältern Zeit
-ist das Partizipium der Gegenwart auch im passiven Sinne gebraucht
-worden. Noch im achtzehnten und zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts
-sagte man ganz unbedenklich: zu einer +vorhabenden Reise+, zu seinem
-+vorhabenden+ neuen +Bau+, sein vor dem Tore +besitzendes Haus+, das
-gegen mich +tragende Vertrauen+, laut der in Händen +habenden Urkunde+,
-die Briefe des sich von meiner +unterhabenden Kompagnie+ selbst
-entleibten (!) Unteroffiziers, er nahm dem Erschlagnen die bei sich
-+tragenden Pretiosen+ ab, wir konnten uns nur mit Mühe den +bedürfenden
-Bissen+ Brot verschaffen usw., ja man sprach sogar von +essender Ware+
-(statt von +Eßware+). Aber diese Erscheinung ist doch nach und nach
-durch den Unterricht beseitigt worden. Höchst selten kommt es vor, daß
-man in einer Zeitung noch heute einen Satz liest wie: er hatte nichts
-eiligeres zu tun, als ihm eine +in der Hand haltende Flasche+ an den
-Kopf zu werfen. Verkehrt aber wäre es, die +fahrende Habe+ mit unter
-diese Ausdrücke zu rechnen, denn hier hat das Partizip wirklich aktiven
-Sinn, wie bei dem +fahrenden Volke+: der Fuhrmann +führt+ die Habe, die
-Habe aber +wird geführt+, oder sie +fährt+ (vgl. S. 56).
-
-Andrerseits hat man nach dem Beispiel der intransitiven Partizipia
-schon frühzeitig angefangen, auch passive Partizipia von transitiven
-Zeitwörtern aktivisch zu verwenden. Einzelne Beispiele davon haben
-sich so in der Sprache eingebürgert, daß sie gar nicht mehr als falsch
-empfunden werden; man braucht nur an Verbindungen zu denken wie: ein
-+geschworner+ Bote, ein +abgesagter+ Feind, ein +gedienter+ Soldat,
-ein +gelernter+ Kellner, ein +studierter+ Mann, ein +erfahrner+ Arzt,
-ein +verdienter+ Schulmann usw. Alle diese Partizipia haben aktive
-Bedeutung, auch der +abgesagte+ Feind, der natürlich ein Feind ist,
-der einer Person oder einer Sache +abgesagt+, ihr gleichsam die Absage
-geschickt +hat+; aber sie werden kaum noch als Partizipia gefühlt,
-man fühlt und behandelt sie wie Adjektiva. Auch Verneinungen solcher
-Partizipia sind gebildet worden, wie +ungepredigt+, +ungefrühstückt+:
-er mußte +ungepredigt+ wieder von der Kanzel gehen. Aber auch diese
-Verirrung ist doch im Laufe der Zeit durch den Unterricht beseitigt
-worden, und heute erscheint es uns unerträglich, zu sagen: der
-vormals zu diesem Hause +gehörte+ Garten, die zwischen den Parteien
-+gewaltete+ Uneinigkeit, eine im vorigen Jahrhundert +obgeschwebte+
-Rechtssache, durch Dekoration leicht +gelittene+ Artikel, die dem Feste
-+beigewohnten+ Mitglieder, die an der Feier +teilgenommenen+ Offiziere,
-Nacht verhüllte seinen ihm so lange +gestrahlten+ Glücksstern,[75]
-und nun vollends in Verbindung mit einem Objekt: die das Zeitliche
-+gesegneten+ Mitglieder, das den Lokomotivführer +betroffne+ Unglück,
-eine inzwischen Gesetzeskraft +erlangte+ Übereinkunft, die im
-vorigen Jahre eingerichtete und sehr günstige Aufnahme +gefundne+
-Auskunftsstelle, trotz ihres hohen nun schon ein Jahrhundert
-+überschrittnen+ Alters. Vor allem aber unerträglich erscheinen die
-+stattgehabte+ und die +stattgefundne+ Versammlung. Je häufiger die
-beiden Zeitwörter +statthaben+ und +stattfinden+ -- namentlich das
-zweite -- ohnehin in unsrer Amts- und Zeitungssprache verwandt werden,
-je lebendiger man sie also als Zeitwörter, und zwar als aktive, mit
-einem Objekt verbundne Zeitwörter (+Statt finden+, d. h. Platz finden)
-fühlt, desto widerwärtiger sind für jeden Menschen, der sich noch
-etwas Sprachgefühl bewahrt hat, diese zahllosen +stattgefundnen+
-Versammlungen, Beratungen, Verhandlungen, Wahlen, Prüfungen,
-Untersuchungen, Audienzen, Feuersbrünste usw.[76]
-
-Sie sind aber doch so kurz und bequem, soll man denn immer Nebensätze
-bilden? Nein, das soll man nicht; aber man soll ein klein wenig
-nachdenken, sich in dem Reichtum unsrer Sprache umsehen und dann
-schreiben: die +veranstaltete+ Feier, die +abgehaltne+ Versammlung,
-die +vorgenommne+ Abstimmung, die +angestellte+ Untersuchung, die
-+bewilligte+ Audienz, die +ausgebrochne+ Feuersbrunst usw., oder
-man soll, was in tausend Fällen das gescheiteste ist, das müßige
-Partizipium ganz weglassen. Die +stattgefundne Untersuchung+ ergab --
-kann denn eine Untersuchung etwas ergeben, die +nicht+ stattgefunden
-hat? In R. ereignete sich bei einer +stattgehabten Feuersbrunst+ das
-Unglück -- kann sich auch ein Unglück ereignen bei einer Feuersbrunst,
-die nicht stattgehabt hat? Über den +stattgefundnen Wechsel+ im
-Ministerium sind unsre Leser bereits unterrichtet -- können die Leser
-auch unterrichtet sein über einen Wechsel, der +nicht+ stattgefunden
-hat?
-
-Nicht viel besser als die +stattgefundnen+ Versammlungen sind aber auch
-der bei einem Meister in Arbeit +gestandne Geselle+ und der seit langer
-Zeit hier +bestandne Saatmarkt+, das früher +bestandne Hindernis+ und
-das lange +bestandne+ freundschaftliche +Verhältnis+. Freilich sagt
-man in Süddeutschland: er +ist gestanden+ (vgl. S. 59), und er +ist
-bestanden+[77]; aber in der Schriftsprache empfindet man das doch als
-Provinzialismus. Es gibt aber sogar Schulräte, die nicht bloß von
-+bestandnen Prüfungen+, sondern auch von +bestandnen Kandidaten+ reden!
-Dann darf man sich freilich nicht mehr über die Zeitungschreiber und
-die Kanzlisten wundern.[78]
-
-
-Das sich ereignete Unglück
-
-Aus dem vorigen ergibt sich von selbst, warum man auch nicht sagen
-darf: das +sich gebildete+ Blatt. Alle reflexiven Zeitwörter
-gebrauchen in der Vergangenheit das Hilfszeitwort +haben+, können
-also kein Partizip der Vergangenheit bilden. Falsch sind daher alle
-Verbindungen wie: der +sich ereignete+ Jagdunfall, die +sich bewährte+
-Geistesbildung, der von hier +sich entfernte+ Lehrer, die +sich
-davongemachten+ Zuschauer, der +kürzlich+ hier +sich niedergelassene+
-Bildhauer, die +sich+ zahlreich +eingefundnen+ Konzertbesucher, die
-am 9. August +sich+ (!) +angefangne+ Woche, das schon längst +sich+
-fühlbar +gemachte+ Bedürfnis, das +sich+ irrtümlich +eingeschlichne+
-Wort, das ehemals so weit +sich ausgebreitete+ Lehrsystem, ein +sich+
-aus den Kinderschuhen glücklich +herausentwickelter+ Jüngling, ein in
-der Mauerritze +sich eingenisteter+ Brombeerstrauch. Ein Partizip wäre
-hier nur dann möglich, wenn man sagen wollte: der +sich eingenistet
-habende+ Brombeerstrauch, eine Verbindung, die natürlich aus dem Regen
-in die Traufe führen würde. Es bleibt auch in solchen Fällen nichts
-übrig, als einen Relativsatz zu bilden: ein Brombeerstrauch, +der sich+
-in der Mauerritze +eingenistet hatte+.
-
-
-Hocherfreut oder hoch erfreut?
-
-Leipziger Geburtsanzeigen werden nie anders gedruckt als: Durch
-die glückliche Geburt eines Knaben wurden +hocherfreut+ usw. --
-auch Zeitungen schreiben: das gesamte Personal der Firma ist durch
-Jubelgaben +hocherfreut+ worden -- Gutenberg ist dieses Jahr in vielen
-deutschen Städten +hochgefeiert+ worden -- und auf Buchtiteln liest
-man: in dritter Auflage +neubearbeitet+ von usw. Welche Verirrung!
-Ein Partizip kann Verbalform sein, es kann auch Nomen sein.[79] Aber
-nur dann, wenn es Nomen, also Adjektiv ist, kann ein hinzugefügtes
-Adverb damit zu +einem+ Worte verwachsen: wie man von +hochadligen
-Eltern+ reden kann, so auch von +hocherfreuten+ Eltern. Wie soll
-aber ein Adverb mit dem Partizip zusammenwachsen, wenn das Partizip
-Verbalform ist? Wir sind +hocherfreut worden+ -- so könnte man doch nur
-schreiben, wenn es ein Zeitwort +hocherfreuen+ gäbe: ich +hocherfreue+,
-du +hocherfreust+ usw. Dasselbe gilt natürlich vom Infinitiv und bei
-intransitiven Zeitwörtern vom ~Verbum finitum~; es ist töricht, wenn
-Zeitungen schreiben: der Kronprinz ließ das Brautpaar +hochleben+, der
-Vortrag wird +hochbefriedigen+, +feststeht+, daß der Minister nicht
-zurücktreten wird, denn es gibt kein Zeitwort: ich +hochlebe+, ich
-+hochbefriedige+, ich +feststehe+.
-
-Ebenso wie mit den Adverbien ist es auch mit den Objekten. Man kann
-wohl schreiben: die +notleidende+ Landwirtschaft, aber falsch ist es,
-im Infinitiv zu schreiben: +notleiden+; denn es gibt kein Zeitwort: ich
-+notleide+.
-
-Es handelt sich hier durchaus nicht bloß um einen „orthographischen“
-Fehler oder gar bloß um eine gleichgiltige orthographische Abweichung,
-sondern in der falschen Schreibung verrät sich ein grober Denkfehler.
-
-
-Partizipium statt eines Neben- oder Hauptsatzes
-
-Wie es oft geschieht, daß ein Gedanke, der eigentlich durch einen
-Hauptsatz ausgedrückt werden müßte, unlogischerweise in einen
-Relativsatz gebracht wird (vgl. S. 130), so packt man oft auch einen
-Hauptgedanken in ein attributives Partizip und schreibt: hier ist
-das bisher noch von keiner Seite +bestätigte+ Gerücht verbreitet --
-die neue Auflage hat die von dem Verfasser getreulich +benutzte+
-Gelegenheit gegeben, manches nachzutragen -- ich sandte ausführliche,
-in freundlichster Weise +beantwortete+ Fragebogen an folgende
-Bibliotheken -- der Mörder nahm die Nachricht von seiner gestern früh
-+erfolgten+ Hinrichtung gefaßt entgegen -- mit klopfendem Herzen betrat
-ich das Auditorium, um die in der Bohemia +abgedruckte+ Antrittsrede
-zu halten -- die anonym +einzureichenden+ Bewerbungsschriften sind
-in deutscher, lateinischer oder französischer Sprache zu verfassen.
-Da fragt man doch: in welcher Sprache sind denn die nicht anonym
-einzureichenden zu verfassen? Und war denn die Antrittsrede wirklich
-schon gedruckt, als der Verfasser das Auditorium betrat? Natürlich
-soll es heißen: um die Antrittsrede zu halten, die dann in der Bohemia
-abgedruckt wurde -- die Bewerbungsschriften sind anonym einzureichen
-und in deutscher Sprache abzufassen.
-
-Nicht viel besser ist es, wenn ein Partizipsatz statt eines Hauptsatzes
-gesetzt wird, z. B.: im Jahre 1850 in den Generalstab +zurücktretend+
-(+getreten+!), +wurde+ B. 1858 zum persönlichen Adjutanten des Prinzen
-Friedrich Karl +ernannt+ -- er ging zunächst nach Paris, dann nach
-London, an beiden Plätzen im Bankfach +arbeitend+ -- oder gar: in der
-Einleitung +stellt+ Friedländer die Entwicklung des deutschen Liedes
-dar, hierauf (!) eine übersichtliche Bibliographie +bringend+ -- Jürgen
-lief in die Apotheke, nach wenig Augenblicken (!) mit einer großen
-Medizinflasche +zurückkehrend+. Während in den zuerst angeführten
-Beispielen eine Art von Schnelldenkerei vorliegt -- die Verfasser haben
-es gleichsam nicht erwarten können, zu sagen, was sie sagen wollten
---, handelt sichs in den letzten nur um einen ungeschickten Versuch,
-in den Ausdruck Abwechslung zu bringen. Der Sinn verlangt statt dieser
-Partizipialsätze Hauptsätze.
-
-
-Falsch angeschloßnes Partizipium
-
-Noch größer als bei Infinitivsätzen mit +um zu+ ist bei
-Partizipialsätzen die Gefahr eines Mißverständnisses, wenn das Partizip
-an ein anderes Wort im Satze als an das Subjekt angelehnt wird; das
-nächstliegende wird es auch hier immer sein, es auf das Subjekt des
-Hauptsatzes zu beziehen. Entschieden schlecht sind also Verbindungen
-wie folgende: +angefüllt+ mit edelm Rheinwein, überreiche ich Eurer
-Majestät diesen +Becher+ -- kaum +heimgekehrt+, wandte sich die
-engherzigste Philisterei gegen +ihn+ -- einmal +gedruckt+, kehre ich
-+dem Buche+ den Rücken -- +erhaben+ über Menschenlob und dessen +nicht
-bedürftig+, wissen wir, was wir an +unserm Fürsten+ haben -- an der
-Begründung unsers Unternehmens wesentlich +beteiligt+ und während der
-ganzen Dauer desselben an der Spitze des Aufsichtsrates +stehend+,
-verdanken wir der Tatkraft und Geschäftskenntnis des verehrten
-+Mannes+ unendlich viel -- +abstoßend+, schroff, von der mildesten
-Güte, verschlossen und hingebend, konnte man ganz irre an +ihm+ werden
--- durch Rotationsdruck +angefertigt+, sind wir in der Lage, das
-+Verzeichnis+ zu einem Spottpreis zu liefern -- +mich umdrehend+ grüßt
-+mich+ im Osten Schloß Johannisberg. Besonders beliebt ist es jetzt,
-das Partizip +anschließend+ so zu verbinden, daß man eine Zeit lang im
-Satze suchen muß, worauf es sich eigentlich beziehen soll, z. B.: schon
-in Ingolstadt hatte er sich, +anschließend+ an seine astronomischen
-Arbeiten, optischen Studien gewidmet. Das +anschließend+ soll hier auf
-Studien gehen: er schloß die optischen Studien an seine astronomischen
-Arbeiten an. Ebenso: +anschließend+ an diese allgemeine Einführung,
-dürfte es zweckmäßig sein, einmal das +Gebiet+ der Einzelheiten zu
-übersehen. Das schlimmste ist es, vor den Hauptsatz ein absolutes
-Partizip zu stellen, für das man sich dann vergebens in dem Satze
-nach einem Begriff umsieht, auf den es bezogen werden könnte, z. B.:
-wiederholt +lächelnd+ und lebhaft +grüßend+, fuhr das Kriegsschiff
-vorüber. Die Partizipia sollen sich auf -- den Kaiser beziehen!
-Es braucht nicht immer ein so lächerlicher Sinn zu entstehen wie
-hier, auch so beliebte Partizipia wie: +dies vorausgesetzt+, +dies
-vorausgeschickt+, +dies zugegeben+ u. ähnl. sind nicht schön. Ja man
-kann noch weiter gehen und sagen: das unflektierte Partizip überhaupt,
-wenigstens das der Gegenwart (1870 wandte er sich an Richard Wagner,
-ihn +fragend+ -- er schlich sich feige davon, nur ein kurzes Wort des
-Abschieds +zurücklassend+ -- der Vorsitzende entbot den Versammelten
-ein herzliches Willkommen, dankbar des Erscheinens der Ehrengäste
-+gedenkend+ und seiner Freude über die Zuwendung reicher Preise
-+Ausdruck gebend+), hat im Deutschen immer etwas unlebendiges, steifes;
-die Sprache erscheint darin wie halb erstarrt.
-
-
-In Ergänzung
-
-Wie Ungeziefer hat sich in den letzten Jahren eine Ausdrucksweise
-verbreitet, die die verschiedenartigsten Nebensätze und ganz besonders
-auch den Infinitiv und das Partizip ersetzen soll: die Verbindung von
-+in+ mit gewissen Hauptwörtern, namentlich auf +ung+. Den Anfang
-scheinen +in Erwägung+ und +in Ermanglung+ gemacht zu haben[80];
-diese beiden haben aber schon ein ganzes Heer ähnlicher Verbindungen
-nach sich gezogen, und das Ende ist noch nicht abzusehen, jede Woche
-überrascht uns mit neuen. Briefe von Beamten und Geschäftsleuten
-fangen kaum noch anders an als: +in Beantwortung+ oder +in Erwiderung+
-Ihres gefälligen Schreibens vom usw., ein Aufsatz wird geschrieben
-+in Anlehnung+ oder +in Anknüpfung+ an ein neu erschienenes Buch,
-ein Abschied wird bewilligt +in Genehmigung+ eines Gesuchs, eine
-Zeitungsmitteilung wird gemacht +in Ergänzung+ oder +in Berichtigung+
-einer frühern Mitteilung oder +in Fortsetzung+ des gestrigen Artikels,
-der Polizeirat vollzieht eine Handlung +in Vertretung+ oder +in
-Stellvertretung+ des Polizeidirektors, ein Vereinsmitglied leitet die
-Verhandlungen +in Behindrung+ des Vorsitzenden, eine Auszeichnung wird
-jemand verliehen +in Anerkennung+ seiner Verdienste, ein Mord wird
-begangen +in Ausführung+ früherer Drohungen, eine Bibliothek wird
-gestiftet +in Beschränkung+ auf gewisse Fächer usw.; man schreibt: +in
-Erledigung+ Ihres Auftrags -- +in Würdigung+ der volkswirtschaftlichen
-Wichtigkeit des Sparkassenwesens -- +in Anspielung+ auf eine frühere
-Reichstagsrede -- +in Wahrung+ meiner Interessen weise ich jeden
-solchen Versuch zurück -- +in Vervollständigung+ der Zirkularnote des
-Ministeriums -- +in Veranlassung+ des 25jährigen Geschäftsjubiläums
--- +in Begründung+ der Anklage beantragte der Staatsanwalt -- +in
-Überschätzung+ dieses Umstandes oder +in Entstellung+ des Sachverhalts
-behauptete er -- +in Ausführung+ von § 14 des Ortsstatuts bringen wir
-zur Kenntnis -- man gebe den Behörden +in Ausdehnung+ von § 39 die
-Befugnis -- +in Verfolgung+ dieses Zieles hatte Schliemann die obere
-Schicht zerstört -- +in Befolgung+ seiner Befehle wurden noch weitere
-Gebietsteile unterworfen -- die Schauspielkunst hat es, +in Abweichung+
-von dem eben gesagten, mit Gehör und Gesicht zugleich zu tun -- +in
-Nachahmung+ einer bei der Kreuzschule bestehenden Einrichtung wurden
-zwei Diskantistenstellen begründet -- der +in Verlängerung+ des
-Neumarkts durch die Promenade führende Fußweg usw. Vor einigen Jahren
-ging sogar eine Anekdote aus den Memoiren der Madame Carette durch die
-Zeitungen, wonach Bismarck dieser Dame auf einem Ball am Hofe Napoleons
-eine Rose überreicht haben sollte, mit den Worten: wollen Sie diese
-Rose annehmen +in Erinnerung+ an den letzten Walzer, den ich in meinem
-Leben getanzt habe.
-
-Wer ein wenig nachdenkt, sieht, daß hier die verschiedensten logischen
-Verhältnisse in ganz mechanischer Weise gleichsam auf eine Formel
-gebracht sind, wie sie so recht für denkfaule Leute geschaffen ist. In
-einem Teile dieser Verbindungen soll +in+ den Beweggrund ausdrücken,
-der doch nur durch +aus+ oder +wegen+ bezeichnet werden kann; +in
-Ermanglung+, +in Anerkennung+, +in Überschätzung+, +in Behindrung+ --
-das soll heißen: +aus Mangel+, +aus Anerkennung+, +aus Überschätzung+,
-+wegen Behindrung+. Wenn Nebensätze dafür eintreten sollten, so könnten
-sie nur lauten: +weil+ es mangelt, +weil+ er behindert ist, +weil+
-wir anerkennen, +weil+ er überschätzt. In einem andern Teile soll
-+in+ den Zweck bezeichnen, der doch nur durch +zu+ ausgedrückt werden
-kann; +in Ergänzung+, +in Berichtigung+, +in Vervollständigung+, +in
-Erinnerung+ -- das soll heißen: +zur Ergänzung+, +zur Berichtigung+,
-+zur Vervollständigung+, +zur Erinnerung+. Mit einem Nebensatze könnte
-man hier nur sagen: +um zu+ ergänzen, +um zu+ berichtigen, +um zu+
-vervollständigen, +damit Sie+ sich erinnern. Wieder in andern Fällen
-wäre +als+ am Platze statt in: ein Weg wird +als+ Verlängerung des
-Neumarkts durch die Promenade geführt, ein Brief wird geschrieben
-+als+ Antwort auf einen andern, der Polizeirat unterschreibt +als+
-Stellvertreter des Polizeidirektors. Nur in wenigen Fällen bezeichnet
-das +in+ wirklich einen begleitenden Umstand, wie man ihn sonst durch
-+indem+ oder durch das Partizip ausdrückt: ich schreibe einen Aufsatz,
-+anknüpfend+ an ein neues Buch, oder +indem+ ich an das Buch anknüpfe;
-dafür ließe sich ja zur Not auch sagen: +in Anknüpfung+, wiewohl auch
-das nicht gerade schön ist. +Indem+ der Staatsanwalt die Anklage
-begründete, beantragte er das höchste Strafmaß -- auch dafür kann
-man sagen: in +seiner Begründung+ (+seiner+ darf nicht fehlen).[81]
-Aber wie ist es möglich, das alles in einen Topf zu werfen: Ursache,
-Grund, Zweck, begleitende Umstände, vorübergehende oder dauernde
-Eigenschaften? Wie können wir uns solchem Reichtum gegenüber freiwillig
-zu solcher Armut verurteilen? Es handelt sich hier um nichts als
-eine Modedummheit, die unter dem Einflusse des Französischen und des
-Englischen (~en conséquence~, ~en réponse~, ~in remembrance~, ~in
-reply~, ~in answer~, ~in compliance with~, ~in his defence~ u. ähnl.)
-aufgekommen ist, und die nun gedankenlos nachgemacht und dabei
-immer weiter ausgedehnt wird. Es wird noch dahin kommen, daß jemand
-1000 Mark erhält +in Bedingung+ der Rückzahlung oder +in Belohnung+
-treuer Dienste oder +in Entschädigung+ für einen Verlust oder +in
-Unterstützung+ seiner Angehörigen; es ist nicht einzusehen, weshalb
-nicht auch das alles durch +in+ und ein Hauptwort auf +ung+ sollte
-ausgedrückt werden können.
-
-
-Das Attribut
-
-Unter den Erweiterungen, die ein Satzglied erfahren kann, stehen obenan
-das Attribut und die Apposition.
-
-Ein Attribut kann zu einem Hauptwort in vierfacher Form treten:
-als Adjektiv (ein +schöner Tod+), als abhängiger Genitiv (der +Tod
-des Kriegers+), als Bestimmungswort einer Zusammensetzung (der
-+Heldentod+), endlich in Form einer adverbialen Bestimmung (der
-+Tod auf dem Schlachtfelde+, der +Tod fürs Vaterland+). Auch gegen
-die vierte Art ist, wie ausdrücklich bemerkt werden soll, nichts
-einzuwenden; es ist untadliges Deutsch, wenn man sagt: das +Zimmer
-oben+, eine +Wohnung in der innern Stadt+, der +Weg zur Hölle+, die
-+Tötung im Duell+, die preußische +Mobilmachung im Juni+ usw. Manche
-getrauen sich zwar nicht, solche Attribute zu schreiben, sie meinen
-immer ein +befindlich+, +belegen+ (be!), +stattgefunden+, +erfolgt+
-oder dgl. dazusetzen zu müssen; aber das ist eine überflüssige und
-häßliche Umständlichkeit.
-
-Bisweilen kann man ja nun zwei solche Attributarten miteinander
-vertauschen, ohne daß der Sinn verändert wird, aber durchaus nicht
-immer. Auf wenigen Gebieten unsrer Sprache herrscht aber jetzt eine so
-grauenvolle Verwirrung wie auf dem der Attributbildung; hier wird jetzt
-tatsächlich alles durcheinander gequirlt.
-
-
-Leipzigerstraße oder Leipziger Straße?
-
-Wie würde man wohl über jemand urteilen, der ein +Fremdenbuch+ nicht
-von einem +fremden Buch+, einen +kranken Wärter+ nicht von einem
-+Krankenwärter+, eine +Gelehrtenfrau+ nicht von einer +gelehrten Frau+,
-+Bekanntenkreise+ nicht von +bekannten Kreisen+, ein +liebes Lied+
-nicht von einem +Liebeslied+, eine +Hoferstraße+ (nach Andreas Hofer
-genannt) nicht von einer +Hofer Straße+ (nach der Stadt Hof in Bayern
-genannt) unterscheiden könnte? Genau dieselbe Dummheit ist es, wenn
-jemand +Leipzigerstraße+ schreibt statt +Leipziger Straße+.
-
-Die von Ortsnamen (Länder- und Städtenamen) abgeleiteten Bildungen
-auf +er+ sind unzweifelhaft eigentlich Substantiva. +Österreicher+
-und +Passauer+ bedeutet ursprünglich einen Mann aus Österreich oder
-aus Passau. Als Adjektiva hat die ältere Sprache solche Bildungen
-nicht gebraucht, die Adjektiva bildete sie von Länder- und Städtenamen
-auf +isch+: +meißnisch+ (meißnische Gulden), +torgisch+ (von Torgau,
-torgisches Bier), +lündisch+ (von London, lündisches Tuch), +parisisch+
-(parisische Schuhe schreibt noch der junge Goethe statt Pariser Fuß).
-Nun ist freilich zwischen diesen beiden Bildungen schon längst
-Verwirrung eingerissen: die Formen auf +er+ sind schon frühzeitig auch
-im adjektivischen Sinne gebraucht worden. Lessing schrieb noch 1768
-eine +Hamburgische Dramaturgie+, Goethe aber schon 1772 Rezensionen
-für die +Frankfurter Gelehrten Anzeigen+. Natürlich sind nun die
-Bildungen auf +er+ dadurch, daß sie adjektivisch gebraucht werden,
-nicht etwa zu Adjektiven geworden (vgl. S. 38); sie können aber doch
-vor andern Substantiven wie Adjektiva gefühlt werden, wie am besten
-daraus hervorgeht, daß manche Leute Adverbia dazusetzen, wie +echt
-Münchner+ Löwenbräu, statt +echtes Münchner+ oder +echt Münchnisches+
-Löwenbräu, +echt Harzer Sauerbrunnen+.[82] Dennoch haben sich im Laufe
-der Zeit zwischen den Bildungen auf +er+ und denen auf +isch+ auch
-wieder gewisse Grenzen festgesetzt. Von manchen Länder- und Städtenamen
-gebrauchen wir noch heute ausschließlich die echt adjektivische Form
-auf +isch+, von andern ebenso ausschließlich die Bildung auf +er+,
-wieder von andern beide friedlich nebeneinander. Niemand sagt: der
-+Österreicher Finanzminister+, der +Römer Papst+, aber auch niemand
-mehr das +Leipzigische Theater+, die +Berlinischen Bauten+. Dagegen
-sprechen alle Gebildeten noch von +Kölnischem Wasser+, +holländischem
-Käse+, +italienischen Strohhüten+, +persischen Teppichen+,
-+amerikanischen Äpfeln+. Warum von dem einen Namen die Form auf +isch+,
-von dem andern die auf +er+ bevorzugt wird, kann niemand sagen; der
-Sprachgebrauch hat sich dafür entschieden, und dabei muß man sich
-beruhigen.
-
-Nur in gewissen Kreisen, die von dem wirklichen Verhältnis der beiden
-Bildungen zueinander und von der Berechtigung des Sprachgebrauchs keine
-Ahnung haben, besteht die Neigung, das Gebiet der Bildungen auf +er+
-mehr und mehr zum Nachteil derer auf +isch+ zu erweitern. So empfiehlt
-mancher Geschäftsmann beharrlich seine +Amerikaner Öfen+, obwohl alle
-Gebildeten, die in seinen Laden kommen, seine +amerikanischen Öfen+
-zu sehen wünschen. An einer alten Leipziger Weinhandlung konnte man
-vor kurzem ein Schild am Schaufenster liegen sehen: +Italiener Weine+!
-Leipziger Teppichhandlungen preisen +Perser Teppiche+, sogar +echt
-Perser Teppiche+ an! Aber auch +Holländer Austern+ und +Holländer Käse+
-werden schon empfohlen, ja sogar +Kölner Wasser+, und der +Kölnischen
-Zeitung+ hat man schon mehr als einmal zugemutet, sich in +Kölner
-Zeitung+ umzutaufen -- ein törichtes Ansinnen, dem sie mit Recht nicht
-nachgegeben hat und hoffentlich nie nachgeben wird. Auf den echten
-Adjektivbildungen auf +isch+ liegt ein feiner Hauch des Altertümlichen
-und -- des Vornehmen, manche sind wie Stücke schönen alten Hausrats;
-die unechten auf +er+, namentlich die neugeprägten, sind so gemein
-wie Waren aus dem Fünfzigpfennigbasar. Unbegreiflich ist es, wie
-sich gebildete, namentlich wissenschaftlich gebildete Leute solchen
-unnötigen Neuerungen, die gewöhnlich aus den Kreisen der Geschäftsleute
-kommen, gedankenlos fügen können. Ein deutscher Buchhändler in
-Athen hat vor kurzem ein Werk über das +Athener Nationalmuseum+
-herausgegeben! Greulich! Auf der Leipziger Stadtbibliothek gibt es eine
-berühmte Handschrift aus dem Anfange des sechzehnten Jahrhunderts: den
-+Pirnischen Mönch+, genannt nach der Stadt Pirna (eigentlich Pirn) an
-der Elbe in Sachsen. Den nennen jetzt sogar Historiker den +Pirnaer
-Mönch+! In Plauen im sächsischen Vogtlande gibt es jetzt ein +Plauener
-Realgymnasium+, einen +Plauener+ Altertumsverein, man hat sogar ein
-+Plauener Stadtbuch+ veröffentlicht; die gute alte Adjektivform
-+Plauisch+ scheint also dort niemand mehr zu kennen. Und in neuern
-Werken über die Befreiungskriege wird in den Schilderungen der Schlacht
-bei Leipzig gar von der Erstürmung des +Grimmaer Tores+ geredet (statt
-des +Grimmischen+)![83] Einem Leipziger kehrt sich der Magen um, wenn
-er so etwas liest.
-
-Nun ist aber doch so viel klar, daß, wenn ein Wort wie +Dresdner+
-in zwei verschiednen Bedeutungen gebraucht wird, als Hauptwort und
-auch als Eigenschaftswort, es nur in seiner Bedeutung als Hauptwort
-mit einem andern Hauptworte zusammengesetzt werden kann. Wenn nun
-eine Straße in Leipzig die +Dresdner Straße+ genannt wird, ist
-da +Dresdner+ als Substantiv oder als Adjektiv aufzufassen? Ohne
-Zweifel als Adjektiv. Es soll damit dasselbe bezeichnet sein, was
-durch +Dresdnische Straße+ bezeichnet sein würde: die Straße, die
-von Dresden kommt oder nach Dresden führt. Sowie man den Bindestrich
-dazwischensetzt und schreibt: +Dresdner-Straße+ oder auch in +einem+
-Worte: +Dresdnerstraße+, so kann +Dresdner+ nichts andres bedeuten
-als Leute aus Dresden, es wird Substantiv, oder vielmehr es bleibt
-Substantiv, und die Zusammensetzung rückt auf eine Stufe mit Bildungen
-wie +Fleischergasse+, +Gerbergasse+, +Böttchergasse+ und andre
-Gassennamen, die in alter Zeit nach den Handwerkern genannt worden
-sind, die auf den Gassen angesessen waren. Eine +Dresdnerstraße+ kann
-also nichts andres bezeichnen als eine Straße, auf der Dresdner,
-womöglich lauter Dresdner wohnen, ein +Potsdamerplatz+ nur einen
-Platz, auf dem sich die Potsdamer zu versammeln pflegen. Wir haben
-in Leipzig eine +Paulinerkirche+ und eine +Wettinerstraße+. Das sind
-richtige Zusammensetzungen, denn die Paulinerkirche war wirklich die
-Kirche der Pauliner, der ehemaligen Dominikaner Leipzigs, und die
-Wettinerstraße ist nicht nach dem Städtchen Wettin genannt, wie die
-+Berliner Straße+ nach der Stadt Berlin, sondern nach den Wettinern,
-dem sächsischen Herrschergeschlecht.[84] Aus demselben Grunde ist der
-+Wittelsbacherbrunnen+ in München eine richtige Zusammensetzung.
-Eine +Berliner Versammlung+ ist eine Versammlung, die in Berlin
-stattfindet, eine +Berlinerversammlung+ eine Versammlung, zu der lauter
-Berliner kommen. Die +Herrnhuter Gemeinde+ ist die Gemeinde der Stadt
-+Herrnhut+, eine +Herrnhutergemeinde+ kann in jeder beliebigen andern
-Stadt sein.
-
-Die Verwechslung der adjektivischen und der substantivischen Bedeutung
-der von Ortsnamen abgeleiteten Bildungen auf +er+ grassiert gegenwärtig
-in ganz Deutschland und wird von Tag zu Tag ärger. Sie beschränkt sich
-keineswegs, wie man wohl gemeint hat, auf die Gassen- und Straßennamen,
-sie geht weiter. Schenkwirte, Kaufleute, Buchhändler, sogar Gelehrte
-schreiben: +Wienerschnitzel+, +Berlinerblau+, +Solenhoferplatten+,
-+Schweizerfabrikanten+, +Tirolerführer+, obwohl hier überall der
-Ortsname als Adjektiv verstanden werden soll; denn nicht die
-Tiroler sollen geführt werden, sondern die Fremden durch Tirol. Ein
-Wienerschnitzel aber -- entsetzliche Vorstellung! -- kann doch nur ein
-Stück Fleisch bedeuten, das man von einem Wiener heruntergeschnitten
-hat.
-
-Ganz ähnlich wie mit den Bildungen +Leipziger+, +Dresdner+ verhält
-sichs mit den von Zahlwörtern abgeleiteten Bildungen auf +er+:
-+Dreißiger+, +Vierziger+, +Achtziger+. Auch das sind natürlich zunächst
-Hauptwörter; wir reden von einem +hohen Dreißiger+, einem +angehenden
-Vierziger+ (vgl. S. 67). Aber auch sie können als Adjektiva gefühlt
-werden; wir sagen: das war in den +vierziger Jahren+, in den +achtziger
-Jahren+. Auch da aber druckt man neuerdings: in den +Vierzigerjahren+,
-in den +Achtzigerjahren+, ein Ölgemälde aus den +Neunzigerjahren+, als
-ob von menschlichen Lebensaltern und nicht von dem Jahrzehnt eines
-Jahrhunderts die Rede wäre!
-
-Eine andre Spielart der hier behandelten Verwirrung tritt uns
-in Ausdrücken entgegen wie: +Gabelsberger Stenographenverein+,
-+Meggendorfer Blätter+, +Nordheimer Schuhwaren+ (der Geschäftsinhaber
-heißt Nordheimer!). Hier werden umgekehrt wirkliche Substantiva
-auf +er+, und zwar Personennamen, wie Adjektiva behandelt. Ein
-+Gabelsberger+ Stenographenverein -- das klingt wie ein Verein
-aus Gabelsberg; natürlich soll es ein +Gabelsbergerscher+
-sein. Die +Meggendorfer+ Blätter -- das klingt, als erschienen
-sie in +Meggendorf+; natürlich sollen es +Meggendorfers+ oder
-+Meggendorfersche+ Blätter sein.
-
-Aber die Verwirrung geht noch weiter. Wie jede Sprachdummheit,
-wenn sie einmal losgelassen ist, wie Feuer um sich frißt, so auch
-die, kein Gefühl mehr für den adjektivischen Sinn der Bildungen
-auf +er+ zu haben. Nachdem unsre Geschäftsleute aus der +Dresdner
-Straße+ eine +Dresdnerstraße+ gemacht haben, schrecken sie auch vor
-dem weitern Unsinn nicht zurück, die Bildungen auf +isch+, über
-deren adjektivische Natur doch wahrhaftig kein Zweifel sein kann,
-mit +Straße+ zu +einem+ Worte zusammenzusetzen; immer häufiger
-schreiben sie +Grimmaischestraße+, +Hallischestraße+ (oder vielmehr
-+Halleschestraße+!), und um das Maß des Unsinns voll zu machen, nun
-auch +Langestraße+, +Hohestraße+ und +Kurzegasse+, und wer in einer
-solchen Gasse wohnt, der wohnt natürlich nun +in der Langestraße+, +in
-der Hohestraße+, +in der Kurzegasse+.[85] In frühern Jahrhunderten war
-die Sprache unsers Volks so voll überquellenden Lebens, daß sich in
-den Ortsbezeichnungen die ~casus obliqui~ in den Nominativ drängten;
-daher die zahllosen Ortsnamen, die eigentlich Dative sind (+Altenburg+,
-+Weißenfels+, +Hohenstein+, +Breitenfeld+). Heute ist sie so tot und
-starr, daß der Nominativ, dieser langweilige, nichtssagende Geselle,
-die ~casus obliqui~ verdrängt. Man wohnt +in der Breite Gasse+,[86] und
-Sommerwohnungen sind +auf Weißer Hirsch+ bei Dresden zu vermieten!
-
-Aber selbst damit ist die Verwirrung noch nicht erschöpft. In Leipzig
-gibt es auch Ortsbezeichnungen, bei denen einer Örtlichkeit einfach
-der Name des Erbauers oder Besitzers im Genitiv vorangestellt ist, wie
-+Auerbachs Keller+, +Hohmanns Hof+, +Löhrs Platz+, +Tscharmanns Haus+,
-+Czermaks Garten+. Bis vor wenig Jahren hat niemand daran gezweifelt,
-daß alle diese Bezeichnungen aus je zwei getrennten Wörtern bestehen,
-so gut wie +Luthers Werke+, +Goethes Mutter+, +Schillers Tell+.
-Jetzt fängt man an, auch hier den Bindestrich dazwischenzuschieben,
-den Artikel davorzusetzen und zu schreiben: +im Auerbachs-Keller+,
-+am Löhrs-Platz+, +im Czermaks-Garten+. Man denke sich, daß jemand
-schreiben wollte: +in den Luthers-Schriften+, +bei der Goethes-Mutter+,
-+im Schillers-Tell+!
-
-Zum guten Teil tragen die Schuld an der grauenvollen Verwirrung, die
-hier herrscht, die Firmenschreiber und die Akzidenzdrucker, die ganz
-vernarrt in den Bindestrich sind, aber nie wissen, wo er hingehört,
-und wo er nicht hingehört, nie wissen, ob sie ein zusammengesetztes
-Wort oder zwei Wörter vor sich haben.[87] Aber nicht sie allein.
-Warum lassen sich die Besteller, Behörden wie Privatleute, den Unsinn
-gefallen?
-
-
-Fachliche Bildung oder Fachbildung?
-
-In beängstigender Weise hat in neuerer Zeit die Neigung zugenommen,
-statt des Bestimmungswortes einer Zusammensetzung ein Adjektiv zu
-setzen, also z. B. statt +Fachbildung+ zu sagen: +fachliche Bildung+.
-Sie hat in kurzer Zeit riesige Fortschritte gemacht, wie sie sich nur
-daraus erklären lassen, daß diese Ausdrucksweise jetzt für besonders
-schön und vornehm gilt. Früher sprach man von +Staatsvermögen+,
-+Gesellschaftsordnung+, +Rechtsverhältnis+, +Kriegsereignissen+,
-+Junkerregiment+, +Soldatenlaufbahn+, +Bürgerpflichten+,
-+Handwerkstraditionen+, +Geschäftsverkehr+, +Verlagstätigkeit+,
-+Sonntagsarbeit+, +Kirchennachrichten+, +Kultusordnung+,
-+Gewerbeschulen+, +Betriebseinrichtungen+, +Bergbauinteressen+,
-+Forstunterricht+, +Steuerfragen+, +Fachausdrücken+,
-+Berufsbildung+, +Amtspflichten+, +Schöpferkraft+, +Gedankeninhalt+,
-+Körperpflege+, +Lautgesetzen+, +Textbeilagen+, +Klangwirkungen+,
-+Gesangvorträgen+, +Frauenchören+, +Kunstgenüssen+, +Turnübungen+,
-+Studentenaufführungen+, +Farbenstimmung+, +Figurenschmuck+,
-+Winterlandschaft+, +Pflanzennahrung+, +Abendbeleuchtung+,
-+Nachtgespenstern+, +Regentagen+, +Landaufenthalt+, +Gartenanlagen+,
-+Nachbargrundstücken+, +Elternhaus+, +Endresultat+ usw. Jetzt redet
-man nur noch von staat+lichem+ Vermögen, gesellschaft+licher+
-Ordnung, recht+lichem+ Verhältnis, krieger+ischen+ Ereignissen,
-junker+lichem+ Regiment, soldat+ischer+ Laufbahn, bürger+lichen+
-Pflichten, handwerk+lichen+ Traditionen, geschäft+lichem+ Verkehr,
-verleger+ischer+ Tätigkeit, sonntäg+licher+ Arbeit, kirch+lichen+
-Nachrichten, kult+ischer+ (!) Ordnung, gewerb+lichen+ Schulen,
-betrieb+licher+ Einrichtung, bergbau+lichen+ Interessen, forst+lichem+
-Unterricht, steuer+lichen+ Fragen, fach+lichen+ Ausdrücken,
-beruf+licher+ Bildung, amt+lichen+ Pflichten, schöpfer+ischer+
-Kraft, gedank+lichem+ Inhalt, körper+licher+ Pflege, laut+lichen+
-Gesetzen, text+lichen+ Beilagen, klang+lichen+ Wirkungen,
-gesang+lichen+ Vorträgen, weib+lichen+ (!) Chören, künstler+ischen+
-Genüssen, turner+ischen+ Übungen, student+ischen+ Aufführungen,
-farb+licher+ Stimmung, figür+lichem+ Schmuck, winter+licher+
-Landschaft, pflanz+licher+ Nahrung, abend+licher+ Beleuchtung,
-nächt+lichen+ Gespenstern, regner+ischen+ Tagen, länd+lichem+
-Aufenthalt, gärtner+ischen+ Anlagen, nachbar+lichen+ Grundstücken,
-dem elter+lichen+ Hause, dem end+lichen+ (!) Resultat usw. Eine von
-Offizieren gerittne Quadrille wird als +reiterliche+ (!) +Darbietung+
-gepriesen; statt, wie früher, vernünftige Zusammensetzungen mit +Volk+
-zu bilden, quält man sich ab, auch davon Adjektiva zu bilden (die
-einen sagen +volklich+, die andern +völkisch+), die „Pädagogen“ reden
-sogar von +schulischen+ Verhältnissen und unterricht+licher+ Methode,
-und in Schulprogrammen kann man lesen, nicht als schlechten Witz,
-sondern in vollem Ernste, daß Herr Kand. X im verflossenen Jahre mit
-der Schule „in unterricht+lichem+ Zusammenhange gestanden“ habe.[88]
-Aber auch da, wo man früher den Genitiv eines Hauptwortes oder eine
-Präposition mit einem Hauptwort oder -- ein einfaches Wort setzte,
-drängen sich jetzt überall diese abgeschmackten Adjektiva ein; man
-redet von kronprinz+lichen+ Kindern, behörd+licher+ Genehmigung,
-erzieh+lichen+ Aufgaben, gedank+licher+ Großartigkeit, gegner+ischen+
-Vorschlägen, zeichner+ischen+ Mitteln, einer buchhändler+ischen+
-Verkehrsordnung, gesetzgeber+ischen+ Fragen, erstinstanz+lichen+ (!)
-Urteilen, stecher+ischer+ Technik, gemischtchör+igen+ Quartetten,
-stimm+licher+ Begabung, text+lichem+ Inhalt, bau+licher+ Umgestaltung,
-seelsorger+ischer+ Tätigkeit, wo man früher Kinder des +Kronprinzen+,
-Genehmigung +der Behörden+, Aufgaben +der Erziehung+, Großartigkeit
-+der Gedanken+, Vorschläge +des Gegners+, Mittel +der Zeichnung+,
-Verkehrsordnung +des Buchhandels+, Fragen +der Gesetzgebung+, Urteile
-der +ersten Instanz+, Technik +des Stechers+, Quartette +für gemischten
-Chor, Stimme, Text, Umbau, Seelsorge+ sagte. Ein Choralbuch wurde
-früher zum +Hausgebrauch+ herausgegeben, jetzt zum +häuslichen+
-Gebrauch; eine Bildersammlung hatte früher Wert +für die Kostümkunde+
-oder +Kunstwert+ oder +Altertumswert+, jetzt kostüm+lichen+ (!),
-künstler+ischen+ oder altertüm+lichen+ (!) Wert. Die Sprachwissenschaft
-redete früher von dem +Lautleben+ der Sprache und vom +Lautwandel+,
-jetzt nur noch von dem laut+lichen+ Leben und dem laut+lichen+ (!)
-Wandel; die Ärzte sprachen sonst von Herztönen +des Kindes+ und von
-+Gewebe+veränderungen, unsre heutigen medizinischen Journalisten
-schwatzen von kind+lichen+ (!) Herztönen[89] und geweb+lichen+
-(!) Veränderungen. Auch Fremdwörter mit fremden Adjektivendungen
-werden mit in die alberne Mode hineingezogen; schon heißt es nicht
-mehr: +Stilübungen+, +Religionsfreiheit+, +Kulturaufgabe+ und
-+Kulturfortschritt+, +Maschinenbetrieb+, +Finanzlage+, +Inselvolk+,
-+Kolonieleitung+, +Artilleriegeschosse+, +Infanteriegefechte+,
-+Theaterfragen+, +Solo+-, +Chor+- und +Orchester+kräfte, sondern
-stilist+ische+ Übungen, religi+öse+ Freiheit, kultur+elles+ Problem
-und kultur+eller+ Fortschritt (scheußlich!), maschin+eller+ Betrieb
-(scheußlich!), finanzi+elle+ Lage, insu+lares+ Volk, koloni+ale+
-Leitung, artiller+istische+ Geschosse, infanter+istische+ Gefechte
-(alle Wörter auf +istisch+ klingen ja äußerst gelehrt und vornehm),
-solist+ische+, chor+istische+ und orchest+rale+ Kräfte. Auch von
-+Alpenflora+ wird nicht mehr gesprochen, sondern nur noch von alp+iner+
-(!) Flora. Am Ende kommts noch dahin, daß einer erzählt, er habe in
-einer alp+inen+ Hütte in sommer+lichen+ Hosen sein abend+liches+ Brot
-nebst einem wurst+lichen+ Zipfel verzehrt.
-
-Was soll die Neuerung? Soll sie der Kürze dienen? Einige der
-angeführten Beispiele scheinen dafür zu sprechen. Aber die Mehrzahl
-spricht doch dagegen; man könnte eher meinen, sie solle den Ausdruck
-verbreitern, ein Bestreben, das sich jetzt ja auch in vielen
-andern Spracherscheinungen zeigt. Man fragt vergebens nach einem
-vernünftigen Grunde, durch den sich diese Vorliebe für alle möglichen
-und unmöglichen Adjektivbildungen erklären ließe: es ist nichts als
-eine dumme Mode. Wenn so etwas in der Luft liegt, so steckt es heute
-hier, morgen da an; ob das Neugeschaffne nötig, richtig, schön sei,
-danach fragt niemand, wenns nur neu ist! Um der Neuheit willen schlägt
-man sogar gelegentlich einmal den entgegengesetzten Weg ein. Da es
-bis jetzt +silberne Hochzeit+ geheißen hat, so finden sich natürlich
-nun Narren, die mit Vorliebe von +Silberhochzeit+ reden. Dazu gehört
-natürlich nun auch ein +Silberpaar+: der Bürgermeister schloß mit einem
-Hoch auf das +Silberpaar+.[90] In einer Lebensbeschreibung Bismarcks
-ist gleich das erste Kapitel überschrieben: Unter dem Zeichen des
-+Eisenkreuzes+. Also aus dem geschichtlichen +Eisernen Kreuz+, das doch
-für jeden unantastbar sein sollte, wird ein +Eisenkreuz+ gemacht -- aus
-bloßer dummer Neuerungssucht.
-
-Die Adjektiva auf +lich+ bedeuten eine Ähnlichkeit; +lich+ ist
-dasselbe wie +Leiche+, es bedeutet den Leib, die Gestalt; daher auch
-das Adjektivum +gleich+, d. i. +geleich+, was dieselbe Gestalt hat.
-+Königlich+ ist, was die Gestalt, die Art oder das Wesen eines Königs
-hat. Will man nun das mit den kronprinz+lichen+ Kindern sagen? Gewiß
-nicht. Man meint doch die Kinder des Kronprinzen, und nicht bloß
-kronprinzenartige Kinder. Was kann eine Arbeit sonntägliches haben?
-eine Bewegung körperliches? eine Wirkung farbliches? eine Pflicht
-bürgerliches? ein Herzton kindliches? eine Frage theatralisches?
-Gemeint ist doch wirklich die Arbeit am Sonntage, die Bewegung des
-Körpers, die Wirkung der Farben usw.[91] Und hat man denn gar kein Ohr
-für die Häßlichkeit vieler dieser neugeschaffnen Adjektiva (+fachlich+,
-+beruflich+, +volklich+, +farblich+, +klanglich+, +stimmlich+,
-+forstlich+, +pflanzlich+, +prinzlich+, +erziehlich+)?
-
-Hie und da mag ja ein Grund für die Neubildung zu entdecken sein. So
-mag zwischen +Regentagen+ und +regnerischen+ Tagen ein Unterschied
-sein: an Regentagen regnets vielleicht von früh bis zum Abend, an
-regnerischen (früher: +regnichten+) Tagen mit Unterbrechungen. Der
-Chordirektor, der zuerst von einem Terzett für +weibliche Stimmen+
-anstatt von einem Terzett für +Frauenstimmen+ gesprochen hat, hatte
-sich vielleicht überlegt, daß unter den Sängerinnen auch junge Mädchen
-sein könnten. Und der Ratsgärtner, der seiner Behörde zuerst einen
-Plan zu +gärtnerischen Anlagen+ am Theater vorlegte, hatte wohl daran
-gedacht, daß ein eigentlicher Garten, d. h. eine von einem Zaun oder
-Geländer umschlossene Anpflanzung nicht geschaffen werden sollte.
-Aber bedeutet denn +Frau+, wo sichs um die bloße Gegenüberstellung
-der Geschlechter handelt, nicht auch das Mädchen? Kann sich wirklich
-ein junges Mädchen beleidigt fühlen, wenn es aufgefordert wird, einen
-+Frauenchor+ mitzusingen?[92] Und können denn nicht +Gartenanlagen+
-auch Anlagen sein, +wie+ sie in einem Garten sind? müssen sie immer
-+in+ einem Garten sein? +Gärtnerische+ Anlagen möchte man einem Jungen
-wünschen, der Lust hätte, Gärtner zu werden, wiewohl es auch dann
-noch besser wäre, wenn er Anlagen +zum Gärtner+ hätte. Nun vollends
-von +gärtnerischen+ Arbeiten zu reden statt von +Garten+arbeiten (die
-Rekonvaleszenten der Anstalt werden mit +gärtnerischen Arbeiten+
-beschäftigt), ist doch die reine Narrheit.
-
-
-Erstaufführung
-
-Ein Gegenstück zu dem +fachlichen Unterricht+ bilden die schönen
-neumodischen Zusammensetzungen, mit denen man sich jetzt
-spreizt, wie: +Fremdsprache+, +Fremdkörper+ und +Falschstück+
-(ein gefälschtes Geldstück!), +Neuauflage+, +Neuerscheinung+
-und +Neuerwerbung+ (die +Neuerscheinungen+ des Buchhandels und
-die +Neuerwerbungen+ der Berliner Galerie), +Neuerkrankung+ und
-+Leichtverwundung+, +Deutschunterricht+, +Deutschbewußtsein+ und
-+Deutschgefühl+, +Erstaufführung+, +Erstausgabe+ und +Erstdruck+,
-+Jüngstvergangenheit+, +Einzelfall+, +Einzelpersönlichkeit+ und
-+Allgemeingesang+, +Mindestmaß+, +Mindestpreis+ und +Mindestgehalt+,
-+Höchstmaß+, +Höchstpreis+, +Höchstgehalt+, +Höchstarbeitszeit+ und --
-+Höchststundenzahl+! Hier leimt man also einen Adjektivstamm vor das
-Hauptwort, statt einfach zu sagen: +fremder Körper+, +neue Auflage+,
-+einzelner Fall+, +erste Aufführung+, +allgemeiner Gesang+, +höchste
-Stundenzahl+ usw.
-
-Worin liegt das Abgeschmackte solcher Zusammensetzungen? gibt es nicht
-längst, ja zum Teil schon seit sehr alter Zeit ähnliche Wörter, an
-denen niemand Anstoß nimmt? Gewiß gibt es die, sogar in großer Fülle.
-Man denke nur an: +Fremdwort+, +Edelstein+, +Schwerspat+, +Braunkohle+,
-+Neumond+, +Weißwein+, +Kaltschale+, +Süßwasser+, +Sauerkraut+,
-+Buntfeuer+, +Kurzwaren+, +Hohlspiegel+, +Hartgummi+, +Trockenplatte+,
-+Schnellzug+, +Glatteis+, +Rotkehlchen+, +Grünschnabel+, +Freischule+,
-+Vollmacht+, +Hochverrat+, +Eigennutz+, +Halbbruder+, +Breitkopf+,
-+Rothschild+, +Warmbrunn+ und viele andre. Was ist aber das
-Eigentümliche solcher Zusammensetzungen? Es sind meist Fachausdrücke
-oder Kunstausdrücke aus irgendeinem Gebiete des geistigen Lebens, aus
-dem Handel, aus irgendeinem Gewerbe, einer Kunst, einer Wissenschaft,
-aus der Rechtspflege, oder es sind -- Eigennamen.[93] Nun stecken aber
-dem Deutschen zwei Narrheiten tief im Blute: erstens, sich womöglich
-immer auf irgendein Fach hinauszuspielen, mit Fachausdrücken um sich zu
-werfen, jeden Quark anscheinend zum Fachausdruck zu stempeln; zweitens,
-sich immer den Anschein zu geben, als ob man die Fachausdrücke aller
-Fächer und folglich die Fächer auch selbst verstünde. Wenn es ein paar
-Buchhändlern beliebt, plötzlich von +Neuauflagen+ zu reden, so denkt
-der junge Privatdozent: aha! +Neuauflage+ -- schöner neuer Terminus
-des Buchhandels, will ich mir merken und bei der nächsten Gelegenheit
-anbringen. Der Professor der Augenheilkunde nennt wahrscheinlich
-ein Eisensplitterchen, das einem ins Auge geflogen ist, einen
-+Fremdkörper+. Da läßt es dem Geschichtsprofessor keine Ruhe, er muß
-doch zeigen, daß er das auch weiß, und so erzählt er denn bei der
-nächsten Gelegenheit: die Germanen waren ein +Fremdkörper+ im römischen
-Reiche. Und wenn er Wirtschaftsgeschichte schreibt, dann redet er nicht
-von den +fremden Kaufleuten+, die ins Land gekommen seien, sondern von
-den +Fremdkaufleuten+! Wie gelehrt das klingt! Der gewöhnliche Mensch
-lernt in der Schule, +Evangelium+ heiße auf deutsch: +frohe Botschaft+.
-Der Theolog aber sagt dafür neuerdings +Frohbotschaft+! Wie gelehrt das
-klingt! Der gewöhnliche Mensch sehnt sich nach +frischer Luft+. Wenn
-aber ein Techniker eine Ventilationsanlage macht, so beseitigt er die
-+Abluft+ (!) und sorgt für +Frischluft+! Im gewöhnlichen Leben spricht
-man von einem +großen Feuer+. Das kann aber doch die Feuerwehr nicht
-tun; so gut wie sie ihre Spritzen und ihre Helme hat, muß sie auch
-ihre Wörter haben. Der „Branddirektor“ kennt also nur +Großfeuer+.
-Sobald das aber der Philister weggekriegt hat, sagt er natürlich auch
-am Biertisch: Bitte, meine Herren, sehen Sie mal hinaus, da muß ein
-+Großfeuer+ sein, und der Zeitungschreiber berichtet: Diese Nacht wurde
-das Gut des Gutsbesitzers Sch. durch ein +Großfeuer+ eingeäschert.
-So bilden sich denn auch die gewerbsmäßigen Theaterschreiber ein,
-mit +Erstaufführung+ den Begriff der +ersten Aufführung+ aus der
-gewöhnlichen Alltagssprache in die vornehme Region der Fachbegriffe
-gehoben zu haben. In Wahrheit ist es weiter nichts als eine schlechte
-Übersetzung von +Premiere+,[94] wie alle die wahrhaft greulichen
-Zusammensetzungen mit +Höchst+ und +Mindest+ nichts als schlechte
-Übersetzungen von Wörtern mit +Maximal+ und +Minimal+ sind. Für solches
-Deutsch doch lieber keins! Der Katarrh hat den +höchsten Stand+
-überschritten -- das klänge ja ganz laienhaft; den +Höchststand+ -- das
-klingt fachmännisch. Wenn aber bei einer Epidemie Ärzte und Zeitungen
-berichten, daß an einem Tage hundert +Neuerkrankungen+ vorgekommen
-seien, so kann das geradezu zu Mißverständnissen führen. Eine
-+Neuerkrankung+ würde ich es nennen, wenn jemand, der krank gewesen
-und wieder gesund geworden ist, von neuem erkrankt, ebenso wie eine
-+Neuordnung+ voraussetzt, daß die Dinge schon vorher geordnet gewesen
-seien. +Erstausgabe!+ Es ist so unsäglich häßlich; aber der große Haufe
-ist ganz versessen auf solche Narrheiten.
-
-Besonders beliebt ist jetzt der +Altmeister+, und eine Zeit lang war es
-auch der +Altreichskanzler+. Hier ist aber zweierlei zu unterscheiden.
-Der +Altreichskanzler+ stammte aus Süddeutschland und der Schweiz,
-wo man den alten, d. h. den ehemaligen, aus dem Amte geschiednen
-(~ancien~) so bezeichnete, und wo man z. B. auch vom +Altbürgermeister+
-spricht (bei Schiller: +Altlandammann+). +Altmeister+ dagegen bedeutet
-wie +Altgesell+ nicht den ehemaligen, sondern den ältesten, d. h.
-bejahrtesten unter den vorhandnen Meistern und Gesellen. Man konnte
-also wohl Franz Liszt, solange er lebte, den +Altmeister+ der deutschen
-Musik nennen, aber Johann Sebastian Bach einen +Altmeister+ zu nennen,
-wie es unter den Musikschwätzern jetzt Mode ist, ist Unsinn. Bach
-ist ein Meister der alten Zeit, der Vergangenheit; das ist aber ein
-+alter Meister+, kein +Altmeister+. Sehr beliebt sind jetzt auch
-Zusammensetzungen wie +Altleipzig+, +Altweimar+, +Altheidelberg+.
-Sie haben einen poetischen Beigeschmack, wie man sofort fühlt,
-wenn man an +jung Siegfried, jung Roland+ denkt. Wie abgeschmackt
-also, von einem +Junggoethedenkmal+, einem +Jungwilhelmdenkmal+,
-einem +Jungbismarckdenkmal+ zu reden! Zu einem logischen Verstoß
-führen überdies gewisse Zusammensetzungen, mit denen sich jetzt die
-Kunstgewerbegelehrten spreizen: +Altmeißner Porzellan, Altthüringer
-Porzellan+. Denn nicht darauf kommt es an, daß das Porzellan aus
-+Altmeißen+ ist, sondern nur darauf, daß es aus +Meißen+ ist, aber
-+altes+ Porzellan aus Meißen! Mancher wird das für Haarspalterei
-halten, es ist aber ein großer Unterschied.
-
-
-Sedantag und Chinakrieg
-
-Noch überboten an Geschmacklosigkeit werden Zusammensetzungen wie
-+Erstaufführung+ durch die Roheit, mit der man jetzt Eigennamen
-(Ortsnamen und noch öfter Personennamen) vor ein Hauptwort leimt,
-anstatt aus dem Namen ein Adjektiv zu bilden.
-
-Die Herkunft einer Sache wurde sonst nie anders bezeichnet als
-durch ein von einem Städte- oder Ländernamen gebildetes Adjektiv
-oder durch eine Präposition mit dem Namen, z. B.: +sizilische
-Märchen+, +bengalisches Feuer+, +Kölnisches Wasser+, +Berliner
-Weißbier+, +Emser Kränchen+, +Dessauer Marsch+, +Motiv aus Capri+,
-+Karte von Europa+. Jetzt redet man aber von +Japanwaren+,
-einer +Chinaausstellung+, +Smyrnateppichen+, +Olympiametopen+,
-+Samosausbruch+, +Neapelmotiven+, +Romplänen+ (das sollen
-Stadtpläne von Rom sein!), einem +Leipzig-Elbe-Kanal+ und einer
-+Holland-Amerika-Linie+. Wenn solche Zusammenleimungen auch zu
-entschuldigen sein mögen bei Namen, von denen man sich kein Adjektiv zu
-bilden getraut, wie +Bordeauxwein+, +Jamaikarum+, +Havannazigarren+,
-+Angoraziege+, +Chesterkäse+, +Panamahut+, +Suezkanal+, +Sedantag+
-(in Leipzig +Seedangtag+ gesprochen), so ließe sich doch schon eine
-Bildung wie +Maltakartoffeln+ vermeiden, denn niemand spricht von
-einem +Maltakreuz+ oder +Maltarittern+. Oder klingt +Malteser+ für
-Kartoffeln zu vornehm? Auch das +Selterser Wasser+, wie man es richtig
-nannte, als es bekannt wurde, hätte man getrost beibehalten können
-und nicht in +Selterswasser+ (oder gar +Selterwasser+! es ist nach
-dem nassauischen Dorfe Nieder-+Selters+ genannt) umzutaufen brauchen.
-Aber ganz überflüssig sind doch die angeführten Neubildungen, denn
-das Adjektiv +japanisch+ (oder meinetwegen +japanesisch+!) ist doch
-wohl allbekannt, jeder Archäolog oder Kunsthistoriker kennt auch das
-Adjektiv +olympisch+, auch von +samischem+ Wein hat man früher lange
-genug gesprochen, und auch von +Leipzig+ und von +Holland+ wird man
-sich doch wohl noch Adjektiva zu bilden getrauen? +Leipzig-Elbe-Kanal+!
-Es ist ja fürchterlich! Einen Städtenamen so vor einen Flußnamen zu
-leimen, der selber nur angeleimt ist! Vor fünfzig Jahren hätte jeder
-zehnjährige Junge auf die Frage: wie nennt man einen Kanal, der von
-Leipzig nach der Elbe führen soll? richtig geantwortet: +Leipziger
-Elbkanal+; wie nennt man eine Dampferlinie zwischen Holland und
-Amerika? +Holländisch-amerikanische Linie+. Und warum nicht: +Smyrnaer
-Teppiche+? Sagt man doch: +Geraer Kleiderstoffe+. Sachkenner behaupten,
-die echten nenne man auch so; nur die unechten, in smyrnischer Technik
-in Deutschland angefertigten nenne man +Smyrnateppiche+. Mag sein.
-Aber warum nicht: +Motive aus Neapel? Japanwaren, Neapelmotive+ -- wer
-verfällt nur auf so etwas! Man denke sich, daß jemand +Italienwaren+
-zum Kauf anbieten oder von +Romruinen+ reden wollte! Ein Wunder, daß
-noch niemand darauf gekommen ist, den +Cyperwein+ und die +Cyperkatze+
-in +Cypernwein+ und +Cypernkatze+ umzutaufen. Die Insel heißt doch
-+Cypern+! Jawohl, aber der Stamm heißt +Cyper+ -- das ist so gut
-wie ein Adjektiv, und der ist zum Glück den plumpen Fäusten unsrer
-Sprachneuerer bis jetzt noch entgangen. Die +Italienreisenden+ haben
-wir freilich auch, wie die +Schweizreisenden+ und die +Afrikareisenden+
-und neuerdings die +Weimarpilger+ und den +Chinakrieg+. Schön
-sind die auch nicht (zu Goethes und Schillers Zeit sprach man von
-+italienischen+, +Schweizer+ und +afrikanischen+ Reisenden), aber
-man läßt sie sich zur Not gefallen; der Ortsname bezeichnet da nicht
-den Ursprung, die Herkunft, sondern das Land, auf das sich die
-Tätigkeit des Reisenden erstreckt. Im allgemeinen aber kann doch das
-Bestimmungswort eines zusammengesetzten Wortes nur ein Appellativ, kein
-Eigenname sein. Von +Eisenwaren+, +Sandsteinmetopen+, +Stadtplänen+,
-+Fluß-+ und +Waldmotiven+ kann man reden, aber nicht von +Japanwaren+,
-+Olympiametopen+, +Romplänen+ und +Neapelmotiven+. Das ist nicht mehr
-gesprochen, es ist gestammelt.
-
-Gestammelt? O nein, es ist ja das schönste Englisch! Der Engländer
-sagt ja: ~the India house~, ~the Oxford Chaucer~ (das soll heißen: die
-Oxforder Ausgabe von Chaucers Werken), ~the Meier Madonna~; das muß
-natürlich wieder nachgeplärrt werden. Wir kommen schon auch noch dahin,
-daß wir die Weimarische Ausgabe von Goethes Werken den +Weimar-Goethe+
-nennen oder gar den +Weimar Goethe+ (ohne Bindestrich).
-
-
-Shakespearedramen, Menzelbilder und Bismarckbeleidigungen
-
-Das wäre nicht möglich? Wir haben ja den Unsinn schon! Wird nicht
-täglich von Gastwirten +Tucher Bier+ (so!) empfohlen? Und das soll Bier
-aus der Freiherrl. Tucherschen Brauerei in Nürnberg sein!
-
-Auch Personennamen können nur dann das Bestimmungswort einer
-Zusammensetzung bilden, wenn der Begriff ganz äußerlich und lose zu
-der Person in Beziehung steht, aber nicht, wenn das Eigentum, die
-Herkunft, der Ursprung oder eine sonstige engere Beziehung bezeichnet
-werden soll; das ist in anständigem Deutsch früher stets durch den
-Genitiv[95] oder ein von dem Personennamen gebildetes Adjektiv
-geschehen.
-
-Wenn, wie es in den letzten Jahrzehnten tausendfach vorgekommen ist,
-neue Straßen und Plätze großen Männern zu Ehren getauft und dabei
-kurz +Goethestraße+ oder +Blücherplatz+ benannt worden sind, so ist
-dagegen grammatisch nichts einzuwenden. Auch eine Stiftung, die zu
-Ehren eines verdienten Bürgers namens Schumann durch eine Geldsammlung
-geschaffen worden ist, mag man getrost eine +Schumannstiftung+ nennen,
-ebenso Gesellschaften und Vereine, die das Studium der Geisteswerke
-großer Männer pflegen, +Goethegesellschaft+ oder +Bachverein+; auch
-+Beethovenkonzert+ und +Mozartabend+ sind richtig gebildet, wenn
-sie ein Konzert und einen Abend bezeichnen sollen, wo nur Werke von
-Beethoven oder Mozart aufgeführt werden. Auch die +Schillerhäuser+
-läßt man sich noch gefallen, denn man meint damit nicht Häuser, die
-Schillers Eigentum gewesen wären, sondern Häuser, in denen er einmal
-gewohnt, verkehrt, gedichtet hat, und die nur zu seinem Gedächtnis
-so genannt werden. Bedenklicher sind schon die +Goethedenkmäler+,
-denn die beziehen sich doch nicht bloß auf Goethe, sondern stellen
-ihn wirklich und leibhaftig dar; noch in den dreißiger und vierziger
-Jahren des neunzehnten Jahrhunderts hätte sich niemand so auszudrücken
-gewagt, da sprach man in Leipzig nur von +Bachs Denkmal+, von +Gellerts
-Denkmal+. Sind einmal die +Goethedenkmäler+ richtig, dann sind es
-auch die +Goethebildnisse+, dann ist es auch die +Goethebüste+, der
-+Goethekopf+ und -- die +Goethebiographie+. Nun aber das +Goethehaus+
-auf dem Frauenplan in Weimar und die Weimarer +Goetheausgabe+ -- da
-meint man doch wirklich Goethes Haus und die Gesamtausgabe von Goethes
-Werken. Etwas andres ist es mit einer +Elzevirausgabe+; das soll nicht
-eine Ausgabe der Werke eines Mannes namens Elzevir sein, sondern eine
-Ausgabe in dem Format und der Ausstattung der berühmten holländischen
-Verlagsbuchhandlung. Ist die +Goetheausgabe+ richtig, dann kommen wir
-schließlich auch zu den +Goethefreunden+ (d. h. Goethes Freunden zu
-seinen Lebzeiten), den +Goetheeltern+ und den +Goetheenkeln+. Es ist
-nicht einzusehen, weshalb man nicht auch so sollte sagen dürfen, und
-man sagt es ja auch schon. Stammelt man doch auch schon von einem
-+Lutherbecher+ (einem Becher, den einst Luther besessen hat) und einem
-+Veltheimzettel+ (einem Theaterzettel der Veltheimschen, richtiger
-Veltenschen Schauspielertruppe aus dem siebzehnten Jahrhundert),
-von einer +Böttgerperiode+ (der Zeit Böttgers in der Geschichte des
-Porzellans!) und einer +Schlüterzeit+, von +Kellerfreunden+ (Freunden
-des Dichters Gottfried Keller!) und +Pilotyschülern+, von einem
-+Grillparzersarg+ und einem +Brahmsgrab+.
-
-Noch ärger ist es, wenn man zur Bezeichnung von Schöpfungen, von Werken
-einer Person, seien es nun wissenschaftliche oder Kunstschöpfungen,
-Entdeckungen oder Methoden, Vereine oder Stiftungen, Erfindungen
-oder Fabrikate, den Personennamen in solcher Weise vor das Hauptwort
-leimt. In anständigem Deutsch hat man sich in solchen Fällen früher
-stets des Genitivs oder der Adjektivbildung auf +isch+ bedient. In
-Dresden ist die +Brühlsche Terrasse+, in Frankfurt das +Städelsche
-Institut+, und noch vor dreißig Jahren hat jedermann von +Goethischen+
-und +Schillerschen Gedichten+ gesprochen. Jetzt wird nur noch gelallt;
-jetzt heißt es: +Goethegedichte+ und +Shakespearedramen+, +Mozartopern+
-und +Dürerzeichnungen+, +Bachkantaten+ und +Chopinwalzer+,
-+Goethefaust+ und +Gounodfaust+, +Bismarckreden+ und +Napoleonbriefe+,
-+Schopenhauerworte+ und +Heimburgromane+, +Schweningerkur+ und
-+Horneffervorträge+. Der von Karl Riedel gegründete Leipziger
-Kirchengesangverein, der jahrzehntelang ganz richtig der +Riedelsche
-Verein+ hieß, ist neuerdings zum +Riedelverein+ verschönert worden, und
-wie die Herren Fabrikanten, diese feinfühligsten aller Sprachschöpfer
-und Sprachneuerer, hinter allen neuen Sprachdummheiten mit einer
-Schnelligkeit her sind, als fürchteten sie damit zu spät zu kommen,
-so haben sie sich auch schleunigst dieser Sprachdummheit bemächtigt
-und preisen nun stolz ihre +Pfaffnähmaschinen+ und +Drewsgardinen+,
-ihre +Jägerpumpen+ und +Steinmüllerkessel+, ihren +Kempfsekt+ und
-ihr +Auergasglühlicht+, ihre +Rönischpianos+ und +Feurichpianinos+,
-ihre +Langeuhren+, +Zeißobjektive+ und +Ernemanncameras+ an, und
-das verehrte Publikum schwatzt es nach und streitet sich über die
-Vorzüge der +Blüthnerflügel+ und der +Bechsteinflügel+.[96] In
-Leipzig nannte eines Tags eine Bierbrauerei (die Riebeckische) ihr
-Bier +Riebeckbier+. Flugs kamen die andern hinterdrein und priesen
-+Ulrichbier+, +Naumannbier+ und +Sternburgbier+ an (das nun freilich
-eigentlich +Speckbier+ heißen müßte!). Dieses Schandzeug aus unsrer
-Kaufmannssprache habt ihr auf dem Gewissen, ihr Herren, die ihr die
-+Shakespearedramen+ und die +Dürerzeichnungen+ erfunden habt! Wenn
-man in vornehmen Fachzeitschriften von +Bürgerbriefen+ (Briefen des
-Dichters der Lenore!) und einem +Lenznachlaß+ (Nachlaß des Dichters
-Lenz), einem +Kuglerwerk+ und einem +Menzelwerk+, einem +König
-Albert-Bild+, einem +Mörike-Schwind-Briefwechsel+, einer +Rudolf
-Hildebrand-Erinnerung+ lesen muß, kann man dann -- andern Leuten
-einen Vorwurf machen, wenn sie von +Kathreiners Kneipp-Malzkaffee+,
-+Junker- und Ruh-Öfen+ und +August Lehr-Fahrrädern+ reden? Alle
-diese Zusammensetzungen zeugen von einer Zerrüttung des Denkens, die
-kaum noch ärger werden kann. Von +Lichtfreunden+ kann man reden, von
-+Naturfreunden+, +Kunstfreunden+ und +Musikfreunden+, von +Zinnsärgen+
-und +Marmorsärgen+, von +Konzertflügeln+ und +Stutzflügeln+, aber nicht
-von +Kellerfreunden+, +Grillparzersärgen+ und +Blüthnerflügeln+. Das
-ist schlechterdings kein Deutsch.
-
-Das Unkraut wuchert aber und treibt die unglaublichsten Blüten. Weißt
-du, was +Kriegerliteratur+ ist, lieber Leser? ein +Senfkatalog+?
-eine +Schleicherskizze+? ein +Pfeilliederabend+? Du ahnst es nicht,
-ich will dirs sagen. +Kriegerliteratur+ sind die Schriften über
-den Komponisten des siebzehnten Jahrhunderts Adam Krieger, ein
-+Senfkatalog+ ist ein Briefmarkenverzeichnis der Gebrüder Senf in
-Leipzig, eine +Schleicherskizze+ eine Lebensbeschreibung des berühmten
-Philologen Schleicher, ein +Pfeilliederabend+ ein Abendkonzert, bei
-dem nur Lieder des Männergesangkomponisten Pfeil gesungen werden. Was
-ein +Lenbachaufsatz+ ist? ein +Holbeinbildnis+? Das weiß ich selber
-nicht. Es kann ein Aufsatz +von+ Lenbach sein, es kann aber auch einer
-+über+ ihn sein, ein von Holbein gezeichnetes Bildnis, aber auch eins,
-das ihn darstellt. Daß läßt sich in dem heutigen Deutsch nicht mehr
-unterscheiden.
-
-Es braucht übrigens nicht immer ein Eigenname zu sein, der solche
-Zusammensetzungen unerträglich macht; sie sind auch dann unerträglich,
-wenn an die Stelle eines Eigennamens ein Appellativ tritt, unter dem
-eine bestimmte Person verstanden werden soll. Da hat einer, der den
-Feldzug von 1870 als Kürassier mitgemacht hat, seine Briefe unter
-dem Titel +Kürassierbriefe+ drucken lassen. Das können aber niemals
-Briefe eines bestimmten Kürassiers sein, sondern immer nur Briefe,
-wie sie Kürassiere schreiben. In allerjüngster Zeit ist das neue Wort
-+Kaiserhoch+ aufgekommen. Es stammt natürlich aus der Telegrammsprache.
-Irgendeiner telegraphierte: „Professor Ö. Festrede Kaiserhoch“; daraus
-machte ein dummer Zeitungschreiber: Professor Ö. hielt die Festrede,
-die in ein +Kaiserhoch+ ausklang. Ein Kaiserhoch kann aber auf jeden
-beliebigen Kaiser ausgebracht werden, und wenn die Zeitungen vollends
-statt +ein Kaiserhoch+ schreiben +das Kaiserhoch+ -- die Herabwürdigung
-einer persönlichen Huldigung, die aus dem Herzen quellen soll, zu
-einem gewohnheitsmäßigen Bestandteil jeder beliebigen Esserei oder
-Trinkerei, kann gar keinen schlagendern Ausdruck finden. Ähnlich ist es
-mit der +Königsbüste+. Professor Seffner ist damit beschäftigt, eine
-+Königsbüste+ anzufertigen. Ob von Ramses oder Romulus oder Ludwig dem
-Vierzehnten, wird nicht verraten. Das Ärgste dieser Art sind wohl die
-+Herrenworte+ und das +Herrenmahl+, das die Theologen jetzt aufgebracht
-haben. Das sollen Aussprüche Christi und das heilige Abendmahl sein!
-Man denkt doch unwillkürlich an ein +Herrenessen+.
-
-Den Gipfel der Sinnlosigkeit erreichen solche Zusammenleimungen,
-wenn das Grundwort ein Verbalsubstantiv ist, gebildet von einem
-transitiven Verbum. Solche Zusammensetzungen können schlechterdings
-nicht mit Eigennamen vorgenommen werden, sondern nur mit Appellativen;
-sie bezeichnen ja nicht eine bestimmte einzelne Handlung, sondern
-eine Gattung von Handlungen, Menschen, deren Tätigkeit sich nicht
-auf eine bestimmte einzelne Person, sondern wieder nur auf eine
-Gattung erstreckt. In den siebziger Jahren erfand ein boshafter
-Zeitungschreiber das Wort +Bismarckbeleidigung+. Natürlich sollte
-es eine höhnische Nachbildung von +Majestätsbeleidigung+ sein.
-Wie viel dumme Zeitungschreiber aber haben das Wort dann im Ernst
-gebraucht und sogar +Caprivibeleidigung+ darnach gebildet! Jetzt
-redet man aber auch von +Cäsarmördern+, +Richardsonübersetzern+,
-+Romkennern+, +Goethefreunden+ und +Schillerfeinden+ (unter den heute
-lebenden!), +Beethovenerklärern+, +Wagnerverehrern+, +Zolanachahmern+
-und +Nietzscheanbetern+. Entsetzliche Verirrung! Man kann von
-+Vatermördern+, +Romanübersetzern+, +Kunstkennern+, +Frauenverehrern+,
-und +Fetischanbetern+ reden; aber ein +Wagnerverehrer+ -- das könnte
-doch nur ein Kerl sein, der gewerbsmäßig jeden „verehrt“, der Wagner
-heißt. Wer das nicht fühlt, der stammle weiter, dem ist nicht zu
-helfen.[97]
-
-
-Schulze-Naumburg und Müller-Meiningen
-
-Eine andre Abgeschmacktheit, auf die nicht bloß Zeitungschreiber,
-sondern auch Leute, denen man in Sprachdingen etwas Geschmack zutrauen
-sollte, ganz versessen sind, ist die Unsitte, an einen Personennamen
-den Wohnort der Person mit Bindestrichen anzuhängen, anstatt ihn
-durch die Präposition +in+ oder +aus+ damit zu verbinden und so ein
-ordentliches Attribut zu schaffen. Den Anfang dazu haben Leute wie
-+Schulze-Delitzsch+, +Braun-Wiesbaden+ u. a. gemacht; die wollten und
-sollten durch solches Anhängen des Ortsnamens von einem andern Schulze
-und einem andern Braun unterschieden werden. Das waren nun ihrerzeit
-gefeierte Parlamentsgrößen, und wer möchte das nicht auch gerne sein!
-Wenn sich daher im Sommer Gevatter Schneider und Handschuhmacher zu
-den üblichen Wanderversammlungen aufmachen und dort schöne Reden
-halten, so möchten sie natürlich auch die Parlamentarier spielen
-und dann im Zeitungsbericht mit so einem schönen zusammengesetzten
-Namen erscheinen, sie möchten nicht bloß +Müller+ und +Meyer+ heißen,
-sondern Herr +Müller-Rumpeltskirchen+ und Herr +Meyer-Cunnewalde+ --
-das klingt so aristokratisch, so ganz wie +Bismarck-Schönhausen+, es
-könnte im freiherrlichen Taschenbuche stehen; man hats ja auch den
-geographischen Adel genannt. Der Unsinn geht so weit, daß man sogar
-schreibt: Direktor +Wirth-Plötzensee bei Berlin+. Was ist denn bei
-Berlin? Direktor Wirth-Plötzensee?
-
-Die ganze dumme Mode ist wieder ein Pröbchen unsers schönen
-Papierdeutsch. Man höre nur einmal zu, wenn in einer solchen
-Wanderversammlung die sogenannte Präsenzliste verlesen wird: hört
-man da je etwas andres als Städtenamen? Man möchte gern wissen, wer
-anwesend ist, aber man kann es beim besten Willen nicht erfahren,
-denn der Vorlesende betont unwillkürlich -- wie man solche traurige
-Koppelnamen nur betonen kann --: Herr Stieve-+München+, Herr
-Prutz-+Königsberg+, Herr Ulmann-+Greifswald+. Der Personenname geht
-vollständig verloren. Wenn dann die Zeitungen über eine solche
-Versammlung berichten, so drucken sie zwar den Personennamen gesperrt
-oder fett: Herr +Stieve+-München oder Herr =Stieve=-München. Das hilft
-aber gar nichts; gesprochen wird doch: Stieve-+München+ (ᴗ̣ ᴗ ́– ᴗ).
-Dieser fett gedruckte und doch unbetonte Personenname, dieser grobe
-Widerspruch zwischen Papiersprache und Ohrensprache, ist geradezu ein
-Hohn auf den gesunden Menschenverstand. Will man beide Namen betonen,
-so bleibt nichts weiter übrig, als eine Pause zu machen, etwa als ob
-geschrieben wäre: Herr +Stieve+ (+München+). Dann hat man aber doch
-auch Zeit, die Präposition auszusprechen. In neuester Zeit hat man
-angefangen, auch Fluß-, Tal- und Bergnamen auf diese Weise an Ortsnamen
-anzuleimen; man schreibt: +Halle-Saale+ (statt +Halle a. d. Saale+),
-+Frankfurt-Main+, +Sils-Engadin+, +Frankenhausen-Kyffhäuser+. Und ein
-Buchhändler in dem Städtchen Borna bei Leipzig schreibt stolz auf seine
-Verlagswerke: +Borna-Leipzig+, als ob Leipzig ein unbekannter Vorort
-von Borna wäre. Wo ist dabei der mindeste Witz?
-
-
-Die Sammlung Göschen
-
-Während das Vorleimen von Eigennamen unter dem Einflusse des
-Englischen um sich gegriffen hat, beruhen andre Verirrungen unsrer
-Attributbildung auf Nachäfferei der romanischen Sprachen, namentlich
-des Französischen, vor allem der abscheuliche, immer ärger werdende
-Unfug, Personen- oder Ortsnamen unflektiert und ohne alle Verbindung
-hinter ein Hauptwort zu stellen, das eine Sache bezeichnet, als ob
-die Sache selbst diesen Personen- oder Ortsnamen führte, z. B. das
-+Hotel Hauffe+, der +Konkurs Schmidt+, die +Stadtbibliothek Zürich+
-(statt: +Hauffes Hotel+, der +Schmidtsche Konkurs+, die +Züricher
-Stadtbibliothek+). Die Anfänge dieses Mißbrauchs liegen freilich weit
-zurück, man braucht nur an Ausdrücke zu denken wie: +Universität
-Leipzig+, +Zirkus Renz+, +Café Bauer+; aber seinen gewaltigen Umfang
-hat er doch erst in der neuesten Zeit angenommen. In wirklich deutsch
-gedachter Form bekommt man einen Eigennamen in Attributen kaum noch
-zu hören: alles plärrt, die Franzosen und Italiener nachäffend
-(~librairie Quantin~, ~chocolat Suchard~, ~rue Bonaparte~, ~casa
-Bartholdi~, ~Hera Farnese~ und ähnl.), von dem +Antrag Dunger+, dem
-+Fall Löhnig+, der +Affäre Lindau+, dem +Ministerium Gladstone+, dem
-+Kabinett Salisbury+, dem +System Jäger+, der +Galerie Schack+, dem
-+Papyrus Ebers+, der +Edition Peters+, der +Kollektion Spemann+ und
-der +Sammlung Göschen+, von +Schokolade Felsche+ und +Tee Riquet+,[98]
-von der +Villa Meyer+, dem +Wohnhaus Fritzen+, dem +Grabdenkmal Kube+,
-dem +Erbbegräbnis Wenzel+, dem +Pensionat Neumann+, der +Direktion
-Stägemann+, dem +Patentbureau Sack+, dem +Sprachinstitut Bach+,
-dem +Konzert Friedheim+, der +Soiree Buchmayer+, der +Tanzstunde
-Marquart+, dem +Experimentierabend Dähne+, dem +Vortrag Mauerhof+, dem
-+Quartett Udel+, der +Bibliothek Simson+, der +Versteigerung Krabbe+
-und dem +Streit Geyger-Klinger+, von dem +Magistrat Osnabrück+, der
-+Staatsanwaltschaft Halle+, der +Fürstenschule Grimma+, dem Kaiserl.
-deutschen +Postamt Frankfurt+, dem +Schreberverein Gohlis+, der +Mühle
-Zwenkau+, dem +Bundesschießen Mainz+, dem +Löwenbräu München+ und dem
-+Migränin Höchst+. Sogar der Dorfwirt will nicht zurückbleiben: er
-läßt den Firmenschreiber kommen, die alte Inschrift an seiner Schänke:
-+Gasthof zu Lindenthal+ zupinseln und dafür +Gasthof Lindenthal+
-hinmalen, und der Dorfpastor kommt sich natürlich nun auch noch
-einmal so vornehm vor, wenn er sich auf seine Briefbogen +Pfarrhaus
-Schmiedeberg+ hat drucken lassen. Und was der Franzose nie tut, das
-bringt der Deutsche fertig: er setzt auch hier Vornamen und Titel zu
-diesen angeleimten Namen und schreibt: die +Galerie Alfred Thieme+, die
-+Kapelle Günther Coblenz+, der +Rezitationsabend Ernst von Possart+,
-die +Villa ~Dr.~ Brüning+, das +Signet Galerie Ernst Arnold Dresden+
-(das soll heißen: Signet der Galerie von Ernst Arnold in Dresden!).
-Manchmal weiß man nicht einmal, ob der angefügte Name ein Orts- oder
-ein Personenname sein soll. In Leipzig preist man +Gose Nickau+ an. Ja,
-was ist Nickau? Ist es der Ort, wo dieser edle Trank gebraut wird, oder
-heißt der Brauer so? Der großherzogliche +Bahnbauinspektor Waldshut+ --
-heißt der Mann Waldshut, oder baut er in Waldshut eine Eisenbahn?
-
-Da kämpfen wir nun für Beseitigung der unnützen Fremdwörter in unsrer
-Sprache; aber sind denn nicht solche fremde Wortverbindungen viel
-schlimmer als alle Fremdwörter? Das Fremdwort entstellt doch die
-Sprache nur äußerlich; wirft man es aus dem Satze hinaus und setzt das
-deutsche Wort dafür ein, so kann der Satz im übrigen meist unverändert
-bleiben. Aber die Nachahmung von syntaktischen Erscheinungen aus
-fremden Sprachen, noch dazu von Erscheinungen, die die Sprache in so
-heruntergekommenem Zustande zeigen, wie dieses gemeine Aneinanderleimen
--- leimen ist noch zuviel gesagt, Aneinanderschieben -- von Wörtern
-fälscht doch das Wesen unsrer Sprache und zerstört ihren Organismus.
-Es ist eine Schande, wie wir uns hier an ihr versündigen! Wie stolz mag
-der Inhaber der +Auskunftei Schimmelpfeng+ gewesen sein, als er das
-herrliche deutsche Wort +Auskunftei+ erfunden hatte![99] Aber für die
-ganz undeutsche Wortzusammenschiebung hat er kein Gefühl gehabt.
-
-Auch hier handelt sichs um nichts als um eine dumme Mode, die jetzt,
-namentlich in den Kreisen der Geschäftsleute und Techniker, für fein
-gilt. Wenn es in einer Stadt fünf Kakaofabrikanten gibt, und einer
-von den fünfen schreibt plötzlich in seinen Geschäftsanzeigen: +Kakao
-Müller+ (statt +Müllerscher+ Kakao) und hat nun damit etwas besondres,
-so läßt es den vier andern keine Ruhe, bis sie dieselbe Höhe der
-Vornehmheit erklommen haben (+Kakao Schulze+, +Kakao Meier+ usw.). Der
-fünfte lacht vielleicht die andern vier eine Zeit lang aus und wartet
-am längsten; aber schließlich humpelt er doch auch hinterdrein, während
-sich der, der mit der Dummheit angefangen hat, schon wieder eine neue
-ausdenkt.
-
-Zu einer ganz besondern Abgeschmacktheit hat die neu erwachte
-Liebhaberei geführt, in Büchern ein Bücherzeichen mit dem Namen des
-Eigentümers einzukleben. Ein solches Bücherzeichen nennt man ein
-Exlibris, und wer sich eins anfertigen läßt, der läßt auch stets
-dieses Wort darauf anbringen. Da gibt es aber doch nun bloß zwei
-Möglichkeiten. Entweder man versteht das Wort lateinisch und in
-seiner eigentlichen Bedeutung (eins von den Büchern); dann kann
-man auch nur seinen Namen lateinisch dahinter setzen: +~Ex libris
-Caroli Schelleri~+. So geschah es im achtzehnten Jahrhundert. Oder
-man versteht ~Ex-Libris~ „deutsch“ als „Bücherzeichen“; dann kann
-man natürlich nur schreiben: +Exlibris Karl Schellers+. Das tut aber
-von Tausenden nicht einer! Alle setzen hinter Exlibris ihren Namen
-im Nominativ: +Exlibris Eugen Reichardt+, +Exlibris Adolf von Groß+,
-+Exlibris Carl und Emma Eckhard+. Das vernünftigste wäre ja, weiter
-nichts als seinen Namen hinzusetzen oder zu schreiben: +Eigentum Oskar
-Leuschners+ oder +Aus der Bibliothek+ (oder Bücherei) +Paul Werners+.
-Aber ohne die Worte oder das Wort Exlibris würde der ganze Sport den
-Leuten gar keinen Spaß machen. Man tauscht Exlibris, man tritt in den
-Exlibrisverein, man hält sich die Exlibriszeitschrift, und man druckt
-auf sein Bücherzeichen eine -- Sprachdummheit.
-
-
-Die Familie Nachfolger
-
-Ebenso einfältig ist noch ein andrer Unfug, der auch auf bloße
-Nachäfferei des Französischen und des Englischen zurückzuführen ist.
-Der französische Geschäftsstil setzt ~père~, ~fils~ und ~frères~, der
-englische ~brothers~ als Apposition hinter den Personennamen: ~Dumas
-fils~, ~Shakelford brothers~. Im Deutschen ist das ganz unmöglich,
-wir können nur von dem Wörterbuch der +Gebrüder Grimm+ reden,
-nicht der +Grimm Gebrüder+. Aber unsre Kaufleute müssen natürlich
-wieder das Fremde nachäffen; sie nennen sich +Schmidt Gebrüder+,
-+Blembel Gebrüder+, +Ury Gebrüder+. Sie gehen aber noch weiter.
-Während der Franzose sagt: ~Veuve Cliquot~, schreibt der Deutsche:
-+M. D. Schwennicke Witwe+, ja selbst wo es sich gar nicht um ein
-Verwandtschaftsverhältnis handelt, leimt er ein Appellativ und einen
-Personennamen in dieser Weise zusammen, statt ein Attribut zu bilden;
-in unsrer Geschäftswelt wimmelt es schon von Firmen, die alle so
-aussehen, als ob ihre Inhaber den Familiennamen +Nachfolger+ und dabei
-die seltsamsten Vornamen hätten, wie: +C. F. Kahnt Nachfolger+, +Johann
-Jakob Huth Nachfolger+, ja sogar +Gebrüder Hinzelmann Nachfolger+ und
-+Luise Werner Nachfolger+. In großen Städten findet man kaum noch eine
-Straße, wo nicht Mitglieder dieser weitverzweigten Familie säßen.
-Auch daraus ist eine richtige dumme Mode geworden. Während früher
-ein Geschäft, wenn es den Inhaber wechselte, die alte Firma meist
-unverändert beibehielt, um sich deren Ruf zu erhalten -- in Leipzig
-gibt es Firmen, die noch heute so heißen wie vor hundert und mehr als
-hundert Jahren, und sie befinden sich nicht schlecht dabei! --, ist
-jetzt oft ein Geschäft kaum zwei, drei Jahre alt, und schon prangt
-der „Nachfolger“ auf der Firma. Manchen will ja die Dummheit, den
-Personennamen dabei im Nominativ stehen zu lassen, nicht recht in den
-Kopf; man sieht das an der verschiedenen Art und Weise, wie sie sich
-quälen, sie hinzuschreiben. Die meisten schreiben freilich dreist:
-+Ferdinand Schmidt Nachfolger+. Andre schreiben aber doch mit Komma:
-+Ferdinand Schmidt, Nachfolger+, was zwischen einem Schneider und einem
-Fleischer so aussieht, als ob die Beschäftigung dieses Biedermanns im
-Nachfolgen bestünde, andre ganz klein, als ob sie sich ein bißchen
-schämten: +Ferdinand Schmidt |Nachfolger|+. Nur auf das einzig
-vernünftige: +Ferdinand Schmidts Nachfolger+ verfällt keiner.
-
-Namentlich auch im deutschen Buchhandel hat das fruchtbare Geschlecht
-der Nachfolger schon eine Menge von Vertretern. Einer der wenigen,
-die den Mut gehabt haben, der abgeschmackten Mode zum Trotz dem
-gesunden Menschenverstande die Ehre zu geben, ist der Verleger der
-Gartenlaube: +Ernst Keils Nachfolger+. Dagegen überbietet alles an
-Sprachzerrüttung die +Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger+; das soll
-heißen: der Nachfolger der Cottaischen Buchhandlung! In solchem Deutsch
-prangt jetzt die Buchhandlung, in der einst Schillers und Goethes Werke
-erschienen sind!
-
-
-Ersatz Deutschland
-
-Eine ähnliche Sprachzerrüttung wie in den zuletzt angeführten
-Beispielen findet sich nur noch in den Namen neuer Schiffe, von denen
-man jetzt öfter in den Zeitungen liest: +Ersatz Preußen+, +Ersatz
-Leipzig+, +Ersatz Deutschland+. Was in aller Welt soll das heißen? Man
-kann es wohl ungefähr ahnen, aber ausgesprochen ist es nicht. Soll
-+Ersatz Preußen+ aufzufassen sein wie +Ersatztruppen+, +Ersatzknopf+,
-+Ersatzgarnitur+, so müßte es natürlich als zusammengesetztes
-Wort geschrieben werden: +Ersatz-Preußen+. Soll es aber, was das
-wahrscheinlichere ist, heißen: +Ersatz der (!) Preußen+[100] oder
-+Ersatz für die Preußen+, so läge in dem Weglassen des Artikels oder
-der Präposition eine beispiellose Stammelei. Man könnte dann ebensogut
-sagen: +Stellvertreter Direktor+ und sich einbilden, das hieße:
-+Stellvertretender Direktor+ oder +Stellvertreter des Direktors+.
-Das mag Chinesisch sein oder Negersprache, Deutsch ist es nicht.
-Wahrscheinlich ist es aber -- Englisch. Englisch ist ja jetzt Trumpf,
-zumal wenn es die Marine betrifft.
-
-
-Der grobe Unfugparagraph
-
-Viel ist schon gespottet worden über Attributbildungen wie: der
-+musikalische Instrumentenmacher+, der +vierstöckige Hausbesitzer+,
-der +doppelte Buchhalter+, der +wilde Schweinskopf+, die +reitende
-Artilleriekaserne+, die +geprüfte Lehrerinnenanstalt+, die
-+durchlöcherte Stuhlsitzfabrik+, die +chinesische Feuerzeugfabrik+,
-der +geräucherte Fischladen+, die +verheiratete Inspektorwohnung+, die
-+gelben Fieberanfälle+, das +einjährig-freiwillige Berechtigungswesen+
-und ähnliche, wo ein Attribut zu einem zusammengesetzten Worte gestellt
-ist, während es sich nur auf das Bestimmungswort der Zusammensetzung,
-in dem letzten Falle sogar auf einen dritten, hinzuzudenkenden Begriff
-(+Dienst+) bezieht. Dennoch wagen sich immer wieder Verbindungen
-dieser Art hervor wie: das +alte Thomanerstipendium+ (das soll eine
-Stiftung der alten, d. h. ehemaligen Thomaner sein!), der +grobe
-Unfugparagraph+, die +transportabeln Beleuchtungszwecke+, der
-+Vereinigte Staatenstaatssekretär+, die +Weiße Damenpartitur+ usw.
-
-Solche Verbindungen werden nur dann erträglich, wenn es möglich
-ist, sie durch doppelte Zusammensetzung zu dreigliederigen
-Wörtern zu gestalten; wie: +Armesünderglocke+, +Liebfrauenmilch+,
-+Altweibersommer+, +Sauregurkenzeit+ u. dgl.
-
-Nicht besser, eher noch schlimmer sind solche Fälle, wo das Attribut,
-statt durch ein Eigenschaftswort, durch einen Genitiv oder eine
-Präposition mit einem Hauptworte gebildet wird wie: der +Doktor+titel
-der +Philosophie+, der +Enthüllungs+tag +des Geibeldenkmals+,
-das +Heil+verfahren der +Diphtheritis+, das +Schmerz+stillen der
-+Zähne+, die +Anzeige+pflicht der +ansteckenden Krankheiten+,
-der +Verhaftungs+versuch +des Arbeiters+, eine +Fälscher+bande
-+amtlicher Papiere+, das +Übersetzungs+recht +in fremde Sprachen+,
-der +Verpackungs+tag +nach Österreich+, ein +Reise+handbuch +nach
-Griechenland+, die +Abfahrts+zeit +nach Kassel+, eine +Stern+gruppe
-+dritter Größe+, eine +Zucker+fabrik +aus Rüben+, +Erinnerungs+stätte
-an +Käthchen Schönkopf+, 100 Stück +Kinder+hemden +von 2 bis 14
-Jahren+, und ähnliches.
-
-
-Die teilweise Erneuerung
-
-Mit wachsender Schnelligkeit hat sich endlich noch ein Fehler in
-der Attributbildung verbreitet, der für einen Menschen von feinerem
-Sprachgefühl etwas höchst beleidigendes hat, gegen den aber die
-große Masse schon ganz abgestumpft ist: der Fehler, die mit +weise+
-zusammengesetzten Adverbia wie Adjektiva zu behandeln. Man schreibt
-jetzt frischweg, als ob es so ganz in der Ordnung wäre: die +teilweise
-Erneuerung+, die +stufenweise Vermehrung+, die +ausnahmsweise
-Erlaubnis+, die +bruchstückweise Veröffentlichung+, die +heftweise
-Ausgabe+, die +stückweise Bezahlung+, die +auszugsweise Abschrift+, die
-+vergleichsweise Erledigung+, die +leihweise+ oder +schenkungsweise
-Überlassung+, der +glasweise Ausschank+, die +probeweise Anstellung+,
-die +reihenweise Aufstellung+, die +versuchsweise Aufhebung+,
-die +abwechslungsweise Verteilung+ usw. Wenn in Leipzig jemand
-seine Steuern nicht pünktlich bezahlt, so hat er die +zwangsweise
-Beitreibung+ (!) zu gewärtigen; ja nach einer Dorfversammlung läßt man
-sogar die Leute in ihre +beziehungsweisen (!) Behausungen+ zurückkehren.
-
-Es wird einem ganz griechisch zumute, wenn man so etwas liest. Die
-griechische Sprache ist imstande, das zwischen Artikel und Hauptwort
-tretende Attribut auch durch ein Adverb oder einen adverbiellen
-Ausdruck zu bilden.[101] Im Griechischen kann man sagen: das +jetzt
-Geschlecht+ (τὸ νῦν γένος) für: das jetzige Geschlecht, der +heute
-Tag+ für: der heutige Tag, der +jedesmal König+ für: der jedesmalige
-König, die +dazwischen Zeit+ für: die dazwischenliegende Zeit, der
-+zurück Weg+ für: der zurückführende Weg, die +allzusehr Freiheit+
-für: die allzu große Freiheit. Mit unsern Adverbien auf +weise+
-lassen sich im Griechischen namentlich gewisse mit der Präposition
-κατά und dem Akkusativ gebildete Ausdrücke vergleichen wie: κατὰ
-μικρόν (stückweise), κατ’ ἐνιαυτόν (jahrweise, alljährlich), καθ’
-ἡμέραν (tageweise), (einer auf einmal), ἡ καθ’ ἡμέραν τροφή (die
-tageweise Nahrung). Im Deutschen sind derartige Verbindungen ganz
-unmöglich.[102] Dem, der sie gebraucht, fällt es auch gar nicht
-ein, in einer Verbindung wie: die +schrittweise Vervollkommnung+
-das +schrittweise+ als Adverb aufzufassen, er meint, er schreibe
-wirklich ein Adjektivum hin, er dekliniert ja auch: die +pfennigweisen
-Ersparnisse+, ein +teilweiser Erlaß+. Das ist aber eben die Verwirrung.
-Die mit +weise+ zusammengesetzten Wörter sind Adverbia, die aus
-Genitiven entstanden sind. Man sagte zunächst: +glücklicher Weise+,
-+törichter Weise+, +verkehrter Weise+, wie man auch sagte: +gewisser
-Maßen+ (+die+ Maße hieß es ursprünglich). Dann dachte man nicht
-mehr an den Genitiv, sondern wagte auch andre Zusammensetzungen
-(+versuchsweise+ ist eigentlich: +nach+ oder +auf Versuchs Weise+), und
-endlich bildete man sich ein, vielleicht verführt durch den Gleichklang
-mit +weise+ (~sapiens~), diese Zusammensetzungen wären Adjektiva.
-Das sind sie aber nicht; man kann wohl etwas +teilweise erneuern+,
-+ausnahmsweise erlauben+, +zwangsweise versteigern+, +bruchstückweise
-veröffentlichen+, man kann sich +schrittweise vervollkommnen+, aber die
-+schrittweise Vervollkommnung+ ist eine Verirrung des Sprachgefühls,
-die nicht um ein Haar besser ist als das +entzweie Glas+, der +extrae
-Teller+, der +sehre Hunger+ und die bisweilen im Scherz gebildeten
-Ausdrücke, in denen man Präpositionen wie Adjektiva behandelt: ein
-+durcher Käse+, eine +zue Droschke+, ein +auses Heft+ (statt: ein
-ausgeschriebnes).[103]
-
-Mancher wird einwenden: daß ein Adverbium zum Adjektivum wird, ist
-doch kein Unglück, es ist auch sonst geschehen. Mit +zufrieden+,
-+vorhanden+, +ungefähr+ ist es ebenso gegangen. Erst sagte man:
-ich kann mir das +ungefähr vorstellen+, dann wagte man auch: ich
-habe davon eine +ungefähre Vorstellung+. Andre werden einwenden:
-dieser Mißbrauch (wenn es einer ist) gewährt doch unleugbar eine
-Bequemlichkeit, wo soll man einen Ersatz dafür hernehmen? Früher
-sagte man: +partiell+ (die +partielle Renovation+), +fragmentarisch+
-(die +fragmentarische Publikation+), +exzeptionell+, +obligatorisch+,
-+relativ+, +provisorisch+. Nun meiden wir die Fremdwörter und sagen:
-die +teilweise Erneuerung+, die +bruchstückweise Veröffentlichung+, und
-nun ist es wieder nicht recht.
-
-Das sind hinfällige Einwände. Wer sich der adverbiellen Natur dieser
-Zusammensetzungen bewußt geblieben ist -- und solche Menschen
-wird es doch wohl noch geben dürfen? --, oder wer sie sich wieder
-zum Bewußtsein gebracht hat, was gar nicht schwer ist, der bringt
-Ausdrücke wie +teilweise Erneuerung+ weder über die Lippen noch aus
-der Feder.[104] Einzelne dieser Verbindungen sind ja nichts als
-Sprachschwulst oder Ungeschick: für +schenkungsweise Überlassung+
-eines Bauplatzes genügt doch wahrhaftig +Schenkung+ und statt: die
-+teilweise Veröffentlichung+ der Briefe kann man doch sagen: die
-Veröffentlichung +eines Teils+ oder +von Teilen+ der Briefe. Alle aber
-lassen sich vermeiden, wenn man sich nur von der Manier freihält oder
-wieder freimacht, in der unsre ganze Schriftsprache jetzt befangen
-ist, der greulichen Manier, zum Hauptsinnwort eines Satzes immer
-ein Substantiv zu machen, statt ein Zeitwort. Wenn wir wieder Verba
-schreiben lernten, vor allen Dingen einen Satz wieder mit dem Verbum
-anfangen lernten, was sich heute kaum noch jemand getraut, dann würde
-so mancher andre Unrat auch wieder verschwinden. Statt zu schreiben:
-es wurde eine Resolution angenommen, die die +zeitweise Aufhebung+ der
-Kornzölle verlangte -- schreibe man doch: die verlangte, die Kornzölle
-+zeitweise aufzuheben+, statt: ihre +teilweise Begründung+ mag diese
-Gleichgiltigkeit darin finden -- schreibe man doch: +begründet+ mag
-diese Gleichgiltigkeit +zum Teil+ darin sein -- und alles ist in bester
-Ordnung.
-
-Eine nagelneue besondre Abart dieses Fehlers ist das von den
-Kleiderfabrikanten aufgebrachte +fußfreie Kleid+, dem sich natürlich
-schleunigst der +armfreie Lodenmantel+, die +armfreie+ Betätigung aller
-Kräfte und die +kniefreien Wunderkinder+ angeschlossen haben. Man kann
-+sich+ wohl +fußfrei kleiden+, d. h. so, daß die Füße frei bleiben, man
-kann sich auch +rückenfrei setzen+, aber dann kann weder der Mensch
-noch das Kleid fußfrei, weder der Mensch noch der Stuhl rückenfrei
-genannt werden.
-
-
-Der tiefer Denkende, der Tieferdenkende oder der tiefer denkende?
-
-Ein Gegenstück zu der +schrittweisen Vervollkommnung+, das freilich
-durch eine andre Sprachdummheit entsteht, bilden Verbindungen wie: das
-+einzig Richtige+, der +tiefer Denkende+, der +mittellos Verstorbne+,
-der +mit ihm Redende+ u. ähnl. Da liegt der Fehler nicht im Ausdruck,
-sondern -- in der Schreibung, nämlich in den törichten großen
-Anfangsbuchstaben, mit denen man ganz allgemein die Adjektiva und
-Partizipia solcher Verbindungen schreibt und druckt.
-
-Gewöhnlich wird gelehrt, daß Adjektiva und Partizipia, wenn sie kein
-Hauptwort bei sich haben, selber zu Hauptwörtern würden und dann
-mit großen Anfangsbuchstaben zu schreiben seien, also: die +Grünen+
-und die +Blauen+, alle +Gebildeten+. Das läßt sich hören. Nun geht
-man aber weiter. Man schreibt solche Adjektiva und Partizipia auch
-dann groß, wenn zu dem Adjektiv ein Adverb oder ein Objekt, zu dem
-Partizip ein Adverb, ein Prädikat, ein Objekt oder eine adverbielle
-Bestimmung tritt, z. B.: so +Schönes+, längst +Bekanntes+, etwas
-ungemein +Elastisches+, der minder +Arme+, alles +bloß Technische+,
-das eigentlich +Theatralische+, der wirtschaftlich +Abhängige+, das
-dem Vaterland +Ersprießliche+ -- ein unglücklich +Liebender+, kein
-billig +Denkender+, der wagehalsig +Spekulierende+, das wahrhaft
-+Seiende+, der früh +Dahingeschiedne+, die mäßig +Begüterten+, die
-bloß +Verschwägerten+, der ergebenst +Unterzeichnete+, der sehnlichst
-+Erwartete+, der wahrhaft +Gebildete+, das glücklich +Erreichte+,
-das früher +Versäumte+, der hier +Begrabne+, das anderwärts besser
-+Dargestellte+ -- der beschaulich +Angelegte+, der gefesselt
-+Daliegende+, der unschuldig +Hingerichtete+, das als richtig
-+Erkannte+ -- die dem Gemetzel +Entgangnen+, die Medizin +Studierenden+
--- die zu ihm +Geflüchteten+, die vom Leben +Abgeschiednen+, die
-bei der Schaffung des Denkmals +Beteiligten+, die an der Aufführung
-+Mitwirkenden+, die auf die Eröffnung der Kasse +Wartenden+ -- auch:
-die von ihm +zu Befördernden+, das auf Grund des schon +Vorhandnen+
-noch +zu Erreichende+ usw.
-
-Ist das richtig? Können in solchen Verbindungen die Adjektiva und
-Partizipia wirklich als Substantiva angesehen werden? Ein wenig
-Nachdenken genügt doch, zu zeigen, daß das unmöglich ist. Wenn ich
-sage: der +frühere Geliebte+, so ist das Partizip wirklich zum
-Substantivum geworden; sage ich aber: der +früher geliebte+, so
-kann doch von einer Substantivierung keine Rede sein. Welchen Sinn
-hat es aber, Wörter äußerlich, für das Auge, zu Hauptwörtern zu
-stempeln, die gar nicht als Hauptwörter gefühlt werden können? Diese
-Fälle sollten im Unterricht dazu benutzt werden, den Unterschied
-zwischen einem zum Substantiv gewordnen und einem Partizip gebliebnen
-Partizipium klarzumachen! Wäre es richtig, zu schreiben: alles bisher
-+Erforschte+, alle vernünftig +Denkenden+, die im Elsaß +Reisenden+,
-die zwei Jahre lang +Verbündeten+, die zur Feier von Kaisers Geburtstag
-+Versammelten+, die durch die Überschwemmung +Beschädigten+, die auf
-preußischen Universitäten +Studierenden+, der wegen einer geringfügigen
-Übertretung +Angeklagte+, wäre es möglich, alle diese Partizipia als
-Substantiva zu fühlen -- und nur darauf kommt es an! --, dann müßte man
-auch sagen können: alle bisher +Forschung+, alle vernünftig +Denker+,
-die im Elsaß Reise, die zwei Jahre lang +Verbindung+, die zur Feier
-von Kaisers Geburtstag +Versammlung+, der durch die Überschwemmung
-+Schade+, die auf preußischen Universitäten +Studenten+, die wegen
-einer geringfügigen Übertretung +Anklage+. Wollte man hier wirklich
-eine Substantivierung annehmen und äußerlich vornehmen, so könnte das
-nur so geschehen, daß man die ganze Bekleidung mitsubstantivierte
-und schriebe: die +Wirklichoderangeblichminderbegabten+, jeder
-+Tieferindiegoethestudieneingedrungne+. So verfährt man ja wirklich bei
-kurzen Zusätzen wie: die +Leichtverwundeten+, der +Frühverstorbne+, die
-+Fernerstehenden+, die +Wenigerbegabten+.
-
-Nun könnte man sagen: gut, wir wollen da, wo Adjektiva und Partizipia
-allein stehen, sie mit großen Anfangsbuchstaben schreiben; treten
-sie mit irgendwelchen Zusätzen auf, so mögen sie mit dem kleinen
-Buchstaben zufrieden sein. Was soll aber dann geschehen, wenn
-beide Fälle miteinander verbunden sind, was sehr oft geschieht,
-z. B.: das +unbedeutende+, in der Eile +hingeworfne+ -- etwas
-+selbstverständliches+, mit Händen +greifbares+ -- etwas +großes+,
-der ganzen Menschheit +ersprießliches+ -- eine nach dem +pikanten+,
-noch nicht +dagewesenen+ haschende Phantasie -- mit Verzicht auf das
-+verlorne+ und zu unsrer Sicherheit unbedingt +notwendige+? Soll man da
-abwechseln? das eine klein, das andre groß schreiben?
-
-Das vernünftigste wäre ohne Zweifel, man beschränkte die großen
-Anfangsbuchstaben überhaupt auf die wirklichen Substantiva und schriebe
-alles übrige klein. Aber zu schreiben: das durch redlichen Fleiß
-+Gewonnene+, und sich und andern einzureden: +Gewonnene+ sei hier ein
-Substantiv, ist doch geradezu ein Verbrechen an der Logik. Aber auch
-das +schrittweise Gewonnene+ ist Unsinn. Denn wäre +Gewonnene+ ein
-Hauptwort, dann könnte +schrittweise+ nur ein Eigenschaftswort sein,
-und das ist es nicht, ist aber +schrittweise+ ein Adverbium, dann kann
-+Gewonnene+ nur eine Verbalform sein, und das ist es ebenfalls nicht,
-sowie man es mit G schreibt.
-
-
-Die Apposition
-
-Eine Regel, die schon der Quintaner lernt, lautet: eine Apposition
-muß stets in demselben Kasus stehen wie das Hauptwort, zu dem sie
-gehört. Das ist so selbstverständlich, daß es ein Kind begreifen
-kann. Nun sehe man sich aber einmal um, wie geschrieben wird! Da
-heißt es: das Gastspiel +des+ Herrn R., +erster Tenor+ an der Skala
-in Mailand -- der Verfasser +der+ Sylvia, +ein Buch+, das wir leider
-nicht kennen -- es gilt das namentlich von +dem+ mitteldeutschen
-Hofbau, +die verbreitetste+ aller deutschen Bauarten -- der First ist
-+mit+ freistehenden +Figuren+, Petrus und +die vier Evangelisten+,
-geschmückt -- offenbar hat Trippel von +jener Skulptur+, +eine+ dem
-Apoll von Belvedere nicht +allzufernstehende Arbeit+, die Anregung
-erhalten -- in Koblenz war ich ein Stündchen +bei Bädeker+, ein recht
-+liebenswürdiger, verständiger+ Mann -- das Grab war +mit+ Reseda und
-+Monatsrosen+ geschmückt, +die Lieblingsblumen+ der Verstorbnen --
-anders verhält es sich mit +dem Sauggasmotor+, +ein Apparat+, der das
-erforderliche Gas selbst erzeugt. Solche Verbindungen kann man sehr
-oft lesen; mag der Genitiv, der Dativ, der Akkusativ vorausgehen,
-gleichviel: die Apposition wird in den Nominativ gesetzt. Sie wird
-behandelt wie eine Parenthese, als ob sie gar nicht zum Satzgefüge
-gehörte, als ob sie der Schreibende „beiseite“ spräche oder in den Bart
-murmelte.
-
-Auch dieser Fehler ist, wie so manches in unsrer Sprache, durch
-Nachäfferei des Französischen entstanden. Nicht daß das Französische
-bei seiner strengen Logik eines solchen Unsinns fähig wäre, zu einem
-Hauptwort im Genitiv eine Apposition im Nominativ zu setzen. Wenn der
-Franzose schreibt: ~le faîte est orné de statues~, ~St. Pierre et les
-quatre évangélistes~, so empfindet er natürlich ~les évangélistes~
-so gut von de abhängig wie das vorhergehende. Der Deutsche aber, der
-ein bißchen Französisch gelernt hat, sieht nur die unflektierte Form,
-bildet sich ein, das sei ein Nominativ, und plumpst nun hinter +des+
-und +dem+ und +den+ mit seinem +der+ drein. Es ist wie ein Schlag ins
-Gesicht, ein solcher Nominativ als Genosse und Begleiter eines ~casus
-obliquus~.
-
-Auch wenn die Apposition mit +als+ angeschlossen wird, muß sie
-unbedingt in demselben Kasus stehen wie das Wort, zu dem sie tritt,
-z. B.: ein Vortrag über Viktor +Hugo+ als +politischen Dichter+
-(nicht +politischer+!) -- ein Portal mit zwei gefesselten +Türken+
-als +Schildhaltern+ (nicht +Schildhalter+!) -- eine Zusammenfassung
-+Schlesiens+ als +eines+ Ganzen (nicht ein +Ganzes+!). Nur wenn sie
-sich an das besitzanzeigende Adjektiv anschließt, also eigentlich im
-Genitiv stehen müßte, nimmt man sich allgemein die Freiheit, zu sagen:
-+mein+ Beruf +als Lehrer+, +seine+ Bedeutung +als Dichter+.
-
-Nicht zu verwechseln mit der Apposition hinter +als+ ist das
-Prädikatsnomen hinter +als+ und dem Partizip eines Zeitworts, wie
-+gesandt+, +berufen+, +bekannt+, +berühmt+, +gefeiert+, +bewährt+,
-+berüchtigt+ usw. Beim ~Verbum finitum~ steht selbstverständlich ein
-Prädikatsnomen, das sich an das Subjekt anschließt, im Nominativ:
-der +Entschlafne+ wurde als +Mensch+ wie als Politiker gleich hoch
-geschätzt; schließt es sich an das Objekt an, so steht es im Akkusativ:
-ich habe +den Entschlafnen+ als +Menschen+ wie als Politiker gleich
-hoch geschätzt. Manche schreiben nun aber auch: die Stadt hat ihr +als
-ausgezeichneten Verwaltungsbeamten+ bekanntes +Oberhaupt+ verloren.
-Das ist des Guten zu viel. Beim Partizip steht das Prädikatsnomen
-stets im Nominativ, der Kasus, auf den es sich bezieht, mag sein,
-welcher er will, z. B.: auf die Vorstellungen +des als Gesandter+
-an ihn geschickten +Tilo+ -- an die Stelle +des als Professor+ nach
-Aachen versetzten +Baumeisters+ -- als Nachfolger +des als Gehilfe+
-des Finanzministers nach Petersburg berufnen +Geheimrats+ -- +dem+ als
-vortrefflicher +Dirigent+ bekannten +Kapellmeister+. Dieser Nominativ
-erklärt sich daraus, daß er eben stets hinter dem passiven ~Verbum
-finitum~ steht, sogar oft im Aktiv bei rückbezüglichen Zeitwörtern,
-wie +sich zeigen+, +sich beweisen+, +sich verraten+, +sich entpuppen+,
-+sich bewähren+, wo eigentlich der Akkusativ am Platze wäre: er hat
-+sich+ als +ausgezeichneter Verwaltungsbeamter+ bewährt. Hier ist
-übrigens ein Unterschied möglich; er zeigte +sich+ als +feinen+ Kenner
--- ist etwas andres als: er zeigte +sich+ als +feiner+ Kenner. Der
-Akkusativ entspricht einem Objektsatz im Konjunktiv (er zeigte, daß er
-ein feiner Kenner +sei+), der Nominativ einem Objektsatz im Indikativ
-(er zeigte, daß er ein feiner Kenner +ist+). Aber dieser Unterschied
-ist so fein, daß ihn die wenigsten nachfühlen werden; die meisten
-schreiben unwillkürlich überall den Nominativ.
-
-Bei +sein lassen+ und +werden lassen+ muß ein zum Objekt gehöriges
-Prädikat natürlich im Nominativ stehen. Falsch heißt es in dem
-Gesangbuchliede: laß du +mich deinen Tempel+ sein, falsch auch bei
-Uhland: laß +du mich deinen Gesellen+ sein -- so annehmbar es auch zu
-klingen scheint. Es muß heißen: laß du +mich dein Geselle+ sein -- laß
-+ihn ein tüchtiger Künstler+ werden.
-
-
-Der Buchtitelfehler
-
-Ein besonders häufiges Beispiel einer fehlerhaften Apposition
-findet sich auf Buchtiteln. Gewiß auf der Hälfte aller Buchtitel
-wird jetzt zum Verfassernamen, der ja immer hinter +von+, also im
-Dativ steht, das Amt oder der Beruf des Verfassers im Nominativ
-gesetzt! Noch in den vierziger und fünfziger Jahren des vorigen
-Jahrhunderts war diese Nachlässigkeit fast unbekannt; da schrieb
-man noch richtig; +von+ Joseph +Freiherrn+ von Eichendorff, +von+
-H. Stephan, kgl. preußisch+em+ Postrat. Jetzt heißt es: +von+
-C. W. Schneider, Reichstagsabgeordnet+er+ -- +von+ H. Brehmer,
-dirigierend+er+ Arzt -- +von+ F. Kobeker, kaiserl. russisch+er+
-Geheimrat -- +von+ Egbert von Frankenberg, diensttuend+er+ Kammerherr
--- +von+ Havestadt und Contag, Regierungsbaumeist+er+ -- +von+ ~Dr.~
-Leonhard Wolff, städtisch+er+ Musikdirektor -- +von+ J. Hartmann,
-königl. preußisch+er+ Generalleutnant z. D. -- +von+ Adolf Zeller,
-königlich+er+ Regierungsbaumeister -- +von+ Adolf Winds, königl.
-sächsisch+er+ Hofschauspieler -- +von+ ~Dr.~ Friedrich Harms, weiland
-ordentlich+er+ Professor an der Universität Berlin -- +von+ L. Schmidt,
-korrespondierend+es+ Mitglied des Vereins usw. Besonders häufig
-erscheinen der +Dozent+, der +Privatdozent+ und der +Architekt+ in
-solchen fehlerhaften Appositionen; es ist, als ob die Herren ganz
-vergessen hätten, daß sie nach der schwachen Deklination gehen (+dem+
-Dozent+en+, +dem+ Architekt+en+). Mitunter sind ja die Verfasser so
-vorsichtig, das Wort, auf das es ankommt, abzukürzen, z. B.: +von+
-Heinrich Oberländer, +königl.+ Schauspieler. Namentlich der +ordentl.+
-und der +außerordentl.+ Professor gebrauchen gern diese Vorsicht und
-überlassen es dem Leser, sich die Abkürzung nach Belieben zu ergänzen.
-Die meisten Leser ergänzen aber sicher falsch.[105] Hat außerdem noch
-der Name des Druckers oder des Verlegers eine Apposition, so kann es
-vorkommen, daß auf einem Buchtitel der Fehler zweimal steht, oben
-beim Verfassernamen und dann wieder unten am Fuße: Druck +von+ Gustav
-Schenk, königlich+er+ Hofliefer+ant+!
-
-Aber auch in andern Fällen, nicht bloß wo sich der Verfasser
-eines Buches nennt, wird der Fehler oft begangen. Man schreibt
-auch: Erinnerungen +an+ Botho von Hülsen, Generalintend+ant+ der
-königlichen Schauspiele. Auf Briefadressen kann man lesen: +Herrn+
-~Dr.~ Müller, Vorsitzend+er+ des Vereins usw. Es ist, als ob alle
-solche Appositionen, die Amt, Titel, Beruf angeben, zusammen mit den
-Personennamen als eine Art von Versteinerungen betrachtet würden. Daß
-+von+ den Dativ, +an+ den Akkusativ regiert, dafür scheint hier alles
-Bewußtsein geschwunden zu sein. Erst kommt die Präposition, dann der
-Name, und dann, unflektiert und, wie es scheint, auch unflektierbar,
-der Wortlaut der -- Visitenkarte.
-
-
-Frl. Mimi Schulz, Tochter usw.
-
-Zu der einen Nachäfferei des Französischen bei der Apposition kommt
-aber jetzt noch eine zweite, nämlich die, den Artikel wegzulassen. In
-gutem Deutsch ist das nur dann üblich, wenn die Apposition Amt, Beruf
-oder Titel bezeichnet, und auch da eigentlich nur in Unterschriften,
-wenn man selber seinen Namen und Titel hinschreibt. Aber abgeschmackt
-ist es, den Artikel bei Verwandtschaftsbegriffen wegzulassen, und
-doch kann man das jetzt ebenso oft in Geschichtswerken wie in --
-Verlobungsanzeigen lesen. Historiker und Literarhistoriker schreiben:
-die Bekanntschaft mit Körner, +Vater+ des Dichters Theodor Körner
--- die Briefe sind an die Herzogin Dorothee Susanne, +Gemahlin+ des
-Herzogs Johann Wilhelm, gerichtet -- Gabriele von Bülow, +Tochter+
-Wilhelm von Humboldts -- sogar: Direktor Adler, +Pate+ meiner Schwester
--- und der Reserveleutnant und Gymnasialoberlehrer Schmidt zeigt an,
-daß er sich mit Fräulein Mimi Schulz, +Tochter+ des Herrn Kommerzienrat
-Schulz, verlobt habe. Diese lapidarische Kürze mag in den Augen des
-Reserveleutnants der Größe des Augenblicks angemessen erscheinen --
-deutsch ist sie nicht. Hat der Herr Kommerzienrat nur die eine Tochter,
-so muß es heißen: +der Tochter+, hat er mehrere, so muß es heißen:
-+einer Tochter+; und warum soll die Welt nicht erfahren, ob er noch
-mehr hat? Und wenn der Geschichtschreiber nicht wüßte, oder wenn es
-überhaupt unbekannt wäre, ob die Fürstin, von der er erzählt, eine oder
-mehrere Töchter gehabt hat, so müßte es immer heißen: +eine Tochter+,
-denn +eine+ Tochter war es auf jeden Fall, ob sie nun die einzige war
-oder Schwestern hatte.
-
-Ebenso falsch ist es natürlich, zu schreiben, der Vorwärts, +Organ+ der
-sozialdemokratischen Partei. Hat die Partei mehrere „Organe“, so muß
-es heißen: +ein+ Organ; hat sie nur das eine, ist das ihr anerkanntes
-amtliches „Organ“, so muß es heißen: +das+ Organ. +Organ+ allein könnte
-höchstens (in dem zweiten Falle) unter dem Titelkopfe der Zeitung
-stehen.
-
-
-Bad-Kissingen und Kaiser Wilhelm-Straße
-
-Daß ein Eigenname nicht mit einer vorangestellten Apposition ein
-zusammengesetztes Wort bilden kann, darüber ist sich wohl jedermann
-klar. +Kaiser Wilhelm+ -- das sind und bleiben zwei Wörter, so gut wie
-+Doktor Luther+, +Bruder Straubinger+, +Inspektor Bräsig+, +Familie
-Mendelssohn+, +Stadt Berlin+ u. ähnl. Trotzdem ist neuerdings der
-Unsinn aufgekommen, namentlich bei Badeorten die Apposition +Bad+ durch
-einen Strich mit dem Ortsnamen zu verbinden, als ob beides zusammen
-+ein+ Wort bildete. +Bad-Sulza+, im Gegensatz dazu dann +Stadt-Sulza+,
-+Bad-Elster+, +Bad-Kissingen+, +Bad-Nauheim+ -- so wird selbst
-amtlich von der Post und der Eisenbahn z. B. in Briefstempeln und auf
-Eisenbahnbilletts gedruckt. Und besucht man dann einen solchen Badeort,
-so sieht man, daß dort auch hinter dem Worte +Villa+ der Unsinn in
-üppigster Blüte steht: +Villa-Daheim+, +Villa-Schröter+, +Villa-Maria+,
-+Villa-Quisisana+ -- anders wird gar nicht mehr an die Häuser gemalt,
-einer machts immer dem andern nach.[106]
-
-Mit diesem Unsinn kreuzt sich aber nun ein andrer. Teils infolge des
-übertriebnen juristischen Genauigkeitsbedürfnisses, teils infolge des
-herrschenden Byzantinismus unsrer Zeit kann man es sich nicht versagen,
-da, wo nun wirkliche Zusammensetzungen mit Eigennamen gebildet werden,
-auch noch Vornamen, Titel oder sonstige Appositionen davorzusetzen und
-zu schreiben: +Gustav Freytag-Straße+, +von (!) Falckenstein-Straße+,
-+Kaiserin Augusta-Straße+, +Königin Carola-Gymnasium+, +Königin
-Luisen-Garten+, +Kaiser Friedrich-Quelle+, +Generalfeldmarschall Prinz
-Friedrich Karl von Preußen-Eiche+, +Familie Mendelssohn-Stiftung+,
-+Baronin Moritz von Cohn-Stiftung+, +Philipp Reis-Denkmal+, +Waldemar
-Meyer-Quartett+, +Gustav Frenssen-Abend+, +Arthur Nikisch-Stipendium+,
-+Auguste Schmidt-Haus+, +Hugo Wolff-Nachruf+ usw. Wenn man früher
-eine Straße nach dem großen Preußenkönig, einen Kanal nach dem großen
-Bayernkönig nannte, so nannte man sie einfach +Friedrichstraße+,
-+Ludwigskanal+. Eine Stiftung hieß die +Wiedebachsche Stiftung+, mochte
-sie nun von einem Manne namens Wiedebach, einer Frau namens Wiedebach
-oder einer Familie namens Wiedebach herrühren. Auf den Namen kam es
-an. Ein Name soll doch eben ein Name sein, aber keine Geschichte,
-kein Steckbrief, keine Hofkalenderadresse, keine Visitenkarte. Die
-heute beliebten langatmigen Bezeichnungen sind aber alles andre, nur
-keine Namen. Dazu kommt aber nun, daß alle solche Worthaufen, die
-doch als zusammengesetzte Wörter gelten sollen, vor den Eigennamen
-ohne Bindestrich geschrieben werden: +Kaiser Wilhelm-Straße+. Das
-kann doch nichts andres bedeuten als einen Kaiser, der Wilhelmstraße
-heißt! Soll es eine Straße bedeuten, die nach Kaiser Wilhelm genannt
-ist, so muß sie unbedingt geschrieben werden: +Kaiser-Wilhelm-Straße+.
-Und ebenso muß unbedingt geschrieben werden: +Gustav-Adolf-Verein+,
-+Maria-Stuart-Tragödie+, +Baronin-Moritz-von-Cohn-Stiftung+,
-+Generalfeldmarschall-Prinz-Friedrich-Karl-von-Preußen-Eiche+. Wem das
-nicht gefällt, der bilde keine solchen Wörter. Es geht aber schon so
-weit, daß man eine Schule +Kaiser Wilhelm II. Realschule+ genannt hat!
-Wie soll man das nur aussprechen?
-
-In der unsinnigen Schreibung solcher Wortungetüme (ohne alle
-Bindestriche) offenbart sich wieder der zerrüttende Einfluß des
-Englischen. Das Englische kennt ja keine Wortzusammensetzungen. Die
-Wörter kollern da aufs Papier wie die Pferdeäpfel auf die Straße:
-+Original Singer Familien Nähmaschine+. Das ist zu schön, das muß doch
-wieder nachgemacht werden!
-
-
-Der Dichter-Komponist und der Doktor-Ingenieur
-
-Eine fehlerhafte und abgeschmackte Nachahmung des Französischen und
-des Englischen liegt auch in Verbindungen wie +Prinz-Regent+ und
-+Dichter-Komponist+ vor. Nach deutscher Logik (vgl. +Chorregent+,
-+Liederkomponist+) wäre ein +Dichterkomponist+ ein Komponist, der
-Dichter komponierte, ein +Prinzregent+ ein Regent, der einen Prinzen
-regierte; das eine soll aber ein Dichter sein, der zugleich komponiert,
-das andre ein Prinz, der die Regentschaft führt; das erste Wort soll
-also nicht das Bestimmungswort des zweiten, sondern das zweite eine
-Art von Apposition zum ersten sein. Das erste Beispiel dieser Art
-war wohl der +Bürgergeneral+, wie Goethe wörtlich das französische
-~citoyen-général~ übersetzt hatte; später kam der +Prinz-Gemahl+
-dazu (dem englischen ~prince-consort~ nachgebildet). Und nun war
-kein Halten mehr. Nun folgten auch die +Herzogin-Mutter+, die
-+Königin-Witwe+, der +Prinz-Regent+, der +Fürst-Bischof+ und der
-+Fürst-Reichskanzler+, und in andern Lebenskreisen, dem französischen
-~peintre-graveur~, ~membre-protecteur~ und ~commis-voyageur~
-nachgeäfft, der +Maler-Radierer+, der +Maler-Dichter+ (z. B. Reinick,
-Stifter, Fitger), der +Dichter-Komponist+ und der +Senior-Chef+. Kann
-man sich da wundern, wenn die Dienstmädchen nun auch von einem Prinzen,
-der in Leipzig studiert, sagen: Dort fährt der +Prinz-Student+? Manche
-Zeitungen getrauen sich schon nicht mehr, Fürstenkinder als Söhne und
-Töchter zu bezeichnen, sondern schreiben stets: die +Prinzen-Söhne+,
-die +Prinzessinnen-Töchter+. In gewissen sächsischen Zeitungen z. B.
-hat der König von Sachsen immer nur +Prinzensöhne+. Es fehlt nur noch
-die +Kaiserin-Großmutter+ und die +Königin-Tante+. Das neueste der Art
-ist der +Doktor-Ingenieur+, der lächerlicherweise noch dazu ~Dr. ing.~
-geschrieben wird, was man doch höchstens ~Doctor ingenii~ lesen kann.
-Hätte es da nicht näher gelegen und wäre es nicht logischer gewesen,
-solche Herren als ~Dr. techn.~ zu bezeichnen?
-
-
-In einer Zeit wie der unsrigen
-
-Keine eigentliche Apposition liegt vor, wenn man sagt: +in einer Zeit+
-wie +der unsrigen+, sondern hier hat ein kurzer Nebensatz, und zwar
-ein Attributsatz (+wie die unsrige ist+), sein Zeitwort eingebüßt, und
-das übrigbleibende Subjekt des Satzes ist dann unwillkürlich zu dem
-vorhergehenden Dativ gezogen, „attrahiert“ worden. Manche wollen von
-dieser Attraktion nichts wissen; sie ist aber sehr natürlich und liegt
-so nahe, daß es pedantisch wäre, sie zu vermeiden. Gegen Verbindungen
-wie: in +einem Buche+ wie dem vorliegenden, oder: es bedarf +eines
-Reaktionsstoffes+ wie +des Natriums+ -- ist nicht das geringste
-einzuwenden; es klingt sogar gesucht und hart, wenn jemand schreibt:
-+von+ Perioden wie +die jetzige+ kann man sagen -- sie wollte ihren
-Sohn +vor+ einem ähnlichen Schicksal wie +das+ seines Vaters bewahren
--- wer die Jugend +zu+ einem Berufe wie +der ärztliche+ vorbereiten
-will -- +solche+ kleinere Sammlungen wurden +in+ Werken wie +die
-Weingartner Handschrift+ vereinigt.
-
-
-Gustav Fischer, Buchbinderei
-
-Eine Geschmacklosigkeit, die sich in der Sprache unsrer Geschäftsleute
-mit großer Schnelligkeit verbreitet hat, besteht darin, zu einem
-Personennamen eine Sache als Apposition zu setzen, z. B.: +Gustav
-Fischer, Buchbinderei+ -- +Th. Böhme, Schuhmacherartikel und
-Schäftefabrik+ -- +B. Fricke, Kartoffelmehl ~en gros~+ -- +Leopold
-Wallfisch, Leder+. Früher sagte man vernünftigerweise: +Gustav Fischer,
-Buchbinder+, und wer zu verstehen geben wollte, daß er sein Geschäft
-nicht allein, sondern mit einer Anzahl von Gesellen betreibe (jetzt
-heißt es vornehmer: Gehilfen, obwohl ein Geselle von damals viel mehr
-zu bedeuten hatte als so ein moderner „Gehilfe“!), sagte: +Gustav
-Fischers Buchbinderei+ oder +Buchbinderei von Gustav Fischer+. Der
-Unsinn, einen Menschen eine Buchbinderei zu nennen, ist unsrer Zeit
-vorbehalten geblieben.
-
-Man könnte nun einwenden, in solchen Verbindungen solle der
-Personenname gar nicht den Mann bedeuten, sondern die Firma, das
-Geschäft; in dem Zusatz solle also gar keine Apposition liegen,
-sondern mehr eine „Juxtaposition“. In den altmodischen Firmen sei nur
-der eine Satz ausgedrückt gewesen: (hier wohnt) +Gustav Fischer+; in
-den neumodischen Firmen seien zwei Sätze ausgedrückt: (hier wohnt)
-+Karl Bellach+, (der hat eine) +photographische Anstalt+, oder: (hier
-hat sein Geschäft) +Siegfried Goldmann+, (der verkauft) +Wolle+. Wie
-steht es denn aber dann, wenn man in einem Ausstellerverzeichnis
-lesen muß: Herr +F. A. Barthel, Abteilung+ für Metallklammern, oder
-in einer Verlobungsanzeige: Herr +Max Schnetger, Rosenzüchterei+, mit
-Fräulein Luise Langbein, oder in einem Fremdenbuche: +Rudolf Dahme,
-Kognakbrennerei+, mit Gattin und Tochter, oder in einer Zeitung: Herr
-+Gustav Böhme jun., Bureau+ für Orientreisen, telegraphiert uns? Ist da
-auch noch die Firma gemeint?
-
-Zum Teil ist dieser Unsinn eine Folge der Prahlsucht[107]
-unsrer Geschäftsleute; es will niemand mehr +Gärtner+ oder
-+Brauer+, +Tischler+ oder +Buchbinder+ sein, sondern nur noch
-+Gärtnereibesitzer+, +Brauereibesitzer+, +Tischlereibesitzer+,
-+Buchbindereibesitzer+ -- immer großartig! Da darf natürlich die
-Buchbind+erei+ auch in der Firma nicht fehlen. Zum andern Teil ist er
-aber doch auch eine Folge der Verwilderung unsers Sprachgefühls. +W.
-Spindlers Waschanstalt+ und +Gotthelf Kühnes Weinkellereien+ -- das
-wäre Sprache; +W. Spindler Färberei und Waschanstalt+ und +Gotthelf
-Kühne Weinkellereien+ -- das ist Gestammel. Man will aber gar nicht
-mehr sprechen, man will eben stammeln.
-
-
-Die persönlichen Fürwörter. Der erstere und der letztere
-
-Recht vorsichtig sollte man immer in dem Gebrauche der persönlichen
-Fürwörter sein. Wer schreibt, der weiß ja, wen er mit einem
-+er+ oder +ihn+ meint; der Leser aber versteht oft falsch, weil
-mehrere Hauptwörter vorhergegangen sind, auf die sich das Fürwort
-zurückbeziehen kann, sucht dann nach dem richtigen Wort und wird so in
-ärgerlicher Weise aufgehalten. Wo daher ein Mißverständnis möglich ist,
-ist es immer besser, statt des Fürworts wieder das Hauptwort zu setzen,
-besonders dann, wenn im vorhergehenden zwei Hauptwörter einander
-gegenübergestellt worden sind. Leider macht sich auch hier wieder der
-törichte Aberglaube breit, daß es unschön sei, kurz hintereinander
-mehreremal dasselbe Wort zu gebrauchen.
-
-Man nehme folgende Sätze: Schon in Goethe, ja schon in dem
-musikliebenden Luther findet sich das unbestimmte Vorgefühl einer
-solchen Entwicklung; Goethe hatte bekanntlich bis zu seinem vierzigsten
-Jahre die ernstliche Absicht, sich der bildenden Kunst zu widmen,
-und die Haupttat Luthers, die Bibelübersetzung, ist eine wesentlich
-künstlerische Tat.
-
-Das sind gewiß ein paar gute, tadellose Sätze, so klar, übersichtlich
-und wohlklingend, wie man sie nur wünschen kann. Da kommt nun der
-Papiermensch drüber und sagt: Entsetzlich! Da steht ja zweimal
-hintereinander Goethe und zweimal hintereinander Luther! Jedes zweite
-mal ist vom Übel, also weg damit! Es muß heißen: +der eine+ und +der
-andre+, oder +jener+ und +dieser+, oder -- und das ist nun das schönste
-von allem --: +ersterer+ und +letzterer+. Also: schon in Goethe,
-ja schon in dem musikliebenden Luther findet sich das unbestimmte
-Vorgefühl einer solchen Entwicklung: +ersterer+ hatte bekanntlich bis
-zu seinem vierzigsten Jahre die ernstliche Absicht, sich der bildenden
-Kunst zu widmen; und die Haupttat des +letztern+, die Bibelübersetzung,
-war eine wesentlich künstlerische Tat.
-
-Über die häßliche Komparativbildung +ersterer+ und +letzterer+
-ist schon bei den Relativsätzen gesprochen worden (vgl. S. 123).
-Wie häßlich ist aber erst -- dort wie hier -- die Anwendung! Das
-angeführte Beispiel ist ja verhältnismäßig einfach, und da es vorher
-mit Wiederholung der Namen gebildet worden ist, so sieht man leicht,
-worauf sich +ersterer+ und +letzterer+ beziehen soll. Aber welche
-Qualen kann dem Leser in tausend andern Fällen ein solches +ersterer+
-und +letzterer+, +dieser+ und +jener+ bereiten! Man hat ja, wenn man
-arglos vor sich hinliest, keine Ahnung davon, daß sich der Schreibende
-gewisse Wörter gleichsam heimlich numeriert, um hinterher plötzlich
-von dem Leser zu verlangen, daß der sie sich auch numeriert und --
-mit der Nummer gemerkt habe. Auf einmal kommt nun so ein verteufeltes
-+ersterer+. Ja wer war denn der +erstere+? Hastig fliegt das Auge
-zurück und irrt in den letzten zwei, drei Zeilen umher, um darnach zu
-suchen. +Ersterer+ -- halt, da steht +er+: Luther! Also: Luther hatte
-bekanntlich bis zu seinem vierzigsten Jahre die ernstliche Absicht,
-sich der bildenden Kunst zu widmen. Unsinn! der andre muß es gewesen
-sein, also noch einmal suchen! Richtig, hier steht er: Goethe! Also:
-Goethe hatte bekanntlich die ernstliche Absicht -- Gott sei Dank, jetzt
-sind wir wieder im Fahrwasser. Zum Glück verläuft ja in Wirklichkeit
-dieses Hinundhergeworfenwerden etwas schneller; aber angenehm ist es
-nicht, und doch, wie oft muß mans über sich ergehen lassen!
-
-Noch ein paar weitere Beispiele: Diskretion ist eine Tugend der
-Gesellschaft: +diese+ kann nicht ohne +jene+ bestehen -- unerfahrne
-Kinder und geübte Diplomaten haben das oft blitzartige Durchschauen
-von Menschen und Charakteren miteinander gemein, aber freilich aus
-verschiednen Gründen: +jene+ besitzen noch den Blick für das Ganze,
-+diese+ schon den für die Einzelheiten des menschlichen Seelenlebens
--- wie Raffael in der Form, ist Rembrandt in der Farbe nichts weniger
-als naturwahr; +dieser+ hat seinen selbständigen und in gewissem
-Sinne unnatürlichen Stil gerade so gut wie +jener+; und insofern
-Rembrandt in seinen Bildern sogar eine noch intensivere persönliche
-Handschrift zeigt als Raffael, hat der +erstere+ noch mehr Stil als
-der +letztere+ -- der Gelehrte ist seinem Wesen nach international,
-der Künstler national; darauf gründet sich die Überlegenheit des
-+letztern+ über den +erstern+ -- dieser Umschwung ist wieder durch
-den Egoismus bewirkt worden, nur daß es diesmal nicht der des Gebers,
-sondern der des Nehmers war; +jener+ hat in +diesem+ seinen Meister
-gefunden; +letzterer+ das Werk würdig fortgesetzt. Alle solche Sätze
-sind eine Qual für den Leser. Wer ist +dieser+, wer ist +jener+, wer
-ist +letzterer+? In dem letzten Beispiele sollen +dieser+ und +jener+
-der Geber und der Nehmer sein, aber in welcher Reihenfolge? +Dieser+
-soll sich auf den näherstehenden, +jener+ auf den fernerstehenden
-beziehen, +letzterer+ bezieht man unwillkürlich zunächst auf Meister,
-es ist aber wieder der Nehmer gemeint. Ist es denn da nicht gescheiter,
-zu schreiben: dieser Umschwung ist wieder durch den Egoismus bewirkt
-worden, nur daß es diesmal nicht der des Gebers, sondern der des
-Nehmers war; der Geber hat im Nehmer seinen Meister gefunden, der
-Nehmer hat das Werk würdig fortgesetzt? Das ist sofort verständlich,
-und alles ängstliche Umkehren und Suchen fällt weg.
-
-Ein ganz besondrer Mißbrauch wird noch mit +letzterer+ allein
-getrieben. Viele sind so verliebt in dieses schöne Wort, daß sie es
-ganz gedankenlos (für +dieser+!) auch da gebrauchen, wo gar keine
-Gegenüberstellung von zwei Dingen vorhergegangen ist; sie weisen
-damit einfach auf das zuletzt genannte Hauptwort zurück; z. B.: das
-Preisgericht hat seinen Spruch getan, +letzterer+ greift jedoch
-der Entscheidung nicht vor -- das Pepton wird aus bestem Fleisch
-dargestellt, sodaß +letzteres+ bereits in löslicher Form dem Magen
-zugeführt wird -- Krüge, Teller und Schüsseln bilden das Material,
-dem die dichterischen Ergüsse anvertraut werden; sind +letztere+ aber
-elegischer Natur, so finden wir sie auf Grabsteinen und Votivtafeln
--- in der offiziösen Sprache schreibt man erst dann von gestörten
-Beziehungen, wenn der Krieg vor der Tür steht, und daß +letzteres+
-nicht der Fall sei, glauben wir gern -- je weiter entwickelt die Kultur
-eines Volkes ist, desto empfindlicher ist +letzteres+ gegen gewaltsame
-Eingriffe -- die Stellungnahme (!) des Pietismus zu den Kantoreien
-mußte auf +letztere+ lähmend wirken -- die Genossen, die ohne Kündigung
-die Arbeit eingestellt hatten und +letztere+ nicht sofort wieder
-aufnahmen -- F. schlug den Wachtmeister über den Kopf, als +letzterer+
-(der Kopf?) seine Zelle betrat -- diese Aufsätze sind verhaltne
-lyrische Gedichte, von +letztern+ (+solchen+!) nur durch die Form
-verschieden usw. Wenn solche Gedankenlosigkeit weitere Fortschritte
-macht, so kommen wir noch dahin, daß es in lateinisch-deutschen
-Wörterbüchern heißen muß: ~hic~, ~haec~, ~hoc~: +letzterer+,
-+letztere+, +letzteres+ (ebenso wie ~qui~, ~quae~, ~quod~: +welch
-letzterer+, +welch letztere+, +welch letzteres+).
-
-
-Derselbe, dieselbe, dasselbe
-
-Zu den entsetzlichsten Erscheinungen unsrer Schriftsprache gehört
-der alles Maß übersteigende Mißbrauch, der mit dem Fürwort
-+derselbe+, +dieselbe+, +dasselbe+ getrieben wird. An der Unnatur und
-Steifbeinigkeit unsers ganzen schriftlichen Ausdrucks trägt dieses
-Wort die Hälfte aller Schuld. Könnte man unsrer Schriftsprache diesen
-Bleiklumpen abnehmen, schon dadurch allein würde sie Flügel zu bekommen
-scheinen. Der Mißbrauch dieses Fürworts gehört zu den Hauptkennzeichen
-jener Sprache, von der nun schon so viele Beispiele in diesem Buche
-angeführt worden sind, und die man so treffend als papiernen Stil
-bezeichnet hat.[108]
-
-Unter hundert Fällen, wo heute +derselbe+ geschrieben wird, sind keine
-fünf, wo das Wort in seiner wirklichen Bedeutung (~idem~, ~le même~,
-~the same~) stünde. In der lebendigen Sprache wird es zwar in seiner
-wirklichen Bedeutung täglich tausendmal gebraucht, auf dem Papier aber
-fast gar nicht mehr; da wird es immer ersetzt durch +ebenderselbe+
-oder +einundderselbe+ oder +der nämliche+ oder +der gleiche+ (von dem
-+gleichen+ Verfasser erschien in der +gleichen+ Verlagsbuchhandlung
-usw.). Daß zur Gleichheit mindestens zwei gehören, daran denkt man
-gar nicht. Zwar so wunderbaren Sätzen wie: Wagner hat +dieselben+
-Quellen benutzt wie Goethe, aber in engerm Anschluß an +dieselben+
-(wo erst ~eosdem~, dann ~eos~ gemeint ist) -- fast gleichzeitig wurde
-der Roman Werthers Leiden fertig; über +denselben+ schreibt Goethe in
-+demselben+ Briefe usw., begegnet man selten. Aber in fünfundneunzig
-unter hundert Fällen ist +derselbe+, +dieselbe+, +dasselbe+ nichts
-weiter als +er+, +sie+, +es+ oder +dieser+, +diese+, +dieses+. Und das
-ist das ärgerlichste an dem dummen Mißbrauch, daß dabei auch noch der
-Unterschied zwischen +er+ und +dieser+ verwischt wird.
-
-Für das persönliche Fürwort +er+ steht +derselbe+ z. B. in folgenden
-Sätzen (man kann in wenig Minuten in jedem Buch und jeder Zeitung die
-Beispiele schockweise sammeln): wir brauchten das nur dann zu wissen,
-wenn die Welt erst noch geschaffen werden sollte; +dieselbe+ ist aber
-bereits fertig -- der Hauptsitz der Rosenkultur ist der Südfuß des
-Hämus, doch zieht sich +dieselbe+ auch in das Mittelgebirge hinein
--- durch Höhe der Gebäude suchte man zu ersetzen, was +denselben+ an
-Breite und Tiefe abging -- was Erich Schmidt gegen die Glaubwürdigkeit
-Bretschneiders in Feld führt, reicht nicht aus, +dieselbe+ zu
-erschüttern -- der Fall muß allgemeines Aufsehen erregt haben, da
-+derselbe+ eine Bürgerstochter aus guter Familie betraf -- neuerdings
-hat man versucht, den Reim durch die Alliteration zu verdrängen; Jordan
-hat +dieselbe+ eingeführt, und R. Wagner hat +dieselbe+ in freier Weise
-verwandt -- ich hatte mir gleich anfangs ein Brunnenglas gekauft, aber
-+dasselbe+ blieb jungfräulich -- die Gemeinde war allerdings Besitzer
-des Bodens, +derselbe+ wurde aber nicht gemeinschaftlich bearbeitet
--- das Manuskript lag halbvergessen in einem Schubfache, bis mir die
-Anregung wurde, +dasselbe+ einer Zeitung zu überlassen -- Versuche,
-den Verein zu verfolgen, werden +demselben+ nur neues Wachstum
-verleihen -- der Inhaber hat die Karte stets bei sich zu führen und
-darf +dieselbe+ an andre Personen nicht weitergeben -- der Nebensatz
-steht gewöhnlich hinter dem Hauptsatz, +derselbe+ kann jedoch auch
-dem Hauptsatz vorangehen, und endlich kann +derselbe+ auch in den
-Hauptsatz eingeschaltet sein usw. Kein vernünftiger Mensch spricht so;
-jeder braucht, um ein eben dagewesenes Hauptwort zu ersetzen, in der
-lebendigen Sprache das persönliche Fürwort.
-
-In folgenden Sätzen wäre +dieser+ (oder das demonstrative +der+) das
-richtige: der Wildbach trat aus und wälzte große Schuttmassen in
-die Limmat; dadurch wurde +dieselbe+ in ihrem Laufe gehemmt -- in
-Königsberg ließ Lenz seine Ode auf Kant drucken, als +derselbe+ die
-Professorwürde erlangte -- in jeder Küche stand früher ein viereckiges
-Kästchen aus Blech; +dasselbe+ enthielt vier Gegenstände, unter
-anderm eine Masse, die man Zunder hieß; +dieselbe+ war hergestellt
-aus usw. -- es finden sich in der Schrift bisweilen originelle
-Kombinationen; +dieselben+ sind aber doch völlig wertlos -- freilich
-gehört Anlagekapital dazu, +dasselbe+ verzinst sich aber gut --
-für die lokale Feier sind entsprechende Festlichkeiten in Aussicht
-genommen; +denselben+ werden geistliche Festlichkeiten vorausgehen --
-das Ergebnis der Revolution wäre sicher nicht der sozialdemokratische
-Staat; +derselbe+ (+dieser+!) verlangt eine solche Umwälzung aller
-Anschauungen, daß +sich dieselbe+ (+sie sich+!) nicht von heute auf
-morgen vollziehen kann.
-
-Ein Zeitungschreiber kann heutzutage nicht eine Mitteilung von
-zwei Zeilen machen ohne dieses unsinnige +derselbe+; erst wenn das
-darinsteht, hat die Sache die nötige Wichtigkeit. Der Adjutant des
-Sultans ist hier eingetroffen; +derselbe+ überbrachte dem Großfürsten
-vier Pferde. Daß man nur ja nicht etwa denke, es habe sie ein andrer
-überbracht! nein nein, es war derselbe! Ach, und wenn nun erst noch
-die schöne Inversion dazukommt (der Verdacht lenkte sich sofort auf
-den wegen Nachlässigkeit bekannten Hausmann, +und wurde derselbe+ in
-einem Bodenraum erhängt aufgefunden), und wenn gar die Inversion nur
-zu dem Zweck angewandt wird, auch das herrliche +derselbe+ anbringen
-zu können (die Zigarren erheben sich weit über das gewöhnliche
-Niveau, +und gehören dieselben+ zu den besten usw.), oder wenn sich
-zu +derselbe+ noch ein +daselbst+, +dortselbst+, +hierselbst+ oder
-+woselbst+ gesellt (denn +da+, +dort+, +hier+ und +wo+ kennt der
-Zeitungschreiber auch nicht, das ist ihm viel zu simpel), dann
-schwillt die stolze Reporterbrust, er weiß, daß er seinen „bedeutsamen“
-Mitteilungen die würdigste Form verliehen hat. Zur Resolution sprach
-bei Beginn der Sitzung der Abgeordnete T.; +derselbe+ erklärte sich
-gegen +dieselbe+ -- der Ulan M. erhielt drei Tage Mittelarrest, weil
-+derselbe+ beim Appell sein Pferd schlecht vorführte, sodaß +dasselbe+
-einen Kameraden auf den Fuß trat und +denselben+ verletzte -- gestern
-abend ist der Herr Justizminister +hierselbst+ eingetroffen und im
-Hotel S. abgestiegen. +Derselbe+ begab sich heute morgen nach dem
-Amtsgerichtsgebäude, nahm +dasselbe+ eingehend in Augenschein und
-wohnte verschiedenen Verhandlungen +daselbst+ bei -- heute wurde hier
-eine Windhose beobachtet; +dieselbe+ erfaßte einen Teil des auf der
-Wiese liegenden Heues und drehte +dasselbe+ turmhoch in die Luft,
-+woselbst+ es dann weiter geführt wurde -- die Färbung der Kreuzotter
-ist nicht bestimmt anzugeben, da +dieselbe+ bei +einunddemselben+ (!)
-Individuum (!) wechselt und nach der Häutung meist heller erscheint
-als vor +derselben+. Das sind Muster von Zeitungssätzen. Aber auch
-in wissenschaftlichen Werken und in Erzählungen, in Bekanntmachungen
-von Behörden und in Geschäftsanzeigen -- überall verfolgt einen das
-entsetzliche Wort. Selbst in den kleinen Scherzgesprächen unter
-den Bildern der Fliegenden Blätter und in dem Dialog der neuesten
-Lustspiele ist man nicht mehr sicher davor. Man schnellt im Theater von
-seinem Sitz in die Höhe, wenn auf der Bühne so ein dummes +derselbe+
-(für +er+) gesprochen wird; aber weder der Schauspieler noch der
-Regisseur hat es bemerkt und beseitigt! Wie kommt es nur, liebe B.
--- heißt es auf einem Reklamebildchen --, daß deine Kinderchen stets
-so blühend und gesund sind, während die meinigen immer bleich und
-kränklich aussehen? -- Wir genießen alle als tägliches Getränk Kakao
-von Hartwig und Vogel; +derselbe+ ist von anerkannt vorzüglicher
-Qualität, ergiebig und daher billig. Nein, so spricht die liebe B.
-nicht. Ein bekanntes Geschichtchen erzählt, daß der Lehrer in der
-Stunde gefragt habe: wieviel Elemente gibt es, und wie heißen sie?
-und der Schüler geantwortet habe: es gibt vier Elemente, und ich heiße
-Müller. Das war die Folge davon, daß sich der Lehrer so gewöhnlich
-ausgedrückt hatte! Warum hatte er nicht vornehm gefragt, wie unsre
-statistischen Formulare: und wie heißen +dieselben+!
-
-Ein Hochgenuß für den Leser ist es, wenn, wie es tausendfach geschieht,
-beide in einem Satz unmittelbar nebeneinander stehen, die herrlichen
-Papierpronomina: +derselbe+ (statt +er+) und +welcher+ (statt +der+)!
-Zum Verständnis des Parzival ist es nötig, die beiden Sagenkreise,
-+welche demselben+ (+die ihm+!) zugrunde liegen, kennen zu lernen --
-in Hyrtls Hause befindet sich der fragliche Schädel (Mozarts), und der
-Besitzer, +welcher denselben+ (+der ihn+!) der Stadt Salzburg vermacht
-hat, zweifelt nicht an der Echtheit +desselben+ -- Reiskes Briefe kamen
-in die Universitätsbibliothek zu Leiden; es sind aufrichtige Verehrer
-gewesen, +welche dieselben+ (+die sie+!) jener Bibliothek schenkten,
-und sie werden +in derselben+ als ein Schatz geachtet -- das erwähnte
-Statut und die Bulle, +welche dasselbe+ (+die es+!) sanktioniert hatte
--- bezeichnend für den Geschmack der Direktion und die Zumutungen,
-+welche dieselbe+ (+die sie+!) an das Publikum zu stellen wagt -- was
-für Forderungen an die Gebildeten gestellt werden, wird je nach dem
-Zeitalter, +welchem dieselben+ (+dem sie+!) angehören, verschieden
-sein -- die farbige Aufnahme des Fensters verdanken wir Herrn E.,
-+welcher dasselbe+ (+der es+!) restauriert hat -- wer spricht so? Kein
-Mensch. Aber sowie der Deutsche die Feder in die Tinte taucht, fährt
-ihm der Registrator oder der Kanzlist in die Glieder. Im fünfzehnten
-und sechzehnten Jahrhundert sind Tausende der wichtigsten Urkunden
-angefangen worden: Wir tun kund mit diesem Brief allen +denen, die
-ihn+ sehen oder hören lesen. Heute in einem Ehrenbürgerbriefe zu
-schreiben: Wir ernennen Herrn X. +wegen+ der großen Verdienste, +die
-er sich+ um unsre Stadt erworben hat usw. -- das wäre ja im höchsten
-Grade würdelos, so spricht man wohl, aber so schreibt man doch nicht!
-Wir ernennen Herrn +in Anbetracht+ der großen Verdienste, +welche
-derselbe+ um unsre Stadt +sich+ erworben hat usw. -- so klingt es
-großartig, feierlich, erhaben! Kaiser Friedrich soll als Kronprinz
-1859 zu einer Deputation gesagt haben: Wenn Gott meinen Sohn am Leben
-erhält, so wird es unsre schönste Aufgabe sein, +denselben+ in den
-Gesinnungen und Gefühlen zu erziehen, +welche+ mich an das Vaterland
-ketten. Man kann darauf schwören, daß er nicht so gesagt hat, sondern:
-+ihn+ in den Gesinnungen und Gefühlen zu erziehen, +die+ mich an das
-Vaterland ketten. Aber der Zeitungschreiber hat das natürlich erst
-aus dem Menschlichen ins Papierne übersetzen müssen. In der Poesie
-ist +derselbe+ noch viel unmöglicher als +welcher+. Nur in dem alten
-Studentenliede ~Ça ça~ geschmauset! heißt es:
-
- Knaster den gelben
- Hat uns Apolda präpariert
- Und uns +denselben+
- Rekommandiert.
-
-
-Darin, daraus, daran, darauf usw.
-
-Es sind ja aber nicht bloß die Fürwörter +er+ und +dieser+ (oder
-+der+), die durch den unsinnigen Mißbrauch verdrängt und vermengt
-werden; er -- wollte sagen „derselbe“ frißt noch weiter, viel weiter.
-In der lebendigen Sprache haben wir die leichten, zierlichen Adverbia:
-+darin+, +daraus+, +daran+, +darauf+, +dabei+, +davor+, +dahinter+,
-+damit+, +darum+, +dafür+, +dazwischen+ usw.; jeder braucht sie
-hundertmal des Tags. Aber sowie einer die Feder ergreift -- wehe den
-armen! Dann heißt es: +in demselben+, +aus demselben+, +an demselben+,
-+auf demselben+, +mit demselben+, +bei demselben+, +zwischen denselben+
-usw. -- auch in dieser Gestalt storcht das langbeinige Ungetüm
-überall durch unsre Schriftsprache. Das Denkmal will alles Prunkvolle
-vermeiden, nur das allgemein Menschliche soll +in demselben+ (+darin+!)
-betont werden -- die Geistlichen hatten ihren eignen Predigtstuhl, und
-+in demselben+ (+darin+!) jeder seinen bestimmten Platz -- so sehr ich
-in diesem Punkte mit dem Verfasser einverstanden bin, so entschieden
-muß ich die Forderungen bekämpfen, die er +aus demselben+ (+daraus+!)
-ableitet -- sie betrachteten sich als die alleinigen Eigentümer des
-Landes und gestanden andern keinen Anteil +an demselben+ (+daran+!)
-zu -- obgleich durch den Regen der Abmarsch des Festzuges verspätet
-und die Beteiligung +an demselben+ (+daran+!) beeinträchtigt wurde --
-die Entstellungen sind wirkungslos, ein unbefangner Beurteiler wird
-sich an +dieselben+ (+daran+!) nicht kehren -- im Jahre 1560 wurde
-der Turm erhöht und eine Wohnung +auf demselben+ (+darauf+!) erbaut
--- die Wiesen waren wieder getrocknet, und bald entwickelte sich +auf
-denselben+ (+darauf+!) ein üppiger Graswuchs -- 1890 reichte die
-Zahl an den Durchschnitt hinan, 1900 blieb sie +hinter demselben+
-(+dahinter+!) zurück -- der Boden war überall von so wunderbarer
-Beschaffenheit, daß sich kaum die fruchtbarsten Gegenden Deutschlands
-+mit demselben+ (+damit+!) vergleichen ließen -- der Holzbau ist ein
-viel zu überwundner Standpunkt, als daß es der Mühe lohnte, sich in
-der Praxis +mit demselben+ (+damit+!) zu befassen -- die Erziehung
-des Knaben ruhte ausschließlich in den Händen der Mutter, da sich der
-Vater, der sich viel auf Reisen befand, nicht +um dieselbe+ (+darum+!)
-kümmern konnte -- hier bedarf es des Glaubens an die gute Sache und der
-Begeisterung +für dieselbe+ (+dafür+!) -- keinem kann dieses Studium
-erlassen werden, wohl aber bereitet sich +für dasselbe+ (+dafür+!)
-ein neuer Maßstab vor -- dieser Gedanke wurde am Mainzer Hofe lebhaft
-erwogen, der Kurfürst war ganz +von demselben+ (+davon+!) erfüllt --
-die Fürstin wünschte lebhaft, das Bild zu besitzen, aber Angelika
-konnte sich +von demselben+ (+davon+!) nicht trennen -- in der Mitte
-des Schrankes hängt ein mächtiges, reich verziertes Schwert, +neben
-demselben+ (+daneben+!) rechts und links zwei kleinere Schwerter --
-in diesem Graben fließt eine bedeutende Wassermenge, deshalb ist auch
-ein Steg +über denselben+ (+darüber+!) gelegt -- die Presse ist noch
-nicht einig, ob sie den Vorfall bedauern oder sich +über denselben+
-(+darüber+!) freuen soll -- das Partizip steht hier absolut, ein Komma
-+hinter demselben+ (+dahinter+!) würde nur irreführen usw. Anders wird
-gar nicht geschrieben.
-
-Nach einem weit verbreiteten Aberglauben sollen sich die Adverbia
-+darin+, +darauf+, +dafür+ usw. immer nur auf eine Handlung, ein
-Zeitwort, einen ganzen Satz, aber nie auf ein Hauptwort beziehen
-können. Es sei also zwar richtig, zu antworten: ich kann mich nicht
-+darauf+ besinnen -- wenn gefragt worden sei: besinnst du dich,
-+was du+ mir damals +versprochen hast+? aber nicht, wenn die Frage
-gelautet habe: besinnst du dich auf den +Ausdruck+, den du damals
-gebraucht hast? Die angeführten Beispiele zeigen, wie lächerlich dieser
-Aberglaube ist. Die lebendige Sprache setzt die Adverbia überall statt
-der Präposition in Verbindung mit einem persönlichen Fürwort. Nur
-auf Personen können sie sich nicht beziehen, da muß das persönliche
-Fürwort stehen. Es gibt zwar Fälle, wo das Adverb auch bei Sachen etwas
-ungewöhnlich klingt, z. B.: wer die hiesigen Universitätsverhältnisse
-und mein Verhalten +dazu+ nicht kennt; aber das liegt nur daran, daß
-uns das dumme +derselbe+ so oft vor die Augen gebracht wird, daß uns
-schließlich das Einfache und Natürliche befremdet. Und was hindert
-denn, auch hier das persönliche Fürwort zu gebrauchen? Warum sagt man
-nicht: die hiesigen Universitätsverhältnisse und mein Verhalten +zu
-ihnen+? Bei +ohne+ scheint sowieso nichts andres übrig zu bleiben,
-denn ein Adverb +darohne+ gibt es nicht, obwohl man es zu bilden
-versucht hat. Auch bei dem Neutrum es entsteht eine Schwierigkeit. Sie
-wollte sich durch das Geld Vorteile verschaffen, auf die sie +ohne
-dasselbe+ nicht rechnen konnte -- hier ist doch wohl +dasselbe+ ganz
-unentbehrlich? Soll man schreiben: +ohne es+? Jakob Grimm hätte es
-getan, er schrieb so, er wollte, daß es nicht anders behandelt würde
-als +ihn+ und +sie+, und einige sind ihm darin gefolgt. Es klingt aber
-doch seltsam, denn +es+ ist gewöhnlich tonlos, und hier müßte es betont
-werden. Gibt es denn aber wirklich keinen Ersatz für das fehlende
-+darohne+? Gewiß gibt es einen, und er heißt -- +sonst+! Sie wollte
-sich durch das Geld Vorteile verschaffen, auf die sie +sonst+ nicht
-rechnen konnte. Das ist gutes Deutsch.
-
-Bisweilen erscheinen in einem Satze zwei gleichklingende persönliche
-Fürwörter unmittelbar hintereinander, z. B. +sie+ als Femininum
-und als Plural: Handlungen dieser Art suchte die Gewerbeordnung zu
-unterdrücken, indem +sie sie+ verbot. Etwas schrecklicheres ist ja
-nun für die Augen des Papiermenschen nicht denkbar. Da muß es doch
-unbedingt heißen: indem +sie dieselben+ verbot? Nein, auch da nicht,
-denn man spricht nicht so, man spricht frischweg +sie sie+, und was
-gesprochen und gehört nicht mißfällt, ja nicht einmal auffällt, kann
-doch auch geschrieben oder gedruckt keinen Anstoß erregen! Wenn sich
-in einer Schulklasse die Mädchen gezankt haben, zwei einer dritten ein
-Buch weggenommen haben, der Lehrer Frieden stiftet und dann fragt:
-habt +ihr ihr ihr+ Buch wiedergegeben? so ist das doch noch viel
-„schlimmer“. Aber wird der Lehrer deshalb fragen: habt +ihr derselben
-ihr+ Buch wiedergegeben?
-
-Der abhängige Genitiv endlich (+desselben+ und +derselben+) kann
-überall durch +sein+ und +ihr+ ersetzt werden, denn daß diese Fürwörter
-nur im reflexiven Sinne gebraucht werden könnten, ist doch auch
-nur Aberglaube.[109] Als die Kaiserin das +Schloß+ besichtigt und
-die Schönheit +desselben+ bewundert hatte -- warum nicht: +seine+
-Schönheit? Die Sammlung ist so zeitgemäß, daß zur Rechtfertigung
-+derselben+ kein Wort zu verlieren ist -- warum nicht: zu +ihrer+
-Rechtfertigung? Freilich würden einige Geschäfte dann eingehen, da die
-ganze Bedeutung +derselben+ darin beruht usw. -- warum nicht: +ihre+
-ganze Bedeutung? Auch wer sich tief in die Eigentümlichkeiten der
-spanischen Dichtung versenkt hat und von der lebhaften Bewunderung für
-die Vorzüge +derselben+ durchdrungen ist -- warum nicht: für +ihre+
-Vorzüge? Wo eine Verwechslung, ein Mißverständnis entstehen könnte,
-da schreibe man +dessen+ und +deren+, z. B.: es muß dem Biographen
-nachgerühmt werden, daß er bei aller Liebe zu +seinem+ Helden doch
-nicht blind für +dessen+ Schwächen ist. Aber nur nicht +desselben+!
-In den allermeisten Fällen aber -- man achte nur darauf und versuche
-es! -- kann man den Genitiv einfach streichen, ohne daß der Gedanke
-im geringsten an Deutlichkeit verlöre. Nicht auf den Stoff kommt es
-an, sondern auf die Behandlung +desselben+ -- über die Aufgaben waren
-alle einig, nur schlugen sie zur Lösung +derselben+ verschiedne Wege
-ein -- die Erklärung des Parteitags fand so viel Beifall, daß sich die
-Führer +desselben+ ermutigt sahen -- Gregor klagte, daß sie die Kirche
-zerstört und das Material +derselben+ zum Bau ihrer Häuser verwendet
-hätten -- zu den Unregelmäßigkeiten in der äußern Anlage unsrer Dörfer
-kommt noch die Unregelmäßigkeit im innern Aufbau +derselben+ -- die
-steilere Partie des Berges gehört dem weißen, die mäßig geneigten
-Ausläufer +desselben+ dem braunen Jura an -- ich habe die Fachausdrücke
-des Deutschen und des Französischen miteinander verglichen und habe
-gefunden, daß die Mehrzahl +derselben+ übereinstimmt -- nachdem die
-Gäste das Gasthaus verlassen hatten und die Wirtin +desselben+ die Tür
-verschlossen hatte -- man streiche überall +desselben+ und +derselben+:
-ist irgendwo ein Mißverständnis möglich? Der Kaiser unternahm
-heute einen längern Spazierritt und erledigte nach der Rückkehr
-+von demselben+ Regierungsgeschäfte. Ja, wovon soll er denn sonst
-zurückgekehrt sein als von -- demselben?
-
-
-Derjenige, diejenige, dasjenige
-
-Noch in anderm Sinne als +derselbe+ ist das schöne Kanzleiwort
-+derjenige+ ein Papierpronomen: es ist eigens für die Papiersprache
-erfunden worden. +Derjenige+ ist im sechzehnten Jahrhundert aus einem
-vorhergegangnen +der jene+ entstanden, wie +derselbige+, das zum Glück
-wieder verschwunden ist, aus +der selbe+. Es hat keinen andern Zweck
-und keine andre Aufgabe, als das betonte, lange +der+ der lebendigen
-Sprache, das determinative Fürwort, das vor Relativsätzen und vor
-abhängigen Genitiven steht, auf dem Papier zu ersetzen. Den Ton und die
-Länge kann man ja weder schreiben noch drucken, wenigstens ist es nicht
-üblich, +dēr+ oder +dér+ zu schreiben[110]; also hilft man sich, so
-gut man kann. Der eine läßt das der sperren (wie auch +ein+, wenn es so
-viel heißen soll wie +ein einziger+), ein andrer greift zu +jener+, wie
-es in Österreich beliebt ist, in der Regel aber schreibt und druckt man
-+derjenige+. Wenn man spricht, sagt man zwar: als er endlich +den+ Weg
-einschlug, +der+ zum Ziele führen mußte; aber drucken läßt man: als er
-endlich +denjenigen Weg+ einschlug, +welcher+ zum Ziele führen mußte.
-
-Wenn aber nun +derjenige+ allein steht, ohne Hauptwort hinter sich,
-z. B.: selbst +diejenigen, welche die+ Schaffung eines allgemeinen
-Bürgerlichen Gesetzbuches nicht ganz ablehnten -- kein Scharfsinn
-hätte eine bessere Lösung finden können als +diejenige, welche
-die+ Verhältnisse zuletzt aufzwangen -- die größten Menschen sind
-+diejenigen, welche die+ Kultur einer eben dahinsinkenden Epoche
-noch einmal zusammenfassend verkörpern -- da ist es doch wohl ganz
-unentbehrlich? Nun, in der lebendigen Sprache sagt man getrost: selbst
-+die, die die+ Schaffung eines Gesetzbuches nicht ganz ablehnten --
-eine bessere Lösung als +die, die die+ Verhältnisse zuletzt aufzwangen.
-Aber das ist ja wieder das Schreckgespenst des Papiermenschen: nicht
-zwei-, nein dreimal hintereinander dasselbe Wort! -- Wirklich? dasselbe
-Wort? Dreimal hintereinander dieselben drei Buchstaben: d--i--e; aber
-wer seine Ohren aufmacht, der hört doch drei verschiedne Wörter:
-+dieh+, +die di+ -- drei Wörter von ganz verschiedner Länge, und hinter
-dem ersten eine Pause. Das ist ja wie Musik, es hüpft und springt ja
-förmlich. Nun höre man dagegen dieses Schleppen und Schleichen und
-Schlurfen: +diejenigen, welche die+![111]
-
-Nun vollends, daß in der lebendigen Sprache in tausend und aber
-tausend Fällen statt +derjenige, welcher+ einfach +wer+ gesagt wird
--- also drei Laute statt sechs Silben! --, das ist dem Papiermenschen
-völlig unbekannt. Er schreibt: +diejenigen, welche+ die Absicht haben,
-Adjuvanten zu werden, lassen sich als Anwärter einschreiben. Ja er wäre
-imstande, das Sprichwort: +wer+ Pech angreift, besudelt sich -- oder
-den Kinderspruch: +wer+ meine Gans gestohlen hat, der ist ein Dieb
--- oder den Goethischen Vers: nur +wer+ die Sehnsucht kennt, weiß,
-was ich leide -- zu verwandeln in: +derjenige, welcher+ Pech angreift
--- +derjenige, welcher+ meine Gans gestohlen hat -- nur +derjenige,
-welcher+ die Sehnsucht kennt usw.
-
-Leider liegt hier einmal der Fall vor, daß eine Erscheinung der
-Papiersprache sogar in die lebendige Sprache eingedrungen ist,
-was gewiß selten geschieht. Aktenmenschen und Gewohnheitsredner
-bringen es fertig, in Sitzungen und Verhandlungen in einer Stunde
-dreißigmal +derjenige, welcher zu+ sagen. Selbst in der Unterhaltung
-der „Gebildeten“ kann man es hören; sie haben es eben gar zu oft in
-ihrer Zeitung gelesen. Aber die lebendige Sprache des Volks kennt es
-nicht; wenn es der Mann aus dem Volke in den Mund nimmt, so tut er es
-höchstens, um sich darüber lustig zu machen, er spricht es gleichsam
-mit Gänsefüßchen. Also du bist +derjenige, welcher+? fragt er höhnisch
--- na warte, Bursche! Oder er sagt: fällt mir gar nicht ein; wenn
-ein Unglück passiert, dann bin ich +derjenige, welcher+ (nämlich:
-blechen muß), und zitiert damit gleichsam das Gesetzbuch oder die
-Polizeiverordnung, worin er die beiden Papierwörter auf jeder Seite
-gelesen hat.
-
-
-Jener, jene, jenes
-
-Der Österreicher gebraucht statt +derjenige+ vor Relativsätzen,
-namentlich aber vor einem abhängigen Genitiv +jener+; er schreibt:
-diese Vorlesungen haben nur einen bedingten Wert für +jenen+, der
-selber Einsicht genug hat, Dichterwerke ohne Beihilfe zu verstehen. Das
-halten manche deutsche Schriftsteller jetzt offenbar für eine besondre
-Schönheit und machen es nach. In gutem Schriftdeutsch wird aber +jener+
-nur in die Ferne weisend gebraucht, mit einem bald stärkern, bald
-schwächern rhetorischen Beigeschmack: wenn ich an +jene schöne Zeit+
-zurückdenke usw.
-
-Ganz unausstehlich für norddeutsche Ohren ist das österreichische
-+jener+ vor einem abhängigen Genitiv, z. B.: der Orden der Dominikaner
-und +jener+ der Franziskaner -- wir hoffen, daß sich die Ausstellung
-ebenso erfolgreich erweisen werde wie +jene+ von 1897 -- obgleich die
-Gesamtzahl ihrer Kräfte +jener+ des Feindes bedeutend nachstand -- ein
-~Ecce homo~ trägt das Monogramm Ludwig Krugs, eine Madonna +jenes+ des
-Marcantonio Raimondi -- so auffallend erschien dem Tacitus die Art des
-deutschen Anbaues gegenüber +jener+ der romanischen Völker -- größere
-Gebäude wie Kirchen und Seminare dürfen für die Gesellschaft Jesu
-nur mit Erlaubnis des Generals, kleinere mit +jener+ des Provinzials
-errichtet werden -- unter den Dienstkrankheiten der Bahnbeamten nehmen
-+jene+ der Verdauungsorgane den breitesten Raum ein -- man sucht die
-Farbe der Umhüllung meist +jener+ der Blumen anzupassen usw. In allen
-diesen Fällen würde die deutsche Amts- und Zeitungssprache +derjenige+
-gebrauchen. Die gute Schriftsprache aber kennt vor solchen Genitiven
-nur das determinative Fürwort +der+, +die+, +das+: die Leistungen der
-Fabriken stehen gegen +die+ des Handwerks zurück.
-
-
-Zur Kasuslehre. Ich versichere dir oder dich?
-
-Verhältnismäßig wenig Verstöße werden gegen die Regeln der Kasuslehre
-begangen; im allgemeinen herrscht eine erfreuliche Sicherheit darüber,
-welchen Kasus ein Zeitwort oder ein Eigenschaftswort zu sich zu nehmen
-hat. Bei einer kleinen Anzahl von Zeitwörtern schwankt aber doch der
-Sprachgebrauch: der eine verbindet sie mit dem Dativ, der andre mit dem
-Akkusativ. Es sind das namentlich die Zeitwörter +heißen+, +lassen+,
-+lehren+, +angehen+, +dünken+, +kosten+ und +nachahmen+.
-
-Mit der berüchtigten Berliner Verwechslung von +mir+ und +mich+ hat
-dieses Schwanken nichts zu tun, sondern es hängt meist damit zusammen,
-daß in den Begriff dieser Verba sinnverwandte Zeitwörter hineinspielen,
-die teils mit dem Dativ, teils mit dem Akkusativ verbunden werden. Aber
-nur in den seltensten Fällen hat das Schwanken eine Berechtigung. Bei
-+nachahmen+ handelt sichs eigentlich nicht um ein Schwanken, sondern um
-zwei verschiedne Bedeutungen des Wortes: es ist ein großer Unterschied,
-ob man sagt: ich ahme +dich+ nach, oder ich ahme +dir+ nach. Mit
-dem Akkusativ bedeutet es +nachmachen+ (+dich+), mit dem Dativ
-+nachstreben+ (+dir+). Wenn Schüler +dem+ Lehrer nachahmen, so kann das
-sehr lobenswert sein; wenn sie +den+ Lehrer nachahmen, so kann ihnen
-das unter Umständen eine Stunde Karzer eintragen.[112] Schwer ist es,
-bei +kosten+ eine Entscheidung zu treffen; +kosten+ ist ein Lehnwort,
-entstanden aus dem lateinischen ~constare~. Die Verbindung ~constat
-mihi~ ist aber gar nicht maßgebend, denn +kosten+ ist ursprünglich im
-Sinne von +aufwenden machen+ gebraucht worden. Der Akkusativ überwiegt
-denn auch in der guten Schriftsprache. Bei allen übrigen der genannten
-Verba hat der Dativ überhaupt keine Berechtigung. Sätze wie: laß +mir+
-das einmal sehen -- das geht +dir+ nichts an u. ähnl. gehören nur der
-niedrigsten Volkssprache an. +Heißen+ verträgt den Dativ der Person
-nur ausnahmsweise: wer hat +dir das+ geheißen? (wie: wer hat dir das
-+geboten+, +befohlen+, +aufgetragen+?). Im allgemeinen verlangt es,
-wie +lehren+, den Akkusativ der Person. Aber gerade für +lehren+ und
-+heißen+ verliert die ganze Frage mehr und mehr an Bedeutung, denn
-in der lebendigen Sprache werden diese Wörter überhaupt kaum noch
-in solcher Verbindung gebraucht. In Mitteldeutschland gebraucht das
-Volk +lehren+ mit einem Akkusativ der Person fast gar nicht mehr,
-sondern nur +lernen+; man sagt nicht bloß: wo hast du +das gelernt+?
-sondern auch: wer hat +dir das gelernt+? Und auch wo man wirklich
-noch +lehren+ sagt, setzt man doch den Dativ der Person dazu. Bei
-Uhland heißt es noch richtig und sauber: Wer hat +dich solche Streich’+
-gelehrt? Das Volk aber sagt: Ich werde +dir Mores+ lehren. Und in einem
-Bibelspruche wie: Herr, +lehre uns bedenken+, daß wir sterben müssen --
-wo +uns+ natürlich der Akkusativ ist --, wird es sicherlich jetzt von
-den meisten als Dativ gefühlt.
-
-Ganz lächerlich ist die Unsicherheit und der Streit darüber, ob es
-heißen müsse: ich +versichre dir+ oder: ich +versichre dich+, der Hut
-+kleidet dich+, oder: er +kleidet dir+, es +lohnt der Mühe+ oder:
-es +lohnt die Mühe+. +Versichern+ ist unzweifelhaft ein transitives
-Zeitwort; man versichert sein Leben, seinen Hausrat, seine Ernte. Man
-kann auch sagen: ich +versichre dich+ meiner Freundschaft (Goethe:
-ich fahre fort, +dich+ meiner Liebe zu +versichern+), wiewohl das
-schon etwas gesucht klingt. Aber zu sagen: ich +versichre dich, daß+
-ich nichts davon gewußt habe -- und das für richtig zu halten oder
-gar zu verteidigen, kann doch nur einem Sophisten einfallen oder
-einem Menschen, der wirklich -- +mir+ und +mich+ nicht unterscheiden
-kann. Daß es schon im achtzehnten Jahrhundert so vorkommt, hat gar
-nichts zu sagen; der Akkusativ ist eben vernünftigerweise mehr und
-mehr gewichen. Wenn auf +versichern+ ein Objektsatz folgt, so ist
-doch der Inhalt dieses Satzes das Objekt der Versicherung; diese
-Versicherung aber gebe ich nicht +dich+, sondern gebe sie +dir+.
-+Versichern+ tritt dann vollständig in eine Reihe mit +beteuern+,
-+erklären+, +sagen+, +melden+, +mitteilen+, +berichten+,[113] lauter
-Zeitwörtern, die mit dem Dativ der Person und einem Objekt der Sache
-verbunden werden. Im Passivum fällt es gar niemand ein zu sagen: +ich
-bin versichert worden, daß+, sondern jeder sagt: +mir ist versichert
-worden, daß+. Also kann auch im Aktivum das richtige nur sein: +ich
-versichre dir, daß+ ich nichts davon gewußt habe. Wenn neuerdings
-namentlich in Kreisen, die für vornehm gelten möchten, mit einer
-gewissen Absichtlichkeit wieder der Akkusativ gebraucht wird (ich
-versichre +Sie+), so ist das eine Modedummheit, durch die sich der
-gesunde Menschenverstand und ein natürliches Sprachgefühl nicht werden
-irremachen lassen.
-
-+Kleiden+ mit dem Dativ zu verbinden wäre keinem Menschen eingefallen,
-wenn nicht die sinnverwandten intransitiven Zeitwörter +passen+,
-+sitzen+ und +stehen+ dazu verführt hätten. Weil man sagt: der Hut
-+paßt dir+, +sitzt dir+, +steht dir+, so sagte man auch: er +kleidet
-dir+. Richtig ist natürlich nur: er +kleidet dich+.
-
-In der Redensart: es +lohnt der Mühe+ (oder: es lohnt nicht der Mühe)
-ist +der Mühe+ gar nicht der Dativ, sondern der Genitiv (statt: +für+
-die Mühe, +wegen+ der Mühe). Die Redensart hat etwa denselben Sinn wie:
-es ist +der Mühe wert+ (oder: es ist nicht der Mühe wert). Zu sagen: es
-+lohnt+ nicht +die Mühe+ -- ist also nichts als eine Ausweichung aus
-Unwissenheit.
-
-Ganz unsinnig wird jetzt die Redensart +sich Rats erholen+ gebraucht,
-z. B. dort kannst du +dir+ am besten +Rats erholen+! Das +sich+ in
-dieser Redensart ist ebenfalls nicht der Dativ, sondern der Akkusativ,
-+Rats+ ein frei angeschlossener Genitiv; es heißt: ich +erhole mich
-Rates+. Noch Benedix schreibt 1866 in den Zärtlichen Verwandten
-richtig: bei mir allein mußt du +dich Rats erholen+. Der Fehler wird
-auch nicht besser, wenn man statt +Rats+ sagt +Rat+: in Einzelheiten
-+erholte ich mir Rat+ bei besonders sachkundigen Personen, denn dann
-hat das +er+holen gar keinen Sinn mehr; es genügt dann, zu sagen: +hole
-dir+ bei mir +Rat+, so gut wie: hole dir bei mir Geld. Wenn man die
-Redensart nicht mehr versteht und nicht mehr richtig anzuwenden weiß,
-warum gebraucht man sie dann noch? (Vgl. auch +dünken+ S. 53.)
-
-Ein süddeutscher Provinzialismus ist es, +verdenken+ so wie +beneiden+
-zu verbinden: wer kann +ihn darum verdenken+? In gutem Deutsch wird
-es verbunden wie +verargen+, +verübeln+: ich kann +dir das+ nicht
-+verdenken+.
-
-
-Er hat mir oder er hat mich auf den Fuß getreten?
-
-Nicht ganz so lächerlich ist der Streit, ob es heißen müsse: er hat
-+mir+ oder er hat +mich+ auf den Fuß getreten. Jeder verbindet ohne
-Besinnen mit dem Akkusativ der Person: +in den Finger schneiden+, +ins
-Bein beißen+, +aufs Maul schlagen+, +auf die Stirn küssen+ (Luther: du
-wirst +ihn in die Ferse stechen+). Jeder verbindet eben so sicher mit
-dem Dativ der Person: +unter die Arme greifen+, +auf die Finger sehen+,
-+auf den Zahn fühlen+, +auf die Schleppe treten.+ Warum dort der
-Akkusativ und hier der Dativ? Was ist der Unterschied zwischen diesen
-beiden Gruppen von Redensarten? Worauf kommt es an?
-
-Zunächst ist klar, daß, wenn die Person im Akkusativ steht, zuerst
-die Person im ganzen als von einer Tätigkeit betroffen hingestellt
-wird, und dann noch nachträglich der einzelne betroffne Körperteil
-hinzugefügt wird. Steht die Person im Dativ, so wird der betroffne
-Körperteil in den Vordergrund gerückt und die Person mehr als
-beteiligt, in Mitleidenschaft gezogen, nicht als unmittelbar betroffen
-hingestellt. Das paßt nun zu den mitgeteilten Beispielen vortrefflich.
-Wird jemand nur auf ein Kleidungsstück getreten, so wird sein Körper
-gar nicht davon berührt; alle andern Redensarten der zweiten Gruppe
-aber sind bildliche Wendungen, bei denen ebenfalls kein wirkliches,
-leibliches Angreifen, Ansehen, Anfühlen gemeint ist. So wird es nun
-auch leicht verständlich, warum man wohl sagt: er hat +mich ins
-Gesicht geschlagen+, aber: das +schlägt der Wahrheit ins Gesicht+ --
-der Mörder hatte +ihn mitten ins Herz gestochen+, aber: deine Klagen
-+schneiden mir ins Herz+ -- der Schmied hat +das Pferd auf den Schenkel
-gebrannt+, aber: solange nicht +dem deutschen Michel+ die +Not auf die
-Nägel brennt+ -- du hast +mich+ mit deinem Stock ins +Auge gestochen+,
-aber: am Schaufenster +stach mir+ ein schöner Brillantschmuck +ins
-Auge+. Erschöpft wird die Sache mit dieser Unterscheidung zwar nicht,
-aber man kann sich, wenn man sie sich vor Augen hält, auch in andern
-Fällen leicht klarmachen, weshalb die Sprache hier den Dativ, dort
-den Akkusativ vorzieht oder vorziehen -- sollte, weshalb man also
-z. B. sagt: +seinem Freund auf die Schulter klopfen+ (obwohl das
-doch wirklich und nicht bildlich geschieht). Bisweilen bedeutet der
-Akkusativ der Person mehr das Absichtliche: weshalb +trittst du mich+
-denn +auf den Fuß+? der Dativ mehr das Unabsichtliche: +mir+ hat vorhin
-einer +auf den Fuß getreten+, das tut mir jetzt noch weh.
-
-
-Zur Steuerung des Notstandes
-
-Ein persönliches Passivum kann natürlich nur von solchen Zeitwörtern
-gebildet werden, die ein direktes Objekt (im Akkusativ) zu sich
-nehmen: ich +bestreite die Nachricht+ -- +die Nachricht wird+ von
-mir +bestritten+. Von Zeitwörtern, die ein indirektes Objekt (im
-Dativ) haben, läßt sich nur ein unpersönliches Passivum bilden:
-ich +widerspreche der Behauptung+ -- +der Behauptung+ (nicht: +die
-Behauptung+!) wird +von mir widersprochen+. Daher ist es falsch, so,
-wie es unsre Zeitungen jetzt täglich tun, von +unwidersprochnen+
-Nachrichten zu reden, oder zu sagen wie unsre Reichstagsabgeordneten:
-dieser Artikel darf nicht +unwidersprochen+ bleiben, diese Äußerung
-möchte ich nicht +unwidersprochen+ ins Land gehen lassen. +Unwiderlegt+
--- das wäre richtig, und aufs Widerlegen kommts doch wohl auch viel
-mehr an als aufs Widersprechen. Ebenso falsch sind +bedankt+ und
-+unbedankt+ (nun sei +bedankt+, mein lieber Schwan! -- der Vorstand
-kann Sie an diesem Tage nicht +unbedankt+ hinweggehen lassen); denn
-es heißt nicht: +ich danke dich+, sondern ich +danke dir+, oder: ich
-+bedanke mich bei dir+.[114]
-
-Ebenso kann natürlich ein Objektsgenitiv nur an solche
-Verbalsubstantiva gehängt werden, die aus Zeitwörtern mit direktem
-Objekt gebildet sind. Falsch und liederlich ist es, zu schreiben:
-die +Kündigung der Arbeiter+ (wenn nicht gemeint ist, daß die
-Arbeiter kündigen, sondern daß +den Arbeitern gekündigt wird+), ebenso
-falsch: zur +Steuerung+ oder zur +Abhilfe des Notstandes+ -- sie war
-zur +Hilfeleistung ihrer+ Mutter anwesend -- denn +gesteuert+ oder
-+abgeholfen+ wird +dem+ Notstande, nicht +der+ Notstand.
-
-
-Voller Menschen
-
-Das Adjektivum +voll+ verbindet wohl jeder richtig mit dem Genitiv
-oder, je nachdem, mit der Präposition +von+, z. B.: die Straßen waren
-+voll geputzter Menschen+ -- er war +deines Lobes voll+ -- das ganze
-Haus war +voll von Altertümern+ und +Merkwürdigkeiten+. Daneben ist
-noch üblich, das Substantiv gänzlich unflektiert zu +voll+ zu setzen:
-+voll Blut, voll Rauch, voll Zorn, voll Haß, voll Verlangen+ usw. Das
-ist eigentlich ein Fehler, aber einer, der nicht mehr gefühlt wird.
-Wenn man +voll Liebe+ sagte, so meinte man natürlich ursprünglich
-auch den Genitiv. Da dieser aber beim Femininum nicht erkennbar war,
-verdunkelte sich allmählich das Gefühl dafür, und so ging er auch bei
-männlichen und sächlichen Substantiven verloren. Auf dieselbe Weise
-sind ja auch Verbindungen entstanden wie: +ein Stück Brot, ein Glas
-Wein+.
-
-Nun aber +voller+ -- wie stehts damit? Im Volksmund ist es ganz gang
-und gäbe, auch unsre besten Schriftsteller haben es oft geschrieben,
-aber heute getraut man sichs doch nicht mehr so recht, weil man so
-gelehrt geworden ist, daß man immer grübelt, ob man wohl so sagen dürfe
-oder nicht, aber nicht gelehrt genug, die Zweifel wieder zu bannen.
-Die Kirche war +voller Menschen+ -- der Kerl ist +voller Neid+ -- der
-Garten ist +voller Unkraut+ -- der Himmel hängt ihm +voller Geigen+ --
-der Junge steckt +voller Schnurren+ -- darf man so schreiben? Ei, gewiß
-darf mans; jedermann, Hoch und Niedrig, spricht so, warum soll mans
-nicht schreiben dürfen?
-
-+Voller+ ist der erstarrte männliche Singular, der im Prädikat auf
-alle drei Geschlechter und auch auf den Plural übergegriffen hat
-(ganz ebenso wie +selber+ und ebenso wie +selbst+, das nichts andres
-als das erstarrte Neutrum +selbs+ ist). Schon Luther scheint über
-diese merkwürdige Spracherscheinung nachgedacht zu haben, aber zu der
-Annahme gekommen zu sein, daß +voller+ aus +voll der+ entstanden sei;
-er gebraucht es gern, aber immer nur -- vor dem Femininum und vor dem
-Plural. Auf keinen Fall hat die Bildung etwas niedriges an sich, im
-Gegenteil etwas trauliches, anheimelndes, und der guten Schriftsprache
-ist sie durchaus nicht unwürdig.[115]
-
-
-Zahlwörter. Erste Künstler
-
-In dem Wesen und der Bedeutung des Superlativs liegt es begründet, daß
-er eigentlich nur den bestimmten Artikel haben kann: unter hundert
-Männern von verschiedner Größe ist einer +der+ größte. Sind drei von
-dieser Größe darunter, so sind diese drei +die+ größten. Dann ist aber
-einer von diesen dreien nicht +ein größter+ -- das ist undeutsch!
---, sondern +einer der größten+. Darum ist es eine Abgeschmacktheit,
-zu schreiben: Lessings Andenken wird gepflegt wie +eine seltenste+
-Blume im Treibhause -- ein 45jähriger, der +einer reifsten+ Zukunft
-entgegenschreitet. Nur in der Mehrzahl kann man allenfalls, wie der
-Kaufmann, von +billigsten Preisen+ oder, wie der Philosoph, von
-+kleinsten Teilen+ reden.
-
-Ebenso abgeschmackt ist es, zu sagen: dieses Denkmal wird stets +einen
-ersten+ Rang behaupten -- die Politik spielte in seinem ganzen Leben
-+eine erste Rolle+ -- und von +ersten Künstlern+, +ersten Opernsängern+
-zu reden oder von +ersten Firmen+, +ersten Häusern+, wie es jetzt in
-den Anpreisungen der Geschäftsleute täglich geschieht. Gemeint ist
-weiter nichts als +bedeutend+, +hervorragend+, +ausgezeichnet+ --
-warum sagt man das nicht?[116] So ist es auch unlogisch, zu sagen:
-+ein letzter+ Wunsch des Verstorbnen, +eine Hauptursache+ des Erfolgs;
-sorgfältig ausgedrückt muß es heißen: +einer der letzten+ Wünsche,
-+eine der Hauptursachen+ des Erfolgs, denn auch die +Hauptursache+
-ist ein superlativischer Begriff von derselben Bedeutung wie: die
-+höchste+, die +wichtigste+ Ursache.
-
-Statt vom +fünfzigsten+ oder +sechzigsten+ Geburtstag redet man
-jetzt öfter vom +fünfzigjährigen+: das Buch ist als Festschrift zum
-+fünfzigjährigen Geburtstage+ Max Klingers erschienen. Das ist völliger
-Unsinn. Von einem +fünfzigjährigen+ oder +hundertjährigen Jubiläum+
-kann man reden, denn da feiert man den ganzen Zeitraum, mit dem
-Geburtstag aber nur den einzelnen Tag.
-
-Recht unfein klingt es, wie es in militärischen Kreisen üblich ist,
-hinter Personennamen die Kardinalzahl zu gebrauchen und von +Fischer
-eins+, +Meyer sieben+ zu reden. Vielleicht -- soll es unfein klingen.
-Oder wollen wir in Zukunft auch von +Otto drei+ und +Heinrich acht+
-reden? Wie mag +Wilhelm zwei+ darüber denken?
-
-
-Die Präpositionen
-
-Eine grauenvolle Liederlichkeit hat in der niedrigen Geschäftssprache
-in der Behandlung der Präpositionen um sich gegriffen. Vor allem
-erscheint immer häufiger der Akkusativ hinter Präpositionen, die den
-Dativ verlangen. Schweinsknochen +mit Klöße+, Spinat +mit Eier+,
-Kotelette +mit Steinpilze+, Sülze +aus Kalbskopf+ und +Füße+ -- anders
-wird auf Leipziger Speisekarten kaum noch geschrieben. Das ist freilich
-Kellnerdeutsch, aber wen trifft die Schande für solche Sprachsudelei?
-Und ist es nicht eine Beleidigung der Gäste, wenn ihnen Wirte solches
-Schanddeutsch vorsetzen? Aber auch an Schaufenstern kann man lesen:
-Sohlen +mit Absätze+ -- Neuvergoldung +von Spiegel+ -- Verkauf
-+von Zauberapparate+ -- Stühle werden +mit Roßhaare+ gepolstert --
-Regentropfen +auf Hüte+ werden sofort beseitigt -- großes Lager +in
-Regenmäntel+ -- Ausstellung +in Damenstiefel+; Zeitungen schreiben:
-er wurde +zu zwei Monate+ Gefängnis verurteilt -- und sogar Behörden
-machen bekannt: die Lieferung +von+ hundert Stück +gebrauchte+
-Schwellen -- das Abladen +von+ dreißig Kubikmeter +Bruchsteine+ -- das
-Befahren dieses Weges +mit Lastfuhrwerke+ usw.[117]
-
-In andern Fällen drängt sich auf ganz lächerliche Weise der Genitiv
-an die Stelle des Dativs. In Leipzig kann man von Halbgebildeten
-hören: +unter meines Beiseins+ -- +nach meines Erachtens+; aber auch
-Gebildete schreiben: +dank dieses Umstands+ -- +dank des+ mir von allen
-Seiten entgegengebrachten ehrenvollen +Vertrauens+ -- +dank dieser
-Eindrücke+ meiner Jugendzeit -- +dank seines+ ins einzelste gehenden
-+Verständnisses+ -- +dank des+ reichen und neuartigen +Programms+ --
-+dank der Geschenke+ der Offiziere und +andrer+ Zuwendungen. Wie in
-aller Welt ist eine solche Verirrung möglich? Man könnte glauben, den
-Leuten schwebe bei ihrem +dank+ mit dem Genitiv etwas ähnliches vor
-wie: +kraft meines Amts+, +laut deines Briefs+, +statt eines Auftrags+;
-+kraft+, +laut+ und +statt+ werden mit Recht mit dem Genitiv verbunden,
-denn ursprünglich hieß es: +in Kraft+ (oder: +durch Kraft+), +nach
-Laut+, +an Statt+. Aber +dank+ ist doch einfach +Dank+, es hat nie eine
-Präposition vor sich gehabt, es verlangt also auch unbedingt den Dativ:
-+dank deinem Fleiße+, +dank deinen Bemühungen+ ist es gelungen usw.
-Die wunderlichen Beispiele: +unter meines Beiseins+ und +nach meines
-Erachtens+ zeigen, wie der falsche Genitiv zustande kommt: er entsteht
-durch Verwechslung des Dativs mit dem Genitiv im Femininum. +Nach
-meiner Meinung+, +unter meiner Mitwirkung+, +dank deiner Bemühung+
--- das klingt den Leuten wie ein Genitiv, und so sagen sie nun auch
-fröhlich: +dank dieses Umstands+. Man kann hier einmal die Entstehung
-einer Sprachdummheit an ihrer Quelle beobachten. Genau so ist es mit
-+trotz+ gegangen: da sind wir jetzt glücklich so weit, daß der richtige
-Dativ für einen Fehler und der falsche Genitiv für das Richtige erklärt
-wird. Vielleicht kommt es auch noch mit +dank+ dahin, und wenn wir uns
-rechte Mühe geben, auch mit +nach+, +unter+ und -- +gemäß+; denn schon
-schreibt man auch: die Arbeiter sind +gemäß ihres+ Beschlusses heute
-früh wieder in der Fabrik erschienen.
-
-Die Redensart +sich an etwas halten+ -- verlangt sie nach +an+ den
-Dativ oder den Akkusativ? In äußerlicher, sinnlicher Bedeutung
-unzweifelhaft den Dativ: man +hält sich an einer Stange, an einem
-Seile+ (an). In übertragner Bedeutung hat man früher geschwankt
-(Goethe: wer klug ist, wird sich +am Zugänglichen+ halten). Heute ist
--- unter dem Einflusse sinnverwandter Wendungen wie: +sich wenden an,
-sich stützen auf+, +sich verlassen auf+ -- nur noch der Akkusativ
-üblich: wenn er mich nicht bezahlt, so halte ich mich +an dich+ -- ich
-halte mich lieber +ans Gewisse+ als +ans Ungewisse+.
-
-Die allerneuesten Präpositionen sind +ungerechnet+ und +unerwartet+.
-Sie werden beide mit dem Genitiv verbunden: +unerwartet des Beitritts+
-andrer Eisenbahnverwaltungen -- es hatten vierhundert Händler feil,
-+ungerechnet derer+, die in den Höfen standen. Beide sind natürlich
-dem eben so schönen +ungeachtet+ nachgebildet, das schon älter
-ist: +ungeachtet seines Widerspruchs+. Auch hier sieht man eine
-Sprachdummheit an der Quelle. Ursprünglich hieß es: +ungeachtet seinen
-Widerspruch+; das war aber ein absolutes Partizip im Akkusativ.
-
-
-Nördlich, südlich, rechts, links, unweit
-
-Alle Präpositionen sind ursprünglich einmal Adverbia gewesen.
-Auch die häßlichen, langatmigen Modepräpositionen unsrer Amts-
-und Zeitungssprache: +anläßlich+, +gelegentlich+, +inhaltlich+,
-+antwortlich+, was sind sie zunächst anders als Adverbia? Neuerdings
-soll nun aber noch eine Anzahl weiterer Adverbia mit aller Gewalt zu
-Präpositionen gepreßt werden, nämlich: +rechts+, +links+, +nördlich+,
-+südlich+, +östlich+, +westlich+ und +seitlich+ (das letzte ein recht
-überflüssiges Wort). Niemand wird bestreiten, daß auch diese Wörter
-Adverbia sind. Um anzugeben, im Vergleich womit etwas rechts oder
-links, nördlich oder südlich sei, haben wir denn auch bis vor kurzem
-immer die Präposition +von+ zu Hilfe genommen und gesagt: +rechts von+
-der Straße, +nördlich von+ den Alpen. Da haben nun offenbar manche
-Leute geglaubt, +von+ sei hier, wie so oft, eine bloße Umschreibung
-des Genitivs, und da sei es doch gescheiter, lieber gleich den Genitiv
-zu setzen. Und so hat sich denn immer mehr der Fehler verbreitet, zu
-schreiben: +rechts+ und +links der Szene+, +nördlich des Viktoriasees+,
-+südlich der Kirche+, +seitlich des Altars+, ja neuerdings sogar
-+abseits aller Parteien+ und +ringsum des Marktes+. Namentlich
-Architekten, Techniker oder Geographen schreiben gar nicht mehr anders,
-aber auch der gebildete Philister am Biertisch sagt schon: Meißen liegt
-doch +links der Elbe+. Ein Fehler ist es aber doch, wenigstens solange
-es noch Menschen gibt, die so altväterisch sind, zu glauben, +rechts+
-und +links+, +nördlich+ und +südlich+ seien Adverbia, und solange --
-die Schule ihre Schuldigkeit tut.
-
-Ebenso verhält sichs mit den verneinten Adverbien +unfern+ und
-+unweit+. Auch sie können von Rechts wegen nur als Adverbia gebraucht
-werden: +unweit von+ dem Dorfe; aber auch sie hat man zu Präpositionen
-zu pressen gesucht, und weiß nun nicht, ob man sie mit dem Genitiv
-oder, wie das gleichbedeutende +nahe+, mit dem Dativ verbinden soll;
-die einen schreiben: +unfern des Bodensees+, +unweit des Flusses+,
-andre: +unfern dem Schlosse+, +unweit dem Tore+. Und das hat wieder
-zur Folge gehabt, daß man sogar bei +nahe+ irre geworden ist und zu
-schreiben anfängt: +nahe Leipzigs+! Auch +nahe+ ist keine Präposition,
-sondern ein Adverbium (+nahe bei+, +nahe an+), und als Adjektiv kann es
-unzweifelhaft nur den Dativ haben; +unfern+ aber und +unweit+ könnte
-man sich doch ganz ersparen; sie sind gesucht (wie +unschwer+; vgl. S.
-273) und der lebendigen Sprache fremd.
-
-
-Im oder in dem? zum oder zu dem?
-
-Große Unsicherheit herrscht darüber, in welchen Fällen der bestimmte
-Artikel mit der Präposition verschmolzen werden darf, und in welchen
-Fällen nicht, wann es also heißen darf: +im+, +vom+, +zur+, +aufs+,
-+ins+ (oder, wenn jemand ohne Apostroph nicht leben kann, +auf’s+,
-+in’s+, vielleicht auch +i’m+, +zu’r+?), und wann: +in dem+, +von
-dem+, +auf das+ usw. Dennoch ist die Sache sehr einfach und eigentlich
-selbstverständlich.
-
-Der bestimmte Artikel +der+, +die+, +das+ hat ursprünglich
-demonstrativen oder determinativen Sinn, er bedeutet dasselbe
-wie +dieser+, +diese+, +dieses+, oder wie das schöne Kanzleiwort
-+derjenige+, +diejenige+, +dasjenige+. In dieser Bedeutung wird er
-ja auch noch täglich gebraucht, er wird dann gedehnt gesprochen und
-betont: +deer+, +deem+, +deen+ (man nehme nur seine Ohren zu Hilfe,
-nicht immer bloß die Augen!), während er als bloßer Artikel unbetont
-bleibt und kurz gesprochen wird. Nun ist es doch klar, daß die
-Verschmelzung mit der Präposition nur da eintreten kann, wo wirklich
-der bloße Artikel vorliegt. Verschlungen oder verschluckt werden kann
-immer nur ein Wort, das keinen Ton hat. Es ist also richtig, zu sagen:
-du wirst schon noch +zur Einsicht+ kommen, wenn gemeint ist: zur
-Einsicht überhaupt, zur Einsicht schlechthin, oder: ich habe +im guten
-Glauben+ gehandelt. Sowie aber durch einen nachfolgenden Nebensatz eine
-bestimmte Einsicht, ein bestimmter guter Glaube bezeichnet wird, so ist
-eben so klar, daß dann der Artikel einen Rest seiner ursprünglichen
-demonstrativen oder determinativen Kraft bewahrt hat, und dann kann von
-einer Verschlingung mit der Präposition keine Rede sein. Es kann also
-nur heißen: als er nach Jahren +zu der Einsicht+ kam, +daß+ er nicht
-zum Künstler geboren sei -- ich habe +in dem guten Glauben+ gehandelt,
-+daß+ ich in meinem Rechte wäre. Dennoch muß man fort und fort so
-fehlerhafte Sätze lesen wie: die Bauern kamen +zum Bewußtsein, daß+
-sie auf weitere Schenkung von Grund und Boden nicht rechnen dürften
--- im +Bewußtsein, daß+ es der Reichshauptstadt an einem Mittelpunkte
-künstlerischer Bestrebungen +fehle+ -- er kam +zur Überzeugung, daß+
-alles Suchen vergeblich sei -- die Vergleichung seiner Landsleute mit
-den Deutschen von ehemals führte Melanchthon +zur Erklärung, daß+ die
-Deutschen leider ihren Vorfahren unähnlich geworden seien -- folgende
-Erwägung führt +zur Vermutung, daß+ die Ohnmacht Gretchens einem
-geschichtlichen Fall nachgebildet sei -- vielleicht wird die praktische
-Beschäftigung +zur Erkenntnis+ gelangen, daß die Rückkehr zum
-historischen Ausgangspunkte geboten sei -- er sah sich +zum Geständnis+
-genötigt, +daß+ er sich getäuscht habe -- das Komitee empfahl seinen
-Kandidaten im festen +Vertrauen, daß+ ein paar Schlagwörter genügen
-würden. In allen diesen Sätzen ist die Verschmelzung der Präposition
-mit dem Artikel ein grober Fehler. Es ist unbegreiflich, wie jemand
-dafür das Gefühl verlieren kann.
-
-Die nähere Bestimmung kann aber auch durch einen Infinitiv mit +zu+,
-durch einen Relativsatz, durch ein Attribut ausgedrückt werden --
-auch dann darf der Artikel nicht verschlungen werden. Also auch
-folgende Sätze sind falsch: er stand +im Rufe+, es mit der klerikalen
-Partei +zu halten+ -- er starb +im Bewußtsein+, die teuersten Güter
-des Vaterlandes verteidigt +zu haben+ -- unter Eigentum verstehen
-wir die volle Herrschaft über eine Sache bis +zur Befugnis+, sie
-+zu vernichten+ -- er hielt +am Gedanken+ fest, +sich+ sobald als
-möglich von dieser Last +zu befreien+ -- er stand +im Verdacht+,
-einem verbotnen Verein +anzugehören+ -- er wurde +vom Verdacht+, ein
-preußischer Spion +zu sein+, freigesprochen -- er war +vom reinsten
-Willen+ erfüllt, Versöhnung mit Gott +zu finden+ -- +im Augenblick,
-wo+ er mich sah -- Goethe schlug den Hans Sachsischen Ton auch +zur
-Zeit+ an, +wo+ er sich sonst meist der neueren Formen bediente -- er
-ist nicht sparsam +im Lobe, das+ den polnischen Pferden gebührt --
-+im Deutschen, das+ heute geschrieben wird (+in dem Deutsch, das+!)
--- sie tranken fleißig +vom Weine, der+ auf der reichbesetzten Tafel
-stand -- diese Arie gehört +zum Besten, was+ Verdi geschrieben hat
--- Vischer hat es nie +zur Volkstümlichkeit Scheffels+ gebracht --
-ein unbewachter Augenblick stürzte +ihn vom Thron seiner Tugendgröße+
--- +im Alter von+ 60 Jahren -- +zum+ ermäßigten +Preise von+ 15 Mark
--- +vom Streit um+ Kleinigkeiten -- +im Bande über+ Leibniz -- +im
-Essay über+ Auerbach -- +im Hause+ Berliner Straße Nr. 70 usw. +Im
-Augenblicke+ und +zurzeit+ können nur allein stehen, beides bedeutet
-dann soviel wie +jetzt+; ebenso auch: +im Alter+, +im Hause+. Auch +im
-Essay+ kann nur allein stehen, der Essay wäre dann als Gattung etwa
-dem Roman gegenübergestellt: dergleichen kann man sich wohl +im Roman+
-erlauben, aber nicht +im Essay+; von einem bestimmten Essay aber kann
-es nur heißen: +in dem Essay+ über Auerbach. Ja es gibt sogar Fälle,
-wo gar kein Zusatz hinter dem Hauptwort zu stehen braucht und doch die
-Verschmelzung des Artikels mit der Präposition ein Fehler wäre: wenn
-nämlich nach dem ganzen Zusammenhange nicht das Ding an sich, sondern
-ein bestimmtes Ding gemeint ist. So ist z. B. falsch: die Beziehungen,
-in denen Otto Ludwig +zur Stadt+ und ihren Bewohnern stand -- wenn
-Leipzig unter der Stadt gemeint ist; es muß heißen: +zu der Stadt+ und
-ihren Bewohnern. +Zur Stadt+ könnte nur im Gegensatz zum Lande gesagt
-sein.[118]
-
-Eine Unsitte ist es daher auch, zu schreiben, wie es immer mehr Mode
-wird: +im selben+ Augenblick -- die +vom selben+ Verlag ausgegebnen
-Kupferstiche -- die Erfüllung dieser Aufgaben kann +beim selben+
-Objekt verschieden erreicht werden. Wer sorgfältig schreiben will, kann
-nur schreiben: +in demselben+ Augenblick, +von demselben+ Verlag, +bei
-demselben+ Objekt.
-
-Wo wirklich der bloße Artikel vorliegt, da sollte aber auch nun überall
-die Verschmelzung vorgenommen werden; nicht bloß in der lebendigen
-Sprache -- da fehlts ja nicht daran --, sondern auch auf dem Papier.
-Welche Ziererei, zu schreiben: Alle diese schönen Pläne sind +in das+
-Wasser gefallen! Kein Mensch sagt: +an das Land+ steigen, der Kampf
-+um das Dasein+, eine Anstalt +in das Leben+ rufen, einen Vorgang
-+an das Licht+ ziehen, einen +hinter das Licht+ führen, eine Sache
-+über das Knie+ brechen, +in das Auge+ fallen, einem +in das Gesicht+
-sehen, etwas +in das Werk+ setzen, eine Sache +in das Reine+ bringen,
-sich +auf das hohe Pferd+ setzen, sich +auf das beste+, +auf das
-bequemste+ einrichten, sondern: +ans Land+, +ums Dasein+, +ins Leben+,
-+ans Licht+, +aufs beste+, +aufs bequemste+ (wie: +aufs neue+). Also
-schreibe und drucke man auch so. Dagegen ist wieder falsch: sich +aufs
-hohe Pferd des Sittenrichters+ setzen -- denn hier ist ein bestimmtes
-hohes Pferd gemeint. Ebenso ist zu unterscheiden: +im öffentlichen
-Leben+ eine Rolle spielen und: +in dem öffentlichen Leben Deutschlands+
-eine Rolle spielen.
-
-Wenn von einer Präposition mehrere Substantiva abhängen und beim
-ersten die Präposition mit dem Artikel verschmolzen worden ist, so
-ist es sehr anstößig, bei den folgenden Substantiven den Artikel
-aus der Verschmelzung wieder herauszureißen und mit Weglassung der
-Präposition zu schreiben: in gewisser Entfernung +vom+ Brandplatz
-oder +dem+ Platze des sonstigen Unglücksfalles -- von Platos realen
-Begriffen bis +zur+ Goldmacherkunst und +der+ Telepathie -- Geschichte
-+vom+ braven Kasperl und +dem+ schönen Annerl (Brentano). Die
-Verschmelzung +vom+ wirkt im Sprachgefühl fort auf das folgende Wort:
-man hört also unwillkürlich: +vom dem+ Platze. In solchen Fällen ist
-es unbedingt nötig, entweder auch die Präposition zu wiederholen,
-also: in gewisser Entfernung +vom+ Brandplatz oder +vom+ Platze
-des sonstigen Unglücksfalles, oder von vornherein die Verschmelzung
-zu unterlassen und zu schreiben: +von dem+ Brandplatze oder +dem+
-Platze des sonstigen Unglücksfalles. Ebenso verhält sichs bei der
-Apposition. Es ist eine Nachlässigkeit, zu schreiben: +im+ Süden, +dem+
-taurischen Gouvernement -- +am+ 12. Januar 1888, +dem+ dreihundertsten
-Geburtstage Riberas; auch bei der Apposition muß es wieder +im+ und
-+am+ heißen. Doppelt anstößig wird der Fehler, wenn die Substantiva
-im Geschlecht oder in der Zahl verschieden sind, z. B. +im+ Berliner
-Tageblatt und +der+ geistesverwandten Presse -- das +am+ Ananias und
-+der+ Saphira vollzogne Strafwunder -- die +vom+ Anarchismus und +der+
-Sozialdemokratie drohenden Gefahren -- von der Universität herab bis
-+zur+ Volksschule und +dem+ Kindergarten -- das hängt +vom+ guten
-Willen und +der+ Zahlungsfähigkeit der Untertanen ab -- Eingang +zum+
-Garten und +der+ Kegelbahn. Auch hier muß überall die Präposition
-wiederholt werden. Der Gipfel der Nachlässigkeit ist es, die
-Wiederholung der Präposition dann zu unterlassen, wenn der bestimmte
-Artikel mit der artikellosen Form wechselt: z. B. +zur+ Annahme von
-Bestellungen und direkt+er+ Erledigung derselben; es muß heißen: +zur+
-Annahme und +zu+ direkt+er+ Erledigung.
-
-
-Aus: „Die Grenzboten“
-
-Zu den größten irdischen Freuden des Papiermenschen gehören die
-sogenannten Gänsefüßchen. Der Schulmeister, der auf Verständnis
-rechnen kann, wenn er dem Achtjährigen zum erstenmal in die Feder
-diktiert: der Vater fragte -- Doppelpunkt -- Gänsefüßchen unten --
-wo bist du gewesen, Max -- Fragezeichen -- Gänsefüßchen oben --, hat
-das stolze Gefühl, daß er seinen Zögling zu einer der wichtigsten
-Entwicklungsstufen seiner Geistesbildung emporgeführt habe. Aber
-nicht bloß Schulmeister und Schulknaben, auch andre Leute, z. B.
-Romanschriftsteller, haben an diesen Strichelchen eine kindische
-Freude; es gibt Romane, in denen man vor lauter Gänsefüßchen fast
-nichts vom Dialog sieht. Ein Hochgenuß beim Lesen ist es, wenn Er
-immer mit zweien („--“), Sie immer mit vieren („„--““) erscheint; dann
-flimmert es einem förmlich vor den Augen.
-
-Die Gänsefüßchen sind, wie der Apostroph (vgl. S. 8), eine jener
-nichtsnutzigen Spielereien, die -- es steht nicht fest, ob durch den
-Schulmeister oder durch den Druckereikorrektor -- eigens für die
-Papiersprache erfunden worden sind. Wenn jemand einen Roman vorliest,
-so kann er doch die Gänsefüßchen nicht mitlesen, und doch versteht ihn
-der Zuhörer. Wozu schreibt und druckt man sie also? Einen Zweck haben
-sie nur da, wo man Wörter oder Redensarten ironisch gebraucht (um sie
-lächerlich zu machen), oder wo man mitten in seine eigne Darstellung
-eine Stelle aus der Darstellung eines andern einflicht.[119] Aber auch
-da sind sie überflüssig, wenn diese Stelle in fremder Sprache oder in
-Versen ist, sich also schon durch die Schriftgattung (Antiqua, Kursiv,
-Petit) von dem übrigen Text genügend abhebt. Ebenso überflüssig aber
-und nichts als eine Spielerei sind sie bei Namen und bei Überschriften
-und Titeln von Büchern, Schauspielen, Opern, Gedichten usw. Wenn man
-sagt: der Kaiser hatte eine Reise +auf der Hohenzollern+ gemacht -- so
-versteht das doch jedermann, und ebenso wenn man sagt: der Vers ist
-+aus Goethes Iphigenie+. Manche Lehrer behaupten zwar, die Iphigenie
-ohne Gänsefüßchen sei die Person des Schauspiels, die Iphigenie mit
-Gänsefüßchen sei das Schauspiel selbst; kann man aber in der lebendigen
-Sprache diese Unterscheidung machen?
-
-Das ärgste aber ist es und eine der abgeschmacktesten Erscheinungen
-der Papiersprache, wenn Titel und Überschriften wie Versteinerungen
-behandelt werden, und geschrieben wird: die Redaktion +des+ „Wiener
-Fremden+blatt+“, +des+ „Berliner Tage+blatt+“ und ebenso nach
-Präpositionen: Vorspiel +zu+ „+Die+ Meistersinger“ -- Ouverture +zu+:
-„+Die+ Fledermaus“ -- einzelne Bilder +aus+ „+Der+ neue Pausias“
--- Bemerkungen zu Goethes „+Der+ getreue Eckardt“ -- erweiterter
-Separatabdruck +aus+ „+Der+ praktische Schulmann“ -- diese Aufsätze
-haben zuerst +in+ „+Die+ Grenzboten“ gestanden usw. Jedermann sagt: ich
-bin gestern abend +in der+ Fledermaus gewesen, der Vers ist +aus dem+
-Neuen Pausias, ich habe das +im+ Praktischen Schulmann gelesen, die
-Aufsätze haben +in den+ Grenzboten gestanden. Versteht man das nicht?
-Wenn mans aber mit den Ohren versteht, warum denn nicht mit den Augen?
-
-Einige Verlegenheit bereiten ja die jetzt so beliebten Zeitungs- und
-Büchertitel, die, anstatt aus einem Hauptwort, aus einer adverbiellen
-Bestimmung bestehen, wie: +Aus unsern vier Wänden+, +Vom Fels zum
-Meer+, +Zur guten Stunde+ u. ähnl. Jedes natürliche Sprachgefühl
-sträubt sich doch dagegen zu sagen: ich habe das +in Vom+ Fels zum Meer
-gelesen. Aber immer dazuzusetzen: in dem Buche, in der Zeitschrift --
-was schließlich das einzige Rettungsmittel ist -- ist doch langweilig.
-
-
-Nach dort
-
-Statt +hin+ und +her+ schreiben unsre Kaufleute jetzt in ihren
-Geschäftsbriefen +nach dort+ und +nach hier+: kommen Sie nicht in
-den nächsten Wochen einmal +nach hier+? Wenn nicht, so komme ich
-vielleicht einmal +nach dort+. Auch die Zeitungen berichten: Herr M.
-ist als Bauinspektor +nach hier+ versetzt worden. Und wenn ein paar
-Handlungsreisende bei kühlem Wetter in einem Biergarten sitzen, fragen
-sie sich sogar: Wollen wir uns nicht lieber +nach drin+ setzen? Diese
-neumodische schöne Ortsbestimmung ist freilich nicht ohne Beispiel:
-schon längst hat man zur Bezeichnung einer Richtung, statt die auf die
-Frage wohin? antwortenden Ortsadverbien zu gebrauchen, die Präposition
-+nach+ mit Ortsadverbien verbunden, die auf die Frage wo? antworten,
-z. B. +nach vorn+, +nach hinten+, +nach oben+, +nach unten+, statt:
-+vor+, +hinter+, +hinauf+, +herunter+. Auch Schiller sagt im Taucher:
-Doch es war mir zum Heil, er riß mich +nach oben+. Und ebenso hat man
-auf die Frage woher? geantwortet: +von vorn+, +von hinten+, +von oben+,
-+von unten+, sogar +von hier+, +von dort+. Nur +nach hier+, +nach
-dort+ und +nach drin+ hatte noch niemand zu sagen gewagt. Aber warum
-eigentlich nicht? Offenbar aus reiner Feigheit. Wir können also dem
-kaufmännischen Geschäftsstil für seinen sprachschöpferischen Mut nur
-dankbar sein. Schade, daß Goethe das Lied der Mignon nicht mehr ändern
-kann; das müßte doch nun auch am Schlusse heißen: +nach dort, nach
-dort+ möcht’ ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn![120]
-
-
-Bis
-
-Viel Nachlässigkeiten und Dummheiten werden in den Zeitangaben
-begangen. Ein Ausdruck wie: +vom 16. bis 18. Oktober+ soll dabei
-noch nicht einmal angefochten werden, wiewohl, wer sorgfältig
-schreiben will, hinter +bis+ die Präposition nie weglassen, sondern
-schreiben wird: +bis zum 18. Oktober+. Denn +bis+ ist zwar selbst
-eine Präposition, es ist aber auch eine Konjunktion, es ist ein
-Mittelding zwischen beiden, und bei Ortsbestimmungen verlangt es noch
-ein +an+, +auf+, +in+, +zu+, +nach+, nur vor Städte- und Ländernamen
-kann es allein stehen, aber doch auch nur dann, wenn eine Strecke,
-eine Ausdehnung, aber nicht, wenn ein Ziel angegeben wird. Man kann
-also wohl sagen: +bis morgen+, +bis Montag+, +bis Ostern+, sogar:
-+bis nächste Woche+, auch +bis Berlin+, aber nicht: +bis Haus+,
-+bis Tür+. Nur wer in den Straßenbahnwagen gestiegen ist, antwortet
-maulfaul auf die Frage des Schaffners: wie weit? +Bis Kirche+. Eine
-ganz unzweifelhafte Nachlässigkeit aber ist es, zu schreiben: von
-Nikolaus I. +bis Gregor VII+. Denn wie soll man das lesen? +Bis+
-Gregor +den Siebenten+? +bis den+? Wenn das richtig wäre, dann könnte
-man auch sagen: wenn wir vom Großvater noch weiter zurückgehen +bis
-den Urgroßvater+. Ebenso nachlässig ist es, zu schreiben: Ausgewählte
-Texte +des 4. bis 15. Jahrhunderts+, deutsche Liederdichter +des
-12. bis 14. Jahrhunderts+ oder mit einem Strich, den man bis lesen
-soll: +des 12.-14. Jahrhunderts+,[121] Flugschriften +des 16. bis 18.
-Jahrhunderts+, Kulturbilder aus +dem 15. bis 18. Jahrhundert+. Da
-hört man erst den Singular +des+, +dem+, und dann kommen drei oder
-vier Jahrhunderte hinterher. Wie kann denn +ein+ Jahrhundert das 4.
-bis 15. sein! Und doch muß man den Fehler täglich lesen, oft gleich
-auf Titelblättern neuer Bücher. Wer sorgfältig schreiben will, wird
-schreiben: Flugschriften +des 16., des 17. und des 18. Jahrhunderts+ --
-oder wenigstens: +des 16., 17. und 18. Jahrhunderts+ -- oder: +aus der
-Zeit vom 16. bis zum 18. Jahrhundert+. Das ist zwar etwas umständlich,
-aber es geht nicht anders. Wir schrecken ja sonst vor umständlicher
-Ausdrucksweise nicht zurück, können uns oft gar nicht breit und
-umständlich genug ausdrücken. Warum denn gerade da, wo sie einmal
-angebracht ist?
-
-
-In 1870
-
-Wie mit +nach hier+ und +nach dort+, verhält sichs auch mit +in+ 1870,
-das man neuerdings öfter lesen kann. Jede andre Präposition kann man
-so vor die Jahreszahl setzen, man kann sagen: +vor+ 1870, +nach+
-1870, +bis+ 1870 -- aber nicht: +in+ 1870. Warum nicht? Weils nicht
-deutsch ist. Es ist eine willkürliche Nachäfferei des Französischen
-und des Englischen. Deutsch ist auf die Frage wann? entweder die bloße
-Jahreszahl ohne jede Präposition, oder: +im Jahre+ 1870.
-
-Bei den Angaben der Monate und der Jahreszeiten scheinen es manche
-jetzt für geistreich zu halten, +in+ ganz wegzulassen und zu
-schreiben: das geschah +Dezember+ 1774 -- ich wurde +Herbst+ 1874
-immatrikuliert. Auch das ist undeutsch; die Monatsnamen wie die Namen
-der Jahreszeiten verlangen unbedingt die Präposition, denn bei ihnen
-ebenso wie bei dem ganzen Jahre hat man deutlich die Vorstellung eines
-Zeitraums, in dessen Innerm sich ein Ereignis zuträgt.
-
-
-Alle vier Wochen oder aller vier Wochen?
-
-Bei periodisch wiederkehrenden Handlungen antwortet auf die Frage:
-wie oft? der Genitiv von +alle+ mit einem Zahlwort, z. B.: +aller
-vierzehn Tage+, +aller vier Wochen+, +aller zwei Stunden+, +aller
-halben Jahre+, +aller Vierteljahre+, +aller hundert Jahre+, ja sogar
-ohne Zahlwort: +aller Augenblicke+. Wenigstens in Mitteldeutschland,
-namentlich in Sachsen und Thüringen, ist dieser Genitiv allgemein, bei
-Hoch und Niedrig, im Gebrauch. Nicht bloß die Leipziger Straßenjugend
-spottete von der Leipziger Pferdebahn: und +aller fünf Minuten+, da
-bleibt de Karre stehn -- auch die gebildete Mutter sagt zu ihrem Kinde:
-bleib doch nicht +aller zehn Schritte+ stehen, oder: du bleibst +ja
-aller drei Zeilen hängen+, oder: so was kommt nur +aller Jubeljahre+
-einmal vor (wobei der Zahlbegriff in +Jubel+ steckt: 25, 50, 100), ja
-sogar: komm doch nicht +aller Nasen lang+ gelaufen, oder: du störst
-mich +aller Augenblicke+, und der Arzt schreibt auf das Rezept: +aller
-zwei Stunden+ einen Eßlöffel voll zu nehmen. Mit dem Akkusativ, wie
-er in Nord- und Süddeutschland üblich ist, erscheint uns nicht das
-Periodische, die Wiederkehr der Handlung in gleichen Zeitabständen,
-ausgedrückt. Wenn ich sage: das kann ich +alle Augenblicke+ tun, oder
-von einem geladnen Geschoß: geh zurück! es kann +alle Augenblicke+
-losgehen, so heißt das nichts andres als: +jeden Augenblick+,
-+jederzeit+, +sogleich+, +sofort+. Sage ich dagegen: es blitzt +aller
-Augenblicke+, so heißt das (natürlich mit einer starken Übertreibung):
-es blitzt in regelmäßigen Abständen von je einem Augenblick. Wenn sich
-jemand beklagt, er habe vierzehn Tage an einem langweiligen Badeorte
-sitzen müssen, so kann ich ihn fragen: bist du denn +alle vierzehn
-Tage+ dort gewesen? Das ist eine Zeitdauer, keine Wiederholung. Wenn
-sich aber die Landpfarrer in regelmäßigen Zwischenräumen von je
-vierzehn Tagen zu einer Konferenz in der Stadt zusammenfinden, so
-kommen sie nicht +alle+, sonder +aller vierzehn Tage+. Eine Berliner
-Zeitschrift verspricht ihren Lesern auf dem Umschlag +alle sieben Tage+
-ein Heft. Sie hält aber ihr Versprechen nicht, denn sie bringt nur
-+aller sieben Tage+ eins. Wenn ich sage: ich reise +alle Jahre+ nach
-Italien, so kann ich das einemal im März, das andremal im Mai, das
-drittemal im Oktober reisen. Will ich dagegen sagen, daß ich die Reise
-in genauen Abständen von je einem Jahre mache, so würde ich zwar nicht
-sagen: +aller Jahre+ (das ist nicht gebräuchlich), wohl aber, wo es
-auf eine genaue Bestimmung einer periodisch wiederkehrenden Handlung
-ankommt: +aller zwölf Monate+.[122]
-
-Da es sich bei diesem eigentümlich gefärbten „distributiven“ Genitiv,
-wie man ihn treffend genannt hat, keineswegs um einen niedrigen
-Provinzialismus handelt, sondern um eine mundartliche Feinheit, deren
-das Norddeutsche wie das Süddeutsche entbehrt, so kann es uns niemand
-verdenken, wenn wir ihn nicht dem unklaren, doppelsinnigen Akkusativ
-zuliebe fallen lassen. Wir bleiben fest bei unserm +aller vier Wochen+!
-
-
-Donnerstag und Donnerstags -- nachmittag und nachmittags
-
-Auch auf die Frage: wann? muß bei periodisch wiederkehrenden Handlungen
-stets der Genitiv stehen. Auf die Frage: wann ist der Eintritt ins
-Museum frei? kann nur geantwortet werden: +Montags und Donnerstags+,
-wenn damit gesagt sein soll, daß es jeden Montag und jeden Donnerstag
-so sei. Ebenso bezeichnet +morgens+, +mittags+, +vormittags+,
-+nachmittags+, +abends+ Handlungen, die jeden Morgen, jeden Mittag usw.
-geschehen. Die einmalige Handlung dagegen wird durch den Akkusativ
-ausgedrückt. Aber auch hier herrscht jetzt Verwirrung. Genitive wie
-+Sonntags+, +Montags+ gelten jetzt lächerlicherweise manchen beim
-Schreiben für unfein, und umgekehrt drängt sich wieder der Genitiv
-dahin, wo er nicht hingehört. In der Umgangssprache wird er schon
-ganz anstandslos auch von einmaligen Handlungen gebraucht: kommst du
-+mittags+ zurück? Nein, ich komme erst +abends+ zurück. Es muß heißen:
-+zu Mittag+ und +am Abend+ oder mit dem bloßen Akkusativ: +Mittag+,
-+Abend+. Also: ich bin heute +mittag+ in Berlin, aber heute abend schon
-wieder in Leipzig; dagegen: ich bin +mittags+ stets in Berlin, +abends+
-stets in Leipzig.[123] Ganz abscheulich ist es, zu schreiben: +anfangs
-April+, +anfangs Dezember+, +anfangs der+ fünfziger Jahre, +anfangs der
-Spielzeit+, es muß unbedingt heißen: +Anfang April+, +Anfang Dezember+,
-wie +Mitte Dezember+, +Ende Dezember+. Auch +Anfang+, +Mitte+, +Ende+
-sind hier Akkusative, +Dezember+ ein (natürlich schlechter!) Genitiv
-(vgl. S. 8). +Anfangs+ kann immer nur allein als Adverbium stehen, im
-Gegensatze zu +dann+, +später+, +endlich+ (+anfangs+ wollt ich fast
-verzagen).
-
-
-Drei Monate -- durch drei Monate -- während dreier Monate
-
-Ein widerwärtiger Mißbrauch, der aber auch neuerdings für vornehm gilt
--- natürlich! es klingt ja französisch --, ist der Gebrauch, auf die
-Frage: +wie lange+? mit +während+ zu antworten: wir waren +während
-dreier Monate+ in der Schweiz -- dieses Geräusch blieb +während
-einiger Minuten+ hörbar -- man sprach +während einiger Wochen+ von
-nichts als von dieser Unternehmung -- die Prüfungskommission, der
-Gottfried Kinkel +während einer Reihe+ von Jahren angehört hat --
-die Lehren, die +während achtzehn Jahrhunderten+ als die Grundlage
-rechtgläubigen Christentums angesehen worden sind -- der Clavigo wurde
-+während weniger Tage+ in einem Gusse geschaffen -- die Naturaldienste
-wurden nur +während weniger Tage+ im Jahre geleistet.
-
-Während kann nie auf die Frage: wielange? antworten, sondern immer
-nur auf die Frage: wann? Vielleicht ist es nicht allen Lesern in der
-Erinnerung, wie die Präposition +während+ entstanden ist. Noch im
-achtzehnten Jahrhundert schrieb man +währendes Frühlings+, +währendes
-Krieges+. Allmählich wurde dieser absolute Genitiv mißverstanden, eine
-Zeit lang wußte man nicht recht, ob man +währendes+ oder +während des+
-hörte, und schließlich sprang der Partizipialstamm von der Endung
-ab und wurde -- tatsächlich also durch ein Mißverständnis, durch
-eine Sprachdummheit -- zu einer Präposition. Trotzdem erhielt sich
-bei richtiger Anwendung der ursprüngliche Sinn: es wird ein Vorgang
-zusammengestellt mit einem andern Vorgange, mit dem er entweder ganz
-oder teilweise zeitlich zusammenfällt; er lag +während des Kriegs+
-im Lazarett -- +während des Vortrags+ darf nicht geraucht werden --
-+während des Gewitters+ waren wir unter Dach und Fach. Der Krieg,
-der Vortrag, das Gewitter sind Vorgänge, Ereignisse. Aber ein Tag,
-ein Monat, ein Jahr, ein Jahrhundert sind bloße Zeitabschnitte oder
-Zeitmaße. Er lag +während dreier Monate+ im Lazarett -- ist völliger
-Unsinn, denn drei Monate sind kein Ereignis, womit der Aufenthalt im
-Lazarett zeitlich verglichen würde, sondern sie bedeuten einfach die
-Zeitdauer; diese kann aber nur ausgedrückt werden durch den Akkusativ
-+drei Monate+ oder +drei Monate lang+. Der Clavigo wurde nicht +während
-weniger Tage+, sondern +in wenigen Tagen+ geschaffen. Aber kann man
-denn nicht sagen: +während des Tags+? Gewiß kann man das; aber dann
-ist +Tag+ nicht als Zeitmaß gebraucht, sondern als Erscheinung der
-Nacht gegenübergestellt: +während des Tags+ scheint die Sonne. Die
-Sonne hat nur +während eines Tags+ geschienen -- das ist Unsinn; die
-Sonne hat +während meiner Ferien nur einen Tag+ geschienen -- das hat
-Sinn. Aber alle Romanschreiber und besonders alle Romanschreiberinnen
-spreizen sich jetzt mit diesem albernen, dem französischen ~pendant~
-nachgeäfften Mißbrauch.
-
-+Durch fünfzehn Monate+ endlich, +durch lange Zeit+, +durch fünf
-Minuten+, wie die Zeitungen jetzt auch gern auf die Frage: wielange?
-schreiben (die heldenmütigen Frauen, die +durch fünfzehn Monate+ mit
-ihren Kindern im Buschwalde umherirrten -- dieses Gefühl war +durch
-lange Zeit+ künstlich genährt worden -- das Publikum lärmte und
-applaudierte +durch+ wenigstens +fünf Minuten+), ist ganz undeutsch. Es
-ist ein gedankenlos dem Lateinischen nachgebildeter Austriazismus, der
-aus österreichischen Zeitungen in unsre Sprache geschleppt worden ist.
-
-
-Am (!) Donnerstag den (!) 13. Februar
-
-Ein abscheulicher Fehler, der wieder recht ein Zeichen der immer
-mehr zunehmenden Verrohung unsers Sprachgefühls ist, ist die gemeine
-Zusammenkoppelung des Dativs und des Akkusativs, die neuerdings bei
-Datenangaben aufgekommen ist und mit unbegreiflicher Schnelligkeit um
-sich gegriffen hat. Fast alle Behörden, alle Berichterstatter, alle
-Programme, alle Einladungen schreiben: +am+ Donnerstag, +den+ 13.
-Februar. Sogar die amtlichen stenographischen Berichte des Reichstags
-sind so überschrieben!
-
-Jede von beiden Konstruktionen für sich allein wäre richtig. Auf die
-Frage: wann ist das Konzert? kann ebensogut mit dem bloßen Akkusativ
-geantwortet werden: +den+ Donnerstag, wie mit an und dem Dativ: +am+
-Donnerstag.[124] Aber beide Konstruktionen zusammenzukoppeln, einen
-Akkusativ als Apposition zu einem Dativ zu setzen, ist greulich.
-Fühlt man das gar nicht? Was glaubt man denn, daß es für ein Kasus
-sei, wenn auf die Frage: wann wird er zurückkehren? geantwortet wird:
-+Donnerstag+. Ist man so stumpfsinnig geworden, daß man hier den
-Akkusativ nicht mehr fühlt, auch wenn der Artikel nicht dabeisteht?
-wenn bloß geschrieben wird: +Donnerstag+, den 13. Februar? Nun meinen
-ja manche den Fehler zu vermeiden und ihre Sache sehr gut zu machen,
-wenn sie schreiben: +am+ Donnerstag, +dem+ 13. Februar. Aber da kommen
-sie aus dem Regen in die Traufe! (vgl. S. 253). Nein nein, es gibt nur
-+ein+ Heilmittel: man lasse das dumme am wieder weg, und alles ist in
-Ordnung.
-
-Man schreibt aber auch schon: +vom Ende+ Februar, +vom+ Dienstag, +den+
-6. dieses Monats ab. Das ist fast noch abscheulicher. Die Akkusative
-+Ende+ Februar, +Dienstag, den+ 6. gelten für den Satzbau genau so viel
-wie jedes Adverbium der Zeit, das auf die Frage wann? antwortet, wie
-+gestern+, +heute+, +morgen+ usw. Ebenso nun wie auf die Fragen: von
-wann? und bis wann? geantwortet wird: +von heute bis morgen+, ebenso
-muß auch geantwortet werden: +von Ende Februar+, +von Dienstag, den
-6. bis Donnerstag, den 8. April+. Denn nicht +Ende+ oder der Artikel
-+den+ hängt von der Präposition +von+ ab, sondern die ganze, wie ein
-Adverbium der Zeit aufzufassende Formel: +Dienstag, den 6+.
-
-Derselbe Fall kommt auch bei Ortsbestimmungen vor. +Zuhause+, das
-auf die Frage wo? antwortet, wird für die Konstruktion ganz zum
-Ortsadverbium, wie +hier+, +dort+, +oben+, +unten+ u. a. Auf die Frage:
-wo kommst du her? ist es also durchaus nicht falsch, zu antworten:
-+von zuhause+. Wir in Mitteldeutschland sagen immer so (nicht wie der
-Norddeutsche sagt: +von Hause+, das uns fremdartig und geziert klingt),
-ebenso wie wir auch sagen: er spricht viel +von zuhause+, er denkt den
-ganzen Tag +an zuhause+. (Goethe: ich freue mich recht +auf nachhause+!)
-
-
-Bindewörter. Und
-
-Auch der Gebrauch der Bindewörter hält sich jetzt nicht frei von
-Fehlern und namentlich nicht frei von Geschmacklosigkeiten, die sich
-aber natürlich gerade deshalb, weil sie so geschmacklos sind, besondrer
-Beliebtheit erfreuen. Richtig angewandt werden ja im allgemeinen die
-geläufigen Verbindungen: +nicht nur -- sondern auch+, +sowohl -- als
-auch+, +entweder -- oder+, +weder -- noch+; doch kann man bisweilen
-auch Sätze lesen, wo falsch +nicht nur -- aber auch+ gegenübergestellt
-sind. Feiner und weniger geläufig ist die Verbindung +nicht sowohl --
-als vielmehr+. Bei den vorhergehenden Verbindungen sind entweder beide
-Glieder bejahend oder beide verneinend; hier ist das erste verneinend
-und das zweite bejahend. Mit dieser Verbindung wissen manche nicht
-recht umzugehn; sie möchten sich aber doch auch gern damit zieren und
-schreiben dann: +nicht sowohl+ was die Anzahl, +sondern mehr+ was die
-Bedeutung der Stücke betrifft.
-
-Aber selbst bei dem einfachen +und+ werden Fehler gemacht. Ein sehr
-gewöhnlicher Fehler entsteht dadurch, daß sich der Schreibende nicht
-genügend klar darüber ist, wieviel Glieder er vor sich hat. Da schreibt
-z. B. einer -- gleich auf dem Titelblatt eines Buches! --: Geschichte
-+der Seuchen, Hungers- und Kriegsnot+ im Dreißigjährigen Kriege.
-Wieviel Glieder sind das, zwei oder drei? Der Schreibende hat es für
-drei gehalten, es sind aber nur zwei. Das erste Glied ist +Seuchen+,
-das zweite ist +Hungers- und Kriegsnot+, und dieses besteht selber
-wieder aus zwei Gliedern. Folglich fehlt die Verbindung zwischen dem
-ersten und dem zweiten Gliede. Vielleicht fürchtet man sich vor einem
-doppelten +und+ -- es spielt da wieder der Aberglaube herein, daß man
-nicht kurz hintereinander zweimal dasselbe Wort gebrauchen dürfe! --,
-aber die Logik verlangt es hier unbedingt. Beseitigen wir noch den
-zweiten groben Fehler, daß der Plural +der+ vor +Seuchen+ zugleich als
-Singular auf +Hungersnot+ bezogen ist, so lautet das Ganze richtig:
-Geschichte +der Seuchen und der Hungers- und Kriegsnot+ usw. Ähnliche
-Beispiele, wo überall ein +und+ fehlt -- wo? deuten die Klammern an
---, sind folgende: ~Ex-Libris~, Zeitschrift für Bücherzeichen- []
-Bibliothekskunde +und+ Gelehrtengeschichte -- die Beziehungen zum Hofe
-von Alexandrien [] zur alexandrinischen Kunst +und+ Wissenschaft -- das
-Material entnimmt er seinen eignen Erinnerungen [] Aufzeichnungen +und+
-Briefen aus dem schleswig-holsteinischen Archiv -- ein gemeinsames
-Münz-, Maß- [] Gewichtssystem [] Patent- +und+ Markenschutzrecht --
-Hundegeschirre, Hand- [] Kinderwagen +und+ Rollstühle -- ein Gärtchen,
-in dem er Gemüse baute [] Blumen +und+ Bienen pflegte -- das schlechte
-Essen [] Trinken +und+ die lästigen Fliegen -- wer lesen, schreiben []
-rechnen kann +und+ täglich seine Zeitung liest. In allen diesen Fällen
-liegen nur zwei (oder drei) Glieder vor, von denen aber das eine selbst
-wieder aus zwei oder mehr Gliedern besteht, und in den meisten Fällen
-fehlt das +und+ gerade da, wo die beiden Hauptglieder miteinander
-verbunden werden müssen. Es ist genau so, wie wenn jemand schreiben
-wollte: die Räuber, Kabale und Liebe anstatt: die Räuber +und+ Kabale
-und Liebe. Derselbe Fehler findet sich auch bei +oder+: z. B. die
-Beeinträchtigung eines künstlerisch bedeutungsvollen Platzes [],
-Straßen- +oder+ Stadtbildes. Hier muß auch hinter +Platzes+ unbedingt
-noch ein +oder+ stehen.
-
-Eine rechte Dummheit ist es, wenn auf Buchtiteln, in
-Buchhändleranzeigen, auf Konzertprogrammen usw. von zwei Männern, die,
-entweder gleichzeitig oder nacheinander, der eine vielleicht nach dem
-Tode des andern, an einem Werke gearbeitet haben, die Namen durch
-Bindestriche miteinander verbunden werden, z. B.: kritische Ausgabe
-+von Lachmann-Muncker+, Quellenkunde von +Dahlmann-Waitz+, Phantasie
-+von Schubert-Liszt+, der Denkmalsentwurf von +Schmitz-Geiger+. Zwei
-Namen so zu verbinden hat allenfalls Sinn, wenn der Mann zu seinem
-Namen den der Frau oder (wie in der Theaterwelt) die Frau zu dem
-ihrigen den des Mannes fügt. Aber zwei (!) Personen durch einen solchen
-Doppel- und Koppelnamen zu bezeichnen ist doch sinnwidrig. Warum denn
-nicht: kritische Ausgabe von +Lachmann und Muncker+? Wozu solches
-Telegrammgestammel, wo es gar nicht nötig ist? Aber die Franzosen
-reden doch auch von +Erckmann-Chatrian+. Das wars! das muß doch wieder
-nachgemacht werden. Aber es ist wieder nur gedankenlose Nachäfferei,
-denn diese beiden +wollten+ doch den Schein erwecken, daß sie nur
-+eine+ Person wären![125]
-
-Dieselbe Dummheit -- einen Bindestrich statt +und+ zu schreiben --
-ist aber auch sonst noch verbreitet, namentlich in den beliebten
-Verbindungen: +kritisch-historisch+, +historisch-kritisch+,
-+religiös-sittlich+, +religiös-sozial+, +sozial-wirtschaftlich+,
-+sozial-ethisch+, +technisch-konstruktiv+, +wirtschaftlich-technisch+,
-+hygienisch-therapeutisch+ usw. Welche Unklarheit und Verwirrung haben
-diese törichten Koppelwörter schon in den Köpfen angerichtet! Kann
-es einen größern Unsinn geben als +religiös-sittlich+? Religion und
-Sittlichkeit sind doch zwei ganz verschiedne Gebiete. Kann es einen
-größern Unsinn geben als +historisch-kritische+ Anmerkungen? Eine
-historische Anmerkung ist doch keine kritische, und eine kritische
-keine historische.
-
-Sehr beliebt ist jetzt auch die Abgeschmacktheit -- sie stammt aus
-Österreich --, statt +und zwar so+ zu schreiben: +so zwar+, z. B.:
-entscheidend sind die Leistungen im Deutschen, +so zwar+, daß ein
-Schüler, der im Deutschen nicht genügt, für nicht bestanden (!) erklärt
-wird. Wer logisch denkt, wird hinter +so zwar+ stets noch ein zweites
-Glied erwarten: +aber doch auch so+, daß usw.
-
-Eine ganz neue Dummheit ist es, auf Quittungen, Wechseln u. dgl. in der
-Angabe der Geldsumme statt +und+ zu schreiben auch: 75 Mark +auch+ 20
-Pfennige. Das ist schwedisch, aber nicht deutsch: ~utan svafvel +och+
-fosfor~.
-
-Falsch ist es, einen Satz mit +denn+ an einen untergeordneten Nebensatz
-anzuknüpfen, z. B.: leider ist der Brief +nicht so bekannt geworden+,
-wie er es verdiente, +denn+ er ist für den Entwicklungsgang des
-Künstlers von großer Wichtigkeit. Man erwartet: +denn+ er ist an einer
-sehr versteckten Stelle abgedruckt. An einen untergeordneten Nebensatz
-kann sich nie ein bei- oder nebengeordneter anschließen.
-
-
-Als, wie, denn beim Vergleich
-
-Ob es richtiger sei, zu sagen: +größer als+ oder +größer wie+,
-läßt sich am besten mit Hilfe der Sprachgeschichte beantworten. In
-der Anwendung der drei vergleichenden Bindewörter +als+, +wie+ und
-+denn+ ist im Laufe der Zeit eine Verschiebung vor sich gegangen. Im
-Althochdeutschen und noch im Mittelhochdeutschen stand (wie noch heute
-im Englischen) hinter dem Komparativ stets ~danne~, ~dan~, ~denne~,
-z. B.: ~wîzer dan ein snê~ (weißer +denn+ Schnee). +Denn+ bezeichnete
-also die Ungleichheit. Hinter dem Positiv stand damals stets ~alsô~
-(d. h. ganz so), ~alse~, ~als~, z. B.: ~wîz als ein swan~ (weiß +als+
-ein Schwan). +Als+ bezeichnete also die Gleichheit, und zwar nicht nur
-hinter dem Positiv, sondern auch bei andern Vergleichungen, wie bei
-Luther: wer nicht das Reich Gottes empfängt +als+ ein Kind -- du sollst
-deinen Nächsten lieben +als+ dich selbst -- und auch in vergleichenden
-Zwischensätzen: +als+ sich gebührt. Wie endlich, althochdeutsch
-~hwêo~ oder ~hwio~, war ursprünglich überhaupt keine vergleichende
-Konjunktion, sondern nur Fragewort.
-
-Allmählich erweiterte sich aber das Gebiet von +als+ so, daß es nicht
-bloß bei der Gleichheit, sondern auch bei der Ungleichheit, hinter dem
-Komparativ verwendet wurde und dort das alte +denn+ verdrängte. Dafür
-wurde aber +wie+ zur Vergleichungspartikel und fing nun seinerseits
-an, das alte +als+ da zu verdrängen, wo dieses früher die Gleichheit
-bezeichnet hatte, ja es drang sogar noch weiter vor, bis an die
-Stelle von +denn+ und bezeichnete nun ebenfalls auch die Ungleichheit
-(+größer wie+). Diese Verschiebung, die schon im sechzehnten
-Jahrhundert beginnt, ist im siebzehnten und achtzehnten in vollem Gange
-und ist eigentlich auch jetzt noch nicht ganz, aber doch ziemlich
-abgeschlossen. Daß sie noch nicht ganz abgeschlossen ist, daher stammt
-eben das Schwanken.
-
-Wenn man also auch nicht behaupten kann, es sei falsch, zu sagen:
-+so weiß als+ Schnee, es dürfe nur heißen: so +weiß wie+ Schnee, so
-trifft man doch ungefähr das richtige, wenn man sagt: +denn+ als
-Vergleichungspartikel ist veraltet (nur in gewissen Verbindungen wie:
-mehr +denn je+ ist es noch üblich), +als+ bezeichnet die Ungleichheit
-(+anders als+) und gehört hinter den Komparativ (wie lat. ~quam~,
-franz. ~que~, engl. ~than~), +wie+ bezeichnet die Gleichheit und
-gehört hinter den Positiv (wie lat. ~ut~, franz. ~comme~, engl.
-~as~). Es könnte nichts schaden, wenn der Unterricht in diesem Sinne
-etwas nachhülfe und dadurch dem Schwanken ein Ende machte. +Wie+ auch
-hinter dem Komparativ zu gebrauchen (er sieht ganz +anders+ aus +wie+
-die üblichen Sterblichen), müßte dann natürlich der Gassensprache
-überlassen bleiben. Leider verbreitet es sich neuerdings wieder mehr
-und mehr auch in der Schriftsprache (+besser wie+, +mehr wie je+), wo
-es dann unsäglich gemein wirkt.
-
-Erhalten hat sich noch die ursprüngliche Bedeutung von +als+ im Sinne
-der Übereinstimmung bei den Appositionen hinter +als+: +als Knabe+,
-+als Mann+, +als König+, +als Gast+, +als Fremder+. Da kommt es nun
-nicht selten vor, daß dieses +als+ unmittelbar hinter ein +als+ beim
-Komparativ tritt, z. B.: er betrachtete und behandelte den jungen
-Mann mehr als Freund, +als als+ Untergebnen. In diesem Falle pflegt
--- nach dem alten, nun schon oft bekämpften Aberglauben -- gelehrt
-zu werden, es müsse heißen: +denn als+ Untergebnen; das Wort +als+
-dürfe nicht zweimal hintereinander stehen. Und so schreibt man denn
-auch meist ängstlich: die Trennung der Christenheit hat sich eher
-als Gewinn +denn als+ Schädigung erwiesen -- Bismarck fühlte sich
-weniger als deutscher Staatsmann +denn als+ der ergebne Diener des
-Hauses Hohenzollern -- manche Gymnasiallehrer stellen sich lieber als
-Reserveoffiziere +denn als+ Bildner der Jugend vor. Es fragt sich aber
-doch sehr, was anstößiger sei: das doppelte +als+ oder das auffällige,
-gesuchte, veraltete +denn+, das sonst niemand mehr in diesem Sinne
-gebraucht. Die Umgangssprache, auch die der Gebildeten, setzt
-unbefangen ein doppeltes +als+: mir hat Lewinsky besser als Shylock
-+als als+ Mohr gefallen. Ein feiner Satz ist: Friedrich Wilhelm der
-Vierte haßte die Revolution nicht bloß +wie+, sondern +als+ die Sünde.
-Hier sieht man deutlich hinter +wie+ die Vergleichung, hinter +als+ die
-Übereinstimmung.
-
-
-Die Verneinungen
-
-In dem Gebrauche der Verneinungen ist es zunächst eine häßliche
-Gewohnheit der Amts- und Zeitungssprache, statt +keiner+ und +nichts+
-immer zu sagen: +einer nicht+, +etwas nicht+, z. B. dieser Orden wird
-auch an solche Personen verliehen, die +einen+ Hofrang +nicht+ besitzen
--- diesem Unterschied ist +eine+ größere Tragweite +nicht+ beizumessen
--- wenn nachgewiesen wird, daß dieser Versuch +einen+ günstigen Erfolg
-+nicht+ gehabt hat -- von der Opposition hatte sich +ein+ Redner, um
-diese scharfen Angriffe zurückzuweisen, +nicht+ gemeldet -- das Patent
-schließt sich der Ansicht an, daß in dem vorgelegten Maschinenteil
-+eine+ wesentliche, zur Erleichterung der Anwendung beitragende neue
-Erfindung +nicht+ gemacht sei -- den auf die Tagesordnung zu stellenden
-Vorträgen wird +eine+ Erörterung +nicht+ folgen -- die Deputation fand
-gegen alles dieses +etwas nicht+ einzuwenden -- durch die neuerlichen
-(!) Bestimmungen wird im übrigen an den bestehenden Einrichtungen
-+etwas nicht+ geändert (was mag dieses Etwas sein?). Eine solche
-Trennung -- eine Nachahmung des Lateinischen -- ist nur dann am Platze,
-wenn das Hauptwort betont und einem andern Hauptworte gegenübergestellt
-wird, z. B.: +ein Erfolg+ ist bis jetzt +nicht+ zu beobachten gewesen
--- wo +Erfolg+ vorangestellt und vielleicht den vorher besprochnen
-Bemühungen gegenübergestellt ist.[126]
-
-Eine doppelte Verneinung gilt jetzt fast allgemein in der guten
-Schriftsprache als Bejahung. Es ist das aber -- dessen wollen wir uns
-bewußt bleiben -- eine ziemlich junge „Errungenschaft“ des Unterrichts.
-In der älteren Sprache bestand, wenn auch nicht geradezu die Regel,
-so doch weit und breit die Gewohnheit, daß man den Begriff der
-Verneinung, um ihn zu verstärken, verdoppelte, ja verdreifachte. Diese
-Gewohnheit hat sich, auch bei den besten Schriftstellern, bis weit in
-das achtzehnte Jahrhundert erhalten, und der Volksmund übt sie zum
-Teil noch heute. Nicht bloß Luther schreibt: ich habe +keinem nie
-kein+ Leid getan,[127] auch Lessing schreibt noch: +keinen+ wirklichen
-Nebel sahe Achilleus +nicht+, auch Goethe noch: man sieht, daß er an
-+nichts keinen+ Anteil nimmt, auch Schiller noch: +nirgends kein+ Dank
-für diese unendliche Arbeit, und der Volksmund fragt noch heute: hat
-+keener kee+ Streichhelzchen +nich+? Wir mögen es bedauern, daß unter
-dem Einflusse der lateinischen Grammatik diese -- falsche darf man
-nicht sagen, sondern nur andre Art, zu denken, ganz verdrängt worden
-ist, auch in der Volksschule, die hier ebenfalls unter dem Banne der
-lateinischen Grammatik steht; aber nachdem das einmal geschehen ist,
-und die doppelte Verneinung fast allgemein wie im Lateinischen (~nemo
-non~) als Bejahung empfunden wird, ist es auch unmöglich, sie noch
-in der alten Weise zu verwenden. Das gilt besonders auch bei den
-Nebensätzen, die mit +ehe+, +bevor+, +bis+ und +ohne daß+ anfangen,
-und bei Infinitivsätzen nach einem verneinten Hauptsatze. Es ist
-also entschieden anstößig, zu schreiben, wie es so oft geschieht:
-die Hauptfrage kann +nicht+ erledigt werden, ehe +nicht+ (oder:
-bis +nicht+) die Vorfrage erledigt ist (+wenn nicht+ oder +solange
-nicht+ wäre richtig) -- es gehört +keine+ große Menschenkenntnis
-dazu, das +nicht+ auf den ersten Blick zu sehen. Namentlich hinter
-+warnen+ erscheint ein verneinter Infinitiv, wie in den bekannten
-Zeitungsanzeigen: ich +warne+ hiermit jedermann, meiner Frau +nichts+
-zu borgen u. dgl., unsinnig, denn +warnen+, d. h. abraten, abmahnen,
-enthält ja schon den Begriff der Verneinung.
-
-Daß eine Verneinung eines mit +un+ zusammengesetzten Hauptworts oder
-Eigenschaftsworts (+kein Un+mensch, +nicht un+gewöhnlich, +nicht
-un+möglich, +nicht un+wahrscheinlich) nur eine Bejahung, und zwar eine
-eigentümlich gefärbte vorsichtige Bejahung ausdrücken kann, darüber
-ist sich wohl jedermann klar. Man sollte aber mit dieser doppelten
-Verneinung, der sogenannten Litotes (Einfachheit), wie man sie mit
-einem Ausdrucke der griechischen Grammatik bezeichnet, recht sparsam
-sein. Es gibt Gelehrte -- es sind dieselben, die auf jeder Seite zwei-,
-dreimal +meines Erachtens+ lispeln, als ob nicht alles, was sie sagen,
-bloß ihr „Erachten“ wäre! --, die nicht den Mut haben, auch nur eine
-einzige Behauptung, ein einziges Urteil fest und bestimmt hinzustellen,
-sondern sich um alles mit dem ängstlichen +nicht un+-- herumdrücken. Es
-gibt aber auch Leute, die so in diese Litotes verliebt sind, daß sie
-sie gedankenlos sogar da brauchen, wo sie die Verneinung meinen, z. B.:
-das wirkt +nicht unübel+ -- dieser Effekt war ein von dem Juden +nicht
-un+erwarteter -- endlich fand sich ein Tag, an welchem (wo!) +keiner+
-der drei Herren +un+behindert war -- es ist das +kein unverächtlicher+
-Zug -- die Leistungen zeigen eine +nicht ungewöhnliche+ Begabung --
-ein gewisser +Mangel an Nichtachtung+ des Lehrerstandes und ähnl. Ist
-es doch sogar einem so scharfen Denker wie Lessing begegnet, daß er
-in der Emilia Galotti geschrieben hat: +nicht ohne Miß+fallen (wo
-er schreiben wollte: +nicht ohne+ Wohlgefallen, oder: +nicht+ mit
-Mißfallen). Sehr häufig, viel häufiger, als es bei unserm heutigen
-hastigen und gedankenlosen Lesen bemerkt wird, findet sich namentlich
-die törichte Verbindung +nicht unschwer+: der Leser wird +nicht
-unschwer+ erkennen -- es wird das +nicht unschwer+ zu beweisen sein
--- man wird sich +nicht unschwer+ vorstellen können. Schon +unschwer+
-allein ist ein dummes Wort, wie alle solche unnötig gekünstelten
-Verneinungen.[128] Nun vollends +nicht unschwer+! Und das soll heißen:
-+leicht+! Erscheint nicht ein solches Hineinfallen in einen logischen
-Fehler wie eine gerechte Strafe für törichte Sprachziererei? Auch wenn
-jemand schreibt: der Besitzer sieht in dieser Bronze +nichts weniger+
-als ein Werk des Lysipp, es ist aber nur eine römische Nachahmung --
-so schreibt er gerade das Gegenteil von dem, was er sagen will; er
-will sagen: der Besitzer sieht in der Bronze +nichts geringeres+ als
-ein Werk des Lysipp, es ist aber +nichts weniger+ als das, es ist nur
-eine römische Nachahmung. Auch wenn man gespreizt sagt: das ist +nicht
-zum geringsten Teile+ der Tätigkeit unsers Vereins zu danken (anstatt
-einfach: +zum größten Teile+), kann man sich nicht beschweren, wenn ein
-Schalk das Gegenteil von dem heraushört, was man sagen will.
-
-Wenn von zwei Verneinungen die zweite gesteigert werden soll, so
-geschieht das durch +geschweige denn+, z. B. der Bau kann in vier
-Jahren nicht ausgeführt werden, +geschweige denn+ in zweien. Ist
-das erste Glied positiv, so kann +geschweige denn+ nicht angewendet
-werden. Falsch ist also folgender Satz: diese Bestrebungen können
-+nur+ mit universalgeschichtlichen Kenntnissen gepflegt, +geschweige
-denn+ gefördert werden. Hier muß es entweder statt +geschweige denn+
-heißen: und +vollends+ (vgl. S. 132), oder das erste Glied muß
-ebenfalls negativ eingekleidet werden: diese Bestrebungen können ohne
-universalgeschichtliche Kenntnisse +nicht+ gepflegt, +geschweige denn+
-gefördert werden.
-
-
-Besondere Fehler. Der Schwund des Artikels
-
-Im Niederdeutschen ist es gebräuchlich, bei
-Verwandtschaftsbezeichnungen den Artikel wegzulassen wie bei
-Personennamen und zu sagen: +Vater+ hats erlaubt, +Mutter+ ist
-verreist, +Tante+ ist dagewesen. Wenn das neuerdings auch in
-Mitteldeutschland viele nachmachen, weil es aus Berlin kommt, so ist
-das Geschmacksache; schön ist es nicht, nicht einmal traulich. Eine
-widerwärtige Unsitte aber ist es, diese niederdeutsche Gewohnheit
-auszudehnen auf Wörter wie: der +Verfasser+, der +Berichterstatter+,
-der +Referent+, der +Rezensent+, der +Angeklagte+, der +Kläger+,
-der +Redner+, der +Vorredner+ (!), der +Vorsitzende+ usw. Es wird
-aber jetzt fast allgemein geschrieben: in dieser Schrift bietet
-+Verfasser+ eine Anthologie aus den Hauptwerken der Klassiker der
-Staatswissenschaft -- die Veröffentlichung dieses Buchs hat für
-+Referenten+ ein besondres Interesse gehabt (für alle Referenten?)
--- +Berichterstatter+ bekennt gern, daß er eine solche Bemerkung nie
-zu hören bekommen hat -- +Schreiber+ dieser Zeilen hat das selbst
-beobachtet.
-
-Einen zweiten Fall, wo der Artikel jetzt unberechtigterweise
-weggelassen wird, vergegenwärtigen Ausdrücke wie: Denkmale +deutscher
-Tonkunst+, die erste Blütezeit +französischer Plastik+, eine ältere
-Epoche +deutscher Geschichte+, Fragen +auswärtiger Politik+, die Freude
-an +heimischer Vergangenheit+, eine Tat +evangelischen Bekenntnisses+.
-Sind denn die deutsche Tonkunst und die französische Plastik früherer
-Zeiten Dinge wie französischer Rotwein und deutscher Käse, die
-unaufhörlich vertilgt und neu fabriziert werden? Es sind doch ganz
-bestimmt umgrenzte Mengen dauernder Erzeugnisse der menschlichen
-Geistestätigkeit. Welcher Unsinn, denen den bestimmten Artikel zu
-rauben! Man denke sich, daß Overbeck seine Geschichte der griechischen
-Plastik Geschichte +griechischer Plastik+ genannt hätte!
-
-Ein dritter Fall endlich -- ungefähr von derselben Art -- ist die
-Geschmacklosigkeit, den bestimmten Artikel in Überschriften von
-Aufsätzen und in Buchtiteln wegzulassen. Aber auch das ist jetzt
-sehr beliebt. Man nimmt eine Monatsschrift zur Hand und findet im
-Inhaltsverzeichnis: +Ballade+. Von X. Ei der tausend! denkt man, ist
-dein guter Freund X unter die Balladendichter gegangen? und schlägt
-begierig auf. Was findet man? Einen Aufsatz über die Geschichte der
-Ballade! Der kann aber doch vernünftigerweise nur überschrieben werden:
-+Die Ballade+. Ein bekannter Kunstsammler hat über seine Schätze ein
-Prachtwerk veröffentlicht unter dem Titel: +Sammlung Schubart+. Ja, so
-konnte er ins Treppenhaus über die Tür seines Museums schreiben, aber
-der Buchtitel kann nur lauten: +Die Sammlung Schubart+ (wenn durchaus
-französelt sein muß!). Namentlich Romane, Schauspiele und Zeitschriften
-werden jetzt gern mit solchen artikellosen Titeln versehen (+Heimat+,
-+Jugend+, +Sonntagskind+ u. ähnl.), aber auch andre Werke, wie:
-+Stammbaum Becker-Glauch+ (das soll heißen: der Stammbaum der Familien
-Becker und Glauch!). Ein bekanntes Werk von Guhl und Koner hat fünf
-Auflagen lang +das Leben der Griechen und Römer+ geheißen; der neue
-Herausgeber der sechsten hat es wahrhaftig verschönert zu: +Leben der
-Griechen und Römer+. Zu einer wahren Seuche ist dieses Weglassen des
-Artikels in den sogenannten „Spitzmarken“ der Zeitungen ausgeartet:
-+Frecher Diebstahl+, +Aufgefundener Leichnam+, +Fahrrad gestohlen+,
-+Mädchen vermißt+.[129]
-
-In formelhaften Verbindungen wie: +Haus und Hof+, +Land und Leute+,
-+Frau und Kinder+ bleibt der Artikel stets weg, aber nur dann, wenn die
-beiden so verbundnen Hauptwörter gar keinen Zusatz haben. Falsch ist
-es, zu sagen, wie es jetzt oft geschieht: der Verunglückte hinterläßt
-+Frau und drei unmündige Kinder+. Er hinterläßt +Frau+ -- das ist kein
-Deutsch, denn niemand sagt: +ich habe Frau, hast du Frau+?
-
-Es gibt aber auch Fälle, wo der Artikel gesetzt wird, obwohl er nicht
-hingehört. Gleich unausstehlich sind zwei Anwendungen des Artikels
--- das einemal des unbestimmten, das andremal des bestimmten -- bei
-Personennamen. Für Leute von Geschmack bedarf es wohl nur folgender
-Beispiele, um ihren ganzen Abscheu zu erregen: Heyse hat nie die ruhige
-Größe +eines Goethe+ erreicht -- welcher unsrer großen Schriftsteller,
-selbst +ein Lessing+ und +ein Goethe+, wäre von Fehlern freizusprechen!
--- und: von den Franzosen kamen +die Dumas Sohn+ und Genossen herüber
--- die Neigung und Schätzung +der Haupt, Jahn und Mommsen+ -- die
-tiefeindringende Ästhetik +der Hebbel und Ludwig+. Der zweite Fall
-ist ja ein gemeiner Latinismus; den ersten aber sollte man dem
-Untersekundaner überlassen, der seinen ersten deutschen Aufsatz über
-ein literargeschichtliches Thema schreibt, ja nicht einmal dem, denn
-wie soll er sonst seinen Ungeschmack loswerden?
-
-
-Natürliches und grammatisches Geschlecht
-
-Viel Kopfzerbrechen hat schon manchem die Frage gemacht, ob man auf
-Wörter wie +Weib+, +Mädchen+, +Fräulein+, +Mütterchen+ mit +es+,
-+das+ und +sein+ zurückweisen müsse, oder auch mit +sie, die+ und
-+ihr+ zurückweisen dürfe, mit andern Worten: ob bei solchen Wörtern
-das grammatische oder das natürliche Geschlecht vorgehe. Auch bei
-+Backfisch+ kann die Frage entstehen. Nun, um das Ob braucht man
-sich nicht zu sorgen, es ist eins so richtig wie das andre; die
-Schwierigkeit liegt nur in dem Wo und Wie, und hierüber läßt sich
-keine allgemeine Regel geben, es muß das dem natürlichen Gefühl des
-Schreibenden überlassen bleiben. Klar ist, daß das grammatische Subjekt
-solcher Wörter um so eher festgehalten werden darf, je dichter das
-Fürwort auf das Hauptwort folgt, also besonders bei dem relativen
-Fürwort, das sich unmittelbar an das Hauptwort anschließt, ebenso,
-wenn beide sonst nahe beieinander in demselben Satze stehen, z. B.:
-+das Mädchen+ hatte frühzeitig +seine+ Eltern verloren. Es ist aber
-auch nicht das geringste dagegen einzuwenden, wenn jemand schreibt: die
-Dekoration stand +dem Mütterchen+ Moskau gut zu +ihrem+ alten Gesicht.
-Auch bei Goethe heißt es: dienen lerne beizeiten +das Weib+ nach
-+seiner+ Bestimmung, denn durch Dienen allein gelangt +sie+ endlich
-zum Herrschen. Je später das Fürwort auf das Hauptwort folgt, desto
-mehr schwächt sich die Kraft des grammatischen Geschlechts ab, und die
-Vorstellung des natürlichen Geschlechts verstärkt sich. Deshalb ist es
-auch abgeschmackt zu schreiben: die jüngere Tochter ist +ein Ausbund+
-von Anmut und Gescheitheit, um +den+ sich die tanzenden Herren förmlich
-reißen, wenn +er+ in der Gesellschaft erscheint. Namentlich in einer
-längeren Reihe von Sätzen hintereinander das grammatische Geschlecht
-solcher Wörter pedantisch festzuhalten, kann unerträglich werden.
-
-Die Frage, ob es heißen müsse: +Ihr Fräulein Tochter+ (+Schwester+,
-+Braut+) oder +Ihre Fräulein Tochter+, ist sehr leicht zu beantworten.
-Das besitzanzeigende Adjektivum gehört in diesen Verbindungen nicht zu
-+Fräulein+, sondern natürlich zu +Tochter+, +Schwester+, +Braut+, wozu
-+Fräulein+, gleichsam in Klammern, als bloßer Höflichkeitszusatz tritt
-(vgl. S. 15 die Herren Mitglieder). Es darf also nur heißen: +Ihre
-[Fräulein] Braut+ -- empfehlen Sie mich +Ihrer [Fräulein] Tochter+!
-
-Seitdem die Universitäten den Titel „Doktor“ (als ob er eine
-Versteinerung wäre, von der kein Femininum gebildet werden könnte!) an
-Damen verleihen, liest man auf Büchertiteln: ~Dr.~ +Hedwig Michaelson+.
-Setzt man davor noch +Fräulein+, so hat man glücklich drei Geschlechter
-nebeneinander: +Fräulein+ (sächlich) +Doktor+ (männlich) +Hedwig+
-(weiblich). Freilich ist dabei eigentlich nichts verwunderliches.
-Die Verschrobenheit der Sprache ist ja nur das Abbild von der
-Verschrobenheit der Sache. Vielleicht druckt man auch noch: Fräulein
-~Studiosus medicinae~ Klara Schulze.
-
-
-Mißhandelte Redensarten
-
-Für eine große Anzahl von Tätigkeitsbegriffen fehlt es im Deutschen
-an einem geeigneten Zeitwort; wir können sie nur durch Redensarten
-ausdrücken, die aus einem Zeitwort und einem Hauptwort bestehen.
-Oft ist aber auch ein geeignetes Zeitwort vorhanden, und doch
-geben viele, weil sie die Neigung haben, sich breit auszudrücken,
-einer umschreibenden Redensart den Vorzug. Solche Redensarten --
-unentbehrliche und entbehrliche -- sind z. B.: +Fühlung haben+,
-+Gebrauch machen+, +Klage führen+, +Rechenschaft ablegen+, +Kenntnis
-nehmen+, +Platz greifen+, +Wandel schaffen+, +Lärm schlagen+, +Dank
-wissen+, +in Kenntnis setzen+, +zur Verfügung stellen+ und hundert
-andre.
-
-Diese Redensarten haben nun meist etwas formelhaftes. Da sie einfache
-Verbalbegriffe ersetzen, so werden sie auch wie einfache Verba gefühlt.
-Daraus folgt aber mit Notwendigkeit zweierlei: erstens, daß sie in
-passivischen Sätzen und in Nebensätzen, wo das Zeitwort am Ende steht,
-nicht zerrissen werden dürfen; zweitens, daß sie, ebenso wie wirkliche
-Verba, nur mit Adverbien bekleidet werden können. Gegen beide Gesetze
-wird fort und fort verstoßen.
-
-Da schreibt man z. B.: er wurde +in Kenntnis+ von dem Geschehenen
-+gesetzt+. Falsch! Es muß heißen: er wurde von dem Geschehenen +in
-Kenntnis gesetzt+, denn die Redensart +in Kenntnis setzen+ vertritt
-ein einfaches Verbum und darf nicht zerrissen werden. Andre Beispiele
-solches gefühllosen Zerreißens sind: wenn eine der brennenden Fragen
-+in Beziehung+ zur technischen Hochschule +gesetzt wurde+ -- es ist
-nicht mehr als billig, daß wir +einen Begriff+ von Talenten wie
-Kjelland +erhalten+ -- weil die Regierung nicht +die Hand+ zu einer
-dauernden Spaltung in den Münchner Künstlerkreisen +bieten+ wollte
--- wenn auch dieser Realismus +die Brücke+ zwischen der Dichterin
-und der großen Menge +schlug+ -- wer sich +eine Vorstellung+ von der
-eigentümlichen Persönlichkeit Stiers +machen+ will. Der Fehler ist um
-so störender, als durch das Zerreißen der Redensart der Ton von dem
-Hauptwort auf das Zeitwort verlegt wird (die Hand bieten, anstatt: die
-Hand bieten -- die Brücke schlug, anstatt: die Brücke schlug), auf das
-Zeitwort, das meist ziemlich bedeutungslos und nur ein äußerliches
-Hilfsmittel zur Bildung der Redensart ist. Läßt man die Redensart
-zusammen, so bleibt auch der Ton an der richtigen Stelle.
-
-Die andre Art, solche Redensarten zu mißhandeln, besteht darin, daß man
-das Hauptwort herausreißt und mit einem Attribut bekleidet, anstatt
-die Redensart zusammenzulassen und sie als Ganzes mit einem Adverb
-oder einem adverbiellen Ausdruck zu bekleiden. Der häufigste Fall
-ist der, daß man zu dem Hauptwort ein Adjektiv setzt, z. B. es ist
-sehr zu befürchten, daß er dabei +ernstlichen Schaden nehmen werde+.
-+Schaden nehmen+ ist eine Redensart, die einen einfachen passiven
-Verbalbegriff vertritt (geschädigt werden, beschädigt werden). Man kann
-nicht +ernstlichen+, man kann nur +ernstlich+ Schaden nehmen, wie man
-nur +ernstlich+ geschädigt werden kann. Mit andern Worten: nicht der
-Schade ist ernstlich, sondern das Schadennehmen, der ganze Begriff. Der
-Minister +nahm+ von den Einrichtungen der Schule +eingehende Kenntnis+
--- derselbe Fehler! +Kenntnis nehmen+ ist eine Redensart, die einen
-einfachen aktiven oder passiven Verbalbegriff vertritt (kennen lernen,
-belehrt werden, unterrichtet werden). Man kann von einer Sache weder
-eingehende, noch gründliche, noch flüchtige, noch oberflächliche
-Kenntnis nehmen, man kann nur +eingehend+, +gründlich+, +flüchtig+,
-+oberflächlich+ Kenntnis nehmen. In folgenden Beispielen soll das
-Richtige immer gleich in Klammern hinzugesetzt werden: +bittere
-Klagen führen+ (+bitter+ Klage führen) -- +gebührende Notiz nehmen+
-(+gebührend+ Notiz nehmen) -- seiner Abneigung +unverhohlenen Ausdruck
-geben+ (+unverhohlen+ Ausdruck geben) -- wir werden sein Andenken
-stets +in hohen Ehren halten+ (+hoch+ in Ehren halten) -- sie +nahm+
-immer noch +einen merkwürdigen Anteil+ an dem Herrn (+merkwürdig+
-Anteil) -- der Rat wolle zu diesem Plane +wohlwollende Stellung nehmen+
-(+wohlwollend+ Stellung nehmen) -- es ist nicht leicht, zu dieser
-Frage +richtige Stellung+ zu nehmen (+richtig+ Stellung zu nehmen)
--- gegen das Rabattwesen wurde +scharfe Stellung genommen+ (+scharf+
-Stellung genommen) -- der König besuchte das Geschäft, um die Geschenke
-in +kritischen Augenschein zu nehmen+ (+kritisch+ in Augenschein
-zu nehmen) -- von seinen literarischen Arbeiten +legen+ die Briefe
-+ausgiebige+ Rechenschaft ab (+ausgiebig+) -- sie denken nicht daran,
-mit diesen Hirngespinsten +ernsthafte Politik zu treiben+ (+ernsthaft+
-Politik zu treiben) -- über meine Tätigkeit war +ein entstellender
-Bericht erstattet+ worden (+entstellend+ Bericht erstattet worden)
--- die ausgestellten Gegenstände +kommen+ nicht +zu rechter Geltung+
-(+recht+ zur Geltung) -- die Stimme des Unmuts im Lande soll nicht +zu
-weiterm Ausdruck+ (+weiter+ zum Ausdruck) kommen -- wir können diesen
-Gerüchten +keinen rechten Glauben schenken+ (+nicht recht+ Glauben
-schenken) -- allen gröbern Ausschreitungen muß +ein energisches Halt
-geboten werden+ (+energisch+ Halt geboten) -- die gegnerische Presse
-hat +gewaltigen Lärm geschlagen+ (+gewaltig+ Lärm geschlagen) -- das
-Gottesgnadentum hatte unter seinem Vater +trostlosen Schiffbruch
-gelitten+ (+trostlos+ Schiffbruch gelitten) -- hier wäre Grund
-vorhanden, +bessernde Hand anzulegen+ (+bessernd+ Hand anzulegen)
--- die Zeit +schafft+ oft unerwartet +schnellen Wandel+ (+schnell+
-Wandel) -- er +brachte+ die Angelegenheit +zum ausführlichen Vortrag+
-(+ausführlich+ zum Vortrag) -- ich erlaube mir, meinen schönen Garten
-mit Kolonnaden +in empfehlende Erinnerung zu bringen+ (+empfehlend+ in
-Erinnerung zu bringen).
-
-Ebensowenig wie Eigenschaftswörter dürfen natürlich Zahlwörter oder
-besitzanzeigende Adjektiva in solche Redensarten eingefügt werden. Da
-schreibt einer über die Tagespresse: man muß +zwischen ihren Zeilen
-lesen+. Unsinn! Man muß +bei ihr zwischen den Zeilen lesen+! Denn
-+zwischen den Zeilen lesen+ ist eine formelhafte, unveränderliche
-Redensart, die nur durch einen adverbiellen Zusatz (+bei ihr+) näher
-bestimmt werden kann. Ein andrer schreibt: der +erste Sturm+ sollte
-gegen das Großkapital +gelaufen+ werden. Doppelter Unsinn! Erstens weil
-der Sturm gezählt, zweitens weil die Redensart zerrissen ist. Es muß
-heißen: +zuerst+ sollte gegen das Großkapital +Sturm gelaufen werden+.
-Ebenso ist doppelt fehlerhaft: wir müssen +fleißigern Gebrauch+ von der
-Rute +machen+ (richtig: wir müssen +fleißiger+ von der Rute +Gebrauch
-machen+) -- die Zeit, wo der Fürst noch +unmittelbare Fühlung+ mit
-dem Volke +hatte+ (richtig: +unmittelbar+ mit dem Volke +Fühlung
-hatte+) -- +besonderen Dank+ wird der Leser dem Herausgeber für die
-kurzen Einleitungen +wissen+ (richtig: +besonders+ wird der Leser dem
-Herausgeber für die kurzen Einleitungen +Dank wissen+) -- +besondre
-Obacht+ mußte darauf +gegeben werden+, daß sich keiner der Buße
-entzog (richtig: +besonders+ mußte darauf +Obacht gegeben werden+) --
-von konservativer Seite wird +laute Klage+ über die antisemitischen
-Demagogen +geführt+ (richtig: wird +laut+ über die antisemitischen
-Demagogen +Klage geführt+).[130]
-
-Ein Attribut kann ja aber auch in der Form eines abhängigen Genitivs
-erscheinen; auch in dieser Form kommt der Fehler sehr oft vor. Da
-schreibt man: die Ärzte müssen die ganze Nacht +zur Verfügung der
-Wache stehen+ -- sämtliche Verhafteten wurden +zur Verfügung des+
-französischen +Botschafters+ gestellt -- wenn +sich+ die Kammer +zur
-Verfügung der+ größten +Schwindelei+ des Jahrhunderts stellt (muß
-heißen: der Wache +zur Verfügung stehen+ usw.) -- die Streitfragen,
-+die auf der Tagesordnung ihrer Wissenschaft stehen+ (muß heißen: +in
-ihrer Wissenschaft auf der Tagesordnung stehen+) -- es sollen ganz
-bestimmte Gegenstände +zur Beratung der Konferenz gestellt werden+
--- (muß heißen: +der Konferenz zur Beratung gestellt werden+) --
-die Dame, +in deren Mund+ die Erzählung +gelegt ist+ (muß heißen:
-der die Erzählung +in den Mund gelegt ist+). Auch in diesen Fällen
-wird überdies die Redensart zerrissen, in den meisten entsteht ein
-Gallizismus (~mettre à la disposition de quelqu’un~).
-
-Sowenig aber das Hauptwort einer solchen formelhaften Redensart mit
-einem Attribut bekleidet werden kann, so wenig kann es endlich mit
-einem Relativsatz behängt werden. Auch ein Relativsatz kann sich immer
-nur an den Gesamtbegriff der Redensart, aber nicht an den Bestandteil
-anschließen, den das Hauptwort bildet. Aber auch dieser Fehler, der
-große Unbeholfenheit verrät, ist etwas sehr gewöhnliches, wie folgende
-Beispiele zeigen: die Versuche +blieben nicht ohne Eindruck, der+ (!)
-aber durch die nachfolgenden Ereignisse bald wieder verwischt wurde --
-namentlich +waren+ die Schöpfungen der Pariser Architektur auf ihn +von
-Einfluß, der+ (!) bis zu seinen letzten Werken nachhaltend geblieben
-ist -- ein solches Unternehmen muß in Einzelheiten +Widerspruch
-hervorrufen+, +der+ (!) dann auch auf die Beratung des Ganzen Einfluß
-übt -- da +stand er+ nun in +Verlegenheit, an die+ (!) er gar nicht
-gedacht hatte -- auf seine Bitten erhielt er in dieser Sprache
-+Unterricht, den+ (!) er selbst so anziehend geschildert hat -- die
-Scheune +geriet in Brand, der+ (!) erst nach einer Stunde gelöscht
-wurde -- Vischer +redet sich+ alle Galle +vom Herzen, das+ (!) im
-deutschen Bruderkriege 1866 blutete.
-
-Etwas erträglicher wird der Fehler, wenn man das Hauptwort der
-Redensart mit einer Art von Anaphora wiederholt, z. B.: man hat den
-Eindruck, daß beide in dem Augenblick der Entscheidung +Friede gemacht
-haben, einen Frieden+, der auch dem unterliegenden Teile zugute kommt.
-Schwache Gemüter können hier zugleich rein äußerlich sehen, worauf es
-ankommt: in der Redensart erscheint das Hauptwort ohne Artikel, in der
-Anaphora mit Artikel; bezeichnend ist dabei der Unterschied, den der
-Schreibende (unwillkürlich?) zwischen der ältern und der jüngern Form
-+Friede+ und +Frieden+ gemacht hat. Oft berühren sich nämlich solche
-unveränderliche formelhafte Redensarten nahe mit andern Wendungen, die
-nichts formelhaftes haben, sondern im Augenblick gebildet sind und
-jeden Augenblick anders gebildet werden können. Die sind aber dann von
-formelhaften Wendungen leicht zu unterscheiden, äußerlich gewöhnlich
-schon dadurch, daß in der Formel das Hauptwort keinen Artikel hat. Eine
-zweifellos formelhafte Redensart ist: +zu Ohren kommen+. Daher wird
-niemand sagen: es ist +zu meinen Ohren gekommen+, oder es ist +zu Ohren
-des Ministers+ gekommen, sondern: es ist +mir zu Ohren gekommen+, es
-ist +dem Minister zu Ohren gekommen+. Zweifeln kann man dagegen, ob
-auch +zur Kenntnis kommen+ formelhaft sei. Der Vorgang kam +zu meiner
-Kenntnis+ oder +zur Kenntnis des großen Publikums+ dürfte ebensogut
-sein wie: er kam +mir zur Kenntnis+ oder +dem Publikum zur Kenntnis+.
-Die Grenze ist hier manchmal schwer zu ziehen; wer Sprachgefühl hat,
-wird meist ohne weiteres das Richtige treffen, wer keins hat, wird auch
-bei aller Belehrung danebentappen.
-
-Das Tollste ist es, das Hauptwort aus einer solchen Redensart
-herauszunehmen und in einem besondern Satze zu verwenden. Aber auch das
-geschieht. Da schreibt z. B. einer: rührend war der +Abschied+, der
-+genommen wurde+, ein andrer: wichtig war für meine spätern Neigungen
-+die Bekanntschaft+ mit den Zeitungen, die +ich+ schon in meinen
-Kinderjahren +machte+. Das soll heißen: rührend war es, als +Abschied
-genommen wurde+, wichtig war, +daß ich+ schon in meinen Kinderjahren
-mit den Zeitungen +Bekanntschaft machte+. Solche Sätze liegen schon
-dicht an dem Wege, der zu den bekannten Späßen Wippchens führt, wie:
-gebt mir +einen Haufen+, damit ich den Feind +darüberwerfen+ kann.
-
-
-Vertauschung des Hauptworts und des Fürworts -- ein schwieriger Fall
-
-Einen eigentümlichen Fehler, dem man sehr oft begegnet, zeigen in zwei
-verschiednen Spielarten folgende Beispiele (das Richtige soll wieder
-gleich in Klammern danebengesetzt werden): die Lage +Deutschlands+
-inmitten seiner wahrscheinlichen Gegner mache es +ihm+ zur Pflicht
-(+seine+ Lage macht es +Deutschland+ zur Pflicht) -- das Zartgefühl
-+des Fürsten+ erlaubte +ihm+ nicht die Annahme des Opfers (+sein+
-Zartgefühl erlaubte +dem Fürsten+ nicht) -- leider hat die enge
-Begabung +des Dichters ihm+ nicht ermöglicht (leider hat +seine+ enge
-Begabung +dem Dichter+) -- der Haß +des Berichterstatters+ gegen
-Textor hat +ihn+ zu Übertreibungen geführt (+sein+ Haß hat +den
-Berichterstatter+) -- die Krankheit des +Papstes+ hat +ihn+ zu einer
-andern Lebensweise veranlaßt (+seine+ Krankheit hat +den Papst+) --
-man hatte gleich nach dem ersten Auftreten +Raimunds ihn+ verdächtigt
-(man hatte gleich nach +seinem+ ersten Auftreten +Raimund+ verdächtigt)
--- es stellt sich dabei heraus, daß die eignen Kenntnisse +des
-Kritikers ihn+ zu diesen Angriffen nicht berechtigen (daß seine eignen
-Kenntnisse +den Kritiker+) -- die Romanschreiber, die im Vertrauen
-auf die Dummheit +der Gesellschaft dieser+ den Spiegel vorhalten
-(die +der Gesellschaft+ im Vertrauen auf +deren+ Dummheit) -- nach
-ältern Beschreibungen +des Kodex+ war +er+ früher in roten Sammet
-gebunden (nach ältern Beschreibungen war +der Kodex+) -- die Begleiter
-+des Kranken+ vermochten +ihn+ nicht zu überwältigen (die Begleiter
-vermochten +den Kranken+) -- zur Zeit der Ausweisung +des Ordens
-aus+ dem Deutschen +Reiche+ zählte er innerhalb +desselben+ sechzehn
-Niederlassungen (zweimal der Fehler in +einem+ Satze! es muß heißen:
-zur Zeit +seiner+ Ausweisung zählte der +Orden+ innerhalb des Deutschen
-+Reichs+ usw.) -- angesichts der Macht +dieser Gesetze dieselben+ (!)
-auf ihre Annehmbarkeit zu prüfen ist dem Gesetzgeber nicht eingefallen
-(angesichts +ihrer+ Macht +diese Gesetze+ zu prüfen) -- wie war es
-möglich, daß der Besitzer +dieses Schatzes denselben+ so geheim hielt
-(der Besitzer +diesen Schatz+) -- man wollte trotz der von den Gehilfen
-beschlossenen Kündigung +des Tarifs+ an +letzterm+ (!) festhalten
-(trotz der beschlossenen Kündigung an +dem Tarif+ festhalten) -- wir
-betrauern den Heimgang des liebenswürdigen Kollegen, der seit Gründung
-+der Ärztekammer derselben+ angehört (der +der Ärztekammer+ seit
-+ihrer Gründung+ angehört) -- wegen Reinigung +der großen Ratsstube+
-bleibt +dieselbe+ (!) nächsten Montag geschlossen (wegen Reinigung
-bleibt die +große Ratsstube+) -- wegen Neubaues der Schleuse +in der
-Zentralstraße+ bleibt +letztere+ (!) für den Fahrverkehr gesperrt
-(wegen Neubaus der Schleuse bleibt +die Zentralstraße+) -- sie heiratet
-darauf den Grafen Tr., +dessen+ Frau +ihm+ kurz vorher durchgegangen
-ist (+dem seine Frau+) -- der Bedauernswerte, +dessen+ Eltern +ihm+
-gestern einen Besuch zugedacht hatten (+dem seine+ Eltern) -- der
-Vorwurf trifft nur den, +dessen+ Männerstolz +ihm+ nicht gestattet
-(+dem sein+ Männerstolz) -- der Verfasser, +dessen+ Bescheidenheit
-+ihn+ bis in sein Greisenalter zögern ließ, seine Arbeit zu
-veröffentlichen (+den seine+ Bescheidenheit) -- Scharnhorst ist einer
-jener schicksalvollen Männer, +deren+ Genius +sie+ zu Dolmetschern
-eines ganzen Volkes gemacht hat (+die ihr+ Genius) -- es wird das auch
-von solchen bestätigt, +deren+ Auftrag +sie+ zu möglichst gründlicher
-Prüfung verpflichtet (+die ihr+ Auftrag) -- Menschen, +deren+
-Halbbildung +sie+ unempfänglich macht (+die ihre+ Halbbildung) -- die
-Italiener, +deren+ Freude an der farbigen Oberfläche der Dinge +sie+
-abhält, in den Chor der Naturalisten einzustimmen (+die ihre+ Freude).
-
-In allen diesen Sätzen ist ein Begriff doppelt da: das einemal in Form
-eines Hauptworts (in den zuletzt angeführten Relativsätzen in Form
-eines relativen Fürworts), das andremal in Form eines persönlichen
-Fürworts (wozu hier auch +derselbe+ und +letzterer+ gerechnet werden
-müssen). Der Fehler liegt nun darin, daß beide am falschen Platze
-stehen: sie müssen ihre Plätze wechseln, wenn der Satz richtig werden
-soll. Warum? Weil das Hauptwort in allen diesen Sätzen nur in einem
-Attribut (meist in einem abhängigen Genitiv) und damit gleichsam im
-Hintergrunde, im Schatten, das persönliche Fürwort dagegen als Subjekt
-oder Objekt im Vordergrunde, im vollen Lichte des Satzes steht. Gerade
-umgekehrt muß es sein: das Hauptwort gehört in den Vordergrund, der
-bloße Ersatz dafür, das Fürwort, in den Hintergrund. Nicht selten
-kann nach dem Platzwechsel das Fürwort ganz wegfallen. Wer lebendiges
-Sprachgefühl hat, bildet solche Sätze von selber richtig, ohne zu
-wissen, warum. Andern wird die Sache vielleicht auch durch diese
-Erklärung nicht deutlich geworden sein. Es ist wirklich ein etwas
-schwieriger Fall.
-
-
-Die fehlerhafte Zusammenziehung
-
-Ein Fehler, der die mannigfachsten Spielarten zeigt, obwohl er im
-Grunde immer derselbe ist, entsteht durch jene äußerliche Auffassung
-der Sprache, die nicht nach Sinn und Bedeutung, sondern nur nach dem
-Lautbilde der Wörter fragt. Kehrt dasselbe Lautbild wieder, so glaubt
-es der Papiermensch das zweitemal ohne weiteres unterdrücken zu dürfen,
-obwohl es dieses zweitemal vielleicht einen ganz andern Sinn hat als
-das erstemal. Eine Abart dieses Fehlers ist schon früher besprochen
-worden: die Vernachlässigung des Kasuswechsels beim Relativpronomen
-(S. 130). Hierher gehört es aber auch, wenn man einen Fügewortsatz
-oder Fragesatz zugleich als Objekt und als Subjekt verwendet, z. B.:
-daß der Verfasser ein Jurist ist, +kann man+ mit Händen greifen, +hält
-ihn+ jedoch nicht ab -- ob das Wort schon früher in Gebrauch war,
-+können wir+ nicht feststellen, +ist+ auch ohne Belang. Oder wenn man
-ein Zeitwort gleichzeitig als selbständiges Zeitwort (oder Kopula) und
-als Hilfszeitwort verwendet und schreibt: er +hatte sich+ aus kleinen
-Verhältnissen +emporgearbeitet+ und wirklich +das Zeug+ zu einem
-tüchtigen Künstler -- er +war+ vor kurzem erst ins Dorf +gezogen+ und
-ein +kleiner+, kugelrunder +Mann+ -- er +wurde+ später sächsischer
-+Minister+ und in den Freiherrnstand +erhoben+ -- jeden Morgen, wenn
-der Kaiser +rasiert+ und der +Kopf+ Habys am Fenster +sichtbar wird+ --
-oder gar: wenn ein Grenzstein +verrückt+ oder +unkenntlich geworden+
-ist (anstatt: +verrückt worden+ oder +unkenntlich geworden+) -- glauben
-Sie nicht, daß eine Errungenschaft darin liegen würde, wenn Frauen
-medizinisch +gebildet+ und +praktizieren würden+? (anstatt: +gebildet
-würden+ und +praktizierten+)[131]. Ferner wenn man ein persönliches
-Fürwort zugleich als Dativ und als Akkusativ verwendet, z. B.: +sich+
-stets betastend und die Hände reichend -- die Gelegenheit, +sich+
-kennen zu lernen, bzw. (!) näher zu treten -- kurz alle Fälle, wo ein
-Wort gleichzeitig in zwei verschiednen Auffassungen gebraucht wird,
-also auch z. B.: in Halle +ist+ er +gestorben+ und +begraben+ (wo
-das Perfektum das einemal einen Vorgang, das andremal einen Zustand
-bezeichnet) -- die Pferde stürzten so unglücklich, daß +die Deichsel
-brach+, das eine Pferd aber +den Oberschenkel+ -- er war darauf
-angewiesen, sein +Leben+, an das er große +Ansprüche machte+, durch
-erbitterten Kampf gegen die Konkurrenz zu +gewinnen+ (wo +Leben+ das
-einemal als +Lebensweise+, das andremal als +Lebensunterhalt+ gemeint
-ist).
-
-Eine der häufigsten, aber auch widerwärtigsten Spielarten dieses
-groben logischen Fehlers ist es, ein Femininum und einen Plural unter
-demselben Artikel, Fürwort oder Adjektivum zusammenzukoppeln (vgl.
-englisch: ~the life and times~) und zu schreiben: +die Höhe und Formen+
-des Gitters -- +die Umrahmung und Seitenflügel+ des Altarbildes -- +die
-Metalle und Spektralanalyse+ -- +die Verbreitung und Ursachen+ der
-Lungenschwindsucht -- +die Stellung und Ansprüche+ des Zentrums -- die
-Sicherung +der Post und Transporte+ -- die Analyse +der Gestalten und
-Kunst+ Shakespeares -- Handbuch +der Staatswissenschaften und Politik+
--- das Gebiet +der Mathematik und Naturwissenschaften+ -- die Angaben
-+der Bevölkerungsdichtigkeit und Temperaturverhältnisse+ -- +seine
-Reue und Gewissensbisse+ -- im Kreise +seiner Frau und drei Kinder+ --
-durch +ihre Taten und Hingebung+ -- eine Darstellung ihrer +Schicksale
-und Bauart+ -- die Bühne, die +keine Dekoration und Kulissen+ kannte
--- die Gegner +der deutschen Landwirtschaft und Getreidezölle+ -- zur
-Erforschung +vaterländischer Sprache und Altertümer+ -- trotz +der
-papistischen Gesinnung und Bestrebungen+ des Herzogs usw.[132]
-
-Aber auch da, wo Geschlecht und Numerus zweier Begriffe dieselben
-sind, ist es eine grobe Nachlässigkeit, sie unter einem Artikel
-unterzubringen und zu schreiben: die Zustimmung +des Bundesrats und
-Reichskanzlers+ -- der Direktor +der Bürger- oder Bezirksschule+
--- eine Sitzung +des Bau-, Ökonomie- und Finanzausschusses+ -- ein
-Ausflug +nach dem Süßen und Salzigen See+ -- +der Rote und Schwarze
-Kocher+ -- +das alte und neue Buchhändlerhaus+ -- +die katholische
-und evangelische Kirche+ -- +der Renaissance- und Barockstil+ -- +das
-sächsische und schlesische Gebirge+ -- +die religiöse und weltliche
-Poesie+ der Juden -- +die weiße und rote Rose+ -- +das Sol- und
-Seebad+ -- der Wert +der klassischen und modernen Sprachen+ -- die
-Knochen waren nicht die Überreste +eines Frauen- und Kinderskeletts+,
-sondern +eines Ferkel- und Kaninchengerippes+! Auch in diesen Fällen
-muß der Artikel unbedingt wiederholt werden; wird er nur +ein+mal
-gesetzt, so erweckt das die Vorstellung, als ob sichs nur um +einen+
-Begriff handelte. Niemand kann erraten, daß der +Bau-, Ökonomie- und
-Finanzausschuß+ drei verschiedne Ausschüsse sind. +Der König von
-Preußen und Kaiser von Deutschland+ -- das ist richtig, denn beides ist
-dieselbe Person; +das belgische und deutsche Herrscherpaar+ -- das ist
-falsch, denn das sind zwei verschiedene Paare.
-
-Die Nachlässigkeit wird um so störender, wenn durch das im Plural
-stehende Prädikat oder auf irgendeine andre Weise noch besonders
-deutlich fühlbar gemacht wird, daß es sich um mehrere Begriffe handelt,
-z. B.: der deutsche Handel war bedeutender als +der englische und
-amerikanische zusammen+ -- +der Nominativ und Vokativ sind+ eigentlich
-keine Kasus -- +die erste und letzte Strophe zerfallen+ in zwei Hälften
--- +der lyrische und epische Dichter bedürfen+ dieses Mittels nicht
--- 1830 +starben der Bruder und Vater+ -- westlich davon +stehen
-die Thomas- und Matthäikirche+ -- an der Nordseite +befinden sich
-der Dresdner, Magdeburger und Thüringer Bahnhof+ -- die Anlage,
-die +die Mit- und Nachwelt+ an Bismarck zu bewundern alle Ursache
-+haben+ -- +zwischen (!) dem+ 13. +und+ 15. Grade südlicher Breite
--- der Unterschied +zwischen (!) den staatlichen und kirchlichen+
-Einrichtungen -- wo ist die Grenze +zwischen (!) der Wahrheit+, die
-man mitteilen, und [+der+!], die man nicht mitteilen darf -- die
-deutsche Umgangssprache schwankt +zwischen dem Extrem barscher Kürze
-und bedientenhafter Redseligkeit+ -- das Zentrum möchte einen Keil
-treiben +zwischen den rechten und linken Flügel+ des Blocks. Wie kann
-etwas „zwischen“ einem Grade liegen, „zwischen“ einem Extrem schwanken,
-„zwischen“ einen Flügel getrieben werden?
-
-Bei mehr als zwei Gliedern kann die sorgfältige Wiederholung des
-Artikels freilich etwas schleppendes bekommen, und wo mehr aufgereiht
-als gegenübergestellt wird, da schreibe man getrost: mit +den Geruchs-,
-Geschmacks- und Gefühlsnerven+, die Gewohnheiten +des Fastens,
-Beichtens und Betens+, ein Schatz +des Wahren, Guten und Schönen+.
-Wo aber unterschieden und gegenübergestellt wird, da muß auch der
-Artikel wiederholt werden. Darum steht auch auf dem Titelblatte dieses
-Buches: Grammatik +des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen+,
-denn jeder dieser drei Begriffe bezeichnet eine andre Art von Fällen.
-Manche glauben genug zu tun, wenn sie den Artikel bei einem Wechsel
-des Geschlechts wiederholen, und schreiben: die Gelübde +der Armut,
-Keuschheit+ und +des Gehorsams+. Ganz irrig! Die Gleichmäßigkeit
-verlangt den Artikel bei jedem Gliede der Reihe.
-
-Kein grammatischer, aber ein grober Denkfehler liegt vor in
-Verbindungen wie: Lager von +Schneider- und Schuhartikeln+ -- Fabrik
-von +Bambus-, Luxus- und Rohrmöbeln+. Der Schneider kann nicht den
-Schuhen, Bambus oder Rohr nicht dem Luxus gegenübergestellt werden,
-denn Bambus und Rohr geben den Stoff an, Luxus den Zweck (oder die
-Zwecklosigkeit). Man könnte ebensogut +Kaffee-, Porzellan- und
-Teetassen+ verbinden.
-
-
-Tautologie und Pleonasmus
-
-Während die fehlerhafte Zusammenziehung aus einem irregeleiteten
-Streben nach Kürze entsteht, beruht ein andrer Fehler auf dem Streben
-nach Breite und Wortreichtum: der Fehler, einen Begriff doppelt oder
-gar dreifach auszudrücken. Man bezeichnet ihn mit Ausdrücken der
-griechischen Grammatik als Tautologie (Dasselbesagung) oder Pleonasmus
-(Überfluß).
-
-In den seltensten Fällen will man durch die Verdopplung etwa
-den Ausdruck verstärken,[133] gewöhnlich fällt man aus bloßer
-Gedankenlosigkeit hinein. Zu den üblichsten Tautologien gehören:
-+bereits schon+, ich +pflege gewöhnlich+, +einander gegenseitig+
-oder gar +sich einander gegenseitig+.[134] Aber es gibt ihrer von
-den verschiedensten Arten. Auch in Verbindungen wie: +schon gleich+
-(die Bedenken fangen schon gleich beim Lesen der ersten Seite an),
-+auch selbst+, +nach abwärts+, +nach dieser Richtung+ (statt: +nach+
-dieser +Seite+ oder +in+ dieser +Richtung+), +nach+ verschiednen
-+Richtungen+ (!), +unsre Gegenwart+ (statt: unsre +Zeit+ oder +die+
-Gegenwart), +unsre deutsche+ Jugend, +unser deutsches+ Vaterland,
-+mein mir übertragnes+ Amt, +rückvergüten+, +gemeinschaftliches
-Zusammenwirken+, etwas +näher bei Lichte+ besehen, nicht +ganz+ ohne
-+jede+ gute Regung, Personen beider+lei Geschlechts+ (statt +beider
-Geschlechter+), Hilfeleistungen +weiblicher Schwestern+, es +kann
-möglich sein+, +ich darf mit Recht+ beanspruchen, das Lob, das ihm +mit
-Recht gebührt+, man +muß+ von einem Geschichtschreiber +verlangen+,
-die +Forderung+ ist +unerläßlich+, er hat +Anspruch+ auf +gebührende+
-Beachtung, ehe das Einschreiten zur +zwingenden Notwendigkeit+ wird,
-die Innung +geht+ mehr und mehr dem +Rückgange entgegen+, die Übung der
-Denkkraft, die +angeblich+ durch die Mathematik erzielt werden +soll+
--- überall ist hier ein Begriff ganz unnötigerweise doppelt da. Es
-genügt, zu sagen entweder: +mein+ Amt oder: das +mir übertragne+ Amt,
-entweder: man kann von einem Geschichtschreiber +verlangen+, oder:
-ein Geschichtschreiber +muß+, entweder: die Übung, die +angeblich+
-erzielt +wird+, oder: die erzielt werden +soll+. In Leipzig werden
-immer noch Dinge +meistbietend versteigert+ -- das soll heißen: an den,
-der das Meiste bietet, was doch schon in dem Begriffe des Versteigerns
-liegt --, und dann natürlich gegen +sofortige Barzahlung+! Auch
-Zusammensetzungen wie +Rückerinnerung+, +vollfüllen+ und +loslösen+
-sind nichts als Pleonasmen; ebenso die beliebten Partizipzusätze,
-die zum Teil aus schlechtem lateinischem Unterricht stammen: auf
-+erhaltnen+ mündlichen Befehl -- nach +gehaltner+ Frühpredigt -- die
-+erfahrne+ unwürdige Behandlung -- ohne +vorhergehende+ Beschaffung
-geeigneter Verkehrsmittel -- nach einer +vorhergehenden+ Fermate --
-bis zur +getroffnen+ Entscheidung -- die +angestellte+ Untersuchung
-ergab -- meine Erörterung gründet sich auf +schon gemachte+ Erfahrungen
--- die Aussteller sind in der Reihe ihrer +erfolgten+ Anmeldung
-aufgeführt. Man streiche die Partizipia, und der Sinn bleibt derselbe,
-der Ausdruck aber wird knapper und sauberer (vgl. auch, was S. 167 über
-+stattgefunden+ und +stattgehabt+ gesagt ist).
-
-Der häufigste Pleonasmus aber und der, der nachgerade zu einer
-dauernden Geschwulst am Leibe unsrer Sprache zu werden droht und
-trotzdem allgemein als Schönheit, ja als eine Art von Bedürfnis
-empfunden zu werden scheint, ist der, nach den Begriffen der
-Möglichkeit und der Erlaubnis, der Notwendigkeit und der Absicht
-beim Infinitiv diese Begriffe durch die Hilfszeitwörter +können+,
-+dürfen+, +wollen+, +sollen+, +müssen+ zu wiederholen, also zu
-schreiben: niemand schien +geeigneter+ als Ranke, dieses Werk zur
-Vollendung bringen zu +können+ -- die +Leichtigkeit+, die gepriesensten
-Punkte Süditaliens erreichen zu +können+ -- die +Möglichkeit+, die
-Sozialdemokratie mit gleichen Waffen bekämpfen zu +können+ -- auf
-diese Weise ist es +möglich+, während des Umbaus den Verkehr aufrecht
-erhalten zu +können+ -- die +Fähigkeit+, über sich selbst lachen zu
-+können+ -- die +Mittel+, an Ort und Stelle mit Nachdruck auftreten
-zu +können+ -- es ist +Gelegenheit+ gegeben, auch am Polytechnikum
-Vorlesungen hören zu +können+ -- er hatte +genügendes+ Kapital, etwas
-ausführen zu +können+ -- die Finanzwirtschaft ist gar nicht +imstande+,
-das Kreditwesen des Staates entbehren zu +können+ -- ich +getraute+
-mir nicht, das Gespräch mit ihm aufrecht erhalten zu +können+ --
-wenn es mir +gelingen+ sollte, hierdurch meine Verehrung an den Tag
-legen zu +können+ -- es ist zu beklagen, daß so aufrichtige Naturen
-sich nicht anders zur Kirche stellen zu +können vermögen+ (!) --
-der Thronfolger kann von Glück sagen, wenn es ihm +erspart+ bleibt,
-seine Herrscherautorität +nicht+ erst durch die Schärfe des Schwerts
-erkämpfen zu +brauchen+[135] -- es sei mir +gestattet+, einen Irrtum
-berichtigen zu +dürfen+ -- der Biograph hat das schöne +Recht+,
-Enthusiast sein zu +dürfen+ -- eine Stellung, die ihm +erlaubte+,
-ohne Frage nach dem augenblicklichen Erfolg produzieren zu +dürfen+
--- einer Deputation war es +vergönnt+, Glückwünsche darbringen zu
-+dürfen+ -- die +Freiheit+, seiner innern Eingebung folgen zu +dürfen+
--- der +Anspruch+, Universalgeschichte sein zu +wollen+ -- er sprach
-seine +Bereitwilligkeit+ aus, auf diesem Wege vorgehen zu +wollen+ --
-die +Absicht+, blenden oder über ihre Verhältnisse leben zu +wollen+
--- er hat +versprochen+, in den ruhmreichen Bahnen seines Großvaters
-fortwandeln zu +wollen+ -- die +Aufgabe+, die Akademie reformieren zu
-+sollen+ -- es gehört zu den schönsten +Aufgaben+, das Leben eines
-Zeitgenossen beschreiben zu +wollen+ (!) -- die +Zumutung+, Gott ohne
-Bilder anbeten zu +sollen+ -- ein Volk, das sich dazu +erwählt+ glaubt,
-große Dinge erfüllen zu +müssen+ -- die Verhältnisse +zwangen+ den
-König, auf die Führung seines Heeres verzichten zu +müssen+.
-
-Statt in Nebensätzen die Hilfszeitwörter +sein+ und +haben+
-wegzulassen, wo sie oft ganz unentbehrlich sind (vgl. S. 137), bekämpfe
-man lieber diese abscheuliche Gewohnheit; die unnützen +können+,
-+dürfen+, +wollen+, +sollen+ und +müssen+ sind wirklich wie garstige
-Rattenschwänze.[136]
-
-
-Die Bildervermengung
-
-Bei dem Worte Bildervermengung denkt wohl jeder an Wendungen wie:
-das ist wie ein +Tropfen+ auf einen +hohlen Stein+, oder: er wurde
-an den +Rand des Bettelstabes+ gebracht, oder: der +Zahn der Zeit+,
-der schon so manche +Träne getrocknet+ hat, wird auch über dieser
-+Wunde Gras wachsen+ lassen -- und meint, dergleichen werde wohl
-beim Unterricht als abschreckendes Beispiel vorgeführt, komme aber
-in Wirklichkeit nicht vor. Zeitungen und Bücher leisten aber fast
-täglich ähnliches; gilt es doch für geistreich, möglichst viel in
-Bildern zu schreiben! Oder wäre es nicht ebenso lächerlich, wenn
-von einer Nachricht gesagt wird, daß sie wie ein +Donnerschlag+ ins
-+Pulverfaß+ gewirkt habe, wenn in einem Aufsatz über das Theater von
-+gaumenkitzelnden Trikotanzügen+ gesprochen wird, oder wenn es in einem
-Börsenberichte heißt: der +Verkehr wickelte sich+ in +ruhigem Tone+
-ab, in dem Bericht über eine Kunstausstellung: was bei den Russen zum
-+Zerrbilde+ des Fanatismus geworden ist, leuchtet bei den Spaniern als
-+Flamme+ der Begeisterung, oder wenn gar geschrieben wird: wo finden
-wir einen +roten Faden+, der uns aus diesem +Labyrinth+ hinausführt?
--- das politische +Knochengerüst+, über dessen +Nacktheit+ durch eine
-schöne +Verbrämung+ hinweggetäuscht werden soll -- der Zauber seiner
-Persönlichkeit teilt sich dem Leser in einem +bestrickenden Fluidum+
-mit -- unsre Universitäten sind wie +rohe Eier+: sobald man sie
-antastet, +stellen sie sich auf die Hinterbeine+ -- der bureaukratische
-Staat +schert+ (!) alles +über einen Leisten+ -- +pilzartig+ schossen
-die Lust-, Schau- und Trauerspiele seiner Feder +ins Kraut+ -- alle
-diese Mitteilungen +schweben in der Luft+, aus der sie +geschnappt+
-sind (in der Luft schweben, aus der Luft greifen, nach Luft schnappen
--- drei Bilder vermengt!) -- das ist eins jener +Kolumbuseier+, deren
-der Genius Shakespeares verschiedne +ausgebrütet+ hat -- das sind
-vom nationalökonomischen +Gesichtswinkel+ aus in +kargem Gerippe+
-die geistreich variierten +Grundzüge+ seiner Lehre -- die Millionen
-+fliegen zum Fenster hinaus+ und leeren das +Reichsfaß+ bis zum
-Boden -- natürlich muß das +Pflaster+ auf die verschiednen +kalten
-Wasserstrahlen+ gegen ihre Eitelkeit ein wenig +gekitzelt+ werden --
-dieses +Schreckgespenst+ ist schon +so abgedroschen+, daß nur noch
-ein politisches +Wickelkind+ darauf +herumreiten+ kann -- um ihrem
-geschwächten Parteimagen +neue Nahrung+ zuzuführen, +angeln+ sie in dem
-Wasser des Bauernbundes nach +faulen Fischen+ -- die lauteste +Trommel+
-bei dieser Hetze +blasen+ natürlich die Geistlichen -- wenn man den
-Herren einen +Floh+ ins Ohr setzt, wird sofort ein +Elefant+ daraus
-gemacht und dann auch noch öffentlich +breitgetreten+.[137]
-
-Dergleichen erregt ja nun die Heiterkeit auch des gedankenlosesten
-Lesers. Ein Berliner Schriftsteller hat sich sogar (unter dem Namen
-Wippchen) jahrelang planmäßig dem Anbau dieses Sprachunkrauts gewidmet
-und großen Erfolg damit gehabt. Es gibt aber auch zahlreiche
-Bildervermengungen, die genau so schlimm sind, und die doch von
-Tausenden von Lesern, auch von denkenden, gar nicht bemerkt werden,
-weil sie nicht so zutage liegen, sondern etwas verschleiert sind.
-Unsre Sprache ist überreich an bildlichen Ausdrücken, über deren
-ursprüngliche Bedeutung man sich oft gar keine Rechenschaft mehr gibt.
-Schon wenn jemand schreibt: die Sache machte keinen +durchschlagenden
-Eindruck+ -- so lesen sicher unzählige darüber weg, denn +Eindruck
-machen+ und ein +durchschlagender Erfolg+ sind so abgebrauchte
-Bilder, daß man sich ihres ursprünglichen Sinnes kaum noch bewußt
-ist. Und doch liegt hier eine lächerliche Bildervermengung vor, denn
-einen +Eindruck machen+ und +durchschlagen+ schließen einander aus;
-wenn man das Kalbfell einer Pauke durchschlägt, so ist es mit dem
-Eindruckmachen vorbei. Ebenso ist es, wenn ein Kritiker von Leistungen
-eines Schriftstellers redet, die nicht den vollen +Umfang+ seiner
-Fähigkeiten +erschöpfen+, denn beim Umfang denkt man an ein Längenmaß,
-schöpfen kann man aber nur mit einem Hohlmaß. In solchen mehr oder
-weniger verschleierten Bildervermengungen wird sehr viel gesündigt. Man
-schreibt: die kleinen Staaten werden von der +Wucht+ ganz Deutschlands
-+getragen+ -- er hatte sich in eine solche Schulden+last gestürzt+ --
-diese Maßregel ist von sehr ungünstigem +Einfluß begleitet+ gewesen
--- als die auf die Hebung der Hundezucht abzielende +Bewegung+
-feste +Wurzeln geschlagen+ hatte -- bis sie ihm die +Unterlage+ für
-Börsenspekulationen +eröffnet+ hatten -- wer nicht +mit der Herde
-läuft+, muß sich hüten, daß er nicht +scheitere+ usw.[138]
-
-
-Vermengung zweier Konstruktionen
-
-Wie zwei verschiedne Bilder, so werden oft auch zwei verschiedne
-Konstruktionen miteinander vermengt. Da wird z. B. die erste Person
-mit der dritten vermengt und geschrieben: die Verlobung +unsrer+
-Tochter (statt: +ihrer+ Tochter!) beehren sich anzuzeigen -- um
-Rückgabe der von +mir+ (statt: von +ihm+!) entliehenen Biergläser
-bittet -- +meiner+ Mutter (statt: +ihrer+ Mutter!) gewidmet von der
-Verfasserin. Oder es wird an +hoffen+ ein Nebensatz angeschlossen,
-als ob +wünschen+ vorherginge: ich +hoffe+ sehr, daß ich das nie
-wieder erleben +möge+ (+erlebe+!) -- wir +hoffen+, daß dergleichen
-nicht wieder vorkommen +möge+ (+werde+!) -- ich übergebe diese Arbeit
-der Öffentlichkeit in der +Hoffnung+, daß sie dazu beitragen +möge+
-(beitragen +werde+!) -- er +hoffe+, daß andre Forscher glücklicher
-operieren +möchten+ (+würden+!). Es wird +weil+ geschrieben, wo
-es +daß+ heißen muß: er hat seinen Namen +davon, weil+ er -- die
-fürstliche Ehe war dem Volke besonders +dadurch+ teuer, +weil+ ihr
-eine reiche Zahl von Prinzen entsprossen war; dagegen +daß+, wo es
-+als+ heißen muß: Thomsen ist nur +insofern+ original, +daß+ er
-die Grundrente als unrechtmäßige Abzahlung betrachtet -- meinem
-Arbeitsfelde liegen diese Untersuchungen nur +insofern+ nahe, +daß+
-ich daraus belehrt worden bin usw. Oder es wird geschrieben: da
-manche Erörterung die Untersuchung +eher+ erschwert, +statt+ sie zu
-vereinfachen -- wo entweder das +eher+ wegfallen, oder fortgefahren
-werden muß: +als daß+ sie sie vereinfachte.
-
-Sehr häufig ist der Fehler, daß man auf das Adverbium +so+ einen
-Infinitiv mit +um zu+ folgen läßt statt eines Folgesatzes mit +daß+,
-z. B.: Aristoteles sagt, daß eine Stadt +so+ gebaut sein müsse, +um+
-die Menschen zugleich sicher und glücklich +zu+ machen -- behauptet
-jemand, daß der Zucker +so+ belastet sei, +um+ weitere Lasten nicht
-+zu+ ertragen -- er hatte gerade noch +so+ viel Zeit, +um+ sich in
-das Dickicht +zu+ schleichen -- die Verhältnisse haben sich +so+ weit
-geordnet, +um+ der Nation eine andre Haltung +zu+ ermöglichen -- dieses
-Licht läßt uns gerade +so+ viel sehen, +um+ dem Ewigen und Rätselhaften
-seine Launen ab+zu+lauschen -- wenn man nur +so+ viel Freiheit des
-Geistes hat, +um+ sich über die Macht der Gewohnheit empor+zu+schwingen
--- die Realien waren noch nicht +so+ weit in sich gefestigt, +um+
-als Bildungsmittel Verwendung +zu+ finden -- wir müssen das
-Reinlichkeitsbedürfnis in uns +so+ entwickeln, +um+ schmutzige
-Literatur fern+zu+halten -- +so+ einfach sind denn doch diese Fragen
-nicht, +um+ sie spielend mit einem Worte +zu+ erledigen -- die Herren
-sind nicht +so+ dumm, +um+ auf diesen Leim +zu+ gehen. In einigen der
-angeführten Beispiele mag wohl das Bestreben, nicht zwei Nebensätze
-hintereinander -- einen Objektsatz und einen Folgesatz -- mit +daß+
-anzufangen (für manche Leute ein entsetzlicher Gedanke!), zu dem Fehler
-verleitet haben. Dem läßt sich aber doch leicht dadurch aus dem Wege
-gehen, daß man den Objektsatz ohne +daß+ bildet: behauptet jemand, der
-Zucker sei +so+ belastet, +daß+ er usw.
-
-
-Falsche Wortstellung
-
-Ein völlig vernachlässigtes Kapitel der deutschen Grammatik ist die
-Lehre von der Wortstellung. Die meisten haben kaum eine Ahnung davon,
-daß es Gesetze für die Wortstellung in unsrer Sprache gibt. Gewöhnlich
-besteht die gesamte Weisheit, die dem Schüler oder dem Ausländer,
-der Deutsch lernen möchte, eingeflößt wird, in der Regel, daß in
-Nebensätzen das Zeitwort am Ende, in Hauptsätzen in der Mitte zu stehen
-pflege; im übrigen, meint man, herrsche in unsrer Wortstellung die
-„größte Freiheit“.
-
-Ein Glück, daß das natürliche Sprachgefühl noch immer so lebendig ist,
-daß die Gesetze der Wortstellung, wie sie sich teils aus dem Sinne,
-teils aus rhythmischem Bedürfnis, teils aus der Art der Darstellung
-(schlichte Prosa, Dichtersprache oder Rednersprache) ergeben, trotz
-der angeblichen „Freiheit“ im allgemeinen richtig beobachtet werden.
-Dennoch gibt es auch eine Reihe von argen Verstößen dagegen, die sehr
-verbreitet und beliebt sind. Auf Abgeschmacktheiten, wie die des
-niedrigen Geschäftsstils, bei Preisangaben von +Mark 50+ zu reden,
-statt, wie jeder vernünftige Mensch sagt, von +50 Mark+, oder auf
-Briefadressen zu schreiben, wie man es neuerdings, natürlich wieder
-die Engländer nachäffend, tut: +20 Königsstraße Leipzig+, statt,
-wie jeder vernünftige Mensch sagt: +Leipzig, Königsstraße 20+, soll
-dabei gar nicht geachtet werden; ebensowenig auf die Ziererei
-mancher Schriftsteller, in schlichter Prosa einen Genitiv immer vor
-das Hauptwort zu stellen, von dem er abhängt.[139] Auch der häßliche
-Latinismus, den manche so lieben: +Goethe, nachdem er+ (vgl. ~Caesar,
-cum~), soll nur beiläufig erwähnt werden. Ein Nebensatz, der mit einem
-Fügewort anfängt, und ein Infinitivsatz können in einen Hauptsatz nur
-dann eingeschoben werden, wenn das Zeitwort des Hauptsatzes bereits
-ausgesprochen ist. Eine Wortstellung wie in dem Fibelverse: +die Gans,
-wenn sie+ gebraten ist, wird mit der Gabel angespießt, oder: +dem
-Hunde, wenn+ er gut gezogen, ist auch ein weiser Mann gewogen -- ist
-wohl dem Dichter erlaubt, aber in Prosa sind Satzgefüge wie folgende
-undeutsch: +die Pflanzen, um zu gedeihen+, bedürfen des wärmenden
-Sonnenlichts -- die +katholische Kirche, wie sie+ sich gern der
-Siebenzahl freut, zählt auch sieben Werke der Barmherzigkeit -- alle
-+andern Parteien, wenn sie+ im übrigen noch so bedenkliche Grundsätze
-haben, erkennen doch den Staat als notwendig an -- der +Verband der
-Sattler, obwohl+ er erst ein Jahr besteht, umfaßt bereits 37 Vereine.
-Entweder muß es heißen: der Verband der Sattler +umfaßt, obwohl er+ --
-oder der Nebensatz muß mit dem Hauptworte vorangestellt werden: +obwohl
-der Verband+ der Sattler usw., +so umfaßt er doch+. Auch der Fehler,
-der in Satzgefügen wie folgenden liegt: um die Reisekosten, die er
-auf andre Weise nicht beschaffen konnte, +aufzutreiben+ -- auf einem
-der schönsten Plätze der Welt, der zugleich ein Hauptkreuzungspunkt
-städtischen und vorstädtischen Verkehrs ist, +gelegen+ -- M. ist nun
-auch unter die Novellisten, wohl mehr der Mode folgend als dem innern
-Drange, +gegangen+ -- mir liegt das Stammbuch eines Holsteiners, der
-um 1750 in Helmstedt studierte, +vor+ -- sieht man von der kurzen
-Würdigung, die Waldberg 1889 in der Allgemeinen Deutschen Biographie
-gegeben hat, +ab+ -- am Neumarkte rissen gestern zwei vor einen
-Korbwagen gespannte Pferde eine Frau, die auf der Straße stand und sich
-mit einer andern Frau unterhielt, +um+ -- der Redner brach, da die Zeit
-inzwischen längst die zulässige Frist von zehn Minuten überschritten
-hatte und noch ein andrer Redner zu Worte kommen wollte, auf die
-Aufforderung des Vorsitzenden, mit der Bemerkung, daß er noch viel zu
-sagen habe, +ab+ -- auch dieser Fehler soll hier nur gestreift werden.
-Die Fälle brauchen nicht immer so lächerlich zu sein wie der letzte;
-ein eingeschobnes Satzglied muß zusammen mit dem Gliede, in das es
-eingeschoben wird, immer folgende Gestalt ergeben, wenn die Verbindung
-angenehm wirken soll:
-
- [--------[--------]--------]
-
-Sehen sie zusammen so aus:
-
- [--------------[--------]--]
-
-so ist der Bau verfehlt, und es ist dann besser, die Einschiebung
-lieber ganz zu unterlassen, die Glieder so zu ordnen:
-
- [------------] [------------]
-
-und zu schreiben: M. ist nun auch unter die Novellisten gegangen, wohl
-mehr der Mode folgend als dem innern Drange.
-
-
-Die alte gute Zeit oder die gute alte Zeit?
-
-Ein Verstoß gegen die Gesetze der Wortstellung, der sehr oft
-vorkommt und nicht gerade von scharfem Denken zeugt, ist der, daß
-zwei Adjektiva (oder ein Adjektiv und ein Partizip oder Zahlwort) in
-verkehrter Reihenfolge zu einem Substantiv gesetzt werden, z. B.: ein
-+sächsischer junger+ Leutnant -- die +ausländische gesamte+ Medizin
--- +westfälische mittelalterliche+ Volkslieder -- man schöpfte mit
-+hölzernen großen+ Kannen -- wenn die Sonne schien, wurden die
-+seidnen verblaßten+ Vorhänge zugezogen -- da wollte auf dem Boden
-des Handwerks nicht einmal mehr das +tägliche kärgliche+ Brot wachsen
--- die Turnübungen finden in der +städtischen geräumigen+ Turnhalle
-statt -- die Bestrebungen, den Arbeiterfamilien +eigne behagliche+
-Wohnungen zu schaffen -- die Bildung +künftiger maßgebender+
-Staatsbeamten -- in Zeiten +wirtschaftlicher+ schroff aufeinander
-+stoßender+ Gegensätze -- eine +chronische+ mit Geduld +ertragne+
-Krankheit -- ein +sittlicher angeborner+ Defekt usw. In allen diesen
-Fällen ist das Eigenschaftswort, das unmittelbar vor dem Hauptworte
-stehen müßte, weil es mit diesem zusammen +einen+ Begriff bildet, durch
-ein zweites Eigenschaftswort, das dem Schreibenden nachträglich noch
-eingefallen ist, von dem Hauptworte getrennt; soll die Darstellung
-logisch richtig werden, so müssen die beiden Eigenschaftswörter überall
-ihre Plätze wechseln. Das ärgste dieser Art ist die +alte gute Zeit+,
-der +alte gute Taler+, wie man jetzt auch zu schreiben anfängt. Die
-+alte Zeit+ ist +ein+ Begriff (die Vergangenheit); tritt zu diesem
-Begriff das Eigenschaftswort +gut+, so darf er nicht zerrissen werden,
-sondern es muß heißen: die +gute alte Zeit+. Man muß sich also immer
-klarmachen, welches von den beiden Adjektiven das wesentliche ist;
-dies gehört dann unmittelbar vor das Hauptwort. Bezeichnet eins der
-beiden Adjektiva einen Stoff (+hölzern+, +seiden+) oder die Herkunft
-(+sächsisch+, +ausländisch+, +westfälisch+), so gehört dieses in der
-Regel unmittelbar vor das Hauptwort: +mit großen hölzernen+ Kannen,
-ein +junger sächsischer Leutnant+. Natürlich ist es auch möglich, daß
-das andre Adjektiv mit dem Substantiv zusammen einen Begriff bildet
-oder wenigstens -- bilden soll; dann muß die Ortsbezeichnung von dem
-Hauptwort entfernt werden, z. B.: +Leipziger elektrische+ Straßenbahn
--- +Münchner neueste+ Nachrichten -- +englische historische+ Romane
--- die +sächsische zweite+ Kammer -- die +Straßburger katholische+
-Fakultät -- seine +Nürnberger gelehrten+ Freunde usw. Sage ich: der
-+höchste Leipziger+ Turm, so stelle ich mir alle Leipziger Türme vor
-und greife dann den höchsten heraus; bei den +Leipziger neuesten+
-Nachrichten dagegen soll ich mir alle Zeitungen vorstellen, die Neueste
-Nachrichten heißen, und soll dann die Leipziger herausgreifen. So ist
-auch der +letzte schwere+ Tag der letzte einer Reihe von schweren
-Tagen, z. B. einer Examenwoche, dagegen der +schwere letzte+ Tag der
-Todestag.
-
-Grundfalsch ist also auch, was man fast in allen antiquarischen
-Bücherverzeichnissen lesen muß: +erste seltne+ Ausgabe. Es klingt das,
-als ob es von dem Buche mehrere seltne Ausgaben gäbe, und die jetzt
-verkäufliche die erste davon wäre. Die Antiquare wollen aber sagen,
-es sei überhaupt die erste Ausgabe, die Originalausgabe, die ~editio
-princeps~, und diese sei selten. Das kann nur heißen: +seltne erste
-Ausgabe+. Anders verhält sichs mit der +zweiten, verbesserten+ Ausgabe.
-Hier ist +verbessert+ ein nachträglicher Zusatz, wie schon das Komma
-zeigt, das hier nicht fehlen darf, aber auf Büchertiteln leider sehr
-oft fehlt; der Sinn ist: +zweite+, (und zwar) +verbesserte+ Auflage.
-Läßt man das Komma weg, so erweckt das die Vorstellung, als ob schon
-eine +erste verbesserte+ Auflage vorhergegangen, die vorliegende also
-im ganzen die dritte wäre. Manchem wird das als unnötige Diftelei
-erscheinen, es handelt sich aber um einen ganz groben, handgreiflichen
-Unterschied.
-
-
-Höhenkurort für Nervenschwache ersten Ranges
-
-Mit großer Schnelligkeit, bazillusartig, wie immer, hat sich seit
-einiger Zeit ein Fehler in der Wortstellung verbreitet, der noch
-vor fünfzig Jahren ganz undenkbar gewesen wäre, der Fehler, der in
-Verbindungen liegt, wie den folgenden: +der Direktor Hittenkofer des
-Technikums zu Strelitz+ -- +das Töchterchen Alice des Herrn Hofhotelier
-Baumann+ -- +die Sektion Sterzing des österreichischen Touristenklubs+.
-Hier sind zwei Konstruktionen in- und durcheinandergeschoben. Richtig
-ist es, zu sagen: +der Direktor Hittenkofer+; hier ist der Name
-+Hittenkofer+ das Hauptwort, und +der Direktor+ eine Apposition dazu.
-Richtig ist es auch, zu sagen: +der Direktor des Technikums+; hier
-ist +der Direktor+ das Hauptwort, und +des Technikums+ ein Attribut
-dazu. Aber falsch ist es, beide Konstruktionen so miteinander zu
-verbinden, wie es in den angeführten Beispielen geschehen ist; denn
-dann ist +Hittenkofer+ das Hauptwort zu der Apposition +der Direktor+,
-und gleichzeitig der +Direktor+ das Hauptwort zu dem Attribut +des
-Technikums+. Will man beide Konstruktionen verbinden, so kann es
-nur heißen: +der Direktor des Technikums zu Strelitz Hittenkofer+.
-Dann ist +Hittenkofer+ das Hauptwort, +der Direktor+ die Apposition
-dazu, und +des Technikums+ das Attribut zur Apposition. Wer ein wenig
-Sprachgefühl hat, für den wird es dieser langen Auseinandersetzung
-gar nicht bedurft haben. Man denke sich, daß jemand sagen wollte:
-+die Ballade Erlkönig Goethes+ -- +der Doktor Meurer der Medizin+
--- +der Minister von Dallwitz des Innern+ -- +der Begründer Ritter
-der wissenschaftlichen Erdkunde+ -- +das Mitglied Eugen Richter des
-Reichstags+ -- jeder würde das für lächerlich und ganz unmöglich
-halten, und doch wären das ganz ähnliche Verbindungen.[140]
-
-Wer sich den logischen Verstoß, der in solchen Ineinanderschiebungen
-liegt, nicht klarmachen kann, der müßte doch wenigstens stutzig werden,
-wenn er den abhängigen Genitiv, der sonst immer unmittelbar auf das
-Wort folgt, von dem er abhängt, hier durch ein dazwischengeschobnes
-Wort davon getrennt sieht! Es wird aber niemand stutzig; man schreibt
-ruhig: +der Redakteur+ Küchling des Leipziger +Tageblatts+, +der
-Direktorialassistent+ Prof. Vogel des städtischen +Museums+, der
-+Sekondeleutnant+ von Guttenberg +des Infanterieleibregiments+,
-+der Prokurist+ Hermann Becker +der Firma+ Schimmel und Ko., +der
-Insasse+ Körner +des+ hiesigen +Arbeitshauses+, +der Mönch+ Bernardus
-+des Klosters+ St. Stephan, +der Roman+anfang „Waldrauschen“ der
-+Gartenlaube+, +das Segelboot+ Undine +des Prinzen+ Demidoff, +der
-Passagierdampfer+ Großer Kurfürst +des Norddeutschen Lloyd+, +das
-Pferd+ Lippspringe +des Freiherrn+ von Reitzenstein, +die Komödie+
-Hans Pfriem +des Martin Hayneccius+, +die Marmorbüste+ Die Verdammnis
-+des+ kurfürstl. sächs. +Hofbildhauers+ Permoser, +der Bezirksverband+
-Sachsen +des deutschen Schmiedeverbandes+, +die Ortsgruppe+ Zeitz
-+des+ Allgemeinen deutschen +Schulvereins+, +der Zweigverein+
-Berlin-Charlottenburg +des+ Allgemeinen deutschen +Sprachvereins+
-(!), +die Haltestelle+ Zwischenbrücken +der+ Plagwitzer +Eisenbahn+,
-+die Strecke+ Faido-Lavorgo +der Gotthardbahn+ und (das Neueste!):
-+die Königin+ Wilhelmine +der Niederlande+, +der Prinz+ Heinrich +der
-Niederlande+ und +die Königin-Mutter+ Emma +der Niederlande+. Und
-die angeführten Beispiele zeigen, daß der Fehler keineswegs bloß in
-Zeitungen grassiert, sondern auch in wissenschaftlichen Werken spukt.
-
-Unleugbar hat der Fehler etwas bequemes, und das Bestreben, ihn
-zu vermeiden, manchmal etwas unbequemes. Aber wird er dadurch
-erträglicher? Wem es nicht gefällt, zu sagen: +die Ortsgruppe des
-Allgemeinen deutschen Schulvereins Zeitz+ (natürlich ist das häßlich,
-aber doch nicht wegen der Wortstellung, sondern weil einer „Ortsgruppe“
-frischweg ein Städtename beigelegt wird), der sage doch: +die Zeitzer
-Ortsgruppe+ des Allgemeinen deutschen Schulvereins. Das ist deutsch.
-
-Streng genommen ist es natürlich auch falsch, zu sagen: +der
-Wetterbericht+ Nr. 200 +des Meteorologischen Instituts+. Hier drängt
-sich +Nr. 200+ eben so störend zwischen die beiden untrennbaren Glieder
-wie in den vorher angeführten Beispielen die Eigennamen; deutsch wäre:
-+der 200. Wetterbericht des Meteorologischen Instituts+. Ganz falsch
-ist: eine +Stiftung+ von 7000 Mark +des Landgerichtsrat+ N. -- eine
-+Handschrift+ von 240 Blatt +der Münchner Hof- und Staatsbibliothek+
--- +die Abteilung+ für Kriegsgeschichte +des Großen Generalstabs+ --
-+die Adreßbücher+ für 1906 +der Städte Berlin, Bremen und Breslau+ --
-+der Oberarzt+ für Hautkrankheiten +des städtischen Krankenhauses+ --
-+Höhenkurort+ für Nervenschwache +ersten Ranges+ -- +Friseurgeschäft+
-für Herren und Damen +ersten Ranges+ -- +der Entwurf+ zu einem Brunnen
-+des Herrn Werner Stein+ -- +das Promemoria+ an die kurfürstliche
-Bücherkommission +des Professors Ernesti+ -- +der Mangel+ an
-Selbstbewußtsein und Selbständigkeit +der deutschen Mädchen+ -- eine
-öffentliche +Vorlesung+ gegen Entree +der+ am beifälligsten begrüßten
-+Produktionen+ -- ein großes +Konzert+ mit darauffolgendem Ball +der+
-ganzen +Kapelle+ des Füsilierregiments Nr. 36 usw. Auch hier sind
-überall zwei Konstruktionen, und zwar beidemal ein Hauptwort mit
-Attribut (z. B. +der Oberarzt des städtischen Krankenhauses+ und der
-+Oberarzt für Hautkrankheiten+), in unerträglicher Weise ineinander
-geschoben, unerträglich deshalb, weil dadurch der Genitiv von dem
-Worte weggerissen ist, zu dem er gehört. Freilich läßt sich auch in
-solchen Fällen nicht immer durch bloße Umstellung helfen. Schreibt man:
-+der Oberarzt des städtischen Krankenhauses für Hautkrankheiten+, so
-ist zwar die unsinnige Verbindung: +Hautkrankheiten des städtischen
-Krankenhauses+ beseitigt; aber dafür wird nun das Mißverständnis
-möglich, daß es ein besondres Krankenhaus für Hautkrankheiten gebe. In
-solchen Fällen bleibt nichts übrig, als ein Partizip zu Hilfe zu nehmen
-und zu schreiben: der an dem städtischen Krankenhaus +angestellte+
-Oberarzt für Hautkrankheiten. Solche Partizipia werden so oft ganz
-überflüssigerweise hinzugesetzt (vgl. S. 291), daß man auch einmal eins
-hinzusetzen kann, wo es notwendig ist.
-
-Besonders schlimm sind aber nun drei Verstöße gegen die Gesetze der
-Wortstellung, die zum Teil schon seit alter Zeit, zum Teil auch erst in
-neuerer Zeit für besondre Feinheiten und Schönheiten gehalten werden
-und deshalb nicht eindringlich genug bekämpft werden können. Der erste
-ist:
-
-
-Die sogenannte Inversion nach und
-
-Als Inversion (Umkehrung, Umstellung) bezeichnet man es in der
-deutschen Grammatik, wenn in Hauptsätzen das Prädikat vor das Subjekt
-gestellt wird. Mit Inversion werden alle direkten Fragesätze gebildet,
-aber auch Bedingungssätze, wenn sie kein Fügewort haben (+hätte
-ich dich+ gesehen), und Wunsch- und Aufforderungssätze. Aber auch
-Aussagesätze müssen die Inversion haben, sobald sie mit dem Objekt,
-mit einem Adverbium oder einer adverbialen Bestimmung anfangen; es
-heißt: +den Vater haben wir+ -- +dem Himmel haben wir+ -- +gestern
-haben wir+ -- +dort haben wir+ -- +schon oft haben wir+ -- +aus
-diesem Grunde haben wir+ -- +trotzdem haben wir+ -- +zwar haben wir+
--- +freilich haben wir+ -- +auch haben wir+ usw., nicht (wie im
-Französischen und im Englischen) +gestern wir haben+. Ebenso ist die
-Inversion in Aussagesätzen am Platze bei dem begründenden +doch+:
-+habe ich es doch+ selber mit angesehen! Dagegen ist die Inversion
-völlig ausgeschlossen hinter Bindewörtern; es heißt: +oder wir haben+,
-+aber wir haben+, +sondern wir haben+, +denn wir haben+. Nur hinter
-+und+, das doch unzweifelhaft ein Bindewort ist, halten es viele
-nicht bloß für möglich, sondern sogar für eine besondre Schönheit,
-die Inversion anzubringen und zu schreiben: +und haben wir+. Der
-Amtsstil, der Zeitungsstil, der Geschäftsstil, sie wimmeln von solchen
-Inversionen nach +und+, viele halten sie für einen solchen Schmuck
-der Rede, daß sie selbst da, wo zwei Aussagesätze dasselbe Subjekt
-haben, es also genügte, zu sagen: die erste +Lieferung+ ist soeben
-+erschienen und liegt+ in allen Buchhandlungen zur Ansicht aus -- nur
-um die Inversion anbringen zu können (!), das Subjekt wiederholen,
-und zwar in der Gestalt des schönen +derselbe+, und schreiben: die
-erste Lieferung ist soeben erschienen, +und liegt dieselbe+ in
-allen Buchhandlungen zur Ansicht aus -- die +Fluchtlinie+ und das
-+Straßenniveau werden+ vom Rate +vorgeschrieben, und sind dieselben+
-dieser Vorschrift entsprechend auszuführen. Bedarf es noch weiterer
-Beispiele? Wohl nicht. Sie stehen dutzendweise in jeder Zeitung. Der
-Beginn der Vorstellung ist auf sechs Uhr festgesetzt, +und wollen wir+
-nicht unterlassen, darauf aufmerksam zu machen -- der Verein hat sich
-in diesem Jahre außerordentlich günstig entwickelt, +und finden die
-Bestrebungen+ desselben allgemeine Anerkennung -- die alte Orgel war
-sehr baufällig geworden, +und wurde die Reparatur+ dem Orgelbaumeister
-Herrn G. übertragen -- der Austernfang ist in letzter Zeit sehr
-ergiebig gewesen, +und wurden+ am Dienstag wieder 10000 Stück in die
-Stadt gebracht -- sämtliche Stoffe sind von mir für Leipzig engagiert,
-+und können+ daher +dieselben Muster+ nicht von andrer Seite geboten
-werden -- die Ruine ist in zehn Minuten zu erreichen, +und bietet
-sich+ unterhalb derselben +ein herrliches Panorama+ -- heute findet
-ein nochmaliges Ochsenbraten statt, +und können wir+ den Besuch des
-Restaurants nur empfehlen -- anders wird gar nicht geschrieben. Prof.
-X ist hier eingetroffen, +und fand+ -- na, was fand er denn? eine
-begeisterte Aufnahme? Gott bewahre! -- +und fand+ ihm zu Ehren +ein
-Festmahl+ statt. Es gibt aber auch Frauen und Mädchen, die imstande
-sind, auf einer Postkarte zwei Inversionen anzubringen und damit Wunder
-was für ein feines Briefchen gedrechselt zu haben glauben: Nun sind die
-schönen Tage in Dresden bald vorüber, +und sende ich Ihnen+ herzliche
-Grüße; mein Auftreten ist gut gelungen, +und freue ich mich+ nun wieder
-auf unsre gemütlichen Abende usw.
-
-Einigermaßen erträglich wird die Inversion nach +und+, wenn an der
-Spitze des ersten Satzes eine adverbielle Bestimmung steht, die sich
-zugleich auf den zweiten Satz bezieht, z. B.: +hier+ hört das Rostocker
-Stadtrecht auf +und fängt+ die gesunde Vernunft an -- +so+ werden unsre
-Reichen mit Wintergemüse versorgt +und wird+ die Zahl der Genußmittel
-um einige überflüssige vermehrt -- +zum Glück+ gibt es noch anständige
-Meister +und nehmen+ die Fabriken einen großen Teil der jungen Leute
-auf -- +selbstverständlich+ gehört Freigebigkeit gegen die Priester zu
-den Hauptbestandteilen der Frömmigkeit +und ist Geiz+ gegen sie die
-größte aller Sünden -- +zur Pflege der Geselligkeit+ fand im Januar
-eine Christbescherung statt +und wurden+ im Laufe des Sommers mehrere
-Ausflüge unternommen -- +wo Hindernisse im Wege stehen+ (Adverbsatz),
-pflegt sich die Menge innerhalb des ersten Kreises zu halten +und
-kommt+ die Überschreitung des zweiten nur selten vor. Man hat diesen
-Fall besonders die „Inversion nach Spitzenbestimmung“ genannt.
-
-Auf keinem Kunstgebiete kann es ein so schlagendes Beispiel für
-die Verschiedenheit des Geschmacks geben wie auf dem Gebiete der
-Sprache die Inversion nach +und+. Der Beamte, der Zeitungschreiber,
-der Kaufmann hält sie für die größte Zierde der Rede; für den
-sprachfühlenden Menschen ist sie der größte Greuel, der unsre
-Sprache verunstaltet, sie geht ihm noch über +seitens+, über bzw.,
-über +selbstredend+, über +diesbezüglich+, sie erregt ihm geradezu
-Brechreiz. Sie ist ihm so zuwider, daß er sie auch nach der
-„Spitzenbestimmung“ nicht schreibt; selbst da gibt er lieber, um jeden
-Anklang an die widerwärtige Verbindung zu vermeiden, die Inversion, die
-der erste Satz mit Recht hat, im zweiten auf und schreibt: +übrigens+
-hatte diese Ordnung nichts puritanisches an sich, +und das Joch+ der
-Sittenzucht +war+ nicht übermäßig schwer (statt: +und war das Joch+).
-
-Das Widerwärtige der Inversion liegt nicht nur in dem grammatischen
-Verstoß, sondern vor allem in der logischen Lüge: die Inversion sucht
-den Schein engerer, ja engster Gedankenverbindung zu erwecken, und
-doch haben die beiden Sätze, die so verbunden werden, inhaltlich
-gewöhnlich gar nichts miteinander zu tun. Darum ist auch die Inversion
-nur selten dadurch zu verbessern, daß man die beiden Hauptsätze in
-Haupt- und Nebensatz verwandelt, noch seltner dadurch, daß man Subjekt
-und Prädikat hinter +und+ in die richtige Stellung bringt, sondern
-meist dadurch, daß man den Rat befolgt, den schon der junge Leipziger
-Student Goethe (offenbar nach einer Vorschrift aus Gellerts Kolleg
-über deutschen Stil) seiner Schwester Cornelia gab, wenn sie in ihren
-Briefen Inversionen geschrieben hatte: einen Punkt zu setzen, das +und+
-zu streichen und mit einem großen Anfangsbuchstaben fortzufahren.
-
-Die Inversion ist aber auch eins der merkwürdigsten Beispiele des
-wunderlichen Standpunkts, den manche Sprachgelehrten zu der Frage über
-Richtigkeit und Schönheit der Sprache einnehmen. Es gibt Germanisten,
-die sagen: mir persönlich (!) ist die Inversion auch unsympathisch
-(!), aber „eigentlich falsch“ kann man sie nicht nennen, denn sie
-ist doch sehr alt, sie findet sich schon im Althochdeutschen,
-im Mittelhochdeutschen, bei Luther, sehr oft im siebzehnten und
-achtzehnten Jahrhundert, und ihre große Beliebtheit gibt ihr doch ein
-gewisses Recht. Als ob eine häßliche Spracherscheinung dadurch schöner
-würde, daß sie jahrhundertealt ist![141] Wer hat denn zu entscheiden,
-was richtig und schön sei in der Sprache: der sprachkundige,
-sprachgebildete, mit feinem und lebendigem Sprachgefühl begabte
-Schriftsteller, oder der Kanzlist, der Reporter und der „Konfektionär“?
-Ein Schriftsteller, der die Inversion nach +und+ aufs strengste
-vermieden hat, ist Lessing. Ich denke, der wird genügen.[142]
-
-
-Die Stellung der persönlichen Fürwörter
-
-Der zweite Verstoß betrifft die Stellung der persönlichen Fürwörter. Es
-handelt sich da wieder um eine Spracherscheinung, die äußerst häßlich
-ist und doch allgemein für eine Schönheit gehalten wird (vgl. S. 116
-Anm.). Um die Sache deutlich zu machen, soll zunächst der häufigste und
-auffälligste Fall besprochen werden.
-
-Wenn das Zeitwort eines Satzes ein Reflexivum ist, gleichviel ob
-das reflexive Verhältnis den Dativ oder den Akkusativ hat (+sich+
-entschließen, +sich+ einbilden), so erscheint in der lebendigen
-Sprache das reflexive Fürwort +sich+ stets so zeitig wie möglich im
-Satze. In Nebensätzen wird es stets unmittelbar hinter das erste Wort
-gestellt, hinter das Relativ, hinter das Fügewort usw. (+der sich+,
-+wo sich+, +wobei sich+, +da sich+, +obgleich sich+, +als sich+,
-+daß sich+, +wenn sich+, +als ob sich+, +je mehr sich+ usw.); erst
-dann folgt das Subjekt des Satzes. Nur wenn das Subjekt selbst ein
-persönliches Fürwort ist, geht dieses dem +sich+ voran (+da es sich+,
-+wenn sie sich+, +die er sich+). In Hauptsätzen steht das +sich+ stets
-unmittelbar hinter dem Verbum (+hat sich+, +zeigt sich+, +wird sich
-finden+); in Infinitivsätzen steht es ganz an der Spitze, mag das
-Verbum noch so reich mit Objekten, adverbiellen Bestimmungen u. dgl.
-bekleidet sein. Man beobachte sich selbst, man beobachte andre, wie
-sie reden, man wird höchst selten einer Abweichung von diesem Gesetze
-begegnen.
-
-Nun vergleiche man damit, wie geschrieben wird, ganz allgemein
-geschrieben wird, und sehe, wo da das +sich+ hingesetzt wird; die
-Stelle, wo es hingehört, soll jedesmal durch Klammern bezeichnet
-werden. Da heißt es in Hauptsätzen: selten +hat+ [] eine Darstellung
-so rasch in der Literatur +sich eingebürgert+ -- durch die neue
-Ordnung +glaubte+ [] namentlich die Universität +sich verletzt+ --
-diese +hielten+ [] ohne Erlaubnis der Regierung in diesen Gegenden
-+sich auf+ -- der heftige Seelenschmerz +löste+ [] in ein krampfhaftes
-Schluchzen +sich auf+ -- eventuell (!) +behält+ [] der Verkäufer das
-Rückkaufsrecht +sich vor+ -- als Porträtmaler +schließt+ [] Hausmann
-unmittelbar an Hoyer +sich an+. Beim Infinitiv: nur einmal +scheinen+
-[] die beiden +sich gesprochen+ zu haben -- die Photographie +scheint+
-[] in Rom wirklich bis an die Grenze echter Kunst +sich zu erheben+
--- bald +begannen+ [] Menschen in dem Walde +sich anzusammeln+ -- der
-Name +dürfte+ [] auf den ganzen Gebirgszug +sich beziehen+ -- man
-+mußte+ [] in entsetzlichen Postkarren, von Ungeziefer halb verzehrt,
-unter Hunger und Durst, in jene schönen Gegenden +sich durcharbeiten+
--- es ist leicht, [] diese Kenntnis +sich anzueignen+ -- das Recht,
-[] an der friedlichen Kulturarbeit frei +sich zu beteiligen+. In
-Nebensätzen endlich: die Verdienste, +welche+ (!) [] Eure Durchlaucht
-um das deutsche Vaterland +sich erworben haben+ -- es ist das eine der
-schwierigsten Aufgaben, +die+ [] der menschliche Geist +sich stellen
-kann+ -- bei dieser Lage der Dinge, +die+ [] binnen wenigen Monaten zu
-einer ganz unerträglichen +sich ausbildete+ -- der geistige Zustand,
-+in dem+ [] die deutsche Jugend in der Zeit der französischen Invasion
-+sich befand+ -- der Modegeschmack, +der+ [] namentlich auf dem Gebiete
-des Romans so rasch +sich ändert+ -- die Philosophie, +die+ [] doch nur
-dem an das Denken gewöhnten Höhergebildeten +sich erschließt+ -- ein
-Mann, +der+ [] bei allem Eifer für die katholische Sache doch einen
-warmen Patriotismus +sich bewahrt hatte+ -- im Militärwaisenhaus,
-+das+ [] nach dem Willen des Königs zu einer möglichst großartigen
-Anlage +sich gestalten soll+ -- die Schlagwörter, +mit denen+ [] die
-sozialdemokratischen Lehren +sich zu schmücken lieben+ -- in Fällen,
-+wo+ [] das Bedürfnis dazu +sich herausstellt+ -- der erste Akt
-versetzt uns in die Welt des Waldes, wo [] Roseggers Phantasie am
-meisten +sich heimisch fühlt+ -- in Bonn, wo [] die ganze Rheinstraße
-mit ihren Denkmälern zu Exkursionen +sich anbietet+ -- die Verbrecher
-treiben allerlei Ulk, +wobei+ [] ihre wahre Natur +sich äußert+ --
-die Schicksale, aus +deren+ Zusammenwirken [] erst die eigenartige
-Entwicklung von Hoffmanns Persönlichkeit +sich erklären läßt+ --
-unter der Bedingung, +daß er+ [] auf eine bestimmte Probezeit des
-Wilderns +sich enthalte+ -- die Gegenwart beweist, +daß+ [] der kleine
-Betrieb dem Großkapital gegenüber +sich+ nicht +halten kann+ -- der
-einzelne darf nicht verkennen, +daß er+ [] unter solchen Umständen
-zu Nutz und Frommen seiner Mitmenschen eine Selbstbeschränkung +sich
-auferlegen muß+ -- +als+ [] fast sämtliche Klöster wieder mit den
-geistlichen Orden +sich gefüllt hatten+ -- es wird noch geraume Zeit
-vergehen, +ehe+ [] ihr Ideal vollständig +sich verwirklichen kann+ --
-+seitdem+ [] das große, für die Kultur so folgenreiche Weltereignis
-der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus +sich ergab+ -- die
-Aufhebung des Gesetzes können wir nicht beklagen, +da es+ [] im Laufe
-der Jahre immer mehr als unbrauchbar +sich erwiesen hat+ -- +da er+ []
-gerade jetzt in der Lage +sich befindet+, Zahlung leisten zu können --
-+weil er+ [] diese Eigenschaften bis in sein hohes Alter +sich bewahrt
-hat+ -- +nachdem+ [] die ursprüngliche Bedeutung im Sprachbewußtsein
-+sich verdunkelt hatte+ -- +nachdem+ [] die Wogen freundlicher und
-feindlicher Erregung, die das Buch hervorrief, +sich gelegt haben+ --
-+wenn er+ [] zuweilen zu religiösem Pathos +sich erhob+ -- +wenn+ der
-Kurfürst abreist und [] auf einen seiner Landsitze +sich begibt+ --
-ich würde untröstlich sein, +wenn+ Sie [] durch mich in Ihrer alten
-Ordnung +sich stören ließen+ -- +wenn+ [] neuerdings die Unternehmer
-und Arbeitgeber zur Wahrung ihrer gerechten Interessen +sich
-zusammenschließen+ -- die Namen der Künstler sind so bezeichnet, +wie+
-sie [] auf den Blättern +sich finden+ -- +als ob er+ [] die größten
-Verdienste um das deutsche Vaterland +sich erworben hätte+ -- +je mehr+
-[] Frankreichs Stellung am Mittelmeere +sich behauptet+ usw.
-
-Wir stehen da wieder vor einer Erscheinung, die recht eigentlich in
-das Kapitel vom papiernen Stil gehört. Der lebendigen Sprache gänzlich
-fremd, stellt sie sich immer nur da ein, wo jemand die Feder in
-die Hand nimmt, aber auch da nicht sofort, sondern erst dann, wenn
-er zu künsteln anfängt.[143] Man könnte ja nun meinen, es sei doch
-unnatürlich, das reflexive Fürwort von seinem Verbum zu trennen und
-so weit vor, an den Anfang des Satzes zu rücken. Aber diese Trennung
-ist der Sprache offenbar etwas unwesentliches. Das wesentliche ist
-ihr die enge Verbindung, die erst infolge dieser Trennung eingegangen
-werden kann: die Verbindung mit dem voranstehenden andern Pronomen
-oder mit dem Fügewort (+der sich+, +wenn sich+). Diese Verbindung
-ist der lebendigen Sprache wichtiger als die mit dem Verbum, denn
-durch sie wird der Satz wie mit eisernen Klammern umschlossen. Wenn
-ich das +sich+ unmittelbar nach +da+, +wo+, +wenn+, +seitdem+ bringe,
-so erfährt der Hörer schon, daß am Ende des Satzes ein reflexives
-Zeitwort folgen wird, die Hälfte des Verbalbegriffs klingt ihm
-gleichsam schon im Ohre. Daß sich auf diese Weise der Satz fester
-zusammenschließt als auf die andre, liegt auf der Hand. Wenn einer mit
-+wenn+ oder +daß+ anfängt, und erst nachdem er zwanzig oder dreißig
-Worte dazwischengeschoben hat, endlich mit +sich begab+ oder +sich
-befindet+ schließt, so möchte man immer fragen: So viel Zeit hast du
-gebraucht, dich auf das Zeitwort zu besinnen? dich zu besinnen, daß du
-ein reflexives Verbum gebrauchen willst?
-
-Es ist ja aber keineswegs bloß das +sich+, das jetzt in dieser Weise
-verstellt wird, es geschieht das mit dem rückbezüglichen Fürwort
-überhaupt. Man schreibt auch: darüber gedenke ich [] später einmal
-in diesen Blättern +mich auszulassen+ -- wenn wir [] auch mit voller
-Seele an der Jubelfeier +uns beteiligen+ -- daß wir [] in unsern
-nationalen Lebensformen ungehindert +uns entwickeln+ können -- wenn
-wir [] überhaupt von Gott eine Vorstellung +uns machen+ wollen usw. Ja
-die Krankheit hat sich noch viel weiter verbreitet, sie hat auch das
-ganze persönliche Fürwort ergriffen. In der lebendigen Sprache wird
-das persönliche Fürwort genau so gestellt wie das reflexive. Wie aber
-wird geschrieben? Das war es bloß, wozu [] mein väterlicher Freund
-+mich bewegen+ wollte -- wie willst du den Widerspruch lösen, den []
-eine verehrte Autorität +dir aufdrängt+? -- als Goethe seine Reise
-antrat, +war+ [] Rom +ihm+ nicht +fremd+ -- man kann den Fortgang
-voraussehen, soweit [] nicht unberechenbare äußere Störungen +ihn
-hemmen+ -- die Mängel des Gedächtnisses kommen weniger zur Geltung,
-wenn [] das Nachdenken +ihm Zeit läßt+ -- der Bischof verzichtete auf
-den Segen, den [] sein Konfrater in Trier +ihm anpries+ -- können wir
-einen Dichter nennen, der [] an Mannigfaltigkeit, an beherrschender
-Sicherheit +ihm gleichkäme+? -- er würde [] gewiß auch diesmal nicht
-ohne Not +sie warten lassen+ -- die Menge geht dahin, wohin [] der
-Zar und die Kirche +sie treibt+ -- sie wissen viel zu gut, was [] das
-erreichte Ziel +sie gekostet hat+ -- die Arbeiter stehen schon so
-tief, daß [] ein weiterer Druck +sie arbeitsunfähig machen würde+ --
-wenn [] die Zeit +es erlaubt+ -- wer [] in unsern Tagen noch +es wagt+
--- wie [] der Drang seines Herzens +es gebot+ -- eine unzulängliche
-Einrichtung, wie [] das Duell +es ist+ -- abgesehen davon hatten []
-die Bewohner des Hauses +es nicht schlecht+ -- wenn [] die Gegner des
-Sozialistengesetzes +es+ als einen Vorteil +preisen+ -- unter diesem
-Feldgeschrei hatte man [] in den katholisch-deutschen Ländern +es
-dahin gebracht+ -- es genügt uns nicht, [] bei dieser allgemeinen
-Schilderung seines Wesens +es bewenden zu lassen+ -- wir müssen tragen,
-was [] unser Geschick +uns auferlegt+ -- die praktische Aufgabe, die []
-unsre religiöse Gefahr +uns stellt+ -- wir halten das für die einzig
-mögliche Erklärung, weil [] keine andre +uns begreiflich ist+ -- wenn
-[] sein Auge so ernst und mild +uns anblickt+ -- wäre er nicht das
-große Genie gewesen, so würde [] der Name Rembrandt +uns+ unbekannt
-+geblieben+ sein -- am 19. Mai +hat+ [] der Tod wieder einen der
-hervorragendsten Künstler +uns entrissen+ -- nun galt es, [] mit Rat
-und Tat +ihnen beizustehen+ -- sie warfen mit lateinischen Brocken
-um sich, sodaß [] kein andrer in der Gesellschaft +ihnen zu folgen
-vermochte+ -- er berichtete gewissenhaft die Geschichte, wie [] [] sein
-alter Schulkamerad +sie ihm erzählt hatte+ -- es ist das ein großes
-Stück Wehrkraft, worin [] [] die Nachbarn im Osten und Westen +es uns+
-nicht +gleichtun können+. Überall ein ängstliches, schulknabenhaftes
-Voranstellen der Subjekte vor die Objekte, überall das gequälte
-Aufsparen der Fürwörter bis unmittelbar vor das Zeitwort![144] In
-einem Roman heißt es: während die Stämme ihre kahlen Äste +uns
-entgegenstreckten+, als wollten sie mit ihren Armen +unserer (!) sich
-erwehren+. Das soll heißen: +während uns+ die Stämme ihre kahlen
-Äste entgegenstreckten, als wollten +sie sich unser+ mit ihren Armen
-erwehren! Am fürchterlichsten ist es, wenn das unbetonte +es+, vollends
-das proleptische, das nur einen Inhalts- oder einen Infinitivsatz
-vorbereitet, und das nur dann erträglich ist, wenn es sich so viel wie
-möglich versteckt und möglichst flüchtig durch den Satz huscht -- wenn
-das mit solchem Elefantentritt an möglichst unpassender Stelle in den
-Satz hineintappt: trotz des Widerwillens des Vaters setzte [] der Knabe
-unter dem Beistande der guten Mutter +es durch+, daß er usw.
-
-Möglich ist ja eine solche Stellung der Fürwörter auch, falsch ist sie
-nicht, es fragt sich nur, ob sie schön sei. Wie müssen sich oft die
-Fürwörter und die Wörter überhaupt in Versen herumwerfen lassen! Wie
-die Kegel, wenn die Kugel dazwischenfährt. Da +senkte sich+ aus der
-Höhe ein lichter Engel -- nicht wahr, ganz gewöhnliche Prosa?
-
- Da +senkte+ aus der Höhe
- Ein lichter Engel +sich+ --
-
-auf einmal „Poesie“! Das hat aber doch auch seine Grenzen. Poetischer
-als ein Vers wie der:
-
- Wie +soll+ aus diesem Zwiespalt +ich+ retten +mich+?
-
-klingt doch unzweifelhaft die schlichte „Prosa“: Wie +soll ich mich
-aus+ diesem Zwiespalt retten?
-
-Von Gellerts Fabeln hat man geringschätzig gesagt, sie wären die reine
-Prosa. Von dem Ausdruck trifft das gar nicht zu, der ist dazu viel zu
-fein und gewählt. Wenn es sich aber darauf beziehen soll, daß ihre
-Wortstellung ganz so ist, wie sie in guter Prosa sein würde, so wäre
-das ja das höchste Lob! Es ist das, was Friedrich der Große mit den
-Worten sagte: Er hat so etwas Coulantes in seinen Versen.
-
-
-In fast allen oder fast in allen?
-
-Der dritte Verstoß betrifft die Stellung der Präpositionen. Durch
-alle gebildeten Sprachen geht das Gesetz, daß die Präpositionen
-(+an+, +bei+, +nach+, +für+, +in+, +vor+, +mit+ usw.) unmittelbar vor
-dem Worte stehen müssen, das sie regieren. Das ist so natürlich und
-selbstverständlich wie irgend etwas, es kann gar nicht anders sein. In
-der griechischen Grammatik spricht man von ~Procliticae~ (d. h. vorn
-angelehnten).[145] Man versteht darunter gewisse einsilbige Wörtchen,
-die, weil sie eben einsilbig sind und für sich allein noch nichts
-bedeuten, keinen eignen Ton haben, sondern -- wie durch magnetische
-Kraft -- an das Wort gezogen werden, das ihnen folgt. Dazu gehören
-auch einige einsilbige Präpositionen. Das ist aber durchaus keine
-Eigentümlichkeit der griechischen Sprache, sondern solche Wörter gibt
-es in allen Sprachen, auch im Deutschen, und zu ihnen gehören auch
-im Deutschen die Präpositionen. Weil diese aber solche ~Procliticae~
-sind, die mit dem Worte, das von ihnen abhängt, innig verwachsen, so
-ist es unnatürlich, zwischen die Präposition und das abhängige Wort
-(Eigenschaftswort, Fürwort, Zahlwort) ein Adverb zu stopfen.[146] Auch
-dieses Gesetz geht durch alle Sprachen, denn es ist in der Natur der
-Präpositionen begründet.
-
-Da ist aber nun der große Logiker drüber gekommen und hat sich
-überlegt: +fast in allen Fällen+ -- das kann doch nicht richtig sein!
-das +fast+ gehört doch nicht zu +in+, es gehört ja zu +allen+! Also
-muß es heißen: +in fast allen+ Fällen. Und so wird denn wirklich
-seit einiger Zeit immer häufiger geschrieben: die +von fast+ allen
-Grammatikern gerügte Gewohnheit -- es geht eine Bewegung +durch fast+
-sämtliche Kulturstaaten -- +mit fast+ gar keinen Vorkenntnissen --
-+mit nur+ echten Spitzen -- das Stück besteht +aus nur+ drei Szenen --
-wir haben es +mit nur+ wenigen Lehrstunden zu tun -- wir fuhren +durch
-meist+ anmutige Gegend -- die Kritik, die +in meist+ schlechten Händen
-ist -- es waren +gegen etwa+ vierzig Mann -- mit einer Besatzung +von
-oft+ sechs bis acht Mann -- +in bald+ einfacherer, +bald+ prächtigerer
-Ausstattung -- das Buch ist +in wohl+ sämtliche europäische Sprachen
-übersetzt -- andre Kritiker +von freilich+ geringerer Autorität --
-+nach genau+ einem Jahrhundert -- +in genau+ derselben Form -- +mit
-genau+ derselben Geschwindigkeit -- +nach längstens+ zwei Jahren --
-+für wenigstens+ ein paar Wochen -- Unterricht +in wenigstens+ einer
-zweiten lebenden Sprache -- die ordnungsliebendern Elemente sehen sich
-+zu wenigstens+ tatsächlicher Achtung vor dem Gesetze gezwungen -- die
-Kosten belaufen sich +auf mindestens+ tausend Pfund -- die Schulden
-müssen +mit mindestens+ einem Prozent jährlich abgetragen werden --
-fünf Präpositionen +mit jedesmal+ verschiedner Funktion -- eine Anfrage
-würde das +in vielleicht+ überraschendem Maße bestätigen -- überall ist
-die Technik +auf annähernd+ gleicher Höhe -- er wurde +auf zunächst+
-sechs Jahre zum Stadtrat gewählt -- +mit sozusagen+ absolutem Maßstabe
--- +mit allerdings nur+ geringer Hoffnung auf Erfolg -- Japan war mit
-+alles in allem+ vier Artikeln vertreten -- er stand mit ihm +in so gut
-wie+ keiner Verbindung -- sie sind +um zusammen etwa+ vier Millionen
-Mark betrogen worden; sogar: ein besondrer Anstrich +von erst+ Farbe
-+und dann+ Lack wird vermieden.
-
-Es ist eine Barbarei, so zu schreiben. Man hat das Gefühl, als wollte
-einem jemand in den Ellbogen oder zwischen zwei Fingerglieder einen
-Holzkeil treiben, wenn man so etwas liest, ja es ist, als müßte es der
-Präposition selber wehtun, wenn sie auf solche Weise von dem Worte,
-mit dem sie doch zusammenwachsen möchte, abgerissen wird. Was ist eine
-Logik wert, die zu solcher Unnatur führt! Man versuche es einmal, man
-setze in all den angeführten Beispielen das Adverb an die richtige
-Stelle, nämlich vor die Präposition: +meist durch+ anmutige Gegend
--- +wohl in+ sämtliche Sprachen -- +wenigstens für+ ein paar Wochen
--- +annähernd auf+ gleicher Höhe -- +zunächst auf+ sechs Jahre usw.,
-empfindet wohl jemand die geringste logische Störung?[147]
-
-Nur die kurzen Adverbia, die zur Steigerung der Adjektiva dienen: +so+,
-+sehr+, +viel+, +weit+, stehen hinter der Präposition: +mit so+ großem
-Erfolg -- +in sehr+ vielen Fällen -- +mit viel+ geringern Mitteln --
-+nach weit+ gründlichern Vorbereitungen. Bei allen Adverbien aber, die
-den Adjektivbegriff einschränken, herabsetzen oder sonstwie bestimmen,
-ist die Stellung hinter der Präposition unnatürlich.
-
-
-Zwei Präpositionen nebeneinander
-
-Doppelt häßlich wird das Wegreißen der Präposition von dem abhängigen
-Worte dann, wenn das Einschiebsel nicht ein einfaches Adverb, sondern
-ein Satzglied ist, das selbst wieder aus einer Präposition und einem
-davon abhängigen Worte besteht; dann entsteht der Fall, daß zwei
-Präpositionen unmittelbar hintereinander geraten -- für jeden Menschen
-von feinerm Gefühl eine der beleidigendsten Spracherscheinungen. Und
-doch wird auch so jetzt fortwährend geschrieben! Da heißt es: +in
-im+ Ratsdepositorium befindlichen Dokumenten -- +in zur+ Zeit nicht
-zu verwirklichenden Gedanken -- +durch vom+ Kriege unberührtes Land
--- +durch von+ beiden Teilen erwählte Schiedsrichter -- +durch für+
-ein weiches Gemüt empfindlichen Tadel -- +mit in+ Tränen erstickender
-Stimme -- +mit vor+ Freude strahlendem Gesicht -- +mit vor+ keinem
-Hindernis zurückschreckender Energie -- +mit auf+ die Wand aufgelegtem
-Papier -- +mit für+ die Umgebung störendem Geräusch -- +mit nach+ außen
-kräftigen Institutionen -- +mit über+ die ganze Provinz verteilten
-Zweigvereinen -- +mit mit+ (!) schwarzem Krepp umwundnen Fahnen --
-+bei nach+ fürstlichen Personen benannten Gegenständen -- das Sammeln
-+von an+ sich wertlosen Dingen -- die Frucht +von durch+ Jahrtausende
-fortgesetzten Erfahrungen -- eine große Anzahl +von in+ einzelnen
-Fächern weiter ausgebildeten jungen Männern -- die Schülerzahl stieg
-+von über+ zwei- gleich +auf über+ sechshundert -- die Falter werden
-+mittelst auf mit+ (!) Öl begossene Teller gestellter Gläser gefangen
-usw. Man kann also solche Zusammenstöße sehr leicht vermeiden, und
-zwar auf die verschiedenste Weise; entweder durch einen Nebensatz:
-+durch Land, das+ vom Kriege noch unberührt geblieben war -- oder
-durch einen wirklichen Genitiv statt +von+: das Sammeln an sich
-+wertloser+ Dinge -- oder durch einen Ausdruck, der dasselbe sagt wie
-die Präposition: +von mehr als+ zweihundert (statt +von über+) oder
-durch ein zusammengesetztes Wort: +mit freudestrahlendem+ Gesicht usw.
-Aber alle diese Mittel werden verschmäht, lieber versetzt man dem Leser
-den stilistischen Rippenstoß, unmittelbar hinter einer Präposition noch
-eine zweite zu bringen![148]
-
-
-Zur Interpunktion
-
-Eine feine und schwierige Kunst ist es, gut zu interpungieren. Hier
-können nur einige Winke darüber gegeben werden.
-
-Die Interpunktion verfolgt zwei verschiedne Zwecke: erstens die
-Satzgliederung zu unterstützen und die Übersicht über den Satzbau
-zu erleichtern, zweitens die Pausen und die Betonung der lebendigen
-Sprache in der Schrift auszudrücken. Oft fallen beide Zwecke zusammen,
-aber nicht immer. Wenn z. B. geschrieben wird: die Berliner Künstler
-haben den französischen Bildern stets die besten Plätze eingeräumt
-+und, wenn+ diese nicht reichten, andre Räume gemietet -- oder: wer
-die Tagespresse kritiklos liest +und, ohne+ es zu wissen und zu
-wollen, die dargebotnen Anschauungen in sich aufnimmt -- so schließt
-sich zwar die Interpunktion genau dem Satzbau an, steht aber in
-auffälligem Widerspruch zur lebendigen Sprache: niemand wird bis zu
-+und+ (oder +oder+) sprechen und hinter +und+ eine Pause machen,
-jeder wird vor +und+ abbrechen. Daher empfiehlt es sich, das Komma
-hier lieber vor +und+ zu setzen -- gegen den Satzbau -- und zu
-schreiben: da die Frauen mit Vorliebe männliche Verhüllungen wählen,
-+und+ wenn sie ihren Vornamen nicht ausschreiben, auch die Handschrift
-sie nicht immer verrät -- sie glaubte, +oder+ wie es von ihrem
-Standpunkt aus wohl richtiger heißen muß, sie hoffte -- daß Dichter
-wie Keller und Storm, +oder+ um einige weniger berühmte zu nennen,
-Vischer und Riehl gesund blieben -- die Elemente des Anschauungs- und
-Gestaltungsvermögens, +oder+ anders ausgedrückt, des Einbildungs- und
-des Ausbildungsvermögens.[149]
-
-Dem ersten Zwecke dienen nun vor allem die drei üblichen Zeichen:
-Punkt, Semikolon (;) und Komma. Über die Bedeutung von Punkt und
-Komma besteht kein Zweifel; sie werden im allgemeinen auch richtig
-angewandt. Der Punkt schließt ab, das Komma gliedert; der Punkt
-trennt größere oder kleinere selbständige Gedankengruppen, das Komma
-scheidet die einzelnen Bestandteile dieser Gruppen, es tritt vor jeden
-Nebensatz, auch vor Partizipial- und Infinitivsätze. Jeder Satz hat
-nur einen Punkt; die Zahl der Kommata im Satze ist unbeschränkt. Das
-Semikolon endlich ist stärker als das Komma, aber schwächer als der
-Punkt. Es ist überall da am Platze, wo zwei Hauptsätze -- mögen sie
-nun allein stehen oder jeder wieder von einem Nebensatze begleitet
-sein -- einander gegenübergestellt werden, wo also der eine der beiden
-Hauptsätze nur die Hälfte des Gedankens enthält und den andern zu
-seiner Ergänzung verlangt, z. B.: hättest du dich an den Buchstaben
-des Gesetzes gehalten, so träfe dich kein Vorwurf; da du aber
-eigenmächtig vorgegangen bist, so hast du nun auch die Verantwortung
-zu tragen. Das Semikolon trennt also und vereinigt zugleich, es
-scheidet und verbindet. Sehr fein hat es daher David Strauß die Taille
-des Satzes genannt[150] und auf Lessing hingewiesen als den, der den
-richtigen Gebrauch davon gemacht habe. In der Tat ist das Semikolon
-für den, der damit umzugehen weiß, eins der ausdrucksfähigsten
-Interpunktionszeichen, es wird nur noch vom Kolon übertroffen. Aber wie
-ungeschickt wird es oft behandelt! Besonders beliebt ist es jetzt, wenn
-vor einen Hauptsatz eine größere Anzahl gleichartiger Nebensätze tritt,
-z. B. drei, vier, fünf Bedingungssätze, diese alle durch Semikolon
-voneinander zu trennen -- eine sehr geschmacklose Anwendung. Zwischen
-Haupt- und Nebensatz ist einzig und allein das Komma am Platze; folgen
-mehrere gleichartige Nebensätze aufeinander, so kann hinter jedem
-immer wieder nur ein Komma stehen. Wie der Punkt, so kann auch das
-Semikolon in einem gut gegliederten Satze nur +einmal+ vorkommen; ein
-Satz, der mehr als +ein+ Semikolon enthält, ist immer entweder schlecht
-interpungiert oder schlecht gegliedert.
-
-Aber auch in dem Gebrauche des Kommas werden mancherlei Fehler gemacht.
-Wenn vor ein Hauptwort mehrere Eigenschaftswörter treten, so gilt
-im allgemeinen die Regel, diese Eigenschaftswörter durch Kommata
-voneinander zu trennen. Manche wollen zwar neuerdings davon nichts
-wissen, sie schreiben: ein +guter treuer anhänglicher zuverlässiger
-Mensch+; aber das verstößt gegen die Betonung der lebendigen Sprache,
-die bei solchen längern Attributreihen hinter jedem Attribut eine
-fühlbare kleine Pause macht, und vor allem: man beraubt sich damit
-sehr notwendiger Unterscheidungen. Es ist ein großer Unterschied, ob
-ich schreibe: er hatte eine +tiefe, staatsmännische Einsicht+ oder:
-eine +tiefe staatsmännische Einsicht+ -- hier schließt der +erste,
-historische Abschnitt+ oder: der +erste historische Abschnitt+
-des Buches. Im ersten Falle stehen die beiden Attribute parallel
-zueinander, das zweite erläutert das erste: er hatte eine tiefe,
-(wahrhaft oder echt) staatsmännische Einsicht -- hier schließt
-der erste, (nämlich) historische Abschnitt des Buches. Im zweiten
-Falle bildet das zweite Attribut mit dem Hauptwort einen einzigen
-Begriff, sodaß tatsächlich nur +ein+ Attribut übrig bleibt: er
-hatte staatsmännische Einsicht, und diese war tief -- das Buch hat
-mehrere historische Abschnitte, und hier schließt der erste davon
-(vgl. S. 301). Auf solche Weise kann sogar ein drittes Attribut
-wieder dem zweiten übergeordnet werden. Es darf also kein Komma
-stehen in folgenden Verbindungen: ein +starker demokratischer Zug+,
-eine +liebenswürdige alte Jungfer+, die +nackteste persönliche
-Herrschsucht+, das +jahrelange geistliche Eifern+, der +unvermeidliche
-tragische Ausgang+, nach +überstandnem sturmvollem Leben+, von
-+gewissen hohen österreichischen Offizieren+, die +ganze vielgepriesene
-englische Kirchlichkeit+. Ebenso muß ohne Komma geschrieben werden:
-das +andre der klassischen Richtung angehörige Drama+ -- wenn der
-betreffende Dichter mehrere der klassischen Richtung angehörige Dramen
-geschrieben hat, wogegen das Komma nicht fehlen dürfte, wenn er nur
-zwei Dramen geschrieben hätte, eins, das der modernen, und eins, das
-der klassischen Richtung angehört.
-
-Wenn zwei Hauptsätze oder auch zwei Nebensätze durch +und+ verbunden
-werden, so gilt im allgemeinen die verständige Regel, daß vor +und+ ein
-Komma stehen müsse, wenn hinter +und+ ein neues Subjekt folgt, dagegen
-das Komma wegbleiben müsse, wenn das Subjekt dasselbe bleibt. Natürlich
-ist dabei unter Subjekt das grammatische Subjekt zu verstehen, nicht
-das logische. Seinem Begriffe nach mag das zweite Subjekt dasselbe sein
-wie das erste: sowie es grammatisch durch ein Fürwort (+er+, +dieser+)
-erneuert wird, darf auch das Komma nicht fehlen. Dagegen wird niemand
-vor +und+ ein Komma setzen, wo +und+ nur zwei Wörter verbindet. Doch
-sind Ausnahmefälle denkbar, z. B.: er welkt, +und+ blüht nicht mehr
--- in Leipzig, wo man so viel, +und+ so viel gute Musik hören kann --
-er war unfähig als Heerführer, +und+ als Mensch unbedeutend und wenig
-sympathisch. Er blüht +und+ duftet nicht mehr -- da wäre das Komma
-überflüssig. In solchen Fällen tritt der zweite Zweck der Interpunktion
-in seine Rechte: die Pausen und die Betonung der lebendigen Sprache
-auszudrücken, selbst abweichend von dem ersten, die Gliederung des
-Satzbaus zu unterstützen.
-
-Auch vor einem Infinitiv mit +zu+ ist es wohl allgemein üblich, ein
-Komma zu setzen. Manche lassen es zwar hier jetzt weg, namentlich wenn
-der Infinitiv ganz unbekleidet ist; sie halten es für überflüssig, ein
-so kurzes, nur aus zwei Wörtern bestehendes Glied durch ein besondres
-Zeichen abzutrennen. Es empfiehlt sich aber doch, es zu setzen, da
-sonst leicht Zweifel oder Mißverständnisse entstehen können. Wenn
-jemand schreibt: es ist +schwer zu verstehen+ -- so kann der Sinn nur
-sein: es ist zu verstehen, aber schwer. Wenn man aber ausdrücken will:
-es bereitet Schwierigkeiten, es zu verstehen? Das kann nur durch ein
-Komma deutlich gemacht werden. Man muß also unterscheiden zwischen: +es
-ist nicht gut, zu verlangen+ und: +es ist nicht gut zu verlangen+ --
-es war +ein Fest, zu sehen+ und: es war +ein Fest zu sehen+. Aber auch
-in Sätzen wie: er befahl +ihm Gläser zu bringen+ -- die ultramontane
-Presse +verstand es bald+ allerlei Mißverständnisse +aufzufinden+
--- entsteht der Zweifel: wozu gehört +ihm+? wozu gehört +bald+? zu
-+verstehen+ oder zu +auffinden+? Ein Komma hebt sofort den Zweifel.
-
-Nur in einem Falle ist es nicht nur überflüssig, sondern geradezu
-störend, vor den Infinitiv mit +zu+ ein Komma zu setzen, nämlich dann,
-wenn der Infinitiv ein Objekt oder ein Adverb bei sich hat, und dieses
-vor dem regierenden Verbum steht, von dem der Infinitiv abhängt, z. B.:
-+diesen Gedanken+ könnte man +versucht sein+, mit Wallenstein herzlich
-dumm +zu nennen+. Diesen Gedanken könnte man versucht sein -- das ist
-nur ein Satzbruchstück ohne allen Sinn, was soll da das Komma? Es
-ist aber auch durch die lebendige Sprache hier nicht gerechtfertigt,
-denn niemand wird hinter +versucht sein+ im Sprechen anhalten, alles
-drängt zu dem Infinitiv, der erst das Objekt verständlich macht,
-das vorläufig noch in der Luft schwebt. Es ist also richtiger, ohne
-Komma zu schreiben: bares Geld gelang es ihm nicht sich anzueignen
--- tatsächliche Irrtümer dürfte es schwer sein in dem bändereichen
-Werke aufzustöbern -- was bemüht man sich mit dem Worte Sozialismus
-zu benennen? -- alle Abfälle hatte sie sich ausgebeten ihm bringen
-zu dürfen -- auf die Erhaltung des Waldes war die Behörde geneigt das
-entscheidende Gewicht zu legen -- gegen diese Szene liegt es uns fern
-uns hier zu ereifern -- ich gebe dir keinen Rat, den ich nicht bereit
-wäre selber zu befolgen -- die Anforderungen, die wir uns gewöhnt haben
-an eine solche Ausgabe zu stellen -- der Wust von Aberglauben, den der
-Vorgänger sich rühmte ausgefegt zu haben -- der Unterschied, den der
-Offizier gewohnt ist zwischen seiner Stellung als solcher und der als
-Gentleman zu machen -- die Oberamtsrichter, denen manche geneigt sind
-die Rektoren gleichzustellen -- seine Verwandten, für die es vor allem
-seine Pflicht wäre zu sorgen.
-
-Unbegreiflich ist es, daß man die beiden verschiednen +ja+, die es
-gibt, das beteuernde und das steigernde, nie richtig unterschieden
-findet, und doch sind sie durch die Interpunktion so leicht zu
-unterscheiden. Ein Komma gehört nur hinter das beteuernde +ja+, denn
-nur hinter diesem wird beim Sprechen eine Pause gemacht: +ja+, es waren
-herrliche Tage! Das steigernde +ja+ dagegen wird mit dem folgenden
-Worte fast in eins verschmolzen: sie duldete diese Mißhandlungen, +ja
-sie+ schien sie zu verlangen -- es ist wünschenswert, +ja+ geradezu
-unerläßlich -- hinter Frankreich liegt der Atlantische Ozean, +ja
-man+ kann sagen die ganze andre Welt. Was soll da ein Komma? Ebenso
-töricht ist es, ein doppeltes +ja+ (+ja ja+), ein doppeltes +nein+
-(+nein nein+), +ei ei!+ +na na+ oder gar das +ha ha!+, das das Lachen
-ausdrücken soll, durch Kommata zu trennen, wie man es in Erzählungen
-und Schauspielen überall gedruckt lesen muß. Man spricht doch nicht
-+ja+ (Pause), +ja+, sondern +jajjah+, +neinnein+, als ob es nur +ein+
-Wort wäre. Und vollends +ha+ (Komma) +ha+! Wer lacht so?
-
-Ganz verkehrt wird von vielen das Kolon (:) angewandt: sie setzen
-es statt des Semikolons (;) und stören damit den, der die Bedeutung
-der Satzzeichen kennt, auf ärgerliche Weise. Das Semikolon schließt
-ab wie der Punkt; das Kolon schließt -- auf, es hat vorbereitenden,
-spannungerweckenden, aussichteröffnenden Sinn, ein gut gesetztes Kolon
-wirkt, wie wenn eine Tür geöffnet, ein Vorhang weggezogen wird. Daher
-steht es vor allem vor jeder direkten Rede (vor die indirekte gehört
-das Komma!); es ist aber auch überall da am Platze, wo es so viel
-bedeutet wie +nämlich+, z. B.: der Verfasser hat mehr getan als diesen
-Wunsch erfüllt: er hat die Aufsätze vielfach erweitert und ergänzt --
-oder wo es dazu dient, die Folgen, das Ergebnis, das erwartete oder
-unerwartete Ergebnis des vorhergeschilderten einzuleiten, z. B.: wir
-baten, flehten, schmollten: er blieb ungerührt und sprach von etwas
-anderm.
-
-Geschmacklos ist es, die der Betonung dienenden Zeichen, das
-Fragezeichen und das Ausrufezeichen, zu verdoppeln, zu verdreifachen
-oder miteinander zu verbinden: ??, !!!, ?! Dergleichen schreit
-den Leser förmlich an, und das darf man sich doch verbitten. Eine
-Abgeschmacktheit ohnegleichen aber ist es, halbe oder ganze Zeilen mit
-Punkten oder Gedankenstrichen zu füllen, wie es unsre Romanschreiber
-und Feuilletonisten jetzt lieben. Das soll geistreich aussehen, den
-Schein erwecken, als ob der Verfasser vor Gedanken und Bildern beinahe
-platzte, sie gar nicht alle aussprechen oder ausführen könnte, sondern
-dem Leser sich auszumalen überlassen müßte. Es ist aber meistens
-nur Wind; wer etwas zu sagen hat, der sagt es schon. Nur +eine+
-Abgeschmacktheit kommt dieser noch gleich, die neueste Zierde des
-Feuilletonstils: eine Menge kleiner Nebensätze jeden mit einem Punkt
-abzuschließen, sodaß die aus Hauptsatz und Nebensätzen bestehende
-Periode dem Leser in lauter Brocken vorgesetzt wird. Auch das soll
-geistreich aussehen, den Schein höchster dramatischer Lebendigkeit der
-Gedankenerzeugung und -einkleidung erregen. In Wahrheit ist es eine
-krasse Stillosigkeit, eine abgeschmackte Manier.
-
-
-Fließender Stil
-
-Man spricht so viel von fließendem Stil, beneidet wohl auch den und
-jenen um seinen fließenden Stil. Ist das Sache der Begabung, oder ist
-es etwas erlernbares?
-
-Zum Teil beruht das, was man fließenden Stil nennt, unzweifelhaft
-auf der Klarheit des Denkens und der Folgerichtigkeit der
-Gedankenentwicklung -- nur wer sich selbst über eine Sache völlig
-klar geworden ist, kann sie auch andern klarmachen --, zum Teil
-auch auf Rhythmus und Wohllaut -- es wird viel zu viel stumm
-geschrieben, während man doch nichts drucken lassen sollte, was man
-sich nicht selber laut vorgelesen hat![151] --, zum größten Teil
-aber beruht es auf gewissen technischen Handgriffen beim Satzbau --
-Handwerksvorteilchen möchte ich sagen --, die man eben kennen muß, um
-sie anwenden zu können. Unbewußt und unwillkürlich wendet sie niemand
-an. Es gibt zwar auch einen Naturburschenstil, der den Leser durch eine
-gewisse Gewandtheit ein paar Seiten lang täuschen kann; dann kommt
-aber plötzlich ein Satz, der deutlich verrät, daß der Verfasser nur
-zufällig, nicht mit Bewußtsein fließend geschrieben hat.
-
-Den angenehmen Eindruck, daß jemand fließend schreibe, hat man
-dann, wenn beim Lesen das Verständnis, die geistige Auffassung des
-Geschriebnen immer gleichen Schritt hält mit der sinnlichen Auffassung,
-die durch das Auge vor sich geht. Ist das nicht der Fall, ist man öfter
-genötigt, stehen zu bleiben, mit den Augen wieder zurückzukehren, einen
-ganzen Satz, einen halben Satz oder auch nur ein paar Worte noch einmal
-zu lesen, weil man sieht, daß man das Gelesene falsch verstanden hat,
-so spricht man von holprigem oder höckrigem Stil. Solch ärgerliches
-Mißverständnis kann aber die verschiedensten Ursachen haben. Wer diese
-Ursachen zu vermeiden weiß, wer den Leser jederzeit +zwingt+, gleich
-beim ersten Lesen richtig zu verstehen, der schreibt einen fließenden
-Stil. Das ist das ganze Geheimnis. Im folgenden sollen einige
-Haupthindernisse eines fließenden Stils zusammengestellt werden.
-
-Vor allem gehört zu ihnen die leider in unsrer Sprache weitverbreitete,
-ungemein beliebte und doch das Verständnis, namentlich dem Ausländer,
-aber auch dem Deutschen selbst überaus erschwerende Unsitte (so, wie es
-hier soeben geschehen ist!), zwischen den Artikel und das zugehörige
-Hauptwort langatmige Attribute einzuschieben, statt diese Attribute
-in Nebensätzen nachzubringen. Dergleichen Verbindungen sind eine Qual
-für den Leser. Man sieht einen Artikel: +die+. Dann folgt eine ganze
-Reihe von Bestimmungen, von denen man zunächst gar nicht weiß, worauf
-sie sich beziehen: +verbreitete+, +beliebte+, +erschwerende+. Endlich
-kommt das erlösende Hauptwort: +Unsitte+! Während also das Auge weiter
-gleitet, weiter irrt, wird unmittelbar hinter dem Artikel der Strom
-der geistigen Auffassung unterbrochen, es entsteht eine Lücke, und der
-Strom schließt sich erst wieder, wenn endlich das Hauptwort kommt.
-Dann ist es aber zu spät, man hat die Übersicht über das Eingeschobne
-längst verloren, muß wieder umkehren und das Ganze noch einmal lesen.
-Eine solche Unterbrechung tritt zwar bei jedem eingeschobnen Attribut
-ein, aber bei kurzen Attributen doch in so geringem Maße, daß man
-sie gar nicht fühlt. Je länger das Attribut ist, desto empfindlicher
-und störender wirkt die Lücke. Nur ein guter Schriftsteller hat ein
-richtiges und feines Gefühl dafür, was er dem Leser in dieser Beziehung
-zumuten darf. Unsre Kanzlisten und Zeitungschreiber haben meist keine
-Ahnung davon; sie schreiben seelenvergnügt, indem sie immer ein
-Attribut ins andre schachteln: das Gericht wolle erkennen, der Geklagte
-(!) sei schuldig, mir für +die+ von mir an +die+ in +dem+ von ihm
-zur Bearbeitung übernommenen +Steinbruch+ beschäftigten +Arbeiter+
-vorgeschossenen +Arbeitslöhne+ Ersatz zu leisten -- oder: von +einer+
-durch +einen+ in +einer Umwälzung+ in den wichtigsten Einrichtungen
-aller Kulturstaaten bestehenden +Vorteil+ ausgezeichneten +Erfindung+
-sind einige Gewinnanteile zu verkaufen -- oder: mit +einem+ von +dem+
-auf +der+ nach +dem Wasser+ zu gelegnen +Veranda+ aufgestellten
-+Musikkorps+ des ersten Gardedragonerregiments geblasenen +Choral+
-wurde die Feierlichkeit eröffnet.
-
-Ein zweites Haupthindernis eines fließenden Stils ist schon früher
-besprochen worden und soll hier nur noch einmal kurz erwähnt werden:
-es ist der unvorsichtige Gebrauch der Fürwörter (vgl. S. 224). Wie
-ärgerlich wird man beim Lesen aufgehalten durch ein +er+, +sie+, +ihm+,
-+ihn+, +sein+, +ihr+, +diesem+, wenn man nicht sofort sieht, auf wen
-oder was es sich bezieht! Wo irgendein Mißverständnis möglich ist,
-sollte immer statt des Fürworts wieder das Hauptwort gesetzt werden.
-
-Eine dritte Unsitte, die das Verständnis alles Deutschgeschriebnen
-in neuerer Zeit in der peinlichsten Weise erschwert, besteht darin,
-daß man das eigentliche und wirkliche Hauptwort des Satzes, nämlich
-das Verbum, immer in ein Substantiv verwandelt, entweder in ein
-wirkliches Substantiv oder in einen substantivierten Infinitiv. Da
-wird z. B. geschrieben: der +Zuhilfenahme+ eines besondern Rechts der
-Persönlichkeit bedarf es nicht (statt: ein besondres Recht zu Hilfe
-zu nehmen ist nicht nötig) -- beim +Unterbleiben+ einer baldigen
-+Inangriffnahme+ des Projekts (statt: wenn das Projekt nicht bald in
-Angriff genommen wird) -- nach +Umarbeitung+ eines Teils der Lieder zum
-Zwecke der +Herstellung+ ihrer +Sangbarkeit+ für Männerchöre an höhern
-Schulen (statt: nachdem ein Teil der Lieder umgearbeitet worden ist, um
-sie sangbar zu machen) -- aus Gründen der +Zugänglichmachung+ dieses
-Vorteils für das große Publikum -- (statt: um diesen Vorteil zugänglich
-zu machen) -- im Interesse der +Vermeidung+ von Wiederholungen (statt:
-um Wiederholungen zu vermeiden) -- trotz der seitens des Vorsitzenden
-erfolgten +Ablehnung+ des Antrags des Angeklagten auf +Vorladung+ des
-Kellners (statt: obgleich der Vorsitzende den Antrag des Angeklagten
-ablehnte, den Kellner vorzuladen) -- das +Mißlingen+ des Versuchs
-muß natürlich sein +Aufgeben+ zur +Folge+ haben (statt: wenn der
-Versuch mißlingt, muß er natürlich aufgegeben werden) -- für die
-+Mehrzahl+ der Reisenden hat die +Erweiterung+ des Gesichtskreises
-aufgehört der +Reisezweck+ zu sein (statt: die meisten reisen nicht
-mehr, um ihren Gesichtskreis zu erweitern) -- die +Voraussetzung+
-für die +Patentierung+ eines Advokaten bildet eine mehrjährige
-+Hilfsarbeiterschaft+ in einem Bureau (statt: wer als Advokat
-patentiert sein will, muß mehrere Jahre Hilfsarbeiter gewesen sein)
--- es gibt eine Grenze, bei deren +Überschreitung+ die +Vermehrung+
-der +Bevölkerung+ nicht zur +Erhöhung+, sondern zur +Verminderung+
-des Wohlstandes führt (statt: das Wachstum der Bevölkerung hat eine
-Grenze; wird diese überschritten, so wird der Volkswohlstand nicht
-vermehrt, sondern vermindert). Es gibt Schriftsteller, bei denen diese
-Art, sich auszudrücken, vollständig zur Manier geworden ist; sie haben
-sich so hinein verrannt, daß sie nicht wieder davon loskommen. Jeder
-Gedanke, der vor ihrer Seele auftaucht, nimmt sofort die Gestalt eines
-Substantivs an, jeder Hauptsatz, jeder Nebensatz gerinnt ihnen zu einem
-Substantiv. +Erweitern+ -- das können sie gar nicht mehr denken, sie
-denken nur noch +Erweiterung+.[152] Statt +um zu+, +weil+, +so daß+,
-+wenn+ schwebt ihnen sofort +Zweck+, +Grund+, +Interesse+, +Folge+,
-+Voraussetzung+ vor. Wenn ein gewissenhafter Redakteur mit solchen
-Mitarbeitern zu tun hat, so bleibt ihm gar nichts weiter übrig, als
-Satz für Satz die harten Substantivschalen entzweizuschlagen und
-überall den weichen Verbalkern herauszuholen, mit andern Worten: Satz
-für Satz umzuschreiben, aus der Substantivsprache in die Verbalsprache
-zu übersetzen. Verba erhalten den Satzbau geschmeidig und flüssig,
-sie lassen sich in der mannigfaltigsten Weise bekleiden, ohne daß die
-Sätze beschwert werden und dadurch schleppend werden. Sowie man aber
-den Verbalbegriff substantiviert, entstehen nicht nur so häßliche
-Bildungen wie: +Zuhilfenahme+, +Inangriffnahme+, +Inanspruchnahme+,
-+Beiseiteschiebung+, +Zugänglichmachung+, +Zurannahmebringung+,
-+Inanklagestandversetzung+, sondern diese zähen Verbalextrakte müssen
-nun auch erst wieder durch irgendeinen wässerigen, gehaltlosen Zusatz
-wie +stattfinden+, +erfolgen+, +bewirken+ in den flüssigen Zustand
-zurückversetzt werden, der für den Satzbau notwendig ist. Außerdem
-verbaut man sich durch solche Substantivierung selbst den Weg, verfitzt
-sich den Satz, und adverbielle Bestimmungen geraten in die Gefahr,
-falsch bezogen zu werden, wie in folgenden Sätzen: Seine Majestät
-+gab das Zeichen+ zum Beginn der Feier +durch Absingung+ eines
-Chorals (statt: durch Absingung +zu beginnen+) -- man +verzichtete+
-auf die Beantwortung einer Thronrede +durch eine Adresse+ (statt:
-durch eine Adresse +zu beantworten+) -- K. wurde der Körperverletzung
-+mittels eines schweren Werkzeuges angeklagt+ (statt: mittels eines
-schweren Werkzeuges +verletzt zu haben+) -- ein Expedient wurde wegen
-Unterschlagung von 750 Mark +zum Nachteil seines Prinzipals verhaftet+
-(statt: weil er zum Nachteil seines Prinzipals oder einfach: seinem
-Prinzipal +unterschlagen hatte+) -- die Fischerinnung hat das Befahren
-der Flüsse innerhalb der Stadtflur +mit Booten und Kähnen verboten+
-(statt: mit Booten und Kähnen +zu befahren+). Eine adverbielle
-Bestimmung gehört, wie ihr Name sagt, zunächst zum Verbum; wird
-dieses Verbum substantiviert, so flüchtet sie eben zu einem andern
-Verbum, und der Unsinn ist fertig. Namentlich in unsrer Gesetz- und
-Verordnungssprache spielt dieser Fehler eine große Rolle; Tausende von
-Bekanntmachungen, Verordnungen, Warnungen und Verboten, aber auch die
-einzelnen Punkte von Tagesordnungen und Protokollen fangen gewöhnlich
-gleich mit einem Verbalsubstantiv oder einem substantivierten Infinitiv
-an und quälen dann sich und die Leser mit allem, was darauf folgt.
-
-Ein vierter, sehr häufiger Fehler, aus dem das gerade Gegenteil eines
-fließenden Stils entspringt, besteht darin, daß ein ~casus obliquus~
-eines Hauptworts so im Satze gestellt wird, daß er beim ersten Lesen
-entweder nicht erkannt wird oder falsch bezogen werden muß. Sehr
-gewöhnlich ist es z. B., daß ein Satz mit einem Akkusativ angefangen
-wird, der, weil er ein Femininum, ein Neutrum oder ein Plural ist oder
-keinen Artikel hat, nicht eher als Akkusativ erkannt wird, als bis
--- oft ziemlich spät -- das Subjekt folgt[153]; bis dahin hält ihn
-jeder Leser für den Nominativ, also für das Subjekt des Satzes, z. B.:
-+die Pflege+ und die Wartung des jüngsten Kindes besorgt die Hausfrau
-selbst -- +die Frage+, ob es richtig war, auch die schon seit längerer
-Zeit ansässigen Einwandrer auszuweisen, untersuche ich hier nicht --
-+seine Erziehung+ hatte bisher nach der allgemeinen Gewohnheit in
-hochadligen Familien ein Priester geleitet -- die beste +Schilderung+
-Corneliens, zugleich ein herrliches Denkmal dankbarer Liebe, haben
-wir in Wahrheit und Dichtung -- die +harmlose Geselligkeit+ der
-anständigen Restaurationen will der Ankläger nicht gemeint haben --
-+die Einreihung+ der nicht teuern Bände in jede Familienbibliothek
-befürworte ich aufs wärmste -- +das Orchester+ führte schneidig
-und mit Umsicht Herr Kapellmeister P. -- +das große Pferd+, dessen
-mythologische Bedeutung schon durch die Statue auf der Säule nahegelegt
-wird, hat Thausing als Herkules gedeutet -- +das geistige Leben+
-beherrscht auf der einen Seite die bald in scholastischer Erstarrung
-erstickende lutherische Theologie, auf der andern der Jesuitismus --
-+anerkannte Namen+ von bestem Klange wie aufstrebende neue Talente hat
-unsre Mitarbeiterliste aufzuweisen -- des Kaisers +Sieg+ bei Mühlberg,
-nach dem die Tage des Evangeliums gezählt schienen, feierte Agricola
-durch einen Dankgottesdienst -- +die Herren+, die sich an unserm
-Fortbildungskursus beteiligen wollen, ersuchen wir usw. Aber auch andre
-Fälle solcher falscher Beziehungen kommen vor, wie folgende Beispiele
-zeigen (das Mißverständnis, in das jeder Leser zunächst verfällt, soll
-durch den Druck hervorgehoben werden): +diese volle Unabhängigkeit+
-fordernde Stelle -- +in einem Ende+ November 1862 an das Ministerium
-gerichteten Schreiben -- die Sozialdemokratie besteht noch +in dem
-Staate+ gefahrdrohender Weise -- der Staatsbetrug der Armeelieferanten
-ist mir lieber als +der der Staatsteile+ verschachernden Fürsten -- es
-handelt sich um +eine sehr weite+ Kreise interessierende Angelegenheit
--- um sie +zu allen Anforderungen+ entsprechenden Soldaten zu machen --
-die Absicht, den Platz +mit dem Festzweck+ entsprechenden Dauerbauten
-zu versehen -- sie hat ihm +zu seinem Aufsehen+ erregenden Mädchenbilde
-gesessen -- mit Rücksicht +auf die Befähigten+ zu erteilende Ausbildung
--- das nationale Gefühl ist +durch Jahrhunderte+ lange Trennung
-geschwächt -- die beiden Täler werden +von Steinforellen+ enthaltenden
-Bächen durchflossen -- diese Konglomerate von +kleinlichen,
-detaillierten Spezialforderungen+ anzupassenden Verwaltungsräumen --
-+es traten sich mühsam+ mit der Gitarre begleitende Sängerinnen auf usw.
-In allen diesen Sätzen verbindet man im ersten Augenblicke falsch; im
-nächsten Augenblicke sieht man natürlich die richtige Verbindung, aber
-seinen Rippenstoß hat man weg.
-
-Viele Druckseiten könnten hier mit Beispielen der verschiedensten
-Art gefüllt werden, die alle darauf hinauslaufen, daß der Leser beim
-ersten Lesen falsch versteht, an einer gewissen Stelle merkt, daß er
-falsch verstanden hat, und deshalb umkehren und das Gelesene gleichsam
-umdenken muß. Sehr häufig ist der Fall, daß dem Schreibenden bei
-einem Fürwort, einem Partizip, einem Adverb ein erst später folgendes
-Hauptwort oder Zeitwort vorschwebt, während es der Leser, der das nicht
-wissen kann, auf ein schon dagewesenes bezieht. Welche Störung dann!
-Da wird z. B. geschrieben: in Berlin gelang es +Bandel+ nicht, festen
-Fuß zu fassen; mit der brutalen Deutlichkeit, die +ihm+ eigen war,
-erklärte ihm +Schadow+ usw. (hier wird jeder Leser +ihm+ zunächst auf
-Bandel beziehen, während es auf Schadow gehen soll) -- die Gedichte
-wurden meine Einführungsbriefe bei den Dichtern Münchens, die ich fast
-alle in diesen Jahren im Hause meines Vaters kennen lernte; als +Glied
-des Leseausschusses+, als Regisseur, als Träger der Heldenrollen und
-wahrlich nicht am wenigsten als einsichtsvoller und wohlwollender
-Berater, als ein in allen Stücken prächtiger Mann war +er+ von den
-Herren gar eifrig gesucht (hier bezieht der Leser alle die schönen
-Prädikate des zweiten Satzes auf +ich+, bis er zuletzt merkt, daß sie
-sich auf +er+ beziehen) -- wie sehr unsre Landsleute am Vaterlande
-hängen, bewies die reiche +Spende+, die sie zum Bismarckdenkmal
-herübersandten. In herrlichem Gartengrün +verborgen, umgeben+ von
-tropischer Blumenpracht, hat der deutsche Verein in Honolulu sein
-+eignes Heim+ (hier versucht man, die Partizipia +verborgen+ und
-+umgeben+ zunächst auf +Spende+ zu beziehen, bis man endlich merkt,
-daß sie zu +Heim+ gehören sollen) -- diese Idee +kam+ von außen, +aus+
-der römisch gebildeten +Umgebung+ des Königs und aus den Bedürfnissen
-des römischen Papsttums +erwuchs sie+ (hier merkt man erst, daß man
-das zweite +aus+, und was darauf folgt, fälschlich mit +kam+ verbunden
-hat) -- obgleich ich nicht wußte, ob ich sitzen bleiben dürfte oder
-mich zurückziehen müßte, blieb ich doch +sitzen+. +So sehr+ hatte
-mich die bewundernswerte Persönlichkeit des Grafen gefangen genommen,
-daß ich selbst die gewöhnlichsten Gesellschaftsregeln +außer acht
-ließ+ (hier bezieht man +so sehr+ zunächst auf das vorhergehende
-+sitzen bleiben+, es soll aber den kommenden Folgesatz vorbereiten)
--- das ist zum erstenmal der volle, unvergleichliche +Beethoven+; und
-angesichts dieser Stelle kann man es nur mit der Eile, mit der +er+
-schrieb, entschuldigen, daß +Berlioz+ in dieser Sinfonie nur Haydnsche
-Musik gesehen hat (hier bezieht jeder Leser das +er+, womit Berlioz
-gemeint ist, zunächst auf Beethoven). Auch wenn geschrieben wird:
-diese Urkunden +ändern+ das Bild, das man sich von jenen Sekten und
-von der zu ihrer Vertilgung eingesetzten Inquisition gemacht hatte,
-+nicht wesentlich+ -- die jetzige ritterschaftliche Vertretung besitzt
-in ihrer Mehrheit das nötige Verständnis für die Aufgaben ihrer Zeit
-+nicht+ -- Wien +hat den Ruhm+, unter allen deutschen Hauptstädten
-zuerst eine Pflegstätte für das musikalische Lustspiel, die idyllische,
-bürgerliche und lyrisch-romantische Oper zu besitzen, +nicht lange
-genossen+ -- so liegt derselbe Fehler vor. Daß Wien den Ruhm nicht
-lange genossen hat, erfährt der Leser zu spät; bis dahin hat er glauben
-müssen, es hätte ihn überhaupt.
-
-Abzuhelfen ist solchen Anstößen, wie man sieht, auf die verschiedenste
-Weise, aber immer sehr leicht: ein denkender Schriftsteller wird
-sich überall schnell zu helfen wissen, sobald er nur -- den Anstoß
-bemerkt. Aber das ist eben das schlimme, daß der Schriftsteller selber
-gewöhnlich solche Anstöße +nicht+ bemerkt, nur der Leser bemerkt
-sie. Wie dem abzuhelfen sei? Vor allem dadurch, daß man sich beim
-Lesen dessen, was andre geschrieben haben, überall da, wo man hängen
-bleibt, darüber Rechenschaft gibt, warum man hängen bleibt, und dann
-dergleichen vermeidet. Man kann es darin bei einigem guten Willen sehr
-bald zu einer gewissen Fertigkeit bringen. Ein andres, sehr einfaches
-Mittel ist, daß man nichts naß in die Druckerei gibt, sondern alles,
-was man geschrieben hat, wenn auch nicht ~nonum in annum~, so doch
-einige Tage lang beiseite legt und dann wieder vornimmt. In dieser
-Zwischenzeit ist es einem gewöhnlich so fremd geworden, daß man von all
-den Anstößen, die jeden andern Leser verletzen würden, selber verletzt
-wird, sie also noch rechtzeitig beseitigen kann.
-
-Auf jeden Fall sollten folgende stilistische Haus- und Lebensregeln
-beobachtet werden: 1. schreibe Zeitwörter, nicht Hauptwörter! 2.
-schreibe Hauptwörter, nicht Fürwörter! 3. schachtle nicht, sondern
-schreibe Nebensätze! 4. schreibe laut! schreibe nicht immer bloß für
-die Augen, sondern vor allem auch für die Ohren! Mit der Beobachtung
-dieser Regeln und Ratschläge wird man freilich noch lange kein großer
-Schriftsteller, aber ohne sie auch nicht. Die Schriftstellerei ist eine
-Kunst, und jede Kunst hat ihre Technik, die gelehrt und gelernt werden
-kann. Wie der Maler malen, so muß der Schriftsteller schreiben können,
-und der geistvollste Schriftsteller kann sich um alle Wirkung bringen,
-wenn er seine Leser aller Augenblicke durch Ungeschicklichkeiten und
-lumpige technische Schnitzer stört und ärgert.
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-Zum Wortschatz und zur Wortbedeutung
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-[Illustration]
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-[Illustration]
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-Die Stoffnamen
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-Zahllose Fehler und Geschmacklosigkeiten werden in der Wahl und der
-Anwendung der Wörter begangen.
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-Alle Stoffnamen wie: +Wein+, +Bier+, +Blut+, +Eisen+, können von Rechts
-wegen nur im Singular gebraucht werden, und so priesen denn auch früher
-unsre Kaufleute nur ihren guten +Lack+ oder +Firnis+ an, auch wenn
-sie noch so viel Sorten hatten. Von einigen solchen Wörtern hatte man
-aber doch gewagt, den Plural zu bilden, um die Mehrzahl der Sorten
-zu bezeichnen, und wir haben uns allmählich daran gewöhnt. Schon das
-sechzehnte Jahrhundert kannte die Plurale: +die Bier+, +die Wein+, im
-Faust heißt es: ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden,
-doch ihre +Weine+ trinkt er gern, und die Chemie und die Technologie
-reden schon lange von +Ölen+ und +Fetten+. Neuerdings wird aber doch
-diese Pluralbildung in unerträglicher Weise ausgedehnt; man empfiehlt
-nicht nur +Lacke+, +Firnisse+, +Öle+ und +Seifen+, sondern auch
-+Mehle+, +Grieße+, +Essige+, +Salate+, +Honige+, +Tabake+, +Zwirne+,
-+Garne+, +Wollen+ (Strick- und Häkelwollen!), +Tuche+, +Seiden+,
-+Flanelle+, +Plüsche+, +Tülle+, +Battiste+, +Kattune+, +Damaste+,
-+Barchente+ -- +Tees+, +Kaffees+, +Kakaos+, +Buckskins+ usw. Diese
-Formen, die die immer rücksichtsloser werdende Reklamesprache unsrer
-Kaufleute geschaffen hat, haben etwas stammelndes, sie klingen wirklich
-wie Kindergelall. Wenn auf diesem Wege weitergegangen würde, müßte man
-in Zukunft auch +Wachse+, +Leime+, +Kalke+, +Porzellane+, ja sogar
-+Fleische+, +Wurste+, +Korne+, +Glase+, +Stahle+ anpreisen können.
-Denn +Würste+, +Körner+, +Gläser+, +Stähle+ (Plättstähle sagt man in
-Leipzig) sind doch etwas andres, sie bezeichnen die einzelnen Stücke,
-aber nicht die Sorten; ähnlich die +Kälke+, von denen die Gerber früher
-sprachen. Die Geologen reden bereits von +Sanden+ und +Tonen+, statt
-von Sand- und Tonarten. Wo ist die Grenze? Und wie will man überhaupt
-eine Mehrzahl bilden von +Schiefer+, +Zucker+, +Obst+, +Milch+,
-+Butter+, +Käse+, +Leinwand+, +Flachs+, +Spiritus+, +Petroleum+? Das
-Bedürfnis, die verschiednen Sorten auszudrücken, ist doch bei diesen
-Dingen gewiß ebenso stark wie bei andern. An der Firma einer Leipziger
-Handlung steht: +Stahl aller Art+. Wie vornehm klingt das! Man freut
-sich jedesmal, wenn man vorbeigeht. Wie dumm dagegen ist die Mehrzahl
-+Abfallseifen+! Wenn es irgend etwas gibt, was man nicht in den Plural
-setzen kann, so ist es doch das Sammelsurium, daß man als „Abfallseife“
-bezeichnet.
-
-Ein wunderliches Gegenstück zu diesen anstößigen Pluralen ist es, daß
-von manchen Wörtern die Mehrzahl jetzt auffällig vermieden wird. Von
-den schönen +Haaren+ einer Frau zu sprechen, gilt nicht für fein; nur
-daß sie schönes +Haar+ habe, hört sie gern. Und beim Schneider bestellt
-man sich nicht mehr neue +Hosen+ -- das wäre ja ganz plebejisch! --,
-nein, eine neue +Hose+. Was will man denn aber mit +einer+ Hose?
-Man hat doch zwei Beine, also wird man auch immer ein Paar +Hosen+
-brauchen. +Hose+ bedeutet doch nur die zylinderförmige Hülse für +ein+
-Bein. Vornehme Leute haben allerdings auch keine Beine mehr, sondern
-nur noch Füße. Ich habe mich an den Fuß gestoßen, sagt die feine
-Dame; wenn man sie aber nach der Stelle fragt, zeigt sie -- auf den
-Oberschenkel.
-
-
-Verwechselte Wörter
-
-Nicht bloß Kindern, auch Erwachsenen, oft sogar recht „gebildeten“
-Erwachsenen begegnet es, daß sie ein Wort in falschem Sinne gebrauchen
-oder zwei Wörter oder Redensarten miteinander verwechseln oder
-vermengen. Es fehlt ihnen dann an der nötigen Spracherfahrung. Sie
-haben die Wörter noch nicht oft genug gehört, oder sie haben nicht
-scharf genug auf den Zusammenhang geachtet, worin ihnen die Wörter
-vorgekommen sind, und so verbinden sie nun einen falschen Sinn damit.
-Es gibt Bücher über Shakespeares, Goethes, Schillers +Frauengestalten+.
-Darunter hat wohl noch niemand etwas andres verstanden als die
-Frauen in den Werken der drei Dichter. Vor kurzem ist aber ein Buch
-erschienen: +Lenaus Frauengestalten+. Das behandelt „diejenigen (!)
-Frauen, welche (!) bedeutsam (!) in das Leben und Werden (!) Lenaus
-eingegriffen haben“. Wenn eine solche Begriffsverwechslung einem
-Schriftsteller begegnet, dann kann man den Schenkwirten keinen Vorwurf
-machen, wenn sie neuerdings mit Vorliebe auf die +kleinen Preise+
-ihrer Speisekarte aufmerksam machen. Zwischen +Preis+ (~praemium~) und
-+Preis+ (~pretium~) ist ein Unterschied. Große und +kleine Preise+
-gibt es bei Preisausschreiben und Preisverteilungen; im Handel aber
-gibt es nur hohe und +niedrige+ oder +billige+ oder +mäßige Preise+.
-Man scheint zu glauben, daß man durch +niedrige+ Preise das Publikum
-beleidige; Sängerinnen veranstalten schon Konzerte zu +volkstümlichen+,
-sogar +populären+ Preisen.[154] In den Zeitungen kann man jeden Tag
-lesen, daß ein Erkrankter oder ein Verunglückter in das oder jenes
-Krankenhaus +eingeliefert+ worden sei. Welche Roheit! Ein Verbrecher
-wird ins Gefängnis +eingeliefert+, nachdem er verhaftet worden ist,
-aber doch nicht ein armer Kranker!
-
-Oft verwechselt werden jetzt von Hauptwörtern: +Neuheit+ und
-+Neuigkeit+, +Wirkung+ und +Wirksamkeit+, +Folge+ und +Erfolg+, von
-Zeitwörtern: +zeigen+, +zeichnen+, +bezeichnen+ und +kennzeichnen+,
-+verlauten+ und +verlautbaren+ u. a., von Adverbien: +regelmäßig+ und
-+in der Regel+, +anscheinend+, +scheinbar+ und +augenscheinlich+,
-+voran+ und +vorwärts+, +zumal+ und +besonders+.
-
-+Neuheiten+ liegen in dem Schaufenster des Modewarenhändlers; in dem
-des Buchhändlers liegen +Neuigkeiten+. Bis vor kurzem wenigstens ist
-dieser Unterschied stets beobachtet und von literarischen Erzeugnissen
-dasselbe Wort gebraucht worden wie von neuen Nachrichten: +Neuigkeit+.
-Es hat einen geistigern Inhalt als +Neuheit+, und die Schriftsteller
-sollten es sich verbitten, daß man ihre Erzeugnisse mit demselben Worte
-bezeichnet wie die des Schneiders.
-
-Von der +Wirksamkeit+ des Saxlehnerschen Bitterwassers zu reden ist
-ebenso verkehrt, wie zu sagen: diese Maßregel verliert auf die Dauer
-ihre +Wirksamkeit+. Der Pfarrer wirkt in seinem Amte, eine Maßregel
-wirkt vielleicht im Verkehr, und das Bitterwasser wirkt in den
-Gedärmen; aber nur der Pfarrer hat eine +Wirksamkeit+, die beiden
-andern haben eine +Wirkung+.
-
-Ebenso sinnwidrig ist es von dem +Erfolg+ zu knapper Mittel zu reden,
-statt von den +Folgen+, denn ein +Erfolg+ ist etwas positives,
-erfreuliches, zu knappe Mittel sind etwas negatives, unerfreuliches.
-
-+Kennzeichnen+ ist sehr beliebt geworden, seitdem man es als Ersatz
-für das Fremdwort +charakterisieren+ gebraucht. Es wird aber oft ganz
-gedankenlos verwendet. Wenn geschrieben wird: welche Stellung er zur
-Revolution einnahm, ist schon oben kurz +gekennzeichnet+ worden --
-durch ihre Aussprüche +kennzeichnen+ sie ihre Zugehörigkeit zur stillen
-Gemeinde -- wir haben das Buch als das +gekennzeichnet+, was es ist:
-als eine Tendenzschrift -- der ungeheure Verbrauch von Offizieren muß
-als ein Luxus +gekennzeichnet+ werden -- der Hauptraum, der als Halle
-oder Kapelle +gekennzeichnet+ werden kann -- die ganze Kläglichkeit der
-heutigen Handwerkspolitik hat Stieda trefflich +gekennzeichnet+ -- so
-liegt auf der Hand, daß in den ersten drei Sätzen +zeigen+ (andeuten,
-verraten, nachweisen), in den zwei nächsten +bezeichnen+, in dem
-letzten einfach +zeichnen+ (schildern) gemeint ist.
-
-+Verlauten+ ist ein intransitives Zeitwort und bedeutet: +laut werden+.
-Es +verlautet+ etwas -- heißt: man erzählt es, man spricht davon.
-+Verlautbaren+ dagegen (ein entsetzliches Kanzleiwort!) ist transitiv
-und bedeutet: +laut aussprechen+, bekanntmachen. Ganz verkehrt ist es
-also, zu sagen: es +verlautbart+ etwas.[155]
-
-Sehr gern verwechselt werden auch +erhalten+ und +empfangen+: er
-+empfing+ die Nachricht, daß sein Freund bankrott sei -- wenige Stunden
-später +empfing+ Delbrück abermals ein Telegramm Bismarcks. Wenn man
-Besuch +erhält+, so kann man ihn natürlich auch +empfangen+, entweder
-freundlich oder höflich oder feierlich; aber Nachrichten, Briefe,
-Telegramme, Geld usw. +erhält+ man, wenn es auch üblich ist, hinterher
-den richtigen +Empfang+ anzuzeigen.
-
-Falsch ist es auch, aber trotzdem sehr beliebt, reflexive Zeitwörter,
-wie: +sich erheben+, +sich anschließen+, ihres rückbezüglichen Fürworts
-zu berauben, sie als Intransitiva zu behandeln und zu schreiben: ein
-Festaktus in der Aula mit +anschließendem+ Rundgange durch das Gebäude
--- die Versammlung bezeugte ihre Teilnahme durch +Erheben+ von den
-Plätzen. Man erhebt +sich+, oder einfach: man -- +steht auf+!
-
-+Regelmäßig+ ist dasselbe wie +immer+; +in der Regel+ aber ist nicht
-dasselbe wie +immer+. Wer regelmäßig früh um fünf Uhr aufsteht, leistet
-mehr, als wer es bloß in der Regel tut. Die Regel leidet eine Ausnahme,
-die Regelmäßigkeit leidet keine.
-
-Wenn eine Zeitung schreibt: die Herren verlebten einen +scheinbar+
-ganz köstlichen Abend -- so ist das etwas ganz andres, als was der
-Zeitungschreiber sagen will. Mit +scheinbar+ wird ein Anschein gleich
-für falsch erklärt, mit +augenscheinlich+ wird er gleich für richtig
-erklärt, mit +anscheinend+ wird gar kein Urteil ausgesprochen. Er
-verzichtet +scheinbar+ auf einen Gewinn -- heißt: in Wahrheit ist
-er ganz gierig darnach; er verzichtet +anscheinend+ -- heißt: es
-kann sein, daß er verzichtet, es kann auch nicht sein; er verzichtet
-+augenscheinlich+ -- heißt: er verzichtet offenbar.
-
-+Voran+ bezeichnet einen Platz, und zwar den ersten Platz, die Spitze,
-+vorwärts+ dagegen eine Richtung. Es ist also Gedankenlosigkeit oder
-Ziererei, wenn jemand schreibt: Max Müller hat die Forschung in der
-Sprachwissenschaft in keinem Punkte +voran+ gebracht. Gemeint ist:
-+vorwärts+gebracht oder +gefördert+.
-
-Durch +zumal+ erfährt eine Behauptung eine in der Sache selbst
-liegende, also selbstverständliche Steigerung z. B.: die Urkunden
-sind schwer lesbar, +zumal+ im siebzehnten Jahrhundert (wo man
-überhaupt schlecht schrieb -- ist der Sinn) -- du solltest dich doch
-sehr in acht nehmen, +zumal+ im Winter. Ganz unangebracht ist es
-dagegen in folgendem Satze: als ich die Quellen zur Geschichte des
-Bistums durcharbeitete, stieß ich, +zumal+ in zwei Handschriften des
-fünfzehnten Jahrhunderts, auf zahlreiche Aktenstücke. Hier kann es nur
-+besonders+ oder +namentlich+ heißen.
-
-Keine Verwechslung, sondern bloße Ziererei ist es, für +erstens+ zu
-schreiben +einmal+: ich muß das aus verschiednen Gründen ablehnen,
-+einmal+ weil, +sodann+ weil usw. Wer darauf aufmerksam gemacht worden
-ist, unterläßt das; es ist wirklich eine Abgeschmacktheit.
-
-Nicht verwechselt, aber vermengt werden neuerdings fortwährend die
-beiden Redensarten +einig sein+ und +sich klar sein+. +Einig sein+
-über etwas können immer nur mehrere; +sich klar sein+ kann auch ein
-einzelner. Ganz sinnlos aber ist das aus beiden zusammengeknetete
-+sich einig sein+, das man jetzt täglich lesen muß: Protestanten und
-Katholiken sind +sich+ in diesem Punkte +einig+ -- darin waren +sich+
-zwei Männer von so verschiedner Art wie Freytag und Treitschke +einig+
--- die Völker andrer Zonen sind +sich+ darüber +einig+ -- die Ärzte
-sind +sich+ schon lange darüber +einig+ -- in dieser Wahlparole sind
-+sich+ heute alle völlig +einig+ -- die Reichsregierung ist +sich+
-über die Höhe der Forderungen noch nicht +einig+ -- es handelt sich um
-Maßnahmen, über die wohl die überwiegende Mehrheit +sich einig+ ist --
-vor kurzem noch war man +sich+ in Kunstgelehrtenkreisen darüber +einig+
--- offenbar ist man +sich+ über gewisse Personenfragen noch nicht
-+einig+ -- in der Forderung einer amtlichen, unanfechtbaren Darstellung
-des Falles wird man +sich+ wohl überall +einig+ sein. Wenige
-Sprachdummheiten haben sich in den letzten Jahren so seuchenartig
-verbreitet wie dieses +sich einig sein+. Fort wieder mit dem törichten
-+sich+![156]
-
-
-Hingebung und Hingabe. Aufregung und Aufgeregtheit
-
-Von manchen wird ein lebhafter Kampf gegen die Wörter auf +ung+
-geführt. Sie klängen häßlich, heißt es, ja sie seien geradezu eine
-Verunstaltung unsrer Sprache. Im Unterricht wird gelehrt, man solle
-sie möglichst vermeiden. Irgend jemand hat sogar die witzige Bemerkung
-gemacht, unsre Sprache mit ihren vielen +ung-ung-ung+ klinge wie lauter
-Unkenrufe.
-
-Das ist zunächst eine Übertreibung. Die Endung +ung+ ist tonlos
-und fällt nicht so ins Gehör, daß sie, in kurzen Zwischenräumen
-wiederholt, stören könnte. Wenn in dem heutigen Deutsch das Ohr
-durch nicht schlimmeres verletzt würde als durch die Endung +ung+,
-so wäre es gut. Ein Satz wie folgender: über die +Voraussetzungen+
-zu einer +Schließung+ des Reichstags enthält die +Verfassung+ keine
-ausdrückliche +Bestimmung+ -- hat gar nichts anstößiges. In lebendiger
-Rede hört man es kaum, daß hier kurz hintereinander vier Wörter auf
-+ung+ stehen. Hebt man freilich die Endung auffällig hervor, so kann es
-wohl lächerlich klingen; aber auf diese Weise könnte man auch hundert
-andre Spracherscheinungen lächerlich machen.
-
-Nicht die Wörter auf +ung+ muß man bekämpfen, sondern eine immer mehr
-um sich greifende garstige Gewohnheit, die dazu verleitet, eine Menge
-wirklich häßlicher Wörter auf +ung+ zu bilden, darunter Ungetüme
-wie: +Inbetriebsetzung+, +Außerachtlassung+, +Inwegfallbringung+,
-+Zurdispositionstellung+, +Außerdienststellung+ u. a., die Gewohnheit,
-eine Handlung oder einen Vorgang nicht durch ein Zeitwort auszudrücken,
-sondern durch ein Substantiv in Verbindung mit irgendeinem farblosen
-Zeitwort des Geschehens (mit Vorliebe +stattfinden+ oder +erfolgen+).
-Da ist es aber nicht die Endung +ung+, die stört, sondern das
-schleppende Wortungetüm, das damit gebildet ist, und der ganze
-unlebendige Gedankenausdruck (vgl. S. 328). Wir haben vielmehr allen
-Anlaß, die Endung +ung+ zu schützen, ja zu verteidigen gegen törichte
-Neubildungen, die sich ihr an die Seite drängen wollen.
-
-Die Wörter auf +ung+ bezeichnen zunächst eine Handlung, einen
-Vorgang; +Bildung+, +Erziehung+, +Aufklärung+, +Einrichtung+ bedeuten
-zunächst die Handlung, die Tätigkeit des Bildens, des Erziehens, des
-Aufklärens, des Einrichtens. Aus dieser Bedeutung entwickelt sich
-aber eine weitere, nämlich die des Ergebnisses, das die Handlung hat,
-des Zustandes, der durch sie herbeigeführt worden ist; +Bildung+,
-+Erziehung+, +Aufklärung+ bedeuten auch den Zustand des Gebildetseins,
-des Erzogenseins, des Aufgeklärtseins, +Einrichtung+ auch das
-Eingerichtete selbst. Vielfach hat nun die Sprache, um den Unterschied
-zwischen der Handlung und ihrem Ergebnis zu bezeichnen, neben dem Wort
-auf +ung+ noch ein kürzeres, meist mit Ablaut, unmittelbar aus dem
-Stamme geschaffen, also eine starke Bildung neben der schwachen. So
-haben wir +Anlage+ neben +Anlegung+, +Vorlage+ neben +Vorlegung+ und
-können geradezu reden von der +Anlegung+ von Gas- und Wasser+anlagen+,
-der +Vorlegung+ von Zeichen+vorlagen+. Da besteht nun schon seit
-alter Zeit die Neigung, die Bildung auf +ung+ ganz zu beseitigen und
-ihre Aufgabe der kürzern Form mit zu übertragen. So sind die Wörter
-+Kaufung+ und +Verkaufung+ ganz verschwunden; heute bedeutet +Kauf+
-und +Verkauf+ auch die Handlung des Kaufens und Verkaufens. Noch um
-1800 sprach man von +Einführung+ und +Ausführung+ von Waren, und wenn
-man mit etwas nicht einverstanden war, machte man eine +Einwendung+;
-heute heißt es: +Einfuhr+, +Ausfuhr+, +Einwand+. Und diese Neigung
-ist gegenwärtig sehr stark verbreitet: obwohl die Sprache eine
-Unterscheidung an die Hand gibt, es ermöglicht, einen Unterschied zu
-machen (wieder ein Beispiel: +Unterscheidung+ und +Unterschied+!),
-verschmäht man ihn und redet von +Hingabe+, +Freigabe+, +Erwerb+
-(in jedem Bande stand auf dem Titelblatte das Datum des +Erwerbs+!),
-+Gewinn+, +Bezug+, +Vollzug+, +Entscheid+, +Entsatz+, +Ersatz+,
-+Vergleich+, +Ausgleich+, +Aufgebot+, +Freispruch+ (des Angeklagten),
-+Zusammenschluß+, wo +Hingebung+, +Freigebung+ (der Sonntagsarbeit),
-+Erwerbung+ (eines Grundstücks oder der Staatsangehörigkeit),
-+Gewinnung+ (Schlesiens), +Beziehung+, +Vollziehung+, +Entscheidung+,
-+Entsetzung+ (Emin Paschas), +Ersetzung+, +Vergleichung+, +Aufbietung+
-(aller Kräfte), +Zusammenschließung+ das Richtige wäre, weil eine
-Handlung gemeint ist. Vor dem letzten Einzug des Königs in Leipzig
-schilderte ein Zeitungschreiber, wieviel fleißige Hände mit dem
-+Ausschmuck+ der Straßen beschäftigt wären. In den nächsten Tagen
-plapperten das dumme Wort alle Leipziger Zeitungen nach![157]
-Andrerseits: da, wo die Sprache wirklich beides, Handlung und Zustand,
-mit demselben Worte, und zwar auf +ung+, ausgedrückt hat, schafft man
-künstlich einen Unterschied durch häßliche Neubildungen auf +heit+
-(sie schießen wie Pilze aus der Erde!) und läßt die Menschen aus
-+Geneigtheit+ oder +Abgeneigtheit+, in der +Zerstreutheit+, in der
-+Verzücktheit+, in der +Verstimmtheit+, in der +Aufgeregtheit+, in
-der ersten +Überraschtheit+, mit +Gefaßtheit+, unter Merkmalen von
-+Geistesgestörtheit+ oder gar +geistiger Gestörtheit+ tun, was sie
-früher aus +Neigung+ oder +Abneigung+, in der +Zerstreuung+, in der
-+Verzückung+, in der +Verstimmung+, in der +Aufregung+, in der ersten
-+Überraschung+, mit +Fassung+, in einem Anfalle von +Geistesstörung+
-taten. Ja man redet sogar von künstlerischer +Abgeklärtheit+, von
-religiöser +Aufgeklärtheit+, von der +Isoliertheit+ eines Gebäudes, von
-der +Vertiertheit+ des Proletariats und sieht mit +Gespanntheit+ den
-kommenden Ereignissen entgegen. Hier überall gilt es, die Bildung auf
-+ung+ vor der häßlichen Nebenbildung auf +heit+ zu schützen und das
-einschlummernde Sprachgefühl wieder zu wecken. Der Straf+vollzug+,
-von dem die Juristen immer reden, ist ein Greuel, der doch aus
-unsrer Sprache wieder hinauszubringen sein müßte; ebenso die innige
-+Hingabe+.[158] Wird jemand +Anziehung+ und +Anzug+ oder +Abtretung+
-und +Abtritt+ oder +Eingebung+ und +Eingabe+ verwechseln und sagen:
-er tat das aus göttlicher +Eingabe+? Das fürchterlichste ist wohl der
-+Bezug+. Früher kannte man +Bezüge+ nur an Bettkissen, Stuhlpolstern
-und Regenschirmen. Jetzt steht +Bezug+ überall für +Beziehung+, und
-da nun die, die das Wort so gebrauchen, die Bedeutung der Handlung
-dabei doch nicht recht fühlen, was haben sie gemacht? Sie haben das
-herrliche Wort +Bezugnahme+ erfunden. Das kann man doch bequemer haben:
-was mühselig durch das zusammengesetzte Wort +Bezugnahme+ ausgedrückt
-werden soll, das liegt ja in dem einfachen Worte +Beziehung+!
-
-
-Vertauschung der Hilfszeitwörter
-
-Eine vollständige Verschiebung scheinen manche jetzt unter den
-Hilfszeitwörtern (+können+, +mögen+, +wollen+, +dürfen+, +sollen+,
-+müssen+) durchsetzen zu wollen. Und +warum+? Aus bloßer Ziererei, nur,
-um es einmal anders zu machen, als es bisher gemacht worden ist. Da
-schreibt einer: es +mag+ für ältere Mitglieder von Interesse sein die
-Mitgliederliste kennen zu lernen. Nun denkt man, er werde fortfahren:
-aber für die jüngern hat es kein Interesse, und darum teile ich sie
-nicht mit. Nein, er teilt sie mit! Er hat also sagen wollen: die Liste
-+kann+ oder +wird vielleicht+ von Interesse sein, darum will ich sie
-mitteilen. Eine Zeitschrift macht bekannt: Abonnenten +wollen+ die
-Fortsetzung bei der Expedition bestellen -- ein Realschuldirektor
-schreibt: Neuphilologisch geschulte Bewerber +wollen+ ihre Gesuche
-bis zum 1. Dezember einreichen. Das ist doch nichts als Nachäfferei
-des Französischen (~veuillez~); deutsch kann es nur heißen: +mögen+
-sie einreichen, oder wenn das nicht höflich genug scheint, +werden
-gebeten+, +werden ersucht+, sie einzureichen. Noch alberner ist es, ein
-solches +wollen+ mit dem Passivum zu verbinden: die Redaktion +wolle+
-angewiesen werden (statt: es wird gebeten, die Redaktion anzuweisen)
--- das Testament +wolle+ in Verwahrung genommen werden -- das Öffnen
-der Fenster +wolle+ den Schaffnern aufgetragen werden -- es +wolle+
-sich gefälligst des Tabakrauchens enthalten werden. Sehr beliebt ist
-es auch jetzt, zu schreiben: ich +darf+ endlich noch hinzufügen --
-hier +darf+ zum Schluß noch angeführt werden usw. Darf? Wer erlaubt es
-denn? Der Schreibende erlaubt es sich doch selber, er nimmt es sich
-heraus. Er kann also doch nur sagen: hier +darf wohl+ zum Schluß noch
-angeführt werden; mit dem +wohl+ sucht man sich höflich der Zustimmung
-des Lesers zu versichern. Ganz abgeschmackt ist der Mißbrauch, der
-jetzt mit +sollen+ getrieben wird. Da wird geschrieben: eines nähern
-Eingehens auf diese Punkte glaube ich mich enthalten zu +sollen+ --
-wir glauben, diesen Satz auf das ganze Werk ausdehnen zu +sollen+ --
-der Heilige Vater glaubt dich ermuntern zu +sollen+, in der begonnenen
-Arbeit fortzufahren -- wir glaubten die Eröffnung +nicht+ vornehmen zu
-+sollen+, ohne die maßgebenden Persönlichkeiten dazu einzuladen -- im
-Interesse des Publikums hat die Behörde geglaubt, den Betrieb +nicht+
-in städtische Regie nehmen zu +sollen+. +Sollen+ bezeichnet einen
-Befehl, einen Auftrag. In den angeführten Beispielen aber handelt sichs
-entweder um eine Möglichkeit oder eine Notwendigkeit. Weshalb also
-nicht +können+, +müssen+, +dürfen+? Es ist nichts als dumme Ziererei.
-
-
-Der Dritte und der Andre
-
-Viele Menschen können jetzt tatsächlich nicht mehr „bis drei zählen“,
-sondern lassen auf den Ersten gleich den Dritten folgen. Sie schreiben:
-bei allem, was ich unternommen habe, hat mich nichts verleiten können,
-das Recht eines +Dritten+ zu verletzen -- an einer neuen Entdeckung
-ging er gleichgiltig vorbei; sobald sie aber durch einen +Dritten+
-verballhornt war, erhob er den Kopf -- mein Bauplan würde ganz umsonst
-gemacht sein, wenn dann ein +Dritter+ den Bauplatz bekäme -- bei
-einer solchen Verpachtung würde die Stadtgemeinde das Eigentumsrecht
-behalten und nur auf eine Reihe von Jahren einem +Dritten+ ein
-Benutzungsrecht einräumen -- auch der Künstler, der aus innerm Drange
-schafft, wird früher oder später erlahmen, wenn er fortwährend zusehen
-muß, wie +Dritte+ den ihm zukommenden Ruhm genießen -- die juristische
-Wissenschaft zeigt dem Verwaltungsbeamten die Schranken, die seinem
-Handeln durch entgegenstehende Rechte +Dritter+ gesetzt sind -- ich
-hätte die Aufgabe ohne die freundliche Hilfe +Dritter+ nicht bewältigen
-können -- das Mißtrauen in (!) seine Begabung, unter dem er durch
-+Dritte+ zu leiden hatte -- die Anerkennung, die sich als Ausbeutung
-seines geistigen Eigentums seitens (!) +Dritter+ darstellt -- die
-sekundäre Art der Komposition, über Themen +Dritter+ zu phantasieren
--- Akten über innere Verwaltungssachen und Verträge mit +Dritten+
-werden nicht mitgeteilt -- da die Mitglieder entfernt wohnen, so
-lag es nahe, ihre Befugnisse auf +dritte+ Personen zu übertragen
--- wegen des Zeitverlustes, den mir die Arbeit an +dritter+ Stelle
-machen würde, bitte ich mir die Bücher in meine Wohnung zu senden. Ein
-Lokalrichter macht bekannt, er habe Waren im Auftrage eines +Dritten+
-zu versteigern -- eine Zeitung berichtet, daß ein Klempner von einem
-Baugerüst gefallen, ein Verschulden +Dritter+ an dem Unglücksfall aber
-ausgeschlossen sei -- eine andre erzählt: der junge Mann besuchte
-darauf ein Restaurant, wo möglicherweise +dritte+ Personen von seinem
-Gelde Kenntnis erlangten.
-
-Der Unsinn stammt natürlich aus Juristenkreisen. Die Herren Juristen
-sind so daran gewöhnt, mit zwei Parteien zu tun zu haben, zu denen
-dann irgend ein „Dritter“ kommt, daß ihnen schließlich der Dritte auch
-da in die Feder läuft, wo gar nicht von zweien die Rede gewesen ist;
-er vertritt schon vollständig die Stelle des Andern. Und andre Leute
-machen es gedankenlos nach.
-
-
-Verwechslung von Präpositionen
-
-Mancherlei Verwirrung herrscht auch auf dem Gebiete der Präpositionen.
-So werden z. B. sehr oft +durch+ und +wegen+ verwechselt, obwohl
-sie doch so leicht auseinanderzuhalten wären, denn +durch+ gibt das
-Mittel, +wegen+ den Grund an. Da wird z. B. geschrieben: das Buch ist
-+durch+ seine prachtvolle Ausstattung ein wertvolles Geschenk -- die
-Marienkirche enthält viele +durch+ Kunst und Geschichte bemerkenswerte
-Sehenswürdigkeiten -- der Streit ist +durch+ seine lange Dauer von
-mehr als bloß örtlicher Bedeutung gewesen -- +durch+ die verkehrte
-Methode seines Lehrers machte er lange Zeit keine Fortschritte --
-Falb, der +durch+ seine kritischen Tage vielgenannte Wetterprophet
--- die Mißernten bleiben dann nur noch +durch+ Regen zu fürchten --
-+durch+ körperliches Leiden ist als sicher anzunehmen, daß sie sich
-ein Leid angetan hat -- +durch+ sein liebenswürdiges und aufrichtiges
-Wesen werden wir stets seiner in Ehren gedenken. In allen diesen
-Sätzen muß es +wegen+ heißen, denn man fragt hier nicht: wodurch?
-sondern weshalb oder warum? Ebenso werden +für+ und +vor+, +für+ und
-+zu+, +für+ und +über+ oft vertauscht. Früher hatte man Liebe +zu+
-jemand, faßte Neigung +zu+ jemand, hegte Achtung +vor+ etwas, hatte
-Sinn, Gefühl, Interesse +für+ etwas; jetzt gilt es +für+ fein, das
-alles durch +für+ zu erledigen: daher seine merkwürdige +Neigung für+
-alle Verkommnen und Gescheiterten -- wir haben +Achtung für+ den
-realistischen Geist -- der Sozialismus hat wenig +Achtung für+ rein
-geistige Arbeit. Eine Stadtgemeinde gibt Verwaltungsberichte heraus
-+für+ das abgelaufene Jahr. Nein, Kalender und Adreßbücher druckt man
-+für+ ein Jahr, Berichte schreibt man +über+ ein Jahr. Früher sagte
-man: +von+ heute +an+. Jetzt liest man nur noch: +von+ heute +ab+,
-+von+ Montag +ab+, +vom+ 1. Januar +ab+. Warum denn +ab+? Man bildet
-sich doch nicht etwa ein, +ab+ könne hier in dem Sinne stehen wie auf
-den Eisenbahnfahrplänen, wo es den Ausgangspunkt bezeichnet? Nein, es
-bedeutet die Richtung. +Von+ Kindesbeinen +an+ -- das will sagen, daß
-der Weg von der Kindheit in die Höhe führe (vgl. +hinan+, +bergan+);
-noch deutlicher sagt es: +von+ Jugend +auf+. Bei dem neumodischen
-+von+ -- +ab+ hat man immer die Vorstellung, als ob alles, was jetzt
-unternommen wird, von Anfang an dazu verurteilt wäre, bergab zu gehen.
-
-Besonders anstößig ist es, wie oft sich -- offenbar unter dem Einflusse
-des Lateinischen -- die Präposition +in+ an Stellen drängt, wo sie
-nicht hingehört. In gutem Deutsch hat man Vertrauen +zu+ jemand,
-Hoffnung +auf+ jemand und Mißtrauen +gegen+ jemand. Das wird jetzt
-alles durch +in+ besorgt: man hat Vertrauen +in+ die Kriegsleitung
-(scheußlich!), verliert die Zuversicht +in+ sich selbst, ist ohne jedes
-persönliche Mißtrauen +in+ die Behörden und setzt seine Hoffnung +in+
-die Zukunft. Ja die Juristen reden sogar von einer Vollstreckung +in+
-verschuldeten Besitz, einer Zwangsvollstreckung +in+ Liegenschaften
-und verurteilen einen Angeklagten +in+ die Kosten. Das alles ist
-schlechterdings kein Deutsch, es ist das offenbarste Latein. Früher
-ging man auch +auf+ einem Wege vorwärts, und nur wenn einen auf
-diesem Wege jemand hinderte, sagte man: er tritt mir +in+ den Weg,
-er steht mir +im+ Wege, er mag mir +aus+ dem Wege gehen. Unsre
-Juristen aber möchten nur noch +im Wege+ vorwärtsgehen oder vielmehr
-„vorschreiten“, sei es nun +im Wege+ der Gesetzgebung oder +im Wege+
-der Polizeiverordnung oder +im Wege+ der einstweiligen Verfügung oder
-+im Wege+ des Vergleichs oder +im Wege+ der Güte oder +im Wege+ der
-Anregung. Man denkt sich die Herren unwillkürlich in einer Schlucht
-oder einem Hohlwege stehen, „rings von Felsen eingeschlossen“, wenn
-sie so „im Wege vorschreiten“. In der Juristensprache bedeutet aber
-doch wenigstens das Wort den eingeschlagnen Weg, das Verfahren; der
-Jurist beschreitet ja auch den +Klageweg+ oder verweist einen Klienten
-auf den +Beschwerdeweg+. Wenn aber gar eine Bibliothek berichtet, daß
-ihr Bücher zugegangen seien +im Wege+ der Schenkung, des Tauschs oder
-des Kaufs, so ist das doch völlig abgeschmackt, denn da ist doch nur
-von der Art und Weise die Rede: die Bücher sind ihr +durch+ Schenkung,
-Tausch oder Kauf zugegangen.
-
-Im Buchdruck und Buchhandel, wo man sich gegenwärtig durch
-Absonderlichkeiten aller Art zu überbieten sucht -- in der Wahl
-der Schriften, in der Einrichtung der Kolumnen, in der Fassung und
-Anordnung der Titel, in der Angabe des Verlags --, müssen auch die
-Präpositionen mit herhalten: ein Buch wird nicht mehr +von+ jemand
-herausgegeben und verlegt, sondern herausgegeben wird es +durch+ jemand
-(herausgegeben +durch+ Hans Helmolt) und verlegt wird es +bei+ jemand
-(verlegt +bei+ Eugen Diederichs). Gedruckt +bei+ -- das hat Sinn. Aber
-verlegt +bei+ -- da fragt man doch: verlegt es denn der Herr nicht
-selbst? wer sind denn die Hintermänner, die es +bei+ ihm verlegen?
-
-Zu den neuesten Dummheiten gehört es auch, daß man die Präposition
-+nach+ gebraucht in einem Falle, wo sie nicht hingehört, und sie nicht
-gebraucht in einem Falle, wo sie hingehört. Man schreibt nicht mehr:
-+nach+ der und der Zeitung oder dem und dem Telegramm ist das und das
-geschehen, sondern: +zufolge+ (!) der Zeitung oder des Telegramms, als
-ob die Zeitung oder das Telegramm die Ursache, die Veranlassung des
-Ereignisses wäre. Da ist hier eine Ministerkrisis ausgebrochen, dort
-ein Luftschiffer verunglückt, hier beim Rennen ein Pferd gestürzt, dort
-ein Leprafall vorgekommen, alles +zufolge+ von Zeitungen! Es ist zu
-dumm. Man kann es aber alle Tage lesen. Andrerseits geht man aber nicht
-mehr +zu+ Schulze, sondern +nach Schulze+, ja man schreibt sogar +nach
-Schulze+ und schickt einen Brief +nach Schulze+ (statt: +an Schulze+).
-In meiner Kindheit ging man noch +zu Hause+, so gut wie man +zu Tische+
-und +zu Bette+ ging, und wie der Krug so lange +zu Wasser+ geht, bis er
-bricht. Dann hieß es auf einmal: +zu Hause+ auf die Frage wohin? sei
-nicht fein, man müsse sagen: +nach Hause+. Vielleicht wird auch +nach
-Schulze+ noch fein. Feine Leute schicken aber auch ihre Kinder nicht
-mehr +in+ die Schule, sondern +zur+ Schule. Geht Ihre Kleine schon
-+zur+ Schule? heißt es. Da wird sie nicht viel lernen, wenn sie bloß
-+zur+ Schule geht; sie muß hineingehen!
-
-
-Hin und her
-
-Auch für den Unterschied von +hin+ und +her+ scheinen nur wenig
-Menschen noch ein Gefühl zu haben; daß +hin+ die Richtung, die Bewegung
-von mir weg nach einem andern Orte, +her+ die Richtung, die Bewegung
-von einem andern Orte auf mich zu bedeutet -- man vergleiche +geh hin!+
-mit +komm her!+ --, wie wenige wissen das noch! In ihrem Sprachgebrauch
-wenigstens, dem mündlichen wie dem schriftlichen, wird +hinein+ und
-+herein+, +hinaus+ und +heraus+, +hinan+ und +heran+, +hinauf+ und
-+herauf+ fortwährend zusammengeworfen. Ein klassisches Beispiel dieser
-Verwirrung ist die gemeine Redensart: er ist +reingefallen+. Daß jemand
-in eine Grube +hereingefallen+ sei, kann man doch nur sagen, wenn man
-selber schon drinliegt. Die aber, die mit Vorliebe diese Redensart im
-Munde führen, fühlen sich doch stolz als draußen stehend, sie stehen
-oben am Rande der Grube und blicken schadenfroh auf das Opfer, das
-unten liegt. Das Opfer ist also +hinein+gefallen oder +nein+gefallen.
-Wer auf der Straße bleibt, kann nur sagen: +Geh hinauf+ und wirf mir
-den Schlüssel +herunter+! Wer oben am Fenster steht, kann nur fragen:
-Willst du +heraufkommen+, oder soll ich dir den Schlüssel +hinunter
-werfen+? Aber der Volksmund, auch der der Gebildeten, drückt jetzt
-beides durch +rauf+ und +runter+ aus, es gilt das jetzt offenbar für
-feiner als +nauf+ und +nunter+. Wenn auch niemand drin ist, ich will
-doch mal +rein+sehen -- so sagen auch gebildete Leute. Wenn zwei
-an einem Graben stehen, der eine hüben, der andre drüben, so kann
-jeder von beiden fragen: Willst du +herüber+springen, oder soll ich
-+hinüber+springen? Heute springen beide nur noch +rüber+: Willst +du+
-rüberspringen, oder soll +ich+ rüberspringen? Die Herren von der Feder
-aber machens nicht besser, auch sie verwechseln +hin+ und +her+. Nicht
-bloß der Zeitungschreiber schreibt: bis in die jüngste Zeit +hinein+,
-auch der Historiker: auf die Sturm- und Drangzeit folgte die klassische
-Periode, die in unser Jahrhundert +hinein+ragt. Jeder ist aber doch
-drin in seinem Jahrhundert! In einem Raum oder Zeitraum, worin wir
-uns befinden, kann doch etwas nur +hereinragen+. Etwas andres ist es,
-wenn von einer Erscheinung des sechzehnten Jahrhunderts gesagt wird,
-sie lasse sich bis ins siebzehnte Jahrhundert +hinein+ verfolgen; das
-ist richtig, denn wir sind nicht drin im siebzehnten Jahrhundert.
-Umgekehrt aber wird geschrieben: wir fragen nicht, was in das Bild
-alles +herein+geheimnist ist (+hinein+!) -- über das Zellensystem kommt
-der Architekt nun einmal nicht +heraus+ (+hinaus+!) usw.
-
-Nun ist es freilich eine merkwürdige Erscheinung, daß bei allen
-Zeitwörtern mit übertragner Bedeutung, bei denen man die Vorstellung
-einer äußern Richtung nur noch undeutlich oder gar nicht mehr
-hat, +hin+ vollständig durch +her+ verdrängt worden ist; man sagt
-z. B.: sich +herab+lassen, mit Verachtung +herab+blicken, den Preis
-+herab+setzen, ein Buch +heraus+geben, in seinen Vermögensverhältnissen
-+herunter+kommen u. a. Die Neigung, +her+ dem +hin+ vorzuziehen,
-ist also augenscheinlich in der Sprache vorhanden. Man sollte aber
-doch meinen, daß überall da, wo noch deutlich eine äußere Richtung
-ausgedrückt wird, eine Verwechslung unmöglich sei. Wie kann man also
-sagen, daß die Steuern +herauf+geschraubt werden? Wir stehen doch
-unten und möchten auch gern unten bleiben; also werden die Steuern
-+hinauf+geschraubt. Wir erhielten Befehl, an den Feind +heran+zureiten
--- wer kann so schreiben? Der Feind kann wohl an uns +heran+reiten,
-wir aber an den Feind doch nur +hinan+. Eine bittre Pille oder einen
-Vorwurf -- schluckt man sie +herunter+ oder +hinunter+? Da man sein
-Ich lieber im Kopfe denkt als im Magen, so kann man sie doch nur
-+hinunter+schlucken. Er sah zu mir +hinauf+ -- Unsinn! Ich und mein
-Kopf, wir sind doch oben.
-
-Auch sonst, nicht bloß bei +hin+ und +her+, wird der örtliche Gegensatz
-jetzt oft verwischt. +Hüben+ und +drüben+ wird allenfalls noch
-unterschieden, aber +haußen+ und +hinnen+ getraut sich kaum noch jemand
-zu schreiben; jetzt heißt es: sie holen von +draußen+, was +drinnen+
-fehlt. Aber wo bin ich denn, der Schreibende? Irgendwo muß ich mich
-doch denken!
-
-
-Ge, be, ver, ent, er
-
-Wenn auf solche Weise Wörter mißverstanden und miteinander verwechselt
-werden können, deren Sinn und Bedeutung man sich mit ein wenig
-Nachdenken noch klarmachen kann, um wieviel mehr sind Wörter dem
-Mißverständnis und dem Mißbrauch ausgesetzt, wie die kleinen Präfixe
-+ge+, +be+, +ver+, +ent+, +er+, deren Bedeutung nicht mehr klar zutage
-liegt, sondern nur noch mehr oder weniger dunkel gefühlt wird! Wie
-oft wird +brauchen+ und +gebrauchen+ verwechselt! Und doch heißt das
-eine +nötig haben+, das andre +anwenden+. Wie oft liest man das dumme
-+belegen+ sein (ein Haus ist in der oder der Straße +belegen+), wie
-oft das gespreizte +beheben+ (die Hindernisse werden sich hoffentlich
-+beheben+ lassen), wie oft das widersinnige +beeidigen+ (die Zeugen
-wurden +beeidigt+)! Man kann eine Aussage +beeidigen+, aber nicht
-einen +Zeugen+. Im gewöhnlichen Leben sagt man: hier wird Trottoir
-+gelegt+; sowie es aber eine Tiefbauverwaltung besorgt, dann wird es
-+verlegt+. Warum denn +ver+? Was man +verlegt+ hat, das findet man
-doch nicht wieder. Wie oft muß man das lächerliche +entnüchtern+ lesen
-(statt +ernüchtern+), auch schon +entwehren+ (statt +erwehren+)! Wird
-jemand +entledigen+ und +erledigen+ verwechseln? Wie abgeschmackt
-ist der Gebrauch von +entfallen+ und +entlohnen+, mit dem sich jetzt
-täglich die Zeitungen spreizen! Fabrikarbeiter werden ja nicht mehr
-bezahlt, sie werden nur noch +entlohnt+, der deutsche Lehrerstand
-hat stets die Ideale treu gepflegt trotz kärglicher +Entlohnung+,
-und von der Fernsprechstelle Berlin-Wien, die 660 Kilometer beträgt,
-+entfallen+ 430 auf österreichisches und 230 auf deutsches Gebiet.
-Warum denn +ent+? Wem +entfallen+ sie denn? Es wird aber auch nichts
-mehr +gehofft+, sondern alles nur +erhofft+ (der +erhoffte+ Erfolg
-blieb aus.) Das allerschönste aber ist +erbringen+, das in keiner
-Zeitungsnummer fehlt. Beweise und Nachweise, die früher +gebracht+ oder
-+geliefert+ wurden und im Volksmunde noch jetzt +gebracht+ werden, in
-der Zeitung werden sie nur noch +erbracht+. Ja selbst Tatsachen werden
-schon +erbracht+ (die neue Verhandlung hat eine ganze Reihe neuer
-Tatsachen +erbracht+), Beispiele (Koschat +erbringt+ dafür ein lebendes
-Beispiel -- schreibt der Musikschwätzer), Erträge (die Staatsforsten
-+erbringen+ einen Ertrag von einer Million Mark) und sogar Spuren
-(von einem Sinken des Richterstandes ist bis jetzt noch keine Spur
-+erbracht+). Warum denn +er+? was heißt denn +er+?
-
-Er ist verwandt mit +ur+, wie +erlauben+ neben +Urlaub+ zeigt, und
-beide bedeuteten +aus+. Diese ursprüngliche Bedeutung von +er+ ist
-in vielen zusammengesetzten Zeitwörtern noch sehr gut zu fühlen:
-gewöhnlich bedeuten sie den Anfang oder das Ende einer Handlung,
-wie auch das Wort +ausgehen+ beides bedeutet (vgl. wir sind davon
-+ausgegangen+, und: die Sache ist übel +ausgegangen+). Den Anfang einer
-Handlung bezeichnet +er+ z. B. in +erblühen+, den Endpunkt dagegen
-in +erlangen+, +erreichen+, +erfinden+, +erfüllen+, +ertrinken+,
-+ersticken+. Weislingen im Götz sagt mit bewußter Unterscheidung:
-ich +sterbe+ und kann nicht +ersterben+. Was da +erhoffen+ bedeuten
-soll, ist unverständlich; es könnte doch nur heißen: so lange auf
-etwas hoffen, bis es eintritt. Jedenfalls ist es ein Widerspruch, zu
-sagen: der +erhoffte+ Erfolg blieb aus, es genügt der +gehoffte+.
-Auch ein Brief kann nicht +eröffnet+ werden, wie die Post sagt
-(amtlich +eröffnet+!), sondern einfach +geöffnet+; eine Aussicht wird
-mir +eröffnet+, ein Beschluß der Behörde, auch ein neues Geschäft;
-dann wird es aber jeden Morgen nur +geöffnet+. Auch weshalb die
-Eisenbahndirektion Sonntags einen Sonderzug +erstellt+, ist nicht
-einzusehen; man ist doch schon zufrieden, wenn sie ihn +stellt+. Das
-törichtste aber sind die +erbrachten+ Beweise, Nachweise, Belege,
-Beispiele, Erträge und Spuren. Einen Beweis oder Nachweis +erbringen+
-könnte zur Not einen Sinn haben, wenn man damit den durchgeführten,
-bis aufs letzte Tüpfelchen gelungnen Beweis im Gegensatz zu dem
-bloß versuchten bezeichnen wollte. Aber daran ist in den seltensten
-Fällen zu denken, +erbringen+ wird mit ganz gedankenlosem Gespreiz
-für +bringen+ gesagt. In +bringen+ liegt ja schon der Begriff des
-Vollendens, des Beendigens; +bringen+ verhält sich zu +tragen+ wie
-+treffen+ zu +werfen+. Man könnte schließlich auch sagen: Kellner,
-+erbringen+ Sie mir ein Glas Bier!
-
-+Ent+ (urverwandt mit dem lateinischen ~ante~ und dem griechischen
-ἀντί, vgl. Antlitz, Antwort) bedeutet eigentlich +vor+, +gegen+,
-+gegenüber+. Mit Zeitwörtern zusammengesetzt, drückt es daher zunächst
-aus, daß sich von einem Ganzen ein Teil ablöst und ihm als ein
-selbständiges Ganze gegenübertritt, so in +entstehen+, +entspringen+.
-Daraus entwickelt sich dann überhaupt der Begriff der Trennung, Lösung,
-Befreiung und auch Beraubung, wie in +entkommen+, +entfliehen+,
-+entwenden+, +entlehnen+, +entkleiden+, +enthüllen+, +entblättern+,
-+entkräften+, +entthronen+, +entfesseln+, +entlarven+, und endlich,
-bei gänzlicher Verblassung der eigentlichen Bedeutung, eine bloße
-Verstärkung des Verbalbegriffs, wie in +entlassen+, +enttäuschen+,
-+entfremden+. Wenn man neuerdings +entrechten+ und +enthaften+ gebildet
-hat, so ist dagegen nichts weiter einzuwenden, als daß das zweite Wort
-recht überflüssig ist. +Entlohnen+ aber kann doch nur heißen: einem
-seinen Lohn wegnehmen (wahrscheinlich hat der Schöpfer des Wortes
-zugleich an +lohnen+ und +entlassen+ gedacht) und +entnüchtern+ nur:
-einen betrunken machen, und was das +ent+ in einem Satze wie: auf den
-Quadratkilometer +entfallen+ 200 Seelen -- bedeuten soll, ist gänzlich
-unverständlich. Man könnte ebensogut sagen: auf den Quadratkilometer
-+entkommen+ 200 Seelen.[159] Auch wenn Bibliotheken um gütige
-+Entleihung+ oder +Entlehnung+ eines Buches gebeten werden, so ist
-das sinnwidrig; die Bibliothek +verleiht+ ihre Bücher, der Leser aber
-+leiht+ oder +entleiht+ sie.
-
-Lebhafter Streit ist darüber geführt worden, ob es richtig sei,
-zu sagen: er +entblödete sich nicht+. Das Grimmische Wörterbuch
-erklärt die Verneinung bei +sich entblöden+ für falsch. In der Tat
-liegt es auch am nächsten, +sich entblöden+ mit Zeitwörtern wie
-+entbehren+, +enthüllen+, +entschuldigen+, +entführen+, +entwischen+
-zu vergleichen, sodaß es bedeuten würde: +die Blödigkeit+ (d. h.
-Schüchternheit) +ablegen+, +sich erdreisten+, +sich erfrechen+. Dann
-wäre natürlich die Verneinung falsch, denn +sich erdreisten+ -- das
-will man ja gerade mit +sich nicht entblöden+ sagen. Neuerdings
-ist aber darauf aufmerksam gemacht worden, daß die Vorsilbe +ent+
-hier gar nicht verneinenden (privativen) Sinn habe, sondern wie in
-+entschlafen+, +entbrennen+, +entzünden+, +entblößen+ das Eintreten in
-einen Zustand bezeichne, sodaß sich +entblöden+ bedeuten würde: +sich
-schämen+, +sich scheuen+, und die Verneinung davon: +sich erdreisten+.
-Die Unsicherheit über die eigentliche Bedeutung des Wortes bestand
-schon im achtzehnten Jahrhundert. Wieland schreibt bald: Verwegner,
-darfst du +dich entblöden+ (d. h. dich erfrechen), bald: du solltest
-+dich entblöden+ (d. h. dich schämen). Das Klügste wäre, man gebrauchte
-eine Redensart überhaupt nicht mehr, die so veraltet und in ihrer
-Bedeutung so verblichen ist, daß ihr niemand mehr unmittelbar anfühlt,
-ob sie mit oder ohne Verneinung das ausdrückt, was man ausdrücken will.
-
-+Ver+ gibt dem Zeitwort meist einen schlimmen Sinn, es bezeichnet,
-daß gleichsam ein Riegel vor eine Sache geschoben ist, daß sie nicht
-wieder rückgängig gemacht werden kann, und schließlich auch, da
-man doch manche eben gern wieder rückgängig machen möchte, daß sie
-falsch gemacht worden ist. Man denke an: +versichern+, +versprechen+,
-+verbinden+, +verpflichten+, +verkaufen+, +verpfänden+, sich
-+verlieben+, sich +verloben+, sich +verheiraten+, +verstellen+,
-+verdrehen+, +verrücken+, +verlieren+, +verderben+, +vergiften+,
-+verschwinden+, +verschlimmern+, +versauern+ (allerdings auch:
-+verbessern+, +vergrößern+, +verfeinern+, +verschönern+, +veredeln+,
-+versüßen+). Für +meinen+ also zu sagen +vermeinen+, wie es der
-Amtsstil liebt, wäre eigentlich nur dann am Platze, wenn die Meinung
-als irrig bezeichnet werden sollte (vgl. +vermeintlich+), und von
-jemand, der einfach seine Wohnung oder seinen Aufenthalt gewechselt
-hat, zu sagen: er ist nach Dresden +verzogen+, ist geradezu lächerlich,
-denn es klingt das, als ob er damit verschwunden und gänzlich
-unauffindbar geworden wäre. Ebenso unverständlich aber ist es, warum,
-wie in Leipzig, Trottoirplatten, Straßenbahngleise und elektrische
-Kabel immer +verlegt+ werden, oder, wie in Hamburg, Kaffee +verlesen+
-wird, oder, wie in Magdeburg, Rüben +verzogen+ werden. Es genügt doch,
-wenn sie +gelegt+, +gelesen+ und +gezogen+ werden.
-
-Am meisten verblaßt ist die Bedeutung von +be+ und +ge+. +Be+ ist aus
-+bei+ abgeschwächt; +ge+, in der ältern Sprache ~ga~ (wie noch in
-+Gastein+), ist urverwandt mit dem lateinischen ~con~ und bedeutet
-einen Zusammenhang, eine Vereinigung. Am deutlichsten ist sein Sinn
-noch in Bildungen wie +gerinnen+, +gefrieren+, +Gedicht+, +Gebüsch+,
-+Gehölz+, +Gewölk+, +Gebirge+, +Gerippe+, +Gefühl+, +Gehör+,
-+Gewissen+ (vgl. ~scientia~ und ~conscientia~). Aber wenn sich auch
-die ursprüngliche Bedeutung noch so sehr abgeschwächt hat, so kann
-man doch immer noch durch umsichtige Vergleichung dahinterkommen,
-weshalb es unnötig ist, zu sagen: einem die Möglichkeit +benehmen+,
-Geld zu +beschaffen+, oder: ein Haus +beheizen+, wie unsre Techniker
-jetzt sagen (sie meinen wohl: +beöfnen+, mit Öfen versehen), oder: die
-bei Goslar +belegnen+ geistlichen Stiftungen, weshalb es lächerlich
-ist, wenn Schmerzen, Krankheiten, Hindernisse immer +behoben+ werden
-(statt +gehoben+). Auch für +gründen+ wird jetzt oft unnötigerweise
-+begründen+ gesagt: die +Begründung+ des Deutschen Reiches. Nein,
-+begründet+ werden nur Meinungen, Behauptungen, Urteile; aber Reiche,
-Staaten, Städte, Anstalten, Schulen, Geschäfte, Zeitungen werden
-+gegründet+. Befremdlich klingt es auch, wenn Juristen davon reden,
-daß ein Zeuge +beeidigt+ werden müsse, oder wenn Berichterstatter über
-Gerichtsverhandlungen einen +Beklagten+ auftreten lassen. Ein Zeuge
-kann seine Aussage +beeidigen+ (vgl. +beschwören+), aber er selbst kann
-nur +vereidigt+ werden (vgl. +verpflichten+). +Beklagen+ kann man aber
-nur den, dem ein Unglück zugestoßen ist; vor Gericht kann einer nur
-+verklagt+ oder +angeklagt+ werden. Wer +angeklagt+ wird, kommt vor den
-Strafrichter, wer +verklagt+ wird, vor den Richter in bürgerlichen
-Streitigkeiten. Und ebenso läßt sich endlich recht gut fühlen, weshalb
-es unnötig ist, zu sagen, die 1883 gebornen haben sich heuer zu
-+gestellen+.[160]
-
-Groß in solchen Verschiebungen und Vertauschungen sind namentlich
-die Kanzleimenschen und die Techniker. Sie suchen etwas darin, und
-sie verblüffen auch wirklich die große Masse mit diesem wohlfeilen
-Mittelchen.[161]
-
-Der Unterricht kann sehr viel tun, das abgestorbne Sprachgefühl in
-solchen Fällen wieder zu beleben. Wem die Bedeutung von +ent+ und +er+
-einmal auseinandergesetzt worden ist, der wird nie wieder +entnüchtern+
-statt +ernüchtern+ schreiben, er wird aber auch bald alle die Leute
-auslachen, die sich immer mit +entfallen+ und +erbringen+ spreizen.
-
-
-Neue Wörter
-
-Kein Tag vergeht, ohne daß einem in Büchern oder Zeitungen neue Wörter
-entgegenträten. Nun wird niemand so töricht sein, ein neues Wort
-deshalb anzufechten, weil es neu ist. Jedes Wort ist zu irgendeiner
-Zeit einmal neu gewesen; von vielen Wörtern, die uns jetzt so geläufig
-sind, daß wir sie uns gar nicht mehr aus der Sprache wegdenken können,
-läßt sich nachweisen, wann und wie sie ältern Wörtern an die Seite
-getreten sind, bis sie diese allmählich ganz verdrängten. Wohl aber
-darf man neuen Wörtern gegenüber fragen: sind sie nötig? und sind sie
-richtig gebildet?
-
-Neue Gegenstände, neue Vorstellungen und Begriffe verlangen unbedingt
-auch neue Wörter. Ein neu erfundnes Gerät, ein neu ersonnener
-Kleiderstoff, eine neu entdeckte chemische Verbindung, eine neu
-beobachtete Krankheit, eine neu entstandne politische Partei -- wie
-sollte man sie mit den bisher üblichen Wörtern bezeichnen können?
-Sie alle verlangen und erhalten auch alsbald ihre neuen Namen. Aber
-auch alte Dinge fordern bisweilen neue Bezeichnungen. Wörter sind wie
-Münzen im Verkehr: sie greifen sich mit der Zeit ab und verlieren
-ihr scharfes Gepräge. Ist dieser Vorgang so weit fortgeschritten,
-daß das Gepräge beinahe unkenntlich geworden ist, so entsteht von
-selbst das Bedürfnis, die abgenutzten Wörter gegen neue umzutauschen.
-Und wie bei abgegriffnen Münzen leicht Täuschungen entstehen, so
-auch bei vielbenutzten Wörtern; sehr leicht verschiebt sich nämlich
-ihre ursprüngliche Bedeutung. Hat sich aber eine solche Verschiebung
-vollzogen, dann ist für den alten Begriff, der durch das alte Wort
-nun nicht mehr völlig gedeckt wird, gleichfalls ein neues Wort nötig.
-In vielen Fällen büßen die Wörter, ebenso wie die Münzen, durch den
-fortwährenden Gebrauch geradezu an Wert ein, sie erhalten einen
-niedrigen, gemeinen Nebensinn. Dieser „pessimistische“ Zug, wie man ihn
-genannt hat, ist gerade im Deutschen weit verbreitet und hat mit der
-Zeit eine große Masse von Wörtern ergriffen; man denke an +Pfaffe+,
-+Schulmeister+, +Komödiant+, +Literat+, +Magd+, +Dirne+, +Mensch+
-(+das+ Mensch, Küchenmensch, Kammermensch), +Elend+, +Schimpf+,
-+Hoffart+, +Gift+, +List+, +gemein+, +schlecht+, +frech+, +erbärmlich+.
-Ihnen allen ist ursprünglich der verächtliche Nebensinn fremd, der im
-Laufe der Zeit hineingelegt worden ist. Sobald sie aber einmal damit
-behaftet waren, mußten sie, wenn der frühere Sinn ohne Beigeschmack
-wieder ausgedrückt werden sollte, durch andre Wörter ersetzt werden.
-So wurden sie verdrängt durch +Geistlicher+, +Lehrer+, +Schauspieler+,
-+Schriftsteller+, +Mädchen+, +Fremde+, +Scherz+, +Hochherzigkeit+,
-+Gabe+, +Klugheit+, +allgemein+, +schlicht+, +kühn+, +barmherzig+.
-
-Die andre Forderung, die man an ein neu aufkommendes Wort stellen darf,
-ist die, daß es regelrecht, gesetzmäßig gebildet sei, und daß es mit
-einleuchtender Deutlichkeit wirklich das ausdrücke, was es auszudrücken
-vorgibt. Diese Forderung ist so wesentlich, daß man, wo sie erfüllt
-ist, selbst davon absieht, die Bedürfnisfrage zu betonen. Verrät
-sich in einem neu gebildeten Wort ein besonders geschickter Griff,
-zeigt es etwas besonders schlagendes, überzeugendes, eine besondre
-Anschaulichkeit, und das alles noch verbunden mit gefälligem Klang, so
-heißt man es auch dann willkommen, wenn es überflüssig ist; man läßt es
-sich als eine glückliche Bereicherung des Wortschatzes gefallen.
-
-Aber wie wenige von den neuen Wörtern, mit denen unsre Sprache jetzt
-überschwemmt wird, erfüllen diese Forderungen! Die meisten werden aus
-Eitelkeit oder aus -- Langerweile gebildet. Schopenhauer hat einmal mit
-schlagender Kürze ausgesprochen, was er von einem guten Schriftsteller
-verlange: er gebrauche gewöhnliche Wörter und sage ungewöhnliche Dinge!
-Heute machen es die meisten umgekehrt und hoffen, der Leser werde
-so dumm sein, zu glauben, sie hätten etwas neues gesagt. Wie quälen
-sich unsre ästhetischen Schwätzer, ihren Trivialitäten den Schein des
-Geistreichen zu geben, indem sie sich neue Wörter aussinnen! Eine Art
-von „Jugendstil“ möchten sie auch in die Sprache einführen. Wie quälen
-sich unsre Musik- und Theaterschreiber, den tausendmal gesagten Quark
-einmal mit andern Worten zu sagen! Wie quälen sich die Geschäftsleute
-in ihren Anzeigen, dem „Konkurrenten“ durch neue Wörter und Wendungen
-den Rang abzulaufen!
-
-Jahrzehntelang hat man von +Zeitungsnachrichten+ gesprochen; jetzt
-heißt es: +Blättermeldungen+! Das eine verhält sich zum andern ungefähr
-wie der +Essenkehrer+ zum +Schornsteinfeger+ oder der +Korkzieher+
-zum +Pfropfenheber+. Verfallen sein kann auf +Blättermeldung+ nur
-einer, dem +Zeitungsnachricht+ zu langweilig geworden war. Was soll
-+Jetztzeit+? Es ist schlecht gebildet, denn unsre Sprache kennt keine
-Zusammensetzungen aus einem Umstandswort und einem Hauptwort,[162]
-es klingt auch schlecht mit seinem tztz und ist ganz überflüssig,
-denn +Gegenwart+ hat weder etwas von seiner alten Kraft eingebüßt
-noch seine Bedeutung verschoben. +Gepflogenheit+ hat man gebildet,
-um eine Schattierung von +Gewohnheit+ zu haben; ist aber nicht
-+Brauch+ so ziemlich dasselbe? Ein abscheuliches Wort ist +Einakter+
-(für einaktiges Schauspiel). Freilich haben wir auch +Einhufer+,
-+Dreimaster+ und +Vierpfünder+; würde aber wohl jemand ein Distichon
-einen +Zweizeiler+ nennen? Um für +Lehrer+ und +Lehrerin+ ein
-gemeinschaftliches Wort zu haben, hat man +Lehrperson+ gebildet --
-eine gräßliche Geschmacklosigkeit. Den +Arbeiter+ nennt man jetzt
-+Arbeitnehmer+ in plumpem Gegensatz zum +Arbeitgeber+! Statt +voriges
-Jahr+ sagt man jetzt +Vorjahr+; alle Jahresberichte spreizen sich
-damit. Man hat das aus dem Adjektivum +vorjährig+ gebildet, wie man
-auch aus +alltäglich+ und +vormärzlich+ gedankenloserweise +Alltag+ und
-+Vormärz+ (!) gemacht hat, aus +freisinnig+ eine Partei, die man +den
-Freisinn+ nennt, und neuerdings gar aus +überseeisch+ +Übersee+: aus
-Europa und +Übersee+ (+die+ Übersee oder +das+ Übersee?) -- die Briefe
-gehen +nach Übersee+ (warum denn nicht einfach und vernünftig: +über
-See+?). Vorjahr ist aber auch dem Sinne nach anstößig. Die mit +Vor+
-zusammengesetzten Hauptwörter bedeuten (wenn es nicht Verbalsubstantiva
-sind, wie +Vorsteher+, +Vorreiter+, +Vorsänger+, +Vorbeter+) ein Ding,
-das einem andern Dinge als Vorbereitung vorhergeht, wie +Vorspiel+,
-+Vorrede+, +Vorgeschichte+, +Vorfrühling+, +Voressen+, +Vorgeschmack+.
-Die Leipziger Messe hatte sonst eine +Vorwoche+, die der Hauptwoche
-vorausging. Wie kann man also jedes beliebige Jahr das +Vorjahr+ des
-folgenden Jahres nennen! Dann könnte auch der Lehrer im Unterricht
-fragen: Was haben wir in der +Vorstunde+ behandelt? Mit dem +Vortag+
-fängt man aber auch schon an: trotz des schlechten Wetters am +Vortage+
--- das Befinden des Monarchen war diese Woche besser als am +Vortage+.
-Ebenso verfehlt wie das +Vorjahr+ ist natürlich der +Vorredner+
--- man vergleiche ihn nur mit dem +Vorsänger+ und dem +Vorbeter+.
-Wenn ein Schiff eine Reise antritt, so nennt man das jetzt nicht
-mehr +abreisen+, sondern +ausreisen+: der Tag der +Ausreise+ rückte
-heran. War das Wort wirklich nötig, das so lächerlich an +ausreißen+
-anklingt? Für die zeichnenden Künste hat neuerdings jemand das schöne
-Wort +Griffelkunst+ erfunden, das die Kunstschreiber schon fleißig
-nachgebrauchen. Nun verstand man ja unter den zeichnenden Künsten auch
-den Kupferstich und die Radierung, die mit dem Griffel arbeiten. Unter
-der +Griffelkunst+ aber soll man nun auch die Bleistift-, die Feder-
-und die Tuschzeichnung verstehen, die nicht mit dem Griffel arbeiten.
-Was ist also gewonnen? Und wollen wir die Malerei vielleicht nun
-+Pinselkunst+ nennen?
-
-Zu recht verunglückten Bildungen hat neuerdings öfter das Streben
-geführt, einen Ersatz für Fremdwörter zu schaffen. Dazu gehören z. B.
-der +Fehlbetrag+ (Defizit), die +Begleiterscheinung+ (Symptom), der
-+Werdegang+ (Genesis) und die +Straftat+ (Delikt). Auch das +Lebewesen+
-kann mit angereiht werden. Ein Verbalstamm als Bestimmungswort einer
-Zusammensetzung bedeutet meist den Zweck des Dinges (vgl. +Leitfaden+,
-+Trinkglas+, +Schießpulver+ und S. 73).[163] Ein +Fehlbetrag+ ist aber
-doch nicht ein Betrag, der den Zweck hat, zu fehlen, sondern es soll
-ein +fehlender+ Betrag sein (ganz anders gebildet sind +Fehlbitte+,
-+Fehltritt+, +Fehlschuß+, +Fehlschluß+; hier ist fehl nicht der
-Verbalstamm, sondern das Adverbium), ebenso soll +Lebewesen+ ein
-+lebendes+ Wesen, +Begleiterscheinung+ eine +begleitende+ Erscheinung
-bedeuten. In +Werdegang+ vollends soll der Verbalstamm den Genitiv
-ersetzen (Gang +des Werdens+); es scheint nach +Lehrgang+ gebildet
-zu sein, aber es scheint nur so, denn +Lehrgang+ ist mit +Lehre+
-zusammengesetzt. Überdies wird es lächerlicherweise auch schon für
-+Geschichte+ gebraucht; man redet nicht bloß von dem +Werdegang+ einer
-Kellnerin, sondern auch von dem +Werdegang+ der mittelalterlichen
-Pergamenthandschriften! Die verunglückteste Bildung ist wohl +Straftat+
--- wer mag die auf dem Gewissen haben! Das Wort ist gebildet, um
-eine gemeinschaftliche Bezeichnung für +Vergehen+ und +Verbrechen+
-zu haben. Was soll man sich aber dabei unter +Straf+- denken? das
-Hauptwort oder den Verbalstamm? Eins ist so unmöglich wie das andre.
-Im ersten Falle würde das Wort auf einer Stufe stehen mit +Freveltat+,
-+Gewalttat+, +Greueltat+, +Schandtat+, +Wundertat+. Alle diese
-Zusammensetzungen bezeichnen eine Eigenschaft der Tat und zugleich des
-Täters; in +Straftat+ aber würde -- die Folge der Tat bezeichnet sein!
-Im zweiten Falle würde es auf einer Stufe stehen mit +Trinkwasser+,
-und das wäre der helle Unsinn, denn dann wäre es eine Tat, die den
-Zweck hätte, bestraft zu werden! Freilich sind solche ungeschickte
-Wörter auch früher schon als Übersetzung von Fremdwörtern „von plumpen
-Puristenfäusten geknetet“ worden, man denke nur an +Beweggrund+ (für
-Motiv), +Fahrgast+ (für Passagier) und ähnliche.
-
-Unter den Eigenschaftswörtern sind ebenso geschmacklose wie
-überflüssige Neubildungen: +erhältlich+ (in allen Apotheken
-erhältlich), +erstklassig+ (ein erstklassiges Etablissement,
-ein erstklassiges Restaurant, ein erstklassiges Pensionat, eine
-erstklassige Firma, erstklassiges Personal, erstklassige Spezialitäten
-usw.), +erststellig+ und +zweitstellig+ (eine erststellige Beleihung,
-eine zweitstellige Hypothek), +innerpolitisch+ (die innerpolitische
-Lage), +treffsicher+ (eine treffsichere Charakteristik), +parteilos+
-(für unparteiisch), +lateinlos+ (die lateinlose Realschule!);
-unter den Adverbien: +fraglos+, +debattelos+ (es wurde +debattelos+
-genehmigt), +verdachtlos+ (ein Fahrrad wurde +verdachtlos+ gestohlen --
-abgesehen davon, daß hier weder das grammatische Subjekt, das Fahrrad,
-noch das logische Subjekt, der Dieb, einen Verdacht haben kann). Nach
-+jahrein jahraus+ hat man +tagein tagaus+ gebildet -- ganz töricht! Das
-Jahr ist ein großer Ring oder Kreis, in den tritt man ein und wieder
-aus; die kurzen Tage aber gleichen einzelnen Schritten, darum sagt man
-richtiger: +Tag für Tag+, wie +Schritt für Schritt+.
-
-Besonders gern werfen die Techniker unnötige neue Wörter in die
-Sprache. Wenn man auf einen Gegenstand Licht fallen läßt, so nannte
-man das früher +beleuchten+. Das hat aber den Photographen nicht
-genügt, sie haben sich das schöne Wort +belichten+ ausgedacht. Ein
-Ding, womit man ein Zimmer heizt, nannte man früher einen +Ofen+,
-und ein Ding, womit man ein Zimmer beleuchtet, einen +Leuchter+
-(Armleuchter, Kronleuchter) oder eine +Lampe+. Jetzt nennt man das
-eine +Heizkörper+, das andre +Beleuchtungskörper+. +Lehrperson+ und
-+Heizkörper+ -- eins immer schöner als das andre! Denen, die sich
-für Krematorien begeistern, will doch das Wort +Leichenverbrennung+
-nicht gefallen, obwohl es die Sache schlicht und ehrlich bezeichnet.
-Daher haben sie zur +Einäscherung+ ihre Zuflucht genommen, oder
-gar zur +Feuerbestattung+, ja sie reden sogar davon, daß jemand
-+feuerbestattet+ worden sei. Nur schade, daß bei der Leichenverbrennung
-der Verstorbne eben nicht +bestattet+, d. h. mit einer +Grabstätte+
-versehen wird, und daß man wohl von +Gasbeleuchtung+ und
-+Wasserheizung+ sprechen, aber nicht sagen kann: ich +gasbeleuchte+, du
-+wasserheizest+.
-
-
-Modewörter
-
-Verbreitet werden neue Wörter namentlich durch die Jugend und durch die
-Ungebildeten, die keine Spracherfahrung haben, die nicht wissen, ob ein
-Wort alt oder neu, gebräuchlich oder ungebräuchlich ist; dann werden
-sie oft in kurzer Zeit zu Modewörtern. Daß es Sprachmoden gibt so gut
-wie Kleidermoden, und Modewörter so gut wie Modekleider, Modefarben,
-Modefrisuren und Modesitten, darüber kann gar kein Zweifel sein. In
-meiner Kinderzeit fragte man, wenn man jemand nicht verstanden hatte:
-+Was?+ Dazu war natürlich zu ergänzen: hast du gesagt? Dann hieß es
-plötzlich: +Was+ sei grob, man müsse fragen: +Wie?+ Dazu sollte man
-ergänzen: meinen Sie? In neuerer Zeit kamen dann dafür die schönen
-Fragen auf: +Wie meinen?+ (vgl. S. 92) und +Wie beliebt?+ (was immer
-wie +Bibeli+ klingt), und das Allerneueste ist, daß man den andern
-zärtlich von der Seite anblickt, das Ohr hinhält und fragt: +Bötte?+
-
-Nun kommt ja unleugbar auch bisweilen eine hübsche Kleidermode auf,
-aber im allgemeinen wird doch die Mode gemacht von Leuten, die
-nicht den besten Geschmack haben. Oft ist sie so dumm, daß man sich
-ihre Entstehung kaum anders erklären kann, als daß man annimmt,
-der Fabrikant habe absichtlich etwas recht dummes unter die Leute
-geworfen, um zu sehen, ob sie darauf hineinfallen würden. Aber immer
-fällt die ganze große Masse darauf hinein, denn Geschmack ist, wie
-Verstand, „stets bei wenigen nur gewesen“. Ähnlich ist es mit den
-Modesitten. Kann es etwas dümmeres, lächerlicheres geben, als den
-Stock in die Rocktasche zu stecken oder ans Knopfloch zu hängen?
-etwas unritterlicheres, ja roheres, als daß der Mann auf der Straße
-die Frau nicht mehr führt, sondern sich bei ihr einhakt und sich von
-ihr schleppen läßt oder sie vor sich herschiebt? Aber mindestens
-neunzig von hundert Frauen sind darauf hineingefallen. Zuletzt, wenn
-eine Mode so gemein (d. h. allgemein) geworden ist, daß sie auch dem
-Beschränktesten als das erscheint, was sie für den Einsichtigen von
-Anfang an gewesen ist, als gemein (d. h. niedrig), verschwindet sie
-wieder, um einer andern Platz zu machen, die dann denselben Lauf nimmt.
-Vornehme Menschen halten sich stets von der Mode fern. Es gibt Frauen
-und Mädchen, die in ihrer Kleidung alles verschmähen, was an die
-jeweilig herrschende Mode streift; und doch ist nichts in ihrem Äußern,
-was man absonderlich oder gar altmodisch nennen könnte, sie erscheinen
-so modern wie möglich und dabei so vornehm, daß alle Modegänschen sie
-darum beneiden könnten.
-
-Genau so geht es mit gewissen Wörtern und Redensarten. Man hört oder
-liest ein Wort -- entweder ein neugebildetes oder, was noch öfter
-geschieht, ein bereits vorhandnes in neuer Bedeutung! -- irgendwo zum
-erstenmal, bald darauf zum zweiten, dann kommt es öfter und öfter,
-und endlich führt es alle Welt im Munde, es wird so gemein, daß es
-selbst denen, die es eine Zeit lang mit Vergnügen mitgebraucht haben,
-widerwärtig wird, sie anfangen, sich darüber lustig zu machen, es
-gleichsam nur noch mit Gänsefüßchen gebrauchen, bis sie es endlich
-wieder fallen lassen. Aber es gibt immer auch eine kleine Anzahl von
-Leuten, die, sowie ein solches Wort auftaucht, von einem unbesiegbaren
-Widerwillen dagegen ergriffen werden, es nicht über die Lippen, nicht
-aus der Feder bringen. Und da ist auch gar kein Zweifel möglich; wer
-überhaupt die Fähigkeit hat, solche Wörter zu erkennen, erkennt sie
-sofort und erkennt sie alle. Er sagt sich sofort: das Wort nimmst
-du nie in den Mund, denn das wird Mode. Und wenn zwei oder drei
-zusammenkommen, die den Modewörterabscheu teilen, und sie vergleichen
-ihre Liste, so zeigt sich, daß sie genau dieselben Wörter darauf
-haben -- ein Beweis, daß es an den Wörtern liegt und nicht an den
-Menschen, wenn manche Menschen manche Wörter unausstehlich finden.
-Ihrer Ausdrucksweise merkt aber trotzdem niemand an, daß sie die Wörter
-vermeiden, die klingt so modern wie möglich, niemand vermißt die
-Modewörter darin. Gewiß gibt es auch unter den Modewörtern einzelne,
-die an sich nicht übel sind. Aber das Widerwärtige daran ist, daß es
-eben Modewörter sind, daß sie eine Menge andrer guter Wörter, die
-bisher im Gebrauch waren, verdrängen, schließlich sogar in völlig
-unpassendem Sinn angewandt werden und doch das bißchen Reiz, daß sie im
-Anfange hatten, sehr schnell verlieren.
-
-Im folgenden sollen einige Wörter zusammengestellt werden, die
-entweder überhaupt oder doch in der Bedeutung, in der sie jetzt fast
-ausschließlich angewandt werden, unzweifelhaft Modewörter sind. Die
-meisten davon stehen jetzt in vollster Blüte; einige haben zwar ihre
-Blütezeit schon hinter sich, sollen aber doch nicht übergegangen
-werden, weil sie am besten zeigen können, wie schnell dergleichen
-veraltet.
-
-+Darbietung.+ Als solche wird jetzt alles bezeichnet, was in einem
-Konzert oder an einem Vereinsabend geredet, gespielt oder gesungen
-wird: die gelungenste +Darbietung+ des Abends -- die +Darbietungen+ des
-diesjährigen Pensionsfondskonzerts -- das Programm enthielt auch einige
-solistische +Darbietungen+ -- die literarischen +Darbietungen+ im Stil
-der freien Bühne usw.
-
-+Ehrung.+ Für +Ehrenbezeigung+ oder +Auszeichnung+. In +Ehrungen+ wird
-jetzt ungemein viel geleistet.
-
-+Note.+ Wofür? Ja, wer das sagen könnte! man schwatzt von einer
-eignen, einer besondern, einer persönlichen, einer intimen +Note+:
-das Leipziger Barock besitzt eine eigne +Note+ -- was dem Buche noch
-eine besondre +Note+ gibt, ist, daß es ein späterer Papst geschrieben
-hat -- ein Haus gibt seine intime +Note+ an ein andres Haus weiter --
-wenn auch die Sammlung meist Kunstwerke enthält, so fehlt doch auch
-die +Note+ des Absonderlichen nicht -- mit dem fußfreien Rock hat die
-Modedame ihre Erscheinung auf die +Note+ des Mädchenhaften gestimmt.
-Das letzte Beispiel ist völliger Unsinn, denn hier ist außerdem noch
-+Note+ mit +Ton+ verwechselt.
-
-+Prozent+ oder +Prozentsatz+. Für +Teil+. Aus der Sprache der
-Statistik. Man sagt nicht mehr: über die +Hälfte+ aller Arbeiter,
-sondern: über +fünfzig Prozent+ aller Arbeiter, nicht mehr: ein ganz
-geringer +Teil+ der Künstler, sondern: ein ganz geringer +Prozentsatz+
-der Künstler darf hoffen, als Bildhauer oder Maler vorwärts zu kommen.
-Man sagt nicht: ein großer +Teil+ der Studenten ist faul, sondern
-man klagt über den Unfleiß (!) eines großen +Prozentsatzes+ der
-„Studierenden“.
-
-+Rückschluß+, +Rückschlag+ und +Rückwirkung+. Für +Schluß+, +Einfluß+
-und +Wirkung+. +Schlüsse+ und +Wirkungen+ gibt es nicht mehr, nur noch
-+Rückschlüsse+ und +Rückwirkungen+. Von +Rück+- ist aber meist gar
-nicht die Rede.
-
-+Unstimmigkeit.+ Törichte Neubildung für +Widerspruch+,
-+Meinungsverschiedenheit+, +Mißhelligkeit+. Es gibt +einstimmige+ und
-+vierstimmige+ Lieder, es gibt auch +Einstimmigkeit+ bei Abstimmungen,
-aber es gibt weder +Stimmigkeit+ noch +Unstimmigkeit+.
-
-+Verfehlung.+ Mattherzig bemäntelndes Wort für +Verbrechen+,
-+Vergehen+. Für Betrügereien, Unterschlagungen, Fälschungen,
-Bilanzverschleierungen, betrügerische Bankerotte, Ehebrüche u. dgl.
-sehr beliebt.
-
-+Bedeutsam.+ Aufs unsinnigste mißbrauchtes Wort. Goethe sagt in
-seiner Beschreibung von dem Selbstbildnis des jungen Dürer, der Maler
-halte das Blümlein Mannstreu +bedeutsam+ in der Hand. Das heißt so
-viel wie +bedeutungsvoll+: der Maler habe damit sinnbildlich oder
-symbolisch etwas andeuten wollen. Von dieser schönen ursprünglichen
-Bedeutung des Wortes ist heute nicht der leiseste Hauch mehr zu spüren.
-Kein zweites Wort ist binnen wenigen Jahren so heruntergebracht,
-so scheußlich entwertet worden wie dieses schöne Wort. Für alles
-mögliche muß es herhalten, für +groß+, +wichtig+, +bedeutend+,
-+hervorragend+, +wertvoll+, +brauchbar+ usw. Wenn man über eine Sache
-nichts, gar nichts zu sagen weiß, so nennt man sie +bedeutsam+.
-Man schreibt: der Verfasser hat auch über Luther, Kant, Fichte und
-Hegel +bedeutsame+ Bücher geschrieben -- diese Zusammenstellung ist
-nicht bloß sprachgeschichtlich, sondern auch kulturgeschichtlich
-+bedeutsam+ -- das Buch wird der Erkenntnis Bahn brechen, daß die
-Bildhauerei des damaligen Deutschlands eine (!) +bedeutsame+ war --
-für den Buchstaben G lagen schon aus Hildebrands Nachlaß +bedeutsame+
-Ergänzungen vor -- auch in dem Holzschnittwerk des Meisters findet
-sich eine +bedeutsame+ Nummer -- in Amerika sind für die deutsche
-Sprache +bedeutsame+ Ereignisse zu verzeichnen -- die Thronrede mußte
-um so +bedeutsamer+ wirken, als Österreich jetzt im Brennpunkt des
-Interesses steht -- daß diese Gedanken von einer Frau ausgesprochen
-wurden, schien dem Herausgeber +bedeutsam+ genug, um (!) sie hier
-mitzuteilen. Man schwatzt von +bedeutsamen+ Bekanntschaften, Erfolgen,
-Aufgaben, Funden, Kunstwerken, von einer für die Kulturgeschichte
-+bedeutsamen+ Veröffentlichung, von einer +bedeutsamen+ Umgestaltung
-des Schulwesens, von dem +bedeutsamsten+ Teil der Wettinischen Lande,
-von einem +bedeutsamen+ Hinweis auf Pflanzenstudien, von +bedeutsamen+
-Probeleistungen einer Kunstgewerbeschule, von +bedeutsamen+ politischen
-Momenten (was mag das sein?), ja sogar von einem +bedeutsamen+
-Mozartinterpreten (!), von kunstvollen, bzw. (!) durch (!) die
-Namen ihrer einstigen Besitzer +bedeutsamen+ Armbrüsten und von
-der +bedeutsamen+ Stellung, die in der Kundschaft der Fleischer
-die Schänkwirte einnehmen. Jammerschade um das einst so sinnvolle,
-gehaltvolle Wort!
-
-+Belangreich+ und +belanglos+. Zwei herrliche Wörter, obgleich kein
-Mensch sagen kann, was +Belang+ ist, und ob es +der+ Belang oder +das+
-Belang heißt.
-
-+Besser.+ Wird jetzt mit Vorliebe nicht mehr als positive Steigerung
-von +gut+, sondern als negative Steigerung von +schlecht+ gebraucht,
-also in dem Sinne von +weniger schlecht+. Herrschaften suchen
-täglich in den Zeitungen +bessere+ Mädchen, und Mädchen natürlich
-nun auch +bessere+ Herrschaften oder auch, wenn sie sich verheiraten
-wollen, +bessere+ Herren. Ein Zeitungsverleger versichert, daß
-seine Zeitung in allen +bessern+ Hotels und Cafés ausliege, und ein
-Geheimmittelfabrikant, daß sein Fabrikat in allen +bessern+ Apotheken
-und Drogengeschäften „erhältlich“ sei. Folglich ist +gut+ jetzt besser
-als +besser+.
-
-+Eigenartig.+ Äußerst beliebt als Ersatz für das Fremdwort +originell+
-und zugleich für +eigentümlich+, worunter man jetzt nur noch so viel
-wie +wunderlich+ oder +seltsam+ zu verstehen scheint. Oft auch bloßer
-Schwulst für +eigen+ (vgl. S. 400): ein +eigenartiger+ Reiz, ein
-+eigenartiger+ Zauber, eine +eigenartige+ Weihe usw.
-
-+Einwandfrei.+ Schöner neuer Ersatz für +tadellos+ und zugleich für
-+unanfechtbar+: gesunde, frische, +einwandfreie+ Milch -- ein sittlich
-+einwandfreier+ Priester -- eine absolut +einwandfreie+ Berliner
-Familie. Daß man nur von Dingen +frei+ sein kann, die einem auch
-anhaften können (vgl. +fehlerfrei+, +fieberfrei+), daran wird gar nicht
-gedacht.
-
-+Erheblich.+ Altes Kanzleiwort, das man schon für tot und begraben
-gehalten hatte, das aber seit einiger Zeit wieder hervorgesucht und
-nun, als Adjektiv wie als Adverb, zum Lieblingswort aller Juristen,
-Beamten und Zeitungschreiber geworden ist (für +groß+, +wichtig+,
-+bedeutend+, +wesentlich+). Es gibt nichts in der Welt, was nicht
-entweder +erheblich+ oder +unerheblich+ oder -- +nicht unerheblich+
-wäre: eine Wunde, ein Schadenfeuer, eine Gehaltsverbesserung,
-eine Verkehrsstörung, alles ist +erheblich+. So heißt es auch vor
-Komparativen nicht mehr +viel+, sondern nur noch +erheblich+:
-+erheblich+ besser, +erheblich+ größer usw.
-
-+Froh+ und viele Zusammensetzungen damit: +arbeitsfroh+,
-+bildungsfroh+, +genußfroh+, +sangesfroh+, +kunstfroh+, +farbenfroh+,
-+fleischfroh+ (der +fleischfrohe+ Rubens!), +wirklichkeitsfroh+,
-namentlich in der Kunstschreiberei jetzt äußerst beliebt. Wir leben in
-einer +kunstfrohen+ Zeit, in der es viele +novitätenfrohe+ Kunstfreunde
-gibt.
-
-+Glatt.+ Modewort von der mannigfachsten Bedeutung: +leicht+,
-+schnell+, +sicher+, +offenbar+ usw.: der Verkehr wickelte sich +glatt+
-ab -- er fiel mit seinem Antrage +glatt+ ab -- es steht zu hoffen,
-daß die Heilung der Wunde +glatt+ erfolgen wird -- es liegt ein ganz
-+glatter+ Betrug vor -- sogar: das liegt auf +glatter+ Hand (statt: auf
-+flacher+)!
-
-+Großzügig.+ Neues Glanzwort, das alle Welt berauscht oder wenigstens
-berauschen soll. Wenn man sich früher bei einer Darstellung auf +große
-Züge+ beschränkte, so wurde sie gewöhnlich oberflächlich. Nun kann
-man ja in anderm Sinne auch von den +großen Zügen+ (Linien) einer
-Gebirgslandschaft, also allenfalls auch von einer +großzügigen+
-Gebirgslandschaft reden. Was soll man sich aber darunter denken, wenn
-es heißt: ein +großzügiges+ Regierungsprogramm wird aufgerollt (!)
--- es fehlt dem Wahlkampf an einer +großzügigen+ Bewegung -- einen
-Zufall gibt es für diesen Standpunkt (!) +großzügiger+ Auffassung
-nicht -- die protestantischen Völker verfolgen +großzügig+ ihre Ziele
--- seiner +großzügigen+ Persönlichkeit entsprechend hat Begas sein
-Lehramt ohne Pedanterie verwaltet -- das Denkmal ist eine +großzügige+
-deutsche Tat, auf die Leipzig stolz sein kann -- G. verrät in seinen
-Porträtköpfen eine +großzügige+ Eigenart -- zeichnerische Genialität
-und malerische Kraft paaren sich mit +großzügigem+ Realismus? Was soll
-man sich unter einer +großzügigen+ Stadtverwaltung, unter +großzügigen+
-Straßennetzen, Bebauungsplänen und Bauschöpfungen, einem +großzügig+
-redigierten Familienblatt, unter der +großzügigen+ Formensprache des
-Barock und der imposanten +Großzügigkeit+ seiner Fassaden vorstellen?
-Was sind das für „Züge“, an die man dabei denken soll? Gemeint ist
-bald einfach +groß+ oder +großartig+, bald +reich+, +kräftig+ oder
-+schwungvoll+, bald +geistreich+ oder +geistvoll+, bald +weitherzig+
-oder +weitblickend+. Das alles soll jetzt das alberne +großzügig+
-ausdrücken! Es ist ein ganz infames Klingklangwort, ohne allen Sinn und
-Inhalt, so recht für die gedankenlose, groß--mäulige Schwätzerei unsrer
-Tage ersonnen, namentlich für die Kunstschwätzerei, aus deren Kreisen
-es höchstwahrscheinlich auch stammt.
-
-+Hochgradig.+ Für +hoch+ oder +groß+; aus der Sprache der Ärzte:
-+hochgradiges+ Fieber. Dann auch +hochgradige+ Erregung, +hochgradige+
-Erbitterung usw.
-
-+Jugendlich.+ Modeersatz für +jung+, das vollständig in Verruf gekommen
-ist. Hat namentlich seit der Thronbesteigung des jetzigen Kaisers um
-sich gegriffen. Den wagte man nicht +jung+ zu nennen -- wahrscheinlich
-hielt man das für eine Majestätsbeleidigung --, man sagte immer:
-unser +jugendlicher+ Kaiser, und genau so ging es dann wieder mit
-dem +jugendlichen+ Kronprinzen. Welch großer Unterschied zwischen
-+jung+ und +jugendlich+ ist, welch erfreuliche Erscheinung z. B. ein
-+jugendlicher Greis+, welch klägliche ein +junger Greis+ ist, dafür hat
-man gar kein Gefühl mehr, fort und fort redet man von +jugendlichen+
-Arbeitern, +jugendlichen+ Übeltätern, Verbrechern, Dieben,
-Brandstiftern, einer +jugendlichen+ Sängerschar, sogar +jugendlichen+,
-unter sechzehn Jahren alten Mädchen; den siebenjährigen Knaben Mozart
-nennt man den +jugendlichen+ Mozart und den sechzehnjährigen Studenten
-Goethe den +jugendlichen+ Goethe und betont das +jugendliche Alter+,
-in dem er die Universität bezog! Überall ist +jung+ gemeint, und
-+jugendlich+ wird gesagt und geschrieben.
-
-+Minderwertig.+ Verhüllender Ausdruck für +schlecht+, +wertlos+,
-+unbrauchbar+. Irgendeinen Menschen oder eine Sache +schlecht+
-zu nennen, hat man nicht mehr den Mut; man spricht nur noch von
-+minderwertigem+ Fleisch, +minderwertigen+ Kartoffeln, +minderwertigen+
-Existenzen, sogar von +minderwertigen+ Referendaren.
-
-+Offensichtlich.+ Lieblingswort der Zeitungschreiber, zusammengebraut
-aus +sichtlich+ und +offenbar+: die +offensichtliche+ Gefahr,
-+offensichtliche+ Mängel, mit +offensichtlichem+ Stolz usw.
-
-+Schneidig.+ Blühendes Modewort zur Bezeichnung der eigentümlichen
-Verbindung von äußerlicher Schniepelei und innerlicher Roheit,
-Fatzkentum und Landsknechtswesen, in der sich ein Teil unsrer jungen
-Männerwelt jetzt gefällt. Zum Glück im Rückgange begriffen.
-
-+Selbstlos.+ Kühne Bildung. Eine Zeit lang sehr beliebt zur Bezeichnung
-des höchsten Grades von Uneigennützigkeit und Opferwilligkeit. Hat aber
-auch schon ziemlich abgewirtschaftet.
-
-+Tiefgründig.+ Neues Modewort. Man spricht von +tiefgründiger+, das
-soll heißen: in die Tiefe gehender Arbeit und Forschung, aber auch von
-+tiefgründigen+, das soll heißen geheimnisvollen Kunstwerken: Klingers
-Werke sind viel zu +tiefgründig+ (!), um dem unvorbereiteten Betrachter
-schnell ihren Gehalt zu offenbaren -- endlich aber auch schon von
-+tiefgründiger+ (statt +tiefer+!) Vaterlandsliebe.
-
-+Tunlich+ und +angängig+. Lieblingswörter der Kanzleisprache für
-+möglich+: mit +tunlichster+ Bälde.
-
-+Uferlos+, für endlos: +uferlose+ Debatten, die Darstellung verliert
-sich in +uferlose+ Breite. Ja ja, wir sind ein seefahrendes Volk
-geworden.
-
-+Unerfindlich.+ Für +unbegreiflich+ oder +unverständlich+. Verfehlt
-gebildet, da +erfinden+ in dem Sinne, wie es in +unerfindlich+
-verstanden werden soll, ungebräuchlich ist. Trotzdem eine Zeit lang
-sehr beliebt, jetzt im Rückgange.
-
-+Ungezählt.+ Sehr beliebte neue Modedummheit für +unzählig+,
-+zahllos+, ja sogar für +zahlreich+. Napoleon stand einer Streitmacht
-+ungezählter+ Kosaken gegenüber -- die Stadtchronik berichtet von
-+ungezählten+ Festen -- dieser Schrank birgt +ungezählte+ Zinnkannen
--- die Atmosphäre ist mit +ungezählten+ Kohlenteilchen erfüllt --
-Messel hat im Wertheimpalast Normen geschaffen, die bestimmend für
-+ungezählte+ Warenhäuser wurden -- eine +ungezählte+ Menge drängte
-sich nach dem Unglücksplatz -- +ungezählte+ Deutsche feiern heute
-den Geburtstag des großen Kanzlers -- der Roman erlebte +ungezählte+
-Auflagen. Ob eine Menge gezählt worden ist, darauf kommt es doch gar
-nicht an, sondern darauf, ob sie gezählt werden konnte! Die Auflagen
-eines Buches aber werden wirklich gezählt.
-
-+Verläßlich.+ Modewort für +zuverlässig+. Wunderliche Verirrung!
-+Zuverlässig+ ist ein schönes, kräftiges Wort; wer +zuverlässig+ ist,
-auf den kann man sich wirklich verlassen. Einem +Verläßlichen+ würde
-ich nicht über den Weg trauen; das Wort hat gleich so etwas widerwärtig
-weichliches.
-
-+Vornehm.+ Im Superlativ ausschließlicher Ersatz für alle
-Zusammensetzungen, die früher mit +Haupt+- gebildet wurden. Für
-+Haupt+ursache, +Haupt+bedingung, +Haupt+zweck, +Haupt+aufgabe heißt
-es nur noch: die +vornehmste+ Ursache, die +vornehmste+ Bedingung, der
-+vornehmste+ Zweck, die +vornehmste+ Aufgabe. Je öfter man +vornehm+
-schreibt, desto vornehmer kommt man sich selber vor.
-
-+Zielbewußt.+ Von der sozialdemokratischen Presse in Umlauf gesetzt und
-eine Zeit lang von ihr mit blutigem Ernst gebraucht. Heute nur noch mit
-Gänsefüßchen möglich: ein „zielbewußter“ Autographensammler u. ähnl.
-
-+Abstürzen.+ Für +herabstürzen+ oder +hinabstürzen+; namentlich von
-den Alpenfexen verbreitet. In den Zeitungen +stürzen+ aber schon nicht
-mehr bloß Bergkletterer +ab+, sondern auch Steinblöcke in Steinbrüchen,
-Turner vom Reck, Kinder vom Straßenbahnwagen usw. Man setze +fallen+
-für +stürzen+, und man wird die Lächerlichkeit fühlen! Ab mit
-Zeitwörtern zusammengesetzt bedeutet ja die Trennung, die Entfernung;
-vgl. +abfallen+, +abgehen+, +abfahren+, +absenden+, +abspringen+,
-+abnehmen+, +abreißen+, +abhauen+, +abschneiden+ usw.
-
-+Anschneiden+ und +aufrollen+. Eine Frage, ein Thema wird nicht
-mehr +berührt+, +angeregt+ -- das ist viel zu fein --, sondern
-entweder werden sie +angeschnitten+, wie eine Blutwurst, oder sie
-werden +aufgerollt+, wie ein Treppenläufer oder eine Linoleumrolle.
-Das ist die Bildersprache der Gegenwart! Und wenn eine Frage dann
-+aufgerollt+ oder +angeschnitten+ ist, dann kommt es darauf an, sich
-ein tüchtiges Stück +abzuschneiden+. Gelingt einem das, dann hat man
-+gut abgeschnitten+, das soll heißen: man ist gut dabei weggekommen.
-Wie wird Deutschland dabei +abschneiden+?
-
-+Auslösen.+ Für +erregen+, +wecken+, +hervorrufen+, +veranlassen+.
-Aus der Mechanik, wo es so viel bedeutet, wie durch Beseitigung einer
-Hemmung irgend etwas in Bewegung oder Tätigkeit setzen: der Dichter
-will uns nicht seine Gedanken aufnötigen, sondern unsre eignen
-Gedanken +auslösen+ -- ein Wort, das gerade in diesem Zusammenhange
-eigentümliche Empfindungen +auslösen+ mußte -- ob ein Unlustgefühl
-eine Handlung +auszulösen+ imstande ist -- Eindrücke, die leicht
-pathologische Reize +auslösen+ -- durch frische Luft wird körperliches
-Wohlbefinden +ausgelöst+ -- allgemeine Heiterkeit +löste+ folgender
-Vorfall +aus+. Aber auch: manche lyrische Gedichte Goethes lassen sich
-in der Musik nicht voll (!) +auslösen+ -- in den ersten Monaten seiner
-Universitätszeit +löste sich+ (!) bei ihm eine kräftige Fuchsenstimmung
-+aus+. Schön gesagt!
-
-+Ausschalten.+ Für +beseitigen+, +fernhalten+, +vermeiden+, +unnötig
-machen+, +aufgeben+ usw.: der Einfluß des Charakters kann natürlich
-nicht +ausgeschaltet+ werden -- nachdem alle andern Projekte
-+ausgeschaltet+ sind -- um sprachliche Erklärungen des Textes von
-vornherein +auszuschalten+. Man muß doch zeigen, daß man mit dem
-Telephon und dem elektrischen Licht Bescheid weiß.
-
-+Bedeuten.+ Gespreizter Ersatz für +sein+, für die ganz einfache
-„Kopula“: sein Tod +bedeutet+ für die gesamte Kunst einen schweren
-Verlust -- eine dreiköpfige Leitung würde eine äußerst bedenkliche
-Einrichtung +bedeuten+ -- die Schülerfahrt nach Weimar soll für
-jeden Teilnehmer ein unvergeßliches Erlebnis +bedeuten+ -- welche
-Ermäßigung das gegenüber dem jetzigen Tarif +bedeuten+ würde, mag
-folgendes Beispiel zeigen -- diese Art der Einordnung +bedeutet+
-einen willkürlichen Anachronismus -- Gobineaus letzte Lebensjahre
-+bedeuten+ den Schlußakt eines erschütternden Trauerspiels -- der Tod
-der Königin +bedeutete+ für Southampton das Ende der Kerkerhaft. (Vgl.
-+darstellen+.)
-
-+Begrüßen.+ Neuerdings sehr beliebt statt: +willkommen heißen+.
-+Begrüßen+ ist aber ein neutraler Begriff; man kann etwas mit Freuden,
-mit Jubel, dankbar, aber auch kühl, gleichgiltig, mit sauersüßer Miene
-begrüßen. Es ist also nichtssagend, wenn geschrieben wird: es wäre zu
-+begrüßen+, wenn solche Untersuchungen weiter angestellt würden --
-daß Bach mit Chorälen vertreten ist, kann man nur +begrüßen+ -- wir
-müssen es immer +begrüßen+, wenn ein Mann der Wissenschaft die Gabe
-volkstümlicher Darstellung besitzt (!).
-
-+Bekannt geben.+ Für +bekannt machen+, weil +machen+ nicht mehr für
-fein gilt. Freilich wird ein bißchen viel +gemacht+: ein Mädchen
-+macht+ sich erst die Haare, dann +macht+ sie die Betten, dann +macht+
-sie Feuer usw. Sonntags +macht+ der Leipziger sogar nach Dresden.
-Trotzdem ist +bekannt geben+ eine Abgeschmacktheit.
-
-+Sich beziffern.+ Statt +betragen+, +sich belaufen+. Aus der
-Statistik, die ja keine +Zahlen+ kennt, sondern nur +Ziffern+ (obwohl
-sich Ziffer zu Zahl verhält wie Buchstabe zu Laut und Note zu Ton):
-Bevölkerungs+ziffer+, Durchschnitts+ziffer+ -- ich kann Ihnen noch
-einige +Ziffern+ vorlegen -- das Personal +beziffert sich+ auf hundert
-Köpfe -- der Verlust +beziffert sich+ auf 30000 Mann usw.
-
-+Darstellen.+ Schauderhaft gespreizter Ersatz für +bilden+ in dem
-Sinne von +sein+ (vgl. +bedeuten+). Schon +bilden+ war überflüssige
-Ziererei, wenn man an seine eigentliche Bedeutung denkt. Nun
-vollends +darstellen+! Und doch wird jetzt nur noch geschrieben:
-ein Staatspapier, wie es unsre Konsols bisher +darstellten+ -- der
-Jahresbericht, den die zweite Lieferung des Buches +darstellt+ --
-das Geschwader +stellt+ eine bedeutende Streitmacht +dar+ -- die
-Zusammenkünfte sollen ein kollegiales Bindemittel +darstellen+ -- diese
-Bahn +stellt+ den nächsten Landweg von Mitteleuropa nach Indien +dar+
--- diese Beschäftigung +stellt+ keine ausreichende Tätigkeit +dar+
--- die Menschheit, die trotz aller Mängel doch nicht bloß eine Schar
-von armen Sündern +darstellt+ -- Bücherschätze, die ein herrliches
-Zeugnis für die Freigebigkeit früherer Jahrhunderte +darstellen+ --
-die Akademie +stellt+ einen zusammenhängenden Organismus +dar+ --
-ein Gebiet, das an dem großen Baume des Kunstgewerbes nur einen Ast
-+darstellt+ -- ein Unternehmen, bei dem die hochtönenden Namen offenbar
-die Hauptsache +darstellen+ -- das Fleisch der Seefische +stellt+ auch
-für den Arbeiter ein vollwertiges Nahrungsmittel +dar+ -- unterliegt
-ein Volk seinem Gegner, so bleibt nur der Schluß, daß es einen weniger
-lebensfähigen Typ (!) repräsentiert (!), als ihn der Sieger +darstellt+
-(d. h. nicht so lebensfähig ist wie der Sieger!). Kann es einen
-alberneren Sprachschwulst geben?
-
-+Einschätzen.+ Es wird nichts mehr +geschätzt+, +beurteilt+, für etwas
-+gehalten+, sondern alles wird +eingeschätzt+: ein Buch, das der
-Kritiker dieses Blattes +hoch einschätzt+ -- ein Parteifreund, der die
-ultramontane Gefahr minder hoch +einschätzt+ -- man muß sich selbst
-beobachten und studieren, um seine Fähigkeiten richtig +einzuschätzen+
--- sie nahm zu einem Manne ihre Zuflucht, dessen Charakter sie falsch
-+einschätzte+ -- auch die +Einschätzung+ der künstlerischen Tätigkeit
-ist dem Wechsel der Zeiten unterworfen -- 1849 gab es nicht einen
-Menschen, der Goethes Wert richtig +einschätzte+ -- das Buch ermöglicht
-uns eine richtige +Einschätzung+ der Verhältnisse unsers Grenznachbars
--- ein Diplomat, der die Gewähr bietet, daß er Stimmungen und
-Personen aus eigner Anschauung +einzuschätzen+ weiß -- sein Idealismus
-+schätzte+ den Opfermut seiner Landsleute zu hoch, die Schwierigkeiten
-zu niedrig +ein+ -- Zöllners Musik zur Versunknen Glocke ist höher
-+einzuschätzen+ als seine Faustmusik. Warum denn +ein+-? +Eingeschätzt+
-wird man bei der Steuer, sonst nirgends. Dort hat das +ein+- seinen
-guten Sinn, denn man wird durch die Schätzung in eine bestimmte
-Steuerklasse gesetzt, und daran hängt die Verpflichtung, eine bestimmte
-Steuer zu bezahlen. Irgendein dummer Kerl hat das Wort für +schätzen+,
-+beurteilen+ gebraucht, und die gescheitesten Leute sind darauf
-hineingefallen. Hat man gar kein Gefühl mehr für die Bedeutung eines
-Wortes, daß man solchen Unsinn sagt, wie hohe +Einschätzung+ der Kunst?
-Muß man denn auf Schritt und Tritt an den Steuerzettel erinnert werden?
-
-+Einsetzen.+ Seit einigen Jahren großartiges Modewort für +anfangen+
-und +beginnen+, und gleichfalls eins der schlagendsten Beispiele von
-der Gedankenlosigkeit, mit der solche Wörter nachgeplärrt werden.
-Das Wort ist von den Musikschreibern in die Mode gebracht worden. In
-einer Fuge +setzen+ die einzelnen Stimmen hintereinander +ein+, jede
-Stimme nämlich in das, was die vorhergehende schon singt. Das hat
-guten Sinn. Aber die erste Stimme -- +setzt+ die auch +ein+? Nein,
-die +beginnt+ oder +fängt an+, denn sie ist eben die erste. Und das
-ist nun der Blödsinn, und diesen Blödsinn haben die Musikschreiber
-selbst aufgebracht, daß +einsetzen+ als Modewort ausschließlich für
-das wirkliche +anfangen+ oder +beginnen+ gebraucht wird, außerdem aber
-noch für viele andre Wörter, auf die man zu faul ist sich zu besinnen.
-Bücher und Zeitungen wimmeln von Beispielen: die Untersuchungen über
-die Grenzen der Instrumentalmusik +setzen+ erst nach Beethoven +ein+
--- die Festspiele haben Mittwoch mit Don Juan unter sehr günstigem
-Stern +eingesetzt+ -- ihre greifbarste Gestalt haben diese Bestrebungen
-in dem +Einsetzen+ (Entstehung, Gründung) der deutschen Liedertafeln
--- die Verhandlungen +setzten+ sehr ruhig +ein+ -- überaus heftig
-+setzte+ alsbald die Kritik +ein+ -- groß und vielversprechend
-+setzt+ Klingers Schaffen +ein+ -- die Kampftage waren vorüber, das
-Strafgericht +setzte+ mit alter Herzlosigkeit +ein+ -- die Romantik
-+setzt+ in Dresden früh und mit Entschiedenheit +ein+ -- damit hat
-Uhlfeldt sein Schicksal besiegelt, und die fallende Handlung +setzt
-ein+ -- die Kunst kann erst +einsetzen+, wenn dem Schauspieler die
-Seele der dargestellten Person in Fleisch und Blut übergegangen ist --
-die Mode, bei Abendgesellschaften farbige Schuhe zu tragen, hat schon
-+eingesetzt+ -- hier hört der Historiker auf, und der Theolog +setzt
-ein+ -- Paul Krügers Memoiren +setzen+ mit seiner Jugend +ein+ -- die
-aufbewahrten Schreiben von Freytags Hand +setzen+ mit dem Jahre 1854
-+ein+ -- die heutige Verhandlung +setzte+ mit einem Briefe Schmidts
-+ein+ -- dogmatische Spekulation +setzte+ schon zur Zeit der Entstehung
-der Evangelien +ein+ -- in dieser Zeit scheinen seine Bemühungen
-um eine Professur +einzusetzen+ -- die Scheidung der Mundarten hat
-bereits im sechzehnten Jahrhundert +eingesetzt+ -- der wirtschaftliche
-Niedergang +setzte+ im Jahre 1901 +ein+ -- im Frühjahr +setzt+
-regelmäßig eine stärkere Bautätigkeit +ein+ -- das Erdbeben +setzte+
-5 Uhr 30 Minuten +ein+ -- die schon früh +einsetzende+ Dunkelheit
-erhöht die Gefahr -- als ob die Brauchbarkeit der Halle bewiesen
-werden sollte, +setzte+ am Nachmittag ein gelinder Regen +ein+ -- ja
-sogar: für die diesjährige Saison haben die Fabrikanten mit billigen
-Preisen +eingesetzt+ (!) -- die Diskussion in der Presse +beginnt+
-(!) bereits +einzusetzen+ -- es +beginnt+ (!) hier eine Entwicklung
-+einzusetzen+, die möglicherweise zu irrigen Schlüssen führen könnte.
-Wem diese Beispiele den Appetit noch nicht verdorben haben, der
-sammle in den nächsten drei Tagen selber weiter, bis ihm der Appetit
-vergeht. Vernünftigen Sinn hat es, wenn man schreibt: Hier muß die
-Wissenschaft +einsetzen+, wenn sie zu einer befriedigenden Lösung der
-Frage kommen will; denn hier schwebt ein ganz andres Bild vor, nämlich
-das vom Einsetzen oder Ansetzen des Hebels. Aber Unsinn ist es wieder,
-zu schreiben: Hier will mein Buch +einsetzen+ (für +eingreifen+,
-+einspringen+, +in die Lücke treten+).
-
-+Einstellen.+ Aus der Sprache des Photographen, der die Camera
-einstellt: der Blick, die Aufmerksamkeit muß auf diesen Punkt
-+eingestellt+ werden. Warum denn nicht: +gelenkt+, +gerichtet+,
-+geleitet+?
-
-+Entgegennehmen.+ Spreizwort für +annehmen+. Anfangs nahm bloß der
-Kaiser das Beglaubigungsschreiben des Botschafters eines auswärtigen
-Souveräns +entgegen+. Das +entgegen+ malte das Zeremoniell der
-feierlichen Handlung. Jetzt werden auch Geldbeiträge für öffentliche
-Sammlungen, Blumenspenden für Begräbnisse, Anmeldungen neuer Schüler,
-Inserate für die nächste Nummer, Bestellungen auf das nächste Quartal
-nur noch +entgegengenommen+ -- immer feierlich, herablassend. Sogar
-die Kürschnergesellen nehmen ihren Jahresbericht +entgegen+, und der
-Angeklagte +nimmt+ das Todesurteil gefaßt, das Publikum aber +nimmt+ es
-mit tiefem Schweigen +entgegen+.
-
-+Erübrigen+ und +sich erübrigen+. Ein schlagendes Beispiel dafür,
-welche Verwirrung durch überflüssige und halbverstandne Neubildungen
-angerichtet werden kann. +Erübrigen+ war bisher ein transitives
-Zeitwort und bedeutete so viel wie +sparen+, +zurücklegen+: ich habe
-mir schon ein hübsches Sümmchen +erübrigt+. Das hat man neuerdings
-angefangen intransitiv zu gebrauchen in dem Sinne von +übrig
-bleiben+: es +erübrigt+ noch, allen denen meinen Dank auszusprechen
--- es +erübrigt+ nur noch, besonders darauf hinzuweisen usw. Andre
-aber, die das Wort wohl hatten klingen hören, aber nicht auf den
-Zusammenhang geachtet hatten, fingen gleichzeitig an, es in dem Sinne
-von +überflüssig sein+ zu gebrauchen: auf die ganze Tagesordnung
-+erübrigt+ es heute einzugehen -- hier +erübrigt+ jedes weitere Wort
--- es +erübrigt+ für mich jede weitere Bemerkung -- ein ausdrücklicher
-Verzicht +erübrigt+ von selbst. Noch andre endlich machten das Wort in
-der zweiten Anwendung zum Reflexiv und schrieben: die Ratschläge, deren
-Wiedergabe +sich erübrigt+ -- alle weitern Schritte +erübrigen sich+
-hierdurch -- es +erübrigt sich+ wohl, noch besonders darauf hinzuweisen
--- es +erübrigt sich+, auch nur ein Wort darüber zu verlieren. In
-solchen Quatsch gerät man, wenn man vor lauter Modenarrheit zwei
-guten, deutlichen Ausdrücken wie +übrig bleiben+ und +überflüssig sein+
-aus dem Wege geht.
-
-+Erzielen.+ Ausschließlicher Ersatz für +erreichen+. +Erreicht+ wird
-nichts mehr; Nutzen, Gewinn, Vorteil, Ergebnisse, Erfolge, alles wird
-+erzielt+.
-
-+Führen.+ Statt +hervorragen+, +Bahn brechen+, +den Ton angeben+. Man
-spricht nur noch von +führenden+ Geistern, Denkern, Persönlichkeiten,
-Kunstschriftstellern, Chirurgen, von der +führenden+ Presse, von
-Leuten, die eine +führende+ Stelle oder Stellung einnehmen, eine
-+führende+ Rolle spielen, und Henckell Trocken ist die +führende+
-Marke! Bei +hervorragen+ sah man gleichsam eine stillstehende
-Reihe oder Gruppe vor sich; bei +führen+ sieht man die ganze Bande
-marschieren, und zwar im Gänsemarsch.
-
-+Im Gefolge haben.+ Modephrase für: +zur Folge haben+. Bisher hatte nur
-ein Fürst ein Gefolge; jetzt heißt es: die Not +hat+ Unzufriedenheit
-+im Gefolge+ -- Reformen, die die Schmälerung des Profits +im Gefolge
-haben+ könnten -- anarchistische Bestrebungen, die reaktionäre
-Maßregeln +im Gefolge haben+ -- der Fall +hatte+ eine fünfjährige
-Freiheitsstrafe +im Gefolge+ -- es ist nicht zu verkennen, daß die
-Preßfreiheit auch schwere Schäden +im Gefolge hatte+. Man überlege sich
-nur, was für Unsinn man da hinschreibt!
-
-+Gestatten.+ Feiner Ersatz für +erlauben+, das ganz ins alte Eisen
-geworfen ist. Hat aber seine Laufbahn ziemlich rasch zurückgelegt.
-Auch der Handlanger sagt schon, ehe er einem auf die Füße tritt:
-+Gestatten!+ so gut wie er schon die Zigarette nachlässig zwischen den
-Lippen hängen hat. Wo bleibt nun die Feinheit?
-
-+Landen für ankommen.+ Anfangs als Scherz, jetzt aber in vollem Ernst
-geschrieben: als Schiffbrüchiger +landete+ er in Rom -- 1842 war Wagner
-nach langer Wanderung in Dresden +gelandet+ (wahrscheinlich kam er mit
-dem Schandauer Dampfschiff).
-
-+Rechnung tragen.+ Beliebte Phrase des Kanzleistils und bequemer Ersatz
-für alle möglichen Zeitwörter und Redensarten: wir sind bemüht,
-diesen Beschwerden +Rechnung zu tragen+ (+abzuhelfen+!) -- Ihrem
-Wunsche, den Gebrauch der Fremdwörter einzuschränken, werden wir gern
-+Rechnung tragen+ (+erfüllen+!) -- es finden sich Bearbeitungen von den
-einfachsten bis zu den schwierigsten, sodaß allen Vereinen +Rechnung
-getragen+ ist (+Rücksicht genommen+!) -- es war zu erwarten, daß das
-Volk durch eine Landestrauer seinen Gefühlen +Rechnung tragen+ würde
-(+Ausdruck geben+!) -- dieser Auffassung haben wir auch +Rechnung
-getragen+ (+bestätigt+!) -- wie wenig die Verwaltung diesem Grundsatz
-+Rechnung getragen+ hat (+gefolgt ist+!).
-
-+Schreiten+, +beschreiten+, +verschreiten+. Für +gehen+ oder +sich
-wenden+. Man +schreitet+, oder noch lieber: man +verschreitet+ zur
-Wahl, zur Abstimmung, zur Veröffentlichung, zur Operation, ja sogar
-zum Aufgießen des Tees. Fürsten +gehen+ nie, sie +schreiten+ immer:
-der Kaiser +schritt+ zunächst durch die Sammlung der Musikinstrumente.
-Aber auch: die Maori +schreiten+ unaufhaltsam ihrem Untergang entgegen
--- immer mit gehobnen und gestreckten Beinen, wie die Rekruten auf dem
-Drillplatze.
-
-+Tragen.+ Feierlicher Ersatz für +bringen+: wir +tragen+ dem Kaiser
-Liebe und Vertrauen +entgegen+. Nur schade, daß man einem nur etwas
-in den Händen oder auf einem Präsentierteller +entgegentragen+ kann,
-in seinem Innern aber doch nur +entgegenbringen+. Ganz besonders
-aber ist +getragen sein+ jetzt beliebtes Spreizwort für +erfüllt
-sein+: von künstlerischer Überzeugung +getragen+ -- von patriotischer
-Wärme +getragen+ -- von religiöser Gläubigkeit +getragen+ -- von
-wissenschaftlichem Ernst +getragen+ -- von düsterm Pessimismus
-+getragen+ -- eine von hoher Begeisterung +getragene+ Rede -- eine
-fesselnde, von staunenswerter Belesenheit +getragene+ Darstellung
--- eine von froher Geselligkeit +getragene+ Veranstaltung -- die
-geräuschlose, von warmer Fürsorge für die Jugend +getragene+ Arbeit
--- der Kommers nahm einen von echt studentischem Geiste +getragenen+
-Verlauf -- der Empfang des Kaisers war von herzlicher Begeisterung
-+getragen+ usw. Man muß immer an einen Luftballon denken.
-
-+Treten.+ Ebenso beliebt wie +schreiten+. Einer Frage wird näher
-+getreten+, das Ministerium ist zu einer Beratung zusammen+getreten+,
-und besonders gern wird in etwas +eingetreten+: Arbeiter +treten+
-in einen Streik, sogar in einen Ausstand +ein+, eine Versammlung
-+tritt+ in eine Verhandlung +ein+, der Reichskanzler ist in ernstliche
-Erwägungen +eingetreten+, und der Gelehrte schreibt: ich will auf
-dieses Gebiet hier nicht näher +eintreten+ -- ich mag hier nicht in
-den Streit über die Bedeutung Hamerlings +eintreten+. Das schönste
-aber ist: +in die Erscheinung treten+ (statt +erscheinen+ oder +zur
-Erscheinung kommen+): es ist bei dieser Gelegenheit scharf (!) +in
-die Erscheinung getreten+ (es hat sich deutlich gezeigt) -- dabei
-+tritt+ das Gesetz +in die Erscheinung+ (dabei kann man beobachten)
--- es zeigten sich Krankheitssymptome, die immer intensiver +in die
-Erscheinung traten+ -- der Zustand der Herzschwäche +trat+ vermindert
-+in die Erscheinung+ -- es handelt sich um eine Krankheit des modernen
-Lebens, die hier in besonders krasser Weise +in die Erscheinung tritt+
--- Unregelmäßigkeiten +treten+ um so mehr +in die Erscheinung+, je
-kleiner das Beobachtungsfeld ist -- hier +tritt+ nie eine so starke
-territoriale Zersplitterung +in die Erscheinung+ -- das Gesamtleben des
-Reichs +tritt+ in der Hauptstadt konzentriert +in die Erscheinung+ --
-das Nachtleben +tritt+ in Berlin weit auffälliger +in die Erscheinung+
--- ja sogar der neue Spielplan wird zu Neujahr +in die Erscheinung
-treten+. Wie vornehm glauben sich die Leute mit diesem ewigen Getrete
-auszudrücken, und -- wie albern ist es!
-
-+Vertrauen.+ Mit nachfolgendem Objektsatz (!), statt +hoffen+,
-+glauben+, +überzeugt sein+: das Ministerium +vertraut, daß+ der
-eingerissene Mißbrauch bald wieder abgestellt sein werde -- die Leser
-können +vertrauen, daß+ wir bei der Feststellung des Textes die größte
-Vorsicht haben walten lassen.
-
-+Vorbestrafen.+ Lieblingswort aller Polizeireporter und aller
-Berichterstatter über Gerichtsverhandlungen: ein schon zehnmal
-+vorbestrafter+ Kellner -- ein schon fünfzehnmal +vorbestrafter+
-Riemergeselle -- ein schon vielfach, sogar mit Zuchthaus,
-+vorbestraftes+ Subjekt. Als ob nicht +bestraft+ genügte! Müssen denn
-nicht, wenn einer „schon oft“ bestraft worden ist, diese Strafen
-+vor+ der liegen, die ihn jetzt erwartet! Der Unsinn ist aber nicht
-auszurotten. Vielleicht schreibt man nächstens auch noch: eine bisher
-noch +unvorbestrafte+ Verkäuferin.
-
-+Vorsehen+, nicht als reflexives, sondern als transitives Zeitwort:
-+etwas vorsehen.+ Binnen wenigen Jahren mit ungeheurer Schnelligkeit
-in der Kanzlei- und Zeitungssprache verbreitet, für denkfaule Leute
-wieder ein willkommner Ersatz für alle möglichen Zeitwörter. Auf dem
-Gymnasium wird man im lateinischen Unterricht ermahnt, ~providere~
-ja nicht mit +vorsehen+ zu übersetzen, es sei das ein gemeiner
-Latinismus; gut übersetzt heiße es: für etwas +sorgen+, +Fürsorge+ oder
-+Vorsorge treffen+, etwas +vorbereiten+. Dieser „gemeine Latinismus“
-ist der neueste Stolz der Kanzlei- und Zeitungssprache: Sache der
-Übungsbücher ist es, eine geordnete Folge von Übungen +vorzusehen+ --
-zur Erhöhung der Beamtengehalte sind für das Jahr 1904 keine Mittel
-+vorgesehen+ -- die Erstaufführung (!) ist für die Saison 1903 am
-Leipziger Stadttheater +vorgesehen+ -- als Verbindung zwischen beiden
-Straßen ist eine Allee +vorgesehen+ -- für die Rasenrabatten ist die
-übliche niedrige Einfassung +vorgesehen+ -- für den Speisesaal ist
-Rokoko +vorgesehen+ -- die Selbstregierung, die das Friedensinstrument
-+vorsieht+ -- die zu einer Ferienreise +vorgesehenen+ Ersparnisse der
-Schulkinder -- das Richtfest der hiesigen Kirche ist auf Sonnabend
-den 5. November +vorgesehen+ -- für den Besuch Sr. Majestät in der
-Handelsschule ist folgendes Programm +vorgesehen+ -- für den Abend
-ist ein Fackelzug +vorgesehen+ usw. Also +sorgen+, +beabsichtigen+,
-+planen+, +bestimmen+, +festsetzen+ -- alles wird mit diesem aus reiner
-Dummheit dem Lateinischen nachgeäfften +vorsehen+ ausgedrückt!
-
-+In die Wege leiten.+ Herrliche neue Modephrase der Amts- und
-Zeitungssprache für -- ja, wofür? Eigentlich für gar nichts. Anstatt
-einfach zu sagen: es wurde eine starke Seemacht +geschaffen+ -- er
-hat mancherlei Technisches +unternommen+ -- die Veranstaltung wird
-schon jetzt +vorbereitet+ -- es wäre zu wünschen, daß ein solches
-Amt +eingerichtet+ würde -- heißt es: die Schaffung einer starken
-Seemacht wurde +in die Wege geleitet+ -- er hat mancherlei technische
-Unternehmungen +in die Wege geleitet+ -- die Vorbereitungen zu der
-Anstalt werden bereits +in die Wege geleitet+ -- es wäre zu wünschen,
-daß die Organisation eines solchen Amtes +in die Wege geleitet+ würde.
-Und ein Unterbeamter schreibt an den andern: ich bitte, das Weitere
-baldgefälligst (!) +in die Wege leiten+ zu wollen.
-
-+Werten+ und +bewerten+. Neben +einschätzen+ (vgl. S. 377) seit
-kurzem äußerst beliebte Spreizwörter für +schätzen+, +beurteilen+,
-+für etwas ansehen+ oder +halten+. Bisher kannte man nur +verwerten+
-und +entwerten+. Jetzt wird aber alles +gewertet+ oder +bewertet+:
-in Schlesien weiß man die Kraft, die aus der Muttererde strömt, wohl
-zu +werten+ -- diese Luxusausgaben werden im Handel bereits hoch
-+bewertet+ -- seine Schriften verraten eine selten (!) hohe +Wertung+
-der Ehe -- es drängt sich die Frage auf, wie ein sächsischer Offizier
-einem preußischen gegenüber zu +bewerten+ sei -- wir können diese
-Urteile nicht als Urteile eines ernsthaften Journalisten +bewerten+
--- diese Abweichung von der Regel dürfte als nicht ganz sachgemäß
-+bewertet+ werden -- man muß die Ausdrucksweise einer Zeit kennen,
-wenn man ihre Freundschaften und Liebschaften +bewerten+ will -- die
-Monarchenzusammenkunft wird in der N. A. Z. mit folgenden Worten
-+gewertet+ -- beide, er wie sie, wollen selbständig +gewertet+
-werden -- bei der wissenschaftlichen +Wertung+ des Problems tut vor
-allem Nüchternheit not -- man muß die juristische +Bewertung+ des
-Falles abwarten -- ja sogar: die +Bewertung+ und +Beurteilung+ (!)
-dieser Bilder wird neu festzustellen und zu modifizieren sein -- was
-eine Südländerin von Temperament als Lebensforderung +einschätzt+
-und +wertet+ (!) -- und das Neueste und Schönste von allem:
-baugeschichtliche Feststellungen geben uns die Möglichkeit, die
-Entstehungsbedingungen dieser Baukunst sicher +einzuwerten+ (also aus
-+werten+ und +einschätzen+ ein drittes Wort zusammengeknetet!). Woher
-stammen die herrlichen Wörter? Aus der Börsensprache, die von der
-+Bewertung+ des umlaufenden Edelmetalls spricht? Oder von Nietzsche?
-
-+Zeitigen.+ Für +hervorbringen+, +schaffen+: es ist eine armselige
-Literatur, wie sie noch keine Periode der Musikgeschichte +gezeitigt+
-hat.
-
-+Zubilligen.+ Für +bewilligen+ oder +zugestehen+: den Arbeitern
-wurde eine Unterredung +zugebilligt+ -- jeder höhern Lehranstalt
-sind für Bibliothekzwecke jährlich tausend Mark +zugebilligt+ -- die
-Hinterbliebenen haben mir das Recht der Veröffentlichung +zugebilligt+.
-
-+Zukommen+, auf etwas. Beliebtes neues Ersatzwort des sächsischen
-Kanzleistils für alles mögliche, für: an etwas +denken+, etwas +ins
-Auge fassen+, etwas +beschließen+, +sich+ zu etwas +entschließen+,
-+sich+ auf etwas +einlassen+: wenn man auf die Ausführung dieses
-Gedankens +zukommen+ wollte, so wäre jetzt der geeignete Augenblick
--- es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß auf einen Aufbau der
-Türme +zuzukommen+ sei -- wann wird man an den höhern Schulen auf eine
-Verminderung der Unterrichtszeiten +zukommen+.
-
-+Bislang.+ Für +bisher+. Provinzialismus aus Hannover, nach 1866 stark
-verbreitet, heute ziemlich vergessen.
-
-+Da und dort.+ Modeverbindung für +hie und da+: unter den
-technischen Schwierigkeiten klingt doch +da und dort+ ein tieferer
-musikalischer Sinn heraus.
-
-+Erstmals.+ Neues Spreizwort für +zuerst+ oder +zum erstenmal+: eine
-Fülle von Material ist in diesem Buche +erstmals+ erschlossen. (Vgl.
-+erstmalig+ S. 407)
-
-+Hoch.+ Einzig gebräuchliches Adverb zur Begriffssteigerung folgender
-Adjektiva: +fein+, +elegant+, +modern+, +herrschaftlich+, +gebildet+,
-+gelehrt+, +verdient+, +bedeutend+, +bedeutsam+, +wichtig+, +ernst+,
-+feierlich+, +tragisch+, +komisch+, +romantisch+, +poetisch+,
-+interessant+, +erfreulich+, +befriedigend+, +willkommen+, +achtbar+,
-+adlich+, +konservativ+, +kirchlich+, +offiziell+. Das wird genügen.
-
-+Indes+ oder +indessen+. Sehr beliebtes Spreizwort für +aber+, +doch+,
-+jedoch+: heute wurden hier starke Erdstöße verspürt, die +indessen+
-keinen Schaden anrichteten -- es kam zu Zwistigkeiten, die +indes+
-einen günstigen Verlauf nahmen -- er hatte das Stück schon vor
-Jahren verfaßt, +indessen+ unterblieb damals die Aufführung -- der
-Graf wanderte in den Tower; lange dauerte +indes+ seine Haft nicht
--- bei näherer Prüfung +indessen+ stellt sich R. als interessante
-Persönlichkeit dar.
-
-+Nahezu.+ Modewort für +fast+ oder +beinahe+.
-
-+Naturgemäß.+ Aus Berlin (+naturjemäß+). Hat sich mit
-lächerlicher Schnelligkeit an die Stelle von +natürlich+ (d. h.
-+selbstverständlich+) gedrängt, sodaß man sich, wo es einmal in seiner
-wirklichen Bedeutung erscheint (die soziale Bewegung ist +naturgemäß+
-erwachsen), erst förmlich besinnen muß, daß es ja diese Bedeutung auch
-noch haben kann. Sonst heißt es nur noch: wir beginnen +naturgemäß+ mit
-den preisgekrönten Entwürfen -- +naturgemäß+ ist die Studentenzeit zum
-Lernen bestimmt -- die Wiedergabe durch Lichtdruck läßt +naturgemäß+
-manches unklar -- die Sorge beginnt +naturgemäß+ gleich bei der
-Aufnahme der Lehrlinge -- +naturgemäß+ konnte die Stadtbahn nicht durch
-den glänzendsten Teil der Hauptstadt gelegt werden -- +naturgemäß+
-ist der Grund der Unsicherheit nicht in allen Fällen der gleiche --
-die Unbilligkeit verstärkt sich +naturgemäß+ mit jedem Jahre usw. Man
-redet aber auch schon von einer +vernunftgemäßen+ (!) Auswahl der
-Schreibfeder, statt von einer +vernünftigen+ -- und da nun einmal
-+gemäß+ Mode ist, so führt auch der Kaufmann +wunschgemäß+ seine
-Bestellungen aus, und der Unterbeamte erledigt alles mit großem Eifer
-+auftraggemäß+.
-
-+Rund.+ Dem Englischen nachgeäfft. Wird jetzt vor alle Zahlen gesetzt,
-die, wie der Zusammenhang zeigt, selbstverständlich nur runde Zahlen
-sein können und sollen: der Kandidat der Ordnungsparteien erhielt
-+rund+ 3200 Stimmen gegen +rund+ 360 Stimmen der Sozialdemokraten --
-der Ertrag der Sammlung bezifferte sich (!) auf +rund+ 5000 Mark. Ohne
-+rund+ bekommt man eine Zahl mit Nullen am Ende kaum mehr zu lesen.
-
-+Reichlich.+ Seit kurzem äußerst beliebt für +sehr+, aber immer nur
-da, wo es nicht hinpaßt, nämlich in tadelnden Bemerkungen: du kommst
-+reichlich spät+, der Kerl ist +reichlich dumm+. Es fehlt nur noch, daß
-gesagt würde: er hat +reichlich wenig+ gegeben.
-
-+Selten.+ Beliebtes Adverb zur Steigerung von Eigenschaftswörtern (in
-dem Sinne von +ungewöhnlich+, +außerordentlich+, +in seltnem Grade+),
-z. B.: ein Mädchen von +selten gutem+ Charakter -- eine +selten
-frische+ Witwe -- ein +selten schönes+ Familienleben -- eine +selten
-günstige+ Kapitalanlage -- wir haben +selten schönes+ Wetter gehabt
--- dieser Weizen gedeiht auf leichtem Boden und liefert +selten hohe+
-Erträge -- besonders hebe ich die +selten naturgetreuen+ farbigen
-Abbildungen hervor -- die Inhaber dieser Bauernhöfe sind +selten
-fleißige+ und +tüchtige+ Wirte usw. Nur schade, daß +selten+ eben vor
-allen Dingen +selten+ bedeutet, und nicht +in seltnem Grade+, und daß
-infolgedessen stets das Gegenteil von dem herauskommt, was die Leute
-meinen. Darüber ist denn auch schon viel gespottet worden, so viel, daß
-endlich doch auch dem Harmlosesten ein Licht aufgehen müßte.
-
-+Unentwegt.+ Lächerlicher schweizerischer Provinzialismus für +fest+,
-+beharrlich+. Hat seine Rolle ziemlich ausgespielt.
-
-+Vielmehr.+ Ausschließlicher Ersatz für +sondern+: diese Preisbewegung
-ist nicht bloß dem Getreide eigentümlich, sie stimmt +vielmehr+ mit
-den übrigen Ackerbauerzeugnissen überein -- der Leser wird nicht mit
-einem Ballast von Erläuterungen überschüttet, +vielmehr+ halten die
-Anmerkungen das rechte Maß ein.
-
-+Voll und ganz.+ Modephrase ersten Ranges, die aber ihren Weg wohl
-bald „voll und ganz“ zurückgelegt haben wird.[164] Sehr beliebt ist es
-jetzt, +voll+ allein zu gebrauchen (für +ganz+ oder +vollständig+):
-dieser Auffassung kann ich +voll+ beipflichten -- überall deckt der
-Ausdruck +voll+ den Gedanken -- um die Tiefe seiner Auffassung +voll+
-zu würdigen -- Künstler, die diese Bedingung +voll+ erfüllen können
--- die deutschen Gemälde hielten den Vergleich mit den französischen
-+voll+ aus usw. Auch Zusammensetzungen mit +Voll+- als Bestimmungswort
-schießen wie Pilze aus der Erde: +Vollbild+, +Vollmilch+,
-+Vollgymnasium+, sogar +vollinhaltlich+: ich kann das +vollinhaltlich+
-bestätigen -- er mußte das Leben der Gefangnen +vollinhaltlich+
-mitleben.
-
-+Vorab+ und +vornehmlich+. Beide gleich beliebter Ersatz für
-+besonders+, +namentlich+ und +hauptsächlich+. Das sechzehnte, +vorab+
-das siebzehnte Jahrhundert -- die Künstler +vorab+ hatten sein
-herzliches Wohlwollen erfahren -- Briefe Wielands, +vornehmlich+ an
-Sophie La Roche -- +vornehmlich+ habe ich die Syntax von Grund aus
-umgestaltet. (Vgl. +vornehm+ S. 374).
-
-+Weitaus.+ Modezusatz zum Superlativ: +weitaus+ der beste -- in
-+weitaus+ den meisten Fällen.
-
-Außer solchen allgemein gebräuchlichen Modewörtern und Modephrasen gibt
-es aber noch eine Masse andrer, die auf einzelne Kreise beschränkt
-sind. In der Sprache der Geschäftsleute, der Zeitungschreiber, wohin
-man blickt: Mode, nichts als Mode. Kaufleute reden nicht mehr von
-+Preisen+, sondern nur noch von +Preislagen+, an die Stelle der
-frühern +Sorten+ sind die +Qualitäten+, die +Marken+ und die --
-+Genres+ getreten (bitte, probieren Sie meine +Spezialmarke+!). Wer
-einen kleinen Laden gemietet und ein Geschäftchen darin eröffnet
-hat, nennt das jetzt ein +Haus+; der eine hat ein +Schokoladenhaus+,
-der andre ein +Porzellanhaus+, ein dritter ein +Havannahaus+, ein
-+Seidenhaus+, ein +Leinwandhaus+, ein +Lodenhaus+. Vor etlichen Jahren
-fiel es einem Schneider in Leipzig ein, über seine Ladentür statt
-+Schneidermeister+ zu schreiben: +Herrenmoden+. Das war natürlich
-fürchterlicher Unsinn, denn ein Schneider ist keine Mode und fertigt
-auch keine Moden, sondern Kleider. Als das aber die andern Schneider
-gesehen hatten, da kam für die Firmenschreiber gute Zeit. Sämtliche
-Schneider ließen ihre Schilder ändern, und heute gibt es in ganz
-Leipzig keinen Schneidermeister mehr. Der kleinste Flickschneider im
-Hinterhause vier Treppen hoch hat vorn an der Haustür sein Schildchen
-prangen: Wilhelm Benedix, +Herrenmoden+! Vor etlichen Jahren fiel es
-auch einmal einem Bierwirt in Leipzig ein, von einem Militärkonzert
-anzukündigen, daß es +unter persönlicher Leitung+ des Herrn
-Musikdirektors X stattfinden würde -- als ob in andre Wirtschaften
-der Herr Musikdirektor seinen Stiefelputzer schickte. Große Aufregung
-unter den Bierwirten! Binnen vier Wochen fanden alle Konzerte +unter
-persönlicher Leitung+ statt. Aus nichts als Modewörtern und Modephrasen
-ist die Sprache der Reporter zusammengesetzt. Da ist eine Gesellschaft
-stets +illustre+ (wenigstens in Leipzig), ein Kapellmeister stets
-+genial+, ein Geschenk stets +sinnig+, Orgelspiel stets +weihevoll+.
-Wird irgendwo ein Vortrag gehalten, so wird er von musikalischen und
-gesanglichen +Darbietungen umrahmt+; von einer Festlichkeit wird
-stets versichert, sie habe +einen würdigen (!) Verlauf+ genommen. Ein
-Revolverschuß wird stets +abgegeben+, und flieht der Täter, so wird
-sofort +die Verfolgung aufgenommen+; sich selbst aber schießt man eine
-Kugel niemals zum Vergnügen sondern immer +in selbstmörderischer
-Absicht+ in den Kopf. Wenn es in einer Familie oder zwischen einem
-Liebespaar zu Zank und Streit, Mord und Totschlag gekommen ist, so
-heißt das ein +Familiendrama+ oder eine +Liebestragödie+. Wer ein
-Jubiläum feiert, +kann+ stets +auf eine+ 25jährige oder 50jährige
-+Tätigkeit zurückblicken+, und ist es ein Verein, so +blickt+ er +auf
-ein+ 25jähriges +Bestehen zurück+; wer pensioniert wird, tritt in den
-+wohlverdienten Ruhestand+, und stirbt er, so werden an seinem Sarge
-Lorbeerkränze +niedergelegt+. Wenn einer von einem Dache herabstürzt,
-so +bleibt+ er +tot+ (als ob er es schon vorher gewesen wäre!).
-Leichen von Verunglückten werden nicht +gefunden+, sondern stets
-+geborgen+ (hätte man die Lebenden besser „geborgen“, so wären sie
-nicht verunglückt!), und wenn sie im Wasser gelegen haben, so werden
-sie +geländet+; wird aber einer glücklich noch lebend aus dem Wasser
-gezogen, so wird er +dem nassen Element entrissen+. Kommt ein Fürst zu
-Besuch, so steigt er nicht aus dem Wagen, sondern er +ent(!)steigt+ dem
-+Waggon+ und +schreitet+ dann, und zwar stets +elastischen Schrittes+,
-die Front der Ehrenkompagnie +ab+. Man begreift nicht, warum nicht die
-Zeitungen für gewisse besonders oft wiederkehrende wichtige Ereignisse,
-wie die Ankunft eines Fürsten, die Eröffnung einer Ausstellung, die
-Enthüllung eines Denkmals, das Jubiläum eines Geschäfts, das Begräbnis
-eines Kommerzienrats und dergleichen, für ihre Berichterstatter
-Formulare drucken lassen, worin sie dann bloß Tag, Stunde und Namen
-auszufüllen hätten.
-
-Aber auch die niedrige Umgangssprache ist voll von Modewörtern, die
-immer wechseln. Man könnte sie die Gassenhauer der Sprache nennen.
-Zu ihnen gehört das schöne +selbstredend+, das eine Reihe von Jahren
-für +selbstverständlich+ gesagt wurde (übrigens stets falsch betont:
-+selbstrédend+, wie auch +tats=ä=chlich+, +wunderbár+, +ekelháft+,
-+tadellós+). Neuerdings ist wieder +selbstverständlich+ durchgedrungen
-(aber auch das wieder falsch betont: +selbstverst=ä=ndlich+).
-Augenblicklich ist der beliebteste Gassenhauer: +ausgeschlossen+,
-+ganz ausgeschlossen+, +völlig ausgeschlossen+. +Unwahrscheinlich+,
-+unmöglich+, +undenkbar+, sogar +unnötig+ -- das alles gibt es nicht
-mehr. +Ausgeschlossen+ -- bums! fertig! In der Unterhaltung am
-Biertisch hört man nichts weiter als: +selbstverständlich+ (für +ja+)
-und: +ausgeschlossen+ (für +nein+). Andre neue Gassenhauer sind:
-+totsicher+, +totschick+, +Ton+ (für +Wort+): er hat mir nicht einen
-+Ton+ davon gesagt --, auf Wieder+schaun+, und +ausgerechnet+ (für
-+gerade+, +genau+ oder dgl.): das muß +ausgerechnet+ Bebel begegnen!
-
-Eine feine Nase für Modewörter hat gewöhnlich der Student. Die
-Studentensprache wimmelt von Modewörtern; sowie ein neues aufkommt,
-wird es ihr sofort „einverleibt“. Aber der Student spricht sie fast
-alle mit Gänsefüßchen, er macht sich lustig über sie, während er sie
-gebraucht. Die Sache hat nur nicht bloß eine lustige, sie hat auch
-eine sehr ernste Seite. Jedes neu aufkommende Modewort verdrängt eine
-Anzahl sinnverwandter Wörter mit ihren fein abgetönten Unterschieden,
-und schließlich wird es gedankenlos auch für Wörter gebraucht, die
-einen ganz andern Sinn haben. So ist mit jedem neuen Modewort eine
-zunehmende Verarmung der Sprache und eine zunehmende Oberflächlichkeit
-und Unklarheit des Denkens verbunden.
-
-Wie alle Modedummheiten haben aber auch die Sprachmoden ihre Zeit.
-Sie verschwinden alle wieder, die einen früher, die andern später.
-Darum ist ein Kampf gegen sie eigentlich überflüssig.[165] Verteidigt
-werden sie immer nur von solchen, die darauf hineingefallen sind, ohne
-es zu merken; die ärgern sich dann über den, der es gemerkt hat, und
-bestreiten die Berechtigung seiner Angriffe. Jeder gute Schriftsteller
-aber wird sich vor ihnen hüten. Denn jeder gute Schriftsteller hat doch
-den Wunsch, nicht gar zu schnell zu veralten. Dazu gehört aber, daß
-das, was er schreibt, nicht bloß einen dauerhaften Inhalt, sondern auch
-eine dauerhafte Form habe.
-
-
-Der Gesichtspunkt und der Standpunkt
-
-Ein Modewort, mit dem ein ganz törichter Mißbrauch getrieben wird, der
-zu einer Unmasse von Bildervermengungen führt, ist +Gesichtspunkt+.
-Das Wort bedeutet den Punkt, von dem aus man etwas ansieht, wie
-+Standpunkt+ den Punkt, auf den man sich gestellt hat, um etwas
-anzusehen. Beides ist so ziemlich dasselbe. Man sollte doch nun
-meinen, das Bild, das in diesen Ausdrücken liegt, wäre so klar und
-deutlich, daß es gar nicht vergessen werden könnte: +Standpunkt+ und
-+Gesichtspunkt+ bedeuten durchaus etwas räumliches, einen Punkt im
-Raume. Da ist es nun schon verkehrt, wie es manche sehr lieben, von
-+großen+ oder +allgemeinen Gesichtspunkten+ zu reden. Man kann sich
-weder unter einem großen noch unter einem allgemeinen Punkt etwas
-denken. Offenbar wird hier der Gesichts+punkt+ mit dem Gesichts+kreise+
-verwechselt. Wenn ich mich hoch aufstelle und die Dinge von oben
-betrachte, so überblicke ich mehr, als wenn ich unten mitten unter den
-Dingen stehe. Es ändert sich dann auch der Maßstab der Betrachtung:
-was mir unten groß, im übertragnen Sinne wichtig, bedeutend erschien,
-schrumpft zusammen, ja verschwindet vielleicht ganz, wenn ich es
-von oben betrachte. Man kann also wohl von +hohen+ und +niedrigen+
-Gesichtspunkten reden, aber nicht von +großen+ und +kleinen+. Der Geist
-ist klein, der sich nicht zu höhern Gesichtspunkten aufschwingen kann,
-auch der Gesichtskreis eines solchen Geistes ist klein, aber ein Punkt
-ist und bleibt -- ein Punkt, er kann weder klein noch groß sein.
-
-Was muß sich aber der Gesichtspunkt sonst noch alles gefallen lassen!
-Er wird nicht nur +berührt+, +dargelegt+, +ausgeführt+, er wird auch
-+beachtet+, +ins Auge gefaßt+, +betont+, +hervorgehoben+, +geltend
-gemacht+, +aufgestellt+, +herausgestellt+, +in den Vordergrund
-gestellt+, +zur Diskussion gestellt+, +verworfen+, er +wird eröffnet+,
-+zugrunde gelegt+, +gewonnen+, er wird +in die Wagschale geworfen+,
-und zwar so, daß er +ins Gewicht fällt+, er ist +maßgebend+, er
-+berührt sich+ mit etwas, man tut etwas +unter+ ihm, es wird etwas von
-ihm +abgeleitet+, es +entspringt+ ihm etwas usw. Der Leser schüttelt
-den Kopf? Hier sind die Beispiele: zum Schluß möchte ich noch zwei
-+Gesichtspunkte berühren+ -- er +legte die Gesichtspunkte dar+, die
-den Ausschuß veranlaßt hätten, die Versammlung zu berufen -- es würde
-mich zu weit führen, wenn ich den angedeuteten +Gesichtspunkt+ näher
-+ausführen+ wollte -- die Prügelstrafe ist nicht nur brutal, sie ist
-auch ehrenrührig, und diesen wichtigen +Gesichtspunkt+ muß man vor
-allen Dingen +beachten+ -- diesen +Gesichtspunkt faßte+ Kurfürst
-August jetzt +ins Auge+ -- als der Redner diesen +Gesichtspunkt+
-scharf +betonte+ -- erfreulich ist es, daß der Herzog für das Gefühl
-vaterländischer Ehre empfänglich ist und bei der Berücksichtigung
-der Muttersprache diesen +Gesichtspunkt+ besonders +hervorhebt+ --
-neue +Gesichtspunkte+ wurden in der Debatte nicht +geltend gemacht+
--- es sind hier +Gesichtspunkte aufgestellt+, die in der Tat +zur
-Diskussion gestellt+ werden müssen -- er wußte immer sofort die höhern
-+Gesichtspunkte herauszustellen+ -- man kann den Mittelstand sehr
-verschieden abgrenzen, +je+ nach den +Gesichtspunkten+, die man +in
-den Vordergrund stellt+ -- auch der +Gesichtspunkt+, daß (!) man mit
-einer stattlichen Schrift dem Auslande imponieren müsse, ist nicht
-+zu verwerfen+ -- diese Bestimmung +eröffnet+ für die Geschichte der
-Innung einen neuen +Gesichtspunkt+ -- überhaupt möchten wir auf den
-+Gesichtspunkt+ hinweisen, den alle Gerichte ihren Rechtsprechungen
-auf diesem Gebiete +zugrunde zu legen+ haben -- ich hoffe, daß sich
-aus meiner Darlegung gesunde (!) +Gesichtspunkte+ werden +gewinnen
-lassen+ -- hier +fallen+ finanzielle (!) +Gesichtspunkte+ schwer
-+ins Gewicht+ -- diese Frage bildet den +maßgebenden Gesichtspunkt+,
-von dem aus wir dem Problem näher treten -- dieser +Gesichtspunkt+
-der Theaterdirektion +berührt sich+ in mannigfacher Beziehung mit
-dem Interesse des Publikums -- der Theologie wandte er nur +unter
-dem Gesichtspunkte+, jederzeit brauchbare Kirchendiener zu haben,
-seine Fürsorge zu -- die allgemeinen +Gesichtspunkte+, aus denen
-sich der kritische Vorrang der Originaldrucke lutherischer Schriften
-+ableiten läßt+, sind folgende -- eine innere Kolonisation, die den
-oben gekennzeichneten +Gesichtspunkten entspringt+ usw. In allen
-diesen Sätzen ist von dem Bilde, das in dem Worte +Gesichtspunkt+
-liegt, keine Spur mehr zu finden. Es bedeutet etwas ganz andres, es
-steht für +Umstand+, +Tatsache+, +Grund+, +Ansicht+, +Gedanke+, ja
-bisweilen steht es für -- gar nichts, es wird als bloßes Klingklangwort
-gebraucht. Oder bedeutet der Satz: neue +Gesichtspunkte+ wurden
-nicht geltend gemacht -- irgend etwas andres als: neue +Gedanken+
-wurden nicht vorgebracht? der Satz: zum Schluß möchte ich noch +zwei
-Gesichtspunkte+ berühren -- irgend etwas andres als: zum Schluß möchte
-ich noch +zweierlei+ berühren? Das völkerpsychologische +Moment+ (!)
-ist für ihn der +maßgebende Gesichtspunkt+ -- kann man einen einfachen
-und einfach auszudrückenden Gedanken in einen unsinnigern Wortschwall
-einhüllen? Von solchen Sätzen wimmelt es aber jetzt in Büchern,
-Broschüren und Aufsätzen; Tausende lesen darüber weg, haben das dumpfe
-Gefühl, irgend etwas gelesen zu haben, aber denken können sie sich gar
-nichts dabei.
-
-Infolge des fortwährenden Mißbrauchs ist es geradezu dahin gekommen,
-daß dieses gute Wort, das ein so klares und deutliches Bild enthält,
-und das bisweilen gar nicht zu entbehren ist, einen lächerlichen
-Beigeschmack angenommen hat, sodaß man es in der Unterhaltung kaum
-noch anders als spöttisch gebrauchen kann. Eine weitere Folge ist, daß
-nun gewisse Leute, um das Wort zu vermeiden, es durch +Gesichtswinkel+
-ersetzt haben, das freilich gleich von vornherein mit Recht dem Spott
-verfallen ist.
-
-Derselbe Unfug wie mit dem +Gesichtspunkt+ hat aber neuerdings nun
-auch mit dem +Standpunkt+ begonnen. Niemand hat mehr eine +Ansicht+
-oder eine +Meinung+, alle Welt hat nur noch einen +Standpunkt+.
-Eine Meinung kann man ändern, eine Ansicht berichtigen -- das
-ist nichts. Aber ein Standpunkt -- alle Hochachtung! -- das ist
-etwas. Ein Standpunkt ist unverrückbar, der kommt gleich nach der
-Weltanschauung. Man +steht+ auf einem +Standpunkt+, +stellt sich+
-auf einen +Standpunkt+, +vertritt+ einen +Standpunkt+ usw., und das
-schönste dabei ist, daß man von dem Worte +Standpunkt+ (ganz so wie
-früher von +Meinung+) einen Objektsatz abhängig macht, ja sogar einen
-Infinitiv, als ob es soviel bedeutete wie +Regel+ oder +Grundsatz+,
-und schreibt: ich stehe auf dem +Standpunkte, daß+ man dieses Verbot
-wieder aufheben sollte -- ich stehe auf dem +Standpunkte, daß+ man
-zwischen Leipzig und Berlin ohne umzusteigen fahren können müßte --
-die Gesellschaft steht auf dem +Standpunkte, daß+ die Stadtgemeinde
-berechtigt sei, unentgeltliche Abtretung der Straßenfläche zu
-verlangen -- der +Standpunkt, daß+ ein Reisender, der auf derselben
-Linie zurückfährt, durch eine Preisermäßigung belohnt werden müsse,
-ist ein (!) völlig antiquierter -- wir haben stets den +Standpunkt+
-vertreten, +daß+ zwischen Deutschland und England kein vernünftiger
-Grund zur Feindschaft vorliege -- man findet heute oft den +Standpunkt+
-vertreten, +daß+ das Kleinbürgerhaus eine überwundne Form bedeute
-(sei!) -- wir stellen uns auf den gewiß empfehlenswerten +Standpunkt+,
-in schwankenden Fällen das überflüssige Binde-s zu vermeiden. Man
-sieht: auch der +Standpunkt+ ist nahe daran, zum Gassenhauer zu
-werden; in Vereinssitzungen wie in öffentlichen Versammlungen ergreift
-niemand das Wort, der nicht sofort erklärte, daß er auf irgendeinem
-+Standpunkt+ stehe.
-
-
-Das Können und das Fühlen
-
-Eine richtige Modenarrheit ist es, gewisse Hauptwörter immer durch
-einen substantivierten Infinitiv zu umschreiben -- wenns nicht manchmal
-bloßes Ungeschick ist! Und bloßes Ungeschick ist wohl anzunehmen, wenn
-jemand statt +Ende+ schreibt: +das Aufhören+, oder statt +Mangel+:
-+das Fehlen+. Eine Modenarrheit aber liegt ohne Zweifel in der Art,
-wie jetzt +das Wissen+, +das Können+, +das Wollen+, +das Fühlen+ und
-+das Empfinden+ gebraucht wird -- Wörter wie +Kenntnis+, +Fähigkeit+,
-+Fertigkeit+, +Geschick+, +Absicht+, +Gefühl+, +Empfindung+ scheinen
-ganz vergessen zu sein. Den Anfang hatte wohl +das Streben+
-gemacht,[166] dann kam +das Wissen+: er hat ein ganz +hervorragendes
-Wissen+. Jetzt spricht man aber auch von dichterischem +Wollen+:
-anfangs ein Dorfgeschichtenerzähler, wurde Rosegger allmählich ein
-Poet von +großem Wollen+ -- auch diese Kompositionen zeigen die
-künstlerische Zielbewußtheit (!) seines +Wollens+. Und in höchster
-Blüte steht +das Können+ und +das Fühlen+: folgendes Gedicht mag das
-+Können+ des Dichters veranschaulichen -- das Konzert lieferte einen
-glänzenden Beweis für das +künstlerische (!) Können+ des Vereins --
-Beethoven widmete ihr die ~Cis-moll~-Sonate, kein geringes Zeugnis
-für das +musikalische Können+ der Angebeteten -- die Dame hat sich
-unter dieser vortrefflichen Leitung bereits ein +achtunggebietendes
-Können+ angeeignet -- die Schüler sollen mit einem +solchen Können+
-des Deutschen aus der Schule gehen -- Herr W. hat damit eine neue
-Probe seines bedeutenden +gärtnerischen (!) Könnens+ gegeben (es
-handelt sich um ein Teppichbeet) -- die Gedichte zeigen ein gesundes,
-+ursprüngliches Fühlen+ -- in allen Briefen gibt er nur dem +einen
-Fühlen+ Ausdruck -- Tilgner hat den Geist (!) des +österreichischen
-Empfindens+ am besten zum Ausdruck gebracht -- zu der Verehrung für
-das große +Wollen+ und +Können+ des Meisters gesellt sich das Mitleid
-mit dem leidenden Menschen -- die Pyramiden der Ägypter erzählen uns
-von dem +Fühlen+ und +Wollen+ ihrer Erbauer und deren Zeitepoche
-(!). Das Neueste aber ist das +Erinnern+, das +Erleben+ und das
-+Verstehen+: er bewahrte ihm ein +dankbares Erinnern+ -- für uns
-moderne Menschen pflegt Italien das +größte Erleben+ unsers Daseins zu
-sein -- ein Mann, in dessen +Erleben+ sich ein ganzes Stück deutscher
-Geschichte spiegelt -- Böcklin konnte von dem +künstlerischen Erleben+
-abstrahieren, bei Klinger erschließt erst die Persönlichkeit das
-Geheimnis (!) seiner Werke -- das Buch ist von +tiefem Verstehen+ für
-den geheimnisvollen (!) künstlerischen Trieb des Meisters durchtränkt
--- sie erfreute ihn durch +warmes+ geistiges +Verstehen+ -- nimm dieses
-Buch in dein +treues und zartes Verstehen+ auf! Es kann einem ganz
-schlimm und übel dabei werden.
-
-
-Bedingen
-
-Wie unter den Hauptwörtern das Wort +Gesichtspunkt+, so ist unter
-den Zeitwörtern das am unsinnigsten mißbrauchte Modewort jetzt
-+bedingen+.[167] Der erste Band von Grimms Wörterbuch (1854) erklärt
-+bedingen+ durch +aushalten+, +bestimmen+, +ausnehmen+. Im Sandersschen
-Wörterbuche (1860) sind folgende Bedeutungen aufgezählt und belegt:
-+verpflichten+, +festsetzen+, +ausmachen+, +beschränken+, von etwas
-+abhängig machen+, außerdem eine Anwendung, die bei Grimm noch fehlt:
-eine Sache +bedingt+ die andre, oder passiv: eine Sache +ist+ oder
-+wird+ durch die andre +bedingt+; das Aktivum erklärt Sanders hier
-durch +notwendig machen+, +erheischen+, +erfordern+, das Passivum durch
-+abhängig sein+ von etwas.
-
-Nun vergleiche man damit den heutigen Sprachgebrauch (der Sinn,
-in dem das Wort gebraucht ist, soll stets in Klammern hinzugefügt
-werden). Da schreiben die einen: eine Laufbahn, die akademische
-Vorbildung +bedingt+ (voraussetzt, verlangt, erfordert, erheischt,
-notwendig macht) -- der große Aufwand, den die Aufführung dieser Oper
-+bedingt+ (ebenso) -- die angegebnen Preise +bedingen+ die Abnahme
-des ganzen Werkes (machen zur Pflicht) -- die Ausgaben für Saalmiete,
-Beleuchtung und Annoncen +bedingen+ einen Berg von Kosten (verursachen)
--- unsre ganzen Zeitverhältnisse +bedingen+ den zurückgegangnen
-Theaterbesuch (sind die Ursache, bringen mit sich, sind schuld an)
--- die Lage der Bergarbeiter zu studieren, ist es nötig, auch die
-Verhältnisse zu berühren, die diese Lage +bedingen+ (schaffen,
-hervorbringen, hervorrufen, erzeugen) -- der Sand- und Lehmboden
-+bedingt+ eine besondre Flora (ebenso) -- dieses Korsett +bedingt+
-eleganten Sitz (!) des Kleides (schafft, bewirkt) -- der humanistische
-Charakter des akademischen Studiums +bedingt+ das ganze Wesen unsrer
-Universitäten (ist von Einfluß auf) -- bei Lessing +bedingte+ stets
-die kritische Einsicht das dichterische Schaffen (ebenso) -- Tatsache
-ist, daß gewisse Affekte den Eintritt des Stotteranfalls +bedingen+
-(herbeiführen) -- die Stellung der Türen in den Wänden +bedingt+
-wesentlich die Nutzbarkeit der Räume (von ihr hängt ab) -- nur
-körperliches Leiden (Laokoongruppe!) +bedingt+ eine so gewaltsame
-Anspannung aller Muskeln (macht erklärlich, macht begreiflich) --
-dieser Zweck +bedingt+ sowohl die Mängel als die Vorzüge des Werkes
-(aus ihm erklären sich) usw.
-
-Nun der passive Gebrauch. Da wird geschrieben: die hohen Ränder
-des Sees und der dadurch +bedingte+ Reichtum malerischer Wirkungen
-(geschaffne) -- diese durch die Lage Englands +bedingte+ Gunst
-des Glückes (ebenso) -- durch die Verkehrserleichterungen ist ein
-Rückgang des Kommissionsgeschäfts +bedingt+ worden (bewirkt worden,
-herbeigeführt worden) -- die durch die Großstadt +bedingte+ Vermehrung
-der Arbeitsgelegenheit (bewirkte, verursachte) -- rascher Fortschritt
-wird durch zahlreiche Mitarbeiter +bedingt+ (entsteht) -- der Ausfall
-der Wahlen ist durch unzählige nicht in der Macht der Regierung
-liegende Verhältnisse +bedingt+ (hängt ab von) -- die Zulassung zur
-Fakultät war durch den Nachweis des philosophischen Magistergrades
-+bedingt+ (hing ab von) -- der Erfolg des Mittels war durch die
-Zuverlässigkeit der Leute +bedingt+ (ebenso) -- die Überholung Leipzigs
-durch Berlin ist durch die Macht der äußern Verhältnisse +bedingt+
-(ist die Folge) -- diese Aussichtslosigkeit war durch die seit drei
-Jahren gemachte Erfahrung +bedingt+ (war entstanden, war die Folge) --
-Glück wird durch Leistungsfähigkeit +bedingt+ (entsteht) -- die Gefahr
-für den innern Frieden ist durch den Gegensatz zwischen Besitz und
-Besitzlosigkeit +bedingt+ (liegt in, beruht auf, entsteht aus) -- die
-durch den Reichtum +bedingten+ Lebensgenüsse (ermöglichten) usw.
-
-Überblicken wir die angeführten Beispiele, so ergibt sich folgendes.
-Die einen gebrauchen +bedingen+ in dem Sinne von: +zur Voraussetzung
-haben+. +A bedingt B+ -- das heißt: +A hat B zur Voraussetzung+, A
-hängt von B ab, A ist undenkbar, wenn nicht B ist, A +verlangt+ also,
-+erheischt+, +erfordert+ B. Das ist die vernünftige und berechtigte
-Anwendung des Wortes: aus ihr erklärt sich das Wort +Bedingung+. Die
-Aufführung der Oper +bedingt+ großen Aufwand -- das versteht jedermann;
-es heißt: die Oper ist ohne großen Aufwand nicht aufführbar, der
-Aufwand ist die Voraussetzung, die Bedingung einer guten Aufführung.
-
-Nun gebrauchen aber andre das Wort in dem Sinne von +bewirken+ und
-den zahlreichen sinnverwandten Wörtern (+schaffen+, +erzeugen+,
-+hervorbringen+, +hervorrufen+, +verursachen+, +zur Folge haben+).
-A +bedingt+ B -- das heißt dann: A +ist die Ursache+ von B. B
-+wird+ durch A +bedingt+ heißt: B +ist die Folge+ von A. Wie dieser
-Bedeutungswandel möglich sein soll, ist unverständlich, es ist
-schlechterdings nicht einzusehen, wie der Begriff der Voraussetzung zu
-dem der Hervorbringung soll werden können.
-
-Es wird aber noch ein weiterer Schritt getan, namentlich in der
-passivischen Anwendung des Wortes. B +wird+ durch A +bedingt+ -- das
-heißt nicht bloß: B +wird+ durch A +bewirkt+, sondern B wird +nur+ (!)
-durch A +bewirkt+, es kann durch nichts andres entstehen als durch A,
-also mit andern Worten: B +hat+ A +zur Voraussetzung+. Und da wären
-wir denn glücklich bei der vollständigen Verrücktheit angelangt.
-Denn wenn es ganz gleichgiltig ist, ob jemand sagt: A hat B zur
-Voraussetzung, oder B hat A zur Voraussetzung, B ist die Voraussetzung
-von A, oder A ist die Voraussetzung von B, wenn das beides (!) mit
-dem Satze ausgedrückt werden kann: A bedingt B (oder passiv: B wird
-durch A bedingt), mit andern Worten: wenn es ganz gleichgiltig ist,
-ob jemand sagt +bedingen+ oder +bedingt werden+, so ist das doch die
-vollständige Verrücktheit. Auf diesem Punkte stehen wir aber jetzt.
-Geschrieben wird: Glück +wird+ durch Leistungsfähigkeit +bedingt+ --
-die Zulassung zur Fakultät +wurde+ durch den Magistergrad +bedingt+,
-also aktiv ausgedrückt: Leistungsfähigkeit +bedingt+ Glück -- der
-Magistergrad +bedingte+ die Zulassung zur Fakultät. Gemeint ist aber:
-Glück +bedingt+ (d. h. ist nicht denkbar ohne) Leistungsfähigkeit --
-die Zulassung zur Fakultät +bedingte+ (d. h. war nicht zu erlangen
-ohne) den Magistergrad.
-
-Man übertreibt nicht, wenn man den gegenwärtigen Gebrauch von
-+bedingen+ etwa so bezeichnet: wenn der Deutsche eine dunkle Ahnung
-davon hat, daß zwei Dinge in irgendeinem ursächlichen Zusammenhange
-stehen, aber weder Neigung noch Fähigkeit, sich und andern diesen
-Zusammenhang klarzumachen, so sagt er: das eine Ding +bedingt+
-das andre. In welcher Reihenfolge er dabei die Dinge nennt, ober
-sagt: Kraft +bedingt+ Wärme oder: Wärme +bedingt+ Kraft, ist ganz
-gleichgiltig; der Leser wird sich schon irgend etwas dabei denken.
-
-Soll man sich denn aber nicht darüber freuen, daß dieses Wort eine
-so bewundernswürdige Verwandlungsfähigkeit erlangt hat? Wenn es
-vor fünfzig Jahren, wie die Wörterbücher zeigen, nur einen kleinen
-Bruchteil der zahlreichen Bedeutungen hatte, die es heute hat, so ist
-das doch ein Beweis für die wunderbare Triebkraft, die noch in unsrer
-Sprache lebt. Aus einem einzigen Wort entfaltet sie noch jetzt einen
-solchen Reichtum! -- Die Sache ist doch wohl anders anzusehen. Wenn
-zwanzig sinn- und lebensvolle Wörter und Wendungen, die zur Verfügung
-stehen, und die die feinste Schattierung des Gedankens ermöglichen,
-verschmäht werden einem hohlen, ausgeblasnen Wortbalg wie diesem
-+bedingen+ zuliebe, so ist das weder Reichtum noch Triebkraft, sondern
-nur eine alberne Mode und zugleich ein trauriges Zeichen von der
-zunehmenden Verschwommenheit unsers Denkens.
-
-
-Richtigstellen und klarlegen
-
-Höchst merkwürdig ist es, daß man gleichzeitig mit +bedingen+,
-diesem abstraktesten aller Zeitwörter, jetzt Ausdrücke mit möglichst
-sinnlicher, handgreiflicher Bedeutung liebt. Die Fähigkeit, sich etwas
-vorzustellen (die Phantasie), ist zurückgegangen; alles will man
-sehen, alles betasten, alles mit Händen greifen. Nur so erklärt sich
-die außerordentliche Vorliebe für die Zusammensetzungen mit +stellen+
-und +legen+, die jetzt statt früherer Abstrakta Mode geworden sind.
-Stellen und legen -- dazu braucht man keine geistige Anstrengung, das
-macht man mit den Händen. So wird denn jetzt niemand mehr +befriedigt+,
-sondern +zufriedengestellt+, nichts mehr +vollendet+, +berichtigt+,
-+gesichert+, +geklärt+, sondern alles wird +fertiggestellt+,
-+richtiggestellt+, +sichergestellt+, +klargestellt+, +klargelegt+,
-+festgelegt+ usw. Der Nervenarzt spricht sogar von +Ruhigstellung+ des
-Gehirns, statt von +Beruhigung+. Oder soll das Gehirn in dem Sinne
-+ruhig gestellt+ werden, wie die Suppe +warm+ und der Wein +kalt
-gestellt+ wird?
-
-Auf den ersten Blick scheint es ja, als ob sich die Wörter durch eine
-gewisse Anschaulichkeit empföhlen. Bei +richtigstellen+ soll man wohl
-nicht an die Zeiger der Uhr denken, sondern eher an ein Bild, das
-falsch beleuchtet gewesen ist und nun in die richtige Beleuchtung
-gestellt wird, oder an Gerätschaften im Zimmer, die durcheinander
-geraten sind und wieder auf ihren Platz gestellt werden; ähnlich,
-kann man sagen, werden Tatsachen, die verschoben sind, zurechtgerückt
-oder ins rechte Licht gestellt. Das läßt sich hören. Aber was soll
-+fertigstellen+ sein? Das Wort kann doch vernünftigerweise nichts
-andres bedeuten, als eine Sache so lange hin und her rücken, so
-lange an ihr gleichsam herumstellen, bis sie -- steht. Das will man
-aber doch gar nicht sagen, das Wort wird einfach für +fertigmachen+,
-+beendigen+ oder +vollenden+ gebraucht; von einem Romanmanuskript,
-einem Gemälde oder einem Antikenmuseum so gut wie von einem Denkmal
-oder einem Straßenpflaster heißt es: es ist +fertiggestellt+.[168]
-Ganz törichte Wörter sind +klarlegen+ und +klarstellen+. Klar kann in
-sinnlicher Bedeutung nur von der Luft und von Flüssigkeiten gebraucht
-werden.[169] Wie soll man die auf eine feste Unterlage +legen+ oder
-+stellen+? Beide Wörter sind gedankenlos gebildet nach +freistellen+
-und +bloßstellen+, +freilegen+, +bloßlegen+ und +lahmlegen+. Gerade
-diese aber können den Unterschied zeigen: wie richtig sind +sie+
-gebildet! Wie anschaulich wird gesagt: den Dom +freilegen+ (nämlich
-durch Wegreißen der Nachbarhäuser), oder: einen Schaden +bloßlegen+ --
-unwillkürlich denkt man an den Arzt, der Haut und Muskeln auf die Seite
-legt, bis der verletzte Knochen +bloßliegt+, oder: einen in seiner
-Tätigkeit +lahmlegen+ -- denn wer gelähmt ist, der ist ja zum +Liegen+
-verurteilt! Besser ist +festlegen+ gebildet; man redet z. B. davon,
-daß die Ostertage +festgelegt+ werden sollen. Bisher hatten wir nur
-+feststellen+ und +festsetzen+, aber beides drückt doch das nicht recht
-aus, was man sagen will: etwas bewegliches gleichsam aufschrauben, daß
-es sich nicht mehr rühren kann, etwa wie die Pfote eines Hündchens
-bei der Vivisektion. Gräßliches Bild! Aber man geht vielleicht
-nicht fehl damit, wenn man nach der Herkunft von +festlegen+ sucht.
-Das Neueste ist -- +leerstellen+ und +offenstellen+. Ein Leipziger
-Baubeamter schreibt: den Bewohnern ist schon gekündigt; sowie die
-Gebäude +leergestellt+ sein werden, sollen sie +zum Abbruch gebracht+
-(!) werden. Und ein Zeitungschreiber berichtet: Fabrikbesitzer haben
-Gärten für ihre Arbeiter geschaffen, aber auch für die übrigen Bewohner
-+offen gestellt+. Natürlich, die guten Wörter +räumen+ und +öffnen+
-sind den Leuten nicht eingefallen; aber sie haben einmal davon gehört,
-daß ein Haus +leer steht+ und ein Garten +offen steht+, da muß man sie
-doch auch +leer stellen+ und +offen stellen+ können. Und so wird die
-Stellerei wohl fröhlich weitergehen.
-
-
-Fort oder weg?
-
-Nichts weiter als eine Modeziererei ist es auch, daß man das Adverbium
-+weg+ zu verdrängen und überall +fort+ an seine Stelle zu setzen sucht.
-Die Mode stammt aus dem Niederdeutschen, hat sich zunächst in das
-Berliner Deutsch eingedrängt und dann von da aus weitergefressen.
-
-Unleugbar gibt es eine Anzahl von Zeitwörtern, bei denen es keinen
-fühlbaren Unterschied macht, ob sie mit +weg+ oder mit +fort+
-zusammengesetzt werden. Aber ebenso sicher gibt es eine Anzahl andrer,
-bei denen bisher in der Anwendung von +weg+ und +fort+ nicht bloß ein
-feiner, sondern ein ziemlich grober Unterschied gemacht worden ist,
-den alle guten Schriftsteller beobachtet haben und noch beobachten.
-+Fort+ nämlich (verwandt mit +vor+ und +vorn+) steht in dem Sinne von
-+vorwärts+, wobei stets ein bestimmtes Ziel vorschwebt, wenn es auch
-nicht genannt ist; es wird überdies nicht bloß vom Raume, sondern auch
-von der Zeit gebraucht. +Weg+ dagegen (dasselbe wie +Weg+) wird nur
-räumlich gebraucht und bedeutet: +aus dem Wege+, +auf die Seite+, wobei
-man nicht an ein Ziel, sondern an ein Verschwinden denkt. Wer verreisen
-will, kann sagen: mein Koffer ist glücklich +fort+, in einer Stunde
-fahre ich; es kann aber auch vorkommen, daß er sagen muß: ich kann
-nicht fahren, mein Koffer ist +weg+. In einer Volksmasse wird jemand
-mit +fortgerissen+, d. h. in die Strömung hinein, auch von Begeisterung
-wird jemand +fortgerissen+, z. B. dem hohen Ziele zu, zu dem uns
-der Künstler führen will; aber eine Mauer, ein Haus, ein Damm wird
-+weggerissen+. Wer aus der großen Stadt auf ein einsames Dorf zieht,
-kommt sich anfangs wie +weggesetzt+ vor, aber nicht wie +fortgesetzt+.
-Der Bruder sagt zur Schwester: +setze+ deine Malerei (das Malgerät)
-jetzt +weg+, wir wollen Klavier spielen: nach einer Stunde aber: es
-ist genug, +setze+ deine Malerei (das Malen) nun +fort+. Wenn ich ein
-Bild abzeichne, auf dem auch ein Sperling dargestellt ist, so kann ich
-den Sperling +weglassen+; wenn ich aber einen lebendigen Sperling in
-der Hand habe, so kann ich ihn +fortlassen+. Auf sumpfiger Landstraße
-kann man schlecht +fortkommen+, aber bei einem gewagten Geschäft kann
-man schlecht +wegkommen+. Von zwei Hunden, die aus +einem+ Napfe
-saufen sollten, kann ich sagen: der große hat dem kleinen alles
-+weggesoffen+; ein bekannter § 11 aber lautet: es wird +fortgesoffen+.
-Wie jemand das Bedürfnis nach diesen Unterscheidungen verlieren kann,
-ist unbegreiflich. Aber die Zahl derer, die sich einbilden, +weg+ sei
-gemein, +fort+ sei fein, wird immer größer; man sagt nur noch: die
-beiden letzten Sätze der Symphonie wurden +fortgelassen+ -- wo wurden
-sie denn hingelassen? die Mauern auf der Akropolis sind +fortgebrochen+
-worden -- wo sind sie denn hingebrochen worden? Sie hatte das Bild
-+fortgeschlossen+ -- der Damm wurde durch Überschwemmung +fortgerissen+
--- es ist eine nicht +fortzuleugnende+ (!) Tatsache -- ich habe darüber
-+fortgelesen+ (!) -- meine Bleistifte +kommen+ mir immer +fort+ (!)
--- er hat mir meine Mütze +fortgenommen+ (!) -- so ist es richtig
-Berlinisch, und wer ein feiner Mann sein will, der schwatzt es nach.
-Vielleicht +setzt+ man +sich+ auch noch über einen schweren Verlust
-+fort+ oder spricht sich +fortwerfend+ über jemand aus, und in den
-Berliner Gymnasien singt man vielleicht nächstens in Uhlands Gutem
-Kameraden: ihn hat es +fortjerissen+, er liegt mir vor den Füßen.
-
-
-Schwulst
-
-Daß die Sprachmode wie die Kleidermode auch den Schwulst liebt, ist
-kein Wunder. Schon die bisherigen Beispiele haben es zum Teil gezeigt,
-aber es gibt noch viele andre. Auch die Sprache hat ihre Reifröcke,
-ihre Schinkenärmel, ihre Schleppen; die Sucht, sich möglichst breit
-auszudrücken, geht durch unsre ganze Schriftsprache. Wo für einen
-Begriff zwei Wörter zur Verfügung stehen, ein kurzes und ein langes, da
-wird gewiß das lange vorgezogen. Man schreibt nicht +sein+, +haben+,
-+können+, +kommen+, +geben+, +sehen+, sondern +sich befinden+ (z. B.
-in großer Verlegenheit), +besitzen+, +vermögen+ (die Hälfte der
-Bevölkerung +vermag+ weder zu lesen noch zu schreiben), +gelangen+,
-+verleihen+ (Ausdruck wird immer +verliehen+, nicht +gegeben+),
-+erblicken+. Und doch, wie unpassend ist das oft! +Erblicken+ z. B.
-bezeichnet ja den Augenblick, wo ich etwas zu sehen anfange (vgl. S.
-355), wo mir etwas ins Auge fällt, mag ich es nun vorher gesucht haben
-oder nicht: eine Stunde lang hatte ich mich in dem Menschengewühl
-nach ihm umgesehen, endlich +erblickte+ ich ihn. Aber: ich +erblicke+
-darin einen großen Fehler, oder: darin ist ein großer Fortschritt zu
-+erblicken+ -- wie jetzt immer geschrieben wird --, oder: die meisten
-haben sich verleiten lassen, in dem Märchen eine Verherrlichung des
-Freimaurertums zu +erblicken+ -- ist doch sinnwidrig; denn hier
-handelt sichs ja um eine dauernde Ansicht, und die kann nur durch das
-schlichte, einfache +sehen+ ausgedrückt werden.
-
-Zahllos sind die Fälle, wo ein einfaches Verbum ganz unnötigerweise
-durch eine Redensart umschrieben wird, wie +Folge leisten+, +Verzicht
-leisten+, +Abbitte leisten+ u. ähnl., oder durch eine schleppende
-Weiterbildung verdrängt wird. Geld wird nicht mehr +eingenommen+ und
-+ausgegeben+, sondern nur noch +vereinnahmt+ und +verausgabt+. Die
-Kosten einer Sache werden nicht mehr so und so hoch +angeschlagen+,
-sondern +veranschlagt+. Prozente werden nicht +abgezogen+, sondern
-+verabzugt+, Porto wird nicht +ausgelegt+, sondern +verauslagt+, und
-ein kluger, aufgeweckter Junge heißt nicht mehr glücklich +angelegt+,
-sondern +beanlagt+ oder +veranlagt+. Lauter fürchterliche Wörter --
-aus dem Zeitwort ist ein Hauptwort gebildet, und aus dem Hauptwort
-dann wieder ein Zeitwort! Freilich sind sie nicht schlimmer als
-+beauftragt+, +beaufsichtigt+ (vgl. +Aufseher+), +beansprucht+ (statt
-+angesprochen+), +bevorzugt+ (statt +vorgezogen+), +beeinflußt+,
-+bewerkstelligt+ (man überlege sich einmal, was +Werkstelle+ heißt!),
-Wörter, an die wir uns längst gewöhnt haben, und die bei ihrem
-ersten Auftauchen für feinfühligere Ohren gewiß ebenso fürchterlich
-gewesen sind wie für uns heute +vereinnahmt+ und +verauslagt+; aber
-es ist doch gut, sich des Schwulstes bewußt zu werden. Auch in der
-Häufung der Präfixe und Präpositionen vor den Zeitwörtern können sich
-manche nicht genug tun. Da wird ein Stipendium nicht +ausgezahlt+,
-sondern +ausbezahlt+, da werden +anlangen+ und +betreffen+ beide
-zu +anbelangen+ und +anbetreffen+ verlängert, man +lebt sich+ in
-einen Gedanken +hinein+ (statt +ein+), man führt ein Musikwerk +mit
-Hinweglassung+ des Chors auf (statt: +ohne+ Chor), vor allen Dingen
-aber +bildet sich+ nichts mehr +aus+, sondern alles bildet sich
-+heraus+: schon lange vor Einführung der Buchdruckerkunst hatte sich
-bei der Kirche die Sitte +herausgebildet+ usw. Woherrraus denn?
-Der Ausdruck hat etwas so gewaltsames, daß man die Sitte wie aus
-einem Krater hervorbrodeln sieht. Am Ende werden noch Trinksprüche
-+hinausgebracht+ und einem ein paar Hiebe +hinaufgezählt+. Und welcher
-Schwulst, wenn jedes +auch+ durch +ebenfalls+ oder +gleichfalls+, jedes
-+viel+ durch +zahlreich+, jedes +oft+ durch +häufig+, jedes +nur+ durch
-+lediglich+, jedes +viel+ vor dem Komparativ (+viel+ weniger) durch
-+bedeutend+, +unvergleichlich+, +unverhältnismäßig+ oder womöglich gar
-+unendlich+ ersetzt, jedes +sehr+ und +mehr+ umschrieben wird durch:
-+in hohem Grade+, +in ausgedehntem Maße+, +in höherm Grade+, +in
-erhöhtem Maße+, jedes +so+ durch: +auf diese Art und Weise+, wenn für
-+näher+, +weiter+, +länger+, +breiter+, +öfter+ immer geschrieben wird:
-+des nähern+ (oder gar +näheren+), +des weitern+, +des längern+, +des
-breitern+, +des öftern+, oder wenn jemand Bericht erstattet nicht +als+
-Rektor oder Vorsitzender, sondern +in seiner Eigenschaft als+ Rektor,
-+in seiner Eigenschaft als+ Vorsitzender, wenn +schwere+ Bedenken oder
-Vorwürfe zu +schwerwiegenden+ Bedenken und Vorwürfen, eine +schwere+
-Aufgabe zu einer +mit Schwierigkeiten verbundnen+, eine +erste+
-Aufführung und eine +erste+ Einrichtung zu +erstmaligen+ gemacht werden
-(die +erstmalige+ Zusammenkunft der deutschen Architekten fand 1842 in
-Leipzig statt),[170] oder wenn immer von +Vorahnung+, +Voranschlag+,
-+Vorbedingung+, +Rückerinnerung+, +Beihilfe+, +Herabminderung+ geredet
-wird, als ob man Bedingungen auch hinterher stellen, sich an ein
-Erlebnis auch voraus erinnern oder einen Aufwand hinaufmindern könnte!
-Wie der Schwulst immer mehr zunimmt, mag folgendes Beispiel zeigen:
-der Fall +ist+ sehr verwickelt -- der Fall +liegt+ sehr verwickelt
--- der Fall +ist+ sehr verwickelt +gelagert+ -- die +Lagerung+ des
-Falls +ist+ sehr verwickelt -- die +Lagerung+ des Falls +ist eine+
-sehr verwickelte. Weiter gehts nicht! In solchem Deutsch spricht man
-aber jetzt mit Vorliebe in Vereinsversammlungen, schreibt man in
-Jahresberichten, ja man unterhält sich darin schon am Biertisch, denn
-so schreiben die Leitartikelschreiber und die Reporter des Lokalblatts,
-und das sind ja die Lehrmeister des Volks auch in Sprachdingen.
-
-
-Rücksichtnahme und Verzichtleistung
-
-Erzeugnisse des Sprachschwulstes sind unter den Substantiven besonders
-die Zusammensetzungen mit +nahme+, die in neuerer Zeit so beliebt
-geworden sind: +Parteinahme+, +Stellungnahme+, +Rücksichtnahme+,
-+Einsichtnahme+, +Anteilnahme+, +Abschriftnahme+, sogar +Einflußnahme+
-und +Rachenahme+! Einige dieser Bildungen sind ganz überflüssig.
-Oder könnte es wirklich mißverstanden werden, wenn jemand sagt: er
-handelte ohne +Rücksicht+ auf seine Freunde -- lege mir die Papiere zur
-+Einsicht+ vor -- ich erhielt von ihm die Tafeln zur +Abschrift+? Wozu
-das -+nahme+? Offenbar soll es die Handlung ausdrücken. Aber die liegt
-doch schon in +Rücksicht+, +Einsicht+ und +Abschrift+, fühlt man das
-gar nicht mehr? Recht töricht ist +Einflußnahme+, denn Einfluß hat man
-entweder, oder man gewinnt ihn, man kann ihn auch zu gewinnen suchen,
-sich ihn sogar anmaßen, aber man „nimmt“ ihn nicht. +Anteilnahme+ (in
-Leipzig +Ahnteilnahme+ ausgesprochen) ist nichts als eine häßliche
-Verbreiterung von +Teilnahme+. Man scheint sich jetzt einzubilden,
-+Teilnahme+ sei auf traurige Ereignisse, Unglücksfälle, Todesfälle
-u. dgl. zu beschränken, in allen andern Fällen müsse es +Anteilnahme+
-heißen. Ein vernünftiger Grund zu einer solchen Unterscheidung liegt
-nicht vor. Es wäre doch lächerlich, wenn nicht auch bei einem freudigen
-Ereignis meine +Teilnahme+ genügte; +Parteinahme+ und +Stellungnahme+
-scheinen auf den ersten Blick unentbehrlich zu sein, aber doch nur
-deshalb, weil man immer in ein Substantiv zusammenquetschen zu müssen
-glaubt, was man mit dem Verbum sagen sollte.
-
-Wie mit +Rücksichtnahme+ aber verhält sichs auch mit +Hilfeleistung+
-und +Verzichtleistung+; +Hilfe+ und +Verzicht+ sagen genau dasselbe.
-
-
-Anders, andersartig und anders geartet
-
-Ein entsetzlicher Schwulst greift neuerdings unter gewissen
-Eigenschaftswörtern um sich: man fühlt nicht mehr oder tut so, als
-ob man nicht mehr fühlte, daß diese Eigenschaftswörter eben die Art,
-die Eigenschaft eines Dinges bezeichnen, sondern glaubt, das noch
-besonders ausdrücken zu müssen, indem man das Wort +Art+ zu Hilfe
-nimmt. Bildungen wie +gutartig+, +bösartig+ und +großartig+ sind ja
-schon alt und haben mit der Zeit einen Sinn angenommen, der sich
-von dem einfachen +gut+, +böse+ und +groß+ unterscheidet, wiewohl
-zwischen einem +bösen+ Hund und einem +bösartigen+ Hund, einer +großen+
-Auffassung und einer +großartigen+ Auffassung ein recht geringer
-Unterschied ist. Aber schon +fremdartig+ und +verschiedenartig+ ist
-doch oft nichts als eine überflüssige Verbreiterung von +fremd+ und
-+verschieden+. Oder wäre es wirklich nicht mehr deutlich, wenn man
-sagt: es ist dem innersten Wesen des Deutschen +fremd+ -- oder wenn man
-Gaslicht und elektrisches Licht +verschiednes+ Licht nennt? Vollends
-unnötiger Schwulst aber ist in den meisten Fällen das neumodische
-+andersartig+ für +anders+. Oder ist es etwa nicht mehr zu verstehen,
-wenn jemand sagt: die Befriedigung, die wir aus der Kunst schöpfen, ist
-eine ganz +andre+ als die, die uns die Natur gewährt? (Vgl., was S. 370
-über +eigen+ und +eigenartig+ gesagt ist.)
-
-Man begnügt sich aber schon nicht mehr mit den Zusammensetzungen von
-+artig+ -- es scheint das noch nicht schwülstig genug zu sein --,
-sondern hat das herrliche Partizip +geartet+ erfunden und schreibt nun
-nicht bloß von einer +anders gearteten+ Zeit und +anders gearteten+
-Verhältnissen, sondern auch von einer +so gearteten+ Begabung (statt
-von einer +solchen+), von +ähnlich gearteten+ Unternehmungen (statt von
-+ähnlichen+) usw. Ist der heutige Sextaner +anders geartet+ als der
-frühere? -- man sah der Ausführung zwar mit +anders gearteter+, aber
-nicht geringerer Spannung entgegen -- wären alle Deutschen Österreichs
-+so geartet+ wie die Siebenbürger Sachsen -- das Schöffengericht hat in
-einem ganz +ähnlich gearteten+ Falle auf Freisprechung erkannt (vgl. S.
-408 den +gelagerten+ Fall!) -- mit der besondern Veranlassung war auch
-eine +besonders geartete+ Zuhörerschaft gegeben -- so spreizt man sich,
-und dabei ist man womöglich noch stolz auf seinen Scharfsinn, der den
-Unterschied zwischen +ähnlich+ und +ähnlich geartet+ ausgediftelt hat.
-
-Vielleicht erleben wirs noch, daß auch +anders geartet+ nicht mehr
-genügt, daß man sagt: die Befriedigung, welche (!) wir aus der Kunst
-schöpfen, ist eine ganz +andersartig geartete+ als diejenige, welche
-(!) uns die Natur gewährt. Breiter könnte dann der Ausdruck beim besten
-Willen nicht genudelt werden.
-
-
-Haben und besitzen
-
-Wohin es führt, wenn man ein kurzes Zeitwort immer gedankenlos und
-aus bloßer Neigung zur Breite durch ein längeres ersetzt, zeigt am
-besten der heutige Mißbrauch von +besitzen+ für +haben+. Auch er ist,
-wie der Mißbrauch des Zeitworts +bedingen+ (vgl. S. 398), zu völliger
-Verrücktheit ausgeartet.
-
-Die Grundbedeutung von +haben+ ist +halten+, +in der Hand haben+.
-Aus ihr hat sich dann leicht die des Eigentums, des Besitzes
-entwickelt, wie sie deutlich in +Habe+ vorliegt. Aber damit ist die
-Anwendung des Wortes nicht erschöpft: mit +haben+ läßt sich fast
-jeder denkbare Zusammenhang, jedes denkbare Verhältnis zwischen zwei
-Dingen ausdrücken. +Besitzen+ dagegen bedeutet ursprünglich +auf
-etwas sitzen+. Das erste, was der Mensch „besaß“, war unzweifelhaft
-der Grund und Boden, auf dem er saß. Noch im siebzehnten Jahrhundert
-„besaß“ der Richter die Bank, der Reiter das Pferd, die brütende
-Henne die Eier. Vom Grund und Boden ist das Wort dann auf andre Dinge
-übertragen worden, die unser Eigentum sind, vor allem auf das Haus,
-das auf dem Grund und Boden errichtet ist -- auch dieses „besitzt“ man
-noch im eigentlichen Sinne des Wortes, man sitzt darin, man ist Insasse
-des Hauses --, dann auch auf alle fahrende Habe, auf allen Hausrat und
-endlich auf das liebe Geld. Damit ist aber die sinngemäße Anwendung des
-Wortes erschöpft.
-
-Bedenklich ist es schon, Kinder als Besitztum der Eltern zu bezeichnen:
-er +besaß+ vier +Kinder+, zwei Söhne und zwei Töchter. Eltern
-+haben+ Kinder, aber sie +besitzen+ sie nicht. Dasselbe gilt von dem
-Verhältnis des Herrn zum Diener, des Herrschers zu den Untertanen,
-des Freundes zum Freunde. Es ist abgeschmackt, zu schreiben: er hatte
-viele sympathische Züge, und doch +besaß+ er keinen +Freund+. Wer die
-Abgeschmacktheit nicht fühlen sollte, der kehre sich die Verhältnisse
-um; wenn Eltern Kinder, ein Herrscher Untertanen „besitzt“, dann
-„besitzen“ auch Kinder Eltern und Untertanen einen Herrscher. In der
-Tat schrickt man auch vor solchem Unsinn schon nicht mehr zurück; man
-schreibt: er +besaß Eltern+, die töricht genug gewesen waren, in seinen
-Kinderjahren die Keime der Genußsucht in seinem Herzen zu pflegen --
-Tycho Brahe +besaß+ auch entfernte +Verwandte+ in Schweden -- wir
-+besitzen+ in unsrer Verwandtschaft einen berühmten +Astronomen+ --
-Preußen +besitzt+ in den Hohenzollern ein +Herrschergeschlecht+, um
-das es jedes andre Land beneiden kann. Ist das richtig, dann kann man
-schließlich auch einen Onkel, einen Großvater, einen Gönner, einen
-Widersacher „besitzen“, eine Stadt kann einen Bürgermeister, eine
-Kompagnie einen Hauptmann „besitzen“.[171]
-
-Ebenso bedenklich ist es, einen Teil unsers eignen Selbst, also
-entweder den Körper oder den Geist oder einen Teil des Körpers als
-unser Besitztum zu bezeichnen und zu schreiben: er +besaß+ einen
-kräftigen, wohlgebauten +Körper+ -- sie +besaß+ eine feine, schmale,
-wohlgepflegte +Hand+ (in Romanen sehr beliebt!) -- ein Kind, das
-ganz normal entwickelt ist, aber leider keine +Augen besitzt+ -- ich
-habe dir treu gedient, ohne daß du ein +Auge+ dafür +besaßest+ -- er
-+besaß+ ein +Ohr+ für den Pulsschlag der Zeit -- die Soldaten möchten
-bedenken, daß die Schwarzen auch ein +Herz besäßen+. Derselbe Fall ist
-es, wenn Bestandteile einer Sache als Besitztum der Sache bezeichnet
-werden, z. B.: die Peterskirche +besitzt+ eine Menge kleiner +Türmchen+
--- der Turm +besitzt+ auf jeder Seite eine +Uhr+ -- das Stück
-+besitzt+ fünf +Akte+ -- das Werk +besitzt+ über 100 +Abbildungen+
--- die spanisch-maurischen Fayencen +besaßen+ eine +Zinnglasur+ --
-das Buschweidenröschen +besitzt+ einen unterirdischen wurzelartigen
-+Stengel+ -- diese Schaftstiefel +besitzen+ +Doppelsohlen+, oben von
-Leder, unten von Blech -- wir reden von Fensterscheiben, die doch meist
-vier +Ecken besitzen+.
-
-Unzählig aber sind nun die Fälle, wo gar äußere oder innere
-Eigenschaften einer Person oder Sache, Zustände, Empfindungen,
-Geistestätigkeiten und ähnliches unsinnigerweise als Besitztum der
-Person oder Sache hingestellt werden. Da schreibt man z. B: dieser
-Orden wird auch an solche Leute verliehen, die keinen +Hofrang
-besitzen+ -- er +besaß+ eine auskömmliche +Stellung+ -- Herr R. +besaß+
-damals ein +Engagement+ in Leipzig -- so wenig wird man begriffen,
-wenn man die +Eigenschaften+ des Künstlers +besitzt+ -- K. +besitzt+
-dazu weder das reife, ruhige +Urteil+, noch die nötige +Sachlichkeit+,
-ja auch die nötige +Wahrheitsliebe+ -- unsre Juden +besitzen+ nicht
-die +Feinheit+ der Empfindung, vor dieser deutlichen Ablehnung
-zurückzutreten -- einige Tanzweisen der nordischen Völker +besitzen+
-mit denen der alten Deutschen große +Ähnlichkeit+ -- der hochgeehrte
-Rat wolle die +Güte besitzen+, unser Gesuch wohlwollend in Erwägung
-zu ziehen -- das moderne Theater +besitzt+ einen ganz bestimmten
-+Charakter+ -- entscheidend ist die Frage, ob die bedeutendern
-Künstler diese +Kennzeichen+ des Klassizismus +besitzen+ oder nicht
--- die +Bedeutung+, die in der Entwicklung Englands die normannische
-Eroberung +besitzt+ -- die Reise des Kaisers nach London scheint eine
-politische +Bedeutung+ zu +besitzen+ -- fast alle englischen Offiziere
-+besitzen Spitznamen+ -- beide Bauten +besitzen+ einen langgestreckten,
-rechteckigen +Grundriß+ -- diese epochemachende Camera +besitzt+
-folgende +Einrichtung+ -- der Mann +besitzt+ die stattliche +Größe+ von
-2,26 Metern -- die Passage +besitzt+ eine +Länge+ von dreiundvierzig
-Metern -- die Zigarre +besitzt+ einen schönen, angenehmen +Brand+
--- dieser Fleischextrakt +besitzt+ den +Wohlgeschmack+ des frischen
-Fleisches -- diese Sprachen +besaßen+ nur die +Stellung+ von Mundarten
--- man muß sich bewußt bleiben, daß diese Unterscheidung keinen
-theoretischen, sondern nur einen praktischen +Wert besitzt+ -- der
-Name dieses Künstlers +besitzt+ für uns alle einen vertrauten +Klang+
--- das Genie +besitzt+ eine +Verwandtschaft+ mit dem Wahnsinn --
-priesterlicher Gesang kann nicht die +Töne besitzen+, aus denen
-das leise Erzittern des frommen Herzens spricht -- für die moderne
-Revolution +besitzen+ Dichter und Denker kaum eine geringere
-+Bedeutung+ als die Männer der Tat -- man +besitzt+ in Preußen volles
-+Verständnis+ für den sächsischen Standpunkt -- wir +besitzen+ an
-einer Vermehrung der Streitkräfte unsrer Nachbarn nicht das geringste
-+Interesse+ -- die Landstreicher zerfallen (!) in solche, deren Streben
-darauf gerichtet ist, bald wieder Arbeit zu finden, und solche, die
-dieses +Streben+ nicht +besitzen+ -- die meisten Menschen +besitzen+
-den sehnlichen +Wunsch+, möglichst lange zu leben -- die Behörden
-+besaßen+ keine +Ahnung+ von den ihnen obliegenden Pflichten -- wer mit
-dem Volksleben nicht die geringste persönliche +Fühlung besitzt+ -- er
-+besaß+ die moralische +Überzeugung+ von ihrer Unschuld -- er hatte
-die Kühnheit, eine eigne +Meinung+ zu +besitzen+ (warum nicht auch:
-er +besaß+ die +Kühnheit+?) -- zu dem praktischen Blick seiner Mutter
-+besaß+ er unbedingtes +Vertrauen+ -- die Neuberin +besaß+ jedenfalls
-mehr +Begeisterung+ für die Kunst als Pollini -- jeder Preuße, der
-die +Befähigung+ zu den Gemeindewahlen +besitzt+ -- die Erde +besitzt
-Raum+ genug für den Wettkampf der zwei germanischen Völker (Schiller:
-+Raum+ für alle +hat+ die Erde!) -- Leute, die gern Konjekturen machen,
-+besitzen+ hier ein ergiebiges +Arbeitsfeld+ -- wir +besitzen+ hier
-einen zuverlässigen +Ausgangspunkt+ -- nun erst +besaßen+ die Künstler
-den +Malgrund+, auf dem sie bequem arbeiten konnten -- da er keine
-Beweise vorgebracht hat, muß man annehmen, daß er keine +Beweise besaß+
--- gegen die Diphtheritis +besitzen+ die Naturärzte eine +Behandlung+
-von ausgezeichnetem Heilerfolg -- der Entschlafne +besitzt+ ein volles
-+Anrecht+ darauf, daß wir ihn durch Worte dankbarer Erinnerung ehren --
-die Fortbildungsschüler müssen noch eine Menge Dinge lernen, in denen
-sie schon +Übung besitzen+ sollten -- das Konsistorium wird hoffentlich
-die +Konsequenz besitzen+ (so konsequent sein!), ebenfalls aus dem Amte
-zu scheiden -- es traten Persönlichkeiten auf, die zum Klagen nicht den
-geringsten +Grund besaßen+. In Leipzig kann man sogar schon auf der
-Straße hören: Nee, so ’ne +Frechheet+ zu +besitzen+!
-
-Ein Recht auf eine Sache kann gewiß unter Umständen als eine Art
-wertvollen Besitztums aufgefaßt werden. Dasselbe gilt von Kenntnissen
-und Fertigkeiten. Aber das meinen doch die gar nicht, die gedankenlos
-so etwas hinschreiben, wie daß der Entschlafne (!) ein Anrecht auf
-dankbare Erinnerung „besitze“. +Haben+ kann auch ein Entschlafner noch
-alles mögliche, +besitzen+ kann er schlechterdings nichts mehr. Aber
-auch der Lebende kann alle die andern schönen Dinge, wie Begeisterung,
-Streben, Interesse, Verständnis, Vertrauen, Kühnheit, „Frechheet“, wohl
-haben, aber nicht besitzen. +Güte haben+ ist ja nur eine verbreiternde
-Umschreibung von +gut sein+, +Ähnlichkeit haben+ eine Umschreibung von
-+ähnlich sein+. Das sind aber Eigenschaften, keine Besitztümer.
-
-Vollends lächerlich ist es, wenn Eigenschaften oder Zustände, die
-einen Schaden oder Mangel bilden, als Besitztümer bezeichnet werden.
-Und doch wird auch geschrieben: das +Leiden+, das +er besaß+, war eine
-Blasenfistel -- beim Verhör stellte sich heraus, daß er eine tiefe
-+Wunde+ am Jochbein sowie eine +Schußwunde+ oberhalb der Herzgegend
-+besaß+. Ja sogar Schulden werden als Besitztum hingestellt: das Reich
-und die Einzelstaaten +besitzen+ gegenwärtig etwas über zehn Milliarden
-+Staatsschulden+. Nettes Besitztum!
-
-Aber auch das bloße Dasein, Vorhandensein, Bestehen einer Sache
-an irgendeinem Orte, in einem bestimmten örtlichen Umkreis oder
-sonstigen Bereich läßt sich wohl mit +haben+ ausdrücken, aber nicht
-mit +besitzen+. In Leipzig +sind+ sechs Bahnhöfe, oder: in Leipzig
-+gibt es+ sechs Bahnhöfe -- dafür kann man auch sagen: Leipzig +hat+
-sechs Bahnhöfe. Aber zu schreiben: Leipzig +besitzt+ sechs +Bahnhöfe+
--- ist Unsinn. Leipzig besitzt eine Anzahl Waldungen, Rittergüter,
-auch öffentliche Gebäude, aber seine sechs Bahnhöfe +hat+ es nur.
-Auf die Spitze getrieben erscheint der Unsinn, wenn die Angabe des
-Ortes wegfällt und nur gesagt werden soll, daß eine Sache überhaupt
-da sei. Anstatt: es ist das die älteste +Nachricht+, die es hierüber
-+gibt+ -- kann man auch sagen: es ist das die älteste +Nachricht+,
-die wir hierüber +haben+, wir, nämlich alle, die sich mit der Sache
-beschäftigen. Welch törichtes Gespreiz aber, dafür zu schreiben: es ist
-das die älteste +Nachricht+, die wir darüber +besitzen+ -- Weltrichs
-Buch ist die beste wissenschaftliche +Biographie+ Schillers, die wir
-+besitzen+ -- Minors Kommentar bedeutet (!) das Beste, was wir bis
-jetzt über den Faust +besitzen+.
-
-Die Neigung, +besitzen+ zu schreiben, wo +haben+ gemeint ist, ist
-freilich nicht von heute und gestern, sie findet sich schon im
-achtzehnten Jahrhundert. Man denke nur an die Worte des Schülers im
-Faust:
-
- Denn was man schwarz auf weiß +besitzt+,
- Kann man getrost nach Hause tragen,
-
-oder an den Goethischen Spruch:
-
- Wer Wissenschaft und Kunst +besitzt+,
- +Hat+ auch Religion;
- Wer jene beiden nicht +besitzt+,
- Der +habe+ Religion.
-
-Sieht man sich aber die Stellen, wo so geschrieben ist, näher an,
-so sieht man, daß es meist mit Absicht geschehen ist, weil eben die
-Sache, um die sichs handelt, als eine Art von Besitztum hingestellt
-werden soll, oder es ist der Abwechslung, des Reims, des Rhythmus
-wegen geschehen.[172] Zur gedankenlosen Mode ist es erst in unsrer
-Zeit ausgeartet. Nun hat es aber auch so um sich gegriffen, daß man
-auf alles gefaßt sein muß. Es ist gar nicht undenkbar, daß wir noch
-dahin kommen, daß einer auch Recht oder Unrecht, Glück oder Unglück
-+besitzt+, eine Pflicht oder Verpflichtung +besitzt+, Zeit zu einer
-Arbeit, Lust zu einer Reise +besitzt+, Hunger oder Durst +besitzt+,
-schlechte Laune +besitzt+, das Scharlachfieber +besitzt+, einen Floh
-+besitzt+ usw.
-
-
-Verbalsurrogate
-
-Zum Sprachschwulst gehört auch die immer weiter fressende, kaum noch
-irgendeinen Tätigkeitsbegriff verschonende Umschreibung einfacher
-Zeitwörter durch +ziehen+ und +bringen+ im Aktiv, +gezogen+ oder
-+gebracht werden+, +kommen+, +gelangen+ und +finden+ im Passiv.
-Nichts wird mehr +erwogen+, +überlegt+, +erörtert+, +betrachtet+,
-+berücksichtigt+, sondern alles wird +in Erwägung+, +in Überlegung+,
-+in Erörterung+, +in Betracht+, +in Berücksichtigung gezogen+. Nichts
-wird mehr +vorgelegt+, +vorgetragen+, +aufgeführt+, +dargestellt+,
-+wiederhergestellt+, +ausgeführt+, +durchgeführt+, +angeregt+,
-+angerechnet+, +vorgeschlagen+, +angezeigt+, +verkauft+, +verteilt+,
-+versandt+, +ausgegeben+, +angewandt+, +erledigt+, +entschieden+,
-+erfüllt+, sondern alles wird +zur Vorlage gebracht+, +zum Vortrag
-gebracht+, +zur Aufführung+ oder +zur Darstellung gebracht+, +zur
-Ausführung+ oder +zur Durchführung gebracht+, +in Anregung+, +in
-Anrechnung+, +in Vorschlag gebracht+, +zur Anzeige+, +zum Verkauf+,
-+zur Verteilung+, +zur Versendung gebracht+, +zur Ausgabe+,
-+zur Anwendung+, +zur Erledigung+, +zur Entscheidung+, +zur
-Erfüllung gebracht+, oder es +kommt+ oder +gelangt zum Vortrag+,
-+zur Aufführung+, +zur Wiederherstellung+, +in Vorschlag+, +zur
-Anzeige+, es +findet Anwendung+, +Erledigung+. Ein Personenzug
-+kommt zur Ablassung+, ein Buch +gelangt zum Druck+, und dann
-+gelangt es zur Ausgabe+, das Kommißbrot +gelangt zum Verzehr+ (!).
-Eine Bürgermeisterstelle wird nicht +ausgeschrieben+, sondern zur
-+Ausschreibung gebracht+; selbst von Häusern, die infolge einer
-Überschwemmung +eingestürzt+ sind, heißt es, sie seien +zum Einsturz
-gebracht+ worden. Die Train-Depot-Offiziere +fallen+ nicht +weg+,
-sondern sie +gelangen zum Fortfall+ (!). Grund und Boden +gelangt zur
-Aufforstung+, alte Schiffe +gelangen zur Außerdienststellung+, Rinder
-und Schweine +gelangen zur Schlachtung+, eine Stadtkassenrechnung
-+gelangt+ bei den Stadtverordneten zur +Richtigsprechung+, ja sogar
-eine Ratsvorlage zur +Ablehnung+ (als ob es Ziel und Bestimmung
-der Ratsvorlagen wäre, abgelehnt zu werden), und wenn die
-Straßenbahndirektion ihren Fahrpreis herabsetzt, so macht sie bekannt:
-Wir +bringen+ hiermit +zur Kenntnis+, daß der seither giltige Fahrpreis
-von 15 Pfennigen +in Wegfall kommt+ und der neue Tarifsatz von 10
-Pfennigen +zur Erhebung gelangt+.
-
-Zum Schwulst gesellt sich aber hier noch etwas andres: die höchst
-bedenkliche Neigung, den Verbalreichtum der Sprache gleichsam auf ein
-paar Formeln abzuziehen, die alles Flektieren überflüssig machen.
-Wer von diesen sechs oder sieben Verbalsurrogaten glücklich noch
-ein Tempus und einen Modus bilden kann, der braucht sich nicht mehr
-mit Ablautreihen und schwankenden Konjunktivformen zu plagen. Wie
-sich das Französische für das Futurum ein Surrogat geschaffen hat in
-seinem ~avoir~ mit dem Infinitiv, wie das Deutsche auf dem besten
-Wege ist, sich für den Konjunktiv des Imperfekts ein Surrogat zu
-schaffen in +würde+ mit dem Infinitiv, so ersetzen wir vielleicht in
-hundert Jahren das Verbum überhaupt durch +bringen+ und +gelangen+ mit
-einem Substantiv und sagen: ~propono~, ich +bringe+ in Vorschlag --
-~proponor~, ich +komme+ in Vorschlag.
-
-
-Vermittelst, mit Zuhilfenahme von
-
-Unrettbar dem Schwulst verfallen sind unsre Präpositionen. Als
-Präpositionen gebrauchte man früher eine Menge kleiner Wörtchen, die
-aus zwei, drei, vier Buchstaben bestanden. In unsern Grammatiken findet
-man sie auch jetzt noch verzeichnet, dieses lustige kleine Gesindel:
-+in+, +an+, +zu+, +aus+, +von+, +auf+, +mit+, +bei+, +vor+, +nach+,
-+durch+ usw.; in unserm Amts- und Zeitungsdeutsch aber fristen sie
-nur noch ein kümmerliches Dasein, da sind sie verdrängt und werden
-immer mehr verdrängt durch schwerfällige, schleppende Ungetüme wie:
-+betreffs+, +behufs+, +zwecks+, +seitens+, +angesichts+, +mittelst+,
-+vermittelst+, +vermöge+, +bezüglich+, +hinsichtlich+, +rücksichtlich+,
-+einschließlich+, +ausschließlich+, +anläßlich+, +gelegentlich+,
-+inhaltlich+, +ausweislich+, +antwortlich+, +abzüglich+, +zuzüglich+,
-+zusätzlich+, +vorbehältlich+ usw. Wie lange wird es dauern, so wird
-in unsern Grammatiken auch der Abschnitt über die Präpositionen
-vollständig umgestaltet werden müssen; alle diese Ungetüme werden als
-unsre eigentlichen Präpositionen verzeichnet, die alten, wirklichen
-Präpositionen in die Sprachgeschichte verwiesen werden müssen.
-
-Früher wurde einer, der +mit+ einem Messer gestochen worden war, +mit+
-einer Droschke ins Krankenhaus gebracht; so wird auch heute noch
--- gesagt. In der Zeitung geschieht es aber nur noch +vermittelst+
-eines Messers und +vermittelst+ einer Droschke. Ein herrliches Wort,
-dieses +vermittelst+! Dem Anschein nach eine Superlativbildung, aber
-wovon? Ein Adjektivum +vermittel+ gibt es nicht, nur ein Zeitwort
-+vermitteln+. Daran ist aber doch bei +vermittelst+ nicht zu
-denken. Offenbar ist das Wort in schauderhafter Weise verdorben aus
-+mittels+,[173] dem Genitiv von +Mittel+, der in ähnlicher Weise zur
-Präposition gepreßt worden ist wie +behufs+ und +betreffs+, zu denen
-sich neuerdings noch +zwecks+, +mangels+ und +namens+ gesellt haben
--- lauter herrliche Erfindungen.[174] Das Zwischenglied wäre dann
-+mittelst+, das es ja auch gibt; fürstliche Personen reisen stets
-+mittelst+ Sonderzugs, und ein „Etablissement“, das früher +mit+
-oder +durch+ Gas erleuchtet wurde, wird jetzt natürlich +mittelst+
-Elektrizität erleuchtet, Handelsartikel, die früher +mit+ der Hand
-hergestellt wurden, werden jetzt +mittelst+ Maschinen gewonnen; ja es
-kommt sogar vor, daß ausgediente Mannschaften +mittelst Musik+ auf den
-Bahnhof gebracht werden!
-
-Daß +zu+ unter anderm auch den Zweck bezeichnet, ist dem Beamten
-und dem Zeitungschreiber gänzlich unbekannt. Früher verstand man
-es sehr gut, wenn einer sagte: er ist der Polizeibehörde +zur+
-Einsperrung überwiesen worden -- die Nummern sind +zur+ Registrierung
-beigefügt; jetzt heißt es nur noch: +behufs+ oder noch lieber +zwecks+
-Einsperrung, +zwecks+ (oder +zum Zwecke+) der Registrierung, +zwecks+
-Feststellung der Krankenkassenbeiträge, +zwecks+ Stellungnahme usw.
-+Behufs+ Bildung einer Berufsgenossenschaft -- +behufs+ Wahrung
-des Prestiges der italienischen Flagge -- ein Bündnis Englands mit
-Rußland +zwecks+ Niederhaltung Deutschlands -- die Leiche wurde
-+zwecks+ Verbrennung nach Gotha überführt (!) -- die Bank hat +zwecks+
-Erweiterung ihrer Räume das Nachbarhaus angekauft -- die Schülerinnen
-sollen +zwecks+ Schonung ihrer Augen acht Tage vom Unterricht
-dispensiert werden und dann +zwecks+ erneuter Untersuchung sich wieder
-in der Schule einfinden -- so hufst und zweckeckeckst es durch die
-Spalten unsrer Zeitungen.
-
-Einen Brief fing man früher an: +auf+ dein Schreiben vom 17. teile
-ich dir mit --; jetzt heißt es nur noch: +antwortlich+ (oder in
-+Beantwortung+ oder +Erwiderung+) deines Schreibens (vgl. S.
-173). Früher verstand es jedermann, wenn man sagte: +nach+ der
-Betriebsordnung oder +nach+ den Bestimmungen der Bauordnung, +nach+
-dem Standesamtsregister, +nach+ Paragraph 5; das Volk spricht auch
-heute noch so. In den Bekanntmachungen der Behörden aber heißt es
-nur: +auf Grund+ der Betriebsordnung, +inhaltlich+ der Bestimmungen
-der Bauordnung, +ausweislich+ des Standesamtsregisters, und was das
-Allerschönste ist: +in Gemäßheit von+ Paragraph 5, +in Gemäßheit+
-des Beschlusses der Stadtverordneten. Also statt einer einsilbigen
-Präposition ein so fürchterliches Wort wie +Gemäßheit+, flankiert von
-zwei Präpositionen, +in+ und +von+! Früher sagte man: +nach+ seinen
-Kräften, +bei+ der herrschenden Verwirrung, +durch+ den billigen
-Zinsfuß -- jetzt heißt es: +nach Maßgabe+ seiner Kräfte, +angesichts+
-der herrschenden Verwirrung, +vermöge+ des billigen Zinsfußes. Eine
-Festschrift erschien früher +zum+ Geburtstag eines Gelehrten, +beim+
-Jubiläum eines Rektors, +zur+ Enthüllung eines Denkmals, jetzt nur
-noch +aus Anlaß+ oder +anläßlich+ des Geburtstags, +gelegentlich+ des
-Jubiläums, +bei Gelegenheit+ der Enthüllung. +Bei+ dem Auftreten der
-Influenza hat sich gezeigt -- +in+ den Verhandlungen +über+ den Entwurf
-wurde bemerkt -- +auf+ der Weltausstellung in Sydney traten diese
-Bestrebungen zuerst hervor -- versteht das niemand mehr? Es scheint
-so, denn jetzt heißt es: +gelegentlich+ des Auftretens der Influenza
--- +gelegentlich+ der über den Entwurf gepflognen (!) Verhandlungen
--- +bei Gelegenheit+ der Weltausstellung in Sydney. Für +wegen+ wird
-+aus Anlaß+ gesagt: der Botschafter X hat sich +aus Anlaß+ einer
-ernsten Erkrankung seiner Gemahlin nach B. begeben. Für +über+ heißt es
-+betreffs+ oder +bezüglich+: das letzte Wort +betreffs+ der Expedition
-ist noch nicht gesprochen -- die Mitteilung der Theaterdirektion
-+bezüglich+ der Neueinstudierung des Don Juan war verfrüht. Früher
-verstand es jeder, wenn gesagt wurde: +mit+ der heutigen Versammlung
-sind dieses Jahr zehn Versammlungen gewesen, +ohne+ die heutige
-neun; jetzt heißt es: +einschließlich+ der heutigen Versammlung,
-+ausschließlich+ der heutigen Versammlung. Unsre Kaufleute reden sogar
-davon, was eine Ware zu stehen komme, +zuzüglich+ der Transportkosten,
-+abzüglich+ der Fracht oder +zusätzlich+ der Differenz, statt: +mit+
-den Transportkosten, +ohne+ die Fracht, +samt+ der Differenz, was
-man doch auch verstehen würde, und ein Verein macht bekannt, daß er
-den Jahresbeitrag +zuzüglich+ der dadurch entstehenden Kosten durch
-Postauftrag erheben werde, statt +samt+ oder +nebst+ den Kosten. Ein
-Betrüger ist +mit+ 10000 Mark entflohen -- ist das nicht deutlich? Der
-Zeitungschreiber sagt: +unter Mitnahme von+ 10000 Mark! Endlich: +mit
-Zuhilfenahme von+, +unter Zugrundelegung von+, +in der Richtung nach+,
-+in Höhe von+, +an der Hand von+ (jetzt sehr beliebt: +an der Hand+
-der Statistik), was sind alle diese Wendungen anders als breitspurige
-Umschreibungen einfacher Präpositionen, zu denen man greift, weil
-man die Kraft und Wirkung der Präpositionen nicht mehr fühlt oder
-nicht mehr fühlen will. +Ohne Zuhilfenahme von+ fremdem Material --
-was heißt das anders als: +ohne+ fremdes Material? Der Staatsanwalt
-machte +an der Hand+ einer Reihe von Straftaten (!) die Schuld des
-Angeklagten wahrscheinlich -- was heißt das anders als: +mit+ oder
-+an+ einer Reihe? Ist es nötig, daß in Bekanntmachungen einer Behörde
-geschrieben wird, daß ein gewisser Unternehmer eine Kaution +in Höhe
-von+ 1000 Mark zu erlegen habe, daß eine Straße neu gepflastert werden
-solle +in ihrer Ausdehnung von+ der Straße A +bis zur+ Straße B? Sind
-wir so schwachsinnig geworden, daß wir eine Kaution +von+ 1000 Mark
-nicht mehr verstehen, uns bei dem einfachen +von -- bis+ keine Strecke
-mehr vorstellen können? Muß das alles besonders ausgequetscht werden?
-Rührend ist es, wenn der „Portier“ auf dem Bahnhof ausruft: Abfahrt
-+in der Richtung nach+ Altenburg, Plauen, Hof, Bamberg, Nürnberg usw.
-Der Bureaumensch, der +das+ ausgeheckt hat, verdiente zum Geheimen
-Regierungsrat ernannt zu werden! Er wird es längst sein. Bei einem
-bloßen +nach+ könnte sich ja ein Reisender beschweren und sagen: Ich
-wollte nach Gaschwitz, das ist aber nicht mit ausgerufen worden, nun
-bin ich sitzen geblieben. Aber +in der Richtung nach+ -- da kann sich
-niemand beschweren.
-
-
-Seitens
-
-Der größte Greuel aber auf dem Gebiete unsers ganzen heutigen
-Präpositionenschwulstes ist wohl das Wort +seitens+; es ist zu einer
-wahren Krankheit am Leibe unsrer Sprache geworden.
-
-Zunächst ist es schon eine garstige Bildung. In den vierziger und
-fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts schrieben die Beamten und
-Zeitungschreiber beim passiven Verbum mit Vorliebe +von Seiten+
-statt des einfachen +von+ (ebenso +auf Seiten+ statt +bei+). Das
-war natürlich unnötiger Schwulst, aber es war doch wenigstens
-richtig, ja man konnte sich sogar über den schwachen Dativ +Seiten+
-freuen, den sich heute niemand mehr zu bilden getrauen würde. Mit
-der Zeit wurde aber doch selbst den Kanzlei- und Zeitungsmenschen
-dieses ewige +von Seiten+ zu viel. Statt nun das einzig vernünftige
-zu tun und wieder zu dem einfachen +von+ zurückzukehren, ließ man
-das +von+ weg und sagte nur noch +seiten+. Aber das dauerte auch
-nicht lange. Kaum war die Neubildung fertig, so wurde sie einer
-abermaligen Umbildung unterzogen, man hängte gedankenlos, verführt
-durch Genitive wie +behufs+, +betreffs+, ein unorganisches s an den
-schwachen Dativ,[175] und so entstand nun dieses Jammerbild einer
-Präposition, das heute das Leib- und Lieblingswort unsrer Amts- und
-Zeitungssprache ist. Sowie man eine Zeitung in die Hand nimmt, das
-erste Wort, das einem in die Augen fällt, ist: +seitens+. Die kleinen
-Pfennignotizen der Lokalreporter fangen gewöhnlich gleich damit an;
-wenn nicht, dann stehts gewiß auf der zweiten oder dritten Zeile. Da
-es die Zeitungssprache immer mehr verlernt, ein Ereignis im Aktivum
-mitzuteilen, da sie mit Vorliebe im Passivum erzählt, sodaß das Objekt
-zum grammatischen Subjekt und das logische Subjekt zum äußerlichen
-Agens wird, +von+ beim Passiv ihr aber gänzlich unbekannt geworden ist,
-so kann sie tatsächlich nicht die kleinste Mitteilung mehr machen ohne
-+seitens+. Die Regierung, der Bundesrat, das Ministerium, das Gericht,
-der Magistrat, die Polizeidirektion, das Stadtverordnetenkollegium
--- sie alle +tun+ nichts mehr, sondern alles +wird+ getan, alles
-geschieht, erfolgt, findet statt +seitens+ der Regierung, +seitens+
-des Bundesrats, +seitens+ des Ministeriums, +seitens+ des Gerichts,
-+seitens+ des Magistrats, +seitens+ der Polizeidirektion usw. Dem
-fortschrittlichen Kandidaten konnte +seitens+ der Gegner nichts
-nachgesagt werden -- die Maschinen können +seitens+ der Interessenten
-jederzeit besichtigt werden -- gegen solche Unart muß endlich einmal
-mit Ernst vorgegangen werden, +seitens+ der Schule, +seitens+ der
-Polizei, aber auch +seitens+ des Publikums -- es liegt darin etwas
-verletzendes, auch wenn dies weder +seitens+ des Dichters, noch
-+seitens+ der Darsteller beabsichtigt sein sollte; das Stück wurde
-+seitens+ des Publikums einstimmig abgelehnt -- anders wird nicht
-geschrieben. Aber auch bei aktiven Verben heißt es: zahlreiche Klagen
-sind +seitens+ (!) einflußreicher Personen eingelaufen -- +seitens+ des
-Herrn Polizeipräsidenten ist uns nachstehende Bekanntmachung zugegangen
--- +seitens+ der Kurie hat man (!) sich noch nicht schlüssig gemacht
--- +seitens+ der Regierung gibt man (!) sich der bestimmten Hoffnung
-hin. Und hier wird +seitens+ auch für +bei+ gebraucht: dabei stieß er
-+seitens+ des Gouverneurs auf große Schwierigkeiten (statt: +bei+ dem
-Gouverneur!) -- wie er denn auch vielfache Anerkennung +seitens+ der
-wissenschaftlichen Welt (+bei+ der wissenschaftlichen Welt!) gefunden
-hat -- er erfreute sich des größten Vertrauens +seitens+ seines Chefs
-(+bei+ seinem Chef!) -- das Werk wird dadurch an Teilnahme und Gunst
-+seitens+ der Berliner (+bei+ den Berlinern!) nichts einbüßen. Für
-den garstigen Gleichklang, der entsteht, wenn hinter +seitens+ nun
-immer wieder Genitive auf s kommen, für dieses unaufhörliche Gezisch
-hat der Papiermensch kein Ohr. Will er ja einmal abwechseln, auf das
-einfache, vernünftige +von+ oder gar auf das Aktivum verfällt er gewiß
-nicht; dann schreibt er lieber: +englischerseits+, +staatlicherseits+,
-+kirchlicherseits+, +päpstlicherseits+, +ministeriellerseits+,
-+landwirtschaftlicherseits+, ja sogar +unterrichteterseits+
-oder: +regierungsseitig+, +eisenbahnseitig+, +gerichtsseitig+,
-+prinzipalseitig+: die Gehilfenschaft hatte die Frage in ein Gleis
-gebracht, an dem sich +prinzipalseitig+ nichts aussetzen ließ! Ein
-Tierarzt macht darauf aufmerksam -- die Judenfeinde behaupten -- wie
-simpel! Der Zeitungschreiber sagt: +tierärztlicherseits+ wird darauf
-aufmerksam gemacht -- +antisemitischerseits+ (–ᴗᴗ–ᴗᴗ–) wird behauptet.
-So klingts vornehm!
-
-Damit ist aber die Anwendung des garstigen Wortes noch nicht
-erschöpft. +Seitens+ wird nicht nur mit Verben, es wird auch mit
-Verbalsubstantiven verbunden. Da schreibt man: die Beiträge zur
-Unfallversicherung +seitens+ der Arbeitsherren -- die Vorführung
-eines Spritzenzugs +seitens+ des Branddirektors -- die Behandlung der
-Frauen +seitens+ der Männer -- die Aufnahme des Gesandten +seitens+
-des Königs -- die Abneigung gegen die Angestellten +seitens+ der
-Einwohnerschaft -- der Übergang über die Parthe +seitens+ der Nordarmee
--- die allgemeine Benutzung der Lebensversicherung +seitens+ der
-ärmern Klassen -- ein Opfer von 3000 Mark +seitens+ der Stadt --
-die Besitznahme dieses Küstengebiets +seitens+ der Franzosen -- die
-Unsitte des Trampelns im Theater +seitens+ der Studenten -- der
-schädigende Einfluß der Verletzung der Glaubenspflichten +seitens+
-eines Kirchenmitgliedes -- das Dementi der Nachricht von der Audienz
-des Herrn H. beim Kaiser +seitens+ der Konservativen Korrespondenz --
-Zeitungen wie Bücher sind voll von solchen Verbindungen! Wie soll man
-sie aber vermeiden? in allen diesen Beispielen ist doch ohne +seitens+
-gar nicht auszukommen. Nun, wie ist man denn früher ohne das Wort
-ausgekommen? Entweder durch vernünftige Wortstellung: die Beiträge
-+der+ Arbeitsherren zur Unfallversicherung -- der Übergang +der+
-Nordarmee über die Parthe -- ein Opfer +der+ Stadt von 3000 Mark; oder
-dadurch, daß man Sätze bildete, anstatt, wie es jetzt geschieht, ganze
-Sätze immer in Substantiva zusammenzuquetschen. Zu einem Zeitwort kann
-man ein halbes Dutzend näherer Bestimmungen setzen, da hat man immer
-freie Bahn und kommt leicht vorwärts; sowie man aber das flüssige
-Zeitwort in das starre Hauptwort verwandelt, verbaut man sich selbst
-den Weg, und dann werden solche Angstverbindungen fertig wie: mit der
-Beherrschung von Raum und Kraft +seitens+ der Menschen wäre es zu Ende
-(statt: die Menschen würden Raum und Kraft nicht mehr beherrschen) --
-der redliche Erwerb (!) der Kleidungsstücke +seitens+ des Angeklagten
-ließ sich zum Glück nachweisen (statt: daß er sie redlich erworben
-hatte).
-
-Nun aber das Tollste: diese Angstverbindungen von Substantiven mit
-+seitens+ sind den Leuten schon so geläufig geworden, und man ist
-so vernarrt in das schöne Wort, daß man es auch da anwendet, wo
-gar keine Nötigung dazu vorliegt, daß man geradezu -- den Genitiv
-damit umschreibt! Man sagt nicht mehr: der Besuch des Publikums, die
-Anregung des Vorstandes, eine Erklärung des Wirts, die freiwillige
-Pflichterfüllung eines Einzelnen, sondern: der Besuch +seitens+ des
-Publikums, die Anregung +seitens+ des Vorstandes, eine Erklärung
-+seitens+ des Wirts, die freiwillige Pflichterfüllung +seitens+
-eines Einzelnen. Überall laufen einem jetzt solche Genitive über den
-Weg, man braucht nur zuzugreifen: ich wollte damit etwaigen Einreden
-+seitens+ der Gegner vorbeugen -- der glänzende Erfolg, den der
-Verfasser dem ausgezeichneten Vortrage +seitens+ des Rezitators zu
-danken hat -- ein ähnliches Beispiel einer starken Willkür +seitens+
-eines Herausgebers -- er wurde die Zielscheibe vieler Angriffe
-+seitens+ der Klerikalen -- ein höherer Gehilfe kann nicht ohne
-Vertrauen +seitens+ des Handelsherrn angestellt werden -- die Frau war
-wegen fortgesetzter Roheiten +seitens+ ihres Mannes ins Elternhaus
-zurückgekehrt -- der Gesandte hatte die Stirn, zu fragen, ob man denn
-auch des Friedensbruchs +seitens+ Frankreichs gewiß sei -- es fehlt
-ihm die Anerkennung +seitens+ der Großmächte -- das Urteil klingt hart,
-beruht aber auf sorgfältiger Prüfung +seitens+ eines Unbefangnen --
-es bedarf nur der Aufforderung +seitens+ eines geeigneten Mannes --
-sie wählten diese Wohnungen, um sich gegen Überraschungen +seitens+
-ihrer Feinde zu sichern -- ohne die freundliche Unterstützung +seitens+
-zahlreicher Bibliotheksverwaltungen würde es nicht gelungen sein
--- es trifft ihn die Verachtung +seitens+ seiner Mitmenschen -- es
-kostete große Anstrengungen +seitens+ der bekümmerten Verwandten
--- an der Tafel fehlte es nicht an herzlichen Reden und Gegenreden
-+seitens+ der Arbeiter und Prinzipale -- der Straßenhandel hat zu
-Beschwerden +seitens+ der Einwohnerschaft geführt -- eine Trauung,
-bei der es an aufrichtig frommer Gesinnung +seitens+ der Brautleute
-fehlte. Für einzelne dieser Beispiele scheint es ja einen Schimmer
-von Entschuldigung zu geben. Das Hauptwort, von dem der Genitiv
-abhängen würde, ist meist ein Verbalsubstantiv, und da kann der Zweifel
-entstehen, ob man die Handlung, die es ausdrückt, als aktiv oder als
-passiv auffassen soll. Der Besuch des Publikums -- das könnte ja
-auch heißen, das Publikum sei besucht +worden+; der Besuch +seitens+
-des Publikums -- das ist nicht mißzuverstehen, da +hat+ das Publikum
-besucht. Angriffe der Klerikalen -- da könnte man auch denken,
-die Klerikalen wären angegriffen +worden+; Angriffe +seitens+ der
-Klerikalen -- da +haben+ sie natürlich angegriffen. Die Untersuchung
-des Arztes -- da könnte man ja denken, der Arzt wäre untersucht
-+worden+; die Untersuchung +seitens+ des Arztes -- nun +hat+ der Arzt
-untersucht. Sollte es aber wirklich Leser geben, die so beschränkt
-wären, dergleichen mißzuverstehen?
-
-
-Bez. beziehungsweise bezw.
-
-Ein Juwel unsrer Papiersprache endlich, der Stolz aller Kanzlisten
-und Reporter, der höchste Triumph der Bildungsphilisterlogik ist das
-Bindewort +bez.+ oder +bezw.+
-
-Vor fünfzig Jahren gab es noch im Deutschen das schöne Wort
-+respektive+, geschrieben: +resp.+; man sagte z. B.: der +Vater resp.
-Vormund+ -- der +Rektor+ der Schule, +resp.+ dessen +Stellvertreter+
--- +nachlässige, resp. rohe+ Eltern. Was wollte man mit dem Worte?
-Warum sagte man nicht: der +Vater oder Vormund+? Hätte man das nicht
-verstanden? I nun, der gesunde Menschenverstand des Volks hätte es
-schon verstanden; aber der große Logiker, der Kanzleimensch, sagte
-sich: ein Kind kann doch nicht zugleich einen Vater und einen Vormund
-haben, es kann doch nur entweder einen Vater oder (oder aber! sagte der
-Kanzleimensch) einen Vormund haben. Dieses Verhältnis kann man nicht
-mit dem bloßen +oder+ ausdrücken, für dieses feine, bedingte +oder+:
-der +Vater oder+ (+wenn+ nämlich das Kind keinen Vater mehr haben
-sollte!) +Vormund+ gibt es im Deutschen überhaupt kein Wort, das läßt
-sich nur durch -- +respektive+ sagen, dadurch aber auch „voll und ganz“.
-
-Als man nun auch im Kanzleistil den Fremdwörterzopf abzuschneiden
-anfing, erfand man als Übersetzung von +respektive+ das herrliche Wort
-+beziehentlich+ oder +beziehungsweise+: +be-zieh-ungs-wei-se+! Das war
-natürlich etwas zu lang, es immer zu schreiben und zu drucken, und so
-wurde es denn zu +bez.+ „beziehungsweise“ +bezw.+ abgekürzt. Daß das
-Wörtchen +oder+ auch nur vier Buchstaben hat und dabei ein wirkliches
-Wort ist, kein bloßer Wortstummel wie +bezw.+, auf diesen naheliegenden
-Gedanken verfiel merkwürdigerweise niemand. Und doch, was bedeutet in
-folgenden Beispielen das +bezw.+ anders als +oder+: in einer Zeit,
-wo man alles den einzelnen +Kreisen bezw. Staaten+ überließ -- alles
-weitere ist +Spezialsache bezw. Aufgabe+ der spätern Jahre -- über den
-+Mord bezw. Raubmord+ in R. ist noch immer nichts genaues festgestellt
--- Windschirme mit japanischer +Malerei bezw. Stickerei+ -- der
-Zusammenschluß zu einem +genossenschaftlichen bezw. landschaftlichen+
-Kreisverbande -- die +wieder bezw. neu+ gewählten Stadtverordneten --
-ein +angebornes bezw.+ durch Überlieferung +geschultes+ Geschick --
-die Bänder haben Wert als +geschichtliche bezw. kulturgeschichtliche+
-Erinnerungsstücke -- +nicht benutzte bezw. nicht abgeholte+ Bücher
-werden wieder eingestellt -- es wird mit dem +Kellergeschoß bezw.
-Erdgeschoß+ angefangen -- zwei Dachstuben von je drei Meter Breite
-und +drei bezw. vier+ Meter Länge -- jede Serie umfaßt +15 bezw. 12+
-Hefte -- die Bemerkung befindet sich in dem +Vor- bezw. Nachwort+ der
-Ausgabe -- W. A. Lippert, welcher +flüchtig ist bezw. sich verborgen
-hält+ -- da die Anstalt nur solche Kinder +aufnimmt bezw. behält+,
-die eine Besserung erwarten lassen -- wo Jahnsdorf +liegt bezw.
-gelegen hat+, ist ungewiß -- viele Personen sind außerstande, selbst
-bei langsamem Gange des Wagens +auf- bezw. abzuspringen+ -- jeder
-Fachmann wird die Schrift +beiseite bezw. in den Papierkorb+ werfen
--- es ist anziehend, zu sehen, wie sich dieser Kreis im Laufe der
-Sprachentwicklung +verengert bezw. erweitert+ -- die Weigerung der
-Prinzessin ist +hauptsächlich bezw. ausschließlich+ auf diesen Umstand
-zurückzuführen. Und in folgenden Beispielen, was bedeutet da +bezw.+
-anders als +und+: ein Haus an der +Beethoven- bezw. Rhodestraße+ --
-französische +Bonnen bezw. Gouvernanten+ haben seit Jahrhunderten in
-Deutschland eine Rolle gespielt -- zwei Kinder im Alter von +fünf bezw.
-drei+ Jahren -- K. und T. wurden zu +viermonatiger bezw. zweimonatiger+
-Gefängnisstrafe verurteilt -- später verfaßte er +pädagogische bezw.
-Schulbücher+ -- alle +Bestellzettel bezw. Quittungsformulare+ sind
-mit Tinte auszufüllen -- +Anfragen bezw. Anmeldungen+ sind an den
-Vorstand des Kunstvereins zu richten -- zur +Rechten bezw. Linken+ des
-Kaisers saßen der Reichskanzler und der Staatssekretär -- die Zinsen
-werden zu +Ostern bezw. zu Michaeli+ bezahlt -- großen Einfluß auf
-die Zahl der +Dissertationen bezw. Promotionen+ über den pekuniären
-Anforderungen, die die einzelnen +Universitäten bezw. Fakultäten+
-stellen -- wann die noch übrigen Befestigungsreste der +Burg bezw.
-Stadt+ entstanden sind, läßt sich nicht mit Sicherheit angeben -- der
-König tritt eine mehrwöchige Reise nach +München bezw. Stuttgart+ an
--- die Zehnpfennigmarken und die Fünfpfennigmarken sind von +roter
-bezw. grüner+ Farbe -- in A. sind letzte Nacht zwei Personen, ein
-Maler und ein Strumpfwirker, die in einem +Schuppen bezw. einem Stalle+
-nächtigten, erfroren.
-
-Der große Logiker, der so schreibt, denkt natürlich wenn er +und+
-gebrauche, so könnte ihn jemand auch so verstehen, als ob „sowohl“ die
-Zehnpfennigmarken „als auch“ die Fünfpfennigmarken zweifarbig wären,
-nämlich beide Arten rot und grün, als ob „sowohl“ der Maler „als
-auch“ der Strumpfwirker in zwei Räumlichkeiten, nämlich gleichzeitig
-in einem Schuppen und in einem Stalle genächtigt hätte. Solchen
-Gefahren wird natürlich durch +bezw.+ vorgebeugt; nun weiß man genau,
-daß die Zehnpfennigmarken rot und die Fünfpfennigmarken grün sind,
-daß der Maler in einem Schuppen, der Strumpfwirker in einem Stalle
-genächtigt hat. Maler: Schuppen = Strumpfwirker: Stall -- darin liegt
-die tiefe Bedeutung von +bezw.+! Ein unübertreffliches Beispiel ist
-folgender Zeitungssatz: alle +Musik- bezw. Trompeterkorps+ und alle
-Spielmannszüge +bliesen bezw. schlugen+ den Präsentiermarsch +bezw.+
-die Paradepost.
-
-Aber damit ist der große Logiker noch nicht auf dem Gipfel seines
-Scharfsinns angelangt. Sein schlauestes Gesicht steckt er auf, wenn
-er schreibt: +und (!) bezw.+ +Die Besitzer und bezw. Pächter+ der
-Grundstücke werden darauf aufmerksam gemacht -- die +Eltern und bezw.
-Erzieher+ der schulpflichtigen Kinder werden hiermit aufgefordert --
-ich bitte mir angeben zu wollen, ob diese Ausgabe +und beziehungsweise
-oder+ (!) andre Ausgaben auf der Bibliothek vorhanden sind usw. Sogar
-solche Dummheiten werden jetzt geschrieben „und bezw.“ gedruckt, und
-die, die sie leisten, bilden sich dabei noch ein, sie hätten sich
-wunder wie fein und scharf ausgedrückt! Leider ist das widerwärtige
-Wort, das übrigens neuerdings oft mit +bezüglich+ vermengt wird,[176]
-aus der Papiersprache bereits in die lebendige Sprache eingedrungen.
-Nicht nur in Sitzungen und Verhandlungen muß man es hören, es ertönt
-auch immer häufiger auf Kathedern, und da es der Professor gebraucht,
-gebrauchts natürlich der Student mit, und selbst der Kaufmannsdiener
-sagt schon am Biertische: Sie erhalten Sonnabend abend +beziehentlich+
-(oder +bezüglich+!) Sonntag früh Nachricht. Schließlich wird noch der
-Herr Assessor, der für seine Kinder zu Weihnachten Spielzeug eingekauft
-hat, zur Frau Assessorin sagen: ich habe für Fritz und Mariechen +eine
-Schachtel Soldaten beziehungsweise eine Puppe+ mitgebracht!
-
-
-Provinzialismen
-
-Für Provinzialismen ist in der guten Schriftsprache kein Raum,
-mögen sie stammen, woher sie wollen. Man spricht jetzt viel davon,
-daß unser Sprachvorrat aus den Mundarten aufgefrischt, verjüngt,
-bereichert, befruchtet werden könnte. O ja, wenn es mit Maß und Takt
-geschähe, warum nicht? Überzeugende Proben davon hat man aber noch
-nicht viel gesehen. Ein böses Mißverständnis wäre es, wenn man jeden
-beliebigen Provinzialismus für geeignet hielte, unsern Sprachvorrat
-zu „bereichern“. Meist liegt kein Bedürfnis darnach vor, man legt
-sich dergleichen aus Eitelkeit zu, um Aufmerksamkeit zu erregen, etwa
-wie irgend ein Hansnarr zu einem gut bürgerlichen Anzug einen Tiroler
-Lodenhut mit Hahnenfeder aufsetzt.
-
-Namentlich sind es österreichische Ausdrücke und Wendungen
-(Austriazismen), die jetzt durch wörtlichen Abdruck aus
-österreichischen Zeitungen in unsre Schriftsprache hereingeschleppt,
-dann aber auch nachgebraucht werden.
-
-Für +brauchen+ z. B. sagt der Österreicher +benötigen+, für
-+benachrichtigen+ +verständigen+ (+jemand verständigen+, während sich
-in gutem Deutsch nur zwei oder mehr +untereinander verständigen+
-können); beides kann man jetzt auch in deutschen Zeitungen lesen.
-In der Studentensprache ist das schöne Wort +unterfertigen+ Mode
-(statt +unterzeichnen+); das ist nichts als eine lächerliche,
-halb(!)-österreichische Bastardbildung. Der Österreicher sagt: der
-+Gefertigte+. Das ist dem deutschen Studenten, der sich zuerst
-damit spreizen wollte, mit dem +Unterzeichneten+ in eine Mischform
-zusammengeronnen, und seitdem erfüllt fast in allen akademischen
-Vereinigungen beim „Ableben“ eines Mitgliedes der +unterfertigte+
-Schriftführer „die traurige Pflicht, die geehrten a. H. a. H. und a.
-o. M. a. o. M. geziemend (!) in Kenntnis zu setzen“.
-
-Unerträglich in gutem Schriftdeutsch ist das süddeutsche +gestanden
-sein+ und +gesessen sein+: die Personen, mit denen er in näherm
-Verkehr +gestanden war+ -- es lebten noch Männer, die in der
-Paulskirche +gesessen waren+ (vgl. S. 59); ganz unerträglich ferner
-die österreichischen Verbindungen: +an etwas vergessen+, +auf etwas
-vergessen+ und +auf etwas erinnern+: heute schien die Schar ihrer
-Verehrer +auf sie vergessen+ zu haben -- +auf die Einzelheiten+ des
-Stückes konnte ich nicht mehr +erinnern+ u. ähnl.
-
-Eine ganze Reihe von Eigenheiten hat der Österreicher im Gebrauche der
-Adverbia. Er sagt: +im vorhinein+ statt +von vornherein+, +rückwärts+
-statt +hinten+, +beiläufig+ (bailaifig) statt +ungefähr+ (bis zur
-höchsten Spitze ist es +beiläufig+ 6000 Fuß -- dies ist +beiläufig+
-der Inhalt des hübschen Buches -- der zweite Band erscheint in
-+beiläufig+ gleicher Stärke), während in gutem Deutsch +beiläufig+ nur
-bedeutet: +nebenbei+, im +Vorbeigehen+ (+beiläufig+ will ich bemerken).
-Für +nur noch+ heißt es in München wie in Wien: +nur mehr+: z. B.
-leidenschaftliche Gedichte von +nur mehr+ geschichtlichem Wert -- ein
-Ausspruch, der uns heute +nur mehr+ grotesk anmutet -- alle Bemühungen
-sind jetzt +nur mehr+ darauf gerichtet -- auf die Christlich-Sozialen
-fielen heute +nur mehr+ acht Stimmen usw. +Neuerdings+, das gut deutsch
-nichts andres heißt als: +in neuerer Zeit+ (+neuerdings+ ist der
-Apparat noch wesentlich vervollkommnet worden), wird in Österreich in
-dem Sinne von +wiederum+, +nochmals+, +abermals+, +aufs neue+, +von
-neuem+ gebraucht, z. B.: es kommt mir nicht darauf an, oft gesagtes
-+neuerdings+ zu wiederholen -- er hat mich hierdurch +neuerdings+
-zu Dank verpflichtet -- eine Reise führte ihn +neuerdings+ mit der
-Künstlerin zusammen -- in diesem Vertrage wird +neuerdings+ die Frage
-untersucht -- es kam eine Schrift zur Verlesung, worin B. +neuerdings+
-für seine Überzeugung eintrat -- die Geneigtheit der Kurie muß bei
-jedem Wahlgange +neuerdings+ erkauft werden.[177] Man möchte wirklich
-annehmen, daß mancher deutsche Zeitungsredakteur von all diesen
-Gebrauchsunterschieden gar keine Ahnung habe, denn sonst könnte er doch
-solche Sätze nicht unverändert in seiner Zeitung nachdrucken, er müßte
-doch jedesmal den Austriazismus erst ins Deutsche übersetzen, damit der
-deutsche Leser nicht falsch verstehe!
-
-Nichts als ein Provinzialismus, den man aber in neuern Erzählungen
-oft lesen kann, ist es auch, bei dem reflexiven +sich finden+ mit
-Angabe einer Richtung (sich nach Hause finden, sich hinfinden, sich
-zurückfinden, sich zurechtfinden) das +sich+ wegzulassen und zu
-schreiben: den sichern Boden, zu dem er +zurückfand+ -- er konnte nicht
-+nach Hause finden+ u. dgl.
-
-Eine Schrulle des niedrigen Geschäftsstils ist es, wenn jetzt angezeigt
-wird, daß Kohlen +ab Zwickau+ oder +ab Werke+ (!) oder +ab Bahnhof+
-oder +ab Lager+ zu haben seien, Heu +ab Wiese+ verkauft, Flaschenbier
-+ab Brauerei+ oder +ab Kellerei+, Mineralwasser +ab Quelle+ geliefert
-werde, daß eine Konzertgesellschaft +ab Sonntag+ den 7. Juni auftrete,
-oder daß eine Wohnung +ab 1. Oktober+ zu vermieten sei. Ab als
-selbständige Präposition vor Substantiven (vgl. +abhanden+, d. i. +ab
-Handen+) ist schon seit dem siebzehnten Jahrhundert vollständig durch
-+von+ verdrängt. Nur in Süddeutschland und namentlich in der Schweiz
-wird es noch gebraucht, dort sagt man noch +ab dem Hause+, +ab dem
-Lande+. Aber was soll uns dieser Provinzialismus? und noch dazu in
-solcher Stammelform: +ab Werke+, von der man nicht weiß, ob es der
-Dativ der Einzahl oder vielleicht gar der Akkusativ der Mehrzahl sein
-soll? Es ist übrigens doch zweifelhaft, ob die Geschäftsleute, die sich
-neuerdings damit spreizen, wirklich das alte deutsche +ab+ meinen,
-und nicht vielmehr das lateinische +~ab~+. Zuzutrauen wäre es ihnen,
-wenigstens wenn man +~pro~ Jahr+, +~pro~ Kopf+, +~per~ sofort+, +~per~
-bald+, +~per~ Weihnachten+ und ähnlichen Unsinn damit vergleicht.[178]
-
-Ein gemeiner Berolinismus, der aber immer mehr um sich greift und schon
-in Lustspielen von der Bühne herab zu hören ist, ist die Anwendung von
-+bloß+ für +nur+ in ungeduldigen Fragen und Aufforderungen: Was hat er
-+bloß+? Was will er +bloß+? Komm doch +bloß+ mal her!
-
-
-Fremdwörter
-
-Auch unsre Fremdwörter sind zum großen Teil Modewörter. Bei dem Kampfe
-gegen die Fremdwörter, der seit einiger Zeit wieder in Deutschland
-entbrannt ist, handelt sichs natürlich nicht um die große Zahl zum
-Teil internationaler technischer Ausdrücke, sondern vor allem um
-die verhältnismäßig kleine Zahl ganz entbehrlicher Fremdwörter, die
-namentlich unsre Umgangssprache und die Sprache der Gelehrten, der
-Beamten, der Geschäftsleute, der Zeitungschreiber entstellen.
-
-Zwar haben sich die Bemühungen der Sprachreiniger auch auf die
-technischen Ausdrücke einzelner Berufe und Tätigkeitsgebiete
-erstreckt, wie des Militärs, des Post- und Eisenbahnwesens, des
-Handels, der Küche, des Spiels, auch einzelner Wissenschaften und
-Künste, wie der Grammatik, der Mathematik, der Baukunst, der Musik,
-des Tanzes. Was aber vorgeschlagen worden ist, hat selten Beifall
-gefunden. Schlimm und verdächtig ist es immer schon, wenn einfache
-Fremdwörter durch Wortzusammensetzungen verdeutscht werden sollen:
-einige Beispiele solcher Art sind schon früher angeführt worden
-(S. 363). Gewöhnlich sind das gar keine Übersetzungen, sondern
-Umschreibungen oder Begriffserklärungen. So hat man +Redakteur+ und
-+Redaktion+ durch +Schriftleiter+ und +Schriftleitung+ „übersetzt“,
-und einzelne Zeitungen und Zeitschriften haben das angenommen (dann
-auch +Geschäftsstelle+ für +Expedition+). Diese Verdeutschungen geben
-nicht entfernt den Begriff des Fremdworts wieder. Unter +Schrift+
-kann dreierlei verstanden werden: die Handschrift, ein Schriftstück
-und die Lettern der Druckerei. An die erste und die dritte Bedeutung
-ist hier natürlich nicht zu denken, nur die zweite kann gemeint sein.
-Aufgabe eines Redakteurs ist es, die eingegangnen Schriftstücke auf
-ihren Inhalt zu prüfen, sie in anständiges Deutsch zu bringen, eine
-sorgfältige Druckkorrektur zu lesen und den Inhalt der einzelnen
-Zeitungsnummern zu bestimmen und anzuordnen. Das alles stellen wir
-uns wohl bei dem Worte +Redakteur+ vor, aber nicht bei dem mühselig
-ausgeklügelten Worte +Schriftleiter+. Die Zeitung selbst wird
-+geleitet+, aber nicht ihre Schriftstücke. Wenn es damals, als es im
-Deutschen noch keine Fremdwörter gab, schon Zeitungen gegeben hätte,
-ich weiß, wie man den Redakteur genannt hätte: +Zeitungmeister+! Im
-Eisenbahnverkehr hat man uns die +Fahrkarte+ und das fürchterliche
-+Abteil+ aufgenötigt (statt +Billett+ und +Coupé+). Das kurze, leichte
-+Billett+ war -- man spreche es nur deutsch aus! -- fast schon zum
-Lehnwort geworden. In Leipzig hieß schon im sechzehnten Jahrhundert
-die Kupfermarke, die sich der Brauerbe auf dem Rathause holen mußte,
-wenn er Bier brauen wollte, +Bollet+. Was für ein langstieliger Ersatz
-dafür sind unsre +Fahrkarten+, +Eintrittskarten+, +Teilnehmerkarten+
-usw.! Und ist etwa +Karte+ ein deutsches Wort? Eine wirkliche
-Übersetzung von +Coupé+ wäre +Fach+ gewesen, das in dem ältern Deutsch
-jede Abteilung eines Raums bedeutete, nicht bloß in einem Schrank
-oder Kasten, sondern auch im Hause (vgl. +Dach und Fach+). Sogar eine
-Straße, die in einen Fahrweg, einen Fußweg und einen Reitweg geteilt
-war, hieß im achtzehnten Jahrhundert eine Straße in +drei Fachen+.
-Das +Abteil+ und die +Fahrkarte+ werden sich schwerlich einbürgern.
-Die Schaffner sind ja dazu verurteilt, die Wörter zu gebrauchen, aber
-das Publikum gebraucht lachend die Fremdwörter weiter. Etwas ganz
-komisches -- wenigstens nach meinem Gefühl -- ist bei der Übersetzung
-der militärischen Fachausdrücke mit untergelaufen: die Wiedergabe von
-+Terrain+ durch +Gelände+. +Gelände+ war früher ein poetisches Wort,
-und zwar ein Wort der höchsten Poesie. Man denke nur an Schillers
-Berglied: da tut sich ein +lachend Gelände+ hervor -- und vor allem
-an Goethes herrlichen Spruch: Gottes ist der Orient, Gottes ist
-der Occident, Nord- und +südliches Gelände+ ruht im Frieden seiner
-Hände. Einem solchen Wort jetzt in den Manöverberichten der Zeitungen
-zu begegnen ist doch gar zu komisch. In der Musik möchte man jetzt
-die Wörter +komponieren+ und +Komposition+ abschaffen, und durch
-+vertonen+ und +Vertonung+ ersetzen. Gräßliche Geschmacklosigkeit!
-Von einem +vertonten+ (+ver+!) Liede kann man doch nur mit Bedauern
-sprechen, denn das könnte doch nur eins sein, das ungeschickt, falsch,
-fehlerhaft komponiert, durch die musikalische Zutat verdorben worden
-wäre (vgl. S. 357). Die Architekten vermeiden jetzt erfreulicherweise
-das überflüssige Fremdwort +Dimension+, nur sollten sie es nicht
-immer durch +Abmessung+ übersetzen, was meist gar keinen Sinn gibt
-(denn Abmessung bedeutet eine Handlung, keine Eigenschaft!), sondern
-einfach durch +Maß+ oder -- es ganz weglassen. Denn ist ein Gebäude
-von +riesigen Abmessungen+ etwas andres als ein +riesiges+ Gebäude?
-Und welcher Schwulst, zu schreiben: der Baumeister ist verpflichtet,
-Irrtümer im Voranschlag in bescheidnen +Abmessungen+ auftreten zu
-lassen! Wenn vollends allgemein angenommene und geläufige alte
-Kunstausdrücke einzelner Wissenschaften „übersetzt“ werden, wie man
-es den Kindern der Volksschule zuliebe in der Grammatik, auch in der
-Arithmetik versucht hat, so ist das Ergebnis meist ganz unerfreulich.
-Wenn man ein Buch oder einen Aufsatz mit solchen Verdeutschungen liest,
-so hat man immer das unbehagliche Gefühl, als ginge man auf einem
-Wege, wo aller zwanzig Schritt ein Loch gegraben und ein paar wacklige
-Bretter darüber gelegt wären.
-
-Am ehesten darf man vielleicht hoffen, daß die Fremdwörter aus der
-Umgangssprache verschwinden werden, denn hier wirkt fast nur die Mode.
-Die Fremdwörter unsrer Umgangssprache stammen zum Teil noch aus dem
-siebzehnten Jahrhundert, andre sind im achtzehnten, noch andre erst in
-der Franzosenzeit zu Anfange des neunzehnten Jahrhunderts eingedrungen.
-Aber sie kommen eins nach dem andern wieder aus der Mode. Viele, die
-vor fünfzig Jahren noch für fein galten, fristen heute nur noch in
-den untersten Volksschichten ein kümmerliches Dasein! man denke an
-+Madame+, +Logis+, +~vis-à-vis~+, +~peu-à-peu~+ (in Leipzig +beeabeeh+
-gesprochen), +retour+, +charmant+, +mechant+, +inkommodieren+, +sich
-revanchieren+ und viele andre. In den Befreiungskriegen gab es nur
-+Blessierte+; wer hat 1870 noch von +Blessierten+ gesprochen? Wer
-+amüsiert+ sich noch? anständige Leute nicht mehr; die haben längst
-wieder angefangen, sich zu +vergnügen+. Auch +existieren+, +passieren+
-(für +geschehen+ oder +begegnen+: es ist ein Unglück +passiert+,
-mir ist etwas Unangenehmes +passiert+), +sich genieren+ sind so
-heruntergekommen, daß man sie anständigerweise kaum noch gebrauchen
-kann. Vor dreißig Jahren gab es noch vereinzelt Schneider+mamsellen+;
-jetzt wird jedes Dienstmädchen in der Markthalle mit +Fräulein+
-angeredet, wofür die Bürgerstochter freilich zum +gnädigen Fräulein+
-aufgerückt ist. Und wo ist das +Parapluie+ geblieben, das doch auch
-einmal fein war, und wie fein!
-
-Leider tauchen nur an Stelle veraltender Fremdwörter immer auch wieder
-neue auf. Wer hat vor dreißig Jahren etwas von +Milieu+ gewußt? Als
-es aufkam, mußten auch gebildete Leute das Wörterbuch aufschlagen,
-um sich zu belehren, was eigentlich damit gemeint sei. Und was war
-es schließlich? Weiter nichts, als was man bis dahin als Hintergrund
-(einer Handlung, einer Erzählung) bezeichnet hatte. Neue Schiffe werden
-jetzt nicht mehr nach einem Muster gebaut, sondern nur noch nach
-einem +Typ+, ebenso auch schon Automobile und Orgeln. Unsre Frauen
-und Mädchen tragen keine Kleider oder Anzüge mehr, sondern nur noch
-+Kostüme+, die es früher nur auf dem Theater oder auf Maskenbällen
-gab. Wagen wurden bisher in eine +Remise+ gestellt; die Automobile
-müssen natürlich etwas besondres haben, sie werden in die +Garage+
-gebracht; aber auch das ist nichts weiter als ein Schuppen. Ein neues
-Eigenschaftswort, das man seit kurzem täglich hört und liest, ist
-+markant+: eine +markante+ Erscheinung, ein +markanter+ Unterschied,
-eine +markante+ Persönlichkeit, die +markanteste+ Linie des Gesichts.
-Eine feine, leicht auf der Zunge zergehende Schokolade heißt im
-Französischen ~chocolat fondant~; ~fondre~ heißt +schmelzen+. Was
-haben die deutschen Fabrikanten daraus gemacht? +Fondantschokolade+!
-Warum denn nicht +Schmelzschokolade+? Wer hat vor dreißig Jahren etwas
-von +chic+ gewußt? Es ist nichts andres als unser +geschickt+, das
-nach Frankreich gegangen und in der Form +chic+ zurückgekehrt ist und
-nun für +fein+, +hübsch+, +nett+ gebraucht wird. Der Plural davon
-wird von unsern Geschäftsleuten +chice+ geschrieben: +chice+ Hüte,
-+chice+ Kleider, +chice+ Schuhe, was man wohl +schicke+ aussprechen
-soll, aber doch nur +schitze+ aussprechen kann (vgl. +Vice+). Zum
-Glück ist es neuerdings schon wieder aus der Mode gekommen. Zu einem
-greulichen Modewort dagegen ist +eventuell+ geworden. Es bedeutet ja:
-+vorkommendenfalls+, ferner +nötigenfalls+ oder +möglichenfalls+, je
-nachdem, dann immer mehr verblassend: +möglicherweise+, +vielleicht+,
-+etwa+, +wohl+ und endlich: gar nichts. Es gibt aber eine Menge
-Leute, die heute kaum noch einen Satz sagen können, worin nicht
-+eventuell+ vorkäme: wir könnens ja +eventuell+ auch so machen --
-ich kann +eventuell+ schon um sieben kommen. Wenn man auf der Straße
-aus der Unterhaltung Vorübergehender zehn Worte aufschnappt, das
-Wort +eventuell+ ist sicher darunter. Aber auch der Musikschreiber
-sagt: etwas mehr Fülle des Tons hätte +eventuell+ den Vortrag noch
-mehr unterstützt; ein Buchhändler schreibt: umstehenden Bestellzettel
-bitten wir +eventuell+ direkt an die Verlagsbuchhandlung gelangen zu
-lassen, und Zeitungen schreiben: ein Mensch, der eine Volksschule und
-+eventuell+ eine höhere Schule besucht hat -- der Kreuzer X erhielt
-Befehl, sich +eventuell+ zur Ausreise (!) bereit zu halten -- die
-Regierung hat alle Maßregeln getroffen, um für einen +eventuellen+
-(!) Streik gerüstet zu sein -- es war Schutzmannschaft aufgestellt,
-um einen +eventuellen+ Tumult zu verhüten -- der Platz soll zur
-+eventuellen+ (!) Bebauung liegen bleiben. Fast überall kann man
-+eventuell+ streichen, und der Sinn bleibt genau derselbe. Eine ganz
-neue Aufgabe erfüllt das Zeitwort +interpretieren+. Aus der Sprache
-der Philologie, wo es immer mehr zurückgegangen ist, ist es in die der
-Musik- und Theaterschreiber eingedrungen. Eine Rolle auf der Bühne
-wird nicht mehr gespielt, ein Musikstück nicht vorgetragen, ein Lied
-nicht gesungen -- es wird alles +interpretiert+: Strauß wird die Lieder
-selbst dirigieren, Frau B. wird +Interpretin+ sein -- der Künstler
-hat durch die +Interpretation+ dieses Liedes einen Beweis seines
-hervorragenden Könnens (!) erbracht(!) usw. An Stelle der +Sensationen+
-sind neuerdings die +Attraktionen+ getreten, das Konzertprogramm
-hat man zwar in +Vortragsordnung+ „übersetzt“, aber in dieser
-„Vortragsordnung“ erscheint nun statt des ehemaligen +Potpourris+
-die +Selektion+, und dafür hat man den guten Theater+zettel+ in
-Theater+programm+ verwandelt, wenigstens in Leipzig, wo die Jungen
-jetzt abends am Theater ausrufen: +Deeaderbroogramm+ gefällig? Kunst-
-und Kunstgewerbemuseen veranstalten jetzt mit Vorliebe +retrospektive+
-Ausstellungen. Wieviele Leute, die in solche Ausstellungen laufen,
-mögen wissen, was +retrospektiv+ heißt? Ein Friedhof hat in
-Sachsen seit einiger Zeit keine Leichenhalle mehr, sondern eine
-+Parentationshalle+! Wieviel Leute, auch gelehrte Leute, mögen wissen,
-was ~parentare~ und ~parentatio~ heißt, wissen, daß das heidnische
-Begriffe sind, die auf unsre Friedhöfe gar nicht passen?
-
-Ganz widerwärtig ist es, wie unsre Sprache neuerdings mit englischen
-Sprachbrocken überschüttet wird. Da wird das kleine Kind +Baby+
-genannt, und die Bedürfnisse für kleine Kinder kauft man im
-+Babybasar+, ja im zoologischen Garten ist sogar ein Elefanten+baby+
-zu sehen! Ein Frauenkleid, das der Schneider gemacht hat, wird als
-~tailor-made~ bezeichnet, eine Schauspielerin oder Sängerin, die
-Aufsehen erregt, wird als +Star+ gefeiert, Buchhändler reden von
-+Standard+-Werken, unsre Schuhe werden aus +Boxcalf+ gemacht (wenn
-nicht noch lieber aus +Chevreau+), an allen Mauern, Wänden und
-Schaufenstern schreit uns das Wort +Sunlight-Seife+ entgegen, das die
-Fabrikanten den deutschen Dienstmädchen zuliebe neuerdings sogar in
-+Sunlicht-Seife+ (!) geändert haben, ein andrer Fabrikant preist seine
-+Safety+-Füllfedern an, und an den Anschlagsäulen heißt es, daß in dem
-oder jenem Tingeltangel ~fife sisters~ oder ~fife brothers~ auftreten
-werden. Und dabei rühmt eine bekannte Fabrik von Teegebäck in Hannover,
-daß ihr Fabrikat +der (!) beste Buttercakes+ sei! Eine deutsche Mutter
-sollte sich schämen, ihr Kind +Baby+ zu nennen. Was würden unsre guten
-Freunde, die Engländer, sagen, wenn ein englischer Fabrikant wagen
-wollte, ~Sonnenlicht Soap~ anzupreisen!
-
-Unsre Kanzleisprache hat sich im Laufe eines Jahrhunderts gewaltig
-gereinigt. Noch 1810 konnte ein deutsches Stadtgericht an das andre
-schreiben: „Ew. Wohlgeboren werden ~in subsidium juris et sub oblatione
-ad reciproca~ ergebenst ersucht, die anliegende ~Edictalcitation~ in
-Sachen des Kaufmanns R. daselbst ~loco consueto affigiren~ zu lassen
-und selbige ~effluxo termino cum documentis aff- et refixionis~
-gegen die Gebühr zu ~remittiren~.“ Heute hat sich, wenigstens unter
-den höhergebildeten Beamten, doch fast allgemein die Einsicht Bahn
-gebrochen, daß das beste und vornehmste Amtsdeutsch das sei, das die
-wenigsten Fremdwörter enthält. Nur der kleine Unterbeamte, der +Folium+
-und +Volumen+, +Repositorium+ und +Repertorium+ nicht unterscheiden
-kann, der eine Empfangsbescheinigung eine +Rezepisse+ nennt und vom
-+Makulatieren+ der Akten redet, weil er einmal von +Makulatur+ gehört
-hat, tut sich noch etwas zugute auf ein ~sub~ oder ~ad~ (das gehört
-+unter+ ~sub A~, sagt er), auf ein ~a. c.~ (~anni currentis~), ein
-~eodem die~, ein ~s. p. r.~ (~sub petito remissonis~), ein ~cf. pg.~
-(~confer paginam~) u. dgl.; er fühlt sich gehoben, wenn er solche
-geheimnisvolle Zeichen in die Akten hineinmalen kann.
-
-Wundern muß man sich, daß die Männer der Wissenschaft, bei denen man
-doch die größte Einsicht voraussetzen sollte, fast alle noch in dem
-Wahne befangen sind, daß sie durch Fremdwörter ihrer Sache Glanz und
-Bedeutung geben könnten. Auf den Universitätskathedern und in der
-fachwissenschaftlichen Literatur, da steht die Fremdwörterei noch in
-voller Blüte. Der deutsche Professor glaubt immer noch, daß er sich
-mit +~editio princeps~+, +~terra incognita~+, +~eo ipso~+, +~bona
-fide~+, +Publikation+, +Argumentation+, +Modifikation+, +Akquisition+,
-+Kontroverse+, +Resultat+, +Analogie+, +intellektuell+, +individuell+,
-+identisch+, +irrelevant+, +adäquat+, +edieren+, +dokumentieren+,
-+polemisieren+, +modifizieren+, +identifizieren+, +verifizieren+
-vornehmer ausdrücke als mit den entsprechenden deutschen Wörtern.
-Er fühlt sich wunderlicherweise auch gehoben (wie der kleine Rats-
-und Gerichtsbeamte), wenn er +lexikalisches Material+ sagt statt
-+Wortschatz+, wenn er von +heterogenen Elementen+, +intensiven
-Impulsen+, +prägnanten Kontrasten+, +approximativen Fixierungen+ oder
-einer +aggressiven Tendenz+, einem +intellektuellen+ oder +moralischen
-Defekt+, einem +Produkt destruktiver Tendenzen+ redet, wenn er eine
-+Idee ventiliert+, statt einen +Gedanken+ zu +erörtern+, wenn er von
-einem +Produkt+ der +Textilkunst+ die +Provenienz konstatiert+, statt
-von einem +Erzeugnis+ der +Weberei+ die +Herkunft nachzuweisen+,
-wenn er schreibt: es kommt fast nie vor, daß gutartige Polypen
-+recidivieren+ (statt: wiederkehren) -- die +Autopsie konstatierte+
-die +Existenz+ eines +sanguinolent tingierten Serums+ im +Perikardium+
-(statt: bei der Öffnung der Leiche zeigte sich, daß der Herzbeutel
-blutig gefärbte Flüssigkeit enthielt).[179] Und der Student macht
-es ihm leider meist gedankenlos nach; die wenigsten haben die
-geistige Überlegenheit, sich darüber zu erheben. In der Sprache aller
-Wissenschaften gibt es ja gewisse Freimaurerhändedrücke, an denen
-sich die Leute von der Zunft erkennen. Wie stolz ist der Student der
-Kunstgeschichte, wenn er zum erstenmale +Cinquecento+ sagen kann! Zwei
-Semester lang tut er, als ob er +sechzehntes Jahrhundert+ gar nicht
-mehr verstünde. Wie stolz ist er, wenn er das Wort +konventionell+
-begriffen hat! Mit der größten Verachtung blickt er auf die gesamte
-Kunst aller Zeiten und Völker herab, denn mit Ausnahme der Kunst der
-letzten drei Jahre ist ja alles -- +konventionell+. Und wenn er dann
-sein Dissertatiönchen baut, wie freut es ihn, wenn er alle die schönen
-vom Katheder aufgeschnappten Wörter und Redensarten darin anbringen
-kann! Man kennt den Rummel, man ist ja selber einmal so kindisch
-gewesen. Dabei begegnet es aber auch sehr gelehrten Herren, daß sie die
-Verneinung von +normal+ frischweg +anormal+ bilden, also das sogenannte
-~Alpha privativum~ des Griechischen vor ein lateinisches Wort leimen,
-statt +anomal+ (griechisch!) oder +abnorm+ (lateinisch!) zu sagen. Was
-ist in der letzten Zeit von +anormalem+ Denken, +anormalem+ Empfinden,
-+anormalen+ Trieben geschwafelt worden! Es begegnet auch sehr gelehrten
-Herren, daß sie von +Prozent+ ein Eigenschaftswort +prozentuell+ bilden
-(als ob ~centum~ „nach der vierten“ ginge, einen ~u~-Stamm hätte wie
-~accentus~!), statt +prozentisch+ zu sagen, daß sie +indifferent+
-schreiben, wo sie +undifferenziert+ meinen u. dgl.
-
-Besonders stolz auf ihre Fremdwörterkenntnis sind gewöhnlich die Herren
-„Pädagogen“, d. h. die Volksschullehrer, die sich nicht mit dem Seminar
-begnügt, sondern nachträglich noch ein paar Semester an den Brüsten
-der ~Alma mater~ gesogen haben. Schon daß sie sich immer +Pädagogen+
-nennen, ist bezeichnend. +Lehrer+ klingt ihnen nicht wichtig genug.
-Daß ein Pädagog etwas ganz andres ist als ein Lehrer, daran denken
-sie gar nicht. Wenn so ein Pädagog einen Vortrag hält oder einen
-Aufsatz schreibt über die Aufgaben oder vielmehr die +Probleme+ (!)
-des Unterrichts in der Klippschule, dann regnet es nur so von +exakt+,
-+theoretisch+, +empirisch+, +empiristisch+, +didaktisch+, +psychisch+,
-+psychologisch+, +ethisch+, +Lustrum+, +Dezennium+, +Koedukation+ usw.
-Aus diesen Kreisen ist dann auch in andre Kreise der Unsinn verpflanzt
-worden, von +Klavier-+ und +Gesangpädagogen+ zu reden. Wieck, der Vater
-der Klara Schumann, der bekanntlich in Leipzig Klavierstunden gab, wird
-stets „der hervorragende Klavierpädagog“ genannt. Vielleicht erleben
-wir auch noch +Geigen-+, +Posaunen-+ und +Fagottpädagogen+.
-
-Weniger zu verwundern ist der Massenverbrauch von Fremdwörtern bei den
-Geschäftsleuten. Sie stecken infolge ihrer Halbbildung am tiefsten in
-dem Wahne, daß ein Fremdwort stets vornehmer sei als das entsprechende
-deutsche Wort. Weil auf sie selbst ein Fremdwort einen so gewaltigen
-Eindruck macht, so meinen sie, es müsse diesen Eindruck auf alle
-Menschen machen. Ein Kapitel, das von Jahr zu Jahr beschämender für
-unser Volk wird, bilden die Warennamen, die, wohl meist von den
-Fabrikanten der Waren oder von ebenso unfähigen Helfern ersonnen, uns
-täglich in Zeitungen und Wochenblättern anschreien. Namentlich auf
-dem Gebiete der Arznei- und Toilettenmittel, aber auch auf andern
-Gebieten, wie dem der Beleuchtungsmittel, der Kraftfahrzeuge, der
-Musikmaschinen, der photographischen Artikel, der „alkoholfreien“
-Getränke usw., wimmelt es davon. Von vernünftigen Sprachgesetzen,
-nach denen sich doch auch solche Namen bilden ließen, ist gar keine
-Rede mehr. Die Zeiten, wo ein Chemiker oder ein Techniker, der einen
-neuen Namen brauchte, einen Philologen zu Rate zog, sind längst
-vorüber. Jeder Fabrikant hält sich heute für berechtigt und befähigt,
-solche Namen zu bilden; er nimmt ein paar -- Stämme oder Wurzeln,
-kann man gar nicht sagen, sondern Stammsplitter oder Wurzelfetzen --
-von irgendwelchen griechischen oder lateinischen Wörtern und leimt
-sie aneinander, klebt auch vielleicht noch eine der aus der Chemie
-bekannten oder sonst beliebten Endungen daran (ol, il, it, in usw.),
-und der Name ist fertig. Man denke nur an Wörter wie +Odol+, +Pektol+,
-+Javol+, +Virisanol+, +Antirheumol+, +Pomeril+, +Frutil+, +Fortisin+,
-+Antinervin+, +Bioferrin+, +Hämoglobin+, +Sanatogen+, +Kantophon+,
-+Solvolith+, +Photonox+, +Humidophor+, +Pianola+, nicht zu reden von
-solchen Albernheiten wie +Velotrab+, +Biomalz+, +Abrador+, +Waschifix+
-u. a.[180] Die Verrücktheit geht so weit, daß man sogar die Namen der
-Orte zu Hilfe nimmt, wo die Waren fabriziert werden, und Namen bildet
-wie +Thürpil+ (Thüringer Pillen!), ja daß man die Anfangsbuchstaben
-des in der Regel ja sehr breitspurigen Namens der Anstalt oder Fabrik,
-aus der die Ware hervorgeht, oder anderer beliebiger Wörter zu einem
-scheinbaren Wort aufreiht, das in Wahrheit nichts als ein bloßer
-Lauthaufe ist, ja daß man sogar aus ganz beliebigen Lauten solche
-Lauthaufen bildet! ~Tet roia aga simi dalli perco aok degea ohno
-pilo agfi wuk afpi tita maggi oxo ciba pebeco densos~ -- klingt das
-nicht wie Sprache der Herero oder der Wahehe? Das alles sind deutsche
-Warennamen! Ein Glück, daß die meisten nur ein kurzes Dasein fristen.
-Sie flackern zu irgendeiner Zeit plötzlich auf, verlöschen aber bald
-wieder wie Lämpchen, denen das nötige Öl fehlt. Leider drängen sich
-aber an die Stelle jedes verschwindenden sofort wieder zwei oder drei
-neue. Man kann nur hoffen, daß der ganze Blödsinn schließlich einmal an
-sich selber zugrunde gehen werde.
-
-Eine Menge Fremdwörter schleppen sich in der Zeitungssprache fort. In
-der Zeit der Befreiungskriege redete man viel von +Monarchen+; bei
-Leipzig erinnert noch der +Monarchenhügel+ daran. Heute dient der
-+Monarch+ nur noch dem Zeitungschreiber zur Abwechselung und als Ersatz
-für das persönliche Fürwort +er+, das er sich von einem gekrönten
-Haupte nicht zu gebrauchen getraut: heute vormittag empfing der
-Kaiser den Prinzen X; bald darauf stattete der +Monarch+ dem Prinzen
-einen Gegenbesuch ab -- der Katarrh des Kaisers ist noch im Zunehmen
-begriffen, doch ist das Befinden des +Monarchen+ befriedigend -- es
-steht jetzt fest, daß die angedeutete Besprechung des Königs nicht
-stattgefunden hat, der +Monarch+ also gar nicht in der Lage gewesen
-ist, sich zu äußern -- der König nahm heute an der Familientafel teil,
-nach der Tafel besuchte der +Monarch+ die Gartenbauausstellung -- der
-König wurde aufs Rathaus geleitet, wo der Bürgermeister den +Monarchen+
-erwartete -- Frl. R. überreichte dem König ein Bukett, wofür der
-+Monarch+ freundlich dankte. Lieblingswörter der Zeitungssprache
-sind: +Individuum+, +Panik+, +Affäre+, +Katastrophe+. Wenn ein Kerl
-einen Mordversuch gemacht hat, heißt er stets ein +Individuum+. Ein
-großer Schrecken in einer Volksmasse oder im Theater wird stets
-als +Panik+ bezeichnet; ob der Zeitungschreiber wohl eine Ahnung
-davon hat, woher das Wort stammt? Einen großen Unglücksfall nennt
-er stets eine +Katastrophe+: da gibt es +Eisenbahn-+, +Schiffs-+
-und +Bootskatastrophen+, +Erdbeben-+ oder +Vulkankatastrophen+,
-+Brandkatastrophen+, +Überschwemmungskatastrophen+,
-+Grubenkatastrophen+, sogar +Unglückskatastrophen+! Er redet auch stets
-von einer +Duellaffäre+, einer +Säbelaffäre+, einer +Messeraffäre+,
-einer +Giftmordaffäre+. Einen gemeinen Betrüger bezeichnet er vornehm
-als +Defraudanten+. Wenn sich einer in einem Hotel erschießt, so gibt
-das stets eine +Detonation+, dann findet man das +Projektil+, das
-+Motiv+ der Tat ist aber gewöhnlich unbekannt. Gerade gegenwärtig
-schwelgen die Zeitungschreiber wieder -- im Leitartikel wie im
-Feuilleton -- ärger denn je in Fremdwörtern. Es ist, als ob es ihnen
-förmlich Spaß machte, die Puristen zu ärgern und ihnen zu zeigen:
-wir scheren uns den Kuckuck um eure Bestrebungen! Der Kohlen+konsum+
-+figuriert+ bei der +Rentabilität+ als +Bagatelle+ -- von solchen
-Sätzen sind die Zeitungen wieder voll. Es war schon einmal besser
-geworden.
-
-Könnte man doch nur den Aberglauben loswerden, daß das Fremdwort
-vornehmer sei als das deutsche Wort, das +momentan+ vornehmer klinge
-als +augenblicklich+, +transpirieren+ vornehmer als +schwitzen+ (der
-Hufschmied bei seiner Arbeit +schwitzt+ bekanntlich, aber der Herr im
-Ballsaal +transpiriert+!), +professioneller Vagabund+ vornehmer als
-+gewerbsmäßiger Landstreicher+, ein +elegant möbliertes Garçonlogis+
-vornehmer als ein +fein ausgestattetes Herrenzimmer+, +konsequent
-ignorieren+ vornehmer als +beharrlich unbeachtet lassen+, daß ein
-+Eleve+ etwas vornehmeres sei als ein +Lehrling+ (Apotheker, Banken
-usw. suchen stets Eleven!), ein +Collier+ etwas vornehmeres als ein
-+Halsband+ oder eine +Halskette+![181] Schon der Umstand, daß wir für
-niedrige, gemeine Dinge so oft zum Fremdwort greifen, sollte uns von
-diesem Aberglauben befreien. Oder wäre +perfid+, +frivol+, +anonymer
-Denunziant+ nicht zehnmal gemeiner als +treulos+, +leichtfertig+,
-+ungenannter Ankläger+? Und stehen +noble Passionen+ nicht tief unter
-+edeln Leidenschaften+? Um etwas niedriges zu bezeichnen, dazu sollte
-uns das Fremdwort gerade gut genug sein.[182]
-
-Aber auch unklar, verschwommen, vieldeutig sind oft die Fremdwörter.
-Was wird nicht alles durch +konstatieren+ ausgedrückt! +Feststellen+,
-+behaupten+, +erklären+, +wahrnehmen+, +beobachten+, +nachweisen+
--- alles legt man in dieses alberne Wort! Da ist wieder etwas
-überraschendes zu +konstatieren+ -- was heißt das anders als: da macht
-man wieder eine überraschende +Wahrnehmung+ oder +Beobachtung+?[183]
-Was soll +intensiv+ nicht alles bedeuten: +groß+, +stark+, +lebhaft+,
-+heftig+, +eifrig+, +kräftig+, +genau+, +scharf+, +straff+! Man nutzt
-die Zeit +intensiv+ aus, lernt ein Volk +intensiv+ kennen, bespricht
-eine Rechenaufgabe +intensiv+ usw. Was soll +direkt+ nicht alles
-bedeuten! Bald +unmittelbar+ (die +direkte+ Umgebung von Leipzig,
-eine Ware wird +direkt+ bezogen, einer ist der +direkte+ Schüler des
-andern, ein Aufsatz wird unter +direkter+ Beteiligung des Kanzlers
-geschrieben), bald +gleich+ (sie gingen +direkt+ von der Arbeit ins
-Wirtshaus), bald +dicht+ oder +nahe+ (der Gasthof liegt +direkt+
-am Bahnhof), bald +gerade+ (die Straße führt +direkt+ nach der
-Ausstellung), bald +geradezu+ (die Verschiedenheit der Darstellung
-wird als +direkt+ störend empfunden -- die Stelle wirkt in dieser
-Fassung +direkt+ erschütternd -- die Dichtung ist in ihrer Art
-+direkt+ klassisch -- die evangelische Kirche ist hier in +direkt+
-falschem Licht dargestellt), bald +genau+ (soll ich denn +direkt+
-um sieben kommen?), bald +wirklich+ (bist du in Berlin gewesen,
-+direkt+ in Berlin?), bald +nur+ (Ihre Bibliothek hat also +direkt+
-wissenschaftliche Werke?). Eine Berlinerin ist imstande, zu ihrem
-ungezognen Bengel zu sagen: was hast du da gemacht? das ist +direkt+
-ein Fettfleck! oder: wirst du +direkt+ folgen? wirst dus +direkt+
-wieder aufheben? Was für ein unklares Wort ist +Konsequenz+! Bald
-soll es +Folge+ heißen (die Konsequenzen tragen), bald +Folgerung+
-(die Konsequenzen ziehen). Was für ein unklares Wort ist +Tendenz+!
-Bald soll es +Bestrebung+ bedeuten, bald +Absicht+, bald +Richtung+,
-bald +Neigung+. Was für ein unklares Wort ist +System+! Man spricht
-von einem +philosophischen System+ und meint eine +Lehre+ oder ein
-+Lehrgebäude+, von einem +Röhrensystem+ und meint ein +Röhrennetz+,
-von einem +Festungssystem+ und meint einen +Festungsgürtel+, von einem
-+Achsensystem+ und meint ein +Achsenkreuz+, von einem +Sternsystem+
-und meint eine +Sterngruppe+, von einem +Verwaltungssystem+ und meint
-die +Grundsätze+ der Verwaltung, von einem Sprengwagen +System Eckert+
-und meint die +Bauweise+, ja man kann nicht ein Hemd auf den Leib
-ziehen, ohne mit einem +System+ in Berührung zu kommen, entweder dem
-+System Prof. ~Dr.~ Jäger+ (!) oder dem +System Lahmann+ oder dem
-+System Kneipp+ -- was mag sich die Verkäuferin im Wolladen unter
-all diesen Systemen denken? Man sagt: hier fehlt es an +System+,
-und meint +Ordnung+ oder +Plan+, man spricht von +systematischem+
-Vorgehen und meint +planmäßiges+. Dazu wird System fort und fort
-verwechselt mit +Prinzip+ und mit +Methode+ (auf derselben Seite
-spricht derselbe Schriftsteller bald von Germanisierungssystem, bald
-von Germanisierungsmethode). Wie kann man den Reichtum des Deutschen
-so gegen die Armut des Fremden vertauschen! Das Erstaunlichste von
-Vieldeutigkeit und infolgedessen völliger Inhaltlosigkeit sind wohl
-die Wörter +Interesse+, +interessant+ und +interessieren+. Vor kurzem
-hat jemand in einer großen Tabelle alle möglichen Übersetzungen dieser
-Wörter zusammengestellt. Da zeigte sich, daß es kaum ein deutsches
-Adjektiv gibt, das nicht durch +interessant+ übersetzt werden könnte!
-Ein so nichtssagendes „Bummelwort“ sollte doch anständigerweise in
-keinem Buche und keinem Aufsatze mehr vorkommen.
-
-Aus der Unklarheit, die durch die Fremdwörter großgezogen wird,
-entspringen dann auch so alberne Verbindungen wie: +vorübergehende
-Passanten+, +dekorativer Schmuck+, +neu renovierter Saal+,
-+Grundprinzip+, +Einzelindividuum+, +Attentatsversuch+, +defensive
-Abwehr+, +numerische Anzahl+, +gemeinsame Solidarität+,
-+charakteristisches Gepräge+ (in der Kunst und Literaturschreiberei
-äußerst beliebt!), +ausschlaggebendes Moment+ u. ähnl. Nicht einmal
-richtig geschrieben werden manche Fremdwörter. Wir Deutschen lassen
-uns keine Gelegenheit entgehen, über den Fremden zu spotten, der
-ein deutsches Wort falsch schreibt. Aber machen wir es denn besser?
-Nicht bloß der kleine Handwerker setzt uns eine +Vetterage+ oder eine
-+Lamperie+ auf die Rechnung statt einer +Vitrage+ oder eines +Lambris+,
-sondern auch der Zeitungschreiber schreibt beharrlich +Plebiscit+,
-+Diaspora+, +Atmosphäre+ (sogar +Athmosphäre+), +Proſelyten+ statt
-+Plebiſcit+, +Diaſpora+, +Atmoſphäre+, +Proselyten+. Wer Griechisch
-versteht, dem kommt doch +Diaspora+ und +Proſelyten+ so vor, wie
-wenn einer +Schnürstiefel+ und +Halſtuch+ schriebe! Auf Leipziger
-Ladenschildern liest man in zehn Fällen kaum einmal richtig +Email+,
-überall steht +Emaille+, ein Wort, das es gar nicht gibt! +Drogue+
-und +Droguerie+ werden sogar amtlich in der „neuen Orthographie“
-+Droge+ und +Drogerie+ geschrieben, als ob sie wie +Loge+ und +Eloge+
-ausgesprochen werden sollten; man ließe sich noch +Drogerei+ gefallen,
-aber -+erie+ ist doch eine französische Endung! Wie lange wird man noch
-+posthum+ mit dem törichten h schreiben! Man kann darauf wetten, daß
-die meisten dabei nicht an ~postumus~, sondern an ~humus~ denken. Ganz
-glücklich sind die Leute, wenn sie in einem Fremdwort ein y anbringen
-können; gewöhnlich tun sies aber gerade an der falschen Stelle, wie in
-+Sphynx+, +Syphon+, +Logogryph+ usw.
-
-Manche Fremdwörter berauschen die Menschen offenbar durch ihren
-Klang, wie +glorreich+ (in Leipziger Festreden +chlorreich+
-gesprochen), +historisch+, +Material+, +Element+, +Moment+, +Faktor+,
-+Charakter+, +Epoche+ und die zahlreichen Wörter auf +ion+.
-+Material+ wird in ganz abscheulicher Weise gebraucht: man redet
-nicht bloß von +Pferdematerial+, sondern auch von +Menschenmaterial+,
-+Kolonistenmaterial+, sogar +Referendarmaterial+! Streicht man das
-+Material+, so bleibt der Sinn derselbe und der Ausdruck verliert zwar
-seine klangvolle Breite, aber auch seinen ganz unnötig geringschätzigen
-Nebensinn. Zu den nichtsnutzigsten Klingklangwörtern gehören +Element+,
-+Moment+ (+das+ Moment!) und +Faktor+, sie werden ganz sinnlos
-mißbraucht. Es sind ja eigentlich lateinische Wörter (~elementum~,
-~momentum~, ~factor~); wenn man aber einen Satz, worin eins von ihnen
-vorkommt, in wirkliches Latein übersetzen wollte, könnte man meist gar
-nichts besseres tun, als die Wörter einfach -- weglassen. Liberale
-+Elemente+, bedenkliche, unzuverlässige, gefährliche +Elemente+ -- das
-ist doch nichts andres als Männer, Menschen, +Leute+. Glücklicherweise
-bildeten die anständigen +Elemente+ die +Majorität+ -- das heißt doch
-nichts weiter als: die anständigen +Leute+ bildeten die +Mehrheit+.
-+Moment+ wie +Faktor+ aber bedeutet in den meisten Fällen weiter
-nichts als ~res~, ~aliquid~, und auch mit +Element+ ist es oft nicht
-anders. Da will einer sagen: trotz aller Erfahrungen im Seekrieg ist
-der Torpedo noch immer +etwas neues+. Das drückt er so aus: trotz aller
-Erfahrungen im Seekrieg ist der Torpedo noch immer ein +neues Element+
-oder ein +neues Moment+ oder ein +neuer Faktor+ -- nun klingt es!
-Hier sind +drei Momente+ zu berücksichtigen, oder hier wirken +drei
-Faktoren+ zusammen -- bei Lichte besehen ist es weiter nichts als:
-+dreierlei+ (~tria~). Das wichtigste +Moment+ -- es ist schlechterdings
-nichts andres als das +Wichtigste+. Der Stock hat von jeher Freud und
-Leid mit den Menschen geteilt: dies +Moment+ findet in der Glocke
-einen ergreifenden Ausdruck -- wenn diejenigen +Momente+ in den
-Vordergrund gestellt werden, die für die Technik von Wert und Interesse
-sind -- die Feinhörigkeit ist von osteologischen +Momenten+ abhängig
--- die Studentenauffahrt mit ihren bunten, malerischen +Momenten+
-entrollte ein interessantes akademisches (!) Bild -- die gestrige
-Stadtverordnetensitzung bot verschiedne interessante +Momente+ -- bei
-jedem entstehenden Reichtum ist die Arbeit ein mitwirkender +Faktor+ --
-sind nicht +Moment+ und +Faktor+ hier ganz taube, inhaltleere Wörter?
-Bisweilen kann man wohl +Moment+ durch +Umstand+, +Tatsache+, +Zug+,
-+Seite+ wiedergeben, ebenso +Faktor+ bisweilen durch +Macht+, +Kraft+,
-+Mittel+, aber in den meisten Fällen ist es nichts als: +etwas+; ein
-+beunruhigendes Moment+, ein +differenzierendes Moment+ -- es sind
-doch nur gespreizte wichtigtuerische Umschreibungen von +Beunruhigung+
-und +Unterschied+.[184] Nicht viel anders ist es mit +Charakter+.
-Diese Festlichkeiten haben deshalb einen wertvollen und interessanten
-+Charakter+ -- was bedeutet das anders als: sie sind deshalb wertvoll?
-Die Raumbildung ist der wesentlichste +Faktor+, der dem Architekten
-zur Verfügung steht. Daneben ist ein zweiter, sehr wichtiger
-+Faktor+, um (!) einem Raum +individuellen Charakter+ zu geben, die
-Art seiner Beleuchtung. Das dritte +Charakterisierungsmoment+, das
-dem Architekten zur Verfügung steht, ist die Farbengebung. In solch
-albernem Schwulst wird jetzt der einfache Gedanke ausgedrückt: der
-Architekt wirkt durch drei Mittel: Raum, Licht und Farbe! +Historisch+
-(d. h. +geschichtlich+ oder +geschichtswissenschaftlich+) wird
-jetzt unsinnigerweise für +alt+ oder +altertümlich+ gebraucht.
-Man gibt Konzerte mit +historischen+ Blasinstrumenten (zu dumm!),
-schießt auf der Schützenwiese mit +historischen+ Armbrüsten, bildet
-Fanfarenbläser in +historischer+ Tracht ab, schwärmt von der +alten,
-historischen+ Markgrafenstadt Meißen und preist die +althistorischen+
-Sehenswürdigkeiten von Augsburg an. Ganz arg ist auch der Mißbrauch,
-der mit +Epoche+ getrieben wird, namentlich in den Schriften neuerer
-Geschichtschreiber. +Epoche+ (ἐποχή) bedeutet Haltepunkt, in der
-Geschichte ein Ereignis, das einen wichtigen Wendepunkt gebildet hat.
-So brauchen noch unsre Klassiker bisweilen das Wort. Schiller nennt
-noch ganz richtig die Geburt Christi eine +Epoche+, das Ereignis
-selbst, nicht etwa die Zeit des Ereignisses! Die +Epoche+ der
-Weltliteratur ist an der +Zeit+ -- sagte Goethe zu Eckermann. Daher
-stammt ja auch die Verbindung +epochemachend+, d. h. einen Wendepunkt
-bezeichnend. Das Wort ist dann auf die Zeit selbst übertragen worden
--- worin allerdings schon der alte Goethe erkleckliches geleistet hat
---, und heute bezeichnet man jeden beliebigen Zeitabschnitt, klein
-oder groß, wichtig oder unwichtig, als +Epoche+. Für Zeit kennen
-unsre Geschichtschreiber gar kein andres Wort mehr, sie verwechseln
-es auch fortwährend mit +Periode+,[185] reden sogar von +Zeitepoche+,
-unaufhörlich pochpochpocht es durch ihre Darstellungen! Aber auch die
-Jahre, in denen ein tüchtiger Rektor eine Schule geleitet hat, werden
-schon eine der inhaltreichsten +Epochen+ der Schule genannt! Auch
-+Generation+ hats den Leuten angetan, obwohl es zu den zahlreichen
-unklaren Fremdwörtern gehört, denn es bedeutet ja +Geschlecht+ und auch
-+Menschenalter+; man kann zuweilen geradezu lesen von der +Generation+,
-die vor drei +Generationen+ gelebt hat! Aber es klingt, und das ist
-die Hauptsache. Wenn sich bei einer großen Festtafel nach dem zweiten
-Gange, wo der Wein schon zu wirken anfängt, einer erhebt, und nachdem
-er einigemal mit +glorreiche Epoche+, +Moment+, +Faktor+, +zielbewußt+,
-+unentwegt+ um sich geworfen hat, schließlich, ehe er „in diesem
-Sinne“ sein Glas leert, noch einmal donnert: von +Generatiooon+ zu
-+Generatiooon+! so muß ja alles auf dem Kopfe stehen vor Entzücken.
-+Von Geschlecht zu Geschlecht+ -- damit tut man keine Wirkung.
-
-Im Grunde ist die Fremdwörterfrage eine Frage der Bildung und des
-guten Geschmacks. Man könnte mit Rücksicht auf den Gebrauch unnötiger
-Fremdwörter die Deutschen in drei Bildungsklassen einteilen: die
-unterste Klasse gebraucht die Fremdwörter falsch, die mittlere
-gebraucht sie richtig, die oberste gebraucht sie -- gar nicht. Daneben
-gibts natürlich Misch- und Zwischenklassen, aber die Hauptklassen sind
-doch diese drei.
-
-Der gewöhnliche Mann aus dem Volke weiß in den meisten Fällen gar
-nicht, daß er Fremdwörter gebraucht. Woher sollte ers auch wissen? In
-eine fremde Sprache hat er nie hineingeblickt, über seinen Wortschatz
-macht er sich keine Gedanken, entweder versteht er ein Wort, oder er
-versteht es nicht -- die Fremdwörter versteht er meist nicht; ob die
-Wörter, die er gebraucht, deutsch sind oder einer fremden Sprache
-angehören, vermag er nicht zu beurteilen. In Leipzig ist z. B. dem
-kleinen Handwerker und Krämer, dem untern Beamten, dem Kutscher, dem
-Packträger, dem Kellner das Wort +zurück+ fast unbekannt. Wenns ers
-gedruckt liest, versteht ers wohl, aber seinem Wortschatze gehört
-es nicht an, er kennt nur das Wort +reduhr+ (+retour+), das ist für
-ihn deutsch! Er sagt: ich kriege zehn Fennche +reduhr+ -- schiebe
-mal de Karre +reduhr+ -- um zehne fahrmer +reduhr+ -- Müller is in
-seinem Jeschäfte +redur+jekommen (denn auch in Leipzig wird jetzt
-vielfach +jesehen+, +jekommen+ gesagt). So gibt es noch eine Menge von
-Fremdwörtern aus dem täglichen Leben, die er ganz richtig gebraucht,
-die aber eben für ihn so gut wie deutsche Wörter sind, wie +Gongerrenz+
-(Konkurrenz), +degerieren+ (dekorieren), +mummendahn+, +orchinell+
-u. a. Die meisten aber gebraucht er falsch oder halbfalsch: entweder
-er verdirbt oder verstümmelt ihre Form, oder er wendet sie in
-falscher Bedeutung an, oder er verwechselt zwei miteinander: er sagt
-+absorbieren+, wo er +absolvieren+ meint (meine Tochter hat die höhere
-Töchterschule +absorbiert+), er fordert +Reduzierung+ der Arbeitslöhne
-(statt +Regulierung+) und erbietet sich, wenn er eine Stelle sucht,
-+Primadifferenzen+ vorzulegen, spricht von +rabiater+ Geschwindigkeit
-(statt von +rapider+) und von der Gefahr, die es hat, wenn ein
-Schlaganfall +repartiert+ (statt +repetiert+), verwechselt +luxuriös+
-und +lukrativ+ (wir können nicht so +lukrativ+ bauen wie die reichen
-Leute), versteht +intakt+ als +in Takt+, gebraucht +irritieren+ in dem
-Sinne von +irre machen+, +stören+, leitet +affektiert+ von +Affe+ ab,
-bringt überall ein bißchen „französische“ Aussprache an: +Orschester+,
-+Sanktimeter+, +Parangthese+, +Deelephong+, +Biweh+ (Büfett!), +Serwih+
-(Service), +Dabbeldooh+ und prophezeit von einem neuen Konzertsaal:
-wenn er ene gute +Renässangs+ (Resonanz) kriegt, kriegt er ooch ene
-gute +Augustik+ (Akustik).
-
-Nun die mittlere Klasse. Das sind die, die sich so viel Kenntnis
-fremder Sprachen angeeignet haben, daß sie von einer großen Anzahl
-von Fremdwörtern die Ableitung, die eigentliche Bedeutung kennen,
-auf diese Wissenschaft (wenn sie sich mit den unter ihnen stehenden
-vergleichen, die +Gratifikation+ und +Gravitation+ verwechseln) sehr
-stolz sind und ihre hohe Bildung nun durch möglichst häufigen Gebrauch
-von Fremdwörtern an den Tag zu legen suchen. Das ist die gefährliche
-Klasse. Sie werfen sich in die Brust und meinen, sie hätten wunder
-was gesagt, wenn sie von +lokalem Konsum+ reden, statt von +örtlichem
-Verbrauch+.
-
-Über dieser aber gibt es noch eine dritte Klasse. Es ist ein Zeichen
-höchster und vornehmster Bildung, wenn man durch die Erlernung fremder
-Sprachen zugleich seine Muttersprache so hat beherrschen lernen, daß
-man die fremden Flicken und Lappen entbehren, daß man wirklich deutsch
-reden kann.
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-Alphabetisches Wortregister
-
-
- ab statt von 432
-
- abdecken 359
-
- abend und abends 261
-
- Abmessung 435
-
- abpflastern 359
-
- abschlägig und abschläglich 83
-
- abstürzen 374
-
- Abteil 434
-
- abzüglich 421
-
- Achtung für oder vor 349
-
- adlig und adlich 81
-
- Affäre 444
-
- Afrikareisender 193
-
- Aktiengesellschaft 199
-
- alle 31
-
- alle oder aller vier Wochen 259
-
- allmählich 81
-
- Alltag 362
-
- alpine Flora 185
-
- als beim Komparativ 268
-
- als ob, als wenn 157
-
- altbacken 59
-
- Altheidelberg, Altweimar 191
-
- Altmeister 190
-
- Altmeißner Porzellan 191
-
- anbelangen, anbetreffen 407
-
- anders 47
-
- anderthalb 49
-
- andersartig 409
-
- andres, ein 48
-
- Anfang und Anfangs 261
-
- angängig 373
-
- angehen 239
-
- Angehöriger 34
-
- Angel 19
-
- Anhaltspunkt 73
-
- anklagen, beklagen, verklagen 358
-
- Anlage und Anlegung 344
-
- anläßlich 420
-
- anliefern 359
-
- anormal 441
-
- anscheinend 341
-
- anschneiden, eine Frage 375
-
- anschließen, sich 341
-
- Anteilnahme 408
-
- antideutsch 88
-
- antwortlich 419
-
- Anwaltstag 76
-
- Anzahl 96
-
- Apfelwein 74
-
- Apostel 19
-
- Arbeitgeber 80
-
- Arbeitnehmer 362
-
- Arm 16
-
- Armesünderglocke 206
-
- Aschenbecher 70
-
- Ärztetag 70
-
- Ärztin 68
-
- Attentäter 67
-
- auf Festung, auf Jagd 275
-
- aufliefern 359
-
- Aufregung und Aufgeregtheit 345
-
- aufrollen, eine Frage 375
-
- auftraggemäß 387
-
- augenscheinlich 341
-
- Aurikel 19
-
- ausbezahlen 407
-
- Ausfuhr u. Ausführung 344
-
- Ausgabe, erste seltene 301
-
- ausgehen 355
-
- ausgeschlossen 391
-
- Auskunftei Schimmelpfeng 203
-
- auslösen 375
-
- Ausreise 363
-
- ausschließlich 420
-
- Ausschmuck 345
-
- ausschalten 375
-
- Autograph 18
-
-
- Baby 438
-
- Bachkantate 195
-
- baden 56
-
- Bad-Kissingen 218
-
- baldgefälligst 43
-
- Bande, Bände, Bänder 20
-
- Beamter 33
-
- Beamtin 69
-
- bedanken 243
-
- bedeuten statt sein 376
-
- bedeutsam 369
-
- bedingen 398
-
- beföhle 63
-
- Begleiterscheinung 363
-
- begönne 63
-
- begründen und gründen 358
-
- begrüßen 376
-
- behufs 418
-
- bei statt von 351
-
- beide 37
-
- beiderlei Geschlechts 290
-
- beiläufig 431
-
- bekannt als, berühmt als 214
-
- bekannt geben 376
-
- beklagen, anklagen, verklagen 358
-
- Beklagtin 69
-
- belanglos, belangreich 370
-
- beheben 354
-
- belegen sein 354. 358
-
- Beleuchtungskörper 365
-
- belichten 365
-
- benötigen 430
-
- bereits schon 290
-
- Bergmann 4
-
- Bericht erstatten 280
-
- berichten 240
-
- besitzen statt haben 410
-
- besönne 63
-
- besser statt gut 370
-
- bewähren, sich, als 215
-
- bewerten 385
-
- beziffern sich 376
-
- Beziehung, Bezug, Bezugnahme 345
-
- beziehentlich, beziehungsweise 426
-
- Biere 337
-
- bilden statt sein 377
-
- billig 81
-
- bis 257
-
- bislang 386
-
- Bismarckbeleidigung 198
-
- Blatt und Blätter 24
-
- Blättermeldung 361
-
- Blau, das, und das Blaue 35
-
- blumistisch 88
-
- Blüthnerflügel 196
-
- Boden 16
-
- Bogen 16
-
- Boot 16
-
- brauchen oder gebraucht 61
-
- brauchen mit Infinitiv 292
-
- brauchen und gebrauchen 354
-
- bringen, zur Aufführung 416
-
- Brot 16
-
- Buckel 19
-
-
- Café Bauer 201
-
- Charakter 449
-
- chic 437
-
- Cypernwein 192
-
-
- da und dort 386
-
- dabei, dafür, darin 231
-
- dank 247
-
- Darbietung 368
-
- Darlehen 4
-
- darstellen statt sein oder bilden 377
-
- das und was 116
-
- denkbar beim Superlativ 43
-
- Denkmal 20
-
- denn beim Komparativ 268
-
- der der, die die, das das 115
-
- der, die, das als Relativpronomen 112
-
- deren 40
-
- deren und derer 45
-
- derem und dessem 45
-
- derjenige, welcher 235
-
- derselbe 226
-
- derselbige 235
-
- dessen 40
-
- Deutsch, das, und das Deutsche 35
-
- Deutsche, wir, und wir Deutschen 36
-
- Dichter-Komponist 220
-
- Ding 21
-
- direkt 445
-
- Doktor-Ingenieur 220
-
- ~Dr.~, weiblich 277
-
- drängen 53
-
- draußen, drinnen 353
-
- dreimonatig und dreimonatlich 82
-
- dringen 53
-
- Dritte, der, statt der Andre 347
-
- drittehalb 49
-
- Droguerie 447
-
- drüben und hüben 353
-
- dünken 53
-
- durch statt von 351
-
- durch von der Zeit 263
-
- durch und wegen 349
-
- durchwegs 422
-
- Dürerzeichnung 195
-
- dürfen 347
-
- dürfen mit Recht 290
-
-
- Edition Peters 201
-
- Effekt 18
-
- ehe nicht 272
-
- Ehrung 368
-
- eigenartig 370
-
- ein andres 48
-
- Einakter 362
-
- einander gegenseitig 290
-
- eindecken 359
-
- einer nicht statt keiner 270
-
- eines, einem, einen 46
-
- ein Goethe 276
-
- einige 31
-
- einig sein, sich 342
-
- einliefern 339
-
- ein Maler drei, ein Stücker drei 245
-
- einmal statt erstens 342
-
- Einnahmsquelle 78
-
- einschätzen 377
-
- einschließlich 420
-
- einsetzen 378
-
- Einsichtnahme 408
-
- einstellen 380
-
- einundderselbe 46. 226
-
- einwandfrei 370
-
- einwerten 386
-
- einzig 44
-
- Eisenbahner 67
-
- Element 448
-
- Eltern 29
-
- Email 447
-
- empfangen und erhalten 341
-
- empföhle 63
-
- empor 257
-
- entblöden, sich 356
-
- entfallen statt fallen 354. 356
-
- entgegennehmen 380
-
- entleihen 356
-
- entlohnen 354. 356
-
- entnüchtern, ernüchtern 359
-
- Entscheid 345
-
- Epoche 450
-
- erblicken 406
-
- erbringen 354
-
- Erfolg 340
-
- erfolgen 344
-
- erhalten und empfangen 341
-
- erhältlich 364
-
- erheben, sich 341
-
- erheblich 371
-
- erholen, sich, Rats 241
-
- erhoffen 354
-
- erinnern, auf etwas 431
-
- erlauben 355
-
- Erleben, das 397
-
- eröffnen 355
-
- Erscheinung, in die, treten 383
-
- erschrecken 51
-
- Erstaufführung 188
-
- Erstausgabe, Erstdruck 188
-
- erstbeste 43
-
- erste Künstler 245
-
- erstellen 355
-
- ersterer 223
-
- erstklassig 364
-
- erstmalig 407
-
- erstmals 386
-
- erübrigen statt übrig bleiben 380
-
- erübrigen, sich, statt überflüssig sein 380
-
- Erwerb und Erwerbung 345
-
- erzielen 381
-
- essen 62
-
- Essen-Ruhr 200
-
- ~et~, & 267
-
- Etikett, das 23
-
- etwas andres 48
-
- etwas nicht statt nichts 270
-
- euer und eurer 44
-
- Eure Majestät 45
-
- eventuell 437
-
- existieren 436
-
- Exlibris 203
-
-
- Fabriksmädchen 78
-
- Façon, das 23
-
- fahren und führen 56. 166
-
- Fahrkarte 434
-
- Fahrrichtung 74
-
- Faktor 449
-
- Falschstück 188
-
- falten 56
-
- Fehlbetrag 363
-
- Fels und Felsen 5
-
- fertigstellen 402
-
- Feste, die 34
-
- festlegen 403
-
- Feuerbestattung 365
-
- finden, sich 432
-
- Firma, das 23
-
- folgender 27
-
- forstlich 185
-
- fort 404
-
- fragen 54
-
- Frauenkirche 70
-
- Frau und Kinder 276
-
- Fräulein, das oder die 276
-
- Fräulein Braut, Tochter 277
-
- Freisinn 362
-
- Fremder 33
-
- Fremdsprache 188
-
- fremdsprachig und fremdsprachlich 81
-
- Friede 5
-
- Frischluft 189
-
- froh in Zusammensetzungen (arbeitsfroh) 371
-
- Fühlen, das 396
-
- führende Geister 381
-
- fünfzig und funfzig 49
-
- fünfzigjähriger Geburtstag 246
-
- Funke 5
-
- für und über 349
-
- für und zu 349
-
- Fürst 4
-
- fußfrei 210
-
-
- Ganzes oder Ganze 25. 33
-
- Garage 436
-
- Garne 337
-
- Gartenlaubekalender 70
-
- Gastwirtstag, Gastwirtsverein 76
-
- Gau 4
-
- geartet 409
-
- geboren werden, geboren sein 108
-
- gebrauchen und brauchen 354
-
- Geburtstag 16. 246
-
- Gedanke 5
-
- gedienter Soldat 166
-
- Gefalle 5
-
- gefeiert als 214
-
- Gefertigte, der 430
-
- Gefolge, im -- haben 381
-
- Gehalte und Gehälter 20. 22
-
- Geistlicher 33
-
- gelagerter Fall 408
-
- Gelände 435
-
- gelangen, zur Aufführung 416
-
- gelegentlich 420
-
- Gelehrter 33
-
- gelernter Kellner 166
-
- gemäß 248
-
- Gemäßheit, in 420
-
- General 17
-
- Generation 450
-
- Gepflogenheit 362
-
- Gesangpädagog 442
-
- geschaffen, geschafft 52
-
- Geschäft 21
-
- geschleift, geschliffen 52
-
- Geschmack 22
-
- geschweige denn 273
-
- gesessen sein, gesessen haben 59
-
- Gesichte und Gesichter 20
-
- Gesichtspunkt 393
-
- gesinnt, gesonnen 52
-
- gestanden sein, gestanden haben 59. 168
-
- gestatten 381
-
- getragen 382
-
- Gewand 20
-
- Gewerk und Gewerke 4
-
- Gewinn 21
-
- Gewölbe 21
-
- gewönne 63
-
- glasieren 88
-
- glatt 371
-
- Glaube 5
-
- gleiche, der 226
-
- Goethebiographie, Goethedenkmal 194
-
- gölte 63
-
- Griffelkunst 363
-
- Großfeuer 189
-
- großzügig 371
-
- größtmöglichst 43
-
- Grund und Boden 46
-
- gründen und begründen 358
-
-
- Haar, Haare 338
-
- Hader 19
-
- Halle-Saale 200
-
- hangen und hängen 51
-
- Hannoveraner 88
-
- Haufe 5
-
- Haus 390
-
- Hause, nach 351
-
- hausbacken 59
-
- haußen, hinnen 353
-
- Heiliger 33
-
- heißen 239
-
- heißen oder geheißen 60
-
- -heit, Wörter auf 345
-
- Heizkörper 365
-
- Held 4
-
- helfen oder geholfen 61
-
- her und hin 352
-
- herab, heran, herunter 353
-
- Herabminderung 408
-
- herauf und hinauf, herein und hinein 352
-
- herausbilden 407
-
- Herbstzeitlose 34
-
- Herr 14
-
- Herrenmoden 390
-
- Herzog 17
-
- Hilferuf, Hilfeleistung 80
-
- Hilfslehrer, Hilfsprediger 80
-
- hin und her 352
-
- hinab, hinan, hinunter 353
-
- hinauf 257
-
- Hingabe und Hingebung 343
-
- Hirt 4
-
- historisch 450
-
- historisch-kritisch 267
-
- hocherfreut und hoch erfreut 169
-
- hochfein, hochmodern 386
-
- hochgradig 372
-
- hoch kommen 257
-
- hochleben 170
-
- Höchstgehalt, Höchstmaß 188
-
- hochverehrtest 42
-
- hoffen und wünschen, verwechselt 296
-
- Holbeinbildnis 197
-
- Holländer Austern 178
-
- hören oder gehört 60
-
- Hose, Hosen 338
-
- hüben und drüben 353
-
- hülfe 63
-
- Hummer 19
-
- hundertunderste 49
-
-
- im Begriff 252
-
- im Wege 350
-
- in 1870 258
-
- in statt auf oder gegen 350
-
- indes, indessen 387
-
- in Ergänzung, Fortsetzung, Veranlassung 172
-
- inhaltlich 420
-
- Inneres oder Innere 33
-
- insofern als 133
-
- insofern, daß 296
-
- instandsetzen 252
-
- intensiv 445
-
- interessant 447
-
- interpretieren 438
-
- -ismus, Wörter auf 12
-
-
- ja, das beteuernde und das steigernde 323
-
- ja ja 323
-
- jagen 59
-
- Jaquet 19
-
- jeder 26
-
- jemand 47
-
- jemand anders 47
-
- jener 237
-
- Jetztzeit 362
-
- Jubiläum 246
-
- jugendlich statt jung 372
-
- Jungens 23
-
- Jünger 33
-
- Jungwilhelmdenkmal 191
-
-
- Kaiserhoch 197
-
- Kajütsbureau 78
-
- kännte und kennte 63
-
- Kapital, Kapitäl 17
-
- Kasten 16
-
- Katastrophe 444
-
- kein 31. 270
-
- kennen lernen oder gelernt 61
-
- Kenntnis, zur, kommen 283
-
- Kenntnis nehmen 279
-
- kennzeichnen 340
-
- Kiefer 19
-
- Klage führen 281
-
- klarlegen, klarstellen 402
-
- klar sein, sich 342
-
- kleiden 240
-
- Klein, das 35
-
- Kloß 21
-
- kneipen 52
-
- Kohlezeichnung 71
-
- Kolleggeld 76
-
- Kollegienhefte 76
-
- Kollegs 23
-
- kommen, zur Aufführung 416
-
- Königsbüste 198
-
- Können, das 396
-
- konstatieren 445
-
- Kork 19
-
- Korset 19
-
- kosten 239
-
- Kostüm 436
-
- Kragen 16
-
- kriegführend 80
-
- kulturell 185
-
- Kunde 69
-
- Künstler 68
-
-
- laden 53
-
- Lage 293
-
- Lageplan 71
-
- Lager 16
-
- Lande und Länder 20
-
- landen 381
-
- lang, drei Monate 262
-
- längeren, des 407
-
- lassen 238
-
- lassen oder gelassen 60
-
- lateinlos 365
-
- lauten 56
-
- leerstellen 403
-
- Lehen 4
-
- lehren 239
-
- Lehrperson 362
-
- Leipzig-Elbe-Kanal 192
-
- leisten, Folge, Verzicht 406
-
- letzterer 223
-
- Lichte und Lichter 20
-
- liebedienerisch 80
-
- Liebesdienst 77
-
- Liebfrauenmilch 72. 206
-
- Linke, die 34
-
- links 248
-
- Lohn 22
-
- lohnen, der Mühe 241
-
- Lokomotivführer 72
-
- löschen 51
-
-
- Mädels 23
-
- Magen 16
-
- Maler-Dichter 220
-
- man 46
-
- Mann 4
-
- manche 31
-
- mangels 418
-
- Mansardedach 71
-
- markant 437
-
- Maß 21
-
- maschinell 185
-
- Material 448
-
- mehrere 32
-
- mehrere und mehr 41
-
- mein, dein, sein 32
-
- Menge 96
-
- Mietshaus, Mietspreis, Mietsvertrag 74. 78
-
- Milieu 436
-
- minderwertig 373
-
- Mindestpreis 188
-
- mißbrauchen, mißfallen, mißhandeln 58
-
- Mittwoch 261
-
- Möbel 19
-
- mögen für können 346
-
- möglichst und womöglich 43
-
- Moment 448
-
- Monarch 443
-
- monatlich 82
-
- Motor 18
-
- Muff 19
-
-
- nachahmen 239
-
- nachdem 131
-
- nach dort, nach hier 256
-
- nach Hause, zu Hause 351
-
- nach meines Erachtens 247
-
- nach oben 256
-
- Nachrichten, Neueste Leipziger 300
-
- nahe 249
-
- näheren, des 407
-
- nahezu 387
-
- Name 5
-
- namens 418
-
- Namensverzeichnis 75
-
- naturgemäß 387
-
- Naturwissenschaftler 68
-
- Neigung und Geneigtheit 345
-
- nein nein 323
-
- Neuauflage, Neuerscheinung 188
-
- neubacken 59
-
- neuerdings 431
-
- Neuheit und Neuigkeit 340
-
- Neusprachler 68
-
- neusprachlich 81
-
- nicht ohne 273
-
- nichts 270
-
- nicht un -- 272
-
- Niederlagsraum 78
-
- Niederlande, Königin Wilhelmine der 303
-
- niemand 47
-
- nördlich 248
-
- notleiden 170
-
- Note, intime 368
-
-
- oben gehen 257
-
- obzwar 133
-
- oder 98
-
- offenstellen 403
-
- öffnen und eröffnen 355
-
- offensichtlich 373
-
- Offert, das 23
-
- Offizierskasino 75
-
- öfters 422
-
- Ohren, zu, kommen 283
-
- Orte und Örter 22
-
- Ortsverzeichnis 75
-
-
- Pädagog 441
-
- Pantoffel 19
-
- Papierverein 199
-
- Paragraph 18
-
- Parteinahme 408
-
- passieren 436
-
- Pate 69
-
- Perser Teppiche 178
-
- Pfennig, Pfennige 24
-
- Porto, Porti 24
-
- posthum 447
-
- Preise, kleine 339
-
- Preislage 390
-
- Presseball, Pressefest 72
-
- Prinz 4
-
- Prinzensöhne 220
-
- prinzlich 185
-
- Prinzregent 220
-
- prozentual 441
-
- Prozentsatz 368
-
-
- radebrechen 53
-
- Rassepferd 70
-
- Rechenstunde 77
-
- Rechnung tragen 381
-
- Rechte, die 34
-
- rechts 248
-
- Redakteur 433
-
- reichlich 388
-
- Reihe 96
-
- reisen 59
-
- religiös-sittlich 267
-
- Rest 21
-
- retour 451
-
- retrospektiv 438
-
- richtig stellen 402
-
- Richtung, in der 421
-
- Rindsleder 79
-
- Rittersmann 77
-
- Rohr 16
-
- rönne 63
-
- rückenfrei 210
-
- Rückerinnerung 291. 408
-
- Rücksichtnahme 408
-
- Rückwirkung, Rückschluß 368
-
- rund 387
-
-
- Saalezeitung 72
-
- Same 5
-
- sämtliche 31
-
- Sand 338
-
- Sauregurkenzeit 206
-
- Schade und schade 5
-
- schaffen 52
-
- scheinbar 341
-
- Scheit 22
-
- Schilde und Schilder 21
-
- Schillerfeind 198
-
- schleifen 52
-
- Schlüssel 19
-
- schmelzen 51
-
- schneidig 373
-
- schölte 63
-
- Schönen, die 34
-
- Schreibepapier 77
-
- schreiten 382
-
- Schriftleiter 433
-
- schrittweise 207
-
- Schule, zur 351
-
- schulisch 184
-
- schwerwiegend 41
-
- schwömme 63
-
- segensreich 77
-
- sehen oder gesehen 60
-
- Seiner Majestät Schiff 40
-
- sein lassen 215
-
- seitens 422
-
- -seitig, -seits 424
-
- selber, selbst 245
-
- selbstlos 373
-
- selbstredend, selbstverständlich 391
-
- selten 388
-
- Shakespearedramen 195
-
- Silberhochzeit 186
-
- singen hören oder gehört 60
-
- sinnen 52
-
- solcher 27
-
- Solebad 72
-
- sollen für müssen 346
-
- Solo, Soli 24
-
- sonst 233
-
- sowie 98
-
- sowohl als auch 98
-
- so zwar 267
-
- spalten 56
-
- Speisekarte 73
-
- speisen 62
-
- Spielmann 4
-
- spönne 63
-
- Standpunkt 395
-
- stände, stünde 62
-
- stattfinden 344
-
- stattgefunden und stattgehabt 167
-
- stecken 52
-
- Stellung nehmen 279
-
- Stellungnahme 408
-
- Steuer 19
-
- Stiefel 19
-
- Straftat 363
-
- Straßenbahner 67
-
- Strauß 21
-
- stückweise 207
-
- studierter Mann 166
-
- stürbe 63
-
- Stutz 19
-
- südlich 248
-
- Sunlightseife 439
-
- System 446
-
-
- Tabaksmonopol 79
-
- tagein, tagaus 365
-
- Tale und Täler 20
-
- Taler 24
-
- teils -- teils 98
-
- teilweise 207
-
- Tendenz 446
-
- tiefgefühltest 42
-
- tiefgehend 41
-
- tiefgründig 373
-
- Tintenfaß 70
-
- Titel 19
-
- todsicher 392
-
- Toiletteseife 70
-
- Ton 338
-
- Ton für Wort 392
-
- tragen 382
-
- treffsicher 364
-
- treten 383
-
- trotzdem und trotzdem daß 133
-
- Trümmer 19
-
- Tucher Bier 192
-
- tunlich 373
-
- Typ 436
-
-
- überfahren 57
-
- überführen 56
-
- überlegen 57
-
- Übersee 362
-
- übersetzen 57
-
- übersiedeln 58
-
- uferlos 373
-
- um zu 161. 296
-
- und, fehlendes 265
-
- unentwegt 388
-
- unerfindlich 373
-
- unerheblich 371
-
- unerwartet 248
-
- unförmig und unförmlich 83
-
- ungeachtet 248
-
- ungefähr 209
-
- ungezählt statt unzählig 374
-
- Universität Leipzig 201
-
- unschwer, nicht unschwer 273
-
- unser und unsrer 44
-
- unsre Gegenwart 290
-
- Unstimmigkeit 369
-
- untadlig 81
-
- unterbreiten 57
-
- Unterfertigte, der 431
-
- unterhalten 57
-
- unterrichtlich 184
-
- unterschlagen 57
-
- Untertan 33
-
- unverhohlen 54
-
- unweit 249
-
- unwidersprochen 243
-
- unzählig 81
-
- Urlaub 355
-
-
- vaterlandsliebend 80
-
- veranschlagen 406
-
- verausgaben 406
-
- verdenken 241
-
- verderben 51
-
- Verdienst 22
-
- verdürbe 63
-
- Verein Berliner Künstler 39
-
- vereinnahmen 406
-
- Verfehlung 369
-
- Verfügung, zur, stehen und stellen 281
-
- vergessen, auf etwas 431
-
- Verkauf und Verkaufung 344
-
- verkehren 60
-
- verläßlich statt zuverlässig 374
-
- verlautbaren u. verlauten 341
-
- verlegen statt legen 354
-
- vermeinen 357
-
- vermittelst 418
-
- vernunftgemäß 387
-
- verraten, sich, als 215
-
- verschreiten 382
-
- verschroben 54
-
- versichern 240
-
- verständigen 430
-
- Verstehen, das 397
-
- vertonen 435
-
- vertrauen 383
-
- Verwandter 33
-
- Verwandtin 69
-
- Verzichtleistung 408
-
- verziehen 357
-
- viele 32
-
- vielmehr 388
-
- vierwöchig und vierwöchentlich 82
-
- Villa-Daheim 218
-
- Visitekarte 70
-
- volklich, völkisch 184
-
- voll und ganz 388
-
- vollends 273
-
- voller 244
-
- Vollziehung und Vollzug 345
-
- von -- ab, von -- an 349
-
- von Ende oder vom Ende 264
-
- von Hause, von zuhause 264
-
- vorab 389
-
- voran und vorwärts 341
-
- vorbestrafen 383
-
- vorhanden 209
-
- vorhinein, im 431
-
- Vorjahr 362
-
- Vormärz 362
-
- vornehm statt Haupt- 374
-
- vornehmlich 389
-
- Vorredner 362
-
- vorsehen 384
-
-
- Wagen 163
-
- wägen 51
-
- Wagnerverehrer 198
-
- während 14. 261
-
- weder -- noch 98
-
- weg 404
-
- Wege, im 350
-
- Wege, in die -- leiten 384
-
- wegen und durch 349
-
- Weimaraner 88
-
- Wein 337
-
- weise 207
-
- Weiser 33
-
- Weiße, die 49
-
- weitaus 38
-
- weitgehend 413
-
- welcher 27. 112
-
- welch letzterer 123
-
- Werdegang 360
-
- werden lassen 215
-
- werten 385
-
- wie beim Komparativ 268
-
- Wie meinen? 366
-
- wiegen 51
-
- Wild, das 35
-
- Wille 5
-
- willfahren 53
-
- wir Deutschen 36
-
- Wirksamkeit und Wirkung 340
-
- wo, wobei, womit, worin 118
-
- wöchentlich 82
-
- Wolle 337
-
- Wollen, das 397
-
- worden 105
-
- Wort, Worte, Wörter 20
-
- wunschgemäß 387
-
- wünschen und hoffen verwechselt 296
-
- würbe 63
-
- würde statt des Konjunktivs 158
-
- würfe 63
-
-
- Zeichenbuch 76
-
- zeigen, sich, als 215
-
- Zeit, die gute alte 209
-
- zeitigen 386
-
- Zelt 21
-
- Zerstreuung und Zerstreutheit 345
-
- Zettel 18
-
- Ziegel 19
-
- zielbewußt 374
-
- zu und um zu 161
-
- zubilligen 386
-
- zufolge statt nach 351
-
- zufrieden 209
-
- zufriedenstellen 402
-
- zugängig und zugänglich 83
-
- Zugsverbindung 78
-
- zuhause 264
-
- Zuhilfenahme 421
-
- zukommen, auf etwas 386
-
- zumal 342
-
- zumal und zumal da 132
-
- zuzüglich 421
-
- zwangsweise 207
-
- zwar, so 267
-
- zwecks 418
-
- zween, zwo, zwei 49
-
- zwischen 258
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Druck von Carl Marquart in Leipzig
-
-
-
-
-~Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg.~
-
-
-Walther von der Vogelweide
-
-Von
-
-Rudolf Wustmann
-
-Kl. 8°. V, 103 S. 1912. Mit 3 Tafeln.
-
-Geheftet ℳ 2.--, gebunden ℳ 2.40.
-
-+~Vorwort des Verfassers~+:
-
-„~Dies Büchlein zu schreiben hat mich schon lange gedrängt. Walther
-von der Vogelweide verdient in unserer allgemeinen Bildung einen
-besseren Platz, als ihm die meisten deutschen Hoch- und Mittelschulen
-zuteil werden lassen. Sein Charakterbild steht im großen und ganzen
-fest, so vieles auch an seinem Lebensbilde noch undeutlich ist. Daß
-ich nun auch etwas von Walthers Musik mit vorlegen kann, macht mir
-besondere Freude.~“
-
-
-Shakspere
-
-Fünf Vorlesungen aus dem Nachlaß
-
-von
-
-Bernhard ten Brink
-
-Mit dem Medaillonbildnis des Verfassers in Lichtdruck
-
-Dritte durchgesehene Auflage
-
-Klein 8°. VII, 149 S. 1907. ℳ 2.--, gebunden ℳ 2.50.
-
- Inhalt: Erste Vorlesung: Der Dichter und der Mensch. -- Zweite
- Vorlesung: Die Zeitfolge von Shaksperes Werken. -- Dritte Vorlesung:
- Shakspere als Dramatiker. -- Vierte Vorlesung: Shakspere als
- komischer Dichter. -- Fünfte Vorlesung: Shakspere als Tragiker.
-
-
-
-
-~Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg.~
-
-
-Deutsches
-
-Fremdwörterbuch
-
-Von
-
-Hans Schulz
-
-Privatdozent an der Universität Freiburg i. Br.
-
-Erste bis vierte Lieferung: A-Kampagne
-
-Lex. 8°. je 5 Bogen. Subskriptionspreis für die Lieferung ℳ 1.50. Das
-Werk wird etwa 10 Lieferungen von je 5 Bogen Lex. 8° umfassen.
-
-~Das Buch versucht zum ersten Male eine lexikalische Behandlung der
-in unsere Sprache aufgenommenen Fremdwörter nach den Grundsätzen der
-modernen Wortforschung. Der Verfasser hat es sich zur Aufgabe gemacht,
-für jedes Wort die Quelle und die Zeit der Entlehnung zu ermitteln,
-seinen ursprünglichen Geltungsbereich festzustellen und unter Darlegung
-des historischen Belegmaterials seine Entwicklung im deutschen
-Sprachgebrauch zu veranschaulichen. Besonderer Wert wurde darauf
-gelegt, die lebende und allgemein gebräuchliche Sprache zu fassen und
-eingehend zu behandeln.~
-
-„~Das lang ersehnte geschichtliche Fremdwörterbuch tritt endlich in
-Erscheinung, nicht im Zusammenarbeiten mehrerer, nicht als Ertrag
-einer langen Lebensarbeit, sondern dank der Tatkraft, dem mutigen
-Zugreifen eines jugendfrischen Mannes. Schulz will allerdings nicht
-ein Seitenstück zum Deutschen Wörterbuch bieten, seine Arbeit ist
-vielmehr auf ein einbändiges Werk berechnet. Es sollen nur die wirklich
-lebendigen Fremdwörter behandelt werden und nur die, die der allgemein
-gebräuchlichen Sprache angehören; Veraltetes, wie das große Heer der
-technischen Ausdrücke, scheidet also aus. Was Schulz innerhalb dieser
-Grenzen geleistet hat, ist ganz vortrefflich. Auswahl, Anordnung,
-Darstellung sind durchaus zweckentsprechend und geschickt; musterhafte
-Knappheit verbindet sich mit großem Reichtum ... Die Ausstattung des
-Buches ist durchaus erfreulich. Hoffentlich liegt das Ganze recht bald
-vollendet vor uns.~“
-
-_Prof. Dr. O. Behaghel im Literaturblatt für germanische und romanische
-Philologie XXII. Jahrgang 1911, Nr. 1._
-
-
-
-
-~Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg.~
-
-
-Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache
-
-von
-
-Friedrich Kluge
-
-ord. Professor der deutschen Sprache an der Universität Freiburg i. Br.
-
-Siebente verbesserte und vermehrte Auflage
-
-Lex. 8°. XVI, 519 S. 1910. Geheftet ℳ 9.--, in Leinwand geb. ℳ 10.20,
-in Halbfranz geb. ℳ 11.--.
-
-=Kluges Wörterbuch= ist im Jahre 1883 erstmals erschienen; es hat
-also im Jahre 1908 sein 25jähriges Jubiläum feiern können. Der Erfolg
-der bis jetzt erschienenen sieben Auflagen und die Anerkennung,
-welche dem Buche zu Teil geworden, haben gezeigt, wie richtig der
-Gedanke war, die Ergebnisse des anziehendsten und wertvollsten Teiles
-der wissenschaftlichen Wortforschung, den über die Entstehung und
-Geschichte der einzelnen Wörter unseres Sprachschatzes, in knapper
-lexikalischer Darstellung zusammenzufassen.
-
-Der Verfasser hat es sich zur Aufgabe gemacht, Form und Bedeutung
-jedes Wortes bis zu seiner Quelle zu verfolgen, die Beziehungen
-zu den klassischen Sprachen in gleichem Maße betonend wie das
-Verwandtschaftsverhältnis zu den übrigen germanischen und den
-romanischen Sprachen; auch die entfernteren orientalischen,
-sowie die keltischen und die slavischen Sprachen sind in allen
-Fällen herangezogen, wo die Forschung eine sichere Verwandtschaft
-festzustellen vermag.
-
-Die vorliegende neue Auflage, die auf jeder Seite Besserungen und
-Zusätze aufweist, hält an dem früheren Programm des Werkes fest,
-strebt aber wiederum nach einer Vertiefung und Erweiterung der
-wortgeschichtlichen Probleme und ist auch diesmal bemüht, den
-neuesten Fortschritten der etymologischen Wortforschung gebührende
-Rechnung zu tragen. Am besten aber veranschaulichen einige Zahlen die
-Vervollständigung des Werkes seit seinem ersten Erscheinen: die Zahl
-der Stichworte hat sich von der ersten zur siebenten Auflage vermehrt
-im Buchstaben A: von 130 auf 346 (6. Aufl. 280); B: von 378 auf 608 (6.
-Aufl. 520); D: von 137 auf 238 (6. Aufl. 200); E: von 100 auf 202 (6.
-Aufl. 160); F: von 236 auf 454 (6. Aufl. 329). Diese Vermehrung ist in
-gleicher Weise auch bei den übrigen Buchstaben angestrebt worden.
-
-
-
-
-Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg.
-
-
-Wörterbuch-Bibliothek.
-
- =Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache.= Von +Friedrich
- Kluge+, Professor an der Universität Freiburg i. Br. Siebente
- verbesserte und vermehrte Auflage. Lex. 8°. XVI, 519 S. 1910. Geh. ℳ
- 9.--, in Leinw. geb. ℳ 10.20, in Halbfranz geb. ℳ 11.--
-
- =Deutsches Fremdwörterbuch.= Von +Hans Schulz+, Privatdozent an
- der Universität Freiburg i. Br. 1.-4. Lieferung: A-Kampagne.
- Subskriptionspreis für die Lieferung ℳ 1.50. Das Werk wird etwa 10
- Lieferungen von je 5 Bogen Lex. 8°. umfassen.
-
- =Wörterbuch der deutschen Kaufmannssprache.= ~Auf geschichtlichen
- Grundlagen. Mit einer systematischen Einleitung. Von _Alfred
- Schirmer_. Lex. 8°. LI, 218 S. 1911.~
-
- Geh. ℳ 6.50, geb. ℳ 7.50
-
- =Die deutsche Druckersprache.= Von ~Dr.~ +Heinrich Klenz+. 8°. XV,
- 128 S. 1900. Geh. ℳ 2.50, geb. ℳ 3.50
-
- =Schlagwörterbuch.= Von +Otto Ladendorf+. 8°. XXIV, 365 S. 1906. Geh.
- ℳ 6.--, in Leinwand geb. ℳ 7.--
-
- =Pennälersprache.= Entwicklung, Wortschatz und Wörterbuch. Von
- +Rudolf Eilenberger+. 8°. VIII, 68 S. 1910. Geh. ℳ 1.80, in Leinwand
- geb. ℳ 2.30
-
- =Schelten-Wörterbuch.= Die Berufs-, besonders Handwerkerschelten und
- Verwandtes. Von ~Dr.~ +Heinrich Klenz+. 8°. VIII, 159 S. 1910. Geh. ℳ
- 4.--, geb. ℳ 5.--
-
- =Rotwelsch.= +Quellen und Wortschatz der Gaunersprache+ und der
- verwandten Geheimsprachen. Von +Friedrich Kluge+. I. Rotwelsches
- Quellenbuch. Gr. 8°. XVI, 495 S. 1901. ℳ 14.--
-
-
-
-
-~Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg.~
-
-
-Allgemeine
-
-Bücherkunde
-
-zur neueren deutschen Literaturgeschichte
-
-Von
-
-Robert F. Arnold
-
-a. o. Univ.-Prof., Kustos der k. k. Hofbibliothek in Wien.
-
-8°. XIX, 354 S. 1910.
-
-Geheftet ℳ 8.--, in Leinwand geb. ℳ 9.--.
-
-„~Dieses Werk gehört zu den Büchern, die wirklich einmal eine
-vorhandene Lücke ausfüllen und den Bestand unserer Hilfsmittel um
-ein höchst nützliches Glied erweitern. Aus der Praxis erwachsen, ist
-es auch in besonderem Sinne praktisch gestaltet worden, zumal der
-Verfasser reiche bibliothekarische Erfahrung mit literarhistorischer
-Kritik aufs glücklichste vereinigte ... Alles in allem erscheint der
-Inhalt des Buches so wohlerwogen und so gewissenhaft überprüft, ist
-die Anordnung und der Druck so klar und übersichtlich, daß es den
-zu stellenden Anforderungen aufs beste entspricht ... Und wenn der
-Verfasser die mühevolle Arbeit mit einem Seufzer der Erleichterung
-beschließt, so mag in das Bewußtsein trösten, durch sein schönes Buch
-den Nachstrebenden wie den Fachgenossen einen guten Dienst geleistet zu
-haben.~“
-
- _Dr. Otto Ladendorf in Zeitschr. f. d. dt. Unterricht, 24. Jahrg.,
- Heft 11._
-
-„~Für das Gebiet der deutschen Literatur, den bevorzugten Tummelplatz
-unserer Bibliophilen, liefert der bekannte, als Bibliograph der neueren
-Theatergeschichte bewährte Wiener Literaturhistoriker und Bibliothekar
-Arnold eine überaus nützliche Einführung, indem er streng gegliedert
-die gesamte eingeschlagene Literatur vorführt. Das System ist praktisch
-und zumal durch das ausführliche Register auch für Laien leicht
-benutzbar. Für jedes Gebiet wird eine Art historischer Entwicklung
-an der Hand der älteren Bücher und Zeitschriften gegeben; knappe,
-sichere Urteile, Anweisungen für den Gebrauch von Sammelwerken und
-Nachschlagebüchern gewähren namentlich dem Anfänger die nützlichste
-Unterstützung~ ...“
-
- _Prof. Dr. G. Witkowski in der Zeitschr. f. Bücherfreunde,
- Januar-Heft 1911._
-
-
-
-
-~Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg.~
-
-
-Die Renaissance
-
-Historische Szenen
-
-vom
-
-Grafen Gobineau
-
-Deutsch von Ludwig Schemann
-
-Ausgabe letzter Hand mit den aus der Handschrift erstmalig übertragenen
-
-Originaleinleitungen Gobineaus.
-
-8°. LXXXV, 387 S. 1912.
-
-Preis: Geheftet ℳ 4.--, geb. in Leinwand ℳ 5.--, in Ganzlederband ℳ
-6.--.
-
-~Der Wert und die Bedeutung der neuen Auflage wird besonders
-dadurch erhöht, daß in ihr =zum ersten Male= und =allein in ihr
-die Einleitungen, die Gobineau selbst zur Renaissance= geschrieben
-hat, veröffentlicht werden. „Diese Einleitungen, deren Charakter
-und Bedeutung auf den ersten Blick erhellt, bringen einerseits
-eine Art =Vorgeschichte der Renaissance=, eine knappe, lichtvolle
-kulturgeschichtliche Übersicht über das Mittelalter, als die
-eigentliche Grundlage und Voraussetzung jener großen Zeit; anderseits
-aber Einzelcharakteristiken von Personen und Ereignissen, welche
-die des Hauptwerkes zum Teil zusammenfassen, zum Teil ergänzen
-und durch neue Züge bereichern; endlich noch einzelne besondere
-geschichtsphilosophische Ausblicke und Erörterungen. =Das Ganze bildet
-eine schwungvolle Parallele=, die der Kulturhistoriker dem Dichter
-geliefert hat.“~
-
-
-
-
-~Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg.~
-
-
-_DAS GESAMTE GEBIET DER NATURWISSENSCHAFTEN IN ZEHN BÄNDCHEN._
-
-Chemie -- Physik -- Astronomie -- Physikalische Geographie -- Geologie
--- Tierkunde -- Botanik -- Mineralogie -- Physiologie -- Allgemeine
-Einführung in die Naturwissenschaften
-
-~vereinigt die bekannte von bedeutenden Gelehrten verfaßte
-Sammlung~
-
-Naturwissenschaftliche Elementarbücher.
-
-~Ihren durchschlagenden Erfolg haben die Bändchen dieser Serie dem
-Umstand zu danken, daß hier zum erstenmal die Wissenschaft durch ihre
-allerersten Vertreter dem Elementar-Unterricht direkt dienstbar gemacht
-ist; sie wollen „die Schuljugend zur Beobachtung, zum Nachdenken über
-die alltäglichen Erscheinungen der Außenwelt anleiten und sie so mit
-der Natur, in der wir wurzeln, vertraut machen. Nie zuvor sind unserer
-Schule so gediegene Hilfsmittel dargeboten worden, in denen unter
-der einfachsten und verständlichsten, zugleich das Gemüt erfreuenden
-Einkleidung die Resultate der Wissenschaften durchblicken“. -- Die
-schöne klare Sprache machen die Bändchen auch in hervorragendem Maße
-zum Selbststudium und ersten Einführung gut geeignet.~
-
-~+Gute Ausstattung+ (klarer Druck, weißes starkes Papier). --
-+Zahlreiche gute Abbildungen.+~ --
-
- ~Preis pro Bändchen~: ~in Schulband~ ℳ --.80,
- ~in gediegenem Leinenband~ ℳ 1.--.
- _Die ganze Serie zusammen_: _in Schulband_ ℳ 8.--,
- _gebunden in Leinen in elegantem Karton_ ℳ 10.--.
-
-
-
-
-~Verlag von KARL J. TRÜBNER in Straßburg.~
-
-
-~Kurzes Lehrbuch der~
-
-~Physikalischen Geographie~
-
-~von~
-
-~A. Geikie~
-
-~Professor an der Universität Edinburg.~
-
-~Autorisierte Deutsche Ausgabe~
-
-~von~
-
-~Prof. Dr. Bruno Weigand.~
-
-~Mit einer Einführung von Prof. Dr. Erich von Drygalski.~
-
-~Zweite verbesserte und vermehrte Auflage.~
-
-~Mit 77 Holzschnitten, 5 Vollbildern und 13 Karten.~
-
-~8°. X, 386 S. 1908.~
-
-~Geheftet ℳ 4.50, in Leinwand gebunden ℳ 5.20.~
-
-~+Inhalt+: 1. Die Erde als Planet. -- 2. Die Luft. -- 3. Das
-Meer. -- 4. Das Festland. -- 5. Das Leben.~
-
-„... ~Wer die kleine „physikalische Geographie“ und „Geologie“
-Geikies kennt, die als Nr. 4 und 5 der „Naturwissenschaftlichen
-Elementarbücher“ (im selben Verlage) erschienen sind, der wird mit
-großer Spannung an Geikies Lehrbuch herantreten. Und diese wächst mit
-der Lektüre jeder Seite. Denn es spricht ein Meister und ein Künstler
-der Sprache zu uns. Da ist alles knapp, einfach, klar und präzise
-ausgedrückt ...~“
-
- _Blätter für die Fortbildung des Lehrers und der Lehrerin 1908,
- Heft 23._
-
-„... ~In seiner Klarheit, Allseitigkeit, strengen Begründung und
-doch leichten Faßlichkeit ist das Buch dem Lehrer das beste Werk zum
-Selbststudium, dem Unterricht ein treffliches Hilfsmittel und der
-reifen Jugend eine anregende Lektüre.~“
-
- _Bayerische Lehrerzeitung 1908, Heft 41._
-
-
-
-
-Fußnoten:
-
-[1] Die Bezeichnungen starke und schwache Deklination sind ebenso wie
-das Wort Umlaut von Jakob Grimm gebildet.
-
-[2] Einige Wörter, wie +Auge+, +Bett+ u. a., werden in der Einzahl
-stark, in der Mehrzahl schwach dekliniert. Diese faßt man als gemischte
-Deklination zusammen.
-
-[3] Mit Ausnahme von +Friede+ und +Gedanke+, die im Mittelhochdeutschen
-(~vride~, ~gedanc~) zur starken Deklination gehörten.
-
-[4] Auch der Nominativ +Felsen+ neben +Fels+ ist auf diese Weise
-entstanden; das Wort gehört ursprünglich der starken Deklination an,
-daher ist gegen die Dativ- und Akkusativform +Fels+ (+Vom Fels+ zum
-Meer) nichts einzuwenden.
-
-[5] Etwas andres ist es in Fällen, wo die falsche Form die alte,
-richtige aus dem Sprachbewußtsein schon ganz verdrängt hat, wie bei
-+Braten+, +Hopfen+, +Kuchen+, +Rücken+, +Schinken+ u. a., die im
-Mittelhochdeutschen noch ~brate~, ~hopfe~ usw. hießen.
-
-[6] Der Apostroph sollte nur da angewandt werden, wo er eine
-Verwechslung verhüten kann, z. B. zwischen dem Präsens +rauscht+ und
-dem Imperfektum +rauscht’+ (Das Wasser +rauscht’+, das Wasser schwoll),
-oder zwischen der Einzahl +Berg+ und der Mehrzahl +Berg’+ (über +Berg’+
-und Täler). Hier bedeutet er wirklich etwas, und hier kann man ihn bei
-gutem Vorlesen sogar -- hören!
-
-[7] Diese schwache oder aus schwacher und starker gemischte Deklination
-der Eigennamen war früher noch viel weiter verbreitet. Nicht bloß
-+Schwarz+ und +Schütz+ wurden dekliniert +Schwarzens+, +Schwarzen+,
-+Schützens+, +Schützen+, weshalb man aus den ~casus obliqui~ nie
-entnehmen kann, ob sich der Mann +Schwarz+ oder +Schwarze+ nannte;
-auch von +Christ+, +Weck+, +Frank+, +Fritsch+ bildete man +Christens+,
-+Christen+, +Weckens+, +Wecken+, +Frankens+, +Franken+, +Fritschens+,
-+Fritschen+ (Leipzig, bei Thomas Fritschen). Daher findet man in
-antiquarischen Katalogen Christs Buch „Anzeige und Auslegung der
-~Monogrammatum~“ meist unter dem falschen Namen +Christen+, Wecks
-Beschreibung von Dresden meist unter dem falschen Namen +Wecken+
-aufgeführt; auf den Titelblättern steht wirklich: +von Christen+, +von
-Wecken+. Die berühmte Leipziger Gelehrtenfamilie der +Mencke+, aus der
-Bismarcks Mutter abstammte, war durch ihre ~casus obliqui~ so irre
-geworden, daß sie schließlich selber nicht mehr wußte, wie sie hieß;
-deutsch schrieben sie sich +Mencke+, aber latinisiert ~Menckenius~.
-Aber auch bei solchen Genitiven auf +ens+ richtet der Apostroph oft
-Unheil an. An +Stieglitzens+ Hof am Markt in Leipzig steht über dem
-Eingang in goldner Schrift: +Stieglitzen’s+ Hof -- als ob der Erbauer
-+Stieglitzen+ geheißen hätte. Und welche Überraschung, wenn einem
-der Buchbinder auf einen schönen Halbfranzband gedruckt hat: Hans
-+Sachsen’s+ Dichtungen!
-
-[8] Wie lange soll übrigens noch in der deutschen Schrift der Zopf
-der römischen Ziffern weitergeschleppt werden? Warum druckt man
-nicht +Heinrichs 8.+, +Ludwigs XIV.+? Auch in andern Fällen werden
-die römischen Ziffern ganz unnötigerweise verwandt. Warum nicht
-das +12. Armeekorps+, warum immer das +XII. Armeekorps+? Fast alle
-unsre Historiker scheinen zu glauben, es klinge gelehrter, wenn sie
-schreiben: im +XVIII. Jahrhundert+. Eigentlich sollte man im Druck
-überhaupt Ziffern nur für das Datum und für rechnungsmäßige, z. B.
-statistische, finanzielle, astronomische Angaben verwenden, also nicht
-drucken: Unser Leben währet 70 Jahre. Vornehme Druckereien haben sich
-auch früher so etwas nie erlaubt. Von den Zifferblättern unsrer Uhren
-verschwinden erfreulicherweise die römischen Ziffern immer mehr.
-
-[9] Daher schreibt man auch auf Büchertiteln: +Von Pfarrer+ Hansjakob,
-+von Prof.+ A. Schneider (statt +von dem+ Professor), wo bloß der Titel
-gemeint ist.
-
-[10] Geschmacklos ist es, vor derartige Appositionen, wo sie wirklich
-den Beruf, das Amt, die Tätigkeit bedeuten, noch das Wort +Herr+ zu
-setzen: der +Herr Reichskanzler+, der +Herr Erste(!) Staatsanwalt+,
-der +Herr Bürgermeister+, der +Herr Stadtverordnete+, der +Herr
-Vorsitzende+, der +Herr Direktor+, der +Herr Lehrer+ (die +Herren
-Lehrer+ sind während der Unterrichtsstunden nicht zu sprechen),
-der +Herr Königliche Oberförster+, der +Herr Organist+, der +Herr
-Hilfsgeistliche+, sogar der +Herr Aufseher+, der +Herr Expedient+,
-die +Herren Beamten+ usw. Wenn das +Herr+ durchaus zur Erhöhung der
-Würde dabeistehen soll, so gehört es unmittelbar vor den Namen:
-der +Abgeordnete Herr Götz+, der +Organist Herr Schneider+, der
-+Hilfsgeistliche Herr Richter+ usw. Fühlt man denn aber nicht, daß +der
-Reichskanzler+, +der Bürgermeister+ und +der Direktor+ viel vornehmere
-Leute sind als der +Herr Reichskanzler+, der +Herr Bürgermeister+
-und der +Herr Direktor+? Wie vornehm klangen die Theaterzettel der
-Meininger, wie lächerlich klingt eine Liste der Prediger des nächsten
-Sonntags, wenn sie alle vom Superintendenten bis herab zum letzten
-Kandidaten als +Herren+ aufgeführt sind! Das allerlächerlichste sind
-wohl die +Herren Mitglieder+. Wie heißt denn davon die Einzahl? +der+
-Herr Mitglied? oder +das+ Herr Mitglied?
-
-[11] Obwohl sich schon im fünfzehnten Jahrhundert in Urkunden findet:
-das Haus, das +Peter von Dubins+ (Peters von Düben) oder das +Nickel
-von Pirnes+ (Nickels von Pirne) gewest, als das Gefühl für den
-Ortsnamen noch viel lebendiger war als bei unsern heutigen Adelsnamen.
-
-[12] In München und in Wien +fahrt+ man in +Wägen+! Die +Nägel+, die
-+Gärten+ u. a. sind freilich schon längst durchgedrungen, während es im
-sechzehnten Jahrhundert noch hieß: +die Nagel+, +die Garten+.
-
-[13] Ausgenommen sind nur +Mutter+ und +Tochter+, die zur starken,
-und +Bauer+, +Vetter+ und +Gevatter, die zur gemischten Deklination
-gehören. In der Sprache der Technik aber, wo +Mutter+ mehrfach im
-übertragnen Sinne gebraucht wird, bildet man unbedenklich die +Muttern+
-(die +Schraubenmuttern+).
-
-[14] Vereinzelt ist auch in Fachkreisen die alte Form lebendig
-geblieben. Der Leipziger Zimmermann sagt noch heute: +die Bret+, +die
-Fach+, nicht +die Bretter+, +die Fächer+.
-
-[15] Als die +Schlösser+ aufkamen, müssen Menschen von feinerem
-Sprachgefühl etwa dasselbe gefühlt haben, was man heute fühlen würde,
-wenn jemand von +Rössern+ reden wollte.
-
-[16] Faß e mal das Ding an den Dingern hier an, daß die Dinger drinne
-nich gedrückt werden. D. h. fasse den Korb an den Henkeln hier an, daß
-die Hüte drin nicht gedrückt werden.
-
-[17] Auch bei +Lohn+ sind seit alter Zeit beide Geschlechter üblich:
-aber auch hier hat das Neutrum jetzt einen niedrigen Beigeschmack.
-Dienstmädchen verlangen +hohes Lohn+, Gesellen +höheres Macherlohn+
-oder +Arbeitslohn+; aber jede gute Tat hat +ihren+ schönsten +Lohn+ in
-sich selbst.
-
-[18] Wenn ein Hauptwort in seinem Geschlecht schwankt, so hat das
-Neutrum nicht selten etwas gemeines. Es hängt das damit zusammen, daß
-nicht bloß der ungebildete Fremde, der des Deutschen nicht mächtig
-ist, alle deutschen Hauptwörter im Zweifelfalle sächlich behandelt
-(+das Bruder+, +das Offizier+, +das Kutscher+), sondern auch der
-ungebildete Deutsche ebenso mit Fremdwörtern verfährt. Man denke nur an
-die unausstehlichen Neutra unsrer Handlungsreisenden, Ladendiener, und
-Ladenmädchen: +das Firma+, +das Fasson+, +das Etikett+, +das Offert+,
-+das Makulatur+! Das neueste ist +das Meter+, das die Handlungsdiener
-und Ladenmädchen doch wahrhaftig nicht dem griechischen μέτρον zuliebe
-plötzlich als Neutrum behandeln!
-
-[19] Vielleicht ist es dort über die Niederlande aus dem Französischen
-eingedrungen; dann würde es schließlich auch auf die romanische Quelle
-zurückgehen.
-
-[20] Von Wörtern weiblichen Geschlechts wird immer der Plural gebildet:
-+zwei Mandeln+ Eier, +drei Ellen+ Band, +sechs Flaschen+ Wein, +zehn
-Klaftern+ Holz, +vier Wochen+ alt.
-
-[21] Wenn aber ein Antiquar in einem Katalog von einem wertvollen alten
-Druck sagt: +Sechs Blatt+ sind stockfleckig, so ist das natürlich
-falsch.
-
-[22] Genau genommen wird freilich auch nicht +vereiteln+, +verändern+
-gesprochen, sondern +vereitln, verändrn+, l und r werden gleichsam
-vokalisiert. Aber gemeint ist doch mit dieser Aussprache +eln+, +ern+,
-nicht +len+, +ren+. Eigentlich gehören auch noch die Wortstämme auf
-+en+ hierher, wie +rechen+, +zeichen+, +orden+, +offen+, +eben+,
-+eigen+, +regen+ (vgl. +Rechenschaft+, +Eigentum+, +Offenbarung+).
-Die Infinitive können da natürlich nur +rechnen+, +ordnen+, +eignen+
-lauten; die flektierten Formen aber, die wir jetzt leider allgemein
-+zeichnet+, +zeichnete+, +öffnete+, +gerechnet+, +geordnet+, +geeignet+
-schreiben, lauteten im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert noch
-überall schöner: +zeichent+, +gerechent+, +geordent+, +geeigent+.
-Der Volksmund spricht auch heute noch so, selbst der Gebildete sagt
--- er mag sich nur richtig beobachten --: +es regent+, es +regente+,
-es hat +geregent+ (genau genommen freilich auch hier wieder +regnt+,
-+geregnt+, mit vokalisiertem n). Nur wer sich ziert, wer „wie
-gedruckt“ redet, sagt: +ausgezeichnet+! +Net+, womöglich +nett+! Man
-muß ja förmlich eine Pause machen und Kraft sammeln, um das +net+
-herauszubringen! Unsre besten und hervorragendsten Zeitschriften
-brauchten nur einmal die vernünftigen Formen +zeichent+, +öffent+,
-+zeichente+, +öffente+, +gezeichent+, +geöffent+ eine Reihe von Jahren
-beharrlich drucken zu lassen, so wären sie wieder durchgedrückt. In
-+atmen+ (Stamm +atem+) hat natürlich das Stamm-e ausgeworfen werden
-müssen, weil +atemn+ niemand sprechen kann; für +atmet+ hört man aber
-im Volksmunde auch oft genug +atent+, wie denn auch schon in der ältern
-Sprache +Aten+ neben +Atem+ erscheint, (und wie auch ~bodem~, ~gadem~,
-~besem~, ~busem~ zu +Boden+, +Gaden+, +Besen+, +Busen+ geworden sind).
-
-[23] Auch wenn ein Schriftsteller die schönen, kräftig klingenden
-Formen geschrieben hat, werden ihm in den Druckereien stets die
-garstigen weichlichen Formen oder gar die Formen mit zwei e daraus
-gemacht, die gar niemand spricht (+anderen+, +unseren+). Die
-Schriftsteller sollten sich das nur ernstlich verbitten, dann würde dem
-Schlendrian schon ein Ende gemacht werden. Zu Schillers und Goethes
-Zeit waren in allen Druckereien noch die Formen mit vollem Wortstamm
-das selbstverständliche.
-
-[24] Früher hat man freilich auch so gesagt. Im siebzehnten
-Jahrhundert: nach +gepflogner reifen+ Beratschlagung; Lessing: aus
-+eigner sorgfältigen+ Lesung.
-
-[25] Das vernünftigste wäre natürlich, man setzte den Artikel und
-sagte: +Verein der Berliner Künstler+. Es brauchten doch deshalb nicht
-alle dabei zu sein. Wer nicht mittun will, läßts bleiben.
-
-[26] Der Fehler ist, wie die ganze Phrase und wie so vieles andre heute
-in unsrer Sprache, eine Nachäfferei des Englischen. Im Englischen wird
-~on board~ mit dem Akkusativ verbunden (~to go on board a ship~ -- ~on
-board Her Majesty’s ship Albert~). Aber was geht das uns an?
-
-[27] Beim Dichter läßt man sich gefallen: drum komme, wem der Mai
-gefällt, und freue sich der schönen Welt und +Gottes Vatergüte+ (statt
-+der Vatergüte Gottes+).
-
-[28] Völlig unsinnig ist natürlich: es gibt kein +leicht
-verdaulicheres+ Mehl als Rademanns Kindermehl.
-
-[29] Aus diesen Genitiven sind dann, indem man sie als Nominative
-auffaßte (+mein+ wie +klein+) und nun aufs neue deklinierte, die
-besitzanzeigenden Eigenschaftswörter +mein+, +dein+, +sein+, +unser+,
-+euer+, +ihr+ entstanden. Früher nahm man an, daß auch in den
-Anfangsworten des +Vaterunsers+ das +unser+ der nachgestellte Genitiv
-von +wir+ sei (nach dem griechischen πάτερ ἡμῶν). Wahrscheinlicher
-ist, daß es hier doch das besitzanzeigende Eigenschaftswort ist (nach
-dem lateinischen ~Pater noster~), das in der ältern Sprache auch
-nachgestellt werden konnte (in der gotischen Bibelübersetzung: ~atta
-unsar~).
-
-[30] Genitiv und Dativ von +Eure Majestät+, +Eure Exzellenz+ heißen
-natürlich +Eurer Majestät+, +Eurer Exzellenz+. Völliger Unsinn aber
-ist, was man darnach gebildet hat: +Eurer Hochwohlgeboren+!
-
-[31] Das Dativ-m hat Ungebildeten immer großen Respekt eingeflößt.
-Schrieb und druckte man doch sogar im achtzehnten Jahrhundert in
-Leipzig: der Gasthof +zum drei Schwanen+, der Riß +zum Schlachthöfen+.
-Man meinte natürlich +zun+ d. i. +zu den+, getraute sich das aber nicht
-zu schreiben.
-
-[32] Leute, die altertümlich schreiben möchten, z. B. Verfasser
-historischer Romane oder Schauspiele, greifen gern zu +zween+ und
-+zwo+, haben aber gewöhnlich keine Ahnung von dem Unterschied der
-Geschlechter und machen sich deshalb lächerlich. Darum wohl gemerkt:
-+zween+ war männlich, +zwo+ weiblich, +zwei+ sächlich.
-
-[33] Auch diese Ausdrücke stammen von Jakob Grimm.
-
-[34] Andre wollen es auf das Rädern, die Tätigkeit des Henkers,
-zurückführen.
-
-[35] Das Niederdeutsche hat auch +jug+ gebildet von +jagen+. Doch wird
-ein Unterschied gemacht. Bismarcks Vater brauchte +jagte+ von der Jagd,
-+jug+ von schneller Bewegung, z. B. schnellem Fahren. In Hannover sagt
-der gemeine Mann: ehe der Polizist die Nummer merken konnte, +jug+ der
-Bengel um die Ecke.
-
-[36] Viel zu ihrer Verbreitung haben wohl Scheffel und Freytag
-beigetragen, die sie beide sehr lieben.
-
-[37] Die Grenzboten veröffentlichten 1882 ein hübsches Sonett aus
-Süddeutschland, das sich über das Vordringen der falschen Formen lustig
-machte. Es begann mit der Strophe:
-
- Ich +frug+ mich manchmal in den letzten Tagen:
- Woher stammt wohl die edle Form: er +frug+?
- Wer war der Kühne, der zuerst sie +wug+?
- So +frug+ ich mich, so hab ich mich +gefragen+.
-
-Eine Anzahl von Zeitungen brachte dann elende Gegensonette, aus denen
-nichts weiter hervorging, als daß die Verfasser keine Ahnung von den
-Anfangsgründen der deutschen Grammatik hatten, und daß ihnen die
-falschen Formen schon so in Fleisch und Blut übergegangen waren, daß
-sie für das Richtige alles Gefühl verloren hatten.
-
-[38] Wenn freilich Kindern, die im Elternhause noch richtig +fragt+ und
-fragte gelernt haben, in der Schule das dumme +frug+ in die Arbeiten
-hinein„korrigiert“ wird, dann ist nichts zu hoffen.
-
-[39] Als eine Merkwürdigkeit mag erwähnt sein, daß die Leipziger
-Buchbinder sagen: das Buch wird bloß +geheftet+, dagegen die Leipziger
-Schneider: der Ärmel ist erst +gehoften+.
-
-[40] Diese Unterscheidung sitzt im Sprachgefühl so fest, daß mir
-sogar ein vierjähriges Kind auf meine bedauernde Frage: Du bist wohl
-gefallen? seelenvergnügt erwiderte: Ich bin nich gefallen, ich +hab
-gehuppt+.
-
-[41] Bei +brauchen+ darf natürlich +zu+ beim Infinitiv nicht fehlen.
-Das hättest du ja nicht +sagen brauchen+ -- ist Gassendeutsch.
-
-[42] Ebenso bei +bleiben+ und +haben+: er ist +sitzen geblieben+
-(eigentlich: +sitzend+) -- ich +habe+ tausend Mark auf dem Hause
-+stehen+ (eigentlich: +stehend+) -- hat keiner einen Bleistift
-+einstecken+? (eigentlich: +einsteckend+). In der ältern Zeit schrieb
-man sogar: ein Büchlein, das man in Kirchen +gebrauchen ist+ (statt
-+gebrauchend+) -- wir +sind+ euch dafür +danken+ (statt +dankend+).
-
-[43] +Apotheker+ und, was man im Volke auch hören kann, +Bibliotheker+
-ist anders entstanden, es ist verstümmelt aus ~apothecarius~ und
-~biliothecarius~. +Attentäter+ wurde anfangs nur als schlechter Witz
-gebildet (es hätte auch +Täter+ genügt); aber törichte Zeitungschreiber
-haben es dann in vollem Ernst nachgebraucht.
-
-[44] +Kreidezeichnung+, +Höhepunkt+ und +Blütezeit+ haben wir ja
-schon längst, und doch wurden auch sie anfangs richtig gebildet:
-+Kreidenstrich+, +Höhenpunkt+, +Blütenzeit+.
-
-[45] Ein Jammer ist es, auf Weinkarten und Weinflaschen jetzt
-+Liebfraumilch+ lesen zu müssen! Wahrscheinlich zur Entschädigung dafür
-schmuggelt man dann das +en+ in den +Niersteiner+ ein und nennt ihn --
-höchst verdächtig! -- +Nierensteiner+ (Nierstein ist nach dem Kaiser
-Nero genannt). +Visitekarte+, +Manschetteknopf+, +Toiletteseife+ soll
-vielleicht +Visittkarte+, +Manschettknopf+, +Toilettseife+ gesprochen
-werden -- gehört habe ichs noch nicht, man siehts ja immer nur
-gedruckt; aber wozu die französische Aussprache?
-
-[46] Freilich finden sich auch solche Zusammenleimungen schon früh.
-Schon im fünfzehnten Jahrhundert kommt in Leipziger Urkunden die
-+Parthenmühle+ als ~Pardemöl~ vor. Im Harz spricht man allgemein und
-wohl schon lange vom +Bodetal+ und vom +Ilsetal+.
-
-[47] Ähnlich verhält sichs mit dem neuen Modewort +Anhaltspunkt+.
-Früher sagte man: ich finde keinen +Anhaltepunkt+, d. h. keinen Punkt,
-wo ich mich anhalten könnte (vgl. +Siedepunkt+, +Gefrierpunkt+).
-Daneben hatte man in demselben Sinne das Substantiv +Anhalt+; man
-sagte: dafür fehlt es mir an jedem +Anhalt+. Aus beiden aber nun einen
-+Anhaltspunkt+ zu bilden, war doch wirklich überflüssig. Wahrscheinlich
-hat man geglaubt, damit einen feinen Unterschied zu schaffen zu den
-+Anhaltepunkten+ auf den Eisenbahnen. Als ob +Anhaltepunkt+ nicht
-ebensogut die Stelle bedeuten könnte, wo man +sich anhält+, wie die, wo
-man +anhält+!
-
-[48] In Leipzig hält man sich ein +Kindermädchen+, auch wenn man nur
-ein Kind hat, in Wien eine +Kinds+magd, auch wenn man +sechs+ Kinder
-hat.
-
-[49] Wofür man in Süddeutschland auch +Wartsaal+, +Singstunde+ sagt,
-wie neben +Bindemittel+ auch +Bindfaden+ steht. +Schreibpapier+ und
-+Schreibpult+ spricht sich schwer aus, weil b und p zusammentreffen;
-man hört immer nur: +Schreipapier+. Darum ist wohl +Schreibepapier+
-vorzuziehen.
-
-[50] Jean Paul hat schon 1817 einmal den Versuch gemacht, diese
-s-Krätze, wie er es nannte, zu bekämpfen, merzte auch aus einer
-neuen Auflage seines Siebenkäs alle falschen s aus. Es ist aber
-vergeblich gewesen. Und ebenso vergeblich wird es sein, daß es jetzt
-der Herausgeber der in Berlin erscheinenden Wochenschrift Die Zukunft
-wieder versucht. Die Mitarbeiter sollten sich das einfach verbitten.
-
-[51] Das Bürgerliche Gesetzbuch kennt die greulichen Zusammensetzungen
-nicht.
-
-[52] Unter den Hunderten mit Liebe gebildeten Zusammensetzungen haben
-nur wenige das s nicht: +liebreich+, +liebevoll+, +liebeglühend+,
-+liebetrunken+, +liebedienerisch+, +Liebedienerei+, einige wohl
-deshalb, weil hier mehr ein dativisches Verhältnis gefühlt wird.
-
-[53] Wie man auch das Haus eines Mannes, der +Plank+ hieß, das
-+Plänkische Haus+ nannte, die Mühle in dem Dorfe +Wahren+ die
-+Währische Mühle+.
-
-[54] Daneben freilich auch schon vom +Manesse-Kodex+! Es wird immer
-besser. Vielleicht wird nächstens auch noch der +Farnesische Herkules+
-in einen +Farnese’schen+ verwandelt, und der +Borghesische+ Fechter in
-einen +Borghese’schen+.
-
-[55] Auch die guten Pfefferkuchen, die +Aachner Printen+, sollen
-früher in Aachen selbst +Aacher Printen+ geheißen haben. In vielen
-ursprünglich undeutschen (lateinischen, slawischen) Ortsnamen gehört
-das n zum Stamm; die bilden dann natürlich richtig Bozner, Dresdner,
-Meißner, Posner usw. Aber die guten +Gießer+ hätten sich keine
-+Gießener Neuesten Nachrichten+ aufnötigen zu lassen brauchen.
-
-[56] Woraus die Kunsthistoriker „Hans Baldung, genannt Grien“, gemacht
-haben.
-
-[57] Freilich sind Formen wie +Jenaer+ und +Geraer+ auch nicht
-besonders schön, so wenig wie die in Sachsen in der Schriftsprache
-beliebten Adjektivbildungen auf +aisch+: +Grimmaisch+, +Tauchaisch+,
-+Bornaisch+, +Pirnaisch+. In diesen Bildungen ist eine deutsche Endung
-an eine ganz unvolkstümliche, künstlich gemachte lateinische Endung
-gehängt. Der Volksmund kennt noch heutigestags nur die Städte +Grimme+,
-+Tauche+, +Borne+, +Pirne+ und so auch nur die Adjektivbildungen
-+Grimmisch+, +Tauchisch+, +Bornisch+, +Pirnisch+, und es wäre zu
-wünschen, daß sich die amtliche Schreibung dem wieder anschlösse. So
-gut wie sich zu irgendeiner Zeit das Falsche amtlich hat einführen
-lassen, ließe sich doch auch das Richtige amtlich wieder einführen.
-Man pflegt jetzt eifrig die „Volkskunde“, sucht überall die Reste
-volkstümlicher alter Sitten und Gebräuche zu retten und zu erhalten.
-Gehört dazu nicht vor allem die Sprache des Volks?
-
-[58] Der Unsinn geht so weit, daß man sogar feststehende formelhafte
-Verbindungen, wie: eine +offne Frage+, ein +zweifelhaftes Lob+, ein
-+frommer Wunsch+, +blinder Lärm+, auseinanderreißt, das Prädikat zum
-Subjekt macht und schreibt: +die Frage+, ob das Werk fortgesetzt werden
-sollte, war lange Zeit +eine offne+ -- +dieses Lob+ ist doch +ein sehr
-zweifelhaftes+ -- +dieser Wunsch+ wird wohl ewig +ein frommer+ (!)
-bleiben -- +der Lärm+ war zum Glück nur +ein blinder+ (!).
-
-[59] Vgl. ein +Schock frische+ Eier -- ein +Dutzend neue+ Hemden --
-eine +Flasche guter+ Wein -- mit +ein paar guten+ Freunden -- mit ein
-+bißchen fremdländischem+ Sprachflitter.
-
-[60] Den Inhalt eines Dramas kurz anzugeben, gehört zu den beliebtesten
-Aufgaben für deutsche Aufsätze in den oberen Gymnasialklassen. Es ist
-auch wirklich eine Aufgabe, bei der viel gelernt werden kann. Wie
-viel ärgerliche Korrektur aber könnte sich der Lehrer ersparen, wenn
-er bei der Vorbesprechung immer auch diese Tempusfrage mit den Jungen
-gründlich erörterte!
-
-[61] Nur in Süddeutschland und Österreich wird +welcher+ auch
-gesprochen, aber immer nur von Leuten, die sich „gebildet“ ausdrücken
-möchten. In deren falschem, halbgebildetem Hochdeutsch -- da grassiert
-es. In Wien und München, dort sagen es nicht bloß die Professoren
-in Gesellschaft, sondern auch schon die Droschkenkutscher, wenn sie
-zusammengekommen sind, um zu einem neuen Tarif „Stellung zu nehmen“.
-Ja sogar der norddeutsche Professor spricht, wenn er nach Wien berufen
-worden ist, nach einigen Jahren „bloß mehr“ +welcher+. In Mittel- und
-Norddeutschland aber spricht es niemand.
-
-[62] Um +welcher+ zu verteidigen, hat man neuerdings ausgezählt, wie
-oft es unsre klassischen Schriftsteller schreiben, und hat gefunden,
-daß sie es -- sehr oft schreiben. Aber was wird damit bewiesen? Doch
-weiter nichts, als daß auch unsre klassischen Schriftsteller von
-Kindesbeinen an im Banne der Papiersprache gestanden haben. Das braucht
-aber nicht erst bewiesen zu werden, das wissen wir längst.
-
-[63] Wenn man nicht +der der+ oder +die die+ schreiben dürfte, dann
-dürfte man auch nicht schreiben: +an an+drer Stelle, +ein ein+zigesmal,
-+bei bei+den Gelegenheiten, +mit mit+leidiger Miene. Sehr oft entsteht
-übrigens die so gefürchtete Doppelung nur durch falsche Wortstellung:
-ein persönliches oder reflexives Fürwort, das zwischen die beiden +der+
-oder +die+ oder +das+ gehört, wird verschoben und erst beim Verbum
-nachgebracht: +alle+ Änderungen, +die die+ Schule +sich+ hat gefallen
-lassen -- die Grundsätze, an +die die+ Revision +sich+ gebunden hat --
-die Aufgaben, +die die+ wirtschaftlichen Bedürfnisse der Zeit +uns+
-stellen. Man bringe das persönliche Fürwort an die richtige Stelle, und
-das Gespenst ist verschwunden: alle Änderungen, +die sich die+ Schule
-hat gefallen lassen.
-
-[64] Hier ist eine Apposition, die vor dem Relativpronomen stehen
-müßte, in den Relativsatz versetzt. Das ist vollends undeutsch, es ist
-ganz dem Lateinischen nachgeahmt.
-
-[65] Nicht zu verwechseln hiermit ist natürlich ein Fall wie folgender:
-+eine+ der größten +Schwierigkeiten+ für das Verständnis unsrer
-Vorzeit, +die+ meist gar nicht gewürdigt +wird+. Hier muß es +wird+
-heißen, denn hier bezieht sich der Relativsatz wirklich auf +eine+; der
-Sinn ist: und zwar +eine+, +die+ meist gar nicht gewürdigt wird.
-
-[66] +Habe+ wäre ja ein Eingeständnis, daß der Vorwurf berechtigt
-sei, denn es kann eben nur als Indikativ gefühlt werden. Manchen
-Süddeutschen will das nicht in den Kopf, weil sie (in Schwaben) den
-dialektischen Konjunktiv des Präsens haben: +ich häbe+, +wir häben+,
-+sie häben+ und daher den Konjunktiv +ich habe+, +wir haben+, +sie
-haben+, wo sie ihn gedruckt sehen, unwillkürlich als +häbe+ verstehen
-und vielleicht auch so -- aussprechen. Die mögen dann nichts davon
-wissen, +habe+ durch +hätte+ zu ersetzen, und behaupten, sie könnten
-+hätte+ nur als Konditional fühlen. Mag sein. Wir in Mittel- und
-Norddeutschland fühlen eben anders.
-
-[67] Im Konjunktiv Futuri von +werden+ zu +würden+ auszuweichen ist
-freilich nicht möglich, wenn der Hauptsatz im Präsens steht, weil dann
-+würden+ als Konditional gefühlt werden würde, z. B. ein geschlagnes
-Ministerium kann dem Herrscher raten, das Parlament aufzulösen, in
-der Hoffnung, daß die Wähler eine seinen Ansichten günstige Mehrheit
-von Abgeordneten entsenden +werden+. In solchen Fällen kann man sich
-aber leicht dadurch helfen, daß man zum Singular greift: daß die
-Wählerschaft entsenden +werde+.
-
-[68] Der Volksmund liebt es, eine irreale Bedingung in der
-Vergangenheit durch den -- Indikativ des Imperfekts auszudrücken:
-wenn ich Geld +hatte+, +kam+ ich. Das klingt aber der Angabe einer
-wiederholten Handlung in der Wirklichkeit (+jedesmal+, +wenn+ ich Geld
-+hatte+, +kam+ ich) so ähnlich, daß man es in der guten Schriftsprache
-besser vermeidet.
-
-[69] Auch oft verkürzt, ohne Hauptsatz: daß ich +nicht wüßte+ --
-+nicht+ daß es dem Vater an trefflichen Eigenschaften +gefehlt hätte+.
-
-[70] In einem der schönsten Brahmsschen Lieder, Feldeinsamkeit, das
-H. Allmers gedichtet hat, heißt es: die schönen, weißen Wolken ziehn
-dahin -- durchs tiefe Blau wie schöne stille Träume; -- mir ist,
-+als ob+ ich längst gestorben +bin+ (!) -- und +ziehe+ (!) selig
-mit durch ewge Räume. Das bringt man doch beim Singen kaum über die
-Lippen. -- Natürlich kann ein Vergleich auch als wirklich hingestellt
-werden, z. B. hörten wir ein Geräusch, +wie wenn+ in regelmäßigen
-Zwischenräumen ein großer Wassertropfen auf ein Brett +fällt+, d. h.
-wie man es hört, +wenn+ ein Wassertropfen +fällt+ (Schiller im Taucher:
-+wie wenn+ Wasser mit Feuer +sich mengt+). Hier ist selbstverständlich
-der Indikativ am Platze.
-
-[71] In der älteren Zeit ist auch der Zweck, die Absicht durch das
-bloße +zu+ ausgedrückt worden; die Ausdrucksweise mit +um zu+ ist die
-jüngere.
-
-[72] An ein Hauptwort kann ein Infinitivsatz mit +um zu+ niemals
-angeschlossen werden, selbst nicht an einen substantivierten Infinitiv.
-Wenn auf Konzertprogrammen steht: +Das Belegen+ der Plätze, +um+ solche
-Späterkommenden +zu sichern+, ist streng untersagt -- so ist das ein
-Schnitzer.
-
-[73] Außerdem die partizipähnlichen passiven Formen: +zu hoffend+, +zu
-fürchtend+, +anzuerkennend+, die durch Anhängen eines unorganischen d
-aus dem Infinitiv mit +zu+ entstanden sind.
-
-[74] Nur in einzelnen Fällen kann das passive Partizip die Gegenwart
-bedeuten, z. B. das von mir +bewohnte+ Haus (d. i. das Haus, das von
-mir +bewohnt wird+). Eine Anzeige also wie die folgende: die von dem
-verstorbenen Rentier Sch. +bewohnte+ Wohnung ist zu Ostern anderweit zu
-vermieten -- kann einem geradezu gruselig machen; hier muß es heißen:
-die +bewohnt gewesene+.
-
-[75] Zur Verzierung von Leipziger Wäschschränken wurde eine Zeit lang
-mit Vorliebe der Spruch gestickt:
-
- +Geblüht+ im Sommerwinde,
- +Gebleicht+ auf grüner Au,
- Ruht still es nun im Spinde
- Zum Stolz der deutschen Frau.
-
-+Gebleicht+ ist richtig; aber daß das +geblüht+ den Stolz der deutschen
-Frau nicht verletzte, war zu verwundern.
-
-[76] In Bibliotheksbekanntmachungen liest man gelegentlich
-sogar von demnächst +stattzufindenden+ Revisionen, und in
-Kunstausstellungsprogrammen von einer aus sechs Mitgliedern +zu
-bestehenden+ Jury!
-
-[77] Und auch in Mittel- und Norddeutschland spricht man von
-+gestandnem Wasser+ (im Gegensatz zu frischem).
-
-[78] Vor einiger Zeit hatte ich an mehrere hundert Personen eine
-Zuschrift abzufassen, auf die ebenso viel hundert teils ablehnende,
-teils zustimmende Antworten eingingen. Ich beauftragte einen Schreiber
-mit der Durchsicht und Ordnung der eingelaufenen Antworten. Als er
-fertig war, legte er mir zwei Mappen vor, und auf der einen stand:
-+abgelehnte Schreiben+, auf der andern: +angenommene Schreiben+. Ich
-fragte ihn, was das heißen solle. Nun, das hier sagte er, sind die
-Schreiben, die angenommen haben, und das hier die, die abgelehnt haben.
-
-[79] Daher hat es ja seinen Namen. Partizipium kommt her von
-~particeps~, d. h. Anteil habend; es ist davon genannt, daß es zugleich
-am Verbum und am Nomen Anteil hat, zwischen beiden ein Mittelding ist.
-Darum hat man es ja auch in der Volksschulgrammatik durch Mittelwort
-übersetzt.
-
-[80] +In Ermanglung+ ist mir immer so vorgekommen, als ob sichs einer
-als schlechten Witz ausgedacht hätte, um den Aktenstil zu verhöhnen, um
-zu probieren, ob es ihm wohl einer nachmachen würde.
-
-[81] Übrigens fehlt es auch nicht an Beispielen, wo noch dazu das
-Hauptwort auf +ung+ von einem Zeitwort gebildet ist, das den Dativ
-regiert, also eigentlich gar keinen Objektsgenitiv zu sich nehmen
-kann, wie: der Zinsfuß wird herabgesetzt +in Entsprechung+ eines
-Gesuchs (vgl. S. 243). Eine Behörde schreibt: +In Begegnung von+
-(!) an (!) andern Orten sich ereignet habenden (!) Vorgängen wird
-hierdurch bekanntgemacht; das soll heißen: +um+ Vorgängen +zu begegnen+
-(vorzubeugen), wie sie sich an andern Orten ereignet haben.
-
-[82] In Leipzig empfiehlt man freilich auch +echt Madeirahandarbeiten+,
-+echt Gose+ und +echt Bütten+ (nämlich +-papier+)!
-
-[83] Manche Leute sind in diese Formen auf +er+ so vernarrt, daß sie
-sie sogar von Wörtern bilden, die gar keine wirklichen Ortsnamen
-sind. So redeten die Leipziger Förster früher vom +Rosentäler+, vom
-+Kuhturmer+ und vom +Burgauer+ Revier, statt vom +Rosentalrevier+,
-+Kuhturmrevier+, +Burgauenrevier+. Ob sies auch heute noch tun, weiß
-ich nicht.
-
-[84] Über die Bedeutung mancher von unsern Straßennamen herrscht
-ohnehin in den Köpfen der Masse eine solche Unklarheit, daß man sie
-nicht noch durch fehlerhafte Schreibung zu steigern braucht. Unter
-den Straßen Leipzigs, die nach den Helden der Freiheitskriege genannt
-sind, ist auch eine +Lützowstraße+, eine +Schenkendorfstraße+, eine
-+Gneisenaustraße+. Was machen die Kinder daraus, die kleinen wie die
-großen Kinder? Eine +Lützower Straße+, eine +Schenkendorfer Straße+,
-eine +Gneisenauer Straße+! Wir haben ferner eine +Senefelderstraße+.
-Auch die wird im Volksmunde als +Senefelder Straße+ verstanden.
-Freilich gibt es bei Leipzig kein Senefeld, kein Schenkendorf, kein
-Gneisenau, kein Lützow. Aber das Volk, namentlich das ewig zu- und
-abfließende niedrige Volk, weiß doch von der Umgebung Leipzigs
-ebensowenig etwas wie von dem Erfinder der Lithographie und den großen
-Männern der Freiheitskriege. Wurde doch auch die +Fichtestraße+,
-als sie neu war, sofort als +Fichtenstraße+ verstanden, und ein
-unternehmender Schenkwirt eröffnete dort schleunigst ein „Restaurant
-zur Fichte“!
-
-[85] Als vor einigen Jahren die Firma August Scherl den Verlag des
-Leipziger Adreßbuchs an sich gebracht hatte, beliebte es ihr, alle
-Leipziger Straßennamen über einen Kamm zu scheren und sie alle
-als zusammengesetzte Wörter drucken zu lassen: +Dresdnerstraße+,
-+Grimmaischestraße+, +Hohestraße+ usw., obwohl in allen amtlichen
-Veröffentlichungen und an allen Straßenecken zwischen zusammengesetzten
-und nicht zusammensetzbaren Namen streng geschieden wird, auch das
-frühere Adreßbuch dazwischen streng geschieden hatte. Zum Glück griff
-sofort die Behörde ein und zwang den Verleger, vom nächsten Jahrgang an
-die Namen wieder richtig zu drucken. Geschadet hat aber doch das böse
-Beispiel ungeheuer. Der Verlag der bekannten Leipziger Illustrierten
-Zeitung befindet sich noch heute auf +der Reudnitzerstraße+!
-
-[86] Freilich findet sich auch schon in Leipziger Urkunden des
-fünfzehnten Jahrhunderts: ~uf der nuwestrasse~ (auf der +Neuen Straße+).
-
-[87] Auf der einen Seite schreiben sie: +Kaiser Park+, +Hôtel Eingang+,
-hier werden +Kinder+ und +Damenschuhe+ gemacht, auf der andern Seite:
-+Grüne-Waren+, +Täglich-frei-Konzert+ u. ähnl.
-
-[88] Nachdem die +Sprachdummheiten+ erschienen waren, redeten auch
-andre von +Sprachsünden+, +Sprachleben+, +Sprachgefühl+ usw. Wären
-die +Sprachdummheiten+ nicht vorangegangen, so kann man sicher sein,
-daß die andern von sprach+lichen+ Sünden, sprach+lichem+ Leben,
-sprach+lichem+ Gefühl geredet hätten.
-
-[89] Es handelt sich um Beobachtungen an dem noch ungebornen Kinde!
-
-[90] Fühlt man denn gar nicht, daß bei der +silbernen+ und der +goldnen
-Hochzeit+ das +silbern+ und +golden+ nur ein schönes Gleichnis ist,
-wie beim +silbernen+ und +goldnen Zeitalter+? und daß dieses Gleichnis
-durch +Silber+hochzeit sofort zerstört und die Vorstellung in plumper
-Weise auf das Metall gelenkt wird, das dem Jubelpaar in Gestalt von
-Bechern, Tafelaufsätzen u. dgl. winkt? Oder wollen wir in Zukunft
-auch von der +Goldhochzeit+ und vom +Goldzeitalter+ reden? Wir reden
-von einem +Bronzezeitalter+, aber in wie anderm Sinne! Daß schon
-Goethe einmal das Wort +Silberhochzeit+ gebraucht -- in einem Brief
-an Schiller nennt er Gedichte Wielands „Schoßkinder seines Alters,
-Produkte einer Silberhochzeit“ --, auch Rückert einmal (in trochäischen
-Versen, wo +silberne Hochzeit+ gar nicht unterzubringen gewesen wäre),
-will gar nichts sagen.
-
-[91] Darum gehört auch die Behandlung dieses Fehlers nicht, wie manche
-wohl meinen könnten, in die Wortbildungslehre, sondern sie gehört in
-die Satzlehre. Der Fehler liegt nicht in der Bildung der Adjektiva --
-gebildet sind sie ja richtig --, sondern in ihrer falschen Anwendung.
-
-[92] Zu welcher Geschmacklosigkeit sich manche Leute verirren vor
-lauter Angst, mißverstanden zu werden, dafür noch ein Beispiel. Ein
-Zeichenlehrer wollte einen Unterrichtskursus für Damen ankündigen. Aber
-das Wort +Damen+ wollte er als Fremdwort nicht gebrauchen, +Frauen+
-auch nicht, denn dann wären am Ende die Mädchen ausgeblieben, auf die
-ers besonders abgesehen hatte, +Frauen und Mädchen+ aber auch nicht,
-denn dann wären vielleicht Schulmädchen mitgekommen, die er nicht haben
-wollte. Was kündigte er also an? Zeichenunterricht für +erwachsene
-Personen weiblichen Geschlechts+!
-
-[93] Auch sie hat es übrigens nicht immer gegeben. Noch im siebzehnten
-Jahrhundert erteilte, wer mit seinem +halben Bruder+ im Streite lag,
-einem Anwalt +volle Macht+, den Prozeß zu führen, noch 1820 wurde auf
-der Leipziger Messe von +kurzen Waren+ gesprochen.
-
-[94] Neuerdings hat man es durch +Uraufführung+ ersetzt, kein
-glücklicher Ersatz.
-
-[95] Daher Ortsnamen wie +Karlsruhe+, +Ludwigsburg+, +Wilhelmshaven+,
-die ja nichts andres sind als +Karls Ruhe+ usw.
-
-[96] Das Haarsträubendste, was auf diesem Gebiete geleistet worden
-ist, sind wohl die Ausdrücke, die einem täglich in den Zeitungen
-entgegenschreien: +Henckell Trocken+, +Kupferberg Gold+ u. ähnl. Als
-vernünftiger Mensch möchte man sich doch hierbei gern etwas denken
-und fragt: Was sind denn das für Waren: +Trocken+ und +Gold+? Es sind
-gar keine Waren, die Bezeichnung der Ware fehlt hier ganz! Gemeint
-ist +Henckellscher Schaumwein+, +Kupferbergscher Schaumwein+. Aber
-keiner der beiden Fabrikanten sagt das, sondern der eine schreibt
-statt der Ware eine Eigenschaft der Ware hin (~sec~, ~dry~), aber
-mit großem Anfangsbuchstaben, sodaß sie jeder denkende Mensch für
-die Bezeichnung der Ware selbst halten muß, der andre die Art der
-Ausstattung, denn +Gold+ soll sich doch wohl auf die Farbe der Kapsel
-beziehen? Die Sprache mancher afrikanischen Wilden ist gebildeter und
-fortgeschrittner als solches Fabrikantendeutsch.
-
-[97] Überhaupt kann man nicht, um eine nähere Bestimmung zu schaffen,
-mechanisch alles mit allem zusammensetzen; es kommt doch sehr auf Sinn
-und Bedeutung der beiden Glieder an. Bei +Gesellschaft+ und +Verein+
-z. B. liegt der Gedanke an die Personen, die den Verein bilden, so
-nahe, daß es mindestens etwas kühn erscheint, eine Anzahl Geldleute
-eine +Aktiengesellschaft+ oder eine +Immobiliengesellschaft+, eine
-Gesellschaft von Schlittschuhläufern einen +Eisverein+ und eine
-Vereinigung von Förstern einen +Forstverein+ zu nennen. Noch gewagter
-ist es, daß sich die deutschen Papierhändler zu einem +Papierverein+
-zusammengetan haben. Mit demselben Recht und demselben guten Geschmack
-könnte sich schließlich auch eine Fleischergesellschaft einen
-+Fleischverein+ nennen.
-
-[98] +Schokolade+ und +Tee+ -- deutsch geschrieben! Manche
-verbinden die beiden Wörter gar noch durch einen Bindestrich, wie
-+Atelier-Strauß+, +Tee-Meßmer+, was doch nur Männer bezeichnen kann
-(der Atelier-Strauß, der Tee-Meßmer). In Sachsen gibt es wirklich
-Geschäftsleute, die sich mit solchen Namen bezeichnen und sich dadurch
-selber lächerlich machen, wie: +Butter-Bader+, +Gold-Richter+,
-+Fahrrad-Klarner+, +Zigarren-Krause+, +Schokoladen-Hering+.
-
-[99] Man könnte ebensogut eine Abfahrthalle auf dem Bahnhof
-die +Abfahrtei+ nennen oder die Kopierstube im Amtsgericht die
-+Abschriftei+.
-
-[100] Unsre Schiffe werden bekanntlich, wenn sie einen Länder- oder
-Städtenamen tragen, als Weiber betrachtet: +die+.
-
-[101] Die englische in einzelnen Fällen, wie: ~the now king~, ~the
-then ministry~, ~the above rule~, die aber nicht von allen englischen
-Grammatikern gebilligt werden.
-
-[102] Wenn geschrieben wird: das Bild zeigt den Kaiser +in fast
-Lebensgröße+, so liegt wohl nur eine verkehrte Wortstellung vor (+in
-fast+ statt +fast in+).
-
-[103] Im Stephansdom in Wien ist etwas bei +sogleicher Wegweisung+
-verboten.
-
-[104] Heinrich von Treitschke, ein Meister in der Kunst, deutsch zu
-schreiben, haßte sie aus tiefster Seele.
-
-[105] Nicht besser, eher schlimmer wird die Sache, wenn man die
-Apposition voranstellt: +von Privatdozent+ ~Dr.~ Albert Schmidt, +von
-ordentl. Professor+ E. Max, was doch unzweifelhaft +von ordentlicher+
-(!) Professor gelesen werden soll.
-
-[106] In Leipzig fängt man jetzt gar an, zwischen Vornamen und
-Familiennamen einen Bindestrich zu setzen: +Horst-Schulze+,
-+Hermann-Könnecke+.
-
-[107] Der Deutsche sagt dafür +Renommage+, ein Wort, das es im
-Französischen gar nicht gibt!
-
-[108] O. Schroeder, Vom papiernen Stil. 7. Aufl. Leipzig, 1908.
-
-[109] Beim Übersetzen aus dem Lateinischen z. B. sollte streng darauf
-gehalten werden, daß kein ~ejus~ und ~eorum~ mit +desselben+ und
-+derselben+ übersetzt werde.
-
-[110] Es ist auch nicht nötig; spricht und betont doch jeder richtig
-+der+artig, +der+maßen, +der+gestalt usw.
-
-[111] Bei einer Leichenfeier in der Universitätskirche in Leipzig
-sagte der Prediger, ein bedeutender Kanzelredner, in der gehobensten
-und feierlichsten Sprache: selbst +die, die die+ wissenschaftliche
-Bedeutung des Mannes nicht zu beurteilen wußten usw. Ich bin fest
-überzeugt, daß außer mir kein Mensch die drei +die+ gehört hat, obwohl
-Hunderte von Menschen in der Kirche saßen. Mir waren sie ein Labsal,
-weil sie Natur sind. Ob sie auch gedruckt worden sind, weiß ich nicht.
-
-[112] In der Dichtersprache wird auch +rufen+ noch wie im alten Deutsch
-bisweilen mit dem Dativ verbunden (Goethe im Faust: Wer ruft +mir+?
-Gellert: +Er ruft der Sonn’+, er schafft den Mond). Auch hier ist
-aber dann ein Bedeutungsunterschied; +rufen+ steht hier im Sinne von
-+zurufen+, +gebieten+.
-
-[113] In der ältern Sprache hatte auch +berichten+ den Akkusativ der
-Person mit nachfolgendem Objektsatz bei sich, z. B. ob sie gleich den
-+Kurfürsten+ mit Lügen +berichteten+, die hohe Schule zu Wittenberg
-wäre die studentenreichste. Heute ist das einzige sinnverwandte
-Zeitwort, das mit einem Akkusativ der Person und einem Objektsatze
-verbunden werden kann, das verhältnismäßig junge +benachrichtigen+.
-
-[114] Nur mit den Bildungen auf +bar+ nimmt man es nicht so genau, wie
-+unentrinnbar+ zeigt.
-
-[115] Eine ähnlich merkwürdige Bildung wie +voller+ ist +Maler+,
-+Stücker+, +Tager+, +Jahrer+ in Verbindungen wie: +ein Maler drei+,
-+ein Stücker drei+, +ein Jahrer fünf+, +ein Tager sechs+ u. ähnl. Hier
-ist das +er+ der Rest eines rasch und nachlässig gesprochnen +oder+:
-+ein Stück oder drei+. Diese Verbindungen würden sich aber doch in der
-guten Schriftsprache recht seltsam ausnehmen, sie gehören nur noch der
-Umgangssprache an.
-
-[116] Nur in Verbindungen wie: ein Kaffee +erster Sorte+, ein Künstler
-+zweiten Ranges+, ein Wagen +dritter Klasse+, ein Stern +vierter Größe+
-bleibt der bestimmte Artikel vor den Ordinalzahlen weg.
-
-[117] Hierher gehört auch der beliebte Fehler: +aus+ aller Herrn
-+Länder+, der dem Wohllaut zuliebe entstanden ist: das doppelte +ern+
-schien unerträglich. Aber noch unerträglicher ist doch der Akkusativ
-hinter +aus+, man schreibe nur, wie sichs gehört: +aus+ aller Herr+en+
-Länd+ern+.
-
-[118] Nur bei vielgebrauchten Redensarten, an deren eigentliche
-Bedeutung niemand mehr denkt, wie: +im Stande+, +im Begriff+, +im
-Interesse+, +im Sinne+, +im Lichte+, +im Spiegel+, +zum Besten+, ist im
-Dativ die Verschmelzung vollständig durchgedrungen. Niemand sagt: die
-Heimat der Indogermanen +in dem Lichte+ der urgeschichtlichen Forschung
--- Napoleons Tod +in dem Spiegel+ zeitgenössischer Dichtung -- wir sind
-+in dem Begriff+, abzureisen -- ich bin nicht +in dem Stande+, einen
-Bissen zu essen. Dagegen läßt sich wohl unterscheiden: das Haus ist
-wieder +in Stand+ gesetzt worden, und: der Verfasser will uns +in den
-Stand+ setzen, selbst an der Forschung +teilzunehmen+. Bei dem bloßen
-+in Stand+ (d. h. in’n Stand) ist der Artikel verschlungen (vgl. +in
-Händen+ haben, +in Kauf+ nehmen).
-
-[119] An den Leipziger Pferdebahnwagen war am Hintertritt folgender
-Satz mit Gänsefüßchen (!) angeschrieben: „Dieser Platz des
-Hinterperrons bleibt frei.“ Offenbar war der Satz ein Zitat. Aber
-woher? Büchmann gibt keine Auskunft.
-
-[120] Ein gemeiner Provinzialismus (aus Berlin?), der aber neuerdings
-rasch Fortschritte macht, ist der Gebrauch von +hoch+ für +oben+ und
-zugleich für +hinauf+, +herauf+, +empor+, +in die Höhe+, z. B. +hoch
-kommen+, +hoch gehen+, +hoch holen+ (eine Flasche aus dem Keller); wenn
-ich einmal +hoch bin+, dann geh ich nicht gleich wieder runter; ein
-ebenso gemeiner (aus Wien?) der Gebrauch von +oben+ für +hinauf+, z. B.
-+oben gehen+. In anständigem Deutsch geht man weder +hoch+ noch +oben+,
-sondern +hinauf+.
-
-[121] Dieser dumme Strich hat es mit sich gebracht, daß nun auch
-geschrieben wird: +zwischen 1670 bis 1710+. Offenbar hatte einer
-geschrieben: +zwischen+ 1670-1710, ein andrer schrieb das ab und wollte
-ein Wort aus dem Striche machen. Hier hätte er aber den Strich als
-+und+ lesen sollen! Besser, man macht keine Striche, sondern schreibt
-Wörter.
-
-[122] Wenn Wolfgang Müller von der Wunderblume singt: Sie blüht nur
-+einmal alle hundert Jahr+, so heißt das nur, daß sie im Verlaufe von
-hundert Jahren +einmal+ blühe. Soll aber ausgedrückt werden, daß sie
-in regelmäßigen Zwischenräumen von hundert Jahren blühe, so ist das
-+einmal+ ganz überflüssig; dann genügt es, sagen: sie blüht +aller
-hundert Jahr+.
-
-[123] Ich hatte einmal eine Zeit lang in regelmäßigen Zwischenräumen
-in der Zeitung bekanntzumachen, daß +nächste Mittwoch Abend 8 Uhr+
-eine gewisse Versammlung abgehalten werde (ich gehöre nämlich zu den
-altmodischen Leuten, die +Mittwoch+ noch für ein Wort weiblichen
-Geschlechts halten). Regelmäßig hatte mir der Zeitungsetzer, der es
-natürlich besser wußte, +nächste Mittwoch Abends+ daraus gemacht, bis
-ich mirs endlich verbat.
-
-[124] Bei Handlungen, die noch bevorstehen, wird die erste Verbindung
-vorgezogen, bei Handlungen, die vorüber sind, die zweite. Wann wird
-er zurückkehren? (+Den+) Donnerstag. Wann ist er zurückgekehrt? +Am+
-Donnerstag.
-
-[125] Zu den nicht auszurottenden Scherzen der Geschäftssprache
-gehört das sogenannte „Undzeichen“ &, das angeblich zur Abkürzung
-des Wörtchens +und+ gebraucht wird. Es ist aber gar kein Undzeichen,
-sondern es ist weiter nichts als das verschnörkelte lateinische
-Wörtchen ~et~. Aber alle Geschäftsleute und Firmenschreiber sind
-glückselig, wenn sie schreiben können: +Calw ~et~ Stuttgart+, +Max ~et~
-Johann Schneider+, +Tricotagen ~et~ Strumpfwaren+, +Conditorei ~et~
-Café+, Schnitzel mit +Schoten ~et~ Karotten+. Als ob nicht und eben so
-kurz wäre!
-
-[126] Durch falsche Stellung oder Beziehung der Negation kann der
-Sinn eines Satzes vollständig verschoben werden. Es ist ein großer
-Unterschied, ob ich sage: +Nicht alle+ Bücher dieses Verzeichnisses
-sind eingebunden, oder: +Alle+ Bücher dieses Verzeichnisses sind +nicht
-eingebunden+. Auf den Programmen der Leipziger Gewandhauskonzerte
-steht: Für die Aufführung sämtlicher Nummern dieses Programms wird
-keine Gewähr übernommen, d. h.: es ist möglich, daß das +ganze+
-Programm +nicht aufgeführt+ wird -- eine schöne Aussicht! Die Direktion
-will aber sagen: es ist möglich, daß +nicht das ganze+ Programm
-+aufgeführt+ wird. Das hätte sie auf ihre Weise so ausdrücken müssen:
-Dafür, daß sämtliche Nummern dieses Programms aufgeführt werden, wird
-keine Gewähr übernommen.
-
-[127] Freilich war +kein+ ursprünglich gar kein verneinendes, sondern
-ein unbestimmtes Fürwort (+irgend ein+). Luther hat es sicherlich noch
-so gefühlt.
-
-[128] Es gibt jetzt Schriftsteller, die vor lauter Ziererei nicht mehr
-+traurig+ sagen, sondern +unfroh+.
-
-[129] In der Schiffersprache geht man +in See+, +an Land+, +an Bord+,
-+auf Deck+, und der Soldat zieht +auf Wache+. Neuerdings ist es aber
-auch fein geworden, nicht mehr +auf die Jagd+ zu gehen, sondern +auf
-Jagd+ (oder vielmehr +auf Jacht+, natürlich nachdem man vorher ein
-Stück „mitm +Zuch+ jefahren is“), und der junge Leutnant wird +auf
-Festung+ kommandiert oder geht +auf Kriegsschule+. Schließlich geht
-man vielleicht auch noch +auf Universität+, setzt sich +auf Stuhl+ und
-klettert +auf Baum+.
-
-[130] Falsch ist es natürlich auch, das Hauptwort solcher Redensarten
-in die Mehrzahl zu setzen: hierüber +sind+ neuerdings +Klagen geführt+
-worden. Man führt nur +Klage+, aber nicht +Klagen+.
-
-[131] Solche Zusammenziehungen stehen ungefähr auf derselben Stufe wie
-die bekannten scherzhaften Wortverbindungen: +geo- und arithmetisch+ --
-teils +aus Frömmig-+, teils +zum Zeitvertreib+ -- der heutige Tag wird
-mir ewig +denk-+ und +gegenwärtig+ bleiben.
-
-[132] Vollends arg sind Zusammenziehungen wie: +unsre+ Arbeit und
-+Streben+. Über solche Sudelei ist natürlich kein Wort zu verlieren;
-für sie gibt es auch keinen Schein von Entschuldigung.
-
-[133] Das geschieht z. B. bei der Verdopplung einer Präposition
-wie: an diese Jugendarbeit schlossen sich mehrere Dramen +an+ --
-sie traten +aus+ der Landeskirche +aus+ -- man warf ihn +aus+ dem
-Zimmer +hinaus+ -- das Gymnasium geriet +in+ einen innern Widerspruch
-+hinein+ -- dieser Gedanke zieht sich wie ein roter Faden +durch+
-das Gesetz +hindurch+ -- wir können uns schlechterdings nicht +darum
-herumdrücken+. Gegen solche Verdopplungen ist nichts einzuwenden.
-
-[134] Von einem Leipziger Bankier erzählt man, daß er auf die Frage,
-ob er eine gewisse ausländische Geldsorte beschaffen könne, mit der
-Gegenfrage geantwortet habe: muß es denn +jetzt alleweile gleich in
-demselben Momente+ sein? Ein Schaubudenbesitzer macht bekannt: „Morgen
-Eintritt +ausschließlich nur allein+ für Damen.“
-
-[135] Dabei hier noch der gemeine Provinzialismus, daß +brauchen+ mit
-dem bloßen Infinitiv verbunden ist! (Vgl. S. 61.)
-
-[136] Ein neutraler Begriff ist +Lage+. Ich bin +in der Lage+ -- kann
-ebensogut heißen: ich habe die Möglichkeit, wie: ich bin genötigt. Hier
-muß die besondre Art der Lage durch ein +können+ oder +müssen+ näher
-bezeichnet werden. Dagegen ist es natürlich überflüssig, zu schreiben:
-er wird in die +Zwangslage+ gebracht, sich mit einer Stellung zweiten
-Ranges begnügen zu +müssen+. Vereinzelt wird übrigens auch der
-umgekehrte Fehler gemacht, nämlich das Hilfszeitwort weggelassen, wo es
-ganz notwendig ist, z. B.: wir erklärten, +dazubleiben+ -- wo es heißen
-muß: dableiben zu +wollen+, denn in +erklären+ liegt noch nicht der
-Begriff der Absicht.
-
-[137] Alle diese Beispiele sind, wie ausdrücklich bemerkt werden mag,
-nicht erfunden!
-
-[138] Übrigens kann ein Bild auch ohne Vermengung mit andern
-geschmacklos wirken, nämlich dann, wenn es zu sehr ausgetitscht wird;
-so, wenn es von den Arbeiten, die ein Schriftsteller seinem Verleger
-einsandte, heißt: jede +jährliche Ernte+ seines Fleißes und Talentes
-hat er +in den Hof+ des befreundeten Hauses +eingefahren+.
-
-[139] Mit dem Voranstellen des abhängigen Genitivs muß man überdies
-vorsichtig sein. Vor kurzem ist ein Buch erschienen: +Lichtenbergs
-Mädchen+. Da fragt doch der Leser sofort: +das+ oder +die+?
-
-[140] +Das Mitglied Eugen Richter des Reichstags+ habe ich wirklich
-gedruckt gelesen.
-
-[141] Die Inversion findet sich in der ältern Zeit auch nach +denn+
-und +nämlich+; wird das heute jemand nachmachen wollen? Vortrefflich
-schließt O. Erdmann einen Aufsatz über die Geschichte der Inversion
-mit den Worten: „Das historische Studium des ältern Sprachgebrauchs
-soll einem vernünftigen und kräftigen Streben nach Regelrichtigkeit
-des gegenwärtigen und künftigen nicht hinderlich, sondern förderlich
-werden.“
-
-[142] Ein Meister des deutschen Stils, Otto Gildemeister, schrieb
-einem jungen Neffen, als dieser in einem Brief an ihn eine Inversion
-gebraucht hatte: So schreiben Kommis und schlechte Journalisten, aber
-kein edler deutscher Jüngling. Diese Inversion ist so schlimm wie mit
-dem Messer essen. Tu es nicht wieder!
-
-[143] Tausendmal habe ich bei der Durcharbeitung von Manuskripten das
-+sich+ heraufgeholt an die richtige Stelle, und niemals haben die
-Verfasser, wenn sie die Druckkorrektur bekamen, etwas davon gemerkt;
-alle haben darüber weggelesen, als ob sie selber so geschrieben hätten.
-Und hundertmal ist mir in Manuskripten der Fall begegnet, daß der
-Verfasser bei der ersten Niederschrift das +sich+ an die richtige
-Stelle gesetzt, aber beim Wiederdurchlesen dort ausgestrichen und dann
-hinten, unmittelbar vor dem Verbum, hineingeflickt hatte -- niemals das
-umgekehrte! Damit ist schlagend bewiesen, daß die Voranstellung des
-+sich+ das natürliche ist und das, was jedem, der unbefangen schreibt,
-aus der lebendigen Sprache zunächst in die Feder läuft; erst wenn das
-Drechseln und Feilen beginnt, entsteht die Unnatur.
-
-[144] Nur wo ein Mißverständnis, eine Verwechslung von Subjekt
-und Objekt möglich ist, hat es einen Sinn, das Subjekt in dieser
-ängstlichen Weise vor das Fürwort zu stellen, z. B. Vater und Mutter
-müssen sich darein finden, daß +die Kinder sie+ verlassen. Aber ist
-etwa ein Mißverständnis möglich, wenn man sagt: Tatsachen machen sich
-geltend, gleichviel ob +sie die Juristen+ definieren können oder nicht?
-Wird hier jemand +die Juristen+ für das Objekt halten?
-
-[145] Der Ausdruck ist von Gottfried Hermann gebildet.
-
-[146] Der Volksmund vermeidet das sogar zuweilen bei dem unbestimmten
-Artikel und dem unbestimmten Fürwort und sagt: das ist +gar ein+
-merkwürdiger Mensch, das ist +ganz was+ feines.
-
-[147] Tausendmal habe ich in Manuskripten auch diese häßliche
-Wortstellung beseitigt, und niemals haben die Verfasser, wenn sie
-ihre Druckkorrektur erhielten, von der Änderung etwas gemerkt, immer
-haben sie ohne Anstoß darüber weggelesen, also offenbar geglaubt, sie
-hätten selber so geschrieben! Wenn es wirklich ein so starkes logisches
-Bedürfnis wäre, das Adverb einzuschieben, so hätte doch einmal einer
-Anstoß nehmen und seine ursprüngliche Fassung wiederherstellen müssen!
-
-[148] Ein harmloses Menschenkind, dem die zwei Präpositionen
-hintereinander doch wider den Strich gingen, schrieb: +mit
-Zumherunterlassen+ eingerichteten Fenstern!
-
-[149] Ähnlich: der Dichter begnügt sich mit einer Skizze, +da wo+ wir
-ein ausgeführtes Bild erwarten. Nach dem Satzbau: der Dichter begnügt
-sich mit einer Skizze +da, wo+ wir usw.
-
-[150] In dem hübschen Scherz: Der Papierreisende (Gesammelte Schriften,
-Bd. 2).
-
-[151] Bedingungssätze statt mit +wenn+ mit dem Verbum anzufangen ist
-an sich nicht übel, nur darf das Verbum dann nicht unmittelbar hinter
-dem des Hauptsatzes stehen, z. B. ich muß +eilen, will+ ich den Zug
-nicht versäumen -- ein gewissenhafter Mann +darf, will+ er seinen Ruf
-nicht gefährden -- es ist manches verschwiegen, was gesagt werden
-+müßte, sollte+ die Veröffentlichung überhaupt Berechtigung haben. Wer
-laut schreibt, wird so etwas nie schreiben. Die beiden Verba platzen
-aufeinander wie ein paar Lokomotiven. Schreibt man +wenn+, so mündet
-der Nebensatz leicht und natürlich ein wie ein Nebenflüßchen, das den
-Fluß des Hauptsatzes beschleunigt. Hüten muß man sich vor der Häufung
-einsilbiger Wörter. Doch kann auch eine lange Reihe einsilbiger
-Wörter ganz fließend klingen, wenn sie durch den Akzent zu Gruppen
-zusammengefaßt werden, z. B.: ein Umstand, wie es ihn | bis jetzt |
-noch fast gar nicht | gegeben hat.
-
-[152] Sehr komisch ist es, wenn unwillkürlich einmal die gesunde
-Natur durch die Manier durchbricht, wo es zu spät ist. Dann entstehen
-Sätze wie: es ist zu bedauern, was für ein +Aufwand+ von Zeit und
-Mühe darauf +verwendet+ worden ist -- die Erfahrungen, die man in
-Dresden mit dieser Einrichtung gemacht hat, dürften den +Beweis+
-für die Notwendigkeit derselben genügend +bewiesen+ haben -- eine
-telegraphische Nachricht, wonach die +Möglichkeit+ einer persönlichen
-Begegnung für +möglich+ erachtet wurde.
-
-[153] Schon als Knaben haben mich die Verse nachdenklich gemacht:
-Ritter, +treue Schwesterliebe+ widmet euch dies Herz. Dann heißt es
-weiter: +fordert+ keine andre Liebe -- wo mir wieder +fordert+ wie ein
-zweites Prädikat zu +Schwesterliebe+ erschien.
-
-[154] Wenn aber Sigismund Breslauer anzeigt, daß er für alte Kleider
-+staunend hohe+ Preise bezahle, und Sigismund Cohn, daß er zu +staunend
-niedrigen+ Preisen verkaufe, so ist das natürlich wieder eine
-Verwechslung; sie meinen +erstaunlich hohe+ und +niedrige+ Preise.
-
-[155] In Leipzig wird ein Hauskauf nicht ins Grundbuch geschrieben,
-sondern +grundbücherlich+ (so!) +verlautbart+.
-
-[156] Das niedrige Volk sagt jetzt auch: +da hört sich alles+
-auf! offenbar, indem es die Redensart: +das gehört sich+ -- damit
-zusammenwirft.
-
-[157] Im Friseurladen redet man jetzt von amerikanischer Kopf+wäsche+.
-Wenn jemand im Neuen Testament von Jesu Fuß+wäsche+ reden wollte!
-
-[158] Im sechzehnten Jahrhundert sprach man noch von +Unterrichtung+.
-Als dafür +Unterricht+ aufkam (anfangs gewiß auf der letzten Silbe
-betont), muß sprachfühlenden Leuten ähnlich zumute gewesen sein wie uns
-heute beim +Vollzug+ und beim +Entscheid+.
-
-[159] Bei dem jetzt so beliebten +entfallen+ mag wohl das lateinische
-~dis~ vorgeschwebt haben, das in ~distrahere~ die Trennung, in
-~distribuere~ die Verteilung bedeutet.
-
-[160] Ein Fehler ist es übrigens, diese Präfixe abzutrennen und zu
-betonen, wie +An-+ und +Ver+kauf, +be+- und +ent+laden, +Be+- und
-+Ent+wässerung. Getrennt und betont werden können immer nur echte
-Präpositionen: +auf+- und +ab+steigen, +Ab+- und +Zu+gang; dagegen
-+An+kauf und +Verkauf+.
-
-[161] Auch mit den Präpositionen springen sie in derselben Weise um
-wie mit den Präfixen. In der Sprache des gewöhnlichen Lebens wird
-ein neues Haus +gedeckt+, eine neue Kirche +gewölbt+, eine Straße
-+gepflastert+, Sandsteinfiguren werden an einem Hause +angebracht+,
-Bilder werden +eingerahmt+, und wenn man eine Stube tapezieren läßt,
-so werden die Möbel vorher +zugedeckt+; sowie aber der Architekt davon
-spricht, wird das Haus +eingedeckt+, die Kirche +eingewölbt+, die
-Straße +abgepflastert+, die Figuren werden +aufgebracht+, die Bilder
-+gerahmt+, und die Möbel -- +abgedeckt+! Gewöhnlich werden Farben
-+gemischt+, und zu einer Lotterie werden auch die Lose +gemischt+.
-Der Farbenfabrikant aber empfiehlt seine +Ausmischungen+ sämtlicher
-Farbentöne, und die Lotteriedirektion spricht von der +Einmischung+
-der Lose. Gewöhnlich wird ein Vogel von der Stange +abgeschossen+, und
-unnütze Sperlinge werden +weggeschossen+; sowie aber der Herr Landrat
-davon spricht, werden die Sperlinge +abgeschossen+. Der gewöhnliche
-Mensch begnügt sich damit, etwas zu +liefern+. Im Bauwesen aber werden
-Steine, Kalk, Ziegel +angeliefert+, und bei der Post werden Briefe,
-Postkarten, Pakete, Zeitungen sogar +aufgeliefert+! Der gewöhnliche
-Mensch +beschneidet+ in seinem Garten einen Trieb, der Gärtner aber
-+kürzt+ ihn +ein+ usw.
-
-[162] Höchstens +Wollust+ und +Jawort+ ließen sich vergleichen.
-
-[163] Auch Wörter wie +Pflegemutter+, +Betschwester+, +Schreihals+,
-+Singvogel+, +Stechapfel+, +Stinktier+ machen nur scheinbar eine
-Ausnahme, auch +Beißkorb+ und +Klapperdeckchen+, denn sie bezeichnen
-Dinge, die den Zweck haben, Beißen und Klappern zu verhüten. Nur
-+Bratheringe+, +Röstkartoffeln+ und +Schlagsahne+ haben ihren Zweck
-schon erfüllt, sie sind schon gebraten, geröstet und geschlagen.
-
-[164] Die früheste Anwendung von +voll und ganz+, freilich in
-gehaltvollerem Sinne als in Parlaments- und Festreden, wiewohl auch
-schon ein wenig als Lückenbüßer, steht in Tiecks Übersetzung von
-Shakespeares Antonius und Kleopatra (I, 3):
-
- Der Zeiten strenger Zwang heischt unsern Dienst
- Für eine Weile; meines Herzens Summe
- Bleibt dein hier +voll und ganz+.
- (~The strong necessity of time commands
- Our services a while; but my full heart
- Remains in use with you.~)
-
-Dingelstedt gebraucht es 1851 in seinem Gedicht „Christnacht“, worin er
-den Heiland des Jahrhunderts herbeiwünscht, aber nicht als Kind,
-
- Nein, groß und fertig, +voll und ganz+
- Entsteig’ er unsern Dämmerungen --
-
-schon ironisch. In einer Erinnerung an Gottfried Keller (Berliner
-Tageblatt vom 13. April 1891) wird erzählt, Keller habe, als in der
-Unterhaltung mit ihm jemand +voll und ganz+ gebraucht habe, ausgerufen:
-„Voll und ganz! Hm, hm! Da sieht man, was ihr für Patrone seid! Phrase,
-nichts als Phrase! Voll und ganz ist das charakterloseste Wort, das es
-gibt, trotz seiner Fülle!“
-
-[165] Als der junge Goethe 1773 seine kecke Schrift „Von deutscher
-Baukunst“ hatte drucken lassen, schrieb der wackere kurf. sächsische
-Hofbaumeister Krubsacius eine Kritik darüber. Darin spricht er auch von
-der „neumodischen Schreibart“, die schon so vielfältig ausgespottet
-worden sei und trotzdem immer weiter um sich gegriffen habe. Daran
-knüpft er die wahrhaft klassischen Worte: „Ein Mißbrauch wird nicht
-anders als durch sich selbst ausgerottet, wenn er nämlich zu einer
-solchen Höhe anwächst, daß ein jeder, der nicht zu stumpfe Sinne hat,
-das Ungeheure davon gewahr werden kann.“
-
-[166] Abgesehen natürlich von Infinitiven, die ganz zu Substantiven
-geworden sind, wie +Leben+, +Essen+, +Vergnügen+, +Vermögen+,
-+Wohlwollen+ u. a.
-
-[167] Seitdem dieses Kapitel veröffentlicht worden ist, ist der
-Mißbrauch erfreulicherweise bedeutend zurückgegangen. Trotzdem mag es
-unverändert hier wieder abgedruckt werden -- als sprachgeschichtliches
-Zeugnis.
-
-[168] Neuerdings wird das Wort sogar für +anfertigen+, +schaffen+
-gebraucht: er hat sich ein Paar neue Stiefel +fertigstellen+ lassen --
-eine Sonate ist mit weniger Zeit und Mühe +fertigzustellen+ als eine
-Symphonie!
-
-[169] Von festen Körpern nur in dem Sinne von +zerkleinert+; +klarer+
-Zucker, +klares+ Holz.
-
-[170] Soll vielleicht auch weiter gezählt werden: die +zweitmalige+,
-+drittmalige+ usw.?
-
-[171] Eine Leipziger Zeitung schrieb neulich: das Rathaus +besitzt+
-denselben Baumeister wie die Pleißenburg!
-
-[172] Anders in „Künstlers Erdewallen“, wo es von dem Kunstschatz des
-Reichen heißt: „Und er +besitzt+ dich nicht, er +hat+ dich nur.“
-
-[173] Das t ist dasselbe unorganische Anhängsel wie in +jetzt+,
-+selbst+ und +Obst+. In Leipzig sagt das Volk auch +anderst+, +Rußt+,
-+Harzt+.
-
-[174] Früher hieß es +im Namen+ des Königs, +aus Mangel+ an genügendem
-Angebot, jetzt nur noch +namens+ des Königs -- +mangels+ genügenden
-Angebots. Schon der häßliche Gleichklang, der ganz unnötigerweise
-durch die Häufung der Genitiv-s entsteht, hätte von solchen Bildungen
-abhalten sollen. Aber die Leute sind ganz vernarrt in solche Genitive;
-man denke auch an: +anfangs+ (!) Oktober (vgl. S. 8).
-
-[175] Ein solches s drängt sich freilich gar zu gern ein, man
-denke an +vollends+, +bereits+, +öfters+, +nirgends+, +zusehends+,
-+durchgehends+, +allerdings+, +schlechterdings+ (um 1700 noch aller
-+Dinge+, +schlechter Dinge+), „neuerdings“ auch +folgends+. Bei den
-meisten dieser Wörter fühlen wir gar nicht mehr das Unorganische des s,
-höchstens noch bei +öfters+. Wir fühlen es aber sofort wieder, wenn wir
-das häßliche süddeutsche und österreichische +weiters+ und +durchwegs+
-hören: ein selbständiges, +durchwegs+ auf Erfahrung begründetes Urteil
--- oder wenn wir +unversehens+ und +unbesehens+ lesen: der Zuhörer
-steht +unversehens+ vor dem Dämonischen -- er hätte dieses Argument
-nicht so +unbesehens+ hinnehmen sollen.
-
-[176] +Bezüglich+ ist Präposition und bedeutet dasselbe wie
-+hinsichtlich+, +rücksichtlich+.
-
-[177] Auf einige häßliche Austriazismen ist schon in der Formenlehre
-und in der Satzlehre hingewiesen worden. Vgl. S. 17 und 58.
-
-[178] Manche Kaufleute behaupten, in dem +ab+ liege ein besondrer Sinn;
-es solle ausdrücken, daß der Übergang einer Ware aus dem Besitz des
-Kaufmanns in den des Käufers an der angegebnen Stelle (+ab Bahnhof+,
-+ab Lager+) geschehe; der Bahnhof, das Lager sei der „Erfüllungsort“.
-Davon hat aber doch der harmlose Käufer, der so etwas in der Zeitung
-liest, keine Ahnung.
-
-[179] Unsre Professoren lachen heute, wenn sie in einem Buche des
-achtzehnten Jahrhunderts lesen: die ~iniquitaet~ ist ~manifest~ oder:
-wir müssen diese ~difficultaeten superiren~. Mache sie es denn aber um
-ein Haar besser?
-
-[180] Freilich gehen Technik und Wissenschaft mit bösem Beispiel voran.
-Vgl. +Taxameter+, +Automobil+, +homosexuell+ (dessen erste Hälfte auch
-„gebildete“ Leute für das lateinische ~homo~ halten!), +Telefunken+
-u. ähnl.
-
-[181] Sehr bitter spottete einmal darüber ein junger französischer
-Student in Leipzig. Die deutschen Mädchen, sagte er, glauben, sie
-müßten +Colliers+ tragen, weil jeder Hund ein +Halsband+ trägt. In
-Paris trägt aber doch jeder Hund ein +Collier+!
-
-[182] Ein vortrefflicher deutscher Schriftsteller, August Apel, nennt
-(1815) einen eingebildeten Kunstkenner einen +Connaisseur+ und fügt
-hinzu: Ich liebe fremde Worte, um die affektierende Abart zu bezeichnen.
-
-[183] Weiß der Leser, wie +konstatieren+ entstanden ist? Durch Anhängen
-der Endung -+ieren+ an das lateinische Impersonale ~constat~. Fast
-unglaublich, aber Tatsache. Und dabei ist in 999 von 1000 Fällen
-+konstatieren+ nichts weiter als ein ganz überflüssiger Henkel für
-einen Aussagesatz. Man sagt nicht: der Hund hat einen Schwanz, sondern
-man +konstatiert+, daß der Hund einen Schwanz hat.
-
-[184] In einem längern Aufsatze, worin +Moment+ und +Faktor+ jedes
-etwa ein Dutzend mal vorkamen, machte ich mir den Spaß, sie regelmäßig
-miteinander zu vertauschen. Als ich die Druckkorrektur des Verfassers
-erhielt, sah ich, daß er nicht das Geringste davon gemerkt hatte. Was
-müssen das für Wörter sein, mit denen man sich solche Scherze erlauben
-kann! Ein rechtes Kreuz sind die +gesetzgebenden Faktoren+; könnte man
-die doch irgendwie los werden!
-
-[185] Schon Schiller schreibt 1797 an Goethe: Sie müssen eine +Epoche+
-gehabt haben, die ich Ihre analytische +Periode+ nennen möchte.
-
-*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK ALLERHAND
-SPRACHDUMMHEITEN ***
-
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-
-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™'s
-goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will
-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
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-and permanent future for Project Gutenberg™ and future
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-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary
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-
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-Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
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-to date contact information can be found at the Foundation's website
-and official page at www.gutenberg.org/contact
-
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-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
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- Allerhand Sprachdummheiten, by Gustav Wustmann—A Project Gutenberg eBook
- </title>
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- /* ]]> */ </style>
-</head>
-<body>
-<div lang='en' xml:lang='en'>
-<p style='text-align:center; font-size:1.2em; font-weight:bold'>The Project Gutenberg eBook of <span lang='de' xml:lang='de'>Allerhand Sprachdummheiten</span>, by Gustav Wustmann</p>
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online
-at <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. If you
-are not located in the United States, you will have to check the laws of the
-country where you are located before using this eBook.
-</div>
-</div>
-
-<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Title: <span lang='de' xml:lang='de'>Allerhand Sprachdummheiten</span></p>
-<p style='display:block; margin-left:2em; text-indent:0; margin-top:0; margin-bottom:1em;'><span lang='de' xml:lang='de'>Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen</span></p>
-<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Author: Gustav Wustmann</p>
-<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Editor: Rudolf Wustmann</p>
-<p style='display:block; text-indent:0; margin:1em 0'>Release Date: January 28, 2023 [eBook #69894]</p>
-<p style='display:block; text-indent:0; margin:1em 0'>Language: German</p>
- <p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em; text-align:left'>Produced by: the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net</p>
-<div style='margin-top:2em; margin-bottom:4em'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK <span lang='de' xml:lang='de'>ALLERHAND SPRACHDUMMHEITEN</span> ***</div>
-
-<div class="transnote mbot3">
-
-<p class="s3 center"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p>
-
-<p class="p0">Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von
-1912 so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische
-Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute
-nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original
-unverändert; fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.</p>
-
-<p class="p0">Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt; Passagen in
-<span class="antiqua">Antiquaschrift</span> werden, mit Ausnahme der
-<a href="#buchwerbung">Buchwerbung</a> am Ende, kursiv dargestellt.
-<span class="nohtml">Abhängig von der im jeweiligen Lesegerät
-installierten Schriftart können die im Original <em class="gesperrt">gesperrt</em>
-gedruckten Passagen gesperrt, in serifenloser Schrift, oder aber sowohl
-serifenlos als auch gesperrt erscheinen.</span></p>
-
-</div>
-
-<div class="titelei">
-
-<p class="s2 center padtop5 break-before">Allerhand Sprachdummheiten</p>
-
-<figure class="figcenter illowe3" id="deko1">
- <img class="w100" src="images/deko.png" alt="Deko">
-</figure>
-
-<p class="s5 center padtop5 mbot5 break-before">
-Die erste Ausgabe dieses Buches ist 1891 erschienen, die zweite<br>
-1896, die dritte 1903, die vierte 1908, die fünfte 1911.</p>
-</div>
-
-<h1><span class="s5">Allerhand</span><br>
-Sprachdummheiten</h1>
-
-<p class="center">Kleine deutsche Grammatik<br>
-des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen</p>
-
-<p class="center mtop2">Ein Hilfsbuch für alle<br>
-die sich öffentlich der deutschen Sprache bedienen</p>
-
-<p class="s5 center mtop1">von<br>
-
-<p class="s2 center"><b>Gustav Wustmann</b></p>
-
-<div class="poetry-right s5">
- <div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse">Gewohnheit macht den Fehler schön</div>
- <div class="verse">Den wir von Jugend auf gesehn</div>
- <div class="verse indent8"><em class="gesperrt">Gellert</em></div>
- </div>
- </div>
-</div>
-
-<p class="center">Sechste Auflage</p>
-
-<figure class="figcenter illowe6 padtop3" id="signet">
- <img class="w100" src="images/signet.png" alt="Verlagssignet">
-</figure>
-
-<p class="center mtop3"><span class="s4">Straßburg</span><br>
-Verlag von Karl J. Trübner<br>
-1912</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_v">[S. v]</span></p>
-
-<figure class="figcenter illowe50" id="borduere1a">
- <img class="w100 mtop3" src="images/borduere1.png" alt="Zierband">
-</figure>
-
-<h2 class="nobreak" id="Aus_dem_Vorwort_des_Verfassers_zur_dritten_Auflage">Aus dem Vorwort des Verfassers zur dritten Auflage</h2>
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="drop">V</span>iele von denen, in deren Hände dieses Buch gekommen ist, haben es
-als Nachschlagebuch benutzt, als eine Art von „Duden“ für Grammatik
-und Stilistik. Das ist ein Irrtum. Die „Sprachdummheiten“ sind kein
-Sprachknecht, der auf jede grammatische oder stilistische Frage die
-gewünschte Antwort bereit hat, sondern ein Buch für denkende Leser,
-das im Zusammenhange studiert und gehörig verarbeitet sein will. Wer
-Nutzen davon haben will, muß sich den Geist des Buches zu eigen machen.
-Gewiß soll es auch der herrschenden Fehlerhaftigkeit und Unsicherheit
-unsers Sprachgebrauchs steuern, aber vor allem soll es doch das
-Sprachgefühl schärfen und dadurch das Aufkommen neuer Fehler verhüten,
-und seine Hauptaufgabe ist eine ästhetische: es soll der immer ärger
-gewordnen Steifheit, Schwerfälligkeit und Schwülstigkeit unsrer Sprache
-entgegenarbeiten und ihr wieder zu einer gewissen Einfachheit und
-Natürlichkeit verhelfen, die, gleichweit entfernt von Gassensprache wie
-von Papierdeutsch, die Freiheit einer feinern Umgangssprache mit der
-Gesetzmäßigkeit einer guten Schriftsprache vereinigt.</p>
-
-<figure class="figcenter illowe3" id="deko2">
- <img class="w100 padtop1" src="images/deko.png" alt="Deko">
-</figure>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_vi">[S. vi]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Vorwort_zur_fuenften_Auflage">Vorwort zur fünften Auflage</h2>
-
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="drop">D</span>ie fünfte Auflage dieses Buches erscheint unter veränderten Umständen.</p>
-
-<p>Am 22. Dezember 1910 starb der Verfasser des Buches. Kurz darauf
-erhielt ich von dem Grunowschen Verlag die Aufforderung, eine neue
-Auflage zu besorgen. Mir lag dazu das mit Nachträgen versehene
-Handexemplar des Verfassers von der vierten Auflage vor und manche
-sonstige von ihm aufgezeichnete Einzelbemerkung. Davon ist aber nur
-das wenige, was den Text wirklich berichtigte oder durch ein besonders
-treffendes Beispiel verbesserte, in die neue Auflage aufgenommen
-worden, sodaß diese im ganzen der vierten Auflage gleicht.</p>
-
-<p>Während des Druckes der fünften Auflage ist das Buch aus dem Verlag von
-Fr. Wilh. Grunow, der die ersten vier Auflagen des Buches verlegt hat,
-sich aber nun in anderer Richtung zu betätigen wünscht, in den von Karl
-J. Trübner übergegangen.</p>
-
-<p class="mtop2">Ende September 1911</p>
-
-<p class="s4 right mright1 mtop1"><b>Rudolf Wustmann</b></p>
-
-<figure class="figcenter illowe3" id="deko3">
- <img class="w100 padtop1" src="images/deko.png" alt="Deko">
-</figure>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_vii">[S. vii]</span></p>
-
-<figure class="figcenter illowe50" id="borduere1b">
- <img class="w100 mtop3" src="images/borduere1.png" alt="Zierband">
-</figure>
-
-<h2 class="nobreak" id="Inhaltsverzeichnis">Inhaltsverzeichnis</h2>
-
-</div>
-
-<table class="toc">
- <tr>
- <td class="s4" colspan="2">
- <div class="center"><b><a href="#Zur_Formenlehre">Zur Formenlehre</a></b></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td colspan="2">
- <div class="right">Seite</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Starke und schwache Deklination</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Starke_und_schwache_Deklination">3</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Frieden oder Friede? Namen oder Name?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Frieden_oder_Friede_Namen_oder_Name">5</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Des Volkes oder des Volks, dem Volk oder dem Volke?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Des_Volkes_oder_des_Volks_dem_Volk_oder_dem_Volke">6</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Des Rhein oder des Rheins</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Des_Rhein_oder_des_Rheins">7</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Franz’ oder Franzens? Goethe’s oder Goethes?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Franz_oder_Franzens_Goethes_oder_Goethes">8</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Friedrich des Großen oder Friedrichs des Großen?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Friedrich_des_Grossen_oder_Friedrichs_des_Grossen">13</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Kaiser Wilhelms</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Kaiser_Wilhelms">13</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Leopolds von Ranke oder Leopold von Rankes?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Leopolds_von_Ranke_oder_Leopold_von_Rankes">15</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Böte oder Boote?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Boete_oder_Boote">16</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Generäle oder Generale?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Generaele_oder_Generale">17</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Die Stiefeln oder die Stiefel?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Die_Stiefeln_oder_die_Stiefel">18</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Worte oder Wörter? Gehälter oder Gehalte?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Worte_oder_Woerter_Gehaelter_oder_Gehalte">20</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Das s der Mehrzahl</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Das_s_der_Mehrzahl">23</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Fünf Pfennig oder fünf Pfennige?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Fuenf_Pfennig_oder_fuenf_Pfennige">24</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Jeden Zwanges oder jedes Zwanges?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Jeden_Zwanges_oder_jedes_Zwanges">25</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Anderen, andren oder andern?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Anderen_andren_oder_andern">27</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Von hohem geschichtlichen Werte oder von hohem
- geschichtlichem Werte?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Von_hohem_geschichtlichen_Werte">29</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Sämtlicher deutscher Stämme oder sämtlicher deutschen
- Stämme?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Saemtlicher_deutscher_Staemme">31</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Ein schönes Äußeres oder ein schönes Äußere? Großer
- Gelehrter oder großer Gelehrten?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Ein_schoenes_Aeusseres">33</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Das Deutsche und das Deutsch</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Das_Deutsche_und_das_Deutsch">35</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Lieben Freunde oder liebe Freunde?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Lieben_Freunde_oder_liebe_Freunde">36</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Wir Deutsche oder wir Deutschen?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Wir_Deutsche_oder_wir_Deutschen">36</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Verein Leipziger Gastwirte – an Bord Sr. Maj. Schiff</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Verein_Leipziger_Gastwirte">38</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Steigerung der Adjektiva. Schwerwiegender oder
- schwerer wiegend?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Steigerung_der_Adjektiva">41</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Größtmöglichst</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Groesstmoeglichst">43</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Gedenke unsrer oder unser?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Gedenke_unsrer_oder_unser">44</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
-<span class="pagenum" id="Seite_viii">[S. viii]</span>
- <div class="left">Derer und deren</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Derer_und_deren">45</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Einundderselbe</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Einundderselbe">46</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Man</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Man">46</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Jemandem oder jemand?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Jemandem_oder_jemand">47</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Jemand anders</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Jemand_anders">47</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Ein andres und etwas andres</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Ein_andres_und_etwas_andres">48</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Zahlwörter</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Zahlwoerter">49</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Starke und schwache Konjugation</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Starke_und_schwache_Konjugation">50</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Verschieden flektierte und schwankende Zeitwörter</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Verschieden_flektierte_und_schwankende_Zeitwoerter">51</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Frägt und frug</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Fraegt_und_frug">54</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Übergeführt und überführt</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Uebergefuehrt_und_ueberfuehrt">56</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Ich bin gestanden oder ich habe gestanden?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Ich_bin_gestanden">59</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Singen gehört oder singen hören?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Singen_gehoert_oder_singen_hoeren">60</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Du issest oder du ißt?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Du_issest_oder_du_isst">62</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Stände oder stünde? Begänne oder begönne?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Staende_oder_stuende">62</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Kännte oder kennte?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Kaennte_oder_kennte">63</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="s4" colspan="2">
- <div class="center mtop2"><b><a href="#Zur_Wortbildungslehre">Zur Wortbildungslehre</a></b></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Reformer und Protestler</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Reformer_und_Protestler">67</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Ärztin und Patin</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Aerztin_und_Patin">68</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Tintefaß oder Tintenfaß?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Tintefass_oder_Tintenfass">69</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Speisenkarte oder Speisekarte?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Speisenkarte_oder_Speisekarte">73</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Äpfelwein oder Apfelwein?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Aepfelwein_oder_Apfelwein">74</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Zeichnenbuch oder Zeichenbuch?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Zeichnenbuch_oder_Zeichenbuch">76</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Das Binde-s</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Das_Binde_s">77</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">ig, lich, isch. Adlig, fremdsprachlich, vierwöchig,
- zugänglich</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#ig_lich_isch">80</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Goethe’sch oder Goethisch? Bremener oder Bremer?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Goethe_sch_oder_Goethisch">84</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Hallenser und Weimaraner</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Hallenser_und_Weimaraner">87</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="s4" colspan="2">
- <div class="center mtop2"><b><a href="#Zur_Satzlehre">Zur Satzlehre</a></b></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Unterdrückung des Subjekts</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Unterdrueckung_des_Subjekts">91</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Die Ausstattung war eine glänzende</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Die_Ausstattung_war_eine_glaenzende">92</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Eine Menge war oder waren?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Eine_Menge_war_oder_waren">96</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Noch ein falscher Plural im Prädikat</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Noch_ein_falscher_Plural_im_Praedikat">98</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Das Passivum. Es wurde sich</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Das_Passivum_Es_wurde_sich">100</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Ist gebeten oder wird gebeten?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Ist_gebeten_oder_wird_gebeten">101</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Mißbrauch des Imperfekts</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Missbrauch_des_Imperfekts">101</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Worden</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Worden">105</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Wurde geboren, war geboren, ist geboren</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Wurde_geboren_war_geboren_ist_geboren">108</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Erzählung und Inhaltsangabe</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Erzaehlung_und_Inhaltsangabe">109</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Tempusverirrung beim Infinitiv</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Tempusverirrung_beim_Infinitiv">111</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
-<span class="pagenum" id="Seite_ix">[S. ix]</span>
- <div class="left">Relativsätze. Welcher, welche, welches</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Relativsaetze_Welcher_welche_welches">112</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Das und was</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Das_und_was">116</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Wie, wo, worin, womit, wobei</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Wie_wo_worin_womit_wobei">118</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Wechsel zwischen der und welcher</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Wechsel_zwischen_der_und_welcher">120</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Welch letzterer und welcher letztere</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Welch_letzterer_und_welcher_letztere">123</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Relativsätze an Attributen</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Relativsaetze_an_Attributen">125</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Einer der schwierigsten, der oder die?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Einer_der_schwierigsten">127</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Falsch fortgesetzte Relativsätze</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Falsch_fortgesetzte_Relativsaetze">128</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Relativsatz statt eines Hauptsatzes</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Relativsatz_statt_eines_Hauptsatzes">130</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Nachdem – zumal – trotzdem – obzwar</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Nachdem_zumal_trotzdem_obzwar">131</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Mißbrauch des Bedingungssatzes</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Missbrauch_des_Bedingungssatzes">134</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Unterdrückung des Hilfszeitworts</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Unterdrueckung_des_Hilfszeitworts">135</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Indikativ und Konjunktiv</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Indikativ_und_Konjunktiv">140</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Die sogenannte <span class="antiqua">consecutio
- temporum</span></div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#consecutio_temporum">148</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Der unerkennbare Konjunktiv</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Der_unerkennbare_Konjunktiv">150</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Der Konjunktiv der Nichtwirklichkeit</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Der_Konjunktiv_der_Nichtwirklichkeit">153</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Vergleichungssätze. Als ob, als wenn</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Vergleichungssaetze">157</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Würde</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Wuerde">158</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Noch ein falsches würde</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Noch_ein_falsches_wuerde">160</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Der Infinitiv. Zu und um zu</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Der_Infinitiv">161</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Das Partizipium. Die stattgefundene Versammlung</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Das_Partizipium">165</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Das sich ereignete Unglück</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Das_sich_ereignete_Unglueck">168</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Hocherfreut oder hoch erfreut</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Hocherfreut_oder_hoch_erfreut">169</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Partizipium statt eines Neben- oder Hauptsatzes</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Partizipium_statt_Neben_oder_Hauptsatz">170</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Falsch angeschloßnes Partizipium</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Falsch_angeschlossnes_Partizipium">171</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">In Ergänzung</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#In_Ergaenzung">172</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Das Attribut</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Das_Attribut">175</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Leipzigerstraße oder Leipziger Straße?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Leipzigerstrasse_oder_Leipziger_Strasse">176</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Fachliche Bildung oder Fachbildung?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Fachliche_Bildung_oder_Fachbildung">183</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Erstaufführung</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Erstauffuehrung">188</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Sedantag und Chinakrieg</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Sedantag_und_Chinakrieg">191</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Shakespearedramen, Menzelbilder und Bismarckbeleidigungen</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Shakespearedramen">193</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Schulze-Naumburg und Müller-Meiningen</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Schulze_Naumburg_und_Mueller_Meiningen">199</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Die Sammlung Göschen</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Die_Sammlung_Goeschen">200</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Die Familie Nachfolger</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Die_Familie_Nachfolger">204</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Ersatz Deutschland</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Ersatz_Deutschland">205</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Der grobe Unfugparagraph</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Der_grobe_Unfugparagraph">206</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Die teilweise Erneuerung</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Die_teilweise_Erneuerung">207</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Der tiefer Denkende, der Tieferdenkende oder der tiefer
- denkende?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Der_tiefer_Denkende">210</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Die Apposition</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Die_Apposition">213</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Der Buchtitelfehler</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Der_Buchtitelfehler">215</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Frl. Mimi Schulz, Tochter usw.</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Frl_Mimi_Schulz_Tochter_usw">217</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
-<span class="pagenum" id="Seite_x">[S. x]</span>
- <div class="left">Bad-Kissingen und Kaiser Wilhelm-Straße</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Bad_Kissingen_und_Kaiser_Wilhelm_Strasse">218</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Der Dichter-Komponist und der Doktor-Ingenieur</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Der_Dichter_Komponist_und_der_Doktor_Ingenieur">220</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">In einer Zeit wie der unsrigen</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#In_einer_Zeit_wie_der_unsrigen">221</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Gustav Fischer, Buchbinderei</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Gustav_Fischer_Buchbinderei">221</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Die persönlichen Fürwörter. Der erstere und der letztere</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Die_persoenlichen_Fuerwoerter">223</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Derselbe, dieselbe, dasselbe</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Derselbe_dieselbe_dasselbe">226</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Darin, daraus, daran, darauf usw.</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Darin_daraus_daran_darauf_usw">231</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Derjenige, diejenige, dasjenige</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Derjenige_diejenige_dasjenige">235</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Jener, jene, jenes</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Jener_jene_jenes">237</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Zur Kasuslehre. Ich versichere dir oder dich?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Zur_Kasuslehre">238</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Er hat mir oder er hat mich auf den Fuß getreten?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#auf_den_Fuss_getreten">242</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Zur Steuerung des Notstandes</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Zur_Steuerung_des_Notstandes">243</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Voller Menschen</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Voller_Menschen">244</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Zahlwörter. Erste Künstler</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Zahlwoerter_Erste_Kuenstler">245</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Die Präpositionen</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Die_Praepositionen">246</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Nördlich, südlich, rechts, links, unweit</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Noerdlich_suedlich_rechts_links_unweit">248</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Im oder in dem? zum oder zu dem?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Im_oder_in_dem">250</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Aus: „Die Grenzboten“</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Aus_Die_Grenzboten">254</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Nach dort</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Nach_dort">256</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Bis</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Bis">257</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">In 1870</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#In_1870">258</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Alle vier Wochen oder aller vier Wochen?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Alle_vier_Wochen">259</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Donnerstag und Donnerstags – nachmittag und nachmittags</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Donnerstag_und_Donnerstags">260</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Drei Monate – durch drei Monate – während dreier Monate</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Drei_Monate">261</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Am (!) Donnerstag den (!) 13. Februar</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Am_Donnerstag_den_13_Februar">263</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Bindewörter. Und</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Bindewoerter_Und">265</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Als, wie, denn beim Vergleich</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Als_wie_denn_beim_Vergleich">268</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Die Verneinungen</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Die_Verneinungen">270</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Besondere Fehler. Der Schwund des Artikels</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Besondere_Fehler_Der_Schwund_des_Artikels">274</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Natürliches und grammatisches Geschlecht</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Natuerliches_und_grammatisches_Geschlecht">276</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Mißhandelte Redensarten</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Misshandelte_Redensarten">278</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Vertauschung des Hauptworts und des Fürworts – ein
- schwieriger Fall</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Vertauschung_des_Hauptworts_und_des_Fuerworts">283</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Die fehlerhafte Zusammenziehung</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Die_fehlerhafte_Zusammenziehung">286</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Tautologie und Pleonasmus</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Tautologie_und_Pleonasmus">290</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Die Bildervermengung</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Die_Bildervermengung">293</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Vermengung zweier Konstruktionen</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Vermengung_zweier_Konstruktionen">295</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Falsche Wortstellung</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Falsche_Wortstellung">297</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Die alte gute Zeit oder die gute alte Zeit?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Die_alte_gute_Zeit">299</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Höhenkurort für Nervenschwache ersten Ranges</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Hoehenkurort_fuer_Nervenschwache_ersten_Ranges">301</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Die sogenannte Inversion nach und</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Die_sogenannte_Inversion_nach_und">304</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
-<span class="pagenum" id="Seite_xi">[S. xi]</span>
- <div class="left">Die Stellung der persönlichen Fürwörter</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Die_Stellung_der_persoenlichen_Fuerwoerter">308</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">In fast allen oder fast in allen?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#In_fast_allen_oder_fast_in_allen">314</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Zwei Präpositionen nebeneinander</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Zwei_Praepositionen_nebeneinander">317</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Zur Interpunktion</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Zur_Interpunktion">318</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Fließender Stil</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Fliessender_Stil">324</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="s4" colspan="2">
- <div class="center mtop2"><b><a href="#Zum_Wortschatz_und_zur_Wortbedeutung">Zum Wortschatz und zur Wortbedeutung</a></b></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Die Stoffnamen</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Die_Stoffnamen">337</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Verwechselte Wörter</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Verwechselte_Woerter">338</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Hingebung und Hingabe. Aufregung und Aufgeregtheit</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Hingebung_und_Hingabe">343</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Vertauschung der Hilfszeitwörter</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Vertauschung_der_Hilfszeitwoerter">346</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Der Dritte und der Andre</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Der_Dritte_und_der_Andre">347</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Verwechslung von Präpositionen</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Verwechslung_von_Praepositionen">349</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Hin und her</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Hin_und_her">352</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Ge, be, ver, ent, er</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Ge_be_ver_ent_er">354</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Neue Wörter</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Neue_Woerter">359</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Modewörter</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Modewoerter">365</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Der Gesichtspunkt und der Standpunkt</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Der_Gesichtspunkt_und_der_Standpunkt">393</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Das Können und das Fühlen</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Das_Koennen_und_das_Fuehlen">396</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Bedingen</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Bedingen">398</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Richtigstellen und klarlegen</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Richtigstellen_und_klarlegen">402</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Fort oder weg?</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Fort_oder_weg">404</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Schwulst</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Schwulst">405</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Rücksichtnahme und Verzichtleistung</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Ruecksichtnahme_und_Verzichtleistung">408</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Anders, andersartig und anders geartet</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Anders_andersartig_und_anders_geartet">409</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Haben und besitzen</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Haben_und_besitzen">410</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Verbalsurrogate</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Verbalsurrogate">416</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Vermittelst, mit Zuhilfenahme von</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Vermittelst_mit_Zuhilfenahme_von">418</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Seitens</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Seitens">422</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Bez. beziehungsweise bezw.</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Bez_beziehungsweise_bezw">426</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Provinzialismen</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Provinzialismen">430</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left">Fremdwörter</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right"><a href="#Fremdwoerter">433</a></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="vat">
- <div class="left mtop1">Alphabetisches Wortregister</div>
- </td>
- <td class="vab">
- <div class="right mtop1"><a href="#Alphabetisches_Wortregister">453</a></div>
- </td>
- </tr>
-</table>
-
-<figure class="figcenter illowe3" id="deko4">
- <img class="w100 padtop1" src="images/deko.png" alt="Deko">
-</figure>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_1">[S. 1]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak padtop5" id="Zur_Formenlehre">Zur Formenlehre</h2>
-
-</div>
-
-<figure class="figcenter illowe3" id="deko5">
- <img class="w100 padtop1" src="images/deko.png" alt="Deko">
-</figure>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_3">[S. 3]</span></p>
-
-<figure class="figcenter illowe50" id="borduere1c">
- <img class="w100 mtop3" src="images/borduere1.png" alt="Zierband">
-</figure>
-
-<h3 id="Starke_und_schwache_Deklination">Starke und schwache Deklination</h3>
-
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="drop">B</span>ekanntlich gibt es – oder wir wollen doch lieber ehrlich sein und
-einfach sagen: es gibt im Deutschen eine starke und eine schwache
-Deklination. Unter der starken versteht man die, die einen größern
-Formenreichtum und eine größere Formenmannigfaltigkeit hat. Sie
-hat in der Einzahl im Genitiv die Endung <em class="gesperrt">es</em>, im Dativ e, in
-der Mehrzahl im Nominativ, Genitiv und Akkusativ die Endung e (bei
-vielen Wörtern männlichen und sächlichen Geschlechts <em class="gesperrt">er</em>),
-im Dativ <em class="gesperrt">en</em> (<em class="gesperrt">ern</em>). Die Stammvokale a, o, u und der
-Diphthong <em class="gesperrt">au</em> werden dabei in der Mehrzahl gewöhnlich in ä,
-ö, ü, <em class="gesperrt">äu</em> verwandelt, was man den Umlaut nennt.<a id="FNAnker_1" href="#Fussnote_1" class="fnanchor">[1]</a> Unter der
-schwachen Deklination versteht man die formenärmere. Hier haben alle
-Kasus der Einzahl (mit Ausnahme des Nominativs) und alle Kasus der
-Mehrzahl die Endung <em class="gesperrt">en</em>. Die schwache Deklination hat auch keinen
-Umlaut. Zur starken Deklination gehören Wörter männlichen, weiblichen
-und sächlichen, zur schwachen nur Wörter männlichen und weiblichen
-Geschlechts. Die Wörter weiblichen Geschlechts verändern in beiden
-Deklinationen nur in der Mehrzahl ihre Form.</p>
-
-<p>Zur starken Deklination gehören z.&#160;B. der <em class="gesperrt">Fuß</em>, die <em class="gesperrt">Hand</em>,
-das <em class="gesperrt">Haus</em>; zur schwachen der <em class="gesperrt">Mensch</em>, die <em class="gesperrt">Frau</em>.<a id="FNAnker_2" href="#Fussnote_2" class="fnanchor">[2]</a></p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_4">[S. 4]</span></p>
-
-<p>Im Vergleich zu dem großen Reichtum unsrer Sprache an Hauptwörtern und
-der großen Mannigfaltigkeit, die innerhalb der beiden Deklinationen
-besteht, ist die Zahl der Fälle, wo heute Deklinationsfehler im
-Schwange sind, oder wo sich Unsicherheit zeigt, verhältnismäßig klein.
-Aber ganz fehlt es doch nicht daran.</p>
-
-<p>Mehr und mehr greift die Unsitte um sich, schwach zu deklinierende
-Maskulina im Akkusativ ihrer Endung zu berauben: <em class="gesperrt">den Fürst</em>,
-<em class="gesperrt">den Held</em>, <em class="gesperrt">den Hirt</em>. Es heißt aber: <em class="gesperrt">den Fürsten</em>,
-<em class="gesperrt">den Helden</em> usw.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Zu Mann</em> gibt es eine doppelte Mehrzahl: <em class="gesperrt">Männer</em> und
-<em class="gesperrt">Leute</em>. Man sagt: die <em class="gesperrt">Bergleute</em>, die <em class="gesperrt">Hauptleute</em>,
-die <em class="gesperrt">Spielleute</em>, aber die <em class="gesperrt">Wahlmänner</em>, die
-<em class="gesperrt">Ehrenmänner</em>, die <em class="gesperrt">Biedermänner</em>, die <em class="gesperrt">Ehemänner</em>;
-unter <em class="gesperrt">Eheleuten</em> versteht man Mann und Frau zusammen.</p>
-
-<p>Ein Wort, mit dem die Leute nicht mehr recht umzugehen wissen, und
-das sie doch jetzt sehr gern gebrauchen, ist <em class="gesperrt">Gewerke</em> (für
-<em class="gesperrt">Handwerker</em>). Ein <em class="gesperrt">Gewerke</em> ist ein zu einer Innung
-gehörender Meister oder ein Teilnehmer an einem gesellschaftlichen
-Geschäftsbetrieb (das alte gute deutsche Wort für das heutige
-<em class="gesperrt">Aktionär</em>). Das Wort ist aber schwach zu flektieren, die Mehrzahl
-heißt <em class="gesperrt">die Gewerken</em> (die <em class="gesperrt">Baugewerken</em>). Daneben gibt es
-aber das Wort auch im sächlichen Geschlecht: <em class="gesperrt">das Gewerk</em> (für
-<em class="gesperrt">Handwerk</em>, <em class="gesperrt">Innung</em>), und das ist stark zu flektieren;
-hier heißt die Mehrzahl die <em class="gesperrt">Gewerke</em>. Viele gebrauchen aber
-jetzt fälschlich die starke Form, auch wo sie offenbar die einzelnen
-Personen, nicht die Handwerksinnungen meinen, z.&#160;B. heimische
-<em class="gesperrt">Künstler und Gewerke</em>. Umgekehrt sind jetzt <em class="gesperrt">die Gauen</em>
-beliebt: das Lied ging durch <em class="gesperrt">alle</em> deutschen <em class="gesperrt">Gauen</em>. Aber
-auch sie sind falsch; <em class="gesperrt">Gau</em>, ursprünglich sächlichen Geschlechts
-(<em class="gesperrt">das Gäu</em>), jetzt Maskulinum, bildet den Genitiv <em class="gesperrt">des Gaus</em>
-und die Mehrzahl <em class="gesperrt">die Gaue</em>.</p>
-
-<p>In Leipziger Zeitungen werden oft <em class="gesperrt">Darlehne</em> gesucht
-(<em class="gesperrt">Pfanddarlehne</em>, <em class="gesperrt">Hypothekendarlehne</em>), und die Geistlichen
-treten für ihre alten <em class="gesperrt">Kirchlehne</em> ein. Die Einzahl heißt aber das
-<em class="gesperrt">Lehen</em>, und wenn das<span class="pagenum" id="Seite_5">[S. 5]</span> auch kein substantivierter Infinitiv ist,
-wie <em class="gesperrt">Wesen</em>, <em class="gesperrt">Schreiben</em>, <em class="gesperrt">Vermögen</em>, <em class="gesperrt">Verfahren</em>,
-<em class="gesperrt">Vergnügen</em>, <em class="gesperrt">Unternehmen</em>, so wird es doch in der guten
-Schriftsprache so flektiert wie diese, und die Mehrzahl heißt: die
-<em class="gesperrt">Lehen</em>, die <em class="gesperrt">Darlehen</em>, die <em class="gesperrt">Kirchlehen</em>, so gut wie
-die <em class="gesperrt">Wesen</em>, die <em class="gesperrt">Verfahren</em>, die <em class="gesperrt">Unternehmen</em>.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Frieden_oder_Friede_Namen_oder_Name">Frieden oder Friede?
-Namen oder Name?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Bei einer kleinen Anzahl von Hauptwörtern schwankt der Nominativ
-zwischen einer Form auf e und einer auf en; es sind das folgende
-Wörter: <em class="gesperrt">Friede</em>, <em class="gesperrt">Funke</em>, <em class="gesperrt">Gedanke</em>, <em class="gesperrt">Gefalle</em>,
-<em class="gesperrt">Glaube</em>, <em class="gesperrt">Haufe</em>, <em class="gesperrt">Name</em>, <em class="gesperrt">Same</em>, <em class="gesperrt">Schade</em>
-und <em class="gesperrt">Wille</em>. Die Form auf en ist aber eigentlich falsch. Diese
-Wörter gehören der schwachen Deklination an,<a id="FNAnker_3" href="#Fussnote_3" class="fnanchor">[3]</a> neigen jedoch zur
-starken: im Genitiv bilden sie eine Mischform aus der starken und der
-schwachen Deklination auf <em class="gesperrt">ens</em> (des <em class="gesperrt">Namens</em>), und von
-<em class="gesperrt">Schade</em> hat der Plural sogar den Umlaut: die <em class="gesperrt">Schäden</em>. Da
-hat sich nun unter dem Einflusse jener Mischform das <em class="gesperrt">en</em> aus
-dem Dativ und dem Akkusativ auch in den Nominativ gedrängt.<a id="FNAnker_4" href="#Fussnote_4" class="fnanchor">[4]</a> Die
-alte richtige Form ist aber doch überall daneben noch lebendig und im
-Gebrauch (von <em class="gesperrt">Schade</em> allerdings fast nur noch in der Redensart:
-es <em class="gesperrt">ist schade</em>). Der <em class="gesperrt">Gefalle</em> (bei Lessing öfter) ist
-wenigstens in Sachsen und Thüringen noch ganz üblich: es geschieht mir
-ein großer <em class="gesperrt">Gefalle</em> damit. Daher sollte die alte Form auch immer
-vorgezogen, also gesagt werden: der <em class="gesperrt">Friede</em> von 1871, nicht der
-<em class="gesperrt">Frieden</em> von 1871. Vollends der künstlerische <em class="gesperrt">Gedanken</em>,
-wie man bisweilen lesen muß, ist unerträglich.<a id="FNAnker_5" href="#Fussnote_5" class="fnanchor">[5]</a></p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_6">[S. 6]</span></p>
-
-<h3 id="Des_Volkes_oder_des_Volks_dem_Volk_oder_dem_Volke">Des Volkes oder des
-Volks, dem Volk oder dem Volke?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Ob in der starken Deklination die volle Genitivendung <em class="gesperrt">es</em> oder
-das bloße Genitiv-s vorzuziehen sei, ob man lieber sagen solle:
-des <em class="gesperrt">Amtes</em>, des <em class="gesperrt">Berufes</em>, oder des <em class="gesperrt">Amts</em>, des
-<em class="gesperrt">Berufs</em>, darüber läßt sich keine allgemeine Regel aufstellen.
-Von manchen Wörtern ist nur die eine Bildung, von manchen nur die
-andre, von vielen sind beide Bildungen nebeneinander üblich; selbst
-in Zusammensetzungen stehen ältere Bildungen wie <em class="gesperrt">Landsmann</em>
-und <em class="gesperrt">Landsknecht</em> neben jüngern wie <em class="gesperrt">Landesherr</em> und
-<em class="gesperrt">Landesvater</em>. Oft kommt es nur auf den Wohlklang des einzelnen
-Wortes und vor allem auf den Rhythmus der zusammenhängenden Rede an:
-die kurzen Formen können kräftig, aber auch gehackt, die langen weich
-und geschmeidig, aber auch schleppend klingen, je nach der Umgebung.
-Ich würde z.&#160;B. schreiben: die sicherste Stütze des <em class="gesperrt">Throns</em> liegt
-in der Liebe und Dankbarkeit des <em class="gesperrt">Volkes</em>, die täglich neu aus der
-Überzeugung geboren werden muß, daß die berechtigten Interessen des
-<em class="gesperrt">Volks</em> ihre beste Stütze im <em class="gesperrt">Throne</em> finden.</p>
-
-<p>Zu beklagen ist es, daß immer mehr die Neigung um sich greift (teils
-von Norddeutschland, teils von Süddeutschland aus), das Dativ-e ganz
-wegzuwerfen und zu sagen: vor dem <em class="gesperrt">König</em>, in dem <em class="gesperrt">Buch</em>,
-aus dem <em class="gesperrt">Haus</em>, nach dem <em class="gesperrt">Krieg</em>, nach dem <em class="gesperrt">Tod</em>, im
-<em class="gesperrt">Jahr</em>, im <em class="gesperrt">Recht</em>, im <em class="gesperrt">Reich</em>, im <em class="gesperrt">Wald</em>, auf
-dem <em class="gesperrt">Berg</em>, am <em class="gesperrt">Meer</em> (statt <em class="gesperrt">Könige</em>, <em class="gesperrt">Buche</em>,
-<em class="gesperrt">Hause</em>, <em class="gesperrt">Kriege</em>, <em class="gesperrt">Jahre</em>, <em class="gesperrt">Rechte</em> usw.). Ja
-manche möchten das jetzt geradezu als Forderung aufstellen. Aber
-abgesehen davon, daß dadurch der Formenreichtum unsrer Deklination,
-der ohnehin im Vergleich zu der ältern Zeit schon stark verkümmert
-ist, immer mehr verkümmert, erhält auch die Sprache, namentlich
-wenn das e bei einsilbigen Wörtern überall weggeworfen wird, etwas
-zerhacktes. Ein einziges Dativ-e kann oft mitten unter klapprigen
-einsilbigen Wörtern Rhythmus und Wohllaut herstellen. Man sollte
-es daher sorgfältig schonen, in der lebendigen Sprache wie beim
-Schreiben, und die Schule sollte sich bemühen, es zu erhalten.
-Besonders<span class="pagenum" id="Seite_7">[S. 7]</span> häßlich wirkt das Abwerfen des Dativ-e, wenn das Wort dann
-mit demselben Konsonanten schließt, mit dem das nächste anfängt, z.&#160;B.
-im <em class="gesperrt">Goldland des</em> Altertums. Nur wo das Wort mit einem Vokal
-anfängt, also ein sogenannter Hiatus entstehen würde, mag man das e
-zuweilen fallen lassen – zuweilen, denn auch da ist immer der Rhythmus
-zu berücksichtigen; eine Regel, daß jeder Hiatus zu meiden sei, soll
-damit nicht ausgesprochen werden. Ganz unerträglich würde das Fehlen
-des Dativ-e in formelhaften Wendungen erscheinen wie: <em class="gesperrt">zustande</em>
-kommen, <em class="gesperrt">im Wege</em> stehen, <em class="gesperrt">zugrunde</em> gehen, <em class="gesperrt">zu Kreuze</em>
-kriechen, ebenso unerträglich freilich die Erhaltung des Dativ-e in
-andern formelhaften Wendungen wie: <em class="gesperrt">mit Dank</em>, <em class="gesperrt">von Jahr zu
-Jahr</em>, <em class="gesperrt">von Ort zu Ort</em>.</p>
-
-<p>An den Wörtern auf <em class="gesperrt">nis</em> und <em class="gesperrt">tum</em> und an Fremdwörtern wirkt
-das Dativ-e meist unangenehm schleppend; man denke an Dative wie:
-dem <em class="gesperrt">Verhältnisse</em>, dem <em class="gesperrt">Eigentume</em>, dem <em class="gesperrt">Systeme</em>,
-dem <em class="gesperrt">Probleme</em>, dem <em class="gesperrt">Organe</em>, dem <em class="gesperrt">Prinzipe</em>,
-dem <em class="gesperrt">Rektorate</em>, dem <em class="gesperrt">Programme</em>, dem <em class="gesperrt">Metalle</em>,
-dem <em class="gesperrt">Offiziere</em>, dem <em class="gesperrt">Romane</em>, dem <em class="gesperrt">Ideale</em>, dem
-<em class="gesperrt">Madrigale</em>, dem <em class="gesperrt">Oriente</em>, dem <em class="gesperrt">Manifeste</em>, dem
-<em class="gesperrt">Archive</em> usw. Man kann nicht sagen, daß diese Formen an sich
-häßlich wären, denn die Plurale, die die meisten dieser Wörter bilden,
-klingen ja ebenso; aber als Dative des Singulars wirken sie häßlich.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Des_Rhein_oder_des_Rheins">Des Rhein oder des Rheins?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Vielfache Unsicherheit herrscht in der Deklination der Ortsnamen.
-Haben sie keinen Artikel, wie die meisten Länder- und Städtenamen, so
-bildet wohl jedermann einen richtigen Genitiv (<em class="gesperrt">Deutschlands</em>,
-<em class="gesperrt">Wiens</em>); bei den Berg- und Flußnamen aber, die den Artikel
-bei sich haben, muß man jetzt immer öfter Genitive lesen wie <em class="gesperrt">des
-Rhein</em>, <em class="gesperrt">des Main</em>, <em class="gesperrt">des Nil</em>, <em class="gesperrt">des Brocken</em>,
-<em class="gesperrt">des Petersberg</em>, <em class="gesperrt">des Hohentwiel</em>, <em class="gesperrt">des Vesuv</em>, und
-ebenso ist es bei Länder- und Städtenamen, wenn sie durch den Zusatz
-eines Attributs den Artikel erhalten; auch da hat sich immer mehr
-die Nachlässigkeit<span class="pagenum" id="Seite_8">[S. 8]</span> verbreitet, zu schreiben: des <em class="gesperrt">kaiserlichen
-Rom</em>, des <em class="gesperrt">modernen Wien</em>, des <em class="gesperrt">alten Leipzig</em>, des
-<em class="gesperrt">damaligen Frankreich</em>, des <em class="gesperrt">nordöstlichen Böhmen</em>, des erst
-noch <em class="gesperrt">zu erobernden Jütland</em>. Bei den Personennamen ist ja, wenn
-sie den Artikel haben, der Genitiv rettungslos verloren; des <em class="gesperrt">großen
-Friedrichs</em> oder die Leiden des <em class="gesperrt">jungen Werthers</em> (wie Goethe
-noch 1774 schrieb) getraut sich heute niemand mehr zu schreiben. Ebenso
-geht es den Monatsnamen. Auch diese wurden früher alle zwölf richtig
-dekliniert: <em class="gesperrt">des Aprils</em>, <em class="gesperrt">des Oktobers</em> (Klopstock: Sohn
-<em class="gesperrt">des Mais</em>; Schlegel: Nimm vor des <em class="gesperrt">Märzen</em> Idus dich in
-acht). Heute schreibt man fast nur noch: zu Anfang <em class="gesperrt">des Oktober</em>,
-wenn man nicht lieber gar stammelt: <em class="gesperrt">Anfang Oktober</em>. Aber bei
-Ortsnamen sind wir doch noch nicht ganz so weit.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Franz_oder_Franzens_Goethes_oder_Goethes">Franz’ oder Franzens? Goethe’s
-oder Goethes?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Großes Vergnügen macht es vielen Leuten, den Genitiv von Personennamen
-mit einem Apostroph zu versehen: <em class="gesperrt">Friedrich’s</em>, <em class="gesperrt">Müller’s</em>.
-Selbst große Gelehrte sind in den Apostroph so verliebt, daß es ihnen
-ganz undenkbar erscheint, <em class="gesperrt">Goethes</em> ohne das hübsche Häkchen oben
-zu schreiben. Nun ist ja der Apostroph überhaupt eine große Kinderei.
-Alle unsre Schriftzeichen bedeuten doch Laute, die gesprochen werden.
-Auch die Interpunktionszeichen gehören dazu. Nicht bloß das Ausrufe-
-und das Fragezeichen, sondern auch Komma, Kolon, Semikolon und Punkt,
-Klammern und Gedankenstriche lassen sich beim Vorlesen sehr wohl
-vernehmlich machen. Nur der Apostroph bedeutet gar nichts; ja er soll
-geradezu einen Laut bedeuten, der – nicht da ist, der eigentlich da
-sein sollte, aber ausgefallen ist. Ist nicht das schon kindisch? Nun
-ist ja aber bei diesen Genitiven gar nichts ausgefallen. Wenn man
-schreibt: <em class="gesperrt">des Müllers</em> Esel, warum soll man nicht auch <em class="gesperrt">Otfried
-Müllers</em> Etrusker schreiben?<a id="FNAnker_6" href="#Fussnote_6" class="fnanchor">[6]</a></p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_9">[S. 9]</span></p>
-
-<p>Nun aber vollends bei Personennamen auf s, ß, z und x – welche
-Anstrengungen werden da gemacht, einen Genitiv zu bilden! Die Anzahl
-solcher Namen ist ja ziemlich groß; man denke an <em class="gesperrt">Fuchs</em>,
-<em class="gesperrt">Voß</em>, <em class="gesperrt">Krebs</em>, <em class="gesperrt">Carstens</em>, <em class="gesperrt">Görres</em>,
-<em class="gesperrt">Strauß</em>, <em class="gesperrt">Brockhaus</em>, <em class="gesperrt">Hinrichs</em>, <em class="gesperrt">Brahms</em>,
-<em class="gesperrt">Begas</em>, <em class="gesperrt">Dickens</em>, <em class="gesperrt">Curtius</em>, <em class="gesperrt">Mylius</em>,
-<em class="gesperrt">Cornelius</em>, <em class="gesperrt">Berzelius</em>, <em class="gesperrt">Rodbertus</em>, <em class="gesperrt">Marx</em>,
-<em class="gesperrt">Felix</em>, <em class="gesperrt">Max</em>, <em class="gesperrt">Franz</em>, <em class="gesperrt">Fritz</em>, <em class="gesperrt">Moritz</em>,
-<em class="gesperrt">Götz</em>, <em class="gesperrt">Uz</em>, <em class="gesperrt">Schütz</em>, <em class="gesperrt">Schwarz</em>, <em class="gesperrt">Leibniz</em>,
-<em class="gesperrt">Opitz</em>, <em class="gesperrt">Rochlitz</em>, <em class="gesperrt">Lorenz</em>, <em class="gesperrt">Pohlenz</em>,
-nicht zu reden von den griechischen, römischen, spanischen Namen,
-wie <em class="gesperrt">Sophokles</em>, <em class="gesperrt">Tacitus</em>, <em class="gesperrt">Olivarez</em> usw.; die
-Veranlassung ist also auf Schritt und Tritt gegeben. Bei den
-griechischen und römischen Namen pflegt man sich damit zu helfen,
-daß man den Artikel vorsetzt: die Tragödien <em class="gesperrt">des Sophokles</em>,
-die Germania <em class="gesperrt">des Tacitus</em>. Man ist an diese Genitive von
-seiner Schulzeit her so gewöhnt, daß man gar nichts anstößiges
-mehr darin findet, obwohl man es sofort als anstößig empfinden
-würde, wenn jemand schriebe: die Gedichte <em class="gesperrt">des Goethe</em>. Der
-Artikel vor dem Personennamen ist süddeutscher oder österreichischer
-Provinzialismus (in Stuttgart sagt man: <em class="gesperrt">der Uhland</em>, in Wien:
-<em class="gesperrt">der Raimund</em>), aber in die Schriftsprache gehört das nicht;
-in kunstgeschichtlichen Büchern und Aufsätzen immer von Zeichnungen
-<em class="gesperrt">des Carstens</em> und Entwürfen <em class="gesperrt">des Cornelius</em> lesen zu
-müssen oder gar, wie in der beschreibenden Darstellung der Bau- und
-Kunstdenkmäler Leipzigs, von einem Bildnis <em class="gesperrt">des Gottsched</em>,
-einem Bildnis <em class="gesperrt">des Gellert</em>, ist doch gar zu häßlich. Manche
-setzen denn nun auch an solche Namen fröhlich das Genitiv-s (natürlich
-mit dem unvermeidlichen Apostroph davor!), also: <em class="gesperrt">Fues’s</em>
-Verlag, <em class="gesperrt">Rus’s</em> Kaffeehandlung, <em class="gesperrt">Harras’s</em> Grabstein in
-der Thomaskirche, Kurfürst <em class="gesperrt">Moritz’s</em> Verdienste um Leipzig,
-<em class="gesperrt">Leibniz’s</em> ägyptischer Plan, Gabriel <em class="gesperrt">Max’s</em> Illustrationen
-zu Uhlands (oder vielmehr Uhland’s) Gedichten. Noch andre – und das
-ist das beliebteste und das, was in Grammatiken<span class="pagenum" id="Seite_10">[S. 10]</span> gelehrt, in den
-Druckereien befolgt und jetzt auch für die Schulen vorgeschrieben wird
-– meinen, einen Genitiv zu bilden, indem sie einen bloßen Apostroph
-hinter den Namen setzen, z.&#160;B. <em class="gesperrt">Celtes’</em> Ausgabe der Roswitha,
-<em class="gesperrt">Junius’</em> Briefe, <em class="gesperrt">Kochs’</em> Mikroskopierlampe (der Erfinder
-heißt wirklich <em class="gesperrt">Kochs</em>!), <em class="gesperrt">Uz’</em> Gedichte, <em class="gesperrt">Voß’</em> Luise,
-Heinrich <em class="gesperrt">Schütz’</em> sämtliche Werke, <em class="gesperrt">Rochlitz’</em> Briefwechsel
-mit Goethe. Und solche Beispiele, in denen der Name <em class="gesperrt">vor</em> dem
-Worte steht, von dem er abhängt, sind noch nicht die schlimmsten. Ganz
-toll aber ist: die Findung <em class="gesperrt">Moses’</em>, der Kanzler <em class="gesperrt">Moritz’</em>
-(das soll heißen: der Kanzler des Herzogs Moritz), die berühmte
-Ketzerschrift <em class="gesperrt">Servetus’</em>, auf Anregung <em class="gesperrt">Gervinus’</em>, der
-Besuch König <em class="gesperrt">Alfons’</em>, der Stil <em class="gesperrt">Rabelais’</em>, der Dualismus
-<em class="gesperrt">Descartes’</em> (in <em class="gesperrt">Descartes</em> ist ja das es stumm, und der
-Genitiv von <em class="gesperrt">Descartes</em> wird wirklich gesprochen: <em class="gesperrt">karts</em>!).
-Das neueste ist, daß man sogar Namen, die auf <em class="gesperrt">sch</em> endigen, in
-diesen Unsinn mit hereinzieht und schreibt: in den Tagebuchblättern
-Moritz <em class="gesperrt">Busch’</em>, zum siebzigsten Geburtstage Wilhelm
-<em class="gesperrt">Busch’</em>, das allerneueste, daß man sogar im Dativ(!) schreibt:
-<span class="antiqua">Dr.</span> <em class="gesperrt">Peters’</em> als Vorsitzendem lag die Pflicht ob!</p>
-
-<p>Sollten wir uns nicht vor den Ausländern schämen ob dieser kläglichen
-Hilflosigkeit? Ist es nicht kindisch, sich einzubilden und dem
-Ausländer, der Deutsch lernen möchte, einzureden, daß im Deutschen
-auch ein Kasus gebildet werden könne, indem man ein Häkchen hinter
-das zu deklinierende Wort setzt, ein Häkchen, das doch nur auf dem
-Papiere steht, nur für das Auge da ist? Wie klingt denn der Apostroph
-hinter dem Worte? Kann man ihn hören? Spreche ihn doch einer! Soll man
-vielleicht den Mund eine Weile aufsperren, um ihn anzudeuten? oder sich
-einmal räuspern? Irgend etwas muß doch geschehen, um den Apostroph fürs
-Ohr vernehmlich zu machen, sonst ist ja zwischen <em class="gesperrt">Leibniz</em> und
-<em class="gesperrt">Leibniz’</em>, zwischen dem Nominativ und dem angeblichen Genitiv,
-gar kein Unterschied. Nachdenklichen Setzern und Buchbindern will
-denn auch die Sache gewöhnlich gar nicht in den Kopf. Daher kommt
-es, daß man in den Korrekturabzügen und auf Bücherrücken so oft<span class="pagenum" id="Seite_11">[S. 11]</span>
-Titel lesen muß wie: <em class="gesperrt">Sophokle’s</em> Tragödien, <em class="gesperrt">Carsten’s</em>
-Werke, <em class="gesperrt">Dicken’s</em> Romane, <em class="gesperrt">Brahm’s</em> Requiem, Friedrich
-<em class="gesperrt">Perthe’s</em> Leben und <em class="gesperrt">Siever’s</em> Phonetik.</p>
-
-<p>Eine gewisse Schwierigkeit ist ja nun freilich da, und es fragt sich,
-wie man ihr am besten abhilft. Die ältere Sprache schrieb entweder
-unbedenklich <em class="gesperrt">Romanus Haus</em> (ohne den Apostroph), oder sie half
-sich bei deutschen Namen damit, daß sie (wie bei andern Substantiven,
-z.&#160;B. <em class="gesperrt">Herz</em>, und bei den Frauennamen) eine Mischform aus der
-schwachen und der starken Deklination auf <em class="gesperrt">ens</em> bildete, also:
-<em class="gesperrt">Fuchsens</em>, <em class="gesperrt">Straußens</em>, <em class="gesperrt">Schützens</em>, <em class="gesperrt">Hansens</em>,
-<em class="gesperrt">Franzens</em>, <em class="gesperrt">Fritzens</em>, <em class="gesperrt">Götzens</em>, <em class="gesperrt">Leibnizens</em>
-(vgl. <em class="gesperrt">Luisens</em>, <em class="gesperrt">Friederikens</em>, <em class="gesperrt">Sophiens</em>). Im
-Volksmunde sind diese Formen auch heute noch durchaus gang und gäbe
-(ebenso wie die Dative und Akkusative <em class="gesperrt">Hansen</em>, <em class="gesperrt">Fritzen</em>,
-<em class="gesperrt">Sophien</em> – hast du <em class="gesperrt">Fritzen</em> nicht gesehen? gibs
-<em class="gesperrt">Fritzen</em>! –, die jetzt freilich in der Sprachziererei der
-Vornehmen mehr und mehr durch die unflektierte Form verdrängt werden:
-hast du <em class="gesperrt">Fritz</em> nicht gesehen? gibs <em class="gesperrt">Fritz</em>!), und es ist
-nicht einzusehen, weshalb sie nicht auch heute noch papierfähig
-sein sollten.<a id="FNAnker_7" href="#Fussnote_7" class="fnanchor">[7]</a> Oder wollen wir vielleicht nun auch im<span class="pagenum" id="Seite_12">[S. 12]</span> Götz von
-Berlichingen <em class="gesperrt">Hansens Küraß</em> in <em class="gesperrt">Hans’ Küraß</em> verwandeln?
-<em class="gesperrt">Franzensbad</em> und <em class="gesperrt">Franzensfeste</em> in <em class="gesperrt">Franz’bad</em> und
-<em class="gesperrt">Franz’feste</em> verschönern? Verständige Schriftsteller, die vom
-Papierdeutsch zur lebendigen Sprache zurückkehren, gebrauchen denn auch
-die flektierte Form allmählich wieder und schreiben wieder: <em class="gesperrt">Vossens
-Luise</em>. Wenn sie nur auch die Schule wieder zu Gnaden annehmen
-wollte!</p>
-
-<p>Unmöglich erscheint dieser Ausweg natürlich bei Namen, die selbst
-Genitive sind, wie <em class="gesperrt">Carstens</em> (eigentlich Carstens Sohn),
-<em class="gesperrt">Hinrichs</em>, <em class="gesperrt">Brahms</em>. <em class="gesperrt">Brahmsens</em> dritte Geigensonate
-– das klingt nicht schön. Auch <em class="gesperrt">Phidiassens</em> Zeus und
-<em class="gesperrt">Sophoklessens</em> Antigone nicht, obwohl auch solche Formen zu
-Goethes und Schillers Zeit unbedenklich gewagt worden sind; sprach
-man doch damals auch, da man den Familiennamen der Frau auf <em class="gesperrt">in</em>
-bildete, von der <em class="gesperrt">Möbiussin</em>. Das beste ist wohl, solchen Formen
-aus dem Wege zu gehen, was sehr leicht möglich ist, ohne daß jemand
-eine Verlegenheit, einen Zwang merkt. Man kann durch Umgestaltung
-des Satzes den Namen leicht in einen andern Kasus bringen, statt des
-Genitivs <em class="gesperrt">sein</em> setzen, <em class="gesperrt">des Dichters</em>, <em class="gesperrt">des Künstlers</em>
-dafür einsetzen usw. Aber nur nicht immer: die Zeichnungen <em class="gesperrt">des
-Carstens</em>! Und noch weniger <em class="gesperrt">Voß’s Luise</em> oder gar das <em class="gesperrt">Grab
-Brahms’</em>, denn das ist gar zu einfältig.</p>
-
-<p>In dieselbe Verlegenheit wie bei den Eigennamen auf <em class="gesperrt">us</em> gerät
-man übrigens auch bei gewissen fremden Appellativen. Man spricht
-zwar unbedenklich von <em class="gesperrt">Omnibussen</em>, aber Not machen uns die
-<em class="gesperrt">Ismusse</em>, und der Deutsche hat sehr viel <em class="gesperrt">Ismusse</em>! Die
-Komödie erlognen <em class="gesperrt">Patriotismus’</em>, wie jetzt gedruckt wird,
-oder: im Lichte berechtigten <em class="gesperrt">Lokalpatriotismus’</em> oder: ein
-unglaubliches Beispiel preußischen <em class="gesperrt">Partikularismus’</em> oder ein
-Ausfluß erstarkten <em class="gesperrt">Individualismus’</em> – das sind nun einmal keine
-Genitive, trotz des schmeichelnden Häkchens. Da hilft es nichts, man
-muß zu der Präposition <em class="gesperrt">von</em> greifen oder den unbestimmten Artikel
-zu Hilfe nehmen und sagen: <em class="gesperrt">eines</em> erlognen <em class="gesperrt">Patriotismus</em>,
-<em class="gesperrt">von</em> preußischem <em class="gesperrt">Partikularismus</em>.</p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_13">[S. 13]</span></p>
-
-<h3 id="Friedrich_des_Grossen_oder_Friedrichs_des_Grossen">Friedrich des Großen oder
-Friedrichs des Großen?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Daß von <em class="gesperrt">Friedrich</em> der Genitiv <em class="gesperrt">Friedrichs</em> heißt, das weiß
-man allenfalls noch. Aber sobald eine Apposition zu dem Namen tritt,
-wissen sich die meisten nicht mehr zu helfen. Man frage einmal nach
-dem Genitiv von <em class="gesperrt">Friedrich der Große</em>; die Hälfte aller Gefragten
-wird ihn <em class="gesperrt">Friedrich des Großen bilden</em>. Fortwährend begegnet man
-jetzt so abscheulichen Genitiven wie: <em class="gesperrt">Heinrich des Erlauchten</em>,
-<em class="gesperrt">Albrecht des Beherzten</em>, <em class="gesperrt">Georg des Bärtigen</em>. Es gibt
-Leute, die alles Ernstes glauben, solche Verbindungen seien eine
-Art von Formeln oder Sigeln, die nur am Ende dekliniert zu werden
-brauchten! Auch wenn die Apposition eine Ordinalzahl ist – der
-häufigste Fall –, wird kaum noch anders geschrieben als: die Urkunden
-<em class="gesperrt">Otto</em> III., die Gegenreformation <em class="gesperrt">Rudolf</em> II., die Gemahlin
-<em class="gesperrt">Heinrich</em> VIII., die Regierungszeit <em class="gesperrt">Ludwig</em> XIV. Wenn man
-das aussprechen will, so kann man doch gar nicht anders sagen als:
-<em class="gesperrt">Otto der dritte</em>, <em class="gesperrt">Rudolf der zweite</em>, <em class="gesperrt">Heinrich der
-achte</em>. Denn wie kann der Schreibende erwarten, daß man die Zahl im
-Genitiv lese, wenn der Name, zu dem sie gehört, im Nominativ steht?<a id="FNAnker_8" href="#Fussnote_8" class="fnanchor">[8]</a></p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Kaiser_Wilhelms">Kaiser Wilhelms</h3>
-
-</div>
-
-<p>Tritt vollends der Herrschertitel dazu, so pflegt alle Weisheit zu Ende
-zu sein. Wie dekliniert man: <em class="gesperrt">Herzog Ernst der Fromme</em>, <em class="gesperrt">Kaiser
-Friedrich der Dritte</em>? Bei einer vorangestellten Apposition wie
-<em class="gesperrt">Kaiser</em>,<span class="pagenum" id="Seite_14">[S. 14]</span> <em class="gesperrt">König</em>, <em class="gesperrt">Herzog</em>, <em class="gesperrt">Prinz</em>, <em class="gesperrt">Graf</em>,
-<em class="gesperrt">Papst</em>, <em class="gesperrt">Bischof</em>, <em class="gesperrt">Bürgermeister</em>, <em class="gesperrt">Stadtrat</em>,
-<em class="gesperrt">Major</em>, <em class="gesperrt">Professor</em>, <em class="gesperrt">Doktor</em>, <em class="gesperrt">Direktor</em> usw.
-kommt es darauf an, ob die Apposition als bloßer Titel, oder ob sie
-wirklich als Amt, Beruf, Tätigkeit der Person aufgefaßt werden soll
-oder aufgefaßt wird. Im ersten Fall ist es das üblichste, nur den
-Eigennamen zu deklinieren, den Titel aber ohne Artikel und undekliniert
-zu lassen, also <em class="gesperrt">Kaiser Wilhelms</em>, <em class="gesperrt">Papst Urbans</em>, <em class="gesperrt">Doktor
-Fausts Höllenfahrt</em>, <em class="gesperrt">Bürgermeister Müllers Haus</em>. Der
-Titel verwächst für das Sprachgefühl so mit dem Namen, daß beide
-wie eins erscheinen.<a id="FNAnker_9" href="#Fussnote_9" class="fnanchor">[9]</a> Im achtzehnten Jahrhundert sagte man sogar
-<em class="gesperrt">Herr Müllers</em>, <em class="gesperrt">Herr Müllern</em>, nicht: <em class="gesperrt">Herrn Müller</em>.
-Im zweiten Falle wird der Artikel zur Apposition gesetzt und die
-Apposition dekliniert, dagegen bleibt der Name undekliniert: <em class="gesperrt">des
-Kaisers Wilhelm</em>, <em class="gesperrt">des Herzogs Albrecht</em>, ein Bild <em class="gesperrt">des
-Ritters Georg</em>. Freilich geht die Neigung vielfach dahin, auch hier
-die Apposition undekliniert zu lassen, z.&#160;B. <em class="gesperrt">des Doktor Müller</em>,
-<em class="gesperrt">des Professor Albrecht</em>. Treten zwei Appositionen zu dem Namen,
-eine davor, die andre dahinter, so ist für die voranstehende nur das
-erste der eben besprochnen beiden Verfahren möglich, also: die Truppen
-<em class="gesperrt">Kaiser Heinrichs des Vierten</em>, das Denkmal <em class="gesperrt">König Friedrichs
-des Ersten</em>, eine Urkunde <em class="gesperrt">Markgraf Ottos des Reichen</em>, die
-Bulle <em class="gesperrt">Papst Leos des Zehnten</em>. Beide Appositionen zu deklinieren
-und den Namen undekliniert zu lassen, z.&#160;B. <em class="gesperrt">Königs</em> Christian
-<em class="gesperrt">des Ersten</em>, <em class="gesperrt">des Kaisers</em> Wilhelm <em class="gesperrt">des Siegreichen</em>,
-wirkt unangenehm wegen des Zickzackganges der beiden Kasus (Genitiv,
-Nominativ, Genitiv).<a id="FNAnker_10" href="#Fussnote_10" class="fnanchor">[10]</a></p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_15">[S. 15]</span></p>
-
-<h3 id="Leopolds_von_Ranke_oder_Leopold_von_Rankes">Leopolds von Ranke oder
-Leopold von Rankes?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Verlegenheit bereitet vielen auch die Deklination adliger Namen
-oder solcher Namen, die adligen nachgebildet sind. Soll man sagen:
-die Dichtungen <em class="gesperrt">Wolframs von Eschenbach</em> oder <em class="gesperrt">Wolfram von
-Eschenbachs</em>? Richtig ist – selbstverständlich – nur das erste,
-denn Eschenbach ist, wie alle echten Adelsnamen, ein Ortsname, der
-die Herkunft bezeichnet; den kann man doch hier nicht in den Genitiv
-setzen wollen.<a id="FNAnker_11" href="#Fussnote_11" class="fnanchor">[11]</a> So muß es denn auch heißen: die Heimat <em class="gesperrt">Walters
-von der Vogelweide</em>, die Burg <em class="gesperrt">Götzens von Berlichingen</em>,
-die Lebensbeschreibung <em class="gesperrt">Wiprechts von Groitzsch</em>, die Gedichte
-<em class="gesperrt">Hoffmanns von Fallersleben</em>, auch die Werke <em class="gesperrt">Leonardos da
-Vinci</em>, die Schriften <em class="gesperrt">Abrahams a Sancta Clara</em>.</p>
-
-<p>Wie steht es aber mit den Namen, die nicht jedermann sofort als
-Ortsnamen empfindet, wie <em class="gesperrt">Hutten</em>? Wer kann alle deutschen
-Ortsnamen kennen? Soll man sagen <em class="gesperrt">Ulrichs von Hutten</em> oder
-<em class="gesperrt">Ulrich von Huttens</em> deutsche Schriften? Und nun vollends die
-zahllosen unechten Adelsnamen, über die sich schon Jakob Grimm lustig
-gemacht hat: diese <em class="gesperrt">von Richter</em> und <em class="gesperrt">von Schulz</em>, <em class="gesperrt">von
-Schmidt</em> und <em class="gesperrt">von Weber</em>, <em class="gesperrt">von Bär</em> und <em class="gesperrt">von<span class="pagenum" id="Seite_16">[S. 16]</span> Wolf</em>,
-wie stehts mit denen? Soll man sagen: <em class="gesperrt">Heinrichs von Weber</em>
-Lehrbuch der Physik, <em class="gesperrt">Leopolds von Ranke</em> Weltgeschichte?
-Streng genommen müßte es ja so heißen; warum behandelt man Namen,
-die alles andre, nur keinen Ort bezeichnen, als Ortsnamen, indem man
-ihnen das sinnlose <em class="gesperrt">von</em> vorsetzt! Im achtzehnten Jahrhundert
-war das Gefühl für die eigentliche Bedeutung der adligen Namen noch
-lebendig; da adelte man einen <em class="gesperrt">Peter Hohmann</em> nicht zum <em class="gesperrt">Peter
-von Hohmann</em>, sondern zum <em class="gesperrt">Peter von Hohenthal</em>, einen
-<em class="gesperrt">Maximilian Speck</em> nicht zum <em class="gesperrt">Maximilian von Speck</em>, sondern
-zum <em class="gesperrt">Maximilian Speck von Sternburg</em>, indem man einen (wirklichen
-oder erdichteten) Ortsnamen zum Familiennamen setzte; in Österreich
-verfährt man zum Teil noch heute so. Da aber nun einmal die unechten
-Adelsnamen vorhanden sind, wie soll man sich helfen? Es bleibt nichts
-weiter übrig, als das <em class="gesperrt">von</em> hier so zu behandeln, als ob es nicht
-da wäre, also zu sagen: <em class="gesperrt">Leopold von Rankes</em> sämtliche Werke,
-besonders dann, wenn der Genitiv vor dem Worte steht, von dem er
-abhängig ist; steht er dahinter, so empfiehlt es sich schon eher, den
-Vornamen zu flektieren: die Werke <em class="gesperrt">Leopolds von Ranke</em>, denn man
-möchte natürlich den Genitiv immer so dicht wie möglich an das Wort
-bringen, zu dem er gehört. Und so verfährt man oft auch bei echten
-Adelsnamen, selbst wenn man weiß, oder wenn kein Zweifel ist, daß sie
-eigentlich Ortsnamen sind. Es ist das ein Notbehelf, aber schließlich
-erscheint er doch von zwei Übeln als das kleinere.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Boete_oder_Boote">Böte oder Boote?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Bei einer Anzahl von Hauptwörtern wird der Plural jetzt oft mit
-dem Umlaut gebildet, wo dieser keine Berechtigung hat. Solche
-falsche Plurale sind: <em class="gesperrt">Ärme</em>, <em class="gesperrt">Böte</em>, <em class="gesperrt">Bröte</em>,
-<em class="gesperrt">Röhre</em>, <em class="gesperrt">Täge</em>, <em class="gesperrt">Böden</em>, <em class="gesperrt">Bögen</em>, <em class="gesperrt">Kästen</em>,
-<em class="gesperrt">Krägen</em>, <em class="gesperrt">Mägen</em>, <em class="gesperrt">Wägen</em>, <em class="gesperrt">Läger</em>. Man redet
-jetzt von Geburts<em class="gesperrt">tägen</em>, Muster<em class="gesperrt">lägern</em>, Fuß<em class="gesperrt">böden</em>,
-Gummi<em class="gesperrt">krägen</em> usw. Bei den Wörtern auf <em class="gesperrt">en</em> und <em class="gesperrt">er</em>
-wird dadurch allerdings ein Unterschied zwischen der Einzahl und der
-Mehrzahl geschaffen, der namentlich<span class="pagenum" id="Seite_17">[S. 17]</span> in Süddeutschland üblich geworden
-ist.<a id="FNAnker_12" href="#Fussnote_12" class="fnanchor">[12]</a> Dennoch ist nur die Form ohne Umlaut richtig: <em class="gesperrt">die Arme</em>,
-<em class="gesperrt">die Kasten</em>, <em class="gesperrt">die Lager</em>, <em class="gesperrt">die Rohre</em> usw. Man denke
-sich, daß es in Eichendorffs schönem Liede: O Täler weit, o Höhen –
-am Schlusse hieße: Schlag noch einmal die <em class="gesperrt">Bögen</em> um mich, du
-grünes Zelt! Auch <em class="gesperrt">Herzöge</em> ist eigentlich falsch; das Wort ist
-bis ins siebzehnte Jahrhundert hinein nur schwach dekliniert worden:
-des <em class="gesperrt">Herzogen</em>, dem <em class="gesperrt">Herzogen</em>, die <em class="gesperrt">Herzogen</em>. Dann
-sprang es aber in die starke Deklination über (des <em class="gesperrt">Herzogs</em>), und
-nun blieben auch die <em class="gesperrt">Herzöge</em> nicht aus: der <em class="gesperrt">Trog</em>, die
-<em class="gesperrt">Tröge</em> – der <em class="gesperrt">Herzog</em>, die <em class="gesperrt">Herzöge</em>, die Ähnlichkeit
-war überwältigend.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Generaele_oder_Generale">Generäle oder Generale?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Von den Fremdwörtern sind viele in den Umlaut hineingezogen worden,
-obwohl er ihnen eigentlich auch nicht zukommt, nicht bloß Lehnwörter,
-deren fremde Herkunft man nicht mehr fühlt, wie <em class="gesperrt">Bischöfe</em>,
-<em class="gesperrt">Paläste</em>, <em class="gesperrt">Pläne</em>, <em class="gesperrt">Bässe</em>, <em class="gesperrt">Chöre</em>, sondern
-auch Wörter, die man noch lebhaft als Fremdwörter empfindet, wie
-<em class="gesperrt">Altäre</em>, <em class="gesperrt">Tenöre</em>, <em class="gesperrt">Hospitäler</em>, <em class="gesperrt">Kanäle</em>. Aber
-von andern wird doch die Mehrzahl noch richtig ohne Umlaut gebildet,
-wie <em class="gesperrt">Admirale</em>, <em class="gesperrt">Prinzipale</em>, <em class="gesperrt">Journale</em>. Wenn sich
-daher irgendwo ein Schwanken zu zeigen beginnt, so ist es klar, daß die
-Form ohne Umlaut den Vorzug verdient. Besser also als <em class="gesperrt">Generäle</em>
-ist unzweifelhaft <em class="gesperrt">Generale</em>. Bisweilen hat die Sprache auch
-hier die Möglichkeit der doppelten Form zu einer Unterscheidung des
-Sinnes benutzt: <em class="gesperrt">Kapitale</em> (oder <em class="gesperrt">Kapitalien</em>) sind Gelder,
-<em class="gesperrt">Kapitäle</em> Säulenknäufe; hier heißt freilich auch schon die
-Einzahl <em class="gesperrt">Kapitäl</em>.</p>
-
-<p>Auch zwischen der starken und der schwachen Deklination hat die
-Pluralbildung der Fremdwörter vielfach geschwankt und schwankt
-zum Teil noch jetzt. Im achtzehnten<span class="pagenum" id="Seite_18">[S. 18]</span> Jahrhundert sagte man
-<em class="gesperrt">Katalogen</em>, <em class="gesperrt">Monologen</em>; jetzt heißt es <em class="gesperrt">Kataloge</em>,
-<em class="gesperrt">Monologe</em>. Dagegen sagen die meisten jetzt <em class="gesperrt">Autographen</em>
-und <em class="gesperrt">Paragraphen</em>; <em class="gesperrt">Autographe</em> und <em class="gesperrt">Paragraphe</em> klingt
-gesucht. Unverständlich ist es, wie unsre Techniker dazu gekommen sind,
-die Mehrzahl <em class="gesperrt">Motore</em> zu bilden, da es doch nicht <em class="gesperrt">Faktore</em>,
-<em class="gesperrt">Doktore</em> und <em class="gesperrt">Pastore</em> heißt; wahrscheinlich haben sie an
-die <em class="gesperrt">Matadore</em> im Skat gedacht. <em class="gesperrt">Effekte</em> und <em class="gesperrt">Effekten</em>
-werden wieder dem Sinne nach unterschieden: <em class="gesperrt">Effekte</em> sind
-Wirkungen, <em class="gesperrt">Effekten</em> Wertpapiere oder Habseligkeiten.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Die_Stiefeln_oder_die_Stiefel">Die Stiefeln oder die Stiefel?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Von den Hauptwörtern auf <em class="gesperrt">el</em> und <em class="gesperrt">er</em> gehören alle
-Feminina der schwachen Deklination an; daher bilden sie den Plural:
-<em class="gesperrt">Nadeln</em>, <em class="gesperrt">Windeln</em>, <em class="gesperrt">Kacheln</em>, <em class="gesperrt">Kurbeln</em>,
-<em class="gesperrt">Klingeln</em>, <em class="gesperrt">Fackeln</em>, <em class="gesperrt">Wurzeln</em>, <em class="gesperrt">Mandeln</em>,
-<em class="gesperrt">Eicheln</em>, <em class="gesperrt">Nesseln</em>, <em class="gesperrt">Regeln</em>, <em class="gesperrt">Bibeln</em>,
-<em class="gesperrt">Wimpern</em>, <em class="gesperrt">Adern</em>, <em class="gesperrt">Nattern</em>, <em class="gesperrt">Leitern</em>,
-<em class="gesperrt">Klaftern</em>, <em class="gesperrt">Scheuern</em>, <em class="gesperrt">Mauern</em>, <em class="gesperrt">Kammern</em>;
-alle Maskulina und Neutra dagegen gehören zur starken Deklination,
-wie <em class="gesperrt">Schlüssel</em>, <em class="gesperrt">Mäntel</em>, <em class="gesperrt">Wimpel</em>, <em class="gesperrt">Zweifel</em>,
-<em class="gesperrt">Spiegel</em>, <em class="gesperrt">Kessel</em>, <em class="gesperrt">Achtel</em>, <em class="gesperrt">Siegel</em>,
-<em class="gesperrt">Kabel</em>, <em class="gesperrt">Eber</em>, <em class="gesperrt">Zeiger</em>, <em class="gesperrt">Winter</em>, <em class="gesperrt">Laster</em>,
-<em class="gesperrt">Ufer</em>, <em class="gesperrt">Klöster</em>.<a id="FNAnker_13" href="#Fussnote_13" class="fnanchor">[13]</a> Die Regel läßt sich sehr hübsch bei
-Tische lernen: man vergegenwärtige sich nur die richtigen Plurale von
-<em class="gesperrt">Schüssel</em> und <em class="gesperrt">Teller</em>, <em class="gesperrt">Messer</em>, <em class="gesperrt">Gabel</em> und
-<em class="gesperrt">Löffel</em>, <em class="gesperrt">Semmel</em>, <em class="gesperrt">Kartoffel</em> und <em class="gesperrt">Zwiebel</em>,
-<em class="gesperrt">Auster</em>, <em class="gesperrt">Hummer</em> und <em class="gesperrt">Flunder</em>. Sie gilt, wie die
-Beispiele zeigen, ebenso für ursprünglich deutsche wie für Lehnwörter,
-und sie ist so fest, daß, wenn ein Lehnwort (wie es im Laufe der
-Sprachgeschichte oft geschehen ist) in ein andres Geschlecht übergeht,
-sofort auch die Pluralbildung wechselt. Im sechzehnten Jahrhundert
-sagte man noch in der Einzahl <em class="gesperrt">die Zedel</em> (<span class="antiqua">schedula</span>),
-folglich in der Mehrzahl <em class="gesperrt">die Zedeln</em>, im achtzehnten Jahrhundert
-noch in<span class="pagenum" id="Seite_19">[S. 19]</span> der Einzahl <em class="gesperrt">die Aurikel</em> (<span class="antiqua">auricula</span>), folglich in
-der Mehrzahl die <em class="gesperrt">Aurikeln</em>; heute heißt es <em class="gesperrt">der Zettel</em>,
-<em class="gesperrt">das Aurikel</em> und folglich die Mehrzahl <em class="gesperrt">die Zettel</em>, <em class="gesperrt">die
-Aurikel</em>. Also sind Plurale wie <em class="gesperrt">Buckeln</em>, <em class="gesperrt">Möbeln</em>,
-<em class="gesperrt">Stiefeln</em>, <em class="gesperrt">Schlüsseln</em>, <em class="gesperrt">Titeln</em>, <em class="gesperrt">Ziegeln</em>,
-<em class="gesperrt">Aposteln</em>, <em class="gesperrt">Hummern</em> falsch und klingen gemein. Nur
-<em class="gesperrt">Muskel</em>, <em class="gesperrt">Stachel</em>, <em class="gesperrt">Pantoffel</em> und <em class="gesperrt">Hader</em> (Lump,
-Fetzen) machen eine Ausnahme (die <em class="gesperrt">Muskeln</em>, die <em class="gesperrt">Stacheln</em>,
-die <em class="gesperrt">Pantoffeln</em>, die <em class="gesperrt">Hadern</em>), doch auch nur scheinbar,
-denn diese Wörter haben seit alter Zeit neben ihrer männlichen auch
-eine weibliche Singularform (ital. <span class="antiqua">pantofola</span>) oder, wie
-<em class="gesperrt">Hader</em>, eine schwache männliche Nebenform (des <em class="gesperrt">Hadern</em>),
-und die hat bei der Pluralbildung überwogen. Ein Fehler ist auch:
-die <em class="gesperrt">Trümmern</em> (in <em class="gesperrt">Trümmern</em> schlagen); die Einzahl
-heißt: der oder das <em class="gesperrt">Trumm</em> (in der Bergmannsprache noch heute
-gebräuchlich), die Mehrzahl die <em class="gesperrt">Trümmer</em>. Wer noch gewöhnt
-ist, <em class="gesperrt">Angel</em> als Maskulinum zu gebrauchen (Türangel ebenso wie
-Fischangel), wird die Mehrzahl bilden <em class="gesperrt">die Angel</em>, wer es weiblich
-gebraucht, sagt <em class="gesperrt">die Angeln</em>. Ebenso ist es mit <em class="gesperrt">Quader</em>;
-wer <em class="gesperrt">Quader</em> männlich gebraucht, wird in der Mehrzahl sagen:
-die <em class="gesperrt">Quader</em>, wer es für weiblich hält, kann nur sagen: die
-<em class="gesperrt">Quadern</em>. Der <em class="gesperrt">Oberkiefer</em> und der <em class="gesperrt">Unterkiefer</em> heißen
-zusammen die <em class="gesperrt">Kiefer</em>; im Wald aber stehen <em class="gesperrt">Kiefern</em>. Die
-<em class="gesperrt">Schiffe</em> haben <em class="gesperrt">Steuer</em> (das <em class="gesperrt">Steuer</em>), der Staat
-erhebt <em class="gesperrt">Steuern</em> (die <em class="gesperrt">Steuer</em>).</p>
-
-<p>In der niedrigen Geschäftssprache machen sich jetzt aber noch andre
-falsche schwache Plurale breit. In Leipziger Geschäftsanzeigen muß
-man lesen: <em class="gesperrt">Muffen</em>, <em class="gesperrt">Korken</em> (auch <em class="gesperrt">Korken</em>zieher,
-<em class="gesperrt">Korken</em>fabrik), <em class="gesperrt">Stutzen</em> (Feder<em class="gesperrt">stutzen</em>),
-auch <em class="gesperrt">Korsetten</em> und <em class="gesperrt">Jaquetten</em> (als ob die Einzahl
-<em class="gesperrt">Jaquette</em> und <em class="gesperrt">Korsette</em> hieße!). Anständige Kaufleute
-werden sich vor solcher Gassensprache hüten. <em class="gesperrt">Muff</em>, <em class="gesperrt">Kork</em>,
-<em class="gesperrt">Stutz</em> gehören in gutem Schriftdeutsch zur starken Deklination:
-der <em class="gesperrt">Muff</em>, des <em class="gesperrt">Muffs</em>, die <em class="gesperrt">Müffe</em>, der <em class="gesperrt">Kork</em>,
-des <em class="gesperrt">Korks</em>, die <em class="gesperrt">Korke</em>; die <em class="gesperrt">Muffen</em> sind eins der
-vielen Beispiele, wo sich – unter dem Einflusse Berlins – das
-Plattdeutsche, das man schon für abgetan hielt, wieder durchzusetzen
-versucht.</p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_20">[S. 20]</span></p>
-
-<h3 id="Worte_oder_Woerter_Gehaelter_oder_Gehalte">Worte oder Wörter? Gehälter oder
-Gehalte?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Die meisten reden von <em class="gesperrt">Fremdwörtern</em>, manche aber auch von
-<em class="gesperrt">Fremdworten</em>. Was ist richtig? Die Pluralendung <em class="gesperrt">er</em>, die
-namentlich bei Wörtern sächlichen Geschlechts vorkommt (<em class="gesperrt">Gräber</em>,
-<em class="gesperrt">Kälber</em>, <em class="gesperrt">Kräuter</em>, <em class="gesperrt">Lämmer</em>, <em class="gesperrt">Rinder</em>,
-<em class="gesperrt">Täler</em>), aber auch bei Maskulinen (<em class="gesperrt">Männer</em>, <em class="gesperrt">Leiber</em>,
-<em class="gesperrt">Geister</em>, <em class="gesperrt">Wälder</em>, <em class="gesperrt">Würmer</em>, <em class="gesperrt">Reichtümer</em>), im
-Althochdeutschen <span class="antiqua">ir</span> (daher der Umlaut), ist im Laufe der Zeit
-auf eine große Masse von Wörtern namentlich sächlichen Geschlechts
-ausgedehnt worden, die sie früher nicht hatten. Um 1500 hieß es noch:
-<em class="gesperrt">die Amt</em>, <em class="gesperrt">die Kleid</em>, <em class="gesperrt">die Pfand</em>, <em class="gesperrt">die Land</em>,
-<em class="gesperrt">die Dach</em>, <em class="gesperrt">die Fach</em>, <em class="gesperrt">die Gemach</em>, <em class="gesperrt">die Rad</em>,
-<em class="gesperrt">die Schloß</em>, <em class="gesperrt">die Schwert</em>, <em class="gesperrt">die Faß</em>, <em class="gesperrt">die Bret</em>,
-daneben: <em class="gesperrt">die Amte</em>, <em class="gesperrt">die Rade</em>, <em class="gesperrt">die Schwerte</em>, <em class="gesperrt">die
-Fasse</em>, und endlich kam auf: <em class="gesperrt">die Ämter</em>, <em class="gesperrt">die Räder</em>
-usw. Bei manchen Wörtern hat sich nun neben der jüngern Pluralform auf
-er auch noch die ältere erhalten. Dann erscheint aber die ältere Form
-jetzt als die edlere, vornehmere und ist auf die Ausdrucksweise des
-Dichters oder des Redners beschränkt.<a id="FNAnker_14" href="#Fussnote_14" class="fnanchor">[14]</a> Man denke an <em class="gesperrt">Denkmale</em>
-und <em class="gesperrt">Denkmäler</em>, <em class="gesperrt">Gewande</em> und <em class="gesperrt">Gewänder</em>, <em class="gesperrt">Lande</em>
-und <em class="gesperrt">Länder</em>, <em class="gesperrt">Tale</em> und <em class="gesperrt">Täler</em> (Es geht durch alle
-<em class="gesperrt">Lande</em> ein Engel still umher – Die <em class="gesperrt">Tale</em> dampfen, die
-Höhen glühn u.&#160;ähnl.). Bei andern Wörtern hat sich zwischen der
-ältern und der jüngern Form ein Bedeutungsunterschied gebildet.
-So unterscheidet man <em class="gesperrt">Bande</em> (des Bluts, der Verwandtschaft,
-der Freundschaft) und <em class="gesperrt">Bänder</em>, <em class="gesperrt">Bande</em> sind gleichsam
-ein ganzes Netz von Fesseln, <em class="gesperrt">Bänder</em> sind einzelne Stücke.
-Auch <em class="gesperrt">Gesichte</em> und <em class="gesperrt">Gesichter</em>, <em class="gesperrt">Lichte</em> und
-<em class="gesperrt">Lichter</em> sind dem Sinne nach zu unterscheiden. <em class="gesperrt">Gesichte</em>
-sind Erscheinungen (im Faust: die Fülle der <em class="gesperrt">Gesichte</em>).
-<em class="gesperrt">Lichte</em> sind Kerzen (Wachslichte, Stearinlichte), <em class="gesperrt">Lichter</em>
-sind Flammen (durch das Fenster strahlen unzählige <em class="gesperrt">Lichter</em>,
-Sonne, Mond und Sterne sind die Himmels<em class="gesperrt">lichter</em>). Auf dem<span class="pagenum" id="Seite_21">[S. 21]</span>
-Altar stehen immer große <em class="gesperrt">Kirchenlichte</em>, auf der Kanzel aber
-nicht immer große <em class="gesperrt">Kirchenlichter</em>. Bisweilen kommt auch noch
-ein Geschlechtsunterschied dazu: <em class="gesperrt">Schilde</em> (<em class="gesperrt">der Schild</em>)
-gehören zur Rüstung; <em class="gesperrt">Schilder</em> (<em class="gesperrt">das Schild</em>) sind an
-den Kaufmannsläden. Neben den <em class="gesperrt">Banden</em> und den <em class="gesperrt">Bändern</em>
-stehen noch die <em class="gesperrt">Bände</em> (der Roman hat drei <em class="gesperrt">Bände</em>). So
-kam auch neben der Mehrzahl <em class="gesperrt">die Wort</em> oder <em class="gesperrt">die Worte</em>
-im sechzehnten Jahrhundert die Form auf <em class="gesperrt">er</em> auf: <em class="gesperrt">die
-Wörter</em>. In der Bedeutung wurde anfangs kein Unterschied gemacht.
-Im achtzehnten Jahrhundert aber begann man unter <em class="gesperrt">Wörtern</em>
-bloße Teile der Sprache (<span class="antiqua">vocabula</span>), unter <em class="gesperrt">Worten</em>
-Teile der zusammenhängenden Rede zu verstehen. Man sprach also nun
-von <em class="gesperrt">Hauptwörtern</em>, <em class="gesperrt">Zeitwörtern</em>, <em class="gesperrt">Fürwörtern</em>,
-<em class="gesperrt">Wörterbüchern</em>, dagegen von <em class="gesperrt">Dichterworten</em>,
-<em class="gesperrt">Textworten</em>, <em class="gesperrt">Vorworten</em> (Vorreden), <em class="gesperrt">schöne Worte</em>
-machen usw. Und an diesem Unterschied wird auch seitdem fast allgemein
-festgehalten. <em class="gesperrt">Worte</em> haben Sinn und Zusammenhang, <em class="gesperrt">Wörter</em>
-sind zusammenhanglos aufgereiht. Wenn es also auch nicht gerade falsch
-ist, von <em class="gesperrt">Fremdworten</em> oder <em class="gesperrt">Schlagworten</em> zu reden, so ist
-doch die Mehrzahl <em class="gesperrt">Fremdwörter</em> vorzuziehen. Dagegen wird niemand
-sagen: der <em class="gesperrt">Wörter</em> sind genug <em class="gesperrt">gewechselt</em>.</p>
-
-<p>In der Sprache des niedrigen Volkes ist nun eine starke Neigung
-vorhanden, die Pluralendung auf <em class="gesperrt">er</em> immer weiter auszudehnen.
-Es ist das aber ein durchaus plebejischer Sprachzug. Nur das niedrige
-Volk redet in Leipzig von <em class="gesperrt">Gewölbern</em> und <em class="gesperrt">Geschäftern</em>, der
-Gebildete von <em class="gesperrt">Gewölben</em> und <em class="gesperrt">Geschäften</em>. Nur das niedrige
-Volk bildet Plurale wie <em class="gesperrt">Zelter</em>, <em class="gesperrt">Gewinner</em>, <em class="gesperrt">Mäßer</em>,
-<em class="gesperrt">Sträußer</em>, <em class="gesperrt">Butterbröter</em>, <em class="gesperrt">Kartoffelklößer</em>. Nur die
-„Ausschnitter“ preisen ihre <em class="gesperrt">Rester</em> an, nur die Telephonarbeiter
-kommen, um „<em class="gesperrt">die Elementer</em> nachzusehen“.<a id="FNAnker_15" href="#Fussnote_15" class="fnanchor">[15]</a> Und wie gemein
-erscheinen die <em class="gesperrt">Dinger</em>, mit denen sich das Volk überall da hilft,
-wo es zu unwissend<span class="pagenum" id="Seite_22">[S. 22]</span> oder zu faul ist, einen Gegenstand mit seinem
-Namen zu nennen!<a id="FNAnker_16" href="#Fussnote_16" class="fnanchor">[16]</a> So kommt es, daß die Endung <em class="gesperrt">er</em> in der
-guten Schriftsprache bisweilen selbst da wieder aufgegeben worden ist,
-wo sie früher eine Zeit lang ausschließlich im Gebrauch war, wie bei
-<em class="gesperrt">Scheit</em>; die Mehrzahl heißt jetzt <em class="gesperrt">Scheite</em>, früher hieß sie
-<em class="gesperrt">Scheiter</em> (vgl. <em class="gesperrt">Scheiterhaufe</em> und <em class="gesperrt">scheitern</em>). Auch
-bei <em class="gesperrt">Ort</em> ist eine rückläufige Bewegung zu beobachten: während
-früher die Mehrzahl <em class="gesperrt">Örter</em> ganz gebräuchlich war, ist sie in
-neuerer Zeit fast ganz verschwunden; man spricht fast nur noch von
-<em class="gesperrt">Orten</em>. Dagegen hat leider der plebejische Plural <em class="gesperrt">Gehälter</em>
-(Lehrer<em class="gesperrt">gehälter</em>, Beamten<em class="gesperrt">gehälter</em>) gleichzeitig mit dem
-häßlichen Neutrum <em class="gesperrt">das Gehalt</em> von Norddeutschland aus selbst
-in den Kreisen der Gebildeten große Fortschritte gemacht. Auch in
-Leipzig, wo Freytag noch 1854 in seinen Journalisten richtig <em class="gesperrt">der
-Gehalt</em> und <em class="gesperrt">die Gehalte</em> geschrieben hat, halten es schon
-viele für fein, <em class="gesperrt">das Gehalt</em> und die <em class="gesperrt">Gehälter</em> zu sagen.
-Nun verteilen sich ja die Hauptwörter, die aus Zeitwortstämmen mit dem
-Präfix <em class="gesperrt">Ge-</em> gebildet sind, auf alle drei Geschlechter. Männlich
-sind: <em class="gesperrt">Geruch</em>, <em class="gesperrt">Geschmack</em>, <em class="gesperrt">Gedanke</em>; weiblich:
-<em class="gesperrt">Geburt</em>, <em class="gesperrt">Geduld</em>; sächlich: <em class="gesperrt">Gehör</em>, <em class="gesperrt">Gesicht</em>,
-<em class="gesperrt">Gewehr</em>, <em class="gesperrt">Gewicht</em>. Man mag auch die Unterscheidung von:
-<em class="gesperrt">der Gehalt</em> (Gedankengehalt, Silbergehalt des Erzes) und
-<em class="gesperrt">das Gehalt</em> (Besoldung) in Norddeutschland als willkommne
-Bereicherung der Sprache empfinden (vgl. <em class="gesperrt">der Verdienst</em> und
-<em class="gesperrt">das Verdienst</em>, wo freilich der Bedeutungsunterschied gerade
-umgekehrt ist).<a id="FNAnker_17" href="#Fussnote_17" class="fnanchor">[17]</a> In Mitteldeutschland klingt aber vorläufig
-vielen Gebildeten <em class="gesperrt">das Gehalt</em> noch gemein, und <em class="gesperrt">die
-Gehälter</em> stehen für unser Ohr und unser Gefühl durchaus auf
-einer Stufe<span class="pagenum" id="Seite_23">[S. 23]</span> mit den <em class="gesperrt">Gewölbern</em>, den <em class="gesperrt">Geschäftern</em> und
-den <em class="gesperrt">Geschmäckern</em>.<a id="FNAnker_18" href="#Fussnote_18" class="fnanchor">[18]</a> Weshalb sollen wir uns also so etwas
-aufnötigen lassen?</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Das_s_der_Mehrzahl">Das s der Mehrzahl</h3>
-
-</div>
-
-<p>Von zwei verschiednen Seiten her ist eine Pluralbildung auf s in unsre
-Sprache eingedrungen. Wenn wir von <em class="gesperrt">Genies</em>, <em class="gesperrt">Pendants</em>,
-<em class="gesperrt">Etuis</em>, <em class="gesperrt">Portemonnaies</em>, <em class="gesperrt">Korsetts</em>, <em class="gesperrt">Beefsteaks</em>
-und <em class="gesperrt">Meetings</em> reden, so ist das s natürlich das französische und
-englische Plural-s, das diesen Wörtern zukommt. Aber man redet auch von
-<em class="gesperrt">Jungens</em> und <em class="gesperrt">Mädels</em>, <em class="gesperrt">Herrens</em> und <em class="gesperrt">Fräuleins</em>,
-<em class="gesperrt">Kerls</em> und <em class="gesperrt">Schlingels</em>, <em class="gesperrt">Hochs</em> und <em class="gesperrt">Krachs</em>,
-<em class="gesperrt">Bestecks</em>, <em class="gesperrt">Fracks</em>, <em class="gesperrt">Schmucks</em>, <em class="gesperrt">Parks</em> und
-<em class="gesperrt">Blocks</em> (Bau<em class="gesperrt">blocks</em>), <em class="gesperrt">Echos</em> und <em class="gesperrt">Villas</em>
-(statt Villen), <em class="gesperrt">Vergißmeinnichts</em> und <em class="gesperrt">Stelldicheins</em>,
-<em class="gesperrt">Polkas</em>, <em class="gesperrt">Galopps</em>, <em class="gesperrt">Tingeltangels</em> und <em class="gesperrt">Trupps</em>
-(Studenten<em class="gesperrt">trupps</em>), <em class="gesperrt">Uhus</em> und <em class="gesperrt">Känguruhs</em>,
-<em class="gesperrt">Wenns</em> und <em class="gesperrt">Abers</em>, U’s und T’s, <em class="gesperrt">Holbeins</em>
-und <em class="gesperrt">Lenbachs</em> (zwei neue <em class="gesperrt">Lenbachs</em>, ein paar echte
-<em class="gesperrt">Holbeins</em>), von den <em class="gesperrt">Fuggers</em> und den <em class="gesperrt">Schlegels</em>, und
-einzelne Universitätslehrer kündigen gar schon am schwarzen Brett ihre
-<em class="gesperrt">Kollegs</em> an! Alle diese Formen sind unfein. In Süddeutschland
-bezeichnet man sie als <span class="antiqua">pluralis Borussicus</span>. Ihr Plural-s stammt
-aus der niederdeutschen Mundart<a id="FNAnker_19" href="#Fussnote_19" class="fnanchor">[19]</a>; nur dieser gehören ursprünglich
-die <em class="gesperrt">Jungens</em> und die <em class="gesperrt">Mädels</em> an. Aus Verlegenheit ist
-dieses s dann auch im Hochdeutschen an Fremdwörter, an unechte<span class="pagenum" id="Seite_24">[S. 24]</span>
-Substantiva und schließlich auch an echte deutsche Substantiva gehängt
-worden.</p>
-
-<p>Beschämend für uns Deutsche, die wir uns so gern etwas auf unsre
-Kenntnisse zugute tun, sind Formen wie <em class="gesperrt">Solis</em>, <em class="gesperrt">Mottis</em>,
-<em class="gesperrt">Kollis</em> und <em class="gesperrt">Portis</em>, denn da ist das falsche deutsche
-Plural-s an die richtige italienische Pluralendung gehängt! Die Einzahl
-heißt ja <em class="gesperrt">Solo</em>, <em class="gesperrt">Motto</em>, <em class="gesperrt">Kollo</em> und <em class="gesperrt">Porto</em>.
-Freilich wird auch schon in der Einzahl <em class="gesperrt">das Kolli</em> gesagt, und
-nicht bloß von Markthelfern und Laufburschen!</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Fuenf_Pfennig_oder_fuenf_Pfennige">Fünf Pfennig oder fünf Pfennige?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Wenn fünf einzelne Pfennige auf dem Tische liegen, so sind das
-unzweifelhaft fünf Pfennige; wenn ich aber mit diesen fünf Pfennigen
-(oder auch mit einem Nickelfünfer) eine Zigarre bezahle, kostet die
-dann fünf <em class="gesperrt">Pfennige</em> oder, wie auf dem Nickelfünfer steht, fünf
-<em class="gesperrt">Pfennig</em>? Schwierige Frage!</p>
-
-<p>Bei Angaben von Preis, Gewicht, Maß, Zeit, Lebensalter usw. ist oft
-eine Pluralform üblich, die sich vom Singular nicht unterscheidet,
-wenigstens bei Wörtern männlichen und sächlichen Geschlechts,<a id="FNAnker_20" href="#Fussnote_20" class="fnanchor">[20]</a>
-wie bei <em class="gesperrt">Taler</em>, <em class="gesperrt">Gulden</em>, <em class="gesperrt">Groschen</em>, <em class="gesperrt">Heller</em>,
-<em class="gesperrt">Pfennig</em>, <em class="gesperrt">Batzen</em>, <em class="gesperrt">Pfund</em>, <em class="gesperrt">Lot</em>, <em class="gesperrt">Fuß</em>,
-<em class="gesperrt">Zoll</em>, <em class="gesperrt">Schuh</em>, <em class="gesperrt">Faden</em>, <em class="gesperrt">Faß</em>, <em class="gesperrt">Glas</em>
-(zwei <em class="gesperrt">Glas</em> Bier), <em class="gesperrt">Maß</em>, <em class="gesperrt">Ries</em>, <em class="gesperrt">Buch</em> (drei
-<em class="gesperrt">Buch</em> Papier), <em class="gesperrt">Blatt</em>,<a id="FNAnker_21" href="#Fussnote_21" class="fnanchor">[21]</a> <em class="gesperrt">Jahr</em>, <em class="gesperrt">Monat</em>,
-<em class="gesperrt">Mann</em> (sechs <em class="gesperrt">Mann</em> Wache), <em class="gesperrt">Schritt</em>, <em class="gesperrt">Schuß</em>
-(tausend <em class="gesperrt">Schuß</em>), <em class="gesperrt">Stock</em> (drei <em class="gesperrt">Stock</em> hoch). Diese
-Formen sind natürlich keine wirklichen Singulare, sondern zum Teil
-sind es alte Pluralformen (vgl. <a href="#Seite_20">S. 20</a> <em class="gesperrt">Fach</em> und <em class="gesperrt">Fächer</em>),
-zum Teil Formen, die solchen unwillkürlich nachgebildet worden sind.
-Von einer Regel also, daß in allen solchen Fällen der Singular stehen
-müsse, kann keine Rede sein. Es ist ganz richtig, zu sagen: das Kind
-ist <em class="gesperrt">drei Monate</em> alt, <em class="gesperrt">drei</em> Jahre alt, wie denn auch jeder
-<em class="gesperrt">drei<span class="pagenum" id="Seite_25">[S. 25]</span> Taler</em>, <em class="gesperrt">drei Gulden</em>, <em class="gesperrt">drei Groschen</em> sicherlich
-als Plural fühlen, folglich auch sagen wird: ich habe das Bild mit
-<em class="gesperrt">zehn Talern</em> bezahlt (nicht mit <em class="gesperrt">zehn Taler</em>!). Und so haben
-wir auch in Mitteldeutschland früher immer <em class="gesperrt">Pfennige</em> gesagt so
-gut wie <em class="gesperrt">Könige</em>, <em class="gesperrt">Käfige</em> und <em class="gesperrt">Zeisige</em>. (In dem alten
-Liede von der Seestadt Leipzig heißt es sogar: Und ein einzig Lot
-Kaffee kostet <em class="gesperrt">sechzehn Pfennigee</em>.) Bis 1880 war auch auf unsern
-Briefmarken so gedruckt. Wahrscheinlich war das aber nicht „schneidig“
-genug, und so hieß es von da an 3 <em class="gesperrt">Pfennig</em>, 5 <em class="gesperrt">Pfennig</em>,
-worauf 1889 die Abkürzung <em class="gesperrt">Pf.</em> erschien, die jeder lesen konnte,
-wie er wollte, bis schließlich gar nur noch die Ziffer übrig blieb!</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Jeden_Zwanges_oder_jedes_Zwanges">Jeden Zwanges oder jedes Zwanges?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Zu den unbehaglichsten Kapiteln der deutschen Grammatik gehört die
-Deklination zweier miteinander verbundner Nomina, eines Substantivs
-und eines Adjektivs. Heißt es: <em class="gesperrt">jeden Zwanges</em> oder <em class="gesperrt">jedes
-Zwanges</em>? <em class="gesperrt">sämtlicher deutscher Stämme</em> oder <em class="gesperrt">sämtlicher
-deutschen Stämme</em>? <em class="gesperrt">großer Gelehrter</em> oder <em class="gesperrt">großer
-Gelehrten</em>? ein <em class="gesperrt">schönes Ganzes</em> oder ein <em class="gesperrt">schönes Ganze</em>?
-von <em class="gesperrt">hohem praktischen Werte</em> oder von <em class="gesperrt">hohem praktischem
-Werte</em>? So unwichtig die Sache manchem vielleicht scheint, so
-viel Verdruß oder Heiterkeit (je nachdem) bereitet sie dem Fremden,
-der Deutsch lernen möchte, und so beschämend ist es für uns Deutsche
-selbst, wenn wir dem Fremden sagen müssen: Wir wissen selber nicht, was
-richtig ist, sprich, wie du willst! Mit einigem guten Willen ist aber
-doch vielleicht zu ein paar klaren und festen Regeln zu gelangen.</p>
-
-<p>Die Adjektiva können stark und auch schwach dekliniert werden. In der
-schwachen Deklination haben sie, wie die Hauptwörter, nur die Endung
-<em class="gesperrt">en</em>, in der starken haben sie die Endungen des hinweisenden
-Fürwortes: <em class="gesperrt">es</em>, <em class="gesperrt">em</em>, <em class="gesperrt">en</em> usw. Nach der starken
-Deklination gehen sie, wenn sie allein beim Substantiv stehen, ohne
-vorhergehenden Artikel, und im Singular, wenn ein Pronomen ohne Endung
-vorhergeht: <em class="gesperrt">mein guter Hans</em>, <em class="gesperrt">du alter<span class="pagenum" id="Seite_26">[S. 26]</span> Freund</em>, <em class="gesperrt">unser
-jährlicher Umsatz</em>, <em class="gesperrt">welch vorzüglicher</em> Wein. In allen
-andern Fällen gehn sie nach der schwachen Deklination. Es muß also
-heißen: <em class="gesperrt">gerades Wegs</em>, <em class="gesperrt">guter Hoffnung</em>, <em class="gesperrt">schwieriger
-Fragen</em>, dagegen <em class="gesperrt">des geraden Wegs</em>, <em class="gesperrt">der guten Hoffnung</em>,
-<em class="gesperrt">der schwierigen Fragen</em>, <em class="gesperrt">dieser schwierigen</em> Fragen,
-<em class="gesperrt">welcher schwierigen</em> Fragen, <em class="gesperrt">solcher schwierigen</em> Fragen,
-auch <em class="gesperrt">derartiger</em> und <em class="gesperrt">folgender schwierigen</em> Fragen,
-<em class="gesperrt">beifolgendes kleine</em> Buch (denn <em class="gesperrt">derartiger</em> steht
-für <em class="gesperrt">solcher</em>, <em class="gesperrt">folgender</em> und <em class="gesperrt">beifolgender</em> für
-<em class="gesperrt">dieser</em>).</p>
-
-<p>So ist auch die ältere Sprache überall verfahren; Luther kennt
-Genitive wie <em class="gesperrt">süßen Weines</em> fast noch gar nicht. Im siebzehnten
-und achtzehnten Jahrhundert aber drang, obgleich Sprachkundige eifrig
-dagegen ankämpften, bei dem männlichen und dem sächlichen Geschlecht im
-Genitiv des Singulars immer mehr die schwache Form ein, und gegenwärtig
-hat sie sich fast überall festgesetzt; man sagt: <em class="gesperrt">frohen Sinnes</em>,
-<em class="gesperrt">reichen Geistes</em>, <em class="gesperrt">weiblichen Geschlechts</em>, <em class="gesperrt">größten
-Formats</em>. Höchstens <em class="gesperrt">gutes Muts</em>, <em class="gesperrt">reines Herzens</em>,
-<em class="gesperrt">gerades Wegs</em> wird bisweilen noch richtig gesagt. Bei den
-besitzanzeigenden Adjektiven (<em class="gesperrt">mein</em>, <em class="gesperrt">dein</em>, <em class="gesperrt">sein</em>,
-<em class="gesperrt">unser</em>, <em class="gesperrt">euer</em>, <em class="gesperrt">ihr</em>) hat sich die starke Form überall
-unangetastet erhalten (<em class="gesperrt">meines Wissens</em>, <em class="gesperrt">unsers Lebens</em>),
-dagegen ist es bei den Zahlbegriffen (<em class="gesperrt">jeder</em>, <em class="gesperrt">aller</em>,
-<em class="gesperrt">vieler</em>, <em class="gesperrt">keiner</em>, <em class="gesperrt">mancher</em>) ins Schwanken gekommen.
-Wie man sagt: <em class="gesperrt">größtenteils</em> und <em class="gesperrt">andernteils</em>, so sagt man
-auch <em class="gesperrt">jedenfalls</em> und <em class="gesperrt">allenfalls</em> neben <em class="gesperrt">keineswegs</em>,
-<em class="gesperrt">keinesfalls</em>, <em class="gesperrt">jedes Menschen</em>, <em class="gesperrt">keines Worts</em>,
-<em class="gesperrt">alles Lebens</em>, <em class="gesperrt">alles Ernstes</em>. Nur wenige schreiben noch
-richtig: trotz <em class="gesperrt">alles Leugnens</em>, trotz <em class="gesperrt">manches Erfolgs</em>,
-trotz <em class="gesperrt">vieles Aufwands</em>; die meisten schreiben: trotz <em class="gesperrt">allen
-Leugnens</em> usw.</p>
-
-<p>Bei <em class="gesperrt">jeder</em> erklärt sich das Schwanken vielleicht daher, daß
-<em class="gesperrt">jeder</em> wie ein Adjektiv auch mit dem unbestimmten Artikel
-versehen werden kann (<em class="gesperrt">ein jeder</em> Mensch), eine Verbindung, die
-manche Schriftsteller bis zum Überdruß lieben, als ob sie das bloße
-<em class="gesperrt">jeder</em> gar nicht mehr kennten.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_27">[S. 27]</span></p>
-
-<p>Die Schule sollte sich auch hier bemühen, die alte, richtige Form, wo
-sie sich noch erhalten hat, sorgfältig zu schützen und zur Schärfung
-des Sprachgefühls zu benutzen. Und wo ein Schwanken besteht, wie
-bei <em class="gesperrt">jeder</em>, da sollte doch kein Zweifel sein, wie man sich
-zu entscheiden hat. Falsch ist: die Abwehr <em class="gesperrt">jeden</em> Zwanges;
-richtig ist nur: die Abwehr <em class="gesperrt">jedes Zwanges</em> oder <em class="gesperrt">eines jeden
-Zwanges</em> (wie die Bekämpfung <em class="gesperrt">solches Unsinns</em> oder <em class="gesperrt">eines
-solchen Unsinns</em>).</p>
-
-<p>Merkwürdig ist, daß sich nach <em class="gesperrt">solcher</em> die schwache Deklination
-noch nicht so festgesetzt hat wie nach <em class="gesperrt">welcher</em>. Während jeder
-ohne Besinnen sagt: <em class="gesperrt">welcher gute</em> Mensch, <em class="gesperrt">welches guten</em>
-Menschen, <em class="gesperrt">welche guten</em> Menschen, auch <em class="gesperrt">solcher vollkommnen</em>
-Exemplare, hört man im Nominativ und Akkusativ der Mehrzahl viel
-öfter: <em class="gesperrt">solche vollkommne</em> Exemplare. Es kommt das wohl daher,
-daß auch <em class="gesperrt">solcher</em> oft mehr etwas adjektivisches hat. Ebenso ist
-es bei <em class="gesperrt">derartiger</em> (für <em class="gesperrt">solcher</em>) und <em class="gesperrt">folgender</em>
-(für <em class="gesperrt">dieser</em>). Jeder wird im Nominativ vorziehen: <em class="gesperrt">folgende
-schwierige</em> Fragen, dagegen im Genitiv vielleicht <em class="gesperrt">folgender
-schwierigen</em> Fragen (wie <em class="gesperrt">dieser schwierigen</em> Fragen).</p>
-
-<p>Manche Leute glauben, daß Adjektiva, deren Stamm auf m endigt, nur
-einen schwachen Dativ bilden könnten, weil <em class="gesperrt">mem</em> „schlecht
-klinge“, daß es also heißen müsse: mit <em class="gesperrt">warmen Herzen</em>, mit
-<em class="gesperrt">geheimen Kummer</em>, mit <em class="gesperrt">stummen Schmerz</em>, mit <em class="gesperrt">grimmen
-Zorn</em>, von <em class="gesperrt">vornehmen</em> Sinn, <em class="gesperrt">bei angenehmen</em> Wetter, bei
-<em class="gesperrt">gemeinsamen</em> Lesen – ein ganz törichter Aberglaube.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Anderen_andren_oder_andern">Anderen, andren oder andern?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Ein garstiger Mißbrauch herrscht in der Deklination bei den Adjektiven,
-deren Stamm auf <em class="gesperrt">el</em> und <em class="gesperrt">er</em> endigt, wie <em class="gesperrt">dunkel</em>,
-<em class="gesperrt">edel</em>, <em class="gesperrt">eitel</em>, <em class="gesperrt">übel</em>, <em class="gesperrt">lauter</em>, <em class="gesperrt">wacker</em>;
-auch die Komparativstämme, wie <em class="gesperrt">besser</em>, <em class="gesperrt">größer</em>,
-<em class="gesperrt">unser</em>, <em class="gesperrt">euer</em>, <em class="gesperrt">inner</em>, <em class="gesperrt">äußer</em>, <em class="gesperrt">ander</em>,
-gehören dazu. Bei diesen Adjektiven kommen in der Deklination zwei
-Silben mit kurzem e zusammen, also des <em class="gesperrt">eitelen</em> Menschen,
-dem <em class="gesperrt">übelen</em> Rufe, dem <em class="gesperrt">dunkelen</em> Grunde, <em class="gesperrt">unseres</em>
-Wissens, mit <em class="gesperrt">besserem</em> Erfolge, aus<span class="pagenum" id="Seite_28">[S. 28]</span> <em class="gesperrt">härterem</em> Holze.
-Diese Formen sind unerträglich: man schreibt sie wohl bisweilen, aber
-niemand spricht sie, eins der beiden e muß weichen. Aber welches von
-beiden? Die richtige Antwort darauf gibt der Infinitiv der Zeitwörter,
-die von Stämmen auf <em class="gesperrt">el</em> und <em class="gesperrt">er</em> gebildet werden. Auch da
-treffen zwei e zusammen, von denen eins beseitigt werden muß. Nun ist
-es zwar hie und da in Deutschland, z.&#160;B. in Hannover, beliebt, zu
-sagen: <em class="gesperrt">tadlen</em>, <em class="gesperrt">handlen</em>, <em class="gesperrt">wandlen</em>, <em class="gesperrt">veredlen</em>,
-<em class="gesperrt">vermittlen</em>, <em class="gesperrt">verdunklen</em>, <em class="gesperrt">verwechslen</em>,
-<em class="gesperrt">ausbeutlen</em>, <em class="gesperrt">mildren</em>, <em class="gesperrt">verwundren</em>,
-<em class="gesperrt">erschüttren</em>, <em class="gesperrt">veräußren</em>, <em class="gesperrt">versilbren</em>,
-<em class="gesperrt">versichren</em>, <em class="gesperrt">erläutren</em>, im allgemeinen aber spricht,
-schreibt und druckt man doch <em class="gesperrt">tadeln</em>, <em class="gesperrt">veredeln</em>,
-<em class="gesperrt">erinnern</em>, <em class="gesperrt">erläutern</em>, d.&#160;h. man opfert das e der Endung
-und bewahrt das e des Stammes. Ebenso geschieht es auch in der
-Flexion des Verbums: <em class="gesperrt">er vereitelt</em>, er <em class="gesperrt">verändert</em>, nicht
-er <em class="gesperrt">vereitlet</em>, er <em class="gesperrt">verändret</em>. Und so ist es gut und
-vernünftig. Denn nicht nur daß das Stamm-e wichtiger ist als das der
-Endung, die Formen auf <em class="gesperrt">eln</em> und <em class="gesperrt">ern</em> klingen auch voller
-und schöner.<a id="FNAnker_22" href="#Fussnote_22" class="fnanchor">[22]</a> Genau so verhält sichs bei den genannten<span class="pagenum" id="Seite_29">[S. 29]</span> Adjektiven.
-Aber fast in allen Büchern und Zeitungen druckt man die häßlich
-weichlichen Formen: <em class="gesperrt">unsres</em> Jahrhunderts, des <em class="gesperrt">üblen</em>
-Rufes, die <em class="gesperrt">ältren</em> Ausgaben, meiner <em class="gesperrt">teuren</em> Gemeinde, in
-der <em class="gesperrt">ungeheuren</em> Menschenmenge, und doch spricht fast jedermann:
-<em class="gesperrt">unsers</em> Jahrhunderts, des <em class="gesperrt">übeln</em> Rufes, die <em class="gesperrt">ältern</em>
-Ausgaben, meiner <em class="gesperrt">teuern</em> Gemeinde, in der <em class="gesperrt">ungeheuern</em>
-Menschenmenge. Man druckt ja nicht: die <em class="gesperrt">Eltren</em>, überall
-wird richtig <em class="gesperrt">Eltern</em> gedruckt, warum also nicht auch die
-<em class="gesperrt">ältern</em>? beides ist doch dasselbe.<a id="FNAnker_23" href="#Fussnote_23" class="fnanchor">[23]</a> Bei dem Dativ-m kann
-man zugeben, daß, wenn das Stamm-e erhalten und das e der Endung
-ausgeworfen wird, zuweilen etwas harte Formen entstehen; im allgemeinen
-ist aber auch hier auf <em class="gesperrt">dunkelm</em> Grunde, mit <em class="gesperrt">besserm</em> Erfolg
-gewiß vorzuziehen.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Von_hohem_geschichtlichen_Werte">Von hohem geschichtlichen Werte oder von
-hohem geschichtlichem Werte?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Wenn zu einem Hauptwort mehrere Eigenschaftswörter treten, so ist es
-selbstverständlich, daß sie in der Deklination gleichmäßig behandelt
-werden müssen. Da haben nun manche in der starken Deklination, wenn
-das Eigenschaftswort allein, ohne Artikel oder Fürwort steht, im Dativ
-der Einzahl einen künstlichen Unterschied schaffen wollen. Sie haben
-gelehrt, nur dann, wenn zwei Adjektiva gleichwertig nebeneinander
-stünden, wenn sie dem Sinne nach koordiniert wären, <span class="antiqua">a-a-s</span>,
-dürften sie gleichmäßig behandelt werden, z.&#160;B. Tiere mit <em class="gesperrt">rotem,
-kaltem</em> Blute, nach <em class="gesperrt">langem, heißem</em> Kampfe; wenn dagegen<span class="pagenum" id="Seite_30">[S. 30]</span> das
-zweite Adjektiv mit dem Substantiv einen einheitlichen Begriff bilde,
-der durch das erste Adjektiv nur näher bestimmt werde, das erste also
-dem zweiten übergeordnet sei,
-<span class="hfrac"><span class="numerator"><span class="antiqua">a</span></span><span class="denominator">(<span class="antiqua">a-s</span>)</span></span>, so müsse das
-zweite schwach dekliniert werden, wie wenn es hinter einem Fürwort
-stünde, z.&#160;B. mit <em class="gesperrt">echtem Kölnischen</em> Wasser, nach <em class="gesperrt">allgemeinem
-deutschen</em> Sprachgebrauch, zu <em class="gesperrt">kühnem dramatischen</em> Pathos,
-mit <em class="gesperrt">eigentümlichem humoristischen</em> Anstrich, von <em class="gesperrt">großem
-praktischen</em> Wert, aus <em class="gesperrt">übertriebnem patriotischen</em> Zartgefühl,
-aus <em class="gesperrt">süddeutschem adligen</em> Besitz. Ebenso müsse im Genitiv der
-Mehrzahl unterschieden werden zwischen: <em class="gesperrt">frischer, süßer Kirschen</em>
-(denn die Kirschen seien frisch und süß) und <em class="gesperrt">neuer isländischen
-Heringe</em>, <em class="gesperrt">scharfer indianischen Pfeile</em>, <em class="gesperrt">einheimischer
-geographischen Namen</em>, <em class="gesperrt">ehemaliger freien</em> Reichsstädte
-(denn die Heringe seien nicht neu <em class="gesperrt">und</em> isländisch, sondern die
-isländischen Heringe seien neu).</p>
-
-<p>Diese Unterscheidung ist logisch unzweifelhaft notwendig, und sie
-muß auch in der Interpunktion zum Ausdruck kommen: koordinierte
-Adjektiva werden durch ein Komma getrennt, während zwischen zwei
-Eigenschaftswörtern, von denen eins dem andern übergeordnet ist,
-kein Komma stehen darf. Grammatisch aber ist die Unterscheidung
-die reine Willkür. Warum sollte sie auch gerade auf diese beiden
-Kasus beschränkt werden? auf den Dativ im Singular und den Genitiv
-im Plural? Nur in diesen beiden Kasus aber soll sie gelten, in den
-übrigen Kasus fällt es niemand ein, das zweite Adjektiv jemals in die
-schwache Form zu bringen. Oder sagt jemand: ohne <em class="gesperrt">selbständiges
-geschichtliche</em> Studium? von <em class="gesperrt">bewährter christlichen</em>
-Gesinnung?<a id="FNAnker_24" href="#Fussnote_24" class="fnanchor">[24]</a> Dazu kommt, daß sich in manchen Fällen kaum entscheiden
-läßt, ob zwei Adjektiva einander koordiniert sind oder eins dem
-andern untergeordnet, z.&#160;B. nach <em class="gesperrt">ergebnislosem<span class="pagenum" id="Seite_31">[S. 31]</span> zweijährigem</em>
-Versuche. Unsre Romanschriftsteller scheinen zu glauben, daß stets eine
-Unterordnung vorliege, wenn das zweite Adjektiv eine Farbe bedeutet:
-sie schreiben fast ausnahmlos: bei <em class="gesperrt">schönem blauen</em> Himmel, mit
-<em class="gesperrt">langem schwarzen</em> Haar, mit <em class="gesperrt">schmalem braunen</em> Rande, mit
-<em class="gesperrt">auffälligem roten</em> Bande. Das ist völlig widersinnig. Freilich
-gibt es langes schwarzes Haar und kurzes schwarzes Haar. Aber eine
-solche Sortierung schwebt doch hier nicht vor. Bei dem schönen, blauen
-Himmel vollends denkt doch niemand an eine andre, weniger schöne Art
-von blauem Himmel, sondern <em class="gesperrt">blau</em> ist eine weitere Ausführung
-und Begründung von <em class="gesperrt">schön</em>: der Himmel ist schön, weil er blau
-ist. Ebenso ist das Band auffällig, weil es rot ist. In Todesanzeigen
-kann man täglich lesen, daß jemand nach <em class="gesperrt">langem, schweren Leiden</em>
-oder nach <em class="gesperrt">kurzem, schweren</em> Leiden gestorben sei. Man liest es
-so häufig, daß man fast glauben möchte, die Setzer setzten auch das
-gewohnheitsmäßig so, selbst wenn in der Druckvorlage richtig gestanden
-hat: nach <em class="gesperrt">langem, schwerem</em> Leiden. Denn daß auch gebildete
-Menschen das immer falsch schreiben sollten, ist doch kaum anzunehmen.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Saemtlicher_deutscher_Staemme">Sämtlicher deutscher Stämme oder sämtlicher
-deutschen Stämme?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Große Unsicherheit herrscht in der Deklination der Adjektiva im
-Genitiv der Mehrzahl nach den Zahlbegriffen <em class="gesperrt">alle</em>, <em class="gesperrt">keine</em>,
-<em class="gesperrt">einige</em>, <em class="gesperrt">wenige</em>, <em class="gesperrt">einzelne</em>, <em class="gesperrt">etliche</em>,
-<em class="gesperrt">manche</em>, <em class="gesperrt">mehrere</em>, <em class="gesperrt">viele</em>, <em class="gesperrt">sämtliche</em>,
-denen sich auch die Adjektiva <em class="gesperrt">andre</em>, <em class="gesperrt">verschiedne</em> und
-<em class="gesperrt">gewisse</em> anschließen, die beiden letzten, wenn sie in dem
-Sinne von <em class="gesperrt">mehrere</em> und <em class="gesperrt">einige</em> stehen. Da sagt man:
-<em class="gesperrt">aller guten</em> Dinge, <em class="gesperrt">aller halben</em> Stunden, <em class="gesperrt">mancher
-kleinen</em> Souveräne, <em class="gesperrt">einzelner ausgezeichneten</em> Schriftsteller,
-<em class="gesperrt">verschiedner schweren</em> Bedenken, <em class="gesperrt">gewisser aristokratischen</em>
-Kreise, aber auch: <em class="gesperrt">vieler andrer</em> Gebiete, <em class="gesperrt">vieler damaliger
-preußischer</em> Offiziere, <em class="gesperrt">einzelner großer politischer</em>
-Ereignisse, <em class="gesperrt">sämtlicher deutscher evangelischer</em> Kirchenregimente,
-<em class="gesperrt">gewisser mathematischer</em> Kenntnisse. Sollte<span class="pagenum" id="Seite_32">[S. 32]</span> es denn nicht
-möglich sein, hier Ordnung und Regel zu schaffen?</p>
-
-<p>Tatsache ist, daß auch nach allen diesen Wörtern die Adjektiva
-ursprünglich stark dekliniert worden sind. Ebenso ist es Tatsache, daß
-die schwache Form nur nach zweien von ihnen endgültig durchgedrungen
-ist: nach <em class="gesperrt">alle</em> und <em class="gesperrt">keine</em>. Sollte das nicht einen tiefern
-Grund haben? Die schwache Form ist endgültig durchgedrungen auch
-hinter dem bestimmten Artikel, hinter den hinweisenden Fürwörtern
-(<em class="gesperrt">dieser</em> und <em class="gesperrt">jener</em>) und hinter den besitzanzeigenden
-Adjektiven (<em class="gesperrt">mein</em>, <em class="gesperrt">dein</em> usw.). In allen diesen Fällen
-aber handelt es sich um eine ganz bestimmte Menge. Dagegen bezeichnet
-die artikellose Form eine unbestimmte Menge. Sollte es nun Zufall
-sein, daß gerade <em class="gesperrt">alle</em> (mit seiner Negation <em class="gesperrt">keine</em>) der
-Form gefolgt ist, die eine bestimmte Menge ausdrückt? <em class="gesperrt">Alle</em>
-und <em class="gesperrt">keine</em> sind die einzigen in der ganzen Reihe. Alle übrigen
-(<em class="gesperrt">viele</em>, <em class="gesperrt">einige</em>, <em class="gesperrt">manche</em> usw.) bezeichnen eine
-unbestimmte Menge; <em class="gesperrt">viele</em> und <em class="gesperrt">einige</em> bleiben <em class="gesperrt">viele</em>
-und <em class="gesperrt">einige</em>, auch wenn einer dazukommt oder abgeht. Sollte sich
-nicht deshalb hier die artikellose Form erhalten haben? Im Nominativ
-überall: <em class="gesperrt">viele junge</em> Leute, <em class="gesperrt">manche bittre</em> Erfahrungen,
-<em class="gesperrt">verschiedne schwere</em> Bedenken, <em class="gesperrt">gewisse aristokratische</em>
-Kreise. Erst im Genitiv beginnt das Schwanken zwischen <em class="gesperrt">vieler
-junger</em> Leute und <em class="gesperrt">vieler jungen</em> Leute, <em class="gesperrt">verschiedner
-freisinniger</em> Blätter und <em class="gesperrt">verschiedner freisinnigen</em> Blätter,
-<em class="gesperrt">mehrerer andrer ausländischer</em> Blätter und <em class="gesperrt">mehrerer andern
-ausländischen</em> Blätter. Unzweifelhaft wäre also die starke Form hier
-überall vorzuziehen. Nur noch hinter <em class="gesperrt">sämtliche</em> wäre die schwache
-am Platze, denn <em class="gesperrt">sämtliche</em> bedeutet ja dasselbe wie <em class="gesperrt">alle</em>,
-also eine bestimmte Menge.</p>
-
-<p>Hinter den wirklichen Zahlwörtern <em class="gesperrt">zwei</em>, <em class="gesperrt">drei</em>,
-<em class="gesperrt">vier</em>, <em class="gesperrt">fünf</em> usw. steht im Nominativ überall die starke
-Form, so auch im Genitiv, solange die Zahlwörter selbst undekliniert
-bleiben: die Kraft <em class="gesperrt">vier starker</em> Männer, um <em class="gesperrt">fünf Gerechter</em>
-willen. Dagegen beginnt das Schwanken, sobald die Zahlwörter selbst wie
-Adjektiva dekliniert werden: ein Kampf <em class="gesperrt">zweier großen</em> Völker<span class="pagenum" id="Seite_33">[S. 33]</span>
-steht neben einem Kampf <em class="gesperrt">zweier großer</em> Völker. Daß aber auch hier
-die starke Form vorzuziehen sei, kann wohl keinem Zweifel unterliegen.
-<em class="gesperrt">Beide</em> dagegen schließt sich natürlich an <em class="gesperrt">alle</em> und
-<em class="gesperrt">keine</em> an: <em class="gesperrt">beide großen</em> Männer, <em class="gesperrt">beide</em> hier
-<em class="gesperrt">mitgeteilten</em> Schriftstücke.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Ein_schoenes_Aeusseres">Ein schönes Äußeres oder ein schönes Äußere? Großer
-Gelehrter oder großer Gelehrten?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Adjektiva und Partizipia, die substantiviert wurden, nahmen in der
-ältesten Zeit stets die schwache Form an, auch hinter dem unbestimmten
-Artikel. Reste davon sind <em class="gesperrt">Junge</em> (ein <em class="gesperrt">Junge</em>), eigentlich
-ein <em class="gesperrt">Junger</em>, das in der Form <em class="gesperrt">Jünger</em> noch daneben steht,
-und <em class="gesperrt">Untertan</em> (e), eigentlich ein <em class="gesperrt">Untertaner</em>. Später ist
-auch bei solchen substantivierten Adjektiven und Partizipien überall
-hinter <em class="gesperrt">ein</em> die starke Form eingetreten: ein <em class="gesperrt">Heiliger</em>,
-ein <em class="gesperrt">Kranker</em>, ein <em class="gesperrt">Fremder</em>, ein <em class="gesperrt">Gelehrter</em>, ein
-<em class="gesperrt">Verwandter</em>, ein <em class="gesperrt">Junges</em> (von Hund oder Katze), ein
-<em class="gesperrt">Ganzes</em>, und stark wird auch überall der alleinstehende
-artikellose Plural jetzt dekliniert: <em class="gesperrt">Heilige</em>, <em class="gesperrt">Verwandte</em>,
-<em class="gesperrt">Geistliche</em>, <em class="gesperrt">Gelehrte</em>, <em class="gesperrt">Junge</em> (der Hund hat
-<em class="gesperrt">Junge</em> bekommen). Werden aber diese substantivierten Adjektiva
-und Partizipia mit einem Adjektiv versehen, so erhält sich ihre
-schwache Form: ein <em class="gesperrt">schönes Ganze</em> (noch genau so wie ein
-<em class="gesperrt">guter Junge</em>), <em class="gesperrt">mein ganzes Innere</em>, von <em class="gesperrt">auffälligem
-Äußern</em>, mit <em class="gesperrt">zerstörtem Innern</em>, und namentlich im Genitiv der
-Mehrzahl: eine Anzahl <em class="gesperrt">wunderlicher Heiligen</em>, eine Versammlung
-<em class="gesperrt">evangelischer Geistlichen</em>, ein Kreis <em class="gesperrt">lieber Verwandten</em>,
-die Stellung <em class="gesperrt">höherer Beamten</em>, die Arbeiten <em class="gesperrt">großer
-Gelehrten</em>, ein Kreis <em class="gesperrt">geladner Sachverständigen</em>, große Züge
-<em class="gesperrt">französischer Kriegsgefangnen</em>, die Lehren <em class="gesperrt">griechischer
-Weisen</em> usw.</p>
-
-<p>Neuerdings versucht man, auch hier überall krampfhaft die starke
-Form durchzudrücken und lehrt, weil es heißt <em class="gesperrt">ein Ganzes</em>, so
-müsse es auch heißen: ein <em class="gesperrt">schönes Ganzes</em>, mein <em class="gesperrt">ganzes
-Inneres</em>, ein <em class="gesperrt">ungewöhnliches Äußeres</em>, mit <em class="gesperrt">zerrüttetem
-Innerm</em>, und im Genitiv der Mehrzahl: ein Dutzend <em class="gesperrt">deutscher<span class="pagenum" id="Seite_34">[S. 34]</span>
-Gelehrter</em>, die Aufnahme <em class="gesperrt">choleraverdächtiger Gefangner</em>,
-das Eigentum <em class="gesperrt">französischer Staatsangehöriger</em>, inmitten
-<em class="gesperrt">scheelblickender Fremder</em>, die Genossenschaft <em class="gesperrt">deutscher
-Bühnenangehöriger</em>, der Verband <em class="gesperrt">sächsischer Industrieller</em>,
-zum Besten <em class="gesperrt">armer Augenkranker</em>, zur Unterstützung <em class="gesperrt">verschämter
-Armer</em>, die Anstellung <em class="gesperrt">pensionierter Geistlicher</em>, Mißgriffe
-<em class="gesperrt">preußischer Polizeibeamter</em>, die Einführung <em class="gesperrt">neugewählter
-Stadtverordneter</em>, Geldbeiträge <em class="gesperrt">reicher Privater</em>, der
-Streit <em class="gesperrt">zweier berühmter deutscher Gelehrter</em>, die Zustimmung
-<em class="gesperrt">vieler amerikanischer</em>, <em class="gesperrt">spanischer</em> und <em class="gesperrt">französischer
-Gelehrter</em>, die Einbildung <em class="gesperrt">etlicher wunderlicher Heiliger</em>
-usw. Daß die gehäuften <em class="gesperrt">er</em> in den Endungen nicht gerade schön
-klingen, würde nichts zu sagen haben; das ließe sich auch gegen manche
-andre Endung einwenden. Aber da die schwache Form in diesem Falle
-das ältere ist, so verdient sie unbedingt den Vorzug. Unsre besten
-Schriftsteller haben nie anders geschrieben als: zur Unterstützung
-<em class="gesperrt">verschämter Armen</em>, Lieder <em class="gesperrt">zweier Liebenden</em>, zur
-Bewaffnung <em class="gesperrt">unbegüterter Freiwilligen</em>, inmitten <em class="gesperrt">eifersüchtiger
-Fremden</em> usw. Wenn man heute hört: nach dem Urteil <em class="gesperrt">hervorragender
-Gelehrter</em>, so vermißt man stets das Hauptwort, denkt sich
-unwillkürlich <em class="gesperrt">hervorragender gelehrter</em> geschrieben (mit g) und
-meint, es müsse noch folgen: <em class="gesperrt">Männer</em>. Nur die schwache Form
-erzeugt das Substantivgefühl. Ein <em class="gesperrt">schönes Ganzes</em> und nach dem
-Urteil <em class="gesperrt">hervorragender Gelehrter</em> sind unnatürliche, gewaltsame
-Erzeugnisse der Halbwisserei.</p>
-
-<p>Eine Liederlichkeit ist es, substantivierte weibliche Adjektivformen,
-wie die <em class="gesperrt">Rechte</em>, die <em class="gesperrt">Linke</em>, die <em class="gesperrt">Weiße</em> (eine
-Berliner <em class="gesperrt">Weiße</em>), wie Substantiva zu behandeln und zu schreiben:
-die Einführung <em class="gesperrt">der</em> Berliner <em class="gesperrt">Weiße</em>; richtig ist nur:
-<em class="gesperrt">der</em> Berliner <em class="gesperrt">Weißen</em>, wie in <em class="gesperrt">seiner Rechten</em>, auf
-der <em class="gesperrt">äußersten Linken</em>. Auch die <em class="gesperrt">Herbstzeitlose</em> gehört
-hierher und die <em class="gesperrt">junge Schöne</em>, die natürlich ebenso wie die
-Maskulina im Genitiv der Mehrzahl bilden muß: Ein Kreis <em class="gesperrt">junger
-Schönen</em> (nicht <em class="gesperrt">Schöner</em>).</p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_35">[S. 35]</span></p>
-
-<h3 id="Das_Deutsche_und_das_Deutsch">Das Deutsche und das Deutsch.</h3>
-
-</div>
-
-<p>Die Sprach- und die Farbenbezeichnungen bilden ein substantiviertes
-Neutrum in zwei Formen nebeneinander, in einer Form mit
-Deklinationsendung und einer Form ohne Endung: <em class="gesperrt">das Deutsche</em>
-und <em class="gesperrt">das Deutsch</em>, <em class="gesperrt">das Englische</em> und <em class="gesperrt">das Englisch</em>,
-<em class="gesperrt">das Blaue</em> (ins <em class="gesperrt">Blaue</em> hinein reden) und <em class="gesperrt">das Blau</em>
-(das Himmelblau), <em class="gesperrt">das Weiße</em> (im Auge) und <em class="gesperrt">das Weiß</em>
-(das Eiweiß). Zwischen beiden Formen ist aber ein fühlbarer
-Bedeutungsunterschied. <em class="gesperrt">Das Deutsche</em> bezeichnet die Sprache
-überhaupt, und dem schließt sich auch das <em class="gesperrt">Hochdeutsche</em>, das
-<em class="gesperrt">Plattdeutsche</em> usw. an. Sobald aber irgendein beschränkender
-Zusatz hinzutritt, der eine besondre Art oder Form der deutschen
-Sprache bezeichnet, wird die kürzere Form gebraucht: das <em class="gesperrt">heutige
-Deutsch</em>, ein <em class="gesperrt">fehlerhaftes Deutsch</em>, das <em class="gesperrt">beste Deutsch</em>,
-<em class="gesperrt">Goethes Deutsch</em>, <em class="gesperrt">mein Deutsch</em>, <em class="gesperrt">dieses Deutsch</em>,
-das <em class="gesperrt">Juristendeutsch</em>, das <em class="gesperrt">Tintendeutsch</em> (Goethe im
-<em class="gesperrt">Faust</em>: in <em class="gesperrt">mein geliebtes Deutsch</em> zu übertragen; der
-Deutsche ist gelehrt, wenn er <em class="gesperrt">sein Deutsch</em> versteht).</p>
-
-<p>Die längere Form: <em class="gesperrt">das Deutsche</em>, <em class="gesperrt">das Blaue</em> muß natürlich
-schwach dekliniert werden: der Lehrer <em class="gesperrt">des Deutschen</em>, die beste
-Zensur <em class="gesperrt">im Deutschen</em>, ein Kirchlein steht <em class="gesperrt">im Blauen</em>,
-Willkommen im <em class="gesperrt">Grünen</em>! Die kürzere Form halten manche für ganz
-undeklinierbar und schreiben: <em class="gesperrt">des Juristendeutsch</em>, eines
-<em class="gesperrt">feurigen Rot</em>. Sie steht aber durchaus auf einer Stufe mit
-andern endunglosen substantivierten Neutren, wie: das <em class="gesperrt">Gut</em>, das
-<em class="gesperrt">Übel</em>, das <em class="gesperrt">Recht</em>, das <em class="gesperrt">Dunkel</em>, das <em class="gesperrt">Klein</em>
-(für <em class="gesperrt">Kleinod</em>, <em class="gesperrt">Kleinet</em>, z.&#160;B. Gänse<em class="gesperrt">klein</em>), das
-<em class="gesperrt">Wild</em>, und es ist nicht einzusehen, weshalb man nicht sagen soll:
-des <em class="gesperrt">Eigelbs</em>, des <em class="gesperrt">Tintendeutschs</em>. An das <em class="gesperrt">tschs</em>
-braucht sich niemand zu stoßen, sonst dürfte man auch nicht sagen: des
-Erd<em class="gesperrt">rutschs</em>, des Stadt<em class="gesperrt">klatschs</em>.</p>
-
-<p>Ganz unsinnig ist, was man fort und fort auf den Titelblättern aus
-fremden Sprachen übersetzter Bücher lesen muß: <em class="gesperrt">aus dem Französischen
-des Voltaire</em> übersetzt u.&#160;ähnl. Man kann über <em class="gesperrt">das Französisch
-Voltaires</em> (nicht <em class="gesperrt">das Französische</em>!) eine wissenschaftliche<span class="pagenum" id="Seite_36">[S. 36]</span>
-Abhandlung schreiben, aber übersetzen kann man etwas nur <em class="gesperrt">aus
-dem Französischen</em> schlechthin; der Name des französischen
-Verfassers muß an andrer Stelle auf dem Titelblatt angebracht werden:
-<em class="gesperrt">Voltaires</em> Briefe, <em class="gesperrt">aus dem Französischen</em> übersetzt usw.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Lieben_Freunde_oder_liebe_Freunde">Lieben Freunde oder liebe Freunde?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Obwohl es keinem Menschen einfällt, in der Anrede zu sagen:
-<em class="gesperrt">teuern</em> Freunde, <em class="gesperrt">geehrten</em> Herren, <em class="gesperrt">geliebten</em> Eltern,
-schwankt man wunderlicherweise seit alter Zeit bei dem Adjektivum
-<em class="gesperrt">lieb</em>. Das ursprüngliche ist allerdings, daß beim Vokativ die
-schwache Form steht. Aber bereits im Althochdeutschen dringt die starke
-Form ein, und im Neuhochdeutschen gewinnt sie bis zum achtzehnten
-Jahrhundert die Oberhand. Auch die Kanzleisprache sagte schließlich:
-<em class="gesperrt">liebe Getreue</em> statt: <em class="gesperrt">lieben Getreuen</em>! Und heute haben
-wir bei einer Verbindung wie <em class="gesperrt">lieben Freunde</em> (wie Luther noch
-schreibt) nicht mehr das Gefühl von etwas organischem, von etwas, das
-so in Ordnung wäre, sondern die Empfindung einer gewissen Altertümelei.
-Wer diese Empfindung nicht erregen will, wird die schwache Form in der
-Anrede vermeiden.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Wir_Deutsche_oder_wir_Deutschen">Wir Deutsche oder wir Deutschen?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Ist es richtiger, zu sagen: <em class="gesperrt">wir Deutsche</em> oder <em class="gesperrt">wir
-Deutschen</em>? Diese Frage, die eine Zeit lang viel Staub aufgewirbelt
-hat, würde wohl gar nicht entstanden sein, wenn nicht Bismarck in der
-bekannten Reichstagssitzung vom 6. Februar 1888 den Ausspruch getan
-hätte, der dann auf zahllosen Erzeugnissen des Gewerbes (Bildern,
-Gedenkblättern, Denkmünzen, Armbändern usw.) angebracht worden ist:
-<em class="gesperrt">Wir Deutsche</em> fürchten Gott, sonst nichts auf der Welt. Denn
-so hat er nach den stenographischen Berichten gesagt, und so war er
-also wohl gewohnt zu sagen. Aber schon der Umstand, daß die Zeitungen
-am 7. Februar (vor dem Erscheinen der stenographischen Berichte!)
-druckten: <em class="gesperrt">Wir Deutschen</em>, und daß sich die Gewerbetreibenden
-vielfach zu vergewissern suchten, wie er denn eigentlich gesagt
-habe, zeigt,<span class="pagenum" id="Seite_37">[S. 37]</span> daß seine Ausdrucksweise auffällig war; dem Volksmunde
-war geläufiger: <em class="gesperrt">wir Deutschen</em>, und so ist in der Tat schon
-im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert viel öfter gesagt worden
-als <em class="gesperrt">wir Deutsche</em>, obwohl es in der Einzahl heißt: <em class="gesperrt">ich
-Deutscher</em>, und heute vollends sagt niemand mehr: <em class="gesperrt">wir Arme</em>,
-<em class="gesperrt">ihr Reiche</em>, <em class="gesperrt">wir Alte</em>, <em class="gesperrt">ihr Junge</em>, sondern <em class="gesperrt">wir
-Armen</em> (Gretchen im Faust: am Golde hängt, nach Golde drängt doch
-alles, ach <em class="gesperrt">wir Armen</em>!), <em class="gesperrt">ihr Reichen</em>, <em class="gesperrt">wir Alten</em>,
-<em class="gesperrt">ihr Jungen</em>, <em class="gesperrt">wir Konservativen</em>, <em class="gesperrt">wir Liberalen</em>,
-<em class="gesperrt">wir Wilden</em> (Seume: <em class="gesperrt">wir Wilden</em> sind doch beßre Menschen),
-<em class="gesperrt">wir Geistlichen</em>, <em class="gesperrt">wir Gesandten</em>, <em class="gesperrt">wir Vorgenannten</em>,
-<em class="gesperrt">wir Unterzeichneten</em>, <em class="gesperrt">wir armen Deutschen</em>, <em class="gesperrt">wir guten
-dummen Deutschen</em>, <em class="gesperrt">wir Deutschen</em> sind halt <em class="gesperrt">Deutsche</em>!
-Es ist gar nicht einzusehen, weshalb gerade die Deutschen von all
-diesen substantivierten Adjektiven und Partizipien eine Ausnahme
-machen sollen. Wenn sich augenblicklich gewisse Leute, denen es gar
-nicht einfallen würde, zu sagen: <em class="gesperrt">wir Arme</em>, mit dem vereinzelt
-aufgeschnappten und ihrem eignen Munde ganz ungewohnten <em class="gesperrt">wir
-Deutsche</em> spreizen, so ist das einfach lächerlich.</p>
-
-<p>Die Ursache, weshalb hinter <em class="gesperrt">wir</em> und <em class="gesperrt">ihr</em> schon früh die
-schwache Form bevorzugt worden ist, ist offenbar dieselbe, die hinter
-den hinweisenden Fürwörtern, den besitzanzeigenden Adjektiven und
-hinter <em class="gesperrt">alle</em> und <em class="gesperrt">keine</em> wirksam gewesen ist
-(vgl. <a href="#Seite_32">S. 32</a>):
-daß es sich um eine bestimmte Menge handelt. Wenn man sagt: <em class="gesperrt">wir
-Deutschen</em>, so meint man damit entweder alle Deutschen überhaupt
-oder alle Deutschen in einem bestimmten Falle, z.&#160;B. alle, die in einer
-aus Angehörigen verschiedner Nationen gemischten Versammlung anwesend
-sind. Daß im Akkusativ der Mehrzahl die starke Form vorgezogen worden
-ist: <em class="gesperrt">uns Deutsche</em>, hat seinen Grund wieder darin, daß man ihn
-sonst nicht hätte vom Dativ unterscheiden können (bei Burkhard Waldis
-aber: und das Reich an <em class="gesperrt">uns Deutschen</em> kummen).</p>
-
-<p>Ein Unterschied läßt sich zwischen <em class="gesperrt">wir beiden</em> und <em class="gesperrt">wir
-beide</em> machen. Wenn der Lehrer am Schluß der Stunde fragt: wer ist
-noch nicht drangewesen? ein<span class="pagenum" id="Seite_38">[S. 38]</span> Schüler dann antwortet: <em class="gesperrt">Wir beiden</em>
-sind noch nicht drangewesen, der Lehrer das bezweifelt und sagt:
-Ich dächte, <em class="gesperrt">du</em> wärst schon drangewesen, so kann der Schüler
-das zweitemal antworten: Nein, <em class="gesperrt">wir beide</em> sind noch nicht
-drangewesen. Im zweiten Falle wird <em class="gesperrt">beide</em> zum Prädikat gezogen,
-<em class="gesperrt">wir beiden</em> dagegen ist dasselbe wie <em class="gesperrt">wir zwei</em>. Freilich
-heißt es in Holteis Mantellied auch: <em class="gesperrt">Wir beide</em> haben niemals
-gebebt.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Verein_Leipziger_Gastwirte">Verein Leipziger Gastwirte – an Bord Sr. Maj.
-Schiff</h3>
-
-</div>
-
-<p>Ein gemeiner Fehler, für den leider in den weitesten, auch in
-gebildeten Kreisen schon gar kein Gefühl mehr vorhanden zu sein
-scheint, liegt in Verbindungen vor wie: Verein <em class="gesperrt">Leipziger
-Gastwirte</em>, Ausschank <em class="gesperrt">Zwenkauer Biere</em>, Hilfskasse
-<em class="gesperrt">Leipziger Journalisten</em>, Verein <em class="gesperrt">Berliner Buchhändler</em>,
-Radierungen <em class="gesperrt">Düsseldorfer Künstler</em>, Photographien <em class="gesperrt">Magdeburger
-Baudenkmäler</em>, eine Sammlung <em class="gesperrt">Meißner Porzellane</em>, die
-frühesten Namen <em class="gesperrt">Breslauer Konsuln</em>, zur Topographie <em class="gesperrt">südtiroler
-Burgen</em>, nach Meldungen <em class="gesperrt">Dresdner Zeitungen</em>.</p>
-
-<p>Die von Ortsnamen gebildeten Formen auf <em class="gesperrt">er</em> werden von vielen
-jetzt für Adjektiva gehalten, wie sich schon darin zeigt, daß sie sie
-mit kleinen Anfangsbuchstaben schreiben: <em class="gesperrt">pariser</em>, <em class="gesperrt">wiener</em>,
-<em class="gesperrt">thüringer</em>, <em class="gesperrt">schweizer</em>. Das ist ein großer Irrtum.
-Diese Formen sind keine Adjektiva, sondern erstarrte Genitive von
-Substantiven. Der <em class="gesperrt">Leipziger Bürgermeister</em> ist, wörtlich ins
-Lateinische übersetzt, nicht <span class="antiqua">consul Lipsiensis</span> – das wäre
-der <em class="gesperrt">Leipzigische</em> Bürgermeister –, sondern <span class="antiqua">Lipsiensium
-consul</span>, der Bürgermeister <em class="gesperrt">der Leipziger</em>. Man sieht das
-deutlich, wenn man solche Verbindungen zugleich mit einem wirklichen
-Adjektivum dekliniert, z.&#160;B. der <em class="gesperrt">neue Berliner Ofen</em>. Dann lauten
-die einzelnen Kasus: des neu<em class="gesperrt">en</em> Berlin<em class="gesperrt">er</em> <em class="gesperrt">Ofens</em>,
-dem neu<em class="gesperrt">en</em> Berlin<em class="gesperrt">er</em> <em class="gesperrt">Ofen</em>, den neu<em class="gesperrt">en</em>
-Berlin<em class="gesperrt">er</em> <em class="gesperrt">Ofen</em>, die neu<em class="gesperrt">en</em> Berlin<em class="gesperrt">er</em>
-<em class="gesperrt">Öfen</em> usw. Während also das Adjektiv <em class="gesperrt">neu</em> und das
-Substantiv <em class="gesperrt">Ofen</em> dekliniert werden, bleibt <em class="gesperrt">Berliner</em>
-stets unverändert. Ganz natürlich; es ist<span class="pagenum" id="Seite_39">[S. 39]</span> eben kein Adjektivum,
-sondern ein eingeschobner, abhängiger Genitiv. Der Irrtum ist dadurch
-entstanden, daß man, durch den Gleichklang der Endungen verführt,
-solche abhängige Genitive mit dem Genitiv von wirklichen Adjektiven wie
-<em class="gesperrt">deutscher</em>, <em class="gesperrt">preußischer</em> zusammengeworfen hat. Weil man
-richtig sagt: eine Versammlung <em class="gesperrt">deutscher Gastwirte</em>, glaubt man
-auch richtig zu sagen: ein Verein <em class="gesperrt">Leipziger Gastwirte</em>. Leider
-heißt nur hier der Nominativ nicht <em class="gesperrt">Leipzige</em>, während er dort
-<em class="gesperrt">deutsche</em> heißt.</p>
-
-<p>Nun ist aber in der artikellosen Deklination der Genitiv der
-Mehrzahl, wenn er nicht durch ein hinzugesetztes Adjektiv kenntlich
-gemacht wird, überhaupt nicht kenntlich; er muß (leider!) durch
-die Präposition <em class="gesperrt">von</em> umschrieben werden. Wenn man sagt: eine
-<em class="gesperrt">Versammlung großer Künstler</em>, so ist der Genitiv durch das
-Attribut <em class="gesperrt">großer</em> genügend kenntlich gemacht; aber <span class="antiqua">societas
-artificum</span> läßt sich nimmermehr übersetzen: ein <em class="gesperrt">Verein
-Künstler</em>, sondern nur ein <em class="gesperrt">Künstlerverein</em> oder: ein <em class="gesperrt">Verein
-von Künstlern</em>; erst durch das <em class="gesperrt">von</em> entsteht ein erkennbarer
-Genitiv. Ganz ebenso ist es aber auch, wenn zu dem Substantiv ein
-Attribut tritt, das nicht deklinierbar ist, z.&#160;B. ein Zahlwort oder ein
-abhängiger (kein attributiver) Genitiv. So unmöglich und so falsch es
-ist, zu sagen: infolge <em class="gesperrt">Streitigkeiten</em>, wegen <em class="gesperrt">Sonderzüge</em>,
-mangels <em class="gesperrt">Beweise</em>, ein Bund <em class="gesperrt">sechs Städte</em>, innerhalb
-<em class="gesperrt">vier Wochen</em>, nach Verlauf <em class="gesperrt">vier Wochen</em>, die Lieferung
-<em class="gesperrt">fünftausend Gewehre</em>, in der ersten Zeit <em class="gesperrt">dessen Leitung</em>,
-mit Bewilligung <em class="gesperrt">dessen Eltern</em>, unter Angabe <em class="gesperrt">deren
-Kennzeichen</em>, die Neubesetzung <em class="gesperrt">Herrn Dornfelds Stelle</em>,
-unterhalb <span class="antiqua">Dr.</span> <em class="gesperrt">Heines Brücke</em>, der Verkauf <em class="gesperrt">ihres Mannes
-Bücher</em>, Genüsse <em class="gesperrt">mancherlei Art</em>, eine Quelle <em class="gesperrt">allerhand
-Verlegenheiten</em>, so gewiß in allen diesen Fällen der Genitiv nur
-mit Hilfe der Präposition <em class="gesperrt">von</em> kenntlich gemacht werden kann
-(ein Bund <em class="gesperrt">von sechs Städten</em>, eine Quelle <em class="gesperrt">von allerhand
-Verlegenheiten</em>), so gewiß muß es auch heißen: Verein <em class="gesperrt">von
-Leipziger Gastwirten</em>, Verhaftung <em class="gesperrt">von Erfurter Bürgern</em>,
-Verkauf <em class="gesperrt">von Magdeburger Molkereibutter</em>; bei <em class="gesperrt">Verein Berliner<span class="pagenum" id="Seite_40">[S. 40]</span>
-Künstler</em> glaubt man immer nur einen Nominativ zu hören: ein
-<em class="gesperrt">Verein Künstler</em>, wie bei: eine <em class="gesperrt">Menge Menschen</em>, ein
-<em class="gesperrt">Haufe Steine</em>, ein <em class="gesperrt">Sack Geld</em>, ein <em class="gesperrt">Stück Brot</em>
-usw.<a id="FNAnker_25" href="#Fussnote_25" class="fnanchor">[25]</a></p>
-
-<p>Ebenso falsch ist es, wenn geschrieben wird: an Bord <em class="gesperrt">Sr.
-Majestät Schiff Möwe</em>, die Forschungsreise <em class="gesperrt">Sr. Majestät
-Schiff Gazelle</em>. Der Genitiv <em class="gesperrt">Sr. Majestät</em> hängt ab von
-<em class="gesperrt">Schiff</em>. Aber wovon hängt <em class="gesperrt">Schiff</em> ab? Von nichts: es
-schwebt in der Luft. Und doch soll auch das ein Genitiv sein, der
-von <em class="gesperrt">Bord</em> oder <em class="gesperrt">Reise</em> abhängt. Der kann nur dadurch
-erkennbar gemacht werden, daß man schreibt: an Bord <em class="gesperrt">von Sr. Majestät
-Schiff</em> Gazelle, denn an Bord <em class="gesperrt">Sr. Majestät Schiffs</em> Gazelle
-wird niemand sagen wollen.<a id="FNAnker_26" href="#Fussnote_26" class="fnanchor">[26]</a></p>
-
-<p>Anstatt des abhängigen <em class="gesperrt">dessen</em> und <em class="gesperrt">deren</em> braucht man sich
-nur des attributiven <em class="gesperrt">sein</em> und <em class="gesperrt">ihr</em> zu bedienen, und der
-Genitiv ist sofort erkennbar. Falsch ist: ich gedenke <em class="gesperrt">dessen</em>
-Güte und Macht – die Briefe Goethes an seinen Sohn während
-<em class="gesperrt">dessen</em> Studienjahre in Heidelberg – eine Darstellung der alten
-Kirche und <em class="gesperrt">deren</em> Kunstschätze – die Interessen der Stadt und
-<em class="gesperrt">deren</em> Einwohner – eine Aufzählung aller Güter und <em class="gesperrt">deren</em>
-Besitzer – eine Versammlung sämtlicher evangelischen Fürsten und
-<em class="gesperrt">deren</em> Vertreter – eine Tochter des Herrn Direktor Schmidt und
-<em class="gesperrt">dessen</em> Gemahlin – zum Besten der Verunglückten und <em class="gesperrt">deren</em>
-Hinterlassenen – die Sicherstellung der Zukunft der Beamten und
-<em class="gesperrt">deren</em> Familien; es muß heißen: <em class="gesperrt">seiner</em> Güte und Macht,
-<em class="gesperrt">seiner</em> Gemahlin, <em class="gesperrt">ihrer</em> Hinterlassenen, <em class="gesperrt">ihrer</em>
-Familien usw.<a id="FNAnker_27" href="#Fussnote_27" class="fnanchor">[27]</a></p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_41">[S. 41]</span></p>
-
-<h3 id="Steigerung_der_Adjektiva">Steigerung der Adjektiva. Schwerwiegender oder
-schwerer wiegend?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Mannigfachen Verstößen begegnet man in der Steigerung der Adjektiva
-(Positiv, Komparativ, Superlativ). Von <em class="gesperrt">viel</em> heißt der Komparativ
-nicht <em class="gesperrt">mehrere</em>, sondern <em class="gesperrt">mehr</em>: ich habe in meinem Garten
-<em class="gesperrt">viel</em> Rosen, du hast <em class="gesperrt">mehr</em> Rosen, er hat die <em class="gesperrt">meisten</em>
-Rosen. <em class="gesperrt">Mehrere</em> ist nichts andres als <em class="gesperrt">einige</em>,
-<em class="gesperrt">etliche</em>. Wenn also ein Hausbesitzer genötigt wird, zu
-bescheinigen, daß <em class="gesperrt">mehrere</em> Hunde als die hier verzeichneten
-in seinem Hause nicht gehalten werden, so wird er genötigt, einen
-Schnitzer zu unterschreiben.</p>
-
-<p>Bei Adjektiven, deren Stamm auf einen Zischlaut endigt, stoßen im
-Superlativ zwei Zischlaute zusammen. Das stört nicht, wenn die Wörter
-mehrsilbig sind (der <em class="gesperrt">weibischste</em>, der <em class="gesperrt">malerischste</em>),
-wohl aber, wenn sie einsilbig sind (der <em class="gesperrt">hübschste</em>, der
-<em class="gesperrt">süßste</em>). Man bewahrt dann lieber das e, das sonst immer
-ausgeworfen wird, und sagt: der <em class="gesperrt">hübscheste</em>, der <em class="gesperrt">süßeste</em>.
-Von <em class="gesperrt">groß</em> ist allgemein der <em class="gesperrt">größte</em> üblich geworden (Goethe
-im Götz auch: der <em class="gesperrt">hübschte</em>, in den Briefen aus Italien: der
-<em class="gesperrt">genialischte</em>).</p>
-
-<p>Bei der Vorliebe, womit jetzt einfache Begriffe wie <em class="gesperrt">groß</em>,
-<em class="gesperrt">stark</em>, <em class="gesperrt">schwer</em> durch schleppende Zusammensetzungen
-wie <em class="gesperrt">tiefgehend</em>, <em class="gesperrt">weitgehend</em>, <em class="gesperrt">weittragend</em>,
-<em class="gesperrt">schwerwiegend</em> ersetzt werden, entsteht oft Verlegenheit, wie
-man solche Zusammensetzungen im Komparativ und im Superlativ behandeln
-soll. Logisch ist ja die Frage leicht zu beantworten; was gesteigert
-werden soll, ist nicht das Partizip <em class="gesperrt">gehend</em>, sondern das
-dabeistehende Adverb <em class="gesperrt">tief</em> oder <em class="gesperrt">weit</em>. In vielen solchen
-Zusammensetzungen ist aber das Adverb mit dem Partizip so innig
-verwachsen, daß man kaum noch die Zusammensetzung empfindet. Wenn
-also auch niemand wagen wird, eine <em class="gesperrt">weitverbreitete</em> Unsitte zu
-steigern: eine <em class="gesperrt">weitverbreitetere</em> Unsitte, sondern eine <em class="gesperrt">weiter
-verbreitete</em>,<a id="FNAnker_28" href="#Fussnote_28" class="fnanchor">[28]</a> das <em class="gesperrt">hochbesteuerte<span class="pagenum" id="Seite_42">[S. 42]</span> Einkommen</em>, nicht:
-das <em class="gesperrt">hochbesteuertste</em>, sondern das <em class="gesperrt">höchstbesteuerte</em>,
-so ist doch gegen einen Komparativ wie <em class="gesperrt">zartfühlender</em> nichts
-einzuwenden, denn das Partizipium <em class="gesperrt">fühlend</em> wird hier gar nicht
-mehr als Verbalform empfunden, sondern etwa wie <em class="gesperrt">fühlig</em> in
-<em class="gesperrt">feinfühlig</em>, und solche Zusammensetzungen (<em class="gesperrt">feinsinnig</em>,
-<em class="gesperrt">kleinmütig</em>, <em class="gesperrt">böswillig</em>, <em class="gesperrt">fremdartig</em>,
-<em class="gesperrt">gleichmäßig</em>) gelten für einfache Wörter und können nur steigern:
-<em class="gesperrt">kleinmütiger</em>, der <em class="gesperrt">kleinmütigste</em>. Ihnen würde sich auch
-das neumodische <em class="gesperrt">hochgradig</em> anschließen. Dazwischen liegen aber
-nun Zusammensetzungen, bei denen manchmal kaum zu entscheiden ist, ob
-man sie als einfache oder als zusammengesetzte Wörter behandeln soll;
-sogar derselbe Mensch kann darin zu verschiednen Zeiten verschieden
-fühlen. Ganz unerträglich sind: der <em class="gesperrt">schöngelegenste</em> Teil, die
-<em class="gesperrt">vielgenannteste</em> Persönlichkeit, die <em class="gesperrt">naheliegendste</em>
-Erklärung, die <em class="gesperrt">leichtlaufendste</em> Maschine, die
-<em class="gesperrt">tiefliegendere</em> Bedeutung, <em class="gesperrt">tiefgehendere</em> Anregungen,
-die <em class="gesperrt">feinschmeckenderen</em> Sorten, die <em class="gesperrt">weitblickendere</em>
-Klugheit, eine <em class="gesperrt">engbegrenztere</em> Aufgabe; es muß heißen: der
-<em class="gesperrt">schönstgelegne</em>, noch besser der am <em class="gesperrt">schönsten gelegne</em>
-Teil, die <em class="gesperrt">am meisten genannte</em> Persönlichkeit, die <em class="gesperrt">tiefer
-liegende</em> Bedeutung, <em class="gesperrt">tiefer gehende</em> Anregungen, die <em class="gesperrt">feiner
-schmeckenden</em> Sorten, die <em class="gesperrt">nächstliegende</em> Erklärung, die
-<em class="gesperrt">weiter blickende</em> Klugheit, eine <em class="gesperrt">enger begrenzte</em>
-Aufgabe. Nicht ganz so anstößig erscheint: die <em class="gesperrt">wohlgemeinteste</em>
-Warnung, die <em class="gesperrt">weitgehendste</em> Mitwirkung, die
-<em class="gesperrt">weittragendste</em> Bedeutung, die <em class="gesperrt">fernliegendsten</em> Dinge, die
-<em class="gesperrt">hochfliegendsten</em> Pläne, obwohl natürlich der <em class="gesperrt">bestgemeinte</em>
-Rat, die <em class="gesperrt">weitestgehende</em> Mitwirkung vorzuziehen ist. Völlig
-gewöhnt haben wir uns an den <em class="gesperrt">tiefgefühltesten</em> Dank und an
-die <em class="gesperrt">hochgeehrtesten</em> oder <em class="gesperrt">hochverehrtesten</em> Damen und
-Herren. Schön kann man trotzdem solche Steigerungen nicht nennen; sie
-klingen alle mehr oder weniger schleppend und schwülstig, und was sie
-ausdrücken sollen, kann meist durch ein einfacheres Wort oder durch
-einen kurzen Nebensatz ebenso kräftig und deutlich gesagt werden.</p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_43">[S. 43]</span></p>
-
-<h3 id="Groesstmoeglichst">Größtmöglichst</h3>
-
-</div>
-
-<p>Noch schlimmer freilich sind die jetzt so beliebten doppelten
-Superlativbildungen, wie die <em class="gesperrt">besteingerichtetsten</em>
-Verkehrsanstalten, die <em class="gesperrt">bestbewährtesten</em> Fabrikate, die
-<em class="gesperrt">höchstgelegenste</em> Wohnung, der <em class="gesperrt">feinstlaubigste</em>
-Kohlrabi u.&#160;ähnl. (statt der <em class="gesperrt">besteingerichteten</em> oder der
-<em class="gesperrt">bewährtesten</em>). Für <em class="gesperrt">so gut wie möglich</em> kann man natürlich
-auch sagen: <em class="gesperrt">möglichst gut</em>. Es gibt ja verschiedne Grade der
-Möglichkeit, es kann etwas leichter möglich sein und auch schwerer
-möglich; man sagt auch: tue dein <em class="gesperrt">möglichstes</em>! Wie muß sich
-aber diese Steigerung mißhandeln lassen! Die einen stellen die
-Wörter verkehrt, bringen den Superlativ an die falsche Stelle und
-sagen <em class="gesperrt">bestmöglich</em>, in der irrigen Meinung, das Wort sei eine
-Zusammenziehung aus: der <em class="gesperrt">beste</em>, der <em class="gesperrt">möglich</em> ist; andre
-wissen sich gar nicht genug zu tun und bilden auch hier wieder den
-doppelten Superlativ <em class="gesperrt">bestmöglichst</em>, <em class="gesperrt">größtmöglichst</em>:
-mit <em class="gesperrt">größtmöglichster</em> Beschleunigung. Das beste ist, auch
-solche schwülstige Übertreibungen zu vermeiden. Das gilt auch von
-der beliebten Steigerung: der <em class="gesperrt">denkbar größte</em>. Wenn ein Nutzen
-nicht der <em class="gesperrt">denkbar größte</em> wäre, so wäre er doch auch nicht der
-<em class="gesperrt">größte</em>. Welch unnötiger Wortschwall also! Manche sind aber in
-dieses <em class="gesperrt">denkbar</em> so verliebt, daß sie es sogar zum Positiv setzen:
-in ihrer Stimmung sind beide Altarflügel <em class="gesperrt">denkbar verschieden</em>.</p>
-
-<p>Vollkommener Unsinn ist es natürlich, wenn gedankenlose Menschen jetzt
-der <em class="gesperrt">erste beste</em> zusammenziehen in der <em class="gesperrt">erstbeste</em>, wenn
-ein Arzt bittet, <em class="gesperrt">möglichst keine</em> Briefe an ihn zu richten, da
-er verreist sei, eine Herrschaft einen <em class="gesperrt">möglichst verheirateten</em>
-oder einen <em class="gesperrt">möglichst unverheirateten</em> Kutscher zu <em class="gesperrt">möglichst
-sofortigem</em> Antritt sucht, Zeitungen ihre Abonnenten auffordern, das
-Abonnement <em class="gesperrt">baldgefälligst</em> zu erneuern, oder ein Kaufmann seine
-Kunden bittet, ihm <em class="gesperrt">baldmöglichst</em> oder <em class="gesperrt">baldgefälligst</em> ihre
-geschätzten Aufträge oder Bestellungen zukommen zu lassen. Was sie
-meinen, ist weiter nichts als: <em class="gesperrt">womöglich keine</em>,<span class="pagenum" id="Seite_44">[S. 44]</span> <em class="gesperrt">womöglich
-verheiratet</em>, <em class="gesperrt">womöglich sofort</em>, und: <em class="gesperrt">möglichst bald</em>,
-<em class="gesperrt">gefälligst bald</em>. Aber namentlich das <em class="gesperrt">baldgefälligst</em>, so
-albern es auch ist, gehört zu den Lieblingswörtern aller Geschäftsleute
-und Beamten.</p>
-
-<p>Ebenso unsinnig ist es, wenn ein Superlativ von <em class="gesperrt">einzig</em> gebildet
-wird: der <em class="gesperrt">Einzigste</em>, der bisher Großes in diesem Fache geleistet
-hat. Einziger als einzig kann doch niemand sein.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Gedenke_unsrer_oder_unser">Gedenke unsrer oder unser?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Auch in der Deklination der Fürwörter herrscht hie und da Unwissenheit
-oder Unsicherheit. Daß man eine Frage besprechen muß wie die: gedenke
-<em class="gesperrt">unsrer</em> oder <em class="gesperrt">unser</em>? ist sehr traurig, aber es ist leider
-nötig, denn der Fehler: wir sind <em class="gesperrt">unsrer</em> acht – es harrt
-<em class="gesperrt">unsrer</em> eine schwere Aufgabe, oder: wir gedenken <em class="gesperrt">eurer</em>
-in Liebe, kommt so oft vor, daß man fast annehmen möchte, die Leute
-wären der Meinung, die kürzeren Formen seien nur durch Nachlässigkeit
-entstanden.</p>
-
-<p>Die Genitive der persönlichen Fürwörter <em class="gesperrt">ich</em>, <em class="gesperrt">du</em>,
-<em class="gesperrt">er</em>, <em class="gesperrt">wir</em>, <em class="gesperrt">ihr</em>, <em class="gesperrt">sie</em> heißen: <em class="gesperrt">mein</em>,
-<em class="gesperrt">dein</em>, <em class="gesperrt">sein</em>, <em class="gesperrt">unser</em>, <em class="gesperrt">euer</em>, <em class="gesperrt">ihr</em>,
-z.&#160;B.: gedenke <em class="gesperrt">mein</em>, vergiß <em class="gesperrt">mein</em> nicht, der Buhle
-<em class="gesperrt">mein</em>, ich denke <em class="gesperrt">dein</em>, <em class="gesperrt">unser</em> einer, <em class="gesperrt">unser
-aller</em> Wohl, <em class="gesperrt">unser</em> keiner lebt ihm selber.<a id="FNAnker_29" href="#Fussnote_29" class="fnanchor">[29]</a> Daneben sind
-freilich im Singular schon früh die unorganischen Formen <em class="gesperrt">meiner</em>,
-<em class="gesperrt">deiner</em>, <em class="gesperrt">seiner</em> aufgekommen und haben sich festgesetzt,
-aber doch ohne die echten, alten Formen ganz verdrängen zu können
-(Gellert: der Herr hat <em class="gesperrt">mein</em> noch nie vergessen, vergiß, mein
-Herz, auch <em class="gesperrt">seiner</em> nicht); <em class="gesperrt">ihr</em> ist leider ganz durch
-<em class="gesperrt">ihrer</em> verdrängt worden; wir wollen uns <em class="gesperrt">ihrer</em> annehmen.
-Aber in der<span class="pagenum" id="Seite_45">[S. 45]</span> ersten und zweiten Person der Mehrzahl ist doch die
-richtige alte Form noch so lebendig, daß es unverantwortlich wäre,
-wenn man sie nicht gegen die falsche, die sich auch hier eindrängen
-will, in Schutz nähme. <em class="gesperrt">Unsrer</em> und <em class="gesperrt">eurer</em> sind Genitive
-des besitzanzeigenden Eigenschaftswortes, aber nicht des persönlichen
-Fürworts. Also: erbarmt euch <em class="gesperrt">unser</em> und <em class="gesperrt">unsrer</em> Kinder!<a id="FNAnker_30" href="#Fussnote_30" class="fnanchor">[30]</a></p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Derer_und_deren">Derer und deren</h3>
-
-</div>
-
-<p>Die Genitive der Mehrzahl <em class="gesperrt">derer</em> und <em class="gesperrt">deren</em> sind der alten
-Sprache überhaupt unbekannt, sie hat nur <span class="antiqua">der</span>; beide sind –
-ebenso wie die Genitive der Einzahl <em class="gesperrt">dessen</em> und <em class="gesperrt">deren</em>
-– erst im Neuhochdeutschen gebildet worden und als willkommne
-Unterscheidungen des betonten und lang gesprochnen Determinativs und
-Relativs <em class="gesperrt">der</em> (<span class="antiqua">dēr</span>) von dem gewöhnlich unbetonten und
-kurz gesprochnen Artikel <em class="gesperrt">der</em> (<span class="antiqua">dĕr</span>) festgehalten worden.
-<em class="gesperrt">Derer</em> steht vor Relativsätzen (und verdient dort den Vorzug vor
-dem schleppenden <em class="gesperrt">derjenigen</em>); <em class="gesperrt">deren</em> ist Demonstrativum:
-die Krankheit und <em class="gesperrt">deren</em> Heilung (d.&#160;i. <em class="gesperrt">ihre</em> Heilung)
-und Relativum: die Krankheiten, <em class="gesperrt">deren</em> Heilung möglich ist.
-Falsch ist es also, wenn Relativsätze angefangen werden: in betreff
-<em class="gesperrt">derer</em>, vermöge <em class="gesperrt">derer</em>.</p>
-
-<p>Ein ganz neuer Unsinn, den man jetzt bisweilen lesen muß, ist
-<em class="gesperrt">dessem</em> und <em class="gesperrt">derem</em>: der Dichter, <em class="gesperrt">dessem</em> löblichen
-Fortschreiten ich mit Freuden folge – die Geschäfte werden inzwischen
-von <em class="gesperrt">dessem</em> Stellvertreter besorgt – die fremde Kunst, bei
-<em class="gesperrt">derem</em> Studium der Deutsche seine eigne Kunst vergaß – für die
-Behörden zu <em class="gesperrt">derem</em> alleinigen Gebrauch ausgefertigt. Der Dativ,
-der in diesen Sätzen steht, hat gleichsam den vorangehenden abhängigen
-Genitiv angesteckt und dadurch die Mißbildungen geschaffen. Die
-Verirrung geht aber wohl öfter in den Köpfen der Setzer als in denen
-der Schriftsteller vor; bei der Korrektur lesen die Verfasser über<span class="pagenum" id="Seite_46">[S. 46]</span> den
-Unsinn weg, und so wird er mit gedruckt. Auch <em class="gesperrt">dergleichem</em> findet
-sich schon: er ist zu Verschickungen und <em class="gesperrt">dergleichem</em> gebraucht
-worden.<a id="FNAnker_31" href="#Fussnote_31" class="fnanchor">[31]</a></p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Einundderselbe">Einundderselbe</h3>
-
-</div>
-
-<p>Der arge Mißbrauch, der mit dem Pronomen <em class="gesperrt">derselbe</em> getrieben wird
-(daß man es fortwährend für <em class="gesperrt">er</em> oder <em class="gesperrt">dieser</em> gebraucht;
-vgl. <a href="#Seite_226">S. 226</a>), hat dazu geführt, daß man nun <em class="gesperrt">einundderselbe</em>
-sagen zu müssen glaubt, wo man <em class="gesperrt">derselbe</em> mit seiner wirklichen
-Bedeutung meint. Diese überflüssige Zusammensetzung wird vollends
-schleppend, wenn man sie pedantisch dekliniert: <em class="gesperrt">eines und
-desselben</em>, <em class="gesperrt">einem und demselben</em>. Wer sie nicht entbehren zu
-können glaubt, der schreibe wenigstens: an <em class="gesperrt">einunddemselben Tage</em>,
-im Laufe <em class="gesperrt">einunddesselben</em> Jahres, in <em class="gesperrt">einundderselben</em> Hand.
-Dieselbe Freiheit nimmt man sich ja auch bei <em class="gesperrt">Grund und Boden</em>:
-die Entwertung des <em class="gesperrt">Grund und Bodens</em> (als ob beides nur
-<em class="gesperrt">ein</em> Wort wäre), nicht des <em class="gesperrt">Grundes und Bodens</em>; ebenso: ein
-Hut mit <em class="gesperrt">blau und weißem</em> Band, wenn nicht zwei verschiedenfarbige
-Bänder gemeint sind, sondern ein zweifarbiges.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Man">Man</h3>
-
-</div>
-
-<p>Daß auch das unpersönliche Fürwort <em class="gesperrt">man</em> dekliniert werden kann,
-dessen sind sich die allerwenigsten bewußt. In der lebendigen Rede
-bilden sie zwar, ohne es zu wissen, die <span class="antiqua">casus obliqui</span> ganz
-richtig, aber wenn sie die Feder in die Hand nehmen, getrauen sie sich
-nicht, sie hinzuschreiben, sondern sinnen darüber nach, wie sie sich
-ausdrücken sollen. Der Junge, der von einem andern Jungen geneckt wird,
-sagt: laß <em class="gesperrt">einen</em> doch gehn! und wenn er sich über den Necker
-beschwert, sagt er: der neckt <em class="gesperrt">einen</em> immer. Auch der Erwachsne
-sagt: das kann <em class="gesperrt">einem</em> alle Tage begegnen. Und Lessing schreibt:
-macht<span class="pagenum" id="Seite_47">[S. 47]</span> <em class="gesperrt">man</em> das, was <em class="gesperrt">einem</em> so einfällt? – so was erinnert
-<em class="gesperrt">einen</em> manchmal, woran <em class="gesperrt">man</em> nicht gern erinnert sein will
-– muß <em class="gesperrt">man</em> nicht grob sein, wenn <em class="gesperrt">einen</em> die Leute sollen
-gehn lassen? – Goethe sagt sogar: <em class="gesperrt">eines</em> Haus und Hof steht
-gut, aber wo soll bar Geld herkommen? Es ist also klar, die <span class="antiqua">casus
-obliqui</span> von <em class="gesperrt">man</em> werden in der lebendigen Sprache gebildet
-durch <em class="gesperrt">eines</em>, <em class="gesperrt">einem</em>, <em class="gesperrt">einen</em>. Aber viele scheinen
-diese Ausdrucksweise jetzt nicht mehr für fein zu halten, scheinen sich
-einzubilden, daß sie nur der niedrigen Umgangssprache zukomme. Das ist
-bloßer Aberglaube, man kann sich gar nicht besser ausdrücken, als wie
-es Goethe getan hat, wenn er z.&#160;B. sagt: wenn <em class="gesperrt">man</em> für einen
-reichen Mann bekannt ist, so steht es <em class="gesperrt">einem</em> frei, seinen Aufwand
-einzurichten, wie <em class="gesperrt">man</em> will.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Jemandem_oder_jemand">Jemandem oder jemand?</h3>
-
-</div>
-
-<p>In <em class="gesperrt">jemand</em> und <em class="gesperrt">niemand</em> ist das d ein unorganisches
-Anhängsel. Die Wörter sind natürlich mit <em class="gesperrt">man</em> (<em class="gesperrt">Mann</em>)
-zusammengesetzt (<span class="antiqua">ieman</span>, <span class="antiqua">nieman</span>), im Mittelhochdeutschen
-heißen Dativ und Akkusativ noch <span class="antiqua">iemanne</span>, <span class="antiqua">niemanne</span>,
-<span class="antiqua">ieman</span>, <span class="antiqua">nieman</span>. Da sich das Gefühl dafür durchaus noch
-nicht verloren hat, da es jedermann noch versteht, wenn man sagt: ich
-habe <em class="gesperrt">niemand</em> gesehen, du kannst <em class="gesperrt">niemand</em> einen Vorwurf
-machen, so ist nicht einzusehen, weshalb die durch Mißverständnis
-entstandnen Formen <em class="gesperrt">jemandem</em>, <em class="gesperrt">niemandem</em>, <em class="gesperrt">jemanden</em>,
-<em class="gesperrt">niemanden</em> den Vorzug verdienen sollten.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Jemand_anders">Jemand anders</h3>
-
-</div>
-
-<p>Der gute Rat, bei den Adjektiven, deren Stamm auf er endigt, immer die
-schönen, kräftigen Formen: <em class="gesperrt">unsers</em>, <em class="gesperrt">andern</em> den weichlichen
-Formen: <em class="gesperrt">unsres</em>, <em class="gesperrt">andren</em>
-vorzuziehen (vgl. <a href="#Seite_29">S. 29</a>),
-erleidet eine Ausnahme bei dem Neutrum <em class="gesperrt">anders</em>. Unser heutiges
-Umstandswort <em class="gesperrt">anders</em> (ich hätte das <em class="gesperrt">anders</em> gemacht)
-ist ursprünglich nichts „andres“ als das Neutrum von <em class="gesperrt">andrer</em>,
-<em class="gesperrt">andre</em>, <em class="gesperrt">andres</em> (ein <em class="gesperrt">andres</em> Kleid). Die Sprache
-hat sich hier des ganz äußerlichen Mittels bedient, das einemal den
-Vokal der Endung, das andremal den des Stammes<span class="pagenum" id="Seite_48">[S. 48]</span> auszuwerfen, um einen
-Unterschied zwischen Adjektiv und Adverb zu schaffen. (Ebenso bei
-<em class="gesperrt">besondres</em> und <em class="gesperrt">besonders</em>.) An diesem Unterschied ist
-natürlich nun festzuhalten, niemand wird schreiben ein <em class="gesperrt">anders</em>
-Kleid. Zum Glück hat sich aber in der lebendigen Sprache in den
-Verbindungen: <em class="gesperrt">wer anders</em>, <em class="gesperrt">was anders</em>, <em class="gesperrt">jemand
-anders</em>, <em class="gesperrt">niemand anders</em> die kräftigere Form erhalten; man
-sagt: <em class="gesperrt">wer anders</em> sollte mir helfen? – das ist <em class="gesperrt">niemand
-anders</em> gewesen als du – und die Schlußzeile einer bekannten Fabel:
-ja, Bauer, das ist ganz was <em class="gesperrt">anders</em> – ist durchaus nicht bloß
-wegen des Reimes auf <em class="gesperrt">Alexanders</em> so geschrieben. In allen diesen
-Verbindungen ist <em class="gesperrt">anders</em> nicht etwa als Adverb aufzufassen,
-sondern es ist der Genitiv des geschlechtslosen Neutrums, das zur
-Bezeichnung beider Geschlechter dient, wie in <em class="gesperrt">jemand fremdes</em>.
-Darnach kann nun auch kein Zweifel sein, wie diese Verbindungen zu
-deklinieren sind. Der Volksmund hat das richtige, wenn er sagt: von
-<em class="gesperrt">wem anders</em> soll ich mir denn helfen lassen? – ich bin mit
-<em class="gesperrt">niemand anders</em> in Berührung gekommen. Mit <em class="gesperrt">niemand anderm</em>
-ist falsch, freilich nicht viel falscher als: von <em class="gesperrt">was anderm</em>, zu
-<em class="gesperrt">was besserm</em>, zu <em class="gesperrt">nichts gutem</em>, wo auch das abhängige Wort,
-das eigentlich im Genitiv stehen müßte, die Kasusbezeichnung übernommen
-hat, die in <em class="gesperrt">was</em> und <em class="gesperrt">nichts</em> nicht zum Ausdrucke kommt.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Ein_andres_und_etwas_andres">Ein andres und etwas andres</h3>
-
-</div>
-
-<p>Das Neutrum von <em class="gesperrt">jemand anders</em> heißt <em class="gesperrt">etwas andres</em>, im
-Volksmunde <em class="gesperrt">was andres</em>. Die Mutter sagt: ich habe dir <em class="gesperrt">was
-schönes</em> oder <em class="gesperrt">etwas schönes</em> mitgebracht. Ebenso <em class="gesperrt">etwas
-gutes</em>, <em class="gesperrt">etwas rechtes</em>, <em class="gesperrt">etwas wahres</em>, <em class="gesperrt">etwas
-großes</em>, <em class="gesperrt">etwas wesentliches</em>, <em class="gesperrt">etwas neues</em>, <em class="gesperrt">etwas
-weiteres</em>. Dieses schlichte <em class="gesperrt">was</em> oder <em class="gesperrt">etwas</em> verschmäht
-man aber jetzt, man schreibt: und noch <em class="gesperrt">ein andres</em> muß ich
-erwähnen – zunächst möchte ich <em class="gesperrt">ein allgemeines</em> voranschicken
-– und nun können wir noch <em class="gesperrt">ein weiteres</em> hinzufügen – man darf
-nicht glauben, daß damit <em class="gesperrt">ein wesentliches</em> gewonnen sei – auch
-der reichhaltigste Stoff muß <em class="gesperrt">ein<span class="pagenum" id="Seite_49">[S. 49]</span> spezifisches</em> haben, das ihn
-von tausend andern unterscheidet; und man kommt sich äußerst vornehm
-vor, wenn man so schreibt. Sogar ein Lied von Oskar von Redwitz, das
-in der Komposition von Liszt das Entzücken aller Backfische ist, fängt
-an: Es muß <em class="gesperrt">ein wunderbares</em> sein ums Lieben zweier Seelen! Es ist
-aber nichts als alberne Ziererei. Poetischer wird das Lied durch das
-<em class="gesperrt">ein</em> sicherlich nicht.</p>
-
-<p>„Etwas andres“ ist es, wenn <em class="gesperrt">ein</em> nicht das unbestimmte Fürwort,
-sondern das Zahlwort bedeuten soll, z.&#160;B.: dann hätte das Unternehmen
-wenigstens <em class="gesperrt">ein gutes</em> gehabt. Das ist natürlich ebenso richtig
-wie: <em class="gesperrt">das eine gute</em>.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Zahlwoerter">Zahlwörter</h3>
-
-</div>
-
-<p>Gegen die richtige Bildung der Zahlwörter werden nur wenig Verstöße
-begangen; es ist auch kaum Gelegenheit dazu. Lächerlich ist es, daß
-manche Leute immer <em class="gesperrt">sechszig</em> und <em class="gesperrt">siebenzig</em> drucken
-lassen, denn in ganz Deutschland sagt man <em class="gesperrt">sechzig</em> und
-<em class="gesperrt">siebzig</em>. Für <em class="gesperrt">fünfzehn</em> und <em class="gesperrt">fünfzig</em> sagen manche
-lieber <em class="gesperrt">funfzehn</em> und <em class="gesperrt">funfzig</em>. Im Althochdeutschen stand
-neben unflektiertem <span class="antiqua">funf</span> ein flektiertes <span class="antiqua">funfi</span>, woraus
-im Mittelhochdeutschen <em class="gesperrt">fünfe</em> wurde. <em class="gesperrt">Funfzig</em> ist nun
-mit <em class="gesperrt">funf</em> gebildet, mit <em class="gesperrt">fünf</em> dagegen <em class="gesperrt">fünfzehn</em>
-und <em class="gesperrt">fünfzig</em>, die in der Schriftsprache die Oberhand gewonnen
-haben.<a id="FNAnker_32" href="#Fussnote_32" class="fnanchor">[32]</a></p>
-
-<p>Statt <em class="gesperrt">hundertunderste</em> kann man jetzt öfter lesen:
-<em class="gesperrt">hundertundeinte</em>, aber doch nur nach dem unbestimmten Artikel:
-nicht als ob ich zu den hundert Fausterklärungen noch <em class="gesperrt">eine
-hundertundeinte</em> hinzufügen wollte. Es schwebt dabei wohl weniger
-die Reihenfolge und der neue letzte Platz in dieser Reihenfolge vor,
-als die Zahl, die von <em class="gesperrt">hundert</em> auf <em class="gesperrt">hundertundeins</em> steigt.
-Trotzdem hat die Form keine Berechtigung.</p>
-
-<p>Die Bildungen <em class="gesperrt">anderthalb</em> (d.&#160;h. der andre, der zweite halb),
-<em class="gesperrt">drittehalb</em> (2½), <em class="gesperrt">viertehalb</em> (3½) sind<span class="pagenum" id="Seite_50">[S. 50]</span> jetzt mehr auf
-die Umgangssprache beschränkt; in der Schriftsprache sind sie seltner
-geworden. Es ist aber nichts gegen sie einzuwenden.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Starke_und_schwache_Konjugation">Starke und schwache Konjugation</h3>
-
-</div>
-
-<p>Wie bei den Hauptwörtern zwischen einer starken und einer schwachen
-Deklination, so unterscheidet man bei den Zeitwörtern zwischen einer
-starken und einer schwachen Konjugation. Starke Zeitwörter nennt man
-die, die ihre Formen nur durch Veränderung des Stammwortes bilden,
-schwache die, die zur Bildung ihrer Formen andrer Mittel bedürfen.
-Ein starkes Zeitwort ist: ich <em class="gesperrt">springe</em>, ich <em class="gesperrt">sprang</em>,
-ich bin <em class="gesperrt">gesprungen</em>, ein schwaches: ich <em class="gesperrt">sage</em>, ich
-<em class="gesperrt">sagte</em>, ich habe <em class="gesperrt">gesagt</em>. Die Veränderung des Stammvokals
-nennt man den Ablaut, die verschiednen Wege, die der Ablaut
-einschlägt, die Ablautsreihen.<a id="FNAnker_33" href="#Fussnote_33" class="fnanchor">[33]</a> Die wichtigsten Ablautsreihen
-sind: ei, i, i (<em class="gesperrt">reite</em>, <em class="gesperrt">ritt</em>, <em class="gesperrt">geritten</em>), ei,
-ie, ie (<em class="gesperrt">bleibe</em>, <em class="gesperrt">blieb</em>, <em class="gesperrt">geblieben</em>), ie, o, o
-(<em class="gesperrt">gieße</em>, <em class="gesperrt">goß</em>, <em class="gesperrt">gegossen</em>), i, a, u (<em class="gesperrt">binde</em>,
-<em class="gesperrt">band</em>, <em class="gesperrt">gebunden</em>), i, a, o (<em class="gesperrt">schwimme</em>,
-<em class="gesperrt">schwamm</em>, <em class="gesperrt">geschwommen</em>), e, a, o (<em class="gesperrt">nehme</em>,
-<em class="gesperrt">nahm</em>, <em class="gesperrt">genommen</em>), i, a, e (<em class="gesperrt">bitte</em>, <em class="gesperrt">bat</em>,
-<em class="gesperrt">gebeten</em>), e, a, e (<em class="gesperrt">lese</em>, <em class="gesperrt">las</em>, <em class="gesperrt">gelesen</em>),
-a, u, a (<em class="gesperrt">fahre</em>, <em class="gesperrt">fuhr</em>, <em class="gesperrt">gefahren</em>). Außerdem gibt
-es noch eine Mischgruppe mit ie im Imperfekt und einunddemselben
-Vokal im Präsens und im Partizip, wie <em class="gesperrt">falle</em>, <em class="gesperrt">fiel</em>,
-<em class="gesperrt">gefallen</em>, <em class="gesperrt">stoße</em>, <em class="gesperrt">stieß</em>, <em class="gesperrt">gestoßen</em>,
-<em class="gesperrt">rufe</em>, <em class="gesperrt">rief</em>, <em class="gesperrt">gerufen</em>, <em class="gesperrt">laufe</em>, <em class="gesperrt">lief</em>,
-<em class="gesperrt">gelaufen</em>, <em class="gesperrt">heiße</em>, <em class="gesperrt">hieß</em>, <em class="gesperrt">geheißen</em>, wofür man
-jetzt bisweilen falsch <em class="gesperrt">gehießen</em> hören muß, als ob es in die
-zweite Ablautsreihe gehörte.</p>
-
-<p>Fast noch bewundernswürdiger als in der Deklination der Hauptwörter
-ist in der Flexion der Zeitwörter die Sicherheit, mit der auch
-der Mindergebildete der Fülle und Mannigfaltigkeit der Formen
-gegenübersteht. Freilich gibt es auch hier Schwankungen und
-Verirrungen, darunter sogar recht ärgerliche und beschämende. Es gibt
-Verbalstämme, die eine starke und auch eine schwache Flexion erzeugt
-haben mit verschiedner Bedeutung; da ist dann Verwechslung eingetreten.
-Es gibt aber auch Zeitwörter,<span class="pagenum" id="Seite_51">[S. 51]</span> die sich bloß in die andre Flexion
-verirrt haben ohne Bedeutungswechsel. Bei gutem Willen ist aber doch
-vielleicht auch hier noch manches zu verhüten oder aufzuhalten.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Verschieden_flektierte_und_schwankende_Zeitwoerter">Verschieden flektierte
-und schwankende Zeitwörter</h3>
-
-</div>
-
-<p>Das intransitive <em class="gesperrt">hangen</em> und das transitive <em class="gesperrt">hängen</em>
-(eigentlich <em class="gesperrt">henken</em>) jetzt noch streng auseinanderhalten zu
-wollen wäre wohl vergebliches Bemühen. Wenn auch im Perfekt noch
-richtig gesagt wird: ich habe das Bild <em class="gesperrt">aufgehängt</em>, und
-<em class="gesperrt">aufgehangen</em> hier als fehlerhaft empfunden wird, so hat sich
-doch leider fast allgemein eingebürgert: ich <em class="gesperrt">hing</em> den Hut auf,
-und <em class="gesperrt">hangen</em>, <em class="gesperrt">abhangen</em>, <em class="gesperrt">zusammenhangen</em> erscheint
-uns altertümlich gesucht, obwohl es das richtige ist (Heine: und als
-sie kamen ins deutsche Quartier, sie ließen die Köpfe <em class="gesperrt">hangen</em>).
-Ähnlich verhält sichs mit <em class="gesperrt">wägen</em> und <em class="gesperrt">wiegen</em>; man
-sagt jetzt ebenso: der Bäcker <em class="gesperrt">wiegt</em> das Brot, wie: das
-Brot <em class="gesperrt">wiegt</em> zu wenig, obwohl es im ersten Falle eigentlich
-<em class="gesperrt">wägt</em> heißen müßte. Auch bei <em class="gesperrt">schmelzen</em>, <em class="gesperrt">löschen</em>
-und <em class="gesperrt">verderben</em> ist von Rechts wegen zwischen einer transitiven
-schwachen und einer intransitiven starken Flexion zu unterscheiden: die
-Sonne <em class="gesperrt">schmelzt</em> den Schnee, hat den Schnee <em class="gesperrt">geschmelzt</em>,
-aber der Schnee <em class="gesperrt">schmilzt</em>, er ist <em class="gesperrt">geschmolzen</em>; der
-Wind <em class="gesperrt">löscht</em> das Licht <em class="gesperrt">aus</em>, hat es <em class="gesperrt">ausgelöscht</em>,
-aber das Licht <em class="gesperrt">verlischt</em>, ist <em class="gesperrt">verloschen</em>; das Fleisch
-<em class="gesperrt">verdirbt</em>, <em class="gesperrt">verdarb</em>, ist <em class="gesperrt">verdorben</em>, aber der
-schlechte Umgang <em class="gesperrt">verderbt</em> die Jugend, <em class="gesperrt">verderbte</em> sie, hat
-sie <em class="gesperrt">verderbt</em>. Leider wird der Unterschied nicht überall mehr
-beobachtet (am ehesten noch bei <em class="gesperrt">löschen</em>). Sehr in Verwirrung
-geraten sind das intransitive und das transitive <em class="gesperrt">schrecken</em>. Das
-intransitive <em class="gesperrt">erschrecken</em> wird allgemein noch richtig flektiert:
-du <em class="gesperrt">erschrickst</em>, er <em class="gesperrt">erschrickt</em>, ich <em class="gesperrt">erschrak</em>,
-ich <em class="gesperrt">bin erschrocken</em> (in der niederdeutschen Vulgärsprache:
-<em class="gesperrt">ich habe mich erschrocken</em>!); ebenso das transitive:
-du <em class="gesperrt">erschreckst</em> mich, ich <em class="gesperrt">erschreckte</em>, ich habe
-<em class="gesperrt">erschreckt</em>. Bei <em class="gesperrt">aufschrecken</em> und <em class="gesperrt">zurückschrecken</em>
-aber hat die schwache Form die starke fast ganz verdrängt; selten,
-daß man noch einmal richtig liest: daß die Sozialdemokratie hiervor
-nicht <em class="gesperrt">zurückschrickt</em>.<span class="pagenum" id="Seite_52">[S. 52]</span> Von dem ursprünglich intransitiven
-<em class="gesperrt">stecken</em> (der Schlüssel <em class="gesperrt">steckt</em> an der Tür) hat sich
-ein transitives <em class="gesperrt">stecken</em> abgezweigt (ich <em class="gesperrt">stecke</em> den
-Schlüssel an die Tür). Beide werden jetzt meist schwach flektiert;
-das intransitive war aber früher stark: wo <em class="gesperrt">stickst</em> du? Und
-mundartlich heißt es ja noch heute: der Schlüssel <em class="gesperrt">stak</em>.</p>
-
-<p>Schlechterdings nicht verwechselt werden sollte <em class="gesperrt">gesonnen</em> und
-<em class="gesperrt">gesinnt</em>, <em class="gesperrt">geschaffen</em> und <em class="gesperrt">geschafft</em>. <em class="gesperrt">Gesonnen</em>
-kann nur die Absicht oder den Willen bedeuten: ich bin <em class="gesperrt">gesonnen</em>,
-zu verreisen; <em class="gesperrt">gesinnt</em>, das gar nicht von dem Zeitwort
-<em class="gesperrt">sinnen</em>, sondern von dem Hauptwort <em class="gesperrt">Sinn</em> gebildet ist (wie
-<em class="gesperrt">gewillt</em> nicht von <em class="gesperrt">wollen</em>, sondern von <em class="gesperrt">Wille</em>),
-kann nur von der Gesinnung gebraucht werden: er war gut deutsch
-<em class="gesperrt">gesinnt</em>, er ist mir feindlich <em class="gesperrt">gesinnt</em>. <em class="gesperrt">Schaffen</em>
-bedeutet in der starken Flexion (<em class="gesperrt">schuf</em>, <em class="gesperrt">geschaffen</em>) die
-wirklich schöpferische Tätigkeit, das Hervorbringen: der Dichter hat
-ein neues Werk <em class="gesperrt">geschaffen</em>. Ist aber nur arbeiten, hantieren,
-ausrichten, bewirken, bringen (z.&#160;B. Waren auf den Markt schaffen)
-gemeint, so muß es schwach flektiert werden (<em class="gesperrt">schaffte</em>,
-<em class="gesperrt">geschafft</em>). Von <em class="gesperrt">Rat schaffen</em> also, <em class="gesperrt">Nutzen
-schaffen</em>, <em class="gesperrt">Abhilfe schaffen</em>, <em class="gesperrt">Ersatz schaffen</em>, <em class="gesperrt">Raum
-schaffen</em>, <em class="gesperrt">Luft schaffen</em> und dem jetzt in der Zeitungssprache
-so beliebten <em class="gesperrt">Wandel schaffen</em> dürfen durchaus nur die schwachen
-Formen gebildet werden; es ist falsch, zu sagen: hier muß <em class="gesperrt">Wandel
-geschaffen</em> werden. Ein <em class="gesperrt">neuer Raum</em> (ein Zimmer, ein Saal)
-kann <em class="gesperrt">geschaffen</em> werden, aber <em class="gesperrt">Raum</em> (Freiheit der Bewegung)
-wird <em class="gesperrt">geschafft</em>.</p>
-
-<p>Auch das starke Zeitwort <em class="gesperrt">schleifen</em> (<em class="gesperrt">schliff</em>,
-<em class="gesperrt">geschliffen</em>) hat im Laufe der Zeit ein schwaches von sich
-abgespaltet (<em class="gesperrt">schleifte</em>, <em class="gesperrt">geschleift</em>), das andre Bedeutung
-hat. Das Messer wird <em class="gesperrt">geschliffen</em>, aber die Kleiderschleppe
-wird über den Boden <em class="gesperrt">geschleift</em>. Früher wurden auch Städte und
-Festungen <em class="gesperrt">geschleift</em>, auch Verbrecher auf einer Kuhhaut auf
-den Richtplatz <em class="gesperrt">geschleift</em>; jetzt wird nur noch ein Student
-vom andern in die Kneipe <em class="gesperrt">geschleift</em>, und dort wird dann
-<em class="gesperrt">gekneipt</em> (nicht <em class="gesperrt">geknippen</em>), denn <em class="gesperrt">kneipen</em> „in
-diesem Sinne“ ist nur eine Ableitung von <em class="gesperrt">Kneipe</em>.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_53">[S. 53]</span></p>
-
-<p>Zwei ganz verschiedne Verba, ein starkes und ein schwaches, begegnen
-einander in <em class="gesperrt">laden</em>. Zwar werden jetzt ebenso Gäste <em class="gesperrt">geladen</em>
-wie Kohlen und Gewehre, auch sagt man schon in beiden Fällen: ich
-<em class="gesperrt">lud</em>. Im Präsens wird aber doch noch bisweilen unterschieden
-zwischen: du <em class="gesperrt">ladest</em> oder er <em class="gesperrt">ladet</em> mich ein (Schiller:
-es lächelt der See, er <em class="gesperrt">ladet</em> zum Bade) und: er <em class="gesperrt">lädt</em> das
-Gewehr.</p>
-
-<p>Sehr unangenehm fällt die fortwährende Vermischung von <em class="gesperrt">dringen</em>
-und <em class="gesperrt">drängen</em> auf. <em class="gesperrt">Dringen</em> ist intransitiv und hat
-zu bilden: ich <em class="gesperrt">drang</em> vor, ich bin <em class="gesperrt">vorgedrungen</em>.
-<em class="gesperrt">Drängen</em> dagegen ist transitiv oder reflexiv und kann nur
-bilden: ich <em class="gesperrt">drängte</em>, ich habe <em class="gesperrt">gedrängt</em>; also auch: ich
-<em class="gesperrt">drängte mich</em> vor, ich habe <em class="gesperrt">mich vorgedrängt</em>, es wurde mir
-<em class="gesperrt">aufgedrängt</em>. Durchaus falsch ist: ich <em class="gesperrt">dringe mich</em> nicht
-auf, ich habe <em class="gesperrt">mich</em> nicht <em class="gesperrt">aufgedrungen</em>, diese Auffassung
-hat sich mir <em class="gesperrt">aufgedrungen</em>.</p>
-
-<p>Eine ärgerliche Verwirrung ist bei <em class="gesperrt">dünken</em> eingerissen. Man
-sollte dieses Wort, das ohnehin für unser heutiges Sprachgefühl etwas
-gesucht altertümelndes hat, doch lieber gar nicht mehr gebrauchen,
-wenn man es nicht mehr richtig flektieren kann! Das Imperfekt von
-<em class="gesperrt">dünken</em> heißt <em class="gesperrt">deuchte</em>; beide Formen verhalten sich
-zueinander ebenso wie <em class="gesperrt">denken</em> und <em class="gesperrt">dachte</em>, womit sie ja
-auch stammverwandt sind. Aus <em class="gesperrt">deuchte</em> hat man aber ein Präsens
-<em class="gesperrt">deucht</em> gemacht, noch dazu falsch mit dem Dativ verbunden: <em class="gesperrt">mir
-deucht</em> (!). Wer sich ganz besonders fein ausdrücken will, sagt
-immer: <em class="gesperrt">mir deucht</em> (statt <em class="gesperrt">mir scheint</em>) und macht dabei
-zwei Schnitzer in zwei Worten. Das richtige ist: <em class="gesperrt">mich dünkt</em> und
-<em class="gesperrt">mich deuchte</em>.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Willfahren</em> und <em class="gesperrt">radebrechen</em> (eine Sprache) sind nicht
-mit <em class="gesperrt">fahren</em> und <em class="gesperrt">brechen</em> zusammengesetzt, sondern
-von Hauptwörtern abgeleitet, von einem nicht mehr vorhandnen
-<span class="antiqua">willevar</span> und von der <em class="gesperrt">Radebreche</em>, einer abschüssigen,
-für die Wagen gefährlichen Straßenstelle.<a id="FNAnker_34" href="#Fussnote_34" class="fnanchor">[34]</a> Beide werden also
-richtig schwach flektiert: er <em class="gesperrt">willfahrt</em>,<span class="pagenum" id="Seite_54">[S. 54]</span> <em class="gesperrt">willfahrte</em>,
-hat <em class="gesperrt">gewillfahrt</em>, er <em class="gesperrt">radebrecht</em>, <em class="gesperrt">radebrechte</em>, hat
-<em class="gesperrt">geradebrecht</em>.</p>
-
-<p>Von manchen schwachen Verben ist vereinzelt ein starkes Partizip
-gebräuchlich mit einer besonders gefärbten Bedeutung, z.&#160;B.
-<em class="gesperrt">verschroben</em> (von <em class="gesperrt">schrauben</em>), <em class="gesperrt">verwunschen</em> (der
-<em class="gesperrt">verwunschne</em> Prinz, von <em class="gesperrt">verwünschen</em>), <em class="gesperrt">unverhohlen</em>
-(ich habe ihm <em class="gesperrt">unverhohlen</em> meine Meinung gesagt, von
-<em class="gesperrt">verhehlen</em>).</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Fraegt_und_frug">Frägt und frug</h3>
-
-</div>
-
-<p>Eine Schande ist es – nicht für die Sprache, die ja nichts dafür kann,
-wohl aber für die Schule, die das recht gut hätte verhüten können und
-doch nicht verhütet hat –, mit welcher Schnelligkeit in ganz kurzer
-Zeit die falschen Formen <em class="gesperrt">frägt</em> und <em class="gesperrt">frug</em> um sich gegriffen
-haben, auch in Kreisen, die für gebildet gelten wollen und den Anspruch
-erheben, ein anständiges Deutsch zu sprechen. Der Fehler wird deshalb
-so ganz besonders widerwärtig, weil sichs dabei um ein Zeitwort
-handelt, das hundertmal des Tags gebraucht wird. Das immer falsch hören
-und – lesen zu müssen, ist doch gar zu greulich.</p>
-
-<p>Die Zeitwörter mit <em class="gesperrt">ag</em> im Stamme teilen sich in zwei Gruppen;
-die eine Gruppe gehört dem starken Verbum, die andre dem schwachen
-an. Die erste Gruppe bilden die beiden Verba: ich <em class="gesperrt">trage</em>, du
-<em class="gesperrt">trägst</em> – ich <em class="gesperrt">trug</em> – ich habe <em class="gesperrt">getragen</em>, ich
-<em class="gesperrt">schlage</em>, du <em class="gesperrt">schlägst</em> – ich <em class="gesperrt">schlug</em> – ich habe
-<em class="gesperrt">geschlagen</em>; sie haben dieselbe Ablautsreihe wie <em class="gesperrt">fahre</em>,
-<em class="gesperrt">fuhr</em>, <em class="gesperrt">gefahren</em> – <em class="gesperrt">grabe</em>, <em class="gesperrt">grub</em>,
-<em class="gesperrt">gegraben</em> – <em class="gesperrt">wachse</em>, <em class="gesperrt">wuchs</em>, <em class="gesperrt">gewachsen</em>
-u.&#160;a. Zur zweiten Gruppe gehören: ich <em class="gesperrt">sage</em>, du <em class="gesperrt">sagst</em>
-– ich <em class="gesperrt">sagte</em> – ich habe <em class="gesperrt">gesagt</em>, ich <em class="gesperrt">jage</em>, du
-<em class="gesperrt">jagst</em> – ich <em class="gesperrt">jagte</em> – ich habe <em class="gesperrt">gejagt</em>; ebenso
-<em class="gesperrt">klagen</em>, <em class="gesperrt">nagen</em>, <em class="gesperrt">plagen</em>, <em class="gesperrt">ragen</em>, <em class="gesperrt">wagen</em>,
-<em class="gesperrt">zagen</em>. <em class="gesperrt">Fragen</em> hat nun seit Jahrhunderten unbezweifelt
-zur zweiten Gruppe gehört: ich <em class="gesperrt">frage</em>, du <em class="gesperrt">fragst</em> – ich
-<em class="gesperrt">fragte</em> – ich habe <em class="gesperrt">gefragt</em>. Unsre Klassiker kennen
-keine andre Form. Zwei der besten deutschen Prosaiker, Gellert und
-Lessing, wissen von <em class="gesperrt">frägt</em> und <em class="gesperrt">frug</em> gar nichts. Nur ganz
-vereinzelt findet sich in Versen, also unter dem beengenden Einflusse
-des Rhythmus, <em class="gesperrt">frug</em>; so bei Goethe in den<span class="pagenum" id="Seite_55">[S. 55]</span> Venezianischen
-Epigrammen: niemals <em class="gesperrt">frug</em> ein Kaiser nach mir, es hat sich
-kein König um mich bekümmert – bei Schiller im Wallenstein: jawohl,
-der Schwed <em class="gesperrt">frug</em> nach der Jahrszeit nichts. Auch Bürger hat es
-(Lenore: sie <em class="gesperrt">frug</em> den Zug wohl auf und ab, und <em class="gesperrt">frug</em> nach
-allen Namen), und da haben wir denn auch die Quelle: es stammt aus
-dem Niederdeutschen. Bürger war 1747 in Molmerswende bei Halberstadt
-geboren; wahrscheinlich sagte man dort schon zu seiner Zeit allgemein
-frug.<a id="FNAnker_35" href="#Fussnote_35" class="fnanchor">[35]</a> Aber noch in den fünfziger und sechziger Jahren des
-neunzehnten Jahrhunderts hörte man die Dialektform in der gebildeten
-Umgangssprache so gut wie gar nicht. Auf einmal tauchte sie auf. Und
-nun ging es ganz wie mit einer neuen Kleidermode, sie verbreitete
-sich anfangs langsam, dann schneller und immer schneller,<a id="FNAnker_36" href="#Fussnote_36" class="fnanchor">[36]</a> und
-heute schwatzen nicht bloß die Ladendiener und die Ladenmädchen in der
-Unterhaltung unaufhörlich: ich <em class="gesperrt">frug</em> ihn, er <em class="gesperrt">frug</em> mich,
-wir <em class="gesperrt">frugen</em> sie, sondern auch der Student, der Gymnasiallehrer,
-der Professor, alle schwatzens mit, alle Zeitungen, alle Novellen und
-Romane schreibens, das richtige bekommt man kaum noch zu hören oder
-zu lesen. Es fehlte nur, daß auch noch gesagt und geschrieben würde:
-ich habe <em class="gesperrt">gefragen</em>, er hat mich <em class="gesperrt">gefragen</em> usw.<a id="FNAnker_37" href="#Fussnote_37" class="fnanchor">[37]</a> Wie
-lange wird die alberne Mode<span class="pagenum" id="Seite_56">[S. 56]</span> dauern? wird sie nicht endlich dem Fluche
-der Lächerlichkeit verfallen? Alle guten Schriftsteller und alle
-anständigen Zeitschriften und Zeitungen brauchten nur die falschen
-Formen beharrlich zu meiden, so würden wir sie bald ebenso schnell
-wieder lossein, wie sie sich eingedrängt haben.<a id="FNAnker_38" href="#Fussnote_38" class="fnanchor">[38]</a></p>
-
-<p>Merkwürdig ist es, daß in diesem Falle die Sprache einmal aus
-der schwachen in die starke Konjugation abgeirrt ist. Gewöhnlich
-verläuft sie sich in umgekehrter Richtung. Wie kleine Kinder, die
-erst reden lernen, anfangs starke Verba gern nach der schwachen
-Konjugation bilden: ich <em class="gesperrt">schreibte</em>, der Käfer <em class="gesperrt">fliegte</em>,
-der Mann, der da <em class="gesperrt">reinkamte</em>, so haben es auch immer die großen
-Kinder gemacht, die nicht ordentlich hatten reden lernen. So werden
-<em class="gesperrt">falten</em> und <em class="gesperrt">spalten</em>, die ursprünglich stark flektiert
-wurden (<em class="gesperrt">falte</em>, <em class="gesperrt">fielt</em>, <em class="gesperrt">gefalten</em>), jetzt schwach
-flektiert: mit <em class="gesperrt">gefalteten</em> Händen; von <em class="gesperrt">spalten</em> hat sich
-nur das starke Partizip erhalten: <em class="gesperrt">gespaltnes</em> Holz. Aber einzelne
-Zeitwörter sind schon in alter Zeit auch den umgekehrten Weg gegangen;
-so ist das ursprüngliche <em class="gesperrt">geweist</em> und <em class="gesperrt">gepreist</em> schon
-längst durch <em class="gesperrt">gewiesen</em> und <em class="gesperrt">gepriesen</em> verdrängt worden,
-und in Mitteldeutschland kann man im Volksmunde hören: es wurde mit
-der großen Glocke <em class="gesperrt">gelauten</em>, ich habe den ganzen Winter kalt
-<em class="gesperrt">gebaden</em>.<a id="FNAnker_39" href="#Fussnote_39" class="fnanchor">[39]</a></p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Uebergefuehrt_und_ueberfuehrt">Übergeführt und überführt</h3>
-
-</div>
-
-<p>Auch das transitive <em class="gesperrt">führen</em> (d.&#160;h. bringen) und das intransitive
-<em class="gesperrt">fahren</em> (d.&#160;h. sich bewegen) noch auseinanderhalten zu wollen,
-wäre vergebliches Bemühen. In beiden Bedeutungen wird schon längst
-bloß noch <em class="gesperrt">fahren</em> gebraucht: ich <em class="gesperrt">fahre</em> im Wagen, und
-der Kutscher <em class="gesperrt">fährt</em> mich. Es kann aber gar nichts schaden,
-wenn man sich an <em class="gesperrt">Fuhre</em>, <em class="gesperrt">Fuhrmann</em>, <em class="gesperrt">Bierführer</em>,
-dem ältern<span class="pagenum" id="Seite_57">[S. 57]</span> <em class="gesperrt">Buchführer</em> (statt Buchhändler) u.&#160;a. den
-ursprünglichen Unterschied gegenwärtig hält. Und dazu könnte auch
-<em class="gesperrt">überführen</em> dienen, das jetzt in der Zeitungsprache (als
-Ersatz für <em class="gesperrt">transportieren</em>) beliebt geworden ist, wenn man es
-nur nicht fortwährend falsch flektiert lesen müßte! Täglich muß man
-in Zeitungen von <em class="gesperrt">überführten</em> Kranken und <em class="gesperrt">überführten</em>
-Leichen lesen, das soll heißen: von Personen, die in das oder
-jenes Krankenhaus oder nach ihrem Tode in die Heimat zum Begräbnis
-gebracht worden sind. Wie kann sich das Sprachgefühl so verirren!
-Verbrecher werden <em class="gesperrt">überführt</em>, wenn ihnen trotz ihres Leugnens
-ihr Verbrechen nachgewiesen wird: dann aber werden sie ins Zuchthaus
-<em class="gesperrt">übergeführt</em>, wenn denn durchaus „geführt“ werden muß.</p>
-
-<p>Es gibt eine große Anzahl zusammengesetzter Zeitwörter, bei denen,
-je nach der Bedeutung, die sie haben, bald die Präposition, bald das
-Zeitwort betont wird, z.&#160;B. <em class="gesperrt">über</em>setzen (den Wandrer über den
-Fluß) und über<em class="gesperrt">setzen</em>, <em class="gesperrt">über</em>fahren (über den Fluß) und
-über<em class="gesperrt">fahren</em> (ein Kind auf der Straße), <em class="gesperrt">über</em>laufen (vom
-Krug oder Eimer gesagt) und über<em class="gesperrt">laufen</em> (es über<em class="gesperrt">läuft</em> mich
-kalt, er über<em class="gesperrt">läuft</em> mich mit seinen Besuchen), <em class="gesperrt">über</em>legen
-(über die Bank) und über<em class="gesperrt">legen</em>, <em class="gesperrt">über</em>gehen (zum Feinde) und
-über<em class="gesperrt">gehen</em> (den nächsten Abschnitt), <em class="gesperrt">unter</em>halten (den Krug
-am Brunnen) und unter<em class="gesperrt">halten</em>, <em class="gesperrt">unter</em>schlagen (die Beine)
-und unter<em class="gesperrt">schlagen</em> (eine Geldsumme), <em class="gesperrt">unter</em>breiten (einen
-Teppich) und unter<em class="gesperrt">breiten</em> (ein Bittgesuch), <em class="gesperrt">hinter</em>ziehen
-(ein Seil) und hinter<em class="gesperrt">ziehen</em> (die Steuern), <em class="gesperrt">um</em>schreiben
-(noch einmal oder ins Reine schreiben) und um<em class="gesperrt">schreiben</em> (einen
-Ausdruck durch einen andern), <em class="gesperrt">durch</em>streichen (eine Zeile)
-und durch<em class="gesperrt">streichen</em> (eine Gegend), <em class="gesperrt">durch</em>sehen (eine
-Rechnung) und durch<em class="gesperrt">schauen</em> (einen Betrug), <em class="gesperrt">um</em>gehen
-und um<em class="gesperrt">gehen</em>, <em class="gesperrt">hinter</em>gehen und hinter<em class="gesperrt">gehen</em>,
-<em class="gesperrt">wieder</em>holen und wieder<em class="gesperrt">holen</em> usw. Gewöhnlich haben die
-Bildungen mit betonter Präposition die eigentliche, sinnliche, die
-mit betontem Verbum eine übertragne, bisweilen auch die einen eine
-transitive, die andern eine intransitive Bedeutung. Die Bildungen
-nun, die die Präposition betonen, trennen bei der Flexion die
-Präposition ab,<span class="pagenum" id="Seite_58">[S. 58]</span> oder richtiger: sie verbinden sie nicht mit dem Verbum
-(ich <em class="gesperrt">breite unter</em>, ich <em class="gesperrt">streiche durch</em>, ich <em class="gesperrt">gehe
-hinter</em>, daher auch <em class="gesperrt">hinterzugehen</em>) und bilden das Partizip
-der Vergangenheit mit der Vorsilbe <em class="gesperrt">ge</em> (<em class="gesperrt">untergebreitet</em>,
-<em class="gesperrt">durchgestrichen</em>, <em class="gesperrt">hintergegangen</em>); die dagegen, die
-das Verbum betonen, lassen bei der Flexion Verbum und Präposition
-verbunden (ich <em class="gesperrt">unterbreite</em>, ich <em class="gesperrt">durchstreiche</em>, ich
-<em class="gesperrt">hintergehe</em>, daher auch <em class="gesperrt">zu hintergehen</em>) und bilden
-das Partizip ohne die Vorsilbe <em class="gesperrt">ge</em> (<em class="gesperrt">unterbreitet</em>,
-<em class="gesperrt">durchstrichen</em>, <em class="gesperrt">hintergangen</em>). Darnach ist es klar,
-daß von einem Orte zum andern etwas nur <em class="gesperrt">übergeführt</em>, aber
-nicht <em class="gesperrt">überführt</em> werden kann. Ebenso verhält sichs mit
-<em class="gesperrt">übersiedeln</em>, wo das Sprachgefühl neuerdings auch ins Schwanken
-gekommen ist. Richtig ist nur, wann siedelst du <em class="gesperrt">über</em>? ich bin
-schon <em class="gesperrt">übergesiedelt</em>, aber nicht: wann <em class="gesperrt">übersiedelst</em> du?
-ich bin schon <em class="gesperrt">übersiedelt</em>, die Familie <em class="gesperrt">übersiedelte</em> nach
-Berlin.</p>
-
-<p>Die Verwirrung stammt aus Süddeutschland und namentlich aus Österreich,
-wo nicht nur der angegebne Unterschied vielfach verwischt wird,
-sondern überhaupt die Neigung besteht, das Gebiet der trennbaren
-Zusammensetzung immer mehr einzuschränken. Der Österreicher sagt stets:
-über<em class="gesperrt">führt</em>, über<em class="gesperrt">siedelt</em>; er an<em class="gesperrt">erkennt</em> etwas, er
-unter<em class="gesperrt">ordnet</em> sich, eine Aufgabe ob<em class="gesperrt">liegt</em> ihm, er redet
-von einem unter<em class="gesperrt">schobnen</em> Kinde, von dem Text, der einem Liede
-unter<em class="gesperrt">legt</em> ist, er unter<em class="gesperrt">bringt</em> einen jungen Mann in einem
-Geschäft, er über<em class="gesperrt">schäumt</em> vor Entrüstung, er hat die verschiednen
-Weine des Landes durch<em class="gesperrt">kostet</em> usw. Wir sollen uns mit allen
-Kräften gegen diese Verwirrung wehren, da sie ein Zeichen trauriger
-Verlotterung des Sprachgefühls ist.</p>
-
-<p>Von den mit <em class="gesperrt">miß</em> zusammengesetzten Zeitwörtern sind Partizipia
-mit oder ohne <em class="gesperrt">ge</em>- gebräuchlich, je nachdem man sich lieber
-<em class="gesperrt">miß</em> oder das Verbum betont denkt, also miß<em class="gesperrt">lungen</em>,
-miß<em class="gesperrt">raten</em>, miß<em class="gesperrt">fallen</em>, miß<em class="gesperrt">billigt</em>, miß<em class="gesperrt">deutet</em>,
-miß<em class="gesperrt">gönnt</em>, miß<em class="gesperrt">braucht</em>, miß<em class="gesperrt">handelt</em>, neben
-<em class="gesperrt">gemiß</em>braucht, <em class="gesperrt">gemiß</em>billigt, <em class="gesperrt">gemiß</em>handelt. Die
-Vorsilbe <em class="gesperrt">ge</em>- kann aber niemals zwischen <em class="gesperrt">miß</em> und das
-Zeitwort treten, <em class="gesperrt">miß</em> bleibt in der Flexion überall<span class="pagenum" id="Seite_59">[S. 59]</span> mit dem
-Zeitwort verwachsen. Daher ist es auch falsch, Infinitive zu bilden wie
-<em class="gesperrt">mißzuhandeln</em>, es muß unbedingt heißen: <em class="gesperrt">zu mißhandeln</em>,
-<em class="gesperrt">zu mißbrauchen</em>.</p>
-
-<p>Für <em class="gesperrt">neubacken</em> wird jetzt öfter <em class="gesperrt">neugebacken</em> geschrieben:
-ein neu<em class="gesperrt">gebackner</em> Doktor, ein neu<em class="gesperrt">gebackner</em> Ehemann
-usw., aber doch immer nur von solchen, die sich die gute alte Form
-nicht zu schreiben getrauen. Und doch fürchten sie sich weder vor
-<em class="gesperrt">neuwaschen</em> noch vor <em class="gesperrt">altbacken</em> noch vor <em class="gesperrt">hausbacken</em>.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Ich_bin_gestanden">Ich bin gestanden oder ich habe gestanden?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Ufm Bergli <em class="gesperrt">bin i gsässe</em>, ha de Vögle zugeschaut; hänt
-gesunge, <em class="gesperrt">hänt gesprunge</em>, hänt’s Nestli gebaut – heißt es in
-Goethes Schweizerlied. <em class="gesperrt">Ich bin gesessen</em>, <em class="gesperrt">gestanden</em>,
-<em class="gesperrt">gelegen</em> ist das Ursprüngliche, das aber in der Schriftsprache
-längst durch <em class="gesperrt">habe gesessen</em>, <em class="gesperrt">gestanden</em>, <em class="gesperrt">gelegen</em>
-verdrängt ist. Nur mundartlich lebt es noch fort, und in einer
-bayrischen oder österreichischen Erzählung aus dem Volksleben läßt
-man sichs auch gern gefallen, auch in der Dichtersprache (Rückert:
-es <em class="gesperrt">ist</em> ein Bäumlein <em class="gesperrt">gestanden</em> im Wald); in einem
-wissenschaftlichen Aufsatz ist es unerträglich. Wie köstlich aber
-ist das <em class="gesperrt">hänt gesprunge</em>! Die Verba der Bewegung bilden ja das
-Perfektum alle mit <em class="gesperrt">sein</em>; manche können aber daneben auch ein
-Perfektum mit <em class="gesperrt">haben</em> bilden, nämlich dann, wenn das Verbum
-der Bewegung eine Beschäftigung bezeichnet. Schon im fünfzehnten
-Jahrhundert heißt es in Leipzig: Der Custos zu S. Niclas <em class="gesperrt">hat</em>
-mit dem Frohnen nach Erbgeld <em class="gesperrt">gangen</em>, d.&#160;h. er hat den Auftrag
-ausgeführt, das Geld einzusammeln. Und heute heißt es allgemein:
-vorige Woche <em class="gesperrt">haben</em> wir <em class="gesperrt">gejagt</em>, aber: ich <em class="gesperrt">bin</em>
-in der ganzen Stadt <em class="gesperrt">herumgejagt</em>, eine Zeit lang <em class="gesperrt">bin</em>
-ich diesem Trugbilde <em class="gesperrt">nachgejagt</em>, wir <em class="gesperrt">haben</em> die halbe
-Nacht <em class="gesperrt">getanzt</em>, aber: das Pärchen <em class="gesperrt">war</em> ins Nebenzimmer
-<em class="gesperrt">getanzt</em>. Jedermann sagt: <em class="gesperrt">ich bin gereist</em>, nur der
-Handlungsreisende nicht, der sagt: ich <em class="gesperrt">habe</em> nun schon zehn
-Jahre <em class="gesperrt">gereist</em>, denn das Reisen ist seine<span class="pagenum" id="Seite_60">[S. 60]</span> Beschäftigung!<a id="FNAnker_40" href="#Fussnote_40" class="fnanchor">[40]</a>
-Wenn er aber sagt: Ich <em class="gesperrt">bin</em> mit Müller und Kompagnie zehn Jahre
-lang <em class="gesperrt">verkehrt</em>, so ist das falsch: auch <em class="gesperrt">verkehren</em> bildet
-sein Perfektum mit <em class="gesperrt">haben</em>. Und geradezu entsetzlich ist es, wenn
-er seine junge Frau in der Stadt herumführt und ihr ein Haus zeigt
-mit den Worten: Hier <em class="gesperrt">bin</em> ich ein Jahr lang <em class="gesperrt">jewohnt</em>!
-Richtig unterschieden wird wohl allgemein zwischen: er <em class="gesperrt">ist</em> mir
-<em class="gesperrt">gefolgt</em> (nachgegangen) und er <em class="gesperrt">hat</em> mir <em class="gesperrt">gefolgt</em>
-(gehorcht), er <em class="gesperrt">ist fortgefahren</em> (im Wagen) und er <em class="gesperrt">hat
-fortgefahren</em> (zu lügen).</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Singen_gehoert_oder_singen_hoeren">Singen gehört oder singen hören?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Eine der eigentümlichsten Erscheinungen unsrer Sprache, die dem
-Ausländer, der Deutsch lernen will, viel Kopfzerbrechen macht, wird mit
-der Frage berührt, ob es heiße: ich habe dich <em class="gesperrt">singen gehört</em> oder
-<em class="gesperrt">singen hören</em>.</p>
-
-<p>Bei den Hilfszeitwörtern <em class="gesperrt">können</em>, <em class="gesperrt">mögen</em>, <em class="gesperrt">dürfen</em>,
-<em class="gesperrt">wollen</em>, <em class="gesperrt">sollen</em> und <em class="gesperrt">müssen</em> und bei einer Reihe
-andrer Zeitwörter, die ebenfalls mit dem Infinitiv verbunden werden,
-wie <em class="gesperrt">heißen</em>, <em class="gesperrt">lehren</em>, <em class="gesperrt">lernen</em>, <em class="gesperrt">helfen</em>,
-<em class="gesperrt">lassen</em> (<em class="gesperrt">lassen</em> in allen seinen Bedeutungen: befehlen,
-erlauben und zurücklassen), <em class="gesperrt">machen</em>, <em class="gesperrt">sehen</em>, <em class="gesperrt">hören</em>
-und <em class="gesperrt">brauchen</em> (<em class="gesperrt">brauchen</em> im Sinne von <em class="gesperrt">müssen</em>
-und <em class="gesperrt">dürfen</em>) ist schon in früher Zeit das Partizipium der
-Vergangenheit, namentlich wenn es unmittelbar vor dem abhängigen
-Infinitiv stand (der <em class="gesperrt">Rat</em> hat ihn <em class="gesperrt">geheißen gehen</em>), durch
-eine Art von Versprechen mit diesem Infinitiv verwechselt und vermengt
-worden. In der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts heißt es
-bunt durcheinander: man hat ihn <em class="gesperrt">geheißen gehen</em> und <em class="gesperrt">heißen
-gehen</em>, und passiv: er ist <em class="gesperrt">geheißen gehen</em>, er ist <em class="gesperrt">heißen
-gehen</em>, er ist <em class="gesperrt">geheißen zu gehen</em>, ja sogar er ist <em class="gesperrt">gegangen
-heißen</em>. Schließlich drang an der Stelle des Partizips der Infinitiv
-vollständig durch,<span class="pagenum" id="Seite_61">[S. 61]</span> namentlich dann, wenn der abhängige Infinitiv
-unmittelbar davorstand, und so sagte man nun allgemein: ich habe ihn
-<em class="gesperrt">gehen heißen</em>, ich habe ihn <em class="gesperrt">tragen müssen</em>, ich habe ihn
-<em class="gesperrt">kommen lassen</em>, ich habe ihn <em class="gesperrt">kennen lernen</em>, ich habe ihn
-<em class="gesperrt">laufen sehen</em>, ich habe ihn <em class="gesperrt">rufen hören</em>, er hat viel von
-sich <em class="gesperrt">reden machen</em> (Goethe im Faust: ihr habt mich weidlich
-<em class="gesperrt">schwitzen</em> machen, der Kasus <em class="gesperrt">macht</em> mich <em class="gesperrt">lachen</em>),
-du hättest nicht zu <em class="gesperrt">warten brauchen</em>.<a id="FNAnker_41" href="#Fussnote_41" class="fnanchor">[41]</a> Das merkwürdigste ist,
-daß bei vieren von diesen Zeitwörtern der abhängige Infinitiv ebenfalls
-erst durch ein Mißverständnis aus dem Partizip entstanden ist, nämlich
-bei <em class="gesperrt">hören</em>, <em class="gesperrt">sehen</em>, <em class="gesperrt">machen</em> und <em class="gesperrt">lassen</em>: ich
-höre ihn <em class="gesperrt">singen</em>, ich mache ihn <em class="gesperrt">schwitzen</em>, ich lasse ihn
-<em class="gesperrt">liegen</em> ist ja entstanden aus: ich höre ihn <em class="gesperrt">singend</em>,
-ich mache ihn <em class="gesperrt">schwitzend</em>, ich lasse ihn <em class="gesperrt">liegend</em>.<a id="FNAnker_42" href="#Fussnote_42" class="fnanchor">[42]</a>
-In der Verbindung also: ich habe ihn <em class="gesperrt">singen hören</em> sind, so
-wunderbar das klingt, zwei Partizipia, eins der Gegenwart und eins der
-Vergangenheit, durch bloßes Mißverständnis zu Infinitiven geworden!
-Diese merkwürdige Erscheinung ist aber nun durch jahrhundertelangen
-Gebrauch in unsrer Sprache so eingebürgert, und sie ist uns so vertraut
-und geläufig geworden, daß es gesucht, ungeschickt, ja geradezu
-fehlerhaft erscheint, wenn jemand schreibt: ich habe sie auf dem Ball
-<em class="gesperrt">kennen gelernt</em> – Dozent auf der Hochschule hatte ich <em class="gesperrt">werden
-gewollt</em> (behüt dich Gott! es hat nicht <em class="gesperrt">sein gesollt</em>!) – er
-hatte ein Mädchen mit einem Kinde gewissenlos <em class="gesperrt">sitzen gelassen</em>
-– wir haben die Situation <em class="gesperrt">kommen gesehen</em> – über diesen
-Versuch hat er nie Reue zu <em class="gesperrt">empfinden gebraucht</em> – du hast mir
-das Verständnis <em class="gesperrt">erschließen geholfen</em> usw. Wer sich ungesucht
-ausdrücken<span class="pagenum" id="Seite_62">[S. 62]</span> will, bleibt beim Infinitiv, ja er dehnt ihn unwillkürlich
-gelegentlich noch auf sinnverwandte Zeitwörter aus und schreibt: wir
-hätten diese Schuld auch dann noch auf uns <em class="gesperrt">lasten fühlen</em> (statt:
-<em class="gesperrt">lasten gefühlt</em>). (Lenau: Drei Zigeuner <em class="gesperrt">fand</em> ich einmal
-<em class="gesperrt">liegen</em> an einer Weide.)</p>
-
-<p>Kommen zwei solche Hilfszeitwörter zusammen, so hilft es nichts, und
-wenn sich der Papiermensch noch so sehr darüber entsetzt: es stehn dann
-drei Infinitive nebeneinander: wir hätten den Kerl <em class="gesperrt">laufen lassen
-sollen</em>, <em class="gesperrt">laufen lassen müssen</em>, <em class="gesperrt">laufen lassen können</em>.
-Klingt wundervoll und ist – ganz richtig.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Du_issest_oder_du_isst">Du issest oder du ißt?</h3>
-
-</div>
-
-<p>In der Flexion innerhalb der einzelnen Tempora können keine Fehler
-gemacht werden und werden auch keine gemacht. Bei Verbalstämmen, die
-auf s, ß oder z ausgehen, empfiehlt sichs, im Präsens in der zweiten
-Person des Singular das e zu bewahren, das sonst jetzt ausgeworfen
-wird: du <em class="gesperrt">reisest</em>, du <em class="gesperrt">liesest</em>, du <em class="gesperrt">hassest</em>, du
-<em class="gesperrt">beißest</em>, du <em class="gesperrt">tanzest</em>, du <em class="gesperrt">seufzest</em>. Allgemein üblich
-ist freilich: du <em class="gesperrt">mußt</em>, du <em class="gesperrt">läßt</em>, fast allgemein auch: du
-<em class="gesperrt">ißt</em>. Aber zu fragen: du <em class="gesperrt">speist</em> doch heute bei mir? wäre
-nicht fein; zwischen <em class="gesperrt">speisen</em> und <em class="gesperrt">speien</em> muß man hübsch
-unterscheiden. (Vgl. auch <em class="gesperrt">du haust</em> und <em class="gesperrt">du hausest</em>.)
-Bei Verbalstämmen dagegen, die auf sch endigen, kann man getrost
-sagen: du <em class="gesperrt">naschst</em>, du <em class="gesperrt">wäschst</em>, du <em class="gesperrt">drischst</em>, du
-<em class="gesperrt">wünschst</em>, sogar du <em class="gesperrt">rutschst</em>. Auch in der zweiten Person
-der Mehrzahl wird das e, wenigstens in Nord- und Mitteldeutschland,
-schon längst nicht mehr gesprochen; also hat es auch keinen Sinn, es
-zu schreiben. Über Maueranschläge, wie: <em class="gesperrt">Besuchet</em> Augsburg mit
-seinen Sehenswürdigkeiten, oder: <em class="gesperrt">Waschet</em> mit Seifenextrakt,
-lacht man in Leipzig schon wegen des altmodischen <em class="gesperrt">et</em>. Nur bei
-der Abendmahlsfeier läßt man sich gern gefallen: <em class="gesperrt">Nehmet</em> hin und
-<em class="gesperrt">esset</em>.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Staende_oder_stuende">Stände oder stünde? Begänne oder begönne?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Immer größer wird die Unbeholfenheit, den Konjunktiv des Imperfekts
-richtig zu bilden. Viele getrauen<span class="pagenum" id="Seite_63">[S. 63]</span> sichs kaum noch, sie umschreiben
-ihn womöglich überall durch den sogenannten Konditional (<em class="gesperrt">würde</em>
-mit dem Infinitiv), auch da, wo das nach den Regeln der Satzlehre
-ganz unzulässig ist (vgl. <a href="#Seite_158">S. 158</a>). Besonders auffällig ist bei
-einer Reihe von Zeitwörtern die Unsicherheit über den Umlautsvokal:
-soll man ä oder ü gebrauchen? Das Schwanken ist dadurch entstanden,
-daß im Mittelhochdeutschen der Pluralvokal im Imperfektum vielfach
-anders lautete als der Singularvokal (<span class="antiqua">half</span>, <span class="antiqua">hulfen</span>;
-<span class="antiqua">wart</span>, <span class="antiqua">wurden</span>), dieser Unterschied sich aber später
-ausglich. Da nun der Konjunktiv immer mit dem Umlaut des Pluralvokals
-gebildet wurde, so entstand Streit zwischen ü und ä. Da aber die
-ursprünglichen Formen (<em class="gesperrt">hülfe</em>, <em class="gesperrt">stürbe</em>, <em class="gesperrt">verdürbe</em>,
-<em class="gesperrt">würbe</em>, <em class="gesperrt">würfe</em>) doch noch lebendig sind, so verdienen sie
-auch ohne Zweifel geschützt und den später eingedrungnen <em class="gesperrt">hälfe</em>,
-<em class="gesperrt">stärbe</em>, <em class="gesperrt">verdärbe</em>, <em class="gesperrt">wärbe</em>, <em class="gesperrt">wärfe</em> vorgezogen
-zu werden. Neben <em class="gesperrt">würde</em> ist die Form mit ä gar nicht aufgekommen.
-Von <em class="gesperrt">stehen</em> hieß das Imperfekt ursprünglich überhaupt nicht
-<em class="gesperrt">stand</em>, sondern <em class="gesperrt">stund</em>, wie es in Süddeutschland noch heute
-heißt; das u ging durch den Singular wie durch den Plural. Folglich
-ist auch hier <em class="gesperrt">stünde</em> älter und richtiger als <em class="gesperrt">stände</em>.
-Bei einigen Verben, wie bei <em class="gesperrt">beginnen</em>, hat der Streit zwischen
-ä und ü im Anschluß an das o des Partizips (<em class="gesperrt">begonnen</em>) im
-Konjunktiv des Imperfekts ö in Aufnahme gebracht. Auch diese Formen mit
-ö (<em class="gesperrt">beföhle</em>, <em class="gesperrt">begönne</em>, <em class="gesperrt">besönne</em>, <em class="gesperrt">empföhle</em>,
-<em class="gesperrt">gewönne</em>, <em class="gesperrt">gölte</em>, <em class="gesperrt">rönne</em>, <em class="gesperrt">schölte</em>,
-<em class="gesperrt">schwömme</em>, <em class="gesperrt">spönne</em>, <em class="gesperrt">stöhle</em>) verdienen, da sie den
-Formen mit umgewandeltem Pluralvokal entsprechen, den Vorzug vor denen
-mit ä.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Kaennte_oder_kennte">Kännte oder kennte?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Ein Irrtum ist es, wenn man glaubt, aus dem Indikativ <em class="gesperrt">kannte</em>
-einen Konjunktiv <em class="gesperrt">kännte</em> bilden zu dürfen. Die sechs
-schwachen Zeitwörter: <em class="gesperrt">brennen</em>, <em class="gesperrt">kennen</em>, <em class="gesperrt">nennen</em>,
-<em class="gesperrt">rennen</em>, <em class="gesperrt">senden</em> und <em class="gesperrt">wenden</em> haben eigentlich ein a
-im Stamm, sind also schon im Präsens umgelautet. Ihr Imperfekt bilden
-sie ebenso wie das Partizip der Vergangenheit (durch den sogenannten
-Rückumlaut) mit a: <em class="gesperrt">brannte</em>, <em class="gesperrt">gebrannt</em>, <em class="gesperrt">sandte</em>,
-<em class="gesperrt">gesandt</em>,<span class="pagenum" id="Seite_64">[S. 64]</span> und da der Konjunktiv bei schwachen Verben nicht
-umlautet, so sollte er eigentlich ebenfalls <em class="gesperrt">brannte</em>,
-<em class="gesperrt">sandte</em> heißen. Zur Unterscheidung hat man aber (und zwar
-ursprünglich nur im Mitteldeutschen) einen Konjunktiv <em class="gesperrt">brennete</em>,
-<em class="gesperrt">kennete</em>, <em class="gesperrt">nennete</em>, <em class="gesperrt">rennete</em>, <em class="gesperrt">sendete</em> und
-<em class="gesperrt">wendete</em> gebildet. Das e dieser Formen ist nicht etwa ein
-jüngerer Umlaut zu dem a des Indikativs, sondern es ist das alte
-Umlauts-e, das durch das Präsens dieser Zeitwörter geht. Wirft man
-nun, wie es jetzt geschieht, aus <em class="gesperrt">brennete</em>, <em class="gesperrt">kennete</em> das
-mittlere e aus, das in <em class="gesperrt">sendete</em> und <em class="gesperrt">wendete</em> beibehalten
-wird, so bleibt <em class="gesperrt">brennte</em>, <em class="gesperrt">kennte</em> übrig. In früherer Zeit
-gehörten noch andre Verba zu dieser Reihe, z.&#160;B. <em class="gesperrt">setzen</em> und
-<em class="gesperrt">stellen</em>; der Konjunktiv des Imperfekts heißt hier <em class="gesperrt">setzte</em>,
-<em class="gesperrt">stellte</em>, der Indikativ und das Partizipium aber hießen früher:
-<em class="gesperrt">sazte</em>, <em class="gesperrt">stalte</em>, <em class="gesperrt">gesazt</em>, <em class="gesperrt">gestalt</em> (das noch in
-<em class="gesperrt">wohlgestalt</em>, <em class="gesperrt">mißgestalt</em>, <em class="gesperrt">ungestalt</em> erhalten ist).</p>
-
-<figure class="figcenter illowe3" id="deko6">
- <img class="w100 padtop1" src="images/deko.png" alt="Deko">
-</figure>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_65">[S. 65]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Zur_Wortbildungslehre">Zur Wortbildungslehre</h2>
-
-</div>
-
-<figure class="figcenter illowe3" id="deko7">
- <img class="w100 padtop1" src="images/deko.png" alt="Deko">
-</figure>
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-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_67">[S. 67]</span></p>
-
-<figure class="figcenter illowe50" id="borduere1d">
- <img class="w100 mtop3" src="images/borduere1.png" alt="Zierband">
-</figure>
-
-<h3 id="Reformer_und_Protestler">Reformer und Protestler</h3>
-
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="drop">E</span>rstaunlich ist die Fülle und Mannigfaltigkeit in unsrer Wortbildung,
-noch erstaunlicher die Sicherheit des Sprachgefühls, mit der sie doch
-im allgemeinen gehandhabt und durch gute und richtige Neubildungen
-vermehrt wird. Doch fehlt es auch hier nicht an Mißhandlungen und
-Verirrungen.</p>
-
-<p>Im Volksmund ist es seit alter Zeit üblich, zur Bezeichnung von Männern
-dadurch Substantiva zu bilden, daß man an ein Substantiv, das eine
-Sache bezeichnet, oder an ein andres Nomen die Endung <em class="gesperrt">er</em> hängt.
-In Leipzig sprach man im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert nicht
-bloß von <em class="gesperrt">Barfüßern</em>, sondern nannte auch die Insassen der beiden
-andern Mönchsklöster kurzweg <em class="gesperrt">Pauler</em> und <em class="gesperrt">Thomasser</em>,
-und im siebzehnten Jahrhundert die kurfürstliche Besatzung der
-Stadt <em class="gesperrt">Defensioner</em>. Dazu kamen später die <em class="gesperrt">Korrektioner</em>
-(die Insassen des Arbeitshauses) und die <em class="gesperrt">Polizeier</em>, und in
-neuerer Zeit die <em class="gesperrt">Hundertsiebener</em>, die <em class="gesperrt">Urlauber</em>, die
-<em class="gesperrt">Sanitäter</em>, die <em class="gesperrt">Eisenbahner</em> und die <em class="gesperrt">Straßenbahner</em>.
-Im Buchhandel spricht man von <em class="gesperrt">Sortimentern</em>, in der gelehrten
-Welt von <em class="gesperrt">Naturwissenschaftern</em> und <em class="gesperrt">Sprachwissenschaftern</em>,
-in der Malerei von <em class="gesperrt">Landschaftern</em>, und in der Politik von
-<em class="gesperrt">Botschaftern</em>, <em class="gesperrt">Reformern</em> und – <em class="gesperrt">Attentätern</em>!<a id="FNAnker_43" href="#Fussnote_43" class="fnanchor">[43]</a>
-Da manche dieser Bildungen unleugbar einen etwas niedrigen
-Beigeschmack haben, der den von<span class="pagenum" id="Seite_68">[S. 68]</span> Verbalstämmen gebildeten Substantiven
-auf er (<em class="gesperrt">Herrscher</em>, <em class="gesperrt">Denker</em>, <em class="gesperrt">Kämpfer</em>) nicht
-anhaftet, so sollte man sich mit ihnen recht in acht nehmen. In
-<em class="gesperrt">Reformer</em>, das man dem Engländer nachplappert, liegt unleugbar
-etwas geringschätziges im Vergleich zu <em class="gesperrt">Reformator</em>; unter
-einem <em class="gesperrt">Reformer</em> denkt man sich einen Menschen, der wohl
-reformatorische Anwandlungen hat, es aber damit zu nichts bringt.
-Noch viel deutlicher liegt nun dieses geringschätzige in den
-Bildungen auf <em class="gesperrt">ler</em>, wie <em class="gesperrt">Geschmäckler</em>, <em class="gesperrt">Zünftler</em>,
-<em class="gesperrt">Tugendbündler</em>, <em class="gesperrt">Temperenzler</em>, <em class="gesperrt">Abstinenzler</em>,
-<em class="gesperrt">Protestler</em>, <em class="gesperrt">Radler</em>, <em class="gesperrt">Sommerfrischler</em>,
-<em class="gesperrt">Barfüßler</em>, <em class="gesperrt">Zuchthäusler</em>; deshalb ist es unbegreiflich,
-wie manche Leute so geschmacklos sein können, von <em class="gesperrt">Neusprachlern</em>
-und von <em class="gesperrt">Naturwissenschaftlern</em> zu reden. Eigentlich gehen
-ja die Bildungen auf <em class="gesperrt">ler</em> auf Zeitwörter zurück, die auf
-<em class="gesperrt">eln</em> endigen, wie <em class="gesperrt">bummeln</em>, <em class="gesperrt">betteln</em>, <em class="gesperrt">grübeln</em>,
-<em class="gesperrt">kritteln</em>, <em class="gesperrt">sticheln</em>, <em class="gesperrt">nörgeln</em>, <em class="gesperrt">kränkeln</em>,
-<em class="gesperrt">hüsteln</em>, <em class="gesperrt">frömmeln</em>, <em class="gesperrt">tänzeln</em>, <em class="gesperrt">radeln</em>,
-<em class="gesperrt">anbändeln</em>, sich <em class="gesperrt">herumwörteln</em>, <em class="gesperrt">näseln</em>,
-<em class="gesperrt">schwäbeln</em>, <em class="gesperrt">französeln</em>. So setzen <em class="gesperrt">Neusprachler</em> und
-<em class="gesperrt">Naturwissenschaftler</em> die Zeitwörter <em class="gesperrt">neuspracheln</em> und
-<em class="gesperrt">naturwissenschafteln</em> voraus; das wären aber doch Tätigkeiten,
-hinter denen kein rechter Ernst wäre, die nur als Spielerei betrieben
-würden. An <em class="gesperrt">Künstler</em> haben wir uns freilich ganz gewöhnt, obwohl
-<em class="gesperrt">künsteln</em> mit seiner geringschätzigen Bedeutung daneben steht,
-auch an <em class="gesperrt">Tischler</em> und <em class="gesperrt">Häusler</em>.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Aerztin_und_Patin">Ärztin und Patin</h3>
-
-</div>
-
-<p>Von Substantiven, die einen Mann bezeichnen, werden Feminina auf
-<em class="gesperrt">in</em> gebildet: <em class="gesperrt">König, Königin</em> – <em class="gesperrt">Wirt, Wirtin</em>
-– <em class="gesperrt">Koch, Köchin</em> – <em class="gesperrt">Berliner, Berlinerin</em> – sogar
-<em class="gesperrt">Landsmann, Landsmännin</em> (während sonst natürlich zu <em class="gesperrt">Mann</em>
-das Femininum <em class="gesperrt">Weib</em> oder <em class="gesperrt">Frau</em> ist: der <em class="gesperrt">Kehrmann</em>,
-das <em class="gesperrt">Waschweib</em>, der <em class="gesperrt">Botenmann</em>, die <em class="gesperrt">Botenfrau</em>).
-Von <em class="gesperrt">Arzt</em> hat man in letzter Zeit <em class="gesperrt">Ärztin</em> gebildet.
-Manche getrauten sich das anfangs nicht zu sagen und sprachen von
-<em class="gesperrt">weiblichen Ärzten</em>, es ist aber gar nichts dagegen einzuwenden,
-und es ist abgeschmackt, wenn unsre Zeitungen<span class="pagenum" id="Seite_69">[S. 69]</span> immer von männlichen und
-<em class="gesperrt">weiblichen Arbeitern</em>, männlichen und <em class="gesperrt">weiblichen Lehrern</em>
-reden statt von Arbeitern und <em class="gesperrt">Arbeiterinnen</em>, Lehrern und
-<em class="gesperrt">Lehrerinnen</em> (abgeschmackt auch, wenn es in Polizeiberichten
-heißt, daß ein neugebornes <em class="gesperrt">Kind</em> männlichen oder <em class="gesperrt">weiblichen
-Geschlechts</em> im Wasser gefunden worden sei, statt ein neugeborner
-Knabe oder ein neugebornes <em class="gesperrt">Mädchen</em>). Dagegen ist es nicht gut,
-ein Femininum auf <em class="gesperrt">in</em> zu bilden von <em class="gesperrt">Pate</em>, <em class="gesperrt">Kunde</em>
-(beim Kaufmann) und <em class="gesperrt">Gast</em>. In der ältern Sprache findet sich
-zwar zuweilen auch <em class="gesperrt">Gästin</em>, auf Theaterzetteln konnte man noch
-vor gar nicht langer Zeit lesen, daß eine auswärtige Schauspielerin
-als <em class="gesperrt">Gastin</em> auftrete, aber wer möchte noch heute eine Frau
-oder ein Mädchen seine <em class="gesperrt">Gästin</em> oder <em class="gesperrt">Gastin</em> nennen? Bei
-<em class="gesperrt">Pate</em> unterscheidet man <em class="gesperrt">den Paten</em> und <em class="gesperrt">die Pate</em>,
-je nachdem ein Knabe oder ein Mädchen gemeint ist, und der Kaufmann
-sagt: das ist <em class="gesperrt">ein guter Kunde</em> oder <em class="gesperrt">eine gute Kunde</em> von
-mir. Entsetzlich sind die in der Juristensprache üblichen Bildungen:
-die <em class="gesperrt">Beklagtin</em>, die <em class="gesperrt">Verwandtin</em> und – das neueste – die
-<em class="gesperrt">Beamtin</em>. Von Partizipialsubstantiven – und ein solches ist
-auch der <em class="gesperrt">Beamte</em>, d.&#160;h. der <em class="gesperrt">Beamtete</em>, der mit einem Amte
-versehene – können keine Feminina auf <em class="gesperrt">in</em> gebildet werden;
-niemand sagt: meine <em class="gesperrt">Bekanntin</em>, meine <em class="gesperrt">Geliebtin</em>, auch
-Juristen nicht.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Tintefass_oder_Tintenfass">Tintefaß oder Tintenfaß?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Zusammensetzungen aus zwei Substantiven wurden im Deutschen
-ursprünglich nur so gebildet, daß der Stamm des ersten Wortes,
-des Bestimmungswortes, an das zweite, das bestimmte Wort vorn
-angefügt wurde, z.&#160;B. <em class="gesperrt">Tage-lohn</em>; das e in Tagelohn ist der
-abgeschwächte Stammauslaut. Später sind zusammengesetzte Wörter auch
-dadurch entstanden, daß ein vorangehendes Substantiv im Genitiv
-mit einem folgenden durch einfaches Aneinanderrücken verschmolz,
-z.&#160;B. <em class="gesperrt">Gottesdienst</em>, <em class="gesperrt">Sonntagsfeier</em>, <em class="gesperrt">Tageslicht</em>,
-<em class="gesperrt">Heeressprache</em>, <em class="gesperrt">Handelskammer</em>. In manchen Fällen sind
-jetzt beide Arten der Zusammensetzungen nebeneinander gebräuchlich in
-verschiedner Bedeutung, z.&#160;B. <em class="gesperrt">Landmann</em> und<span class="pagenum" id="Seite_70">[S. 70]</span> <em class="gesperrt">Landsmann</em>,
-<em class="gesperrt">Wassernot</em> und <em class="gesperrt">Wassersnot</em>. Nun endet bei allen schwachen
-Femininen der Stamm ursprünglich ebenso wie der Genitiv, beide gehen
-eigentlich auf <em class="gesperrt">en</em> aus, und so haben diese schwachen Feminina
-eine sehr große Zahl von Zusammensetzungen mit <em class="gesperrt">en</em> gebildet,
-auch in das Gebiet der starken Feminina übergegriffen, sodaß <em class="gesperrt">en</em>
-zum Hauptbindemittel für Feminina überhaupt geworden ist. Man denke
-<em class="gesperrt">nur an Sonnenschein</em>, <em class="gesperrt">Frauenkirche</em> (d.&#160;i. die Kirche
-unsrer lieben <em class="gesperrt">Frauen</em>, der Jungfrau Maria), <em class="gesperrt">Erdenrund</em>,
-<em class="gesperrt">Lindenblatt</em>, <em class="gesperrt">Aschenbecher</em>, <em class="gesperrt">Taschentuch</em>,
-<em class="gesperrt">Seifensieder</em>, <em class="gesperrt">Gassenjunge</em>, <em class="gesperrt">Stubentür</em>,
-<em class="gesperrt">Laubendach</em>, <em class="gesperrt">Küchenschrank</em>, <em class="gesperrt">Schneckenberg</em>,
-<em class="gesperrt">Wochenamt</em>, <em class="gesperrt">Gallenstein</em>, <em class="gesperrt">Kohlenzeichnung</em>,
-<em class="gesperrt">Leichenpredigt</em>, <em class="gesperrt">Reihenfolge</em>, <em class="gesperrt">Wiegenlied</em>,
-<em class="gesperrt">Längenmaß</em>, <em class="gesperrt">Breitengrad</em>, <em class="gesperrt">Größenwahn</em>,
-<em class="gesperrt">Muldental</em>, <em class="gesperrt">Pleißenburg</em>, <em class="gesperrt">Parthendörfer</em>,
-<em class="gesperrt">Markthallenstraße</em> u.&#160;a. Sogar Lehn- und Fremdwörter haben sich
-dieser Zusammensetzung angeschlossen, wie in <em class="gesperrt">Straßenpflaster</em>,
-<em class="gesperrt">Tintenfaß</em>, <em class="gesperrt">Kirchendiener</em>, <em class="gesperrt">Lampenschirm</em>,
-<em class="gesperrt">Flötenspiel</em>, <em class="gesperrt">Kasernenhof</em>, <em class="gesperrt">Bastillenplatz</em>,
-<em class="gesperrt">Visitenkarte</em>, <em class="gesperrt">Toilettentisch</em>, <em class="gesperrt">Promenadenfächer</em>,
-<em class="gesperrt">Kolonnadenstraße</em>. Ein reizendes Bild in der Dresdner Galerie ist
-das <em class="gesperrt">Schokoladenmädchen</em>.</p>
-
-<p>Bei dem einfachen Zusammenrücken von Wörtern stellten sich nun
-aber Genitive im Plural als erster Teil der Zusammensetzung ein,
-und das hat neuerdings zu einer traurigen Verirrung geführt. Man
-bildet sich ein, das Binde-<em class="gesperrt">en</em> sei überhaupt nichts andres als
-das Plural-<em class="gesperrt">en</em>, man fühlt nicht mehr, daß dieses <em class="gesperrt">en</em>
-ebenso gut die Berechtigung hat, einen weiblichen Singular mit
-einem folgenden Substantiv zu verbinden, und so schreibt und druckt
-man jetzt wahrhaftig aus Angst vor eingebildeten widersinnigen
-Pluralen: <em class="gesperrt">Aschebecher</em>, <em class="gesperrt">Aschegrube</em>, <em class="gesperrt">Tintefaß</em>,
-<em class="gesperrt">Jauchefaß</em>, <em class="gesperrt">Sahnekäse</em>, <em class="gesperrt">Hefezelle</em>, <em class="gesperrt">Hefepilz</em>,
-<em class="gesperrt">Rassepferd</em> und <em class="gesperrt">Rassehund</em>, <em class="gesperrt">Stellegesuch</em>,
-<em class="gesperrt">Muldetal</em>, <em class="gesperrt">Pleißeufer</em>, <em class="gesperrt">Parthebrücke</em>,
-<em class="gesperrt">Gartenlaubekalender</em>, <em class="gesperrt">Gartenlaubebilderbuch</em>,
-<em class="gesperrt">Sparkassebuch</em>, <em class="gesperrt">Visitekarte</em>, <em class="gesperrt">Toiletteseife</em>,
-<em class="gesperrt">Serviettering</em>, <em class="gesperrt">Manschetteknopf</em>,<span class="pagenum" id="Seite_71">[S. 71]</span> <em class="gesperrt">Promenadeplatz</em>,
-<em class="gesperrt">Schokoladefabrik</em> usw. In allen Bauzeitungen muß man von
-<em class="gesperrt">Mansardedach</em> und von <em class="gesperrt">Lageplan</em> lesen (so haben die
-Architekten, die erfreulicherweise eifrige Sprachreiniger sind,
-<em class="gesperrt">Situationsplan</em> übersetzt), in allen Kunstzeitschriften von
-<em class="gesperrt">Kohlezeichnungen</em> und <em class="gesperrt">Kohledrucken</em>, offenbar damit ja
-niemand denke, die Zeichnungen oder Drucke wären mit einem Stück Stein-
-oder Braunkohle aus dem <em class="gesperrt">Kohlenkasten</em> gemacht – nicht wahr? Wer
-nicht fühlt, daß das alles das bare Gestammel ist, der ist aufrichtig
-zu bedauern. Es klingt genau, wie wenn kleine Kinder dahlten,
-die erst reden lernen und noch nicht alle Konsonanten bewältigen
-können. Man setze sich das nur im Geiste weiter fort – was wird die
-Folge sein? daß wir in Zukunft auch stammeln: <em class="gesperrt">Sonneschein</em>,
-<em class="gesperrt">Taschetuch</em>, <em class="gesperrt">Brilleglas</em>, <em class="gesperrt">Gosestube</em>,
-<em class="gesperrt">Zigarrespitze</em>, <em class="gesperrt">Straßepflaster</em>, <em class="gesperrt">Roseduft</em>,
-<em class="gesperrt">Seifeblase</em>, <em class="gesperrt">Hülsefrucht</em>, <em class="gesperrt">Laubedach</em>,
-<em class="gesperrt">Geigespiel</em>, <em class="gesperrt">Ehrerettung</em>, <em class="gesperrt">Wiegelied</em>,
-<em class="gesperrt">Aschebrödel</em> usw.<a id="FNAnker_44" href="#Fussnote_44" class="fnanchor">[44]</a> Sollten einzelne dieser Wörter vor der
-Barbarei bewahrt bleiben, so könnte es nur deshalb geschehen, weil man
-annähme, ihr Bestimmungswort stehe im Plural, und der sei richtig, also
-ein <em class="gesperrt">Taschentuch</em> sei nicht ein Tuch für die Tasche, sondern –
-für die Taschen!</p>
-
-<p>Wo das Binde-<em class="gesperrt">en</em> aus rhythmischen oder andern Gründen nicht
-gebraucht wird, bleibt für Feminina nur noch die eine Möglichkeit,
-den verkürzten Stamm zu benutzen, der wieder mit dem eigentlichen
-Stamm der alten starken Feminina zusammenfällt und dadurch
-überhaupt erst in der Zusammensetzung von Femininen aufgekommen
-ist. So findet sich in früherer Zeit <em class="gesperrt">Leichpredigt</em> neben
-<em class="gesperrt">Leichenpredigt</em>, und so haben wir längst <em class="gesperrt">Mühlgasse</em>
-neben <em class="gesperrt">Mühlenstraße</em>, <em class="gesperrt">Erdball</em> und <em class="gesperrt">Erdbeere</em>
-neben <em class="gesperrt">Erdenrund</em> und <em class="gesperrt">Erdenkloß</em>, <em class="gesperrt">Kirchspiel</em> und
-<em class="gesperrt">Kirchvater</em> neben <em class="gesperrt">Kirchenbuch</em> und <em class="gesperrt">Kirchendiener</em>,
-<em class="gesperrt">Elbtal</em>, <em class="gesperrt">Elbufer</em> und <em class="gesperrt">Elbbrücke</em><span class="pagenum" id="Seite_72">[S. 72]</span> neben
-<em class="gesperrt">Muldental</em> und <em class="gesperrt">Muldenbett</em>. Vor dreißig Jahren sagte man
-<em class="gesperrt">Lokomotivenführer</em>, und das war gut und richtig. Neuerdings
-hat die Amtssprache <em class="gesperrt">Lokomotivführer</em> durchgedrückt. Das ist
-zwar ganz häßlich, denn nun stoßen zwei Lippenlaute (v und f)
-aufeinander, aber es ist ja zur Not auch richtig. Aber ein Wort wie
-<em class="gesperrt">Saalezeitung</em> oder <em class="gesperrt">Solebad</em>, wie man auch neuerdings
-lallt (das <em class="gesperrt">Solebad</em> Kissingen), ist doch die reine Leimerei.
-Bei <em class="gesperrt">Saalzeitung</em> könnte wohl einer an den <em class="gesperrt">Saal</em> denken
-statt an die <em class="gesperrt">Saale</em>? Denkt denn beim <em class="gesperrt">Saalkreis</em>, beim
-<em class="gesperrt">Saalwein</em> und bei der <em class="gesperrt">Saalbahn</em> jemand dran?<a id="FNAnker_45" href="#Fussnote_45" class="fnanchor">[45]</a> Die
-Amtssprache fängt jetzt freilich auch an, vom <em class="gesperrt">Saalekreis</em> zu
-stammeln. Als 1747 das erste Rhinozeros nach Deutschland kam, nannten
-es die Leute bald <em class="gesperrt">Nashorn</em>, bald <em class="gesperrt">Nasenhorn</em>. Hätte man das
-Tier heute zu benennen, man würde es unzweifelhaft <em class="gesperrt">Nasehorn</em>
-nennen.<a id="FNAnker_46" href="#Fussnote_46" class="fnanchor">[46]</a> Das Neueste ist, daß sich die Herren von der Presse jetzt
-<em class="gesperrt">Pressevertreter</em> nennen und bisweilen ein <em class="gesperrt">Pressefest</em>
-oder einen <em class="gesperrt">Presseball</em> veranstalten. Von einem <em class="gesperrt">Preßfest</em>
-oder einem <em class="gesperrt">Preßball</em> zu reden fürchten sie sich, offenbar
-damit niemand an die <em class="gesperrt">Preßwurst</em> denke! Ein Glück, daß die
-Wörter <em class="gesperrt">Preßfreiheit</em>, <em class="gesperrt">Preßgesetz</em>, <em class="gesperrt">Preßvergehen</em>,
-<em class="gesperrt">Preßpolizei</em>, <em class="gesperrt">Preßbureau</em> schon in einer Zeit gebildet
-worden sind, wo die Herren von der Presse noch deutsch reden konnten!</p>
-
-<p>Besonders bei der Zusammensetzung mit Namen wird jetzt (z.&#160;B. bei
-der Taufe neuer Straßen oder Gebäude) fast nur noch in dieser Weise
-geleimt. Wer wäre vor<span class="pagenum" id="Seite_73">[S. 73]</span> hundert Jahren imstande gewesen, eine Straße
-<em class="gesperrt">Augustastraße</em>, ein Haus <em class="gesperrt">Marthahaus</em>, einen Garten
-<em class="gesperrt">Johannapark</em> zu nennen! Da sagte man <em class="gesperrt">Annenkirche</em>,
-<em class="gesperrt">Katharinenstraße</em>, <em class="gesperrt">Marienbild</em>, und es fiel doch auch
-niemand ein, dabei an eine Mehrzahl von Annen, Katharinen oder Marien
-zu denken.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Speisenkarte_oder_Speisekarte">Speisenkarte oder Speisekarte?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Da haben also wohl die Schenkwirte, die statt der früher allgemein
-üblichen <em class="gesperrt">Speisekarte</em> eine <em class="gesperrt">Speisenkarte</em> eingeführt
-haben, etwas recht weises getan? Sie haben den guten alten Genitiv
-wiederhergestellt? Nein, daran haben sie nicht gedacht, sie haben die
-Mehrzahl ausdrücken wollen, denn sie haben sich überlegt: auf meiner
-Karte steht doch nicht bloß <em class="gesperrt">eine</em> Speise. Damit sind sie aber
-auch wieder gründlich in die Irre geraten. In <em class="gesperrt">Speisekarte</em> ist
-die erste Hälfte gar nicht durch das Hauptwort <em class="gesperrt">Speise</em> gebildet,
-sondern durch den Verbalstamm von <em class="gesperrt">speisen</em>. Alles, was zum
-Speisen gehört: die <em class="gesperrt">Speisekammer</em>, das <em class="gesperrt">Speisezimmer</em>, der
-<em class="gesperrt">Speisesaal</em>, das <em class="gesperrt">Speisegeschirr</em>, der <em class="gesperrt">Speisezettel</em>
-– alles ist mit diesem Verbalstamm zusammengesetzt. So ist auch die
-<em class="gesperrt">Speisekarte</em> nicht die Karte, auf der die Speisen verzeichnet
-stehen, sondern die Karte, die man beim Speisen gebraucht, wie
-die <em class="gesperrt">Tanzkarte</em> die Karte, die man beim Tanzen gebraucht,
-das <em class="gesperrt">Kochbuch</em> das Buch, das man beim Kochen benutzt, die
-<em class="gesperrt">Spielregel</em> die Regel, die man beim Spielen beobachtet, die
-<em class="gesperrt">Bauordnung</em> die Ordnung, nach der man sich beim Bauen richtet,
-der <em class="gesperrt">Fahrplan</em> der Plan, der uns darüber belehrt, wann und
-wohin gefahren wird, die <em class="gesperrt">Singweise</em> die Weise, nach der man
-singt, das <em class="gesperrt">Stickmuster</em> das Muster, nach dem man stickt, die
-<em class="gesperrt">Zählmethode</em> die Methode, nach der man zählt. Alle diese
-Wörter sind mit einem Verbalstamm zusammengesetzt. Hätten die
-Schenkwirte mit ihrer <em class="gesperrt">Speisenkarte</em> Recht, dann müßten sie
-doch auch <em class="gesperrt">Weinekarte</em> sagen.<a id="FNAnker_47" href="#Fussnote_47" class="fnanchor">[47]</a> Glücklicherweise<span class="pagenum" id="Seite_74">[S. 74]</span> läßt sich
-der Volksmund nicht irremachen. Niemals hört man in einer Wirtschaft
-eine <em class="gesperrt">Speisenkarte</em> verlangen, es wird aber immer nur gedruckt,
-entweder auf Verlangen der Wirte, die damit etwas besonders feines
-ausgeheckt zu haben glauben, oder auf Drängen der Akzidenzdrucker,
-die es den Wirten als etwas besonders feines aufschwatzen. Ganz
-lächerlich ist es, wenn manche Wirte einen Unterschied machen wollen:
-eine <em class="gesperrt">Speisekarte</em> sei die, auf der ich mir eine Speise aussuchen
-könne, eine <em class="gesperrt">Speisenkarte</em> dagegen ein „Menu“, das Verzeichnis
-der Speisen bei einem Mahl, wofür man neuerdings auch das schöne Wort
-<em class="gesperrt">Speisenfolge</em> eingeführt hat. Die <em class="gesperrt">Speisekarte</em> ist die
-Karte, die zum <em class="gesperrt">Speisen</em> gehört, ob ich mir nun etwas darauf
-aussuche, oder ob ich sie von oben bis unten abesse.</p>
-
-<p>Ein Gegenstück zur <em class="gesperrt">Speisenkarte</em> ist die <em class="gesperrt">Fahrrichtung</em>;
-an den ehemaligen Leipziger Pferdebahnwagen stand: nur in der
-<em class="gesperrt">Fahrrichtung</em> abspringen! Es spricht aber niemand von
-<em class="gesperrt">Fließrichtung</em>, <em class="gesperrt">Strömrichtung</em>, <em class="gesperrt">Schießrichtung</em>,
-wohl aber von <em class="gesperrt">Flußrichtung</em>, <em class="gesperrt">Stromrichtung</em>,
-<em class="gesperrt">Schußrichtung</em>, <em class="gesperrt">Windrichtung</em>, <em class="gesperrt">Strahlrichtung</em>.
-Bedenkt man freilich, daß der Volksmund die <em class="gesperrt">Fahrtrichtung</em>
-unzweifelhaft sofort zur <em class="gesperrt">Fahrtsrichtung</em> verschönert hätte
-(nach <em class="gesperrt">Mietskaserne</em>), so muß man ja eigentlich für die
-<em class="gesperrt">Fahrrichtung</em> sehr dankbar sein.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Aepfelwein_oder_Apfelwein">Äpfelwein oder Apfelwein?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Unnötigen Aufruhr und Streit erregt bisweilen die Frage, ob in
-dem Bestimmungswort einer Zusammensetzung die Einzahl oder die
-Mehrzahl am Platze sei. Einen Braten, der nur von <em class="gesperrt">einem</em> Rind
-geschnitten ist, nennt man in Leipzig <em class="gesperrt">Rinderbraten</em>, eine
-Schüssel<span class="pagenum" id="Seite_75">[S. 75]</span> Mus dagegen, die aus einem halben Schock Äpfel bereitet
-ist, <em class="gesperrt">Apfelmus</em>. Das ist doch sinnwidrig, heißt es, es kann
-doch nur das umgekehrte richtig sein! Nein, es ist beides richtig.
-Es kommt in solchen Zusammensetzungen weder auf die Einzahl noch
-auf die Mehrzahl an, sondern nur auf den Gattungsbegriff. Im
-Numerus herrscht völlige Freiheit; die eine Mundart verfährt so,
-die andre so,<a id="FNAnker_48" href="#Fussnote_48" class="fnanchor">[48]</a> und selbst innerhalb der guten Schriftsprache
-waltet hier scheinbar die seltsamste Laune und Willkür. Man sagt:
-<em class="gesperrt">Bruderkrieg</em>, <em class="gesperrt">Freundeskreis</em>, <em class="gesperrt">Jünglingsverein</em>,
-<em class="gesperrt">Ortsverzeichnis</em> (neuerdings leider auch <em class="gesperrt">Namensverzeichnis</em>
-und <em class="gesperrt">Offizierskasino</em>!), <em class="gesperrt">Adreßbuch</em>, <em class="gesperrt">Baumschule</em>,
-<em class="gesperrt">Fischteich</em>, <em class="gesperrt">Kartoffelernte</em>, <em class="gesperrt">Trüffelwurst</em>,
-<em class="gesperrt">Federbett</em>, obwohl hier überall das Bestimmungswort unzweifelhaft
-eine Mehrzahl bedeutet; dagegen sagt man <em class="gesperrt">Kinderkopf</em>
-(in der Malerei), <em class="gesperrt">Liedervers</em>, <em class="gesperrt">Eierschale</em>,
-<em class="gesperrt">Lämmerschwänzchen</em>, <em class="gesperrt">Hühnerei</em>, <em class="gesperrt">Städtename</em>,
-<em class="gesperrt">Gänsefeder</em>, obwohl ein Vers nur zu <em class="gesperrt">einem</em> Liede, eine
-Schale nur zu <em class="gesperrt">einem</em> Ei gehören kann. Wer näher zusieht,
-findet freilich auch hinter dieser scheinbaren Willkür gute Gründe.
-<em class="gesperrt">Baumschule</em>, <em class="gesperrt">Bruderkrieg</em> und <em class="gesperrt">Fischteich</em> sind noch
-nach der ursprünglichen Zusammensetzungsweise, die nach singularischer
-oder pluralischer Bedeutung des Bestimmungswortes nicht fragte, mit dem
-bloßen Stamme des ersten Wortes gebildet. <em class="gesperrt">Jünglingsverein</em> und
-<em class="gesperrt">Ortsverzeichnis</em> haben das s, das eigentlich nur dem vorgesetzten
-maskulinen Genitiv zukommt, aber von da aus weiter gegriffen hat
-und zum Bindemittel schlechthin, selbst für pluralisch gemeinte
-Substantiva, geworden ist; auch <em class="gesperrt">Freundeskreis</em> ist ein Absenker
-dieser Bildungsweise. Und ebenso natürlich erklärt sich die Gruppe mit
-scheinbar pluralischer Form und singularischer Bedeutung. In ihr kommen
-nur Neutra mit der Pluralendung <em class="gesperrt">er</em> und umgelautete Feminina in
-Frage. Aber sowohl der Umlaut der Feminina wie das <em class="gesperrt">er</em> (und der<span class="pagenum" id="Seite_76">[S. 76]</span>
-Umlaut) der Neutra gehörte in alter Zeit nicht nur dem Plural, sondern
-dem Stamme dieser Wörter an, und daß es sich bei den Zusammensetzungen
-mit ihnen um nichts weiter als um den Stamm handelt, können wir bei
-einigem guten Willen noch jetzt nachfühlen. Kein Mensch denkt bei dem
-Worte <em class="gesperrt">Gänseblume</em> an mehrere Gänse, sondern jeder nur an den
-Begriff Gans, so gut wie er bei <em class="gesperrt">Rinderbrust</em> nicht mehrere Rinder
-vor Augen hat.</p>
-
-<p>Trotz alledem ist natürlich <em class="gesperrt">Äpfelwein</em> neben <em class="gesperrt">Apfelwein</em>
-nicht zu verurteilen. Der wirklich pluralischen Zusammensetzungen
-und der pluralisch gefühlten gibt es zu viel, als daß ihnen
-ein Eingreifen in dieses Gebiet der Zusammensetzungen mit
-Gattungsbegriffen verwehrt werden könnte. Schwankt man doch auch
-in Zusammensetzungen wie <em class="gesperrt">Anwaltstag</em>, <em class="gesperrt">Juristentag</em>,
-<em class="gesperrt">Ärztetag</em>, <em class="gesperrt">Bischofkonferenz</em>, <em class="gesperrt">Rektorenkonferenz</em>,
-<em class="gesperrt">Gastwirtverein</em>, <em class="gesperrt">Gastwirtstag</em>, <em class="gesperrt">Architektenverein</em>
-u.&#160;a. Wenn etwas hier bestimmend wäre, so könnte es nur der Wohlklang
-sein. Die schwach deklinierten ziehen augenscheinlich den Plural,
-die stark deklinierten den Singular vor; zu <em class="gesperrt">Ärztetag</em> hat
-man ausnahmsweise gegriffen, weil <em class="gesperrt">Arzttag</em> undeutlich,
-<em class="gesperrt">Arztstag</em> unerträglich klingt, während gegen eine
-<em class="gesperrt">Arztversammlung</em> niemand etwas einwenden wird, also auch die
-<em class="gesperrt">Ärztekammer</em> (statt <em class="gesperrt">Arztkammer</em>) überflüssig war, ebenso
-überflüssig wie der <em class="gesperrt">Wirteverein</em>. Höchst ärgerlich aber ist es,
-wenn man, nachdem man vierzig Jahre lang von <em class="gesperrt">Kollegienheften</em> hat
-sprechen hören, plötzlich an dem Ladenfenster eines Schreibwarenkrämers
-<em class="gesperrt">Kolleghefte</em> angepriesen sieht. Aber der gute Mann macht es ja
-bloß den Professoren nach, die jetzt keine <em class="gesperrt">Kollegiengelder</em> mehr
-beanspruchen, sondern <em class="gesperrt">Kolleggelder</em>!</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Zeichnenbuch_oder_Zeichenbuch">Zeichnenbuch oder Zeichenbuch?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Die falschen Zusammensetzungen <em class="gesperrt">Zeichnenbuch</em>,
-<em class="gesperrt">Zeichnensaal</em>, <em class="gesperrt">Rechnenheft</em> sind in der Schule, wo
-sie sich früher auch breitmachten, jetzt wohl überall glücklich
-wieder beseitigt; außerhalb der Schule aber spuken sie doch noch
-und gelten noch immer manchen<span class="pagenum" id="Seite_77">[S. 77]</span> Leuten für das Richtige. In Wahrheit
-sind es Mißbildungen. Wenn in Zusammensetzungen das Bestimmungswort
-ein Verbum ist, so kann dieses nur in der Form des Verbalstammes
-erscheinen; daher heißt es: <em class="gesperrt">Schreibfeder</em>, <em class="gesperrt">Reißzeug</em>,
-<em class="gesperrt">Stimmgabel</em>, <em class="gesperrt">Druckpapier</em>, <em class="gesperrt">Stehpult</em>,
-<em class="gesperrt">Rauchzimmer</em>, <em class="gesperrt">Laufbursche</em>, <em class="gesperrt">Spinnstube</em>,
-<em class="gesperrt">Trinkhalle</em>, <em class="gesperrt">Springbrunnen</em>, <em class="gesperrt">Zauberflöte</em>, oder
-auch mit einem Bindevokal: <em class="gesperrt">Wartesaal</em>, <em class="gesperrt">Singestunde</em>,
-<em class="gesperrt">Bindemittel</em>.<a id="FNAnker_49" href="#Fussnote_49" class="fnanchor">[49]</a> Nun gibt es aber Verbalstämme, die auf n
-ausgehen, z.&#160;B. <em class="gesperrt">zeichen</em>, <em class="gesperrt">rechen</em>, <em class="gesperrt">trocken</em>,
-<em class="gesperrt">turn</em>; die Infinitive dazu heißen: <em class="gesperrt">rechnen</em> (eigentlich
-<em class="gesperrt">rechenen</em>), <em class="gesperrt">zeichnen</em> (eigentlich <em class="gesperrt">zeichenen</em>),
-<em class="gesperrt">trocknen</em>, <em class="gesperrt">turnen</em>. Werden diese in der Zusammensetzung
-verwendet, so können natürlich nur Formen entstehen wie
-<em class="gesperrt">Rechenstunde</em>, <em class="gesperrt">Zeichensaal</em>, <em class="gesperrt">Trockenplatz</em>,
-<em class="gesperrt">Turnhalle</em>. Wäre <em class="gesperrt">Rechnenbuch</em> und <em class="gesperrt">Zeichnensaal</em>
-richtig, so müßte man doch auch sagen: <em class="gesperrt">Trocknenplatz</em>,
-<em class="gesperrt">Turnenhalle</em>, ja auch <em class="gesperrt">Schreibenfeder</em> und
-<em class="gesperrt">Singenstunde</em>.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Das_Binde_s">Das Binde-s</h3>
-
-</div>
-
-<p>In ganz unerträglicher Weise greift jetzt das unorganisch eingeschobne
-s in zusammengesetzten Wörtern um sich. In <em class="gesperrt">Himmelstor</em>,
-<em class="gesperrt">Gotteshaus</em>, <em class="gesperrt">Königstochter</em>, <em class="gesperrt">Gutsbesitzer</em>,
-<em class="gesperrt">Feuersnot</em>, <em class="gesperrt">Wolfsmilch</em> kann man ja überall das s als
-die Genitivendung des männlichen oder sächlichen Bestimmungswortes
-auffassen, wiewohl es auch solche Zusammensetzungen gibt, in denen der
-Genitiv keinen Sinn hat, das s also nur als Bindemittel betrachtet
-werden kann, z.&#160;B. <em class="gesperrt">Rittersmann</em>, <em class="gesperrt">segensreich</em> (Schiller
-hat in der Glocke noch richtig <em class="gesperrt">segenreiche Himmelstochter</em>
-geschrieben). Aber wie kommt das s an Wörter weiblichen Geschlechts,
-die gar keinen Genitiv auf s bilden können? Wie ist man dazu
-gekommen, zu bilden: <em class="gesperrt">Liebesdienst</em>, <em class="gesperrt">Hilfslehrer</em>,<span class="pagenum" id="Seite_78">[S. 78]</span>
-<em class="gesperrt">Geschichtsforscher</em>, <em class="gesperrt">Bibliotheksordnung</em>,
-<em class="gesperrt">Arbeitsliste</em>, <em class="gesperrt">Geburtstag</em>, <em class="gesperrt">Hochzeitsgeschenk</em>,
-<em class="gesperrt">Weihnachtsabend</em>, <em class="gesperrt">Fastnachtsball</em>, <em class="gesperrt">Zukunftsmusik</em>,
-<em class="gesperrt">Einfaltspinsel</em>, <em class="gesperrt">Zeitungsschreiber</em>, <em class="gesperrt">Hoheitsrecht</em>,
-<em class="gesperrt">Sicherheitsnadel</em>, <em class="gesperrt">Wirtschaftsgeld</em>,
-<em class="gesperrt">Konstitutionsfest</em>, <em class="gesperrt">Majestätsbeleidigung</em>,
-<em class="gesperrt">ausnahmsweise</em>, <em class="gesperrt">rücksichtsvoll</em>, <em class="gesperrt">vorschriftsmäßig</em>?</p>
-
-<p>Dieses Binde-s stammt ebenso wie das falsche Plural-s (vgl. <a href="#Seite_23">S. 23</a>)
-aus dem Niederdeutschen. Dort wird es wirklich aus Verlegenheit
-gebraucht, um von artikellosen weiblichen Hauptwörtern einen Genitiv
-zu bilden, natürlich immer nur dann, wenn er dem Worte, von dem er
-abhängt, voransteht, wie <em class="gesperrt">Mutters</em> Liebling, vor <em class="gesperrt">Schwesters
-Tür</em>, <em class="gesperrt">Madames</em> Geschenk (Lessing: <em class="gesperrt">Antworts</em> genug,
-über <em class="gesperrt">Naturs</em> Größe), und so ist aus diesem Verlegenheits-s
-dann das Binde-s geworden. Es gehört aber erst der neuern Zeit
-an. Im Mittelhochdeutschen findet es sich nur vereinzelt, erst im
-Neuhochdeutschen ist es eingedrungen, hat sich dann mit großer
-Schnelligkeit verbreitet und sucht sich noch immer weiter zu
-verbreiten. Schon fängt man an zu sagen: <em class="gesperrt">Doktorsgrad</em>,
-<em class="gesperrt">Wertspapiere</em>, <em class="gesperrt">Raumsgestaltung</em>, <em class="gesperrt">Gesteinsmassen</em>,
-<em class="gesperrt">Gewebslehre</em>, <em class="gesperrt">Gesangsunterricht</em>, <em class="gesperrt">Kapitalsanlage</em>,
-<em class="gesperrt">Inventursaufnahme</em>, <em class="gesperrt">Examensvorbereitung</em>,
-<em class="gesperrt">Aufnahmsprüfung</em>, <em class="gesperrt">Einnahmsquelle</em>, <em class="gesperrt">teilnahmslos</em>,
-<em class="gesperrt">Niederlagsraum</em>, <em class="gesperrt">Schwadronsbesichtigung</em>, ja in
-einzelnen Gegenden Deutschlands, namentlich am Rhein, sogar
-schon <em class="gesperrt">Stiefelsknecht</em>, <em class="gesperrt">Erbsmasse</em> (statt Erbmasse),
-<em class="gesperrt">Ratshaus</em>, <em class="gesperrt">Stadtsgraben</em>, <em class="gesperrt">Nachtswächter</em>,
-<em class="gesperrt">Zweimarksstück</em>, <em class="gesperrt">Schiffsbruch</em>, <em class="gesperrt">Kartoffelsbrei</em>
-u.&#160;a. In Leipzig sind wir neuerdings mit einem <em class="gesperrt">Kajütsbureau</em>
-beglückt worden (!), und die sächsischen Eisenbahnen reden seit
-einiger Zeit nur noch von <em class="gesperrt">Zugsverkehr</em>, <em class="gesperrt">Zugsverbindungen</em>
-und <em class="gesperrt">Zugsverspätungen</em>. Das widerwärtigste aber wegen ihrer
-Häufigkeit sind wohl die Zusammensetzungen mit <em class="gesperrt">Miets-</em> und
-<em class="gesperrt">Fabriks-</em>: das <em class="gesperrt">Mietshaus</em>, die <em class="gesperrt">Mietskaserne</em>, der
-<em class="gesperrt">Mietsvertrag</em>, der <em class="gesperrt">Mietspreis</em>, der <em class="gesperrt">Fabriksdirektor</em>,
-das <em class="gesperrt">Fabriksmädchen</em>, das tollste der in<span class="pagenum" id="Seite_79">[S. 79]</span> rheinischen Städten
-übliche <em class="gesperrt">Stehsplatz</em> und der <em class="gesperrt">Verpflegsdienst</em>. Das Binde-s
-hinter einem Verbalstamm eingeschmuggelt!</p>
-
-<p>Nur <em class="gesperrt">eine</em> Wortgattung hat sich des Eindringlings bis jetzt
-glücklich erwehrt: die Stoffnamen. Von <em class="gesperrt">Gold</em>, <em class="gesperrt">Silber</em>,
-<em class="gesperrt">Wein</em>, <em class="gesperrt">Kaffee</em>, <em class="gesperrt">Mehl</em>, <em class="gesperrt">Zucker</em> usw. wird nie
-eine Zusammensetzung mit dem Binde-s gebildet. Nur mit <em class="gesperrt">Tabak</em> hat
-man es gewagt: <em class="gesperrt">Tabaksmonopol</em>, <em class="gesperrt">Tabaksmanufaktur</em>, natürlich
-durch das verwünschte k verführt. Der <em class="gesperrt">Fabrikstabak</em> und die
-<em class="gesperrt">Tabaksfabrik</em> sind einander wert. Die <em class="gesperrt">Tabakspfeife</em> geht
-freilich schon weit zurück.</p>
-
-<p>Wo das falsche s einmal festsitzt, da ist nun freilich jeder Kampf
-vergeblich, und das ist der Fall bei allen Zusammensetzungen mit
-<em class="gesperrt">Liebe</em>, <em class="gesperrt">Hilfe</em>, <em class="gesperrt">Geschichte</em>, hinter vielen weiblichen
-Wörtern, die auf t endigen, ferner bei allen, die mit <em class="gesperrt">ung</em>,
-<em class="gesperrt">heit</em>, <em class="gesperrt">keit</em> und <em class="gesperrt">schaft</em> gebildet sind, endlich
-bei den Fremdwörtern auf <em class="gesperrt">ion</em> und <em class="gesperrt">tät</em>. Hier jetzt noch
-den Versuch zu machen, das s wieder loszuwerden, wäre wohl ganz
-aussichtslos.<a id="FNAnker_50" href="#Fussnote_50" class="fnanchor">[50]</a> Wo es sich aber noch nicht festgesetzt hat, wo es
-erst einzudringen versucht, wie hinter <em class="gesperrt">Fabrik</em> und <em class="gesperrt">Miete</em>,
-da müßte doch der Unterricht alles aufbieten, es fernzuhalten, das
-Sprachgefühl für den Fehler wieder zu schärfen.<a id="FNAnker_51" href="#Fussnote_51" class="fnanchor">[51]</a> Es ist das nicht
-so schwer, wie es auf den ersten Blick scheint, denn dieses Binde-s
-ist ein solcher Wildling, daß es nicht die geringste Folgerichtigkeit
-kennt. Warum sagt man <em class="gesperrt">Rindsleder</em>, <em class="gesperrt">Schweinsleder</em>,
-<em class="gesperrt">vertragsbrüchig</em>, <em class="gesperrt">inhaltsreich</em>, <em class="gesperrt">beispielsweise</em>,
-<em class="gesperrt">hoffnungslos</em>, da man doch <em class="gesperrt">Kalbleder</em>, <em class="gesperrt">Schafleder</em>,
-<em class="gesperrt">wortbrüchig</em>, <em class="gesperrt">gehaltreich</em>, <em class="gesperrt">schrittweise</em>,
-<em class="gesperrt">gefühllos</em> sagt? Hie und da scheint wieder der Wohllaut im Spiele
-zu sein, aber doch nicht immer.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_80">[S. 80]</span></p>
-
-<p>Nach <em class="gesperrt">Hilfe</em> wird übrigens in der guten Schriftsprache
-ein Unterschied beobachtet: man sagt <em class="gesperrt">Hilfsprediger</em>,
-<em class="gesperrt">Hilfslehrer</em>, <em class="gesperrt">Hilfsbremser</em>, <em class="gesperrt">hilfsbedürftig</em>
-und <em class="gesperrt">hilfsbereit</em>, auch <em class="gesperrt">aushilfsweise</em>, dagegen
-<em class="gesperrt">Hilferuf</em> und <em class="gesperrt">Hilfeleistung</em>, weil man bei diesen
-beiden das Akkusativverhältnis fühlt, bei den übrigen bloß
-die Zusammensetzung. Ähnlich ist es mit <em class="gesperrt">Arbeitgeber</em> im
-Gegensatz zu <em class="gesperrt">Arbeitsleistung</em>, <em class="gesperrt">Arbeitsteilung</em>, mit
-<em class="gesperrt">staatserhaltend</em> und <em class="gesperrt">vaterlandsliebend</em> im Gegensatz zu
-<em class="gesperrt">kriegführend</em>, <em class="gesperrt">rechtsuchend</em>, <em class="gesperrt">betriebstörend</em>.
-Niemand redet von <em class="gesperrt">kriegsführenden</em> Mächten, auch nicht von
-<em class="gesperrt">Kriegsführung</em>, weil hier die einzelne Handlung vorschwebt
-und deshalb der Akkusativ (Krieg) deutlich gefühlt wird, während
-<em class="gesperrt">vaterlandsliebend</em> und <em class="gesperrt">staatserhaltend</em> eine dauernde
-Gesinnung bezeichnen. Was nützt aber die Freude über diesen feinen
-Unterschied? In der nächsten Zeitungsnummer stößt man auf den
-<em class="gesperrt">geschäftsführenden</em> Ausschuß, auf die <em class="gesperrt">verkehrshindernde</em>
-Barriere und auf die <em class="gesperrt">vertragsschließenden</em> Parteien.<a id="FNAnker_52" href="#Fussnote_52" class="fnanchor">[52]</a></p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="ig_lich_isch">ig, lich, isch. Adlig, fremdsprachlich, vierwöchig,
-zugänglich</h3>
-
-</div>
-
-<p>Eigenschaftswörter können im Deutschen von Hauptwörtern auf sehr
-verschiedne Arten gebildet werden: mit <em class="gesperrt">ig</em>, <em class="gesperrt">lich</em>,
-<em class="gesperrt">isch</em>, <em class="gesperrt">sam</em>, <em class="gesperrt">bar</em>, <em class="gesperrt">haft</em> usw. Zwischen allen
-diesen Bildungen waren ursprünglich fühlbare Bedeutungsunterschiede,
-die heute vielfach verwischt sind. Doch sind sie auch manchmal noch
-deutlich zu erkennen, selbst bei den am häufigsten verwendeten und
-deshalb am meisten verblaßten Endungen <em class="gesperrt">ig</em>, <em class="gesperrt">lich</em> und
-<em class="gesperrt">isch</em>; man denke nur an <em class="gesperrt">weiblich</em> und <em class="gesperrt">weibisch</em>,
-<em class="gesperrt">kindlich</em> und <em class="gesperrt">kindisch</em>, <em class="gesperrt">herrlich</em> und
-<em class="gesperrt">herrisch</em>, <em class="gesperrt">launig</em> und <em class="gesperrt">launisch</em>, <em class="gesperrt">traulich</em>
-und <em class="gesperrt">mißtrauisch</em>, <em class="gesperrt">göttlich</em> und<span class="pagenum" id="Seite_81">[S. 81]</span> <em class="gesperrt">abgöttisch</em>,
-<em class="gesperrt">väterlich</em> und <em class="gesperrt">altväterisch</em>, <em class="gesperrt">gläubig</em> und
-<em class="gesperrt">abergläubisch</em> u.&#160;a.</p>
-
-<p>Das von <em class="gesperrt">Adel</em> gebildete Adjektiv soll nach der „neuen
-Orthographie“ nun endgiltig <em class="gesperrt">adlig</em> geschrieben werden. Es
-schadet aber vielleicht nichts, wenn man sich darüber klar bleibt,
-daß das eigentlich falsch ist. <em class="gesperrt">Adlich</em> ist entstanden aus
-<em class="gesperrt">adel-lich</em>, es gehört zu <em class="gesperrt">königlich</em>, <em class="gesperrt">fürstlich</em>,
-<em class="gesperrt">ritterlich</em>, <em class="gesperrt">männlich</em>, <em class="gesperrt">weiblich</em>, <em class="gesperrt">geistlich</em>,
-<em class="gesperrt">weltlich</em>, <em class="gesperrt">fleischlich</em>, aber nicht zu <em class="gesperrt">heilig</em>,
-<em class="gesperrt">geistig</em>, <em class="gesperrt">luftig</em>, <em class="gesperrt">fleißig</em>, <em class="gesperrt">steinig</em>,
-<em class="gesperrt">ölig</em>, <em class="gesperrt">fettig</em>, <em class="gesperrt">schmutzig</em>. Dieselbe Verwirrung des
-Sprachgefühls wie bei <em class="gesperrt">adlig</em> findet sich auch bei <em class="gesperrt">billig</em>
-(das noch bis in das siebzehnte Jahrhundert richtig <em class="gesperrt">billich</em>
-geschrieben wurde) und bei <em class="gesperrt">unzählig</em> und <em class="gesperrt">untadlig</em>, die
-eigentlich <em class="gesperrt">unzählich</em> und <em class="gesperrt">untadlich</em> geschrieben werden
-müßten. Nur bei <em class="gesperrt">allmählich</em>, das eine Zeit lang allgemein falsch
-<em class="gesperrt">allmählig</em> geschrieben wurde (es ist aus <em class="gesperrt">allgemächlich</em>
-entstanden), ist das richtige in neuerer Zeit wiederhergestellt worden,
-wohl deshalb, weil hier doch gar zu offenbar ist, daß das l nicht zum
-Stamme gehören kann.</p>
-
-<p>Wenn aus einem Substantiv mit vorhergehendem Eigenschaftswort oder
-Zahlwort ein Adjektiv gebildet wird, so geschieht es immer mit
-der Endung <em class="gesperrt">ig</em>. Bei <em class="gesperrt">kurzweilig</em>, <em class="gesperrt">langstielig</em>,
-<em class="gesperrt">großmäulig</em>, <em class="gesperrt">dickfellig</em>, <em class="gesperrt">gleichschenklig</em>,
-<em class="gesperrt">rechtwinklig</em>, <em class="gesperrt">vierzeilig</em> könnte man meinen, sie wären
-deshalb auf ig gebildet worden, weil der Stamm auf l endigt; es heißt
-aber auch: <em class="gesperrt">fremdartig</em>, <em class="gesperrt">treuherzig</em>, <em class="gesperrt">gutmütig</em>,
-<em class="gesperrt">schöngeistig</em>, <em class="gesperrt">freisinnig</em>, <em class="gesperrt">hartnäckig</em>,
-<em class="gesperrt">vollblütig</em>, <em class="gesperrt">breitschultrig</em>, <em class="gesperrt">schmalspurig</em>,
-<em class="gesperrt">freihändig</em>, <em class="gesperrt">buntscheckig</em>, <em class="gesperrt">eintönig</em>,
-<em class="gesperrt">vierprozentig</em> usw.</p>
-
-<p>Da hat man nun neuerdings <em class="gesperrt">fremdsprachlich</em> und
-<em class="gesperrt">neusprachlich</em> gebildet – ist das richtig? Leider Gottes! muß
-man sagen. Diese Adjektiva sind nicht etwa entstanden zu denken aus
-<em class="gesperrt">fremd</em> und <em class="gesperrt">Sprache</em>, <em class="gesperrt">neu</em> und <em class="gesperrt">Sprache</em> (so
-wie <em class="gesperrt">fremdartig</em> aus <em class="gesperrt">fremd</em> und <em class="gesperrt">Art</em>), sondern es
-sollen Adjektivbildungen zu <em class="gesperrt">Fremdsprache</em> und <em class="gesperrt">Neusprache</em>
-sein. Diese beiden herrlichen Wörter hat man nämlich gebildet, um
-nicht mehr von <em class="gesperrt">fremden</em><span class="pagenum" id="Seite_82">[S. 82]</span> und <em class="gesperrt">neuen Sprachen</em> reden zu
-müssen; nur die <em class="gesperrt">Altsprachen</em> fehlen noch, aber stillschweigend
-vorausgesetzt werden sie auch, denn neben <em class="gesperrt">neusprachlich</em> steht
-natürlich <em class="gesperrt">altsprachlich</em>. Und wie man nun nicht mehr von
-<em class="gesperrt">Sprachunterricht</em>, sondern nur noch von <em class="gesperrt">sprachlichem</em>
-Unterricht redet, so nun auch von <em class="gesperrt">fremdsprachlichem</em>,
-<em class="gesperrt">altsprachlichem</em> und <em class="gesperrt">neusprachlichem</em>. Neben diesen
-Bildungen gibt es aber auch <em class="gesperrt">fremdsprachig</em>, das nun wirklich
-aus <em class="gesperrt">fremd</em> und <em class="gesperrt">Sprache</em> gebildet ist. Während mit
-<em class="gesperrt">fremdsprachlich</em> bezeichnet wird, was sich auf eine
-fremde Sprache bezieht, bezeichnet <em class="gesperrt">fremdsprachig</em> eine
-wirkliche Eigenschaft. Man redet oder kann wenigstens reden von
-<em class="gesperrt">fremdsprachigen</em> Völkern, <em class="gesperrt">fremdsprachigen</em> Büchern, einer
-<em class="gesperrt">fremdsprachigen</em> Literatur (wie von einer <em class="gesperrt">dreisprachigen</em>
-Inschrift und einer <em class="gesperrt">gemischtsprachigen</em> Bevölkerung).
-Sogar ein Unterricht kann zugleich <em class="gesperrt">fremdsprachlich</em> und
-<em class="gesperrt">fremdsprachig</em> sein, wenn z.&#160;B. der Lehrer die Schüler im
-Französischen unterrichtet und dabei zugleich französisch spricht.
-<em class="gesperrt">Fremdsprachig</em> steht also neben <em class="gesperrt">fremdsprachlich</em> wie
-<em class="gesperrt">gleichaltrig</em> (gebildet aus <em class="gesperrt">gleich</em> und <em class="gesperrt">Alter</em>) neben
-<em class="gesperrt">mittelalterlich</em> (gebildet von <em class="gesperrt">Mittelalter</em>).</p>
-
-<p>Streng zu scheiden ist zwischen den Bildungen auf <em class="gesperrt">ig</em> und
-denen auf <em class="gesperrt">lich</em> bei den Adjektiven, die von <em class="gesperrt">Jahr</em>,
-<em class="gesperrt">Monat</em>, <em class="gesperrt">Tag</em> und <em class="gesperrt">Stunde</em> gebildet werden. Auch hier
-bezeichnen die auf <em class="gesperrt">ig</em> eine Eigenschaft, nämlich die Dauer:
-<em class="gesperrt">zweijährig</em>, <em class="gesperrt">eintägig</em>, <em class="gesperrt">vierstündig</em>. Bis vor kurzem
-konnte man zwar oft von einem <em class="gesperrt">dreimonatlichen Urlaub</em> oder einer
-<em class="gesperrt">vierwöchentlichen</em> Reise lesen; jetzt wird erfreulicherweise
-fast überall nur noch von einem <em class="gesperrt">dreimonatigen</em> Urlaub und
-einer <em class="gesperrt">vierwöchigen</em> Reise gesprochen. Dagegen bezeichnen
-<em class="gesperrt">einstündlich</em>, <em class="gesperrt">dreimonatlich</em> so gut wie <em class="gesperrt">jährlich</em>,
-<em class="gesperrt">halbjährlich</em>, <em class="gesperrt">vierteljährlich</em>, <em class="gesperrt">monatlich</em>,
-<em class="gesperrt">wöchentlich</em>, <em class="gesperrt">täglich</em> und <em class="gesperrt">stündlich</em> den Zeitabstand
-von wiederkehrenden Handlungen. Da heißt es: in <em class="gesperrt">dreimonatlichen</em>
-Raten zu zahlen, <em class="gesperrt">einstündlich</em> einen Eßlöffel voll zu nehmen,
-ebenso wie: nach <em class="gesperrt">vierteljährlicher Kündigung</em>. Unsinn also ist
-es, von <em class="gesperrt">halbjährigen</em><span class="pagenum" id="Seite_83">[S. 83]</span> öffentlichen Prüfungen zu reden; es gibt
-nur <em class="gesperrt">halbjährliche</em>, das sind solche, die alle halben Jahre
-stattfinden, und <em class="gesperrt">halbstündige</em>, das sind solche, die eine halbe
-Stunde dauern.</p>
-
-<p>Falsch ist es auch, von einem <em class="gesperrt">unförmlichen</em> Fleischklumpen zu
-reden. <em class="gesperrt">Unförmlich</em> könnte nur als Verneinung von <em class="gesperrt">förmlich</em>
-verstanden werden. Das Betragen eines Menschen kann <em class="gesperrt">unförmlich</em>
-sein (ohne Förmlichkeit, formlos), ein Fleischklumpen aber nur
-<em class="gesperrt">unförmig</em> (gebildet von <em class="gesperrt">Unform</em>; vgl. <em class="gesperrt">unsinnig</em> und
-<em class="gesperrt">unsinnlich</em>).</p>
-
-<p>Genau zu unterscheiden ist endlich auch noch zwischen <em class="gesperrt">abschlägig</em>
-(eine <em class="gesperrt">abschlägige</em> Antwort) und <em class="gesperrt">abschläglich</em> (eine
-<em class="gesperrt">abschlägliche</em> Zahlung). <em class="gesperrt">Abschlägig</em> ist unmittelbar
-aus dem Verbalstamm gebildet, eine <em class="gesperrt">abschlägige</em> Antwort
-ist eine abschlagende; <em class="gesperrt">abschläglich</em> dagegen ist von
-<em class="gesperrt">Abschlag</em> gebildet, eine <em class="gesperrt">abschlägliche</em> Zahlung
-ist eine <em class="gesperrt">Abschlagszahlung</em>. (Vgl. <em class="gesperrt">geschäftig</em> und
-<em class="gesperrt">geschäftlich</em>.) Wenn Kaufleute oder Buchhändler neuerdings
-davon reden, daß Waren oder Bücher wegen ihres niedrigen Preises den
-weitesten Kreisen <em class="gesperrt">zugängig</em> seien, oder eine Zeitung schreibt:
-die Kinder müssen so viel Deutsch lernen, daß ihnen die deutsche Kultur
-<em class="gesperrt">zugängig</em> ist, oder das „Tuberkulosemerkblatt“ des Kaiserlichen
-Gesundheitsamtes als Hauptmittel gegen die Ansteckung eine dem Zutritte
-(!) von Luft und Licht <em class="gesperrt">zugängige</em> Wohnung bezeichnet, so ist das
-dieselbe Verwechslung. Die Wohnung soll der Luft <em class="gesperrt">zugänglich</em>
-sein, d.&#160;h. sie soll der Luft <em class="gesperrt">Zugang</em> bieten. <em class="gesperrt">Zugängig</em>
-könnte höchstens (aktiv!) etwas bedeuten, was jedermann zugeht, z.&#160;B.
-die Probenummer einer Zeitung, wie das neumodische <em class="gesperrt">angängig</em>
-(für <em class="gesperrt">möglich</em>) doch das bedeuten soll, was angeht. (Vgl.
-auch <em class="gesperrt">verständlich</em> und <em class="gesperrt">verständig</em>.) Wenn also amtlich
-bekanntgemacht wird, daß die sächsischen Sterbetaler der Allgemeinheit
-unmittelbar <em class="gesperrt">zugängig</em> gemacht werden sollen, so könnte ich
-mit Recht sagen: Schön, wann wird mir der meinige zugeschickt? Der
-Unterschied liegt auf der Hand, und doch hat das dumme <em class="gesperrt">zugängig</em>
-in der letzten Zeit mit ungeheurer Schnelligkeit um sich gegriffen.</p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_84">[S. 84]</span></p>
-
-<h3 id="Goethe_sch_oder_Goethisch">Goethe’sch oder Goethisch? Bremener oder
-Bremer?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Eine rechte Dummheit ist in der Bildung der Adjektiva auf <em class="gesperrt">isch</em>
-eingerissen bei Orts- und Personennamen, die auf e endigen;
-man liest nur noch von der <em class="gesperrt">Halle’schen</em> Universität, von
-<em class="gesperrt">Goethe’schen</em> und <em class="gesperrt">Heine’schen</em> Gedichten und von der
-<em class="gesperrt">Ranke’schen</em> Weltgeschichte. Man übersehe ja den Apostroph nicht;
-ohne den Apostroph würde die Sache den Leuten gar keinen Spaß machen.
-In dieses Häkchen sind Schulmeister und Professoren ebenso verliebt wie
-Setzer und Korrektoren (vgl. <a href="#Seite_8">S. 8</a>).</p>
-
-<p>Die Adjektivendung <em class="gesperrt">isch</em> muß stets unmittelbar an
-den Wortstamm treten. Von <em class="gesperrt">Laune</em> heißt das Adjektiv
-<em class="gesperrt">launisch</em>, von <em class="gesperrt">Hölle</em> <em class="gesperrt">höllisch</em>, von <em class="gesperrt">Satire</em>
-<em class="gesperrt">satirisch</em>, von <em class="gesperrt">Schwede</em> <em class="gesperrt">schwedisch</em>; niemand
-spricht von <em class="gesperrt">laune’schen</em> Menschen, <em class="gesperrt">hölle’schen</em>
-Qualen, <em class="gesperrt">satire’schen</em> Bemerkungen oder <em class="gesperrt">schwede’schen</em>
-Streichhölzchen. Und sagt oder schreibt wohl ein vernünftiger
-Mensch: dieses Gedicht klingt echt <em class="gesperrt">Goethe’sch</em>? oder: mancher
-versucht zwar Ranke nachzuahmen, aber seine Darstellung klingt gar
-nicht <em class="gesperrt">Ranke’sch</em>? Jeder sagt doch: es klingt <em class="gesperrt">Goethisch</em>,
-es klingt <em class="gesperrt">Rankisch</em>. Wenn man aber in der undeklinierten,
-prädikativen Form das Adjektiv richtig bildet, warum denn nicht
-in der attributiven, deklinierten? Es könnte wohl am Ende einer
-denken, der Dichter hieße <em class="gesperrt">Goeth</em> oder <em class="gesperrt">Goethi</em>, wenn man
-von <em class="gesperrt">Goethischen</em> Gedichten spricht? Denkt vielleicht bei der
-<em class="gesperrt">hansischen</em> Geschichte irgend jemand an einen <em class="gesperrt">Hans</em> oder
-<em class="gesperrt">Hansi</em>? August Hermann Francke, der Stifter des <em class="gesperrt">Hallischen</em>
-Waisenhauses (noch bis ins achtzehnte Jahrhundert hinein sagte
-man sogar mit richtigem Umlaut <em class="gesperrt">hällisch</em>),<a id="FNAnker_53" href="#Fussnote_53" class="fnanchor">[53]</a> würde sich
-im Grabe umdrehen, wenn er wüßte, daß seine Stiftung jetzt das
-<em class="gesperrt">Halle’sche</em> Waisenhaus genannt wird. Genau so lächerlich aber
-sind die <em class="gesperrt">Laube’schen</em> Dramen, die <em class="gesperrt">Raabe’schen</em> Erzählungen,
-das <em class="gesperrt">Fichte’sche</em> System,<span class="pagenum" id="Seite_85">[S. 85]</span> die <em class="gesperrt">Heyse’schen</em> Novellen, die
-<em class="gesperrt">Stolze’sche</em> Stenographie, der <em class="gesperrt">Grote’sche</em> Verlag, die
-<em class="gesperrt">Moltke’sche</em> Strategie und der <em class="gesperrt">Lippe’sche</em> Erbfolgestreit.
-Unbegreiflicherweise stammelt man jetzt sogar in Germanistenkreisen von
-der <em class="gesperrt">Manesse’schen</em> Handschrift, die doch seit Menschengedenken
-die <em class="gesperrt">Manessische</em> geheißen hat.<a id="FNAnker_54" href="#Fussnote_54" class="fnanchor">[54]</a></p>
-
-<p>Man spricht aber neuerdings auch von dem <em class="gesperrt">Meiningen’schen</em>
-Theater (statt vom <em class="gesperrt">Meiningischen</em>), von <em class="gesperrt">rügen’schen</em>
-Bauernsöhnen (statt von <em class="gesperrt">rügischen</em>), vom <em class="gesperrt">schonen’schen</em>
-Hering (statt vom <em class="gesperrt">schonischen</em>) und von <em class="gesperrt">hohenzollern’schem</em>
-Hausbesitz (statt von <em class="gesperrt">hohenzollerischem</em>). Dann wollen wir nur
-auch in Zukunft von <em class="gesperrt">thüringen’schen</em> Landgrafen reden, von
-der <em class="gesperrt">franken’schen</em> Schweiz, vom <em class="gesperrt">sachsen’schen</em> und vom
-<em class="gesperrt">preußen’schen</em> König! Nein, auch hier ist die Bildung unmittelbar
-aus dem Wortstamm das einzig richtige. Die Ortsnamen auf <em class="gesperrt">en</em> sind
-meist alte Dative im Plural. Wenn ein Adjektiv auf <em class="gesperrt">isch</em> davon
-gebildet werden soll, so muß die Endung <em class="gesperrt">en</em> erst weichen. Es kann
-also nur heißen: <em class="gesperrt">hohenzollerisch</em>, <em class="gesperrt">meiningisch</em>.</p>
-
-<p>Derselbe Unsinn wie in <em class="gesperrt">meiningen’sch</em> liegt übrigens auch in
-Bildungen wie <em class="gesperrt">Emdener</em>, <em class="gesperrt">Zweibrückener</em>, <em class="gesperrt">Eislebener</em>,
-<em class="gesperrt">St. Gallener</em> vor; da ist die Endung <em class="gesperrt">er</em> an die
-Endung <em class="gesperrt">en</em> gefügt, statt an den Stamm. In den genannten
-Orten selbst, wo man wohl am besten Bescheid wissen wird, wie
-es heißen muß, kennt man nur <em class="gesperrt">Emder</em>, <em class="gesperrt">Zweibrücker</em>,
-<em class="gesperrt">Eisleber</em>, (das <em class="gesperrt">Eisleber</em> Seminar), <em class="gesperrt">St. Galler</em>,
-wie anderwärts <em class="gesperrt">Bremer</em>, <em class="gesperrt">Kempter</em>, <em class="gesperrt">Gießer</em> (meine
-<em class="gesperrt">Gießer</em> Studentenjahre), <em class="gesperrt">Barmer</em>. Bei <em class="gesperrt">Bingen</em> ist
-das <em class="gesperrt">Binger</em> Loch, und in Emden wird einer sofort als Fremder
-erkannt, wenn er von der <em class="gesperrt">Emdener</em> Zeitung redet. Ein wahres
-Glück, daß der <em class="gesperrt">Nordhäuser</em> und der <em class="gesperrt">Steinhäger</em> schon
-ihre Namen haben! Heute würden sie<span class="pagenum" id="Seite_86">[S. 86]</span> sicherlich <em class="gesperrt">Nordhausener</em>
-und <em class="gesperrt">Steinhagener</em> genannt werden: Geben Sie mir einen
-<em class="gesperrt">Nordhausener</em>!<a id="FNAnker_55" href="#Fussnote_55" class="fnanchor">[55]</a></p>
-
-<p>All dieser Unsinn hat freilich eine tiefer sitzende Ursache, er
-hängt zusammen mit der traurigen Namenerstarrung, zu der wir erst im
-neunzehnten Jahrhundert gekommen sind, und die, wie so manche andre
-Erscheinung in unserm heutigen Sprachleben, eine Folge des alles
-beherrschenden juristischen Geistes unsrer Zeit ist. Im fünfzehnten,
-ja noch im sechzehnten Jahrhundert bedeutete ein Name etwas. Um 1480
-heißt derselbe Mann in Leipziger Urkunden bald <em class="gesperrt">Graue Hänsel</em>,
-bald <em class="gesperrt">Graue Henschel</em>, bald <em class="gesperrt">Hänsichen Grau</em>, um 1500
-derselbe Mann bald <em class="gesperrt">Schönwetter</em>, bald <em class="gesperrt">Hellwetter</em>, derselbe
-Mann bald <em class="gesperrt">Sporzel</em>, bald <em class="gesperrt">Sperle</em> (Sperling), derselbe
-Mann bald <em class="gesperrt">Sachtleben</em>, bald <em class="gesperrt">Sanftleben</em>, derselbe Mann
-bald <em class="gesperrt">Meusel</em>, bald <em class="gesperrt">Meusichen</em>, Albrecht Dürer nennt 1521
-in dem Tagebuch seiner niederländischen Reise seinen Schüler <em class="gesperrt">Hans
-Baldung</em>, der den Spitznamen der <em class="gesperrt">grüne</em> (mundartlich der
-<em class="gesperrt">griene</em>) <em class="gesperrt">Hans</em> führte, nur den <em class="gesperrt">Grünhans</em>,<a id="FNAnker_56" href="#Fussnote_56" class="fnanchor">[56]</a> und
-selbst als sich längst bestimmte Familiennamen festgesetzt hatten,
-behandelte man sie doch immer noch wie alle andern Nomina, man scherte
-sich den Kuckuck um ihre Orthographie, man deklinierte sie, man bildete
-frischweg Feminina und Adjektiva davon wie von jedem Appellativum.
-Noch Ende des achtzehnten Jahrhunderts berichtete der Leipziger Rat
-an die Landesregierung, daß er Gottfried <em class="gesperrt">Langen</em>, Hartmann
-<em class="gesperrt">Wincklern</em>, Friedrich <em class="gesperrt">Treitschken</em>, Tobias <em class="gesperrt">Richtern</em>
-und Jakob <em class="gesperrt">Bertramen</em> zu Ratsherren gewählt habe. Frau Karsch
-hieß bei den besten Schriftstellern die <em class="gesperrt">Karschin</em> (das heute
-von „gebildeten“ Leuten wie <em class="gesperrt">Berlin</em> betont wird!), und so<span class="pagenum" id="Seite_87">[S. 87]</span>
-war es noch zu Anfange des neunzehnten Jahrhunderts. Heute ist ein
-Name vor allen Dingen eine unantastbare Reihe von Buchstaben. Wehe
-dem, der sich daran vergreift! Wehe dem, der es wagen wollte, den
-großen <em class="gesperrt">Winckelmann</em> jetzt etwa <em class="gesperrt">Winkelmann</em> zu schreiben,
-weil man auch den <em class="gesperrt">Winkel</em> nicht mehr mit ck schreibt, oder
-<em class="gesperrt">Joachimsthal</em> mit T, weil man auch das <em class="gesperrt">Tal</em> jetzt nicht
-mehr mit Th schreibt, oder gar <em class="gesperrt">Goethe</em> mit ö! Er wäre sofort
-von der Wissenschaft in Acht und Bann getan. Das alles haben wir
-dem grenzenlosen juristischen Genauigkeitsbedürfnis unsrer Zeit zu
-danken, das keinen gesunden Menschenverstand kennt und anerkennt, das
-alles äußerlich in Buchstaben „festlegen“ muß, und dessen höchster
-Stolz es ist, selbst eine Straße mit einem Vornamen, eine Stiftung
-mit einem Doktortitel und ein Denkmal mit einem Doktortitel und einem
-Vornamen zu schmücken: <em class="gesperrt">Gustav Freytag-Straße</em>, <span class="antiqua">Dr.</span>
-<em class="gesperrt">Wünsche-Stiftung</em>, <span class="antiqua">Dr.</span> <em class="gesperrt">Karl Heine-Denkmal</em>.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Hallenser_und_Weimaraner">Hallenser und Weimaraner</h3>
-
-</div>
-
-<p>Daß wir Deutschen bei unsrer großen Gelehrsamkeit und
-Gewissenhaftigkeit die Bewohner fremder Länder und Städte mit
-einer wahren Musterkarte von Namenbildungen versehen, ist zwar
-sehr komisch, aber doch immerhin erträglich. Sprechen wir also
-auch in Zukunft getrost von Amerika<em class="gesperrt">nern</em>, Mexika<em class="gesperrt">nern</em>,
-Neapolita<em class="gesperrt">nern</em>, Parmes<em class="gesperrt">anern</em> und Venezol<em class="gesperrt">anern</em>,
-Byzant<em class="gesperrt">inern</em>, Florent<em class="gesperrt">inern</em> und Tarent<em class="gesperrt">inern</em>,
-Chine<em class="gesperrt">sen</em> und Japane<em class="gesperrt">sen</em>, Piemont<em class="gesperrt">esen</em> und
-Alban<em class="gesperrt">esen</em>, Genu<em class="gesperrt">esern</em>, Bolog<em class="gesperrt">nesern</em> und
-Veron<em class="gesperrt">esern</em>, Bethlehem<em class="gesperrt">iten</em> und Sybar<em class="gesperrt">iten</em> (denen
-sich als neue Errungenschaft die Sansibar<em class="gesperrt">iten</em> angereiht
-haben), Samarit<em class="gesperrt">ern</em> und Moskowit<em class="gesperrt">ern</em>, Asia<em class="gesperrt">ten</em>
-und Ravenna<em class="gesperrt">ten</em>, Candi<em class="gesperrt">oten</em> und Hydri<em class="gesperrt">oten</em>,
-Franzo<em class="gesperrt">sen</em>, Portugi<em class="gesperrt">esen</em>, Provenz<em class="gesperrt">alen</em>,
-Savoy<em class="gesperrt">arden</em> usw. Daß wir aber an deutsche(!) Städtenamen
-noch immer lateinische Endungen hängen, ist doch ein Zopf, der
-endlich einmal abgeschnitten werden sollte. Die <em class="gesperrt">Athenienser</em>
-und die <em class="gesperrt">Carthaginienser</em> sind wir aus den Geschichtsbüchern
-glücklich los, aber die <em class="gesperrt">Hallenser</em>, die <em class="gesperrt">Jenenser</em> und die
-<em class="gesperrt">Badenser</em>,<span class="pagenum" id="Seite_88">[S. 88]</span> die <em class="gesperrt">Hannoveraner</em> und die <em class="gesperrt">Weimaraner</em>
-wollen nicht weichen, auch die <em class="gesperrt">Anhaltiner</em> spuken noch
-gelegentlich. Und doch ist nicht einzusehen, weshalb man nicht
-ebensogut soll <em class="gesperrt">Jenaer</em> sagen können wie <em class="gesperrt">Gothaer</em>,
-<em class="gesperrt">Geraer</em> und <em class="gesperrt">Altonaer</em>,<a id="FNAnker_57" href="#Fussnote_57" class="fnanchor">[57]</a> ebenso gut <em class="gesperrt">Badner</em>
-wie <em class="gesperrt">Münchner</em>, <em class="gesperrt">Posner</em> und <em class="gesperrt">Dresdner</em>, ebenso gut
-<em class="gesperrt">Haller</em> wie <em class="gesperrt">Celler</em>, <em class="gesperrt">Stader</em> und <em class="gesperrt">Klever</em>,
-ebenso gut <em class="gesperrt">Hannoverer</em> und <em class="gesperrt">Weimarer</em> wie <em class="gesperrt">Trierer</em>,
-<em class="gesperrt">Speierer</em> und <em class="gesperrt">Colmarer</em>.</p>
-
-<p>Freilich erstreckt sich die häßliche Sprachmengerei in unsrer
-Wortbildung nicht bloß auf geographische Namen, sie ist überhaupt
-in unsrer Sprache weit verbreitet; man denke nur an Bildungen
-wie <em class="gesperrt">buchstabieren</em>, <em class="gesperrt">halbieren</em>, <em class="gesperrt">hausieren</em>,
-<em class="gesperrt">grundieren</em>, <em class="gesperrt">schattieren</em>, <em class="gesperrt">glasieren</em> (im sechzehnten
-Jahrhundert sprach man noch von <em class="gesperrt">geglästen</em> Ziegeln und Kacheln),
-<em class="gesperrt">amtieren</em>, <em class="gesperrt">Hornist</em>, <em class="gesperrt">Lagerist</em>, <em class="gesperrt">Probist</em>,
-<em class="gesperrt">Kursist</em>, <em class="gesperrt">Wagnerianer</em>, <em class="gesperrt">Börsianer</em>, <em class="gesperrt">Goethiana</em>,
-<em class="gesperrt">Beethoveniana</em>, <em class="gesperrt">Lieferant</em>, <em class="gesperrt">Stellage</em>,
-<em class="gesperrt">Futteral</em>, <em class="gesperrt">Stiefeletten</em>, <em class="gesperrt">Glasur</em>, <em class="gesperrt">schauderös</em>,
-<em class="gesperrt">blumistisch</em>, <em class="gesperrt">superklug</em>, <em class="gesperrt">hypergeistreich</em>,
-<em class="gesperrt">antideutsch</em> usw. Manches davon stammt aus sehr früher Zeit und
-wird wohl nie wieder zu beseitigen sein; vieles aber ließe sich doch
-vermeiden, und vor allem sollte es nicht vermehrt werden.</p>
-
-<figure class="figcenter illowe3" id="deko8">
- <img class="w100 padtop1" src="images/deko.png" alt="Deko">
-</figure>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_89">[S. 89]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Zur_Satzlehre">Zur Satzlehre</h2>
-
-</div>
-
-<figure class="figcenter illowe3" id="deko9">
- <img class="w100 padtop1" src="images/deko.png" alt="Deko">
-</figure>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_91">[S. 91]</span></p>
-
-<figure class="figcenter illowe50" id="borduere1e">
- <img class="w100 mtop3" src="images/borduere1.png" alt="Zierband">
-</figure>
-
-<h3 id="Unterdrueckung_des_Subjekts">Unterdrückung des Subjekts</h3>
-
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="drop">D</span>ie meisten Fehler gegen die grammatische Richtigkeit und den guten
-Geschmack werden natürlich auf dem schwierigsten Gebiete der Sprache,
-auf dem des Satzbaues begangen. Hier sollen zunächst Subjekt und
-Prädikat und dann die Tempora und die Modi des Zeitworts in Haupt- und
-Nebensätzen besprochen werden.</p>
-
-<p>Nicht bloß in dem Geschäfts- und Briefstil der Kaufleute, sondern im
-Briefstil überhaupt halten es viele für ein besondres Zeichen von
-Höflichkeit, das Subjekt ich oder wir zu unterdrücken. Kaufleute
-schreiben in ihren Geschäftsanzeigen: Kisten und Tonnen <em class="gesperrt">nehmen</em>
-zum Selbstkostenpreise zurück, Zeitungen drucken über ihren
-Inseratenteil: Sämtliche Anzeigen <em class="gesperrt">halten</em> der Beachtung unsrer
-Leser empfohlen, und Ärzte machen bekannt: <em class="gesperrt">Habe</em> mich hier
-niedergelassen, oder: Meine Sprechstunden <em class="gesperrt">halte</em> von heute ab von
-acht bis zehn Uhr. Aber auch gebildete Frauen und Mädchen, denen man
-etwas Geschmack zutrauen sollte, schreiben: Vorige Woche <em class="gesperrt">habe</em>
-mit Papa einen Besuch bei R.s gemacht.</p>
-
-<p>Wenn man jemand seine Hochachtung unter anderm auch durch die Sprache
-bezeugen will, so ist das gar nicht so übel. Aber vernünftigerweise
-kann es doch nur dadurch geschehen, daß man die Sprache so sorgfältig
-und sauber behandelt wie irgend möglich, aber nicht durch äußerliche
-Mittelchen, wie große Anfangsbuchstaben (<em class="gesperrt">Du</em>, <em class="gesperrt">Dein</em>),
-gesuchte Wortstellung, bei der man den Angeredeten möglichst weit
-vor, sich selbst aber möglichst weit hinter stellt (so <em class="gesperrt">bitte Ew.
-Wohlgeboren</em> infolge unsrer mündlichen Verabredung <em class="gesperrt">ich</em> ganz
-ergebenst), oder<span class="pagenum" id="Seite_92">[S. 92]</span> gar dadurch, daß man den grammatischen Selbstmord
-begeht, wie es Jean Paul genannt hat, <em class="gesperrt">ich</em> oder <em class="gesperrt">wir</em>
-wegzulassen. Derartige Scherze schleppen sich aus alten Briefstellern
-fort – wer Gelegenheit hätte, in den Briefen des alten Goethe zu
-lesen, würde mit Erstaunen sehen, daß sich auch der nie anders
-ausgedrückt hat –, sie sollten aber doch endlich einmal überwunden
-werden.</p>
-
-<p>Noch schlimmer freilich als die Unterdrückung von <em class="gesperrt">ich</em> und
-<em class="gesperrt">wir</em> ist die Albernheit, wenn man den andern nicht recht
-verstanden hat, zu fragen: <em class="gesperrt">Wie meinen?</em> Hier mordet man
-grammatisch gar den Angeredeten!</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Die_Ausstattung_war_eine_glaenzende">Die Ausstattung war eine glänzende</h3>
-
-</div>
-
-<p>Eine häßliche Gewohnheit, die in unserm Satzbau eingerissen ist, ist
-die, das Prädikat, wenn es durch ein Adjektiv gebildet wird, nicht,
-wie es doch im Deutschen das richtige und natürliche ist, in der
-unflektierten, prädikativen Form hinzuschreiben, z.&#160;B.: das Verfahren
-ist <em class="gesperrt">sehr einfach</em>, sondern in der flektierten, attributiven Form,
-als ob sich der Leser dazu das Subjekt noch einmal ergänzen sollte: das
-Verfahren ist <em class="gesperrt">ein sehr einfaches</em> (nämlich Verfahren). Es ist das
-nicht bloß ein syntaktischer, sondern auch ein logischer Fehler, und
-daß man das gar nicht empfindet, ist das besonders traurige dabei.</p>
-
-<p>Ein Adjektiv im Prädikat zu flektieren hat nur in einem Falle Sinn,
-nämlich wenn das Subjekt durch die Aussage in eine bestimmte Klasse
-oder Sorte eingereiht werden soll. Wenn man sagt: die Kirsche,
-die du mir gegeben hast, war <em class="gesperrt">eine saure</em> – das Regiment
-dort ist <em class="gesperrt">ein preußisches</em> – diese Frage ist <em class="gesperrt">eine</em>
-rein <em class="gesperrt">wirtschaftliche</em> – der Genuß davon ist mehr <em class="gesperrt">ein
-sinnlicher</em>, <em class="gesperrt">kein</em> rein <em class="gesperrt">geistiger</em> – der Begriff der
-Infektionslehre ist <em class="gesperrt">ein moderner</em> – der Hauptzweck der Regierung
-war <em class="gesperrt">ein fiskalischer</em> – das Amt des Areopagiten war <em class="gesperrt">ein
-lebenslängliches</em> – das Exemplar, das ich bezogen habe, war <em class="gesperrt">ein
-gebundnes</em> – das abgelaufne Jahr war für die Geschäftswelt <em class="gesperrt">kein
-günstiges</em> – so teilt man die Kirschen, die Regimenter, die Fragen,
-die Genüsse usw. in verschiedne Klassen oder Sorten ein und weist das
-Subjekt nun einer dieser<span class="pagenum" id="Seite_93">[S. 93]</span> Sorten zu. Es wäre ganz unmöglich, zu sagen:
-diese Frage ist rein <em class="gesperrt">ästhetisch</em> oder: das Regiment dort ist
-<em class="gesperrt">preußisch</em>. Die Kirsche ist <em class="gesperrt">sauer</em> – das kann man wohl
-von einer unreifen Süßkirsche sagen, aber nicht, wenn man ausdrücken
-will, daß die Kirsche zu der Gattung der sauern Kirschen gehöre. Das
-unflektierte Adjektiv also urteilt, das flektierte sortiert. An ein
-Sortieren ist aber doch nicht zu denken, wenn jemand sagt: meine Arbeit
-ist <em class="gesperrt">eine vergebliche</em> gewesen. Es fällt dem Schreibenden nicht im
-Traume ein, die Arbeiten etwa in erfolgreiche und vergebliche einteilen
-und nun die Arbeit, von der er spricht, in die Klasse der vergeblichen
-einreihen zu wollen, sondern er will einfach ein Urteil über seine
-Arbeit aussprechen. Da genügt es doch, zu sagen: meine Arbeit ist
-<em class="gesperrt">vergeblich</em> gewesen.</p>
-
-<p>In der Unterhaltung sagt denn auch kein Mensch: die Suppe ist <em class="gesperrt">eine
-zu heiße</em>, aber <em class="gesperrt">eine sehr gute</em>. Der lebendigen Sprache
-ist diese unnötige und häßliche Verbreiterung des Ausdrucks ganz
-fremd, sie gehört ausschließlich der Papiersprache an, stellt sich
-immer nur bei dem ein, der die Feder in die Hand nimmt, oder bei
-dem Gewohnheitsredner, der bereits Papierdeutsch spricht, oder dem
-gebildeten Philister, der sich am Biertisch in der Sprache seiner
-Leibzeitung unterhält. Die Papiersprache kennt gar keine andern
-Prädikate mehr. Man sehe sich um: in zehn Fällen neunmal dieses
-schleppende flektierte Adjektiv, im Aktendeutsch durchweg, aber auch
-in der wissenschaftlichen Darstellung, im Essay, im Leitartikel,
-im Feuilleton. Lächerlicherweise ist das Adjektiv dabei oft durch
-ein Adverb gesteigert, sodaß gar kein Zweifel darüber sein kann,
-daß ein Urteil ausgesprochen werden soll. Aber es wird nirgends
-mehr geurteilt, es wird überall nur noch sortiert: das Befinden der
-Königin ist <em class="gesperrt">ein ausgezeichnetes</em> – die Ausstattung war <em class="gesperrt">eine
-überaus vornehme</em> – die Organisation ist <em class="gesperrt">eine sehr straffe,
-fast militärische</em> – der Andrang war <em class="gesperrt">ein ganz enormer</em>
-– der Beifall war <em class="gesperrt">ein wohlverdienter</em> – diese Forderung
-ist eine <em class="gesperrt">durchaus gerechtfertigte</em> – die Stellung des neuen
-Direktors war <em class="gesperrt">eine außerordentlich schwierige</em> – in einigen
-Lieferungen<span class="pagenum" id="Seite_94">[S. 94]</span> ist die Bandbezeichnung <em class="gesperrt">eine falsche</em> – der
-Erfolg mußte von vornherein <em class="gesperrt">ein zweifelhafter</em> sein – diese
-Anschauung vom Leben der Sprache ist <em class="gesperrt">eine durchaus verkehrte</em>
-– die Verfrachtung ist <em class="gesperrt">eine außerordentlich zeitraubende</em>
-und <em class="gesperrt">kostspielige</em> – die Beurteilung des Gedichts war <em class="gesperrt">eine
-verschiedne</em>, doch <em class="gesperrt">günstige</em> – dieser Standpunkt ist <em class="gesperrt">ein
-völlig undurchführbarer</em> – die kirchliche Lage der kleinen
-Gemeinden war eine <em class="gesperrt">sehr gedrückte, wenig beneidenswerte</em> –
-die Aussicht auf die kommende Session ist <em class="gesperrt">eine sehr trübe</em> –
-dieses Gedicht ist <em class="gesperrt">ein</em> dem ganzen deutschen Volke <em class="gesperrt">teures</em>
-(!) – allen Verehrern Moltkes dürfte der Besitz dieses Kunstblattes
-ein <em class="gesperrt">sehr willkommner</em> (!) sein – die Notwendigkeit einer
-Ausdehnung wird schwerlich so bald <em class="gesperrt">eine fühlbare</em> (!) sein usw.
-Ebenso dann auch in der Mehrzahl: die Meinungen der Menschen sind
-<em class="gesperrt">sehr verschiedne</em> – die Pachtsummen waren schon an und für
-sich <em class="gesperrt">hohe</em> – die mythologischen Kenntnisse der Schüler sind
-gewöhnlich <em class="gesperrt">ziemlich dürftige</em> – ich glaube nicht, daß die
-dortigen Verhältnisse von den unsrigen <em class="gesperrt">so grundverschiedne</em> (!)
-seien. Ist das Prädikat verneint, so heißt es natürlich <em class="gesperrt">kein</em>
-statt <em class="gesperrt">nicht</em>: die Schwierigkeiten waren <em class="gesperrt">keine geringen</em>
-– die Kluft zwischen den einzelnen Ständen war <em class="gesperrt">keine sehr
-tiefe</em> – die Rührung ist <em class="gesperrt">keine erkünstelte</em> – die Grenze
-ist <em class="gesperrt">keine</em> für alle Zeiten <em class="gesperrt">bestimmte</em> und <em class="gesperrt">keine</em> für
-alle Orte <em class="gesperrt">gleiche</em> – bei Goethe und Schiller ist der Abstand
-von der Gegenwart <em class="gesperrt">kein so starker</em> mehr. Eine musterhafte
-Buchkritik lautet heutzutage so: ist der Inhalt des Lexikons <em class="gesperrt">ein
-sehr wertvoller</em> und die Behandlung der einzelnen Punkte <em class="gesperrt">eine
-vorzügliche</em>, so hält die Ausstattung gleichen Schritt damit, denn
-sie ist <em class="gesperrt">eine sehr gediegne</em>.<a id="FNAnker_58" href="#Fussnote_58" class="fnanchor">[58]</a></p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_95">[S. 95]</span></p>
-
-<p>Von dem einfachen mit der Kopula gebildeten Prädikat geht aber der
-Schwulst nun weiter zu den Verben, die mit doppeltem Akkusativ, einem
-Objekts- und einem Prädikatsakkusativ, verbunden werden. Auch da heißt
-es nur noch: diesen Kampf kann man nur <em class="gesperrt">einen gehässigen</em> nennen
-(statt: <em class="gesperrt">gehässig</em> nennen!) – mehr oder minder sehen wir alle
-die Zukunft als <em class="gesperrt">eine ernste</em> an (statt: als <em class="gesperrt">ernst</em> an) –
-ich möchte diesen Versuch nicht als <em class="gesperrt">einen durchaus gelungnen</em>
-bezeichnen – ich bin weit davon entfernt, diese Untersuchung als
-<em class="gesperrt">eine abschließende</em> hinzustellen – das, was uns diese Tage <em class="gesperrt">zu
-unvergeßlichen</em> macht (statt: <em class="gesperrt">unvergeßlich</em> macht!) – und
-passiv: der angerichtete Schade wird als <em class="gesperrt">ein beträchtlicher</em>
-bezeichnet – abhängige Arbeit löst sich los und wird zu <em class="gesperrt">einer
-unabhängigen</em> (statt: wird <em class="gesperrt">unabhängig</em>) – bis die Bildung der
-Frauen <em class="gesperrt">eine andre</em> und <em class="gesperrt">bessere</em> wird (statt: <em class="gesperrt">anders</em>
-und <em class="gesperrt">besser</em> wird) – unsre Kenntnis der japanischen Industrie ist
-<em class="gesperrt">eine</em> viel <em class="gesperrt">umfassendere</em> und <em class="gesperrt">gründlichere</em> geworden
-– durch diese Nadel ist das Fleischspicken <em class="gesperrt">ein müheloseres</em> (!)
-geworden usw.</p>
-
-<p>Besonders häßlich wird die ganze Erscheinung, wenn statt des
-Adjektivs oder neben dem Adjektiv ein aktives Partizip erscheint,
-z.&#160;B.: das ganze Verfahren ist <em class="gesperrt">ein durchaus</em> den Gesetzen
-<em class="gesperrt">widersprechendes</em>. Hier liegt ein doppelter Schwulst vor:
-statt des einfachen <span class="antiqua">verbum finitum</span> <em class="gesperrt">widerspricht</em>
-ist das Partizip gebraucht: <em class="gesperrt">ist widersprechend</em>, und statt
-des unflektierten Partizips auch noch das flektierte: ist <em class="gesperrt">ein
-widersprechendes</em>. Aber gerade auch solchen Sätzen begegnet man
-täglich: das Ergebnis ist <em class="gesperrt">ein verstimmendes</em> – da die natürliche
-Beleuchtung doch immer <em class="gesperrt">eine wechselnde</em> ist – der Anteil war
-<em class="gesperrt">ein</em> den vorhandnen männlichen Seelen <em class="gesperrt">entsprechender</em> –
-die Mache ist <em class="gesperrt">eine verschiedenartige</em>, der Mangel selbständiger
-Forschung aber <em class="gesperrt">ein</em> stets <em class="gesperrt">wiederkehrender</em> – die Stellung
-des Richters ist <em class="gesperrt">eine</em> von Jahr zu Jahr <em class="gesperrt">sinkende</em> – das
-schließt nicht aus, daß der Inhalt der Sitte <em class="gesperrt">ein verwerflicher</em>,
-d.&#160;h. dem wahren Besten der Gesellschaft <em class="gesperrt">nicht entsprechender</em>
-sei (statt: <em class="gesperrt">verwerflich</em> sei, d.&#160;h. <em class="gesperrt">nicht<span class="pagenum" id="Seite_96">[S. 96]</span> entspreche</em>) –
-die Armierung ist <em class="gesperrt">eine sehr schwache</em> und absolut <em class="gesperrt">nicht</em>
-ins Gewicht <em class="gesperrt">fallende</em> – die Sprache des Buchs ist <em class="gesperrt">eine
-klare, einfache</em> und allgemein <em class="gesperrt">verständliche</em>, vom Herzen
-<em class="gesperrt">kommende</em> und zum Herzen <em class="gesperrt">gehende</em> – im ganzen ist
-das Werk freilich <em class="gesperrt">kein</em> den Gegenstand <em class="gesperrt">erschöpfendes</em>
-– und auch hier passiv: der Zweck des Buchs ist ein <em class="gesperrt">durchaus
-anzuerkennender</em> (statt: <em class="gesperrt">durchaus anzuerkennen</em>).</p>
-
-<p>Es ist kein Zweifel, daß diese breitspurig einherstelzenden Prädikate
-allgemein für eine besondre Schönheit gehalten werden. Wer aber einmal
-auf sie aufmerksam gemacht worden oder von selbst aufmerksam geworden
-ist, der müßte doch jeden Rest von Sprachgefühl verloren haben, wenn er
-sie nicht so schnell wie möglich abzuschütteln suchte.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Eine_Menge_war_oder_waren">Eine Menge war oder waren?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Wenn das Subjekt eines Satzes durch ein Wort wie <em class="gesperrt">Zahl</em>,
-<em class="gesperrt">Anzahl</em>, <em class="gesperrt">Menge</em>, <em class="gesperrt">Masse</em>, <em class="gesperrt">Fülle</em>, <em class="gesperrt">Haufe</em>,
-<em class="gesperrt">Reihe</em>, <em class="gesperrt">Teil</em> und ähnliche gebildet wird, so wird sehr
-oft im Prädikat ein Fehler im Numerus gemacht. Zu solchen Wörtern
-kann nämlich entweder ein Genitiv treten, der als Genitiv nicht
-erkennbar und fühlbar ist, sondern wie ein frei angeschlossener
-Nominativ erscheint (eine <em class="gesperrt">Menge Menschen</em>) und deshalb sogar ein
-Attribut im Nominativ zu sich nehmen kann (eine <em class="gesperrt">Menge unbedeutende
-Menschen</em><a id="FNAnker_59" href="#Fussnote_59" class="fnanchor">[59]</a>), oder ein auf irgendeine Weise erkennbar gemachter
-Genitiv (eine <em class="gesperrt">Menge von Menschen</em>, eine <em class="gesperrt">Menge unbedeutender
-Menschen</em>); die eine Verbindung ist so gebräuchlich wie die andre.
-Nun ist wohl klar, daß in dem ersten Falle das Prädikat in der
-Mehrzahl stehn muß; der scheinbare Nominativ <em class="gesperrt">Menschen</em> tritt
-da so in den Vordergrund, daß er geradezu zum Subjekt, daher für
-die Wahl des Numerus im Prädikat entscheidend wird. Ebenso klar ist
-aber doch, daß in dem zweiten Falle das Prädikat nur in der Einzahl
-stehn kann, denn der abhängige Genitiv <em class="gesperrt">von<span class="pagenum" id="Seite_97">[S. 97]</span> Menschen</em> bleibt im
-Hintergrunde, und entscheidend für den Numerus im Prädikat kann dann
-nur der Singular <em class="gesperrt">Menge</em> sein. Man kann zwar zu solchen Begriffen
-– nach dem Sinne – das Prädikat auch in die Mehrzahl setzen, aber
-doch nur, wenn sie allein stehen; durch den abhängigen deutlichen
-Plural-Genitiv wird das zusammenfassende, einheitliche in dem Begriff
-<em class="gesperrt">Menge</em> so eindringlich fühlbar gemacht, daß es in hohem Grade
-stört, wenn man Sätze lesen muß wie: eine auserlesene <em class="gesperrt">Zahl deutscher
-Kunstwerke</em> sind gegenwärtig in Leipzig zu sehen – eine große
-<em class="gesperrt">Anzahl seiner Erzählungen beginnen</em> mit dem jugendlichen Alter
-des Helden – erfreulich ist es, daß eine große <em class="gesperrt">Anzahl unsrer
-Ärzte</em> schon über zehn Jahre ihren Dienst versehen <em class="gesperrt">haben</em> –
-die größere <em class="gesperrt">Anzahl</em> der Lieder und Bearbeitungen <em class="gesperrt">sind</em>
-nicht frei – eine <em class="gesperrt">Menge abweichender Beispiele dürfen</em> nicht
-dazu verleiten, die Regel als ungiltig zu bezeichnen – außer den Seen
-<em class="gesperrt">müssen</em> noch eine <em class="gesperrt">Menge kleiner Kanäle</em> benutzt werden –
-dem Reichsdeutschen <em class="gesperrt">treten</em> in dem schweizerischen Schriftdeutsch
-eine ganze <em class="gesperrt">Menge von Besonderheiten</em> entgegen – von diesem
-schönen Unternehmen <em class="gesperrt">liegen</em> nun schon <em class="gesperrt">eine Reihe</em> von
-Heften vor – eine <em class="gesperrt">Reihe von Kunstbeilagen ermöglichen</em> dem
-Kunsthistoriker weitergehendes Studium – kaum ein halbes <em class="gesperrt">Dutzend
-der vorzüglichsten Dramen finden</em> nachhaltige Teilnahme – der
-größte <em class="gesperrt">Teil der Grundbesitzer waren</em> gar nicht mehr Eigentümer
-– ein ganz geringer <em class="gesperrt">Bruchteil der Stellen sind</em> auskömmlich
-bezahlt – mindestens ein <em class="gesperrt">Viertel seiner Lieder stehen</em> in jedem
-Gesangbuche – wer da weiß, wie schrecklich unbeholfen die <em class="gesperrt">Mehrzahl
-unsrer Knaben sind</em> – dem Erfolge <em class="gesperrt">stehen</em> eine <em class="gesperrt">Fülle von
-verschiednen Bedingungen</em> entgegen usw. Alle, die so schreiben,
-verraten ein stumpfes Sprachgefühl und lassen sich von dem Krämer
-beschämen, der in der Zeitung richtig anzeigt: ein großer <em class="gesperrt">Posten
-zurückgesetzter Unterröcke ist</em> billig zu verkaufen. Besonders
-beleidigend wird der Fehler, wenn das Zeitwort im Plural unmittelbar
-vor dem singularischen Begriff der Menge steht.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_98">[S. 98]</span></p>
-
-<p>Umgekehrt sind manche geneigt, alle Angaben von Bruchteilen als
-Singulare zu behandeln und zu schreiben: bei Aluminium <em class="gesperrt">wird zwei
-Drittel</em> des Gewichts erspart – es <em class="gesperrt">wurde nur fünf Prozent</em>
-der Masse gerettet. Hier ist der Singular natürlich ebenso anstößig wie
-in den vorher angeführten Beispielen der Plural.</p>
-
-<p>Dem Deutschen eigentümlich ist die Anrede <em class="gesperrt">Sie</em>, eigentlich die
-dritte Person der Mehrzahl. Sie ist dadurch entstanden, daß man vor
-lauter Höflichkeit den Angeredeten nicht bloß, wie andre Sprachen,
-als Mehrzahl, sondern sogar als abwesend hinstellte. Man wagte
-gleichsam gar nicht, ihm unter die Augen zu treten und ihn anzublicken.
-Das pluralische Prädikat zu diesem <em class="gesperrt">Sie</em> wird aber nun sogar
-mit singularischen Subjekten verbunden, wie <em class="gesperrt">Eure Majestät</em>,
-<em class="gesperrt">Exzellenz</em>, <em class="gesperrt">der Herr Hofrat</em> (Goethe im Faust: <em class="gesperrt">Herr
-Doktor wurden</em> da katechisiert). So unnatürlich das ist, es wird
-schwerlich wieder zu beseitigen sein. Die wunderlichste Folge dieser
-Spracherscheinung ist wohl ein Satz wie der: Verzeihen Sie, daß ich
-<em class="gesperrt">Sie, der Sie</em> ohnehin so beschäftigt <em class="gesperrt">sind</em>, mit dieser
-Frage belästige.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Noch_ein_falscher_Plural_im_Praedikat">Noch ein falscher Plural im Prädikat</h3>
-
-</div>
-
-<p>Ein Prädikat, das sich auf zwei oder mehr Subjekte bezieht, muß
-selbstverständlich im Plural stehen, wenn die Subjekte zu einer
-Gruppe zusammengefaßt werden. Das geschieht aber immer, wenn sie
-durch das Bindewort <em class="gesperrt">und</em> verbunden sind. Dagegen werden die
-Subjekte niemals zu einer Gruppe vereinigt, wenn sie mit trennenden
-(disjunktiven) oder gegenüberstellenden Bindewörtern verbunden
-werden – eigentlich ein Widerspruch, aber doch nur ein scheinbarer,
-denn die Verbindung ist etwas äußerliches, rein syntaktisches,
-die Gegenüberstellung ist etwas innerliches, logisches. Zu diesen
-Bindewörtern (zum Teil eigentlich mehr Adverbien) gehören: <em class="gesperrt">oder</em>,
-<em class="gesperrt">teils – teils</em>, <em class="gesperrt">weder – noch</em>, <em class="gesperrt">wie</em>, <em class="gesperrt">sowie</em>,
-<em class="gesperrt">sowohl – wie</em>, <em class="gesperrt">sowohl – als auch</em>. Es ist eins der
-unverkennbarsten Zeichen der zunehmenden Unklarheit des Denkens,
-daß in solchen Fällen das Prädikat jetzt<span class="pagenum" id="Seite_99">[S. 99]</span> immer öfter in den Plural
-gesetzt wird. Verhältnismäßig selten liest man ja so unsinnige Sätze
-wie: wenn ein schwacher Vater <em class="gesperrt">oder</em> eine schwache Mutter der
-Schule ein Schnippchen <em class="gesperrt">schlagen</em> (<em class="gesperrt">schlägt</em>!) – es
-ist sehr fraglich, ob ein roher, trunksüchtiger Mann <em class="gesperrt">oder</em>
-eine böse, schlecht wirtschaftende Frau im Hause mehr Schaden
-<em class="gesperrt">anrichten</em> (<em class="gesperrt">anrichtet</em>!) – so war es <em class="gesperrt">teils</em> die
-Willkür des Geschmacks, <em class="gesperrt">teils</em> die Willkür des Zufalls, die
-zu entscheiden <em class="gesperrt">hatten</em> (<em class="gesperrt">hatte</em>!) – oder gar: sein
-Milieu, <em class="gesperrt">wenn nicht</em> etwas andres in ihm, <em class="gesperrt">erhalten</em>
-(<em class="gesperrt">erhält</em>!) ihn unparteiisch und nüchtern. Aber schon etwas
-ganz alltägliches ist der Fehler bei <em class="gesperrt">weder – noch</em>: wenn
-<em class="gesperrt">weder</em> der Beklagte <em class="gesperrt">noch</em> er selbst <em class="gesperrt">sich stellen</em>
-– während doch sonst <em class="gesperrt">weder</em> Tinte <em class="gesperrt">noch</em> Papier gespart
-<em class="gesperrt">werden</em> – da <em class="gesperrt">weder</em> der Vater <em class="gesperrt">noch</em> die Mutter
-des Jungen mit uns das geringste zu tun <em class="gesperrt">haben</em> – <em class="gesperrt">weder</em>
-die Gräfin <em class="gesperrt">noch</em> ihr Bruder <em class="gesperrt">verfügen</em> über ein größeres
-Vermögen – <em class="gesperrt">weder</em> Boccaccio <em class="gesperrt">noch</em> Lafontaine <em class="gesperrt">haben</em>
-solche Abweichungen geduldet – <em class="gesperrt">weder</em> Preußen <em class="gesperrt">noch</em> das
-junge Reich <em class="gesperrt">waren</em> stark genug, das Zentrum zu überwinden.
-Am häufigsten wird der Fehler bei <em class="gesperrt">wie</em>, <em class="gesperrt">sowie</em> und den
-verwandten Verbindungen begangen: die vornehme Salondame <em class="gesperrt">wie</em>
-die schlichte Hausfrau <em class="gesperrt">stellen</em> an Dienstboten oft unerhörte
-Anforderungen – der Verfasser zeigt, wie sich von da an das Heer
-<em class="gesperrt">wie</em> das Reich immer mehr <em class="gesperrt">barbarisierten</em> – da der
-Rationalismus den Grundzug dieser Religion bildet, so ist es klar,
-daß ihr der Gebildete <em class="gesperrt">wie</em> der Ungebildete in gleicher Weise
-<em class="gesperrt">anhängen</em> – die Ausbildung der städtischen Verfassung <em class="gesperrt">wie</em>
-die Entwicklung der Fürstentümer <em class="gesperrt">zwangen</em> zur Vermehrung der
-Beamten – der höchste Gerichtshof <em class="gesperrt">sowie</em> der Rechnungshof des
-Reichs <em class="gesperrt">befinden</em> sich nicht in der Reichshauptstadt – Frankreich
-<em class="gesperrt">sowohl wie</em> Deutschland <em class="gesperrt">entwickeln sich</em> sozialistisch
-– Custine <em class="gesperrt">sowohl wie</em> die französische Regierung <em class="gesperrt">waren</em>
-hinlänglich davon unterrichtet – <em class="gesperrt">sowohl</em> der romantische
-<em class="gesperrt">als</em> der realistische Meister <em class="gesperrt">hatten</em> der Entwicklung eine
-breite Bahn geöffnet – <em class="gesperrt">sowohl</em> der Wortschatz <em class="gesperrt">als auch</em>
-die Formenlehre <em class="gesperrt">haben</em> im Verlaufe von hundert Jahren merkliche
-Veränderungen<span class="pagenum" id="Seite_100">[S. 100]</span> erfahren – die freundlichen Worte, die <em class="gesperrt">sowohl</em>
-der Vizepräsident an mich <em class="gesperrt">als auch</em> der Herr Ministerpräsident
-an die Direktoren gerichtet <em class="gesperrt">haben</em>. In allen diesen Sätzen kann
-gar kein Zweifel sein, daß nur von einem Singular etwas ausgesagt wird.
-Dieser Singular wird einem andern Singular gleichgestellt, von dem
-dieselbe Aussage gilt. Aber dadurch wird doch aus den beiden Singularen
-noch kein Plural. Wer das Prädikat in den Plural setzen will, muß eben
-die Subjekte durch <em class="gesperrt">und</em> verbinden, nicht durch <em class="gesperrt">wie</em>.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Das_Passivum_Es_wurde_sich">Das Passivum. Es wurde sich</h3>
-
-</div>
-
-<p>Beim Gebrauche der Zeitwörter kommen in Betracht die Genera (Aktivum
-und Passivum), die Tempora und die Modi. Im Gebrauche der Genera
-können kaum Fehler vorkommen. Zu warnen ist nur vor der unter
-Juristen und Zeitungschreibern weit verbreiteten Gewohnheit, alles
-passivisch auszudrücken, z.&#160;B.: namentlich muß <em class="gesperrt">von dem</em> obersten
-<em class="gesperrt">Leiter</em> der Politik dieser Zustand als eine Erschwerung seines
-Amtes <em class="gesperrt">empfunden werden</em> (statt: der oberste Leiter muß empfinden)
-– das hat sehr dazu beigetragen, <em class="gesperrt">daß von der Regierung</em> nicht
-an den bisher befolgten sozialpolitischen Grundsätzen <em class="gesperrt">festgehalten
-worden ist</em> (statt: daß die Regierung nicht festgehalten hat) –
-bei einem Pachtverhältnis sollte <em class="gesperrt">von seiten (!) des</em> Verpächters
-nicht bloß auf die Höhe der gebotnen Pachtsumme <em class="gesperrt">gesehen werden</em>,
-sondern auch die Persönlichkeit des Bewerbers <em class="gesperrt">berücksichtigt</em> und
-auf dessen Befähigung Wert <em class="gesperrt">gelegt werden</em> (statt: der Verpächter
-sollte berücksichtigen). Das nächstliegende ist doch immer das Aktivum.</p>
-
-<p>Geschmacklos ist es, ein Passivum von einem reflexiven Zeitwort zu
-bilden: es brach ein Gewitter los, und <em class="gesperrt">es wurde sich</em> in ein Haus
-<em class="gesperrt">geflüchtet</em> – mit dem Beschlusse des Rats <em class="gesperrt">wurde sich</em>
-einverstanden <em class="gesperrt">erklärt</em> – über dieses Thema <em class="gesperrt">ist sich</em>
-in pädagogischen Zeitschriften wiederholt <em class="gesperrt">geäußert worden</em>.
-Dergleichen Sätze kann man höchstens im Scherz bilden. In gutem Deutsch
-müssen sie mit Hilfe des Fürworts <em class="gesperrt">man</em> umschrieben werden.</p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_101">[S. 101]</span></p>
-
-<h3 id="Ist_gebeten_oder_wird_gebeten">Ist gebeten oder wird gebeten?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Zahlreiche Verstöße werden gegen den richtigen Gebrauch der Tempora
-begangen. Ganz undeutsch und nichts als eine gedankenlose Nachäfferei
-des Französischen, noch dazu eines falsch verstandnen Französisch, ist
-es, zu schreiben: die Mitglieder <em class="gesperrt">sind gebeten</em>, pünktlich zu
-erscheinen. In dem Augenblicke, wo jemand eine derartige Aufforderung
-erhält, <em class="gesperrt">ist</em> er noch nicht gebeten, sondern er <em class="gesperrt">wird</em> es
-erst. Man kann wohl sagen: du <em class="gesperrt">bist geladen</em>, d.&#160;h. betrachte dich
-hiermit als geladen. Aber die Mitteilung einer Bitte, einer Einladung
-usw. kann nur durch das Präsens, nicht durch das Perfektum ausgedrückt
-werden.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Missbrauch_des_Imperfekts">Mißbrauch des Imperfekts</h3>
-
-</div>
-
-<p>Ganz widerwärtig und ein trauriges Zeichen der zunehmenden Abstumpfung
-unsers Sprachgefühls ist ein Mißbrauch des Imperfekts, der seit einiger
-Zeit mit großer Schnelligkeit um sich gegriffen hat.</p>
-
-<p>Das Imperfektum ist in gutem Deutsch das Tempus der Erzählung. Was
-heißt erzählen?</p>
-
-<p>Mariandel kommt weinend aus der Kinderstube und klagt: <em class="gesperrt">Wolf hat</em>
-mich <em class="gesperrt">geschlagen</em>! Die Mutter nimmt sie auf den Schoß, beruhigt
-sie und sagt: erzähle mir einmal, wies zugegangen ist. Und nun erzählt
-Mariandel: ich <em class="gesperrt">saß</em> ganz ruhig da und <em class="gesperrt">spielte</em>, da
-<em class="gesperrt">kam</em> der böse Wolf und <em class="gesperrt">zupfte</em> mich am Haar usw. Mit dem
-Perfektum also hat sie die erste Meldung gemacht; auf die Aufforderung
-der Mutter, zu erzählen, springt sie sofort ins Imperfektum über. Da
-sehen wir deutlich den Sinn des Imperfekts. Erzählen heißt aufzählen,
-herzählen. Das Wesentliche einer Erzählung liegt in dem Eingehen in
-Einzelheiten. Weiterhin besteht aber zwischen Imperfekt und Perfekt
-auch ein Unterschied in der Zeitstufe: das Imperfekt berichtet früher
-geschehene Dinge (man kann sich meist ein <em class="gesperrt">damals</em> dazu denken),
-das Perfektum Ereignisse, die sich soeben zugetragen haben, wie der
-Schlag, den Mariandel bekommen hat. Wenn ich eine Menschenmasse auf der
-Straße laufen sehe und frage:<span class="pagenum" id="Seite_102">[S. 102]</span> was gibts denn? so wird mir geantwortet:
-der Blitz <em class="gesperrt">hat eingeschlagen</em>, und am Markt <em class="gesperrt">ist</em> Feuer
-<em class="gesperrt">ausgebrochen</em>; d.&#160;h. das ist soeben geschehen. Wenn ich dagegen
-nach einigen Wochen oder Jahren über den Vorgang berichte, kann ich nur
-sagen: der Blitz <em class="gesperrt">schlug ein</em>, und am Markte <em class="gesperrt">brach</em> Feuer
-<em class="gesperrt">aus</em>. Nur wenn ich etwas, was mir ein andrer erzählt hat, weiter
-erzähle, gebrauche ich das Perfektum; selbst dann, wenn mirs der andre
-im Imperfekt erzählt hat, weil ers selbst erlebt, selbst mit angesehen
-hatte, kann ich es nur im Perfekt weiter erzählen. Wollte ich auch im
-Imperfekt erzählen, so müßte ich auf die Frage gefaßt sein: bist du
-denn dabei gewesen?</p>
-
-<p>Also mit dem Imperfekt wird erzählt, und zwar selbsterlebtes; es
-ist daher das durchgehende Tempus aller Romane, aller Novellen,
-aller Geschichtswerke, denn sowohl der Geschichtschreiber wie der
-Romanschreiber berichtet so, als ob er dabeigewesen wäre und die Dinge
-selbst mit angesehen hätte. Das Perfektum ist dagegen das Tempus der
-bloßen Meldung, der tatsächlichen Mitteilung. Der Unterschied ist so
-handgreiflich, daß man meinen sollte, er könnte gar nicht verwischt
-werden.</p>
-
-<p>Nun sehe man einmal die kurzen Meldungen in unsern Zeitungen an, die
-das Neueste vom Tage bringen, unter den telegraphischen Depeschen,
-unter den Stadtnachrichten usw. – ist es nicht widerwärtig, wie da
-das Imperfekt mißbraucht wird? Da heißt es: Prinz A. <em class="gesperrt">erkrankte</em>
-schwer in Venedig; seine Gemahlin <em class="gesperrt">reiste</em> aus München dahin ab
-– Bahnhofsinspektor S. in R. <em class="gesperrt">erhielt</em> das Ritterkreuz zweiter
-Klasse – in Heidelberg <em class="gesperrt">starb</em> Professor X – Minister Soundso
-<em class="gesperrt">reichte</em> seine Entlassung <em class="gesperrt">ein</em> – in Dingsda <em class="gesperrt">wurde</em>
-die Sparkasse <em class="gesperrt">erbrochen</em> – ein merkwürdiges Buch <em class="gesperrt">erschien</em>
-in Turin. Wann denn? fragte man unwillkürlich, wenn man so etwas liest.
-Du willst mir doch eine Neuigkeit mitteilen und drückst dich aus, als
-ob du etwas erzähltest, was vor dreihundert Jahren geschehen wäre. Ein
-merkwürdiges Buch <em class="gesperrt">erschien</em> in Turin – das klingt doch, als ob
-der Satz aus einer Kirchengeschichte Italiens genommen wäre.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_103">[S. 103]</span></p>
-
-<p>Etwas andres wird es schon, wenn eine Zeitbestimmung der Vergangenheit
-hinzutritt, und wäre es nur ein <em class="gesperrt">gestern</em>; dann kann der Satz den
-Charakter einer bloßen tatsächlichen Mitteilung verlieren und den der
-Erzählung annehmen. Es ist ebenso richtig, zu schreiben: gestern starb
-hier nach längerer Krankheit Professor X, wie: <em class="gesperrt">gestern</em> ist hier
-nach längerer Krankheit Professor X <em class="gesperrt">gestorben</em>. Im zweiten Falle
-melde ich einfach das Ereignis, im ersten Falle erzähle ich. Fehlt aber
-jede Zeitangabe, soll das Ereignis schlechthin gemeldet werden, so ist
-der Gebrauch des Imperfekts ein Mißbrauch.</p>
-
-<p>Der Fehler ist aber nicht auf Zeitungsnachrichten beschränkt geblieben;
-auch unsre Geschäftsleute schreiben schon in ihren Anzeigen und
-Briefen und halten das für eine besondre Feinheit: ich <em class="gesperrt">verlegte</em>
-mein Geschäft von der Petersstraße nach der Schillerstraße – ich
-<em class="gesperrt">eröffnete</em> am Johannisplatz eine zweite Filiale u.&#160;ähnl. Ein
-Schuldirektor schreibt einem Schüler ins Zeugnis: M. <em class="gesperrt">besuchte</em>
-die hiesige Schule und <em class="gesperrt">trat</em> heute aus. Eine Verlagsbuchhandlung
-schreibt in der Ankündigung eines Werkes, dessen Ausgabe bevorsteht:
-wir <em class="gesperrt">scheuten</em> kein Opfer, die Illustrationen so prächtig als
-möglich auszuführen; den Preis <em class="gesperrt">stellten</em> wir so niedrig, daß
-sich unser Unternehmen in den weitesten Kreisen Eingang verschaffen
-kann. Wann denn? fragt man unwillkürlich. Sind diese Sätze Bruchstücke
-aus einer Selbstbiographie von dir? erzählst du mir etwas aus der
-Geschichte deines Geschäfts? über ein Verlagsunternehmen, das du vor
-zwanzig Jahren in die Welt geschickt hast? Oder handelt sichs um ein
-Buch, das soeben fertig geworden ist? Wenn du das letzte meinst, so
-kann es doch nur heißen: wir <em class="gesperrt">haben</em> kein Opfer <em class="gesperrt">gescheut</em>,
-den Preis <em class="gesperrt">haben</em> wir so niedrig <em class="gesperrt">gestellt</em> usw. Eine andre
-Buchhandlung schreibt auf die Titelblätter ihrer Verlagswerke: den
-Buchschmuck <em class="gesperrt">zeichnete</em> Fidus. <em class="gesperrt">Zeichneetee</em>! Wann denn?</p>
-
-<p>Es kommt aber noch eine weitere Verwirrung hinzu. Das Perfekt hat
-auch die Aufgabe, die gegenwärtige Sachlage auszudrücken, die durch
-einen Vorgang oder eine Handlung geschaffen worden ist. Auch in
-dieser<span class="pagenum" id="Seite_104">[S. 104]</span> Bedeutung wird es jetzt unbegreiflicherweise durch das
-Tempus der Erzählung verdrängt. Da heißt es: die soziale Frage ist
-das schwierigste Erbteil, das Kaiser Wilhelm von seinen Vorfahren
-<em class="gesperrt">erhielt</em> (statt: <em class="gesperrt">erhalten hat</em>, denn er hat es doch
-nun!) – auch die vorliegende Arbeit führt nicht zum Ziel, trotz
-der großen Mühe, die der Verfasser auf sie <em class="gesperrt">verwandte</em> (statt:
-<em class="gesperrt">verwendet hat</em>, denn die Arbeit liegt doch vor!) – da die Ehe
-des Herzogs kinderlos <em class="gesperrt">blieb</em> (statt: <em class="gesperrt">geblieben ist</em>) –
-folgt ihm sein Neffe in der Regierung – die letzten Wochen haben dazu
-beigetragen, daß das Vertrauen in immer weitere Kreise <em class="gesperrt">drang</em>
-(statt: <em class="gesperrt">gedrungen ist</em>) – wir beklagen tief, daß sich kein
-Ausweg finden <em class="gesperrt">ließ</em> (statt: <em class="gesperrt">hat finden lassen</em>) – kein
-Wunder, daß aus den Wahlen solche Ergebnisse <em class="gesperrt">hervorgingen</em> usw.
-Der letzte Satz klingt, als wäre er aus irgendeiner geschichtlichen
-Darstellung genommen, als wäre etwa von Wahlen zum ersten deutschen
-Parlament die Rede. Es sollen aber die letzten Reichstagswahlen damit
-gemeint sein, die den gegenwärtigen Reichstag geschaffen haben! Da
-muß es doch heißen: kein Wunder, daß aus den Wahlen solche Ergebnisse
-<em class="gesperrt">hervorgegangen sind</em>, denn diese Ergebnisse bilden doch die
-gegenwärtige Sachlage.</p>
-
-<p>Es kann wohl kaum ein Zweifel darüber sein, woher der Mißbrauch des
-Imperfekts stammt. In Norddeutschland ist er durch Nachäfferei des
-Englischen entstanden und mit dem lebhaftern Betriebe der englischen
-Sprache aufgekommen. Der Engländer sagt: <span class="antiqua">I <em class="gesperrt">saw</em> him this
-morning</span> (ich <em class="gesperrt">habe</em> ihn diesen Morgen <em class="gesperrt">gesehen</em>) –
-<span class="antiqua">I <em class="gesperrt">expected</em> you last Thursday</span> (ich <em class="gesperrt">habe</em> Sie
-vorigen Donnerstag <em class="gesperrt">erwartet</em>) – <span class="antiqua">Yours I <em class="gesperrt">received</em></span>
-(ich <em class="gesperrt">habe</em> Ihr Schreiben <em class="gesperrt">erhalten</em>) – <span class="antiqua">That is the
-finest ship I ever <em class="gesperrt">saw</em></span> (das ist das schönste Schiff, das
-ich je <em class="gesperrt">gesehen habe</em>) – <span class="antiqua">Sheridan’s Plays, now printed
-as he <em class="gesperrt">wrote</em> them</span> (wie er sie <em class="gesperrt">geschrieben hat</em>).
-Wahrscheinlich weniger durch nachlässiges Übersetzen aus englischen
-Zeitungen als durch schlechten englischen Unterricht, bei dem nicht
-genug auf den Unterschied der Sprachen in dem Gebrauche der Tempora
-hingewiesen, sondern gedankenlos wörtlich übersetzt wird, ist der
-Mißbrauch ins Deutsche<span class="pagenum" id="Seite_105">[S. 105]</span> hereingeschleppt worden. In Leipzig kann man
-schon hören, wie ein Geck, der den Tag zuvor aus dem Bade zurückgekehrt
-ist, einem andern Gecken auf der Straße zuruft: <em class="gesperrt">Jä, ich käm gestern
-zurück</em>, wie ein Geck in Gesellschaft sagt: ich <em class="gesperrt">hatte</em> schon
-den Vorzug (ich habe schon die Ehre gehabt). In Süddeutschland aber
-kommt dazu noch eine andre Quelle. Dem bayrisch-österreichischen
-Volksdialekt fehlt das Imperfektum (mit Ausnahme von <em class="gesperrt">ich war</em>)
-gänzlich; er kennt weder ein <em class="gesperrt">hatte</em>, noch ein <em class="gesperrt">ging</em>, noch
-ein <em class="gesperrt">sprach</em>, er braucht in der Erzählung immer das Perfekt
-(<em class="gesperrt">bin ich gewesen</em> – <em class="gesperrt">hab ich gesagt</em>). Daher hat diese Form
-in Süddeutschland und Österreich den Beigeschmack des Vulgären, und
-wenn nun der Halbgebildete Schriftdeutsch sprechen will, so gebraucht
-er überall, auch da, wo es gar nicht hinpaßt, das Imperfektum, weil
-er mit dem Perfekt in den Dialekt zu fallen fürchtet. In großen
-Dresdner Pensionaten, wo englische, norddeutsche und österreichische
-Kinder zusammen sind, soll man den Einfluß beider Quellen gleichzeitig
-beobachten können.</p>
-
-<p>Ein wunderliches Gegenstück zu dem Mißbrauch des Imperfekts verbreitet
-sich in neuern Geschichtsdarstellungen, nämlich die Schrulle, im
-Perfektum zu – erzählen! Nicht bloß vereinzelte Sätze werden so
-geschrieben, wie: der Enkel <em class="gesperrt">hat</em> ihm eine freundliche und
-liebevolle Erinnerung <em class="gesperrt">bewahrt</em> (statt: <em class="gesperrt">bewahrte</em> ihm),
-sondern halbe und ganze Seiten lang wird das Imperfekt aufgegeben und
-durch das Perfektum ersetzt. Geschmackvoll kann man auch das nicht
-nennen.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Worden">Worden</h3>
-
-</div>
-
-<p>Ebenso schlimm wie die beiden eben bezeichneten ist aber nun noch eine
-dritte Verwirrung, die neuerdings aufgekommen ist und in kurzer Zeit
-reißende Fortschritte gemacht hat: die Verwirrung, die sich in dem
-Weglassen des Partizips <em class="gesperrt">worden</em> im passiven Perfektum zeigt. Es
-handelt sich auch hier um eine Vermengung zweier grundverschiedner
-Zeitformen, der beiden, die man in der Grammatik als Perfektum und als
-<span class="antiqua">Perfectum praesens</span> bezeichnet.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_106">[S. 106]</span></p>
-
-<p>Nicht nur in gutem Schriftdeutsch, sondern auch in der gebildeten
-Umgangssprache ist noch bis vor kurzem aufs strengste unterschieden
-worden zwischen zwei Sätzen wie folgenden: auf dem Königsplatze
-<em class="gesperrt">sind</em> junge Linden <em class="gesperrt">angepflanzt worden</em>, und: auf dem
-Königsplatze <em class="gesperrt">sind</em> junge Linden <em class="gesperrt">angepflanzt</em>. Der erste
-Satz meldet den Vorgang oder die Handlung des Anpflanzens – das ist
-das eigentliche und wirkliche Perfektum; der zweite beschreibt den
-durch die Handlung des Anpflanzens geschaffnen gegenwärtigen Zustand
-– das ist das, was die Grammatik <span class="antiqua">Perfectum praesens</span> nennt. Der
-Altarraum <em class="gesperrt">ist</em> mit fünf Gemälden <em class="gesperrt">geschmückt worden</em> –
-das ist eine Mitteilung; der Altarraum <em class="gesperrt">ist</em> mit fünf Gemälden
-<em class="gesperrt">geschmückt</em> – das ist eine Beschreibung. Wenn mir ein Freund
-Lust machen will, mit ihm vierhändig zu spielen, so sagt er: komm, das
-Klavier <em class="gesperrt">ist gestimmt</em>! Dann kann ich ihn wohl fragen: so? wann
-<em class="gesperrt">ist</em> es denn <em class="gesperrt">gestimmt worden</em>? aber nicht: wann <em class="gesperrt">ist</em>
-es denn <em class="gesperrt">gestimmt</em>? denn ich frage nach dem Vorgange. Wenn ein
-Maler sagt: mir <em class="gesperrt">sind</em> für das Bild 6000 Mark <em class="gesperrt">geboten</em>, so
-heißt das: ich kann das Geld jeden Augenblick bekommen, der Bieter
-ist an sein Gebot gebunden. Sagt er aber: mir <em class="gesperrt">sind</em> 6000 Mark
-<em class="gesperrt">geboten worden</em>, so kann der Bieter sein Gebot längst wieder
-zurückgezogen haben.</p>
-
-<p>Handelte sichs um einen besonders feinen Unterschied, der schwer
-nachzufühlen und deshalb leicht zu verwischen wäre, so wäre es ja nicht
-zu verwundern, wenn er mit der Zeit verschwände. Aber der Unterschied
-ist so grob und so sinnfällig, daß ihn der Einfältigste begreifen
-muß. Und doch dringt der Unsinn, eine Handlung, einen Vorgang, ein
-Ereignis als Zustand, als Sachlage hinzustellen, in immer weitere
-Kreise und gilt jetzt offenbar für fein. Selbst ältere Leute, denen
-es früher nicht eingefallen wäre, so zu reden, glauben die Mode
-mitmachen zu müssen und lassen das <em class="gesperrt">worden</em> jetzt weg. Täglich
-kann man Mitteilungen lesen wie: <span class="antiqua">Dr.</span> Sch. <em class="gesperrt">ist</em> zum
-außerordentlichen Professor an der Universität Leipzig <em class="gesperrt">ernannt</em>
-– dem Freiherrn von S. <em class="gesperrt">ist</em> auf sein Gesuch der Abschied
-<em class="gesperrt">bewilligt</em> – in H. <em class="gesperrt">ist</em> eine Eisenbahnstation<span class="pagenum" id="Seite_107">[S. 107]</span> feierlich
-<em class="gesperrt">eröffnet</em> – oder Sätze wie: über den Begriff der Philologie
-<em class="gesperrt">ist</em> viel <em class="gesperrt">herumgestritten</em> – die märkischen Stände
-<em class="gesperrt">sind</em> um ihre Zustimmung offenbar nicht <em class="gesperrt">befragt</em> – so
-ist die Reformation in Preußen als Volkssache <em class="gesperrt">vollzogen</em> – er
-behauptete, daß er in dieser Anstalt wohl <em class="gesperrt">gedrillt</em>, aber nicht
-<em class="gesperrt">erzogen sei</em> – die Methode, in der Niebuhr so erfolgreich die
-römische Geschichte behandelte, <em class="gesperrt">ist</em> von Ranke auf andre Gebiete
-<em class="gesperrt">ausgedehnt</em> – man rühmt sich bei den Nationalliberalen, daß
-über 12000 Stimmen von ihnen <em class="gesperrt">abgegeben seien</em> – es kann nicht
-geleugnet werden, daß an Verhetzung <em class="gesperrt">geleistet ist</em>, was möglich
-war – es ist zu bedauern, daß so viel Fleiß nicht auf eine lohnendere
-Aufgabe <em class="gesperrt">verwendet ist</em> – wie hätte die schöne Sammlung zustande
-kommen können, wenn nicht mit reichen Mitteln dafür <em class="gesperrt">eingetreten
-wäre</em>?</p>
-
-<p>Doppelt unbegreiflich wird der Unsinn, wenn durch Hinzufügung einer
-Zeitangabe noch besonders fühlbar gemacht wird, daß eben der Vorgang
-(manchmal sogar ein wiederholter Vorgang) ausgedrückt werden soll,
-nicht die durch den Vorgang entstandne Sachlage. Aber gerade auch
-diesem Unsinn begegnet man täglich in Zeitungen und neuen Büchern.
-Da heißt es: das Verbot der und der Zeitung <em class="gesperrt">ist heute</em> wieder
-<em class="gesperrt">aufgehoben</em> (<em class="gesperrt">worden</em>! möchte man immer dem Zeitungschreiber
-zurufen) – der österreichische Reichsrat <em class="gesperrt">ist gestern eröffnet</em>
-(<em class="gesperrt">worden</em>!) – der Anfang zu dieser Umgestaltung <em class="gesperrt">ist</em> schon
-<em class="gesperrt">vor längerer Zeit gemacht</em> (<em class="gesperrt">worden</em>!) – diese Frage
-<em class="gesperrt">ist schon einmal aufgeworfen</em> und <em class="gesperrt">damals</em> in verneinendem
-Sinne <em class="gesperrt">beantwortet</em> (<em class="gesperrt">worden</em>!) – <em class="gesperrt">vorige Woche ist</em>
-ein Flügel angekommen und unter großen Feierlichkeiten im Kursaal
-<em class="gesperrt">aufgestellt</em> (<em class="gesperrt">worden</em>!) – <em class="gesperrt">in späterer Zeit sind</em>
-an dieser Tracht die mannigfachsten Veränderungen <em class="gesperrt">vorgenommen</em>
-(<em class="gesperrt">worden</em>!) – <em class="gesperrt">in gotischer Zeit ist</em> das Schiff der Kirche
-äußerlich verlängert und dreiseitig <em class="gesperrt">geschlossen</em> (<em class="gesperrt">worden</em>!)
-– an der Stelle, wo Tells Haus gestanden haben soll, <em class="gesperrt">ist</em> 1522
-eine mit seinen Taten bemalte Kapelle <em class="gesperrt">errichtet</em> (<em class="gesperrt">worden</em>!)
-– <em class="gesperrt">am Tage darauf</em>, am 25. Januar, <em class="gesperrt">sind</em> noch drei
-Statuen <em class="gesperrt">ausgegraben</em> (<em class="gesperrt">worden</em>!) –<span class="pagenum" id="Seite_108">[S. 108]</span> jedenfalls <em class="gesperrt">ist</em>
-der Scherz in Karlsbad <em class="gesperrt">bei irgendeiner Gelegenheit aufs Tapet
-gebracht</em> (<em class="gesperrt">worden</em>!) – in B. <em class="gesperrt">ist dieser Tage</em> ein
-Kunsthändler wegen Betrugs zu sechs Monaten Gefängnis <em class="gesperrt">verurteilt</em>
-(<em class="gesperrt">worden</em>!) – diese Dinge sind offenkundig, denn sie <em class="gesperrt">sind
-hundertmal besprochen</em> (<em class="gesperrt">worden</em>!) – die Wandlungen der
-Mode <em class="gesperrt">sind</em> zu allen Zeiten von Sittenpredigern <em class="gesperrt">bekämpft</em>
-(<em class="gesperrt">worden</em>!) – bis 1880 <em class="gesperrt">ist</em> von dieser Befugnis nicht
-<em class="gesperrt">ein einzigesmal</em> Gebrauch <em class="gesperrt">gemacht</em> (<em class="gesperrt">worden</em>!).</p>
-
-<p>Wo der Unsinn hergekommen ist? Er stammt aus dem Niederdeutschen
-und hat seine schnelle Verbreitung unzweifelhaft auf dem Wege über
-Berlin gefunden. Die Unterscheidung der beiden Perfekta in unsrer
-Sprache ist nämlich verhältnismäßig jung, sie ist erst im fünfzehnten
-Jahrhundert zustande gekommen, und zwar ganz allmählich. Erst um
-die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts fing man an, zu sagen: daß
-ein Knecht <em class="gesperrt">geschlagen ist worden</em> (anfangs immer in dieser
-Wortstellung). Aber schon im sechzehnten Jahrhundert war die willkommne
-Unterscheidung durchgedrungen und unentbehrlich geworden. Nur die
-niederdeutsche Vulgärsprache lehnte sie ab und beharrt – noch heute,
-nach vierhundert Jahren – dabei. Welche Lächerlichkeit nun, diesen
-unvollkommnen Sprachrest, der heute doch lediglich auf der Stufe eines
-Provinzialismus steht, aller Vernunft und aller Logik zum Trotz der
-gebildeten Schriftsprache wieder aufnötigen zu wollen! Der Unterricht
-sollte sich mit aller Macht gegen diesen Rückschritt sträuben.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Wurde_geboren_war_geboren_ist_geboren">Wurde geboren, war geboren, ist
-geboren</h3>
-
-</div>
-
-<p>Eine biographische Darstellung ist natürlich auch eine Erzählung, kann
-sich also in keinem andern Tempus bewegen als im Imperfekt. Aber der
-erste Satz, die Geburtsangabe, wie stehts damit? Soll man schreiben:
-Lessing <em class="gesperrt">war geboren</em>, Lessing <em class="gesperrt">wurde geboren</em> oder Lessing
-<em class="gesperrt">ist geboren</em>? Alle drei Ausdrucksweisen kommen vor. Aber
-merkwürdigerweise am häufigsten die falsche! Er <em class="gesperrt">ist geboren</em> –
-das kann man doch vernünftigerweise nur von dem sagen, der noch lebt.
-Den Lebenden<span class="pagenum" id="Seite_109">[S. 109]</span> fragt man: wann <em class="gesperrt">bist</em> du denn <em class="gesperrt">geboren</em>? Und
-dann antwortet er: <em class="gesperrt">ich bin</em> am 23. Mai 1844 <em class="gesperrt">geboren</em>.
-Von einem, der nicht mehr lebt, kann man wohl am Schlusse seiner
-Lebensbeschreibung sagen: <em class="gesperrt">gestorben ist</em> er am 31. Oktober
-1880. Damit fällt man zwar aus der Form der Erzählung heraus in
-die der bloßen tatsächlichen Mitteilung; aber die ist dort ganz am
-Platze, denn sie drückt die gegenwärtige Sachlage aus. Am Anfang
-einer Lebensbeschreibung aber kann es vernünftigerweise nur heißen:
-er <em class="gesperrt">war</em> oder er <em class="gesperrt">wurde geboren</em>; mit <em class="gesperrt">wurde</em> versetze
-ich mich – was das natürlichste ist – an den Anfang des Lebenslaufs
-meines Helden, mit <em class="gesperrt">war</em> versetze ich mich mitten hinein. In
-wieviel hundert und tausend Fällen aber wird in Zeitungsaufsätzen,
-im Konversationslexikon, in Kunst- und Literaturgeschichten usw.
-die Gedankenlosigkeit begangen, daß man von Verstorbnen zu erzählen
-anfängt, als ob sie lebten! Den Fehler damit verteidigen zu wollen, daß
-man sagte: ein großer Mann lebe eben nach seinem Tode fort, wäre eine
-arge Sophisterei. Das Fortleben ist doch immer nur bildlich gemeint, in
-der Biographie aber handelt sichs um das wirkliche Leben.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Erzaehlung_und_Inhaltsangabe">Erzählung und Inhaltsangabe</h3>
-
-</div>
-
-<p>Wer eine Geschichte erzählt, bedient sich des Imperfekts; alle
-Ereignisse; die vor der Geschichte liegen, die erzählt wird, also zu
-der sogenannten Vorfabel gehören, müssen im Plusquamperfekt mitgeteilt
-werden. Imperfekt und Plusquamperfekt sind die beiden einzigen Tempora,
-die in den erzählenden Abschnitten einer Novelle oder eines Romans
-vorkommen können. Die Vorfabel braucht nicht am Anfang der Novelle zu
-stehen, sie kann mitten in der Novelle nachgetragen, ja selbst auf
-mehrere Stellen der Novelle verteilt werden. Immer aber muß das sofort
-durch den Tempuswechsel kenntlich gemacht werden. Zieht sich nun die
-Vorfabel in die Länge, so wird der Leser bald des Plusquamperfekts
-überdrüssig, und der Erzähler muß dann auch für die Vorfabel in das
-Imperfekt einzulenken suchen. Das geschickt und fein und<span class="pagenum" id="Seite_110">[S. 110]</span> an der
-richtigen Stelle zu machen ist eine Aufgabe, an der viele Erzähler
-scheitern.</p>
-
-<p>Noch schwieriger freilich scheint eine andre Aufgabe zu sein: wenn
-Rezensenten den Inhalt eines Romans, eines erzählenden Gedichts, eines
-Dramas angeben, so zeigen sie nicht selten eine klägliche Hilflosigkeit
-in der Anwendung der Tempora. Man kann Inhaltsangaben lesen, deren
-Darstellung zwischen Präsens und Imperfekt, Perfekt und Plusquamperfekt
-nur immer so hin und her taumelt. Und doch ist auch diese Aufgabe
-eigentlich nicht schwieriger als die andre. Ein Buch, das besprochen
-wird, liegt vor. Da hat kein andres Tempus etwas zu suchen als das
-Präsens und das Perfektum, das Präsens für die Geschichte selbst, das
-Perfektum für die Vorgeschichte. Wer den Inhalt wissen will, fragt
-nicht: wie <em class="gesperrt">war</em> denn die Geschichte? sondern: wie <em class="gesperrt">ist</em>
-denn die Geschichte? Und anders kann auch der nicht antworten, der den
-Inhalt des Buches angibt; er kann nur sagen: die Geschichte <em class="gesperrt">ist
-so</em>, und nun fängt er im Präsens an: Auf einem Gut in der Nähe
-von Danzig <em class="gesperrt">lebt</em> ein alter Rittmeister; er <em class="gesperrt">hat</em> früher
-eine zahlreiche Familie <em class="gesperrt">gehabt</em>, <em class="gesperrt">steht</em> aber jetzt allein
-da usw. Auch wer in der Unterhaltung den Inhalt eines Schauspiels
-angibt, das er am Abend zuvor im Theater gesehen hat, bedient sich
-keines andern Tempus und kann sich keines andern bedienen. Nur manche
-Zeitungschreiber scheinen das nicht begreifen zu können.<a id="FNAnker_60" href="#Fussnote_60" class="fnanchor">[60]</a></p>
-
-<p>Nicht ganz leicht dagegen ist es wieder, in der Erzählung das
-sogenannte <span class="antiqua">Praesens historicum</span>, das Präsens der lebhaften,
-anschaulichen Schilderung richtig anzuwenden. Genau an der richtigen
-Stelle in dieses Präsens einzufallen, genau an der richtigen Stelle
-sich wieder ins Imperfekt zurückzuziehen, das glückt nur wenigen. Die
-meisten fangen es recht täppisch an.</p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_111">[S. 111]</span></p>
-
-<h3 id="Tempusverirrung_beim_Infinitiv">Tempusverirrung beim Infinitiv</h3>
-
-</div>
-
-<p>Wenn jemand anstatt: da <em class="gesperrt">muß</em> ich mich <em class="gesperrt">geirrt haben</em> –
-sagen wollte: da <em class="gesperrt">mußte</em> ich mich <em class="gesperrt">irren</em> oder: <em class="gesperrt">da
-habe</em> ich mich <em class="gesperrt">irren müssen</em>, so würde man ihn wohl sehr
-verdutzt ansehen, denn eine solche Tempusverschiebung aus dem
-Infinitiv in das regierende Verbum ließe auf eine nicht ganz normale
-Geistesverfassung schließen. Der Fehler wird aber gar nicht selten
-gemacht, nur daß er nicht immer so verblüffend hervortritt, z.&#160;B.:
-ich glaube bewiesen zu haben, daß die Verfügung des Oberpräsidenten
-an dem Anschwellen der Bewegung nicht schuld <em class="gesperrt">sein konnte</em>
-(anstatt: nicht schuld <em class="gesperrt">gewesen sein kann</em>). Nicht besser, eher
-noch schlimmer ist es, die Vergangenheit doppelt zu setzen, z.&#160;B.:
-später <em class="gesperrt">mochten</em> wohl die Arbeiten für den Kurfürsten dem
-Künstler nicht mehr die Muße <em class="gesperrt">gelassen haben</em>. Wenn ein Vorgang
-aus der Vergangenheit nicht als wirklich, sondern mit Hilfe von
-<em class="gesperrt">scheinen</em>, <em class="gesperrt">mögen</em>, <em class="gesperrt">können</em>, <em class="gesperrt">müssen</em> nur als
-möglich oder wahrscheinlich hingestellt werden soll, so gehört die
-Vergangenheit natürlich nicht in die Form der Aussage, denn die Aussage
-geschieht ja in der Gegenwart, sondern sie gehört in den Infinitiv. Es
-muß also heißen: <em class="gesperrt">mögen nicht gelassen haben</em>.</p>
-
-<p>Manche möchten es ja nun gern richtig machen, sind sich aber über die
-richtige Form des Infinitivs nicht klar. Wenn z.&#160;B. jemand schreibt:
-Ludwig <em class="gesperrt">scheint</em> sich durch seine Vorliebe für die Musik etwas
-von den Wissenschaften <em class="gesperrt">entfernt zu haben</em> – und sich einbildet,
-damit den Satz: Ludwig <em class="gesperrt">hatte</em> sich von den Wissenschaften
-<em class="gesperrt">entfernt</em> – in das Gebiet der Wahrscheinlichkeit gerückt zu
-haben, so irrt er sich. Die Tempora des Indikativs und des Infinitivs
-entsprechen einander in folgender Weise:</p>
-
-<div class="blockquot">
-
-<p>L. <em class="gesperrt">entfernt</em> sich – scheint sich zu <em class="gesperrt">entfernen</em>.</p>
-
-<p>L. <em class="gesperrt">entfernte</em> sich – scheint sich <em class="gesperrt">entfernt zu haben</em>
-(nämlich damals).</p>
-
-<p>L. <em class="gesperrt">hat</em> sich <em class="gesperrt">entfernt</em> – scheint sich <em class="gesperrt">entfernt zu
-haben</em> (nämlich jetzt).</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_112">[S. 112]</span></p>
-
-<p>L. <em class="gesperrt">hatte</em> sich <em class="gesperrt">entfernt</em> – scheint sich <em class="gesperrt">entfernt
-gehabt zu haben</em>.</p>
-
-<p>L. <em class="gesperrt">wird</em> sich <em class="gesperrt">entfernen</em> – scheint sich <em class="gesperrt">entfernen zu
-wollen</em>.</p>
-</div>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Relativsaetze_Welcher_welche_welches">Relativsätze. Welcher, welche,
-welches</h3>
-
-</div>
-
-<p>Unter den Nebensätzen ist keine Art, in der so viel und so
-mannigfaltige Fehler gemacht würden wie in den Relativsätzen. Freilich
-sind sie auch die am häufigsten verwendete Art.</p>
-
-<p>Ein Hauptübel unsrer ganzen Relativsatzbildung liegt zunächst
-nicht im Satzbau, sondern in der Verwendung des langweiligen
-Relativpronomens <em class="gesperrt">welcher</em>, <em class="gesperrt">welche</em>, <em class="gesperrt">welches</em>. Das
-Relativpronomen <em class="gesperrt">welcher</em> gehört, wie so vieles andre, fast
-ausschließlich der Papiersprache an, und da sein Umfang und seine
-Schwere in gar keinem Verhältnis zu seiner Aufgabe und Leistung
-stehen, so trägt es ganz besonders zu der breiten, schleppenden
-Ausdrucksweise unsrer Schriftsprache bei. In der ältern Sprache
-war <em class="gesperrt">welcher</em> (<span class="antiqua">swelher</span>) durchaus nicht allgemeines
-Relativpronomen, sondern nur indefinites Relativ, es bedeutete:
-<em class="gesperrt">wer nur irgend</em> (<span class="antiqua">quisquis</span>), <em class="gesperrt">jeder, der</em>, noch bei
-Luther: <em class="gesperrt">welchen</em> der Herr lieb hat, den züchtiget er. Erst
-seit dem fünfzehnten Jahrhundert ist es allmählich zum gemeinen
-Relativum herabgesunken. Aber nur in der Schreibsprache, die sich
-so gern breit und wichtig ausdrückt, zuerst in Übersetzungen
-aus dem Lateinischen; der lebendigen Sprache ist es immer fremd
-geblieben und ist es bis auf den heutigen Tag fremd. Niemand spricht
-<em class="gesperrt">welcher</em>, es wird immer nur geschrieben! Man beobachte sich
-selbst, man beobachte andre, stundenlang, tagelang, man wird das
-vollständig bestätigt finden. Es ist ganz undenkbar, daß sich
-in freier, lebendiger Rede, wie sie der Augenblick schafft, das
-Relativum <em class="gesperrt">welcher</em> einstellte; jedermann sagt immer und überall:
-<em class="gesperrt">der</em>, <em class="gesperrt">die</em>, <em class="gesperrt">das</em>. Es ist undenkbar, daß jemand bei
-Tische sagte: die Sorte, <em class="gesperrt">welche</em> wir vorhin getrunken haben,
-oder: wir gehen wieder in die Sommerfrische, <em class="gesperrt">in welcher</em> wir<span class="pagenum" id="Seite_113">[S. 113]</span>
-voriges Jahr gewesen sind.<a id="FNAnker_61" href="#Fussnote_61" class="fnanchor">[61]</a> In stenographischen Berichten über
-öffentliche Versammlungen und Verhandlungen findet man allerdings
-oft Relativsätze mit <em class="gesperrt">welcher</em>, aber darauf ist nicht viel zu
-geben, diese Berichte werden redigiert, und wer weiß, wie viele
-<em class="gesperrt">der</em> dabei erst nachträglich in <em class="gesperrt">welcher</em> verwandelt
-werden, weil mans nun einmal so für schriftgemäß hält! Und dann:
-Leute, die viel öffentlich reden, sprechen nicht, wie andre Menschen
-sprechen, sie sprechen auch, wenn sie am Rednerpulte stehen, anders
-als in der Unterhaltung, sie sprechen nicht bloß für die Zeitung, sie
-sprechen geradezu Zeitung; alte Gewohnheitsredner, die Tag für Tag
-denselben Schalenkorb ausschütten und es gar nicht mehr für der Mühe
-wert halten, sich auf eine „Ansprache“ vorzubereiten, suchen auch
-mit ihrem <em class="gesperrt">welcher</em> Zeit zu gewinnen, wie andre mit ihrem äh
-– äh. Wenn aber ein junger Pfarrer auf der Kanzel Relativsätze mit
-<em class="gesperrt">welcher</em> anfängt, so kann man sicher sein, daß er die Predigt
-aufgeschrieben und wörtlich auswendig gelernt hat; wenn ein Festredner
-aller Augenblicke <em class="gesperrt">welcher</em> sagt, so kann man sicher sein, daß
-das Manuskript seiner Festrede schon in der Redaktion des Tageblatts
-ist. Wer den Ausdruck im Augenblicke schafft, sagt <em class="gesperrt">der</em>, nicht
-<em class="gesperrt">welcher</em>. Darum ist auch <em class="gesperrt">welcher</em> in der Dichtersprache
-ganz unmöglich. In Stellen, wie bei Goethe (in den Venezianischen
-Epigrammen): <em class="gesperrt">welche</em> verstohlen freundlich mir streifet den Arm
-– oder bei Schiller (in Shakespeares Schatten): das große gigantische
-Schicksal, <em class="gesperrt">welches</em> den Menschen erhebt, wenn es den Menschen
-zermalmt – oder bei Hölty: wunderseliger Mann, <em class="gesperrt">welcher</em> der
-Stadt entfloh – oder bei Schikaneder: bei Männern, <em class="gesperrt">welche</em>
-Liebe<span class="pagenum" id="Seite_114">[S. 114]</span> fühlen – oder bei Tiedge (in der Urania): mir auch war ein
-Leben aufgegangen, <em class="gesperrt">welches</em> reichbekränzte Tage bot – oder bei
-Uhland: ihr habt gehört die Kunde vom Fräulein, <em class="gesperrt">welches</em> tief
-usw., ist es nichts als ein langweiliges Versfüllsel, eine Strohblume
-in einem Rosenstrauß. Darum wird es <em class="gesperrt">ja</em> auch mit Vorliebe in der
-Biedermeierpoesie verwendet und wirkt dort so unnachahmlich komisch:
-zu beneiden sind die Knaben, <em class="gesperrt">welche</em> einen Onkel haben, oder:
-wie z.&#160;B. hier von diesen, <em class="gesperrt">welche</em> Max und Moritz hießen. Aber
-auch in der dichterischen Prosa, was gäbe man da manchmal drum, wenn
-man das <em class="gesperrt">welcher</em> hinauswerfen könnte, wie bei Gottfried Keller
-in Romeo und Julia auf dem Dorfe: sie horchten ein Weilchen auf diese
-eingebildeten oder wirklichen Töne, <em class="gesperrt">welche</em> von der großen Stille
-herrührten, oder <em class="gesperrt">welche</em> sie mit den magischen Wirkungen des
-Mondlichtes verwechselten, <em class="gesperrt">welches</em> nah und fern über die grauen
-Herbstnebel wallte, <em class="gesperrt">welche</em> tief auf den Gründen lagen!</p>
-
-<p>Leider lernt man in der Schule als Relativpronomen kaum etwas
-andres kennen als <em class="gesperrt">welcher</em>. Man schlage eine Grammatik auf,
-<em class="gesperrt">welche</em> (hier ist es am Platze! denn hier heißt es: <em class="gesperrt">welche
-auch immer</em>) man will, eine lateinische, eine griechische, eine
-französische, eine englische: wie ist das Relativpronomen ins Deutsche
-übersetzt? <em class="gesperrt">Welcher</em>, <em class="gesperrt">welche</em>, <em class="gesperrt">welches!</em> Allenfalls
-steht <em class="gesperrt">der</em>, <em class="gesperrt">die</em>, <em class="gesperrt">das</em> in Klammern dahinter, als
-ob das gelegentlich einmal als Ersatz dafür geduldet werden könnte!
-Und sieht man in die Beispielsätze, die zur Übung in die fremde
-Sprache übersetzt werden sollen, wie fangen die Relativsätze an?
-Mit <em class="gesperrt">welcher</em>, <em class="gesperrt">welche</em>, <em class="gesperrt">welches</em>. Nur ja nicht mit
-<em class="gesperrt">der</em>! der Schüler könnte ja einmal irre werden! Daß die lebendige
-Sprache eine einzige große Widerlegung dieses Unsinns ist, sieht gar
-niemand. Kein Wunder, daß den meisten später das langweilige Wort
-in die Feder läuft, sowie sie die Feder in die Hand nehmen. Gerade
-umgekehrt müßte es sein. In allen Grammatiken müßte <em class="gesperrt">der</em>,
-<em class="gesperrt">die</em>, <em class="gesperrt">das</em> als Relativpronomen stehn, dahinter in Klammern
-<em class="gesperrt">welcher</em>, <em class="gesperrt">welche</em>, <em class="gesperrt">welches</em>, denn das ist doch das
-traurige Surrogat. Man benutze<span class="pagenum" id="Seite_115">[S. 115]</span> in Gottes Namen <em class="gesperrt">welcher</em> im
-Unterricht ein paar Wochen lang als Verständniskrücke; aber sobald der
-Junge den Begriff des Relativs gefaßt hat, müßte die Krücke unbedingt
-weggeworfen und er wieder auf seine eignen Beine gestellt werden. Wer
-einmal auf dieses Verhältnis zwischen <em class="gesperrt">der</em> und <em class="gesperrt">welcher</em>
-aufmerksam geworden oder aufmerksam gemacht worden ist, den verfolgt
-<em class="gesperrt">welcher</em> förmlich beim Lesen, er sieht es immer gleichsam
-gesperrt oder fett gedruckt, und in wenigen Tagen ist es ihm ganz
-unerträglich geworden: wenn ers schreiben wollte, käme er sich entweder
-ganz schulknabenhaft vor, oder er sähe sich sitzen wie einen alten,
-verschleimten Aktuarius mit Vatermördern, Hornbrille und Gänsekiel.
-Bisweilen will ihm wohl noch einmal ein <em class="gesperrt">wel</em>– aus der Feder
-laufen! aber weiter kommt er nicht, dann streicht ers ohne Gnade durch
-und setzt <em class="gesperrt">der</em> darüber.<a id="FNAnker_62" href="#Fussnote_62" class="fnanchor">[62]</a></p>
-
-<p>Aber gibt es denn nicht Fälle, wo man <em class="gesperrt">welcher</em> gar nicht umgehen
-kann, wo man es ganz notwendig braucht, um einen häßlichen Gleichklang
-zu vermeiden? Wenn nun unmittelbar auf <em class="gesperrt">der</em> (<span class="antiqua">qui</span> oder
-<span class="antiqua">cui</span>) der Artikel <em class="gesperrt">der</em> folgt, unmittelbar auf <em class="gesperrt">die</em>
-(<span class="antiqua">quae</span> oder <span class="antiqua">quam</span> oder <span class="antiqua">quos</span> oder <span class="antiqua">quas</span>) der
-Artikel <em class="gesperrt">die</em>? Nikolaus, <em class="gesperrt">der der</em> Vater des Andreas gewesen
-war – eine Verwandlung, bei <em class="gesperrt">der der</em> große Vorhang nicht fällt
-– die Prozessionsstraße, auf <em class="gesperrt">der der</em> Papst zum Lateran zog –
-auf der Wiese, durch <em class="gesperrt">die die</em> Straße führt – die Bildwerke,
-<em class="gesperrt">die die</em> hehre Göttin verherrlichen – das Tau, <em class="gesperrt">das das</em>
-Fahrzeug am Ufer hielt – das sind doch ganz unerträgliche Sätze, nicht
-wahr? Mancher Schulmeister behauptets. Es gehört das in das berühmte
-Kapitel von den angeblich unschönen Wiederholungen, vor denen der
-Unterricht zu warnen pflegt. Die Warnung ist aber ganz überflüssig,
-sie stammt nur aus der Anschauung<span class="pagenum" id="Seite_116">[S. 116]</span> des Papiermenschen, der die Sprache
-bloß noch schwarz auf weiß, aber nicht mehr mit den Ohren aufzufassen
-vermag. Der Papiermensch sieht das doppelte <em class="gesperrt">der der</em> oder <em class="gesperrt">die
-die</em>, und das flößt ihm Entsetzen ein. Aber lies doch einmal
-solche Sätze laut, lieber Leser, hörst du nichts? Ich denke, es wird
-dir aufdämmern, daß es zwei ganz verschiedne Wörter sind, die hier
-nebeneinander stehen: ein lang und schwer gesprochnes <em class="gesperrt">der</em> (das
-Relativpronomen) und ein kurz und leicht gesprochnes <em class="gesperrt">der</em> (der
-Artikel). Was man hört, ist: <em class="gesperrt">deer dr</em>. Jedermann spricht so,
-und keinem Menschen fällt es ein, daran Anstoß zu nehmen; warum soll
-man nicht so schreiben? Aberglaube, dummer Aberglaube! Und fürchtet
-sich denn jemand vor <em class="gesperrt">daß das</em>? Jeder schreibt unbedenklich: wir
-wissen, <em class="gesperrt">daß das</em> höchste Gut die Gesundheit ist. Ach so, das
-sind wohl zwei verschiedne Wörter? das eine mit ß, das andre mit s?
-Nein, es sind keine verschiednen Wörter. Sie klingen gleich, und sie
-sind gleich; das Fügewort <em class="gesperrt">daß</em> ist ja nur in der Schrift ganz
-willkürlich von dem hinweisenden Fürwort <em class="gesperrt">das</em> unterschieden
-worden.<a id="FNAnker_63" href="#Fussnote_63" class="fnanchor">[63]</a></p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Das_und_was">Das und was</h3>
-
-</div>
-
-<p>Ein häßlicher Fehler ist es, statt des relativen <em class="gesperrt">das</em> zu
-schreiben <em class="gesperrt">was</em>, wenn sich das Relativ auf einen bestimmten
-einzelnen Gegenstand bezieht, z.&#160;B. <em class="gesperrt">das Haus, was</em> – <em class="gesperrt">das
-Buch, was</em> – <em class="gesperrt">das Ziel, was</em>. Nur die niedrige Umgangssprache
-drückt sich so aus; in der guten Schriftsprache wie in der feinern
-Umgangssprache ist <em class="gesperrt">was</em> als Relativ auf ganz bestimmte Fälle
-beschränkt: es wird nur hinter substantivierten Fürwörtern,<span class="pagenum" id="Seite_117">[S. 117]</span>
-Zahlwörtern und Eigenschaftswörtern gebraucht, z.&#160;B. <em class="gesperrt">das, was</em>
-– <em class="gesperrt">dasselbe, was</em> – <em class="gesperrt">etwas, was</em> – <em class="gesperrt">alles, was</em>
-– <em class="gesperrt">vieles, was</em> – <em class="gesperrt">das wenige, was</em> – <em class="gesperrt">das einzige,
-was</em> – <em class="gesperrt">das erste, was</em> – <em class="gesperrt">das letzte, was</em> – <em class="gesperrt">das
-meiste, was</em> – <em class="gesperrt">das Gute, was</em> – <em class="gesperrt">das Beste, was</em>.
-Doch ist auch hier, namentlich bei den substantivierten Adjektiven,
-wohl zu unterscheiden zwischen solchen Fällen, wo es sich um ein
-Allgemeines handelt, und solchen, wo etwas Besondres, Bestimmtes,
-Einzelnes vorschwebt. Fälle der zweiten Art sind z.&#160;B.: <em class="gesperrt">etwas
-Ungeschicktes, das</em> mich in Verlegenheit brachte – <em class="gesperrt">das Bittre,
-das</em> zwischen uns getreten ist – <em class="gesperrt">das Besondre, das</em> dem
-Allgemeinen untergeordnet ist – <em class="gesperrt">das Schiefe und Hinkende, das</em>
-jeder Vergleich hat – <em class="gesperrt">das Moralische, das</em> einem doch nicht
-gleichgiltig sein kann – <em class="gesperrt">das Erlernbare, das</em> sich jederzeit
-in Büchern wieder auffinden läßt – wenn an <em class="gesperrt">das Gute, das</em> ich
-zu tun vermeine, gar zu nah was Schlimmes grenzt (Lessing). Hinter
-dem Superlativ von substantivierten Eigenschaftswörtern ist in den
-meisten Fällen <em class="gesperrt">was</em> das richtige, aber doch nur deshalb, weil
-gewöhnlich ein partitiver Genitiv zu ergänzen ist (<em class="gesperrt">von dem, von
-allem</em>), der das <em class="gesperrt">was</em> verlangen würde. Wenn ich sage: <em class="gesperrt">das
-Erhabenste, was</em> Beethoven geschaffen hat – so meine ich nicht das
-Erhabenste überhaupt, sondern eben das Erhabenste <em class="gesperrt">von dem</em> oder
-<em class="gesperrt">von allem, was</em> Beethoven geschaffen hat. Der Superlativ für
-sich allein bezeichnet hier noch gar nichts, der Relativsatz ist die
-notwendige Ergänzung dazu. Wenn ich dagegen sage: <em class="gesperrt">das Erhabenste,
-das</em> wir Gott nennen, so ist gar nichts zu ergänzen, der Relativsatz
-kann auch fehlen, es ist das Erhabenste schlechthin gemeint. Beispiele
-der ersten Art sind: <em class="gesperrt">das Höchste, was</em> wir erreichen können –
-<em class="gesperrt">das Schlimmste, was</em> einem Staate widerfahren kann – <em class="gesperrt">das
-Ärgste, was</em> Menschen einander antun können – <em class="gesperrt">das Beste, was</em>
-du wissen kannst, darfst du den Buben doch nicht sagen (Faust) –
-er preist <em class="gesperrt">das Höchste, das Beste, was</em> das Herz sich wünscht,
-<em class="gesperrt">was</em> der Sinn begehrt (Schiller). Hier wird denn auch meist
-richtig <em class="gesperrt">was</em> gesetzt. Nach dem Positiv gebrauchen<span class="pagenum" id="Seite_118">[S. 118]</span> aber auch
-gute Schriftsteller blindlings bald <em class="gesperrt">das</em>, bald <em class="gesperrt">was</em>. Sieht
-man sich die Beispiele näher an, so sieht man, daß sie viel öfter das
-Falsche als das Richtige getroffen haben.</p>
-
-<p>Endlich ist <em class="gesperrt">was</em> für <em class="gesperrt">das</em> auch da notwendig, wo sich
-das Relativ auf den Inhalt eines ganzen Satzes bezieht, z.&#160;B. der
-Mensch, <em class="gesperrt">das Tier</em> mit zwei Händen, <em class="gesperrt">das</em> auch lachen kann,
-<em class="gesperrt">was</em> der Affe immer noch nicht fertig bringt. In einem Satze
-wie: es ist kein freundliches Bild, <em class="gesperrt">was</em> der Verfasser vor uns
-aufrollt – wird nicht deutlich, ob sich was auf Bild beziehen soll;
-man kann den Relativsatz auch als Subjektsatz auffassen: <em class="gesperrt">was</em> der
-Verfasser vor uns aufrollt, ist kein freundliches Bild. In diesem Falle
-wäre natürlich <em class="gesperrt">was</em> richtig, im andern müßte es <em class="gesperrt">das</em> heißen.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Wie_wo_worin_womit_wobei">Wie, wo, worin, womit, wobei</h3>
-
-</div>
-
-<p>Daß Präpositionen in Verbindung mit dem Relativpronomen durch die
-hübschen relativen Adverbia <em class="gesperrt">worin</em>, <em class="gesperrt">woraus</em>, <em class="gesperrt">womit</em>,
-<em class="gesperrt">wobei</em>, <em class="gesperrt">woran</em>, <em class="gesperrt">wofür</em> usw. ersetzt werden können
-und in der lebendigen Sprache sehr oft ersetzt werden, wenn sich
-das Relativ auf eine Sache (nicht auf eine Person!) zurückbezieht,
-daran denken beim Schreiben die wenigsten, und wenn sie daran denken,
-so wagen sie nicht, Gebrauch davon zu machen. Am ehesten getrauen
-sie sichs noch da, wo sie auch <em class="gesperrt">was</em> statt <em class="gesperrt">das</em> sagen
-würden. Aber ein Brief, <em class="gesperrt">worin</em> – eine Fläche, <em class="gesperrt">worauf</em>
-– ein Messer, <em class="gesperrt">womit</em> – ein Mittel, <em class="gesperrt">wodurch</em> – eine
-Regel, <em class="gesperrt">wobei</em> – ein Geschenk, <em class="gesperrt">worüber</em> – eine Gefahr,
-<em class="gesperrt">wovor</em> – (auch: der Grund, <em class="gesperrt">weshalb</em>) – wie wenigen will
-das aus der Feder! Sie halten es womöglich gar für falsch. Irgendein
-Schulmeister, der sich nicht vom Lateinischen hatte losmachen können,
-hat ihnen vielleicht einmal in der Jugend davor bange gemacht, und so
-schreiben sie denn: diese beiden Punkte sind es, <em class="gesperrt">an welchen</em>
-Grimm aufs strengste festgehalten hat – der innige Zusammenhang,
-<em class="gesperrt">in welchem</em> Glaube, Recht und Sitte stehen – das einfache,
-schmucklose Gewand, <em class="gesperrt">mit welchem</em> uns die Natur wie eine Mutter
-umfängt usw.<span class="pagenum" id="Seite_119">[S. 119]</span> Und doch heißt es in dem Bürgerschen Spruch: Die
-schlechtsten Früchte sind es nicht, <em class="gesperrt">woran</em> die Wespen nagen.
-Nun gar das einfache <em class="gesperrt">wo</em>: das Gebäude, <em class="gesperrt">wo</em> – ein Gebiet,
-<em class="gesperrt">wo</em> – in einer Stadt, <em class="gesperrt">wo</em> – in allen Fällen, <em class="gesperrt">wo</em>
-– eine Gelegenheit, <em class="gesperrt">wo</em> – eine Ausgabe, <em class="gesperrt">wo</em> (z.&#160;B. der
-Sopran die Melodie hat), und vollends dieses einfache <em class="gesperrt">wo</em> von
-der Zeit gebraucht: wir gedenken an jene Zeit der Jugend, <em class="gesperrt">wo</em>
-wir zuerst auszogen – die Eltern sind genötigt, über den Bildungsgang
-ihrer Kinder schon zu einer Zeit Bestimmungen zu treffen, <em class="gesperrt">wo</em>
-deren Anlagen noch zu wenig hervorgetreten sind – seit dem 29. März,
-<em class="gesperrt">wo</em> die neue Bewegung begann – seit dem Jahre 1866, <em class="gesperrt">wo</em> er
-sein Amt niedergelegt hatte – wie wenige wagen das zu schreiben, wie
-wenige haben eine Ahnung davon, daß auch das grammatisch ganz richtig
-und hundertmal schöner ist als das ungeschickte: seit dem 29. März,
-<em class="gesperrt">an welchem Tage</em> – seit 1866, in welchem Jahre usw.<a id="FNAnker_64" href="#Fussnote_64" class="fnanchor">[64]</a> Ist es
-nicht kläglich komisch, in einem Manuskript sehen zu müssen, wie der
-Verfasser erst geschrieben hat: die Depesche gelangte <em class="gesperrt">an demselben
-Tage</em> in seine Hände, <em class="gesperrt">als</em> usw., dann das <em class="gesperrt">als</em> wieder
-durchgestrichen und darübergesetzt hat: <em class="gesperrt">an welchem</em>, aber auf
-das gute, einfache, natürliche <em class="gesperrt">wo</em> nicht verfallen ist? Und
-genau so ist es mit <em class="gesperrt">wie</em>. Die Art und Weise, <em class="gesperrt">wie</em> – in
-dem Grade, <em class="gesperrt">wie</em> – in jenem Sinne, <em class="gesperrt">wie</em> – in dem Maße,
-<em class="gesperrt">wie</em> – über die Richtung, <em class="gesperrt">wie</em> – wie wenige getrauen sich
-das zu schreiben! Die alten Innungen waren Produktivgenossenschaften
-in jenem vernünftigen Sinne, <em class="gesperrt">in welchem</em> jeder Staat es ist
-– man war im Zweifel über die Art und Weise, <em class="gesperrt">in welcher</em> die
-soziale Gesetzgebung vorzugehen habe – ein Bier, das in demselben
-Grade ungenießbar wird, <em class="gesperrt">in welchem</em> sich seine Temperatur über
-den Gefrierpunkt erhebt – in dem Maße, <em class="gesperrt">in welchem</em> (<em class="gesperrt">wie</em>!)
-sich die Partei dem Augenblicke nähert, <em class="gesperrt">in welchem</em> (<em class="gesperrt">wo</em>!)
-sie ihr Versprechen erfüllen soll – anders schreibt der Papiermensch
-gar nicht.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_120">[S. 120]</span></p>
-
-<p>Das relative Adverbium <em class="gesperrt">wo</em> bedeutet keineswegs, wie so viele
-glauben, nur den Ort, es bedeutet, wie das ihm entsprechende <em class="gesperrt">da</em>,
-ebensogut auch die Zeit. Merkwürdigerweise hat man noch eher den Mut,
-zu schreiben: die Zeit, <em class="gesperrt">da</em> – als: die Zeit, <em class="gesperrt">wo</em>. Manche
-lieben sogar dieses <em class="gesperrt">da</em>, ziehen also hier das Demonstrativ in der
-relativen Bedeutung vor, während sie doch sonst immer <em class="gesperrt">welcher</em>
-für <em class="gesperrt">der</em> schreiben. Aber <em class="gesperrt">da</em> als Relativ klingt uns heute
-doch etwas veraltet (man denke nur an den Bibelspruch: seid Täter des
-Worts und nicht Hörer allein, <em class="gesperrt">damit</em> ihr euch selbst betrüget),
-es kann auch leicht mit dem kausalen <em class="gesperrt">da</em> verwechselt werden,
-z.&#160;B. mitten in einer trüben Zeit, <em class="gesperrt">da</em> ihn ein Augenleiden
-heimsuchte. Für <em class="gesperrt">in welchem</em> sollte man, wo es irgend angeht,
-schreiben <em class="gesperrt">worin</em>; bei <em class="gesperrt">in dem</em> entsteht der Übelstand, daß
-es mit dem Fügewort <em class="gesperrt">indem</em> verwechselt werden kann: der Aufsatz,
-<em class="gesperrt">in dem</em> ihm vorgeworfen wird, er heuchle Frömmigkeit. Auf dem
-Papier natürlich nicht, aber das Papier geht uns auch nichts an; beim
-Hören kanns verwechselt werden – das ist die Hauptsache!</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Wechsel_zwischen_der_und_welcher">Wechsel zwischen der und welcher</h3>
-
-</div>
-
-<p>Wenn zu einem Worte zwei (oder mehr) Relativsätze zu fügen sind, so
-halten es viele für eine besondre Schönheit, mit dem Relativpronomen
-abzuwechseln. Es ist das der einzige Fall, wo sie einmal mit Bewußtsein
-und Absicht zu dem Relativum <em class="gesperrt">der</em> greifen, während sie sonst,
-wie die Schulknaben, immer <em class="gesperrt">welcher</em> schreiben. Jeden Tag kann
-man Sätze lesen wie: das Allegro und das Scherzo fanden nicht das Maß
-von Beifall, <em class="gesperrt">welches</em> wir erwartet hatten, und <em class="gesperrt">das</em> sie
-verdienen – jedes Grundstück, <em class="gesperrt">welches</em> mindestens zu einem
-Grundsteuerertrage von 200 Mark eingeschätzt ist, und <em class="gesperrt">das</em>
-mindestens einen Taxwert von 1000 Mark hat – lehrreich ist die
-Niederschrift durch die Korrekturen, <em class="gesperrt">welche</em> der Komponist
-selbst darin vorgenommen hat, und <em class="gesperrt">die</em> sich nicht nur im Ändern
-einzelner Noten zeigen – in eine weite Hausflur mündete die Treppe,
-<em class="gesperrt">welche</em> in die obern Stockwerke führte, und <em class="gesperrt">die</em> man
-gern als Wendeltreppe gestaltete – die ehrwürdigen Denkmäler der
-Druckkunst,<span class="pagenum" id="Seite_121">[S. 121]</span> <em class="gesperrt">welche</em> uns der Altmeister selbst hinterlassen
-hat, und <em class="gesperrt">die</em> man mit dem Namen Wiegendrucke bezeichnet – es
-geht nicht an, daß wir Schäden groß wachsen sehen, <em class="gesperrt">die</em> uns als
-schwache Köpfe erscheinen lassen, und auf <em class="gesperrt">welche</em> die Fremden mit
-Fingern weisen – es war ein Klang in seinen Worten, <em class="gesperrt">welcher</em>
-alle Herzen ergriff, und <em class="gesperrt">dem</em> sie gern weiter gelauscht hätten
-– Aufsätze, <em class="gesperrt">welche</em> bereits in verschiednen Zeitschriften
-erschienen sind, und <em class="gesperrt">die</em> durch ihre Beziehungen auf Schwaben
-zusammengehalten werden. Kein Zweifel: in allen diesen Fällen liegt
-ein absichtlicher Wechsel vor; alle, die so schreiben, glauben eine
-besondre Feinheit anzubringen.</p>
-
-<p>Aber das Gegenteil ist der Fall. Abgesehen davon, daß die Wiederholung
-des Relativpronomens bisweilen ganz überflüssig ist, weil das
-Satzgefüge dasselbe bleibt, ist es auch unbegreiflich, wie jemand in
-seinem Sprachgefühl so irre gehen kann. Wenn man an ein Hauptwort
-zwei oder mehr Relativsätze anschließt, so stehn doch diese Sätze als
-Bauglieder innerhalb des Satzgefüges parallel zueinander, etwa so:</p>
-
-<table class="satzgefuege_1 s5">
- <tr>
- <td colspan="2">
- &#160;
- </td>
- <td class="bb" colspan="2">
- <div class="left"><span class="mleft1">Erster Relativsatz&#8195;</span></div>
- </td>
- <tr>
- <td class="bb">
- <div class="center"><span class="mleft1">Hauptsatz&#8195;</span></div>
- </td>
- <td class="bb w1em">
- <img class="illowe1" src="images/slash.png" alt="Schrägstrich">
- </td>
- <td class="bb w3em">
- &#160;
- </td>
- <td>
- &#160;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- &#160;
- </td>
- <td class="w1em">
- <img class="illowe1" src="images/backslash.png" alt="umgekehrter Schrägstrich">
- </td>
- <td class="bb" colspan="2">
- <div class="left"><span class="mleft1">Zweiter Relativsatz&#8195;</span></div>
- </td>
- </tr>
-</table>
-
-<p class="p0">Wie kann man da auf den Gedanken kommen, diese beiden parallelstehenden
-Sätze verschieden anknüpfen zu wollen! Das natürliche ist es doch,
-parallellaufende Sätze auch gleichmäßig anzuknüpfen, ja es ist das
-geradezu notwendig, die Abwechslung stört nur und führt irre. Wenn ich
-erst <em class="gesperrt">der</em> lese und im nächsten Satze <em class="gesperrt">welcher</em>, so suche ich
-unwillkürlich bei dem wechselnden Pronomen auch nach dem wechselnden
-Hauptwort und sehe zu spät, daß ich genarrt bin. Mit der vermeintlichen
-Schönheitsregel ist es also nichts; auch sie ist nur ein Erzeugnis
-der abergläubischen Furcht, kurz hintereinander zweimal dasselbe
-Wort – geschrieben zu sehen. Die vernünftige Regel heißt: Parallele
-Relativsätze müssen mit demselben Relativpronomen beginnen, also
-alle mit <em class="gesperrt">der</em>, <em class="gesperrt">die</em>, <em class="gesperrt">das</em>. Es gibt viele Talente,
-<em class="gesperrt">die</em> vielleicht nie selbständig etwas erfinden werden, <em class="gesperrt">die</em>
-man daher auf der Akademie zwecklos<span class="pagenum" id="Seite_122">[S. 122]</span> mit Kompositionsaufgaben plagt,
-<em class="gesperrt">die</em> aber beweglich genug sind, das in der Kopierschule
-erlernte frei umzubilden – das ist gutes Deutsch. <em class="gesperrt">Welcher</em>,
-<em class="gesperrt">welche</em>, <em class="gesperrt">welches</em> ist auch hier ganz entbehrlich.</p>
-
-<p>Etwas andres ist es, wenn auf einen Relativsatz ein zweiter folgt, der
-sich an ein neues Hauptwort in dem ersten Relativsatz anschließt, etwa
-so:</p>
-
-
-<table class="satzgefuege_2 s5">
- <tr>
- <td class="bb">
- <div class="center"><span class="mleft1">Hauptsatz&#8195;</span></div>
- </td>
- <td class="bb" colspan="2">
- &#160;
- </td>
- <td colspan="4">
- &#160;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- &#160;
- </td>
- <td class="w1em">
- <img class="illowe1" src="images/backslash.png" alt="umgekehrter Schrägstrich">
- </td>
- <td class="bb w2em">
- &#160;
- </td>
- <td class="bb" colspan="3">
- <div class="left"><span class="mleft1">Erster Relativsatz&#8195;</span></div>
- </td>
- <td>
- &#160;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td colspan="3">
- &#160;
- </td>
- <td>
- &#160;
- </td>
- <td class="w1em">
- <img class="illowe1" src="images/backslash.png" alt="umgekehrter Schrägstrich">
- </td>
- <td class="bb w2em">
- &#160;
- </td>
- <td class="bb">
- <div class="left"><span class="mleft1">Zweiter Relativsatz.&#8195;</span></div>
- </td>
-</table>
-
-<p class="p0">Da wechselt die Beziehung, und da hat es etwas für sich, auch das
-Pronomen wechseln zu lassen; die Abwechslung kann da sogar die
-richtige Auffassung erleichtern und beschleunigen, wie in folgenden
-Sätzen: <em class="gesperrt">Klaviere</em>, <em class="gesperrt">die</em> den <em class="gesperrt">Anforderungen</em>
-entsprechen, <em class="gesperrt">welche</em> in Tropengegenden an sie gestellt
-werden – <em class="gesperrt">Gesetze</em>, die bestimmte <em class="gesperrt">Organisationen</em> zum
-Gegenstande haben, <em class="gesperrt">welche</em> nur bei der katholischen Kirche
-vorkommen – die <em class="gesperrt">Bühnen</em>, <em class="gesperrt">die</em> mit einer ständigen Schar
-von <em class="gesperrt">Freunden</em> rechnen können, <em class="gesperrt">welche</em> mit liebevollem
-Interesse ihrer Entwicklung folgen – <em class="gesperrt">Verbesserungen</em>, <em class="gesperrt">die</em>
-der Dichter der <em class="gesperrt">dritten Ausgabe</em> seiner Gedichte zu geben
-beabsichtigte, <em class="gesperrt">welche</em> er leider nicht mehr erlebte – Amerika
-zerfällt in zwei <em class="gesperrt">Hälften</em>, die nur durch eine verhältnismäßig
-schwache <em class="gesperrt">Brücke</em> zusammenhängen, <em class="gesperrt">welche</em> sich nicht zu
-einem Handelsweg eignet – in dem <em class="gesperrt">Pakt</em>, <em class="gesperrt">den</em> Faust mit
-dem <em class="gesperrt">Geiste</em> der Verneinung schließt, <em class="gesperrt">welcher</em> sich als
-der Zwillingsbruder des Todes bekennt – es fehlte bisher an einer
-<em class="gesperrt">Darstellung</em>, <em class="gesperrt">die</em> allen <em class="gesperrt">Anforderungen</em> entsprochen
-hätte, <em class="gesperrt">welche</em> an Kunstblätter von nationaler Bedeutung zu
-stellen sind – es gelang uns, in Beziehung zu den <em class="gesperrt">Stämmen</em> zu
-treten, <em class="gesperrt">die</em> die <em class="gesperrt">Artikel</em> produzieren, <em class="gesperrt">welche</em> unsern
-Kaufleuten zugehen, und <em class="gesperrt">die</em> zugleich ein weites Absatzgebiet für
-unsre Industrie bieten. Dabei empfiehlt sich übrigens (aus rhythmischen
-Gründen, der Steigerung wegen), <em class="gesperrt">der</em> immer an die erste,
-<em class="gesperrt">welcher</em> an die zweite Stelle zu bringen, nicht umgekehrt! Aber
-unbedingt nötig ist der Wechsel auch hier nicht.</p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_123">[S. 123]</span></p>
-
-<h3 id="Welch_letzterer_und_welcher_letztere">Welch letzterer und welcher letztere</h3>
-
-</div>
-
-<p>An einen ganzen Rattenkönig von Sprachdummheiten rührt man mit der
-so beliebten Verbindung: <em class="gesperrt">welcher letztere</em>. Auf die häßliche
-unorganische Bildung <em class="gesperrt">ersterer</em> und <em class="gesperrt">letzterer</em> – eine
-komparativische Weiterbildung eines Superlativs! – soll dabei gar kein
-Gewicht gelegt werden, denn solche Erscheinungen gibt es viele in der
-Sprache und in allen Sprachen, wenn es auch nichts schaden kann, daß
-man sich einmal das Unorganische dieser Formen durch die Vorstellung
-zum Bewußtsein bringt, es wollte jemand der <em class="gesperrt">größtere</em>, der
-<em class="gesperrt">kleinstere</em>, der <em class="gesperrt">bestere</em>, der <em class="gesperrt">schönstere</em> bilden.
-Viel schlimmer ist ihre unlogische Anwendung.</p>
-
-<p>Wenn ein Relativsatz nicht auf ein einzelnes Hauptwort, sondern auf
-eine Reihe von Hauptwörtern, zwei, drei, vier oder mehr folgt, so
-ist es selbstverständlich, daß das Relativ nicht an das letzte Glied
-angeschlossen, sondern nur auf die ganze Reihe bezogen werden kann,
-also nicht so:</p>
-
-<table class="satzgefuege_1 s5">
- <tr>
- <td class="bb">
- <div class="left">&#8195;Erstes Hauptwort</div>
- </td>
- <td colspan="2">
- &#160;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="bb">
- <div class="left">&#8195;Zweites Hauptwort</div>
- </td>
- <td colspan="2">
- &#160;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="bb">
- <div class="left">&#8195;Drittes Hauptwort</div>
- </td>
- <td colspan="2">
- &#160;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- &#160;
- </td>
- <td class="w1em">
- <img class="illowe1" src="images/backslash.png" alt="umgekehrter Schrägstrich">
- </td>
- <td class="bb">
- <div class="left">&#8195;Relativsatz&#8195;</div>
- </td>
- </tr>
-</table>
-
-<p class="p0">sondern so:</p>
-
-<table class="satzgefuege_1 s5">
- <tr>
- <td class="bb">
- <div class="left">&#8195;Erstes Hauptwort</div>
- </td>
- <td colspan="2">
- &#160;
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="bb">
- <div class="left">&#8195;Zweites Hauptwort</div>
- </td>
- <td class="w1em bb">
- <img class="illowe1" src="images/backslash.png" alt="umgekehrter Schrägstrich">
- </td>
- <td class="bb">
- <div class="left">&#8195;Relativsatz&#8195;</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="bb">
- <div class="left">&#8195;Drittes Hauptwort</div>
- </td>
- <td class="w1em">
- <img class="illowe1" src="images/slash.png" alt="Schrägstrich">
- </td>
- <td>
- &#160;
- </td>
- </tr>
-</table>
-
-<p class="p0">Die Hauptwörter werden gleichsam zu einer Gruppe, zu einem Bündel
-zusammengeschnürt, und der Relativsatz muß an dem ganzen Bündel
-hängen. Es kann also nicht heißen: Lessing, Goethe und Schiller,
-<em class="gesperrt">der</em>, sondern nur: Lessing, Goethe und Schiller, <em class="gesperrt">die</em>. Das
-fühlt auch jeder ohne weiteres. Nun möchte man aber doch manchmal,
-nachdem man zwei, drei, vier Dinge aufgezählt hat, gerade über das
-zuletzt genannte noch etwas näheres in einem Relativsatz aussagen.
-Ein bloßes <em class="gesperrt">welcher</em> – das fühlt jeder – ist unmöglich; es
-gehn ja drei voraus! Aber <em class="gesperrt">welcher letztere</em> oder <em class="gesperrt">welch
-letzterer</em> – das rettet! Also: das Bild stellt Johannes den
-Täufer und<span class="pagenum" id="Seite_124">[S. 124]</span> den Christusknaben dar, <em class="gesperrt">welch letzterer</em> von dem
-Täufer in die Welt eingeführt wird – einen Hauptartikel des Landes
-bildeten die Landesprodukte, wie Kobalt, Wein, Leinwand und Tuch,
-<em class="gesperrt">welch letzteres</em> allerdings dem niederländischen nachstand
-– er war Regent der weimarischen, gothaischen und altenburgischen
-Lande, <em class="gesperrt">welche letztern</em> ihm aber erst kurz vor seinem Tode
-zufielen – die Summe des Intellektuellen im Menschen setzt sich
-zusammen aus Geist, Bildung und Kenntnissen, <em class="gesperrt">welchen letztern</em>
-auch die Vorstellungen zugezählt werden dürfen – es gibt von dem
-Bilde schwarze und braune Abdrücke, <em class="gesperrt">welch letztere</em> aber erst
-1784 erschienen sind – den Schluß bildet der Jahresbericht und das
-Mitgliederverzeichnis, <em class="gesperrt">welch letzteres</em> eine große Anzahl neuer
-Namen enthält – der Neger überflügelt zuerst seine Schulkameraden
-weit, besonders in der Mathematik und in den Sprachen, für <em class="gesperrt">welch
-letztere</em> seine Begabung erstaunlich ist.</p>
-
-<p>Dieses <em class="gesperrt">letztere</em> ist ein bequemes, aber sehr häßliches
-Auskunftsmittel; ein guter Schriftsteller wird nie seine Zuflucht dazu
-nehmen. Es läßt sich auch sehr leicht vermeiden, z.&#160;B. indem man das
-letzte Glied für sich stellt: das Bild stellt Johannes den Täufer dar
-und den <em class="gesperrt">Christusknaben</em>, <em class="gesperrt">der</em> usw., oder indem man statt
-des Relativsatzes einen Hauptsatz bildet, worin das letzte Hauptwort
-wiederholt wird.</p>
-
-<p>Noch schlimmer ist es freilich, wenn, wie so oft, <em class="gesperrt">welch
-letzterer</em> selbst da geschrieben wird, wo nur ein einziges (!)
-Substantivum vorhergeht, eine falsche Beziehung also ganz unmöglich
-ist, z.&#160;B.: der Plan ist der Wiener Fachschule nachgebildet, <em class="gesperrt">welch
-letztere</em> ihn schon seit längerer Zeit hat – der Urkunde ist die
-durch den Bischof von Merseburg erteilte Bestätigung beigegeben,
-<em class="gesperrt">welche letztere</em> aber nichts besondres enthält – den
-gesetzlichen Bestimmungen gemäß scheiden vier Mitglieder aus, <em class="gesperrt">welch
-letztere</em> aber wieder wählbar sind – die Menge richtet sich
-nach den Beamten, nicht nach dem <em class="gesperrt">Gesetz, welch letzteres</em> sie
-selten kennt – überall wechseln üppige Wiesengründe mit stattlichen
-Waldungen, <em class="gesperrt">welch letztere</em> namentlich die Bergkuppen und Hänge<span class="pagenum" id="Seite_125">[S. 125]</span>
-bedecken – der König nahm in dem <em class="gesperrt">Wagen</em> Platz, <em class="gesperrt">welch
-letzterer</em> aber schon nach einer Minute vor dem Hotel hielt. Welch
-eine Schwulst! Vier Silben, wo drei Buchstaben genügen!</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Relativsaetze_an_Attributen">Relativsätze an Attributen</h3>
-
-</div>
-
-<p>Sehr vorsichtig muß man damit sein, einen Relativsatz hinter ein
-Hauptwort zu stellen, das ein Attribut mit einem zweiten Hauptworte
-(am häufigsten als abhängigen Genitiv) bei sich hat. Jedes der beiden
-Hauptwörter, das erste so gut wie das zweite, kann einen Relativsatz zu
-sich nehmen; es kommt nur darauf an, welches von beiden den Ton hat.
-Beide zugleich sind nie betont, entweder hat das tragende den Ton, oder
-das getragne, das im Attribut steht. Welches von beiden betont ist,
-ergibt sich gewöhnlich sofort aus dem Zusammenhange. Nur an das betonte
-Hauptwort aber kann sich der Relativsatz anschließen.</p>
-
-<p>Es ist also nichts einzuwenden gegen Verbindungen wie folgende: mit
-zehn Jahren wurde ich in die unterste Klasse <em class="gesperrt">der Kreuzschule</em>
-aufgenommen, <em class="gesperrt">der ich</em> dann acht Jahre lang als Schüler angehörte
-– bezeichnend ist sein Verhältnis <em class="gesperrt">zum Gelde, das</em> er stets
-wie ein armer Mann behandelte. In diesen Fällen ist das Hauptwort
-des Attributs betont, der Relativsatz schließt sich also richtig
-an. Ob man nicht trotzdem solche Verbindungen lieber meiden sollte,
-namentlich dann, wenn die beiden Hauptwörter gleiches Geschlecht haben,
-ist eine Frage für sich. Vorsicht ist auch hier zu empfehlen, ein
-Mißverständnis manchmal nicht ausgeschlossen. Unbedingt falsch dagegen
-ist folgender Satz: auch warne ich vor einer bravourmäßigen Auffassung
-der <em class="gesperrt">zweiten Variation, die</em> dort gar nicht am Platze ist. Es ist
-von den Variationen in einer Beethovenschen Sonate die Rede; die erste
-Variation ist besprochen, nun kommt die zweite an die Reihe. Da ist
-es klar, daß der Relativsatz nur heißen kann: <em class="gesperrt">die</em> eine solche
-(nämlich eine bravourmäßige Behandlung) gar nicht verträgt.</p>
-
-<p>Viel öfter kommt aber nun der umgekehrte Fehler vor: daß ein
-Relativsatz an das zweite Hauptwort angeschlossen<span class="pagenum" id="Seite_126">[S. 126]</span> wird, obwohl
-das erste den Ton hat. In den meisten Fällen – das ist das
-Natürliche in jeder logisch fortschreitenden Darstellung – wird
-das neu Hinzugekommne, das Unterscheidende, also das zu Betonende
-in dem tragenden Hauptworte liegen, nicht in dem Attribut. Wenn
-trotzdem an das Attribut ein Relativsatz gehängt wird, so entstehen
-störende Verbindungen wie folgende: der <em class="gesperrt">Dichter</em> dieses
-Weihnachtsscherzes, <em class="gesperrt">der</em> vortrefflich inszeniert war – der
-<em class="gesperrt">Empfang</em> des Fürsten, <em class="gesperrt">der</em> um sieben Uhr eintraf – der
-<em class="gesperrt">Tod</em> des trefflichen Mannes, <em class="gesperrt">der</em> eine zahlreiche Familie
-hinterläßt – der <em class="gesperrt">Appetit</em> des Kranken, <em class="gesperrt">der</em> allerdings nur
-flüssige Nahrungsmittel zu sich nehmen darf – der <em class="gesperrt">linke</em> Arm des
-Verschwundnen, <em class="gesperrt">der</em> sich vermutlich herumtreibt – Flüchtigkeiten
-erklären sich aus dem <em class="gesperrt">körperlichen Zustande</em> des Verfassers,
-<em class="gesperrt">dem</em> es nicht vergönnt war, die letzte Hand an sein Werk zu
-legen – die folgenden Radierungen tragen schon den <em class="gesperrt">Namen</em> des
-Künstlers, <em class="gesperrt">der</em> inzwischen auch mehrere Bildnisse gemalt hatte
-– um den <em class="gesperrt">neuen Lorbeer</em> unsers Freundes, <em class="gesperrt">der</em> einen so
-tiefen Blick in das Leben getan hat, mit Champagner zu begießen – eine
-<em class="gesperrt">Beschränkung</em> der Korrekturlast, <em class="gesperrt">die</em> wissenschaftlich
-gebildete Männer täglich stundenlang bei mechanischer Arbeit festhält
-– die <em class="gesperrt">Hochzeitstorte</em> der Prinzessin, <em class="gesperrt">die</em> einen
-Untertanen, den Herzog von Fife heiratete – die <em class="gesperrt">Glanznummer</em> der
-Wahrsagerin, <em class="gesperrt">die</em> noch eine ziemlich junge Frau ist – nun wurde
-das <em class="gesperrt">Dach</em> des Schlosses gerichtet, <em class="gesperrt">das</em> man in wenigen
-Jahren zu beziehen hoffte. Bei oberflächlicher Betrachtung wird mancher
-meinen, das Störende in diesen Verbindungen liege nur darin, daß die
-beiden Hauptwörter dasselbe Geschlecht haben, und deshalb eine falsche
-Beziehung des Relativsatzes möglich ist. Das ist aber nicht der Fall:
-es sind auch solche Verbindungen nicht gut wie: <em class="gesperrt">das letzte Werk</em>
-des russischen Erzählers, <em class="gesperrt">der</em> es seiner Freundin Viardot
-in die Feder diktierte – die <em class="gesperrt">lichtvollen Ausführungen</em> des
-Redners, <em class="gesperrt">der</em> durch seinen Eifer für die Sache der evangelischen
-Vereine bekannt ist – weist nicht der <em class="gesperrt">Ursprung</em> des Gewissens,
-<em class="gesperrt">das</em> ein unveräußerliches Erbteil des Menschen ist, auf<span class="pagenum" id="Seite_127">[S. 127]</span> eine
-höhere Macht hin? Für wen der Satzbau etwas mehr ist als ein bloßes
-äußerliches Zusammenleimen, der wird auch solche Verbindungen meiden.</p>
-
-<p>Oft sind solche falsch angeschlossene Relativsätze nicht bloß dynamisch
-anstößig (der Betonung wegen), sondern auch logisch; sie enthalten
-Gedanken, die überhaupt nicht in Relativsätze gehören, beiläufige
-Bemerkungen, zu denen man sich das beliebte „übrigens“ hinzudenken
-soll, oder Parenthesen, die eigentlich in Hauptsätzen stehen
-sollten. Da greifen nun auch hier wieder viele, um Mißverständnissen
-vorzubeugen, zu dem bequemen Auskunftsmittel <em class="gesperrt">welcher letztere</em>
-und schreiben: die übermäßigen <em class="gesperrt">Aufgaben</em> der <em class="gesperrt">Schauspieler</em>,
-<em class="gesperrt">welch letztere</em> an einzelnen Tagen dreimal aufzutreten haben
-– diese ausgezeichnete <em class="gesperrt">Landschaftsstudie</em> aus dem Garten
-der <em class="gesperrt">Villa Medici</em>, <em class="gesperrt">welch letztere</em> der Künstler eine
-Zeit lang bewohnte – er mußte sich mit dem <em class="gesperrt">Anblick</em> des
-<em class="gesperrt">Waschschwamms</em> begnügen, <em class="gesperrt">welch letzterer</em> am Fenster in
-der Sonne trocknete – eine größere Reihe von <em class="gesperrt">Abbildungen</em>
-kirchlicher <em class="gesperrt">Gegenstände</em>, <em class="gesperrt">welch letztere</em> einst im
-Besitz der Michaeliskirche waren – <em class="gesperrt">die Freunde</em> der zum
-Heere einberufnen <em class="gesperrt">Studenten</em>, <em class="gesperrt">welch letztern</em> dieser
-Aufruf nicht zu Gesichte kommt usw. Ein schwächliches Mittel. Eine
-Geschmacklosigkeit soll dazu dienen, einen Fehler zu verbergen!</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Einer_der_schwierigsten">Einer der schwierigsten, der oder die?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Oft wird an einen Genitiv der Mehrzahl, der von dem Zahlwort
-<em class="gesperrt">einer</em>, <em class="gesperrt">eine</em>, <em class="gesperrt">eins</em> abhängt, ein Relativsatz
-angeschlossen, aber gewöhnlich in folgender falschen Weise: ich
-würde das für <em class="gesperrt">einen</em> der härtesten <em class="gesperrt">Unfälle</em> halten,
-<em class="gesperrt">der</em> je das Menschengeschlecht <em class="gesperrt">betroffen hat</em> – Leipzig
-ist <em class="gesperrt">eine</em> der wenigen <em class="gesperrt">Großstädte</em>, in <em class="gesperrt">der</em> eine
-solche Einrichtung noch nicht besteht – das Buch ist <em class="gesperrt">eine</em>
-der schönsten <em class="gesperrt">Kriminalgeschichten</em>, <em class="gesperrt">die</em> je geschrieben
-<em class="gesperrt">worden ist</em> – das Denkmal ist <em class="gesperrt">eins</em> der <em class="gesperrt">schönsten</em>,
-<em class="gesperrt">das</em> bis jetzt ans Tageslicht gebracht <em class="gesperrt">worden ist</em>
-– Klopstock ist <em class="gesperrt">einer</em> der <em class="gesperrt">ersten</em>, <em class="gesperrt">der</em> die
-Nachahmung des Franzosentums <em class="gesperrt">verwirft</em>. In solchen Sätzen ist
-das <em class="gesperrt">einer</em>, <em class="gesperrt">eine</em>, <em class="gesperrt">eins</em> völlig<span class="pagenum" id="Seite_128">[S. 128]</span> tonlos, es ist wie
-ein bloßer Henkel für den abhängigen Genitiv, und dieser Genitiv hat
-den Ton. Es ist aber auch ein logischer Fehler, den Relativsatz an
-<em class="gesperrt">einer</em> anzuschließen; denn der Inhalt des Relativsatzes gilt
-doch nicht bloß von dem einen, aus der Menge herausgehobnen, sondern
-von allen, aus denen das eine herausgehoben wird. Es kann also nur
-heißen: <em class="gesperrt">einer</em> der härtesten <em class="gesperrt">Unfälle</em>, <em class="gesperrt">die</em> je das
-Menschengeschlecht betroffen <em class="gesperrt">haben</em> – <em class="gesperrt">eine</em> der wenigen
-<em class="gesperrt">Großstädte</em>, <em class="gesperrt">in denen</em> (besser <em class="gesperrt">wo</em>) eine solche
-Einrichtung noch nicht besteht usw. Nur scheinbar vermieden wird
-der Fehler, wenn jemand schreibt: er war <em class="gesperrt">ein</em> durch und durch
-<em class="gesperrt">norddeutscher Charakter</em>, <em class="gesperrt">der</em> nur die Pflicht kennt;
-denn hier bezeichnet <em class="gesperrt">ein</em> die ganze Klasse, und <em class="gesperrt">der</em> geht
-auf den Einzelnen. Auch hier muß es heißen: er war <em class="gesperrt">einer</em> jener
-<em class="gesperrt">norddeutschen Charaktere</em>, <em class="gesperrt">die</em> nur die Pflicht kennen.<a id="FNAnker_65" href="#Fussnote_65" class="fnanchor">[65]</a></p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Falsch_fortgesetzte_Relativsaetze">Falsch fortgesetzte Relativsätze</h3>
-
-</div>
-
-<p>Ein gemeiner Fehler, dem man in Relativsätzen unendlich oft begegnet,
-ist der, daß an einen Relativsatz ein zweiter Satz mit <em class="gesperrt">und</em>,
-<em class="gesperrt">aber</em>, <em class="gesperrt">jedoch</em> angeknüpft wird, worin aus dem Relativ
-in das Demonstrativ oder in das Personalpronomen gesprungen oder
-sonstwie schludrig fortgefahren wird, z.&#160;B. eine Schrift, <em class="gesperrt">die</em>
-er auf seine Kosten drucken ließ <em class="gesperrt">und sie</em> umsonst unter seinen
-Anhängern austeilte – Redensarten, <em class="gesperrt">die</em> der Schriftsteller
-vermeidet, <em class="gesperrt">sie jedoch</em> dem Leser beliebig einzuschalten überläßt
-– die vielen Fische, <em class="gesperrt">die</em> er bisweilen selbst füttert <em class="gesperrt">und
-ihnen</em> zuschaut, wenn sie nach den Krumen schnappen – ein Bauer,
-mit <em class="gesperrt">dem</em> ich über Feuerversicherungsgesellschaften sprach
-<em class="gesperrt">und ihm</em> meine Bewundrung dieser trefflichen Einrichtung
-ausdrückte – am Schlusse gab Herr W. Erläuterungen über die Vorzüge
-der Neuklaviatur, <em class="gesperrt">welch letztere</em> (!) übrigens in<span class="pagenum" id="Seite_129">[S. 129]</span> der
-hiesigen Akademie für Tonkunst bereits eingeführt ist <em class="gesperrt">und</em> der
-Unterricht <em class="gesperrt">auf derselben</em> (!) mit bestem Erfolge betrieben
-wird (das richtige Dummejungendeutsch!) – der Künstler, <em class="gesperrt">der</em>
-dem Männergesang zu jener hohen Stelle verhalf und <em class="gesperrt">dieser ihm</em>
-die gewaltige Bedeutung verdankte, die er heute einnimmt (ebenso!)
-– eine übermächtige Verbindung, <em class="gesperrt">welcher</em> der Herzog schnell
-mürbe gemacht wich <em class="gesperrt">und</em> sich zu einer Landesteilung herbeiließ
-– dieser Kranke, <em class="gesperrt">an den</em> ich seit zwanzig Jahren gekettet
-war <em class="gesperrt">und</em> nicht aufatmen durfte – er entwendete verschiedne
-Kleidungsstücke, <em class="gesperrt">die</em> er zu Gelde machte <em class="gesperrt">und</em> sich
-<em class="gesperrt">dann</em> heimlich von hier entfernte – sie erhielt Saalfeld,
-<em class="gesperrt">wo</em> sie 1492 starb <em class="gesperrt">und</em> in <em class="gesperrt">Weimar</em> begraben wurde –
-die <em class="gesperrt">Seuche</em>, <em class="gesperrt">an der</em> zahlreiche Schweine zugrunde gehen
-<em class="gesperrt">und dann</em> noch verwendet werden – es geht das aus dem Testament
-hervor, <em class="gesperrt">das</em> ich abschriftlich beifüge <em class="gesperrt">und</em> von fernern
-Nachforschungen absehen zu können glaube – ein <em class="gesperrt">Augenblick</em>,
-<em class="gesperrt">den</em> der Verhaftete benutzte, um zu entweichen, <em class="gesperrt">und</em> bis
-zur Stunde noch nicht wieder aufgefunden worden ist.</p>
-
-<p>Es ist klar, daß durch <em class="gesperrt">und</em> nur gleichartige Nebensätze verbunden
-werden können. Geht also ein Relativsatz voraus, so muß auch ein
-Relativsatz folgen; die Kraft der relativen Verknüpfung wirkt über das
-<em class="gesperrt">und</em> hinaus fort. In den ersten Beispielen muß es also einfach
-heißen: <em class="gesperrt">und</em> umsonst austeilte –, <em class="gesperrt">jedoch</em> einzuschalten
-überläßt –, in den folgenden: <em class="gesperrt">und denen</em> er zuschaut, <em class="gesperrt">und
-dem</em> ich meine Bewundrung ausdrückte. In den letzten Beispielen ist
-der Anschluß eines zweiten Relativsatzes überhaupt unmöglich, weil der
-Begriff, der im Relativ erscheinen müßte, in dem zweiten Satze gar
-nicht wiederkehrt; es kann höchstens heißen: <em class="gesperrt">worauf</em> er sich
-entfernte – <em class="gesperrt">sodaß</em> ich absehen zu können glaube.</p>
-
-<p>Steht das Pronomen der Relativsätze im Genitiv, so ist es ein beliebter
-Fehler, in dem zweiten Relativsatz, obwohl das Subjekt dasselbe bleibt,
-dieses Subjekt durch ein Relativpronomen zu wiederholen, z.&#160;B.: der
-<em class="gesperrt">Kaiser</em>, <em class="gesperrt">dessen Interesse</em> für alle Zweige der Technik
-bekannt ist, <em class="gesperrt">und das</em> gerade bei der Berliner Ausstellung wieder
-klar zutage tritt – das <em class="gesperrt">Sprachgewissen</em>, <em class="gesperrt">dessen<span class="pagenum" id="Seite_130">[S. 130]</span> Stimme</em>
-sich nicht überhören läßt, die sich vielmehr geltend macht bei allem,
-was wir lesen und schreiben. Ein ebenso beliebtes Gegenstück dazu ist
-es dann, einen zweiten Relativsatz, der dem ersten untergeordnet ist,
-mit <em class="gesperrt">und</em> anzuknüpfen, z.&#160;B.: eine <em class="gesperrt">Ehe</em>, vor <em class="gesperrt">deren</em>
-Sündhaftigkeit sie ein wahres <em class="gesperrt">Grauen</em> hat, <em class="gesperrt">und das</em>
-sie doch allmählich überwinden muß – er war im Frühling geboren,
-<em class="gesperrt">dessen Blumen</em> ihm stets so lieb blieben, <em class="gesperrt">und die</em> er so
-gern im Knopfloch trug – er sollte ihr ein Wort ins Ohr flüstern, von
-<em class="gesperrt">deren Antlitz</em> sein Herz geträumt hatte, <em class="gesperrt">und von dem</em> es
-sich nicht abwenden konnte. In den ersten beiden Sätzen muß das zweite
-Relativpronomen weichen, in den drei letzten das <em class="gesperrt">und</em>; der letzte
-Satz bleibt freilich auch dann noch Unsinn.</p>
-
-<p>Ein abscheulicher Fehler ist es, wenn man zwei Relativsätze
-miteinander verbindet, ohne das Relativum zu wiederholen, obwohl
-das Relativpronomen in dem einen der beiden Sätze Objekt, in dem
-andern Subjekt ist, der eine also mit dem Akkusativ, der andre mit
-dem Nominativ anfängt, z.&#160;B.: ein paar <em class="gesperrt">Kopien</em>, <em class="gesperrt">die ich</em>
-schon <em class="gesperrt">vorfand</em> und mir viel Freude <em class="gesperrt">machen</em> – <em class="gesperrt">die
-Festschrift</em>, <em class="gesperrt">die</em> Georg Bötticher <em class="gesperrt">verfaßt hat</em> und von
-Kleinmichel mit Schildereien <em class="gesperrt">versehen worden ist</em>. – Dieser
-Fehler gehört unter die zahlreichen Sprachdummheiten, die dadurch
-entstehen, daß man ein Wort nicht als etwas lebendiges, sinn- und
-inhaltvolles, sondern bloß als eine Reihe von Buchstaben ansieht,
-also – durch die Papiersprache. Ob diese Buchstabenreihe das einemal
-Akkusativ, das andremal Nominativ ist, ist dem Papiermenschen ganz
-gleichgiltig. Schreibt doch eine Memoirenerzählerin sogar: <em class="gesperrt">Natur</em>
-und <em class="gesperrt">Kunst lernten wir</em> lieben und <em class="gesperrt">wurden</em> in unserm Hause
-gepflegt!</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Relativsatz_statt_eines_Hauptsatzes">Relativsatz statt eines Hauptsatzes</h3>
-
-</div>
-
-<p>Ein schlimmer Fehler endlich, der sehr oft begangen wird, ist
-es, wenn ein Relativsatz gebildet wird, wo gar kein Relativsatz
-hingehört, sondern entweder eine andre Art von Nebensatz oder –
-ein Hauptsatz. Wenn jemand schreibt: Harkort erfreute sich des
-Rufes <em class="gesperrt">eines bewährten Geschäftsmannes</em>, der als Mitbegründer<span class="pagenum" id="Seite_131">[S. 131]</span>
-der Leipzig-Dresdner Eisenbahn rastlose Energie an den Tag gelegt
-hatte – so ist klar, daß der Relativsatz keine Eigenschaft eines
-bewährten Geschäftsmannes angibt, sondern den Grund, weshalb Harkort
-in diesen Ruf kam; es muß also heißen: <em class="gesperrt">da er</em> als Mitbegründer
-usw. Wenn jemand schreibt: das Steigen des Flusses erschwerte <em class="gesperrt">die
-Arbeiten</em>, <em class="gesperrt">die</em> mit größter Anstrengung ausgeführt wurden –
-so ist klar, daß der Relativsatz keine Eigenschaft der Arbeiten angibt,
-sondern eine Folge davon, daß der Fluß steigt; es muß also heißen:
-<em class="gesperrt">sodaß</em> sie nur mit größter Anstrengung usw. Nun vollends: machen
-Sie <em class="gesperrt">einen Versuch</em> mit dem Werke, der Sie voll befriedigen wird
-– kein Mittel vertreibt <em class="gesperrt">den Geruch</em>, der wohl schwächer wird,
-aber immer bemerklich bleibt – das ersehnte Glück fand er in <em class="gesperrt">dieser
-Verbindung</em> nicht, <em class="gesperrt">die</em> nach drei Jahren wieder gelöst
-wurde – wie im Fluge verbreitete sich die Trauerkunde unter <em class="gesperrt">den
-Vereinsmitgliedern</em>, <em class="gesperrt">die</em> dem teuern Genossen vollzählig
-das letzte Geleit gaben – er widmete sich dem juristischen Studium
-ohne <em class="gesperrt">innern Drang</em>, <em class="gesperrt">der</em> ihn zur Literatur und Geschichte
-führte – jedes <em class="gesperrt">Konzert</em>, <em class="gesperrt">das</em> er nie versäumte, war ihm
-ein Hochgenuß – solche Sätze erscheinen wohl äußerlich in der Gestalt
-von Relativsätzen, ihrem Inhalte nach aber sind es Hauptsätze. Es muß
-heißen: kein Mittel vertreibt den Geruch; er wird wohl schwächer,
-bleibt aber immer bemerklich – das ersehnte Glück fand er in dieser
-Verbindung nicht; sie wurde nach drei Jahren wieder gelöst. Noch
-fehlerhafter sind folgende Sätze: die Meister sind das <em class="gesperrt">Ein und
-Alles</em> der Kunst, <em class="gesperrt">die</em> in ihren Werken und sonst nirgends
-niedergelegt und beschlossen ist – oder gar: <em class="gesperrt">das Honorar</em>
-beträgt jährlich 360 <em class="gesperrt">Mark</em>, <em class="gesperrt">welches</em> (!) in drei Terminen
-zu entrichten ist. Hier ist der Relativsatz nicht bloß an das falsche
-Wort angeschlossen, sondern logisch falsch: er muß in einen Hauptsatz
-verwandelt werden.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Nachdem_zumal_trotzdem_obzwar">Nachdem – zumal – trotzdem – obzwar</h3>
-
-</div>
-
-<p>Verhältnismäßig wenig Fehler kommen in den Nebensätzen vor, die
-eine Zeitbestimmung, einen Grund oder ein<span class="pagenum" id="Seite_132">[S. 132]</span> Zugeständnis enthalten
-(Temporalsätze, Kausalsätze, Konzessivsätze). In den Kausalsätzen ist
-vor allem vor einem Mißbrauch des Fügewortes <em class="gesperrt">nachdem</em> zu warnen.
-<em class="gesperrt">Nachdem</em> kann nur Temporalsätze anfangen. Es ist zwar schon
-früh auch auf das kausale Gebiet übertragen worden (wie <em class="gesperrt">weil</em>
-und <em class="gesperrt">da</em>, die ja auch ursprünglich temporal und lokal sind);
-gegenwärtig aber ist das nur noch in Österreich üblich. <em class="gesperrt">Nachdem</em>
-der Kaiser keine weitere Verwendung für seine Dienste <em class="gesperrt">hat</em> –
-<em class="gesperrt">nachdem</em> für die Anschaffung nur unbedeutende Kosten erwachsen –
-<em class="gesperrt">nachdem</em> bei günstigem Wasserstande <em class="gesperrt">sich</em> die Verladungen
-lebhaft <em class="gesperrt">entwickeln werden</em> – solche Sätze erscheinen als
-auffällige Provinzialismen. Falsch ist es aber auch, <em class="gesperrt">nachdem</em> in
-Temporalsätzen mit dem Imperfekt zu verbinden, z.&#160;B. der Grund, warum
-Lasalle, <em class="gesperrt">nachdem</em> seine Lebensarbeit <em class="gesperrt">zerbrach</em>, doch immer
-deutlicher als historische Persönlichkeit hervortritt. <em class="gesperrt">Nachdem</em>
-kann nur mit dem Perfekt oder dem Plusquamperfekt verbunden werden.</p>
-
-<p>Ein andrer Fehler, der jetzt in Kausalsätzen fort und fort begangen
-wird, ist der, hinter <em class="gesperrt">zumal</em> das Fügewort <em class="gesperrt">da</em> wegzulassen,
-als ob <em class="gesperrt">zumal</em> selber das Fügewort wäre, z.&#160;B.: der Zuziehung
-von Fachmännern wird es nicht bedürfen, <em class="gesperrt">zumal</em> in der Literatur
-einschlägige Werke genug vorhanden sind. <em class="gesperrt">Zumal</em> ist kein
-Fügewort, sondern ein Adverb, es bedeutet ungefähr dasselbe wie
-<em class="gesperrt">besonders</em>, <em class="gesperrt">namentlich</em>, <em class="gesperrt">hauptsächlich</em>, hat aber
-noch eine feine Nebenfarbe, insofern es, ähnlich wie <em class="gesperrt">vollends</em>,
-nicht bloß die Hervorhebung aus dem allgemeinen, sondern zugleich
-eine Steigerung ausdrückt; der Inhalt des Hauptsatzes wird, wenn
-sich ein Nebensatz mit <em class="gesperrt">zumal</em> anschließt, beinahe als etwas
-selbstverständliches hingestellt. Soll nun, wie es sehr oft
-geschieht, der in einem Nebensatz ausgedrückte Gedanke in dieser
-Weise hervorgehoben werden, so muß <em class="gesperrt">zumal</em> einfach davortreten,
-sodaß der Nebensatz nun beginnt: <em class="gesperrt">zumal wer</em>, <em class="gesperrt">zumal wo</em>,
-<em class="gesperrt">zumal als</em>, <em class="gesperrt">zumal wenn</em>, <em class="gesperrt">zumal weil</em>, <em class="gesperrt">zumal
-da</em>, je nachdem es ein Relativsatz, ein Temporalsatz, ein
-Bedingungssatz oder ein Kausalsatz ist, z.&#160;B.: das wäre die heilige
-Aufgabe der Kunst, <em class="gesperrt">zumal seit</em> sie bei den Gebildeten zugleich
-die Religion vertreten soll. So wenig<span class="pagenum" id="Seite_133">[S. 133]</span> nun jemand hinter <em class="gesperrt">zumal</em>
-das <em class="gesperrt">wer</em>, <em class="gesperrt">wo</em>, <em class="gesperrt">wann</em> oder <em class="gesperrt">als</em> weglassen wird,
-so wenig hat es eine Berechtigung, das <em class="gesperrt">da</em> oder <em class="gesperrt">weil</em>
-wegzulassen, und es ist eine Nachlässigkeit, zu schreiben: diese
-Maßregel erbitterte die Evangelischen, <em class="gesperrt">zumal</em> sie hörten –
-schließlich ließ sich die Angelegenheit nicht länger aufschieben,
-<em class="gesperrt">zumal</em> sich die Aussicht eröffnete usw. Leider ist diese
-Nachlässigkeit schon so beliebt geworden, daß man bald wird lehren
-müssen: <em class="gesperrt">zumal</em> ist ein Adverb, aber zugleich ist es ein Fügewort,
-das Kausalsätze anfängt.</p>
-
-<p>Ähnlich wie mit <em class="gesperrt">zumal</em> steht es mit <em class="gesperrt">trotzdem</em>; auch das
-möchte man jetzt mit aller Gewalt zum Fügewort pressen. Aber auch
-das hat keine Berechtigung. Auch <em class="gesperrt">trotzdem</em> ist ein Adverb,
-es bedeutet dasselbe wie <em class="gesperrt">dennoch</em>; soll es zur Bildung eines
-Konzessivsatzes dienen, so muß es mit <em class="gesperrt">daß</em> verbunden werden.
-Zu schreiben, wie es jetzt geschieht: <em class="gesperrt">trotzdem</em> Camerarius
-den Aufgeklärten spielte – <em class="gesperrt">trotzdem</em> die Arbeiten im Innern
-des Hauses noch nicht beendigt sind – <em class="gesperrt">trotzdem</em> es an
-Festlichkeiten nicht mangelte – ist ebenfalls eine Nachlässigkeit.
-Wir haben zur Bildung von Konzessivsätzen eine Fülle von Fügewörtern:
-<em class="gesperrt">obgleich</em>, <em class="gesperrt">obwohl</em>, <em class="gesperrt">obschon</em>, <em class="gesperrt">wenngleich</em>,
-<em class="gesperrt">wenn auch</em>. Kennt man die gar nicht mehr, daß man sie jetzt alle
-dem fehlerhaften <em class="gesperrt">trotzdem</em> zuliebe verschmäht? Sie sind wohl zu
-weich, zu geschmeidig, zu verbindlich, nicht wahr? <em class="gesperrt">Trotzdem</em> ist
-gröber, „schneidiger“, trotziger, darum gefällts den Leuten.</p>
-
-<p>Freilich sind alle unsre Fügewörter früher einmal Adverbia gewesen.
-Auch <em class="gesperrt">indem</em>, <em class="gesperrt">seitdem</em>, <em class="gesperrt">nachdem</em>, <em class="gesperrt">solange</em>,
-<em class="gesperrt">sooft</em>, <em class="gesperrt">nun</em> (<em class="gesperrt">nun</em> die schreckliche Seuche glücklich
-erloschen ist) wurden zur Bildung von Nebensätzen anfangs gewöhnlich
-mit einem Fügewort gebraucht (<em class="gesperrt">indem daß</em>, <em class="gesperrt">solange als</em>).
-Aber warum soll man nicht einen Unterschied bewahren, solange das
-Bedürfnis darnach noch von vielen empfunden wird? Wer sorgfältig
-schreiben will, wird sich auch nicht mit <em class="gesperrt">insofern</em> begnügen, wenn
-er <em class="gesperrt">insofern als</em> meint.</p>
-
-<p>Eine österreichische Eigentümlichkeit ist es, Konzessivsätze mit
-<em class="gesperrt">obzwar</em> anzufangen. In der guten Schriftsprache ist das, wie alle
-Austriazismen, unausstehlich.</p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_134">[S. 134]</span></p>
-
-<h3 id="Missbrauch_des_Bedingungssatzes">Mißbrauch des Bedingungssatzes</h3>
-
-</div>
-
-<p>Das temporale Fügewort <em class="gesperrt">während</em>, das zunächst zwei Vorgänge
-als gleichzeitig hinstellt, kommt auf sehr leichte und natürliche
-Weise dazu, zwei Handlungen einander entgegenzusetzen. Den Übergang
-sieht man an einem Satze wie folgendem: <em class="gesperrt">während</em> ihr euerm
-Vergnügen nachgingt, habe ich gearbeitet; das Fügewort kann hier noch
-rein temporal aufgefaßt werden, hat aber schon einen Beigeschmack
-vom Adversativen. Man muß aber in der Anwendung dieser adversativen
-Bedeutung sehr vorsichtig sein, sonst kommt man leicht zu so
-lächerlichen Sätzen wie: <em class="gesperrt">während</em> Herr W. die Phantasie von
-Vieuxtemps für Violine vortrug, blies Herr L. ein Nocturno für Flöte
-von Köhler – der Minister besuchte gestern (!) die Schulen zu
-Marienthal und Leubnitz, <em class="gesperrt">während</em> er heute (!) die Besuche in den
-hiesigen Schulanstalten fortsetzte – König Albert brachte ein Hoch auf
-den Kaiser aus, <em class="gesperrt">während</em> der Kaiser ihm dafür dankte.</p>
-
-<p>Geradezu ein Unfug aber ist es, Bedingungssätze in adversativem Sinne
-zu verwenden. Es scheint das aber jetzt für eine ganz besondre Feinheit
-zu gelten. Man schreibt: <em class="gesperrt">wenn</em> bei vielen niedrigen Völkern die
-Priester als Träger höherer Bildung zu betrachten sind, <em class="gesperrt">so</em>
-ist das bei den Ephenegern nicht der Fall – <em class="gesperrt">wenn</em> Adelung
-die Sprache hauptsächlich als Verständigungsmittel behandelt wissen
-wollte, <em class="gesperrt">so</em> forderte Herder eine individuelle, schöpferische
-Empfindungssprache. Auch vergleichende Nebensätze werden schon,
-anstatt mit <em class="gesperrt">wie</em>, mit <em class="gesperrt">wenn</em> gebildet: <em class="gesperrt">wenn</em> Indien
-die Geschichte der Philosophie <span class="antiqua">in nuce</span> enthält, <em class="gesperrt">so</em> ist
-es an Materialien für die Geschichte der Religion gewiß reicher als
-ein andres Land – <em class="gesperrt">wenn</em> bei uns vielfach über den Niedergang
-des politischen Lebens geklagt wird, <em class="gesperrt">so</em> ist auch in Amerika,
-wo das politische Leben schon bisher nicht sehr hoch stand, ein
-solcher Niedergang bemerkbar – <em class="gesperrt">wenn</em> der Verein schon immer
-bestrebt war, die reichen Kunstschätze Freibergs zu heben, <em class="gesperrt">so</em>
-ist das in besonderm Maße in dem vorliegenden Hefte gelungen –
-<em class="gesperrt">war</em> das Handpressenverfahren<span class="pagenum" id="Seite_135">[S. 135]</span> ungeeignet, <em class="gesperrt">so</em> konnte das
-Typendruckverfahren hinsichtlich der Güte nicht genügen – <em class="gesperrt">war</em>
-das Haus damals recht unbehaglich, <em class="gesperrt">so</em> machten sich auch nach
-dem Umbau Übelstände bemerklich. Ebenso Kausalsätze: <em class="gesperrt">wenn</em> die
-Macht der Sozialdemokratie in der Organisation liegt, <em class="gesperrt">so</em> müssen
-wir uns eben auch organisieren. Ebenso Konzessivsätze: <em class="gesperrt">wenn</em>
-die gestellte Aufgabe sich <em class="gesperrt">zwar</em> (aha!) zunächst nur auf die
-Untersuchung der Goldlagerstellen bezog, <em class="gesperrt">so</em> war es <em class="gesperrt">doch</em>
-nötig, auch andre Minerale in den Kreis der Betrachtung zu ziehen.
-Sogar wo einfach zwei Hauptsätze am Platze wären, kommt man mit diesem
-<em class="gesperrt">wenn</em> angerückt: <em class="gesperrt">wenn</em> mein Herr Amtsvorgänger vorm Jahre
-viel gutes wünschte, <em class="gesperrt">so</em> sind diese Wünsche nicht vergeblich
-gewesen – <em class="gesperrt">wenn</em> im frühern Mittelalter die meisten Häuser
-einfache Holzhäuser gewesen waren, <em class="gesperrt">so</em> ist man erst später aus
-diesem Zustande herausgekommen. Welcher Unsinn!</p>
-
-<p>Wenn diese Art, sich auszudrücken, weitere Fortschritte macht, so kann
-es noch dahin kommen, daß der Bedingungssatz alle andern Arten von
-Fügewortsätzen nach und nach auffrißt.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Unterdrueckung_des_Hilfszeitworts">Unterdrückung des Hilfszeitworts</h3>
-
-</div>
-
-<p>Sehr verschieden sind merkwürdigerweise von jeher die Ansichten gewesen
-über den Gebrauch, das Hilfszeitwort und (was gleich damit verbunden
-werden kann) die sogenannte Kopula in Nebensätzen wegzulassen, also zu
-schreiben: der Bischof war bestrebt, von dem Einfluß, den er früher
-in der Stadt <em class="gesperrt">besessen</em> (nämlich <em class="gesperrt">hatte</em>), möglichst viel
-zurückzugewinnen, der Rat dagegen trachtete, die wenigen Rechte,
-die ihm noch <em class="gesperrt">geblieben</em> (nämlich <em class="gesperrt">waren</em>), immer mehr zu
-beschränken – die Wirkung der Mühlen würde noch erhöht, wenn sie
-beständig von Luft <em class="gesperrt">durchstrichen</em> (nämlich <em class="gesperrt">würden</em>) –
-seine Briefe blieben frei von Manier, während <em class="gesperrt">sich</em> in seine
-spätern Werke etwas davon <em class="gesperrt">eingeschlichen</em> (nämlich <em class="gesperrt">hat</em>) –
-die Pallas trug einst einen Helm, wie aus der oben abgeplatteten Form
-des Kopfes zu <em class="gesperrt">erkennen</em> (nämlich <em class="gesperrt">ist</em>) – eine Vorstellung
-wird um so leichter aufgenommen, je <em class="gesperrt">einfacher</em> ihr sprachlicher
-Ausdruck (nämlich <em class="gesperrt">ist</em>) –<span class="pagenum" id="Seite_136">[S. 136]</span> der Ursachen sind mehrere, wenn
-sie auch sämtlich auf eine Wurzel <em class="gesperrt">zurückzuführen</em> (nämlich
-<em class="gesperrt">sind</em>) – verwundert fragt man, ob denn die Krankheit wirklich
-so gefährlich, das Übel gar so heillos <em class="gesperrt">geworden</em> (<em class="gesperrt">ist</em>?
-<em class="gesperrt">sei</em>?) – so lautet das Schlagwort, womit das ideale Werk
-<em class="gesperrt">begonnen</em> (<em class="gesperrt">ist</em>? <em class="gesperrt">hat</em>?) – sogar: die Lukaspassion
-kann nicht, wie allgemein <em class="gesperrt">behauptet</em> (nämlich <em class="gesperrt">wird</em>), von
-Bach geschrieben sein.</p>
-
-<p>Dieser Gebrauch hat eine ungeheure Verbreitung, viele halten ihn
-offenbar für eine ganz besondre Schönheit. Manche Romanschriftsteller
-schreiben gar nicht anders; aber auch in wissenschaftlichen,
-namentlich in Geschichtswerken geschieht es fort und fort. Ja es muß
-hie und da geradezu in Schulen gelehrt werden, daß dieses Abwerfen
-des Hilfszeitworts eine Zierde der Sprache sei. Wenigstens war
-einmal in einem Aufsatz einer Unterrichtszeitschrift verächtlich vom
-„Hattewarstil“ die Rede; der Verfasser meinte damit die pedantische
-Korrektheit, die das <em class="gesperrt">hatte</em> und <em class="gesperrt">war</em> nicht opfern will.
-Von ältern Schriftstellern liebt es namentlich Lessing, aus dessen
-Sprache man sich sonst die Muster zu holen pflegt, das Hilfszeitwort
-wegzulassen, und Jean Paul empfiehlt es geradezu, diese „abscheulichen
-Rattenschwänze der Sprache“ womöglich überall abzuschneiden.</p>
-
-<p>Halten wir uns, wie immer, an die lebendige Sprache. Tatsache ist, daß
-in der unbefangnen Umgangssprache das Hilfszeitwort niemals weggelassen
-wird. Es würde als arge Ziererei empfunden werden, wenn jemand sagte:
-es ist ein ganzes Jahr her, daß wir uns nicht <em class="gesperrt">gesehen</em>. In der
-Sprache der Dichtung dagegen ist die Unterdrückung des Hilfszeitworts
-wohl das überwiegende. Man denke sich, daß Chamissos Frauenliebe
-und -leben anfinge: seit ich ihn <em class="gesperrt">gesehen habe</em>, glaub ich
-blind zu sein! In der Prosa kommt es nun sehr auf die Gattung an. In
-poetisch oder rednerisch gehobner Sprache stört es nicht, wenn das
-Hilfszeitwort zuweilen unterdrückt wird; in schlichter Prosa, wie sie
-die wissenschaftliche Darstellung und im allgemeinen doch auch die
-Erzählung, die historische sowohl wie der Roman<span class="pagenum" id="Seite_137">[S. 137]</span> und die Novelle,
-erfordert, ist es geradezu unerträglich. Wer das bestreitet, hat
-eben kein Sprachgefühl. Wer sich einmal die Mühe nimmt, bei einem
-Schriftsteller, der das Hilfszeitwort mechanisch und aus bloßer
-Gewohnheit überall wegläßt, nur ein paar Druckseiten lang auf diese
-vermeintliche Schönheit zu achten, der wird bald täuschend den Eindruck
-haben, als ob er durch einen Tiergarten ginge, wo lauter unglückselige
-Bestien mit abgehackten Schwänzen ihres Verlustes sich schämend scheu
-um ihn herumliefen.</p>
-
-<p>Ganz unausstehlich wird das Abwerfen des Hilfszeitworts, wenn das
-übrig bleibende Partizip mit dem Indikativ des Präsens oder des
-Imperfekts gleich lautet, also ohne das Hilfszeitwort die Tempora
-gar nicht voneinander zu unterscheiden sind, z.&#160;B.: in unsrer Zeit,
-wo der Luxus eine schwindelhafte Höhe <em class="gesperrt">erreicht</em> (nämlich
-<em class="gesperrt">hat</em>!) – er ist auch dann strafbar, wenn er sich nur an der
-Tat <em class="gesperrt">beteiligt</em> (<em class="gesperrt">hat</em>!) – das, was der Geschichtschreiber
-gewissenhaft <em class="gesperrt">durchforscht</em> (<em class="gesperrt">hat</em>!) – er erinnert sich
-der Freude, die ihm so mancher gelungne Versuch <em class="gesperrt">verursacht</em>
-(<em class="gesperrt">hat</em>!) – einer jener Männer, die, nachdem sie in hohen
-Stellungen Eifer und Tatkraft <em class="gesperrt">bewiesen</em> (<em class="gesperrt">haben</em>!), sich
-einem müßigen Genußleben hingeben – nachdem 1631 Baner die Stadt
-vergeblich <em class="gesperrt">belagert</em> (<em class="gesperrt">hatte</em>!) – er verteilte die Waffen
-an die Partei, mit der er sich <em class="gesperrt">befreundet</em> (<em class="gesperrt">hatte</em>!) –
-ich kam im Herbstregen an, den mein Kirchdorf lange <em class="gesperrt">ersehnt</em>
-(<em class="gesperrt">hatte</em>!) – er schleuderte über die Republik und ihre Behörden
-den Bannstrahl, weil sie sich an päpstlichem Gut <em class="gesperrt">vergriffen</em>
-(<em class="gesperrt">hatten</em>!) – du stellst in Abrede, daß Vilmar mit dem Buch eine
-politische Demonstration <em class="gesperrt">beabsichtigt</em> (<em class="gesperrt">habe</em>!). Oder wenn
-es in zwei oder mehr aufeinander folgenden Nebensätzen verschiedne
-Hilfszeitwörter sind, die dadurch verloren gehen, <em class="gesperrt">haben</em> und
-<em class="gesperrt">sein</em>, z.&#160;B.: es war ein glücklicher Gedanke, dort, wo einst
-der deutsche Dichterfürst seinen Fuß <em class="gesperrt">hingesetzt</em> (nämlich
-<em class="gesperrt">hat</em>), auf dem Boden, der durch seinen Aufenthalt geschichtlich
-<em class="gesperrt">geworden</em> (nämlich <em class="gesperrt">ist</em>), eine Kuranstalt zu errichten –
-wir wissen, auf welchen Widerstand einst das Interim <em class="gesperrt">gestoßen</em>
-(<em class="gesperrt">ist</em>!), und welchen Haß sich Melanchthon durch seine<span class="pagenum" id="Seite_138">[S. 138]</span>
-Nachgiebigkeit <em class="gesperrt">zugezogen</em> (<em class="gesperrt">hat</em>!) – da sie das Führen
-der Maschine <em class="gesperrt">unterlassen</em> (<em class="gesperrt">hatten</em>!) und auf den Fußwegen
-<em class="gesperrt">gefahren</em> (<em class="gesperrt">waren</em>!). Oder endlich wenn gar von zwei
-verschiednen Hilfszeitwörtern das erste weggeworfen, das zweite aber
-gesetzt wird, sodaß man dieses nun unwillkürlich mit auf den ersten
-Satz bezieht, z.&#160;B.: als ich die Fastnachtsspiele <em class="gesperrt">durchgelesen</em>
-und schließlich zu dem Luzerner Neujahrsspiel <em class="gesperrt">gekommen war</em>
-(also auch: <em class="gesperrt">durchgelesen war</em>?) – seitdem die Philosophie exakt
-<em class="gesperrt">geworden</em>, seitdem auch sie sich auf die Beobachtung und Sammlung
-von Phänomenen <em class="gesperrt">verlegt hat</em> (also auch: <em class="gesperrt">geworden hat</em>?) –
-der Verfasser macht Banquo den Vorwurf, daß er nicht für die Rechte
-der Söhne Duncans <em class="gesperrt">eingetreten</em>, sondern Macbeth als König
-<em class="gesperrt">anerkannt habe</em> (also auch: <em class="gesperrt">eingetreten habe</em>?). Wie jemand
-so etwas schön finden kann, ist unbegreiflich.</p>
-
-<p>Selbst in Fällen, wo der nachfolgende Hauptsatz zufällig mit demselben
-Zeitwort anfängt, mit dem der Nebensatz geschlossen hat, ist das
-Wegwerfen des Hilfszeitworts häßlich, z.&#160;B.: soviel <em class="gesperrt">bekannt</em>
-(nämlich <em class="gesperrt">ist</em>), <em class="gesperrt">ist</em> der Vorsitzende der Bürgermeister –
-wie der Unglückliche hierher <em class="gesperrt">gelangt</em> (<em class="gesperrt">ist</em>), <em class="gesperrt">ist</em>
-rätselhaft – alles, was damit gewonnen <em class="gesperrt">worden</em> (<em class="gesperrt">war</em>),
-<em class="gesperrt">war</em> unbedeutend gegen das verlorne – wer diesen Forderungen
-Genüge <em class="gesperrt">geleistet</em> (<em class="gesperrt">hatte</em>), <em class="gesperrt">hatte</em> sich dadurch den
-Anspruch erworben usw. Zwar nehmen auch solche, die im allgemeinen für
-Beibehaltung des Hilfszeitworts sind, hier das Abwerfen in Schutz, aber
-doch nur wieder infolge des weitverbreiteten Aberglaubens, daß ein
-Wort nicht unmittelbar hintereinander oder kurz hintereinander zweimal
-geschrieben werden dürfe. Es ist das eine von den traurigen paar
-stilistischen Schönheitsregeln, die sich im Unterricht von Geschlecht
-zu Geschlecht fortschleppen. Die lebendige Sprache fragt darnach gar
-nichts; da setzt jeder ohne weiteres das Verbum doppelt, und es fällt
-nicht im geringsten auf, kann gar nicht auffallen, weil mit dem ersten
-Verbum, fast tonlos, der Nebensatz ausklingt, mit dem zweiten, nach
-einer kleinen Pause, frisch betont der Hauptsatz anhebt. Sie klingen ja
-beide ganz<span class="pagenum" id="Seite_139">[S. 139]</span> verschieden, diese Verba, man traue doch nur seinen Ohren
-und lasse sich nicht immer von dem Papiermenschen bange machen!</p>
-
-<p>Nur in einem Falle empfiehlt sichs zuweilen, das Hilfszeitwort auch in
-schlichter Prosa wegzulassen, nämlich dann, wenn in den Nebensatz ein
-zweiter Nebensatz eingeschoben ist, der mit demselben Hilfszeitwort
-endigen würde, z.&#160;B.: bis die Periode, für die der Reichstag
-<em class="gesperrt">gewählt worden</em>, <em class="gesperrt">abgelaufen war</em>. Hier würden zwei gleiche
-Satzausgänge mit <em class="gesperrt">war</em> nicht angenehm wirken. Wo bei Häufung von
-Nebensätzen der Eindruck des Schleppens entsteht, liegt die Schuld
-niemals an den Hilfszeitwörtern, sondern immer an dem ungeschickten
-Satzbau.</p>
-
-<p>Die Sitte, das Hilfszeitwort in Nebensätzen gewohnheitsmäßig
-abzuwerfen, muß um so mehr als Unsitte bekämpft werden, als sie schon
-einen ganz verhängnisvollen Einfluß auf den richtigen Gebrauch der
-Modi ausgeübt hat. Daß manche Schriftsteller keine Ahnung mehr davon
-haben, wo ein Konjunktiv und wo ein Indikativ hingehört, daß in dem
-Gebrauche der Modi eine geradezu grauenvolle Verwilderung und Verrohung
-eingerissen ist und täglich weitere Fortschritte macht, daran ist
-zum guten Teil die abscheuliche Unsitte schuld, die Hilfszeitwörter
-wegzulassen. Wo soll noch Gefühl für die Kraft und Bedeutung eines
-Modus herkommen, wenn man jedes <em class="gesperrt">ist</em>, <em class="gesperrt">sei</em>, <em class="gesperrt">war</em>,
-<em class="gesperrt">wäre</em>, <em class="gesperrt">hat</em>, <em class="gesperrt">habe</em>, <em class="gesperrt">hatte</em>, <em class="gesperrt">hätte</em>
-am Ende eines Nebensatzes unterdrückt und dem Leser nach Belieben
-zu ergänzen überläßt? In den meisten Fällen ist die Unterdrückung
-des Hilfszeitwortes nichts als ein bequemes Mittel, sein Ungeschick
-oder seine Unwissenheit zu verbergen. Freilich ist es sehr bequem,
-zu schreiben: daß viele Glieder der ersten Christengemeinde arm
-<em class="gesperrt">gewesen</em>, ist zweifellos, daß es alle <em class="gesperrt">gewesen</em>, ist sehr
-zu bezweifeln, oder: wenn man nicht annehmen will, daß ihm seine
-Genialität <em class="gesperrt">geoffenbart</em>, was andre schon vorher <em class="gesperrt">gefunden</em>,
-oder: wir bedauerten, daß sie nicht etwas <em class="gesperrt">getan</em>, was sie in
-den Augen unsrer Gespielen recht groß und mächtig <em class="gesperrt">gemacht</em>.
-Hätten die, die so geschrieben haben, gewußt,<span class="pagenum" id="Seite_140">[S. 140]</span> das es heißen muß: daß
-viele Glieder der ersten Christengemeinde arm <em class="gesperrt">gewesen sind</em>, ist
-zweifellos, daß es alle <em class="gesperrt">gewesen seien</em>, ist sehr zu bezweifeln –
-wenn man nicht annehmen will, daß ihm seine Genialität <em class="gesperrt">geoffenbart
-habe</em>, was andre schon vorher <em class="gesperrt">gefunden hatten</em> – wir
-bedauerten, daß sie nicht etwas <em class="gesperrt">getan hatten</em>, was sie in den
-Augen unsrer Gespielen recht groß und mächtig <em class="gesperrt">gemacht hätte</em> –
-so hätten sie es schon geschrieben. Aber man weiß eben nichts, und da
-man seine Unwissenheit durch Hineintappen in den falschen Modus nicht
-verraten möchte, so läßt man einfach das Hilfszeitwort weg.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Indikativ_und_Konjunktiv">Indikativ und Konjunktiv</h3>
-
-</div>
-
-<p>Sogar in Wunsch- und Absichtssätzen, wo man es kaum für möglich halten
-sollte, wird jetzt statt des Konjunktivs der Indikativ geschrieben!
-Da liest man: es ist zu wünschen, daß die Nation auch künstlerisch
-<em class="gesperrt">zusammensteht</em> – wir wünschen von Herzen, daß das der letzte
-Fall eines solchen Verbrechens gewesen <em class="gesperrt">ist</em> – wir hoffen, daß
-er sich nach längerer Prüfung davon <em class="gesperrt">wird</em> überzeugen lassen
-– wir wollen alle mithelfen, daß es eine gute Ernte <em class="gesperrt">gibt</em> –
-die staatliche Gewalt hat darüber zu wachen, daß der Sittlichkeit
-kein ernster Schaden zugefügt <em class="gesperrt">wird</em> – als deutscher Fabrikant
-habe ich das lebhafteste Interesse daran, daß in deutschen Bureaus
-mit deutschen Federn geschrieben <em class="gesperrt">wird</em> – wir bitten um
-Erneuerung des Abonnements, damit die Zusendung keine Unterbrechung
-<em class="gesperrt">erleidet</em> – wir raten ihm, sich an deutsche Quellen zu halten,
-damit er das Deutsche nicht ganz <em class="gesperrt">verlernt</em>. Die schlimmste
-Verwirrung des Indikativs und des Konjunktivs ist aber in den Subjekt-
-und Objektsätzen (Inhaltsätzen) und in den abhängigen Fragesätzen
-eingerissen. Und doch, wie leicht ist es, bei einigem guten Willen auch
-hier das Richtige zu treffen!</p>
-
-<p>Man vergleiche einmal folgende beiden Sätze: Curtius zeigte seinen
-Fachgenossen, daß er ihnen auch auf dieses Gebiet zu folgen
-<em class="gesperrt">vermöchte</em>, und: Curtius zeigte seinen<span class="pagenum" id="Seite_141">[S. 141]</span> Fachgenossen, daß er
-ihnen auch auf dieses Gebiet zu folgen <em class="gesperrt">vermochte</em>. Was ist
-der Unterschied? In dem ersten Falle lehne ich, der Redende oder
-Schreibende, ein Urteil darüber ab, ob Curtius wirklich seinen
-Fachgenossen habe folgen können, ich gebe nur seine eigne Meinung
-wieder; im zweiten Falle gebe ich selbst ein Urteil ab, ich stimme ihm
-bei, stelle es als Tatsache hin, daß er ihnen habe folgen können. Ein
-andres Beispiel: die meisten Menschen trösten sich damit, daß es früher
-auch <em class="gesperrt">so war</em>, und: die meisten Menschen trösten sich damit, daß
-es früher auch <em class="gesperrt">so gewesen sei</em>. Was ist der Unterschied? In dem
-ersten Falle gebe ich über den Trostgrund der Menschen ein Urteil ab,
-ich stimme ihnen bei, ich stelle ihren Trostgrund als richtig, als
-Tatsache hin; in dem zweiten Falle enthalte ich mich jedes Urteils, ich
-gebe nur die Meinung der Menschen wieder. Noch ein Beispiel: ich kann
-doch nicht sagen, daß ich krank <em class="gesperrt">bin</em>, und: ich kann doch nicht
-sagen, daß ich krank <em class="gesperrt">sei</em>. Der erste Satz bedeutet: ich trage
-Bedenken, die Tatsache meiner Erkrankung einzugestehen; der zweite: ich
-trage Bedenken, eine Krankheit vorzuspiegeln. Da haben wir deutlich den
-Sinn der beiden Modi.</p>
-
-<p>Darnach ist es klar, weshalb nach Zeitwörtern wie <em class="gesperrt">wissen</em>,
-<em class="gesperrt">beweisen</em>, <em class="gesperrt">sehen</em>, <em class="gesperrt">einsehen</em>, <em class="gesperrt">begreifen</em>,
-<em class="gesperrt">erkennen</em>, <em class="gesperrt">entdecken</em>, ebenso wie nach den unpersönlichen
-Redensarten: <em class="gesperrt">es ist bekannt</em>, <em class="gesperrt">es steht fest</em>, <em class="gesperrt">es ist
-sicher</em>, <em class="gesperrt">es ist klar</em>, <em class="gesperrt">es ist kein Zweifel</em>, <em class="gesperrt">es ist
-Tatsache</em>, <em class="gesperrt">es läßt sich nicht leugnen</em> usw. der Inhaltsatz
-stets im Indikativ steht. In allen diesen Fällen kann das Subjekt
-oder Objekt nur eine Tatsache sein; welchen Sinn hätte es da, ein
-Urteil darüber abzulehnen? Es ist also ganz richtig, zu sagen: <em class="gesperrt">kann
-es geleugnet werden</em>, daß die Erziehung des gemeinen Volks eines
-der wichtigsten Mittel <em class="gesperrt">ist</em>, unsre Person und unser Eigentum
-zu schützen? Dagegen spricht aus folgenden Sätzen eine völlig
-unverständliche Ängstlichkeit: Hamerling hat <em class="gesperrt">bewiesen</em>, daß man
-als Atheist ein edler und tüchtiger Mensch sein <em class="gesperrt">könne</em> – die
-Besichtigung der Leiche <em class="gesperrt">ergab</em>, daß es sich um einen Raubmord
-<em class="gesperrt">handle</em> – schon<span class="pagenum" id="Seite_142">[S. 142]</span> seit Jahren hatte sich <em class="gesperrt">herausgestellt</em>,
-daß die Räume unzureichend <em class="gesperrt">seien</em> – als man die Kopfhaut
-entfernte, <em class="gesperrt">sah</em> man, daß die Schädeldecke vollständig entzwei
-geschnitten <em class="gesperrt">sei</em> – zu meinem Schrecken <em class="gesperrt">entdeckte</em> ich,
-daß der junge Graf nicht einmal orthographisch schreiben <em class="gesperrt">könne</em>
-– die Sammlung tritt sehr bescheiden auf und läßt <em class="gesperrt">keinen
-Zweifel</em> darüber, daß die Zeit des Sturms und Dranges vorüber
-<em class="gesperrt">sei</em>. Was bewiesen, gesehen, entdeckt worden ist, sich ergeben,
-sich herausgestellt hat, nicht bezweifelt werden kann, das müssen
-doch Tatsachen sein. Weshalb soll man sich scheuen, solche Tatsachen
-anzuerkennen?</p>
-
-<p>Dieser Fehler kommt denn auch verhältnismäßig selten vor. Um
-so öfter wird der entgegengesetzte Fehler begangen, daß nach
-Zeitwörtern, die eine bloße Meinung oder Behauptung ausdrücken,
-der Indikativ gesetzt wird, obwohl der Redende oder Schreibende
-über die ausgesprochne Meinung oder Behauptung nicht das geringste
-Urteil abgeben, sondern sie als bloße Meinung oder Behauptung eines
-andern hinstellen will. Die Zeitwörter, hinter denen das geschieht,
-sind namentlich: <em class="gesperrt">glauben</em>, <em class="gesperrt">meinen</em>, <em class="gesperrt">fühlen</em>,
-<em class="gesperrt">denken</em>, <em class="gesperrt">annehmen</em>, <em class="gesperrt">vermuten</em>, <em class="gesperrt">voraussetzen</em>,
-<em class="gesperrt">sich vorstellen</em>, <em class="gesperrt">überzeugt sein</em>, <em class="gesperrt">schließen</em>,
-<em class="gesperrt">folgern</em>, <em class="gesperrt">behaupten</em>, <em class="gesperrt">sagen</em>, <em class="gesperrt">lehren</em>,
-<em class="gesperrt">erklären</em>, <em class="gesperrt">versichern</em>, <em class="gesperrt">beteuern</em>, <em class="gesperrt">bekennen</em>,
-<em class="gesperrt">gestehen</em>, <em class="gesperrt">zugeben</em>, <em class="gesperrt">bezweifeln</em>, <em class="gesperrt">leugnen</em>,
-<em class="gesperrt">antworten</em>, <em class="gesperrt">erwidern</em>, <em class="gesperrt">einwenden</em>, <em class="gesperrt">berichten</em>,
-<em class="gesperrt">melden</em>, <em class="gesperrt">erzählen</em>, <em class="gesperrt">überliefern</em>, <em class="gesperrt">erfahren</em>,
-<em class="gesperrt">vernehmen</em>, <em class="gesperrt">hören</em> u.&#160;a. Stehen diese Verba in dem
-Tempus der Erzählung, so setzt wohl jeder richtig den Konjunktiv
-dahinter, wiewohl sich auch Beispiele finden wie: er kam zu der
-<em class="gesperrt">Überzeugung</em>, daß er zu alt <em class="gesperrt">war</em>, sich noch den bildenden
-Künsten zu widmen. Aber wie, wenn sie im Präsens oder im Futurum
-stehen? Da wird geschrieben: man <em class="gesperrt">glaubt</em>, daß die Diebe
-während der Fahrt in den Zug <em class="gesperrt">stiegen</em> – der Ausschuß ist der
-<em class="gesperrt">Meinung</em>, daß der Markt der geeignetste Platz für das Denkmal
-ist – der Herausgeber ist zu der <em class="gesperrt">Ansicht</em> gekommen, das sich
-diese Rede Ciceros nicht für die Schule <em class="gesperrt">eignet</em> – man kann
-dem Verfasser darin (d.&#160;h. in der <em class="gesperrt">Ansicht</em>) beistimmen,<span class="pagenum" id="Seite_143">[S. 143]</span> daß
-sich das Juristendeutsch gegen früher bedeutend gebessert <em class="gesperrt">hat</em>
-– jeder wird von einer Privatsammlung, die in den fünfziger Jahren
-genannt wurde, <em class="gesperrt">annehmen</em>, daß sie heute nicht mehr <em class="gesperrt">besteht</em>
-– man geht von der albernen <em class="gesperrt">Voraussetzung</em> aus, daß Bach
-und Händel grobe Klötze gewesen <em class="gesperrt">sind</em> – hier wirkt noch
-die alte <em class="gesperrt">Vorstellung</em>, daß das Wesen eines Dinges in seinem
-Bilde <em class="gesperrt">steckt</em> – die Rede ist von der <em class="gesperrt">Überzeugung</em>
-erfüllt, daß das amerikanische Deutschtum mit der deutschen Sprache
-<em class="gesperrt">steht</em> und <em class="gesperrt">fällt</em> – man behauptet, daß das Lateinische
-zu schwer <em class="gesperrt">ist</em>, als erste fremde Sprache gelernt zu werden
-– die <em class="gesperrt">Behauptung</em>, daß dieser Aufsatz für die Zeitschrift
-kein Ruhmesblatt <em class="gesperrt">bildet</em>, wird schwerlich auf Widerspruch
-stoßen – Marx <em class="gesperrt">sagt</em>, daß keine neue Gesellschaft ohne die
-Geburtshilfe der Gewalt <em class="gesperrt">entsteht</em> – man <em class="gesperrt">sagt</em>, daß er
-sich von einem Priester taufen <em class="gesperrt">ließ</em> – der Fremde, der die
-Ausstellung besucht, wird <em class="gesperrt">sagen</em>, daß es der Berliner Kunst an
-Schwung und Phantasie <em class="gesperrt">gebricht</em> – von glaubwürdiger Seite wird
-uns <em class="gesperrt">versichert</em>, daß die Stimmung sehr <em class="gesperrt">flau</em> war – die
-Legende <em class="gesperrt">erzählt</em>, daß, als die Greisin noch ein schönes Mädchen
-<em class="gesperrt">war</em>, sie eine tiefe Neigung zu einem jungen Krieger <em class="gesperrt">faßte</em>
-– die <em class="gesperrt">Meldung</em>, daß Morenga <em class="gesperrt">gefallen ist</em>, wird durch
-einen amtlichen Bericht bestätigt – in Berliner Künstlerwerkstätten
-gilt noch heute die <em class="gesperrt">Überlieferung</em>, daß Rauch nicht immer der
-große Mann <em class="gesperrt">gewesen ist</em>, als den ihn die Nachwelt preist. In
-allen diesen Sätzen ist der Indikativ wahrhaft barbarisch. Doppelt
-beleidigend wirkt er, wenn in dem regierenden Satze die Meinung
-oder Behauptung, die im Nebensatze steht, ausdrücklich verneint
-wird, als falsch, als irrtümlich, als übertrieben, als unbewiesen
-bezeichnet wird. Und doch muß man täglich auch solche Sätze lesen
-wie: ich kann <em class="gesperrt">nicht zugeben</em>, daß diese Satzfügung fehlerhaft
-ist – es kann <em class="gesperrt">nicht zugegeben</em> werden, daß der große Zuzug
-der Bevölkerung die Ursache der städtischen Wohnungsnot <em class="gesperrt">ist</em>
-– wir sind <em class="gesperrt">nicht</em> zu der <em class="gesperrt">Annahme</em> berechtigt, daß er
-sich durch die Mitgift der Frau zu der Heirat bewegen <em class="gesperrt">ließ</em>
-– aus dieser Tabelle läßt sich <em class="gesperrt">keineswegs</em> der <em class="gesperrt">Schluß</em>
-ziehen,<span class="pagenum" id="Seite_144">[S. 144]</span> daß die Kost dürftig <em class="gesperrt">ist</em> – daß der sozialistische
-Geschäftsbetrieb in diesen Industrien möglich <em class="gesperrt">ist</em>, hat noch
-<em class="gesperrt">niemand bewiesen</em> – ich kann <em class="gesperrt">nicht finden</em>, daß Wagners
-Musik <em class="gesperrt">läutert</em> – ich muß aufs entschiedenste <em class="gesperrt">bestreiten</em>,
-das es in einem unsrer Schutzgebiete Sklavenmärkte <em class="gesperrt">gibt</em>
-– daß das Kreuz erst in christlicher Zeit religiöse Bedeutung
-<em class="gesperrt">erhielt</em>, kann man <em class="gesperrt">nicht behaupten</em> – <em class="gesperrt">niemand</em> wird
-<em class="gesperrt">behaupten</em>, daß es dem Architekten gleichgiltig sein <em class="gesperrt">kann</em>,
-ob sein Ornament langweilig oder geistreich ist – die K. Zeitung
-geht <em class="gesperrt">zu weit</em> mit der <em class="gesperrt">Behauptung</em>, daß die beiden vorigen
-Sessionen des Landtags unfruchtbar <em class="gesperrt">gewesen sind</em> – es wird
-<em class="gesperrt">schwerlich</em> jemand <em class="gesperrt">dafür eintreten</em>, daß die Ausführung
-dieses Planes möglich <em class="gesperrt">ist</em> – es ist <em class="gesperrt">nicht wahr</em>, daß man
-durch Arbeit und Sparen reich werden <em class="gesperrt">kann</em> – <em class="gesperrt">unwahr</em>
-ist, daß Herr B. eine Sühne von 500 M. angeboten <em class="gesperrt">hat</em> – es
-ist <em class="gesperrt">falsch</em>, wenn der Verfasser behauptet, daß die Fehlerzahl
-den Ausschlag bei der Versetzung der Schüler <em class="gesperrt">gibt</em> – es liegt
-<em class="gesperrt">nicht</em> der leiseste <em class="gesperrt">Anhalt</em> vor, daß eine neue Revision
-des Gesetzes beabsichtigt <em class="gesperrt">ist</em> – mir ist <em class="gesperrt">nichts</em> davon
-<em class="gesperrt">bekannt</em>, daß das ausdrücklich betont worden <em class="gesperrt">ist</em> –
-es ist <em class="gesperrt">unzutreffend</em>, daß das Urteil bereits rechtskräftig
-geworden <em class="gesperrt">ist</em> – die Volkszeitung hat sich direkt <em class="gesperrt">aus den
-Fingern gesogen</em>, daß mich der Minister wegen meines patriotischen
-Verhaltens gelobt <em class="gesperrt">hat</em> – ich kann <em class="gesperrt">nicht sagen</em>, daß
-ich diese Woche große Freude an der Arbeit <em class="gesperrt">hatte</em> – damit
-soll <em class="gesperrt">nicht gesagt</em> sein, daß es der Sammlung ganz an duftigen
-Liederblüten <em class="gesperrt">fehlt</em> – es soll damit <em class="gesperrt">nicht gesagt</em>
-sein, daß Beethoven je populär werden <em class="gesperrt">kann</em> – wir glauben
-<em class="gesperrt">widerlegt</em> zu haben, daß der Schule in diesem Kampfe ein Vorwurf
-zu machen <em class="gesperrt">ist</em> – wer <em class="gesperrt">hat bewiesen</em>, daß die sittliche
-Höhe eines Künstlers der künstlerischen seiner Werke gleichstehen
-<em class="gesperrt">muß</em>? (niemand!) – <em class="gesperrt">ist</em> irgendwo offenbar geworden,
-daß der Abgeordnete sich seiner Aufgaben bewußt <em class="gesperrt">gewesen ist</em>
-(nein!) usw. Welcher Unsinn, etwas in einem Atem zu leugnen oder zu
-bestreiten und zugleich als wirklich hinzustellen! Darauf laufen aber
-schließlich alle solche Sätze hinaus. Der Indikativ kann<span class="pagenum" id="Seite_145">[S. 145]</span> in solchen
-Fällen geradezu zu Mißverständnissen führen. Wenn einer schreibt: es
-ist <em class="gesperrt">falsch</em>, daß die Arbeit ohne jeden Grund eingestellt worden
-<em class="gesperrt">ist</em> – so kann man das auch so verstehen: sie ist ohne jeden
-Grund eingestellt worden, und das ist sehr dumm gewesen. Will einer
-deutlich sagen: sie ist <em class="gesperrt">nicht</em> ohne Grund eingestellt worden, so
-muß er schreiben: es ist <em class="gesperrt">falsch</em>, daß die Arbeit ohne jeden Grund
-eingestellt worden <em class="gesperrt">sei</em>.</p>
-
-<p>Gewiß gibt es zwischen den unbedingt nötigen Indikativen und den
-unbedingt nötigen Konjunktiven verschiedne Arten von zweifelhaften
-Fällen. Es gibt doppelsinnige Verba, wie z.&#160;B. <em class="gesperrt">finden</em>,
-<em class="gesperrt">sehen</em>, <em class="gesperrt">zeigen</em>, die ebensogut eine Erkenntnis wie eine
-Meinung ausdrücken können; darnach hat sich der Modus des Nebensatzes
-zu richten. Als der erste Schrecken überwunden war, <em class="gesperrt">sahen</em> die
-Römer, daß sich der Aufstand nicht bis zum Rhein <em class="gesperrt">ausdehne</em> –
-man erwartet den Indikativ: <em class="gesperrt">ausdehnte</em>; aber der Schreibende
-hat mit <em class="gesperrt">sehen</em> vielleicht mehr den Gedankengang, die Erwägung
-der Römer ausdrücken wollen. So ist auch <em class="gesperrt">beweisen wollen</em>,
-<em class="gesperrt">zu beweisen suchen</em> etwas andres als <em class="gesperrt">beweisen</em>; Hamerling
-hat <em class="gesperrt">beweisen wollen</em>, daß man als Atheist auch ein edler und
-tüchtiger Mensch sein <em class="gesperrt">könne</em> – das wäre richtig, ebenso wie:
-er <em class="gesperrt">will beweisen</em>, daß weiß schwarz <em class="gesperrt">sei</em>. Ein Bigotter
-könnte aber auch sagen: beweisen läßt sich alles mögliche; hat nicht
-Hamerling sogar <em class="gesperrt">bewiesen</em>, daß ein Atheist ein edler Mensch sein
-<em class="gesperrt">könne</em>? Dann wäre der Sinn: trotz seines Beweises glaube ich
-es nicht. Und andrerseits kann man wieder sagen: warum <em class="gesperrt">willst</em>
-du erst noch <em class="gesperrt">beweisen</em>, daß zwei mal zwei vier <em class="gesperrt">ist</em>? Man
-vergleiche noch folgende Sätze: darin geben wir dem Verfasser Recht,
-daß es unerklärlich <em class="gesperrt">ist</em>, wie der gütige Gott eine mit Übeln
-erfüllte Welt schaffen konnte; aber wir bestreiten, daß es deshalb
-logisch geboten <em class="gesperrt">sei</em>, dem Wesen, das die sittliche Norm in sich
-enthält, die Weltschöpfung abzusprechen. Auch in dem ersten Satze
-ist der Konjunktiv möglich, mancher würde ihn vielleicht auch dort
-vorziehen. Bei guten Schriftstellern, bei denen man das angenehme
-Gefühl hat, daß sie jedes Wort mit Bedacht hinsetzen, macht es
-Vergnügen, solchen Dingen<span class="pagenum" id="Seite_146">[S. 146]</span> nachzugehen. Aber wie oft hat man dieses
-Gefühl? Meist lohnt es nicht der Mühe, hinter plumpen Schnitzern nach
-besondern Feinheiten zu suchen.</p>
-
-<p>Wenn das Verbum des Hauptsatzes im Präsens steht und das Subjekt die
-erste Person ist, so ist auch nach den Verben des Meinens und Sagens
-wohl allgemein der Indikativ üblich und auch durchaus am Platze. Wenn
-der Hauptsatz heißt: <em class="gesperrt">ich glaube</em> oder <em class="gesperrt">wir behaupten</em>, so
-hätte es keinen Sinn, den Inhalt des Nebensatzes als bloße Vorstellung
-hinzustellen und ein Urteil über seine Wirklichkeit abzulehnen, denn
-<em class="gesperrt">ich</em> und der Redende sind ja <em class="gesperrt">eine</em> Person. Daher sagt man
-am liebsten: ich <em class="gesperrt">glaube</em>, daß du Unrecht <em class="gesperrt">hast</em>. Und sogar
-wenn der Hauptsatz verneint ist: ich <em class="gesperrt">glaube nicht</em>, daß sie bei
-so rauher Jahreszeit noch in Deutschland <em class="gesperrt">sind</em> – ich <em class="gesperrt">glaube
-nicht</em>, daß der freie Wille der Gesellschaft heute schon stark genug
-<em class="gesperrt">ist</em> – wir sind <em class="gesperrt">nicht der Ansicht</em>, daß man die bestehende
-Welt willkürlich ändern <em class="gesperrt">kann</em>. In den beiden letzten Sätzen würde
-vielleicht mancher den Konjunktiv vorziehen; aber schwerlich wird
-jemand sagen: <em class="gesperrt">ich glaube nicht</em>, daß sie bei so rauher Jahreszeit
-noch in Deutschland <em class="gesperrt">seien</em>. Selbst in Wunsch- und Absichtssätzen
-steht in solchen Fällen der Indikativ, zumal in der Umgangssprache.
-Jedermann sagt: spann deinen Schirm auf, daß du nicht naß <em class="gesperrt">wirst</em>!
-<em class="gesperrt">Werdest</em> würde hier so geziert klingen, daß der andre mit Recht
-erwidern könnte: du sprichst ja wie ein Buch. Wenn man aber einen
-Bibelspruch anführt, sollte man ihn nicht so anführen: Richte nicht,
-damit du nicht gerichtet <em class="gesperrt">wirst</em>!</p>
-
-<p>Genau so wie mit den Objektsätzen, die mit dem Fügewort <em class="gesperrt">daß</em>
-anfangen, verhält sichs mit denen, die die Form eines abhängigen
-Fragesatzes haben: sie müssen im Konjunktiv stehen, wenn der Redende
-oder Schreibende kein Urteil darüber abgeben kann, ob ihr Inhalt
-wirklich sei oder nicht, weil es sich um Dinge handelt, die eben in
-Frage stehen, sie können im Indikativ stehen, wenn der Redende ein
-solches Urteil abgeben kann und will, sie müssen im Indikativ stehen,
-wenn es gar keinen Sinn hätte, ein solches Urteil abzulehnen, weil es
-sich<span class="pagenum" id="Seite_147">[S. 147]</span> um eine einfache Tatsache handelt. Richtig sind folgende Sätze:
-man darf sich nicht damit begnügen, zu behaupten, etwas sei Recht,
-sondern man muß doch wenigstens angeben, weshalb es Recht <em class="gesperrt">sei</em>,
-und welches Ziel ein solches Recht <em class="gesperrt">verfolge</em> – nicht darum
-handelt sichs in der Politik, ob eine Bewegung revolutionär <em class="gesperrt">sei</em>,
-sondern ob sie eine innere Berechtigung <em class="gesperrt">habe</em> – die Frage, ob
-der Angeklagte den beleidigenden Sinn eines Schimpfwortes <em class="gesperrt">erkannt
-habe</em>, wird meist leicht zu bejahen sein – man sollte sich fragen,
-ob man nicht selbst die Mißstände zum Teil <em class="gesperrt">verschuldet habe</em>,
-die man beklagt – es sollte nicht gefragt werden, ob die Zölle
-überhaupt zweckmäßig <em class="gesperrt">seien</em>, sondern ob im einzelnen Fall ein
-Zoll angebracht <em class="gesperrt">sei</em>, und ob damit erreicht <em class="gesperrt">werde</em>, was
-erstrebt wird. Liederlich ist es dagegen, zu schreiben: die Verhandlung
-hat <em class="gesperrt">keine Klarheit</em> darüber gebracht, ob die Klagen berechtigt
-<em class="gesperrt">sind</em> oder nicht. Wie kann man etwas als gewiß hinstellen, wovon
-man eben gesagt hat, daß es noch unklar sei? Falsch sind aber auch –
-trotz ihres schönen Konjunktivs – folgende Sätze: wie weit das Gebiet
-<em class="gesperrt">sei</em>, das K. bearbeitet, <em class="gesperrt">zeigen</em> seine Bücher – ältere
-Zuhörer, die mehr oder weniger schon <em class="gesperrt">wissen</em>, wovon die Rede
-<em class="gesperrt">sei</em> – es ist vom Schüler zu verlangen, daß er <em class="gesperrt">wisse</em>, was
-eine Metapher <em class="gesperrt">sei</em> – es wäre interessant, zu <em class="gesperrt">wissen</em>, was
-Goethe mit dieser Bezeichnung gemeint <em class="gesperrt">habe</em>.</p>
-
-<p>Schuld an der traurigen Verrohung des Sprachgefühls, die sich in den
-falschen Indikativen kundgibt, ist zum Teil sicherlich die Unsitte,
-die Hilfszeitwörter in den Nebensätzen immer wegzulassen; das stumpft
-das Gefühl für die Bedeutung der Modi so ab, daß man sich schließlich
-auch dann nicht mehr zu helfen weiß, wenn das Verbum gesetzt werden
-muß. Daneben aber ist noch etwas andres schuld, nämlich die unter
-dem verwirrenden Einflusse des Englischen immer ärger werdende
-Unkenntnis, welche Konjunktive und welche Indikative im Satzbau
-einander entsprechen, d.&#160;h. in welchen Konjunktiv im abhängigen Satz
-ein Indikativ des unabhängigen Satzes verwandelt werden muß; es scheint
-das geradezu nicht mehr gelernt zu werden. Man erinnert<span class="pagenum" id="Seite_148">[S. 148]</span> sich wohl
-dunkel einer Konjugationstabelle, worin die Indikative und Konjunktive
-einander so gegenübergestellt waren:</p>
-
-<table class="konjunktiv_a">
- <tr>
- <td>
- <div class="left mright2">ich bin</div>
- </td>
- <td>
- <div class="left">ich sei</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- <div class="left mright2">ich war</div>
- </td>
- <td>
- <div class="left">ich wäre</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- <div class="left mright2">ich bin gewesen</div>
- </td>
- <td>
- <div class="left">ich sei gewesen</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- <div class="left mright2">ich war gewesen</div>
- </td>
- <td>
- <div class="left">ich wäre gewesen</div>
- </td>
- </tr>
-</table>
-
-<p class="p0">oder:</p>
-
-<table class="konjunktiv_a">
- <tr>
- <td>
- <div class="left mright2">ich nehme</div>
- </td>
- <td>
- <div class="left">ich nehme</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- <div class="left mright2">ich nahm</div>
- </td>
- <td>
- <div class="left">ich nähme</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- <div class="left mright2">ich habe genommen</div>
- </td>
- <td>
- <div class="left">ich habe genommen</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- <div class="left mright2">ich hatte genommen</div>
- </td>
- <td>
- <div class="left">ich hätte genommen</div>
- </td>
- </tr>
-</table>
-
-<p class="p0">Aber daß einem diese Gegenüberstellung aus der Formenlehre für
-den Satzbau gar nichts helfen kann, das weiß man nicht. Die
-Gegenüberstellung der Modi für die Inhaltssätze sieht so aus:</p>
-
-<table class="konjunktiv_b">
- <tr>
- <td>
- <div class="left">er trägt</div>
- </td>
- <td>
- &#160;
- </td>
- <td>
- <div class="left">daß er trage oder: daß er trüge</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- <div class="left">er trug</div>
- </td>
- <td class="vam" rowspan="2">
- <img class="kl_re" src="images/geschw_klammer_rechts.png" alt="geschweifte
- Klammer rechts">
- </td>
- <td class="vam" rowspan="2">
- <div class="left">daß er getragen habe oder: daß er getragen hätte</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- <div class="left">er hat getragen</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="padtop0_5">
- <div class="left">ich bin</div>
- </td>
- <td class="padtop0_5">
- &#160;
- </td>
- <td class="padtop0_5">
- <div class="left">daß ich sei oder: daß ich wäre</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- <div class="left">ich war</div>
- </td>
- <td class="vam" rowspan="2">
- <img class="kl_re" src="images/geschw_klammer_rechts.png" alt="geschweifte
- Klammer rechts">
- </td>
- <td class="vam" rowspan="2">
- <div class="left">daß ich gewesen sei oder: daß ich gewesen wäre</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td>
- <div class="left">ich bin gewesen</div>
- </td>
- </tr>
-</table>
-
-<p class="p0">Daß sich gerade der Indikativ des Imperfekts jetzt so oft findet,
-wo ein Konjunktiv des Perfekts oder des Plusquamperfekts hingehört
-(Friedmann ist den Beweis dafür schuldig geblieben, daß dieser
-Verdacht haltlos und sinnwidrig <em class="gesperrt">war</em>), zeigt deutlich, daß man
-einen richtigen Konjunktiv in abhängigen Sätzen zu bilden vollständig
-verlernt hat.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="consecutio_temporum">Die sogenannte <span class="antiqua">consecutio
-temporum</span></h3>
-
-</div>
-
-<p>Daß ich <em class="gesperrt">sei</em> oder: daß ich <em class="gesperrt">wäre</em>! Oder? Was heißt oder?
-Ist es gleichgiltig, was von beiden gesetzt wird? oder richtet sich
-das nach dem Tempus des regierenden Hauptsatzes? Mit andern Worten:
-gibt es nicht auch im Deutschen etwas ähnliches wie eine <span class="antiqua">consecutio
-temporum</span>, die vorschreibt, daß auf die Gegenwart im<span class="pagenum" id="Seite_149">[S. 149]</span> Hauptsatz auch
-die Gegenwart im Nebensatze, auf die Vergangenheit im Hauptsatz auch
-die Vergangenheit im Nebensatze folgen müsse?</p>
-
-<p>Das Altdeutsche hat seine strenge <span class="antiqua">consecutio temporum</span> gehabt.
-Die hat sich aber schon frühzeitig gelockert, und zwar ist in den
-nieder- und mitteldeutschen Mundarten der Konjunktiv der Vergangenheit,
-in den oberdeutschen der Konjunktiv der Gegenwart bevorzugt worden.
-Dort ist die Vergangenheit auch nach Hauptsätzen der Gegenwart, hier
-die Gegenwart auch nach Hauptsätzen der Vergangenheit vorgezogen
-worden. Eine weitere Entwicklungsstufe, auf der wir noch stehen,
-ist die, daß die Eigentümlichkeit der oberdeutschen Mundarten,
-die Bevorzugung der Gegenwart, weiter um sich griff und mit der
-Eigentümlichkeit der mittel- und niederdeutschen in Kampf geriet.
-Schon Luther schreibt (Ev. Joh. 5, 15): der Mensch <em class="gesperrt">ging</em> hin
-und <em class="gesperrt">verkündigte</em> es den Juden, es <em class="gesperrt">sei</em> Jesus, der ihn
-gesund gemacht <em class="gesperrt">habe</em>. Der gegenwärtige Stand ist der – was
-namentlich auch für Ausländer gesagt sein mag –, daß es in allen
-Fällen, mag im regierenden Satze die Gegenwart oder die Vergangenheit
-stehen, im abhängigen Satze unterschiedslos <em class="gesperrt">sei</em> und <em class="gesperrt">wäre</em>,
-<em class="gesperrt">habe</em> und <em class="gesperrt">hätte</em>, <em class="gesperrt">gewesen sei</em> und <em class="gesperrt">gewesen
-wäre</em>, <em class="gesperrt">gehabt habe</em> und <em class="gesperrt">gehabt hätte</em> heißen kann.
-Es ist ebensogut möglich, zu sagen: er <em class="gesperrt">sagt</em>, er <em class="gesperrt">wäre</em>
-krank – er <em class="gesperrt">sagt</em>, er <em class="gesperrt">wäre</em> krank <em class="gesperrt">gewesen</em> – er
-<em class="gesperrt">sagte</em>, er <em class="gesperrt">sei</em> krank – er <em class="gesperrt">sagte</em>, er <em class="gesperrt">sei</em>
-krank <em class="gesperrt">gewesen</em> – wie: er <em class="gesperrt">sagt</em>, er <em class="gesperrt">sei</em> krank – er
-<em class="gesperrt">sagt</em>, er <em class="gesperrt">sei</em> krank <em class="gesperrt">gewesen</em> – er <em class="gesperrt">sagte</em>,
-er <em class="gesperrt">wäre</em> <em class="gesperrt">krank</em> – er <em class="gesperrt">sagte</em>, er <em class="gesperrt">wäre</em> krank
-<em class="gesperrt">gewesen</em>. In der Schriftsprache ziehen viele in allen Fällen
-den Konjunktiv der Gegenwart als das Feinere vor und überlassen den
-Konjunktiv der Vergangenheit der Umgangssprache. Wenn sich aber jemand
-in allen Fällen lieber des Konjunktivs der Vergangenheit bedient, so
-ist auch dagegen nichts ernstliches einzuwenden. Wer vollends durch
-die Verwirrung der Tempora in seinem Sprachgefühl verletzt wird, wem
-es Bedürfnis ist, eine ordentliche <span class="antiqua">consecutio temporum</span> zu
-beobachten, den hindert nichts, das auch jetzt noch zu tun. Das alles
-ist nun freilich eine<span class="pagenum" id="Seite_150">[S. 150]</span> Willkür, die ihresgleichen sucht; aber der
-tatsächliche Zustand ist so.</p>
-
-<p>Glücklicherweise hat aber diese Willkür doch gewisse Grenzen, und
-daß von diesen Grenzen die wenigsten eine Ahnung haben, ist wieder
-ein trauriger Beweis von der fortschreitenden Abstumpfung unsers
-Sprachgefühls.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Der_unerkennbare_Konjunktiv">Der unerkennbare Konjunktiv</h3>
-
-</div>
-
-<p>Die eine Grenze liegt in der Sprachform unsrer Konjunktive. Der
-Konjunktiv der Gegenwart hat nämlich jetzt im Deutschen nur zwei
-(oder drei) Formen, in denen er sich von dem Indikativ unterscheidet:
-die zweite und die dritte Person der Einzahl (und allenfalls die
-zweite Person in der Mehrzahl); in allen übrigen Formen stimmen
-beide überein. Nur das Zeitwort <em class="gesperrt">sein</em> macht seine Ausnahme,
-und die Hilfszeitwörter <em class="gesperrt">müssen</em>, <em class="gesperrt">dürfen</em>, <em class="gesperrt">können</em>,
-<em class="gesperrt">wollen</em>, <em class="gesperrt">mögen</em> und <em class="gesperrt">sollen</em>; die haben einen
-durchgeführten Konjunktiv des Präsens: <em class="gesperrt">ich sei</em>, <em class="gesperrt">du seist</em>,
-<em class="gesperrt">er sei</em>, <em class="gesperrt">ich müsse</em>, <em class="gesperrt">du müssest</em>, <em class="gesperrt">er
-müsse</em>. Im Plural unterscheiden sich aber die beiden Modi auch
-bei den Hilfszeitwörtern nicht. Nur in der zweiten Person heißt es
-im Indikativ <em class="gesperrt">wollt</em>, <em class="gesperrt">müßt</em>, im Konjunktiv <em class="gesperrt">wollet</em>,
-<em class="gesperrt">müsset</em>; eigentlich sind aber auch diese Formen gleich, man hat
-nur im Konjunktiv das e bewahrt, das man im Indikativ ausgeworfen
-hat. Die Formen nun, in denen der Konjunktiv nicht erkennbar ist,
-weil er sich vom Indikativ nicht unterscheidet, haben natürlich nur
-theoretischen Wert, sie stehen gleichsam nur als Füllsel in der
-Grammatik (um das Konjugationsschema vollzumachen), aber praktische
-Bedeutung haben sie nicht, im Satzbau müssen sie durch den Konjunktiv
-des Imperfekts ersetzt werden. Das geschieht denn auch in der
-lebendigen Sprache ganz regelmäßig, so regelmäßig, daß es beinahe ein
-Unsinn ist, wenn unsre Grammatiken lehren: <span class="antiqua">Conj. praes.</span>: <em class="gesperrt">ich
-trage</em>, <em class="gesperrt">du tragest</em>, <em class="gesperrt">er trage</em>, <em class="gesperrt">wir tragen</em>,
-<em class="gesperrt">ihr traget</em>, <em class="gesperrt">sie tragen</em>. Solche Schattenbilder sollten
-gar nicht in der Grammatik stehen, es könnte einfach gelehrt werden:
-<span class="antiqua">Conj. praes.</span>: <em class="gesperrt">ich trüge</em>, <em class="gesperrt">du tragest</em>, <em class="gesperrt">er
-trage</em>, <em class="gesperrt">wir trügen</em>, <em class="gesperrt">ihr trüget</em>, <em class="gesperrt">sie trügen</em>.
-Dieser Gebrauch<span class="pagenum" id="Seite_151">[S. 151]</span> steht schon lange so fest, daß er selbst dann gilt,
-wenn das regierende Verbum in der Gegenwart steht, also – gegen die
-<span class="antiqua">consecutio temporum</span>. Unsre guten Schriftsteller haben ihn
-denn auch fast immer beobachtet. Nicht selten springen sie in einer
-längern abhängigen Rede scheinbar willkürlich zwischen dem Konjunktiv
-des Präsens und dem des Imperfekts hin und her; sieht man aber
-genauer zu, so sieht man, daß das Imperfekt immer nur dazu dient, den
-Konjunktiv erkennbar zu machen – ganz wie in der lebendigen Sprache.
-Nun unterscheidet sich zwar der Konjunktiv des Imperfekts, zu dem
-man seine Zuflucht nimmt, bisweilen auch nicht von dem Indikativ des
-Imperfekts. Wenn er aber in der abhängigen Rede zwischen erkennbaren
-Konjunktiven der Gegenwart und abwechselnd mit ihnen erscheint, so wird
-er eben nicht als Indikativ gefühlt, sondern hier ist er das einzige
-Mittel, das Konjunktivgefühl aufrecht zu erhalten. Ganz dasselbe gilt
-natürlich von dem Konjunktiv des Perfekts und des Plusquamperfekts;
-der erste ist, abgesehen von den zwei erkennbaren Formen: <em class="gesperrt">du habest
-gesagt</em>, <em class="gesperrt">er habe gesagt</em>, für die lebendige Sprache so gut wie
-nicht vorhanden, er muß überall durch den des Plusquamperfekts ersetzt
-werden: <em class="gesperrt">ich hätte gesagt</em>, <em class="gesperrt">wir hätten gesagt</em> usw.</p>
-
-<p>Nun vergleiche man damit die klägliche Hilflosigkeit unsrer
-Papiersprache! Da wird geschrieben: es ist eine Lüge, wenn man
-<em class="gesperrt">behauptet</em>, daß wir die Juden nur <em class="gesperrt">angreifen</em>, weil sie
-Juden sind. Es muß unbedingt heißen: <em class="gesperrt">angriffen</em>, denn es muß
-der Konjunktiv stehen, und das Präsens <em class="gesperrt">angreifen</em> wird nicht
-als Konjunktiv gefühlt. Zu folgenden falschen Sätzen mag das richtige
-immer gleich in Klammern danebengesetzt werden: es ist ein Irrtum, wenn
-behauptet wird, daß sich die Ziele hieraus von selbst <em class="gesperrt">ergeben</em>
-(<em class="gesperrt">ergäben</em>!) – wie oft wird geklagt, daß die Diener des Staats
-und der Kirche von der Universität nicht die genügende Vorbildung
-für ihren Beruf <em class="gesperrt">mitbringen</em> (<em class="gesperrt">mitbrächten</em>!) – von dem
-Gedanken, daß in Lothringen ähnliche Verhältnisse <em class="gesperrt">vorliegen</em>
-(<em class="gesperrt">vorlägen</em>!) wie in Posen, muß ganz abgesehen werden – es war
-eine ausgemachte Sache, daß<span class="pagenum" id="Seite_152">[S. 152]</span> ich in Kriegsdienst zu treten <em class="gesperrt">habe</em>
-(<em class="gesperrt">hätte</em>!) – es gibt noch Leute, die ernstlich der Meinung
-sind, daß die Nationalliberalen 1866 das Deutsche Reich <em class="gesperrt">haben</em>
-(<em class="gesperrt">hätten</em>!) gründen helfen – es wird mir vorgeworfen, daß ich
-die ursprüngliche Reihenfolge ohne zureichenden Grund verlassen
-<em class="gesperrt">habe</em><a id="FNAnker_66" href="#Fussnote_66" class="fnanchor">[66]</a> (<em class="gesperrt">hätte</em>!) – H. Grimm geht von der Voraussetzung
-aus, daß ich den Unterricht in der neuern Kunstgeschichte an der
-Berliner Universität bekrittelt <em class="gesperrt">habe</em> (<em class="gesperrt">hätte</em>!) – am
-Tage meiner Abreise konnte ich schreiben, daß ich die Taschen voll
-gewichtiger Empfehlungen <em class="gesperrt">habe</em> (<em class="gesperrt">hätte</em>!) – da mußte
-ich erkennen, daß ich für mein wissenschaftliches Streben nicht
-die gehoffte Förderung zu erwarten <em class="gesperrt">habe</em> (<em class="gesperrt">hätte</em>!) –
-der Verfasser ist der Meinung, das Verbrechen <em class="gesperrt">müsse</em> als
-gesellschaftliche Erscheinung betrachtet und bekämpft werden, zu
-seiner Ergründung <em class="gesperrt">müssen</em> (<em class="gesperrt">müßten</em>!) die Ergebnisse der
-Gesellschaftswissenschaft berücksichtigt werden – man behauptet,
-daß die Lehren des Talmud veraltet <em class="gesperrt">seien</em> und nicht mehr
-befolgt <em class="gesperrt">werden</em> (<em class="gesperrt">würden</em>!) – ich schrieb ihm, daß
-ich die Verantwortung nicht übernehmen <em class="gesperrt">könne</em>, sondern die
-anstößigen Stellen beseitigen <em class="gesperrt">werde</em> (<em class="gesperrt">würde</em>!)<a id="FNAnker_67" href="#Fussnote_67" class="fnanchor">[67]</a> – er
-erhebt den Vorwurf gegen uns, daß wir damit ein bloßes Wahlmanöver
-<em class="gesperrt">bezwecken</em> (<em class="gesperrt">bezweckten</em>!) – er hatte vor seinem Tode den
-Wunsch geäußert, die Soldaten <em class="gesperrt">mögen</em> (<em class="gesperrt">möchten</em>!) nicht
-auf<span class="pagenum" id="Seite_153">[S. 153]</span> seinen Kopf zielen – der Verfasser sucht nachzuweisen, daß die
-behaupteten Erfolge nicht <em class="gesperrt">bestehen</em> (<em class="gesperrt">bestünden</em>!) –
-durch die Städte und Dörfer eilte die Schreckenskunde, daß Haufen
-französischer Freischärler den Rhein überschritten <em class="gesperrt">haben</em>
-(<em class="gesperrt">hätten</em>!) und sich sengend und brennend über das Land
-<em class="gesperrt">ergießen</em> (<em class="gesperrt">ergössen</em>!) – ich hatte ihm bei der letzten
-Besprechung gesagt, ich <em class="gesperrt">begreife</em> (<em class="gesperrt">begriffe</em>!) sehr wohl,
-daß unser Verhältnis nicht wieder angeknüpft werden könne usw.</p>
-
-<p>Daß die Verfasser dieser Sätze den Indikativ hätten gebrauchen wollen,
-ist nicht anzunehmen; sie haben ohne Zweifel alle die redliche Absicht
-gehabt, einen Konjunktiv hinzuschreiben. Aber sie haben alle jenes
-Papiergespenst erwischt, das in der Schulgrammatik, um das Kästchen
-der Konjugationstabelle zu füllen, als Konjunktiv des Präsens oder des
-Perfekts dasteht, aber in der Satzbildung dazu völlig unbrauchbar ist.</p>
-
-<p>Ganz entsetzlich zu lesen sind Zeitungsberichte über „stattgefundne“
-Versammlungen und die dabei „stattgefundnen“ Debatten. Was die Redner
-da gesagt haben, erscheint ja in den Berichten in abhängiger Rede.
-Aber von Anfang bis zu Ende wird alles mechanisch in den Konjunktiv
-der Gegenwart gesetzt, dazwischen noch so und so viel Indikative. Da
-aber mindestens fünfzig von hundert solchen Konjunktiven gar nicht als
-solche gefühlt werden können, so taumeln die Berichte nun unausgesetzt
-zwischen Konjunktiv und Indikativ hin und her. Auch Protokolle werden
-jetzt zum größten Teil so abgefaßt.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Der_Konjunktiv_der_Nichtwirklichkeit">Der Konjunktiv der Nichtwirklichkeit</h3>
-
-</div>
-
-<p>Eine zweite, ebenso unüberschreitbare Grenze für die Neigung, überall
-den Konjunktiv der Gegenwart vorzuziehen, liegt in einer gewissen
-Bedeutung des Konjunktivs der Vergangenheit. Der Indikativ stellt
-etwas als wirklich hin, der Konjunktiv nur als gedacht, gleichviel, ob
-diesem Gedachten die Wirklichkeit entspricht oder nicht. Es gibt aber
-noch einen dritten Fall. Es kann etwas als gedacht hingestellt, aber
-zugleich aufs bestimmteste ausgedrückt werden, daß diesem Gedachten<span class="pagenum" id="Seite_154">[S. 154]</span>
-die Wirklichkeit <em class="gesperrt">nicht</em> entspreche. Diese Aufgabe kann aber nur
-der Konjunktiv der Vergangenheit erfüllen. Das bekannteste Beispiel
-dafür und eins, das niemand falsch bildet, sind die sogenannten
-irrealen Konditionalsätze oder Bedingungssätze der Nichtwirklichkeit.
-Jedermann sagt und schreibt richtig: wenn ich Geld <em class="gesperrt">hätte</em>,
-<em class="gesperrt">käme ich</em>, oder: wenn ich Geld <em class="gesperrt">gehabt hätte</em>, <em class="gesperrt">wäre ich
-gekommen</em>. Der Sinn ist in dem ersten Falle: ich <em class="gesperrt">habe</em> aber
-keins, im zweiten: ich <em class="gesperrt">hatte</em> aber keins, mit andern Worten:
-sowohl das Geldhaben als die Folge davon, das Kommen, wird in beiden
-Fällen als nichtwirklich, als „irreal“ hingestellt. Die Sprache
-verfährt dabei sehr ausdrucksvoll. Sie rückt den Gedanken nicht bloß
-aus dem Bereiche der Wirklichkeit (den der Indikativ ausdrücken würde),
-sondern versetzt ihn außerdem auch noch in eine größere Zeitferne:
-eine irreale Bedingung in der Gegenwart wird durch das Imperfekt (wenn
-ich <em class="gesperrt">hätte</em>), eine irreale Bedingung in der Vergangenheit durch
-das Plusquamperfekt (wenn ich <em class="gesperrt">gehabt hätte</em>) ausgedrückt. Ein
-Schwanken in dem Tempus des Konjunktivs ist hier völlig ausgeschlossen;
-Imperfekt und Plusquamperfekt sind in solchen Sätzen unerläßlich.<a id="FNAnker_68" href="#Fussnote_68" class="fnanchor">[68]</a></p>
-
-<p>Solche Sätze bildet ja nun jeder richtig, wenn er auch vielleicht nie
-darüber nachgedacht hat, warum er sie so bildet. Die Bedingungssätze
-sind aber keineswegs die einzigen Nebensätze, die irrealen Sinn
-haben können. Etwas sehr gewöhnliches sind auch Relativsätze,
-Objektsätze, Kausalsätze, Folgesätze mit irrealem Sinn. In allen diesen
-Sätzen verfährt die lebendige Sprache genau so wie in den irrealen
-Bedingungssätzen, jedermann bildet auch sie in der Umgangssprache ganz
-richtig, ohne sich einen Augenblick zu besinnen, und sagt: ich kenne
-<em class="gesperrt">keinen</em> Menschen, den ich lieber <em class="gesperrt">hätte</em> als dich – ich
-weiß <em class="gesperrt">nichts</em> davon, daß er verreist <em class="gesperrt">gewesen wäre</em> – ich<span class="pagenum" id="Seite_155">[S. 155]</span>
-will nicht <em class="gesperrt">sagen</em>, daß ich keine Lust <em class="gesperrt">gehabt hätte</em><a id="FNAnker_69" href="#Fussnote_69" class="fnanchor">[69]</a>
-– er ist zu dieser Arbeit nicht zu brauchen, <em class="gesperrt">nicht</em> etwa weil
-er zu dumm dazu <em class="gesperrt">wäre</em> – ich bin <em class="gesperrt">nicht</em> so ungeduldig,
-daß ich es nicht erwarten <em class="gesperrt">könnte</em> usw. Aber der Papiermensch
-getraut sich solche Sätze nicht zu schreiben, er stutzt, zweifelt,
-wird irre, schreibt schließlich – den Indikativ, und so laufen
-einem denn täglich auch solche Sätze über den Weg wie: ich kenne
-<em class="gesperrt">keine</em> zweite Fachzeitschrift auf diesem Gebiete, die so allen
-Ansprüchen entgegen<em class="gesperrt">kommt</em> (<em class="gesperrt">käme</em>!) – die Geschichte
-kennt <em class="gesperrt">keine</em> Musiker, die auf rein autodidaktischem Wege zur
-Bedeutung gelangt <em class="gesperrt">sind</em> (<em class="gesperrt">wären</em>!) – es dürfte heute
-<em class="gesperrt">kein</em> Physiker zu ermitteln sein, der an die Möglichkeit
-eines absolut leeren Raumes <em class="gesperrt">glaube</em> (<em class="gesperrt">glaubte</em>!) –
-bei Shakespeare selbst findet sich <em class="gesperrt">kein</em> Wort, das auf eine
-solche Anschauung seines Helden <em class="gesperrt">deutet</em> (<em class="gesperrt">deutete</em>!) –
-es gibt <em class="gesperrt">kein</em> Stück Shakespeares, worin die Charaktere klarer
-entwickelt <em class="gesperrt">sind</em> (<em class="gesperrt">wären</em>!) – es gibt <em class="gesperrt">kein</em> zweites
-Industrieprodukt, das eine derartige Verbreitung gefunden <em class="gesperrt">hat</em>
-(<em class="gesperrt">hätte</em>!) – es gibt heute <em class="gesperrt">keine</em> Sängerin von Ruf, die
-diese Lieder nicht <em class="gesperrt">singt</em> (<em class="gesperrt">sänge</em>!), kein Publikum, das
-sie nicht begeistert <em class="gesperrt">aufnimmt</em> (<em class="gesperrt">aufnähme</em>!) – Wien
-ist gegenwärtig <em class="gesperrt">kein</em> Platz, wo goldne Sporen zu verdienen
-<em class="gesperrt">sind</em> (<em class="gesperrt">wären</em>!) – es <em class="gesperrt">fehlte</em> bisher an einem Buche,
-<em class="gesperrt">das</em> dem Laien verständlich <em class="gesperrt">war</em> (<em class="gesperrt">gewesen wäre</em>!)
-und zugleich auf der Höhe der Wissenschaft <em class="gesperrt">stand</em> (<em class="gesperrt">gestanden
-hätte</em>!) – es gibt <em class="gesperrt">keinen</em>, <em class="gesperrt">der</em> die Entwicklung
-der politischen Verhältnisse <em class="gesperrt">kennt</em> (<em class="gesperrt">kennte</em>!), keinen,
-der sagen <em class="gesperrt">kann</em> (<em class="gesperrt">könnte</em>!): morgen wird es so sein –
-<em class="gesperrt">nie</em> hat er etwas getan, <em class="gesperrt">was</em> mit seiner Untertanenpflicht
-in Widerspruch <em class="gesperrt">stand</em> (<em class="gesperrt">gestanden hätte</em>!) – wir haben
-seit langen Jahren <em class="gesperrt">kein</em> Abgeordnetenhaus gehabt, worin diese
-Partei so stark vertreten <em class="gesperrt">war</em> (<em class="gesperrt">gewesen wäre</em>!) – wir
-hören <em class="gesperrt">nichts</em> davon, daß die weniger betroffnen Gemeinden den
-Notleidenden die Hand <em class="gesperrt">boten</em> (<em class="gesperrt">geboten hätten</em>!) – ich<span class="pagenum" id="Seite_156">[S. 156]</span>
-gebe diese Auslassung wörtlich wieder, <em class="gesperrt">nicht</em> weil ich sie
-für sehr bedeutend <em class="gesperrt">halte</em> (<em class="gesperrt">hielte</em>!), sondern weil usw.
-– gewiß sind manche Fehler begangen worden, nicht etwa weil unsre
-Vorfahren unverständige Leute <em class="gesperrt">waren</em> (<em class="gesperrt">gewesen wären</em>!) und
-ihre Pflicht nicht getan <em class="gesperrt">haben</em> (<em class="gesperrt">hätten</em>!), sondern weil
-eine solche Entwicklung nicht vorauszusehen war – wie <em class="gesperrt">selten</em>
-sind diese Kenntnisse ein so sichrer Besitz geworden, <em class="gesperrt">daß</em> mit
-Freiheit darüber verfügt <em class="gesperrt">wird</em> (<em class="gesperrt">würde</em>!) – die Summe
-gewährt ihm <em class="gesperrt">keine</em> genügende Unterstützung, <em class="gesperrt">daß</em> er während
-seiner Studentenzeit sorgenfrei leben <em class="gesperrt">kann</em> (<em class="gesperrt">könnte</em>!)
-– so dumm sind unsre Schauspieler nicht, <em class="gesperrt">daß</em> man ihnen das
-alles haarklein vorschreiben <em class="gesperrt">muß</em> (<em class="gesperrt">müßte</em>!) – die Sache
-ist damals beanstandet worden, <em class="gesperrt">ohne daß</em> über den Grund aus den
-Akten etwas zu ersehen <em class="gesperrt">ist</em> (<em class="gesperrt">wäre</em>!) – ach, es war eine
-schöne Zeit, zu schön, <em class="gesperrt">als daß</em> sie lange dauern <em class="gesperrt">konnte</em>
-(<em class="gesperrt">hätte</em> dauern <em class="gesperrt">können</em>!) – zum Glück war ich noch zu
-klein, <em class="gesperrt">als daß</em> mir der Inhalt des Buches großen Schaden zufügen
-<em class="gesperrt">konnte</em> (<em class="gesperrt">hätte</em> zufügen <em class="gesperrt">können</em>!) – die Hauswirte
-lassen lieber die Wohnungen leer stehen, <em class="gesperrt">als daß</em> sie sie billig
-<em class="gesperrt">vermieten</em> (<em class="gesperrt">vermieteten</em>!) – <em class="gesperrt">anstatt daß</em> eine
-Beruhigung <em class="gesperrt">eintrat</em> (<em class="gesperrt">eingetreten wäre</em>!), bemächtigte sich
-vielmehr des ganzen Landes eine tiefe Aufregung.</p>
-
-<p>In allen diesen Sätzen drückt der Nebensatz etwas Nichtwirkliches
-aus. Zu allen diesen Nebensätzen ist gleichsam im Geist ein
-irrealer Bedingungssatz zu ergänzen: nie hat er etwas getan, was
-mit seiner Untertanenpflicht in Widerspruch <em class="gesperrt">gestanden hätte</em>
-(nämlich <em class="gesperrt">wenn er es getan hätte</em>, was eben <em class="gesperrt">nicht</em>
-der Fall <em class="gesperrt">war</em>). Also müssen sie auch alle in den Modus der
-Nichtwirklichkeit treten. Es würde ganz unbegreiflich sein, wie jemand
-solche Nebensätze in den Indikativ setzen kann, wenn nicht, wie so
-oft, die leidige Halbwisserei dabei im Spiele wäre. Man ist nicht
-unwissend genug, den richtigen Konjunktiv aus der lebendigen Sprache
-unangezweifelt zu lassen, aber man ist auch nicht wissend, nicht
-unterrichtet genug, den Zweifel niederzuschlagen und das richtige aufs
-Papier zu bringen.</p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_157">[S. 157]</span></p>
-
-<h3 id="Vergleichungssaetze">Vergleichungssätze. Als wenn, als ob</h3>
-
-</div>
-
-<p>Zu diesen Nebensätzen, die sehr oft irrealen Sinn haben, gehören nun
-auch die Vergleichungssätze, die mit <em class="gesperrt">als ob</em>, <em class="gesperrt">als wenn</em>,
-<em class="gesperrt">wie wenn</em> anfangen. Sehr oft kann oder muß man zu solchen
-Sätzen im Geiste den Gedanken ergänzen: was <em class="gesperrt">nicht</em> der Fall
-<em class="gesperrt">ist</em> oder: was <em class="gesperrt">nicht</em> der Fall <em class="gesperrt">war</em>, z.&#160;B.: er
-geht mit dem Gelde um, <em class="gesperrt">als ob</em> er (was nicht der Fall ist) ein
-reicher Mann <em class="gesperrt">wäre</em>. Auch diese Sätze werden in der lebendigen
-Sprache wie alle andern irrealen Nebensätze behandelt, d.&#160;h. in der
-Gegenwart stehen sie im Konjunktiv des Imperfekts, in der Vergangenheit
-im Konjunktiv des Plusquamperfekts. Auf dem Papier ist aber jetzt
-auch hier Verwirrung eingerissen. Man schreibt z.&#160;B.: er tut, als
-<em class="gesperrt">habe</em> er schon damals diese Absicht gehabt – er sah mich
-verwundert an, als ob ich irre <em class="gesperrt">rede</em> oder Fabeln <em class="gesperrt">erzähle</em>.
-Es muß heißen: als <em class="gesperrt">hätte</em> er – als ob ich irre <em class="gesperrt">redete</em>
-oder Fabeln <em class="gesperrt">erzählte</em> – ganz abgesehen davon, daß sich in
-dem zweiten Beispiel die Konjunktive der Gegenwart nicht von den
-Indikativen unterscheiden. Die Verwirrung geht so weit, daß solche
-Sätze jetzt sogar in den Indikativ gesetzt werden, z.&#160;B.: es will uns
-scheinen, als ob die mißgünstige Kritik einen sehr durchsichtigen Grund
-<em class="gesperrt">hat</em> – es macht den Eindruck, als ob das Stück der Zensurbehörde
-<em class="gesperrt">vorlag</em>, aber nicht die Sanktion <em class="gesperrt">erhielt</em> – es war, als ob
-seit dem Einzuge der verwitweten Tochter ein unheimlicher Druck auf dem
-ganzen Hause <em class="gesperrt">lag</em>.<a id="FNAnker_70" href="#Fussnote_70" class="fnanchor">[70]</a></p>
-
-<p>Soll nicht angedeutet werden, daß der in dem Vergleichungssatze
-stehende Gedanke nicht wirklich sei, so<span class="pagenum" id="Seite_158">[S. 158]</span> kann (nach einem Präsens
-im Hauptsatze) natürlich auch im Nebensatze der Konjunktiv der
-Gegenwart stehen, z.&#160;B.: es <em class="gesperrt">will</em> mir scheinen, <em class="gesperrt">als
-ob</em> er geflissentlich die Augen dagegen <em class="gesperrt">verschließe</em> –
-es <em class="gesperrt">gewinnt</em> den Anschein, <em class="gesperrt">als wolle</em> der Verfasser
-das sittliche Gefühl des Zuschauers absichtlich verletzen – ich
-<em class="gesperrt">habe</em> die Empfindung, <em class="gesperrt">als ob</em> ihm die Welt zuweilen recht
-verzerrt <em class="gesperrt">erschienen sei</em>.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Wuerde">Würde</h3>
-
-</div>
-
-<p>Wieviel zu der herrschenden Unsicherheit im Gebrauche der Modi die
-Unsitte beiträgt, die Hilfszeitwörter wegzulassen, ist schon gezeigt
-worden (vgl. <a href="#Seite_139">S. 139</a>). Nicht nur der Unterricht sollte darauf halten,
-sondern auch jeder Einzelne sich selbst so weit in Zucht nehmen, daß
-gerade da, wo ein Zweifel über den Modus entstehen kann, das bequeme
-Auskunftsmittel, das Hilfszeitwort zu unterdrücken, verschmäht würde,
-der Gedanke stets reinlich und bestimmt zu Ende gebracht würde. Für
-den Konjunktiv des Imperfekts aber und seinen richtigen Gebrauch ist
-insbesondere noch der Umstand verhängnisvoll geworden, daß man ihn
-in Hauptsätzen zu Bedingungssätzen durch den sogenannten Konditional
-(<em class="gesperrt">würde</em> mit dem Infinitiv) umschreiben kann (<em class="gesperrt">ich würde
-bringen</em> statt: <em class="gesperrt">ich brächte</em>). Das hat nicht nur dazu
-geführt, daß sich viele Leute von gewissen Zeitwörtern kaum noch
-einen wirklichen Konjunktiv des Imperfekts zu bilden getrauen, daß
-sie sich überall da, wo sie zweifeln (vgl. <a href="#Seite_62">S. 62</a>), mit dem kläglichen
-<em class="gesperrt">würde</em> behelfen, anstatt sich die Kenntnis der richtigen
-Verbalform zu verschaffen, sondern sie hat auch schon eine bedenkliche
-Verwirrung im Satzbau angerichtet. Von Süddeutschland und namentlich
-von Österreich aus hat sich aus dem fehlerhaften Hochdeutsch der
-Halbgebildeten immer mehr die Unsitte verbreitet, den Konditional auch
-in Bedingungs- und Relativsätzen, Vergleichungs- und Wunschsätzen
-anzuwenden.</p>
-
-<p>Man schreibt: ich würde mich nicht wundern, wenn ich in einer Zeitung
-<em class="gesperrt">lesen würde</em> (<em class="gesperrt">läse</em>!) – von großer Bedeutung wäre
-es, wenn sich der Leserkreis des Blattes<span class="pagenum" id="Seite_159">[S. 159]</span> <em class="gesperrt">erweitern würde</em>
-(<em class="gesperrt">erweiterte</em>) – wir könnten eine monumentale Sprache
-wiedergewinnen, wenn wir unser Denkmalschema <em class="gesperrt">verlassen würden</em>
-(<em class="gesperrt">verließen</em>!) – wie schematisch würde eine historische
-Darstellung ausfallen, wenn sie immer nur diese Maßstäbe <em class="gesperrt">anlegen
-würde</em> (<em class="gesperrt">anlegte</em>!) – weniger Sauberkeit und Regelmäßigkeit
-wäre dichterisch wertvoller, wenn sich eine starke Natur, eine
-glühende Leidenschaft, ein hoher Sinn <em class="gesperrt">offenbaren würden</em>
-(<em class="gesperrt">offenbarten</em>!) – der Christ, der sich <em class="gesperrt">einbilden würde</em>
-(<em class="gesperrt">einbildete</em>!), daß seine Religion die Menschen zu Engeln gemacht
-habe, wäre ein Utopist – der Stil seiner Abhandlung wird oft so hoch,
-als wenn er über Goethe <em class="gesperrt">schreiben würde</em> (<em class="gesperrt">schriebe</em>!) –
-hat die Kochstunde geschlagen, so muß das Feuer flackern, als ob es
-auf Kommando <em class="gesperrt">gehen würde</em> (<em class="gesperrt">ginge</em>!) – er fuhr mit den
-Händen auf und ab, als ob er <em class="gesperrt">buttern würde</em> (<em class="gesperrt">butterte</em>!) –
-wenn man diese Arbeit eines Spezialisten auf therapeutischem Gebiete
-durchstudiert, so bekommt man den Eindruck, als wenn man das Urteil
-eines Richters <em class="gesperrt">lesen würde</em> (<em class="gesperrt">läse</em>!), der in eigner Sache
-entscheidet – diese Romane tun, als <em class="gesperrt">würden</em> sie die Laster nur
-der Sittlichkeit wegen <em class="gesperrt">schildern</em> (<em class="gesperrt">schilderten</em>!) – es
-wäre zu wünschen, er <em class="gesperrt">würde</em> dieser Feier einmal <em class="gesperrt">beiwohnen</em>
-(<em class="gesperrt">wohnte bei</em>!) – es wäre dringend erwünscht, daß das Polizeiamt
-dieser Anregung Folge <em class="gesperrt">geben würde</em> (<em class="gesperrt">gäbe</em>!) – es gibt
-<em class="gesperrt">keine</em> Sphäre des Lebens, deren Anfänge nicht im Unbewußten
-<em class="gesperrt">liegen würden</em> (<em class="gesperrt">lägen</em>!) – wenn nur wenigstens
-künstlerische Form ihre Darstellung <em class="gesperrt">adeln würde</em> (<em class="gesperrt">adelte</em>!)
-– der Engländer ist zu sachlich und zu praktisch, als daß er selber
-beleidigend <em class="gesperrt">auftreten würde</em> (<em class="gesperrt">aufträte</em>!) – der Ernst des
-militärischen Lebens läßt es sich ab und zu gefallen, daß das Blümlein
-Humor an ihm emporwuchert, ohne daß sich dadurch das feste Gefüge der
-Disziplin <em class="gesperrt">lockern würde</em> (<em class="gesperrt">lockerte</em>!).</p>
-
-<p>Ein wahres Wunder, daß wir den Kehrreim bei Mirza Schaffy und
-Rubinstein: ach, wenn es doch immer so <em class="gesperrt">bliebe</em>! nicht längst
-verschönert haben zu: ach, wenn es doch immer <em class="gesperrt">so bleiben würde</em>!
-Ein wahres Wunder, daß wir das alte Volkslied: wenn ich ein Vöglein
-<em class="gesperrt">wär</em><span class="pagenum" id="Seite_160">[S. 160]</span> und auch zwei Flüglein <em class="gesperrt">hätt</em>! noch nicht umgestaltet
-haben zu: wenn ich ein Vöglein <em class="gesperrt">sein würde</em> und auch zwei Flüglein
-<em class="gesperrt">haben würde</em>! Denn so müßte es doch eigentlich in dem schönen
-österreichischen Zeitungshochdeutsch heißen! Im Volksdialekt heißt es
-freilich ganz richtig: Wann i a Vögerl war (= wär) und a zwoa Flügerln
-hätt.</p>
-
-<p>Nicht zu verwerfen ist es, wenn in Bedingungs- und Wunschsätzen anstatt
-des Konjunktivs ein <em class="gesperrt">wollte</em>, <em class="gesperrt">sollte</em> oder <em class="gesperrt">möchte</em>
-mit dem Infinitiv erscheint. Der Satz kann hierdurch bisweilen eine
-feine Färbung erhalten. Wenn ich mir das <em class="gesperrt">erlauben wollte</em> – ist
-etwas andres als das einfache: wenn ich mir das <em class="gesperrt">erlaubte</em>, wenn
-er sich so etwas <em class="gesperrt">unterstehen sollte</em> – etwas andres als das
-einfache: wenn er sich das <em class="gesperrt">unterstünde</em> – wenn sich doch die
-Regierung einmal ernstlich darum <em class="gesperrt">kümmern möchte</em> – etwas andres
-als das einfache: wenn sie sich doch einmal darum <em class="gesperrt">kümmerte</em>.
-Eine so sinnvolle Verwendung der Hilfszeitwörter ist natürlich mit
-dem inhaltlosen, nichtssagenden <em class="gesperrt">würde</em> nicht auf eine Stufe zu
-stellen.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Noch_ein_falsches_wuerde">Noch ein falsches würde</h3>
-
-</div>
-
-<p>Ein abscheulicher Stilunfug, der jetzt durch unsre gesamte
-Erzählungsliteratur geht, ist die Schluderei, die Erzählung durch
-eine abhängige (indirekte) Rede zu unterbrechen, ohne ein Zeitwort
-des Sagens, Denkens oder Meinens vorauszuschicken oder wenigstens
-einzuschalten. Etwa so: Trotz solcher bittern Erfahrungen ließ H.
-den Mut nicht sinken. Er <em class="gesperrt">würde</em> nach Berlin gehn, <em class="gesperrt">würde</em>
-sich dort Arbeit suchen, und es <em class="gesperrt">würden</em> auch wieder bessere
-Zeiten kommen. Jeder, der das liest, glaubt zunächst, der Erzähler
-spreche weiter, „Er würde“ sei der Konjunktiv des Imperfekts, und es
-werde nun ein Bedingungssatz folgen. Statt dessen ist der Satz als
-indirekte Rede dem Helden in den Mund gelegt, und „Er würde“ soll
-der Konjunktiv des Futurums sein (in direkter Rede: <em class="gesperrt">ich werde</em>
-nach Berlin gehn, <em class="gesperrt">werde</em> mir dort Arbeit suchen, und es werden
-auch wieder bessere Zeiten kommen). Ein guter Erzähler hätte etwa so
-geschrieben:<span class="pagenum" id="Seite_161">[S. 161]</span> Er <em class="gesperrt">wollte</em> nach Berlin gehn, er <em class="gesperrt">beschloß</em>,
-nach Berlin zu gehn, er <em class="gesperrt">hoffte</em>, daß auch wieder bessere Zeiten
-kommen würden. Das unvorbereitete Umspringen in die indirekte Rede soll
-wohl der Darstellung etwas dramatisch lebendiges geben, es ist aber
-eine Liederlichkeit. Leider ist sie in neuern Erzählungen schon so
-verbreitet, daß sie dem gewohnheitsmäßigen Romanfresser gar nicht mehr
-auffällt. Woher sie stammt? Wie es scheint, aus schlecht übersetzten
-Erzählungen aus den skandinavischen Sprachen.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Der_Infinitiv">Der Infinitiv. Zu und um zu</h3>
-
-</div>
-
-<p>In den Infinitivsätzen werden mannigfaltige Fehler gemacht. Vor allem
-reißt eine immer größere Verwirrung in dem Gebrauch von <em class="gesperrt">zu</em>
-und <em class="gesperrt">um zu</em> ein, und zwar so, daß sich <em class="gesperrt">um zu</em> immer öfter
-an Stellen drängt, wo nur <em class="gesperrt">zu</em> hingehört. Und doch ist zwischen
-beiden ein großer Unterschied. Der Infinitiv mit <em class="gesperrt">um zu</em>
-bezeichnet den Zweck einer Handlung; der Infinitiv mit <em class="gesperrt">zu</em>
-dagegen dient zur Begriffsergänzung des Hauptworts oder Zeitworts, von
-dem er abhängt. In einem Satze wie: die schönen Tage <em class="gesperrt">benutzte</em>
-ich, die Gegend <em class="gesperrt">zu durchstreifen</em>, <em class="gesperrt">um</em> meine Gesundheit
-<em class="gesperrt">zu kräftigen</em> – ist der Sinn von <em class="gesperrt">zu</em> und <em class="gesperrt">um zu</em>
-deutlich zu sehen. Ich benutzte die schönen Tage – das verlangt
-eine Ergänzung. Wozu denn? fragt man; das bloße <em class="gesperrt">benutzte</em>
-sagt noch nichts. Die notwendige Ergänzung lautet: die Gegend <em class="gesperrt">zu
-durchstreifen</em>. Aber das ist kein Zweck; der Zweck wird dann noch
-besonders angegeben: <em class="gesperrt">um</em> meine Gesundheit <em class="gesperrt">zu kräftigen</em>.<a id="FNAnker_71" href="#Fussnote_71" class="fnanchor">[71]</a></p>
-
-<p>Solche ergänzungsbedürftige Begriffe gibt es nun in Menge. Von
-Hauptwörtern gehören dazu: <em class="gesperrt">Art und Weise</em>, <em class="gesperrt">Mittel</em>,
-<em class="gesperrt">Macht</em>, <em class="gesperrt">Kraft</em>, <em class="gesperrt">Lust</em>, <em class="gesperrt">Absicht</em>,
-<em class="gesperrt">Versuch</em>, <em class="gesperrt">Zeit</em>, <em class="gesperrt">Alter</em>, <em class="gesperrt">Geld</em>,
-<em class="gesperrt">Gelegenheit</em>, <em class="gesperrt">Ort</em>, <em class="gesperrt">Anlaß</em> usw., von Zeitwörtern:
-<em class="gesperrt">imstande sein</em>, <em class="gesperrt">genug</em> (<em class="gesperrt">groß genug</em>, <em class="gesperrt">alt genug</em>
-usw.) <em class="gesperrt">sein</em>, <em class="gesperrt">genügen</em>, <em class="gesperrt">hinreichen</em>, <em class="gesperrt">passen</em>,
-<em class="gesperrt">geeignet sein</em>, <em class="gesperrt">angetan sein</em>, <em class="gesperrt">dasein</em>, <em class="gesperrt">dazu
-gehören</em>, <em class="gesperrt">dienen</em>, <em class="gesperrt">benutzen</em> usw. Auf<span class="pagenum" id="Seite_162">[S. 162]</span> alle diese
-Begriffe darf nur der Infinitiv mit <em class="gesperrt">zu</em> folgen.<a id="FNAnker_72" href="#Fussnote_72" class="fnanchor">[72]</a> Dennoch
-wird jetzt immer öfter geschrieben: es wurde eine günstige
-<em class="gesperrt">Gelegenheit</em> benutzt, <em class="gesperrt">um sich</em> einen Weg durch die Feinde
-zu <em class="gesperrt">bahnen</em> – hierin sehen wir das beste <em class="gesperrt">Mittel</em>, <em class="gesperrt">um</em>
-einem Mißbrauch der Staatssteuer <em class="gesperrt">vorzubeugen</em> – als er endlich
-<em class="gesperrt">Kraft</em> und <em class="gesperrt">Lust</em> fühlte, <em class="gesperrt">um</em> sich an monumentalen
-Aufgaben zu <em class="gesperrt">versuchen</em> – sogar eine Übung mit dem Zeitwort muß
-den <em class="gesperrt">Anlaß</em> geben, <em class="gesperrt">um</em> den Rachekrieg <em class="gesperrt">zu predigen</em> –
-wo ist in der Türkei ein <em class="gesperrt">Mann</em>, <em class="gesperrt">um so</em> umfassende Aufgaben
-<em class="gesperrt">durchzuführen</em>? – wenn man wirklich einmal die <em class="gesperrt">Zeit</em>
-gewinnt, <em class="gesperrt">um</em> ein aus dem Drange des Herzens geschaffnes Werk
-<em class="gesperrt">zu vollenden</em> – nach den Vorbereitungen für die Schule behielt
-sie noch <em class="gesperrt">Zeit</em> übrig, <em class="gesperrt">um</em> deutsche Gedichte <em class="gesperrt">zu lesen</em>
-– alle waren in dem <em class="gesperrt">Alter</em>, <em class="gesperrt">um</em> die Gefahr <em class="gesperrt">zu
-begreifen</em> – wie viele Schulbibliotheken haben kein <em class="gesperrt">Geld</em>,
-<em class="gesperrt">um</em> sich Rankes Weltgeschichte <em class="gesperrt">zu kaufen</em>! – er hatte das
-nötige <em class="gesperrt">Geld</em>, <em class="gesperrt">um</em> durch Reisen seinen Wissensdurst <em class="gesperrt">zu
-befriedigen</em> – es <em class="gesperrt">gehört</em> schon eine bedeutende Einnahme
-<em class="gesperrt">dazu</em>, <em class="gesperrt">um</em> sich eine anständige Wohnung <em class="gesperrt">verschaffen zu
-können</em> – manche Aufzeichnungen scheinen mir nicht <em class="gesperrt">geeignet</em>,
-<em class="gesperrt">um</em> einen Platz in diesen Denkwürdigkeiten <em class="gesperrt">zu finden</em> –
-die Zeitlage ist nicht dazu <em class="gesperrt">angetan</em>, <em class="gesperrt">um</em> diese Forderungen
-<em class="gesperrt">zu bewilligen</em> – den Aufenthalt in Berlin <em class="gesperrt">benutzte</em>
-ich, <em class="gesperrt">um</em> mich auch den ältern Fachgenossen <em class="gesperrt">vorzustellen</em>
-– die Arbeiter <em class="gesperrt">sind</em> nur dazu <em class="gesperrt">da</em>, <em class="gesperrt">um</em> den
-Hausbesitzern eine möglichst hohe Grundrente <em class="gesperrt">zu sichern</em> – sind
-diese Gründe wirklich <em class="gesperrt">genügend</em>, <em class="gesperrt">um</em> das Bestehen einer
-solchen Einrichtung <em class="gesperrt">zu rechtfertigen</em>? – ist unsre Sprache noch
-<em class="gesperrt">jung genug</em>, <em class="gesperrt">um</em> (!) neue Wörter <em class="gesperrt">zu erzeugen</em>? –
-ein Jahrhundert ist <em class="gesperrt">lang genug</em>, <em class="gesperrt">um</em> (!) in der Sprache
-erhebliche Änderungen <em class="gesperrt">hervorzurufen</em> – der deutsche Geist war
-<em class="gesperrt">stark genug</em> geworden, <em class="gesperrt">um</em>(!) die fremden Ketten <em class="gesperrt">zu
-brechen</em> – ich<span class="pagenum" id="Seite_163">[S. 163]</span> muß abwarten, ob ihm mein Wesen <em class="gesperrt">Interesse
-genug</em> einflößen wird, <em class="gesperrt">um</em>(!) sich mit mir abzugeben. Eine
-Zeitung schreibt: die englische Regierung wird <em class="gesperrt">nichts tun</em>,
-<em class="gesperrt">um</em> die Gemeinsamkeit in dem Vorgehen der Mächte <em class="gesperrt">zu
-stören</em>. Das kann doch nur heißen: sie wird sich untätig verhalten,
-damit sie das gemeinsame Vorgehen der Mächte störe. Es soll aber
-heißen: sie wird alles unterlassen, was das gemeinsame Vorgehen stören
-könnte. Solches Unheil richtet das dumme <em class="gesperrt">um</em> an!</p>
-
-<p>Namentlich hinter den Verbindungen mit <em class="gesperrt">genug</em> hat <em class="gesperrt">um zu</em>
-gewaltig um sich gegriffen, obwohl sich die lebendige Sprache meist
-noch mit dem bloßen zu begnügt, und die Mutter zu ihrem Jungen ganz
-richtig sagt: du bist <em class="gesperrt">alt genug</em>, das <em class="gesperrt">zu begreifen</em>!
-Vollends verdrängt worden ist aber das ursprüngliche einfache <em class="gesperrt">zu</em>
-nach den mit <em class="gesperrt">zu</em> verbundnen Adjektiven: Gott ist <em class="gesperrt">zu hoch</em>,
-<em class="gesperrt">um</em> sich um die Kleinigkeiten der Welt <em class="gesperrt">zu kümmern</em> – der
-Stoff ist viel <em class="gesperrt">zu umfänglich</em>, <em class="gesperrt">um</em> ihn in öffentlichen
-Vorlesungen <em class="gesperrt">zu behandeln</em> – sie haben <em class="gesperrt">zu wenig</em> Bildung,
-<em class="gesperrt">um</em> ihre Taktlosigkeiten <em class="gesperrt">zu erkennen</em> – die Mannschaft ist
-<em class="gesperrt">zu gering</em>, <em class="gesperrt">um</em> einen festen Stützpunkt für die Schulung
-der Rekruten <em class="gesperrt">abzugeben</em>. Auch hier genügt überall das einfache
-<em class="gesperrt">zu</em> und hat auch früher genügt. (Freilich heißt es auch schon im
-Faust: Ich bin <em class="gesperrt">zu alt</em>, <em class="gesperrt">um</em> nur <em class="gesperrt">zu spielen</em>, <em class="gesperrt">zu
-jung</em>, <em class="gesperrt">um</em> ohne Wunsch <em class="gesperrt">zu sein</em>.)</p>
-
-<p>Wie die angeführten Beispiele zeigen, ist es nicht nötig, daß
-das Subjekt des Infinitivsatzes immer dasselbe sei wie das des
-Hauptsatzes. Doch ist es gut, dabei vorsichtig zu sein. Es braucht bei
-Verschiedenheit des Subjekts nicht immer solcher Unsinn herauszukommen
-wie in dem Satze: <em class="gesperrt">ohne Gefahr zu ahnen</em>, <em class="gesperrt">geriet ein</em>
-vom Abhange rollender <em class="gesperrt">Stein</em> unter das Vorderrad des Wagens
-– es sind auch solche Sätze schlecht wie: die Kurfürstin ließ den
-Hofprediger rufen, um sie mit den Tröstungen der Religion <em class="gesperrt">zu
-erquicken</em>; hier wird nur der Fehler durch den Gegensatz der
-Geschlechter verschleiert. Man setze statt der Kurfürstin den
-Kurfürsten, und sofort entsteht Unsinn, sofort müßte der Infinitivsatz
-geändert und geschrieben werden, <em class="gesperrt">um sich</em> von ihm mit<span class="pagenum" id="Seite_164">[S. 164]</span> den
-Tröstungen der Religion <em class="gesperrt">erquicken zu lassen</em>. Erträglich sind
-aber folgende Sätze: der achteckige Aufbau soll wegfallen, <em class="gesperrt">um</em>
-Turm und Schiff in größern Einklang <em class="gesperrt">zu bringen</em> – das Fechten
-mit der blanken Waffe sollte fleißig geübt werden, <em class="gesperrt">um</em>
-nötigenfalls mit der eignen Person <em class="gesperrt">eintreten zu können</em> –
-zurzeit liegt die Fregatte im Trockendock, <em class="gesperrt">um</em> sie für die
-Winterreise <em class="gesperrt">vorzubereiten</em>. Hier schwebt beim Infinitiv ein
-unbestimmtes Subjekt (<em class="gesperrt">man</em>) vor.</p>
-
-<p>Vorsichtig muß man auch mit einer Anwendung des Infinitivs mit
-<em class="gesperrt">um zu</em> sein, die manche sehr lieben, nämlich der, von zwei
-aufeinanderfolgenden Vorgängen den zweiten als eine Art von Verhängnis
-oder Schicksalsbestimmung hinzustellen und dabei in die Form eines
-Absichtssatzes zu kleiden, z.&#160;B.: der Herzog kehrte nach F. zurück,
-um es nie wieder <em class="gesperrt">zu verlassen</em>. Der Sinn ist: es war ihm
-vom Schicksal bestimmt, es nie wieder zu verlassen, während seine
-Absicht vielleicht war, es noch recht oft zu verlassen. Man kann
-diesen Gebrauch das ironische <em class="gesperrt">um zu</em> nennen. Es entsteht
-aber sehr oft ein lächerlicher Sinn dabei, z.&#160;B.: er wurde in dem
-Kloster Lehnin beigesetzt, <em class="gesperrt">um</em> später in den Dom zu Kölln
-an der Spree <em class="gesperrt">überführt</em> (!) <em class="gesperrt">zu werden</em> – er schloß
-sich der Emin-Pascha-Expedition an, <em class="gesperrt">um</em> ein trauriges Ende
-dabei <em class="gesperrt">zu finden</em> – täglich wird eine Masse von Konzert- und
-Theaterberichten geschrieben, <em class="gesperrt">um</em> schnell wieder <em class="gesperrt">vergessen
-zu werden</em> – beim Eintreffen der Feuerwehr brannte das Gebäude
-bereits vollständig, <em class="gesperrt">um</em> schließlich <em class="gesperrt">einzustürzen</em> –
-die Einzeichnungen beginnen im Jahre 1530, <em class="gesperrt">um</em> schon im Jahre
-1555 wieder <em class="gesperrt">abzubrechen</em> – vor etwa dreißig Jahren sind die
-Niersteiner Quellen versiegt, <em class="gesperrt">um</em> erst neuerdings wieder
-<em class="gesperrt">hervorzubrechen</em> – nach einigen Jahren wandte er sich nach
-Magdeburg, doch nur, <em class="gesperrt">um</em> dort in noch größere Bedrängnis <em class="gesperrt">zu
-geraten</em> – die Schwestern reisten in die Schweiz, wo sie sich
-trennten, <em class="gesperrt">um</em> sich nie <em class="gesperrt">wiederzusehen</em>. Das Richtige wären
-hier überall zwei Hauptsätze.</p>
-
-<p>Mit dem Hilfszeitwort <em class="gesperrt">sein</em> verbunden kann der Infinitiv mit
-<em class="gesperrt">zu</em> sowohl die Möglichkeit wie die Notwendigkeit<span class="pagenum" id="Seite_165">[S. 165]</span> ausdrücken; das
-<em class="gesperrt">ist zu erreichen</em> heißt: das <em class="gesperrt">kann</em> erreicht werden, das
-<em class="gesperrt">ist zu beklagen</em> heißt: das <em class="gesperrt">muß</em> beklagt werden. Daher muß
-man sich vor Zweideutigkeiten hüten, wie: ein Fräulein sucht Stelle bei
-einem geistlichen Herrn; gute Zeugnisse <em class="gesperrt">sind vorzulegen</em>.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Das_Partizipium">Das Partizipium. Die stattgefundne Versammlung</h3>
-
-</div>
-
-<p>Partizipia hat unsre Sprache nur zwei: ein aktives in der Gegenwart
-(ein <em class="gesperrt">beißender</em> Hund, d.&#160;i. ein Hund, der beißt), und ein
-passives in der Vergangenheit (ein <em class="gesperrt">gebissener</em> Hund, d.&#160;i. ein
-Hund, der <em class="gesperrt">gebissen worden</em> ist).<a id="FNAnker_73" href="#Fussnote_73" class="fnanchor">[73]</a> Für die Gegenwart fehlt es
-an einem passiven, für die Vergangenheit an einem aktiven Partizipium;
-weder ein Hund, der gebissen <em class="gesperrt">wird</em>, noch ein Hund, der gebissen
-<em class="gesperrt">hat</em>, kann durch ein Partizip ausgedrückt werden.<a id="FNAnker_74" href="#Fussnote_74" class="fnanchor">[74]</a> Nur
-wirkliche Passiva von transitiven Zeitwörtern und im Aktiv solche
-Intransitiva, die sich zur Bildung der Vergangenheit des Hilfszeitworts
-<em class="gesperrt">sein</em> bedienen (<em class="gesperrt">gehen</em>, <em class="gesperrt">laufen</em>, <em class="gesperrt">sterben</em>),
-können ein Partizip der Vergangenheit bilden (<em class="gesperrt">gegangen</em>,
-<em class="gesperrt">gelaufen</em>, <em class="gesperrt">gestorben</em>).</p>
-
-<p>Diese Schranke hat aber nicht immer bestanden. In der ältern Zeit ist
-das Partizipium der Gegenwart auch im passiven Sinne gebraucht worden.
-Noch im achtzehnten und zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts sagte
-man ganz unbedenklich: zu einer <em class="gesperrt">vorhabenden Reise</em>, zu seinem
-<em class="gesperrt">vorhabenden</em> neuen <em class="gesperrt">Bau</em>, sein vor dem Tore <em class="gesperrt">besitzendes
-Haus</em>, das gegen mich <em class="gesperrt">tragende Vertrauen</em>, laut der in
-Händen <em class="gesperrt">habenden Urkunde</em>, die Briefe des sich von meiner
-<em class="gesperrt">unterhabenden Kompagnie</em> selbst entleibten (!) Unteroffiziers,
-er nahm dem<span class="pagenum" id="Seite_166">[S. 166]</span> Erschlagnen die bei sich <em class="gesperrt">tragenden Pretiosen</em>
-ab, wir konnten uns nur mit Mühe den <em class="gesperrt">bedürfenden Bissen</em> Brot
-verschaffen usw., ja man sprach sogar von <em class="gesperrt">essender Ware</em> (statt
-von <em class="gesperrt">Eßware</em>). Aber diese Erscheinung ist doch nach und nach
-durch den Unterricht beseitigt worden. Höchst selten kommt es vor, daß
-man in einer Zeitung noch heute einen Satz liest wie: er hatte nichts
-eiligeres zu tun, als ihm eine <em class="gesperrt">in der Hand haltende Flasche</em> an
-den Kopf zu werfen. Verkehrt aber wäre es, die <em class="gesperrt">fahrende Habe</em>
-mit unter diese Ausdrücke zu rechnen, denn hier hat das Partizip
-wirklich aktiven Sinn, wie bei dem <em class="gesperrt">fahrenden Volke</em>: der Fuhrmann
-<em class="gesperrt">führt</em> die Habe, die Habe aber <em class="gesperrt">wird geführt</em>, oder sie
-<em class="gesperrt">fährt</em> (vgl. <a href="#Seite_56">S. 56</a>).</p>
-
-<p>Andrerseits hat man nach dem Beispiel der intransitiven Partizipia
-schon frühzeitig angefangen, auch passive Partizipia von transitiven
-Zeitwörtern aktivisch zu verwenden. Einzelne Beispiele davon
-haben sich so in der Sprache eingebürgert, daß sie gar nicht mehr
-als falsch empfunden werden; man braucht nur an Verbindungen zu
-denken wie: ein <em class="gesperrt">geschworner</em> Bote, ein <em class="gesperrt">abgesagter</em>
-Feind, ein <em class="gesperrt">gedienter</em> Soldat, ein <em class="gesperrt">gelernter</em> Kellner,
-ein <em class="gesperrt">studierter</em> Mann, ein <em class="gesperrt">erfahrner</em> Arzt, ein
-<em class="gesperrt">verdienter</em> Schulmann usw. Alle diese Partizipia haben aktive
-Bedeutung, auch der <em class="gesperrt">abgesagte</em> Feind, der natürlich ein
-Feind ist, der einer Person oder einer Sache <em class="gesperrt">abgesagt</em>, ihr
-gleichsam die Absage geschickt <em class="gesperrt">hat</em>; aber sie werden kaum noch
-als Partizipia gefühlt, man fühlt und behandelt sie wie Adjektiva.
-Auch Verneinungen solcher Partizipia sind gebildet worden, wie
-<em class="gesperrt">ungepredigt</em>, <em class="gesperrt">ungefrühstückt</em>: er mußte <em class="gesperrt">ungepredigt</em>
-wieder von der Kanzel gehen. Aber auch diese Verirrung ist doch im
-Laufe der Zeit durch den Unterricht beseitigt worden, und heute
-erscheint es uns unerträglich, zu sagen: der vormals zu diesem Hause
-<em class="gesperrt">gehörte</em> Garten, die zwischen den Parteien <em class="gesperrt">gewaltete</em>
-Uneinigkeit, eine im vorigen Jahrhundert <em class="gesperrt">obgeschwebte</em>
-Rechtssache, durch Dekoration leicht <em class="gesperrt">gelittene</em> Artikel,
-die dem Feste <em class="gesperrt">beigewohnten</em> Mitglieder, die an der Feier
-<em class="gesperrt">teilgenommenen</em> Offiziere, Nacht verhüllte seinen ihm<span class="pagenum" id="Seite_167">[S. 167]</span> so lange
-<em class="gesperrt">gestrahlten</em> Glücksstern,<a id="FNAnker_75" href="#Fussnote_75" class="fnanchor">[75]</a> und nun vollends in Verbindung mit
-einem Objekt: die das Zeitliche <em class="gesperrt">gesegneten</em> Mitglieder, das den
-Lokomotivführer <em class="gesperrt">betroffne</em> Unglück, eine inzwischen Gesetzeskraft
-<em class="gesperrt">erlangte</em> Übereinkunft, die im vorigen Jahre eingerichtete und
-sehr günstige Aufnahme <em class="gesperrt">gefundne</em> Auskunftsstelle, trotz ihres
-hohen nun schon ein Jahrhundert <em class="gesperrt">überschrittnen</em> Alters. Vor
-allem aber unerträglich erscheinen die <em class="gesperrt">stattgehabte</em> und die
-<em class="gesperrt">stattgefundne</em> Versammlung. Je häufiger die beiden Zeitwörter
-<em class="gesperrt">statthaben</em> und <em class="gesperrt">stattfinden</em> – namentlich das zweite
-– ohnehin in unsrer Amts- und Zeitungssprache verwandt werden, je
-lebendiger man sie also als Zeitwörter, und zwar als aktive, mit einem
-Objekt verbundne Zeitwörter (<em class="gesperrt">Statt finden</em>, d.&#160;h. Platz finden)
-fühlt, desto widerwärtiger sind für jeden Menschen, der sich noch
-etwas Sprachgefühl bewahrt hat, diese zahllosen <em class="gesperrt">stattgefundnen</em>
-Versammlungen, Beratungen, Verhandlungen, Wahlen, Prüfungen,
-Untersuchungen, Audienzen, Feuersbrünste usw.<a id="FNAnker_76" href="#Fussnote_76" class="fnanchor">[76]</a></p>
-
-<p>Sie sind aber doch so kurz und bequem, soll man denn immer Nebensätze
-bilden? Nein, das soll man nicht; aber man soll ein klein wenig
-nachdenken, sich in dem Reichtum unsrer Sprache umsehen und dann
-schreiben: die <em class="gesperrt">veranstaltete</em> Feier, die <em class="gesperrt">abgehaltne</em>
-Versammlung, die <em class="gesperrt">vorgenommne</em> Abstimmung, die <em class="gesperrt">angestellte</em>
-Untersuchung, die <em class="gesperrt">bewilligte</em> Audienz, die <em class="gesperrt">ausgebrochne</em>
-Feuersbrunst usw., oder man soll, was in tausend Fällen das
-gescheiteste ist, das müßige Partizipium ganz weglassen. Die
-<em class="gesperrt">stattgefundne Untersuchung</em> ergab – kann denn eine Untersuchung
-etwas<span class="pagenum" id="Seite_168">[S. 168]</span> ergeben, die <em class="gesperrt">nicht</em> stattgefunden hat? In R. ereignete
-sich bei einer <em class="gesperrt">stattgehabten Feuersbrunst</em> das Unglück – kann
-sich auch ein Unglück ereignen bei einer Feuersbrunst, die nicht
-stattgehabt hat? Über den <em class="gesperrt">stattgefundnen Wechsel</em> im Ministerium
-sind unsre Leser bereits unterrichtet – können die Leser auch
-unterrichtet sein über einen Wechsel, der <em class="gesperrt">nicht</em> stattgefunden
-hat?</p>
-
-<p>Nicht viel besser als die <em class="gesperrt">stattgefundnen</em> Versammlungen sind
-aber auch der bei einem Meister in Arbeit <em class="gesperrt">gestandne Geselle</em>
-und der seit langer Zeit hier <em class="gesperrt">bestandne Saatmarkt</em>, das
-früher <em class="gesperrt">bestandne Hindernis</em> und das lange <em class="gesperrt">bestandne</em>
-freundschaftliche <em class="gesperrt">Verhältnis</em>. Freilich sagt man in
-Süddeutschland: er <em class="gesperrt">ist gestanden</em> (vgl. <a href="#Seite_59">S. 59</a>), und er <em class="gesperrt">ist
-bestanden</em><a id="FNAnker_77" href="#Fussnote_77" class="fnanchor">[77]</a>; aber in der Schriftsprache empfindet man das doch
-als Provinzialismus. Es gibt aber sogar Schulräte, die nicht bloß
-von <em class="gesperrt">bestandnen Prüfungen</em>, sondern auch von <em class="gesperrt">bestandnen
-Kandidaten</em> reden! Dann darf man sich freilich nicht mehr über die
-Zeitungschreiber und die Kanzlisten wundern.<a id="FNAnker_78" href="#Fussnote_78" class="fnanchor">[78]</a></p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Das_sich_ereignete_Unglueck">Das sich ereignete Unglück</h3>
-
-</div>
-
-<p>Aus dem vorigen ergibt sich von selbst, warum man auch nicht sagen
-darf: das <em class="gesperrt">sich gebildete</em> Blatt. Alle reflexiven Zeitwörter
-gebrauchen in der Vergangenheit das Hilfszeitwort <em class="gesperrt">haben</em>,
-können also kein Partizip der Vergangenheit bilden. Falsch sind
-daher alle Verbindungen wie: der <em class="gesperrt">sich ereignete</em> Jagdunfall,
-die <em class="gesperrt">sich bewährte</em> Geistesbildung, der von hier <em class="gesperrt">sich
-entfernte</em> Lehrer, die <em class="gesperrt">sich davongemachten</em> Zuschauer, der<span class="pagenum" id="Seite_169">[S. 169]</span>
-<em class="gesperrt">kürzlich</em> hier <em class="gesperrt">sich niedergelassene</em> Bildhauer, die
-<em class="gesperrt">sich</em> zahlreich <em class="gesperrt">eingefundnen</em> Konzertbesucher, die am
-9. August <em class="gesperrt">sich</em> (!) <em class="gesperrt">angefangne</em> Woche, das schon längst
-<em class="gesperrt">sich</em> fühlbar <em class="gesperrt">gemachte</em> Bedürfnis, das <em class="gesperrt">sich</em>
-irrtümlich <em class="gesperrt">eingeschlichne</em> Wort, das ehemals so weit <em class="gesperrt">sich
-ausgebreitete</em> Lehrsystem, ein <em class="gesperrt">sich</em> aus den Kinderschuhen
-glücklich <em class="gesperrt">herausentwickelter</em> Jüngling, ein in der Mauerritze
-<em class="gesperrt">sich eingenisteter</em> Brombeerstrauch. Ein Partizip wäre hier
-nur dann möglich, wenn man sagen wollte: der <em class="gesperrt">sich eingenistet
-habende</em> Brombeerstrauch, eine Verbindung, die natürlich aus dem
-Regen in die Traufe führen würde. Es bleibt auch in solchen Fällen
-nichts übrig, als einen Relativsatz zu bilden: ein Brombeerstrauch,
-<em class="gesperrt">der sich</em> in der Mauerritze <em class="gesperrt">eingenistet hatte</em>.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Hocherfreut_oder_hoch_erfreut">Hocherfreut oder hoch erfreut?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Leipziger Geburtsanzeigen werden nie anders gedruckt als: Durch die
-glückliche Geburt eines Knaben wurden <em class="gesperrt">hocherfreut</em> usw. –
-auch Zeitungen schreiben: das gesamte Personal der Firma ist durch
-Jubelgaben <em class="gesperrt">hocherfreut</em> worden – Gutenberg ist dieses Jahr
-in vielen deutschen Städten <em class="gesperrt">hochgefeiert</em> worden – und auf
-Buchtiteln liest man: in dritter Auflage <em class="gesperrt">neubearbeitet</em> von
-usw. Welche Verirrung! Ein Partizip kann Verbalform sein, es kann
-auch Nomen sein.<a id="FNAnker_79" href="#Fussnote_79" class="fnanchor">[79]</a> Aber nur dann, wenn es Nomen, also Adjektiv
-ist, kann ein hinzugefügtes Adverb damit zu <em class="gesperrt">einem</em> Worte
-verwachsen: wie man von <em class="gesperrt">hochadligen Eltern</em> reden kann, so auch
-von <em class="gesperrt">hocherfreuten</em> Eltern. Wie soll aber ein Adverb mit dem
-Partizip zusammenwachsen, wenn das Partizip Verbalform ist? Wir sind
-<em class="gesperrt">hocherfreut worden</em> – so könnte man doch nur schreiben, wenn
-es ein Zeitwort <em class="gesperrt">hocherfreuen</em> gäbe: ich <em class="gesperrt">hocherfreue</em>,
-du <em class="gesperrt">hocherfreust</em> usw. Dasselbe gilt natürlich vom Infinitiv
-und bei intransitiven Zeitwörtern vom <span class="antiqua">Verbum finitum</span>; es<span class="pagenum" id="Seite_170">[S. 170]</span>
-ist töricht, wenn Zeitungen schreiben: der Kronprinz ließ das
-Brautpaar <em class="gesperrt">hochleben</em>, der Vortrag wird <em class="gesperrt">hochbefriedigen</em>,
-<em class="gesperrt">feststeht</em>, daß der Minister nicht zurücktreten wird, denn es
-gibt kein Zeitwort: ich <em class="gesperrt">hochlebe</em>, ich <em class="gesperrt">hochbefriedige</em>, ich
-<em class="gesperrt">feststehe</em>.</p>
-
-<p>Ebenso wie mit den Adverbien ist es auch mit den Objekten. Man kann
-wohl schreiben: die <em class="gesperrt">notleidende</em> Landwirtschaft, aber falsch ist
-es, im Infinitiv zu schreiben: <em class="gesperrt">notleiden</em>; denn es gibt kein
-Zeitwort: ich <em class="gesperrt">notleide</em>.</p>
-
-<p>Es handelt sich hier durchaus nicht bloß um einen „orthographischen“
-Fehler oder gar bloß um eine gleichgiltige orthographische Abweichung,
-sondern in der falschen Schreibung verrät sich ein grober Denkfehler.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Partizipium_statt_Neben_oder_Hauptsatz">Partizipium statt eines Neben- oder
-Hauptsatzes</h3>
-
-</div>
-
-<p>Wie es oft geschieht, daß ein Gedanke, der eigentlich durch einen
-Hauptsatz ausgedrückt werden müßte, unlogischerweise in einen
-Relativsatz gebracht wird (vgl. <a href="#Seite_130">S. 130</a>), so packt man oft auch einen
-Hauptgedanken in ein attributives Partizip und schreibt: hier ist das
-bisher noch von keiner Seite <em class="gesperrt">bestätigte</em> Gerücht verbreitet –
-die neue Auflage hat die von dem Verfasser getreulich <em class="gesperrt">benutzte</em>
-Gelegenheit gegeben, manches nachzutragen – ich sandte ausführliche,
-in freundlichster Weise <em class="gesperrt">beantwortete</em> Fragebogen an folgende
-Bibliotheken – der Mörder nahm die Nachricht von seiner gestern früh
-<em class="gesperrt">erfolgten</em> Hinrichtung gefaßt entgegen – mit klopfendem Herzen
-betrat ich das Auditorium, um die in der Bohemia <em class="gesperrt">abgedruckte</em>
-Antrittsrede zu halten – die anonym <em class="gesperrt">einzureichenden</em>
-Bewerbungsschriften sind in deutscher, lateinischer oder französischer
-Sprache zu verfassen. Da fragt man doch: in welcher Sprache sind
-denn die nicht anonym einzureichenden zu verfassen? Und war denn die
-Antrittsrede wirklich schon gedruckt, als der Verfasser das Auditorium
-betrat? Natürlich soll es heißen: um die Antrittsrede zu halten, die
-dann in der Bohemia abgedruckt wurde – die Bewerbungsschriften sind
-anonym einzureichen und in deutscher Sprache abzufassen.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_171">[S. 171]</span></p>
-
-<p>Nicht viel besser ist es, wenn ein Partizipsatz statt eines
-Hauptsatzes gesetzt wird, z.&#160;B.: im Jahre 1850 in den Generalstab
-<em class="gesperrt">zurücktretend</em> (<em class="gesperrt">getreten</em>!), <em class="gesperrt">wurde</em> B. 1858 zum
-persönlichen Adjutanten des Prinzen Friedrich Karl <em class="gesperrt">ernannt</em> –
-er ging zunächst nach Paris, dann nach London, an beiden Plätzen im
-Bankfach <em class="gesperrt">arbeitend</em> – oder gar: in der Einleitung <em class="gesperrt">stellt</em>
-Friedländer die Entwicklung des deutschen Liedes dar, hierauf (!) eine
-übersichtliche Bibliographie <em class="gesperrt">bringend</em> – Jürgen lief in die
-Apotheke, nach wenig Augenblicken (!) mit einer großen Medizinflasche
-<em class="gesperrt">zurückkehrend</em>. Während in den zuerst angeführten Beispielen
-eine Art von Schnelldenkerei vorliegt – die Verfasser haben es
-gleichsam nicht erwarten können, zu sagen, was sie sagen wollten –,
-handelt sichs in den letzten nur um einen ungeschickten Versuch, in
-den Ausdruck Abwechslung zu bringen. Der Sinn verlangt statt dieser
-Partizipialsätze Hauptsätze.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Falsch_angeschlossnes_Partizipium">Falsch angeschloßnes Partizipium</h3>
-
-</div>
-
-<p>Noch größer als bei Infinitivsätzen mit <em class="gesperrt">um zu</em> ist bei
-Partizipialsätzen die Gefahr eines Mißverständnisses, wenn das Partizip
-an ein anderes Wort im Satze als an das Subjekt angelehnt wird; das
-nächstliegende wird es auch hier immer sein, es auf das Subjekt des
-Hauptsatzes zu beziehen. Entschieden schlecht sind also Verbindungen
-wie folgende: <em class="gesperrt">angefüllt</em> mit edelm Rheinwein, überreiche ich
-Eurer Majestät diesen <em class="gesperrt">Becher</em> – kaum <em class="gesperrt">heimgekehrt</em>,
-wandte sich die engherzigste Philisterei gegen <em class="gesperrt">ihn</em> –
-einmal <em class="gesperrt">gedruckt</em>, kehre ich <em class="gesperrt">dem Buche</em> den Rücken –
-<em class="gesperrt">erhaben</em> über Menschenlob und dessen <em class="gesperrt">nicht bedürftig</em>,
-wissen wir, was wir an <em class="gesperrt">unserm Fürsten</em> haben – an der Begründung
-unsers Unternehmens wesentlich <em class="gesperrt">beteiligt</em> und während der ganzen
-Dauer desselben an der Spitze des Aufsichtsrates <em class="gesperrt">stehend</em>,
-verdanken wir der Tatkraft und Geschäftskenntnis des verehrten
-<em class="gesperrt">Mannes</em> unendlich viel – <em class="gesperrt">abstoßend</em>, schroff, von der
-mildesten Güte, verschlossen und hingebend, konnte man ganz irre an
-<em class="gesperrt">ihm</em> werden –<span class="pagenum" id="Seite_172">[S. 172]</span> durch Rotationsdruck <em class="gesperrt">angefertigt</em>, sind wir
-in der Lage, das <em class="gesperrt">Verzeichnis</em> zu einem Spottpreis zu liefern –
-<em class="gesperrt">mich umdrehend</em> grüßt <em class="gesperrt">mich</em> im Osten Schloß Johannisberg.
-Besonders beliebt ist es jetzt, das Partizip <em class="gesperrt">anschließend</em> so
-zu verbinden, daß man eine Zeit lang im Satze suchen muß, worauf es
-sich eigentlich beziehen soll, z.&#160;B.: schon in Ingolstadt hatte er
-sich, <em class="gesperrt">anschließend</em> an seine astronomischen Arbeiten, optischen
-Studien gewidmet. Das <em class="gesperrt">anschließend</em> soll hier auf Studien gehen:
-er schloß die optischen Studien an seine astronomischen Arbeiten an.
-Ebenso: <em class="gesperrt">anschließend</em> an diese allgemeine Einführung, dürfte
-es zweckmäßig sein, einmal das <em class="gesperrt">Gebiet</em> der Einzelheiten zu
-übersehen. Das schlimmste ist es, vor den Hauptsatz ein absolutes
-Partizip zu stellen, für das man sich dann vergebens in dem Satze
-nach einem Begriff umsieht, auf den es bezogen werden könnte, z.&#160;B.:
-wiederholt <em class="gesperrt">lächelnd</em> und lebhaft <em class="gesperrt">grüßend</em>, fuhr das
-Kriegsschiff vorüber. Die Partizipia sollen sich auf – den Kaiser
-beziehen! Es braucht nicht immer ein so lächerlicher Sinn zu entstehen
-wie hier, auch so beliebte Partizipia wie: <em class="gesperrt">dies vorausgesetzt</em>,
-<em class="gesperrt">dies vorausgeschickt</em>, <em class="gesperrt">dies zugegeben</em> u.&#160;ähnl. sind nicht
-schön. Ja man kann noch weiter gehen und sagen: das unflektierte
-Partizip überhaupt, wenigstens das der Gegenwart (1870 wandte er
-sich an Richard Wagner, ihn <em class="gesperrt">fragend</em> – er schlich sich feige
-davon, nur ein kurzes Wort des Abschieds <em class="gesperrt">zurücklassend</em> – der
-Vorsitzende entbot den Versammelten ein herzliches Willkommen, dankbar
-des Erscheinens der Ehrengäste <em class="gesperrt">gedenkend</em> und seiner Freude über
-die Zuwendung reicher Preise <em class="gesperrt">Ausdruck gebend</em>), hat im Deutschen
-immer etwas unlebendiges, steifes; die Sprache erscheint darin wie halb
-erstarrt.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="In_Ergaenzung">In Ergänzung</h3>
-
-</div>
-
-<p>Wie Ungeziefer hat sich in den letzten Jahren eine Ausdrucksweise
-verbreitet, die die verschiedenartigsten Nebensätze und ganz besonders
-auch den Infinitiv und das Partizip ersetzen soll: die Verbindung
-von <em class="gesperrt">in</em> mit gewissen Hauptwörtern, namentlich auf <em class="gesperrt">ung</em>.
-Den Anfang<span class="pagenum" id="Seite_173">[S. 173]</span> scheinen <em class="gesperrt">in Erwägung</em> und <em class="gesperrt">in Ermanglung</em>
-gemacht zu haben<a id="FNAnker_80" href="#Fussnote_80" class="fnanchor">[80]</a>; diese beiden haben aber schon ein ganzes Heer
-ähnlicher Verbindungen nach sich gezogen, und das Ende ist noch
-nicht abzusehen, jede Woche überrascht uns mit neuen. Briefe von
-Beamten und Geschäftsleuten fangen kaum noch anders an als: <em class="gesperrt">in
-Beantwortung</em> oder <em class="gesperrt">in Erwiderung</em> Ihres gefälligen Schreibens
-vom usw., ein Aufsatz wird geschrieben <em class="gesperrt">in Anlehnung</em> oder
-<em class="gesperrt">in Anknüpfung</em> an ein neu erschienenes Buch, ein Abschied wird
-bewilligt <em class="gesperrt">in Genehmigung</em> eines Gesuchs, eine Zeitungsmitteilung
-wird gemacht <em class="gesperrt">in Ergänzung</em> oder <em class="gesperrt">in Berichtigung</em> einer
-frühern Mitteilung oder <em class="gesperrt">in Fortsetzung</em> des gestrigen Artikels,
-der Polizeirat vollzieht eine Handlung <em class="gesperrt">in Vertretung</em> oder
-<em class="gesperrt">in Stellvertretung</em> des Polizeidirektors, ein Vereinsmitglied
-leitet die Verhandlungen <em class="gesperrt">in Behindrung</em> des Vorsitzenden, eine
-Auszeichnung wird jemand verliehen <em class="gesperrt">in Anerkennung</em> seiner
-Verdienste, ein Mord wird begangen <em class="gesperrt">in Ausführung</em> früherer
-Drohungen, eine Bibliothek wird gestiftet <em class="gesperrt">in Beschränkung</em>
-auf gewisse Fächer usw.; man schreibt: <em class="gesperrt">in Erledigung</em> Ihres
-Auftrags – <em class="gesperrt">in Würdigung</em> der volkswirtschaftlichen Wichtigkeit
-des Sparkassenwesens – <em class="gesperrt">in Anspielung</em> auf eine frühere
-Reichstagsrede – <em class="gesperrt">in Wahrung</em> meiner Interessen weise ich
-jeden solchen Versuch zurück – <em class="gesperrt">in Vervollständigung</em> der
-Zirkularnote des Ministeriums – <em class="gesperrt">in Veranlassung</em> des 25jährigen
-Geschäftsjubiläums – <em class="gesperrt">in Begründung</em> der Anklage beantragte der
-Staatsanwalt – <em class="gesperrt">in Überschätzung</em> dieses Umstandes oder <em class="gesperrt">in
-Entstellung</em> des Sachverhalts behauptete er – <em class="gesperrt">in Ausführung</em> von §
-14 des Ortsstatuts bringen wir zur Kenntnis – man gebe den Behörden
-<em class="gesperrt">in Ausdehnung</em> von § 39 die Befugnis – <em class="gesperrt">in Verfolgung</em>
-dieses Zieles hatte Schliemann die obere Schicht zerstört – <em class="gesperrt">in
-Befolgung</em> seiner Befehle wurden noch weitere Gebietsteile
-unterworfen – die Schauspielkunst hat es, <em class="gesperrt">in Abweichung</em> von
-dem<span class="pagenum" id="Seite_174">[S. 174]</span> eben gesagten, mit Gehör und Gesicht zugleich zu tun – <em class="gesperrt">in
-Nachahmung</em> einer bei der Kreuzschule bestehenden Einrichtung wurden
-zwei Diskantistenstellen begründet – der <em class="gesperrt">in Verlängerung</em> des
-Neumarkts durch die Promenade führende Fußweg usw. Vor einigen Jahren
-ging sogar eine Anekdote aus den Memoiren der Madame Carette durch die
-Zeitungen, wonach Bismarck dieser Dame auf einem Ball am Hofe Napoleons
-eine Rose überreicht haben sollte, mit den Worten: wollen Sie diese
-Rose annehmen <em class="gesperrt">in Erinnerung</em> an den letzten Walzer, den ich in
-meinem Leben getanzt habe.</p>
-
-<p>Wer ein wenig nachdenkt, sieht, daß hier die verschiedensten logischen
-Verhältnisse in ganz mechanischer Weise gleichsam auf eine Formel
-gebracht sind, wie sie so recht für denkfaule Leute geschaffen ist.
-In einem Teile dieser Verbindungen soll <em class="gesperrt">in</em> den Beweggrund
-ausdrücken, der doch nur durch <em class="gesperrt">aus</em> oder <em class="gesperrt">wegen</em>
-bezeichnet werden kann; <em class="gesperrt">in Ermanglung</em>, <em class="gesperrt">in Anerkennung</em>,
-<em class="gesperrt">in Überschätzung</em>, <em class="gesperrt">in Behindrung</em> – das soll heißen:
-<em class="gesperrt">aus Mangel</em>, <em class="gesperrt">aus Anerkennung</em>, <em class="gesperrt">aus Überschätzung</em>, <em class="gesperrt">wegen
-Behindrung</em>. Wenn Nebensätze dafür eintreten sollten, so könnten
-sie nur lauten: <em class="gesperrt">weil</em> es mangelt, <em class="gesperrt">weil</em> er behindert
-ist, <em class="gesperrt">weil</em> wir anerkennen, <em class="gesperrt">weil</em> er überschätzt. In
-einem andern Teile soll <em class="gesperrt">in</em> den Zweck bezeichnen, der doch nur
-durch <em class="gesperrt">zu</em> ausgedrückt werden kann; <em class="gesperrt">in Ergänzung</em>, <em class="gesperrt">in
-Berichtigung</em>, <em class="gesperrt">in Vervollständigung</em>, <em class="gesperrt">in Erinnerung</em>
-– das soll heißen: <em class="gesperrt">zur Ergänzung</em>, <em class="gesperrt">zur Berichtigung</em>,
-<em class="gesperrt">zur Vervollständigung</em>, <em class="gesperrt">zur Erinnerung</em>. Mit einem
-Nebensatze könnte man hier nur sagen: <em class="gesperrt">um zu</em> ergänzen, <em class="gesperrt">um
-zu</em> berichtigen, <em class="gesperrt">um zu</em> vervollständigen, <em class="gesperrt">damit Sie</em>
-sich erinnern. Wieder in andern Fällen wäre <em class="gesperrt">als</em> am Platze statt
-in: ein Weg wird <em class="gesperrt">als</em> Verlängerung des Neumarkts durch die
-Promenade geführt, ein Brief wird geschrieben <em class="gesperrt">als</em> Antwort auf
-einen andern, der Polizeirat unterschreibt <em class="gesperrt">als</em> Stellvertreter
-des Polizeidirektors. Nur in wenigen Fällen bezeichnet das <em class="gesperrt">in</em>
-wirklich einen begleitenden Umstand, wie man ihn sonst durch
-<em class="gesperrt">indem</em> oder durch das Partizip ausdrückt: ich schreibe einen
-Aufsatz, <em class="gesperrt">anknüpfend</em> an ein neues<span class="pagenum" id="Seite_175">[S. 175]</span> Buch, oder <em class="gesperrt">indem</em> ich
-an das Buch anknüpfe; dafür ließe sich ja zur Not auch sagen: <em class="gesperrt">in
-Anknüpfung</em>, wiewohl auch das nicht gerade schön ist. <em class="gesperrt">Indem</em>
-der Staatsanwalt die Anklage begründete, beantragte er das höchste
-Strafmaß – auch dafür kann man sagen: in <em class="gesperrt">seiner Begründung</em>
-(<em class="gesperrt">seiner</em> darf nicht fehlen).<a id="FNAnker_81" href="#Fussnote_81" class="fnanchor">[81]</a> Aber wie ist es möglich, das
-alles in einen Topf zu werfen: Ursache, Grund, Zweck, begleitende
-Umstände, vorübergehende oder dauernde Eigenschaften? Wie können wir
-uns solchem Reichtum gegenüber freiwillig zu solcher Armut verurteilen?
-Es handelt sich hier um nichts als eine Modedummheit, die unter dem
-Einflusse des Französischen und des Englischen (<span class="antiqua">en conséquence</span>,
-<span class="antiqua">en réponse</span>, <span class="antiqua">in remembrance</span>, <span class="antiqua">in reply</span>, <span class="antiqua">in
-answer</span>, <span class="antiqua">in compliance with</span>, <span class="antiqua">in his defence</span> u.&#160;ähnl.)
-aufgekommen ist, und die nun gedankenlos nachgemacht und dabei immer
-weiter ausgedehnt wird. Es wird noch dahin kommen, daß jemand 1000 Mark
-erhält <em class="gesperrt">in Bedingung</em> der Rückzahlung oder <em class="gesperrt">in Belohnung</em>
-treuer Dienste oder <em class="gesperrt">in Entschädigung</em> für einen Verlust oder
-<em class="gesperrt">in Unterstützung</em> seiner Angehörigen; es ist nicht einzusehen,
-weshalb nicht auch das alles durch <em class="gesperrt">in</em> und ein Hauptwort auf
-<em class="gesperrt">ung</em> sollte ausgedrückt werden können.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Das_Attribut">Das Attribut</h3>
-
-</div>
-
-<p>Unter den Erweiterungen, die ein Satzglied erfahren kann, stehen obenan
-das Attribut und die Apposition.</p>
-
-<p>Ein Attribut kann zu einem Hauptwort in vierfacher Form treten: als
-Adjektiv (ein <em class="gesperrt">schöner Tod</em>), als abhängiger Genitiv (der <em class="gesperrt">Tod
-des Kriegers</em>), als Bestimmungswort einer Zusammensetzung (der
-<em class="gesperrt">Heldentod</em>), endlich in Form einer adverbialen Bestimmung (der<span class="pagenum" id="Seite_176">[S. 176]</span>
-<em class="gesperrt">Tod auf dem Schlachtfelde</em>, der <em class="gesperrt">Tod fürs Vaterland</em>). Auch
-gegen die vierte Art ist, wie ausdrücklich bemerkt werden soll, nichts
-einzuwenden; es ist untadliges Deutsch, wenn man sagt: das <em class="gesperrt">Zimmer
-oben</em>, eine <em class="gesperrt">Wohnung in der innern Stadt</em>, der <em class="gesperrt">Weg zur
-Hölle</em>, die <em class="gesperrt">Tötung im Duell</em>, die preußische <em class="gesperrt">Mobilmachung
-im Juni</em> usw. Manche getrauen sich zwar nicht, solche Attribute
-zu schreiben, sie meinen immer ein <em class="gesperrt">befindlich</em>, <em class="gesperrt">belegen</em>
-(be!), <em class="gesperrt">stattgefunden</em>, <em class="gesperrt">erfolgt</em> oder dgl. dazusetzen zu
-müssen; aber das ist eine überflüssige und häßliche Umständlichkeit.</p>
-
-<p>Bisweilen kann man ja nun zwei solche Attributarten miteinander
-vertauschen, ohne daß der Sinn verändert wird, aber durchaus nicht
-immer. Auf wenigen Gebieten unsrer Sprache herrscht aber jetzt eine so
-grauenvolle Verwirrung wie auf dem der Attributbildung; hier wird jetzt
-tatsächlich alles durcheinander gequirlt.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Leipzigerstrasse_oder_Leipziger_Strasse">Leipzigerstraße oder Leipziger
-Straße?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Wie würde man wohl über jemand urteilen, der ein <em class="gesperrt">Fremdenbuch</em>
-nicht von einem <em class="gesperrt">fremden Buch</em>, einen <em class="gesperrt">kranken Wärter</em>
-nicht von einem <em class="gesperrt">Krankenwärter</em>, eine <em class="gesperrt">Gelehrtenfrau</em> nicht
-von einer <em class="gesperrt">gelehrten Frau</em>, <em class="gesperrt">Bekanntenkreise</em> nicht von
-<em class="gesperrt">bekannten Kreisen</em>, ein <em class="gesperrt">liebes Lied</em> nicht von einem
-<em class="gesperrt">Liebeslied</em>, eine <em class="gesperrt">Hoferstraße</em> (nach Andreas Hofer genannt)
-nicht von einer <em class="gesperrt">Hofer Straße</em> (nach der Stadt Hof in Bayern
-genannt) unterscheiden könnte? Genau dieselbe Dummheit ist es, wenn
-jemand <em class="gesperrt">Leipzigerstraße</em> schreibt statt <em class="gesperrt">Leipziger Straße</em>.</p>
-
-<p>Die von Ortsnamen (Länder- und Städtenamen) abgeleiteten Bildungen
-auf <em class="gesperrt">er</em> sind unzweifelhaft eigentlich Substantiva.
-<em class="gesperrt">Österreicher</em> und <em class="gesperrt">Passauer</em> bedeutet ursprünglich einen
-Mann aus Österreich oder aus Passau. Als Adjektiva hat die ältere
-Sprache solche Bildungen nicht gebraucht, die Adjektiva bildete
-sie von Länder- und Städtenamen auf <em class="gesperrt">isch</em>: <em class="gesperrt">meißnisch</em>
-(meißnische Gulden), <em class="gesperrt">torgisch</em> (von Torgau, torgisches Bier),
-<em class="gesperrt">lündisch</em> (von London, lündisches Tuch), <em class="gesperrt">parisisch</em>
-(parisische Schuhe schreibt noch der junge Goethe statt Pariser Fuß).
-Nun<span class="pagenum" id="Seite_177">[S. 177]</span> ist freilich zwischen diesen beiden Bildungen schon längst
-Verwirrung eingerissen: die Formen auf <em class="gesperrt">er</em> sind schon frühzeitig
-auch im adjektivischen Sinne gebraucht worden. Lessing schrieb noch
-1768 eine <em class="gesperrt">Hamburgische Dramaturgie</em>, Goethe aber schon 1772
-Rezensionen für die <em class="gesperrt">Frankfurter Gelehrten Anzeigen</em>. Natürlich
-sind nun die Bildungen auf <em class="gesperrt">er</em> dadurch, daß sie adjektivisch
-gebraucht werden, nicht etwa zu Adjektiven geworden (vgl. <a href="#Seite_38">S. 38</a>);
-sie können aber doch vor andern Substantiven wie Adjektiva gefühlt
-werden, wie am besten daraus hervorgeht, daß manche Leute Adverbia
-dazusetzen, wie <em class="gesperrt">echt Münchner</em> Löwenbräu, statt <em class="gesperrt">echtes
-Münchner</em> oder <em class="gesperrt">echt Münchnisches</em> Löwenbräu, <em class="gesperrt">echt Harzer
-Sauerbrunnen</em>.<a id="FNAnker_82" href="#Fussnote_82" class="fnanchor">[82]</a> Dennoch haben sich im Laufe der Zeit zwischen den
-Bildungen auf <em class="gesperrt">er</em> und denen auf <em class="gesperrt">isch</em> auch wieder gewisse
-Grenzen festgesetzt. Von manchen Länder- und Städtenamen gebrauchen wir
-noch heute ausschließlich die echt adjektivische Form auf <em class="gesperrt">isch</em>,
-von andern ebenso ausschließlich die Bildung auf <em class="gesperrt">er</em>, wieder
-von andern beide friedlich nebeneinander. Niemand sagt: der
-<em class="gesperrt">Österreicher Finanzminister</em>, der <em class="gesperrt">Römer Papst</em>, aber auch
-niemand mehr das <em class="gesperrt">Leipzigische Theater</em>, die <em class="gesperrt">Berlinischen
-Bauten</em>. Dagegen sprechen alle Gebildeten noch von <em class="gesperrt">Kölnischem
-Wasser</em>, <em class="gesperrt">holländischem Käse</em>, <em class="gesperrt">italienischen Strohhüten</em>,
-<em class="gesperrt">persischen Teppichen</em>, <em class="gesperrt">amerikanischen Äpfeln</em>. Warum von
-dem einen Namen die Form auf <em class="gesperrt">isch</em>, von dem andern die auf
-<em class="gesperrt">er</em> bevorzugt wird, kann niemand sagen; der Sprachgebrauch hat
-sich dafür entschieden, und dabei muß man sich beruhigen.</p>
-
-<p>Nur in gewissen Kreisen, die von dem wirklichen Verhältnis der beiden
-Bildungen zueinander und von der Berechtigung des Sprachgebrauchs
-keine Ahnung haben, besteht die Neigung, das Gebiet der Bildungen
-auf <em class="gesperrt">er</em> mehr und mehr zum Nachteil derer auf <em class="gesperrt">isch</em> zu
-erweitern. So empfiehlt mancher Geschäftsmann beharrlich seine
-<em class="gesperrt">Amerikaner Öfen</em>, obwohl alle Gebildeten,<span class="pagenum" id="Seite_178">[S. 178]</span> die in seinen Laden
-kommen, seine <em class="gesperrt">amerikanischen Öfen</em> zu sehen wünschen. An
-einer alten Leipziger Weinhandlung konnte man vor kurzem ein Schild
-am Schaufenster liegen sehen: <em class="gesperrt">Italiener Weine</em>! Leipziger
-Teppichhandlungen preisen <em class="gesperrt">Perser Teppiche</em>, sogar <em class="gesperrt">echt Perser
-Teppiche</em> an! Aber auch <em class="gesperrt">Holländer Austern</em> und <em class="gesperrt">Holländer
-Käse</em> werden schon empfohlen, ja sogar <em class="gesperrt">Kölner Wasser</em>, und
-der <em class="gesperrt">Kölnischen Zeitung</em> hat man schon mehr als einmal zugemutet,
-sich in <em class="gesperrt">Kölner Zeitung</em> umzutaufen – ein törichtes Ansinnen,
-dem sie mit Recht nicht nachgegeben hat und hoffentlich nie nachgeben
-wird. Auf den echten Adjektivbildungen auf <em class="gesperrt">isch</em> liegt ein feiner
-Hauch des Altertümlichen und – des Vornehmen, manche sind wie Stücke
-schönen alten Hausrats; die unechten auf <em class="gesperrt">er</em>, namentlich die
-neugeprägten, sind so gemein wie Waren aus dem Fünfzigpfennigbasar.
-Unbegreiflich ist es, wie sich gebildete, namentlich wissenschaftlich
-gebildete Leute solchen unnötigen Neuerungen, die gewöhnlich aus
-den Kreisen der Geschäftsleute kommen, gedankenlos fügen können.
-Ein deutscher Buchhändler in Athen hat vor kurzem ein Werk über
-das <em class="gesperrt">Athener Nationalmuseum</em> herausgegeben! Greulich! Auf der
-Leipziger Stadtbibliothek gibt es eine berühmte Handschrift aus dem
-Anfange des sechzehnten Jahrhunderts: den <em class="gesperrt">Pirnischen Mönch</em>,
-genannt nach der Stadt Pirna (eigentlich Pirn) an der Elbe in
-Sachsen. Den nennen jetzt sogar Historiker den <em class="gesperrt">Pirnaer Mönch</em>!
-In Plauen im sächsischen Vogtlande gibt es jetzt ein <em class="gesperrt">Plauener
-Realgymnasium</em>, einen <em class="gesperrt">Plauener</em> Altertumsverein, man hat
-sogar ein <em class="gesperrt">Plauener Stadtbuch</em> veröffentlicht; die gute alte
-Adjektivform <em class="gesperrt">Plauisch</em> scheint also dort niemand mehr zu
-kennen. Und in neuern Werken über die Befreiungskriege wird in den
-Schilderungen der Schlacht bei Leipzig gar von der Erstürmung des
-<em class="gesperrt">Grimmaer Tores</em> geredet (statt des <em class="gesperrt">Grimmischen</em>)!<a id="FNAnker_83" href="#Fussnote_83" class="fnanchor">[83]</a> Einem
-Leipziger kehrt sich der Magen um, wenn er so etwas liest.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_179">[S. 179]</span></p>
-
-<p>Nun ist aber doch so viel klar, daß, wenn ein Wort wie <em class="gesperrt">Dresdner</em>
-in zwei verschiednen Bedeutungen gebraucht wird, als Hauptwort und
-auch als Eigenschaftswort, es nur in seiner Bedeutung als Hauptwort
-mit einem andern Hauptworte zusammengesetzt werden kann. Wenn nun
-eine Straße in Leipzig die <em class="gesperrt">Dresdner Straße</em> genannt wird, ist
-da <em class="gesperrt">Dresdner</em> als Substantiv oder als Adjektiv aufzufassen? Ohne
-Zweifel als Adjektiv. Es soll damit dasselbe bezeichnet sein, was
-durch <em class="gesperrt">Dresdnische Straße</em> bezeichnet sein würde: die Straße, die
-von Dresden kommt oder nach Dresden führt. Sowie man den Bindestrich
-dazwischensetzt und schreibt: <em class="gesperrt">Dresdner-Straße</em> oder auch in
-<em class="gesperrt">einem</em> Worte: <em class="gesperrt">Dresdnerstraße</em>, so kann <em class="gesperrt">Dresdner</em>
-nichts andres bedeuten als Leute aus Dresden, es wird Substantiv, oder
-vielmehr es bleibt Substantiv, und die Zusammensetzung rückt auf eine
-Stufe mit Bildungen wie <em class="gesperrt">Fleischergasse</em>, <em class="gesperrt">Gerbergasse</em>,
-<em class="gesperrt">Böttchergasse</em> und andre Gassennamen, die in alter Zeit nach
-den Handwerkern genannt worden sind, die auf den Gassen angesessen
-waren. Eine <em class="gesperrt">Dresdnerstraße</em> kann also nichts andres bezeichnen
-als eine Straße, auf der Dresdner, womöglich lauter Dresdner wohnen,
-ein <em class="gesperrt">Potsdamerplatz</em> nur einen Platz, auf dem sich die Potsdamer
-zu versammeln pflegen. Wir haben in Leipzig eine <em class="gesperrt">Paulinerkirche</em>
-und eine <em class="gesperrt">Wettinerstraße</em>. Das sind richtige Zusammensetzungen,
-denn die Paulinerkirche war wirklich die Kirche der Pauliner,
-der ehemaligen Dominikaner Leipzigs, und die Wettinerstraße ist
-nicht nach dem Städtchen Wettin genannt, wie die <em class="gesperrt">Berliner
-Straße</em> nach der Stadt Berlin, sondern nach den Wettinern, dem
-sächsischen Herrschergeschlecht.<a id="FNAnker_84" href="#Fussnote_84" class="fnanchor">[84]</a> Aus demselben Grunde ist der
-<em class="gesperrt">Wittelsbacherbrunnen</em><span class="pagenum" id="Seite_180">[S. 180]</span> in München eine richtige Zusammensetzung.
-Eine <em class="gesperrt">Berliner Versammlung</em> ist eine Versammlung, die in Berlin
-stattfindet, eine <em class="gesperrt">Berlinerversammlung</em> eine Versammlung, zu der
-lauter Berliner kommen. Die <em class="gesperrt">Herrnhuter Gemeinde</em> ist die Gemeinde
-der Stadt <em class="gesperrt">Herrnhut</em>, eine <em class="gesperrt">Herrnhutergemeinde</em> kann in jeder
-beliebigen andern Stadt sein.</p>
-
-<p>Die Verwechslung der adjektivischen und der substantivischen Bedeutung
-der von Ortsnamen abgeleiteten Bildungen auf <em class="gesperrt">er</em> grassiert
-gegenwärtig in ganz Deutschland und wird von Tag zu Tag ärger. Sie
-beschränkt sich keineswegs, wie man wohl gemeint hat, auf die Gassen-
-und Straßennamen, sie geht weiter. Schenkwirte, Kaufleute, Buchhändler,
-sogar Gelehrte schreiben: <em class="gesperrt">Wienerschnitzel</em>, <em class="gesperrt">Berlinerblau</em>,
-<em class="gesperrt">Solenhoferplatten</em>, <em class="gesperrt">Schweizerfabrikanten</em>,
-<em class="gesperrt">Tirolerführer</em>, obwohl hier überall der Ortsname als Adjektiv
-verstanden werden soll; denn nicht die Tiroler sollen geführt
-werden, sondern die Fremden durch Tirol. Ein Wienerschnitzel aber –
-entsetzliche Vorstellung! – kann doch nur ein Stück Fleisch bedeuten,
-das man von einem Wiener heruntergeschnitten hat.</p>
-
-<p>Ganz ähnlich wie mit den Bildungen <em class="gesperrt">Leipziger</em>, <em class="gesperrt">Dresdner</em>
-verhält sichs mit den von Zahlwörtern abgeleiteten Bildungen auf
-<em class="gesperrt">er</em>: <em class="gesperrt">Dreißiger</em>, <em class="gesperrt">Vierziger</em>, <em class="gesperrt">Achtziger</em>. Auch
-das sind natürlich zunächst Hauptwörter; wir reden von einem <em class="gesperrt">hohen
-Dreißiger</em>, einem <em class="gesperrt">angehenden Vierziger</em> (vgl. <a href="#Seite_67">S. 67</a>). Aber
-auch sie können als Adjektiva gefühlt werden; wir sagen: das war in
-den <em class="gesperrt">vierziger Jahren</em>, in den <em class="gesperrt">achtziger Jahren</em>. Auch da
-aber druckt man neuerdings: in den<span class="pagenum" id="Seite_181">[S. 181]</span> <em class="gesperrt">Vierzigerjahren</em>, in den
-<em class="gesperrt">Achtzigerjahren</em>, ein Ölgemälde aus den <em class="gesperrt">Neunzigerjahren</em>,
-als ob von menschlichen Lebensaltern und nicht von dem Jahrzehnt eines
-Jahrhunderts die Rede wäre!</p>
-
-<p>Eine andre Spielart der hier behandelten Verwirrung tritt uns in
-Ausdrücken entgegen wie: <em class="gesperrt">Gabelsberger Stenographenverein</em>,
-<em class="gesperrt">Meggendorfer Blätter</em>, <em class="gesperrt">Nordheimer Schuhwaren</em> (der
-Geschäftsinhaber heißt Nordheimer!). Hier werden umgekehrt
-wirkliche Substantiva auf <em class="gesperrt">er</em>, und zwar Personennamen, wie
-Adjektiva behandelt. Ein <em class="gesperrt">Gabelsberger</em> Stenographenverein –
-das klingt wie ein Verein aus Gabelsberg; natürlich soll es ein
-<em class="gesperrt">Gabelsbergerscher</em> sein. Die <em class="gesperrt">Meggendorfer</em> Blätter – das
-klingt, als erschienen sie in <em class="gesperrt">Meggendorf</em>; natürlich sollen es
-<em class="gesperrt">Meggendorfers</em> oder <em class="gesperrt">Meggendorfersche</em> Blätter sein.</p>
-
-<p>Aber die Verwirrung geht noch weiter. Wie jede Sprachdummheit, wenn
-sie einmal losgelassen ist, wie Feuer um sich frißt, so auch die, kein
-Gefühl mehr für den adjektivischen Sinn der Bildungen auf <em class="gesperrt">er</em>
-zu haben. Nachdem unsre Geschäftsleute aus der <em class="gesperrt">Dresdner Straße</em>
-eine <em class="gesperrt">Dresdnerstraße</em> gemacht haben, schrecken sie auch vor dem
-weitern Unsinn nicht zurück, die Bildungen auf <em class="gesperrt">isch</em>, über
-deren adjektivische Natur doch wahrhaftig kein Zweifel sein kann, mit
-<em class="gesperrt">Straße</em> zu <em class="gesperrt">einem</em> Worte zusammenzusetzen; immer häufiger
-schreiben sie <em class="gesperrt">Grimmaischestraße</em>, <em class="gesperrt">Hallischestraße</em>
-(oder vielmehr <em class="gesperrt">Halleschestraße</em>!), und um das Maß des Unsinns
-voll zu machen, nun auch <em class="gesperrt">Langestraße</em>, <em class="gesperrt">Hohestraße</em> und
-<em class="gesperrt">Kurzegasse</em>, und wer in einer solchen Gasse wohnt, der wohnt
-natürlich nun <em class="gesperrt">in der Langestraße</em>, <em class="gesperrt">in der Hohestraße</em>,
-<em class="gesperrt">in der Kurzegasse</em>.<a id="FNAnker_85" href="#Fussnote_85" class="fnanchor">[85]</a> In frühern Jahrhunderten<span class="pagenum" id="Seite_182">[S. 182]</span> war die
-Sprache unsers Volks so voll überquellenden Lebens, daß sich in
-den Ortsbezeichnungen die <span class="antiqua">casus obliqui</span> in den Nominativ
-drängten; daher die zahllosen Ortsnamen, die eigentlich Dative
-sind (<em class="gesperrt">Altenburg</em>, <em class="gesperrt">Weißenfels</em>, <em class="gesperrt">Hohenstein</em>,
-<em class="gesperrt">Breitenfeld</em>). Heute ist sie so tot und starr, daß der
-Nominativ, dieser langweilige, nichtssagende Geselle, die <span class="antiqua">casus
-obliqui</span> verdrängt. Man wohnt <em class="gesperrt">in der Breite Gasse</em>,<a id="FNAnker_86" href="#Fussnote_86" class="fnanchor">[86]</a> und
-Sommerwohnungen sind <em class="gesperrt">auf Weißer Hirsch</em> bei Dresden zu vermieten!</p>
-
-<p>Aber selbst damit ist die Verwirrung noch nicht erschöpft. In Leipzig
-gibt es auch Ortsbezeichnungen, bei denen einer Örtlichkeit einfach
-der Name des Erbauers oder Besitzers im Genitiv vorangestellt ist,
-wie <em class="gesperrt">Auerbachs Keller</em>, <em class="gesperrt">Hohmanns Hof</em>, <em class="gesperrt">Löhrs Platz</em>,
-<em class="gesperrt">Tscharmanns Haus</em>, <em class="gesperrt">Czermaks Garten</em>. Bis vor wenig Jahren
-hat niemand daran gezweifelt, daß alle diese Bezeichnungen aus je
-zwei getrennten Wörtern bestehen, so gut wie <em class="gesperrt">Luthers Werke</em>,
-<em class="gesperrt">Goethes Mutter</em>, <em class="gesperrt">Schillers Tell</em>. Jetzt fängt man an, auch
-hier den Bindestrich dazwischenzuschieben, den Artikel davorzusetzen
-und zu schreiben: <em class="gesperrt">im Auerbachs-Keller</em>, <em class="gesperrt">am Löhrs-Platz</em>,
-<em class="gesperrt">im Czermaks-Garten</em>. Man denke sich, daß jemand schreiben wollte:
-<em class="gesperrt">in den Luthers-Schriften</em>, <em class="gesperrt">bei der Goethes-Mutter</em>, <em class="gesperrt">im
-Schillers-Tell</em>!</p>
-
-<p>Zum guten Teil tragen die Schuld an der grauenvollen Verwirrung, die
-hier herrscht, die Firmenschreiber und die Akzidenzdrucker, die ganz
-vernarrt in den Bindestrich sind, aber nie wissen, wo er hingehört,
-und wo er nicht hingehört, nie wissen, ob sie ein zusammengesetztes
-Wort oder zwei Wörter vor sich haben.<a id="FNAnker_87" href="#Fussnote_87" class="fnanchor">[87]</a> Aber nicht sie allein.
-Warum lassen sich die Besteller, Behörden wie Privatleute, den Unsinn
-gefallen?</p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_183">[S. 183]</span></p>
-
-<h3 id="Fachliche_Bildung_oder_Fachbildung">Fachliche Bildung oder Fachbildung?</h3>
-
-</div>
-
-<p>In beängstigender Weise hat in neuerer Zeit die Neigung zugenommen,
-statt des Bestimmungswortes einer Zusammensetzung ein Adjektiv zu
-setzen, also z.&#160;B. statt <em class="gesperrt">Fachbildung</em> zu sagen: <em class="gesperrt">fachliche
-Bildung</em>. Sie hat in kurzer Zeit riesige Fortschritte gemacht,
-wie sie sich nur daraus erklären lassen, daß diese Ausdrucksweise
-jetzt für besonders schön und vornehm gilt. Früher sprach
-man von <em class="gesperrt">Staatsvermögen</em>, <em class="gesperrt">Gesellschaftsordnung</em>,
-<em class="gesperrt">Rechtsverhältnis</em>, <em class="gesperrt">Kriegsereignissen</em>,
-<em class="gesperrt">Junkerregiment</em>, <em class="gesperrt">Soldatenlaufbahn</em>, <em class="gesperrt">Bürgerpflichten</em>,
-<em class="gesperrt">Handwerkstraditionen</em>, <em class="gesperrt">Geschäftsverkehr</em>,
-<em class="gesperrt">Verlagstätigkeit</em>, <em class="gesperrt">Sonntagsarbeit</em>,
-<em class="gesperrt">Kirchennachrichten</em>, <em class="gesperrt">Kultusordnung</em>, <em class="gesperrt">Gewerbeschulen</em>,
-<em class="gesperrt">Betriebseinrichtungen</em>, <em class="gesperrt">Bergbauinteressen</em>,
-<em class="gesperrt">Forstunterricht</em>, <em class="gesperrt">Steuerfragen</em>, <em class="gesperrt">Fachausdrücken</em>,
-<em class="gesperrt">Berufsbildung</em>, <em class="gesperrt">Amtspflichten</em>, <em class="gesperrt">Schöpferkraft</em>,
-<em class="gesperrt">Gedankeninhalt</em>, <em class="gesperrt">Körperpflege</em>, <em class="gesperrt">Lautgesetzen</em>,
-<em class="gesperrt">Textbeilagen</em>, <em class="gesperrt">Klangwirkungen</em>, <em class="gesperrt">Gesangvorträgen</em>,
-<em class="gesperrt">Frauenchören</em>, <em class="gesperrt">Kunstgenüssen</em>, <em class="gesperrt">Turnübungen</em>,
-<em class="gesperrt">Studentenaufführungen</em>, <em class="gesperrt">Farbenstimmung</em>,
-<em class="gesperrt">Figurenschmuck</em>, <em class="gesperrt">Winterlandschaft</em>, <em class="gesperrt">Pflanzennahrung</em>,
-<em class="gesperrt">Abendbeleuchtung</em>, <em class="gesperrt">Nachtgespenstern</em>,
-<em class="gesperrt">Regentagen</em>, <em class="gesperrt">Landaufenthalt</em>, <em class="gesperrt">Gartenanlagen</em>,
-<em class="gesperrt">Nachbargrundstücken</em>, <em class="gesperrt">Elternhaus</em>, <em class="gesperrt">Endresultat</em>
-usw. Jetzt redet man nur noch von staat<em class="gesperrt">lichem</em> Vermögen,
-gesellschaft<em class="gesperrt">licher</em> Ordnung, recht<em class="gesperrt">lichem</em> Verhältnis,
-krieger<em class="gesperrt">ischen</em> Ereignissen, junker<em class="gesperrt">lichem</em> Regiment,
-soldat<em class="gesperrt">ischer</em> Laufbahn, bürger<em class="gesperrt">lichen</em> Pflichten,
-handwerk<em class="gesperrt">lichen</em> Traditionen, geschäft<em class="gesperrt">lichem</em>
-Verkehr, verleger<em class="gesperrt">ischer</em> Tätigkeit, sonntäg<em class="gesperrt">licher</em>
-Arbeit, kirch<em class="gesperrt">lichen</em> Nachrichten, kult<em class="gesperrt">ischer</em> (!)
-Ordnung, gewerb<em class="gesperrt">lichen</em> Schulen, betrieb<em class="gesperrt">licher</em>
-Einrichtung, bergbau<em class="gesperrt">lichen</em> Interessen, forst<em class="gesperrt">lichem</em>
-Unterricht, steuer<em class="gesperrt">lichen</em> Fragen, fach<em class="gesperrt">lichen</em>
-Ausdrücken, beruf<em class="gesperrt">licher</em> Bildung, amt<em class="gesperrt">lichen</em>
-Pflichten, schöpfer<em class="gesperrt">ischer</em> Kraft, gedank<em class="gesperrt">lichem</em>
-Inhalt, körper<em class="gesperrt">licher</em> Pflege, laut<em class="gesperrt">lichen</em> Gesetzen,
-text<em class="gesperrt">lichen</em> Beilagen, klang<em class="gesperrt">lichen</em> Wirkungen,
-gesang<em class="gesperrt">lichen</em> Vorträgen, weib<em class="gesperrt">lichen</em> (!) Chören,
-künstler<em class="gesperrt">ischen</em> Genüssen, turner<em class="gesperrt">ischen</em> Übungen,<span class="pagenum" id="Seite_184">[S. 184]</span>
-student<em class="gesperrt">ischen</em> Aufführungen, farb<em class="gesperrt">licher</em> Stimmung,
-figür<em class="gesperrt">lichem</em> Schmuck, winter<em class="gesperrt">licher</em> Landschaft,
-pflanz<em class="gesperrt">licher</em> Nahrung, abend<em class="gesperrt">licher</em> Beleuchtung,
-nächt<em class="gesperrt">lichen</em> Gespenstern, regner<em class="gesperrt">ischen</em> Tagen,
-länd<em class="gesperrt">lichem</em> Aufenthalt, gärtner<em class="gesperrt">ischen</em> Anlagen,
-nachbar<em class="gesperrt">lichen</em> Grundstücken, dem elter<em class="gesperrt">lichen</em> Hause,
-dem end<em class="gesperrt">lichen</em> (!) Resultat usw. Eine von Offizieren gerittne
-Quadrille wird als <em class="gesperrt">reiterliche</em> (!) <em class="gesperrt">Darbietung</em>
-gepriesen; statt, wie früher, vernünftige Zusammensetzungen mit
-<em class="gesperrt">Volk</em> zu bilden, quält man sich ab, auch davon Adjektiva zu
-bilden (die einen sagen <em class="gesperrt">volklich</em>, die andern <em class="gesperrt">völkisch</em>),
-die „Pädagogen“ reden sogar von <em class="gesperrt">schulischen</em> Verhältnissen
-und unterricht<em class="gesperrt">licher</em> Methode, und in Schulprogrammen
-kann man lesen, nicht als schlechten Witz, sondern in vollem
-Ernste, daß Herr Kand. X im verflossenen Jahre mit der Schule „in
-unterricht<em class="gesperrt">lichem</em> Zusammenhange gestanden“ habe.<a id="FNAnker_88" href="#Fussnote_88" class="fnanchor">[88]</a> Aber auch
-da, wo man früher den Genitiv eines Hauptwortes oder eine Präposition
-mit einem Hauptwort oder – ein einfaches Wort setzte, drängen sich
-jetzt überall diese abgeschmackten Adjektiva ein; man redet von
-kronprinz<em class="gesperrt">lichen</em> Kindern, behörd<em class="gesperrt">licher</em> Genehmigung,
-erzieh<em class="gesperrt">lichen</em> Aufgaben, gedank<em class="gesperrt">licher</em> Großartigkeit,
-gegner<em class="gesperrt">ischen</em> Vorschlägen, zeichner<em class="gesperrt">ischen</em> Mitteln, einer
-buchhändler<em class="gesperrt">ischen</em> Verkehrsordnung, gesetzgeber<em class="gesperrt">ischen</em>
-Fragen, erstinstanz<em class="gesperrt">lichen</em> (!) Urteilen, stecher<em class="gesperrt">ischer</em>
-Technik, gemischtchör<em class="gesperrt">igen</em> Quartetten, stimm<em class="gesperrt">licher</em>
-Begabung, text<em class="gesperrt">lichem</em> Inhalt, bau<em class="gesperrt">licher</em> Umgestaltung,
-seelsorger<em class="gesperrt">ischer</em> Tätigkeit, wo man früher Kinder des
-<em class="gesperrt">Kronprinzen</em>, Genehmigung <em class="gesperrt">der Behörden</em>, Aufgaben
-<em class="gesperrt">der Erziehung</em>, Großartigkeit <em class="gesperrt">der Gedanken</em>, Vorschläge
-<em class="gesperrt">des Gegners</em>, Mittel <em class="gesperrt">der Zeichnung</em>, Verkehrsordnung
-<em class="gesperrt">des Buchhandels</em>, Fragen <em class="gesperrt">der Gesetzgebung</em>, Urteile
-der <em class="gesperrt">ersten Instanz</em>, Technik <em class="gesperrt">des Stechers</em>, Quartette
-<em class="gesperrt">für gemischten Chor, Stimme, Text,<span class="pagenum" id="Seite_185">[S. 185]</span> Umbau, Seelsorge</em> sagte.
-Ein Choralbuch wurde früher zum <em class="gesperrt">Hausgebrauch</em> herausgegeben,
-jetzt zum <em class="gesperrt">häuslichen</em> Gebrauch; eine Bildersammlung hatte
-früher Wert <em class="gesperrt">für die Kostümkunde</em> oder <em class="gesperrt">Kunstwert</em>
-oder <em class="gesperrt">Altertumswert</em>, jetzt kostüm<em class="gesperrt">lichen</em> (!),
-künstler<em class="gesperrt">ischen</em> oder altertüm<em class="gesperrt">lichen</em> (!) Wert. Die
-Sprachwissenschaft redete früher von dem <em class="gesperrt">Lautleben</em> der Sprache
-und vom <em class="gesperrt">Lautwandel</em>, jetzt nur noch von dem laut<em class="gesperrt">lichen</em>
-Leben und dem laut<em class="gesperrt">lichen</em> (!) Wandel; die Ärzte sprachen sonst
-von Herztönen <em class="gesperrt">des Kindes</em> und von <em class="gesperrt">Gewebe</em>veränderungen,
-unsre heutigen medizinischen Journalisten schwatzen von
-kind<em class="gesperrt">lichen</em> (!) Herztönen<a id="FNAnker_89" href="#Fussnote_89" class="fnanchor">[89]</a> und geweb<em class="gesperrt">lichen</em> (!)
-Veränderungen. Auch Fremdwörter mit fremden Adjektivendungen werden
-mit in die alberne Mode hineingezogen; schon heißt es nicht mehr:
-<em class="gesperrt">Stilübungen</em>, <em class="gesperrt">Religionsfreiheit</em>, <em class="gesperrt">Kulturaufgabe</em> und
-<em class="gesperrt">Kulturfortschritt</em>, <em class="gesperrt">Maschinenbetrieb</em>, <em class="gesperrt">Finanzlage</em>,
-<em class="gesperrt">Inselvolk</em>, <em class="gesperrt">Kolonieleitung</em>, <em class="gesperrt">Artilleriegeschosse</em>,
-<em class="gesperrt">Infanteriegefechte</em>, <em class="gesperrt">Theaterfragen</em>, <em class="gesperrt">Solo</em>-,
-<em class="gesperrt">Chor</em>- und <em class="gesperrt">Orchester</em>kräfte, sondern stilist<em class="gesperrt">ische</em>
-Übungen, religi<em class="gesperrt">öse</em> Freiheit, kultur<em class="gesperrt">elles</em> Problem und
-kultur<em class="gesperrt">eller</em> Fortschritt (scheußlich!), maschin<em class="gesperrt">eller</em>
-Betrieb (scheußlich!), finanzi<em class="gesperrt">elle</em> Lage, insu<em class="gesperrt">lares</em>
-Volk, koloni<em class="gesperrt">ale</em> Leitung, artiller<em class="gesperrt">istische</em> Geschosse,
-infanter<em class="gesperrt">istische</em> Gefechte (alle Wörter auf <em class="gesperrt">istisch</em>
-klingen ja äußerst gelehrt und vornehm), solist<em class="gesperrt">ische</em>,
-chor<em class="gesperrt">istische</em> und orchest<em class="gesperrt">rale</em> Kräfte. Auch von
-<em class="gesperrt">Alpenflora</em> wird nicht mehr gesprochen, sondern nur noch von
-alp<em class="gesperrt">iner</em> (!) Flora. Am Ende kommts noch dahin, daß einer erzählt,
-er habe in einer alp<em class="gesperrt">inen</em> Hütte in sommer<em class="gesperrt">lichen</em> Hosen sein
-abend<em class="gesperrt">liches</em> Brot nebst einem wurst<em class="gesperrt">lichen</em> Zipfel verzehrt.</p>
-
-<p>Was soll die Neuerung? Soll sie der Kürze dienen? Einige der
-angeführten Beispiele scheinen dafür zu sprechen. Aber die Mehrzahl
-spricht doch dagegen; man könnte eher meinen, sie solle den Ausdruck
-verbreitern, ein Bestreben, das sich jetzt ja auch in vielen
-andern Spracherscheinungen<span class="pagenum" id="Seite_186">[S. 186]</span> zeigt. Man fragt vergebens nach einem
-vernünftigen Grunde, durch den sich diese Vorliebe für alle möglichen
-und unmöglichen Adjektivbildungen erklären ließe: es ist nichts
-als eine dumme Mode. Wenn so etwas in der Luft liegt, so steckt es
-heute hier, morgen da an; ob das Neugeschaffne nötig, richtig, schön
-sei, danach fragt niemand, wenns nur neu ist! Um der Neuheit willen
-schlägt man sogar gelegentlich einmal den entgegengesetzten Weg ein.
-Da es bis jetzt <em class="gesperrt">silberne Hochzeit</em> geheißen hat, so finden sich
-natürlich nun Narren, die mit Vorliebe von <em class="gesperrt">Silberhochzeit</em>
-reden. Dazu gehört natürlich nun auch ein <em class="gesperrt">Silberpaar</em>: der
-Bürgermeister schloß mit einem Hoch auf das <em class="gesperrt">Silberpaar</em>.<a id="FNAnker_90" href="#Fussnote_90" class="fnanchor">[90]</a>
-In einer Lebensbeschreibung Bismarcks ist gleich das erste Kapitel
-überschrieben: Unter dem Zeichen des <em class="gesperrt">Eisenkreuzes</em>. Also aus dem
-geschichtlichen <em class="gesperrt">Eisernen Kreuz</em>, das doch für jeden unantastbar
-sein sollte, wird ein <em class="gesperrt">Eisenkreuz</em> gemacht – aus bloßer dummer
-Neuerungssucht.</p>
-
-<p>Die Adjektiva auf <em class="gesperrt">lich</em> bedeuten eine Ähnlichkeit; <em class="gesperrt">lich</em>
-ist dasselbe wie <em class="gesperrt">Leiche</em>, es bedeutet den Leib, die Gestalt;
-daher auch das Adjektivum <em class="gesperrt">gleich</em>, d.&#160;i. <em class="gesperrt">geleich</em>,
-was dieselbe Gestalt hat. <em class="gesperrt">Königlich</em> ist, was die Gestalt,
-die Art oder das Wesen eines Königs hat. Will man nun das mit den
-kronprinz<em class="gesperrt">lichen</em> Kindern sagen? Gewiß nicht. Man meint doch die
-Kinder des Kronprinzen, und nicht bloß kronprinzenartige Kinder. Was
-kann eine Arbeit sonntägliches haben? eine Bewegung körperliches?
-eine Wirkung farbliches? eine Pflicht bürgerliches? ein Herzton
-kindliches? eine Frage<span class="pagenum" id="Seite_187">[S. 187]</span> theatralisches? Gemeint ist doch wirklich die
-Arbeit am Sonntage, die Bewegung des Körpers, die Wirkung der Farben
-usw.<a id="FNAnker_91" href="#Fussnote_91" class="fnanchor">[91]</a> Und hat man denn gar kein Ohr für die Häßlichkeit vieler
-dieser neugeschaffnen Adjektiva (<em class="gesperrt">fachlich</em>, <em class="gesperrt">beruflich</em>,
-<em class="gesperrt">volklich</em>, <em class="gesperrt">farblich</em>, <em class="gesperrt">klanglich</em>, <em class="gesperrt">stimmlich</em>,
-<em class="gesperrt">forstlich</em>, <em class="gesperrt">pflanzlich</em>, <em class="gesperrt">prinzlich</em>,
-<em class="gesperrt">erziehlich</em>)?</p>
-
-<p>Hie und da mag ja ein Grund für die Neubildung zu entdecken sein.
-So mag zwischen <em class="gesperrt">Regentagen</em> und <em class="gesperrt">regnerischen</em> Tagen
-ein Unterschied sein: an Regentagen regnets vielleicht von früh
-bis zum Abend, an regnerischen (früher: <em class="gesperrt">regnichten</em>) Tagen
-mit Unterbrechungen. Der Chordirektor, der zuerst von einem
-Terzett für <em class="gesperrt">weibliche Stimmen</em> anstatt von einem Terzett für
-<em class="gesperrt">Frauenstimmen</em> gesprochen hat, hatte sich vielleicht überlegt,
-daß unter den Sängerinnen auch junge Mädchen sein könnten. Und der
-Ratsgärtner, der seiner Behörde zuerst einen Plan zu <em class="gesperrt">gärtnerischen
-Anlagen</em> am Theater vorlegte, hatte wohl daran gedacht, daß
-ein eigentlicher Garten, d.&#160;h. eine von einem Zaun oder Geländer
-umschlossene Anpflanzung nicht geschaffen werden sollte. Aber
-bedeutet denn <em class="gesperrt">Frau</em>, wo sichs um die bloße Gegenüberstellung
-der Geschlechter handelt, nicht auch das Mädchen? Kann sich wirklich
-ein junges Mädchen beleidigt fühlen, wenn es aufgefordert wird,
-einen <em class="gesperrt">Frauenchor</em> mitzusingen?<a id="FNAnker_92" href="#Fussnote_92" class="fnanchor">[92]</a> Und können denn nicht
-<em class="gesperrt">Gartenanlagen</em> auch Anlagen<span class="pagenum" id="Seite_188">[S. 188]</span> sein, <em class="gesperrt">wie</em> sie in einem Garten
-sind? müssen sie immer <em class="gesperrt">in</em> einem Garten sein? <em class="gesperrt">Gärtnerische</em>
-Anlagen möchte man einem Jungen wünschen, der Lust hätte, Gärtner zu
-werden, wiewohl es auch dann noch besser wäre, wenn er Anlagen <em class="gesperrt">zum
-Gärtner</em> hätte. Nun vollends von <em class="gesperrt">gärtnerischen</em> Arbeiten zu
-reden statt von <em class="gesperrt">Garten</em>arbeiten (die Rekonvaleszenten der Anstalt
-werden mit <em class="gesperrt">gärtnerischen Arbeiten</em> beschäftigt), ist doch die
-reine Narrheit.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Erstauffuehrung">Erstaufführung</h3>
-
-</div>
-
-<p>Ein Gegenstück zu dem <em class="gesperrt">fachlichen Unterricht</em> bilden die schönen
-neumodischen Zusammensetzungen, mit denen man sich jetzt spreizt, wie:
-<em class="gesperrt">Fremdsprache</em>, <em class="gesperrt">Fremdkörper</em> und <em class="gesperrt">Falschstück</em> (ein
-gefälschtes Geldstück!), <em class="gesperrt">Neuauflage</em>, <em class="gesperrt">Neuerscheinung</em>
-und <em class="gesperrt">Neuerwerbung</em> (die <em class="gesperrt">Neuerscheinungen</em> des
-Buchhandels und die <em class="gesperrt">Neuerwerbungen</em> der Berliner
-Galerie), <em class="gesperrt">Neuerkrankung</em> und <em class="gesperrt">Leichtverwundung</em>,
-<em class="gesperrt">Deutschunterricht</em>, <em class="gesperrt">Deutschbewußtsein</em> und
-<em class="gesperrt">Deutschgefühl</em>, <em class="gesperrt">Erstaufführung</em>, <em class="gesperrt">Erstausgabe</em> und
-<em class="gesperrt">Erstdruck</em>, <em class="gesperrt">Jüngstvergangenheit</em>, <em class="gesperrt">Einzelfall</em>,
-<em class="gesperrt">Einzelpersönlichkeit</em> und <em class="gesperrt">Allgemeingesang</em>,
-<em class="gesperrt">Mindestmaß</em>, <em class="gesperrt">Mindestpreis</em> und <em class="gesperrt">Mindestgehalt</em>,
-<em class="gesperrt">Höchstmaß</em>, <em class="gesperrt">Höchstpreis</em>, <em class="gesperrt">Höchstgehalt</em>,
-<em class="gesperrt">Höchstarbeitszeit</em> und – <em class="gesperrt">Höchststundenzahl</em>! Hier leimt
-man also einen Adjektivstamm vor das Hauptwort, statt einfach zu sagen:
-<em class="gesperrt">fremder Körper</em>, <em class="gesperrt">neue Auflage</em>, <em class="gesperrt">einzelner Fall</em>,
-<em class="gesperrt">erste Aufführung</em>, <em class="gesperrt">allgemeiner Gesang</em>, <em class="gesperrt">höchste
-Stundenzahl</em> usw.</p>
-
-<p>Worin liegt das Abgeschmackte solcher Zusammensetzungen? gibt es
-nicht längst, ja zum Teil schon seit sehr alter Zeit ähnliche
-Wörter, an denen niemand Anstoß nimmt? Gewiß gibt es die, sogar in
-großer Fülle. Man denke nur an: <em class="gesperrt">Fremdwort</em>, <em class="gesperrt">Edelstein</em>,
-<em class="gesperrt">Schwerspat</em>, <em class="gesperrt">Braunkohle</em>, <em class="gesperrt">Neumond</em>, <em class="gesperrt">Weißwein</em>,
-<em class="gesperrt">Kaltschale</em>, <em class="gesperrt">Süßwasser</em>, <em class="gesperrt">Sauerkraut</em>,
-<em class="gesperrt">Buntfeuer</em>, <em class="gesperrt">Kurzwaren</em>, <em class="gesperrt">Hohlspiegel</em>,
-<em class="gesperrt">Hartgummi</em>, <em class="gesperrt">Trockenplatte</em>, <em class="gesperrt">Schnellzug</em>,
-<em class="gesperrt">Glatteis</em>, <em class="gesperrt">Rotkehlchen</em>, <em class="gesperrt">Grünschnabel</em>,
-<em class="gesperrt">Freischule</em>, <em class="gesperrt">Vollmacht</em>, <em class="gesperrt">Hochverrat</em>,
-<em class="gesperrt">Eigennutz</em>, <em class="gesperrt">Halbbruder</em>, <em class="gesperrt">Breitkopf</em>,
-<em class="gesperrt">Rothschild</em>,<span class="pagenum" id="Seite_189">[S. 189]</span> <em class="gesperrt">Warmbrunn</em> und viele andre. Was ist aber das
-Eigentümliche solcher Zusammensetzungen? Es sind meist Fachausdrücke
-oder Kunstausdrücke aus irgendeinem Gebiete des geistigen Lebens, aus
-dem Handel, aus irgendeinem Gewerbe, einer Kunst, einer Wissenschaft,
-aus der Rechtspflege, oder es sind – Eigennamen.<a id="FNAnker_93" href="#Fussnote_93" class="fnanchor">[93]</a> Nun stecken aber
-dem Deutschen zwei Narrheiten tief im Blute: erstens, sich womöglich
-immer auf irgendein Fach hinauszuspielen, mit Fachausdrücken um sich zu
-werfen, jeden Quark anscheinend zum Fachausdruck zu stempeln; zweitens,
-sich immer den Anschein zu geben, als ob man die Fachausdrücke aller
-Fächer und folglich die Fächer auch selbst verstünde. Wenn es ein
-paar Buchhändlern beliebt, plötzlich von <em class="gesperrt">Neuauflagen</em> zu reden,
-so denkt der junge Privatdozent: aha! <em class="gesperrt">Neuauflage</em> – schöner
-neuer Terminus des Buchhandels, will ich mir merken und bei der
-nächsten Gelegenheit anbringen. Der Professor der Augenheilkunde nennt
-wahrscheinlich ein Eisensplitterchen, das einem ins Auge geflogen ist,
-einen <em class="gesperrt">Fremdkörper</em>. Da läßt es dem Geschichtsprofessor keine
-Ruhe, er muß doch zeigen, daß er das auch weiß, und so erzählt er denn
-bei der nächsten Gelegenheit: die Germanen waren ein <em class="gesperrt">Fremdkörper</em>
-im römischen Reiche. Und wenn er Wirtschaftsgeschichte schreibt, dann
-redet er nicht von den <em class="gesperrt">fremden Kaufleuten</em>, die ins Land gekommen
-seien, sondern von den <em class="gesperrt">Fremdkaufleuten</em>! Wie gelehrt das klingt!
-Der gewöhnliche Mensch lernt in der Schule, <em class="gesperrt">Evangelium</em> heiße auf
-deutsch: <em class="gesperrt">frohe Botschaft</em>. Der Theolog aber sagt dafür neuerdings
-<em class="gesperrt">Frohbotschaft</em>! Wie gelehrt das klingt! Der gewöhnliche Mensch
-sehnt sich nach <em class="gesperrt">frischer Luft</em>. Wenn aber ein Techniker eine
-Ventilationsanlage macht, so beseitigt er die <em class="gesperrt">Abluft</em> (!) und
-sorgt für <em class="gesperrt">Frischluft</em>! Im gewöhnlichen Leben spricht man von
-einem <em class="gesperrt">großen Feuer</em>. Das kann aber doch die Feuerwehr nicht tun;
-so gut wie sie ihre Spritzen und ihre Helme hat, muß sie auch<span class="pagenum" id="Seite_190">[S. 190]</span> ihre
-Wörter haben. Der „Branddirektor“ kennt also nur <em class="gesperrt">Großfeuer</em>.
-Sobald das aber der Philister weggekriegt hat, sagt er natürlich
-auch am Biertisch: Bitte, meine Herren, sehen Sie mal hinaus, da muß
-ein <em class="gesperrt">Großfeuer</em> sein, und der Zeitungschreiber berichtet: Diese
-Nacht wurde das Gut des Gutsbesitzers Sch. durch ein <em class="gesperrt">Großfeuer</em>
-eingeäschert. So bilden sich denn auch die gewerbsmäßigen
-Theaterschreiber ein, mit <em class="gesperrt">Erstaufführung</em> den Begriff der
-<em class="gesperrt">ersten Aufführung</em> aus der gewöhnlichen Alltagssprache in die
-vornehme Region der Fachbegriffe gehoben zu haben. In Wahrheit ist es
-weiter nichts als eine schlechte Übersetzung von <em class="gesperrt">Premiere</em>,<a id="FNAnker_94" href="#Fussnote_94" class="fnanchor">[94]</a>
-wie alle die wahrhaft greulichen Zusammensetzungen mit <em class="gesperrt">Höchst</em>
-und <em class="gesperrt">Mindest</em> nichts als schlechte Übersetzungen von Wörtern
-mit <em class="gesperrt">Maximal</em> und <em class="gesperrt">Minimal</em> sind. Für solches Deutsch
-doch lieber keins! Der Katarrh hat den <em class="gesperrt">höchsten Stand</em>
-überschritten – das klänge ja ganz laienhaft; den <em class="gesperrt">Höchststand</em>
-– das klingt fachmännisch. Wenn aber bei einer Epidemie Ärzte und
-Zeitungen berichten, daß an einem Tage hundert <em class="gesperrt">Neuerkrankungen</em>
-vorgekommen seien, so kann das geradezu zu Mißverständnissen führen.
-Eine <em class="gesperrt">Neuerkrankung</em> würde ich es nennen, wenn jemand, der krank
-gewesen und wieder gesund geworden ist, von neuem erkrankt, ebenso wie
-eine <em class="gesperrt">Neuordnung</em> voraussetzt, daß die Dinge schon vorher geordnet
-gewesen seien. <em class="gesperrt">Erstausgabe!</em> Es ist so unsäglich häßlich; aber
-der große Haufe ist ganz versessen auf solche Narrheiten.</p>
-
-<p>Besonders beliebt ist jetzt der <em class="gesperrt">Altmeister</em>, und eine Zeit lang
-war es auch der <em class="gesperrt">Altreichskanzler</em>. Hier ist aber zweierlei zu
-unterscheiden. Der <em class="gesperrt">Altreichskanzler</em> stammte aus Süddeutschland
-und der Schweiz, wo man den alten, d.&#160;h. den ehemaligen, aus dem Amte
-geschiednen (<span class="antiqua">ancien</span>) so bezeichnete, und wo man z.&#160;B. auch vom
-<em class="gesperrt">Altbürgermeister</em> spricht (bei Schiller: <em class="gesperrt">Altlandammann</em>).
-<em class="gesperrt">Altmeister</em> dagegen bedeutet wie <em class="gesperrt">Altgesell</em> nicht den
-ehemaligen, sondern den ältesten, d.&#160;h.<span class="pagenum" id="Seite_191">[S. 191]</span> bejahrtesten unter den
-vorhandnen Meistern und Gesellen. Man konnte also wohl Franz Liszt,
-solange er lebte, den <em class="gesperrt">Altmeister</em> der deutschen Musik nennen,
-aber Johann Sebastian Bach einen <em class="gesperrt">Altmeister</em> zu nennen, wie
-es unter den Musikschwätzern jetzt Mode ist, ist Unsinn. Bach ist
-ein Meister der alten Zeit, der Vergangenheit; das ist aber ein
-<em class="gesperrt">alter Meister</em>, kein <em class="gesperrt">Altmeister</em>. Sehr beliebt sind jetzt
-auch Zusammensetzungen wie <em class="gesperrt">Altleipzig</em>, <em class="gesperrt">Altweimar</em>,
-<em class="gesperrt">Altheidelberg</em>. Sie haben einen poetischen Beigeschmack, wie man
-sofort fühlt, wenn man an <em class="gesperrt">jung Siegfried, jung Roland</em> denkt.
-Wie abgeschmackt also, von einem <em class="gesperrt">Junggoethedenkmal</em>, einem
-<em class="gesperrt">Jungwilhelmdenkmal</em>, einem <em class="gesperrt">Jungbismarckdenkmal</em> zu reden!
-Zu einem logischen Verstoß führen überdies gewisse Zusammensetzungen,
-mit denen sich jetzt die Kunstgewerbegelehrten spreizen: <em class="gesperrt">Altmeißner
-Porzellan, Altthüringer Porzellan</em>. Denn nicht darauf kommt es an,
-daß das Porzellan aus <em class="gesperrt">Altmeißen</em> ist, sondern nur darauf, daß es
-aus <em class="gesperrt">Meißen</em> ist, aber <em class="gesperrt">altes</em> Porzellan aus Meißen! Mancher
-wird das für Haarspalterei halten, es ist aber ein großer Unterschied.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Sedantag_und_Chinakrieg">Sedantag und Chinakrieg</h3>
-
-</div>
-
-<p>Noch überboten an Geschmacklosigkeit werden Zusammensetzungen wie
-<em class="gesperrt">Erstaufführung</em> durch die Roheit, mit der man jetzt Eigennamen
-(Ortsnamen und noch öfter Personennamen) vor ein Hauptwort leimt,
-anstatt aus dem Namen ein Adjektiv zu bilden.</p>
-
-<p>Die Herkunft einer Sache wurde sonst nie anders bezeichnet als
-durch ein von einem Städte- oder Ländernamen gebildetes Adjektiv
-oder durch eine Präposition mit dem Namen, z.&#160;B.: <em class="gesperrt">sizilische
-Märchen</em>, <em class="gesperrt">bengalisches Feuer</em>, <em class="gesperrt">Kölnisches Wasser</em>,
-<em class="gesperrt">Berliner Weißbier</em>, <em class="gesperrt">Emser Kränchen</em>, <em class="gesperrt">Dessauer
-Marsch</em>, <em class="gesperrt">Motiv aus Capri</em>, <em class="gesperrt">Karte von Europa</em>. Jetzt
-redet man aber von <em class="gesperrt">Japanwaren</em>, einer <em class="gesperrt">Chinaausstellung</em>,
-<em class="gesperrt">Smyrnateppichen</em>, <em class="gesperrt">Olympiametopen</em>, <em class="gesperrt">Samosausbruch</em>,
-<em class="gesperrt">Neapelmotiven</em>, <em class="gesperrt">Romplänen</em> (das sollen Stadtpläne
-von Rom sein!), einem <em class="gesperrt">Leipzig-Elbe-Kanal</em> und einer
-<em class="gesperrt">Holland-Amerika-Linie</em>.<span class="pagenum" id="Seite_192">[S. 192]</span> Wenn solche Zusammenleimungen auch zu
-entschuldigen sein mögen bei Namen, von denen man sich kein Adjektiv
-zu bilden getraut, wie <em class="gesperrt">Bordeauxwein</em>, <em class="gesperrt">Jamaikarum</em>,
-<em class="gesperrt">Havannazigarren</em>, <em class="gesperrt">Angoraziege</em>, <em class="gesperrt">Chesterkäse</em>,
-<em class="gesperrt">Panamahut</em>, <em class="gesperrt">Suezkanal</em>, <em class="gesperrt">Sedantag</em> (in Leipzig
-<em class="gesperrt">Seedangtag</em> gesprochen), so ließe sich doch schon eine Bildung
-wie <em class="gesperrt">Maltakartoffeln</em> vermeiden, denn niemand spricht von einem
-<em class="gesperrt">Maltakreuz</em> oder <em class="gesperrt">Maltarittern</em>. Oder klingt <em class="gesperrt">Malteser</em>
-für Kartoffeln zu vornehm? Auch das <em class="gesperrt">Selterser Wasser</em>, wie man
-es richtig nannte, als es bekannt wurde, hätte man getrost beibehalten
-können und nicht in <em class="gesperrt">Selterswasser</em> (oder gar <em class="gesperrt">Selterwasser</em>!
-es ist nach dem nassauischen Dorfe Nieder-<em class="gesperrt">Selters</em> genannt)
-umzutaufen brauchen. Aber ganz überflüssig sind doch die angeführten
-Neubildungen, denn das Adjektiv <em class="gesperrt">japanisch</em> (oder meinetwegen
-<em class="gesperrt">japanesisch</em>!) ist doch wohl allbekannt, jeder Archäolog oder
-Kunsthistoriker kennt auch das Adjektiv <em class="gesperrt">olympisch</em>, auch von
-<em class="gesperrt">samischem</em> Wein hat man früher lange genug gesprochen, und
-auch von <em class="gesperrt">Leipzig</em> und von <em class="gesperrt">Holland</em> wird man sich doch
-wohl noch Adjektiva zu bilden getrauen? <em class="gesperrt">Leipzig-Elbe-Kanal</em>!
-Es ist ja fürchterlich! Einen Städtenamen so vor einen Flußnamen
-zu leimen, der selber nur angeleimt ist! Vor fünfzig Jahren hätte
-jeder zehnjährige Junge auf die Frage: wie nennt man einen Kanal,
-der von Leipzig nach der Elbe führen soll? richtig geantwortet:
-<em class="gesperrt">Leipziger Elbkanal</em>; wie nennt man eine Dampferlinie zwischen
-Holland und Amerika? <em class="gesperrt">Holländisch-amerikanische Linie</em>. Und
-warum nicht: <em class="gesperrt">Smyrnaer Teppiche</em>? Sagt man doch: <em class="gesperrt">Geraer
-Kleiderstoffe</em>. Sachkenner behaupten, die echten nenne man auch so;
-nur die unechten, in smyrnischer Technik in Deutschland angefertigten
-nenne man <em class="gesperrt">Smyrnateppiche</em>. Mag sein. Aber warum nicht: <em class="gesperrt">Motive
-aus Neapel? Japanwaren, Neapelmotive</em> – wer verfällt nur auf
-so etwas! Man denke sich, daß jemand <em class="gesperrt">Italienwaren</em> zum Kauf
-anbieten oder von <em class="gesperrt">Romruinen</em> reden wollte! Ein Wunder, daß
-noch niemand darauf gekommen ist, den <em class="gesperrt">Cyperwein</em> und die
-<em class="gesperrt">Cyperkatze</em><span class="pagenum" id="Seite_193">[S. 193]</span> in <em class="gesperrt">Cypernwein</em> und <em class="gesperrt">Cypernkatze</em>
-umzutaufen. Die Insel heißt doch <em class="gesperrt">Cypern</em>! Jawohl, aber der
-Stamm heißt <em class="gesperrt">Cyper</em> – das ist so gut wie ein Adjektiv, und der
-ist zum Glück den plumpen Fäusten unsrer Sprachneuerer bis jetzt
-noch entgangen. Die <em class="gesperrt">Italienreisenden</em> haben wir freilich auch,
-wie die <em class="gesperrt">Schweizreisenden</em> und die <em class="gesperrt">Afrikareisenden</em> und
-neuerdings die <em class="gesperrt">Weimarpilger</em> und den <em class="gesperrt">Chinakrieg</em>. Schön
-sind die auch nicht (zu Goethes und Schillers Zeit sprach man von
-<em class="gesperrt">italienischen</em>, <em class="gesperrt">Schweizer</em> und <em class="gesperrt">afrikanischen</em>
-Reisenden), aber man läßt sie sich zur Not gefallen; der Ortsname
-bezeichnet da nicht den Ursprung, die Herkunft, sondern das Land,
-auf das sich die Tätigkeit des Reisenden erstreckt. Im allgemeinen
-aber kann doch das Bestimmungswort eines zusammengesetzten Wortes
-nur ein Appellativ, kein Eigenname sein. Von <em class="gesperrt">Eisenwaren</em>,
-<em class="gesperrt">Sandsteinmetopen</em>, <em class="gesperrt">Stadtplänen</em>, <em class="gesperrt">Fluß-</em> und
-<em class="gesperrt">Waldmotiven</em> kann man reden, aber nicht von <em class="gesperrt">Japanwaren</em>,
-<em class="gesperrt">Olympiametopen</em>, <em class="gesperrt">Romplänen</em> und <em class="gesperrt">Neapelmotiven</em>. Das
-ist nicht mehr gesprochen, es ist gestammelt.</p>
-
-<p>Gestammelt? O nein, es ist ja das schönste Englisch! Der Engländer sagt
-ja: <span class="antiqua">the India house</span>, <span class="antiqua">the Oxford Chaucer</span> (das soll heißen:
-die Oxforder Ausgabe von Chaucers Werken), <span class="antiqua">the Meier Madonna</span>;
-das muß natürlich wieder nachgeplärrt werden. Wir kommen schon auch
-noch dahin, daß wir die Weimarische Ausgabe von Goethes Werken den
-<em class="gesperrt">Weimar-Goethe</em> nennen oder gar den <em class="gesperrt">Weimar Goethe</em> (ohne
-Bindestrich).</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Shakespearedramen">Shakespearedramen, Menzelbilder und
-Bismarckbeleidigungen</h3>
-
-</div>
-
-<p>Das wäre nicht möglich? Wir haben ja den Unsinn schon! Wird nicht
-täglich von Gastwirten <em class="gesperrt">Tucher Bier</em> (so!) empfohlen? Und das soll
-Bier aus der Freiherrl. Tucherschen Brauerei in Nürnberg sein!</p>
-
-<p>Auch Personennamen können nur dann das Bestimmungswort einer
-Zusammensetzung bilden, wenn der Begriff ganz äußerlich und lose zu
-der Person in Beziehung steht, aber nicht, wenn das Eigentum, die<span class="pagenum" id="Seite_194">[S. 194]</span>
-Herkunft, der Ursprung oder eine sonstige engere Beziehung bezeichnet
-werden soll; das ist in anständigem Deutsch früher stets durch den
-Genitiv<a id="FNAnker_95" href="#Fussnote_95" class="fnanchor">[95]</a> oder ein von dem Personennamen gebildetes Adjektiv
-geschehen.</p>
-
-<p>Wenn, wie es in den letzten Jahrzehnten tausendfach vorgekommen ist,
-neue Straßen und Plätze großen Männern zu Ehren getauft und dabei kurz
-<em class="gesperrt">Goethestraße</em> oder <em class="gesperrt">Blücherplatz</em> benannt worden sind, so
-ist dagegen grammatisch nichts einzuwenden. Auch eine Stiftung, die zu
-Ehren eines verdienten Bürgers namens Schumann durch eine Geldsammlung
-geschaffen worden ist, mag man getrost eine <em class="gesperrt">Schumannstiftung</em>
-nennen, ebenso Gesellschaften und Vereine, die das Studium der
-Geisteswerke großer Männer pflegen, <em class="gesperrt">Goethegesellschaft</em> oder
-<em class="gesperrt">Bachverein</em>; auch <em class="gesperrt">Beethovenkonzert</em> und <em class="gesperrt">Mozartabend</em>
-sind richtig gebildet, wenn sie ein Konzert und einen Abend bezeichnen
-sollen, wo nur Werke von Beethoven oder Mozart aufgeführt werden.
-Auch die <em class="gesperrt">Schillerhäuser</em> läßt man sich noch gefallen, denn
-man meint damit nicht Häuser, die Schillers Eigentum gewesen wären,
-sondern Häuser, in denen er einmal gewohnt, verkehrt, gedichtet hat,
-und die nur zu seinem Gedächtnis so genannt werden. Bedenklicher
-sind schon die <em class="gesperrt">Goethedenkmäler</em>, denn die beziehen sich doch
-nicht bloß auf Goethe, sondern stellen ihn wirklich und leibhaftig
-dar; noch in den dreißiger und vierziger Jahren des neunzehnten
-Jahrhunderts hätte sich niemand so auszudrücken gewagt, da sprach man
-in Leipzig nur von <em class="gesperrt">Bachs Denkmal</em>, von <em class="gesperrt">Gellerts Denkmal</em>.
-Sind einmal die <em class="gesperrt">Goethedenkmäler</em> richtig, dann sind es auch
-die <em class="gesperrt">Goethebildnisse</em>, dann ist es auch die <em class="gesperrt">Goethebüste</em>,
-der <em class="gesperrt">Goethekopf</em> und – die <em class="gesperrt">Goethebiographie</em>. Nun aber
-das <em class="gesperrt">Goethehaus</em> auf dem Frauenplan in Weimar und die Weimarer
-<em class="gesperrt">Goetheausgabe</em> – da meint man doch wirklich Goethes Haus und
-die Gesamtausgabe von Goethes Werken. Etwas andres ist es mit einer
-<em class="gesperrt">Elzevirausgabe</em>; das soll<span class="pagenum" id="Seite_195">[S. 195]</span> nicht eine Ausgabe der Werke eines
-Mannes namens Elzevir sein, sondern eine Ausgabe in dem Format und
-der Ausstattung der berühmten holländischen Verlagsbuchhandlung.
-Ist die <em class="gesperrt">Goetheausgabe</em> richtig, dann kommen wir schließlich
-auch zu den <em class="gesperrt">Goethefreunden</em> (d.&#160;h. Goethes Freunden zu seinen
-Lebzeiten), den <em class="gesperrt">Goetheeltern</em> und den <em class="gesperrt">Goetheenkeln</em>. Es
-ist nicht einzusehen, weshalb man nicht auch so sollte sagen dürfen,
-und man sagt es ja auch schon. Stammelt man doch auch schon von einem
-<em class="gesperrt">Lutherbecher</em> (einem Becher, den einst Luther besessen hat) und
-einem <em class="gesperrt">Veltheimzettel</em> (einem Theaterzettel der Veltheimschen,
-richtiger Veltenschen Schauspielertruppe aus dem siebzehnten
-Jahrhundert), von einer <em class="gesperrt">Böttgerperiode</em> (der Zeit Böttgers in
-der Geschichte des Porzellans!) und einer <em class="gesperrt">Schlüterzeit</em>, von
-<em class="gesperrt">Kellerfreunden</em> (Freunden des Dichters Gottfried Keller!) und
-<em class="gesperrt">Pilotyschülern</em>, von einem <em class="gesperrt">Grillparzersarg</em> und einem
-<em class="gesperrt">Brahmsgrab</em>.</p>
-
-<p>Noch ärger ist es, wenn man zur Bezeichnung von Schöpfungen,
-von Werken einer Person, seien es nun wissenschaftliche oder
-Kunstschöpfungen, Entdeckungen oder Methoden, Vereine oder Stiftungen,
-Erfindungen oder Fabrikate, den Personennamen in solcher Weise vor
-das Hauptwort leimt. In anständigem Deutsch hat man sich in solchen
-Fällen früher stets des Genitivs oder der Adjektivbildung auf
-<em class="gesperrt">isch</em> bedient. In Dresden ist die <em class="gesperrt">Brühlsche Terrasse</em>,
-in Frankfurt das <em class="gesperrt">Städelsche Institut</em>, und noch vor dreißig
-Jahren hat jedermann von <em class="gesperrt">Goethischen</em> und <em class="gesperrt">Schillerschen
-Gedichten</em> gesprochen. Jetzt wird nur noch gelallt; jetzt
-heißt es: <em class="gesperrt">Goethegedichte</em> und <em class="gesperrt">Shakespearedramen</em>,
-<em class="gesperrt">Mozartopern</em> und <em class="gesperrt">Dürerzeichnungen</em>, <em class="gesperrt">Bachkantaten</em>
-und <em class="gesperrt">Chopinwalzer</em>, <em class="gesperrt">Goethefaust</em> und <em class="gesperrt">Gounodfaust</em>,
-<em class="gesperrt">Bismarckreden</em> und <em class="gesperrt">Napoleonbriefe</em>,
-<em class="gesperrt">Schopenhauerworte</em> und <em class="gesperrt">Heimburgromane</em>,
-<em class="gesperrt">Schweningerkur</em> und <em class="gesperrt">Horneffervorträge</em>. Der von Karl
-Riedel gegründete Leipziger Kirchengesangverein, der jahrzehntelang
-ganz richtig der <em class="gesperrt">Riedelsche Verein</em> hieß, ist neuerdings zum
-<em class="gesperrt">Riedelverein</em> verschönert worden, und wie die Herren Fabrikanten,
-diese feinfühligsten<span class="pagenum" id="Seite_196">[S. 196]</span> aller Sprachschöpfer und Sprachneuerer,
-hinter allen neuen Sprachdummheiten mit einer Schnelligkeit her
-sind, als fürchteten sie damit zu spät zu kommen, so haben sie sich
-auch schleunigst dieser Sprachdummheit bemächtigt und preisen nun
-stolz ihre <em class="gesperrt">Pfaffnähmaschinen</em> und <em class="gesperrt">Drewsgardinen</em>, ihre
-<em class="gesperrt">Jägerpumpen</em> und <em class="gesperrt">Steinmüllerkessel</em>, ihren <em class="gesperrt">Kempfsekt</em>
-und ihr <em class="gesperrt">Auergasglühlicht</em>, ihre <em class="gesperrt">Rönischpianos</em> und
-<em class="gesperrt">Feurichpianinos</em>, ihre <em class="gesperrt">Langeuhren</em>, <em class="gesperrt">Zeißobjektive</em>
-und <em class="gesperrt">Ernemanncameras</em> an, und das verehrte Publikum schwatzt es
-nach und streitet sich über die Vorzüge der <em class="gesperrt">Blüthnerflügel</em>
-und der <em class="gesperrt">Bechsteinflügel</em>.<a id="FNAnker_96" href="#Fussnote_96" class="fnanchor">[96]</a> In Leipzig nannte eines Tags
-eine Bierbrauerei (die Riebeckische) ihr Bier <em class="gesperrt">Riebeckbier</em>.
-Flugs kamen die andern hinterdrein und priesen <em class="gesperrt">Ulrichbier</em>,
-<em class="gesperrt">Naumannbier</em> und <em class="gesperrt">Sternburgbier</em> an (das nun freilich
-eigentlich <em class="gesperrt">Speckbier</em> heißen müßte!). Dieses Schandzeug aus
-unsrer Kaufmannssprache habt ihr auf dem Gewissen, ihr Herren, die
-ihr die <em class="gesperrt">Shakespearedramen</em> und die <em class="gesperrt">Dürerzeichnungen</em>
-erfunden habt! Wenn man in vornehmen Fachzeitschriften von
-<em class="gesperrt">Bürgerbriefen</em> (Briefen des Dichters der Lenore!) und
-einem <em class="gesperrt">Lenznachlaß</em> (Nachlaß des Dichters Lenz), einem
-<em class="gesperrt">Kuglerwerk</em> und einem <em class="gesperrt">Menzelwerk</em>, einem <em class="gesperrt">König
-Albert-Bild</em>, einem <em class="gesperrt">Mörike-Schwind-Briefwechsel</em>, einer
-<em class="gesperrt">Rudolf Hildebrand-Erinnerung</em> lesen muß, kann man dann –
-andern Leuten einen<span class="pagenum" id="Seite_197">[S. 197]</span> Vorwurf machen, wenn sie von <em class="gesperrt">Kathreiners
-Kneipp-Malzkaffee</em>, <em class="gesperrt">Junker- und Ruh-Öfen</em> und <em class="gesperrt">August
-Lehr-Fahrrädern</em> reden? Alle diese Zusammensetzungen zeugen von
-einer Zerrüttung des Denkens, die kaum noch ärger werden kann. Von
-<em class="gesperrt">Lichtfreunden</em> kann man reden, von <em class="gesperrt">Naturfreunden</em>,
-<em class="gesperrt">Kunstfreunden</em> und <em class="gesperrt">Musikfreunden</em>, von <em class="gesperrt">Zinnsärgen</em>
-und <em class="gesperrt">Marmorsärgen</em>, von <em class="gesperrt">Konzertflügeln</em> und
-<em class="gesperrt">Stutzflügeln</em>, aber nicht von <em class="gesperrt">Kellerfreunden</em>,
-<em class="gesperrt">Grillparzersärgen</em> und <em class="gesperrt">Blüthnerflügeln</em>. Das ist
-schlechterdings kein Deutsch.</p>
-
-<p>Das Unkraut wuchert aber und treibt die unglaublichsten Blüten.
-Weißt du, was <em class="gesperrt">Kriegerliteratur</em> ist, lieber Leser?
-ein <em class="gesperrt">Senfkatalog</em>? eine <em class="gesperrt">Schleicherskizze</em>? ein
-<em class="gesperrt">Pfeilliederabend</em>? Du ahnst es nicht, ich will dirs sagen.
-<em class="gesperrt">Kriegerliteratur</em> sind die Schriften über den Komponisten
-des siebzehnten Jahrhunderts Adam Krieger, ein <em class="gesperrt">Senfkatalog</em>
-ist ein Briefmarkenverzeichnis der Gebrüder Senf in Leipzig, eine
-<em class="gesperrt">Schleicherskizze</em> eine Lebensbeschreibung des berühmten
-Philologen Schleicher, ein <em class="gesperrt">Pfeilliederabend</em> ein Abendkonzert,
-bei dem nur Lieder des Männergesangkomponisten Pfeil gesungen werden.
-Was ein <em class="gesperrt">Lenbachaufsatz</em> ist? ein <em class="gesperrt">Holbeinbildnis</em>? Das weiß
-ich selber nicht. Es kann ein Aufsatz <em class="gesperrt">von</em> Lenbach sein, es kann
-aber auch einer <em class="gesperrt">über</em> ihn sein, ein von Holbein gezeichnetes
-Bildnis, aber auch eins, das ihn darstellt. Daß läßt sich in dem
-heutigen Deutsch nicht mehr unterscheiden.</p>
-
-<p>Es braucht übrigens nicht immer ein Eigenname zu sein, der solche
-Zusammensetzungen unerträglich macht; sie sind auch dann unerträglich,
-wenn an die Stelle eines Eigennamens ein Appellativ tritt, unter dem
-eine bestimmte Person verstanden werden soll. Da hat einer, der den
-Feldzug von 1870 als Kürassier mitgemacht hat, seine Briefe unter
-dem Titel <em class="gesperrt">Kürassierbriefe</em> drucken lassen. Das können aber
-niemals Briefe eines bestimmten Kürassiers sein, sondern immer nur
-Briefe, wie sie Kürassiere schreiben. In allerjüngster Zeit ist das
-neue Wort <em class="gesperrt">Kaiserhoch</em> aufgekommen. Es stammt natürlich aus
-der Telegrammsprache. Irgendeiner telegraphierte:<span class="pagenum" id="Seite_198">[S. 198]</span> „Professor Ö.
-Festrede Kaiserhoch“; daraus machte ein dummer Zeitungschreiber:
-Professor Ö. hielt die Festrede, die in ein <em class="gesperrt">Kaiserhoch</em>
-ausklang. Ein Kaiserhoch kann aber auf jeden beliebigen Kaiser
-ausgebracht werden, und wenn die Zeitungen vollends statt <em class="gesperrt">ein
-Kaiserhoch</em> schreiben <em class="gesperrt">das Kaiserhoch</em> – die Herabwürdigung
-einer persönlichen Huldigung, die aus dem Herzen quellen soll, zu einem
-gewohnheitsmäßigen Bestandteil jeder beliebigen Esserei oder Trinkerei,
-kann gar keinen schlagendern Ausdruck finden. Ähnlich ist es mit der
-<em class="gesperrt">Königsbüste</em>. Professor Seffner ist damit beschäftigt, eine
-<em class="gesperrt">Königsbüste</em> anzufertigen. Ob von Ramses oder Romulus oder Ludwig
-dem Vierzehnten, wird nicht verraten. Das Ärgste dieser Art sind wohl
-die <em class="gesperrt">Herrenworte</em> und das <em class="gesperrt">Herrenmahl</em>, das die Theologen
-jetzt aufgebracht haben. Das sollen Aussprüche Christi und das heilige
-Abendmahl sein! Man denkt doch unwillkürlich an ein <em class="gesperrt">Herrenessen</em>.</p>
-
-<p>Den Gipfel der Sinnlosigkeit erreichen solche Zusammenleimungen,
-wenn das Grundwort ein Verbalsubstantiv ist, gebildet von einem
-transitiven Verbum. Solche Zusammensetzungen können schlechterdings
-nicht mit Eigennamen vorgenommen werden, sondern nur mit Appellativen;
-sie bezeichnen ja nicht eine bestimmte einzelne Handlung, sondern
-eine Gattung von Handlungen, Menschen, deren Tätigkeit sich nicht
-auf eine bestimmte einzelne Person, sondern wieder nur auf eine
-Gattung erstreckt. In den siebziger Jahren erfand ein boshafter
-Zeitungschreiber das Wort <em class="gesperrt">Bismarckbeleidigung</em>. Natürlich sollte
-es eine höhnische Nachbildung von <em class="gesperrt">Majestätsbeleidigung</em> sein. Wie
-viel dumme Zeitungschreiber aber haben das Wort dann im Ernst gebraucht
-und sogar <em class="gesperrt">Caprivibeleidigung</em> darnach gebildet! Jetzt redet
-man aber auch von <em class="gesperrt">Cäsarmördern</em>, <em class="gesperrt">Richardsonübersetzern</em>,
-<em class="gesperrt">Romkennern</em>, <em class="gesperrt">Goethefreunden</em> und <em class="gesperrt">Schillerfeinden</em>
-(unter den heute lebenden!), <em class="gesperrt">Beethovenerklärern</em>,
-<em class="gesperrt">Wagnerverehrern</em>, <em class="gesperrt">Zolanachahmern</em> und
-<em class="gesperrt">Nietzscheanbetern</em>. Entsetzliche Verirrung! Man kann von
-<em class="gesperrt">Vatermördern</em>, <em class="gesperrt">Romanübersetzern</em>, <em class="gesperrt">Kunstkennern</em>,
-<em class="gesperrt">Frauenverehrern</em>,<span class="pagenum" id="Seite_199">[S. 199]</span> und <em class="gesperrt">Fetischanbetern</em> reden; aber ein
-<em class="gesperrt">Wagnerverehrer</em> – das könnte doch nur ein Kerl sein, der
-gewerbsmäßig jeden „verehrt“, der Wagner heißt. Wer das nicht fühlt,
-der stammle weiter, dem ist nicht zu helfen.<a id="FNAnker_97" href="#Fussnote_97" class="fnanchor">[97]</a></p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Schulze_Naumburg_und_Mueller_Meiningen">Schulze-Naumburg und
-Müller-Meiningen</h3>
-
-</div>
-
-<p>Eine andre Abgeschmacktheit, auf die nicht bloß Zeitungschreiber,
-sondern auch Leute, denen man in Sprachdingen etwas Geschmack zutrauen
-sollte, ganz versessen sind, ist die Unsitte, an einen Personennamen
-den Wohnort der Person mit Bindestrichen anzuhängen, anstatt ihn durch
-die Präposition <em class="gesperrt">in</em> oder <em class="gesperrt">aus</em> damit zu verbinden und so
-ein ordentliches Attribut zu schaffen. Den Anfang dazu haben Leute
-wie <em class="gesperrt">Schulze-Delitzsch</em>, <em class="gesperrt">Braun-Wiesbaden</em> u.&#160;a. gemacht;
-die wollten und sollten durch solches Anhängen des Ortsnamens von
-einem andern Schulze und einem andern Braun unterschieden werden.
-Das waren nun ihrerzeit gefeierte Parlamentsgrößen, und wer möchte
-das nicht auch gerne sein! Wenn sich daher im Sommer Gevatter
-Schneider und Handschuhmacher zu den üblichen Wanderversammlungen
-aufmachen und dort schöne Reden halten, so möchten sie natürlich
-auch die Parlamentarier spielen und dann im Zeitungsbericht mit
-so einem schönen zusammengesetzten Namen erscheinen, sie möchten
-nicht bloß <em class="gesperrt">Müller</em> und <em class="gesperrt">Meyer</em> heißen, sondern Herr
-<em class="gesperrt">Müller-Rumpeltskirchen</em> und Herr <em class="gesperrt">Meyer-Cunnewalde</em> – das
-klingt so aristokratisch, so ganz wie <em class="gesperrt">Bismarck-Schönhausen</em>, es
-könnte im freiherrlichen Taschenbuche stehen; man hats<span class="pagenum" id="Seite_200">[S. 200]</span> ja auch den
-geographischen Adel genannt. Der Unsinn geht so weit, daß man sogar
-schreibt: Direktor <em class="gesperrt">Wirth-Plötzensee bei Berlin</em>. Was ist denn bei
-Berlin? Direktor Wirth-Plötzensee?</p>
-
-<p>Die ganze dumme Mode ist wieder ein Pröbchen unsers schönen
-Papierdeutsch. Man höre nur einmal zu, wenn in einer solchen
-Wanderversammlung die sogenannte Präsenzliste verlesen wird: hört
-man da je etwas andres als Städtenamen? Man möchte gern wissen, wer
-anwesend ist, aber man kann es beim besten Willen nicht erfahren,
-denn der Vorlesende betont unwillkürlich – wie man solche traurige
-Koppelnamen nur betonen kann –: Herr Stieve-<em class="gesperrt">München</em>,
-Herr Prutz-<em class="gesperrt">Königsberg</em>, Herr Ulmann-<em class="gesperrt">Greifswald</em>. Der
-Personenname geht vollständig verloren. Wenn dann die Zeitungen
-über eine solche Versammlung berichten, so drucken sie zwar den
-Personennamen gesperrt oder fett: Herr <em class="gesperrt">Stieve</em>-München oder
-Herr <b>Stieve</b>-München. Das hilft aber gar nichts; gesprochen
-wird doch: Stieve-<em class="gesperrt">München</em> (<img class="h1em" src="images/rhythmus_1.png" alt="Sprachrhythmus">). Dieser fett gedruckte
-und doch unbetonte Personenname, dieser grobe Widerspruch zwischen
-Papiersprache und Ohrensprache, ist geradezu ein Hohn auf den gesunden
-Menschenverstand. Will man beide Namen betonen, so bleibt nichts
-weiter übrig, als eine Pause zu machen, etwa als ob geschrieben
-wäre: Herr <em class="gesperrt">Stieve</em> (<em class="gesperrt">München</em>). Dann hat man aber doch
-auch Zeit, die Präposition auszusprechen. In neuester Zeit hat
-man angefangen, auch Fluß-, Tal- und Bergnamen auf diese Weise
-an Ortsnamen anzuleimen; man schreibt: <em class="gesperrt">Halle-Saale</em> (statt
-<em class="gesperrt">Halle a. d. Saale</em>), <em class="gesperrt">Frankfurt-Main</em>, <em class="gesperrt">Sils-Engadin</em>,
-<em class="gesperrt">Frankenhausen-Kyffhäuser</em>. Und ein Buchhändler in dem
-Städtchen Borna bei Leipzig schreibt stolz auf seine Verlagswerke:
-<em class="gesperrt">Borna-Leipzig</em>, als ob Leipzig ein unbekannter Vorort von Borna
-wäre. Wo ist dabei der mindeste Witz?</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Die_Sammlung_Goeschen">Die Sammlung Göschen</h3>
-
-</div>
-
-<p>Während das Vorleimen von Eigennamen unter dem Einflusse des
-Englischen um sich gegriffen hat, beruhen andre Verirrungen
-unsrer Attributbildung auf Nachäfferei<span class="pagenum" id="Seite_201">[S. 201]</span> der romanischen Sprachen,
-namentlich des Französischen, vor allem der abscheuliche, immer
-ärger werdende Unfug, Personen- oder Ortsnamen unflektiert und ohne
-alle Verbindung hinter ein Hauptwort zu stellen, das eine Sache
-bezeichnet, als ob die Sache selbst diesen Personen- oder Ortsnamen
-führte, z.&#160;B. das <em class="gesperrt">Hotel Hauffe</em>, der <em class="gesperrt">Konkurs Schmidt</em>,
-die <em class="gesperrt">Stadtbibliothek Zürich</em> (statt: <em class="gesperrt">Hauffes Hotel</em>, der
-<em class="gesperrt">Schmidtsche Konkurs</em>, die <em class="gesperrt">Züricher Stadtbibliothek</em>). Die
-Anfänge dieses Mißbrauchs liegen freilich weit zurück, man braucht
-nur an Ausdrücke zu denken wie: <em class="gesperrt">Universität Leipzig</em>, <em class="gesperrt">Zirkus
-Renz</em>, <em class="gesperrt">Café Bauer</em>; aber seinen gewaltigen Umfang hat er doch
-erst in der neuesten Zeit angenommen. In wirklich deutsch gedachter
-Form bekommt man einen Eigennamen in Attributen kaum noch zu hören:
-alles plärrt, die Franzosen und Italiener nachäffend (<span class="antiqua">librairie
-Quantin</span>, <span class="antiqua">chocolat Suchard</span>, <span class="antiqua">rue Bonaparte</span>, <span class="antiqua">casa
-Bartholdi</span>, <span class="antiqua">Hera Farnese</span> und ähnl.), von dem <em class="gesperrt">Antrag
-Dunger</em>, dem <em class="gesperrt">Fall Löhnig</em>, der <em class="gesperrt">Affäre Lindau</em>, dem
-<em class="gesperrt">Ministerium Gladstone</em>, dem <em class="gesperrt">Kabinett Salisbury</em>, dem
-<em class="gesperrt">System Jäger</em>, der <em class="gesperrt">Galerie Schack</em>, dem <em class="gesperrt">Papyrus
-Ebers</em>, der <em class="gesperrt">Edition Peters</em>, der <em class="gesperrt">Kollektion Spemann</em>
-und der <em class="gesperrt">Sammlung Göschen</em>, von <em class="gesperrt">Schokolade Felsche</em> und
-<em class="gesperrt">Tee Riquet</em>,<a id="FNAnker_98" href="#Fussnote_98" class="fnanchor">[98]</a> von der <em class="gesperrt">Villa Meyer</em>, dem <em class="gesperrt">Wohnhaus
-Fritzen</em>, dem <em class="gesperrt">Grabdenkmal Kube</em>, dem <em class="gesperrt">Erbbegräbnis
-Wenzel</em>, dem <em class="gesperrt">Pensionat Neumann</em>, der <em class="gesperrt">Direktion
-Stägemann</em>, dem <em class="gesperrt">Patentbureau Sack</em>, dem <em class="gesperrt">Sprachinstitut
-Bach</em>, dem <em class="gesperrt">Konzert Friedheim</em>, der <em class="gesperrt">Soiree Buchmayer</em>,
-der <em class="gesperrt">Tanzstunde Marquart</em>, dem <em class="gesperrt">Experimentierabend Dähne</em>,
-dem <em class="gesperrt">Vortrag Mauerhof</em>, dem <em class="gesperrt">Quartett Udel</em>, der
-<em class="gesperrt">Bibliothek Simson</em>, der <em class="gesperrt">Versteigerung Krabbe</em> und dem
-<em class="gesperrt">Streit Geyger-Klinger<span class="pagenum" id="Seite_202">[S. 202]</span></em>, von dem <em class="gesperrt">Magistrat Osnabrück</em>, der
-<em class="gesperrt">Staatsanwaltschaft Halle</em>, der <em class="gesperrt">Fürstenschule Grimma</em>, dem
-Kaiserl. deutschen <em class="gesperrt">Postamt Frankfurt</em>, dem <em class="gesperrt">Schreberverein
-Gohlis</em>, der <em class="gesperrt">Mühle Zwenkau</em>, dem <em class="gesperrt">Bundesschießen Mainz</em>,
-dem <em class="gesperrt">Löwenbräu München</em> und dem <em class="gesperrt">Migränin Höchst</em>. Sogar der
-Dorfwirt will nicht zurückbleiben: er läßt den Firmenschreiber kommen,
-die alte Inschrift an seiner Schänke: <em class="gesperrt">Gasthof zu Lindenthal</em>
-zupinseln und dafür <em class="gesperrt">Gasthof Lindenthal</em> hinmalen, und der
-Dorfpastor kommt sich natürlich nun auch noch einmal so vornehm vor,
-wenn er sich auf seine Briefbogen <em class="gesperrt">Pfarrhaus Schmiedeberg</em> hat
-drucken lassen. Und was der Franzose nie tut, das bringt der Deutsche
-fertig: er setzt auch hier Vornamen und Titel zu diesen angeleimten
-Namen und schreibt: die <em class="gesperrt">Galerie Alfred Thieme</em>, die <em class="gesperrt">Kapelle
-Günther Coblenz</em>, der <em class="gesperrt">Rezitationsabend Ernst von Possart</em>, die
-<em class="gesperrt">Villa <span class="antiqua">Dr.</span> Brüning</em>, das <em class="gesperrt">Signet Galerie Ernst Arnold
-Dresden</em> (das soll heißen: Signet der Galerie von Ernst Arnold in
-Dresden!). Manchmal weiß man nicht einmal, ob der angefügte Name ein
-Orts- oder ein Personenname sein soll. In Leipzig preist man <em class="gesperrt">Gose
-Nickau</em> an. Ja, was ist Nickau? Ist es der Ort, wo dieser edle
-Trank gebraut wird, oder heißt der Brauer so? Der großherzogliche
-<em class="gesperrt">Bahnbauinspektor Waldshut</em> – heißt der Mann Waldshut, oder baut
-er in Waldshut eine Eisenbahn?</p>
-
-<p>Da kämpfen wir nun für Beseitigung der unnützen Fremdwörter in unsrer
-Sprache; aber sind denn nicht solche fremde Wortverbindungen viel
-schlimmer als alle Fremdwörter? Das Fremdwort entstellt doch die
-Sprache nur äußerlich; wirft man es aus dem Satze hinaus und setzt das
-deutsche Wort dafür ein, so kann der Satz im übrigen meist unverändert
-bleiben. Aber die Nachahmung von syntaktischen Erscheinungen aus
-fremden Sprachen, noch dazu von Erscheinungen, die die Sprache in so
-heruntergekommenem Zustande zeigen, wie dieses gemeine Aneinanderleimen
-– leimen ist noch zuviel gesagt, Aneinanderschieben – von Wörtern
-fälscht doch das Wesen unsrer Sprache und zerstört ihren Organismus.<span class="pagenum" id="Seite_203">[S. 203]</span>
-Es ist eine Schande, wie wir uns hier an ihr versündigen! Wie stolz mag
-der Inhaber der <em class="gesperrt">Auskunftei Schimmelpfeng</em> gewesen sein, als er
-das herrliche deutsche Wort <em class="gesperrt">Auskunftei</em> erfunden hatte!<a id="FNAnker_99" href="#Fussnote_99" class="fnanchor">[99]</a> Aber
-für die ganz undeutsche Wortzusammenschiebung hat er kein Gefühl gehabt.</p>
-
-<p>Auch hier handelt sichs um nichts als um eine dumme Mode, die jetzt,
-namentlich in den Kreisen der Geschäftsleute und Techniker, für fein
-gilt. Wenn es in einer Stadt fünf Kakaofabrikanten gibt, und einer von
-den fünfen schreibt plötzlich in seinen Geschäftsanzeigen: <em class="gesperrt">Kakao
-Müller</em> (statt <em class="gesperrt">Müllerscher</em> Kakao) und hat nun damit etwas
-besondres, so läßt es den vier andern keine Ruhe, bis sie dieselbe
-Höhe der Vornehmheit erklommen haben (<em class="gesperrt">Kakao Schulze</em>, <em class="gesperrt">Kakao
-Meier</em> usw.). Der fünfte lacht vielleicht die andern vier eine Zeit
-lang aus und wartet am längsten; aber schließlich humpelt er doch auch
-hinterdrein, während sich der, der mit der Dummheit angefangen hat,
-schon wieder eine neue ausdenkt.</p>
-
-<p>Zu einer ganz besondern Abgeschmacktheit hat die neu erwachte
-Liebhaberei geführt, in Büchern ein Bücherzeichen mit dem Namen des
-Eigentümers einzukleben. Ein solches Bücherzeichen nennt man ein
-Exlibris, und wer sich eins anfertigen läßt, der läßt auch stets
-dieses Wort darauf anbringen. Da gibt es aber doch nun bloß zwei
-Möglichkeiten. Entweder man versteht das Wort lateinisch und in seiner
-eigentlichen Bedeutung (eins von den Büchern); dann kann man auch
-nur seinen Namen lateinisch dahinter setzen: <em class="gesperrt"><span class="antiqua">Ex libris Caroli
-Schelleri</span></em>. So geschah es im achtzehnten Jahrhundert. Oder man
-versteht <span class="antiqua">Ex-Libris</span> „deutsch“ als „Bücherzeichen“; dann kann man
-natürlich nur schreiben: <em class="gesperrt">Exlibris Karl Schellers</em>. Das tut aber
-von Tausenden nicht einer! Alle setzen hinter Exlibris ihren Namen
-im Nominativ: <em class="gesperrt">Exlibris Eugen Reichardt</em>, <em class="gesperrt">Exlibris Adolf von
-Groß</em>, <em class="gesperrt">Exlibris<span class="pagenum" id="Seite_204">[S. 204]</span> Carl und Emma Eckhard</em>. Das vernünftigste
-wäre ja, weiter nichts als seinen Namen hinzusetzen oder zu schreiben:
-<em class="gesperrt">Eigentum Oskar Leuschners</em> oder <em class="gesperrt">Aus der Bibliothek</em> (oder
-Bücherei) <em class="gesperrt">Paul Werners</em>. Aber ohne die Worte oder das Wort
-Exlibris würde der ganze Sport den Leuten gar keinen Spaß machen. Man
-tauscht Exlibris, man tritt in den Exlibrisverein, man hält sich die
-Exlibriszeitschrift, und man druckt auf sein Bücherzeichen eine –
-Sprachdummheit.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Die_Familie_Nachfolger">Die Familie Nachfolger</h3>
-
-</div>
-
-<p>Ebenso einfältig ist noch ein andrer Unfug, der auch auf bloße
-Nachäfferei des Französischen und des Englischen zurückzuführen ist.
-Der französische Geschäftsstil setzt <span class="antiqua">père</span>, <span class="antiqua">fils</span> und
-<span class="antiqua">frères</span>, der englische <span class="antiqua">brothers</span> als Apposition hinter
-den Personennamen: <span class="antiqua">Dumas fils</span>, <span class="antiqua">Shakelford brothers</span>. Im
-Deutschen ist das ganz unmöglich, wir können nur von dem Wörterbuch
-der <em class="gesperrt">Gebrüder Grimm</em> reden, nicht der <em class="gesperrt">Grimm Gebrüder</em>.
-Aber unsre Kaufleute müssen natürlich wieder das Fremde nachäffen;
-sie nennen sich <em class="gesperrt">Schmidt Gebrüder</em>, <em class="gesperrt">Blembel Gebrüder</em>,
-<em class="gesperrt">Ury Gebrüder</em>. Sie gehen aber noch weiter. Während der
-Franzose sagt: <span class="antiqua">Veuve Cliquot</span>, schreibt der Deutsche: <em class="gesperrt">M.
-D. Schwennicke Witwe</em>, ja selbst wo es sich gar nicht um ein
-Verwandtschaftsverhältnis handelt, leimt er ein Appellativ und
-einen Personennamen in dieser Weise zusammen, statt ein Attribut
-zu bilden; in unsrer Geschäftswelt wimmelt es schon von Firmen,
-die alle so aussehen, als ob ihre Inhaber den Familiennamen
-<em class="gesperrt">Nachfolger</em> und dabei die seltsamsten Vornamen hätten, wie:
-<em class="gesperrt">C. F. Kahnt Nachfolger</em>, <em class="gesperrt">Johann Jakob Huth Nachfolger</em>,
-ja sogar <em class="gesperrt">Gebrüder Hinzelmann Nachfolger</em> und <em class="gesperrt">Luise Werner
-Nachfolger</em>. In großen Städten findet man kaum noch eine Straße, wo
-nicht Mitglieder dieser weitverzweigten Familie säßen. Auch daraus ist
-eine richtige dumme Mode geworden. Während früher ein Geschäft, wenn
-es den Inhaber wechselte, die alte Firma meist unverändert beibehielt,
-um sich deren Ruf zu erhalten – in Leipzig gibt es Firmen, die noch
-heute so heißen wie vor<span class="pagenum" id="Seite_205">[S. 205]</span> hundert und mehr als hundert Jahren, und sie
-befinden sich nicht schlecht dabei! –, ist jetzt oft ein Geschäft kaum
-zwei, drei Jahre alt, und schon prangt der „Nachfolger“ auf der Firma.
-Manchen will ja die Dummheit, den Personennamen dabei im Nominativ
-stehen zu lassen, nicht recht in den Kopf; man sieht das an der
-verschiedenen Art und Weise, wie sie sich quälen, sie hinzuschreiben.
-Die meisten schreiben freilich dreist: <em class="gesperrt">Ferdinand Schmidt
-Nachfolger</em>. Andre schreiben aber doch mit Komma: <em class="gesperrt">Ferdinand
-Schmidt, Nachfolger</em>, was zwischen einem Schneider und einem
-Fleischer so aussieht, als ob die Beschäftigung dieses Biedermanns im
-Nachfolgen bestünde, andre ganz klein, als ob sie sich ein bißchen
-schämten: <em class="gesperrt">Ferdinand Schmidt <span class="smaller">Nachfolger</span></em>. Nur auf das
-einzig vernünftige: <em class="gesperrt">Ferdinand Schmidts Nachfolger</em> verfällt
-keiner.</p>
-
-<p>Namentlich auch im deutschen Buchhandel hat das fruchtbare Geschlecht
-der Nachfolger schon eine Menge von Vertretern. Einer der wenigen,
-die den Mut gehabt haben, der abgeschmackten Mode zum Trotz dem
-gesunden Menschenverstande die Ehre zu geben, ist der Verleger der
-Gartenlaube: <em class="gesperrt">Ernst Keils Nachfolger</em>. Dagegen überbietet alles
-an Sprachzerrüttung die <em class="gesperrt">Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger</em>; das
-soll heißen: der Nachfolger der Cottaischen Buchhandlung! In solchem
-Deutsch prangt jetzt die Buchhandlung, in der einst Schillers und
-Goethes Werke erschienen sind!</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Ersatz_Deutschland">Ersatz Deutschland</h3>
-
-</div>
-
-<p>Eine ähnliche Sprachzerrüttung wie in den zuletzt angeführten
-Beispielen findet sich nur noch in den Namen neuer Schiffe, von
-denen man jetzt öfter in den Zeitungen liest: <em class="gesperrt">Ersatz Preußen</em>,
-<em class="gesperrt">Ersatz Leipzig</em>, <em class="gesperrt">Ersatz Deutschland</em>. Was in aller Welt
-soll das heißen? Man kann es wohl ungefähr ahnen, aber ausgesprochen
-ist es nicht. Soll <em class="gesperrt">Ersatz Preußen</em> aufzufassen sein wie
-<em class="gesperrt">Ersatztruppen</em>, <em class="gesperrt">Ersatzknopf</em>, <em class="gesperrt">Ersatzgarnitur</em>, so
-müßte es natürlich als zusammengesetztes Wort geschrieben werden:
-<em class="gesperrt">Ersatz-Preußen</em>. Soll es aber, was das wahrscheinlichere ist,
-heißen: <em class="gesperrt">Ersatz der (!)<span class="pagenum" id="Seite_206">[S. 206]</span> Preußen</em><a id="FNAnker_100" href="#Fussnote_100" class="fnanchor">[100]</a> oder <em class="gesperrt">Ersatz für
-die Preußen</em>, so läge in dem Weglassen des Artikels oder der
-Präposition eine beispiellose Stammelei. Man könnte dann ebensogut
-sagen: <em class="gesperrt">Stellvertreter Direktor</em> und sich einbilden, das
-hieße: <em class="gesperrt">Stellvertretender Direktor</em> oder <em class="gesperrt">Stellvertreter des
-Direktors</em>. Das mag Chinesisch sein oder Negersprache, Deutsch ist
-es nicht. Wahrscheinlich ist es aber – Englisch. Englisch ist ja jetzt
-Trumpf, zumal wenn es die Marine betrifft.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Der_grobe_Unfugparagraph">Der grobe Unfugparagraph</h3>
-
-</div>
-
-<p>Viel ist schon gespottet worden über Attributbildungen wie: der
-<em class="gesperrt">musikalische Instrumentenmacher</em>, der <em class="gesperrt">vierstöckige
-Hausbesitzer</em>, der <em class="gesperrt">doppelte Buchhalter</em>, der <em class="gesperrt">wilde
-Schweinskopf</em>, die <em class="gesperrt">reitende Artilleriekaserne</em>, die
-<em class="gesperrt">geprüfte Lehrerinnenanstalt</em>, die <em class="gesperrt">durchlöcherte
-Stuhlsitzfabrik</em>, die <em class="gesperrt">chinesische Feuerzeugfabrik</em>,
-der <em class="gesperrt">geräucherte Fischladen</em>, die <em class="gesperrt">verheiratete
-Inspektorwohnung</em>, die <em class="gesperrt">gelben Fieberanfälle</em>, das
-<em class="gesperrt">einjährig-freiwillige Berechtigungswesen</em> und ähnliche, wo
-ein Attribut zu einem zusammengesetzten Worte gestellt ist, während
-es sich nur auf das Bestimmungswort der Zusammensetzung, in dem
-letzten Falle sogar auf einen dritten, hinzuzudenkenden Begriff
-(<em class="gesperrt">Dienst</em>) bezieht. Dennoch wagen sich immer wieder Verbindungen
-dieser Art hervor wie: das <em class="gesperrt">alte Thomanerstipendium</em> (das soll
-eine Stiftung der alten, d.&#160;h. ehemaligen Thomaner sein!), der <em class="gesperrt">grobe
-Unfugparagraph</em>, die <em class="gesperrt">transportabeln Beleuchtungszwecke</em>, der
-<em class="gesperrt">Vereinigte Staatenstaatssekretär</em>, die <em class="gesperrt">Weiße Damenpartitur</em>
-usw.</p>
-
-<p>Solche Verbindungen werden nur dann erträglich, wenn es möglich
-ist, sie durch doppelte Zusammensetzung zu dreigliederigen Wörtern
-zu gestalten; wie: <em class="gesperrt">Armesünderglocke</em>, <em class="gesperrt">Liebfrauenmilch</em>,
-<em class="gesperrt">Altweibersommer</em>, <em class="gesperrt">Sauregurkenzeit</em> u.&#160;dgl.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_207">[S. 207]</span></p>
-
-<p>Nicht besser, eher noch schlimmer sind solche Fälle, wo das
-Attribut, statt durch ein Eigenschaftswort, durch einen Genitiv
-oder eine Präposition mit einem Hauptworte gebildet wird wie: der
-<em class="gesperrt">Doktor</em>titel der <em class="gesperrt">Philosophie</em>, der <em class="gesperrt">Enthüllungs</em>tag
-<em class="gesperrt">des Geibeldenkmals</em>, das <em class="gesperrt">Heil</em>verfahren der
-<em class="gesperrt">Diphtheritis</em>, das <em class="gesperrt">Schmerz</em>stillen der <em class="gesperrt">Zähne</em>,
-die <em class="gesperrt">Anzeige</em>pflicht der <em class="gesperrt">ansteckenden Krankheiten</em>,
-der <em class="gesperrt">Verhaftungs</em>versuch <em class="gesperrt">des Arbeiters</em>,
-eine <em class="gesperrt">Fälscher</em>bande <em class="gesperrt">amtlicher Papiere</em>, das
-<em class="gesperrt">Übersetzungs</em>recht <em class="gesperrt">in fremde Sprachen</em>, der
-<em class="gesperrt">Verpackungs</em>tag <em class="gesperrt">nach Österreich</em>, ein <em class="gesperrt">Reise</em>handbuch
-<em class="gesperrt">nach Griechenland</em>, die <em class="gesperrt">Abfahrts</em>zeit <em class="gesperrt">nach
-Kassel</em>, eine <em class="gesperrt">Stern</em>gruppe <em class="gesperrt">dritter Größe</em>, eine
-<em class="gesperrt">Zucker</em>fabrik <em class="gesperrt">aus Rüben</em>, <em class="gesperrt">Erinnerungs</em>stätte an
-<em class="gesperrt">Käthchen Schönkopf</em>, 100 Stück <em class="gesperrt">Kinder</em>hemden <em class="gesperrt">von 2 bis
-14 Jahren</em>, und ähnliches.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Die_teilweise_Erneuerung">Die teilweise Erneuerung</h3>
-
-</div>
-
-<p>Mit wachsender Schnelligkeit hat sich endlich noch ein Fehler
-in der Attributbildung verbreitet, der für einen Menschen von
-feinerem Sprachgefühl etwas höchst beleidigendes hat, gegen den
-aber die große Masse schon ganz abgestumpft ist: der Fehler, die
-mit <em class="gesperrt">weise</em> zusammengesetzten Adverbia wie Adjektiva zu
-behandeln. Man schreibt jetzt frischweg, als ob es so ganz in der
-Ordnung wäre: die <em class="gesperrt">teilweise Erneuerung</em>, die <em class="gesperrt">stufenweise
-Vermehrung</em>, die <em class="gesperrt">ausnahmsweise Erlaubnis</em>, die
-<em class="gesperrt">bruchstückweise Veröffentlichung</em>, die <em class="gesperrt">heftweise Ausgabe</em>,
-die <em class="gesperrt">stückweise Bezahlung</em>, die <em class="gesperrt">auszugsweise Abschrift</em>,
-die <em class="gesperrt">vergleichsweise Erledigung</em>, die <em class="gesperrt">leihweise</em> oder
-<em class="gesperrt">schenkungsweise Überlassung</em>, der <em class="gesperrt">glasweise Ausschank</em>, die
-<em class="gesperrt">probeweise Anstellung</em>, die <em class="gesperrt">reihenweise Aufstellung</em>, die
-<em class="gesperrt">versuchsweise Aufhebung</em>, die <em class="gesperrt">abwechslungsweise Verteilung</em>
-usw. Wenn in Leipzig jemand seine Steuern nicht pünktlich bezahlt,
-so hat er die <em class="gesperrt">zwangsweise Beitreibung</em> (!) zu gewärtigen;
-ja nach einer Dorfversammlung läßt man sogar die Leute in ihre
-<em class="gesperrt">beziehungsweisen (!) Behausungen</em> zurückkehren.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_208">[S. 208]</span></p>
-
-<p>Es wird einem ganz griechisch zumute, wenn man so etwas liest. Die
-griechische Sprache ist imstande, das zwischen Artikel und Hauptwort
-tretende Attribut auch durch ein Adverb oder einen adverbiellen
-Ausdruck zu bilden.<a id="FNAnker_101" href="#Fussnote_101" class="fnanchor">[101]</a> Im Griechischen kann man sagen: das <em class="gesperrt">jetzt
-Geschlecht</em> (τὸ νῦν γένος) für: das jetzige Geschlecht,
-der <em class="gesperrt">heute Tag</em> für: der heutige Tag, der <em class="gesperrt">jedesmal König</em>
-für: der jedesmalige König, die <em class="gesperrt">dazwischen Zeit</em> für: die
-dazwischenliegende Zeit, der <em class="gesperrt">zurück Weg</em> für: der zurückführende
-Weg, die <em class="gesperrt">allzusehr Freiheit</em> für: die allzu große Freiheit.
-Mit unsern Adverbien auf <em class="gesperrt">weise</em> lassen sich im Griechischen
-namentlich gewisse mit der Präposition κατά und dem Akkusativ
-gebildete Ausdrücke vergleichen wie: κατὰ μικρόν (stückweise),
-κατ’ ἐνιαυτόν (jahrweise, alljährlich), καθ’ ἡμέραν
-(tageweise), (einer auf einmal), ἡ καθ’ ἡμέραν
-τροφή (die tageweise Nahrung). Im Deutschen sind derartige
-Verbindungen ganz unmöglich.<a id="FNAnker_102" href="#Fussnote_102" class="fnanchor">[102]</a> Dem, der sie gebraucht, fällt es
-auch gar nicht ein, in einer Verbindung wie: die <em class="gesperrt">schrittweise
-Vervollkommnung</em> das <em class="gesperrt">schrittweise</em> als Adverb aufzufassen,
-er meint, er schreibe wirklich ein Adjektivum hin, er dekliniert
-ja auch: die <em class="gesperrt">pfennigweisen Ersparnisse</em>, ein <em class="gesperrt">teilweiser
-Erlaß</em>. Das ist aber eben die Verwirrung. Die mit <em class="gesperrt">weise</em>
-zusammengesetzten Wörter sind Adverbia, die aus Genitiven entstanden
-sind. Man sagte zunächst: <em class="gesperrt">glücklicher Weise</em>, <em class="gesperrt">törichter
-Weise</em>, <em class="gesperrt">verkehrter Weise</em>, wie man auch sagte: <em class="gesperrt">gewisser
-Maßen</em> (<em class="gesperrt">die</em> Maße hieß es ursprünglich). Dann dachte man
-nicht mehr an den Genitiv, sondern wagte auch andre Zusammensetzungen
-(<em class="gesperrt">versuchsweise</em> ist eigentlich: <em class="gesperrt">nach</em> oder <em class="gesperrt">auf
-Versuchs Weise</em>), und endlich bildete man sich ein, vielleicht
-verführt durch den Gleichklang mit <em class="gesperrt">weise</em> (<span class="antiqua">sapiens</span>),
-diese Zusammensetzungen wären<span class="pagenum" id="Seite_209">[S. 209]</span> Adjektiva. Das sind sie aber nicht;
-man kann wohl etwas <em class="gesperrt">teilweise erneuern</em>, <em class="gesperrt">ausnahmsweise
-erlauben</em>, <em class="gesperrt">zwangsweise versteigern</em>, <em class="gesperrt">bruchstückweise
-veröffentlichen</em>, man kann sich <em class="gesperrt">schrittweise vervollkommnen</em>,
-aber die <em class="gesperrt">schrittweise Vervollkommnung</em> ist eine Verirrung des
-Sprachgefühls, die nicht um ein Haar besser ist als das <em class="gesperrt">entzweie
-Glas</em>, der <em class="gesperrt">extrae Teller</em>, der <em class="gesperrt">sehre Hunger</em> und die
-bisweilen im Scherz gebildeten Ausdrücke, in denen man Präpositionen
-wie Adjektiva behandelt: ein <em class="gesperrt">durcher Käse</em>, eine <em class="gesperrt">zue
-Droschke</em>, ein <em class="gesperrt">auses Heft</em> (statt: ein ausgeschriebnes).<a id="FNAnker_103" href="#Fussnote_103" class="fnanchor">[103]</a></p>
-
-<p>Mancher wird einwenden: daß ein Adverbium zum Adjektivum wird, ist
-doch kein Unglück, es ist auch sonst geschehen. Mit <em class="gesperrt">zufrieden</em>,
-<em class="gesperrt">vorhanden</em>, <em class="gesperrt">ungefähr</em> ist es ebenso gegangen. Erst
-sagte man: ich kann mir das <em class="gesperrt">ungefähr vorstellen</em>, dann wagte
-man auch: ich habe davon eine <em class="gesperrt">ungefähre Vorstellung</em>. Andre
-werden einwenden: dieser Mißbrauch (wenn es einer ist) gewährt
-doch unleugbar eine Bequemlichkeit, wo soll man einen Ersatz dafür
-hernehmen? Früher sagte man: <em class="gesperrt">partiell</em> (die <em class="gesperrt">partielle
-Renovation</em>), <em class="gesperrt">fragmentarisch</em> (die <em class="gesperrt">fragmentarische
-Publikation</em>), <em class="gesperrt">exzeptionell</em>, <em class="gesperrt">obligatorisch</em>,
-<em class="gesperrt">relativ</em>, <em class="gesperrt">provisorisch</em>. Nun meiden wir die Fremdwörter
-und sagen: die <em class="gesperrt">teilweise Erneuerung</em>, die <em class="gesperrt">bruchstückweise
-Veröffentlichung</em>, und nun ist es wieder nicht recht.</p>
-
-<p>Das sind hinfällige Einwände. Wer sich der adverbiellen Natur dieser
-Zusammensetzungen bewußt geblieben ist – und solche Menschen
-wird es doch wohl noch geben dürfen? –, oder wer sie sich wieder
-zum Bewußtsein gebracht hat, was gar nicht schwer ist, der bringt
-Ausdrücke wie <em class="gesperrt">teilweise Erneuerung</em> weder über die Lippen noch
-aus der Feder.<a id="FNAnker_104" href="#Fussnote_104" class="fnanchor">[104]</a> Einzelne dieser Verbindungen sind ja nichts als
-Sprachschwulst oder Ungeschick: für <em class="gesperrt">schenkungsweise Überlassung</em>
-eines<span class="pagenum" id="Seite_210">[S. 210]</span> Bauplatzes genügt doch wahrhaftig <em class="gesperrt">Schenkung</em> und
-statt: die <em class="gesperrt">teilweise Veröffentlichung</em> der Briefe kann man
-doch sagen: die Veröffentlichung <em class="gesperrt">eines Teils</em> oder <em class="gesperrt">von
-Teilen</em> der Briefe. Alle aber lassen sich vermeiden, wenn man
-sich nur von der Manier freihält oder wieder freimacht, in der unsre
-ganze Schriftsprache jetzt befangen ist, der greulichen Manier, zum
-Hauptsinnwort eines Satzes immer ein Substantiv zu machen, statt ein
-Zeitwort. Wenn wir wieder Verba schreiben lernten, vor allen Dingen
-einen Satz wieder mit dem Verbum anfangen lernten, was sich heute kaum
-noch jemand getraut, dann würde so mancher andre Unrat auch wieder
-verschwinden. Statt zu schreiben: es wurde eine Resolution angenommen,
-die die <em class="gesperrt">zeitweise Aufhebung</em> der Kornzölle verlangte – schreibe
-man doch: die verlangte, die Kornzölle <em class="gesperrt">zeitweise aufzuheben</em>,
-statt: ihre <em class="gesperrt">teilweise Begründung</em> mag diese Gleichgiltigkeit
-darin finden – schreibe man doch: <em class="gesperrt">begründet</em> mag diese
-Gleichgiltigkeit <em class="gesperrt">zum Teil</em> darin sein – und alles ist in bester
-Ordnung.</p>
-
-<p>Eine nagelneue besondre Abart dieses Fehlers ist das von den
-Kleiderfabrikanten aufgebrachte <em class="gesperrt">fußfreie Kleid</em>, dem sich
-natürlich schleunigst der <em class="gesperrt">armfreie Lodenmantel</em>, die
-<em class="gesperrt">armfreie</em> Betätigung aller Kräfte und die <em class="gesperrt">kniefreien
-Wunderkinder</em> angeschlossen haben. Man kann <em class="gesperrt">sich</em> wohl
-<em class="gesperrt">fußfrei kleiden</em>, d.&#160;h. so, daß die Füße frei bleiben, man kann
-sich auch <em class="gesperrt">rückenfrei setzen</em>, aber dann kann weder der Mensch
-noch das Kleid fußfrei, weder der Mensch noch der Stuhl rückenfrei
-genannt werden.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Der_tiefer_Denkende">Der tiefer Denkende, der Tieferdenkende oder der
-tiefer denkende?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Ein Gegenstück zu der <em class="gesperrt">schrittweisen Vervollkommnung</em>, das
-freilich durch eine andre Sprachdummheit entsteht, bilden Verbindungen
-wie: das <em class="gesperrt">einzig Richtige</em>, der <em class="gesperrt">tiefer Denkende</em>, der
-<em class="gesperrt">mittellos Verstorbne</em>, der <em class="gesperrt">mit ihm Redende</em> u.&#160;ähnl. Da
-liegt der Fehler nicht im Ausdruck, sondern – in der Schreibung,
-nämlich in den törichten großen Anfangsbuchstaben,<span class="pagenum" id="Seite_211">[S. 211]</span> mit denen man ganz
-allgemein die Adjektiva und Partizipia solcher Verbindungen schreibt
-und druckt.</p>
-
-<p>Gewöhnlich wird gelehrt, daß Adjektiva und Partizipia, wenn sie kein
-Hauptwort bei sich haben, selber zu Hauptwörtern würden und dann mit
-großen Anfangsbuchstaben zu schreiben seien, also: die <em class="gesperrt">Grünen</em>
-und die <em class="gesperrt">Blauen</em>, alle <em class="gesperrt">Gebildeten</em>. Das läßt sich hören.
-Nun geht man aber weiter. Man schreibt solche Adjektiva und Partizipia
-auch dann groß, wenn zu dem Adjektiv ein Adverb oder ein Objekt, zu dem
-Partizip ein Adverb, ein Prädikat, ein Objekt oder eine adverbielle
-Bestimmung tritt, z.&#160;B.: so <em class="gesperrt">Schönes</em>, längst <em class="gesperrt">Bekanntes</em>,
-etwas ungemein <em class="gesperrt">Elastisches</em>, der minder <em class="gesperrt">Arme</em>, alles
-<em class="gesperrt">bloß Technische</em>, das eigentlich <em class="gesperrt">Theatralische</em>, der
-wirtschaftlich <em class="gesperrt">Abhängige</em>, das dem Vaterland <em class="gesperrt">Ersprießliche</em>
-– ein unglücklich <em class="gesperrt">Liebender</em>, kein billig <em class="gesperrt">Denkender</em>,
-der wagehalsig <em class="gesperrt">Spekulierende</em>, das wahrhaft <em class="gesperrt">Seiende</em>,
-der früh <em class="gesperrt">Dahingeschiedne</em>, die mäßig <em class="gesperrt">Begüterten</em>, die
-bloß <em class="gesperrt">Verschwägerten</em>, der ergebenst <em class="gesperrt">Unterzeichnete</em>,
-der sehnlichst <em class="gesperrt">Erwartete</em>, der wahrhaft <em class="gesperrt">Gebildete</em>, das
-glücklich <em class="gesperrt">Erreichte</em>, das früher <em class="gesperrt">Versäumte</em>, der hier
-<em class="gesperrt">Begrabne</em>, das anderwärts besser <em class="gesperrt">Dargestellte</em> – der
-beschaulich <em class="gesperrt">Angelegte</em>, der gefesselt <em class="gesperrt">Daliegende</em>, der
-unschuldig <em class="gesperrt">Hingerichtete</em>, das als richtig <em class="gesperrt">Erkannte</em> – die
-dem Gemetzel <em class="gesperrt">Entgangnen</em>, die Medizin <em class="gesperrt">Studierenden</em> – die
-zu ihm <em class="gesperrt">Geflüchteten</em>, die vom Leben <em class="gesperrt">Abgeschiednen</em>, die bei
-der Schaffung des Denkmals <em class="gesperrt">Beteiligten</em>, die an der Aufführung
-<em class="gesperrt">Mitwirkenden</em>, die auf die Eröffnung der Kasse <em class="gesperrt">Wartenden</em>
-– auch: die von ihm <em class="gesperrt">zu Befördernden</em>, das auf Grund des schon
-<em class="gesperrt">Vorhandnen</em> noch <em class="gesperrt">zu Erreichende</em> usw.</p>
-
-<p>Ist das richtig? Können in solchen Verbindungen die Adjektiva und
-Partizipia wirklich als Substantiva angesehen werden? Ein wenig
-Nachdenken genügt doch, zu zeigen, daß das unmöglich ist. Wenn ich
-sage: der <em class="gesperrt">frühere Geliebte</em>, so ist das Partizip wirklich zum
-Substantivum geworden; sage ich aber: der <em class="gesperrt">früher geliebte</em>, so
-kann doch von einer Substantivierung keine Rede sein. Welchen Sinn
-hat es aber, Wörter äußerlich,<span class="pagenum" id="Seite_212">[S. 212]</span> für das Auge, zu Hauptwörtern zu
-stempeln, die gar nicht als Hauptwörter gefühlt werden können? Diese
-Fälle sollten im Unterricht dazu benutzt werden, den Unterschied
-zwischen einem zum Substantiv gewordnen und einem Partizip gebliebnen
-Partizipium klarzumachen! Wäre es richtig, zu schreiben: alles
-bisher <em class="gesperrt">Erforschte</em>, alle vernünftig <em class="gesperrt">Denkenden</em>, die im
-Elsaß <em class="gesperrt">Reisenden</em>, die zwei Jahre lang <em class="gesperrt">Verbündeten</em>,
-die zur Feier von Kaisers Geburtstag <em class="gesperrt">Versammelten</em>, die
-durch die Überschwemmung <em class="gesperrt">Beschädigten</em>, die auf preußischen
-Universitäten <em class="gesperrt">Studierenden</em>, der wegen einer geringfügigen
-Übertretung <em class="gesperrt">Angeklagte</em>, wäre es möglich, alle diese Partizipia
-als Substantiva zu fühlen – und nur darauf kommt es an! –, dann
-müßte man auch sagen können: alle bisher <em class="gesperrt">Forschung</em>, alle
-vernünftig <em class="gesperrt">Denker</em>, die im Elsaß Reise, die zwei Jahre
-lang <em class="gesperrt">Verbindung</em>, die zur Feier von Kaisers Geburtstag
-<em class="gesperrt">Versammlung</em>, der durch die Überschwemmung <em class="gesperrt">Schade</em>, die
-auf preußischen Universitäten <em class="gesperrt">Studenten</em>, die wegen einer
-geringfügigen Übertretung <em class="gesperrt">Anklage</em>. Wollte man hier wirklich
-eine Substantivierung annehmen und äußerlich vornehmen, so könnte das
-nur so geschehen, daß man die ganze Bekleidung mitsubstantivierte
-und schriebe: die <em class="gesperrt">Wirklichoderangeblichminderbegabten</em>, jeder
-<em class="gesperrt">Tieferindiegoethestudieneingedrungne</em>. So verfährt man ja
-wirklich bei kurzen Zusätzen wie: die <em class="gesperrt">Leichtverwundeten</em>,
-der <em class="gesperrt">Frühverstorbne</em>, die <em class="gesperrt">Fernerstehenden</em>, die
-<em class="gesperrt">Wenigerbegabten</em>.</p>
-
-<p>Nun könnte man sagen: gut, wir wollen da, wo Adjektiva und Partizipia
-allein stehen, sie mit großen Anfangsbuchstaben schreiben; treten
-sie mit irgendwelchen Zusätzen auf, so mögen sie mit dem kleinen
-Buchstaben zufrieden sein. Was soll aber dann geschehen, wenn beide
-Fälle miteinander verbunden sind, was sehr oft geschieht, z.&#160;B.:
-das <em class="gesperrt">unbedeutende</em>, in der Eile <em class="gesperrt">hingeworfne</em> – etwas
-<em class="gesperrt">selbstverständliches</em>, mit Händen <em class="gesperrt">greifbares</em> – etwas
-<em class="gesperrt">großes</em>, der ganzen Menschheit <em class="gesperrt">ersprießliches</em> – eine nach
-dem <em class="gesperrt">pikanten</em>, noch nicht <em class="gesperrt">dagewesenen</em> haschende Phantasie
-– mit Verzicht auf<span class="pagenum" id="Seite_213">[S. 213]</span> das <em class="gesperrt">verlorne</em> und zu unsrer Sicherheit
-unbedingt <em class="gesperrt">notwendige</em>? Soll man da abwechseln? das eine klein,
-das andre groß schreiben?</p>
-
-<p>Das vernünftigste wäre ohne Zweifel, man beschränkte die großen
-Anfangsbuchstaben überhaupt auf die wirklichen Substantiva und schriebe
-alles übrige klein. Aber zu schreiben: das durch redlichen Fleiß
-<em class="gesperrt">Gewonnene</em>, und sich und andern einzureden: <em class="gesperrt">Gewonnene</em>
-sei hier ein Substantiv, ist doch geradezu ein Verbrechen an der
-Logik. Aber auch das <em class="gesperrt">schrittweise Gewonnene</em> ist Unsinn. Denn
-wäre <em class="gesperrt">Gewonnene</em> ein Hauptwort, dann könnte <em class="gesperrt">schrittweise</em>
-nur ein Eigenschaftswort sein, und das ist es nicht, ist aber
-<em class="gesperrt">schrittweise</em> ein Adverbium, dann kann <em class="gesperrt">Gewonnene</em> nur eine
-Verbalform sein, und das ist es ebenfalls nicht, sowie man es mit G
-schreibt.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Die_Apposition">Die Apposition</h3>
-
-</div>
-
-<p>Eine Regel, die schon der Quintaner lernt, lautet: eine Apposition
-muß stets in demselben Kasus stehen wie das Hauptwort, zu dem sie
-gehört. Das ist so selbstverständlich, daß es ein Kind begreifen kann.
-Nun sehe man sich aber einmal um, wie geschrieben wird! Da heißt es:
-das Gastspiel <em class="gesperrt">des</em> Herrn R., <em class="gesperrt">erster Tenor</em> an der Skala
-in Mailand – der Verfasser <em class="gesperrt">der</em> Sylvia, <em class="gesperrt">ein Buch</em>, das
-wir leider nicht kennen – es gilt das namentlich von <em class="gesperrt">dem</em>
-mitteldeutschen Hofbau, <em class="gesperrt">die verbreitetste</em> aller deutschen
-Bauarten – der First ist <em class="gesperrt">mit</em> freistehenden <em class="gesperrt">Figuren</em>,
-Petrus und <em class="gesperrt">die vier Evangelisten</em>, geschmückt – offenbar
-hat Trippel von <em class="gesperrt">jener Skulptur</em>, <em class="gesperrt">eine</em> dem Apoll von
-Belvedere nicht <em class="gesperrt">allzufernstehende Arbeit</em>, die Anregung erhalten
-– in Koblenz war ich ein Stündchen <em class="gesperrt">bei Bädeker</em>, ein recht
-<em class="gesperrt">liebenswürdiger, verständiger</em> Mann – das Grab war <em class="gesperrt">mit</em>
-Reseda und <em class="gesperrt">Monatsrosen</em> geschmückt, <em class="gesperrt">die Lieblingsblumen</em>
-der Verstorbnen – anders verhält es sich mit <em class="gesperrt">dem Sauggasmotor</em>,
-<em class="gesperrt">ein Apparat</em>, der das erforderliche Gas selbst erzeugt. Solche
-Verbindungen kann man sehr oft lesen; mag der Genitiv, der Dativ, der
-Akkusativ vorausgehen, gleichviel: die Apposition wird in den Nominativ
-gesetzt. Sie wird behandelt<span class="pagenum" id="Seite_214">[S. 214]</span> wie eine Parenthese, als ob sie gar nicht
-zum Satzgefüge gehörte, als ob sie der Schreibende „beiseite“ spräche
-oder in den Bart murmelte.</p>
-
-<p>Auch dieser Fehler ist, wie so manches in unsrer Sprache, durch
-Nachäfferei des Französischen entstanden. Nicht daß das Französische
-bei seiner strengen Logik eines solchen Unsinns fähig wäre, zu einem
-Hauptwort im Genitiv eine Apposition im Nominativ zu setzen. Wenn
-der Franzose schreibt: <span class="antiqua">le faîte est orné de statues</span>, <span class="antiqua">St.
-Pierre et les quatre évangélistes</span>, so empfindet er natürlich
-<span class="antiqua">les évangélistes</span> so gut von de abhängig wie das vorhergehende.
-Der Deutsche aber, der ein bißchen Französisch gelernt hat, sieht
-nur die unflektierte Form, bildet sich ein, das sei ein Nominativ,
-und plumpst nun hinter <em class="gesperrt">des</em> und <em class="gesperrt">dem</em> und <em class="gesperrt">den</em> mit
-seinem <em class="gesperrt">der</em> drein. Es ist wie ein Schlag ins Gesicht, ein solcher
-Nominativ als Genosse und Begleiter eines <span class="antiqua">casus obliquus</span>.</p>
-
-<p>Auch wenn die Apposition mit <em class="gesperrt">als</em> angeschlossen wird, muß
-sie unbedingt in demselben Kasus stehen wie das Wort, zu dem sie
-tritt, z.&#160;B.: ein Vortrag über Viktor <em class="gesperrt">Hugo</em> als <em class="gesperrt">politischen
-Dichter</em> (nicht <em class="gesperrt">politischer</em>!) – ein Portal mit zwei
-gefesselten <em class="gesperrt">Türken</em> als <em class="gesperrt">Schildhaltern</em> (nicht
-<em class="gesperrt">Schildhalter</em>!) – eine Zusammenfassung <em class="gesperrt">Schlesiens</em> als
-<em class="gesperrt">eines</em> Ganzen (nicht ein <em class="gesperrt">Ganzes</em>!). Nur wenn sie sich an
-das besitzanzeigende Adjektiv anschließt, also eigentlich im Genitiv
-stehen müßte, nimmt man sich allgemein die Freiheit, zu sagen:
-<em class="gesperrt">mein</em> Beruf <em class="gesperrt">als Lehrer</em>, <em class="gesperrt">seine</em> Bedeutung <em class="gesperrt">als
-Dichter</em>.</p>
-
-<p>Nicht zu verwechseln mit der Apposition hinter <em class="gesperrt">als</em> ist das
-Prädikatsnomen hinter <em class="gesperrt">als</em> und dem Partizip eines Zeitworts,
-wie <em class="gesperrt">gesandt</em>, <em class="gesperrt">berufen</em>, <em class="gesperrt">bekannt</em>, <em class="gesperrt">berühmt</em>,
-<em class="gesperrt">gefeiert</em>, <em class="gesperrt">bewährt</em>, <em class="gesperrt">berüchtigt</em> usw. Beim <span class="antiqua">Verbum
-finitum</span> steht selbstverständlich ein Prädikatsnomen, das sich
-an das Subjekt anschließt, im Nominativ: der <em class="gesperrt">Entschlafne</em>
-wurde als <em class="gesperrt">Mensch</em> wie als Politiker gleich hoch geschätzt;
-schließt es sich an das Objekt an, so steht es im Akkusativ: ich
-habe <em class="gesperrt">den Entschlafnen</em> als <em class="gesperrt">Menschen</em> wie als Politiker
-gleich hoch geschätzt. Manche schreiben nun aber auch: die Stadt
-hat<span class="pagenum" id="Seite_215">[S. 215]</span> ihr <em class="gesperrt">als ausgezeichneten Verwaltungsbeamten</em> bekanntes
-<em class="gesperrt">Oberhaupt</em> verloren. Das ist des Guten zu viel. Beim Partizip
-steht das Prädikatsnomen stets im Nominativ, der Kasus, auf den es sich
-bezieht, mag sein, welcher er will, z.&#160;B.: auf die Vorstellungen <em class="gesperrt">des
-als Gesandter</em> an ihn geschickten <em class="gesperrt">Tilo</em> – an die Stelle
-<em class="gesperrt">des als Professor</em> nach Aachen versetzten <em class="gesperrt">Baumeisters</em>
-– als Nachfolger <em class="gesperrt">des als Gehilfe</em> des Finanzministers nach
-Petersburg berufnen <em class="gesperrt">Geheimrats</em> – <em class="gesperrt">dem</em> als vortrefflicher
-<em class="gesperrt">Dirigent</em> bekannten <em class="gesperrt">Kapellmeister</em>. Dieser Nominativ
-erklärt sich daraus, daß er eben stets hinter dem passiven <span class="antiqua">Verbum
-finitum</span> steht, sogar oft im Aktiv bei rückbezüglichen Zeitwörtern,
-wie <em class="gesperrt">sich zeigen</em>, <em class="gesperrt">sich beweisen</em>, <em class="gesperrt">sich verraten</em>,
-<em class="gesperrt">sich entpuppen</em>, <em class="gesperrt">sich bewähren</em>, wo eigentlich der
-Akkusativ am Platze wäre: er hat <em class="gesperrt">sich</em> als <em class="gesperrt">ausgezeichneter
-Verwaltungsbeamter</em> bewährt. Hier ist übrigens ein Unterschied
-möglich; er zeigte <em class="gesperrt">sich</em> als <em class="gesperrt">feinen</em> Kenner – ist etwas
-andres als: er zeigte <em class="gesperrt">sich</em> als <em class="gesperrt">feiner</em> Kenner. Der
-Akkusativ entspricht einem Objektsatz im Konjunktiv (er zeigte, daß
-er ein feiner Kenner <em class="gesperrt">sei</em>), der Nominativ einem Objektsatz im
-Indikativ (er zeigte, daß er ein feiner Kenner <em class="gesperrt">ist</em>). Aber dieser
-Unterschied ist so fein, daß ihn die wenigsten nachfühlen werden; die
-meisten schreiben unwillkürlich überall den Nominativ.</p>
-
-<p>Bei <em class="gesperrt">sein lassen</em> und <em class="gesperrt">werden lassen</em> muß ein zum Objekt
-gehöriges Prädikat natürlich im Nominativ stehen. Falsch heißt es in
-dem Gesangbuchliede: laß du <em class="gesperrt">mich deinen Tempel</em> sein, falsch auch
-bei Uhland: laß <em class="gesperrt">du mich deinen Gesellen</em> sein – so annehmbar es
-auch zu klingen scheint. Es muß heißen: laß du <em class="gesperrt">mich dein Geselle</em>
-sein – laß <em class="gesperrt">ihn ein tüchtiger Künstler</em> werden.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Der_Buchtitelfehler">Der Buchtitelfehler</h3>
-
-</div>
-
-<p>Ein besonders häufiges Beispiel einer fehlerhaften Apposition findet
-sich auf Buchtiteln. Gewiß auf der Hälfte aller Buchtitel wird jetzt
-zum Verfassernamen, der ja immer hinter <em class="gesperrt">von</em>, also im Dativ
-steht, das Amt oder der Beruf des Verfassers im Nominativ gesetzt!<span class="pagenum" id="Seite_216">[S. 216]</span>
-Noch in den vierziger und fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts
-war diese Nachlässigkeit fast unbekannt; da schrieb man noch richtig;
-<em class="gesperrt">von</em> Joseph <em class="gesperrt">Freiherrn</em> von Eichendorff, <em class="gesperrt">von</em> H.
-Stephan, kgl. preußisch<em class="gesperrt">em</em> Postrat. Jetzt heißt es: <em class="gesperrt">von</em>
-C. W. Schneider, Reichstagsabgeordnet<em class="gesperrt">er</em> – <em class="gesperrt">von</em> H.
-Brehmer, dirigierend<em class="gesperrt">er</em> Arzt – <em class="gesperrt">von</em> F. Kobeker, kaiserl.
-russisch<em class="gesperrt">er</em> Geheimrat – <em class="gesperrt">von</em> Egbert von Frankenberg,
-diensttuend<em class="gesperrt">er</em> Kammerherr – <em class="gesperrt">von</em> Havestadt und Contag,
-Regierungsbaumeist<em class="gesperrt">er</em> – <em class="gesperrt">von</em> <span class="antiqua">Dr.</span> Leonhard Wolff,
-städtisch<em class="gesperrt">er</em> Musikdirektor – <em class="gesperrt">von</em> J. Hartmann, königl.
-preußisch<em class="gesperrt">er</em> Generalleutnant z. D. – <em class="gesperrt">von</em> Adolf Zeller,
-königlich<em class="gesperrt">er</em> Regierungsbaumeister – <em class="gesperrt">von</em> Adolf Winds,
-königl. sächsisch<em class="gesperrt">er</em> Hofschauspieler – <em class="gesperrt">von</em> <span class="antiqua">Dr.</span>
-Friedrich Harms, weiland ordentlich<em class="gesperrt">er</em> Professor an der
-Universität Berlin – <em class="gesperrt">von</em> L. Schmidt, korrespondierend<em class="gesperrt">es</em>
-Mitglied des Vereins usw. Besonders häufig erscheinen der
-<em class="gesperrt">Dozent</em>, der <em class="gesperrt">Privatdozent</em> und der <em class="gesperrt">Architekt</em>
-in solchen fehlerhaften Appositionen; es ist, als ob die Herren
-ganz vergessen hätten, daß sie nach der schwachen Deklination
-gehen (<em class="gesperrt">dem</em> Dozent<em class="gesperrt">en</em>, <em class="gesperrt">dem</em> Architekt<em class="gesperrt">en</em>).
-Mitunter sind ja die Verfasser so vorsichtig, das Wort, auf das
-es ankommt, abzukürzen, z.&#160;B.: <em class="gesperrt">von</em> Heinrich Oberländer,
-<em class="gesperrt">königl.</em> Schauspieler. Namentlich der <em class="gesperrt">ordentl.</em> und der
-<em class="gesperrt">außerordentl.</em> Professor gebrauchen gern diese Vorsicht und
-überlassen es dem Leser, sich die Abkürzung nach Belieben zu ergänzen.
-Die meisten Leser ergänzen aber sicher falsch.<a id="FNAnker_105" href="#Fussnote_105" class="fnanchor">[105]</a> Hat außerdem noch
-der Name des Druckers oder des Verlegers eine Apposition, so kann es
-vorkommen, daß auf einem Buchtitel der Fehler zweimal steht, oben beim
-Verfassernamen und dann wieder unten am Fuße: Druck <em class="gesperrt">von</em> Gustav
-Schenk, königlich<em class="gesperrt">er</em> Hofliefer<em class="gesperrt">ant</em>!</p>
-
-<p>Aber auch in andern Fällen, nicht bloß wo sich der Verfasser eines
-Buches nennt, wird der Fehler oft begangen. Man schreibt auch:
-Erinnerungen <em class="gesperrt">an</em> Botho von Hülsen, Generalintend<em class="gesperrt">ant</em>
-der königlichen Schauspiele.<span class="pagenum" id="Seite_217">[S. 217]</span> Auf Briefadressen kann man lesen:
-<em class="gesperrt">Herrn</em> <span class="antiqua">Dr.</span> Müller, Vorsitzend<em class="gesperrt">er</em> des Vereins usw. Es
-ist, als ob alle solche Appositionen, die Amt, Titel, Beruf angeben,
-zusammen mit den Personennamen als eine Art von Versteinerungen
-betrachtet würden. Daß <em class="gesperrt">von</em> den Dativ, <em class="gesperrt">an</em> den Akkusativ
-regiert, dafür scheint hier alles Bewußtsein geschwunden zu sein. Erst
-kommt die Präposition, dann der Name, und dann, unflektiert und, wie es
-scheint, auch unflektierbar, der Wortlaut der – Visitenkarte.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Frl_Mimi_Schulz_Tochter_usw">Frl. Mimi Schulz, Tochter usw.</h3>
-
-</div>
-
-<p>Zu der einen Nachäfferei des Französischen bei der Apposition kommt
-aber jetzt noch eine zweite, nämlich die, den Artikel wegzulassen.
-In gutem Deutsch ist das nur dann üblich, wenn die Apposition
-Amt, Beruf oder Titel bezeichnet, und auch da eigentlich nur in
-Unterschriften, wenn man selber seinen Namen und Titel hinschreibt.
-Aber abgeschmackt ist es, den Artikel bei Verwandtschaftsbegriffen
-wegzulassen, und doch kann man das jetzt ebenso oft in Geschichtswerken
-wie in – Verlobungsanzeigen lesen. Historiker und Literarhistoriker
-schreiben: die Bekanntschaft mit Körner, <em class="gesperrt">Vater</em> des Dichters
-Theodor Körner – die Briefe sind an die Herzogin Dorothee Susanne,
-<em class="gesperrt">Gemahlin</em> des Herzogs Johann Wilhelm, gerichtet – Gabriele
-von Bülow, <em class="gesperrt">Tochter</em> Wilhelm von Humboldts – sogar: Direktor
-Adler, <em class="gesperrt">Pate</em> meiner Schwester – und der Reserveleutnant und
-Gymnasialoberlehrer Schmidt zeigt an, daß er sich mit Fräulein Mimi
-Schulz, <em class="gesperrt">Tochter</em> des Herrn Kommerzienrat Schulz, verlobt habe.
-Diese lapidarische Kürze mag in den Augen des Reserveleutnants der
-Größe des Augenblicks angemessen erscheinen – deutsch ist sie nicht.
-Hat der Herr Kommerzienrat nur die eine Tochter, so muß es heißen:
-<em class="gesperrt">der Tochter</em>, hat er mehrere, so muß es heißen: <em class="gesperrt">einer
-Tochter</em>; und warum soll die Welt nicht erfahren, ob er noch
-mehr hat? Und wenn der Geschichtschreiber nicht wüßte, oder wenn es
-überhaupt unbekannt wäre, ob die Fürstin, von der er erzählt, eine
-oder mehrere Töchter gehabt hat, so müßte es immer heißen: <em class="gesperrt">eine
-Tochter</em>, denn <em class="gesperrt">eine</em><span class="pagenum" id="Seite_218">[S. 218]</span> Tochter war es auf jeden Fall, ob sie
-nun die einzige war oder Schwestern hatte.</p>
-
-<p>Ebenso falsch ist es natürlich, zu schreiben, der Vorwärts,
-<em class="gesperrt">Organ</em> der sozialdemokratischen Partei. Hat die Partei mehrere
-„Organe“, so muß es heißen: <em class="gesperrt">ein</em> Organ; hat sie nur das eine, ist
-das ihr anerkanntes amtliches „Organ“, so muß es heißen: <em class="gesperrt">das</em>
-Organ. <em class="gesperrt">Organ</em> allein könnte höchstens (in dem zweiten Falle)
-unter dem Titelkopfe der Zeitung stehen.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Bad_Kissingen_und_Kaiser_Wilhelm_Strasse">Bad-Kissingen und Kaiser
-Wilhelm-Straße</h3>
-
-</div>
-
-<p>Daß ein Eigenname nicht mit einer vorangestellten Apposition ein
-zusammengesetztes Wort bilden kann, darüber ist sich wohl jedermann
-klar. <em class="gesperrt">Kaiser Wilhelm</em> – das sind und bleiben zwei Wörter, so
-gut wie <em class="gesperrt">Doktor Luther</em>, <em class="gesperrt">Bruder Straubinger</em>, <em class="gesperrt">Inspektor
-Bräsig</em>, <em class="gesperrt">Familie Mendelssohn</em>, <em class="gesperrt">Stadt Berlin</em> u.&#160;ähnl.
-Trotzdem ist neuerdings der Unsinn aufgekommen, namentlich bei
-Badeorten die Apposition <em class="gesperrt">Bad</em> durch einen Strich mit dem
-Ortsnamen zu verbinden, als ob beides zusammen <em class="gesperrt">ein</em> Wort
-bildete. <em class="gesperrt">Bad-Sulza</em>, im Gegensatz dazu dann <em class="gesperrt">Stadt-Sulza</em>,
-<em class="gesperrt">Bad-Elster</em>, <em class="gesperrt">Bad-Kissingen</em>, <em class="gesperrt">Bad-Nauheim</em> –
-so wird selbst amtlich von der Post und der Eisenbahn z.&#160;B. in
-Briefstempeln und auf Eisenbahnbilletts gedruckt. Und besucht man dann
-einen solchen Badeort, so sieht man, daß dort auch hinter dem Worte
-<em class="gesperrt">Villa</em> der Unsinn in üppigster Blüte steht: <em class="gesperrt">Villa-Daheim</em>,
-<em class="gesperrt">Villa-Schröter</em>, <em class="gesperrt">Villa-Maria</em>, <em class="gesperrt">Villa-Quisisana</em> –
-anders wird gar nicht mehr an die Häuser gemalt, einer machts immer dem
-andern nach.<a id="FNAnker_106" href="#Fussnote_106" class="fnanchor">[106]</a></p>
-
-<p>Mit diesem Unsinn kreuzt sich aber nun ein andrer. Teils infolge des
-übertriebnen juristischen Genauigkeitsbedürfnisses, teils infolge
-des herrschenden Byzantinismus unsrer Zeit kann man es sich nicht
-versagen, da, wo nun wirkliche Zusammensetzungen mit Eigennamen
-gebildet werden, auch noch Vornamen, Titel oder<span class="pagenum" id="Seite_219">[S. 219]</span> sonstige Appositionen
-davorzusetzen und zu schreiben: <em class="gesperrt">Gustav Freytag-Straße</em>,
-<em class="gesperrt">von (!) Falckenstein-Straße</em>, <em class="gesperrt">Kaiserin Augusta-Straße</em>,
-<em class="gesperrt">Königin Carola-Gymnasium</em>, <em class="gesperrt">Königin Luisen-Garten</em>,
-<em class="gesperrt">Kaiser Friedrich-Quelle</em>, <em class="gesperrt">Generalfeldmarschall Prinz Friedrich
-Karl von Preußen-Eiche</em>, <em class="gesperrt">Familie Mendelssohn-Stiftung</em>,
-<em class="gesperrt">Baronin Moritz von Cohn-Stiftung</em>, <em class="gesperrt">Philipp Reis-Denkmal</em>,
-<em class="gesperrt">Waldemar Meyer-Quartett</em>, <em class="gesperrt">Gustav Frenssen-Abend</em>,
-<em class="gesperrt">Arthur Nikisch-Stipendium</em>, <em class="gesperrt">Auguste Schmidt-Haus</em>, <em class="gesperrt">Hugo
-Wolff-Nachruf</em> usw. Wenn man früher eine Straße nach dem großen
-Preußenkönig, einen Kanal nach dem großen Bayernkönig nannte, so
-nannte man sie einfach <em class="gesperrt">Friedrichstraße</em>, <em class="gesperrt">Ludwigskanal</em>.
-Eine Stiftung hieß die <em class="gesperrt">Wiedebachsche Stiftung</em>, mochte sie nun
-von einem Manne namens Wiedebach, einer Frau namens Wiedebach oder
-einer Familie namens Wiedebach herrühren. Auf den Namen kam es an.
-Ein Name soll doch eben ein Name sein, aber keine Geschichte, kein
-Steckbrief, keine Hofkalenderadresse, keine Visitenkarte. Die heute
-beliebten langatmigen Bezeichnungen sind aber alles andre, nur keine
-Namen. Dazu kommt aber nun, daß alle solche Worthaufen, die doch
-als zusammengesetzte Wörter gelten sollen, vor den Eigennamen ohne
-Bindestrich geschrieben werden: <em class="gesperrt">Kaiser Wilhelm-Straße</em>. Das kann
-doch nichts andres bedeuten als einen Kaiser, der Wilhelmstraße heißt!
-Soll es eine Straße bedeuten, die nach Kaiser Wilhelm genannt ist, so
-muß sie unbedingt geschrieben werden: <em class="gesperrt">Kaiser-Wilhelm-Straße</em>. Und
-ebenso muß unbedingt geschrieben werden: <em class="gesperrt">Gustav-Adolf-Verein</em>,
-<em class="gesperrt">Maria-Stuart-Tragödie</em>, <em class="gesperrt">Baronin-Moritz-von-Cohn-Stiftung</em>,
-<em class="gesperrt">Generalfeldmarschall-Prinz-Friedrich-Karl-von-Preußen-Eiche</em>.
-Wem das nicht gefällt, der bilde keine solchen Wörter. Es geht aber
-schon so weit, daß man eine Schule <em class="gesperrt">Kaiser Wilhelm II. Realschule</em>
-genannt hat! Wie soll man das nur aussprechen?</p>
-
-<p>In der unsinnigen Schreibung solcher Wortungetüme (ohne alle
-Bindestriche) offenbart sich wieder der zerrüttende<span class="pagenum" id="Seite_220">[S. 220]</span> Einfluß des
-Englischen. Das Englische kennt ja keine Wortzusammensetzungen. Die
-Wörter kollern da aufs Papier wie die Pferdeäpfel auf die Straße:
-<em class="gesperrt">Original Singer Familien Nähmaschine</em>. Das ist zu schön, das muß
-doch wieder nachgemacht werden!</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Der_Dichter_Komponist_und_der_Doktor_Ingenieur">Der Dichter-Komponist und
-der Doktor-Ingenieur</h3>
-
-</div>
-
-<p>Eine fehlerhafte und abgeschmackte Nachahmung des Französischen und
-des Englischen liegt auch in Verbindungen wie <em class="gesperrt">Prinz-Regent</em>
-und <em class="gesperrt">Dichter-Komponist</em> vor. Nach deutscher Logik
-(vgl. <em class="gesperrt">Chorregent</em>, <em class="gesperrt">Liederkomponist</em>) wäre ein
-<em class="gesperrt">Dichterkomponist</em> ein Komponist, der Dichter komponierte,
-ein <em class="gesperrt">Prinzregent</em> ein Regent, der einen Prinzen regierte;
-das eine soll aber ein Dichter sein, der zugleich komponiert, das
-andre ein Prinz, der die Regentschaft führt; das erste Wort soll
-also nicht das Bestimmungswort des zweiten, sondern das zweite
-eine Art von Apposition zum ersten sein. Das erste Beispiel dieser
-Art war wohl der <em class="gesperrt">Bürgergeneral</em>, wie Goethe wörtlich das
-französische <span class="antiqua">citoyen-général</span> übersetzt hatte; später kam
-der <em class="gesperrt">Prinz-Gemahl</em> dazu (dem englischen <span class="antiqua">prince-consort</span>
-nachgebildet). Und nun war kein Halten mehr. Nun folgten
-auch die <em class="gesperrt">Herzogin-Mutter</em>, die <em class="gesperrt">Königin-Witwe</em>,
-der <em class="gesperrt">Prinz-Regent</em>, der <em class="gesperrt">Fürst-Bischof</em> und der
-<em class="gesperrt">Fürst-Reichskanzler</em>, und in andern Lebenskreisen, dem
-französischen <span class="antiqua">peintre-graveur</span>, <span class="antiqua">membre-protecteur</span>
-und <span class="antiqua">commis-voyageur</span> nachgeäfft, der <em class="gesperrt">Maler-Radierer</em>,
-der <em class="gesperrt">Maler-Dichter</em> (z.&#160;B. Reinick, Stifter, Fitger), der
-<em class="gesperrt">Dichter-Komponist</em> und der <em class="gesperrt">Senior-Chef</em>. Kann man sich
-da wundern, wenn die Dienstmädchen nun auch von einem Prinzen, der
-in Leipzig studiert, sagen: Dort fährt der <em class="gesperrt">Prinz-Student</em>?
-Manche Zeitungen getrauen sich schon nicht mehr, Fürstenkinder
-als Söhne und Töchter zu bezeichnen, sondern schreiben stets: die
-<em class="gesperrt">Prinzen-Söhne</em>, die <em class="gesperrt">Prinzessinnen-Töchter</em>. In gewissen
-sächsischen Zeitungen z.&#160;B. hat der König von Sachsen immer nur
-<em class="gesperrt">Prinzensöhne</em>. Es fehlt nur noch die <em class="gesperrt">Kaiserin-Großmutter</em>
-und die <em class="gesperrt">Königin-Tante</em>. Das neueste der Art ist der
-<em class="gesperrt">Doktor-Ingenieur</em>, der lächerlicherweise<span class="pagenum" id="Seite_221">[S. 221]</span> noch dazu <span class="antiqua">Dr.
-ing.</span> geschrieben wird, was man doch höchstens <span class="antiqua">Doctor ingenii</span>
-lesen kann. Hätte es da nicht näher gelegen und wäre es nicht logischer
-gewesen, solche Herren als <span class="antiqua">Dr. techn.</span> zu bezeichnen?</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="In_einer_Zeit_wie_der_unsrigen">In einer Zeit wie der unsrigen</h3>
-
-</div>
-
-<p>Keine eigentliche Apposition liegt vor, wenn man sagt: <em class="gesperrt">in einer
-Zeit</em> wie <em class="gesperrt">der unsrigen</em>, sondern hier hat ein kurzer
-Nebensatz, und zwar ein Attributsatz (<em class="gesperrt">wie die unsrige ist</em>),
-sein Zeitwort eingebüßt, und das übrigbleibende Subjekt des Satzes ist
-dann unwillkürlich zu dem vorhergehenden Dativ gezogen, „attrahiert“
-worden. Manche wollen von dieser Attraktion nichts wissen; sie ist
-aber sehr natürlich und liegt so nahe, daß es pedantisch wäre, sie
-zu vermeiden. Gegen Verbindungen wie: in <em class="gesperrt">einem Buche</em> wie dem
-vorliegenden, oder: es bedarf <em class="gesperrt">eines Reaktionsstoffes</em> wie <em class="gesperrt">des
-Natriums</em> – ist nicht das geringste einzuwenden; es klingt sogar
-gesucht und hart, wenn jemand schreibt: <em class="gesperrt">von</em> Perioden wie <em class="gesperrt">die
-jetzige</em> kann man sagen – sie wollte ihren Sohn <em class="gesperrt">vor</em> einem
-ähnlichen Schicksal wie <em class="gesperrt">das</em> seines Vaters bewahren – wer die
-Jugend <em class="gesperrt">zu</em> einem Berufe wie <em class="gesperrt">der ärztliche</em> vorbereiten will
-– <em class="gesperrt">solche</em> kleinere Sammlungen wurden <em class="gesperrt">in</em> Werken wie <em class="gesperrt">die
-Weingartner Handschrift</em> vereinigt.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Gustav_Fischer_Buchbinderei">Gustav Fischer, Buchbinderei</h3>
-
-</div>
-
-<p>Eine Geschmacklosigkeit, die sich in der Sprache unsrer Geschäftsleute
-mit großer Schnelligkeit verbreitet hat, besteht darin, zu einem
-Personennamen eine Sache als Apposition zu setzen, z.&#160;B.: <em class="gesperrt">Gustav
-Fischer, Buchbinderei</em> – <em class="gesperrt">Th. Böhme, Schuhmacherartikel und
-Schäftefabrik</em> – <em class="gesperrt">B. Fricke, Kartoffelmehl <span class="antiqua">en gros</span></em> –
-<em class="gesperrt">Leopold Wallfisch, Leder</em>. Früher sagte man vernünftigerweise:
-<em class="gesperrt">Gustav Fischer, Buchbinder</em>, und wer zu verstehen geben
-wollte, daß er sein Geschäft nicht allein, sondern mit einer Anzahl
-von Gesellen betreibe (jetzt heißt es vornehmer: Gehilfen, obwohl
-ein Geselle von damals viel mehr zu bedeuten hatte als so<span class="pagenum" id="Seite_222">[S. 222]</span> ein
-moderner „Gehilfe“!), sagte: <em class="gesperrt">Gustav Fischers Buchbinderei</em> oder
-<em class="gesperrt">Buchbinderei von Gustav Fischer</em>. Der Unsinn, einen Menschen eine
-Buchbinderei zu nennen, ist unsrer Zeit vorbehalten geblieben.</p>
-
-<p>Man könnte nun einwenden, in solchen Verbindungen solle der
-Personenname gar nicht den Mann bedeuten, sondern die Firma, das
-Geschäft; in dem Zusatz solle also gar keine Apposition liegen, sondern
-mehr eine „Juxtaposition“. In den altmodischen Firmen sei nur der
-eine Satz ausgedrückt gewesen: (hier wohnt) <em class="gesperrt">Gustav Fischer</em>; in
-den neumodischen Firmen seien zwei Sätze ausgedrückt: (hier wohnt)
-<em class="gesperrt">Karl Bellach</em>, (der hat eine) <em class="gesperrt">photographische Anstalt</em>,
-oder: (hier hat sein Geschäft) <em class="gesperrt">Siegfried Goldmann</em>, (der
-verkauft) <em class="gesperrt">Wolle</em>. Wie steht es denn aber dann, wenn man in einem
-Ausstellerverzeichnis lesen muß: Herr <em class="gesperrt">F. A. Barthel, Abteilung</em>
-für Metallklammern, oder in einer Verlobungsanzeige: Herr <em class="gesperrt">Max
-Schnetger, Rosenzüchterei</em>, mit Fräulein Luise Langbein, oder
-in einem Fremdenbuche: <em class="gesperrt">Rudolf Dahme, Kognakbrennerei</em>, mit
-Gattin und Tochter, oder in einer Zeitung: Herr <em class="gesperrt">Gustav Böhme jun.,
-Bureau</em> für Orientreisen, telegraphiert uns? Ist da auch noch die
-Firma gemeint?</p>
-
-<p>Zum Teil ist dieser Unsinn eine Folge der Prahlsucht<a id="FNAnker_107" href="#Fussnote_107" class="fnanchor">[107]</a>
-unsrer Geschäftsleute; es will niemand mehr <em class="gesperrt">Gärtner</em> oder
-<em class="gesperrt">Brauer</em>, <em class="gesperrt">Tischler</em> oder <em class="gesperrt">Buchbinder</em> sein, sondern
-nur noch <em class="gesperrt">Gärtnereibesitzer</em>, <em class="gesperrt">Brauereibesitzer</em>,
-<em class="gesperrt">Tischlereibesitzer</em>, <em class="gesperrt">Buchbindereibesitzer</em> – immer
-großartig! Da darf natürlich die Buchbind<em class="gesperrt">erei</em> auch in der Firma
-nicht fehlen. Zum andern Teil ist er aber doch auch eine Folge der
-Verwilderung unsers Sprachgefühls. <em class="gesperrt">W. Spindlers Waschanstalt</em>
-und <em class="gesperrt">Gotthelf Kühnes Weinkellereien</em> – das wäre Sprache;
-<em class="gesperrt">W. Spindler Färberei und Waschanstalt</em> und <em class="gesperrt">Gotthelf Kühne
-Weinkellereien</em> – das ist Gestammel. Man will aber gar nicht mehr
-sprechen, man will eben stammeln.</p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_223">[S. 223]</span></p>
-
-<h3 id="Die_persoenlichen_Fuerwoerter">Die persönlichen Fürwörter. Der erstere und
-der letztere</h3>
-
-</div>
-
-<p>Recht vorsichtig sollte man immer in dem Gebrauche der persönlichen
-Fürwörter sein. Wer schreibt, der weiß ja, wen er mit einem <em class="gesperrt">er</em>
-oder <em class="gesperrt">ihn</em> meint; der Leser aber versteht oft falsch, weil
-mehrere Hauptwörter vorhergegangen sind, auf die sich das Fürwort
-zurückbeziehen kann, sucht dann nach dem richtigen Wort und wird so in
-ärgerlicher Weise aufgehalten. Wo daher ein Mißverständnis möglich ist,
-ist es immer besser, statt des Fürworts wieder das Hauptwort zu setzen,
-besonders dann, wenn im vorhergehenden zwei Hauptwörter einander
-gegenübergestellt worden sind. Leider macht sich auch hier wieder der
-törichte Aberglaube breit, daß es unschön sei, kurz hintereinander
-mehreremal dasselbe Wort zu gebrauchen.</p>
-
-<p>Man nehme folgende Sätze: Schon in Goethe, ja schon in dem
-musikliebenden Luther findet sich das unbestimmte Vorgefühl einer
-solchen Entwicklung; Goethe hatte bekanntlich bis zu seinem vierzigsten
-Jahre die ernstliche Absicht, sich der bildenden Kunst zu widmen,
-und die Haupttat Luthers, die Bibelübersetzung, ist eine wesentlich
-künstlerische Tat.</p>
-
-<p>Das sind gewiß ein paar gute, tadellose Sätze, so klar, übersichtlich
-und wohlklingend, wie man sie nur wünschen kann. Da kommt nun der
-Papiermensch drüber und sagt: Entsetzlich! Da steht ja zweimal
-hintereinander Goethe und zweimal hintereinander Luther! Jedes zweite
-mal ist vom Übel, also weg damit! Es muß heißen: <em class="gesperrt">der eine</em>
-und <em class="gesperrt">der andre</em>, oder <em class="gesperrt">jener</em> und <em class="gesperrt">dieser</em>, oder
-– und das ist nun das schönste von allem –: <em class="gesperrt">ersterer</em> und
-<em class="gesperrt">letzterer</em>. Also: schon in Goethe, ja schon in dem musikliebenden
-Luther findet sich das unbestimmte Vorgefühl einer solchen Entwicklung:
-<em class="gesperrt">ersterer</em> hatte bekanntlich bis zu seinem vierzigsten Jahre
-die ernstliche Absicht, sich der bildenden Kunst zu widmen; und die
-Haupttat des <em class="gesperrt">letztern</em>, die Bibelübersetzung, war eine wesentlich
-künstlerische Tat.</p>
-
-<p>Über die häßliche Komparativbildung <em class="gesperrt">ersterer</em> und
-<em class="gesperrt">letzterer</em> ist schon bei den Relativsätzen gesprochen<span class="pagenum" id="Seite_224">[S. 224]</span> worden
-(vgl. <a href="#Seite_123">S. 123</a>). Wie häßlich ist aber erst – dort wie hier – die
-Anwendung! Das angeführte Beispiel ist ja verhältnismäßig einfach, und
-da es vorher mit Wiederholung der Namen gebildet worden ist, so sieht
-man leicht, worauf sich <em class="gesperrt">ersterer</em> und <em class="gesperrt">letzterer</em> beziehen
-soll. Aber welche Qualen kann dem Leser in tausend andern Fällen
-ein solches <em class="gesperrt">ersterer</em> und <em class="gesperrt">letzterer</em>, <em class="gesperrt">dieser</em> und
-<em class="gesperrt">jener</em> bereiten! Man hat ja, wenn man arglos vor sich hinliest,
-keine Ahnung davon, daß sich der Schreibende gewisse Wörter gleichsam
-heimlich numeriert, um hinterher plötzlich von dem Leser zu verlangen,
-daß der sie sich auch numeriert und – mit der Nummer gemerkt habe.
-Auf einmal kommt nun so ein verteufeltes <em class="gesperrt">ersterer</em>. Ja wer war
-denn der <em class="gesperrt">erstere</em>? Hastig fliegt das Auge zurück und irrt in den
-letzten zwei, drei Zeilen umher, um darnach zu suchen. <em class="gesperrt">Ersterer</em>
-– halt, da steht <em class="gesperrt">er</em>: Luther! Also: Luther hatte bekanntlich
-bis zu seinem vierzigsten Jahre die ernstliche Absicht, sich der
-bildenden Kunst zu widmen. Unsinn! der andre muß es gewesen sein, also
-noch einmal suchen! Richtig, hier steht er: Goethe! Also: Goethe hatte
-bekanntlich die ernstliche Absicht – Gott sei Dank, jetzt sind wir
-wieder im Fahrwasser. Zum Glück verläuft ja in Wirklichkeit dieses
-Hinundhergeworfenwerden etwas schneller; aber angenehm ist es nicht,
-und doch, wie oft muß mans über sich ergehen lassen!</p>
-
-<p>Noch ein paar weitere Beispiele: Diskretion ist eine Tugend der
-Gesellschaft: <em class="gesperrt">diese</em> kann nicht ohne <em class="gesperrt">jene</em> bestehen –
-unerfahrne Kinder und geübte Diplomaten haben das oft blitzartige
-Durchschauen von Menschen und Charakteren miteinander gemein, aber
-freilich aus verschiednen Gründen: <em class="gesperrt">jene</em> besitzen noch den
-Blick für das Ganze, <em class="gesperrt">diese</em> schon den für die Einzelheiten des
-menschlichen Seelenlebens – wie Raffael in der Form, ist Rembrandt
-in der Farbe nichts weniger als naturwahr; <em class="gesperrt">dieser</em> hat seinen
-selbständigen und in gewissem Sinne unnatürlichen Stil gerade so gut
-wie <em class="gesperrt">jener</em>; und insofern Rembrandt in seinen Bildern sogar
-eine noch intensivere persönliche Handschrift zeigt als Raffael, hat
-der <em class="gesperrt">erstere</em> noch mehr Stil als der <em class="gesperrt">letztere</em> – der<span class="pagenum" id="Seite_225">[S. 225]</span>
-Gelehrte ist seinem Wesen nach international, der Künstler national;
-darauf gründet sich die Überlegenheit des <em class="gesperrt">letztern</em> über den
-<em class="gesperrt">erstern</em> – dieser Umschwung ist wieder durch den Egoismus
-bewirkt worden, nur daß es diesmal nicht der des Gebers, sondern der
-des Nehmers war; <em class="gesperrt">jener</em> hat in <em class="gesperrt">diesem</em> seinen Meister
-gefunden; <em class="gesperrt">letzterer</em> das Werk würdig fortgesetzt. Alle solche
-Sätze sind eine Qual für den Leser. Wer ist <em class="gesperrt">dieser</em>, wer ist
-<em class="gesperrt">jener</em>, wer ist <em class="gesperrt">letzterer</em>? In dem letzten Beispiele sollen
-<em class="gesperrt">dieser</em> und <em class="gesperrt">jener</em> der Geber und der Nehmer sein, aber in
-welcher Reihenfolge? <em class="gesperrt">Dieser</em> soll sich auf den näherstehenden,
-<em class="gesperrt">jener</em> auf den fernerstehenden beziehen, <em class="gesperrt">letzterer</em>
-bezieht man unwillkürlich zunächst auf Meister, es ist aber wieder der
-Nehmer gemeint. Ist es denn da nicht gescheiter, zu schreiben: dieser
-Umschwung ist wieder durch den Egoismus bewirkt worden, nur daß es
-diesmal nicht der des Gebers, sondern der des Nehmers war; der Geber
-hat im Nehmer seinen Meister gefunden, der Nehmer hat das Werk würdig
-fortgesetzt? Das ist sofort verständlich, und alles ängstliche Umkehren
-und Suchen fällt weg.</p>
-
-<p>Ein ganz besondrer Mißbrauch wird noch mit <em class="gesperrt">letzterer</em> allein
-getrieben. Viele sind so verliebt in dieses schöne Wort, daß sie es
-ganz gedankenlos (für <em class="gesperrt">dieser</em>!) auch da gebrauchen, wo gar keine
-Gegenüberstellung von zwei Dingen vorhergegangen ist; sie weisen
-damit einfach auf das zuletzt genannte Hauptwort zurück; z.&#160;B.:
-das Preisgericht hat seinen Spruch getan, <em class="gesperrt">letzterer</em> greift
-jedoch der Entscheidung nicht vor – das Pepton wird aus bestem
-Fleisch dargestellt, sodaß <em class="gesperrt">letzteres</em> bereits in löslicher
-Form dem Magen zugeführt wird – Krüge, Teller und Schüsseln bilden
-das Material, dem die dichterischen Ergüsse anvertraut werden;
-sind <em class="gesperrt">letztere</em> aber elegischer Natur, so finden wir sie auf
-Grabsteinen und Votivtafeln – in der offiziösen Sprache schreibt man
-erst dann von gestörten Beziehungen, wenn der Krieg vor der Tür steht,
-und daß <em class="gesperrt">letzteres</em> nicht der Fall sei, glauben wir gern – je
-weiter entwickelt die Kultur eines Volkes ist, desto empfindlicher ist
-<em class="gesperrt">letzteres</em> gegen gewaltsame Eingriffe – die Stellungnahme (!)
-des<span class="pagenum" id="Seite_226">[S. 226]</span> Pietismus zu den Kantoreien mußte auf <em class="gesperrt">letztere</em> lähmend
-wirken – die Genossen, die ohne Kündigung die Arbeit eingestellt
-hatten und <em class="gesperrt">letztere</em> nicht sofort wieder aufnahmen – F. schlug
-den Wachtmeister über den Kopf, als <em class="gesperrt">letzterer</em> (der Kopf?) seine
-Zelle betrat – diese Aufsätze sind verhaltne lyrische Gedichte, von
-<em class="gesperrt">letztern</em> (<em class="gesperrt">solchen</em>!) nur durch die Form verschieden usw.
-Wenn solche Gedankenlosigkeit weitere Fortschritte macht, so kommen wir
-noch dahin, daß es in lateinisch-deutschen Wörterbüchern heißen muß:
-<span class="antiqua">hic</span>, <span class="antiqua">haec</span>, <span class="antiqua">hoc</span>: <em class="gesperrt">letzterer</em>, <em class="gesperrt">letztere</em>,
-<em class="gesperrt">letzteres</em> (ebenso wie <span class="antiqua">qui</span>, <span class="antiqua">quae</span>, <span class="antiqua">quod</span>:
-<em class="gesperrt">welch letzterer</em>, <em class="gesperrt">welch letztere</em>, <em class="gesperrt">welch letzteres</em>).</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Derselbe_dieselbe_dasselbe">Derselbe, dieselbe, dasselbe</h3>
-
-</div>
-
-<p>Zu den entsetzlichsten Erscheinungen unsrer Schriftsprache gehört der
-alles Maß übersteigende Mißbrauch, der mit dem Fürwort <em class="gesperrt">derselbe</em>,
-<em class="gesperrt">dieselbe</em>, <em class="gesperrt">dasselbe</em> getrieben wird. An der Unnatur und
-Steifbeinigkeit unsers ganzen schriftlichen Ausdrucks trägt dieses
-Wort die Hälfte aller Schuld. Könnte man unsrer Schriftsprache diesen
-Bleiklumpen abnehmen, schon dadurch allein würde sie Flügel zu bekommen
-scheinen. Der Mißbrauch dieses Fürworts gehört zu den Hauptkennzeichen
-jener Sprache, von der nun schon so viele Beispiele in diesem Buche
-angeführt worden sind, und die man so treffend als papiernen Stil
-bezeichnet hat.<a id="FNAnker_108" href="#Fussnote_108" class="fnanchor">[108]</a></p>
-
-<p>Unter hundert Fällen, wo heute <em class="gesperrt">derselbe</em> geschrieben wird, sind
-keine fünf, wo das Wort in seiner wirklichen Bedeutung (<span class="antiqua">idem</span>,
-<span class="antiqua">le même</span>, <span class="antiqua">the same</span>) stünde. In der lebendigen Sprache
-wird es zwar in seiner wirklichen Bedeutung täglich tausendmal
-gebraucht, auf dem Papier aber fast gar nicht mehr; da wird es immer
-ersetzt durch <em class="gesperrt">ebenderselbe</em> oder <em class="gesperrt">einundderselbe</em> oder
-<em class="gesperrt">der nämliche</em> oder <em class="gesperrt">der gleiche</em> (von dem <em class="gesperrt">gleichen</em>
-Verfasser erschien in der <em class="gesperrt">gleichen</em> Verlagsbuchhandlung usw.).
-Daß zur Gleichheit mindestens zwei gehören, daran denkt man gar nicht.
-Zwar so wunderbaren Sätzen wie: Wagner hat <em class="gesperrt">dieselben</em> Quellen
-benutzt wie Goethe,<span class="pagenum" id="Seite_227">[S. 227]</span> aber in engerm Anschluß an <em class="gesperrt">dieselben</em> (wo
-erst <span class="antiqua">eosdem</span>, dann <span class="antiqua">eos</span> gemeint ist) – fast gleichzeitig
-wurde der Roman Werthers Leiden fertig; über <em class="gesperrt">denselben</em>
-schreibt Goethe in <em class="gesperrt">demselben</em> Briefe usw., begegnet man selten.
-Aber in fünfundneunzig unter hundert Fällen ist <em class="gesperrt">derselbe</em>,
-<em class="gesperrt">dieselbe</em>, <em class="gesperrt">dasselbe</em> nichts weiter als <em class="gesperrt">er</em>,
-<em class="gesperrt">sie</em>, <em class="gesperrt">es</em> oder <em class="gesperrt">dieser</em>, <em class="gesperrt">diese</em>, <em class="gesperrt">dieses</em>.
-Und das ist das ärgerlichste an dem dummen Mißbrauch, daß dabei auch
-noch der Unterschied zwischen <em class="gesperrt">er</em> und <em class="gesperrt">dieser</em> verwischt
-wird.</p>
-
-<p>Für das persönliche Fürwort <em class="gesperrt">er</em> steht <em class="gesperrt">derselbe</em> z.&#160;B.
-in folgenden Sätzen (man kann in wenig Minuten in jedem Buch und
-jeder Zeitung die Beispiele schockweise sammeln): wir brauchten
-das nur dann zu wissen, wenn die Welt erst noch geschaffen werden
-sollte; <em class="gesperrt">dieselbe</em> ist aber bereits fertig – der Hauptsitz der
-Rosenkultur ist der Südfuß des Hämus, doch zieht sich <em class="gesperrt">dieselbe</em>
-auch in das Mittelgebirge hinein – durch Höhe der Gebäude suchte
-man zu ersetzen, was <em class="gesperrt">denselben</em> an Breite und Tiefe abging
-– was Erich Schmidt gegen die Glaubwürdigkeit Bretschneiders in
-Feld führt, reicht nicht aus, <em class="gesperrt">dieselbe</em> zu erschüttern –
-der Fall muß allgemeines Aufsehen erregt haben, da <em class="gesperrt">derselbe</em>
-eine Bürgerstochter aus guter Familie betraf – neuerdings hat man
-versucht, den Reim durch die Alliteration zu verdrängen; Jordan hat
-<em class="gesperrt">dieselbe</em> eingeführt, und R. Wagner hat <em class="gesperrt">dieselbe</em> in freier
-Weise verwandt – ich hatte mir gleich anfangs ein Brunnenglas gekauft,
-aber <em class="gesperrt">dasselbe</em> blieb jungfräulich – die Gemeinde war allerdings
-Besitzer des Bodens, <em class="gesperrt">derselbe</em> wurde aber nicht gemeinschaftlich
-bearbeitet – das Manuskript lag halbvergessen in einem Schubfache, bis
-mir die Anregung wurde, <em class="gesperrt">dasselbe</em> einer Zeitung zu überlassen
-– Versuche, den Verein zu verfolgen, werden <em class="gesperrt">demselben</em> nur
-neues Wachstum verleihen – der Inhaber hat die Karte stets bei
-sich zu führen und darf <em class="gesperrt">dieselbe</em> an andre Personen nicht
-weitergeben – der Nebensatz steht gewöhnlich hinter dem Hauptsatz,
-<em class="gesperrt">derselbe</em> kann jedoch auch dem Hauptsatz vorangehen, und endlich
-kann <em class="gesperrt">derselbe</em> auch in den Hauptsatz eingeschaltet sein usw. Kein
-vernünftiger Mensch spricht so; jeder braucht, um ein<span class="pagenum" id="Seite_228">[S. 228]</span> eben dagewesenes
-Hauptwort zu ersetzen, in der lebendigen Sprache das persönliche
-Fürwort.</p>
-
-<p>In folgenden Sätzen wäre <em class="gesperrt">dieser</em> (oder das demonstrative
-<em class="gesperrt">der</em>) das richtige: der Wildbach trat aus und wälzte große
-Schuttmassen in die Limmat; dadurch wurde <em class="gesperrt">dieselbe</em> in ihrem
-Laufe gehemmt – in Königsberg ließ Lenz seine Ode auf Kant drucken,
-als <em class="gesperrt">derselbe</em> die Professorwürde erlangte – in jeder Küche
-stand früher ein viereckiges Kästchen aus Blech; <em class="gesperrt">dasselbe</em>
-enthielt vier Gegenstände, unter anderm eine Masse, die man Zunder
-hieß; <em class="gesperrt">dieselbe</em> war hergestellt aus usw. – es finden sich in
-der Schrift bisweilen originelle Kombinationen; <em class="gesperrt">dieselben</em>
-sind aber doch völlig wertlos – freilich gehört Anlagekapital dazu,
-<em class="gesperrt">dasselbe</em> verzinst sich aber gut – für die lokale Feier sind
-entsprechende Festlichkeiten in Aussicht genommen; <em class="gesperrt">denselben</em>
-werden geistliche Festlichkeiten vorausgehen – das Ergebnis
-der Revolution wäre sicher nicht der sozialdemokratische Staat;
-<em class="gesperrt">derselbe</em> (<em class="gesperrt">dieser</em>!) verlangt eine solche Umwälzung aller
-Anschauungen, daß <em class="gesperrt">sich dieselbe</em> (<em class="gesperrt">sie sich</em>!) nicht von
-heute auf morgen vollziehen kann.</p>
-
-<p>Ein Zeitungschreiber kann heutzutage nicht eine Mitteilung von zwei
-Zeilen machen ohne dieses unsinnige <em class="gesperrt">derselbe</em>; erst wenn das
-darinsteht, hat die Sache die nötige Wichtigkeit. Der Adjutant des
-Sultans ist hier eingetroffen; <em class="gesperrt">derselbe</em> überbrachte dem
-Großfürsten vier Pferde. Daß man nur ja nicht etwa denke, es habe
-sie ein andrer überbracht! nein nein, es war derselbe! Ach, und
-wenn nun erst noch die schöne Inversion dazukommt (der Verdacht
-lenkte sich sofort auf den wegen Nachlässigkeit bekannten Hausmann,
-<em class="gesperrt">und wurde derselbe</em> in einem Bodenraum erhängt aufgefunden),
-und wenn gar die Inversion nur zu dem Zweck angewandt wird, auch
-das herrliche <em class="gesperrt">derselbe</em> anbringen zu können (die Zigarren
-erheben sich weit über das gewöhnliche Niveau, <em class="gesperrt">und gehören
-dieselben</em> zu den besten usw.), oder wenn sich zu <em class="gesperrt">derselbe</em>
-noch ein <em class="gesperrt">daselbst</em>, <em class="gesperrt">dortselbst</em>, <em class="gesperrt">hierselbst</em> oder
-<em class="gesperrt">woselbst</em> gesellt (denn <em class="gesperrt">da</em>, <em class="gesperrt">dort</em>, <em class="gesperrt">hier</em>
-und <em class="gesperrt">wo</em> kennt der Zeitungschreiber auch<span class="pagenum" id="Seite_229">[S. 229]</span> nicht, das ist ihm
-viel zu simpel), dann schwillt die stolze Reporterbrust, er weiß, daß
-er seinen „bedeutsamen“ Mitteilungen die würdigste Form verliehen
-hat. Zur Resolution sprach bei Beginn der Sitzung der Abgeordnete
-T.; <em class="gesperrt">derselbe</em> erklärte sich gegen <em class="gesperrt">dieselbe</em> – der Ulan
-M. erhielt drei Tage Mittelarrest, weil <em class="gesperrt">derselbe</em> beim Appell
-sein Pferd schlecht vorführte, sodaß <em class="gesperrt">dasselbe</em> einen Kameraden
-auf den Fuß trat und <em class="gesperrt">denselben</em> verletzte – gestern abend ist
-der Herr Justizminister <em class="gesperrt">hierselbst</em> eingetroffen und im Hotel
-S. abgestiegen. <em class="gesperrt">Derselbe</em> begab sich heute morgen nach dem
-Amtsgerichtsgebäude, nahm <em class="gesperrt">dasselbe</em> eingehend in Augenschein und
-wohnte verschiedenen Verhandlungen <em class="gesperrt">daselbst</em> bei – heute wurde
-hier eine Windhose beobachtet; <em class="gesperrt">dieselbe</em> erfaßte einen Teil des
-auf der Wiese liegenden Heues und drehte <em class="gesperrt">dasselbe</em> turmhoch in
-die Luft, <em class="gesperrt">woselbst</em> es dann weiter geführt wurde – die Färbung
-der Kreuzotter ist nicht bestimmt anzugeben, da <em class="gesperrt">dieselbe</em> bei
-<em class="gesperrt">einunddemselben</em> (!) Individuum (!) wechselt und nach der Häutung
-meist heller erscheint als vor <em class="gesperrt">derselben</em>. Das sind Muster
-von Zeitungssätzen. Aber auch in wissenschaftlichen Werken und in
-Erzählungen, in Bekanntmachungen von Behörden und in Geschäftsanzeigen
-– überall verfolgt einen das entsetzliche Wort. Selbst in den kleinen
-Scherzgesprächen unter den Bildern der Fliegenden Blätter und in dem
-Dialog der neuesten Lustspiele ist man nicht mehr sicher davor. Man
-schnellt im Theater von seinem Sitz in die Höhe, wenn auf der Bühne so
-ein dummes <em class="gesperrt">derselbe</em> (für <em class="gesperrt">er</em>) gesprochen wird; aber weder
-der Schauspieler noch der Regisseur hat es bemerkt und beseitigt! Wie
-kommt es nur, liebe B. – heißt es auf einem Reklamebildchen –, daß
-deine Kinderchen stets so blühend und gesund sind, während die meinigen
-immer bleich und kränklich aussehen? – Wir genießen alle als tägliches
-Getränk Kakao von Hartwig und Vogel; <em class="gesperrt">derselbe</em> ist von anerkannt
-vorzüglicher Qualität, ergiebig und daher billig. Nein, so spricht die
-liebe B. nicht. Ein bekanntes Geschichtchen erzählt, daß der Lehrer in
-der Stunde gefragt habe: wieviel Elemente gibt es, und wie heißen<span class="pagenum" id="Seite_230">[S. 230]</span> sie?
-und der Schüler geantwortet habe: es gibt vier Elemente, und ich heiße
-Müller. Das war die Folge davon, daß sich der Lehrer so gewöhnlich
-ausgedrückt hatte! Warum hatte er nicht vornehm gefragt, wie unsre
-statistischen Formulare: und wie heißen <em class="gesperrt">dieselben</em>!</p>
-
-<p>Ein Hochgenuß für den Leser ist es, wenn, wie es tausendfach geschieht,
-beide in einem Satz unmittelbar nebeneinander stehen, die herrlichen
-Papierpronomina: <em class="gesperrt">derselbe</em> (statt <em class="gesperrt">er</em>) und <em class="gesperrt">welcher</em>
-(statt <em class="gesperrt">der</em>)! Zum Verständnis des Parzival ist es nötig,
-die beiden Sagenkreise, <em class="gesperrt">welche demselben</em> (<em class="gesperrt">die ihm</em>!)
-zugrunde liegen, kennen zu lernen – in Hyrtls Hause befindet sich der
-fragliche Schädel (Mozarts), und der Besitzer, <em class="gesperrt">welcher denselben</em>
-(<em class="gesperrt">der ihn</em>!) der Stadt Salzburg vermacht hat, zweifelt nicht
-an der Echtheit <em class="gesperrt">desselben</em> – Reiskes Briefe kamen in die
-Universitätsbibliothek zu Leiden; es sind aufrichtige Verehrer gewesen,
-<em class="gesperrt">welche dieselben</em> (<em class="gesperrt">die sie</em>!) jener Bibliothek schenkten,
-und sie werden <em class="gesperrt">in derselben</em> als ein Schatz geachtet – das
-erwähnte Statut und die Bulle, <em class="gesperrt">welche dasselbe</em> (<em class="gesperrt">die es</em>!)
-sanktioniert hatte – bezeichnend für den Geschmack der Direktion
-und die Zumutungen, <em class="gesperrt">welche dieselbe</em> (<em class="gesperrt">die sie</em>!) an das
-Publikum zu stellen wagt – was für Forderungen an die Gebildeten
-gestellt werden, wird je nach dem Zeitalter, <em class="gesperrt">welchem dieselben</em>
-(<em class="gesperrt">dem sie</em>!) angehören, verschieden sein – die farbige Aufnahme
-des Fensters verdanken wir Herrn E., <em class="gesperrt">welcher dasselbe</em> (<em class="gesperrt">der
-es</em>!) restauriert hat – wer spricht so? Kein Mensch. Aber sowie der
-Deutsche die Feder in die Tinte taucht, fährt ihm der Registrator oder
-der Kanzlist in die Glieder. Im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert
-sind Tausende der wichtigsten Urkunden angefangen worden: Wir tun kund
-mit diesem Brief allen <em class="gesperrt">denen, die ihn</em> sehen oder hören lesen.
-Heute in einem Ehrenbürgerbriefe zu schreiben: Wir ernennen Herrn
-X. <em class="gesperrt">wegen</em> der großen Verdienste, <em class="gesperrt">die er sich</em> um unsre
-Stadt erworben hat usw. – das wäre ja im höchsten Grade würdelos, so
-spricht man wohl, aber so schreibt man doch nicht! Wir ernennen Herrn
-<em class="gesperrt">in Anbetracht</em> der großen Verdienste, <em class="gesperrt">welche derselbe</em> um
-unsre Stadt <em class="gesperrt">sich</em> erworben<span class="pagenum" id="Seite_231">[S. 231]</span> hat usw. – so klingt es großartig,
-feierlich, erhaben! Kaiser Friedrich soll als Kronprinz 1859 zu einer
-Deputation gesagt haben: Wenn Gott meinen Sohn am Leben erhält, so wird
-es unsre schönste Aufgabe sein, <em class="gesperrt">denselben</em> in den Gesinnungen und
-Gefühlen zu erziehen, <em class="gesperrt">welche</em> mich an das Vaterland ketten. Man
-kann darauf schwören, daß er nicht so gesagt hat, sondern: <em class="gesperrt">ihn</em>
-in den Gesinnungen und Gefühlen zu erziehen, <em class="gesperrt">die</em> mich an das
-Vaterland ketten. Aber der Zeitungschreiber hat das natürlich erst aus
-dem Menschlichen ins Papierne übersetzen müssen. In der Poesie ist
-<em class="gesperrt">derselbe</em> noch viel unmöglicher als <em class="gesperrt">welcher</em>. Nur in dem
-alten Studentenliede <span class="antiqua">Ça ça</span> geschmauset! heißt es:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Knaster den gelben</div>
- <div class="verse indent0">Hat uns Apolda präpariert</div>
- <div class="verse indent0">Und uns <em class="gesperrt">denselben</em></div>
- <div class="verse indent0">Rekommandiert.</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Darin_daraus_daran_darauf_usw">Darin, daraus, daran, darauf usw.</h3>
-
-</div>
-
-<p>Es sind ja aber nicht bloß die Fürwörter <em class="gesperrt">er</em> und <em class="gesperrt">dieser</em>
-(oder <em class="gesperrt">der</em>), die durch den unsinnigen Mißbrauch verdrängt und
-vermengt werden; er – wollte sagen „derselbe“ frißt noch weiter, viel
-weiter. In der lebendigen Sprache haben wir die leichten, zierlichen
-Adverbia: <em class="gesperrt">darin</em>, <em class="gesperrt">daraus</em>, <em class="gesperrt">daran</em>, <em class="gesperrt">darauf</em>,
-<em class="gesperrt">dabei</em>, <em class="gesperrt">davor</em>, <em class="gesperrt">dahinter</em>, <em class="gesperrt">damit</em>,
-<em class="gesperrt">darum</em>, <em class="gesperrt">dafür</em>, <em class="gesperrt">dazwischen</em> usw.; jeder braucht
-sie hundertmal des Tags. Aber sowie einer die Feder ergreift – wehe
-den armen! Dann heißt es: <em class="gesperrt">in demselben</em>, <em class="gesperrt">aus demselben</em>,
-<em class="gesperrt">an demselben</em>, <em class="gesperrt">auf demselben</em>, <em class="gesperrt">mit demselben</em>,
-<em class="gesperrt">bei demselben</em>, <em class="gesperrt">zwischen denselben</em> usw. – auch in
-dieser Gestalt storcht das langbeinige Ungetüm überall durch unsre
-Schriftsprache. Das Denkmal will alles Prunkvolle vermeiden, nur
-das allgemein Menschliche soll <em class="gesperrt">in demselben</em> (<em class="gesperrt">darin</em>!)
-betont werden – die Geistlichen hatten ihren eignen Predigtstuhl,
-und <em class="gesperrt">in demselben</em> (<em class="gesperrt">darin</em>!) jeder seinen bestimmten Platz
-– so sehr ich in diesem Punkte mit dem Verfasser einverstanden bin,
-so entschieden muß ich die Forderungen bekämpfen, die er <em class="gesperrt">aus
-demselben</em> (<em class="gesperrt">daraus</em>!) ableitet – sie betrachteten<span class="pagenum" id="Seite_232">[S. 232]</span> sich
-als die alleinigen Eigentümer des Landes und gestanden andern keinen
-Anteil <em class="gesperrt">an demselben</em> (<em class="gesperrt">daran</em>!) zu – obgleich durch
-den Regen der Abmarsch des Festzuges verspätet und die Beteiligung
-<em class="gesperrt">an demselben</em> (<em class="gesperrt">daran</em>!) beeinträchtigt wurde – die
-Entstellungen sind wirkungslos, ein unbefangner Beurteiler wird sich an
-<em class="gesperrt">dieselben</em> (<em class="gesperrt">daran</em>!) nicht kehren – im Jahre 1560 wurde
-der Turm erhöht und eine Wohnung <em class="gesperrt">auf demselben</em> (<em class="gesperrt">darauf</em>!)
-erbaut – die Wiesen waren wieder getrocknet, und bald entwickelte sich
-<em class="gesperrt">auf denselben</em> (<em class="gesperrt">darauf</em>!) ein üppiger Graswuchs – 1890
-reichte die Zahl an den Durchschnitt hinan, 1900 blieb sie <em class="gesperrt">hinter
-demselben</em> (<em class="gesperrt">dahinter</em>!) zurück – der Boden war überall von so
-wunderbarer Beschaffenheit, daß sich kaum die fruchtbarsten Gegenden
-Deutschlands <em class="gesperrt">mit demselben</em> (<em class="gesperrt">damit</em>!) vergleichen ließen
-– der Holzbau ist ein viel zu überwundner Standpunkt, als daß es der
-Mühe lohnte, sich in der Praxis <em class="gesperrt">mit demselben</em> (<em class="gesperrt">damit</em>!) zu
-befassen – die Erziehung des Knaben ruhte ausschließlich in den Händen
-der Mutter, da sich der Vater, der sich viel auf Reisen befand, nicht
-<em class="gesperrt">um dieselbe</em> (<em class="gesperrt">darum</em>!) kümmern konnte – hier bedarf es des
-Glaubens an die gute Sache und der Begeisterung <em class="gesperrt">für dieselbe</em>
-(<em class="gesperrt">dafür</em>!) – keinem kann dieses Studium erlassen werden, wohl
-aber bereitet sich <em class="gesperrt">für dasselbe</em> (<em class="gesperrt">dafür</em>!) ein neuer
-Maßstab vor – dieser Gedanke wurde am Mainzer Hofe lebhaft erwogen,
-der Kurfürst war ganz <em class="gesperrt">von demselben</em> (<em class="gesperrt">davon</em>!) erfüllt
-– die Fürstin wünschte lebhaft, das Bild zu besitzen, aber Angelika
-konnte sich <em class="gesperrt">von demselben</em> (<em class="gesperrt">davon</em>!) nicht trennen – in
-der Mitte des Schrankes hängt ein mächtiges, reich verziertes Schwert,
-<em class="gesperrt">neben demselben</em> (<em class="gesperrt">daneben</em>!) rechts und links zwei kleinere
-Schwerter – in diesem Graben fließt eine bedeutende Wassermenge,
-deshalb ist auch ein Steg <em class="gesperrt">über denselben</em> (<em class="gesperrt">darüber</em>!)
-gelegt – die Presse ist noch nicht einig, ob sie den Vorfall bedauern
-oder sich <em class="gesperrt">über denselben</em> (<em class="gesperrt">darüber</em>!) freuen soll –
-das Partizip steht hier absolut, ein Komma <em class="gesperrt">hinter demselben</em>
-(<em class="gesperrt">dahinter</em>!) würde nur irreführen usw. Anders wird gar nicht
-geschrieben.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_233">[S. 233]</span></p>
-
-<p>Nach einem weit verbreiteten Aberglauben sollen sich die Adverbia
-<em class="gesperrt">darin</em>, <em class="gesperrt">darauf</em>, <em class="gesperrt">dafür</em> usw. immer nur auf eine
-Handlung, ein Zeitwort, einen ganzen Satz, aber nie auf ein Hauptwort
-beziehen können. Es sei also zwar richtig, zu antworten: ich kann
-mich nicht <em class="gesperrt">darauf</em> besinnen – wenn gefragt worden sei:
-besinnst du dich, <em class="gesperrt">was du</em> mir damals <em class="gesperrt">versprochen hast</em>?
-aber nicht, wenn die Frage gelautet habe: besinnst du dich auf den
-<em class="gesperrt">Ausdruck</em>, den du damals gebraucht hast? Die angeführten
-Beispiele zeigen, wie lächerlich dieser Aberglaube ist. Die lebendige
-Sprache setzt die Adverbia überall statt der Präposition in Verbindung
-mit einem persönlichen Fürwort. Nur auf Personen können sie sich
-nicht beziehen, da muß das persönliche Fürwort stehen. Es gibt zwar
-Fälle, wo das Adverb auch bei Sachen etwas ungewöhnlich klingt,
-z.&#160;B.: wer die hiesigen Universitätsverhältnisse und mein Verhalten
-<em class="gesperrt">dazu</em> nicht kennt; aber das liegt nur daran, daß uns das dumme
-<em class="gesperrt">derselbe</em> so oft vor die Augen gebracht wird, daß uns schließlich
-das Einfache und Natürliche befremdet. Und was hindert denn, auch
-hier das persönliche Fürwort zu gebrauchen? Warum sagt man nicht: die
-hiesigen Universitätsverhältnisse und mein Verhalten <em class="gesperrt">zu ihnen</em>?
-Bei <em class="gesperrt">ohne</em> scheint sowieso nichts andres übrig zu bleiben, denn
-ein Adverb <em class="gesperrt">darohne</em> gibt es nicht, obwohl man es zu bilden
-versucht hat. Auch bei dem Neutrum es entsteht eine Schwierigkeit. Sie
-wollte sich durch das Geld Vorteile verschaffen, auf die sie <em class="gesperrt">ohne
-dasselbe</em> nicht rechnen konnte – hier ist doch wohl <em class="gesperrt">dasselbe</em>
-ganz unentbehrlich? Soll man schreiben: <em class="gesperrt">ohne es</em>? Jakob Grimm
-hätte es getan, er schrieb so, er wollte, daß es nicht anders behandelt
-würde als <em class="gesperrt">ihn</em> und <em class="gesperrt">sie</em>, und einige sind ihm darin gefolgt.
-Es klingt aber doch seltsam, denn <em class="gesperrt">es</em> ist gewöhnlich tonlos, und
-hier müßte es betont werden. Gibt es denn aber wirklich keinen Ersatz
-für das fehlende <em class="gesperrt">darohne</em>? Gewiß gibt es einen, und er heißt –
-<em class="gesperrt">sonst</em>! Sie wollte sich durch das Geld Vorteile verschaffen, auf
-die sie <em class="gesperrt">sonst</em> nicht rechnen konnte. Das ist gutes Deutsch.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_234">[S. 234]</span></p>
-
-<p>Bisweilen erscheinen in einem Satze zwei gleichklingende persönliche
-Fürwörter unmittelbar hintereinander, z.&#160;B. <em class="gesperrt">sie</em> als Femininum
-und als Plural: Handlungen dieser Art suchte die Gewerbeordnung zu
-unterdrücken, indem <em class="gesperrt">sie sie</em> verbot. Etwas schrecklicheres ist
-ja nun für die Augen des Papiermenschen nicht denkbar. Da muß es doch
-unbedingt heißen: indem <em class="gesperrt">sie dieselben</em> verbot? Nein, auch da
-nicht, denn man spricht nicht so, man spricht frischweg <em class="gesperrt">sie sie</em>,
-und was gesprochen und gehört nicht mißfällt, ja nicht einmal auffällt,
-kann doch auch geschrieben oder gedruckt keinen Anstoß erregen! Wenn
-sich in einer Schulklasse die Mädchen gezankt haben, zwei einer dritten
-ein Buch weggenommen haben, der Lehrer Frieden stiftet und dann fragt:
-habt <em class="gesperrt">ihr ihr ihr</em> Buch wiedergegeben? so ist das doch noch viel
-„schlimmer“. Aber wird der Lehrer deshalb fragen: habt <em class="gesperrt">ihr derselben
-ihr</em> Buch wiedergegeben?</p>
-
-<p>Der abhängige Genitiv endlich (<em class="gesperrt">desselben</em> und <em class="gesperrt">derselben</em>)
-kann überall durch <em class="gesperrt">sein</em> und <em class="gesperrt">ihr</em> ersetzt werden, denn
-daß diese Fürwörter nur im reflexiven Sinne gebraucht werden könnten,
-ist doch auch nur Aberglaube.<a id="FNAnker_109" href="#Fussnote_109" class="fnanchor">[109]</a> Als die Kaiserin das <em class="gesperrt">Schloß</em>
-besichtigt und die Schönheit <em class="gesperrt">desselben</em> bewundert hatte –
-warum nicht: <em class="gesperrt">seine</em> Schönheit? Die Sammlung ist so zeitgemäß,
-daß zur Rechtfertigung <em class="gesperrt">derselben</em> kein Wort zu verlieren ist –
-warum nicht: zu <em class="gesperrt">ihrer</em> Rechtfertigung? Freilich würden einige
-Geschäfte dann eingehen, da die ganze Bedeutung <em class="gesperrt">derselben</em> darin
-beruht usw. – warum nicht: <em class="gesperrt">ihre</em> ganze Bedeutung? Auch wer sich
-tief in die Eigentümlichkeiten der spanischen Dichtung versenkt hat
-und von der lebhaften Bewunderung für die Vorzüge <em class="gesperrt">derselben</em>
-durchdrungen ist – warum nicht: für <em class="gesperrt">ihre</em> Vorzüge? Wo eine
-Verwechslung, ein Mißverständnis entstehen könnte, da schreibe
-man <em class="gesperrt">dessen</em> und <em class="gesperrt">deren</em>, z.&#160;B.: es muß dem Biographen
-nachgerühmt werden, daß er bei aller Liebe zu <em class="gesperrt">seinem</em> Helden
-doch nicht blind für <em class="gesperrt">dessen</em> Schwächen ist. Aber nur nicht<span class="pagenum" id="Seite_235">[S. 235]</span>
-<em class="gesperrt">desselben</em>! In den allermeisten Fällen aber – man achte nur
-darauf und versuche es! – kann man den Genitiv einfach streichen,
-ohne daß der Gedanke im geringsten an Deutlichkeit verlöre. Nicht auf
-den Stoff kommt es an, sondern auf die Behandlung <em class="gesperrt">desselben</em>
-– über die Aufgaben waren alle einig, nur schlugen sie zur Lösung
-<em class="gesperrt">derselben</em> verschiedne Wege ein – die Erklärung des Parteitags
-fand so viel Beifall, daß sich die Führer <em class="gesperrt">desselben</em> ermutigt
-sahen – Gregor klagte, daß sie die Kirche zerstört und das Material
-<em class="gesperrt">derselben</em> zum Bau ihrer Häuser verwendet hätten – zu den
-Unregelmäßigkeiten in der äußern Anlage unsrer Dörfer kommt noch die
-Unregelmäßigkeit im innern Aufbau <em class="gesperrt">derselben</em> – die steilere
-Partie des Berges gehört dem weißen, die mäßig geneigten Ausläufer
-<em class="gesperrt">desselben</em> dem braunen Jura an – ich habe die Fachausdrücke
-des Deutschen und des Französischen miteinander verglichen und habe
-gefunden, daß die Mehrzahl <em class="gesperrt">derselben</em> übereinstimmt – nachdem
-die Gäste das Gasthaus verlassen hatten und die Wirtin <em class="gesperrt">desselben</em>
-die Tür verschlossen hatte – man streiche überall <em class="gesperrt">desselben</em>
-und <em class="gesperrt">derselben</em>: ist irgendwo ein Mißverständnis möglich? Der
-Kaiser unternahm heute einen längern Spazierritt und erledigte nach der
-Rückkehr <em class="gesperrt">von demselben</em> Regierungsgeschäfte. Ja, wovon soll er
-denn sonst zurückgekehrt sein als von – demselben?</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Derjenige_diejenige_dasjenige">Derjenige, diejenige, dasjenige</h3>
-
-</div>
-
-<p>Noch in anderm Sinne als <em class="gesperrt">derselbe</em> ist das schöne Kanzleiwort
-<em class="gesperrt">derjenige</em> ein Papierpronomen: es ist eigens für die
-Papiersprache erfunden worden. <em class="gesperrt">Derjenige</em> ist im sechzehnten
-Jahrhundert aus einem vorhergegangnen <em class="gesperrt">der jene</em> entstanden, wie
-<em class="gesperrt">derselbige</em>, das zum Glück wieder verschwunden ist, aus <em class="gesperrt">der
-selbe</em>. Es hat keinen andern Zweck und keine andre Aufgabe, als das
-betonte, lange <em class="gesperrt">der</em> der lebendigen Sprache, das determinative
-Fürwort, das vor Relativsätzen und vor abhängigen Genitiven steht,
-auf dem Papier zu ersetzen. Den Ton und die Länge kann man ja weder
-schreiben noch drucken, wenigstens ist es nicht üblich, <em class="gesperrt">dēr</em>
-oder <em class="gesperrt">dér</em><span class="pagenum" id="Seite_236">[S. 236]</span> zu schreiben<a id="FNAnker_110" href="#Fussnote_110" class="fnanchor">[110]</a>; also hilft man sich, so gut man
-kann. Der eine läßt das der sperren (wie auch <em class="gesperrt">ein</em>, wenn es
-so viel heißen soll wie <em class="gesperrt">ein einziger</em>), ein andrer greift zu
-<em class="gesperrt">jener</em>, wie es in Österreich beliebt ist, in der Regel aber
-schreibt und druckt man <em class="gesperrt">derjenige</em>. Wenn man spricht, sagt man
-zwar: als er endlich <em class="gesperrt">den</em> Weg einschlug, <em class="gesperrt">der</em> zum Ziele
-führen mußte; aber drucken läßt man: als er endlich <em class="gesperrt">denjenigen
-Weg</em> einschlug, <em class="gesperrt">welcher</em> zum Ziele führen mußte.</p>
-
-<p>Wenn aber nun <em class="gesperrt">derjenige</em> allein steht, ohne Hauptwort hinter
-sich, z.&#160;B.: selbst <em class="gesperrt">diejenigen, welche die</em> Schaffung eines
-allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches nicht ganz ablehnten – kein
-Scharfsinn hätte eine bessere Lösung finden können als <em class="gesperrt">diejenige,
-welche die</em> Verhältnisse zuletzt aufzwangen – die größten Menschen
-sind <em class="gesperrt">diejenigen, welche die</em> Kultur einer eben dahinsinkenden
-Epoche noch einmal zusammenfassend verkörpern – da ist es doch wohl
-ganz unentbehrlich? Nun, in der lebendigen Sprache sagt man getrost:
-selbst <em class="gesperrt">die, die die</em> Schaffung eines Gesetzbuches nicht ganz
-ablehnten – eine bessere Lösung als <em class="gesperrt">die, die die</em> Verhältnisse
-zuletzt aufzwangen. Aber das ist ja wieder das Schreckgespenst des
-Papiermenschen: nicht zwei-, nein dreimal hintereinander dasselbe
-Wort! – Wirklich? dasselbe Wort? Dreimal hintereinander dieselben
-drei Buchstaben: d–i–e; aber wer seine Ohren aufmacht, der hört doch
-drei verschiedne Wörter: <em class="gesperrt">dieh</em>, <em class="gesperrt">die di</em> – drei Wörter von
-ganz verschiedner Länge, und hinter dem ersten eine Pause. Das ist
-ja wie Musik, es hüpft und springt ja förmlich. Nun höre man dagegen
-dieses Schleppen und Schleichen und Schlurfen: <em class="gesperrt">diejenigen, welche
-die</em>!<a id="FNAnker_111" href="#Fussnote_111" class="fnanchor">[111]</a></p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_237">[S. 237]</span></p>
-
-<p>Nun vollends, daß in der lebendigen Sprache in tausend und aber tausend
-Fällen statt <em class="gesperrt">derjenige, welcher</em> einfach <em class="gesperrt">wer</em> gesagt wird
-– also drei Laute statt sechs Silben! –, das ist dem Papiermenschen
-völlig unbekannt. Er schreibt: <em class="gesperrt">diejenigen, welche</em> die Absicht
-haben, Adjuvanten zu werden, lassen sich als Anwärter einschreiben. Ja
-er wäre imstande, das Sprichwort: <em class="gesperrt">wer</em> Pech angreift, besudelt
-sich – oder den Kinderspruch: <em class="gesperrt">wer</em> meine Gans gestohlen hat,
-der ist ein Dieb – oder den Goethischen Vers: nur <em class="gesperrt">wer</em> die
-Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide – zu verwandeln in: <em class="gesperrt">derjenige,
-welcher</em> Pech angreift – <em class="gesperrt">derjenige, welcher</em> meine Gans
-gestohlen hat – nur <em class="gesperrt">derjenige, welcher</em> die Sehnsucht kennt usw.</p>
-
-<p>Leider liegt hier einmal der Fall vor, daß eine Erscheinung der
-Papiersprache sogar in die lebendige Sprache eingedrungen ist, was
-gewiß selten geschieht. Aktenmenschen und Gewohnheitsredner bringen
-es fertig, in Sitzungen und Verhandlungen in einer Stunde dreißigmal
-<em class="gesperrt">derjenige, welcher zu</em> sagen. Selbst in der Unterhaltung der
-„Gebildeten“ kann man es hören; sie haben es eben gar zu oft in
-ihrer Zeitung gelesen. Aber die lebendige Sprache des Volks kennt es
-nicht; wenn es der Mann aus dem Volke in den Mund nimmt, so tut er es
-höchstens, um sich darüber lustig zu machen, er spricht es gleichsam
-mit Gänsefüßchen. Also du bist <em class="gesperrt">derjenige, welcher</em>? fragt er
-höhnisch – na warte, Bursche! Oder er sagt: fällt mir gar nicht ein;
-wenn ein Unglück passiert, dann bin ich <em class="gesperrt">derjenige, welcher</em>
-(nämlich: blechen muß), und zitiert damit gleichsam das Gesetzbuch oder
-die Polizeiverordnung, worin er die beiden Papierwörter auf jeder Seite
-gelesen hat.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Jener_jene_jenes">Jener, jene, jenes</h3>
-
-</div>
-
-<p>Der Österreicher gebraucht statt <em class="gesperrt">derjenige</em> vor Relativsätzen,
-namentlich aber vor einem abhängigen Genitiv <em class="gesperrt">jener</em>; er schreibt:
-diese Vorlesungen haben nur einen bedingten Wert für <em class="gesperrt">jenen</em>, der
-selber Einsicht genug hat, Dichterwerke ohne Beihilfe zu verstehen.
-Das halten manche deutsche Schriftsteller jetzt offenbar für<span class="pagenum" id="Seite_238">[S. 238]</span> eine
-besondre Schönheit und machen es nach. In gutem Schriftdeutsch wird
-aber <em class="gesperrt">jener</em> nur in die Ferne weisend gebraucht, mit einem bald
-stärkern, bald schwächern rhetorischen Beigeschmack: wenn ich an
-<em class="gesperrt">jene schöne Zeit</em> zurückdenke usw.</p>
-
-<p>Ganz unausstehlich für norddeutsche Ohren ist das österreichische
-<em class="gesperrt">jener</em> vor einem abhängigen Genitiv, z.&#160;B.: der Orden der
-Dominikaner und <em class="gesperrt">jener</em> der Franziskaner – wir hoffen, daß sich
-die Ausstellung ebenso erfolgreich erweisen werde wie <em class="gesperrt">jene</em> von
-1897 – obgleich die Gesamtzahl ihrer Kräfte <em class="gesperrt">jener</em> des Feindes
-bedeutend nachstand – ein <span class="antiqua">Ecce homo</span> trägt das Monogramm Ludwig
-Krugs, eine Madonna <em class="gesperrt">jenes</em> des Marcantonio Raimondi – so
-auffallend erschien dem Tacitus die Art des deutschen Anbaues gegenüber
-<em class="gesperrt">jener</em> der romanischen Völker – größere Gebäude wie Kirchen
-und Seminare dürfen für die Gesellschaft Jesu nur mit Erlaubnis des
-Generals, kleinere mit <em class="gesperrt">jener</em> des Provinzials errichtet werden
-– unter den Dienstkrankheiten der Bahnbeamten nehmen <em class="gesperrt">jene</em> der
-Verdauungsorgane den breitesten Raum ein – man sucht die Farbe der
-Umhüllung meist <em class="gesperrt">jener</em> der Blumen anzupassen usw. In allen diesen
-Fällen würde die deutsche Amts- und Zeitungssprache <em class="gesperrt">derjenige</em>
-gebrauchen. Die gute Schriftsprache aber kennt vor solchen Genitiven
-nur das determinative Fürwort <em class="gesperrt">der</em>, <em class="gesperrt">die</em>, <em class="gesperrt">das</em>: die
-Leistungen der Fabriken stehen gegen <em class="gesperrt">die</em> des Handwerks zurück.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Zur_Kasuslehre">Zur Kasuslehre. Ich versichere dir oder dich?</h3>
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-</div>
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-<p>Verhältnismäßig wenig Verstöße werden gegen die Regeln der Kasuslehre
-begangen; im allgemeinen herrscht eine erfreuliche Sicherheit darüber,
-welchen Kasus ein Zeitwort oder ein Eigenschaftswort zu sich zu nehmen
-hat. Bei einer kleinen Anzahl von Zeitwörtern schwankt aber doch der
-Sprachgebrauch: der eine verbindet sie mit dem Dativ, der andre mit
-dem Akkusativ. Es sind das namentlich die Zeitwörter <em class="gesperrt">heißen</em>,
-<em class="gesperrt">lassen</em>, <em class="gesperrt">lehren</em>, <em class="gesperrt">angehen</em>, <em class="gesperrt">dünken</em>,
-<em class="gesperrt">kosten</em> und <em class="gesperrt">nachahmen</em>.</p>
-
-<p>Mit der berüchtigten Berliner Verwechslung von <em class="gesperrt">mir</em> und
-<em class="gesperrt">mich</em> hat dieses Schwanken nichts zu tun,<span class="pagenum" id="Seite_239">[S. 239]</span> sondern es hängt
-meist damit zusammen, daß in den Begriff dieser Verba sinnverwandte
-Zeitwörter hineinspielen, die teils mit dem Dativ, teils mit dem
-Akkusativ verbunden werden. Aber nur in den seltensten Fällen hat
-das Schwanken eine Berechtigung. Bei <em class="gesperrt">nachahmen</em> handelt sichs
-eigentlich nicht um ein Schwanken, sondern um zwei verschiedne
-Bedeutungen des Wortes: es ist ein großer Unterschied, ob man sagt:
-ich ahme <em class="gesperrt">dich</em> nach, oder ich ahme <em class="gesperrt">dir</em> nach. Mit dem
-Akkusativ bedeutet es <em class="gesperrt">nachmachen</em> (<em class="gesperrt">dich</em>), mit dem Dativ
-<em class="gesperrt">nachstreben</em> (<em class="gesperrt">dir</em>). Wenn Schüler <em class="gesperrt">dem</em> Lehrer
-nachahmen, so kann das sehr lobenswert sein; wenn sie <em class="gesperrt">den</em>
-Lehrer nachahmen, so kann ihnen das unter Umständen eine Stunde Karzer
-eintragen.<a id="FNAnker_112" href="#Fussnote_112" class="fnanchor">[112]</a> Schwer ist es, bei <em class="gesperrt">kosten</em> eine Entscheidung
-zu treffen; <em class="gesperrt">kosten</em> ist ein Lehnwort, entstanden aus dem
-lateinischen <span class="antiqua">constare</span>. Die Verbindung <span class="antiqua">constat mihi</span> ist
-aber gar nicht maßgebend, denn <em class="gesperrt">kosten</em> ist ursprünglich im
-Sinne von <em class="gesperrt">aufwenden machen</em> gebraucht worden. Der Akkusativ
-überwiegt denn auch in der guten Schriftsprache. Bei allen übrigen
-der genannten Verba hat der Dativ überhaupt keine Berechtigung.
-Sätze wie: laß <em class="gesperrt">mir</em> das einmal sehen – das geht <em class="gesperrt">dir</em>
-nichts an u.&#160;ähnl. gehören nur der niedrigsten Volkssprache an.
-<em class="gesperrt">Heißen</em> verträgt den Dativ der Person nur ausnahmsweise: wer
-hat <em class="gesperrt">dir das</em> geheißen? (wie: wer hat dir das <em class="gesperrt">geboten</em>,
-<em class="gesperrt">befohlen</em>, <em class="gesperrt">aufgetragen</em>?). Im allgemeinen verlangt es, wie
-<em class="gesperrt">lehren</em>, den Akkusativ der Person. Aber gerade für <em class="gesperrt">lehren</em>
-und <em class="gesperrt">heißen</em> verliert die ganze Frage mehr und mehr an Bedeutung,
-denn in der lebendigen Sprache werden diese Wörter überhaupt kaum noch
-in solcher Verbindung gebraucht. In Mitteldeutschland gebraucht das
-Volk <em class="gesperrt">lehren</em> mit einem Akkusativ der Person fast gar nicht mehr,
-sondern nur <em class="gesperrt">lernen</em>; man sagt nicht bloß: wo hast du <em class="gesperrt">das
-gelernt</em>? sondern auch: wer hat <em class="gesperrt">dir das gelernt</em>? Und<span class="pagenum" id="Seite_240">[S. 240]</span> auch
-wo man wirklich noch <em class="gesperrt">lehren</em> sagt, setzt man doch den Dativ der
-Person dazu. Bei Uhland heißt es noch richtig und sauber: Wer hat
-<em class="gesperrt">dich solche Streich’</em> gelehrt? Das Volk aber sagt: Ich werde
-<em class="gesperrt">dir Mores</em> lehren. Und in einem Bibelspruche wie: Herr, <em class="gesperrt">lehre
-uns bedenken</em>, daß wir sterben müssen – wo <em class="gesperrt">uns</em> natürlich der
-Akkusativ ist –, wird es sicherlich jetzt von den meisten als Dativ
-gefühlt.</p>
-
-<p>Ganz lächerlich ist die Unsicherheit und der Streit darüber, ob es
-heißen müsse: ich <em class="gesperrt">versichre dir</em> oder: ich <em class="gesperrt">versichre dich</em>,
-der Hut <em class="gesperrt">kleidet dich</em>, oder: er <em class="gesperrt">kleidet dir</em>, es <em class="gesperrt">lohnt
-der Mühe</em> oder: es <em class="gesperrt">lohnt die Mühe</em>. <em class="gesperrt">Versichern</em> ist
-unzweifelhaft ein transitives Zeitwort; man versichert sein Leben,
-seinen Hausrat, seine Ernte. Man kann auch sagen: ich <em class="gesperrt">versichre
-dich</em> meiner Freundschaft (Goethe: ich fahre fort, <em class="gesperrt">dich</em>
-meiner Liebe zu <em class="gesperrt">versichern</em>), wiewohl das schon etwas gesucht
-klingt. Aber zu sagen: ich <em class="gesperrt">versichre dich, daß</em> ich nichts davon
-gewußt habe – und das für richtig zu halten oder gar zu verteidigen,
-kann doch nur einem Sophisten einfallen oder einem Menschen, der
-wirklich – <em class="gesperrt">mir</em> und <em class="gesperrt">mich</em> nicht unterscheiden kann. Daß es
-schon im achtzehnten Jahrhundert so vorkommt, hat gar nichts zu sagen;
-der Akkusativ ist eben vernünftigerweise mehr und mehr gewichen. Wenn
-auf <em class="gesperrt">versichern</em> ein Objektsatz folgt, so ist doch der Inhalt
-dieses Satzes das Objekt der Versicherung; diese Versicherung aber gebe
-ich nicht <em class="gesperrt">dich</em>, sondern gebe sie <em class="gesperrt">dir</em>. <em class="gesperrt">Versichern</em>
-tritt dann vollständig in eine Reihe mit <em class="gesperrt">beteuern</em>,
-<em class="gesperrt">erklären</em>, <em class="gesperrt">sagen</em>, <em class="gesperrt">melden</em>, <em class="gesperrt">mitteilen</em>,
-<em class="gesperrt">berichten</em>,<a id="FNAnker_113" href="#Fussnote_113" class="fnanchor">[113]</a> lauter Zeitwörtern, die mit dem Dativ der Person
-und einem Objekt der Sache verbunden werden. Im Passivum fällt es gar
-niemand ein zu sagen: <em class="gesperrt">ich bin versichert<span class="pagenum" id="Seite_241">[S. 241]</span> worden, daß</em>, sondern
-jeder sagt: <em class="gesperrt">mir ist versichert worden, daß</em>. Also kann auch
-im Aktivum das richtige nur sein: <em class="gesperrt">ich versichre dir, daß</em> ich
-nichts davon gewußt habe. Wenn neuerdings namentlich in Kreisen, die
-für vornehm gelten möchten, mit einer gewissen Absichtlichkeit wieder
-der Akkusativ gebraucht wird (ich versichre <em class="gesperrt">Sie</em>), so ist das
-eine Modedummheit, durch die sich der gesunde Menschenverstand und ein
-natürliches Sprachgefühl nicht werden irremachen lassen.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Kleiden</em> mit dem Dativ zu verbinden wäre keinem Menschen
-eingefallen, wenn nicht die sinnverwandten intransitiven Zeitwörter
-<em class="gesperrt">passen</em>, <em class="gesperrt">sitzen</em> und <em class="gesperrt">stehen</em> dazu verführt hätten.
-Weil man sagt: der Hut <em class="gesperrt">paßt dir</em>, <em class="gesperrt">sitzt dir</em>, <em class="gesperrt">steht
-dir</em>, so sagte man auch: er <em class="gesperrt">kleidet dir</em>. Richtig ist
-natürlich nur: er <em class="gesperrt">kleidet dich</em>.</p>
-
-<p>In der Redensart: es <em class="gesperrt">lohnt der Mühe</em> (oder: es lohnt nicht der
-Mühe) ist <em class="gesperrt">der Mühe</em> gar nicht der Dativ, sondern der Genitiv
-(statt: <em class="gesperrt">für</em> die Mühe, <em class="gesperrt">wegen</em> der Mühe). Die Redensart hat
-etwa denselben Sinn wie: es ist <em class="gesperrt">der Mühe wert</em> (oder: es ist
-nicht der Mühe wert). Zu sagen: es <em class="gesperrt">lohnt</em> nicht <em class="gesperrt">die Mühe</em>
-– ist also nichts als eine Ausweichung aus Unwissenheit.</p>
-
-<p>Ganz unsinnig wird jetzt die Redensart <em class="gesperrt">sich Rats erholen</em>
-gebraucht, z.&#160;B. dort kannst du <em class="gesperrt">dir</em> am besten <em class="gesperrt">Rats
-erholen</em>! Das <em class="gesperrt">sich</em> in dieser Redensart ist ebenfalls nicht
-der Dativ, sondern der Akkusativ, <em class="gesperrt">Rats</em> ein frei angeschlossener
-Genitiv; es heißt: ich <em class="gesperrt">erhole mich Rates</em>. Noch Benedix schreibt
-1866 in den Zärtlichen Verwandten richtig: bei mir allein mußt du
-<em class="gesperrt">dich Rats erholen</em>. Der Fehler wird auch nicht besser, wenn man
-statt <em class="gesperrt">Rats</em> sagt <em class="gesperrt">Rat</em>: in Einzelheiten <em class="gesperrt">erholte ich
-mir Rat</em> bei besonders sachkundigen Personen, denn dann hat das
-<em class="gesperrt">er</em>holen gar keinen Sinn mehr; es genügt dann, zu sagen: <em class="gesperrt">hole
-dir</em> bei mir <em class="gesperrt">Rat</em>, so gut wie: hole dir bei mir Geld. Wenn man
-die Redensart nicht mehr versteht und nicht mehr richtig anzuwenden
-weiß, warum gebraucht man sie dann noch? (Vgl. auch <em class="gesperrt">dünken</em>
-<a href="#Seite_53">S. 53</a>.)</p>
-
-<p>Ein süddeutscher Provinzialismus ist es, <em class="gesperrt">verdenken</em> so wie
-<em class="gesperrt">beneiden</em> zu verbinden: wer kann <em class="gesperrt">ihn darum<span class="pagenum" id="Seite_242">[S. 242]</span> verdenken</em>? In
-gutem Deutsch wird es verbunden wie <em class="gesperrt">verargen</em>, <em class="gesperrt">verübeln</em>:
-ich kann <em class="gesperrt">dir das</em> nicht <em class="gesperrt">verdenken</em>.</p>
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-<div class="section">
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-<h3 id="auf_den_Fuss_getreten">Er hat mir oder er hat mich auf den Fuß getreten?</h3>
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-</div>
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-<p>Nicht ganz so lächerlich ist der Streit, ob es heißen müsse: er
-hat <em class="gesperrt">mir</em> oder er hat <em class="gesperrt">mich</em> auf den Fuß getreten. Jeder
-verbindet ohne Besinnen mit dem Akkusativ der Person: <em class="gesperrt">in den Finger
-schneiden</em>, <em class="gesperrt">ins Bein beißen</em>, <em class="gesperrt">aufs Maul schlagen</em>,
-<em class="gesperrt">auf die Stirn küssen</em> (Luther: du wirst <em class="gesperrt">ihn in die Ferse
-stechen</em>). Jeder verbindet eben so sicher mit dem Dativ der Person:
-<em class="gesperrt">unter die Arme greifen</em>, <em class="gesperrt">auf die Finger sehen</em>, <em class="gesperrt">auf
-den Zahn fühlen</em>, <em class="gesperrt">auf die Schleppe treten.</em> Warum dort der
-Akkusativ und hier der Dativ? Was ist der Unterschied zwischen diesen
-beiden Gruppen von Redensarten? Worauf kommt es an?</p>
-
-<p>Zunächst ist klar, daß, wenn die Person im Akkusativ steht, zuerst
-die Person im ganzen als von einer Tätigkeit betroffen hingestellt
-wird, und dann noch nachträglich der einzelne betroffne Körperteil
-hinzugefügt wird. Steht die Person im Dativ, so wird der betroffne
-Körperteil in den Vordergrund gerückt und die Person mehr als
-beteiligt, in Mitleidenschaft gezogen, nicht als unmittelbar betroffen
-hingestellt. Das paßt nun zu den mitgeteilten Beispielen vortrefflich.
-Wird jemand nur auf ein Kleidungsstück getreten, so wird sein Körper
-gar nicht davon berührt; alle andern Redensarten der zweiten Gruppe
-aber sind bildliche Wendungen, bei denen ebenfalls kein wirkliches,
-leibliches Angreifen, Ansehen, Anfühlen gemeint ist. So wird es
-nun auch leicht verständlich, warum man wohl sagt: er hat <em class="gesperrt">mich
-ins Gesicht geschlagen</em>, aber: das <em class="gesperrt">schlägt der Wahrheit ins
-Gesicht</em> – der Mörder hatte <em class="gesperrt">ihn mitten ins Herz gestochen</em>,
-aber: deine Klagen <em class="gesperrt">schneiden mir ins Herz</em> – der Schmied hat
-<em class="gesperrt">das Pferd auf den Schenkel gebrannt</em>, aber: solange nicht
-<em class="gesperrt">dem deutschen Michel</em> die <em class="gesperrt">Not auf die Nägel brennt</em> – du
-hast <em class="gesperrt">mich</em> mit deinem Stock ins <em class="gesperrt">Auge gestochen</em>, aber:
-am Schaufenster <em class="gesperrt">stach mir</em> ein schöner Brillantschmuck <em class="gesperrt">ins
-Auge</em>. Erschöpft wird die<span class="pagenum" id="Seite_243">[S. 243]</span> Sache mit dieser Unterscheidung zwar
-nicht, aber man kann sich, wenn man sie sich vor Augen hält, auch in
-andern Fällen leicht klarmachen, weshalb die Sprache hier den Dativ,
-dort den Akkusativ vorzieht oder vorziehen – sollte, weshalb man also
-z.&#160;B. sagt: <em class="gesperrt">seinem Freund auf die Schulter klopfen</em> (obwohl das
-doch wirklich und nicht bildlich geschieht). Bisweilen bedeutet der
-Akkusativ der Person mehr das Absichtliche: weshalb <em class="gesperrt">trittst du
-mich</em> denn <em class="gesperrt">auf den Fuß</em>? der Dativ mehr das Unabsichtliche:
-<em class="gesperrt">mir</em> hat vorhin einer <em class="gesperrt">auf den Fuß getreten</em>, das tut mir
-jetzt noch weh.</p>
-
-<div class="section">
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-<h3 id="Zur_Steuerung_des_Notstandes">Zur Steuerung des Notstandes</h3>
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-</div>
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-<p>Ein persönliches Passivum kann natürlich nur von solchen Zeitwörtern
-gebildet werden, die ein direktes Objekt (im Akkusativ) zu sich nehmen:
-ich <em class="gesperrt">bestreite die Nachricht</em> – <em class="gesperrt">die Nachricht wird</em> von
-mir <em class="gesperrt">bestritten</em>. Von Zeitwörtern, die ein indirektes Objekt
-(im Dativ) haben, läßt sich nur ein unpersönliches Passivum bilden:
-ich <em class="gesperrt">widerspreche der Behauptung</em> – <em class="gesperrt">der Behauptung</em>
-(nicht: <em class="gesperrt">die Behauptung</em>!) wird <em class="gesperrt">von mir widersprochen</em>.
-Daher ist es falsch, so, wie es unsre Zeitungen jetzt täglich
-tun, von <em class="gesperrt">unwidersprochnen</em> Nachrichten zu reden, oder zu
-sagen wie unsre Reichstagsabgeordneten: dieser Artikel darf nicht
-<em class="gesperrt">unwidersprochen</em> bleiben, diese Äußerung möchte ich nicht
-<em class="gesperrt">unwidersprochen</em> ins Land gehen lassen. <em class="gesperrt">Unwiderlegt</em> –
-das wäre richtig, und aufs Widerlegen kommts doch wohl auch viel mehr
-an als aufs Widersprechen. Ebenso falsch sind <em class="gesperrt">bedankt</em> und
-<em class="gesperrt">unbedankt</em> (nun sei <em class="gesperrt">bedankt</em>, mein lieber Schwan! – der
-Vorstand kann Sie an diesem Tage nicht <em class="gesperrt">unbedankt</em> hinweggehen
-lassen); denn es heißt nicht: <em class="gesperrt">ich danke dich</em>, sondern ich
-<em class="gesperrt">danke dir</em>, oder: ich <em class="gesperrt">bedanke mich bei dir</em>.<a id="FNAnker_114" href="#Fussnote_114" class="fnanchor">[114]</a></p>
-
-<p>Ebenso kann natürlich ein Objektsgenitiv nur an solche
-Verbalsubstantiva gehängt werden, die aus Zeitwörtern mit direktem
-Objekt gebildet sind. Falsch und liederlich ist es, zu schreiben:
-die <em class="gesperrt">Kündigung der<span class="pagenum" id="Seite_244">[S. 244]</span> Arbeiter</em> (wenn nicht gemeint ist, daß
-die Arbeiter kündigen, sondern daß <em class="gesperrt">den Arbeitern gekündigt
-wird</em>), ebenso falsch: zur <em class="gesperrt">Steuerung</em> oder zur <em class="gesperrt">Abhilfe
-des Notstandes</em> – sie war zur <em class="gesperrt">Hilfeleistung ihrer</em> Mutter
-anwesend – denn <em class="gesperrt">gesteuert</em> oder <em class="gesperrt">abgeholfen</em> wird
-<em class="gesperrt">dem</em> Notstande, nicht <em class="gesperrt">der</em> Notstand.</p>
-
-<div class="section">
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-<h3 id="Voller_Menschen">Voller Menschen</h3>
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-</div>
-
-<p>Das Adjektivum <em class="gesperrt">voll</em> verbindet wohl jeder richtig mit dem
-Genitiv oder, je nachdem, mit der Präposition <em class="gesperrt">von</em>, z.&#160;B.: die
-Straßen waren <em class="gesperrt">voll geputzter Menschen</em> – er war <em class="gesperrt">deines
-Lobes voll</em> – das ganze Haus war <em class="gesperrt">voll von Altertümern</em> und
-<em class="gesperrt">Merkwürdigkeiten</em>. Daneben ist noch üblich, das Substantiv
-gänzlich unflektiert zu <em class="gesperrt">voll</em> zu setzen: <em class="gesperrt">voll Blut, voll
-Rauch, voll Zorn, voll Haß, voll Verlangen</em> usw. Das ist eigentlich
-ein Fehler, aber einer, der nicht mehr gefühlt wird. Wenn man <em class="gesperrt">voll
-Liebe</em> sagte, so meinte man natürlich ursprünglich auch den Genitiv.
-Da dieser aber beim Femininum nicht erkennbar war, verdunkelte sich
-allmählich das Gefühl dafür, und so ging er auch bei männlichen und
-sächlichen Substantiven verloren. Auf dieselbe Weise sind ja auch
-Verbindungen entstanden wie: <em class="gesperrt">ein Stück Brot, ein Glas Wein</em>.</p>
-
-<p>Nun aber <em class="gesperrt">voller</em> – wie stehts damit? Im Volksmund ist es
-ganz gang und gäbe, auch unsre besten Schriftsteller haben es oft
-geschrieben, aber heute getraut man sichs doch nicht mehr so recht,
-weil man so gelehrt geworden ist, daß man immer grübelt, ob man wohl so
-sagen dürfe oder nicht, aber nicht gelehrt genug, die Zweifel wieder zu
-bannen. Die Kirche war <em class="gesperrt">voller Menschen</em> – der Kerl ist <em class="gesperrt">voller
-Neid</em> – der Garten ist <em class="gesperrt">voller Unkraut</em> – der Himmel hängt
-ihm <em class="gesperrt">voller Geigen</em> – der Junge steckt <em class="gesperrt">voller Schnurren</em>
-– darf man so schreiben? Ei, gewiß darf mans; jedermann, Hoch und
-Niedrig, spricht so, warum soll mans nicht schreiben dürfen?</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Voller</em> ist der erstarrte männliche Singular, der im Prädikat
-auf alle drei Geschlechter und auch auf den<span class="pagenum" id="Seite_245">[S. 245]</span> Plural übergegriffen
-hat (ganz ebenso wie <em class="gesperrt">selber</em> und ebenso wie <em class="gesperrt">selbst</em>, das
-nichts andres als das erstarrte Neutrum <em class="gesperrt">selbs</em> ist). Schon Luther
-scheint über diese merkwürdige Spracherscheinung nachgedacht zu haben,
-aber zu der Annahme gekommen zu sein, daß <em class="gesperrt">voller</em> aus <em class="gesperrt">voll
-der</em> entstanden sei; er gebraucht es gern, aber immer nur – vor dem
-Femininum und vor dem Plural. Auf keinen Fall hat die Bildung etwas
-niedriges an sich, im Gegenteil etwas trauliches, anheimelndes, und der
-guten Schriftsprache ist sie durchaus nicht unwürdig.<a id="FNAnker_115" href="#Fussnote_115" class="fnanchor">[115]</a></p>
-
-<div class="section">
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-<h3 id="Zahlwoerter_Erste_Kuenstler">Zahlwörter. Erste Künstler</h3>
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-</div>
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-<p>In dem Wesen und der Bedeutung des Superlativs liegt es begründet, daß
-er eigentlich nur den bestimmten Artikel haben kann: unter hundert
-Männern von verschiedner Größe ist einer <em class="gesperrt">der</em> größte. Sind drei
-von dieser Größe darunter, so sind diese drei <em class="gesperrt">die</em> größten.
-Dann ist aber einer von diesen dreien nicht <em class="gesperrt">ein größter</em> – das
-ist undeutsch! –, sondern <em class="gesperrt">einer der größten</em>. Darum ist es
-eine Abgeschmacktheit, zu schreiben: Lessings Andenken wird gepflegt
-wie <em class="gesperrt">eine seltenste</em> Blume im Treibhause – ein 45jähriger, der
-<em class="gesperrt">einer reifsten</em> Zukunft entgegenschreitet. Nur in der Mehrzahl
-kann man allenfalls, wie der Kaufmann, von <em class="gesperrt">billigsten Preisen</em>
-oder, wie der Philosoph, von <em class="gesperrt">kleinsten Teilen</em> reden.</p>
-
-<p>Ebenso abgeschmackt ist es, zu sagen: dieses Denkmal wird stets
-<em class="gesperrt">einen ersten</em> Rang behaupten – die Politik spielte in
-seinem ganzen Leben <em class="gesperrt">eine erste Rolle</em> – und von <em class="gesperrt">ersten
-Künstlern</em>, <em class="gesperrt">ersten Opernsängern</em> zu reden oder von <em class="gesperrt">ersten
-Firmen</em>, <em class="gesperrt">ersten Häusern</em>, wie es jetzt in den Anpreisungen
-der Geschäftsleute täglich geschieht. Gemeint ist weiter nichts als
-<em class="gesperrt">bedeutend</em>, <em class="gesperrt">hervorragend</em>, <em class="gesperrt">ausgezeichnet</em> – warum<span class="pagenum" id="Seite_246">[S. 246]</span>
-sagt man das nicht?<a id="FNAnker_116" href="#Fussnote_116" class="fnanchor">[116]</a> So ist es auch unlogisch, zu sagen: <em class="gesperrt">ein
-letzter</em> Wunsch des Verstorbnen, <em class="gesperrt">eine Hauptursache</em> des
-Erfolgs; sorgfältig ausgedrückt muß es heißen: <em class="gesperrt">einer der letzten</em>
-Wünsche, <em class="gesperrt">eine der Hauptursachen</em> des Erfolgs, denn auch die
-<em class="gesperrt">Hauptursache</em> ist ein superlativischer Begriff von derselben
-Bedeutung wie: die <em class="gesperrt">höchste</em>, die <em class="gesperrt">wichtigste</em> Ursache.</p>
-
-<p>Statt vom <em class="gesperrt">fünfzigsten</em> oder <em class="gesperrt">sechzigsten</em> Geburtstag
-redet man jetzt öfter vom <em class="gesperrt">fünfzigjährigen</em>: das Buch ist als
-Festschrift zum <em class="gesperrt">fünfzigjährigen Geburtstage</em> Max Klingers
-erschienen. Das ist völliger Unsinn. Von einem <em class="gesperrt">fünfzigjährigen</em>
-oder <em class="gesperrt">hundertjährigen Jubiläum</em> kann man reden, denn da feiert man
-den ganzen Zeitraum, mit dem Geburtstag aber nur den einzelnen Tag.</p>
-
-<p>Recht unfein klingt es, wie es in militärischen Kreisen üblich ist,
-hinter Personennamen die Kardinalzahl zu gebrauchen und von <em class="gesperrt">Fischer
-eins</em>, <em class="gesperrt">Meyer sieben</em> zu reden. Vielleicht – soll es unfein
-klingen. Oder wollen wir in Zukunft auch von <em class="gesperrt">Otto drei</em> und
-<em class="gesperrt">Heinrich acht</em> reden? Wie mag <em class="gesperrt">Wilhelm zwei</em> darüber denken?</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Die_Praepositionen">Die Präpositionen</h3>
-
-</div>
-
-<p>Eine grauenvolle Liederlichkeit hat in der niedrigen Geschäftssprache
-in der Behandlung der Präpositionen um sich gegriffen. Vor allem
-erscheint immer häufiger der Akkusativ hinter Präpositionen, die den
-Dativ verlangen. Schweinsknochen <em class="gesperrt">mit Klöße</em>, Spinat <em class="gesperrt">mit
-Eier</em>, Kotelette <em class="gesperrt">mit Steinpilze</em>, Sülze <em class="gesperrt">aus Kalbskopf</em>
-und <em class="gesperrt">Füße</em> – anders wird auf Leipziger Speisekarten kaum noch
-geschrieben. Das ist freilich Kellnerdeutsch, aber wen trifft die
-Schande für solche Sprachsudelei? Und ist es nicht eine Beleidigung
-der Gäste, wenn ihnen Wirte solches Schanddeutsch vorsetzen? Aber
-auch an Schaufenstern kann man lesen: Sohlen <em class="gesperrt">mit Absätze</em> –
-Neuvergoldung <em class="gesperrt">von Spiegel</em> – Verkauf<span class="pagenum" id="Seite_247">[S. 247]</span> <em class="gesperrt">von Zauberapparate</em>
-– Stühle werden <em class="gesperrt">mit Roßhaare</em> gepolstert – Regentropfen
-<em class="gesperrt">auf Hüte</em> werden sofort beseitigt – großes Lager <em class="gesperrt">in
-Regenmäntel</em> – Ausstellung <em class="gesperrt">in Damenstiefel</em>; Zeitungen
-schreiben: er wurde <em class="gesperrt">zu zwei Monate</em> Gefängnis verurteilt –
-und sogar Behörden machen bekannt: die Lieferung <em class="gesperrt">von</em> hundert
-Stück <em class="gesperrt">gebrauchte</em> Schwellen – das Abladen <em class="gesperrt">von</em> dreißig
-Kubikmeter <em class="gesperrt">Bruchsteine</em> – das Befahren dieses Weges <em class="gesperrt">mit
-Lastfuhrwerke</em> usw.<a id="FNAnker_117" href="#Fussnote_117" class="fnanchor">[117]</a></p>
-
-<p>In andern Fällen drängt sich auf ganz lächerliche Weise der Genitiv
-an die Stelle des Dativs. In Leipzig kann man von Halbgebildeten
-hören: <em class="gesperrt">unter meines Beiseins</em> – <em class="gesperrt">nach meines Erachtens</em>;
-aber auch Gebildete schreiben: <em class="gesperrt">dank dieses Umstands</em> –
-<em class="gesperrt">dank des</em> mir von allen Seiten entgegengebrachten ehrenvollen
-<em class="gesperrt">Vertrauens</em> – <em class="gesperrt">dank dieser Eindrücke</em> meiner Jugendzeit
-– <em class="gesperrt">dank seines</em> ins einzelste gehenden <em class="gesperrt">Verständnisses</em> –
-<em class="gesperrt">dank des</em> reichen und neuartigen <em class="gesperrt">Programms</em> – <em class="gesperrt">dank
-der Geschenke</em> der Offiziere und <em class="gesperrt">andrer</em> Zuwendungen. Wie in
-aller Welt ist eine solche Verirrung möglich? Man könnte glauben, den
-Leuten schwebe bei ihrem <em class="gesperrt">dank</em> mit dem Genitiv etwas ähnliches
-vor wie: <em class="gesperrt">kraft meines Amts</em>, <em class="gesperrt">laut deines Briefs</em>, <em class="gesperrt">statt
-eines Auftrags</em>; <em class="gesperrt">kraft</em>, <em class="gesperrt">laut</em> und <em class="gesperrt">statt</em> werden
-mit Recht mit dem Genitiv verbunden, denn ursprünglich hieß es:
-<em class="gesperrt">in Kraft</em> (oder: <em class="gesperrt">durch Kraft</em>), <em class="gesperrt">nach Laut</em>, <em class="gesperrt">an
-Statt</em>. Aber <em class="gesperrt">dank</em> ist doch einfach <em class="gesperrt">Dank</em>, es hat nie
-eine Präposition vor sich gehabt, es verlangt also auch unbedingt
-den Dativ: <em class="gesperrt">dank deinem Fleiße</em>, <em class="gesperrt">dank deinen Bemühungen</em>
-ist es gelungen usw. Die wunderlichen Beispiele: <em class="gesperrt">unter meines
-Beiseins</em> und <em class="gesperrt">nach meines Erachtens</em> zeigen, wie der falsche
-Genitiv zustande kommt: er entsteht durch Verwechslung des Dativs mit
-dem Genitiv im Femininum. <em class="gesperrt">Nach meiner Meinung</em>, <em class="gesperrt">unter<span class="pagenum" id="Seite_248">[S. 248]</span> meiner
-Mitwirkung</em>, <em class="gesperrt">dank deiner Bemühung</em> – das klingt den Leuten
-wie ein Genitiv, und so sagen sie nun auch fröhlich: <em class="gesperrt">dank dieses
-Umstands</em>. Man kann hier einmal die Entstehung einer Sprachdummheit
-an ihrer Quelle beobachten. Genau so ist es mit <em class="gesperrt">trotz</em> gegangen:
-da sind wir jetzt glücklich so weit, daß der richtige Dativ für
-einen Fehler und der falsche Genitiv für das Richtige erklärt wird.
-Vielleicht kommt es auch noch mit <em class="gesperrt">dank</em> dahin, und wenn wir
-uns rechte Mühe geben, auch mit <em class="gesperrt">nach</em>, <em class="gesperrt">unter</em> und –
-<em class="gesperrt">gemäß</em>; denn schon schreibt man auch: die Arbeiter sind <em class="gesperrt">gemäß
-ihres</em> Beschlusses heute früh wieder in der Fabrik erschienen.</p>
-
-<p>Die Redensart <em class="gesperrt">sich an etwas halten</em> – verlangt sie nach
-<em class="gesperrt">an</em> den Dativ oder den Akkusativ? In äußerlicher, sinnlicher
-Bedeutung unzweifelhaft den Dativ: man <em class="gesperrt">hält sich an einer Stange,
-an einem Seile</em> (an). In übertragner Bedeutung hat man früher
-geschwankt (Goethe: wer klug ist, wird sich <em class="gesperrt">am Zugänglichen</em>
-halten). Heute ist – unter dem Einflusse sinnverwandter Wendungen wie:
-<em class="gesperrt">sich wenden an, sich stützen auf</em>, <em class="gesperrt">sich verlassen auf</em> –
-nur noch der Akkusativ üblich: wenn er mich nicht bezahlt, so halte ich
-mich <em class="gesperrt">an dich</em> – ich halte mich lieber <em class="gesperrt">ans Gewisse</em> als
-<em class="gesperrt">ans Ungewisse</em>.</p>
-
-<p>Die allerneuesten Präpositionen sind <em class="gesperrt">ungerechnet</em> und
-<em class="gesperrt">unerwartet</em>. Sie werden beide mit dem Genitiv verbunden:
-<em class="gesperrt">unerwartet des Beitritts</em> andrer Eisenbahnverwaltungen –
-es hatten vierhundert Händler feil, <em class="gesperrt">ungerechnet derer</em>, die
-in den Höfen standen. Beide sind natürlich dem eben so schönen
-<em class="gesperrt">ungeachtet</em> nachgebildet, das schon älter ist: <em class="gesperrt">ungeachtet
-seines Widerspruchs</em>. Auch hier sieht man eine Sprachdummheit an der
-Quelle. Ursprünglich hieß es: <em class="gesperrt">ungeachtet seinen Widerspruch</em>; das
-war aber ein absolutes Partizip im Akkusativ.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Noerdlich_suedlich_rechts_links_unweit">Nördlich, südlich, rechts, links, unweit</h3>
-
-</div>
-
-<p>Alle Präpositionen sind ursprünglich einmal Adverbia gewesen.
-Auch die häßlichen, langatmigen Modepräpositionen unsrer Amts-
-und Zeitungssprache: <em class="gesperrt">anläßlich</em>, <em class="gesperrt">gelegentlich</em>,
-<em class="gesperrt">inhaltlich</em>, <em class="gesperrt">antwortlich</em>, was sind sie<span class="pagenum" id="Seite_249">[S. 249]</span> zunächst anders
-als Adverbia? Neuerdings soll nun aber noch eine Anzahl weiterer
-Adverbia mit aller Gewalt zu Präpositionen gepreßt werden, nämlich:
-<em class="gesperrt">rechts</em>, <em class="gesperrt">links</em>, <em class="gesperrt">nördlich</em>, <em class="gesperrt">südlich</em>,
-<em class="gesperrt">östlich</em>, <em class="gesperrt">westlich</em> und <em class="gesperrt">seitlich</em> (das letzte ein
-recht überflüssiges Wort). Niemand wird bestreiten, daß auch diese
-Wörter Adverbia sind. Um anzugeben, im Vergleich womit etwas rechts
-oder links, nördlich oder südlich sei, haben wir denn auch bis vor
-kurzem immer die Präposition <em class="gesperrt">von</em> zu Hilfe genommen und gesagt:
-<em class="gesperrt">rechts von</em> der Straße, <em class="gesperrt">nördlich von</em> den Alpen. Da haben
-nun offenbar manche Leute geglaubt, <em class="gesperrt">von</em> sei hier, wie so oft,
-eine bloße Umschreibung des Genitivs, und da sei es doch gescheiter,
-lieber gleich den Genitiv zu setzen. Und so hat sich denn immer mehr
-der Fehler verbreitet, zu schreiben: <em class="gesperrt">rechts</em> und <em class="gesperrt">links der
-Szene</em>, <em class="gesperrt">nördlich des Viktoriasees</em>, <em class="gesperrt">südlich der Kirche</em>,
-<em class="gesperrt">seitlich des Altars</em>, ja neuerdings sogar <em class="gesperrt">abseits aller
-Parteien</em> und <em class="gesperrt">ringsum des Marktes</em>. Namentlich Architekten,
-Techniker oder Geographen schreiben gar nicht mehr anders, aber
-auch der gebildete Philister am Biertisch sagt schon: Meißen liegt
-doch <em class="gesperrt">links der Elbe</em>. Ein Fehler ist es aber doch, wenigstens
-solange es noch Menschen gibt, die so altväterisch sind, zu glauben,
-<em class="gesperrt">rechts</em> und <em class="gesperrt">links</em>, <em class="gesperrt">nördlich</em> und <em class="gesperrt">südlich</em>
-seien Adverbia, und solange – die Schule ihre Schuldigkeit tut.</p>
-
-<p>Ebenso verhält sichs mit den verneinten Adverbien <em class="gesperrt">unfern</em> und
-<em class="gesperrt">unweit</em>. Auch sie können von Rechts wegen nur als Adverbia
-gebraucht werden: <em class="gesperrt">unweit von</em> dem Dorfe; aber auch sie hat man
-zu Präpositionen zu pressen gesucht, und weiß nun nicht, ob man sie
-mit dem Genitiv oder, wie das gleichbedeutende <em class="gesperrt">nahe</em>, mit dem
-Dativ verbinden soll; die einen schreiben: <em class="gesperrt">unfern des Bodensees</em>,
-<em class="gesperrt">unweit des Flusses</em>, andre: <em class="gesperrt">unfern dem Schlosse</em>,
-<em class="gesperrt">unweit dem Tore</em>. Und das hat wieder zur Folge gehabt, daß man
-sogar bei <em class="gesperrt">nahe</em> irre geworden ist und zu schreiben anfängt:
-<em class="gesperrt">nahe Leipzigs</em>! Auch <em class="gesperrt">nahe</em> ist keine Präposition, sondern
-ein Adverbium (<em class="gesperrt">nahe bei</em>, <em class="gesperrt">nahe an</em>), und als Adjektiv
-kann es unzweifelhaft nur den Dativ haben; <em class="gesperrt">unfern</em><span class="pagenum" id="Seite_250">[S. 250]</span> aber und
-<em class="gesperrt">unweit</em> könnte man sich doch ganz ersparen; sie sind gesucht (wie
-<em class="gesperrt">unschwer</em>; vgl. <a href="#Seite_273">S. 273</a>) und der lebendigen Sprache fremd.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Im_oder_in_dem">Im oder in dem? zum oder zu dem?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Große Unsicherheit herrscht darüber, in welchen Fällen der bestimmte
-Artikel mit der Präposition verschmolzen werden darf, und in welchen
-Fällen nicht, wann es also heißen darf: <em class="gesperrt">im</em>, <em class="gesperrt">vom</em>,
-<em class="gesperrt">zur</em>, <em class="gesperrt">aufs</em>, <em class="gesperrt">ins</em> (oder, wenn jemand ohne Apostroph
-nicht leben kann, <em class="gesperrt">auf’s</em>, <em class="gesperrt">in’s</em>, vielleicht auch
-<em class="gesperrt">i’m</em>, <em class="gesperrt">zu’r</em>?), und wann: <em class="gesperrt">in dem</em>, <em class="gesperrt">von dem</em>,
-<em class="gesperrt">auf das</em> usw. Dennoch ist die Sache sehr einfach und eigentlich
-selbstverständlich.</p>
-
-<p>Der bestimmte Artikel <em class="gesperrt">der</em>, <em class="gesperrt">die</em>, <em class="gesperrt">das</em> hat
-ursprünglich demonstrativen oder determinativen Sinn, er bedeutet
-dasselbe wie <em class="gesperrt">dieser</em>, <em class="gesperrt">diese</em>, <em class="gesperrt">dieses</em>, oder
-wie das schöne Kanzleiwort <em class="gesperrt">derjenige</em>, <em class="gesperrt">diejenige</em>,
-<em class="gesperrt">dasjenige</em>. In dieser Bedeutung wird er ja auch noch täglich
-gebraucht, er wird dann gedehnt gesprochen und betont: <em class="gesperrt">deer</em>,
-<em class="gesperrt">deem</em>, <em class="gesperrt">deen</em> (man nehme nur seine Ohren zu Hilfe, nicht
-immer bloß die Augen!), während er als bloßer Artikel unbetont bleibt
-und kurz gesprochen wird. Nun ist es doch klar, daß die Verschmelzung
-mit der Präposition nur da eintreten kann, wo wirklich der bloße
-Artikel vorliegt. Verschlungen oder verschluckt werden kann immer
-nur ein Wort, das keinen Ton hat. Es ist also richtig, zu sagen: du
-wirst schon noch <em class="gesperrt">zur Einsicht</em> kommen, wenn gemeint ist: zur
-Einsicht überhaupt, zur Einsicht schlechthin, oder: ich habe <em class="gesperrt">im
-guten Glauben</em> gehandelt. Sowie aber durch einen nachfolgenden
-Nebensatz eine bestimmte Einsicht, ein bestimmter guter Glaube
-bezeichnet wird, so ist eben so klar, daß dann der Artikel einen
-Rest seiner ursprünglichen demonstrativen oder determinativen Kraft
-bewahrt hat, und dann kann von einer Verschlingung mit der Präposition
-keine Rede sein. Es kann also nur heißen: als er nach Jahren <em class="gesperrt">zu
-der Einsicht</em> kam, <em class="gesperrt">daß</em> er nicht zum Künstler geboren sei
-– ich habe <em class="gesperrt">in dem guten Glauben</em> gehandelt, <em class="gesperrt">daß</em> ich
-in meinem Rechte wäre. Dennoch muß man fort und fort so fehlerhafte
-Sätze lesen wie: die Bauern kamen <em class="gesperrt">zum Bewußtsein,<span class="pagenum" id="Seite_251">[S. 251]</span> daß</em> sie auf
-weitere Schenkung von Grund und Boden nicht rechnen dürften – im
-<em class="gesperrt">Bewußtsein, daß</em> es der Reichshauptstadt an einem Mittelpunkte
-künstlerischer Bestrebungen <em class="gesperrt">fehle</em> – er kam <em class="gesperrt">zur Überzeugung,
-daß</em> alles Suchen vergeblich sei – die Vergleichung seiner
-Landsleute mit den Deutschen von ehemals führte Melanchthon <em class="gesperrt">zur
-Erklärung, daß</em> die Deutschen leider ihren Vorfahren unähnlich
-geworden seien – folgende Erwägung führt <em class="gesperrt">zur Vermutung, daß</em>
-die Ohnmacht Gretchens einem geschichtlichen Fall nachgebildet sei –
-vielleicht wird die praktische Beschäftigung <em class="gesperrt">zur Erkenntnis</em>
-gelangen, daß die Rückkehr zum historischen Ausgangspunkte geboten
-sei – er sah sich <em class="gesperrt">zum Geständnis</em> genötigt, <em class="gesperrt">daß</em> er sich
-getäuscht habe – das Komitee empfahl seinen Kandidaten im festen
-<em class="gesperrt">Vertrauen, daß</em> ein paar Schlagwörter genügen würden. In allen
-diesen Sätzen ist die Verschmelzung der Präposition mit dem Artikel
-ein grober Fehler. Es ist unbegreiflich, wie jemand dafür das Gefühl
-verlieren kann.</p>
-
-<p>Die nähere Bestimmung kann aber auch durch einen Infinitiv mit
-<em class="gesperrt">zu</em>, durch einen Relativsatz, durch ein Attribut ausgedrückt
-werden – auch dann darf der Artikel nicht verschlungen werden. Also
-auch folgende Sätze sind falsch: er stand <em class="gesperrt">im Rufe</em>, es mit der
-klerikalen Partei <em class="gesperrt">zu halten</em> – er starb <em class="gesperrt">im Bewußtsein</em>,
-die teuersten Güter des Vaterlandes verteidigt <em class="gesperrt">zu haben</em> –
-unter Eigentum verstehen wir die volle Herrschaft über eine Sache
-bis <em class="gesperrt">zur Befugnis</em>, sie <em class="gesperrt">zu vernichten</em> – er hielt <em class="gesperrt">am
-Gedanken</em> fest, <em class="gesperrt">sich</em> sobald als möglich von dieser Last
-<em class="gesperrt">zu befreien</em> – er stand <em class="gesperrt">im Verdacht</em>, einem verbotnen
-Verein <em class="gesperrt">anzugehören</em> – er wurde <em class="gesperrt">vom Verdacht</em>, ein
-preußischer Spion <em class="gesperrt">zu sein</em>, freigesprochen – er war <em class="gesperrt">vom
-reinsten Willen</em> erfüllt, Versöhnung mit Gott <em class="gesperrt">zu finden</em>
-– <em class="gesperrt">im Augenblick, wo</em> er mich sah – Goethe schlug den Hans
-Sachsischen Ton auch <em class="gesperrt">zur Zeit</em> an, <em class="gesperrt">wo</em> er sich sonst meist
-der neueren Formen bediente – er ist nicht sparsam <em class="gesperrt">im Lobe, das</em>
-den polnischen Pferden gebührt – <em class="gesperrt">im Deutschen, das</em> heute
-geschrieben wird (<em class="gesperrt">in dem Deutsch, das</em>!) – sie<span class="pagenum" id="Seite_252">[S. 252]</span> tranken fleißig
-<em class="gesperrt">vom Weine, der</em> auf der reichbesetzten Tafel stand – diese Arie
-gehört <em class="gesperrt">zum Besten, was</em> Verdi geschrieben hat – Vischer hat es
-nie <em class="gesperrt">zur Volkstümlichkeit Scheffels</em> gebracht – ein unbewachter
-Augenblick stürzte <em class="gesperrt">ihn vom Thron seiner Tugendgröße</em> – <em class="gesperrt">im
-Alter von</em> 60 Jahren – <em class="gesperrt">zum</em> ermäßigten <em class="gesperrt">Preise von</em> 15
-Mark – <em class="gesperrt">vom Streit um</em> Kleinigkeiten – <em class="gesperrt">im Bande über</em>
-Leibniz – <em class="gesperrt">im Essay über</em> Auerbach – <em class="gesperrt">im Hause</em> Berliner
-Straße Nr. 70 usw. <em class="gesperrt">Im Augenblicke</em> und <em class="gesperrt">zurzeit</em> können nur
-allein stehen, beides bedeutet dann soviel wie <em class="gesperrt">jetzt</em>; ebenso
-auch: <em class="gesperrt">im Alter</em>, <em class="gesperrt">im Hause</em>. Auch <em class="gesperrt">im Essay</em> kann
-nur allein stehen, der Essay wäre dann als Gattung etwa dem Roman
-gegenübergestellt: dergleichen kann man sich wohl <em class="gesperrt">im Roman</em>
-erlauben, aber nicht <em class="gesperrt">im Essay</em>; von einem bestimmten Essay aber
-kann es nur heißen: <em class="gesperrt">in dem Essay</em> über Auerbach. Ja es gibt sogar
-Fälle, wo gar kein Zusatz hinter dem Hauptwort zu stehen braucht und
-doch die Verschmelzung des Artikels mit der Präposition ein Fehler
-wäre: wenn nämlich nach dem ganzen Zusammenhange nicht das Ding an
-sich, sondern ein bestimmtes Ding gemeint ist. So ist z.&#160;B. falsch: die
-Beziehungen, in denen Otto Ludwig <em class="gesperrt">zur Stadt</em> und ihren Bewohnern
-stand – wenn Leipzig unter der Stadt gemeint ist; es muß heißen: <em class="gesperrt">zu
-der Stadt</em> und ihren Bewohnern. <em class="gesperrt">Zur Stadt</em> könnte nur im
-Gegensatz zum Lande gesagt sein.<a id="FNAnker_118" href="#Fussnote_118" class="fnanchor">[118]</a></p>
-
-<p>Eine Unsitte ist es daher auch, zu schreiben, wie es immer mehr Mode
-wird: <em class="gesperrt">im selben</em> Augenblick – die <em class="gesperrt">vom selben</em> Verlag
-ausgegebnen Kupferstiche – die<span class="pagenum" id="Seite_253">[S. 253]</span> Erfüllung dieser Aufgaben kann <em class="gesperrt">beim
-selben</em> Objekt verschieden erreicht werden. Wer sorgfältig schreiben
-will, kann nur schreiben: <em class="gesperrt">in demselben</em> Augenblick, <em class="gesperrt">von
-demselben</em> Verlag, <em class="gesperrt">bei demselben</em> Objekt.</p>
-
-<p>Wo wirklich der bloße Artikel vorliegt, da sollte aber auch nun überall
-die Verschmelzung vorgenommen werden; nicht bloß in der lebendigen
-Sprache – da fehlts ja nicht daran –, sondern auch auf dem Papier.
-Welche Ziererei, zu schreiben: Alle diese schönen Pläne sind <em class="gesperrt">in
-das</em> Wasser gefallen! Kein Mensch sagt: <em class="gesperrt">an das Land</em> steigen,
-der Kampf <em class="gesperrt">um das Dasein</em>, eine Anstalt <em class="gesperrt">in das Leben</em> rufen,
-einen Vorgang <em class="gesperrt">an das Licht</em> ziehen, einen <em class="gesperrt">hinter das Licht</em>
-führen, eine Sache <em class="gesperrt">über das Knie</em> brechen, <em class="gesperrt">in das Auge</em>
-fallen, einem <em class="gesperrt">in das Gesicht</em> sehen, etwas <em class="gesperrt">in das Werk</em>
-setzen, eine Sache <em class="gesperrt">in das Reine</em> bringen, sich <em class="gesperrt">auf das hohe
-Pferd</em> setzen, sich <em class="gesperrt">auf das beste</em>, <em class="gesperrt">auf das bequemste</em>
-einrichten, sondern: <em class="gesperrt">ans Land</em>, <em class="gesperrt">ums Dasein</em>, <em class="gesperrt">ins
-Leben</em>, <em class="gesperrt">ans Licht</em>, <em class="gesperrt">aufs beste</em>, <em class="gesperrt">aufs bequemste</em>
-(wie: <em class="gesperrt">aufs neue</em>). Also schreibe und drucke man auch so. Dagegen
-ist wieder falsch: sich <em class="gesperrt">aufs hohe Pferd des Sittenrichters</em>
-setzen – denn hier ist ein bestimmtes hohes Pferd gemeint. Ebenso ist
-zu unterscheiden: <em class="gesperrt">im öffentlichen Leben</em> eine Rolle spielen und:
-<em class="gesperrt">in dem öffentlichen Leben Deutschlands</em> eine Rolle spielen.</p>
-
-<p>Wenn von einer Präposition mehrere Substantiva abhängen und beim
-ersten die Präposition mit dem Artikel verschmolzen worden ist, so ist
-es sehr anstößig, bei den folgenden Substantiven den Artikel aus der
-Verschmelzung wieder herauszureißen und mit Weglassung der Präposition
-zu schreiben: in gewisser Entfernung <em class="gesperrt">vom</em> Brandplatz oder
-<em class="gesperrt">dem</em> Platze des sonstigen Unglücksfalles – von Platos realen
-Begriffen bis <em class="gesperrt">zur</em> Goldmacherkunst und <em class="gesperrt">der</em> Telepathie –
-Geschichte <em class="gesperrt">vom</em> braven Kasperl und <em class="gesperrt">dem</em> schönen Annerl
-(Brentano). Die Verschmelzung <em class="gesperrt">vom</em> wirkt im Sprachgefühl fort
-auf das folgende Wort: man hört also unwillkürlich: <em class="gesperrt">vom dem</em>
-Platze. In solchen Fällen ist es unbedingt nötig, entweder auch die
-Präposition zu wiederholen, also: in<span class="pagenum" id="Seite_254">[S. 254]</span> gewisser Entfernung <em class="gesperrt">vom</em>
-Brandplatz oder <em class="gesperrt">vom</em> Platze des sonstigen Unglücksfalles, oder
-von vornherein die Verschmelzung zu unterlassen und zu schreiben:
-<em class="gesperrt">von dem</em> Brandplatze oder <em class="gesperrt">dem</em> Platze des sonstigen
-Unglücksfalles. Ebenso verhält sichs bei der Apposition. Es ist eine
-Nachlässigkeit, zu schreiben: <em class="gesperrt">im</em> Süden, <em class="gesperrt">dem</em> taurischen
-Gouvernement – <em class="gesperrt">am</em> 12. Januar 1888, <em class="gesperrt">dem</em> dreihundertsten
-Geburtstage Riberas; auch bei der Apposition muß es wieder <em class="gesperrt">im</em>
-und <em class="gesperrt">am</em> heißen. Doppelt anstößig wird der Fehler, wenn die
-Substantiva im Geschlecht oder in der Zahl verschieden sind, z.&#160;B.
-<em class="gesperrt">im</em> Berliner Tageblatt und <em class="gesperrt">der</em> geistesverwandten Presse –
-das <em class="gesperrt">am</em> Ananias und <em class="gesperrt">der</em> Saphira vollzogne Strafwunder –
-die <em class="gesperrt">vom</em> Anarchismus und <em class="gesperrt">der</em> Sozialdemokratie drohenden
-Gefahren – von der Universität herab bis <em class="gesperrt">zur</em> Volksschule und
-<em class="gesperrt">dem</em> Kindergarten – das hängt <em class="gesperrt">vom</em> guten Willen und
-<em class="gesperrt">der</em> Zahlungsfähigkeit der Untertanen ab – Eingang <em class="gesperrt">zum</em>
-Garten und <em class="gesperrt">der</em> Kegelbahn. Auch hier muß überall die Präposition
-wiederholt werden. Der Gipfel der Nachlässigkeit ist es, die
-Wiederholung der Präposition dann zu unterlassen, wenn der bestimmte
-Artikel mit der artikellosen Form wechselt: z.&#160;B. <em class="gesperrt">zur</em> Annahme
-von Bestellungen und direkt<em class="gesperrt">er</em> Erledigung derselben; es muß
-heißen: <em class="gesperrt">zur</em> Annahme und <em class="gesperrt">zu</em> direkt<em class="gesperrt">er</em> Erledigung.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Aus_Die_Grenzboten">Aus: „Die Grenzboten“</h3>
-
-</div>
-
-<p>Zu den größten irdischen Freuden des Papiermenschen gehören die
-sogenannten Gänsefüßchen. Der Schulmeister, der auf Verständnis
-rechnen kann, wenn er dem Achtjährigen zum erstenmal in die Feder
-diktiert: der Vater fragte – Doppelpunkt – Gänsefüßchen unten –
-wo bist du gewesen, Max – Fragezeichen – Gänsefüßchen oben –, hat
-das stolze Gefühl, daß er seinen Zögling zu einer der wichtigsten
-Entwicklungsstufen seiner Geistesbildung emporgeführt habe. Aber
-nicht bloß Schulmeister und Schulknaben, auch andre Leute, z.&#160;B.
-Romanschriftsteller, haben an diesen Strichelchen eine kindische
-Freude; es gibt Romane, in denen man vor lauter Gänsefüßchen fast
-nichts vom Dialog sieht. Ein Hochgenuß beim Lesen<span class="pagenum" id="Seite_255">[S. 255]</span> ist es, wenn Er
-immer mit zweien („–“), Sie immer mit vieren („„–““) erscheint; dann
-flimmert es einem förmlich vor den Augen.</p>
-
-<p>Die Gänsefüßchen sind, wie der Apostroph (vgl. <a href="#Seite_8">S. 8</a>), eine jener
-nichtsnutzigen Spielereien, die – es steht nicht fest, ob durch den
-Schulmeister oder durch den Druckereikorrektor – eigens für die
-Papiersprache erfunden worden sind. Wenn jemand einen Roman vorliest,
-so kann er doch die Gänsefüßchen nicht mitlesen, und doch versteht ihn
-der Zuhörer. Wozu schreibt und druckt man sie also? Einen Zweck haben
-sie nur da, wo man Wörter oder Redensarten ironisch gebraucht (um sie
-lächerlich zu machen), oder wo man mitten in seine eigne Darstellung
-eine Stelle aus der Darstellung eines andern einflicht.<a id="FNAnker_119" href="#Fussnote_119" class="fnanchor">[119]</a> Aber auch
-da sind sie überflüssig, wenn diese Stelle in fremder Sprache oder in
-Versen ist, sich also schon durch die Schriftgattung (Antiqua, Kursiv,
-Petit) von dem übrigen Text genügend abhebt. Ebenso überflüssig aber
-und nichts als eine Spielerei sind sie bei Namen und bei Überschriften
-und Titeln von Büchern, Schauspielen, Opern, Gedichten usw. Wenn man
-sagt: der Kaiser hatte eine Reise <em class="gesperrt">auf der Hohenzollern</em> gemacht
-– so versteht das doch jedermann, und ebenso wenn man sagt: der
-Vers ist <em class="gesperrt">aus Goethes Iphigenie</em>. Manche Lehrer behaupten zwar,
-die Iphigenie ohne Gänsefüßchen sei die Person des Schauspiels, die
-Iphigenie mit Gänsefüßchen sei das Schauspiel selbst; kann man aber in
-der lebendigen Sprache diese Unterscheidung machen?</p>
-
-<p>Das ärgste aber ist es und eine der abgeschmacktesten Erscheinungen
-der Papiersprache, wenn Titel und Überschriften wie Versteinerungen
-behandelt werden, und geschrieben wird: die Redaktion <em class="gesperrt">des</em>
-„Wiener Fremden<em class="gesperrt">blatt</em>“, <em class="gesperrt">des</em> „Berliner Tage<em class="gesperrt">blatt</em>“
-und ebenso nach Präpositionen: Vorspiel <em class="gesperrt">zu</em> „<em class="gesperrt">Die</em>
-Meistersinger“ – Ouverture <em class="gesperrt">zu</em>: „<em class="gesperrt">Die</em> Fledermaus“ –
-einzelne Bilder<span class="pagenum" id="Seite_256">[S. 256]</span> <em class="gesperrt">aus</em> „<em class="gesperrt">Der</em> neue Pausias“ – Bemerkungen
-zu Goethes „<em class="gesperrt">Der</em> getreue Eckardt“ – erweiterter Separatabdruck
-<em class="gesperrt">aus</em> „<em class="gesperrt">Der</em> praktische Schulmann“ – diese Aufsätze haben
-zuerst <em class="gesperrt">in</em> „<em class="gesperrt">Die</em> Grenzboten“ gestanden usw. Jedermann
-sagt: ich bin gestern abend <em class="gesperrt">in der</em> Fledermaus gewesen, der Vers
-ist <em class="gesperrt">aus dem</em> Neuen Pausias, ich habe das <em class="gesperrt">im</em> Praktischen
-Schulmann gelesen, die Aufsätze haben <em class="gesperrt">in den</em> Grenzboten
-gestanden. Versteht man das nicht? Wenn mans aber mit den Ohren
-versteht, warum denn nicht mit den Augen?</p>
-
-<p>Einige Verlegenheit bereiten ja die jetzt so beliebten Zeitungs- und
-Büchertitel, die, anstatt aus einem Hauptwort, aus einer adverbiellen
-Bestimmung bestehen, wie: <em class="gesperrt">Aus unsern vier Wänden</em>, <em class="gesperrt">Vom Fels
-zum Meer</em>, <em class="gesperrt">Zur guten Stunde</em> u.&#160;ähnl. Jedes natürliche
-Sprachgefühl sträubt sich doch dagegen zu sagen: ich habe das <em class="gesperrt">in
-Vom</em> Fels zum Meer gelesen. Aber immer dazuzusetzen: in dem Buche,
-in der Zeitschrift – was schließlich das einzige Rettungsmittel ist –
-ist doch langweilig.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Nach_dort">Nach dort</h3>
-
-</div>
-
-<p>Statt <em class="gesperrt">hin</em> und <em class="gesperrt">her</em> schreiben unsre Kaufleute jetzt in
-ihren Geschäftsbriefen <em class="gesperrt">nach dort</em> und <em class="gesperrt">nach hier</em>: kommen
-Sie nicht in den nächsten Wochen einmal <em class="gesperrt">nach hier</em>? Wenn nicht,
-so komme ich vielleicht einmal <em class="gesperrt">nach dort</em>. Auch die Zeitungen
-berichten: Herr M. ist als Bauinspektor <em class="gesperrt">nach hier</em> versetzt
-worden. Und wenn ein paar Handlungsreisende bei kühlem Wetter in einem
-Biergarten sitzen, fragen sie sich sogar: Wollen wir uns nicht lieber
-<em class="gesperrt">nach drin</em> setzen? Diese neumodische schöne Ortsbestimmung ist
-freilich nicht ohne Beispiel: schon längst hat man zur Bezeichnung
-einer Richtung, statt die auf die Frage wohin? antwortenden
-Ortsadverbien zu gebrauchen, die Präposition <em class="gesperrt">nach</em> mit
-Ortsadverbien verbunden, die auf die Frage wo? antworten, z.&#160;B. <em class="gesperrt">nach
-vorn</em>, <em class="gesperrt">nach hinten</em>, <em class="gesperrt">nach oben</em>, <em class="gesperrt">nach unten</em>,
-statt: <em class="gesperrt">vor</em>, <em class="gesperrt">hinter</em>, <em class="gesperrt">hinauf</em>, <em class="gesperrt">herunter</em>.
-Auch Schiller sagt im Taucher: Doch es war mir zum Heil, er riß mich
-<em class="gesperrt">nach oben</em>. Und ebenso hat man auf die Frage woher? geantwortet:
-<em class="gesperrt">von vorn</em>, <em class="gesperrt">von hinten</em>, <em class="gesperrt">von oben</em>, <em class="gesperrt">von<span class="pagenum" id="Seite_257">[S. 257]</span> unten</em>,
-sogar <em class="gesperrt">von hier</em>, <em class="gesperrt">von dort</em>. Nur <em class="gesperrt">nach hier</em>, <em class="gesperrt">nach
-dort</em> und <em class="gesperrt">nach drin</em> hatte noch niemand zu sagen gewagt. Aber
-warum eigentlich nicht? Offenbar aus reiner Feigheit. Wir können also
-dem kaufmännischen Geschäftsstil für seinen sprachschöpferischen Mut
-nur dankbar sein. Schade, daß Goethe das Lied der Mignon nicht mehr
-ändern kann; das müßte doch nun auch am Schlusse heißen: <em class="gesperrt">nach dort,
-nach dort</em> möcht’ ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn!<a id="FNAnker_120" href="#Fussnote_120" class="fnanchor">[120]</a></p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Bis">Bis</h3>
-
-</div>
-
-<p>Viel Nachlässigkeiten und Dummheiten werden in den Zeitangaben
-begangen. Ein Ausdruck wie: <em class="gesperrt">vom 16. bis 18. Oktober</em> soll dabei
-noch nicht einmal angefochten werden, wiewohl, wer sorgfältig schreiben
-will, hinter <em class="gesperrt">bis</em> die Präposition nie weglassen, sondern
-schreiben wird: <em class="gesperrt">bis zum 18. Oktober</em>. Denn <em class="gesperrt">bis</em> ist zwar
-selbst eine Präposition, es ist aber auch eine Konjunktion, es ist
-ein Mittelding zwischen beiden, und bei Ortsbestimmungen verlangt es
-noch ein <em class="gesperrt">an</em>, <em class="gesperrt">auf</em>, <em class="gesperrt">in</em>, <em class="gesperrt">zu</em>, <em class="gesperrt">nach</em>, nur
-vor Städte- und Ländernamen kann es allein stehen, aber doch auch nur
-dann, wenn eine Strecke, eine Ausdehnung, aber nicht, wenn ein Ziel
-angegeben wird. Man kann also wohl sagen: <em class="gesperrt">bis morgen</em>, <em class="gesperrt">bis
-Montag</em>, <em class="gesperrt">bis Ostern</em>, sogar: <em class="gesperrt">bis nächste Woche</em>, auch
-<em class="gesperrt">bis Berlin</em>, aber nicht: <em class="gesperrt">bis Haus</em>, <em class="gesperrt">bis Tür</em>. Nur wer
-in den Straßenbahnwagen gestiegen ist, antwortet maulfaul auf die Frage
-des Schaffners: wie weit? <em class="gesperrt">Bis Kirche</em>. Eine ganz unzweifelhafte
-Nachlässigkeit aber ist es, zu schreiben: von Nikolaus I. <em class="gesperrt">bis
-Gregor VII</em>. Denn wie soll man das lesen? <em class="gesperrt">Bis</em> Gregor <em class="gesperrt">den
-Siebenten</em>? <em class="gesperrt">bis den</em>? Wenn das richtig wäre, dann könnte man
-auch sagen:<span class="pagenum" id="Seite_258">[S. 258]</span> wenn wir vom Großvater noch weiter zurückgehen <em class="gesperrt">bis den
-Urgroßvater</em>. Ebenso nachlässig ist es, zu schreiben: Ausgewählte
-Texte <em class="gesperrt">des 4. bis 15. Jahrhunderts</em>, deutsche Liederdichter
-<em class="gesperrt">des 12. bis 14. Jahrhunderts</em> oder mit einem Strich, den man
-bis lesen soll: <em class="gesperrt">des 12.-14. Jahrhunderts</em>,<a id="FNAnker_121" href="#Fussnote_121" class="fnanchor">[121]</a> Flugschriften
-<em class="gesperrt">des 16. bis 18. Jahrhunderts</em>, Kulturbilder aus <em class="gesperrt">dem 15.
-bis 18. Jahrhundert</em>. Da hört man erst den Singular <em class="gesperrt">des</em>,
-<em class="gesperrt">dem</em>, und dann kommen drei oder vier Jahrhunderte hinterher. Wie
-kann denn <em class="gesperrt">ein</em> Jahrhundert das 4. bis 15. sein! Und doch muß man
-den Fehler täglich lesen, oft gleich auf Titelblättern neuer Bücher.
-Wer sorgfältig schreiben will, wird schreiben: Flugschriften <em class="gesperrt">des
-16., des 17. und des 18. Jahrhunderts</em> – oder wenigstens: <em class="gesperrt">des
-16., 17. und 18. Jahrhunderts</em> – oder: <em class="gesperrt">aus der Zeit vom 16. bis
-zum 18. Jahrhundert</em>. Das ist zwar etwas umständlich, aber es geht
-nicht anders. Wir schrecken ja sonst vor umständlicher Ausdrucksweise
-nicht zurück, können uns oft gar nicht breit und umständlich genug
-ausdrücken. Warum denn gerade da, wo sie einmal angebracht ist?</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="In_1870">In 1870</h3>
-
-</div>
-
-<p>Wie mit <em class="gesperrt">nach hier</em> und <em class="gesperrt">nach dort</em>, verhält sichs auch
-mit <em class="gesperrt">in</em> 1870, das man neuerdings öfter lesen kann. Jede andre
-Präposition kann man so vor die Jahreszahl setzen, man kann sagen:
-<em class="gesperrt">vor</em> 1870, <em class="gesperrt">nach</em> 1870, <em class="gesperrt">bis</em> 1870 – aber nicht:
-<em class="gesperrt">in</em> 1870. Warum nicht? Weils nicht deutsch ist. Es ist eine
-willkürliche Nachäfferei des Französischen und des Englischen. Deutsch
-ist auf die Frage wann? entweder die bloße Jahreszahl ohne jede
-Präposition, oder: <em class="gesperrt">im Jahre</em> 1870.</p>
-
-<p>Bei den Angaben der Monate und der Jahreszeiten scheinen es manche
-jetzt für geistreich zu halten, <em class="gesperrt">in</em> ganz<span class="pagenum" id="Seite_259">[S. 259]</span> wegzulassen und zu
-schreiben: das geschah <em class="gesperrt">Dezember</em> 1774 – ich wurde <em class="gesperrt">Herbst</em>
-1874 immatrikuliert. Auch das ist undeutsch; die Monatsnamen wie die
-Namen der Jahreszeiten verlangen unbedingt die Präposition, denn bei
-ihnen ebenso wie bei dem ganzen Jahre hat man deutlich die Vorstellung
-eines Zeitraums, in dessen Innerm sich ein Ereignis zuträgt.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Alle_vier_Wochen">Alle vier Wochen oder aller vier Wochen?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Bei periodisch wiederkehrenden Handlungen antwortet auf die Frage: wie
-oft? der Genitiv von <em class="gesperrt">alle</em> mit einem Zahlwort, z.&#160;B.: <em class="gesperrt">aller
-vierzehn Tage</em>, <em class="gesperrt">aller vier Wochen</em>, <em class="gesperrt">aller zwei Stunden</em>,
-<em class="gesperrt">aller halben Jahre</em>, <em class="gesperrt">aller Vierteljahre</em>, <em class="gesperrt">aller
-hundert Jahre</em>, ja sogar ohne Zahlwort: <em class="gesperrt">aller Augenblicke</em>.
-Wenigstens in Mitteldeutschland, namentlich in Sachsen und Thüringen,
-ist dieser Genitiv allgemein, bei Hoch und Niedrig, im Gebrauch.
-Nicht bloß die Leipziger Straßenjugend spottete von der Leipziger
-Pferdebahn: und <em class="gesperrt">aller fünf Minuten</em>, da bleibt de Karre stehn
-– auch die gebildete Mutter sagt zu ihrem Kinde: bleib doch nicht
-<em class="gesperrt">aller zehn Schritte</em> stehen, oder: du bleibst <em class="gesperrt">ja aller drei
-Zeilen hängen</em>, oder: so was kommt nur <em class="gesperrt">aller Jubeljahre</em>
-einmal vor (wobei der Zahlbegriff in <em class="gesperrt">Jubel</em> steckt: 25, 50,
-100), ja sogar: komm doch nicht <em class="gesperrt">aller Nasen lang</em> gelaufen,
-oder: du störst mich <em class="gesperrt">aller Augenblicke</em>, und der Arzt schreibt
-auf das Rezept: <em class="gesperrt">aller zwei Stunden</em> einen Eßlöffel voll zu
-nehmen. Mit dem Akkusativ, wie er in Nord- und Süddeutschland üblich
-ist, erscheint uns nicht das Periodische, die Wiederkehr der Handlung
-in gleichen Zeitabständen, ausgedrückt. Wenn ich sage: das kann ich
-<em class="gesperrt">alle Augenblicke</em> tun, oder von einem geladnen Geschoß: geh
-zurück! es kann <em class="gesperrt">alle Augenblicke</em> losgehen, so heißt das nichts
-andres als: <em class="gesperrt">jeden Augenblick</em>, <em class="gesperrt">jederzeit</em>, <em class="gesperrt">sogleich</em>,
-<em class="gesperrt">sofort</em>. Sage ich dagegen: es blitzt <em class="gesperrt">aller Augenblicke</em>,
-so heißt das (natürlich mit einer starken Übertreibung): es blitzt
-in regelmäßigen Abständen von je einem Augenblick. Wenn sich jemand
-beklagt, er habe vierzehn Tage an einem langweiligen<span class="pagenum" id="Seite_260">[S. 260]</span> Badeorte sitzen
-müssen, so kann ich ihn fragen: bist du denn <em class="gesperrt">alle vierzehn Tage</em>
-dort gewesen? Das ist eine Zeitdauer, keine Wiederholung. Wenn sich
-aber die Landpfarrer in regelmäßigen Zwischenräumen von je vierzehn
-Tagen zu einer Konferenz in der Stadt zusammenfinden, so kommen sie
-nicht <em class="gesperrt">alle</em>, sonder <em class="gesperrt">aller vierzehn Tage</em>. Eine Berliner
-Zeitschrift verspricht ihren Lesern auf dem Umschlag <em class="gesperrt">alle sieben
-Tage</em> ein Heft. Sie hält aber ihr Versprechen nicht, denn sie bringt
-nur <em class="gesperrt">aller sieben Tage</em> eins. Wenn ich sage: ich reise <em class="gesperrt">alle
-Jahre</em> nach Italien, so kann ich das einemal im März, das andremal
-im Mai, das drittemal im Oktober reisen. Will ich dagegen sagen, daß
-ich die Reise in genauen Abständen von je einem Jahre mache, so würde
-ich zwar nicht sagen: <em class="gesperrt">aller Jahre</em> (das ist nicht gebräuchlich),
-wohl aber, wo es auf eine genaue Bestimmung einer periodisch
-wiederkehrenden Handlung ankommt: <em class="gesperrt">aller zwölf Monate</em>.<a id="FNAnker_122" href="#Fussnote_122" class="fnanchor">[122]</a></p>
-
-<p>Da es sich bei diesem eigentümlich gefärbten „distributiven“ Genitiv,
-wie man ihn treffend genannt hat, keineswegs um einen niedrigen
-Provinzialismus handelt, sondern um eine mundartliche Feinheit, deren
-das Norddeutsche wie das Süddeutsche entbehrt, so kann es uns niemand
-verdenken, wenn wir ihn nicht dem unklaren, doppelsinnigen Akkusativ
-zuliebe fallen lassen. Wir bleiben fest bei unserm <em class="gesperrt">aller vier
-Wochen</em>!</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Donnerstag_und_Donnerstags">Donnerstag und Donnerstags – nachmittag und
-nachmittags</h3>
-
-</div>
-
-<p>Auch auf die Frage: wann? muß bei periodisch wiederkehrenden
-Handlungen stets der Genitiv stehen. Auf die Frage: wann ist der
-Eintritt ins Museum frei? kann nur geantwortet werden: <em class="gesperrt">Montags
-und Donnerstags</em>, wenn damit gesagt sein soll, daß es<span class="pagenum" id="Seite_261">[S. 261]</span> jeden
-Montag und jeden Donnerstag so sei. Ebenso bezeichnet <em class="gesperrt">morgens</em>,
-<em class="gesperrt">mittags</em>, <em class="gesperrt">vormittags</em>, <em class="gesperrt">nachmittags</em>, <em class="gesperrt">abends</em>
-Handlungen, die jeden Morgen, jeden Mittag usw. geschehen. Die
-einmalige Handlung dagegen wird durch den Akkusativ ausgedrückt. Aber
-auch hier herrscht jetzt Verwirrung. Genitive wie <em class="gesperrt">Sonntags</em>,
-<em class="gesperrt">Montags</em> gelten jetzt lächerlicherweise manchen beim Schreiben
-für unfein, und umgekehrt drängt sich wieder der Genitiv dahin,
-wo er nicht hingehört. In der Umgangssprache wird er schon ganz
-anstandslos auch von einmaligen Handlungen gebraucht: kommst du
-<em class="gesperrt">mittags</em> zurück? Nein, ich komme erst <em class="gesperrt">abends</em> zurück.
-Es muß heißen: <em class="gesperrt">zu Mittag</em> und <em class="gesperrt">am Abend</em> oder mit dem
-bloßen Akkusativ: <em class="gesperrt">Mittag</em>, <em class="gesperrt">Abend</em>. Also: ich bin heute
-<em class="gesperrt">mittag</em> in Berlin, aber heute abend schon wieder in Leipzig;
-dagegen: ich bin <em class="gesperrt">mittags</em> stets in Berlin, <em class="gesperrt">abends</em> stets
-in Leipzig.<a id="FNAnker_123" href="#Fussnote_123" class="fnanchor">[123]</a> Ganz abscheulich ist es, zu schreiben: <em class="gesperrt">anfangs
-April</em>, <em class="gesperrt">anfangs Dezember</em>, <em class="gesperrt">anfangs der</em> fünfziger Jahre,
-<em class="gesperrt">anfangs der Spielzeit</em>, es muß unbedingt heißen: <em class="gesperrt">Anfang
-April</em>, <em class="gesperrt">Anfang Dezember</em>, wie <em class="gesperrt">Mitte Dezember</em>, <em class="gesperrt">Ende
-Dezember</em>. Auch <em class="gesperrt">Anfang</em>, <em class="gesperrt">Mitte</em>, <em class="gesperrt">Ende</em> sind
-hier Akkusative, <em class="gesperrt">Dezember</em> ein (natürlich schlechter!) Genitiv
-(vgl. <a href="#Seite_8">S. 8</a>). <em class="gesperrt">Anfangs</em> kann immer nur allein als Adverbium
-stehen, im Gegensatze zu <em class="gesperrt">dann</em>, <em class="gesperrt">später</em>, <em class="gesperrt">endlich</em>
-(<em class="gesperrt">anfangs</em> wollt ich fast verzagen).</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Drei_Monate">Drei Monate – durch drei Monate – während dreier Monate</h3>
-
-</div>
-
-<p>Ein widerwärtiger Mißbrauch, der aber auch neuerdings für vornehm
-gilt – natürlich! es klingt ja französisch –, ist der Gebrauch, auf
-die Frage: <em class="gesperrt">wie lange</em>? mit <em class="gesperrt">während</em> zu antworten: wir
-waren <em class="gesperrt">während dreier Monate</em> in der Schweiz – dieses Geräusch<span class="pagenum" id="Seite_262">[S. 262]</span>
-blieb <em class="gesperrt">während einiger Minuten</em> hörbar – man sprach <em class="gesperrt">während
-einiger Wochen</em> von nichts als von dieser Unternehmung – die
-Prüfungskommission, der Gottfried Kinkel <em class="gesperrt">während einer Reihe</em>
-von Jahren angehört hat – die Lehren, die <em class="gesperrt">während achtzehn
-Jahrhunderten</em> als die Grundlage rechtgläubigen Christentums
-angesehen worden sind – der Clavigo wurde <em class="gesperrt">während weniger Tage</em>
-in einem Gusse geschaffen – die Naturaldienste wurden nur <em class="gesperrt">während
-weniger Tage</em> im Jahre geleistet.</p>
-
-<p>Während kann nie auf die Frage: wielange? antworten, sondern immer
-nur auf die Frage: wann? Vielleicht ist es nicht allen Lesern in der
-Erinnerung, wie die Präposition <em class="gesperrt">während</em> entstanden ist. Noch
-im achtzehnten Jahrhundert schrieb man <em class="gesperrt">währendes Frühlings</em>,
-<em class="gesperrt">währendes Krieges</em>. Allmählich wurde dieser absolute Genitiv
-mißverstanden, eine Zeit lang wußte man nicht recht, ob man
-<em class="gesperrt">währendes</em> oder <em class="gesperrt">während des</em> hörte, und schließlich sprang
-der Partizipialstamm von der Endung ab und wurde – tatsächlich also
-durch ein Mißverständnis, durch eine Sprachdummheit – zu einer
-Präposition. Trotzdem erhielt sich bei richtiger Anwendung der
-ursprüngliche Sinn: es wird ein Vorgang zusammengestellt mit einem
-andern Vorgange, mit dem er entweder ganz oder teilweise zeitlich
-zusammenfällt; er lag <em class="gesperrt">während des Kriegs</em> im Lazarett –
-<em class="gesperrt">während des Vortrags</em> darf nicht geraucht werden – <em class="gesperrt">während
-des Gewitters</em> waren wir unter Dach und Fach. Der Krieg, der
-Vortrag, das Gewitter sind Vorgänge, Ereignisse. Aber ein Tag, ein
-Monat, ein Jahr, ein Jahrhundert sind bloße Zeitabschnitte oder
-Zeitmaße. Er lag <em class="gesperrt">während dreier Monate</em> im Lazarett – ist
-völliger Unsinn, denn drei Monate sind kein Ereignis, womit der
-Aufenthalt im Lazarett zeitlich verglichen würde, sondern sie bedeuten
-einfach die Zeitdauer; diese kann aber nur ausgedrückt werden durch
-den Akkusativ <em class="gesperrt">drei Monate</em> oder <em class="gesperrt">drei Monate lang</em>. Der
-Clavigo wurde nicht <em class="gesperrt">während weniger Tage</em>, sondern <em class="gesperrt">in wenigen
-Tagen</em> geschaffen. Aber kann man denn nicht sagen: <em class="gesperrt">während des
-Tags</em>? Gewiß kann man das; aber dann<span class="pagenum" id="Seite_263">[S. 263]</span> ist <em class="gesperrt">Tag</em> nicht als
-Zeitmaß gebraucht, sondern als Erscheinung der Nacht gegenübergestellt:
-<em class="gesperrt">während des Tags</em> scheint die Sonne. Die Sonne hat nur <em class="gesperrt">während
-eines Tags</em> geschienen – das ist Unsinn; die Sonne hat <em class="gesperrt">während
-meiner Ferien nur einen Tag</em> geschienen – das hat Sinn. Aber
-alle Romanschreiber und besonders alle Romanschreiberinnen spreizen
-sich jetzt mit diesem albernen, dem französischen <span class="antiqua">pendant</span>
-nachgeäfften Mißbrauch.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Durch fünfzehn Monate</em> endlich, <em class="gesperrt">durch lange Zeit</em>, <em class="gesperrt">durch
-fünf Minuten</em>, wie die Zeitungen jetzt auch gern auf die Frage:
-wielange? schreiben (die heldenmütigen Frauen, die <em class="gesperrt">durch fünfzehn
-Monate</em> mit ihren Kindern im Buschwalde umherirrten – dieses Gefühl
-war <em class="gesperrt">durch lange Zeit</em> künstlich genährt worden – das Publikum
-lärmte und applaudierte <em class="gesperrt">durch</em> wenigstens <em class="gesperrt">fünf Minuten</em>),
-ist ganz undeutsch. Es ist ein gedankenlos dem Lateinischen
-nachgebildeter Austriazismus, der aus österreichischen Zeitungen in
-unsre Sprache geschleppt worden ist.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Am_Donnerstag_den_13_Februar">Am (!) Donnerstag den (!) 13. Februar</h3>
-
-</div>
-
-<p>Ein abscheulicher Fehler, der wieder recht ein Zeichen der immer
-mehr zunehmenden Verrohung unsers Sprachgefühls ist, ist die gemeine
-Zusammenkoppelung des Dativs und des Akkusativs, die neuerdings bei
-Datenangaben aufgekommen ist und mit unbegreiflicher Schnelligkeit
-um sich gegriffen hat. Fast alle Behörden, alle Berichterstatter,
-alle Programme, alle Einladungen schreiben: <em class="gesperrt">am</em> Donnerstag,
-<em class="gesperrt">den</em> 13. Februar. Sogar die amtlichen stenographischen Berichte
-des Reichstags sind so überschrieben!</p>
-
-<p>Jede von beiden Konstruktionen für sich allein wäre richtig. Auf
-die Frage: wann ist das Konzert? kann ebensogut mit dem bloßen
-Akkusativ geantwortet werden: <em class="gesperrt">den</em> Donnerstag, wie mit an und
-dem Dativ: <em class="gesperrt">am</em> Donnerstag.<a id="FNAnker_124" href="#Fussnote_124" class="fnanchor">[124]</a> Aber beide Konstruktionen
-zusammenzukoppeln,<span class="pagenum" id="Seite_264">[S. 264]</span> einen Akkusativ als Apposition zu einem Dativ zu
-setzen, ist greulich. Fühlt man das gar nicht? Was glaubt man denn, daß
-es für ein Kasus sei, wenn auf die Frage: wann wird er zurückkehren?
-geantwortet wird: <em class="gesperrt">Donnerstag</em>. Ist man so stumpfsinnig geworden,
-daß man hier den Akkusativ nicht mehr fühlt, auch wenn der Artikel
-nicht dabeisteht? wenn bloß geschrieben wird: <em class="gesperrt">Donnerstag</em>, den
-13. Februar? Nun meinen ja manche den Fehler zu vermeiden und ihre
-Sache sehr gut zu machen, wenn sie schreiben: <em class="gesperrt">am</em> Donnerstag,
-<em class="gesperrt">dem</em> 13. Februar. Aber da kommen sie aus dem Regen in die Traufe!
-(vgl. <a href="#Seite_253">S. 253</a>). Nein nein, es gibt nur <em class="gesperrt">ein</em> Heilmittel: man lasse
-das dumme am wieder weg, und alles ist in Ordnung.</p>
-
-<p>Man schreibt aber auch schon: <em class="gesperrt">vom Ende</em> Februar, <em class="gesperrt">vom</em>
-Dienstag, <em class="gesperrt">den</em> 6. dieses Monats ab. Das ist fast noch
-abscheulicher. Die Akkusative <em class="gesperrt">Ende</em> Februar, <em class="gesperrt">Dienstag, den</em>
-6. gelten für den Satzbau genau so viel wie jedes Adverbium der Zeit,
-das auf die Frage wann? antwortet, wie <em class="gesperrt">gestern</em>, <em class="gesperrt">heute</em>,
-<em class="gesperrt">morgen</em> usw. Ebenso nun wie auf die Fragen: von wann? und bis
-wann? geantwortet wird: <em class="gesperrt">von heute bis morgen</em>, ebenso muß auch
-geantwortet werden: <em class="gesperrt">von Ende Februar</em>, <em class="gesperrt">von Dienstag, den 6.
-bis Donnerstag, den 8. April</em>. Denn nicht <em class="gesperrt">Ende</em> oder der
-Artikel <em class="gesperrt">den</em> hängt von der Präposition <em class="gesperrt">von</em> ab, sondern die
-ganze, wie ein Adverbium der Zeit aufzufassende Formel: <em class="gesperrt">Dienstag,
-den 6</em>.</p>
-
-<p>Derselbe Fall kommt auch bei Ortsbestimmungen vor. <em class="gesperrt">Zuhause</em>,
-das auf die Frage wo? antwortet, wird für die Konstruktion ganz zum
-Ortsadverbium, wie <em class="gesperrt">hier</em>, <em class="gesperrt">dort</em>, <em class="gesperrt">oben</em>, <em class="gesperrt">unten</em>
-u.&#160;a. Auf die Frage: wo kommst du her? ist es also durchaus nicht
-falsch, zu antworten: <em class="gesperrt">von zuhause</em>. Wir in Mitteldeutschland
-sagen immer so (nicht wie der Norddeutsche sagt: <em class="gesperrt">von Hause</em>,
-das uns fremdartig und geziert klingt), ebenso wie wir auch sagen:
-er spricht viel <em class="gesperrt">von zuhause</em>, er denkt den ganzen Tag <em class="gesperrt">an
-zuhause</em>. (Goethe: ich freue mich recht <em class="gesperrt">auf nachhause</em>!)</p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_265">[S. 265]</span></p>
-
-<h3 id="Bindewoerter_Und">Bindewörter. Und</h3>
-
-</div>
-
-<p>Auch der Gebrauch der Bindewörter hält sich jetzt nicht frei von
-Fehlern und namentlich nicht frei von Geschmacklosigkeiten, die sich
-aber natürlich gerade deshalb, weil sie so geschmacklos sind, besondrer
-Beliebtheit erfreuen. Richtig angewandt werden ja im allgemeinen die
-geläufigen Verbindungen: <em class="gesperrt">nicht nur – sondern auch</em>, <em class="gesperrt">sowohl
-– als auch</em>, <em class="gesperrt">entweder – oder</em>, <em class="gesperrt">weder – noch</em>; doch
-kann man bisweilen auch Sätze lesen, wo falsch <em class="gesperrt">nicht nur – aber
-auch</em> gegenübergestellt sind. Feiner und weniger geläufig ist die
-Verbindung <em class="gesperrt">nicht sowohl – als vielmehr</em>. Bei den vorhergehenden
-Verbindungen sind entweder beide Glieder bejahend oder beide
-verneinend; hier ist das erste verneinend und das zweite bejahend.
-Mit dieser Verbindung wissen manche nicht recht umzugehn; sie möchten
-sich aber doch auch gern damit zieren und schreiben dann: <em class="gesperrt">nicht
-sowohl</em> was die Anzahl, <em class="gesperrt">sondern mehr</em> was die Bedeutung der
-Stücke betrifft.</p>
-
-<p>Aber selbst bei dem einfachen <em class="gesperrt">und</em> werden Fehler gemacht. Ein
-sehr gewöhnlicher Fehler entsteht dadurch, daß sich der Schreibende
-nicht genügend klar darüber ist, wieviel Glieder er vor sich hat.
-Da schreibt z.&#160;B. einer – gleich auf dem Titelblatt eines Buches!
-–: Geschichte <em class="gesperrt">der Seuchen, Hungers- und Kriegsnot</em> im
-Dreißigjährigen Kriege. Wieviel Glieder sind das, zwei oder drei? Der
-Schreibende hat es für drei gehalten, es sind aber nur zwei. Das erste
-Glied ist <em class="gesperrt">Seuchen</em>, das zweite ist <em class="gesperrt">Hungers- und Kriegsnot</em>,
-und dieses besteht selber wieder aus zwei Gliedern. Folglich fehlt
-die Verbindung zwischen dem ersten und dem zweiten Gliede. Vielleicht
-fürchtet man sich vor einem doppelten <em class="gesperrt">und</em> – es spielt da
-wieder der Aberglaube herein, daß man nicht kurz hintereinander
-zweimal dasselbe Wort gebrauchen dürfe! –, aber die Logik verlangt
-es hier unbedingt. Beseitigen wir noch den zweiten groben Fehler, daß
-der Plural <em class="gesperrt">der</em> vor <em class="gesperrt">Seuchen</em> zugleich als Singular auf
-<em class="gesperrt">Hungersnot</em> bezogen ist, so lautet das Ganze richtig: Geschichte
-<em class="gesperrt">der Seuchen und der Hungers- und<span class="pagenum" id="Seite_266">[S. 266]</span> Kriegsnot</em> usw. Ähnliche
-Beispiele, wo überall ein <em class="gesperrt">und</em> fehlt – wo? deuten die Klammern
-an –, sind folgende: <span class="antiqua">Ex-Libris</span>, Zeitschrift für Bücherzeichen-
-[] Bibliothekskunde <em class="gesperrt">und</em> Gelehrtengeschichte – die Beziehungen
-zum Hofe von Alexandrien [] zur alexandrinischen Kunst <em class="gesperrt">und</em>
-Wissenschaft – das Material entnimmt er seinen eignen Erinnerungen
-[] Aufzeichnungen <em class="gesperrt">und</em> Briefen aus dem schleswig-holsteinischen
-Archiv – ein gemeinsames Münz-, Maß- [] Gewichtssystem [] Patent-
-<em class="gesperrt">und</em> Markenschutzrecht – Hundegeschirre, Hand- [] Kinderwagen
-<em class="gesperrt">und</em> Rollstühle – ein Gärtchen, in dem er Gemüse baute [] Blumen
-<em class="gesperrt">und</em> Bienen pflegte – das schlechte Essen [] Trinken <em class="gesperrt">und</em>
-die lästigen Fliegen – wer lesen, schreiben [] rechnen kann <em class="gesperrt">und</em>
-täglich seine Zeitung liest. In allen diesen Fällen liegen nur zwei
-(oder drei) Glieder vor, von denen aber das eine selbst wieder aus
-zwei oder mehr Gliedern besteht, und in den meisten Fällen fehlt das
-<em class="gesperrt">und</em> gerade da, wo die beiden Hauptglieder miteinander verbunden
-werden müssen. Es ist genau so, wie wenn jemand schreiben wollte:
-die Räuber, Kabale und Liebe anstatt: die Räuber <em class="gesperrt">und</em> Kabale
-und Liebe. Derselbe Fehler findet sich auch bei <em class="gesperrt">oder</em>: z.&#160;B.
-die Beeinträchtigung eines künstlerisch bedeutungsvollen Platzes [],
-Straßen- <em class="gesperrt">oder</em> Stadtbildes. Hier muß auch hinter <em class="gesperrt">Platzes</em>
-unbedingt noch ein <em class="gesperrt">oder</em> stehen.</p>
-
-<p>Eine rechte Dummheit ist es, wenn auf Buchtiteln, in
-Buchhändleranzeigen, auf Konzertprogrammen usw. von zwei Männern, die,
-entweder gleichzeitig oder nacheinander, der eine vielleicht nach dem
-Tode des andern, an einem Werke gearbeitet haben, die Namen durch
-Bindestriche miteinander verbunden werden, z.&#160;B.: kritische Ausgabe
-<em class="gesperrt">von Lachmann-Muncker</em>, Quellenkunde von <em class="gesperrt">Dahlmann-Waitz</em>,
-Phantasie <em class="gesperrt">von Schubert-Liszt</em>, der Denkmalsentwurf von
-<em class="gesperrt">Schmitz-Geiger</em>. Zwei Namen so zu verbinden hat allenfalls
-Sinn, wenn der Mann zu seinem Namen den der Frau oder (wie in der
-Theaterwelt) die Frau zu dem ihrigen den des Mannes fügt. Aber zwei (!)
-Personen durch einen solchen Doppel- und Koppelnamen zu bezeichnen ist
-doch sinnwidrig.<span class="pagenum" id="Seite_267">[S. 267]</span> Warum denn nicht: kritische Ausgabe von <em class="gesperrt">Lachmann
-und Muncker</em>? Wozu solches Telegrammgestammel, wo es gar nicht nötig
-ist? Aber die Franzosen reden doch auch von <em class="gesperrt">Erckmann-Chatrian</em>.
-Das wars! das muß doch wieder nachgemacht werden. Aber es ist wieder
-nur gedankenlose Nachäfferei, denn diese beiden <em class="gesperrt">wollten</em> doch den
-Schein erwecken, daß sie nur <em class="gesperrt">eine</em> Person wären!<a id="FNAnker_125" href="#Fussnote_125" class="fnanchor">[125]</a></p>
-
-<p>Dieselbe Dummheit – einen Bindestrich statt <em class="gesperrt">und</em> zu schreiben
-– ist aber auch sonst noch verbreitet, namentlich in den beliebten
-Verbindungen: <em class="gesperrt">kritisch-historisch</em>, <em class="gesperrt">historisch-kritisch</em>,
-<em class="gesperrt">religiös-sittlich</em>, <em class="gesperrt">religiös-sozial</em>,
-<em class="gesperrt">sozial-wirtschaftlich</em>, <em class="gesperrt">sozial-ethisch</em>,
-<em class="gesperrt">technisch-konstruktiv</em>, <em class="gesperrt">wirtschaftlich-technisch</em>,
-<em class="gesperrt">hygienisch-therapeutisch</em> usw. Welche Unklarheit und Verwirrung
-haben diese törichten Koppelwörter schon in den Köpfen angerichtet!
-Kann es einen größern Unsinn geben als <em class="gesperrt">religiös-sittlich</em>?
-Religion und Sittlichkeit sind doch zwei ganz verschiedne Gebiete.
-Kann es einen größern Unsinn geben als <em class="gesperrt">historisch-kritische</em>
-Anmerkungen? Eine historische Anmerkung ist doch keine kritische, und
-eine kritische keine historische.</p>
-
-<p>Sehr beliebt ist jetzt auch die Abgeschmacktheit – sie stammt aus
-Österreich –, statt <em class="gesperrt">und zwar so</em> zu schreiben: <em class="gesperrt">so zwar</em>,
-z.&#160;B.: entscheidend sind die Leistungen im Deutschen, <em class="gesperrt">so zwar</em>,
-daß ein Schüler, der im Deutschen nicht genügt, für nicht bestanden (!)
-erklärt wird. Wer logisch denkt, wird hinter <em class="gesperrt">so zwar</em> stets noch
-ein zweites Glied erwarten: <em class="gesperrt">aber doch auch so</em>, daß usw.</p>
-
-<p>Eine ganz neue Dummheit ist es, auf Quittungen, Wechseln u.&#160;dgl. in
-der Angabe der Geldsumme statt<span class="pagenum" id="Seite_268">[S. 268]</span> <em class="gesperrt">und</em> zu schreiben auch: 75 Mark
-<em class="gesperrt">auch</em> 20 Pfennige. Das ist schwedisch, aber nicht deutsch:
-<span class="antiqua">utan svafvel <em class="gesperrt">och</em> fosfor</span>.</p>
-
-<p>Falsch ist es, einen Satz mit <em class="gesperrt">denn</em> an einen untergeordneten
-Nebensatz anzuknüpfen, z.&#160;B.: leider ist der Brief <em class="gesperrt">nicht so
-bekannt geworden</em>, wie er es verdiente, <em class="gesperrt">denn</em> er ist für den
-Entwicklungsgang des Künstlers von großer Wichtigkeit. Man erwartet:
-<em class="gesperrt">denn</em> er ist an einer sehr versteckten Stelle abgedruckt.
-An einen untergeordneten Nebensatz kann sich nie ein bei- oder
-nebengeordneter anschließen.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Als_wie_denn_beim_Vergleich">Als, wie, denn beim Vergleich</h3>
-
-</div>
-
-<p>Ob es richtiger sei, zu sagen: <em class="gesperrt">größer als</em> oder <em class="gesperrt">größer
-wie</em>, läßt sich am besten mit Hilfe der Sprachgeschichte
-beantworten. In der Anwendung der drei vergleichenden Bindewörter
-<em class="gesperrt">als</em>, <em class="gesperrt">wie</em> und <em class="gesperrt">denn</em> ist im Laufe der Zeit eine
-Verschiebung vor sich gegangen. Im Althochdeutschen und noch im
-Mittelhochdeutschen stand (wie noch heute im Englischen) hinter dem
-Komparativ stets <span class="antiqua">danne</span>, <span class="antiqua">dan</span>, <span class="antiqua">denne</span>, z.&#160;B.:
-<span class="antiqua">wîzer dan ein snê</span> (weißer <em class="gesperrt">denn</em> Schnee). <em class="gesperrt">Denn</em>
-bezeichnete also die Ungleichheit. Hinter dem Positiv stand damals
-stets <span class="antiqua">alsô</span> (d.&#160;h. ganz so), <span class="antiqua">alse</span>, <span class="antiqua">als</span>, z.&#160;B.:
-<span class="antiqua">wîz als ein swan</span> (weiß <em class="gesperrt">als</em> ein Schwan). <em class="gesperrt">Als</em>
-bezeichnete also die Gleichheit, und zwar nicht nur hinter dem Positiv,
-sondern auch bei andern Vergleichungen, wie bei Luther: wer nicht
-das Reich Gottes empfängt <em class="gesperrt">als</em> ein Kind – du sollst deinen
-Nächsten lieben <em class="gesperrt">als</em> dich selbst – und auch in vergleichenden
-Zwischensätzen: <em class="gesperrt">als</em> sich gebührt. Wie endlich, althochdeutsch
-<span class="antiqua">hwêo</span> oder <span class="antiqua">hwio</span>, war ursprünglich überhaupt keine
-vergleichende Konjunktion, sondern nur Fragewort.</p>
-
-<p>Allmählich erweiterte sich aber das Gebiet von <em class="gesperrt">als</em> so, daß es
-nicht bloß bei der Gleichheit, sondern auch bei der Ungleichheit,
-hinter dem Komparativ verwendet wurde und dort das alte <em class="gesperrt">denn</em>
-verdrängte. Dafür wurde aber <em class="gesperrt">wie</em> zur Vergleichungspartikel
-und fing nun seinerseits an, das alte <em class="gesperrt">als</em> da zu verdrängen,
-wo dieses<span class="pagenum" id="Seite_269">[S. 269]</span> früher die Gleichheit bezeichnet hatte, ja es drang sogar
-noch weiter vor, bis an die Stelle von <em class="gesperrt">denn</em> und bezeichnete
-nun ebenfalls auch die Ungleichheit (<em class="gesperrt">größer wie</em>). Diese
-Verschiebung, die schon im sechzehnten Jahrhundert beginnt, ist im
-siebzehnten und achtzehnten in vollem Gange und ist eigentlich auch
-jetzt noch nicht ganz, aber doch ziemlich abgeschlossen. Daß sie noch
-nicht ganz abgeschlossen ist, daher stammt eben das Schwanken.</p>
-
-<p>Wenn man also auch nicht behaupten kann, es sei falsch, zu sagen: <em class="gesperrt">so
-weiß als</em> Schnee, es dürfe nur heißen: so <em class="gesperrt">weiß wie</em> Schnee,
-so trifft man doch ungefähr das richtige, wenn man sagt: <em class="gesperrt">denn</em>
-als Vergleichungspartikel ist veraltet (nur in gewissen Verbindungen
-wie: mehr <em class="gesperrt">denn je</em> ist es noch üblich), <em class="gesperrt">als</em> bezeichnet die
-Ungleichheit (<em class="gesperrt">anders als</em>) und gehört hinter den Komparativ (wie
-lat. <span class="antiqua">quam</span>, franz. <span class="antiqua">que</span>, engl. <span class="antiqua">than</span>), <em class="gesperrt">wie</em>
-bezeichnet die Gleichheit und gehört hinter den Positiv (wie lat.
-<span class="antiqua">ut</span>, franz. <span class="antiqua">comme</span>, engl. <span class="antiqua">as</span>). Es könnte nichts
-schaden, wenn der Unterricht in diesem Sinne etwas nachhülfe und
-dadurch dem Schwanken ein Ende machte. <em class="gesperrt">Wie</em> auch hinter dem
-Komparativ zu gebrauchen (er sieht ganz <em class="gesperrt">anders</em> aus <em class="gesperrt">wie</em>
-die üblichen Sterblichen), müßte dann natürlich der Gassensprache
-überlassen bleiben. Leider verbreitet es sich neuerdings wieder mehr
-und mehr auch in der Schriftsprache (<em class="gesperrt">besser wie</em>, <em class="gesperrt">mehr wie
-je</em>), wo es dann unsäglich gemein wirkt.</p>
-
-<p>Erhalten hat sich noch die ursprüngliche Bedeutung von <em class="gesperrt">als</em> im
-Sinne der Übereinstimmung bei den Appositionen hinter <em class="gesperrt">als</em>:
-<em class="gesperrt">als Knabe</em>, <em class="gesperrt">als Mann</em>, <em class="gesperrt">als König</em>, <em class="gesperrt">als Gast</em>,
-<em class="gesperrt">als Fremder</em>. Da kommt es nun nicht selten vor, daß dieses
-<em class="gesperrt">als</em> unmittelbar hinter ein <em class="gesperrt">als</em> beim Komparativ tritt,
-z.&#160;B.: er betrachtete und behandelte den jungen Mann mehr als Freund,
-<em class="gesperrt">als als</em> Untergebnen. In diesem Falle pflegt – nach dem alten,
-nun schon oft bekämpften Aberglauben – gelehrt zu werden, es müsse
-heißen: <em class="gesperrt">denn als</em> Untergebnen; das Wort <em class="gesperrt">als</em> dürfe nicht
-zweimal hintereinander stehen. Und so schreibt man denn auch meist
-ängstlich: die Trennung der Christenheit hat sich eher als Gewinn<span class="pagenum" id="Seite_270">[S. 270]</span>
-<em class="gesperrt">denn als</em> Schädigung erwiesen – Bismarck fühlte sich weniger
-als deutscher Staatsmann <em class="gesperrt">denn als</em> der ergebne Diener des
-Hauses Hohenzollern – manche Gymnasiallehrer stellen sich lieber als
-Reserveoffiziere <em class="gesperrt">denn als</em> Bildner der Jugend vor. Es fragt sich
-aber doch sehr, was anstößiger sei: das doppelte <em class="gesperrt">als</em> oder das
-auffällige, gesuchte, veraltete <em class="gesperrt">denn</em>, das sonst niemand mehr in
-diesem Sinne gebraucht. Die Umgangssprache, auch die der Gebildeten,
-setzt unbefangen ein doppeltes <em class="gesperrt">als</em>: mir hat Lewinsky besser als
-Shylock <em class="gesperrt">als als</em> Mohr gefallen. Ein feiner Satz ist: Friedrich
-Wilhelm der Vierte haßte die Revolution nicht bloß <em class="gesperrt">wie</em>, sondern
-<em class="gesperrt">als</em> die Sünde. Hier sieht man deutlich hinter <em class="gesperrt">wie</em> die
-Vergleichung, hinter <em class="gesperrt">als</em> die Übereinstimmung.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Die_Verneinungen">Die Verneinungen</h3>
-
-</div>
-
-<p>In dem Gebrauche der Verneinungen ist es zunächst eine häßliche
-Gewohnheit der Amts- und Zeitungssprache, statt <em class="gesperrt">keiner</em> und
-<em class="gesperrt">nichts</em> immer zu sagen: <em class="gesperrt">einer nicht</em>, <em class="gesperrt">etwas nicht</em>,
-z.&#160;B. dieser Orden wird auch an solche Personen verliehen, die
-<em class="gesperrt">einen</em> Hofrang <em class="gesperrt">nicht</em> besitzen – diesem Unterschied
-ist <em class="gesperrt">eine</em> größere Tragweite <em class="gesperrt">nicht</em> beizumessen – wenn
-nachgewiesen wird, daß dieser Versuch <em class="gesperrt">einen</em> günstigen Erfolg
-<em class="gesperrt">nicht</em> gehabt hat – von der Opposition hatte sich <em class="gesperrt">ein</em>
-Redner, um diese scharfen Angriffe zurückzuweisen, <em class="gesperrt">nicht</em>
-gemeldet – das Patent schließt sich der Ansicht an, daß in dem
-vorgelegten Maschinenteil <em class="gesperrt">eine</em> wesentliche, zur Erleichterung
-der Anwendung beitragende neue Erfindung <em class="gesperrt">nicht</em> gemacht sei –
-den auf die Tagesordnung zu stellenden Vorträgen wird <em class="gesperrt">eine</em>
-Erörterung <em class="gesperrt">nicht</em> folgen – die Deputation fand gegen alles
-dieses <em class="gesperrt">etwas nicht</em> einzuwenden – durch die neuerlichen (!)
-Bestimmungen wird im übrigen an den bestehenden Einrichtungen <em class="gesperrt">etwas
-nicht</em> geändert (was mag dieses Etwas sein?). Eine solche Trennung
-– eine Nachahmung des Lateinischen – ist nur dann am Platze, wenn
-das Hauptwort betont und einem andern Hauptworte gegenübergestellt
-wird, z.&#160;B.: <em class="gesperrt">ein Erfolg</em> ist bis jetzt <em class="gesperrt">nicht</em> zu beobachten
-gewesen – wo<span class="pagenum" id="Seite_271">[S. 271]</span> <em class="gesperrt">Erfolg</em> vorangestellt und vielleicht den vorher
-besprochnen Bemühungen gegenübergestellt ist.<a id="FNAnker_126" href="#Fussnote_126" class="fnanchor">[126]</a></p>
-
-<p>Eine doppelte Verneinung gilt jetzt fast allgemein in der guten
-Schriftsprache als Bejahung. Es ist das aber – dessen wollen wir
-uns bewußt bleiben – eine ziemlich junge „Errungenschaft“ des
-Unterrichts. In der älteren Sprache bestand, wenn auch nicht geradezu
-die Regel, so doch weit und breit die Gewohnheit, daß man den Begriff
-der Verneinung, um ihn zu verstärken, verdoppelte, ja verdreifachte.
-Diese Gewohnheit hat sich, auch bei den besten Schriftstellern, bis
-weit in das achtzehnte Jahrhundert erhalten, und der Volksmund übt
-sie zum Teil noch heute. Nicht bloß Luther schreibt: ich habe
-<em class="gesperrt">keinem nie kein</em> Leid getan,<a id="FNAnker_127" href="#Fussnote_127" class="fnanchor">[127]</a> auch Lessing schreibt noch:
-<em class="gesperrt">keinen</em> wirklichen Nebel sahe Achilleus <em class="gesperrt">nicht</em>, auch
-Goethe noch: man sieht, daß er an <em class="gesperrt">nichts keinen</em> Anteil nimmt,
-auch Schiller noch: <em class="gesperrt">nirgends kein</em> Dank für diese unendliche
-Arbeit, und der Volksmund fragt noch heute: hat <em class="gesperrt">keener kee</em>
-Streichhelzchen <em class="gesperrt">nich</em>? Wir mögen es bedauern, daß unter dem
-Einflusse der lateinischen Grammatik diese – falsche darf man nicht
-sagen, sondern nur andre Art, zu denken, ganz verdrängt worden ist,
-auch in der Volksschule, die hier ebenfalls unter dem Banne der
-lateinischen Grammatik steht; aber nachdem das einmal geschehen ist,
-und die doppelte Verneinung fast allgemein wie im Lateinischen (<span class="antiqua">nemo
-non</span>) als Bejahung empfunden wird, ist es auch<span class="pagenum" id="Seite_272">[S. 272]</span> unmöglich, sie
-noch in der alten Weise zu verwenden. Das gilt besonders auch bei den
-Nebensätzen, die mit <em class="gesperrt">ehe</em>, <em class="gesperrt">bevor</em>, <em class="gesperrt">bis</em> und <em class="gesperrt">ohne
-daß</em> anfangen, und bei Infinitivsätzen nach einem verneinten
-Hauptsatze. Es ist also entschieden anstößig, zu schreiben, wie es
-so oft geschieht: die Hauptfrage kann <em class="gesperrt">nicht</em> erledigt werden,
-ehe <em class="gesperrt">nicht</em> (oder: bis <em class="gesperrt">nicht</em>) die Vorfrage erledigt ist
-(<em class="gesperrt">wenn nicht</em> oder <em class="gesperrt">solange nicht</em> wäre richtig) – es
-gehört <em class="gesperrt">keine</em> große Menschenkenntnis dazu, das <em class="gesperrt">nicht</em> auf
-den ersten Blick zu sehen. Namentlich hinter <em class="gesperrt">warnen</em> erscheint
-ein verneinter Infinitiv, wie in den bekannten Zeitungsanzeigen: ich
-<em class="gesperrt">warne</em> hiermit jedermann, meiner Frau <em class="gesperrt">nichts</em> zu borgen
-u.&#160;dgl., unsinnig, denn <em class="gesperrt">warnen</em>, d.&#160;h. abraten, abmahnen, enthält
-ja schon den Begriff der Verneinung.</p>
-
-<p>Daß eine Verneinung eines mit <em class="gesperrt">un</em> zusammengesetzten
-Hauptworts oder Eigenschaftsworts (<em class="gesperrt">kein Un</em>mensch,
-<em class="gesperrt">nicht un</em>gewöhnlich, <em class="gesperrt">nicht un</em>möglich, <em class="gesperrt">nicht
-un</em>wahrscheinlich) nur eine Bejahung, und zwar eine eigentümlich
-gefärbte vorsichtige Bejahung ausdrücken kann, darüber ist sich wohl
-jedermann klar. Man sollte aber mit dieser doppelten Verneinung, der
-sogenannten Litotes (Einfachheit), wie man sie mit einem Ausdrucke der
-griechischen Grammatik bezeichnet, recht sparsam sein. Es gibt Gelehrte
-– es sind dieselben, die auf jeder Seite zwei-, dreimal <em class="gesperrt">meines
-Erachtens</em> lispeln, als ob nicht alles, was sie sagen, bloß ihr
-„Erachten“ wäre! –, die nicht den Mut haben, auch nur eine einzige
-Behauptung, ein einziges Urteil fest und bestimmt hinzustellen, sondern
-sich um alles mit dem ängstlichen <em class="gesperrt">nicht un</em>– herumdrücken.
-Es gibt aber auch Leute, die so in diese Litotes verliebt sind, daß
-sie sie gedankenlos sogar da brauchen, wo sie die Verneinung meinen,
-z.&#160;B.: das wirkt <em class="gesperrt">nicht unübel</em> – dieser Effekt war ein von
-dem Juden <em class="gesperrt">nicht un</em>erwarteter – endlich fand sich ein Tag, an
-welchem (wo!) <em class="gesperrt">keiner</em> der drei Herren <em class="gesperrt">un</em>behindert war –
-es ist das <em class="gesperrt">kein unverächtlicher</em> Zug – die Leistungen zeigen
-eine <em class="gesperrt">nicht ungewöhnliche</em> Begabung – ein gewisser <em class="gesperrt">Mangel an
-Nichtachtung</em> des Lehrerstandes und ähnl. Ist es doch sogar einem
-so scharfen Denker<span class="pagenum" id="Seite_273">[S. 273]</span> wie Lessing begegnet, daß er in der Emilia Galotti
-geschrieben hat: <em class="gesperrt">nicht ohne Miß</em>fallen (wo er schreiben wollte:
-<em class="gesperrt">nicht ohne</em> Wohlgefallen, oder: <em class="gesperrt">nicht</em> mit Mißfallen).
-Sehr häufig, viel häufiger, als es bei unserm heutigen hastigen
-und gedankenlosen Lesen bemerkt wird, findet sich namentlich die
-törichte Verbindung <em class="gesperrt">nicht unschwer</em>: der Leser wird <em class="gesperrt">nicht
-unschwer</em> erkennen – es wird das <em class="gesperrt">nicht unschwer</em> zu beweisen
-sein – man wird sich <em class="gesperrt">nicht unschwer</em> vorstellen können. Schon
-<em class="gesperrt">unschwer</em> allein ist ein dummes Wort, wie alle solche unnötig
-gekünstelten Verneinungen.<a id="FNAnker_128" href="#Fussnote_128" class="fnanchor">[128]</a> Nun vollends <em class="gesperrt">nicht unschwer</em>!
-Und das soll heißen: <em class="gesperrt">leicht</em>! Erscheint nicht ein solches
-Hineinfallen in einen logischen Fehler wie eine gerechte Strafe für
-törichte Sprachziererei? Auch wenn jemand schreibt: der Besitzer sieht
-in dieser Bronze <em class="gesperrt">nichts weniger</em> als ein Werk des Lysipp, es
-ist aber nur eine römische Nachahmung – so schreibt er gerade das
-Gegenteil von dem, was er sagen will; er will sagen: der Besitzer
-sieht in der Bronze <em class="gesperrt">nichts geringeres</em> als ein Werk des Lysipp,
-es ist aber <em class="gesperrt">nichts weniger</em> als das, es ist nur eine römische
-Nachahmung. Auch wenn man gespreizt sagt: das ist <em class="gesperrt">nicht zum
-geringsten Teile</em> der Tätigkeit unsers Vereins zu danken (anstatt
-einfach: <em class="gesperrt">zum größten Teile</em>), kann man sich nicht beschweren,
-wenn ein Schalk das Gegenteil von dem heraushört, was man sagen will.</p>
-
-<p>Wenn von zwei Verneinungen die zweite gesteigert werden soll, so
-geschieht das durch <em class="gesperrt">geschweige denn</em>, z.&#160;B. der Bau kann in vier
-Jahren nicht ausgeführt werden, <em class="gesperrt">geschweige denn</em> in zweien.
-Ist das erste Glied positiv, so kann <em class="gesperrt">geschweige denn</em> nicht
-angewendet werden. Falsch ist also folgender Satz: diese Bestrebungen
-können <em class="gesperrt">nur</em> mit universalgeschichtlichen Kenntnissen gepflegt,
-<em class="gesperrt">geschweige denn</em> gefördert werden. Hier muß es entweder statt
-<em class="gesperrt">geschweige denn</em> heißen: und <em class="gesperrt">vollends</em>
-(vgl. <a href="#Seite_132">S. 132</a>),
-oder das erste Glied muß ebenfalls negativ<span class="pagenum" id="Seite_274">[S. 274]</span> eingekleidet werden:
-diese Bestrebungen können ohne universalgeschichtliche Kenntnisse
-<em class="gesperrt">nicht</em> gepflegt, <em class="gesperrt">geschweige denn</em> gefördert werden.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Besondere_Fehler_Der_Schwund_des_Artikels">Besondere Fehler. Der Schwund
-des Artikels</h3>
-
-</div>
-
-<p>Im Niederdeutschen ist es gebräuchlich, bei
-Verwandtschaftsbezeichnungen den Artikel wegzulassen wie bei
-Personennamen und zu sagen: <em class="gesperrt">Vater</em> hats erlaubt, <em class="gesperrt">Mutter</em>
-ist verreist, <em class="gesperrt">Tante</em> ist dagewesen. Wenn das neuerdings auch
-in Mitteldeutschland viele nachmachen, weil es aus Berlin kommt, so
-ist das Geschmacksache; schön ist es nicht, nicht einmal traulich.
-Eine widerwärtige Unsitte aber ist es, diese niederdeutsche
-Gewohnheit auszudehnen auf Wörter wie: der <em class="gesperrt">Verfasser</em>, der
-<em class="gesperrt">Berichterstatter</em>, der <em class="gesperrt">Referent</em>, der <em class="gesperrt">Rezensent</em>,
-der <em class="gesperrt">Angeklagte</em>, der <em class="gesperrt">Kläger</em>, der <em class="gesperrt">Redner</em>,
-der <em class="gesperrt">Vorredner</em> (!), der <em class="gesperrt">Vorsitzende</em> usw. Es wird
-aber jetzt fast allgemein geschrieben: in dieser Schrift bietet
-<em class="gesperrt">Verfasser</em> eine Anthologie aus den Hauptwerken der Klassiker
-der Staatswissenschaft – die Veröffentlichung dieses Buchs hat für
-<em class="gesperrt">Referenten</em> ein besondres Interesse gehabt (für alle Referenten?)
-– <em class="gesperrt">Berichterstatter</em> bekennt gern, daß er eine solche Bemerkung
-nie zu hören bekommen hat – <em class="gesperrt">Schreiber</em> dieser Zeilen hat das
-selbst beobachtet.</p>
-
-<p>Einen zweiten Fall, wo der Artikel jetzt unberechtigterweise
-weggelassen wird, vergegenwärtigen Ausdrücke wie: Denkmale <em class="gesperrt">deutscher
-Tonkunst</em>, die erste Blütezeit <em class="gesperrt">französischer Plastik</em>, eine
-ältere Epoche <em class="gesperrt">deutscher Geschichte</em>, Fragen <em class="gesperrt">auswärtiger
-Politik</em>, die Freude an <em class="gesperrt">heimischer Vergangenheit</em>, eine
-Tat <em class="gesperrt">evangelischen Bekenntnisses</em>. Sind denn die deutsche
-Tonkunst und die französische Plastik früherer Zeiten Dinge wie
-französischer Rotwein und deutscher Käse, die unaufhörlich vertilgt
-und neu fabriziert werden? Es sind doch ganz bestimmt umgrenzte Mengen
-dauernder Erzeugnisse der menschlichen Geistestätigkeit. Welcher
-Unsinn, denen den bestimmten Artikel zu rauben! Man denke sich,
-daß Overbeck seine Geschichte der griechischen Plastik Geschichte
-<em class="gesperrt">griechischer Plastik</em> genannt hätte!</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_275">[S. 275]</span></p>
-
-<p>Ein dritter Fall endlich – ungefähr von derselben Art – ist die
-Geschmacklosigkeit, den bestimmten Artikel in Überschriften von
-Aufsätzen und in Buchtiteln wegzulassen. Aber auch das ist jetzt
-sehr beliebt. Man nimmt eine Monatsschrift zur Hand und findet im
-Inhaltsverzeichnis: <em class="gesperrt">Ballade</em>. Von X. Ei der tausend! denkt
-man, ist dein guter Freund X unter die Balladendichter gegangen?
-und schlägt begierig auf. Was findet man? Einen Aufsatz über die
-Geschichte der Ballade! Der kann aber doch vernünftigerweise nur
-überschrieben werden: <em class="gesperrt">Die Ballade</em>. Ein bekannter Kunstsammler
-hat über seine Schätze ein Prachtwerk veröffentlicht unter dem Titel:
-<em class="gesperrt">Sammlung Schubart</em>. Ja, so konnte er ins Treppenhaus über die
-Tür seines Museums schreiben, aber der Buchtitel kann nur lauten:
-<em class="gesperrt">Die Sammlung Schubart</em> (wenn durchaus französelt sein muß!).
-Namentlich Romane, Schauspiele und Zeitschriften werden jetzt gern mit
-solchen artikellosen Titeln versehen (<em class="gesperrt">Heimat</em>, <em class="gesperrt">Jugend</em>,
-<em class="gesperrt">Sonntagskind</em> u.&#160;ähnl.), aber auch andre Werke, wie: <em class="gesperrt">Stammbaum
-Becker-Glauch</em> (das soll heißen: der Stammbaum der Familien Becker
-und Glauch!). Ein bekanntes Werk von Guhl und Koner hat fünf Auflagen
-lang <em class="gesperrt">das Leben der Griechen und Römer</em> geheißen; der neue
-Herausgeber der sechsten hat es wahrhaftig verschönert zu: <em class="gesperrt">Leben der
-Griechen und Römer</em>. Zu einer wahren Seuche ist dieses Weglassen des
-Artikels in den sogenannten „Spitzmarken“ der Zeitungen ausgeartet:
-<em class="gesperrt">Frecher Diebstahl</em>, <em class="gesperrt">Aufgefundener Leichnam</em>, <em class="gesperrt">Fahrrad
-gestohlen</em>, <em class="gesperrt">Mädchen vermißt</em>.<a id="FNAnker_129" href="#Fussnote_129" class="fnanchor">[129]</a></p>
-
-<p>In formelhaften Verbindungen wie: <em class="gesperrt">Haus und Hof</em>, <em class="gesperrt">Land und
-Leute</em>, <em class="gesperrt">Frau und Kinder</em> bleibt der Artikel stets weg, aber
-nur dann, wenn die beiden so<span class="pagenum" id="Seite_276">[S. 276]</span> verbundnen Hauptwörter gar keinen
-Zusatz haben. Falsch ist es, zu sagen, wie es jetzt oft geschieht:
-der Verunglückte hinterläßt <em class="gesperrt">Frau und drei unmündige Kinder</em>. Er
-hinterläßt <em class="gesperrt">Frau</em> – das ist kein Deutsch, denn niemand sagt:
-<em class="gesperrt">ich habe Frau, hast du Frau</em>?</p>
-
-<p>Es gibt aber auch Fälle, wo der Artikel gesetzt wird, obwohl er nicht
-hingehört. Gleich unausstehlich sind zwei Anwendungen des Artikels
-– das einemal des unbestimmten, das andremal des bestimmten – bei
-Personennamen. Für Leute von Geschmack bedarf es wohl nur folgender
-Beispiele, um ihren ganzen Abscheu zu erregen: Heyse hat nie die
-ruhige Größe <em class="gesperrt">eines Goethe</em> erreicht – welcher unsrer großen
-Schriftsteller, selbst <em class="gesperrt">ein Lessing</em> und <em class="gesperrt">ein Goethe</em>, wäre
-von Fehlern freizusprechen! – und: von den Franzosen kamen <em class="gesperrt">die
-Dumas Sohn</em> und Genossen herüber – die Neigung und Schätzung
-<em class="gesperrt">der Haupt, Jahn und Mommsen</em> – die tiefeindringende Ästhetik
-<em class="gesperrt">der Hebbel und Ludwig</em>. Der zweite Fall ist ja ein gemeiner
-Latinismus; den ersten aber sollte man dem Untersekundaner überlassen,
-der seinen ersten deutschen Aufsatz über ein literargeschichtliches
-Thema schreibt, ja nicht einmal dem, denn wie soll er sonst seinen
-Ungeschmack loswerden?</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Natuerliches_und_grammatisches_Geschlecht">Natürliches und grammatisches
-Geschlecht</h3>
-
-</div>
-
-<p>Viel Kopfzerbrechen hat schon manchem die Frage gemacht, ob man
-auf Wörter wie <em class="gesperrt">Weib</em>, <em class="gesperrt">Mädchen</em>, <em class="gesperrt">Fräulein</em>,
-<em class="gesperrt">Mütterchen</em> mit <em class="gesperrt">es</em>, <em class="gesperrt">das</em> und <em class="gesperrt">sein</em>
-zurückweisen müsse, oder auch mit <em class="gesperrt">sie, die</em> und <em class="gesperrt">ihr</em>
-zurückweisen dürfe, mit andern Worten: ob bei solchen Wörtern das
-grammatische oder das natürliche Geschlecht vorgehe. Auch bei
-<em class="gesperrt">Backfisch</em> kann die Frage entstehen. Nun, um das Ob braucht
-man sich nicht zu sorgen, es ist eins so richtig wie das andre; die
-Schwierigkeit liegt nur in dem Wo und Wie, und hierüber läßt sich
-keine allgemeine Regel geben, es muß das dem natürlichen Gefühl des
-Schreibenden überlassen bleiben. Klar ist, daß das grammatische Subjekt
-solcher Wörter um so eher festgehalten werden darf, je dichter das
-Fürwort auf das Hauptwort folgt, also besonders bei dem relativen
-Fürwort,<span class="pagenum" id="Seite_277">[S. 277]</span> das sich unmittelbar an das Hauptwort anschließt, ebenso,
-wenn beide sonst nahe beieinander in demselben Satze stehen, z.&#160;B.:
-<em class="gesperrt">das Mädchen</em> hatte frühzeitig <em class="gesperrt">seine</em> Eltern verloren. Es
-ist aber auch nicht das geringste dagegen einzuwenden, wenn jemand
-schreibt: die Dekoration stand <em class="gesperrt">dem Mütterchen</em> Moskau gut zu
-<em class="gesperrt">ihrem</em> alten Gesicht. Auch bei Goethe heißt es: dienen lerne
-beizeiten <em class="gesperrt">das Weib</em> nach <em class="gesperrt">seiner</em> Bestimmung, denn durch
-Dienen allein gelangt <em class="gesperrt">sie</em> endlich zum Herrschen. Je später das
-Fürwort auf das Hauptwort folgt, desto mehr schwächt sich die Kraft
-des grammatischen Geschlechts ab, und die Vorstellung des natürlichen
-Geschlechts verstärkt sich. Deshalb ist es auch abgeschmackt zu
-schreiben: die jüngere Tochter ist <em class="gesperrt">ein Ausbund</em> von Anmut und
-Gescheitheit, um <em class="gesperrt">den</em> sich die tanzenden Herren förmlich reißen,
-wenn <em class="gesperrt">er</em> in der Gesellschaft erscheint. Namentlich in einer
-längeren Reihe von Sätzen hintereinander das grammatische Geschlecht
-solcher Wörter pedantisch festzuhalten, kann unerträglich werden.</p>
-
-<p>Die Frage, ob es heißen müsse: <em class="gesperrt">Ihr Fräulein Tochter</em>
-(<em class="gesperrt">Schwester</em>, <em class="gesperrt">Braut</em>) oder <em class="gesperrt">Ihre Fräulein Tochter</em>,
-ist sehr leicht zu beantworten. Das besitzanzeigende Adjektivum gehört
-in diesen Verbindungen nicht zu <em class="gesperrt">Fräulein</em>, sondern natürlich zu
-<em class="gesperrt">Tochter</em>, <em class="gesperrt">Schwester</em>, <em class="gesperrt">Braut</em>, wozu <em class="gesperrt">Fräulein</em>,
-gleichsam in Klammern, als bloßer Höflichkeitszusatz tritt (vgl. <a href="#Fussnote_10">S. 15</a>
-die Herren Mitglieder). Es darf also nur heißen: <em class="gesperrt">Ihre [Fräulein]
-Braut</em> – empfehlen Sie mich <em class="gesperrt">Ihrer [Fräulein] Tochter</em>!</p>
-
-<p>Seitdem die Universitäten den Titel „Doktor“ (als ob er eine
-Versteinerung wäre, von der kein Femininum gebildet werden könnte!)
-an Damen verleihen, liest man auf Büchertiteln: <span class="antiqua">Dr.</span> <em class="gesperrt">Hedwig
-Michaelson</em>. Setzt man davor noch <em class="gesperrt">Fräulein</em>, so hat man
-glücklich drei Geschlechter nebeneinander: <em class="gesperrt">Fräulein</em> (sächlich)
-<em class="gesperrt">Doktor</em> (männlich) <em class="gesperrt">Hedwig</em> (weiblich). Freilich ist dabei
-eigentlich nichts verwunderliches. Die Verschrobenheit der Sprache ist
-ja nur das Abbild von der Verschrobenheit der Sache. Vielleicht druckt
-man auch noch: Fräulein <span class="antiqua">Studiosus medicinae</span> Klara Schulze.</p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_278">[S. 278]</span></p>
-
-<h3 id="Misshandelte_Redensarten">Mißhandelte Redensarten</h3>
-
-</div>
-
-<p>Für eine große Anzahl von Tätigkeitsbegriffen fehlt es im Deutschen
-an einem geeigneten Zeitwort; wir können sie nur durch Redensarten
-ausdrücken, die aus einem Zeitwort und einem Hauptwort bestehen.
-Oft ist aber auch ein geeignetes Zeitwort vorhanden, und doch
-geben viele, weil sie die Neigung haben, sich breit auszudrücken,
-einer umschreibenden Redensart den Vorzug. Solche Redensarten –
-unentbehrliche und entbehrliche – sind z.&#160;B.: <em class="gesperrt">Fühlung haben</em>,
-<em class="gesperrt">Gebrauch machen</em>, <em class="gesperrt">Klage führen</em>, <em class="gesperrt">Rechenschaft
-ablegen</em>, <em class="gesperrt">Kenntnis nehmen</em>, <em class="gesperrt">Platz greifen</em>, <em class="gesperrt">Wandel
-schaffen</em>, <em class="gesperrt">Lärm schlagen</em>, <em class="gesperrt">Dank wissen</em>, <em class="gesperrt">in Kenntnis
-setzen</em>, <em class="gesperrt">zur Verfügung stellen</em> und hundert andre.</p>
-
-<p>Diese Redensarten haben nun meist etwas formelhaftes. Da sie einfache
-Verbalbegriffe ersetzen, so werden sie auch wie einfache Verba gefühlt.
-Daraus folgt aber mit Notwendigkeit zweierlei: erstens, daß sie in
-passivischen Sätzen und in Nebensätzen, wo das Zeitwort am Ende steht,
-nicht zerrissen werden dürfen; zweitens, daß sie, ebenso wie wirkliche
-Verba, nur mit Adverbien bekleidet werden können. Gegen beide Gesetze
-wird fort und fort verstoßen.</p>
-
-<p>Da schreibt man z.&#160;B.: er wurde <em class="gesperrt">in Kenntnis</em> von dem Geschehenen
-<em class="gesperrt">gesetzt</em>. Falsch! Es muß heißen: er wurde von dem Geschehenen
-<em class="gesperrt">in Kenntnis gesetzt</em>, denn die Redensart <em class="gesperrt">in Kenntnis
-setzen</em> vertritt ein einfaches Verbum und darf nicht zerrissen
-werden. Andre Beispiele solches gefühllosen Zerreißens sind: wenn eine
-der brennenden Fragen <em class="gesperrt">in Beziehung</em> zur technischen Hochschule
-<em class="gesperrt">gesetzt wurde</em> – es ist nicht mehr als billig, daß wir <em class="gesperrt">einen
-Begriff</em> von Talenten wie Kjelland <em class="gesperrt">erhalten</em> – weil die
-Regierung nicht <em class="gesperrt">die Hand</em> zu einer dauernden Spaltung in den
-Münchner Künstlerkreisen <em class="gesperrt">bieten</em> wollte – wenn auch dieser
-Realismus <em class="gesperrt">die Brücke</em> zwischen der Dichterin und der großen
-Menge <em class="gesperrt">schlug</em> – wer sich <em class="gesperrt">eine Vorstellung</em> von der
-eigentümlichen Persönlichkeit Stiers <em class="gesperrt">machen</em> will. Der Fehler ist
-um so störender, als durch das Zerreißen der<span class="pagenum" id="Seite_279">[S. 279]</span> Redensart der Ton von
-dem Hauptwort auf das Zeitwort verlegt wird (die Hand b<b>ie</b>ten, anstatt:
-die H<b>a</b>nd bieten – die Brücke schl<b>u</b>g, anstatt: die Br<b>ü</b>cke schlug), auf
-das Zeitwort, das meist ziemlich bedeutungslos und nur ein äußerliches
-Hilfsmittel zur Bildung der Redensart ist. Läßt man die Redensart
-zusammen, so bleibt auch der Ton an der richtigen Stelle.</p>
-
-<p>Die andre Art, solche Redensarten zu mißhandeln, besteht darin, daß man
-das Hauptwort herausreißt und mit einem Attribut bekleidet, anstatt
-die Redensart zusammenzulassen und sie als Ganzes mit einem Adverb
-oder einem adverbiellen Ausdruck zu bekleiden. Der häufigste Fall ist
-der, daß man zu dem Hauptwort ein Adjektiv setzt, z.&#160;B. es ist sehr
-zu befürchten, daß er dabei <em class="gesperrt">ernstlichen Schaden nehmen werde</em>.
-<em class="gesperrt">Schaden nehmen</em> ist eine Redensart, die einen einfachen passiven
-Verbalbegriff vertritt (geschädigt werden, beschädigt werden). Man
-kann nicht <em class="gesperrt">ernstlichen</em>, man kann nur <em class="gesperrt">ernstlich</em> Schaden
-nehmen, wie man nur <em class="gesperrt">ernstlich</em> geschädigt werden kann. Mit andern
-Worten: nicht der Schade ist ernstlich, sondern das Schadennehmen,
-der ganze Begriff. Der Minister <em class="gesperrt">nahm</em> von den Einrichtungen der
-Schule <em class="gesperrt">eingehende Kenntnis</em> – derselbe Fehler! <em class="gesperrt">Kenntnis
-nehmen</em> ist eine Redensart, die einen einfachen aktiven oder
-passiven Verbalbegriff vertritt (kennen lernen, belehrt werden,
-unterrichtet werden). Man kann von einer Sache weder eingehende, noch
-gründliche, noch flüchtige, noch oberflächliche Kenntnis nehmen,
-man kann nur <em class="gesperrt">eingehend</em>, <em class="gesperrt">gründlich</em>, <em class="gesperrt">flüchtig</em>,
-<em class="gesperrt">oberflächlich</em> Kenntnis nehmen. In folgenden Beispielen soll
-das Richtige immer gleich in Klammern hinzugesetzt werden: <em class="gesperrt">bittere
-Klagen führen</em> (<em class="gesperrt">bitter</em> Klage führen) – <em class="gesperrt">gebührende
-Notiz nehmen</em> (<em class="gesperrt">gebührend</em> Notiz nehmen) – seiner Abneigung
-<em class="gesperrt">unverhohlenen Ausdruck geben</em> (<em class="gesperrt">unverhohlen</em> Ausdruck
-geben) – wir werden sein Andenken stets <em class="gesperrt">in hohen Ehren halten</em>
-(<em class="gesperrt">hoch</em> in Ehren halten) – sie <em class="gesperrt">nahm</em> immer noch
-<em class="gesperrt">einen merkwürdigen Anteil</em> an dem Herrn (<em class="gesperrt">merkwürdig</em>
-Anteil) – der Rat wolle zu diesem Plane <em class="gesperrt">wohlwollende Stellung
-nehmen</em> (<em class="gesperrt">wohlwollend</em><span class="pagenum" id="Seite_280">[S. 280]</span> Stellung nehmen) – es ist
-nicht leicht, zu dieser Frage <em class="gesperrt">richtige Stellung</em> zu nehmen
-(<em class="gesperrt">richtig</em> Stellung zu nehmen) – gegen das Rabattwesen wurde
-<em class="gesperrt">scharfe Stellung genommen</em> (<em class="gesperrt">scharf</em> Stellung genommen) –
-der König besuchte das Geschäft, um die Geschenke in <em class="gesperrt">kritischen
-Augenschein zu nehmen</em> (<em class="gesperrt">kritisch</em> in Augenschein zu nehmen)
-– von seinen literarischen Arbeiten <em class="gesperrt">legen</em> die Briefe
-<em class="gesperrt">ausgiebige</em> Rechenschaft ab (<em class="gesperrt">ausgiebig</em>) – sie denken
-nicht daran, mit diesen Hirngespinsten <em class="gesperrt">ernsthafte Politik zu
-treiben</em> (<em class="gesperrt">ernsthaft</em> Politik zu treiben) – über meine
-Tätigkeit war <em class="gesperrt">ein entstellender Bericht erstattet</em> worden
-(<em class="gesperrt">entstellend</em> Bericht erstattet worden) – die ausgestellten
-Gegenstände <em class="gesperrt">kommen</em> nicht <em class="gesperrt">zu rechter Geltung</em> (<em class="gesperrt">recht</em>
-zur Geltung) – die Stimme des Unmuts im Lande soll nicht <em class="gesperrt">zu
-weiterm Ausdruck</em> (<em class="gesperrt">weiter</em> zum Ausdruck) kommen – wir können
-diesen Gerüchten <em class="gesperrt">keinen rechten Glauben schenken</em> (<em class="gesperrt">nicht
-recht</em> Glauben schenken) – allen gröbern Ausschreitungen muß <em class="gesperrt">ein
-energisches Halt geboten werden</em> (<em class="gesperrt">energisch</em> Halt geboten)
-– die gegnerische Presse hat <em class="gesperrt">gewaltigen Lärm geschlagen</em>
-(<em class="gesperrt">gewaltig</em> Lärm geschlagen) – das Gottesgnadentum hatte unter
-seinem Vater <em class="gesperrt">trostlosen Schiffbruch gelitten</em> (<em class="gesperrt">trostlos</em>
-Schiffbruch gelitten) – hier wäre Grund vorhanden, <em class="gesperrt">bessernde
-Hand anzulegen</em> (<em class="gesperrt">bessernd</em> Hand anzulegen) – die Zeit
-<em class="gesperrt">schafft</em> oft unerwartet <em class="gesperrt">schnellen Wandel</em> (<em class="gesperrt">schnell</em>
-Wandel) – er <em class="gesperrt">brachte</em> die Angelegenheit <em class="gesperrt">zum ausführlichen
-Vortrag</em> (<em class="gesperrt">ausführlich</em> zum Vortrag) – ich erlaube mir,
-meinen schönen Garten mit Kolonnaden <em class="gesperrt">in empfehlende Erinnerung zu
-bringen</em> (<em class="gesperrt">empfehlend</em> in Erinnerung zu bringen).</p>
-
-<p>Ebensowenig wie Eigenschaftswörter dürfen natürlich Zahlwörter oder
-besitzanzeigende Adjektiva in solche Redensarten eingefügt werden.
-Da schreibt einer über die Tagespresse: man muß <em class="gesperrt">zwischen ihren
-Zeilen lesen</em>. Unsinn! Man muß <em class="gesperrt">bei ihr zwischen den Zeilen
-lesen</em>! Denn <em class="gesperrt">zwischen den Zeilen lesen</em> ist eine formelhafte,
-unveränderliche Redensart, die nur durch einen adverbiellen Zusatz
-(<em class="gesperrt">bei ihr</em>) näher bestimmt<span class="pagenum" id="Seite_281">[S. 281]</span> werden kann. Ein andrer schreibt:
-der <em class="gesperrt">erste Sturm</em> sollte gegen das Großkapital <em class="gesperrt">gelaufen</em>
-werden. Doppelter Unsinn! Erstens weil der Sturm gezählt, zweitens
-weil die Redensart zerrissen ist. Es muß heißen: <em class="gesperrt">zuerst</em> sollte
-gegen das Großkapital <em class="gesperrt">Sturm gelaufen werden</em>. Ebenso ist
-doppelt fehlerhaft: wir müssen <em class="gesperrt">fleißigern Gebrauch</em> von der
-Rute <em class="gesperrt">machen</em> (richtig: wir müssen <em class="gesperrt">fleißiger</em> von der Rute
-<em class="gesperrt">Gebrauch machen</em>) – die Zeit, wo der Fürst noch <em class="gesperrt">unmittelbare
-Fühlung</em> mit dem Volke <em class="gesperrt">hatte</em> (richtig: <em class="gesperrt">unmittelbar</em>
-mit dem Volke <em class="gesperrt">Fühlung hatte</em>) – <em class="gesperrt">besonderen Dank</em> wird
-der Leser dem Herausgeber für die kurzen Einleitungen <em class="gesperrt">wissen</em>
-(richtig: <em class="gesperrt">besonders</em> wird der Leser dem Herausgeber für die
-kurzen Einleitungen <em class="gesperrt">Dank wissen</em>) – <em class="gesperrt">besondre Obacht</em> mußte
-darauf <em class="gesperrt">gegeben werden</em>, daß sich keiner der Buße entzog (richtig:
-<em class="gesperrt">besonders</em> mußte darauf <em class="gesperrt">Obacht gegeben werden</em>) – von
-konservativer Seite wird <em class="gesperrt">laute Klage</em> über die antisemitischen
-Demagogen <em class="gesperrt">geführt</em> (richtig: wird <em class="gesperrt">laut</em> über die
-antisemitischen Demagogen <em class="gesperrt">Klage geführt</em>).<a id="FNAnker_130" href="#Fussnote_130" class="fnanchor">[130]</a></p>
-
-<p>Ein Attribut kann ja aber auch in der Form eines abhängigen Genitivs
-erscheinen; auch in dieser Form kommt der Fehler sehr oft vor. Da
-schreibt man: die Ärzte müssen die ganze Nacht <em class="gesperrt">zur Verfügung der
-Wache stehen</em> – sämtliche Verhafteten wurden <em class="gesperrt">zur Verfügung
-des</em> französischen <em class="gesperrt">Botschafters</em> gestellt – wenn <em class="gesperrt">sich</em>
-die Kammer <em class="gesperrt">zur Verfügung der</em> größten <em class="gesperrt">Schwindelei</em>
-des Jahrhunderts stellt (muß heißen: der Wache <em class="gesperrt">zur Verfügung
-stehen</em> usw.) – die Streitfragen, <em class="gesperrt">die auf der Tagesordnung ihrer
-Wissenschaft stehen</em> (muß heißen: <em class="gesperrt">in ihrer Wissenschaft auf der
-Tagesordnung stehen</em>) – es sollen ganz bestimmte Gegenstände <em class="gesperrt">zur
-Beratung der Konferenz gestellt werden</em> – (muß heißen: <em class="gesperrt">der
-Konferenz zur Beratung gestellt werden</em>) – die Dame, <em class="gesperrt">in deren
-Mund</em> die Erzählung <em class="gesperrt">gelegt ist</em> (muß heißen: der die Erzählung
-<em class="gesperrt">in den Mund gelegt ist</em>). Auch in diesen<span class="pagenum" id="Seite_282">[S. 282]</span> Fällen wird überdies
-die Redensart zerrissen, in den meisten entsteht ein Gallizismus
-(<span class="antiqua">mettre à la disposition de quelqu’un</span>).</p>
-
-<p>Sowenig aber das Hauptwort einer solchen formelhaften Redensart mit
-einem Attribut bekleidet werden kann, so wenig kann es endlich mit
-einem Relativsatz behängt werden. Auch ein Relativsatz kann sich
-immer nur an den Gesamtbegriff der Redensart, aber nicht an den
-Bestandteil anschließen, den das Hauptwort bildet. Aber auch dieser
-Fehler, der große Unbeholfenheit verrät, ist etwas sehr gewöhnliches,
-wie folgende Beispiele zeigen: die Versuche <em class="gesperrt">blieben nicht ohne
-Eindruck, der</em> (!) aber durch die nachfolgenden Ereignisse bald
-wieder verwischt wurde – namentlich <em class="gesperrt">waren</em> die Schöpfungen der
-Pariser Architektur auf ihn <em class="gesperrt">von Einfluß, der</em> (!) bis zu seinen
-letzten Werken nachhaltend geblieben ist – ein solches Unternehmen muß
-in Einzelheiten <em class="gesperrt">Widerspruch hervorrufen</em>, <em class="gesperrt">der</em> (!) dann
-auch auf die Beratung des Ganzen Einfluß übt – da <em class="gesperrt">stand er</em> nun
-in <em class="gesperrt">Verlegenheit, an die</em> (!) er gar nicht gedacht hatte – auf
-seine Bitten erhielt er in dieser Sprache <em class="gesperrt">Unterricht, den</em> (!)
-er selbst so anziehend geschildert hat – die Scheune <em class="gesperrt">geriet in
-Brand, der</em> (!) erst nach einer Stunde gelöscht wurde – Vischer
-<em class="gesperrt">redet sich</em> alle Galle <em class="gesperrt">vom Herzen, das</em> (!) im deutschen
-Bruderkriege 1866 blutete.</p>
-
-<p>Etwas erträglicher wird der Fehler, wenn man das Hauptwort der
-Redensart mit einer Art von Anaphora wiederholt, z.&#160;B.: man hat den
-Eindruck, daß beide in dem Augenblick der Entscheidung <em class="gesperrt">Friede
-gemacht haben, einen Frieden</em>, der auch dem unterliegenden Teile
-zugute kommt. Schwache Gemüter können hier zugleich rein äußerlich
-sehen, worauf es ankommt: in der Redensart erscheint das Hauptwort
-ohne Artikel, in der Anaphora mit Artikel; bezeichnend ist dabei der
-Unterschied, den der Schreibende (unwillkürlich?) zwischen der ältern
-und der jüngern Form <em class="gesperrt">Friede</em> und <em class="gesperrt">Frieden</em> gemacht hat. Oft
-berühren sich nämlich solche unveränderliche formelhafte Redensarten
-nahe mit andern Wendungen, die nichts formelhaftes haben, sondern
-im<span class="pagenum" id="Seite_283">[S. 283]</span> Augenblick gebildet sind und jeden Augenblick anders gebildet
-werden können. Die sind aber dann von formelhaften Wendungen leicht zu
-unterscheiden, äußerlich gewöhnlich schon dadurch, daß in der Formel
-das Hauptwort keinen Artikel hat. Eine zweifellos formelhafte Redensart
-ist: <em class="gesperrt">zu Ohren kommen</em>. Daher wird niemand sagen: es ist <em class="gesperrt">zu
-meinen Ohren gekommen</em>, oder es ist <em class="gesperrt">zu Ohren des Ministers</em>
-gekommen, sondern: es ist <em class="gesperrt">mir zu Ohren gekommen</em>, es ist <em class="gesperrt">dem
-Minister zu Ohren gekommen</em>. Zweifeln kann man dagegen, ob auch
-<em class="gesperrt">zur Kenntnis kommen</em> formelhaft sei. Der Vorgang kam <em class="gesperrt">zu meiner
-Kenntnis</em> oder <em class="gesperrt">zur Kenntnis des großen Publikums</em> dürfte
-ebensogut sein wie: er kam <em class="gesperrt">mir zur Kenntnis</em> oder <em class="gesperrt">dem Publikum
-zur Kenntnis</em>. Die Grenze ist hier manchmal schwer zu ziehen; wer
-Sprachgefühl hat, wird meist ohne weiteres das Richtige treffen, wer
-keins hat, wird auch bei aller Belehrung danebentappen.</p>
-
-<p>Das Tollste ist es, das Hauptwort aus einer solchen Redensart
-herauszunehmen und in einem besondern Satze zu verwenden. Aber auch das
-geschieht. Da schreibt z.&#160;B. einer: rührend war der <em class="gesperrt">Abschied</em>,
-der <em class="gesperrt">genommen wurde</em>, ein andrer: wichtig war für meine spätern
-Neigungen <em class="gesperrt">die Bekanntschaft</em> mit den Zeitungen, die <em class="gesperrt">ich</em>
-schon in meinen Kinderjahren <em class="gesperrt">machte</em>. Das soll heißen: rührend
-war es, als <em class="gesperrt">Abschied genommen wurde</em>, wichtig war, <em class="gesperrt">daß ich</em>
-schon in meinen Kinderjahren mit den Zeitungen <em class="gesperrt">Bekanntschaft
-machte</em>. Solche Sätze liegen schon dicht an dem Wege, der zu den
-bekannten Späßen Wippchens führt, wie: gebt mir <em class="gesperrt">einen Haufen</em>,
-damit ich den Feind <em class="gesperrt">darüberwerfen</em> kann.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Vertauschung_des_Hauptworts_und_des_Fuerworts">Vertauschung des Hauptworts
-und des Fürworts – ein schwieriger Fall</h3>
-
-</div>
-
-<p>Einen eigentümlichen Fehler, dem man sehr oft begegnet, zeigen
-in zwei verschiednen Spielarten folgende Beispiele (das Richtige
-soll wieder gleich in Klammern danebengesetzt werden): die Lage
-<em class="gesperrt">Deutschlands</em> inmitten seiner wahrscheinlichen Gegner mache es
-<em class="gesperrt">ihm</em> zur Pflicht<span class="pagenum" id="Seite_284">[S. 284]</span> (<em class="gesperrt">seine</em> Lage macht es <em class="gesperrt">Deutschland</em>
-zur Pflicht) – das Zartgefühl <em class="gesperrt">des Fürsten</em> erlaubte <em class="gesperrt">ihm</em>
-nicht die Annahme des Opfers (<em class="gesperrt">sein</em> Zartgefühl erlaubte <em class="gesperrt">dem
-Fürsten</em> nicht) – leider hat die enge Begabung <em class="gesperrt">des Dichters
-ihm</em> nicht ermöglicht (leider hat <em class="gesperrt">seine</em> enge Begabung
-<em class="gesperrt">dem Dichter</em>) – der Haß <em class="gesperrt">des Berichterstatters</em> gegen
-Textor hat <em class="gesperrt">ihn</em> zu Übertreibungen geführt (<em class="gesperrt">sein</em> Haß hat
-<em class="gesperrt">den Berichterstatter</em>) – die Krankheit des <em class="gesperrt">Papstes</em>
-hat <em class="gesperrt">ihn</em> zu einer andern Lebensweise veranlaßt (<em class="gesperrt">seine</em>
-Krankheit hat <em class="gesperrt">den Papst</em>) – man hatte gleich nach dem ersten
-Auftreten <em class="gesperrt">Raimunds ihn</em> verdächtigt (man hatte gleich nach
-<em class="gesperrt">seinem</em> ersten Auftreten <em class="gesperrt">Raimund</em> verdächtigt) – es stellt
-sich dabei heraus, daß die eignen Kenntnisse <em class="gesperrt">des Kritikers ihn</em>
-zu diesen Angriffen nicht berechtigen (daß seine eignen Kenntnisse
-<em class="gesperrt">den Kritiker</em>) – die Romanschreiber, die im Vertrauen auf die
-Dummheit <em class="gesperrt">der Gesellschaft dieser</em> den Spiegel vorhalten (die
-<em class="gesperrt">der Gesellschaft</em> im Vertrauen auf <em class="gesperrt">deren</em> Dummheit) –
-nach ältern Beschreibungen <em class="gesperrt">des Kodex</em> war <em class="gesperrt">er</em> früher in
-roten Sammet gebunden (nach ältern Beschreibungen war <em class="gesperrt">der Kodex</em>)
-– die Begleiter <em class="gesperrt">des Kranken</em> vermochten <em class="gesperrt">ihn</em> nicht zu
-überwältigen (die Begleiter vermochten <em class="gesperrt">den Kranken</em>) – zur
-Zeit der Ausweisung <em class="gesperrt">des Ordens aus</em> dem Deutschen <em class="gesperrt">Reiche</em>
-zählte er innerhalb <em class="gesperrt">desselben</em> sechzehn Niederlassungen
-(zweimal der Fehler in <em class="gesperrt">einem</em> Satze! es muß heißen: zur Zeit
-<em class="gesperrt">seiner</em> Ausweisung zählte der <em class="gesperrt">Orden</em> innerhalb des
-Deutschen <em class="gesperrt">Reichs</em> usw.) – angesichts der Macht <em class="gesperrt">dieser Gesetze
-dieselben</em> (!) auf ihre Annehmbarkeit zu prüfen ist dem Gesetzgeber
-nicht eingefallen (angesichts <em class="gesperrt">ihrer</em> Macht <em class="gesperrt">diese Gesetze</em>
-zu prüfen) – wie war es möglich, daß der Besitzer <em class="gesperrt">dieses Schatzes
-denselben</em> so geheim hielt (der Besitzer <em class="gesperrt">diesen Schatz</em>) –
-man wollte trotz der von den Gehilfen beschlossenen Kündigung <em class="gesperrt">des
-Tarifs</em> an <em class="gesperrt">letzterm</em> (!) festhalten (trotz der beschlossenen
-Kündigung an <em class="gesperrt">dem Tarif</em> festhalten) – wir betrauern den
-Heimgang des liebenswürdigen Kollegen, der seit Gründung <em class="gesperrt">der
-Ärztekammer derselben</em> angehört (der <em class="gesperrt">der Ärztekammer</em> seit
-<em class="gesperrt">ihrer Gründung</em> angehört) – wegen Reinigung <em class="gesperrt">der großen
-Ratsstube</em><span class="pagenum" id="Seite_285">[S. 285]</span> bleibt <em class="gesperrt">dieselbe</em> (!) nächsten Montag geschlossen
-(wegen Reinigung bleibt die <em class="gesperrt">große Ratsstube</em>) – wegen Neubaues
-der Schleuse <em class="gesperrt">in der Zentralstraße</em> bleibt <em class="gesperrt">letztere</em> (!)
-für den Fahrverkehr gesperrt (wegen Neubaus der Schleuse bleibt <em class="gesperrt">die
-Zentralstraße</em>) – sie heiratet darauf den Grafen Tr., <em class="gesperrt">dessen</em>
-Frau <em class="gesperrt">ihm</em> kurz vorher durchgegangen ist (<em class="gesperrt">dem seine Frau</em>)
-– der Bedauernswerte, <em class="gesperrt">dessen</em> Eltern <em class="gesperrt">ihm</em> gestern einen
-Besuch zugedacht hatten (<em class="gesperrt">dem seine</em> Eltern) – der Vorwurf trifft
-nur den, <em class="gesperrt">dessen</em> Männerstolz <em class="gesperrt">ihm</em> nicht gestattet (<em class="gesperrt">dem
-sein</em> Männerstolz) – der Verfasser, <em class="gesperrt">dessen</em> Bescheidenheit
-<em class="gesperrt">ihn</em> bis in sein Greisenalter zögern ließ, seine Arbeit zu
-veröffentlichen (<em class="gesperrt">den seine</em> Bescheidenheit) – Scharnhorst ist
-einer jener schicksalvollen Männer, <em class="gesperrt">deren</em> Genius <em class="gesperrt">sie</em> zu
-Dolmetschern eines ganzen Volkes gemacht hat (<em class="gesperrt">die ihr</em> Genius) –
-es wird das auch von solchen bestätigt, <em class="gesperrt">deren</em> Auftrag <em class="gesperrt">sie</em>
-zu möglichst gründlicher Prüfung verpflichtet (<em class="gesperrt">die ihr</em> Auftrag)
-– Menschen, <em class="gesperrt">deren</em> Halbbildung <em class="gesperrt">sie</em> unempfänglich macht
-(<em class="gesperrt">die ihre</em> Halbbildung) – die Italiener, <em class="gesperrt">deren</em> Freude an
-der farbigen Oberfläche der Dinge <em class="gesperrt">sie</em> abhält, in den Chor der
-Naturalisten einzustimmen (<em class="gesperrt">die ihre</em> Freude).</p>
-
-<p>In allen diesen Sätzen ist ein Begriff doppelt da: das einemal in Form
-eines Hauptworts (in den zuletzt angeführten Relativsätzen in Form
-eines relativen Fürworts), das andremal in Form eines persönlichen
-Fürworts (wozu hier auch <em class="gesperrt">derselbe</em> und <em class="gesperrt">letzterer</em> gerechnet
-werden müssen). Der Fehler liegt nun darin, daß beide am falschen
-Platze stehen: sie müssen ihre Plätze wechseln, wenn der Satz richtig
-werden soll. Warum? Weil das Hauptwort in allen diesen Sätzen nur in
-einem Attribut (meist in einem abhängigen Genitiv) und damit gleichsam
-im Hintergrunde, im Schatten, das persönliche Fürwort dagegen als
-Subjekt oder Objekt im Vordergrunde, im vollen Lichte des Satzes steht.
-Gerade umgekehrt muß es sein: das Hauptwort gehört in den Vordergrund,
-der bloße Ersatz dafür, das Fürwort, in den Hintergrund. Nicht selten
-kann nach dem Platzwechsel das Fürwort ganz wegfallen. Wer lebendiges
-Sprachgefühl hat, bildet solche Sätze von selber richtig, ohne zu
-wissen, warum.<span class="pagenum" id="Seite_286">[S. 286]</span> Andern wird die Sache vielleicht auch durch diese
-Erklärung nicht deutlich geworden sein. Es ist wirklich ein etwas
-schwieriger Fall.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Die_fehlerhafte_Zusammenziehung">Die fehlerhafte Zusammenziehung</h3>
-
-</div>
-
-<p>Ein Fehler, der die mannigfachsten Spielarten zeigt, obwohl er im
-Grunde immer derselbe ist, entsteht durch jene äußerliche Auffassung
-der Sprache, die nicht nach Sinn und Bedeutung, sondern nur nach
-dem Lautbilde der Wörter fragt. Kehrt dasselbe Lautbild wieder, so
-glaubt es der Papiermensch das zweitemal ohne weiteres unterdrücken
-zu dürfen, obwohl es dieses zweitemal vielleicht einen ganz andern
-Sinn hat als das erstemal. Eine Abart dieses Fehlers ist schon
-früher besprochen worden: die Vernachlässigung des Kasuswechsels
-beim Relativpronomen (<a href="#Seite_130">S. 130</a>). Hierher gehört es aber auch, wenn man
-einen Fügewortsatz oder Fragesatz zugleich als Objekt und als Subjekt
-verwendet, z.&#160;B.: daß der Verfasser ein Jurist ist, <em class="gesperrt">kann man</em>
-mit Händen greifen, <em class="gesperrt">hält ihn</em> jedoch nicht ab – ob das Wort
-schon früher in Gebrauch war, <em class="gesperrt">können wir</em> nicht feststellen,
-<em class="gesperrt">ist</em> auch ohne Belang. Oder wenn man ein Zeitwort gleichzeitig
-als selbständiges Zeitwort (oder Kopula) und als Hilfszeitwort
-verwendet und schreibt: er <em class="gesperrt">hatte sich</em> aus kleinen Verhältnissen
-<em class="gesperrt">emporgearbeitet</em> und wirklich <em class="gesperrt">das Zeug</em> zu einem tüchtigen
-Künstler – er <em class="gesperrt">war</em> vor kurzem erst ins Dorf <em class="gesperrt">gezogen</em>
-und ein <em class="gesperrt">kleiner</em>, kugelrunder <em class="gesperrt">Mann</em> – er <em class="gesperrt">wurde</em>
-später sächsischer <em class="gesperrt">Minister</em> und in den Freiherrnstand
-<em class="gesperrt">erhoben</em> – jeden Morgen, wenn der Kaiser <em class="gesperrt">rasiert</em> und der
-<em class="gesperrt">Kopf</em> Habys am Fenster <em class="gesperrt">sichtbar wird</em> – oder gar: wenn
-ein Grenzstein <em class="gesperrt">verrückt</em> oder <em class="gesperrt">unkenntlich geworden</em> ist
-(anstatt: <em class="gesperrt">verrückt worden</em> oder <em class="gesperrt">unkenntlich geworden</em>) –
-glauben Sie nicht, daß eine Errungenschaft darin liegen würde, wenn
-Frauen medizinisch <em class="gesperrt">gebildet</em> und <em class="gesperrt">praktizieren würden</em>?
-(anstatt: <em class="gesperrt">gebildet würden</em> und <em class="gesperrt">praktizierten</em>)<a id="FNAnker_131" href="#Fussnote_131" class="fnanchor">[131]</a>.
-Ferner wenn man ein<span class="pagenum" id="Seite_287">[S. 287]</span> persönliches Fürwort zugleich als Dativ und als
-Akkusativ verwendet, z.&#160;B.: <em class="gesperrt">sich</em> stets betastend und die Hände
-reichend – die Gelegenheit, <em class="gesperrt">sich</em> kennen zu lernen, bzw. (!)
-näher zu treten – kurz alle Fälle, wo ein Wort gleichzeitig in zwei
-verschiednen Auffassungen gebraucht wird, also auch z.&#160;B.: in Halle
-<em class="gesperrt">ist</em> er <em class="gesperrt">gestorben</em> und <em class="gesperrt">begraben</em> (wo das Perfektum
-das einemal einen Vorgang, das andremal einen Zustand bezeichnet) –
-die Pferde stürzten so unglücklich, daß <em class="gesperrt">die Deichsel brach</em>, das
-eine Pferd aber <em class="gesperrt">den Oberschenkel</em> – er war darauf angewiesen,
-sein <em class="gesperrt">Leben</em>, an das er große <em class="gesperrt">Ansprüche machte</em>, durch
-erbitterten Kampf gegen die Konkurrenz zu <em class="gesperrt">gewinnen</em> (wo
-<em class="gesperrt">Leben</em> das einemal als <em class="gesperrt">Lebensweise</em>, das andremal als
-<em class="gesperrt">Lebensunterhalt</em> gemeint ist).</p>
-
-<p>Eine der häufigsten, aber auch widerwärtigsten Spielarten dieses
-groben logischen Fehlers ist es, ein Femininum und einen Plural unter
-demselben Artikel, Fürwort oder Adjektivum zusammenzukoppeln (vgl.
-englisch: <span class="antiqua">the life and times</span>) und zu schreiben: <em class="gesperrt">die Höhe
-und Formen</em> des Gitters – <em class="gesperrt">die Umrahmung und Seitenflügel</em>
-des Altarbildes – <em class="gesperrt">die Metalle und Spektralanalyse</em> – <em class="gesperrt">die
-Verbreitung und Ursachen</em> der Lungenschwindsucht – <em class="gesperrt">die
-Stellung und Ansprüche</em> des Zentrums – die Sicherung <em class="gesperrt">der Post
-und Transporte</em> – die Analyse <em class="gesperrt">der Gestalten und Kunst</em>
-Shakespeares – Handbuch <em class="gesperrt">der Staatswissenschaften und Politik</em>
-– das Gebiet <em class="gesperrt">der Mathematik und Naturwissenschaften</em> – die
-Angaben <em class="gesperrt">der Bevölkerungsdichtigkeit und Temperaturverhältnisse</em>
-– <em class="gesperrt">seine Reue und Gewissensbisse</em> – im Kreise <em class="gesperrt">seiner Frau
-und drei Kinder</em> – durch <em class="gesperrt">ihre Taten und Hingebung</em> – eine
-Darstellung ihrer <em class="gesperrt">Schicksale und Bauart</em> – die Bühne, die
-<em class="gesperrt">keine Dekoration und Kulissen</em> kannte – die Gegner <em class="gesperrt">der
-deutschen Landwirtschaft und Getreidezölle</em> – zur Erforschung
-<em class="gesperrt">vaterländischer Sprache und Altertümer</em> – trotz <em class="gesperrt">der
-papistischen Gesinnung und Bestrebungen</em> des Herzogs usw.<a id="FNAnker_132" href="#Fussnote_132" class="fnanchor">[132]</a></p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_288">[S. 288]</span></p>
-
-<p>Aber auch da, wo Geschlecht und Numerus zweier Begriffe dieselben
-sind, ist es eine grobe Nachlässigkeit, sie unter einem Artikel
-unterzubringen und zu schreiben: die Zustimmung <em class="gesperrt">des Bundesrats
-und Reichskanzlers</em> – der Direktor <em class="gesperrt">der Bürger- oder
-Bezirksschule</em> – eine Sitzung <em class="gesperrt">des Bau-, Ökonomie- und
-Finanzausschusses</em> – ein Ausflug <em class="gesperrt">nach dem Süßen und Salzigen
-See</em> – <em class="gesperrt">der Rote und Schwarze Kocher</em> – <em class="gesperrt">das alte und neue
-Buchhändlerhaus</em> – <em class="gesperrt">die katholische und evangelische Kirche</em>
-– <em class="gesperrt">der Renaissance- und Barockstil</em> – <em class="gesperrt">das sächsische und
-schlesische Gebirge</em> – <em class="gesperrt">die religiöse und weltliche Poesie</em>
-der Juden – <em class="gesperrt">die weiße und rote Rose</em> – <em class="gesperrt">das Sol- und
-Seebad</em> – der Wert <em class="gesperrt">der klassischen und modernen Sprachen</em>
-– die Knochen waren nicht die Überreste <em class="gesperrt">eines Frauen- und
-Kinderskeletts</em>, sondern <em class="gesperrt">eines Ferkel- und Kaninchengerippes</em>!
-Auch in diesen Fällen muß der Artikel unbedingt wiederholt werden;
-wird er nur <em class="gesperrt">ein</em>mal gesetzt, so erweckt das die Vorstellung,
-als ob sichs nur um <em class="gesperrt">einen</em> Begriff handelte. Niemand kann
-erraten, daß der <em class="gesperrt">Bau-, Ökonomie- und Finanzausschuß</em> drei
-verschiedne Ausschüsse sind. <em class="gesperrt">Der König von Preußen und Kaiser von
-Deutschland</em> – das ist richtig, denn beides ist dieselbe Person;
-<em class="gesperrt">das belgische und deutsche Herrscherpaar</em> – das ist falsch, denn
-das sind zwei verschiedene Paare.</p>
-
-<p>Die Nachlässigkeit wird um so störender, wenn durch das im Plural
-stehende Prädikat oder auf irgendeine andre Weise noch besonders
-deutlich fühlbar gemacht wird, daß es sich um mehrere Begriffe handelt,
-z.&#160;B.: der deutsche Handel war bedeutender als <em class="gesperrt">der englische und
-amerikanische zusammen</em> – <em class="gesperrt">der Nominativ und Vokativ sind</em>
-eigentlich keine Kasus – <em class="gesperrt">die erste und letzte Strophe zerfallen</em>
-in zwei Hälften – <em class="gesperrt">der lyrische und epische Dichter bedürfen</em>
-dieses Mittels nicht – 1830 <em class="gesperrt">starben der Bruder und Vater</em> –
-westlich davon <em class="gesperrt">stehen die Thomas- und Matthäikirche</em> – an der
-Nordseite <em class="gesperrt">befinden sich der Dresdner, Magdeburger und Thüringer<span class="pagenum" id="Seite_289">[S. 289]</span>
-Bahnhof</em> – die Anlage, die <em class="gesperrt">die Mit- und Nachwelt</em> an
-Bismarck zu bewundern alle Ursache <em class="gesperrt">haben</em> – <em class="gesperrt">zwischen (!)
-dem</em> 13. <em class="gesperrt">und</em> 15. Grade südlicher Breite – der Unterschied
-<em class="gesperrt">zwischen (!) den staatlichen und kirchlichen</em> Einrichtungen –
-wo ist die Grenze <em class="gesperrt">zwischen (!) der Wahrheit</em>, die man mitteilen,
-und [<em class="gesperrt">der</em>!], die man nicht mitteilen darf – die deutsche
-Umgangssprache schwankt <em class="gesperrt">zwischen dem Extrem barscher Kürze und
-bedientenhafter Redseligkeit</em> – das Zentrum möchte einen Keil
-treiben <em class="gesperrt">zwischen den rechten und linken Flügel</em> des Blocks. Wie
-kann etwas „zwischen“ einem Grade liegen, „zwischen“ einem Extrem
-schwanken, „zwischen“ einen Flügel getrieben werden?</p>
-
-<p>Bei mehr als zwei Gliedern kann die sorgfältige Wiederholung des
-Artikels freilich etwas schleppendes bekommen, und wo mehr aufgereiht
-als gegenübergestellt wird, da schreibe man getrost: mit <em class="gesperrt">den
-Geruchs-, Geschmacks- und Gefühlsnerven</em>, die Gewohnheiten <em class="gesperrt">des
-Fastens, Beichtens und Betens</em>, ein Schatz <em class="gesperrt">des Wahren, Guten
-und Schönen</em>. Wo aber unterschieden und gegenübergestellt wird,
-da muß auch der Artikel wiederholt werden. Darum steht auch auf dem
-Titelblatte dieses Buches: Grammatik <em class="gesperrt">des Zweifelhaften, des Falschen
-und des Häßlichen</em>, denn jeder dieser drei Begriffe bezeichnet
-eine andre Art von Fällen. Manche glauben genug zu tun, wenn sie den
-Artikel bei einem Wechsel des Geschlechts wiederholen, und schreiben:
-die Gelübde <em class="gesperrt">der Armut, Keuschheit</em> und <em class="gesperrt">des Gehorsams</em>. Ganz
-irrig! Die Gleichmäßigkeit verlangt den Artikel bei jedem Gliede der
-Reihe.</p>
-
-<p>Kein grammatischer, aber ein grober Denkfehler liegt vor in
-Verbindungen wie: Lager von <em class="gesperrt">Schneider- und Schuhartikeln</em> –
-Fabrik von <em class="gesperrt">Bambus-, Luxus- und Rohrmöbeln</em>. Der Schneider kann
-nicht den Schuhen, Bambus oder Rohr nicht dem Luxus gegenübergestellt
-werden, denn Bambus und Rohr geben den Stoff an, Luxus den Zweck (oder
-die Zwecklosigkeit). Man könnte ebensogut <em class="gesperrt">Kaffee-, Porzellan- und
-Teetassen</em> verbinden.</p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_290">[S. 290]</span></p>
-
-<h3 id="Tautologie_und_Pleonasmus">Tautologie und Pleonasmus</h3>
-
-</div>
-
-<p>Während die fehlerhafte Zusammenziehung aus einem irregeleiteten
-Streben nach Kürze entsteht, beruht ein andrer Fehler auf dem Streben
-nach Breite und Wortreichtum: der Fehler, einen Begriff doppelt oder
-gar dreifach auszudrücken. Man bezeichnet ihn mit Ausdrücken der
-griechischen Grammatik als Tautologie (Dasselbesagung) oder Pleonasmus
-(Überfluß).</p>
-
-<p>In den seltensten Fällen will man durch die Verdopplung etwa
-den Ausdruck verstärken,<a id="FNAnker_133" href="#Fussnote_133" class="fnanchor">[133]</a> gewöhnlich fällt man aus bloßer
-Gedankenlosigkeit hinein. Zu den üblichsten Tautologien gehören:
-<em class="gesperrt">bereits schon</em>, ich <em class="gesperrt">pflege gewöhnlich</em>, <em class="gesperrt">einander
-gegenseitig</em> oder gar <em class="gesperrt">sich einander gegenseitig</em>.<a id="FNAnker_134" href="#Fussnote_134" class="fnanchor">[134]</a> Aber
-es gibt ihrer von den verschiedensten Arten. Auch in Verbindungen
-wie: <em class="gesperrt">schon gleich</em> (die Bedenken fangen schon gleich beim
-Lesen der ersten Seite an), <em class="gesperrt">auch selbst</em>, <em class="gesperrt">nach abwärts</em>,
-<em class="gesperrt">nach dieser Richtung</em> (statt: <em class="gesperrt">nach</em> dieser <em class="gesperrt">Seite</em>
-oder <em class="gesperrt">in</em> dieser <em class="gesperrt">Richtung</em>), <em class="gesperrt">nach</em> verschiednen
-<em class="gesperrt">Richtungen</em> (!), <em class="gesperrt">unsre Gegenwart</em> (statt: unsre
-<em class="gesperrt">Zeit</em> oder <em class="gesperrt">die</em> Gegenwart), <em class="gesperrt">unsre deutsche</em> Jugend,
-<em class="gesperrt">unser deutsches</em> Vaterland, <em class="gesperrt">mein mir übertragnes</em> Amt,
-<em class="gesperrt">rückvergüten</em>, <em class="gesperrt">gemeinschaftliches Zusammenwirken</em>, etwas
-<em class="gesperrt">näher bei Lichte</em> besehen, nicht <em class="gesperrt">ganz</em> ohne <em class="gesperrt">jede</em>
-gute Regung, Personen beider<em class="gesperrt">lei Geschlechts</em> (statt <em class="gesperrt">beider
-Geschlechter</em>), Hilfeleistungen <em class="gesperrt">weiblicher Schwestern</em>, es
-<em class="gesperrt">kann möglich sein</em>, <em class="gesperrt">ich darf mit Recht</em> beanspruchen,
-das Lob, das ihm <em class="gesperrt">mit Recht gebührt</em>,<span class="pagenum" id="Seite_291">[S. 291]</span> man <em class="gesperrt">muß</em> von
-einem Geschichtschreiber <em class="gesperrt">verlangen</em>, die <em class="gesperrt">Forderung</em> ist
-<em class="gesperrt">unerläßlich</em>, er hat <em class="gesperrt">Anspruch</em> auf <em class="gesperrt">gebührende</em>
-Beachtung, ehe das Einschreiten zur <em class="gesperrt">zwingenden Notwendigkeit</em>
-wird, die Innung <em class="gesperrt">geht</em> mehr und mehr dem <em class="gesperrt">Rückgange
-entgegen</em>, die Übung der Denkkraft, die <em class="gesperrt">angeblich</em> durch
-die Mathematik erzielt werden <em class="gesperrt">soll</em> – überall ist hier
-ein Begriff ganz unnötigerweise doppelt da. Es genügt, zu sagen
-entweder: <em class="gesperrt">mein</em> Amt oder: das <em class="gesperrt">mir übertragne</em> Amt,
-entweder: man kann von einem Geschichtschreiber <em class="gesperrt">verlangen</em>,
-oder: ein Geschichtschreiber <em class="gesperrt">muß</em>, entweder: die Übung, die
-<em class="gesperrt">angeblich</em> erzielt <em class="gesperrt">wird</em>, oder: die erzielt werden
-<em class="gesperrt">soll</em>. In Leipzig werden immer noch Dinge <em class="gesperrt">meistbietend
-versteigert</em> – das soll heißen: an den, der das Meiste bietet,
-was doch schon in dem Begriffe des Versteigerns liegt –, und dann
-natürlich gegen <em class="gesperrt">sofortige Barzahlung</em>! Auch Zusammensetzungen
-wie <em class="gesperrt">Rückerinnerung</em>, <em class="gesperrt">vollfüllen</em> und <em class="gesperrt">loslösen</em>
-sind nichts als Pleonasmen; ebenso die beliebten Partizipzusätze,
-die zum Teil aus schlechtem lateinischem Unterricht stammen:
-auf <em class="gesperrt">erhaltnen</em> mündlichen Befehl – nach <em class="gesperrt">gehaltner</em>
-Frühpredigt – die <em class="gesperrt">erfahrne</em> unwürdige Behandlung – ohne
-<em class="gesperrt">vorhergehende</em> Beschaffung geeigneter Verkehrsmittel – nach
-einer <em class="gesperrt">vorhergehenden</em> Fermate – bis zur <em class="gesperrt">getroffnen</em>
-Entscheidung – die <em class="gesperrt">angestellte</em> Untersuchung ergab – meine
-Erörterung gründet sich auf <em class="gesperrt">schon gemachte</em> Erfahrungen –
-die Aussteller sind in der Reihe ihrer <em class="gesperrt">erfolgten</em> Anmeldung
-aufgeführt. Man streiche die Partizipia, und der Sinn bleibt derselbe,
-der Ausdruck aber wird knapper und sauberer (vgl. auch, was <a href="#Seite_167">S. 167</a> über
-<em class="gesperrt">stattgefunden</em> und <em class="gesperrt">stattgehabt</em> gesagt ist).</p>
-
-<p>Der häufigste Pleonasmus aber und der, der nachgerade zu einer
-dauernden Geschwulst am Leibe unsrer Sprache zu werden droht und
-trotzdem allgemein als Schönheit, ja als eine Art von Bedürfnis
-empfunden zu werden scheint, ist der, nach den Begriffen der
-Möglichkeit und der Erlaubnis, der Notwendigkeit und der Absicht beim
-Infinitiv diese Begriffe durch die Hilfszeitwörter <em class="gesperrt">können</em>,
-<em class="gesperrt">dürfen</em>, <em class="gesperrt">wollen</em>, <em class="gesperrt">sollen</em>, <em class="gesperrt">müssen</em><span class="pagenum" id="Seite_292">[S. 292]</span> zu
-wiederholen, also zu schreiben: niemand schien <em class="gesperrt">geeigneter</em> als
-Ranke, dieses Werk zur Vollendung bringen zu <em class="gesperrt">können</em> – die
-<em class="gesperrt">Leichtigkeit</em>, die gepriesensten Punkte Süditaliens erreichen
-zu <em class="gesperrt">können</em> – die <em class="gesperrt">Möglichkeit</em>, die Sozialdemokratie mit
-gleichen Waffen bekämpfen zu <em class="gesperrt">können</em> – auf diese Weise ist es
-<em class="gesperrt">möglich</em>, während des Umbaus den Verkehr aufrecht erhalten zu
-<em class="gesperrt">können</em> – die <em class="gesperrt">Fähigkeit</em>, über sich selbst lachen zu
-<em class="gesperrt">können</em> – die <em class="gesperrt">Mittel</em>, an Ort und Stelle mit Nachdruck
-auftreten zu <em class="gesperrt">können</em> – es ist <em class="gesperrt">Gelegenheit</em> gegeben,
-auch am Polytechnikum Vorlesungen hören zu <em class="gesperrt">können</em> – er hatte
-<em class="gesperrt">genügendes</em> Kapital, etwas ausführen zu <em class="gesperrt">können</em> – die
-Finanzwirtschaft ist gar nicht <em class="gesperrt">imstande</em>, das Kreditwesen des
-Staates entbehren zu <em class="gesperrt">können</em> – ich <em class="gesperrt">getraute</em> mir nicht,
-das Gespräch mit ihm aufrecht erhalten zu <em class="gesperrt">können</em> – wenn es mir
-<em class="gesperrt">gelingen</em> sollte, hierdurch meine Verehrung an den Tag legen
-zu <em class="gesperrt">können</em> – es ist zu beklagen, daß so aufrichtige Naturen
-sich nicht anders zur Kirche stellen zu <em class="gesperrt">können vermögen</em> (!)
-– der Thronfolger kann von Glück sagen, wenn es ihm <em class="gesperrt">erspart</em>
-bleibt, seine Herrscherautorität <em class="gesperrt">nicht</em> erst durch die
-Schärfe des Schwerts erkämpfen zu <em class="gesperrt">brauchen</em><a id="FNAnker_135" href="#Fussnote_135" class="fnanchor">[135]</a> – es sei
-mir <em class="gesperrt">gestattet</em>, einen Irrtum berichtigen zu <em class="gesperrt">dürfen</em>
-– der Biograph hat das schöne <em class="gesperrt">Recht</em>, Enthusiast sein zu
-<em class="gesperrt">dürfen</em> – eine Stellung, die ihm <em class="gesperrt">erlaubte</em>, ohne Frage
-nach dem augenblicklichen Erfolg produzieren zu <em class="gesperrt">dürfen</em> –
-einer Deputation war es <em class="gesperrt">vergönnt</em>, Glückwünsche darbringen zu
-<em class="gesperrt">dürfen</em> – die <em class="gesperrt">Freiheit</em>, seiner innern Eingebung folgen
-zu <em class="gesperrt">dürfen</em> – der <em class="gesperrt">Anspruch</em>, Universalgeschichte sein
-zu <em class="gesperrt">wollen</em> – er sprach seine <em class="gesperrt">Bereitwilligkeit</em> aus,
-auf diesem Wege vorgehen zu <em class="gesperrt">wollen</em> – die <em class="gesperrt">Absicht</em>,
-blenden oder über ihre Verhältnisse leben zu <em class="gesperrt">wollen</em> – er
-hat <em class="gesperrt">versprochen</em>, in den ruhmreichen Bahnen seines Großvaters
-fortwandeln zu <em class="gesperrt">wollen</em> – die <em class="gesperrt">Aufgabe</em>, die Akademie
-reformieren zu <em class="gesperrt">sollen</em> – es gehört zu den schönsten
-<em class="gesperrt">Aufgaben</em>, das Leben eines Zeitgenossen beschreiben<span class="pagenum" id="Seite_293">[S. 293]</span> zu
-<em class="gesperrt">wollen</em> (!) – die <em class="gesperrt">Zumutung</em>, Gott ohne Bilder anbeten zu
-<em class="gesperrt">sollen</em> – ein Volk, das sich dazu <em class="gesperrt">erwählt</em> glaubt, große
-Dinge erfüllen zu <em class="gesperrt">müssen</em> – die Verhältnisse <em class="gesperrt">zwangen</em> den
-König, auf die Führung seines Heeres verzichten zu <em class="gesperrt">müssen</em>.</p>
-
-<p>Statt in Nebensätzen die Hilfszeitwörter <em class="gesperrt">sein</em> und <em class="gesperrt">haben</em>
-wegzulassen, wo sie oft ganz unentbehrlich sind (vgl. <a href="#Seite_137">S. 137</a>), bekämpfe
-man lieber diese abscheuliche Gewohnheit; die unnützen <em class="gesperrt">können</em>,
-<em class="gesperrt">dürfen</em>, <em class="gesperrt">wollen</em>, <em class="gesperrt">sollen</em> und <em class="gesperrt">müssen</em> sind
-wirklich wie garstige Rattenschwänze.<a id="FNAnker_136" href="#Fussnote_136" class="fnanchor">[136]</a></p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Die_Bildervermengung">Die Bildervermengung</h3>
-
-</div>
-
-<p>Bei dem Worte Bildervermengung denkt wohl jeder an Wendungen wie:
-das ist wie ein <em class="gesperrt">Tropfen</em> auf einen <em class="gesperrt">hohlen Stein</em>, oder:
-er wurde an den <em class="gesperrt">Rand des Bettelstabes</em> gebracht, oder: der
-<em class="gesperrt">Zahn der Zeit</em>, der schon so manche <em class="gesperrt">Träne getrocknet</em> hat,
-wird auch über dieser <em class="gesperrt">Wunde Gras wachsen</em> lassen – und meint,
-dergleichen werde wohl beim Unterricht als abschreckendes Beispiel
-vorgeführt, komme aber in Wirklichkeit nicht vor. Zeitungen und Bücher
-leisten aber fast täglich ähnliches; gilt es doch für geistreich,
-möglichst viel in Bildern zu schreiben! Oder wäre es nicht ebenso
-lächerlich, wenn von einer Nachricht gesagt wird, daß sie wie ein
-<em class="gesperrt">Donnerschlag</em> ins <em class="gesperrt">Pulverfaß</em> gewirkt habe, wenn in einem
-Aufsatz über das Theater von <em class="gesperrt">gaumenkitzelnden Trikotanzügen</em>
-gesprochen wird, oder wenn es in einem Börsenberichte heißt: der
-<em class="gesperrt">Verkehr wickelte sich</em> in <em class="gesperrt">ruhigem Tone</em> ab, in dem Bericht
-über eine Kunstausstellung: was bei den Russen zum <em class="gesperrt">Zerrbilde</em> des
-Fanatismus geworden ist, leuchtet bei den Spaniern als<span class="pagenum" id="Seite_294">[S. 294]</span> <em class="gesperrt">Flamme</em>
-der Begeisterung, oder wenn gar geschrieben wird: wo finden wir einen
-<em class="gesperrt">roten Faden</em>, der uns aus diesem <em class="gesperrt">Labyrinth</em> hinausführt?
-– das politische <em class="gesperrt">Knochengerüst</em>, über dessen <em class="gesperrt">Nacktheit</em>
-durch eine schöne <em class="gesperrt">Verbrämung</em> hinweggetäuscht werden soll
-– der Zauber seiner Persönlichkeit teilt sich dem Leser in einem
-<em class="gesperrt">bestrickenden Fluidum</em> mit – unsre Universitäten sind wie
-<em class="gesperrt">rohe Eier</em>: sobald man sie antastet, <em class="gesperrt">stellen sie sich auf die
-Hinterbeine</em> – der bureaukratische Staat <em class="gesperrt">schert</em> (!) alles
-<em class="gesperrt">über einen Leisten</em> – <em class="gesperrt">pilzartig</em> schossen die Lust-,
-Schau- und Trauerspiele seiner Feder <em class="gesperrt">ins Kraut</em> – alle diese
-Mitteilungen <em class="gesperrt">schweben in der Luft</em>, aus der sie <em class="gesperrt">geschnappt</em>
-sind (in der Luft schweben, aus der Luft greifen, nach Luft schnappen
-– drei Bilder vermengt!) – das ist eins jener <em class="gesperrt">Kolumbuseier</em>,
-deren der Genius Shakespeares verschiedne <em class="gesperrt">ausgebrütet</em> hat – das
-sind vom nationalökonomischen <em class="gesperrt">Gesichtswinkel</em> aus in <em class="gesperrt">kargem
-Gerippe</em> die geistreich variierten <em class="gesperrt">Grundzüge</em> seiner Lehre
-– die Millionen <em class="gesperrt">fliegen zum Fenster hinaus</em> und leeren das
-<em class="gesperrt">Reichsfaß</em> bis zum Boden – natürlich muß das <em class="gesperrt">Pflaster</em>
-auf die verschiednen <em class="gesperrt">kalten Wasserstrahlen</em> gegen ihre Eitelkeit
-ein wenig <em class="gesperrt">gekitzelt</em> werden – dieses <em class="gesperrt">Schreckgespenst</em>
-ist schon <em class="gesperrt">so abgedroschen</em>, daß nur noch ein politisches
-<em class="gesperrt">Wickelkind</em> darauf <em class="gesperrt">herumreiten</em> kann – um ihrem
-geschwächten Parteimagen <em class="gesperrt">neue Nahrung</em> zuzuführen, <em class="gesperrt">angeln</em>
-sie in dem Wasser des Bauernbundes nach <em class="gesperrt">faulen Fischen</em> – die
-lauteste <em class="gesperrt">Trommel</em> bei dieser Hetze <em class="gesperrt">blasen</em> natürlich die
-Geistlichen – wenn man den Herren einen <em class="gesperrt">Floh</em> ins Ohr setzt,
-wird sofort ein <em class="gesperrt">Elefant</em> daraus gemacht und dann auch noch
-öffentlich <em class="gesperrt">breitgetreten</em>.<a id="FNAnker_137" href="#Fussnote_137" class="fnanchor">[137]</a></p>
-
-<p>Dergleichen erregt ja nun die Heiterkeit auch des gedankenlosesten
-Lesers. Ein Berliner Schriftsteller hat sich sogar (unter dem Namen
-Wippchen) jahrelang planmäßig dem Anbau dieses Sprachunkrauts gewidmet
-und großen Erfolg damit gehabt. Es gibt aber auch zahlreiche<span class="pagenum" id="Seite_295">[S. 295]</span>
-Bildervermengungen, die genau so schlimm sind, und die doch von
-Tausenden von Lesern, auch von denkenden, gar nicht bemerkt werden,
-weil sie nicht so zutage liegen, sondern etwas verschleiert sind.
-Unsre Sprache ist überreich an bildlichen Ausdrücken, über deren
-ursprüngliche Bedeutung man sich oft gar keine Rechenschaft mehr gibt.
-Schon wenn jemand schreibt: die Sache machte keinen <em class="gesperrt">durchschlagenden
-Eindruck</em> – so lesen sicher unzählige darüber weg, denn <em class="gesperrt">Eindruck
-machen</em> und ein <em class="gesperrt">durchschlagender Erfolg</em> sind so abgebrauchte
-Bilder, daß man sich ihres ursprünglichen Sinnes kaum noch bewußt
-ist. Und doch liegt hier eine lächerliche Bildervermengung vor, denn
-einen <em class="gesperrt">Eindruck machen</em> und <em class="gesperrt">durchschlagen</em> schließen
-einander aus; wenn man das Kalbfell einer Pauke durchschlägt, so ist
-es mit dem Eindruckmachen vorbei. Ebenso ist es, wenn ein Kritiker
-von Leistungen eines Schriftstellers redet, die nicht den vollen
-<em class="gesperrt">Umfang</em> seiner Fähigkeiten <em class="gesperrt">erschöpfen</em>, denn beim Umfang
-denkt man an ein Längenmaß, schöpfen kann man aber nur mit einem
-Hohlmaß. In solchen mehr oder weniger verschleierten Bildervermengungen
-wird sehr viel gesündigt. Man schreibt: die kleinen Staaten werden
-von der <em class="gesperrt">Wucht</em> ganz Deutschlands <em class="gesperrt">getragen</em> – er hatte
-sich in eine solche Schulden<em class="gesperrt">last gestürzt</em> – diese Maßregel
-ist von sehr ungünstigem <em class="gesperrt">Einfluß begleitet</em> gewesen – als
-die auf die Hebung der Hundezucht abzielende <em class="gesperrt">Bewegung</em> feste
-<em class="gesperrt">Wurzeln geschlagen</em> hatte – bis sie ihm die <em class="gesperrt">Unterlage</em>
-für Börsenspekulationen <em class="gesperrt">eröffnet</em> hatten – wer nicht <em class="gesperrt">mit der
-Herde läuft</em>, muß sich hüten, daß er nicht <em class="gesperrt">scheitere</em> usw.<a id="FNAnker_138" href="#Fussnote_138" class="fnanchor">[138]</a></p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Vermengung_zweier_Konstruktionen">Vermengung zweier Konstruktionen</h3>
-
-</div>
-
-<p>Wie zwei verschiedne Bilder, so werden oft auch zwei verschiedne
-Konstruktionen miteinander vermengt. Da<span class="pagenum" id="Seite_296">[S. 296]</span> wird z.&#160;B. die erste Person
-mit der dritten vermengt und geschrieben: die Verlobung <em class="gesperrt">unsrer</em>
-Tochter (statt: <em class="gesperrt">ihrer</em> Tochter!) beehren sich anzuzeigen –
-um Rückgabe der von <em class="gesperrt">mir</em> (statt: von <em class="gesperrt">ihm</em>!) entliehenen
-Biergläser bittet – <em class="gesperrt">meiner</em> Mutter (statt: <em class="gesperrt">ihrer</em>
-Mutter!) gewidmet von der Verfasserin. Oder es wird an <em class="gesperrt">hoffen</em>
-ein Nebensatz angeschlossen, als ob <em class="gesperrt">wünschen</em> vorherginge:
-ich <em class="gesperrt">hoffe</em> sehr, daß ich das nie wieder erleben <em class="gesperrt">möge</em>
-(<em class="gesperrt">erlebe</em>!) – wir <em class="gesperrt">hoffen</em>, daß dergleichen nicht wieder
-vorkommen <em class="gesperrt">möge</em> (<em class="gesperrt">werde</em>!) – ich übergebe diese Arbeit
-der Öffentlichkeit in der <em class="gesperrt">Hoffnung</em>, daß sie dazu beitragen
-<em class="gesperrt">möge</em> (beitragen <em class="gesperrt">werde</em>!) – er <em class="gesperrt">hoffe</em>, daß andre
-Forscher glücklicher operieren <em class="gesperrt">möchten</em> (<em class="gesperrt">würden</em>!). Es
-wird <em class="gesperrt">weil</em> geschrieben, wo es <em class="gesperrt">daß</em> heißen muß: er hat
-seinen Namen <em class="gesperrt">davon, weil</em> er – die fürstliche Ehe war dem Volke
-besonders <em class="gesperrt">dadurch</em> teuer, <em class="gesperrt">weil</em> ihr eine reiche Zahl
-von Prinzen entsprossen war; dagegen <em class="gesperrt">daß</em>, wo es <em class="gesperrt">als</em>
-heißen muß: Thomsen ist nur <em class="gesperrt">insofern</em> original, <em class="gesperrt">daß</em>
-er die Grundrente als unrechtmäßige Abzahlung betrachtet – meinem
-Arbeitsfelde liegen diese Untersuchungen nur <em class="gesperrt">insofern</em> nahe,
-<em class="gesperrt">daß</em> ich daraus belehrt worden bin usw. Oder es wird geschrieben:
-da manche Erörterung die Untersuchung <em class="gesperrt">eher</em> erschwert,
-<em class="gesperrt">statt</em> sie zu vereinfachen – wo entweder das <em class="gesperrt">eher</em>
-wegfallen, oder fortgefahren werden muß: <em class="gesperrt">als daß</em> sie sie
-vereinfachte.</p>
-
-<p>Sehr häufig ist der Fehler, daß man auf das Adverbium <em class="gesperrt">so</em> einen
-Infinitiv mit <em class="gesperrt">um zu</em> folgen läßt statt eines Folgesatzes mit
-<em class="gesperrt">daß</em>, z.&#160;B.: Aristoteles sagt, daß eine Stadt <em class="gesperrt">so</em> gebaut
-sein müsse, <em class="gesperrt">um</em> die Menschen zugleich sicher und glücklich
-<em class="gesperrt">zu</em> machen – behauptet jemand, daß der Zucker <em class="gesperrt">so</em> belastet
-sei, <em class="gesperrt">um</em> weitere Lasten nicht <em class="gesperrt">zu</em> ertragen – er hatte
-gerade noch <em class="gesperrt">so</em> viel Zeit, <em class="gesperrt">um</em> sich in das Dickicht
-<em class="gesperrt">zu</em> schleichen – die Verhältnisse haben sich <em class="gesperrt">so</em> weit
-geordnet, <em class="gesperrt">um</em> der Nation eine andre Haltung <em class="gesperrt">zu</em> ermöglichen
-– dieses Licht läßt uns gerade <em class="gesperrt">so</em> viel sehen, <em class="gesperrt">um</em> dem
-Ewigen und Rätselhaften seine Launen ab<em class="gesperrt">zu</em>lauschen – wenn man
-nur <em class="gesperrt">so</em> viel Freiheit des Geistes hat, <em class="gesperrt">um</em> sich über die
-Macht der Gewohnheit empor<em class="gesperrt">zu</em>schwingen – die Realien waren noch
-nicht <em class="gesperrt">so</em> weit in sich gefestigt, <em class="gesperrt">um</em> als Bildungsmittel<span class="pagenum" id="Seite_297">[S. 297]</span>
-Verwendung <em class="gesperrt">zu</em> finden – wir müssen das Reinlichkeitsbedürfnis
-in uns <em class="gesperrt">so</em> entwickeln, <em class="gesperrt">um</em> schmutzige Literatur
-fern<em class="gesperrt">zu</em>halten – <em class="gesperrt">so</em> einfach sind denn doch diese Fragen
-nicht, <em class="gesperrt">um</em> sie spielend mit einem Worte <em class="gesperrt">zu</em> erledigen
-– die Herren sind nicht <em class="gesperrt">so</em> dumm, <em class="gesperrt">um</em> auf diesen Leim
-<em class="gesperrt">zu</em> gehen. In einigen der angeführten Beispiele mag wohl das
-Bestreben, nicht zwei Nebensätze hintereinander – einen Objektsatz
-und einen Folgesatz – mit <em class="gesperrt">daß</em> anzufangen (für manche Leute ein
-entsetzlicher Gedanke!), zu dem Fehler verleitet haben. Dem läßt sich
-aber doch leicht dadurch aus dem Wege gehen, daß man den Objektsatz
-ohne <em class="gesperrt">daß</em> bildet: behauptet jemand, der Zucker sei <em class="gesperrt">so</em>
-belastet, <em class="gesperrt">daß</em> er usw.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Falsche_Wortstellung">Falsche Wortstellung</h3>
-
-</div>
-
-<p>Ein völlig vernachlässigtes Kapitel der deutschen Grammatik ist die
-Lehre von der Wortstellung. Die meisten haben kaum eine Ahnung davon,
-daß es Gesetze für die Wortstellung in unsrer Sprache gibt. Gewöhnlich
-besteht die gesamte Weisheit, die dem Schüler oder dem Ausländer,
-der Deutsch lernen möchte, eingeflößt wird, in der Regel, daß in
-Nebensätzen das Zeitwort am Ende, in Hauptsätzen in der Mitte zu stehen
-pflege; im übrigen, meint man, herrsche in unsrer Wortstellung die
-„größte Freiheit“.</p>
-
-<p>Ein Glück, daß das natürliche Sprachgefühl noch immer so lebendig ist,
-daß die Gesetze der Wortstellung, wie sie sich teils aus dem Sinne,
-teils aus rhythmischem Bedürfnis, teils aus der Art der Darstellung
-(schlichte Prosa, Dichtersprache oder Rednersprache) ergeben, trotz
-der angeblichen „Freiheit“ im allgemeinen richtig beobachtet werden.
-Dennoch gibt es auch eine Reihe von argen Verstößen dagegen, die
-sehr verbreitet und beliebt sind. Auf Abgeschmacktheiten, wie die
-des niedrigen Geschäftsstils, bei Preisangaben von <em class="gesperrt">Mark 50</em> zu
-reden, statt, wie jeder vernünftige Mensch sagt, von <em class="gesperrt">50 Mark</em>,
-oder auf Briefadressen zu schreiben, wie man es neuerdings, natürlich
-wieder die Engländer nachäffend, tut: <em class="gesperrt">20 Königsstraße Leipzig</em>,
-statt, wie jeder vernünftige Mensch sagt: <em class="gesperrt">Leipzig, Königsstraße
-20</em>, soll dabei<span class="pagenum" id="Seite_298">[S. 298]</span> gar nicht geachtet werden; ebensowenig auf die
-Ziererei mancher Schriftsteller, in schlichter Prosa einen Genitiv
-immer vor das Hauptwort zu stellen, von dem er abhängt.<a id="FNAnker_139" href="#Fussnote_139" class="fnanchor">[139]</a> Auch der
-häßliche Latinismus, den manche so lieben: <em class="gesperrt">Goethe, nachdem er</em>
-(vgl. <span class="antiqua">Caesar, cum</span>), soll nur beiläufig erwähnt werden. Ein
-Nebensatz, der mit einem Fügewort anfängt, und ein Infinitivsatz können
-in einen Hauptsatz nur dann eingeschoben werden, wenn das Zeitwort des
-Hauptsatzes bereits ausgesprochen ist. Eine Wortstellung wie in dem
-Fibelverse: <em class="gesperrt">die Gans, wenn sie</em> gebraten ist, wird mit der Gabel
-angespießt, oder: <em class="gesperrt">dem Hunde, wenn</em> er gut gezogen, ist auch ein
-weiser Mann gewogen – ist wohl dem Dichter erlaubt, aber in Prosa sind
-Satzgefüge wie folgende undeutsch: <em class="gesperrt">die Pflanzen, um zu gedeihen</em>,
-bedürfen des wärmenden Sonnenlichts – die <em class="gesperrt">katholische Kirche, wie
-sie</em> sich gern der Siebenzahl freut, zählt auch sieben Werke der
-Barmherzigkeit – alle <em class="gesperrt">andern Parteien, wenn sie</em> im übrigen noch
-so bedenkliche Grundsätze haben, erkennen doch den Staat als notwendig
-an – der <em class="gesperrt">Verband der Sattler, obwohl</em> er erst ein Jahr besteht,
-umfaßt bereits 37 Vereine. Entweder muß es heißen: der Verband der
-Sattler <em class="gesperrt">umfaßt, obwohl er</em> – oder der Nebensatz muß mit dem
-Hauptworte vorangestellt werden: <em class="gesperrt">obwohl der Verband</em> der Sattler
-usw., <em class="gesperrt">so umfaßt er doch</em>. Auch der Fehler, der in Satzgefügen
-wie folgenden liegt: um die Reisekosten, die er auf andre Weise nicht
-beschaffen konnte, <em class="gesperrt">aufzutreiben</em> – auf einem der schönsten
-Plätze der Welt, der zugleich ein Hauptkreuzungspunkt städtischen und
-vorstädtischen Verkehrs ist, <em class="gesperrt">gelegen</em> – M. ist nun auch unter
-die Novellisten, wohl mehr der Mode folgend als dem innern Drange,
-<em class="gesperrt">gegangen</em> – mir liegt das Stammbuch eines Holsteiners, der um
-1750 in Helmstedt studierte, <em class="gesperrt">vor</em> – sieht man von der kurzen
-Würdigung, die Waldberg 1889 in der Allgemeinen Deutschen Biographie
-gegeben hat, <em class="gesperrt">ab</em> – am Neumarkte rissen gestern zwei vor einen<span class="pagenum" id="Seite_299">[S. 299]</span>
-Korbwagen gespannte Pferde eine Frau, die auf der Straße stand und
-sich mit einer andern Frau unterhielt, <em class="gesperrt">um</em> – der Redner brach,
-da die Zeit inzwischen längst die zulässige Frist von zehn Minuten
-überschritten hatte und noch ein andrer Redner zu Worte kommen wollte,
-auf die Aufforderung des Vorsitzenden, mit der Bemerkung, daß er noch
-viel zu sagen habe, <em class="gesperrt">ab</em> – auch dieser Fehler soll hier nur
-gestreift werden. Die Fälle brauchen nicht immer so lächerlich zu
-sein wie der letzte; ein eingeschobnes Satzglied muß zusammen mit dem
-Gliede, in das es eingeschoben wird, immer folgende Gestalt ergeben,
-wenn die Verbindung angenehm wirken soll:</p>
-
-<p class="center">[————[————]————]</p>
-
-<p class="p0">Sehen sie zusammen so aus:</p>
-
-<p class="center">[———————[————]—]</p>
-
-<p class="p0">so ist der Bau verfehlt, und es ist dann besser, die Einschiebung
-lieber ganz zu unterlassen, die Glieder so zu ordnen:</p>
-
-<p class="center">[——————]&#160;[——————]</p>
-
-<p class="p0">und zu schreiben: M. ist nun auch unter die Novellisten gegangen, wohl
-mehr der Mode folgend als dem innern Drange.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Die_alte_gute_Zeit">Die alte gute Zeit oder die gute alte Zeit?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Ein Verstoß gegen die Gesetze der Wortstellung, der sehr oft
-vorkommt und nicht gerade von scharfem Denken zeugt, ist der, daß
-zwei Adjektiva (oder ein Adjektiv und ein Partizip oder Zahlwort) in
-verkehrter Reihenfolge zu einem Substantiv gesetzt werden, z.&#160;B.: ein
-<em class="gesperrt">sächsischer junger</em> Leutnant – die <em class="gesperrt">ausländische gesamte</em>
-Medizin – <em class="gesperrt">westfälische mittelalterliche</em> Volkslieder –
-man schöpfte mit <em class="gesperrt">hölzernen großen</em> Kannen – wenn die Sonne
-schien, wurden die <em class="gesperrt">seidnen verblaßten</em> Vorhänge zugezogen
-– da wollte auf dem Boden des Handwerks nicht einmal mehr das
-<em class="gesperrt">tägliche kärgliche</em> Brot wachsen – die Turnübungen finden in
-der <em class="gesperrt">städtischen geräumigen</em> Turnhalle statt – die Bestrebungen,
-den Arbeiterfamilien <em class="gesperrt">eigne behagliche</em><span class="pagenum" id="Seite_300">[S. 300]</span> Wohnungen zu schaffen –
-die Bildung <em class="gesperrt">künftiger maßgebender</em> Staatsbeamten – in Zeiten
-<em class="gesperrt">wirtschaftlicher</em> schroff aufeinander <em class="gesperrt">stoßender</em> Gegensätze
-– eine <em class="gesperrt">chronische</em> mit Geduld <em class="gesperrt">ertragne</em> Krankheit – ein
-<em class="gesperrt">sittlicher angeborner</em> Defekt usw. In allen diesen Fällen ist das
-Eigenschaftswort, das unmittelbar vor dem Hauptworte stehen müßte, weil
-es mit diesem zusammen <em class="gesperrt">einen</em> Begriff bildet, durch ein zweites
-Eigenschaftswort, das dem Schreibenden nachträglich noch eingefallen
-ist, von dem Hauptworte getrennt; soll die Darstellung logisch richtig
-werden, so müssen die beiden Eigenschaftswörter überall ihre Plätze
-wechseln. Das ärgste dieser Art ist die <em class="gesperrt">alte gute Zeit</em>, der
-<em class="gesperrt">alte gute Taler</em>, wie man jetzt auch zu schreiben anfängt. Die
-<em class="gesperrt">alte Zeit</em> ist <em class="gesperrt">ein</em> Begriff (die Vergangenheit); tritt
-zu diesem Begriff das Eigenschaftswort <em class="gesperrt">gut</em>, so darf er nicht
-zerrissen werden, sondern es muß heißen: die <em class="gesperrt">gute alte Zeit</em>.
-Man muß sich also immer klarmachen, welches von den beiden Adjektiven
-das wesentliche ist; dies gehört dann unmittelbar vor das Hauptwort.
-Bezeichnet eins der beiden Adjektiva einen Stoff (<em class="gesperrt">hölzern</em>,
-<em class="gesperrt">seiden</em>) oder die Herkunft (<em class="gesperrt">sächsisch</em>, <em class="gesperrt">ausländisch</em>,
-<em class="gesperrt">westfälisch</em>), so gehört dieses in der Regel unmittelbar vor
-das Hauptwort: <em class="gesperrt">mit großen hölzernen</em> Kannen, ein <em class="gesperrt">junger
-sächsischer Leutnant</em>. Natürlich ist es auch möglich, daß das
-andre Adjektiv mit dem Substantiv zusammen einen Begriff bildet
-oder wenigstens – bilden soll; dann muß die Ortsbezeichnung von
-dem Hauptwort entfernt werden, z.&#160;B.: <em class="gesperrt">Leipziger elektrische</em>
-Straßenbahn – <em class="gesperrt">Münchner neueste</em> Nachrichten – <em class="gesperrt">englische
-historische</em> Romane – die <em class="gesperrt">sächsische zweite</em> Kammer –
-die <em class="gesperrt">Straßburger katholische</em> Fakultät – seine <em class="gesperrt">Nürnberger
-gelehrten</em> Freunde usw. Sage ich: der <em class="gesperrt">höchste Leipziger</em>
-Turm, so stelle ich mir alle Leipziger Türme vor und greife dann den
-höchsten heraus; bei den <em class="gesperrt">Leipziger neuesten</em> Nachrichten dagegen
-soll ich mir alle Zeitungen vorstellen, die Neueste Nachrichten heißen,
-und soll dann die Leipziger herausgreifen. So ist auch der <em class="gesperrt">letzte
-schwere</em> Tag der letzte einer Reihe von schweren Tagen,<span class="pagenum" id="Seite_301">[S. 301]</span> z.&#160;B. einer
-Examenwoche, dagegen der <em class="gesperrt">schwere letzte</em> Tag der Todestag.</p>
-
-<p>Grundfalsch ist also auch, was man fast in allen antiquarischen
-Bücherverzeichnissen lesen muß: <em class="gesperrt">erste seltne</em> Ausgabe. Es klingt
-das, als ob es von dem Buche mehrere seltne Ausgaben gäbe, und die
-jetzt verkäufliche die erste davon wäre. Die Antiquare wollen aber
-sagen, es sei überhaupt die erste Ausgabe, die Originalausgabe, die
-<span class="antiqua">editio princeps</span>, und diese sei selten. Das kann nur heißen:
-<em class="gesperrt">seltne erste Ausgabe</em>. Anders verhält sichs mit der <em class="gesperrt">zweiten,
-verbesserten</em> Ausgabe. Hier ist <em class="gesperrt">verbessert</em> ein nachträglicher
-Zusatz, wie schon das Komma zeigt, das hier nicht fehlen darf, aber auf
-Büchertiteln leider sehr oft fehlt; der Sinn ist: <em class="gesperrt">zweite</em>, (und
-zwar) <em class="gesperrt">verbesserte</em> Auflage. Läßt man das Komma weg, so erweckt
-das die Vorstellung, als ob schon eine <em class="gesperrt">erste verbesserte</em> Auflage
-vorhergegangen, die vorliegende also im ganzen die dritte wäre. Manchem
-wird das als unnötige Diftelei erscheinen, es handelt sich aber um
-einen ganz groben, handgreiflichen Unterschied.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Hoehenkurort_fuer_Nervenschwache_ersten_Ranges">Höhenkurort für
-Nervenschwache ersten Ranges</h3>
-
-</div>
-
-<p>Mit großer Schnelligkeit, bazillusartig, wie immer, hat sich seit
-einiger Zeit ein Fehler in der Wortstellung verbreitet, der noch
-vor fünfzig Jahren ganz undenkbar gewesen wäre, der Fehler, der in
-Verbindungen liegt, wie den folgenden: <em class="gesperrt">der Direktor Hittenkofer
-des Technikums zu Strelitz</em> – <em class="gesperrt">das Töchterchen Alice des
-Herrn Hofhotelier Baumann</em> – <em class="gesperrt">die Sektion Sterzing des
-österreichischen Touristenklubs</em>. Hier sind zwei Konstruktionen
-in- und durcheinandergeschoben. Richtig ist es, zu sagen: <em class="gesperrt">der
-Direktor Hittenkofer</em>; hier ist der Name <em class="gesperrt">Hittenkofer</em> das
-Hauptwort, und <em class="gesperrt">der Direktor</em> eine Apposition dazu. Richtig ist
-es auch, zu sagen: <em class="gesperrt">der Direktor des Technikums</em>; hier ist <em class="gesperrt">der
-Direktor</em> das Hauptwort, und <em class="gesperrt">des Technikums</em> ein Attribut
-dazu. Aber falsch ist es, beide Konstruktionen so miteinander zu
-verbinden, wie es in den angeführten Beispielen geschehen ist; denn<span class="pagenum" id="Seite_302">[S. 302]</span>
-dann ist <em class="gesperrt">Hittenkofer</em> das Hauptwort zu der Apposition <em class="gesperrt">der
-Direktor</em>, und gleichzeitig der <em class="gesperrt">Direktor</em> das Hauptwort zu
-dem Attribut <em class="gesperrt">des Technikums</em>. Will man beide Konstruktionen
-verbinden, so kann es nur heißen: <em class="gesperrt">der Direktor des Technikums zu
-Strelitz Hittenkofer</em>. Dann ist <em class="gesperrt">Hittenkofer</em> das Hauptwort,
-<em class="gesperrt">der Direktor</em> die Apposition dazu, und <em class="gesperrt">des Technikums</em> das
-Attribut zur Apposition. Wer ein wenig Sprachgefühl hat, für den wird
-es dieser langen Auseinandersetzung gar nicht bedurft haben. Man denke
-sich, daß jemand sagen wollte: <em class="gesperrt">die Ballade Erlkönig Goethes</em> –
-<em class="gesperrt">der Doktor Meurer der Medizin</em> – <em class="gesperrt">der Minister von Dallwitz
-des Innern</em> – <em class="gesperrt">der Begründer Ritter der wissenschaftlichen
-Erdkunde</em> – <em class="gesperrt">das Mitglied Eugen Richter des Reichstags</em> –
-jeder würde das für lächerlich und ganz unmöglich halten, und doch
-wären das ganz ähnliche Verbindungen.<a id="FNAnker_140" href="#Fussnote_140" class="fnanchor">[140]</a></p>
-
-<p>Wer sich den logischen Verstoß, der in solchen Ineinanderschiebungen
-liegt, nicht klarmachen kann, der müßte doch wenigstens stutzig werden,
-wenn er den abhängigen Genitiv, der sonst immer unmittelbar auf das
-Wort folgt, von dem er abhängt, hier durch ein dazwischengeschobnes
-Wort davon getrennt sieht! Es wird aber niemand stutzig; man
-schreibt ruhig: <em class="gesperrt">der Redakteur</em> Küchling des Leipziger
-<em class="gesperrt">Tageblatts</em>, <em class="gesperrt">der Direktorialassistent</em> Prof. Vogel
-des städtischen <em class="gesperrt">Museums</em>, der <em class="gesperrt">Sekondeleutnant</em> von
-Guttenberg <em class="gesperrt">des Infanterieleibregiments</em>, <em class="gesperrt">der Prokurist</em>
-Hermann Becker <em class="gesperrt">der Firma</em> Schimmel und Ko., <em class="gesperrt">der Insasse</em>
-Körner <em class="gesperrt">des</em> hiesigen <em class="gesperrt">Arbeitshauses</em>, <em class="gesperrt">der Mönch</em>
-Bernardus <em class="gesperrt">des Klosters</em> St. Stephan, <em class="gesperrt">der Roman</em>anfang
-„Waldrauschen“ der <em class="gesperrt">Gartenlaube</em>, <em class="gesperrt">das Segelboot</em> Undine
-<em class="gesperrt">des Prinzen</em> Demidoff, <em class="gesperrt">der Passagierdampfer</em> Großer
-Kurfürst <em class="gesperrt">des Norddeutschen Lloyd</em>, <em class="gesperrt">das Pferd</em> Lippspringe
-<em class="gesperrt">des Freiherrn</em> von Reitzenstein, <em class="gesperrt">die Komödie</em> Hans Pfriem
-<em class="gesperrt">des Martin Hayneccius</em>,<span class="pagenum" id="Seite_303">[S. 303]</span> <em class="gesperrt">die Marmorbüste</em> Die Verdammnis
-<em class="gesperrt">des</em> kurfürstl. sächs. <em class="gesperrt">Hofbildhauers</em> Permoser, <em class="gesperrt">der
-Bezirksverband</em> Sachsen <em class="gesperrt">des deutschen Schmiedeverbandes</em>,
-<em class="gesperrt">die Ortsgruppe</em> Zeitz <em class="gesperrt">des</em> Allgemeinen deutschen
-<em class="gesperrt">Schulvereins</em>, <em class="gesperrt">der Zweigverein</em> Berlin-Charlottenburg
-<em class="gesperrt">des</em> Allgemeinen deutschen <em class="gesperrt">Sprachvereins</em> (!), <em class="gesperrt">die
-Haltestelle</em> Zwischenbrücken <em class="gesperrt">der</em> Plagwitzer <em class="gesperrt">Eisenbahn</em>,
-<em class="gesperrt">die Strecke</em> Faido-Lavorgo <em class="gesperrt">der Gotthardbahn</em> und (das
-Neueste!): <em class="gesperrt">die Königin</em> Wilhelmine <em class="gesperrt">der Niederlande</em>, <em class="gesperrt">der
-Prinz</em> Heinrich <em class="gesperrt">der Niederlande</em> und <em class="gesperrt">die Königin-Mutter</em>
-Emma <em class="gesperrt">der Niederlande</em>. Und die angeführten Beispiele zeigen, daß
-der Fehler keineswegs bloß in Zeitungen grassiert, sondern auch in
-wissenschaftlichen Werken spukt.</p>
-
-<p>Unleugbar hat der Fehler etwas bequemes, und das Bestreben, ihn
-zu vermeiden, manchmal etwas unbequemes. Aber wird er dadurch
-erträglicher? Wem es nicht gefällt, zu sagen: <em class="gesperrt">die Ortsgruppe des
-Allgemeinen deutschen Schulvereins Zeitz</em> (natürlich ist das
-häßlich, aber doch nicht wegen der Wortstellung, sondern weil einer
-„Ortsgruppe“ frischweg ein Städtename beigelegt wird), der sage doch:
-<em class="gesperrt">die Zeitzer Ortsgruppe</em> des Allgemeinen deutschen Schulvereins.
-Das ist deutsch.</p>
-
-<p>Streng genommen ist es natürlich auch falsch, zu sagen: <em class="gesperrt">der
-Wetterbericht</em> Nr. 200 <em class="gesperrt">des Meteorologischen Instituts</em>.
-Hier drängt sich <em class="gesperrt">Nr. 200</em> eben so störend zwischen die beiden
-untrennbaren Glieder wie in den vorher angeführten Beispielen
-die Eigennamen; deutsch wäre: <em class="gesperrt">der 200. Wetterbericht des
-Meteorologischen Instituts</em>. Ganz falsch ist: eine <em class="gesperrt">Stiftung</em>
-von 7000 Mark <em class="gesperrt">des Landgerichtsrat</em> N. – eine <em class="gesperrt">Handschrift</em>
-von 240 Blatt <em class="gesperrt">der Münchner Hof- und Staatsbibliothek</em> – <em class="gesperrt">die
-Abteilung</em> für Kriegsgeschichte <em class="gesperrt">des Großen Generalstabs</em>
-– <em class="gesperrt">die Adreßbücher</em> für 1906 <em class="gesperrt">der Städte Berlin, Bremen
-und Breslau</em> – <em class="gesperrt">der Oberarzt</em> für Hautkrankheiten <em class="gesperrt">des
-städtischen Krankenhauses</em> – <em class="gesperrt">Höhenkurort</em> für Nervenschwache
-<em class="gesperrt">ersten Ranges</em> – <em class="gesperrt">Friseurgeschäft</em> für Herren und Damen
-<em class="gesperrt">ersten Ranges</em> – <em class="gesperrt">der Entwurf</em><span class="pagenum" id="Seite_304">[S. 304]</span> zu einem Brunnen
-<em class="gesperrt">des Herrn Werner Stein</em> – <em class="gesperrt">das Promemoria</em> an die
-kurfürstliche Bücherkommission <em class="gesperrt">des Professors Ernesti</em> –
-<em class="gesperrt">der Mangel</em> an Selbstbewußtsein und Selbständigkeit <em class="gesperrt">der
-deutschen Mädchen</em> – eine öffentliche <em class="gesperrt">Vorlesung</em> gegen
-Entree <em class="gesperrt">der</em> am beifälligsten begrüßten <em class="gesperrt">Produktionen</em> –
-ein großes <em class="gesperrt">Konzert</em> mit darauffolgendem Ball <em class="gesperrt">der</em> ganzen
-<em class="gesperrt">Kapelle</em> des Füsilierregiments Nr. 36 usw. Auch hier sind
-überall zwei Konstruktionen, und zwar beidemal ein Hauptwort mit
-Attribut (z.&#160;B. <em class="gesperrt">der Oberarzt des städtischen Krankenhauses</em>
-und der <em class="gesperrt">Oberarzt für Hautkrankheiten</em>), in unerträglicher
-Weise ineinander geschoben, unerträglich deshalb, weil dadurch
-der Genitiv von dem Worte weggerissen ist, zu dem er gehört.
-Freilich läßt sich auch in solchen Fällen nicht immer durch bloße
-Umstellung helfen. Schreibt man: <em class="gesperrt">der Oberarzt des städtischen
-Krankenhauses für Hautkrankheiten</em>, so ist zwar die unsinnige
-Verbindung: <em class="gesperrt">Hautkrankheiten des städtischen Krankenhauses</em>
-beseitigt; aber dafür wird nun das Mißverständnis möglich, daß es
-ein besondres Krankenhaus für Hautkrankheiten gebe. In solchen
-Fällen bleibt nichts übrig, als ein Partizip zu Hilfe zu nehmen und
-zu schreiben: der an dem städtischen Krankenhaus <em class="gesperrt">angestellte</em>
-Oberarzt für Hautkrankheiten. Solche Partizipia werden so oft ganz
-überflüssigerweise hinzugesetzt (vgl. <a href="#Seite_291">S. 291</a>), daß man auch einmal eins
-hinzusetzen kann, wo es notwendig ist.</p>
-
-<p>Besonders schlimm sind aber nun drei Verstöße gegen die Gesetze der
-Wortstellung, die zum Teil schon seit alter Zeit, zum Teil auch erst in
-neuerer Zeit für besondre Feinheiten und Schönheiten gehalten werden
-und deshalb nicht eindringlich genug bekämpft werden können. Der erste
-ist:</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Die_sogenannte_Inversion_nach_und">Die sogenannte Inversion nach und</h3>
-
-</div>
-
-<p>Als Inversion (Umkehrung, Umstellung) bezeichnet man es in der
-deutschen Grammatik, wenn in Hauptsätzen das Prädikat vor das Subjekt
-gestellt wird. Mit Inversion werden alle direkten Fragesätze gebildet,
-aber auch Bedingungssätze, wenn sie kein Fügewort haben<span class="pagenum" id="Seite_305">[S. 305]</span> (<em class="gesperrt">hätte
-ich dich</em> gesehen), und Wunsch- und Aufforderungssätze. Aber auch
-Aussagesätze müssen die Inversion haben, sobald sie mit dem Objekt, mit
-einem Adverbium oder einer adverbialen Bestimmung anfangen; es heißt:
-<em class="gesperrt">den Vater haben wir</em> – <em class="gesperrt">dem Himmel haben wir</em> – <em class="gesperrt">gestern
-haben wir</em> – <em class="gesperrt">dort haben wir</em> – <em class="gesperrt">schon oft haben wir</em>
-– <em class="gesperrt">aus diesem Grunde haben wir</em> – <em class="gesperrt">trotzdem haben wir</em> –
-<em class="gesperrt">zwar haben wir</em> – <em class="gesperrt">freilich haben wir</em> – <em class="gesperrt">auch haben
-wir</em> usw., nicht (wie im Französischen und im Englischen) <em class="gesperrt">gestern
-wir haben</em>. Ebenso ist die Inversion in Aussagesätzen am Platze
-bei dem begründenden <em class="gesperrt">doch</em>: <em class="gesperrt">habe ich es doch</em> selber mit
-angesehen! Dagegen ist die Inversion völlig ausgeschlossen hinter
-Bindewörtern; es heißt: <em class="gesperrt">oder wir haben</em>, <em class="gesperrt">aber wir haben</em>,
-<em class="gesperrt">sondern wir haben</em>, <em class="gesperrt">denn wir haben</em>. Nur hinter <em class="gesperrt">und</em>,
-das doch unzweifelhaft ein Bindewort ist, halten es viele nicht bloß
-für möglich, sondern sogar für eine besondre Schönheit, die Inversion
-anzubringen und zu schreiben: <em class="gesperrt">und haben wir</em>. Der Amtsstil, der
-Zeitungsstil, der Geschäftsstil, sie wimmeln von solchen Inversionen
-nach <em class="gesperrt">und</em>, viele halten sie für einen solchen Schmuck der Rede,
-daß sie selbst da, wo zwei Aussagesätze dasselbe Subjekt haben, es also
-genügte, zu sagen: die erste <em class="gesperrt">Lieferung</em> ist soeben <em class="gesperrt">erschienen
-und liegt</em> in allen Buchhandlungen zur Ansicht aus – nur um die
-Inversion anbringen zu können (!), das Subjekt wiederholen, und
-zwar in der Gestalt des schönen <em class="gesperrt">derselbe</em>, und schreiben: die
-erste Lieferung ist soeben erschienen, <em class="gesperrt">und liegt dieselbe</em> in
-allen Buchhandlungen zur Ansicht aus – die <em class="gesperrt">Fluchtlinie</em> und
-das <em class="gesperrt">Straßenniveau werden</em> vom Rate <em class="gesperrt">vorgeschrieben, und sind
-dieselben</em> dieser Vorschrift entsprechend auszuführen. Bedarf es
-noch weiterer Beispiele? Wohl nicht. Sie stehen dutzendweise in jeder
-Zeitung. Der Beginn der Vorstellung ist auf sechs Uhr festgesetzt,
-<em class="gesperrt">und wollen wir</em> nicht unterlassen, darauf aufmerksam zu machen
-– der Verein hat sich in diesem Jahre außerordentlich günstig
-entwickelt, <em class="gesperrt">und finden die Bestrebungen</em> desselben allgemeine
-Anerkennung – die alte Orgel war sehr baufällig geworden,<span class="pagenum" id="Seite_306">[S. 306]</span> <em class="gesperrt">und
-wurde die Reparatur</em> dem Orgelbaumeister Herrn G. übertragen –
-der Austernfang ist in letzter Zeit sehr ergiebig gewesen, <em class="gesperrt">und
-wurden</em> am Dienstag wieder 10000 Stück in die Stadt gebracht –
-sämtliche Stoffe sind von mir für Leipzig engagiert, <em class="gesperrt">und können</em>
-daher <em class="gesperrt">dieselben Muster</em> nicht von andrer Seite geboten werden
-– die Ruine ist in zehn Minuten zu erreichen, <em class="gesperrt">und bietet sich</em>
-unterhalb derselben <em class="gesperrt">ein herrliches Panorama</em> – heute findet ein
-nochmaliges Ochsenbraten statt, <em class="gesperrt">und können wir</em> den Besuch des
-Restaurants nur empfehlen – anders wird gar nicht geschrieben. Prof.
-X ist hier eingetroffen, <em class="gesperrt">und fand</em> – na, was fand er denn? eine
-begeisterte Aufnahme? Gott bewahre! – <em class="gesperrt">und fand</em> ihm zu Ehren
-<em class="gesperrt">ein Festmahl</em> statt. Es gibt aber auch Frauen und Mädchen, die
-imstande sind, auf einer Postkarte zwei Inversionen anzubringen und
-damit Wunder was für ein feines Briefchen gedrechselt zu haben glauben:
-Nun sind die schönen Tage in Dresden bald vorüber, <em class="gesperrt">und sende ich
-Ihnen</em> herzliche Grüße; mein Auftreten ist gut gelungen, <em class="gesperrt">und
-freue ich mich</em> nun wieder auf unsre gemütlichen Abende usw.</p>
-
-<p>Einigermaßen erträglich wird die Inversion nach <em class="gesperrt">und</em>, wenn an
-der Spitze des ersten Satzes eine adverbielle Bestimmung steht, die
-sich zugleich auf den zweiten Satz bezieht, z.&#160;B.: <em class="gesperrt">hier</em> hört
-das Rostocker Stadtrecht auf <em class="gesperrt">und fängt</em> die gesunde Vernunft
-an – <em class="gesperrt">so</em> werden unsre Reichen mit Wintergemüse versorgt
-<em class="gesperrt">und wird</em> die Zahl der Genußmittel um einige überflüssige
-vermehrt – <em class="gesperrt">zum Glück</em> gibt es noch anständige Meister <em class="gesperrt">und
-nehmen</em> die Fabriken einen großen Teil der jungen Leute auf –
-<em class="gesperrt">selbstverständlich</em> gehört Freigebigkeit gegen die Priester zu
-den Hauptbestandteilen der Frömmigkeit <em class="gesperrt">und ist Geiz</em> gegen sie
-die größte aller Sünden – <em class="gesperrt">zur Pflege der Geselligkeit</em> fand
-im Januar eine Christbescherung statt <em class="gesperrt">und wurden</em> im Laufe des
-Sommers mehrere Ausflüge unternommen – <em class="gesperrt">wo Hindernisse im Wege
-stehen</em> (Adverbsatz), pflegt sich die Menge innerhalb des ersten
-Kreises zu halten <em class="gesperrt">und kommt</em> die Überschreitung des zweiten
-nur selten vor.<span class="pagenum" id="Seite_307">[S. 307]</span> Man hat diesen Fall besonders die „Inversion nach
-Spitzenbestimmung“ genannt.</p>
-
-<p>Auf keinem Kunstgebiete kann es ein so schlagendes Beispiel für die
-Verschiedenheit des Geschmacks geben wie auf dem Gebiete der Sprache
-die Inversion nach <em class="gesperrt">und</em>. Der Beamte, der Zeitungschreiber,
-der Kaufmann hält sie für die größte Zierde der Rede; für den
-sprachfühlenden Menschen ist sie der größte Greuel, der unsre Sprache
-verunstaltet, sie geht ihm noch über <em class="gesperrt">seitens</em>, über bzw.,
-über <em class="gesperrt">selbstredend</em>, über <em class="gesperrt">diesbezüglich</em>, sie erregt ihm
-geradezu Brechreiz. Sie ist ihm so zuwider, daß er sie auch nach der
-„Spitzenbestimmung“ nicht schreibt; selbst da gibt er lieber, um jeden
-Anklang an die widerwärtige Verbindung zu vermeiden, die Inversion,
-die der erste Satz mit Recht hat, im zweiten auf und schreibt:
-<em class="gesperrt">übrigens</em> hatte diese Ordnung nichts puritanisches an sich,
-<em class="gesperrt">und das Joch</em> der Sittenzucht <em class="gesperrt">war</em> nicht übermäßig schwer
-(statt: <em class="gesperrt">und war das Joch</em>).</p>
-
-<p>Das Widerwärtige der Inversion liegt nicht nur in dem grammatischen
-Verstoß, sondern vor allem in der logischen Lüge: die Inversion sucht
-den Schein engerer, ja engster Gedankenverbindung zu erwecken, und
-doch haben die beiden Sätze, die so verbunden werden, inhaltlich
-gewöhnlich gar nichts miteinander zu tun. Darum ist auch die Inversion
-nur selten dadurch zu verbessern, daß man die beiden Hauptsätze in
-Haupt- und Nebensatz verwandelt, noch seltner dadurch, daß man Subjekt
-und Prädikat hinter <em class="gesperrt">und</em> in die richtige Stellung bringt,
-sondern meist dadurch, daß man den Rat befolgt, den schon der junge
-Leipziger Student Goethe (offenbar nach einer Vorschrift aus Gellerts
-Kolleg über deutschen Stil) seiner Schwester Cornelia gab, wenn sie in
-ihren Briefen Inversionen geschrieben hatte: einen Punkt zu setzen,
-das <em class="gesperrt">und</em> zu streichen und mit einem großen Anfangsbuchstaben
-fortzufahren.</p>
-
-<p>Die Inversion ist aber auch eins der merkwürdigsten Beispiele des
-wunderlichen Standpunkts, den manche Sprachgelehrten zu der Frage über
-Richtigkeit und Schönheit der Sprache einnehmen. Es gibt Germanisten,
-die sagen: mir persönlich (!) ist die Inversion auch unsympathisch<span class="pagenum" id="Seite_308">[S. 308]</span>
-(!), aber „eigentlich falsch“ kann man sie nicht nennen, denn sie
-ist doch sehr alt, sie findet sich schon im Althochdeutschen,
-im Mittelhochdeutschen, bei Luther, sehr oft im siebzehnten und
-achtzehnten Jahrhundert, und ihre große Beliebtheit gibt ihr doch ein
-gewisses Recht. Als ob eine häßliche Spracherscheinung dadurch schöner
-würde, daß sie jahrhundertealt ist!<a id="FNAnker_141" href="#Fussnote_141" class="fnanchor">[141]</a> Wer hat denn zu entscheiden,
-was richtig und schön sei in der Sprache: der sprachkundige,
-sprachgebildete, mit feinem und lebendigem Sprachgefühl begabte
-Schriftsteller, oder der Kanzlist, der Reporter und der „Konfektionär“?
-Ein Schriftsteller, der die Inversion nach <em class="gesperrt">und</em> aufs strengste
-vermieden hat, ist Lessing. Ich denke, der wird genügen.<a id="FNAnker_142" href="#Fussnote_142" class="fnanchor">[142]</a></p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Die_Stellung_der_persoenlichen_Fuerwoerter">Die Stellung der persönlichen
-Fürwörter</h3>
-
-</div>
-
-<p>Der zweite Verstoß betrifft die Stellung der persönlichen Fürwörter. Es
-handelt sich da wieder um eine Spracherscheinung, die äußerst häßlich
-ist und doch allgemein für eine Schönheit gehalten wird (vgl. <a href="#Fussnote_63">S. 116
-Anm.</a>). Um die Sache deutlich zu machen, soll zunächst der häufigste und
-auffälligste Fall besprochen werden.</p>
-
-<p>Wenn das Zeitwort eines Satzes ein Reflexivum ist, gleichviel ob das
-reflexive Verhältnis den Dativ oder den Akkusativ hat (<em class="gesperrt">sich</em>
-entschließen, <em class="gesperrt">sich</em> einbilden), so erscheint in der lebendigen
-Sprache das reflexive Fürwort <em class="gesperrt">sich</em> stets so zeitig wie
-möglich im Satze. In Nebensätzen wird es stets unmittelbar hinter
-das erste Wort gestellt, hinter das Relativ, hinter das Fügewort
-usw. (<em class="gesperrt">der sich</em>, <em class="gesperrt">wo sich</em>, <em class="gesperrt">wobei sich</em>, <em class="gesperrt">da
-sich</em>, <em class="gesperrt">obgleich<span class="pagenum" id="Seite_309">[S. 309]</span> sich</em>, <em class="gesperrt">als sich</em>, <em class="gesperrt">daß sich</em>,
-<em class="gesperrt">wenn sich</em>, <em class="gesperrt">als ob sich</em>, <em class="gesperrt">je mehr sich</em> usw.);
-erst dann folgt das Subjekt des Satzes. Nur wenn das Subjekt selbst
-ein persönliches Fürwort ist, geht dieses dem <em class="gesperrt">sich</em> voran
-(<em class="gesperrt">da es sich</em>, <em class="gesperrt">wenn sie sich</em>, <em class="gesperrt">die er sich</em>). In
-Hauptsätzen steht das <em class="gesperrt">sich</em> stets unmittelbar hinter dem Verbum
-(<em class="gesperrt">hat sich</em>, <em class="gesperrt">zeigt sich</em>, <em class="gesperrt">wird sich finden</em>); in
-Infinitivsätzen steht es ganz an der Spitze, mag das Verbum noch so
-reich mit Objekten, adverbiellen Bestimmungen u.&#160;dgl. bekleidet sein.
-Man beobachte sich selbst, man beobachte andre, wie sie reden, man wird
-höchst selten einer Abweichung von diesem Gesetze begegnen.</p>
-
-<p>Nun vergleiche man damit, wie geschrieben wird, ganz allgemein
-geschrieben wird, und sehe, wo da das <em class="gesperrt">sich</em> hingesetzt wird;
-die Stelle, wo es hingehört, soll jedesmal durch Klammern bezeichnet
-werden. Da heißt es in Hauptsätzen: selten <em class="gesperrt">hat</em> [] eine
-Darstellung so rasch in der Literatur <em class="gesperrt">sich eingebürgert</em> – durch
-die neue Ordnung <em class="gesperrt">glaubte</em> [] namentlich die Universität <em class="gesperrt">sich
-verletzt</em> – diese <em class="gesperrt">hielten</em> [] ohne Erlaubnis der Regierung
-in diesen Gegenden <em class="gesperrt">sich auf</em> – der heftige Seelenschmerz
-<em class="gesperrt">löste</em> [] in ein krampfhaftes Schluchzen <em class="gesperrt">sich auf</em> –
-eventuell (!) <em class="gesperrt">behält</em> [] der Verkäufer das Rückkaufsrecht <em class="gesperrt">sich
-vor</em> – als Porträtmaler <em class="gesperrt">schließt</em> [] Hausmann unmittelbar
-an Hoyer <em class="gesperrt">sich an</em>. Beim Infinitiv: nur einmal <em class="gesperrt">scheinen</em>
-[] die beiden <em class="gesperrt">sich gesprochen</em> zu haben – die Photographie
-<em class="gesperrt">scheint</em> [] in Rom wirklich bis an die Grenze echter Kunst
-<em class="gesperrt">sich zu erheben</em> – bald <em class="gesperrt">begannen</em> [] Menschen in dem Walde
-<em class="gesperrt">sich anzusammeln</em> – der Name <em class="gesperrt">dürfte</em> [] auf den ganzen
-Gebirgszug <em class="gesperrt">sich beziehen</em> – man <em class="gesperrt">mußte</em> [] in entsetzlichen
-Postkarren, von Ungeziefer halb verzehrt, unter Hunger und Durst, in
-jene schönen Gegenden <em class="gesperrt">sich durcharbeiten</em> – es ist leicht,
-[] diese Kenntnis <em class="gesperrt">sich anzueignen</em> – das Recht, [] an der
-friedlichen Kulturarbeit frei <em class="gesperrt">sich zu beteiligen</em>. In Nebensätzen
-endlich: die Verdienste, <em class="gesperrt">welche</em> (!) [] Eure Durchlaucht um das
-deutsche Vaterland <em class="gesperrt">sich erworben haben</em> – es ist das eine der
-schwierigsten Aufgaben, <em class="gesperrt">die</em> [] der menschliche Geist <em class="gesperrt">sich
-stellen kann</em> – bei dieser Lage der<span class="pagenum" id="Seite_310">[S. 310]</span> Dinge, <em class="gesperrt">die</em> [] binnen
-wenigen Monaten zu einer ganz unerträglichen <em class="gesperrt">sich ausbildete</em> –
-der geistige Zustand, <em class="gesperrt">in dem</em> [] die deutsche Jugend in der Zeit
-der französischen Invasion <em class="gesperrt">sich befand</em> – der Modegeschmack,
-<em class="gesperrt">der</em> [] namentlich auf dem Gebiete des Romans so rasch <em class="gesperrt">sich
-ändert</em> – die Philosophie, <em class="gesperrt">die</em> [] doch nur dem an das
-Denken gewöhnten Höhergebildeten <em class="gesperrt">sich erschließt</em> – ein Mann,
-<em class="gesperrt">der</em> [] bei allem Eifer für die katholische Sache doch einen
-warmen Patriotismus <em class="gesperrt">sich bewahrt hatte</em> – im Militärwaisenhaus,
-<em class="gesperrt">das</em> [] nach dem Willen des Königs zu einer möglichst großartigen
-Anlage <em class="gesperrt">sich gestalten soll</em> – die Schlagwörter, <em class="gesperrt">mit denen</em>
-[] die sozialdemokratischen Lehren <em class="gesperrt">sich zu schmücken lieben</em> –
-in Fällen, <em class="gesperrt">wo</em> [] das Bedürfnis dazu <em class="gesperrt">sich herausstellt</em>
-– der erste Akt versetzt uns in die Welt des Waldes, wo [] Roseggers
-Phantasie am meisten <em class="gesperrt">sich heimisch fühlt</em> – in Bonn, wo []
-die ganze Rheinstraße mit ihren Denkmälern zu Exkursionen <em class="gesperrt">sich
-anbietet</em> – die Verbrecher treiben allerlei Ulk, <em class="gesperrt">wobei</em> []
-ihre wahre Natur <em class="gesperrt">sich äußert</em> – die Schicksale, aus <em class="gesperrt">deren</em>
-Zusammenwirken [] erst die eigenartige Entwicklung von Hoffmanns
-Persönlichkeit <em class="gesperrt">sich erklären läßt</em> – unter der Bedingung,
-<em class="gesperrt">daß er</em> [] auf eine bestimmte Probezeit des Wilderns <em class="gesperrt">sich
-enthalte</em> – die Gegenwart beweist, <em class="gesperrt">daß</em> [] der kleine Betrieb
-dem Großkapital gegenüber <em class="gesperrt">sich</em> nicht <em class="gesperrt">halten kann</em> – der
-einzelne darf nicht verkennen, <em class="gesperrt">daß er</em> [] unter solchen Umständen
-zu Nutz und Frommen seiner Mitmenschen eine Selbstbeschränkung <em class="gesperrt">sich
-auferlegen muß</em> – <em class="gesperrt">als</em> [] fast sämtliche Klöster wieder
-mit den geistlichen Orden <em class="gesperrt">sich gefüllt hatten</em> – es wird noch
-geraume Zeit vergehen, <em class="gesperrt">ehe</em> [] ihr Ideal vollständig <em class="gesperrt">sich
-verwirklichen kann</em> – <em class="gesperrt">seitdem</em> [] das große, für die Kultur
-so folgenreiche Weltereignis der Entdeckung Amerikas durch Christoph
-Kolumbus <em class="gesperrt">sich ergab</em> – die Aufhebung des Gesetzes können
-wir nicht beklagen, <em class="gesperrt">da es</em> [] im Laufe der Jahre immer mehr
-als unbrauchbar <em class="gesperrt">sich erwiesen hat</em> – <em class="gesperrt">da er</em> [] gerade
-jetzt in der Lage <em class="gesperrt">sich befindet</em>, Zahlung leisten zu können –
-<em class="gesperrt">weil er</em> [] diese Eigenschaften bis in sein hohes Alter <em class="gesperrt">sich
-bewahrt hat</em> –<span class="pagenum" id="Seite_311">[S. 311]</span> <em class="gesperrt">nachdem</em> [] die ursprüngliche Bedeutung
-im Sprachbewußtsein <em class="gesperrt">sich verdunkelt hatte</em> – <em class="gesperrt">nachdem</em>
-[] die Wogen freundlicher und feindlicher Erregung, die das Buch
-hervorrief, <em class="gesperrt">sich gelegt haben</em> – <em class="gesperrt">wenn er</em> [] zuweilen
-zu religiösem Pathos <em class="gesperrt">sich erhob</em> – <em class="gesperrt">wenn</em> der Kurfürst
-abreist und [] auf einen seiner Landsitze <em class="gesperrt">sich begibt</em> – ich
-würde untröstlich sein, <em class="gesperrt">wenn</em> Sie [] durch mich in Ihrer alten
-Ordnung <em class="gesperrt">sich stören ließen</em> – <em class="gesperrt">wenn</em> [] neuerdings die
-Unternehmer und Arbeitgeber zur Wahrung ihrer gerechten Interessen
-<em class="gesperrt">sich zusammenschließen</em> – die Namen der Künstler sind so
-bezeichnet, <em class="gesperrt">wie</em> sie [] auf den Blättern <em class="gesperrt">sich finden</em> –
-<em class="gesperrt">als ob er</em> [] die größten Verdienste um das deutsche Vaterland
-<em class="gesperrt">sich erworben hätte</em> – <em class="gesperrt">je mehr</em> [] Frankreichs Stellung am
-Mittelmeere <em class="gesperrt">sich behauptet</em> usw.</p>
-
-<p>Wir stehen da wieder vor einer Erscheinung, die recht eigentlich in
-das Kapitel vom papiernen Stil gehört. Der lebendigen Sprache gänzlich
-fremd, stellt sie sich immer nur da ein, wo jemand die Feder in
-die Hand nimmt, aber auch da nicht sofort, sondern erst dann, wenn
-er zu künsteln anfängt.<a id="FNAnker_143" href="#Fussnote_143" class="fnanchor">[143]</a> Man könnte ja nun meinen, es sei doch
-unnatürlich, das reflexive Fürwort von seinem Verbum zu trennen und so
-weit vor, an den Anfang des Satzes zu rücken. Aber diese Trennung ist
-der Sprache offenbar etwas unwesentliches. Das wesentliche ist ihr die
-enge Verbindung, die erst infolge dieser Trennung eingegangen werden
-kann: die Verbindung mit dem voranstehenden andern Pronomen oder mit
-dem Fügewort (<em class="gesperrt">der sich</em>, <em class="gesperrt">wenn sich</em>). Diese Verbindung
-ist der lebendigen Sprache wichtiger als die mit dem<span class="pagenum" id="Seite_312">[S. 312]</span> Verbum, denn
-durch sie wird der Satz wie mit eisernen Klammern umschlossen.
-Wenn ich das <em class="gesperrt">sich</em> unmittelbar nach <em class="gesperrt">da</em>, <em class="gesperrt">wo</em>,
-<em class="gesperrt">wenn</em>, <em class="gesperrt">seitdem</em> bringe, so erfährt der Hörer schon, daß am
-Ende des Satzes ein reflexives Zeitwort folgen wird, die Hälfte des
-Verbalbegriffs klingt ihm gleichsam schon im Ohre. Daß sich auf diese
-Weise der Satz fester zusammenschließt als auf die andre, liegt auf
-der Hand. Wenn einer mit <em class="gesperrt">wenn</em> oder <em class="gesperrt">daß</em> anfängt, und erst
-nachdem er zwanzig oder dreißig Worte dazwischengeschoben hat, endlich
-mit <em class="gesperrt">sich begab</em> oder <em class="gesperrt">sich befindet</em> schließt, so möchte man
-immer fragen: So viel Zeit hast du gebraucht, dich auf das Zeitwort zu
-besinnen? dich zu besinnen, daß du ein reflexives Verbum gebrauchen
-willst?</p>
-
-<p>Es ist ja aber keineswegs bloß das <em class="gesperrt">sich</em>, das jetzt in dieser
-Weise verstellt wird, es geschieht das mit dem rückbezüglichen Fürwort
-überhaupt. Man schreibt auch: darüber gedenke ich [] später einmal
-in diesen Blättern <em class="gesperrt">mich auszulassen</em> – wenn wir [] auch mit
-voller Seele an der Jubelfeier <em class="gesperrt">uns beteiligen</em> – daß wir []
-in unsern nationalen Lebensformen ungehindert <em class="gesperrt">uns entwickeln</em>
-können – wenn wir [] überhaupt von Gott eine Vorstellung <em class="gesperrt">uns
-machen</em> wollen usw. Ja die Krankheit hat sich noch viel weiter
-verbreitet, sie hat auch das ganze persönliche Fürwort ergriffen. In
-der lebendigen Sprache wird das persönliche Fürwort genau so gestellt
-wie das reflexive. Wie aber wird geschrieben? Das war es bloß, wozu []
-mein väterlicher Freund <em class="gesperrt">mich bewegen</em> wollte – wie willst du den
-Widerspruch lösen, den [] eine verehrte Autorität <em class="gesperrt">dir aufdrängt</em>?
-– als Goethe seine Reise antrat, <em class="gesperrt">war</em> [] Rom <em class="gesperrt">ihm</em> nicht
-<em class="gesperrt">fremd</em> – man kann den Fortgang voraussehen, soweit [] nicht
-unberechenbare äußere Störungen <em class="gesperrt">ihn hemmen</em> – die Mängel des
-Gedächtnisses kommen weniger zur Geltung, wenn [] das Nachdenken <em class="gesperrt">ihm
-Zeit läßt</em> – der Bischof verzichtete auf den Segen, den [] sein
-Konfrater in Trier <em class="gesperrt">ihm anpries</em> – können wir einen Dichter
-nennen, der [] an Mannigfaltigkeit, an beherrschender Sicherheit <em class="gesperrt">ihm
-gleichkäme</em>? – er würde [] gewiß auch diesmal nicht ohne Not
-<em class="gesperrt">sie warten lassen</em> – die<span class="pagenum" id="Seite_313">[S. 313]</span> Menge geht dahin, wohin [] der Zar
-und die Kirche <em class="gesperrt">sie treibt</em> – sie wissen viel zu gut, was [] das
-erreichte Ziel <em class="gesperrt">sie gekostet hat</em> – die Arbeiter stehen schon so
-tief, daß [] ein weiterer Druck <em class="gesperrt">sie arbeitsunfähig machen würde</em>
-– wenn [] die Zeit <em class="gesperrt">es erlaubt</em> – wer [] in unsern Tagen noch
-<em class="gesperrt">es wagt</em> – wie [] der Drang seines Herzens <em class="gesperrt">es gebot</em>
-– eine unzulängliche Einrichtung, wie [] das Duell <em class="gesperrt">es ist</em>
-– abgesehen davon hatten [] die Bewohner des Hauses <em class="gesperrt">es nicht
-schlecht</em> – wenn [] die Gegner des Sozialistengesetzes <em class="gesperrt">es</em>
-als einen Vorteil <em class="gesperrt">preisen</em> – unter diesem Feldgeschrei hatte
-man [] in den katholisch-deutschen Ländern <em class="gesperrt">es dahin gebracht</em>
-– es genügt uns nicht, [] bei dieser allgemeinen Schilderung seines
-Wesens <em class="gesperrt">es bewenden zu lassen</em> – wir müssen tragen, was [] unser
-Geschick <em class="gesperrt">uns auferlegt</em> – die praktische Aufgabe, die [] unsre
-religiöse Gefahr <em class="gesperrt">uns stellt</em> – wir halten das für die einzig
-mögliche Erklärung, weil [] keine andre <em class="gesperrt">uns begreiflich ist</em>
-– wenn [] sein Auge so ernst und mild <em class="gesperrt">uns anblickt</em> – wäre
-er nicht das große Genie gewesen, so würde [] der Name Rembrandt
-<em class="gesperrt">uns</em> unbekannt <em class="gesperrt">geblieben</em> sein – am 19. Mai <em class="gesperrt">hat</em> []
-der Tod wieder einen der hervorragendsten Künstler <em class="gesperrt">uns entrissen</em>
-– nun galt es, [] mit Rat und Tat <em class="gesperrt">ihnen beizustehen</em> – sie
-warfen mit lateinischen Brocken um sich, sodaß [] kein andrer in
-der Gesellschaft <em class="gesperrt">ihnen zu folgen vermochte</em> – er berichtete
-gewissenhaft die Geschichte, wie [] [] sein alter Schulkamerad <em class="gesperrt">sie
-ihm erzählt hatte</em> – es ist das ein großes Stück Wehrkraft,
-worin [] [] die Nachbarn im Osten und Westen <em class="gesperrt">es uns</em> nicht
-<em class="gesperrt">gleichtun können</em>. Überall ein ängstliches, schulknabenhaftes
-Voranstellen der Subjekte vor die Objekte, überall das gequälte
-Aufsparen der Fürwörter bis unmittelbar vor das Zeitwort!<a id="FNAnker_144" href="#Fussnote_144" class="fnanchor">[144]</a> In
-einem Roman heißt es: während<span class="pagenum" id="Seite_314">[S. 314]</span> die Stämme ihre kahlen Äste <em class="gesperrt">uns
-entgegenstreckten</em>, als wollten sie mit ihren Armen <em class="gesperrt">unserer (!)
-sich erwehren</em>. Das soll heißen: <em class="gesperrt">während uns</em> die Stämme ihre
-kahlen Äste entgegenstreckten, als wollten <em class="gesperrt">sie sich unser</em> mit
-ihren Armen erwehren! Am fürchterlichsten ist es, wenn das unbetonte
-<em class="gesperrt">es</em>, vollends das proleptische, das nur einen Inhalts- oder
-einen Infinitivsatz vorbereitet, und das nur dann erträglich ist, wenn
-es sich so viel wie möglich versteckt und möglichst flüchtig durch
-den Satz huscht – wenn das mit solchem Elefantentritt an möglichst
-unpassender Stelle in den Satz hineintappt: trotz des Widerwillens des
-Vaters setzte [] der Knabe unter dem Beistande der guten Mutter <em class="gesperrt">es
-durch</em>, daß er usw.</p>
-
-<p>Möglich ist ja eine solche Stellung der Fürwörter auch, falsch ist sie
-nicht, es fragt sich nur, ob sie schön sei. Wie müssen sich oft die
-Fürwörter und die Wörter überhaupt in Versen herumwerfen lassen! Wie
-die Kegel, wenn die Kugel dazwischenfährt. Da <em class="gesperrt">senkte sich</em> aus
-der Höhe ein lichter Engel – nicht wahr, ganz gewöhnliche Prosa?</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Da <em class="gesperrt">senkte</em> aus der Höhe</div>
- <div class="verse indent0">Ein lichter Engel <em class="gesperrt">sich</em> –</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p class="p0">auf einmal „Poesie“! Das hat aber doch auch seine Grenzen. Poetischer
-als ein Vers wie der:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Wie <em class="gesperrt">soll</em> aus diesem Zwiespalt <em class="gesperrt">ich</em> retten <em class="gesperrt">mich</em>?</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p class="p0">klingt doch unzweifelhaft die schlichte „Prosa“: Wie <em class="gesperrt">soll ich mich
-aus</em> diesem Zwiespalt retten?</p>
-
-<p>Von Gellerts Fabeln hat man geringschätzig gesagt, sie wären die reine
-Prosa. Von dem Ausdruck trifft das gar nicht zu, der ist dazu viel zu
-fein und gewählt. Wenn es sich aber darauf beziehen soll, daß ihre
-Wortstellung ganz so ist, wie sie in guter Prosa sein würde, so wäre
-das ja das höchste Lob! Es ist das, was Friedrich der Große mit den
-Worten sagte: Er hat so etwas Coulantes in seinen Versen.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="In_fast_allen_oder_fast_in_allen">In fast allen oder fast in allen?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Der dritte Verstoß betrifft die Stellung der Präpositionen. Durch alle
-gebildeten Sprachen geht das Gesetz,<span class="pagenum" id="Seite_315">[S. 315]</span> daß die Präpositionen (<em class="gesperrt">an</em>,
-<em class="gesperrt">bei</em>, <em class="gesperrt">nach</em>, <em class="gesperrt">für</em>, <em class="gesperrt">in</em>, <em class="gesperrt">vor</em>, <em class="gesperrt">mit</em>
-usw.) unmittelbar vor dem Worte stehen müssen, das sie regieren. Das
-ist so natürlich und selbstverständlich wie irgend etwas, es kann
-gar nicht anders sein. In der griechischen Grammatik spricht man von
-<span class="antiqua">Procliticae</span> (d.&#160;h. vorn angelehnten).<a id="FNAnker_145" href="#Fussnote_145" class="fnanchor">[145]</a> Man versteht darunter
-gewisse einsilbige Wörtchen, die, weil sie eben einsilbig sind und für
-sich allein noch nichts bedeuten, keinen eignen Ton haben, sondern
-– wie durch magnetische Kraft – an das Wort gezogen werden, das
-ihnen folgt. Dazu gehören auch einige einsilbige Präpositionen. Das
-ist aber durchaus keine Eigentümlichkeit der griechischen Sprache,
-sondern solche Wörter gibt es in allen Sprachen, auch im Deutschen,
-und zu ihnen gehören auch im Deutschen die Präpositionen. Weil diese
-aber solche <span class="antiqua">Procliticae</span> sind, die mit dem Worte, das von
-ihnen abhängt, innig verwachsen, so ist es unnatürlich, zwischen
-die Präposition und das abhängige Wort (Eigenschaftswort, Fürwort,
-Zahlwort) ein Adverb zu stopfen.<a id="FNAnker_146" href="#Fussnote_146" class="fnanchor">[146]</a> Auch dieses Gesetz geht durch
-alle Sprachen, denn es ist in der Natur der Präpositionen begründet.</p>
-
-<p>Da ist aber nun der große Logiker drüber gekommen und hat sich
-überlegt: <em class="gesperrt">fast in allen Fällen</em> – das kann doch nicht richtig
-sein! das <em class="gesperrt">fast</em> gehört doch nicht zu <em class="gesperrt">in</em>, es gehört ja zu
-<em class="gesperrt">allen</em>! Also muß es heißen: <em class="gesperrt">in fast allen</em> Fällen. Und so
-wird denn wirklich seit einiger Zeit immer häufiger geschrieben: die
-<em class="gesperrt">von fast</em> allen Grammatikern gerügte Gewohnheit – es geht eine
-Bewegung <em class="gesperrt">durch fast</em> sämtliche Kulturstaaten – <em class="gesperrt">mit fast</em>
-gar keinen Vorkenntnissen – <em class="gesperrt">mit nur</em> echten Spitzen – das Stück
-besteht <em class="gesperrt">aus nur</em> drei Szenen – wir haben es <em class="gesperrt">mit nur</em>
-wenigen Lehrstunden zu tun – wir fuhren <em class="gesperrt">durch meist</em> anmutige
-Gegend – die Kritik, die <em class="gesperrt">in meist</em> schlechten Händen ist – es
-waren <em class="gesperrt">gegen etwa</em> vierzig Mann – mit einer Besatzung <em class="gesperrt">von
-oft</em> sechs bis acht Mann – <em class="gesperrt">in bald</em> einfacherer, <em class="gesperrt">bald</em><span class="pagenum" id="Seite_316">[S. 316]</span>
-prächtigerer Ausstattung – das Buch ist <em class="gesperrt">in wohl</em> sämtliche
-europäische Sprachen übersetzt – andre Kritiker <em class="gesperrt">von freilich</em>
-geringerer Autorität – <em class="gesperrt">nach genau</em> einem Jahrhundert – <em class="gesperrt">in
-genau</em> derselben Form – <em class="gesperrt">mit genau</em> derselben Geschwindigkeit
-– <em class="gesperrt">nach längstens</em> zwei Jahren – <em class="gesperrt">für wenigstens</em>
-ein paar Wochen – Unterricht <em class="gesperrt">in wenigstens</em> einer zweiten
-lebenden Sprache – die ordnungsliebendern Elemente sehen sich <em class="gesperrt">zu
-wenigstens</em> tatsächlicher Achtung vor dem Gesetze gezwungen –
-die Kosten belaufen sich <em class="gesperrt">auf mindestens</em> tausend Pfund – die
-Schulden müssen <em class="gesperrt">mit mindestens</em> einem Prozent jährlich abgetragen
-werden – fünf Präpositionen <em class="gesperrt">mit jedesmal</em> verschiedner Funktion
-– eine Anfrage würde das <em class="gesperrt">in vielleicht</em> überraschendem Maße
-bestätigen – überall ist die Technik <em class="gesperrt">auf annähernd</em> gleicher
-Höhe – er wurde <em class="gesperrt">auf zunächst</em> sechs Jahre zum Stadtrat gewählt
-– <em class="gesperrt">mit sozusagen</em> absolutem Maßstabe – <em class="gesperrt">mit allerdings nur</em>
-geringer Hoffnung auf Erfolg – Japan war mit <em class="gesperrt">alles in allem</em>
-vier Artikeln vertreten – er stand mit ihm <em class="gesperrt">in so gut wie</em> keiner
-Verbindung – sie sind <em class="gesperrt">um zusammen etwa</em> vier Millionen Mark
-betrogen worden; sogar: ein besondrer Anstrich <em class="gesperrt">von erst</em> Farbe
-<em class="gesperrt">und dann</em> Lack wird vermieden.</p>
-
-<p>Es ist eine Barbarei, so zu schreiben. Man hat das Gefühl, als wollte
-einem jemand in den Ellbogen oder zwischen zwei Fingerglieder einen
-Holzkeil treiben, wenn man so etwas liest, ja es ist, als müßte es der
-Präposition selber wehtun, wenn sie auf solche Weise von dem Worte,
-mit dem sie doch zusammenwachsen möchte, abgerissen wird. Was ist eine
-Logik wert, die zu solcher Unnatur führt! Man versuche es einmal, man
-setze in all den angeführten Beispielen das Adverb an die richtige
-Stelle, nämlich vor die Präposition: <em class="gesperrt">meist durch</em> anmutige
-Gegend – <em class="gesperrt">wohl in</em> sämtliche Sprachen – <em class="gesperrt">wenigstens für</em>
-ein paar Wochen – <em class="gesperrt">annähernd auf</em> gleicher Höhe – <em class="gesperrt">zunächst
-auf</em> sechs Jahre usw., empfindet wohl jemand die geringste logische
-Störung?<a id="FNAnker_147" href="#Fussnote_147" class="fnanchor">[147]</a></p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_317">[S. 317]</span></p>
-
-<p>Nur die kurzen Adverbia, die zur Steigerung der Adjektiva dienen:
-<em class="gesperrt">so</em>, <em class="gesperrt">sehr</em>, <em class="gesperrt">viel</em>, <em class="gesperrt">weit</em>, stehen hinter der
-Präposition: <em class="gesperrt">mit so</em> großem Erfolg – <em class="gesperrt">in sehr</em> vielen
-Fällen – <em class="gesperrt">mit viel</em> geringern Mitteln – <em class="gesperrt">nach weit</em>
-gründlichern Vorbereitungen. Bei allen Adverbien aber, die den
-Adjektivbegriff einschränken, herabsetzen oder sonstwie bestimmen, ist
-die Stellung hinter der Präposition unnatürlich.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Zwei_Praepositionen_nebeneinander">Zwei Präpositionen nebeneinander</h3>
-
-</div>
-
-<p>Doppelt häßlich wird das Wegreißen der Präposition von dem abhängigen
-Worte dann, wenn das Einschiebsel nicht ein einfaches Adverb, sondern
-ein Satzglied ist, das selbst wieder aus einer Präposition und einem
-davon abhängigen Worte besteht; dann entsteht der Fall, daß zwei
-Präpositionen unmittelbar hintereinander geraten – für jeden Menschen
-von feinerm Gefühl eine der beleidigendsten Spracherscheinungen.
-Und doch wird auch so jetzt fortwährend geschrieben! Da heißt es:
-<em class="gesperrt">in im</em> Ratsdepositorium befindlichen Dokumenten – <em class="gesperrt">in
-zur</em> Zeit nicht zu verwirklichenden Gedanken – <em class="gesperrt">durch vom</em>
-Kriege unberührtes Land – <em class="gesperrt">durch von</em> beiden Teilen erwählte
-Schiedsrichter – <em class="gesperrt">durch für</em> ein weiches Gemüt empfindlichen
-Tadel – <em class="gesperrt">mit in</em> Tränen erstickender Stimme – <em class="gesperrt">mit vor</em>
-Freude strahlendem Gesicht – <em class="gesperrt">mit vor</em> keinem Hindernis
-zurückschreckender Energie – <em class="gesperrt">mit auf</em> die Wand aufgelegtem
-Papier – <em class="gesperrt">mit für</em> die Umgebung störendem Geräusch – <em class="gesperrt">mit
-nach</em> außen kräftigen Institutionen – <em class="gesperrt">mit über</em> die ganze
-Provinz verteilten Zweigvereinen – <em class="gesperrt">mit mit</em> (!) schwarzem Krepp
-umwundnen Fahnen – <em class="gesperrt">bei nach</em> fürstlichen Personen benannten
-Gegenständen – das Sammeln <em class="gesperrt">von an</em> sich wertlosen Dingen –
-die Frucht <em class="gesperrt">von durch</em> Jahrtausende fortgesetzten Erfahrungen –
-eine große Anzahl <em class="gesperrt">von in</em> einzelnen Fächern weiter ausgebildeten
-jungen Männern –<span class="pagenum" id="Seite_318">[S. 318]</span> die Schülerzahl stieg <em class="gesperrt">von über</em> zwei- gleich
-<em class="gesperrt">auf über</em> sechshundert – die Falter werden <em class="gesperrt">mittelst auf
-mit</em> (!) Öl begossene Teller gestellter Gläser gefangen usw. Man
-kann also solche Zusammenstöße sehr leicht vermeiden, und zwar auf
-die verschiedenste Weise; entweder durch einen Nebensatz: <em class="gesperrt">durch
-Land, das</em> vom Kriege noch unberührt geblieben war – oder durch
-einen wirklichen Genitiv statt <em class="gesperrt">von</em>: das Sammeln an sich
-<em class="gesperrt">wertloser</em> Dinge – oder durch einen Ausdruck, der dasselbe
-sagt wie die Präposition: <em class="gesperrt">von mehr als</em> zweihundert (statt
-<em class="gesperrt">von über</em>) oder durch ein zusammengesetztes Wort: <em class="gesperrt">mit
-freudestrahlendem</em> Gesicht usw. Aber alle diese Mittel werden
-verschmäht, lieber versetzt man dem Leser den stilistischen Rippenstoß,
-unmittelbar hinter einer Präposition noch eine zweite zu bringen!<a id="FNAnker_148" href="#Fussnote_148" class="fnanchor">[148]</a></p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Zur_Interpunktion">Zur Interpunktion</h3>
-
-</div>
-
-<p>Eine feine und schwierige Kunst ist es, gut zu interpungieren. Hier
-können nur einige Winke darüber gegeben werden.</p>
-
-<p>Die Interpunktion verfolgt zwei verschiedne Zwecke: erstens die
-Satzgliederung zu unterstützen und die Übersicht über den Satzbau
-zu erleichtern, zweitens die Pausen und die Betonung der lebendigen
-Sprache in der Schrift auszudrücken. Oft fallen beide Zwecke zusammen,
-aber nicht immer. Wenn z.&#160;B. geschrieben wird: die Berliner Künstler
-haben den französischen Bildern stets die besten Plätze eingeräumt
-<em class="gesperrt">und, wenn</em> diese nicht reichten, andre Räume gemietet – oder:
-wer die Tagespresse kritiklos liest <em class="gesperrt">und, ohne</em> es zu wissen
-und zu wollen, die dargebotnen Anschauungen in sich aufnimmt – so
-schließt sich zwar die Interpunktion genau dem Satzbau an, steht aber
-in auffälligem Widerspruch zur lebendigen Sprache: niemand wird bis zu
-<em class="gesperrt">und</em> (oder <em class="gesperrt">oder</em>) sprechen und hinter <em class="gesperrt">und</em> eine Pause
-machen, jeder wird vor <em class="gesperrt">und</em> abbrechen. Daher empfiehlt es sich,
-das Komma hier lieber vor <em class="gesperrt">und</em> zu setzen – gegen den Satzbau –
-und<span class="pagenum" id="Seite_319">[S. 319]</span> zu schreiben: da die Frauen mit Vorliebe männliche Verhüllungen
-wählen, <em class="gesperrt">und</em> wenn sie ihren Vornamen nicht ausschreiben, auch die
-Handschrift sie nicht immer verrät – sie glaubte, <em class="gesperrt">oder</em> wie es
-von ihrem Standpunkt aus wohl richtiger heißen muß, sie hoffte – daß
-Dichter wie Keller und Storm, <em class="gesperrt">oder</em> um einige weniger berühmte
-zu nennen, Vischer und Riehl gesund blieben – die Elemente des
-Anschauungs- und Gestaltungsvermögens, <em class="gesperrt">oder</em> anders ausgedrückt,
-des Einbildungs- und des Ausbildungsvermögens.<a id="FNAnker_149" href="#Fussnote_149" class="fnanchor">[149]</a></p>
-
-<p>Dem ersten Zwecke dienen nun vor allem die drei üblichen Zeichen:
-Punkt, Semikolon (;) und Komma. Über die Bedeutung von Punkt und
-Komma besteht kein Zweifel; sie werden im allgemeinen auch richtig
-angewandt. Der Punkt schließt ab, das Komma gliedert; der Punkt
-trennt größere oder kleinere selbständige Gedankengruppen, das Komma
-scheidet die einzelnen Bestandteile dieser Gruppen, es tritt vor jeden
-Nebensatz, auch vor Partizipial- und Infinitivsätze. Jeder Satz hat
-nur einen Punkt; die Zahl der Kommata im Satze ist unbeschränkt. Das
-Semikolon endlich ist stärker als das Komma, aber schwächer als der
-Punkt. Es ist überall da am Platze, wo zwei Hauptsätze – mögen sie
-nun allein stehen oder jeder wieder von einem Nebensatze begleitet
-sein – einander gegenübergestellt werden, wo also der eine der beiden
-Hauptsätze nur die Hälfte des Gedankens enthält und den andern zu
-seiner Ergänzung verlangt, z.&#160;B.: hättest du dich an den Buchstaben
-des Gesetzes gehalten, so träfe dich kein Vorwurf; da du aber
-eigenmächtig vorgegangen bist, so hast du nun auch die Verantwortung
-zu tragen. Das Semikolon trennt also und vereinigt zugleich, es
-scheidet und verbindet. Sehr fein hat es daher David Strauß die Taille
-des Satzes genannt<a id="FNAnker_150" href="#Fussnote_150" class="fnanchor">[150]</a> und auf Lessing hingewiesen als den, der den
-richtigen Gebrauch davon gemacht habe. In<span class="pagenum" id="Seite_320">[S. 320]</span> der Tat ist das Semikolon
-für den, der damit umzugehen weiß, eins der ausdrucksfähigsten
-Interpunktionszeichen, es wird nur noch vom Kolon übertroffen. Aber wie
-ungeschickt wird es oft behandelt! Besonders beliebt ist es jetzt, wenn
-vor einen Hauptsatz eine größere Anzahl gleichartiger Nebensätze tritt,
-z.&#160;B. drei, vier, fünf Bedingungssätze, diese alle durch Semikolon
-voneinander zu trennen – eine sehr geschmacklose Anwendung. Zwischen
-Haupt- und Nebensatz ist einzig und allein das Komma am Platze; folgen
-mehrere gleichartige Nebensätze aufeinander, so kann hinter jedem immer
-wieder nur ein Komma stehen. Wie der Punkt, so kann auch das Semikolon
-in einem gut gegliederten Satze nur <em class="gesperrt">einmal</em> vorkommen; ein Satz,
-der mehr als <em class="gesperrt">ein</em> Semikolon enthält, ist immer entweder schlecht
-interpungiert oder schlecht gegliedert.</p>
-
-<p>Aber auch in dem Gebrauche des Kommas werden mancherlei Fehler
-gemacht. Wenn vor ein Hauptwort mehrere Eigenschaftswörter treten,
-so gilt im allgemeinen die Regel, diese Eigenschaftswörter durch
-Kommata voneinander zu trennen. Manche wollen zwar neuerdings davon
-nichts wissen, sie schreiben: ein <em class="gesperrt">guter treuer anhänglicher
-zuverlässiger Mensch</em>; aber das verstößt gegen die Betonung der
-lebendigen Sprache, die bei solchen längern Attributreihen hinter
-jedem Attribut eine fühlbare kleine Pause macht, und vor allem: man
-beraubt sich damit sehr notwendiger Unterscheidungen. Es ist ein großer
-Unterschied, ob ich schreibe: er hatte eine <em class="gesperrt">tiefe, staatsmännische
-Einsicht</em> oder: eine <em class="gesperrt">tiefe staatsmännische Einsicht</em> –
-hier schließt der <em class="gesperrt">erste, historische Abschnitt</em> oder: der
-<em class="gesperrt">erste historische Abschnitt</em> des Buches. Im ersten Falle stehen
-die beiden Attribute parallel zueinander, das zweite erläutert das
-erste: er hatte eine tiefe, (wahrhaft oder echt) staatsmännische
-Einsicht – hier schließt der erste, (nämlich) historische Abschnitt
-des Buches. Im zweiten Falle bildet das zweite Attribut mit dem
-Hauptwort einen einzigen Begriff, sodaß tatsächlich nur <em class="gesperrt">ein</em>
-Attribut übrig bleibt: er hatte staatsmännische Einsicht, und diese
-war tief – das Buch hat mehrere historische Abschnitte, und hier<span class="pagenum" id="Seite_321">[S. 321]</span>
-schließt der erste davon (vgl. <a href="#Seite_301">S. 301</a>). Auf solche Weise kann sogar
-ein drittes Attribut wieder dem zweiten übergeordnet werden. Es darf
-also kein Komma stehen in folgenden Verbindungen: ein <em class="gesperrt">starker
-demokratischer Zug</em>, eine <em class="gesperrt">liebenswürdige alte Jungfer</em>,
-die <em class="gesperrt">nackteste persönliche Herrschsucht</em>, das <em class="gesperrt">jahrelange
-geistliche Eifern</em>, der <em class="gesperrt">unvermeidliche tragische Ausgang</em>,
-nach <em class="gesperrt">überstandnem sturmvollem Leben</em>, von <em class="gesperrt">gewissen hohen
-österreichischen Offizieren</em>, die <em class="gesperrt">ganze vielgepriesene englische
-Kirchlichkeit</em>. Ebenso muß ohne Komma geschrieben werden: das
-<em class="gesperrt">andre der klassischen Richtung angehörige Drama</em> – wenn der
-betreffende Dichter mehrere der klassischen Richtung angehörige Dramen
-geschrieben hat, wogegen das Komma nicht fehlen dürfte, wenn er nur
-zwei Dramen geschrieben hätte, eins, das der modernen, und eins, das
-der klassischen Richtung angehört.</p>
-
-<p>Wenn zwei Hauptsätze oder auch zwei Nebensätze durch <em class="gesperrt">und</em>
-verbunden werden, so gilt im allgemeinen die verständige Regel, daß vor
-<em class="gesperrt">und</em> ein Komma stehen müsse, wenn hinter <em class="gesperrt">und</em> ein neues
-Subjekt folgt, dagegen das Komma wegbleiben müsse, wenn das Subjekt
-dasselbe bleibt. Natürlich ist dabei unter Subjekt das grammatische
-Subjekt zu verstehen, nicht das logische. Seinem Begriffe nach mag
-das zweite Subjekt dasselbe sein wie das erste: sowie es grammatisch
-durch ein Fürwort (<em class="gesperrt">er</em>, <em class="gesperrt">dieser</em>) erneuert wird, darf
-auch das Komma nicht fehlen. Dagegen wird niemand vor <em class="gesperrt">und</em> ein
-Komma setzen, wo <em class="gesperrt">und</em> nur zwei Wörter verbindet. Doch sind
-Ausnahmefälle denkbar, z.&#160;B.: er welkt, <em class="gesperrt">und</em> blüht nicht mehr –
-in Leipzig, wo man so viel, <em class="gesperrt">und</em> so viel gute Musik hören kann
-– er war unfähig als Heerführer, <em class="gesperrt">und</em> als Mensch unbedeutend
-und wenig sympathisch. Er blüht <em class="gesperrt">und</em> duftet nicht mehr – da
-wäre das Komma überflüssig. In solchen Fällen tritt der zweite Zweck
-der Interpunktion in seine Rechte: die Pausen und die Betonung der
-lebendigen Sprache auszudrücken, selbst abweichend von dem ersten, die
-Gliederung des Satzbaus zu unterstützen.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_322">[S. 322]</span></p>
-
-<p>Auch vor einem Infinitiv mit <em class="gesperrt">zu</em> ist es wohl allgemein üblich,
-ein Komma zu setzen. Manche lassen es zwar hier jetzt weg, namentlich
-wenn der Infinitiv ganz unbekleidet ist; sie halten es für überflüssig,
-ein so kurzes, nur aus zwei Wörtern bestehendes Glied durch ein
-besondres Zeichen abzutrennen. Es empfiehlt sich aber doch, es zu
-setzen, da sonst leicht Zweifel oder Mißverständnisse entstehen können.
-Wenn jemand schreibt: es ist <em class="gesperrt">schwer zu verstehen</em> – so kann
-der Sinn nur sein: es ist zu verstehen, aber schwer. Wenn man aber
-ausdrücken will: es bereitet Schwierigkeiten, es zu verstehen? Das kann
-nur durch ein Komma deutlich gemacht werden. Man muß also unterscheiden
-zwischen: <em class="gesperrt">es ist nicht gut, zu verlangen</em> und: <em class="gesperrt">es ist nicht
-gut zu verlangen</em> – es war <em class="gesperrt">ein Fest, zu sehen</em> und: es
-war <em class="gesperrt">ein Fest zu sehen</em>. Aber auch in Sätzen wie: er befahl
-<em class="gesperrt">ihm Gläser zu bringen</em> – die ultramontane Presse <em class="gesperrt">verstand
-es bald</em> allerlei Mißverständnisse <em class="gesperrt">aufzufinden</em> – entsteht
-der Zweifel: wozu gehört <em class="gesperrt">ihm</em>? wozu gehört <em class="gesperrt">bald</em>? zu
-<em class="gesperrt">verstehen</em> oder zu <em class="gesperrt">auffinden</em>? Ein Komma hebt sofort den
-Zweifel.</p>
-
-<p>Nur in einem Falle ist es nicht nur überflüssig, sondern geradezu
-störend, vor den Infinitiv mit <em class="gesperrt">zu</em> ein Komma zu setzen, nämlich
-dann, wenn der Infinitiv ein Objekt oder ein Adverb bei sich hat, und
-dieses vor dem regierenden Verbum steht, von dem der Infinitiv abhängt,
-z.&#160;B.: <em class="gesperrt">diesen Gedanken</em> könnte man <em class="gesperrt">versucht sein</em>, mit
-Wallenstein herzlich dumm <em class="gesperrt">zu nennen</em>. Diesen Gedanken könnte man
-versucht sein – das ist nur ein Satzbruchstück ohne allen Sinn, was
-soll da das Komma? Es ist aber auch durch die lebendige Sprache hier
-nicht gerechtfertigt, denn niemand wird hinter <em class="gesperrt">versucht sein</em> im
-Sprechen anhalten, alles drängt zu dem Infinitiv, der erst das Objekt
-verständlich macht, das vorläufig noch in der Luft schwebt. Es ist also
-richtiger, ohne Komma zu schreiben: bares Geld gelang es ihm nicht
-sich anzueignen – tatsächliche Irrtümer dürfte es schwer sein in dem
-bändereichen Werke aufzustöbern – was bemüht man sich mit dem Worte
-Sozialismus zu<span class="pagenum" id="Seite_323">[S. 323]</span> benennen? – alle Abfälle hatte sie sich ausgebeten
-ihm bringen zu dürfen – auf die Erhaltung des Waldes war die Behörde
-geneigt das entscheidende Gewicht zu legen – gegen diese Szene liegt
-es uns fern uns hier zu ereifern – ich gebe dir keinen Rat, den ich
-nicht bereit wäre selber zu befolgen – die Anforderungen, die wir
-uns gewöhnt haben an eine solche Ausgabe zu stellen – der Wust von
-Aberglauben, den der Vorgänger sich rühmte ausgefegt zu haben – der
-Unterschied, den der Offizier gewohnt ist zwischen seiner Stellung als
-solcher und der als Gentleman zu machen – die Oberamtsrichter, denen
-manche geneigt sind die Rektoren gleichzustellen – seine Verwandten,
-für die es vor allem seine Pflicht wäre zu sorgen.</p>
-
-<p>Unbegreiflich ist es, daß man die beiden verschiednen <em class="gesperrt">ja</em>, die
-es gibt, das beteuernde und das steigernde, nie richtig unterschieden
-findet, und doch sind sie durch die Interpunktion so leicht zu
-unterscheiden. Ein Komma gehört nur hinter das beteuernde <em class="gesperrt">ja</em>,
-denn nur hinter diesem wird beim Sprechen eine Pause gemacht:
-<em class="gesperrt">ja</em>, es waren herrliche Tage! Das steigernde <em class="gesperrt">ja</em> dagegen
-wird mit dem folgenden Worte fast in eins verschmolzen: sie duldete
-diese Mißhandlungen, <em class="gesperrt">ja sie</em> schien sie zu verlangen – es ist
-wünschenswert, <em class="gesperrt">ja</em> geradezu unerläßlich – hinter Frankreich
-liegt der Atlantische Ozean, <em class="gesperrt">ja man</em> kann sagen die ganze andre
-Welt. Was soll da ein Komma? Ebenso töricht ist es, ein doppeltes
-<em class="gesperrt">ja</em> (<em class="gesperrt">ja ja</em>), ein doppeltes <em class="gesperrt">nein</em> (<em class="gesperrt">nein nein</em>),
-<em class="gesperrt">ei ei!</em> <em class="gesperrt">na na</em> oder gar das <em class="gesperrt">ha ha!</em>, das das Lachen
-ausdrücken soll, durch Kommata zu trennen, wie man es in Erzählungen
-und Schauspielen überall gedruckt lesen muß. Man spricht doch nicht
-<em class="gesperrt">ja</em> (Pause), <em class="gesperrt">ja</em>, sondern <em class="gesperrt">jajjah</em>, <em class="gesperrt">neinnein</em>,
-als ob es nur <em class="gesperrt">ein</em> Wort wäre. Und vollends <em class="gesperrt">ha</em> (Komma)
-<em class="gesperrt">ha</em>! Wer lacht so?</p>
-
-<p>Ganz verkehrt wird von vielen das Kolon (:) angewandt: sie setzen
-es statt des Semikolons (;) und stören damit den, der die Bedeutung
-der Satzzeichen kennt, auf ärgerliche Weise. Das Semikolon schließt
-ab wie der Punkt; das Kolon schließt – auf, es hat vorbereitenden,<span class="pagenum" id="Seite_324">[S. 324]</span>
-spannungerweckenden, aussichteröffnenden Sinn, ein gut gesetztes
-Kolon wirkt, wie wenn eine Tür geöffnet, ein Vorhang weggezogen wird.
-Daher steht es vor allem vor jeder direkten Rede (vor die indirekte
-gehört das Komma!); es ist aber auch überall da am Platze, wo es so
-viel bedeutet wie <em class="gesperrt">nämlich</em>, z.&#160;B.: der Verfasser hat mehr getan
-als diesen Wunsch erfüllt: er hat die Aufsätze vielfach erweitert
-und ergänzt – oder wo es dazu dient, die Folgen, das Ergebnis,
-das erwartete oder unerwartete Ergebnis des vorhergeschilderten
-einzuleiten, z.&#160;B.: wir baten, flehten, schmollten: er blieb ungerührt
-und sprach von etwas anderm.</p>
-
-<p>Geschmacklos ist es, die der Betonung dienenden Zeichen, das
-Fragezeichen und das Ausrufezeichen, zu verdoppeln, zu verdreifachen
-oder miteinander zu verbinden: ??, !!!, ?! Dergleichen schreit
-den Leser förmlich an, und das darf man sich doch verbitten. Eine
-Abgeschmacktheit ohnegleichen aber ist es, halbe oder ganze Zeilen mit
-Punkten oder Gedankenstrichen zu füllen, wie es unsre Romanschreiber
-und Feuilletonisten jetzt lieben. Das soll geistreich aussehen, den
-Schein erwecken, als ob der Verfasser vor Gedanken und Bildern beinahe
-platzte, sie gar nicht alle aussprechen oder ausführen könnte, sondern
-dem Leser sich auszumalen überlassen müßte. Es ist aber meistens nur
-Wind; wer etwas zu sagen hat, der sagt es schon. Nur <em class="gesperrt">eine</em>
-Abgeschmacktheit kommt dieser noch gleich, die neueste Zierde des
-Feuilletonstils: eine Menge kleiner Nebensätze jeden mit einem Punkt
-abzuschließen, sodaß die aus Hauptsatz und Nebensätzen bestehende
-Periode dem Leser in lauter Brocken vorgesetzt wird. Auch das soll
-geistreich aussehen, den Schein höchster dramatischer Lebendigkeit der
-Gedankenerzeugung und -einkleidung erregen. In Wahrheit ist es eine
-krasse Stillosigkeit, eine abgeschmackte Manier.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Fliessender_Stil">Fließender Stil</h3>
-
-</div>
-
-<p>Man spricht so viel von fließendem Stil, beneidet wohl auch den und
-jenen um seinen fließenden Stil.<span class="pagenum" id="Seite_325">[S. 325]</span> Ist das Sache der Begabung, oder ist
-es etwas erlernbares?</p>
-
-<p>Zum Teil beruht das, was man fließenden Stil nennt, unzweifelhaft
-auf der Klarheit des Denkens und der Folgerichtigkeit der
-Gedankenentwicklung – nur wer sich selbst über eine Sache völlig
-klar geworden ist, kann sie auch andern klarmachen –, zum Teil
-auch auf Rhythmus und Wohllaut – es wird viel zu viel stumm
-geschrieben, während man doch nichts drucken lassen sollte, was man
-sich nicht selber laut vorgelesen hat!<a id="FNAnker_151" href="#Fussnote_151" class="fnanchor">[151]</a> –, zum größten Teil
-aber beruht es auf gewissen technischen Handgriffen beim Satzbau –
-Handwerksvorteilchen möchte ich sagen –, die man eben kennen muß, um
-sie anwenden zu können. Unbewußt und unwillkürlich wendet sie niemand
-an. Es gibt zwar auch einen Naturburschenstil, der den Leser durch eine
-gewisse Gewandtheit ein paar Seiten lang täuschen kann; dann kommt
-aber plötzlich ein Satz, der deutlich verrät, daß der Verfasser nur
-zufällig, nicht mit Bewußtsein fließend geschrieben hat.</p>
-
-<p>Den angenehmen Eindruck, daß jemand fließend schreibe, hat man
-dann, wenn beim Lesen das Verständnis, die geistige Auffassung des
-Geschriebnen immer gleichen Schritt hält mit der sinnlichen Auffassung,
-die durch das Auge vor sich geht. Ist das nicht der Fall, ist man öfter
-genötigt, stehen zu bleiben, mit den Augen wieder zurückzukehren, einen
-ganzen Satz, einen halben Satz oder auch nur ein paar Worte noch einmal
-zu lesen,<span class="pagenum" id="Seite_326">[S. 326]</span> weil man sieht, daß man das Gelesene falsch verstanden hat,
-so spricht man von holprigem oder höckrigem Stil. Solch ärgerliches
-Mißverständnis kann aber die verschiedensten Ursachen haben. Wer diese
-Ursachen zu vermeiden weiß, wer den Leser jederzeit <em class="gesperrt">zwingt</em>,
-gleich beim ersten Lesen richtig zu verstehen, der schreibt einen
-fließenden Stil. Das ist das ganze Geheimnis. Im folgenden sollen
-einige Haupthindernisse eines fließenden Stils zusammengestellt werden.</p>
-
-<p>Vor allem gehört zu ihnen die leider in unsrer Sprache weitverbreitete,
-ungemein beliebte und doch das Verständnis, namentlich dem Ausländer,
-aber auch dem Deutschen selbst überaus erschwerende Unsitte (so, wie es
-hier soeben geschehen ist!), zwischen den Artikel und das zugehörige
-Hauptwort langatmige Attribute einzuschieben, statt diese Attribute
-in Nebensätzen nachzubringen. Dergleichen Verbindungen sind eine
-Qual für den Leser. Man sieht einen Artikel: <em class="gesperrt">die</em>. Dann folgt
-eine ganze Reihe von Bestimmungen, von denen man zunächst gar nicht
-weiß, worauf sie sich beziehen: <em class="gesperrt">verbreitete</em>, <em class="gesperrt">beliebte</em>,
-<em class="gesperrt">erschwerende</em>. Endlich kommt das erlösende Hauptwort:
-<em class="gesperrt">Unsitte</em>! Während also das Auge weiter gleitet, weiter irrt,
-wird unmittelbar hinter dem Artikel der Strom der geistigen Auffassung
-unterbrochen, es entsteht eine Lücke, und der Strom schließt sich
-erst wieder, wenn endlich das Hauptwort kommt. Dann ist es aber zu
-spät, man hat die Übersicht über das Eingeschobne längst verloren,
-muß wieder umkehren und das Ganze noch einmal lesen. Eine solche
-Unterbrechung tritt zwar bei jedem eingeschobnen Attribut ein, aber
-bei kurzen Attributen doch in so geringem Maße, daß man sie gar nicht
-fühlt. Je länger das Attribut ist, desto empfindlicher und störender
-wirkt die Lücke. Nur ein guter Schriftsteller hat ein richtiges und
-feines Gefühl dafür, was er dem Leser in dieser Beziehung zumuten
-darf. Unsre Kanzlisten und Zeitungschreiber haben meist keine Ahnung
-davon; sie schreiben seelenvergnügt, indem sie immer ein Attribut ins
-andre schachteln: das Gericht wolle erkennen, der Geklagte (!) sei
-schuldig, mir für <em class="gesperrt">die</em> von<span class="pagenum" id="Seite_327">[S. 327]</span> mir an <em class="gesperrt">die</em> in <em class="gesperrt">dem</em>
-von ihm zur Bearbeitung übernommenen <em class="gesperrt">Steinbruch</em> beschäftigten
-<em class="gesperrt">Arbeiter</em> vorgeschossenen <em class="gesperrt">Arbeitslöhne</em> Ersatz zu
-leisten – oder: von <em class="gesperrt">einer</em> durch <em class="gesperrt">einen</em> in <em class="gesperrt">einer
-Umwälzung</em> in den wichtigsten Einrichtungen aller Kulturstaaten
-bestehenden <em class="gesperrt">Vorteil</em> ausgezeichneten <em class="gesperrt">Erfindung</em> sind einige
-Gewinnanteile zu verkaufen – oder: mit <em class="gesperrt">einem</em> von <em class="gesperrt">dem</em>
-auf <em class="gesperrt">der</em> nach <em class="gesperrt">dem Wasser</em> zu gelegnen <em class="gesperrt">Veranda</em>
-aufgestellten <em class="gesperrt">Musikkorps</em> des ersten Gardedragonerregiments
-geblasenen <em class="gesperrt">Choral</em> wurde die Feierlichkeit eröffnet.</p>
-
-<p>Ein zweites Haupthindernis eines fließenden Stils ist schon früher
-besprochen worden und soll hier nur noch einmal kurz erwähnt werden:
-es ist der unvorsichtige Gebrauch der Fürwörter (vgl. <a href="#Seite_224">S. 224</a>). Wie
-ärgerlich wird man beim Lesen aufgehalten durch ein <em class="gesperrt">er</em>,
-<em class="gesperrt">sie</em>, <em class="gesperrt">ihm</em>, <em class="gesperrt">ihn</em>, <em class="gesperrt">sein</em>, <em class="gesperrt">ihr</em>,
-<em class="gesperrt">diesem</em>, wenn man nicht sofort sieht, auf wen oder was es sich
-bezieht! Wo irgendein Mißverständnis möglich ist, sollte immer statt
-des Fürworts wieder das Hauptwort gesetzt werden.</p>
-
-<p>Eine dritte Unsitte, die das Verständnis alles Deutschgeschriebnen in
-neuerer Zeit in der peinlichsten Weise erschwert, besteht darin, daß
-man das eigentliche und wirkliche Hauptwort des Satzes, nämlich das
-Verbum, immer in ein Substantiv verwandelt, entweder in ein wirkliches
-Substantiv oder in einen substantivierten Infinitiv. Da wird z.&#160;B.
-geschrieben: der <em class="gesperrt">Zuhilfenahme</em> eines besondern Rechts der
-Persönlichkeit bedarf es nicht (statt: ein besondres Recht zu Hilfe
-zu nehmen ist nicht nötig) – beim <em class="gesperrt">Unterbleiben</em> einer baldigen
-<em class="gesperrt">Inangriffnahme</em> des Projekts (statt: wenn das Projekt nicht
-bald in Angriff genommen wird) – nach <em class="gesperrt">Umarbeitung</em> eines Teils
-der Lieder zum Zwecke der <em class="gesperrt">Herstellung</em> ihrer <em class="gesperrt">Sangbarkeit</em>
-für Männerchöre an höhern Schulen (statt: nachdem ein Teil der Lieder
-umgearbeitet worden ist, um sie sangbar zu machen) – aus Gründen
-der <em class="gesperrt">Zugänglichmachung</em> dieses Vorteils für das große Publikum
-– (statt: um diesen Vorteil zugänglich zu machen) – im Interesse
-der <em class="gesperrt">Vermeidung</em> von Wiederholungen (statt: um Wiederholungen
-zu vermeiden) –<span class="pagenum" id="Seite_328">[S. 328]</span> trotz der seitens des Vorsitzenden erfolgten
-<em class="gesperrt">Ablehnung</em> des Antrags des Angeklagten auf <em class="gesperrt">Vorladung</em> des
-Kellners (statt: obgleich der Vorsitzende den Antrag des Angeklagten
-ablehnte, den Kellner vorzuladen) – das <em class="gesperrt">Mißlingen</em> des Versuchs
-muß natürlich sein <em class="gesperrt">Aufgeben</em> zur <em class="gesperrt">Folge</em> haben (statt:
-wenn der Versuch mißlingt, muß er natürlich aufgegeben werden) –
-für die <em class="gesperrt">Mehrzahl</em> der Reisenden hat die <em class="gesperrt">Erweiterung</em> des
-Gesichtskreises aufgehört der <em class="gesperrt">Reisezweck</em> zu sein (statt: die
-meisten reisen nicht mehr, um ihren Gesichtskreis zu erweitern) – die
-<em class="gesperrt">Voraussetzung</em> für die <em class="gesperrt">Patentierung</em> eines Advokaten bildet
-eine mehrjährige <em class="gesperrt">Hilfsarbeiterschaft</em> in einem Bureau (statt:
-wer als Advokat patentiert sein will, muß mehrere Jahre Hilfsarbeiter
-gewesen sein) – es gibt eine Grenze, bei deren <em class="gesperrt">Überschreitung</em>
-die <em class="gesperrt">Vermehrung</em> der <em class="gesperrt">Bevölkerung</em> nicht zur <em class="gesperrt">Erhöhung</em>,
-sondern zur <em class="gesperrt">Verminderung</em> des Wohlstandes führt (statt: das
-Wachstum der Bevölkerung hat eine Grenze; wird diese überschritten,
-so wird der Volkswohlstand nicht vermehrt, sondern vermindert).
-Es gibt Schriftsteller, bei denen diese Art, sich auszudrücken,
-vollständig zur Manier geworden ist; sie haben sich so hinein verrannt,
-daß sie nicht wieder davon loskommen. Jeder Gedanke, der vor ihrer
-Seele auftaucht, nimmt sofort die Gestalt eines Substantivs an,
-jeder Hauptsatz, jeder Nebensatz gerinnt ihnen zu einem Substantiv.
-<em class="gesperrt">Erweitern</em> – das können sie gar nicht mehr denken, sie denken
-nur noch <em class="gesperrt">Erweiterung</em>.<a id="FNAnker_152" href="#Fussnote_152" class="fnanchor">[152]</a> Statt <em class="gesperrt">um zu</em>, <em class="gesperrt">weil</em>,
-<em class="gesperrt">so daß</em>, <em class="gesperrt">wenn</em> schwebt ihnen sofort <em class="gesperrt">Zweck</em>,
-<em class="gesperrt">Grund</em>, <em class="gesperrt">Interesse</em>, <em class="gesperrt">Folge</em>, <em class="gesperrt">Voraussetzung</em> vor.
-Wenn ein gewissenhafter Redakteur mit solchen Mitarbeitern zu tun hat,
-so bleibt ihm gar nichts weiter übrig, als Satz für<span class="pagenum" id="Seite_329">[S. 329]</span> Satz die harten
-Substantivschalen entzweizuschlagen und überall den weichen Verbalkern
-herauszuholen, mit andern Worten: Satz für Satz umzuschreiben, aus
-der Substantivsprache in die Verbalsprache zu übersetzen. Verba
-erhalten den Satzbau geschmeidig und flüssig, sie lassen sich in
-der mannigfaltigsten Weise bekleiden, ohne daß die Sätze beschwert
-werden und dadurch schleppend werden. Sowie man aber den Verbalbegriff
-substantiviert, entstehen nicht nur so häßliche Bildungen wie:
-<em class="gesperrt">Zuhilfenahme</em>, <em class="gesperrt">Inangriffnahme</em>, <em class="gesperrt">Inanspruchnahme</em>,
-<em class="gesperrt">Beiseiteschiebung</em>, <em class="gesperrt">Zugänglichmachung</em>,
-<em class="gesperrt">Zurannahmebringung</em>, <em class="gesperrt">Inanklagestandversetzung</em>, sondern
-diese zähen Verbalextrakte müssen nun auch erst wieder durch
-irgendeinen wässerigen, gehaltlosen Zusatz wie <em class="gesperrt">stattfinden</em>,
-<em class="gesperrt">erfolgen</em>, <em class="gesperrt">bewirken</em> in den flüssigen Zustand
-zurückversetzt werden, der für den Satzbau notwendig ist. Außerdem
-verbaut man sich durch solche Substantivierung selbst den Weg, verfitzt
-sich den Satz, und adverbielle Bestimmungen geraten in die Gefahr,
-falsch bezogen zu werden, wie in folgenden Sätzen: Seine Majestät
-<em class="gesperrt">gab das Zeichen</em> zum Beginn der Feier <em class="gesperrt">durch Absingung</em>
-eines Chorals (statt: durch Absingung <em class="gesperrt">zu beginnen</em>) – man
-<em class="gesperrt">verzichtete</em> auf die Beantwortung einer Thronrede <em class="gesperrt">durch eine
-Adresse</em> (statt: durch eine Adresse <em class="gesperrt">zu beantworten</em>) –
-K. wurde der Körperverletzung <em class="gesperrt">mittels eines schweren Werkzeuges
-angeklagt</em> (statt: mittels eines schweren Werkzeuges <em class="gesperrt">verletzt
-zu haben</em>) – ein Expedient wurde wegen Unterschlagung von 750
-Mark <em class="gesperrt">zum Nachteil seines Prinzipals verhaftet</em> (statt: weil
-er zum Nachteil seines Prinzipals oder einfach: seinem Prinzipal
-<em class="gesperrt">unterschlagen hatte</em>) – die Fischerinnung hat das Befahren der
-Flüsse innerhalb der Stadtflur <em class="gesperrt">mit Booten und Kähnen verboten</em>
-(statt: mit Booten und Kähnen <em class="gesperrt">zu befahren</em>). Eine adverbielle
-Bestimmung gehört, wie ihr Name sagt, zunächst zum Verbum; wird
-dieses Verbum substantiviert, so flüchtet sie eben zu einem andern
-Verbum, und der Unsinn ist fertig. Namentlich in unsrer Gesetz- und
-Verordnungssprache spielt dieser<span class="pagenum" id="Seite_330">[S. 330]</span> Fehler eine große Rolle; Tausende von
-Bekanntmachungen, Verordnungen, Warnungen und Verboten, aber auch die
-einzelnen Punkte von Tagesordnungen und Protokollen fangen gewöhnlich
-gleich mit einem Verbalsubstantiv oder einem substantivierten Infinitiv
-an und quälen dann sich und die Leser mit allem, was darauf folgt.</p>
-
-<p>Ein vierter, sehr häufiger Fehler, aus dem das gerade Gegenteil
-eines fließenden Stils entspringt, besteht darin, daß ein <span class="antiqua">casus
-obliquus</span> eines Hauptworts so im Satze gestellt wird, daß er beim
-ersten Lesen entweder nicht erkannt wird oder falsch bezogen werden
-muß. Sehr gewöhnlich ist es z.&#160;B., daß ein Satz mit einem Akkusativ
-angefangen wird, der, weil er ein Femininum, ein Neutrum oder ein
-Plural ist oder keinen Artikel hat, nicht eher als Akkusativ erkannt
-wird, als bis – oft ziemlich spät – das Subjekt folgt<a id="FNAnker_153" href="#Fussnote_153" class="fnanchor">[153]</a>; bis
-dahin hält ihn jeder Leser für den Nominativ, also für das Subjekt des
-Satzes, z.&#160;B.: <em class="gesperrt">die Pflege</em> und die Wartung des jüngsten Kindes
-besorgt die Hausfrau selbst – <em class="gesperrt">die Frage</em>, ob es richtig war,
-auch die schon seit längerer Zeit ansässigen Einwandrer auszuweisen,
-untersuche ich hier nicht – <em class="gesperrt">seine Erziehung</em> hatte bisher
-nach der allgemeinen Gewohnheit in hochadligen Familien ein Priester
-geleitet – die beste <em class="gesperrt">Schilderung</em> Corneliens, zugleich ein
-herrliches Denkmal dankbarer Liebe, haben wir in Wahrheit und Dichtung
-– die <em class="gesperrt">harmlose Geselligkeit</em> der anständigen Restaurationen
-will der Ankläger nicht gemeint haben – <em class="gesperrt">die Einreihung</em> der
-nicht teuern Bände in jede Familienbibliothek befürworte ich aufs
-wärmste – <em class="gesperrt">das Orchester</em> führte schneidig und mit Umsicht Herr
-Kapellmeister P. – <em class="gesperrt">das große Pferd</em>, dessen mythologische
-Bedeutung schon durch die Statue auf der Säule nahegelegt wird, hat
-Thausing als Herkules gedeutet – <em class="gesperrt">das geistige Leben</em> beherrscht
-auf der einen Seite die bald in scholastischer<span class="pagenum" id="Seite_331">[S. 331]</span> Erstarrung erstickende
-lutherische Theologie, auf der andern der Jesuitismus – <em class="gesperrt">anerkannte
-Namen</em> von bestem Klange wie aufstrebende neue Talente hat unsre
-Mitarbeiterliste aufzuweisen – des Kaisers <em class="gesperrt">Sieg</em> bei Mühlberg,
-nach dem die Tage des Evangeliums gezählt schienen, feierte Agricola
-durch einen Dankgottesdienst – <em class="gesperrt">die Herren</em>, die sich an unserm
-Fortbildungskursus beteiligen wollen, ersuchen wir usw. Aber auch
-andre Fälle solcher falscher Beziehungen kommen vor, wie folgende
-Beispiele zeigen (das Mißverständnis, in das jeder Leser zunächst
-verfällt, soll durch den Druck hervorgehoben werden): <em class="gesperrt">diese volle
-Unabhängigkeit</em> fordernde Stelle – <em class="gesperrt">in einem Ende</em> November
-1862 an das Ministerium gerichteten Schreiben – die Sozialdemokratie
-besteht noch <em class="gesperrt">in dem Staate</em> gefahrdrohender Weise – der
-Staatsbetrug der Armeelieferanten ist mir lieber als <em class="gesperrt">der der
-Staatsteile</em> verschachernden Fürsten – es handelt sich um <em class="gesperrt">eine
-sehr weite</em> Kreise interessierende Angelegenheit – um sie <em class="gesperrt">zu
-allen Anforderungen</em> entsprechenden Soldaten zu machen – die
-Absicht, den Platz <em class="gesperrt">mit dem Festzweck</em> entsprechenden Dauerbauten
-zu versehen – sie hat ihm <em class="gesperrt">zu seinem Aufsehen</em> erregenden
-Mädchenbilde gesessen – mit Rücksicht <em class="gesperrt">auf die Befähigten</em>
-zu erteilende Ausbildung – das nationale Gefühl ist <em class="gesperrt">durch
-Jahrhunderte</em> lange Trennung geschwächt – die beiden Täler werden
-<em class="gesperrt">von Steinforellen</em> enthaltenden Bächen durchflossen – diese
-Konglomerate von <em class="gesperrt">kleinlichen, detaillierten Spezialforderungen</em>
-anzupassenden Verwaltungsräumen – <em class="gesperrt">es traten sich mühsam</em> mit
-der Gitarre begleitende Sängerinnen auf usw. In allen diesen Sätzen
-verbindet man im ersten Augenblicke falsch; im nächsten Augenblicke
-sieht man natürlich die richtige Verbindung, aber seinen Rippenstoß hat
-man weg.</p>
-
-<p>Viele Druckseiten könnten hier mit Beispielen der verschiedensten
-Art gefüllt werden, die alle darauf hinauslaufen, daß der Leser beim
-ersten Lesen falsch versteht, an einer gewissen Stelle merkt, daß er
-falsch verstanden hat, und deshalb umkehren und das Gelesene gleichsam<span class="pagenum" id="Seite_332">[S. 332]</span>
-umdenken muß. Sehr häufig ist der Fall, daß dem Schreibenden bei
-einem Fürwort, einem Partizip, einem Adverb ein erst später folgendes
-Hauptwort oder Zeitwort vorschwebt, während es der Leser, der das nicht
-wissen kann, auf ein schon dagewesenes bezieht. Welche Störung dann!
-Da wird z.&#160;B. geschrieben: in Berlin gelang es <em class="gesperrt">Bandel</em> nicht,
-festen Fuß zu fassen; mit der brutalen Deutlichkeit, die <em class="gesperrt">ihm</em>
-eigen war, erklärte ihm <em class="gesperrt">Schadow</em> usw. (hier wird jeder Leser
-<em class="gesperrt">ihm</em> zunächst auf Bandel beziehen, während es auf Schadow gehen
-soll) – die Gedichte wurden meine Einführungsbriefe bei den Dichtern
-Münchens, die ich fast alle in diesen Jahren im Hause meines Vaters
-kennen lernte; als <em class="gesperrt">Glied des Leseausschusses</em>, als Regisseur,
-als Träger der Heldenrollen und wahrlich nicht am wenigsten als
-einsichtsvoller und wohlwollender Berater, als ein in allen Stücken
-prächtiger Mann war <em class="gesperrt">er</em> von den Herren gar eifrig gesucht (hier
-bezieht der Leser alle die schönen Prädikate des zweiten Satzes
-auf <em class="gesperrt">ich</em>, bis er zuletzt merkt, daß sie sich auf <em class="gesperrt">er</em>
-beziehen) – wie sehr unsre Landsleute am Vaterlande hängen, bewies
-die reiche <em class="gesperrt">Spende</em>, die sie zum Bismarckdenkmal herübersandten.
-In herrlichem Gartengrün <em class="gesperrt">verborgen, umgeben</em> von tropischer
-Blumenpracht, hat der deutsche Verein in Honolulu sein <em class="gesperrt">eignes
-Heim</em> (hier versucht man, die Partizipia <em class="gesperrt">verborgen</em> und
-<em class="gesperrt">umgeben</em> zunächst auf <em class="gesperrt">Spende</em> zu beziehen, bis man endlich
-merkt, daß sie zu <em class="gesperrt">Heim</em> gehören sollen) – diese Idee <em class="gesperrt">kam</em>
-von außen, <em class="gesperrt">aus</em> der römisch gebildeten <em class="gesperrt">Umgebung</em> des Königs
-und aus den Bedürfnissen des römischen Papsttums <em class="gesperrt">erwuchs sie</em>
-(hier merkt man erst, daß man das zweite <em class="gesperrt">aus</em>, und was darauf
-folgt, fälschlich mit <em class="gesperrt">kam</em> verbunden hat) – obgleich ich nicht
-wußte, ob ich sitzen bleiben dürfte oder mich zurückziehen müßte, blieb
-ich doch <em class="gesperrt">sitzen</em>. <em class="gesperrt">So sehr</em> hatte mich die bewundernswerte
-Persönlichkeit des Grafen gefangen genommen, daß ich selbst die
-gewöhnlichsten Gesellschaftsregeln <em class="gesperrt">außer acht ließ</em> (hier
-bezieht man <em class="gesperrt">so sehr</em> zunächst auf das vorhergehende <em class="gesperrt">sitzen
-bleiben</em>, es soll aber den kommenden Folgesatz<span class="pagenum" id="Seite_333">[S. 333]</span> vorbereiten) –
-das ist zum erstenmal der volle, unvergleichliche <em class="gesperrt">Beethoven</em>;
-und angesichts dieser Stelle kann man es nur mit der Eile, mit der
-<em class="gesperrt">er</em> schrieb, entschuldigen, daß <em class="gesperrt">Berlioz</em> in dieser
-Sinfonie nur Haydnsche Musik gesehen hat (hier bezieht jeder Leser das
-<em class="gesperrt">er</em>, womit Berlioz gemeint ist, zunächst auf Beethoven). Auch
-wenn geschrieben wird: diese Urkunden <em class="gesperrt">ändern</em> das Bild, das man
-sich von jenen Sekten und von der zu ihrer Vertilgung eingesetzten
-Inquisition gemacht hatte, <em class="gesperrt">nicht wesentlich</em> – die jetzige
-ritterschaftliche Vertretung besitzt in ihrer Mehrheit das nötige
-Verständnis für die Aufgaben ihrer Zeit <em class="gesperrt">nicht</em> – Wien <em class="gesperrt">hat den
-Ruhm</em>, unter allen deutschen Hauptstädten zuerst eine Pflegstätte
-für das musikalische Lustspiel, die idyllische, bürgerliche und
-lyrisch-romantische Oper zu besitzen, <em class="gesperrt">nicht lange genossen</em> – so
-liegt derselbe Fehler vor. Daß Wien den Ruhm nicht lange genossen hat,
-erfährt der Leser zu spät; bis dahin hat er glauben müssen, es hätte
-ihn überhaupt.</p>
-
-<p>Abzuhelfen ist solchen Anstößen, wie man sieht, auf die verschiedenste
-Weise, aber immer sehr leicht: ein denkender Schriftsteller wird
-sich überall schnell zu helfen wissen, sobald er nur – den Anstoß
-bemerkt. Aber das ist eben das schlimme, daß der Schriftsteller selber
-gewöhnlich solche Anstöße <em class="gesperrt">nicht</em> bemerkt, nur der Leser bemerkt
-sie. Wie dem abzuhelfen sei? Vor allem dadurch, daß man sich beim
-Lesen dessen, was andre geschrieben haben, überall da, wo man hängen
-bleibt, darüber Rechenschaft gibt, warum man hängen bleibt, und dann
-dergleichen vermeidet. Man kann es darin bei einigem guten Willen sehr
-bald zu einer gewissen Fertigkeit bringen. Ein andres, sehr einfaches
-Mittel ist, daß man nichts naß in die Druckerei gibt, sondern alles,
-was man geschrieben hat, wenn auch nicht <span class="antiqua">nonum in annum</span>, so doch
-einige Tage lang beiseite legt und dann wieder vornimmt. In dieser
-Zwischenzeit ist es einem gewöhnlich so fremd geworden, daß man von all
-den Anstößen, die jeden andern Leser verletzen würden, selber verletzt
-wird, sie also noch rechtzeitig beseitigen kann.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_334">[S. 334]</span></p>
-
-<p>Auf jeden Fall sollten folgende stilistische Haus- und Lebensregeln
-beobachtet werden: 1. schreibe Zeitwörter, nicht Hauptwörter! 2.
-schreibe Hauptwörter, nicht Fürwörter! 3. schachtle nicht, sondern
-schreibe Nebensätze! 4. schreibe laut! schreibe nicht immer bloß für
-die Augen, sondern vor allem auch für die Ohren! Mit der Beobachtung
-dieser Regeln und Ratschläge wird man freilich noch lange kein großer
-Schriftsteller, aber ohne sie auch nicht. Die Schriftstellerei ist eine
-Kunst, und jede Kunst hat ihre Technik, die gelehrt und gelernt werden
-kann. Wie der Maler malen, so muß der Schriftsteller schreiben können,
-und der geistvollste Schriftsteller kann sich um alle Wirkung bringen,
-wenn er seine Leser aller Augenblicke durch Ungeschicklichkeiten und
-lumpige technische Schnitzer stört und ärgert.</p>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_335">[S. 335]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak padtop5" id="Zum_Wortschatz_und_zur_Wortbedeutung">Zum
-Wortschatz und zur Wortbedeutung</h2>
-
-</div>
-
-<figure class="figcenter illowe3" id="deko10">
- <img class="w100 padtop1" src="images/deko.png" alt="Deko">
-</figure>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_337">[S. 337]</span></p>
-
-<figure class="figcenter illowe50" id="borduere1f">
- <img class="w100 mtop3" src="images/borduere1.png" alt="Zierband">
-</figure>
-
-<h3 id="Die_Stoffnamen">Die Stoffnamen</h3>
-
-</div>
-
-<p class="p0"><span class="drop">Z</span>ahllose Fehler und Geschmacklosigkeiten werden in der Wahl und der
-Anwendung der Wörter begangen.</p>
-
-<p>Alle Stoffnamen wie: <em class="gesperrt">Wein</em>, <em class="gesperrt">Bier</em>, <em class="gesperrt">Blut</em>,
-<em class="gesperrt">Eisen</em>, können von Rechts wegen nur im Singular gebraucht werden,
-und so priesen denn auch früher unsre Kaufleute nur ihren guten
-<em class="gesperrt">Lack</em> oder <em class="gesperrt">Firnis</em> an, auch wenn sie noch so viel Sorten
-hatten. Von einigen solchen Wörtern hatte man aber doch gewagt, den
-Plural zu bilden, um die Mehrzahl der Sorten zu bezeichnen, und wir
-haben uns allmählich daran gewöhnt. Schon das sechzehnte Jahrhundert
-kannte die Plurale: <em class="gesperrt">die Bier</em>, <em class="gesperrt">die Wein</em>, im Faust heißt
-es: ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden, doch ihre
-<em class="gesperrt">Weine</em> trinkt er gern, und die Chemie und die Technologie reden
-schon lange von <em class="gesperrt">Ölen</em> und <em class="gesperrt">Fetten</em>. Neuerdings wird aber
-doch diese Pluralbildung in unerträglicher Weise ausgedehnt; man
-empfiehlt nicht nur <em class="gesperrt">Lacke</em>, <em class="gesperrt">Firnisse</em>, <em class="gesperrt">Öle</em> und
-<em class="gesperrt">Seifen</em>, sondern auch <em class="gesperrt">Mehle</em>, <em class="gesperrt">Grieße</em>, <em class="gesperrt">Essige</em>,
-<em class="gesperrt">Salate</em>, <em class="gesperrt">Honige</em>, <em class="gesperrt">Tabake</em>, <em class="gesperrt">Zwirne</em>,
-<em class="gesperrt">Garne</em>, <em class="gesperrt">Wollen</em> (Strick- und Häkelwollen!), <em class="gesperrt">Tuche</em>,
-<em class="gesperrt">Seiden</em>, <em class="gesperrt">Flanelle</em>, <em class="gesperrt">Plüsche</em>, <em class="gesperrt">Tülle</em>,
-<em class="gesperrt">Battiste</em>, <em class="gesperrt">Kattune</em>, <em class="gesperrt">Damaste</em>, <em class="gesperrt">Barchente</em> –
-<em class="gesperrt">Tees</em>, <em class="gesperrt">Kaffees</em>, <em class="gesperrt">Kakaos</em>, <em class="gesperrt">Buckskins</em> usw.
-Diese Formen, die die immer rücksichtsloser werdende Reklamesprache
-unsrer Kaufleute geschaffen hat, haben etwas stammelndes, sie klingen
-wirklich wie Kindergelall. Wenn auf diesem Wege weitergegangen würde,
-müßte man in Zukunft auch <em class="gesperrt">Wachse</em>, <em class="gesperrt">Leime</em>, <em class="gesperrt">Kalke</em>,
-<em class="gesperrt">Porzellane</em>, ja sogar <em class="gesperrt">Fleische</em>, <em class="gesperrt">Wurste</em>,
-<em class="gesperrt">Korne</em>, <em class="gesperrt">Glase</em>, <em class="gesperrt">Stahle</em> anpreisen können.<span class="pagenum" id="Seite_338">[S. 338]</span> Denn
-<em class="gesperrt">Würste</em>, <em class="gesperrt">Körner</em>, <em class="gesperrt">Gläser</em>, <em class="gesperrt">Stähle</em> (Plättstähle
-sagt man in Leipzig) sind doch etwas andres, sie bezeichnen die
-einzelnen Stücke, aber nicht die Sorten; ähnlich die <em class="gesperrt">Kälke</em>,
-von denen die Gerber früher sprachen. Die Geologen reden bereits
-von <em class="gesperrt">Sanden</em> und <em class="gesperrt">Tonen</em>, statt von Sand- und Tonarten.
-Wo ist die Grenze? Und wie will man überhaupt eine Mehrzahl bilden
-von <em class="gesperrt">Schiefer</em>, <em class="gesperrt">Zucker</em>, <em class="gesperrt">Obst</em>, <em class="gesperrt">Milch</em>,
-<em class="gesperrt">Butter</em>, <em class="gesperrt">Käse</em>, <em class="gesperrt">Leinwand</em>, <em class="gesperrt">Flachs</em>,
-<em class="gesperrt">Spiritus</em>, <em class="gesperrt">Petroleum</em>? Das Bedürfnis, die verschiednen
-Sorten auszudrücken, ist doch bei diesen Dingen gewiß ebenso stark wie
-bei andern. An der Firma einer Leipziger Handlung steht: <em class="gesperrt">Stahl aller
-Art</em>. Wie vornehm klingt das! Man freut sich jedesmal, wenn man
-vorbeigeht. Wie dumm dagegen ist die Mehrzahl <em class="gesperrt">Abfallseifen</em>! Wenn
-es irgend etwas gibt, was man nicht in den Plural setzen kann, so ist
-es doch das Sammelsurium, daß man als „Abfallseife“ bezeichnet.</p>
-
-<p>Ein wunderliches Gegenstück zu diesen anstößigen Pluralen ist es, daß
-von manchen Wörtern die Mehrzahl jetzt auffällig vermieden wird. Von
-den schönen <em class="gesperrt">Haaren</em> einer Frau zu sprechen, gilt nicht für fein;
-nur daß sie schönes <em class="gesperrt">Haar</em> habe, hört sie gern. Und beim Schneider
-bestellt man sich nicht mehr neue <em class="gesperrt">Hosen</em> – das wäre ja ganz
-plebejisch! –, nein, eine neue <em class="gesperrt">Hose</em>. Was will man denn aber
-mit <em class="gesperrt">einer</em> Hose? Man hat doch zwei Beine, also wird man auch
-immer ein Paar <em class="gesperrt">Hosen</em> brauchen. <em class="gesperrt">Hose</em> bedeutet doch nur
-die zylinderförmige Hülse für <em class="gesperrt">ein</em> Bein. Vornehme Leute haben
-allerdings auch keine Beine mehr, sondern nur noch Füße. Ich habe mich
-an den Fuß gestoßen, sagt die feine Dame; wenn man sie aber nach der
-Stelle fragt, zeigt sie – auf den Oberschenkel.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Verwechselte_Woerter">Verwechselte Wörter</h3>
-
-</div>
-
-<p>Nicht bloß Kindern, auch Erwachsenen, oft sogar recht „gebildeten“
-Erwachsenen begegnet es, daß sie ein Wort in falschem Sinne gebrauchen
-oder zwei Wörter oder Redensarten miteinander verwechseln oder
-vermengen. Es fehlt ihnen dann an der nötigen Spracherfahrung.
-Sie haben die Wörter noch nicht oft genug<span class="pagenum" id="Seite_339">[S. 339]</span> gehört, oder sie haben
-nicht scharf genug auf den Zusammenhang geachtet, worin ihnen die
-Wörter vorgekommen sind, und so verbinden sie nun einen falschen
-Sinn damit. Es gibt Bücher über Shakespeares, Goethes, Schillers
-<em class="gesperrt">Frauengestalten</em>. Darunter hat wohl noch niemand etwas andres
-verstanden als die Frauen in den Werken der drei Dichter. Vor kurzem
-ist aber ein Buch erschienen: <em class="gesperrt">Lenaus Frauengestalten</em>. Das
-behandelt „diejenigen (!) Frauen, welche (!) bedeutsam (!) in das
-Leben und Werden (!) Lenaus eingegriffen haben“. Wenn eine solche
-Begriffsverwechslung einem Schriftsteller begegnet, dann kann man
-den Schenkwirten keinen Vorwurf machen, wenn sie neuerdings mit
-Vorliebe auf die <em class="gesperrt">kleinen Preise</em> ihrer Speisekarte aufmerksam
-machen. Zwischen <em class="gesperrt">Preis</em> (<span class="antiqua">praemium</span>) und <em class="gesperrt">Preis</em>
-(<span class="antiqua">pretium</span>) ist ein Unterschied. Große und <em class="gesperrt">kleine Preise</em>
-gibt es bei Preisausschreiben und Preisverteilungen; im Handel aber
-gibt es nur hohe und <em class="gesperrt">niedrige</em> oder <em class="gesperrt">billige</em> oder <em class="gesperrt">mäßige
-Preise</em>. Man scheint zu glauben, daß man durch <em class="gesperrt">niedrige</em>
-Preise das Publikum beleidige; Sängerinnen veranstalten schon Konzerte
-zu <em class="gesperrt">volkstümlichen</em>, sogar <em class="gesperrt">populären</em> Preisen.<a id="FNAnker_154" href="#Fussnote_154" class="fnanchor">[154]</a> In
-den Zeitungen kann man jeden Tag lesen, daß ein Erkrankter oder ein
-Verunglückter in das oder jenes Krankenhaus <em class="gesperrt">eingeliefert</em>
-worden sei. Welche Roheit! Ein Verbrecher wird ins Gefängnis
-<em class="gesperrt">eingeliefert</em>, nachdem er verhaftet worden ist, aber doch nicht
-ein armer Kranker!</p>
-
-<p>Oft verwechselt werden jetzt von Hauptwörtern: <em class="gesperrt">Neuheit</em> und
-<em class="gesperrt">Neuigkeit</em>, <em class="gesperrt">Wirkung</em> und <em class="gesperrt">Wirksamkeit</em>, <em class="gesperrt">Folge</em>
-und <em class="gesperrt">Erfolg</em>, von Zeitwörtern: <em class="gesperrt">zeigen</em>, <em class="gesperrt">zeichnen</em>,
-<em class="gesperrt">bezeichnen</em> und <em class="gesperrt">kennzeichnen</em>, <em class="gesperrt">verlauten</em> und
-<em class="gesperrt">verlautbaren</em> u.&#160;a., von Adverbien: <em class="gesperrt">regelmäßig</em> und
-<em class="gesperrt">in der Regel</em>, <em class="gesperrt">anscheinend</em>, <em class="gesperrt">scheinbar</em> und
-<em class="gesperrt">augenscheinlich</em>, <em class="gesperrt">voran</em> und <em class="gesperrt">vorwärts</em>, <em class="gesperrt">zumal</em>
-und <em class="gesperrt">besonders</em>.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_340">[S. 340]</span></p>
-
-<p><em class="gesperrt">Neuheiten</em> liegen in dem Schaufenster des Modewarenhändlers;
-in dem des Buchhändlers liegen <em class="gesperrt">Neuigkeiten</em>. Bis vor kurzem
-wenigstens ist dieser Unterschied stets beobachtet und von
-literarischen Erzeugnissen dasselbe Wort gebraucht worden wie von
-neuen Nachrichten: <em class="gesperrt">Neuigkeit</em>. Es hat einen geistigern Inhalt
-als <em class="gesperrt">Neuheit</em>, und die Schriftsteller sollten es sich verbitten,
-daß man ihre Erzeugnisse mit demselben Worte bezeichnet wie die des
-Schneiders.</p>
-
-<p>Von der <em class="gesperrt">Wirksamkeit</em> des Saxlehnerschen Bitterwassers zu reden
-ist ebenso verkehrt, wie zu sagen: diese Maßregel verliert auf die
-Dauer ihre <em class="gesperrt">Wirksamkeit</em>. Der Pfarrer wirkt in seinem Amte, eine
-Maßregel wirkt vielleicht im Verkehr, und das Bitterwasser wirkt in den
-Gedärmen; aber nur der Pfarrer hat eine <em class="gesperrt">Wirksamkeit</em>, die beiden
-andern haben eine <em class="gesperrt">Wirkung</em>.</p>
-
-<p>Ebenso sinnwidrig ist es von dem <em class="gesperrt">Erfolg</em> zu knapper Mittel zu
-reden, statt von den <em class="gesperrt">Folgen</em>, denn ein <em class="gesperrt">Erfolg</em> ist etwas
-positives, erfreuliches, zu knappe Mittel sind etwas negatives,
-unerfreuliches.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Kennzeichnen</em> ist sehr beliebt geworden, seitdem man es
-als Ersatz für das Fremdwort <em class="gesperrt">charakterisieren</em> gebraucht.
-Es wird aber oft ganz gedankenlos verwendet. Wenn geschrieben
-wird: welche Stellung er zur Revolution einnahm, ist schon oben
-kurz <em class="gesperrt">gekennzeichnet</em> worden – durch ihre Aussprüche
-<em class="gesperrt">kennzeichnen</em> sie ihre Zugehörigkeit zur stillen Gemeinde –
-wir haben das Buch als das <em class="gesperrt">gekennzeichnet</em>, was es ist: als
-eine Tendenzschrift – der ungeheure Verbrauch von Offizieren muß
-als ein Luxus <em class="gesperrt">gekennzeichnet</em> werden – der Hauptraum, der als
-Halle oder Kapelle <em class="gesperrt">gekennzeichnet</em> werden kann – die ganze
-Kläglichkeit der heutigen Handwerkspolitik hat Stieda trefflich
-<em class="gesperrt">gekennzeichnet</em> – so liegt auf der Hand, daß in den ersten drei
-Sätzen <em class="gesperrt">zeigen</em> (andeuten, verraten, nachweisen), in den zwei
-nächsten <em class="gesperrt">bezeichnen</em>, in dem letzten einfach <em class="gesperrt">zeichnen</em>
-(schildern) gemeint ist.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Verlauten</em> ist ein intransitives Zeitwort und bedeutet:
-<em class="gesperrt">laut werden</em>. Es <em class="gesperrt">verlautet</em> etwas – heißt: man
-erzählt es, man spricht davon. <em class="gesperrt">Verlautbaren</em><span class="pagenum" id="Seite_341">[S. 341]</span> dagegen (ein
-entsetzliches Kanzleiwort!) ist transitiv und bedeutet: <em class="gesperrt">laut
-aussprechen</em>, bekanntmachen. Ganz verkehrt ist es also, zu sagen: es
-<em class="gesperrt">verlautbart</em> etwas.<a id="FNAnker_155" href="#Fussnote_155" class="fnanchor">[155]</a></p>
-
-<p>Sehr gern verwechselt werden auch <em class="gesperrt">erhalten</em> und <em class="gesperrt">empfangen</em>:
-er <em class="gesperrt">empfing</em> die Nachricht, daß sein Freund bankrott sei –
-wenige Stunden später <em class="gesperrt">empfing</em> Delbrück abermals ein Telegramm
-Bismarcks. Wenn man Besuch <em class="gesperrt">erhält</em>, so kann man ihn natürlich
-auch <em class="gesperrt">empfangen</em>, entweder freundlich oder höflich oder feierlich;
-aber Nachrichten, Briefe, Telegramme, Geld usw. <em class="gesperrt">erhält</em> man, wenn
-es auch üblich ist, hinterher den richtigen <em class="gesperrt">Empfang</em> anzuzeigen.</p>
-
-<p>Falsch ist es auch, aber trotzdem sehr beliebt, reflexive
-Zeitwörter, wie: <em class="gesperrt">sich erheben</em>, <em class="gesperrt">sich anschließen</em>, ihres
-rückbezüglichen Fürworts zu berauben, sie als Intransitiva zu behandeln
-und zu schreiben: ein Festaktus in der Aula mit <em class="gesperrt">anschließendem</em>
-Rundgange durch das Gebäude – die Versammlung bezeugte ihre Teilnahme
-durch <em class="gesperrt">Erheben</em> von den Plätzen. Man erhebt <em class="gesperrt">sich</em>, oder
-einfach: man – <em class="gesperrt">steht auf</em>!</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Regelmäßig</em> ist dasselbe wie <em class="gesperrt">immer</em>; <em class="gesperrt">in der Regel</em>
-aber ist nicht dasselbe wie <em class="gesperrt">immer</em>. Wer regelmäßig früh um fünf
-Uhr aufsteht, leistet mehr, als wer es bloß in der Regel tut. Die Regel
-leidet eine Ausnahme, die Regelmäßigkeit leidet keine.</p>
-
-<p>Wenn eine Zeitung schreibt: die Herren verlebten einen <em class="gesperrt">scheinbar</em>
-ganz köstlichen Abend – so ist das etwas ganz andres, als was der
-Zeitungschreiber sagen will. Mit <em class="gesperrt">scheinbar</em> wird ein Anschein
-gleich für falsch erklärt, mit <em class="gesperrt">augenscheinlich</em> wird er gleich
-für richtig erklärt, mit <em class="gesperrt">anscheinend</em> wird gar kein Urteil
-ausgesprochen. Er verzichtet <em class="gesperrt">scheinbar</em> auf einen Gewinn
-– heißt: in Wahrheit ist er ganz gierig darnach; er verzichtet
-<em class="gesperrt">anscheinend</em> – heißt: es kann sein, daß er verzichtet, es kann
-auch nicht sein; er verzichtet <em class="gesperrt">augenscheinlich</em> – heißt: er
-verzichtet offenbar.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Voran</em> bezeichnet einen Platz, und zwar den ersten<span class="pagenum" id="Seite_342">[S. 342]</span> Platz,
-die Spitze, <em class="gesperrt">vorwärts</em> dagegen eine Richtung. Es ist also
-Gedankenlosigkeit oder Ziererei, wenn jemand schreibt: Max Müller hat
-die Forschung in der Sprachwissenschaft in keinem Punkte <em class="gesperrt">voran</em>
-gebracht. Gemeint ist: <em class="gesperrt">vorwärts</em>gebracht oder <em class="gesperrt">gefördert</em>.</p>
-
-<p>Durch <em class="gesperrt">zumal</em> erfährt eine Behauptung eine in der Sache selbst
-liegende, also selbstverständliche Steigerung z.&#160;B.: die Urkunden
-sind schwer lesbar, <em class="gesperrt">zumal</em> im siebzehnten Jahrhundert (wo man
-überhaupt schlecht schrieb – ist der Sinn) – du solltest dich doch
-sehr in acht nehmen, <em class="gesperrt">zumal</em> im Winter. Ganz unangebracht ist es
-dagegen in folgendem Satze: als ich die Quellen zur Geschichte des
-Bistums durcharbeitete, stieß ich, <em class="gesperrt">zumal</em> in zwei Handschriften
-des fünfzehnten Jahrhunderts, auf zahlreiche Aktenstücke. Hier kann es
-nur <em class="gesperrt">besonders</em> oder <em class="gesperrt">namentlich</em> heißen.</p>
-
-<p>Keine Verwechslung, sondern bloße Ziererei ist es, für <em class="gesperrt">erstens</em>
-zu schreiben <em class="gesperrt">einmal</em>: ich muß das aus verschiednen Gründen
-ablehnen, <em class="gesperrt">einmal</em> weil, <em class="gesperrt">sodann</em> weil usw. Wer darauf
-aufmerksam gemacht worden ist, unterläßt das; es ist wirklich eine
-Abgeschmacktheit.</p>
-
-<p>Nicht verwechselt, aber vermengt werden neuerdings fortwährend die
-beiden Redensarten <em class="gesperrt">einig sein</em> und <em class="gesperrt">sich klar sein</em>.
-<em class="gesperrt">Einig sein</em> über etwas können immer nur mehrere; <em class="gesperrt">sich
-klar sein</em> kann auch ein einzelner. Ganz sinnlos aber ist das
-aus beiden zusammengeknetete <em class="gesperrt">sich einig sein</em>, das man jetzt
-täglich lesen muß: Protestanten und Katholiken sind <em class="gesperrt">sich</em> in
-diesem Punkte <em class="gesperrt">einig</em> – darin waren <em class="gesperrt">sich</em> zwei Männer
-von so verschiedner Art wie Freytag und Treitschke <em class="gesperrt">einig</em> –
-die Völker andrer Zonen sind <em class="gesperrt">sich</em> darüber <em class="gesperrt">einig</em> – die
-Ärzte sind <em class="gesperrt">sich</em> schon lange darüber <em class="gesperrt">einig</em> – in dieser
-Wahlparole sind <em class="gesperrt">sich</em> heute alle völlig <em class="gesperrt">einig</em> – die
-Reichsregierung ist <em class="gesperrt">sich</em> über die Höhe der Forderungen noch
-nicht <em class="gesperrt">einig</em> – es handelt sich um Maßnahmen, über die wohl die
-überwiegende Mehrheit <em class="gesperrt">sich einig</em> ist – vor kurzem noch war man
-<em class="gesperrt">sich</em> in Kunstgelehrtenkreisen darüber <em class="gesperrt">einig</em> – offenbar
-ist man <em class="gesperrt">sich</em> über gewisse Personenfragen noch nicht <em class="gesperrt">einig</em>
-– in der Forderung einer amtlichen, unanfechtbaren Darstellung des
-Falles<span class="pagenum" id="Seite_343">[S. 343]</span> wird man <em class="gesperrt">sich</em> wohl überall <em class="gesperrt">einig</em> sein. Wenige
-Sprachdummheiten haben sich in den letzten Jahren so seuchenartig
-verbreitet wie dieses <em class="gesperrt">sich einig sein</em>. Fort wieder mit dem
-törichten <em class="gesperrt">sich</em>!<a id="FNAnker_156" href="#Fussnote_156" class="fnanchor">[156]</a></p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Hingebung_und_Hingabe">Hingebung und Hingabe. Aufregung und
-Aufgeregtheit</h3>
-
-</div>
-
-<p>Von manchen wird ein lebhafter Kampf gegen die Wörter auf <em class="gesperrt">ung</em>
-geführt. Sie klängen häßlich, heißt es, ja sie seien geradezu eine
-Verunstaltung unsrer Sprache. Im Unterricht wird gelehrt, man solle
-sie möglichst vermeiden. Irgend jemand hat sogar die witzige Bemerkung
-gemacht, unsre Sprache mit ihren vielen <em class="gesperrt">ung-ung-ung</em> klinge wie
-lauter Unkenrufe.</p>
-
-<p>Das ist zunächst eine Übertreibung. Die Endung <em class="gesperrt">ung</em> ist tonlos
-und fällt nicht so ins Gehör, daß sie, in kurzen Zwischenräumen
-wiederholt, stören könnte. Wenn in dem heutigen Deutsch das Ohr durch
-nicht schlimmeres verletzt würde als durch die Endung <em class="gesperrt">ung</em>, so
-wäre es gut. Ein Satz wie folgender: über die <em class="gesperrt">Voraussetzungen</em> zu
-einer <em class="gesperrt">Schließung</em> des Reichstags enthält die <em class="gesperrt">Verfassung</em>
-keine ausdrückliche <em class="gesperrt">Bestimmung</em> – hat gar nichts anstößiges. In
-lebendiger Rede hört man es kaum, daß hier kurz hintereinander vier
-Wörter auf <em class="gesperrt">ung</em> stehen. Hebt man freilich die Endung auffällig
-hervor, so kann es wohl lächerlich klingen; aber auf diese Weise könnte
-man auch hundert andre Spracherscheinungen lächerlich machen.</p>
-
-<p>Nicht die Wörter auf <em class="gesperrt">ung</em> muß man bekämpfen, sondern eine immer
-mehr um sich greifende garstige Gewohnheit, die dazu verleitet, eine
-Menge wirklich häßlicher Wörter auf <em class="gesperrt">ung</em> zu bilden, darunter
-Ungetüme wie: <em class="gesperrt">Inbetriebsetzung</em>, <em class="gesperrt">Außerachtlassung</em>,
-<em class="gesperrt">Inwegfallbringung</em>, <em class="gesperrt">Zurdispositionstellung</em>,
-<em class="gesperrt">Außerdienststellung</em> u.&#160;a., die Gewohnheit, eine Handlung oder
-einen Vorgang nicht durch ein Zeitwort auszudrücken, sondern durch
-ein Substantiv in Verbindung mit irgendeinem farblosen Zeitwort des
-Geschehens<span class="pagenum" id="Seite_344">[S. 344]</span> (mit Vorliebe <em class="gesperrt">stattfinden</em> oder <em class="gesperrt">erfolgen</em>).
-Da ist es aber nicht die Endung <em class="gesperrt">ung</em>, die stört, sondern das
-schleppende Wortungetüm, das damit gebildet ist, und der ganze
-unlebendige Gedankenausdruck (vgl. <a href="#Seite_328">S. 328</a>). Wir haben vielmehr allen
-Anlaß, die Endung <em class="gesperrt">ung</em> zu schützen, ja zu verteidigen gegen
-törichte Neubildungen, die sich ihr an die Seite drängen wollen.</p>
-
-<p>Die Wörter auf <em class="gesperrt">ung</em> bezeichnen zunächst eine Handlung, einen
-Vorgang; <em class="gesperrt">Bildung</em>, <em class="gesperrt">Erziehung</em>, <em class="gesperrt">Aufklärung</em>,
-<em class="gesperrt">Einrichtung</em> bedeuten zunächst die Handlung, die Tätigkeit
-des Bildens, des Erziehens, des Aufklärens, des Einrichtens. Aus
-dieser Bedeutung entwickelt sich aber eine weitere, nämlich die
-des Ergebnisses, das die Handlung hat, des Zustandes, der durch
-sie herbeigeführt worden ist; <em class="gesperrt">Bildung</em>, <em class="gesperrt">Erziehung</em>,
-<em class="gesperrt">Aufklärung</em> bedeuten auch den Zustand des Gebildetseins,
-des Erzogenseins, des Aufgeklärtseins, <em class="gesperrt">Einrichtung</em> auch
-das Eingerichtete selbst. Vielfach hat nun die Sprache, um den
-Unterschied zwischen der Handlung und ihrem Ergebnis zu bezeichnen,
-neben dem Wort auf <em class="gesperrt">ung</em> noch ein kürzeres, meist mit Ablaut,
-unmittelbar aus dem Stamme geschaffen, also eine starke Bildung neben
-der schwachen. So haben wir <em class="gesperrt">Anlage</em> neben <em class="gesperrt">Anlegung</em>,
-<em class="gesperrt">Vorlage</em> neben <em class="gesperrt">Vorlegung</em> und können geradezu reden
-von der <em class="gesperrt">Anlegung</em> von Gas- und Wasser<em class="gesperrt">anlagen</em>, der
-<em class="gesperrt">Vorlegung</em> von Zeichen<em class="gesperrt">vorlagen</em>. Da besteht nun schon seit
-alter Zeit die Neigung, die Bildung auf <em class="gesperrt">ung</em> ganz zu beseitigen
-und ihre Aufgabe der kürzern Form mit zu übertragen. So sind die
-Wörter <em class="gesperrt">Kaufung</em> und <em class="gesperrt">Verkaufung</em> ganz verschwunden; heute
-bedeutet <em class="gesperrt">Kauf</em> und <em class="gesperrt">Verkauf</em> auch die Handlung des Kaufens
-und Verkaufens. Noch um 1800 sprach man von <em class="gesperrt">Einführung</em> und
-<em class="gesperrt">Ausführung</em> von Waren, und wenn man mit etwas nicht einverstanden
-war, machte man eine <em class="gesperrt">Einwendung</em>; heute heißt es: <em class="gesperrt">Einfuhr</em>,
-<em class="gesperrt">Ausfuhr</em>, <em class="gesperrt">Einwand</em>. Und diese Neigung ist gegenwärtig
-sehr stark verbreitet: obwohl die Sprache eine Unterscheidung an
-die Hand gibt, es ermöglicht, einen Unterschied zu machen (wieder
-ein Beispiel: <em class="gesperrt">Unterscheidung</em> und <em class="gesperrt">Unterschied</em>!),
-verschmäht man ihn und redet von<span class="pagenum" id="Seite_345">[S. 345]</span> <em class="gesperrt">Hingabe</em>, <em class="gesperrt">Freigabe</em>,
-<em class="gesperrt">Erwerb</em> (in jedem Bande stand auf dem Titelblatte das Datum
-des <em class="gesperrt">Erwerbs</em>!), <em class="gesperrt">Gewinn</em>, <em class="gesperrt">Bezug</em>, <em class="gesperrt">Vollzug</em>,
-<em class="gesperrt">Entscheid</em>, <em class="gesperrt">Entsatz</em>, <em class="gesperrt">Ersatz</em>, <em class="gesperrt">Vergleich</em>,
-<em class="gesperrt">Ausgleich</em>, <em class="gesperrt">Aufgebot</em>, <em class="gesperrt">Freispruch</em> (des Angeklagten),
-<em class="gesperrt">Zusammenschluß</em>, wo <em class="gesperrt">Hingebung</em>, <em class="gesperrt">Freigebung</em> (der
-Sonntagsarbeit), <em class="gesperrt">Erwerbung</em> (eines Grundstücks oder der
-Staatsangehörigkeit), <em class="gesperrt">Gewinnung</em> (Schlesiens), <em class="gesperrt">Beziehung</em>,
-<em class="gesperrt">Vollziehung</em>, <em class="gesperrt">Entscheidung</em>, <em class="gesperrt">Entsetzung</em> (Emin
-Paschas), <em class="gesperrt">Ersetzung</em>, <em class="gesperrt">Vergleichung</em>, <em class="gesperrt">Aufbietung</em>
-(aller Kräfte), <em class="gesperrt">Zusammenschließung</em> das Richtige wäre, weil
-eine Handlung gemeint ist. Vor dem letzten Einzug des Königs in
-Leipzig schilderte ein Zeitungschreiber, wieviel fleißige Hände mit
-dem <em class="gesperrt">Ausschmuck</em> der Straßen beschäftigt wären. In den nächsten
-Tagen plapperten das dumme Wort alle Leipziger Zeitungen nach!<a id="FNAnker_157" href="#Fussnote_157" class="fnanchor">[157]</a>
-Andrerseits: da, wo die Sprache wirklich beides, Handlung und Zustand,
-mit demselben Worte, und zwar auf <em class="gesperrt">ung</em>, ausgedrückt hat,
-schafft man künstlich einen Unterschied durch häßliche Neubildungen
-auf <em class="gesperrt">heit</em> (sie schießen wie Pilze aus der Erde!) und läßt
-die Menschen aus <em class="gesperrt">Geneigtheit</em> oder <em class="gesperrt">Abgeneigtheit</em>,
-in der <em class="gesperrt">Zerstreutheit</em>, in der <em class="gesperrt">Verzücktheit</em>, in der
-<em class="gesperrt">Verstimmtheit</em>, in der <em class="gesperrt">Aufgeregtheit</em>, in der ersten
-<em class="gesperrt">Überraschtheit</em>, mit <em class="gesperrt">Gefaßtheit</em>, unter Merkmalen von
-<em class="gesperrt">Geistesgestörtheit</em> oder gar <em class="gesperrt">geistiger Gestörtheit</em>
-tun, was sie früher aus <em class="gesperrt">Neigung</em> oder <em class="gesperrt">Abneigung</em>,
-in der <em class="gesperrt">Zerstreuung</em>, in der <em class="gesperrt">Verzückung</em>, in der
-<em class="gesperrt">Verstimmung</em>, in der <em class="gesperrt">Aufregung</em>, in der ersten
-<em class="gesperrt">Überraschung</em>, mit <em class="gesperrt">Fassung</em>, in einem Anfalle von
-<em class="gesperrt">Geistesstörung</em> taten. Ja man redet sogar von künstlerischer
-<em class="gesperrt">Abgeklärtheit</em>, von religiöser <em class="gesperrt">Aufgeklärtheit</em>, von der
-<em class="gesperrt">Isoliertheit</em> eines Gebäudes, von der <em class="gesperrt">Vertiertheit</em>
-des Proletariats und sieht mit <em class="gesperrt">Gespanntheit</em> den kommenden
-Ereignissen entgegen. Hier überall gilt es, die Bildung auf
-<em class="gesperrt">ung</em> vor der häßlichen Nebenbildung auf <em class="gesperrt">heit</em> zu
-schützen und das einschlummernde<span class="pagenum" id="Seite_346">[S. 346]</span> Sprachgefühl wieder zu wecken.
-Der Straf<em class="gesperrt">vollzug</em>, von dem die Juristen immer reden, ist ein
-Greuel, der doch aus unsrer Sprache wieder hinauszubringen sein müßte;
-ebenso die innige <em class="gesperrt">Hingabe</em>.<a id="FNAnker_158" href="#Fussnote_158" class="fnanchor">[158]</a> Wird jemand <em class="gesperrt">Anziehung</em>
-und <em class="gesperrt">Anzug</em> oder <em class="gesperrt">Abtretung</em> und <em class="gesperrt">Abtritt</em> oder
-<em class="gesperrt">Eingebung</em> und <em class="gesperrt">Eingabe</em> verwechseln und sagen: er tat
-das aus göttlicher <em class="gesperrt">Eingabe</em>? Das fürchterlichste ist wohl der
-<em class="gesperrt">Bezug</em>. Früher kannte man <em class="gesperrt">Bezüge</em> nur an Bettkissen,
-Stuhlpolstern und Regenschirmen. Jetzt steht <em class="gesperrt">Bezug</em> überall für
-<em class="gesperrt">Beziehung</em>, und da nun die, die das Wort so gebrauchen, die
-Bedeutung der Handlung dabei doch nicht recht fühlen, was haben sie
-gemacht? Sie haben das herrliche Wort <em class="gesperrt">Bezugnahme</em> erfunden. Das
-kann man doch bequemer haben: was mühselig durch das zusammengesetzte
-Wort <em class="gesperrt">Bezugnahme</em> ausgedrückt werden soll, das liegt ja in dem
-einfachen Worte <em class="gesperrt">Beziehung</em>!</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Vertauschung_der_Hilfszeitwoerter">Vertauschung der Hilfszeitwörter</h3>
-
-</div>
-
-<p>Eine vollständige Verschiebung scheinen manche jetzt unter den
-Hilfszeitwörtern (<em class="gesperrt">können</em>, <em class="gesperrt">mögen</em>, <em class="gesperrt">wollen</em>,
-<em class="gesperrt">dürfen</em>, <em class="gesperrt">sollen</em>, <em class="gesperrt">müssen</em>) durchsetzen zu wollen. Und
-<em class="gesperrt">warum</em>? Aus bloßer Ziererei, nur, um es einmal anders zu machen,
-als es bisher gemacht worden ist. Da schreibt einer: es <em class="gesperrt">mag</em>
-für ältere Mitglieder von Interesse sein die Mitgliederliste kennen
-zu lernen. Nun denkt man, er werde fortfahren: aber für die jüngern
-hat es kein Interesse, und darum teile ich sie nicht mit. Nein,
-er teilt sie mit! Er hat also sagen wollen: die Liste <em class="gesperrt">kann</em>
-oder <em class="gesperrt">wird vielleicht</em> von Interesse sein, darum will ich sie
-mitteilen. Eine Zeitschrift macht bekannt: Abonnenten <em class="gesperrt">wollen</em>
-die Fortsetzung bei der Expedition bestellen – ein Realschuldirektor
-schreibt: Neuphilologisch geschulte Bewerber <em class="gesperrt">wollen</em> ihre
-Gesuche bis zum 1. Dezember einreichen. Das ist doch nichts als
-Nachäfferei<span class="pagenum" id="Seite_347">[S. 347]</span> des Französischen (<span class="antiqua">veuillez</span>); deutsch kann es
-nur heißen: <em class="gesperrt">mögen</em> sie einreichen, oder wenn das nicht höflich
-genug scheint, <em class="gesperrt">werden gebeten</em>, <em class="gesperrt">werden ersucht</em>, sie
-einzureichen. Noch alberner ist es, ein solches <em class="gesperrt">wollen</em> mit dem
-Passivum zu verbinden: die Redaktion <em class="gesperrt">wolle</em> angewiesen werden
-(statt: es wird gebeten, die Redaktion anzuweisen) – das Testament
-<em class="gesperrt">wolle</em> in Verwahrung genommen werden – das Öffnen der Fenster
-<em class="gesperrt">wolle</em> den Schaffnern aufgetragen werden – es <em class="gesperrt">wolle</em>
-sich gefälligst des Tabakrauchens enthalten werden. Sehr beliebt ist
-es auch jetzt, zu schreiben: ich <em class="gesperrt">darf</em> endlich noch hinzufügen
-– hier <em class="gesperrt">darf</em> zum Schluß noch angeführt werden usw. Darf? Wer
-erlaubt es denn? Der Schreibende erlaubt es sich doch selber, er nimmt
-es sich heraus. Er kann also doch nur sagen: hier <em class="gesperrt">darf wohl</em>
-zum Schluß noch angeführt werden; mit dem <em class="gesperrt">wohl</em> sucht man sich
-höflich der Zustimmung des Lesers zu versichern. Ganz abgeschmackt
-ist der Mißbrauch, der jetzt mit <em class="gesperrt">sollen</em> getrieben wird. Da
-wird geschrieben: eines nähern Eingehens auf diese Punkte glaube ich
-mich enthalten zu <em class="gesperrt">sollen</em> – wir glauben, diesen Satz auf das
-ganze Werk ausdehnen zu <em class="gesperrt">sollen</em> – der Heilige Vater glaubt dich
-ermuntern zu <em class="gesperrt">sollen</em>, in der begonnenen Arbeit fortzufahren –
-wir glaubten die Eröffnung <em class="gesperrt">nicht</em> vornehmen zu <em class="gesperrt">sollen</em>,
-ohne die maßgebenden Persönlichkeiten dazu einzuladen – im Interesse
-des Publikums hat die Behörde geglaubt, den Betrieb <em class="gesperrt">nicht</em> in
-städtische Regie nehmen zu <em class="gesperrt">sollen</em>. <em class="gesperrt">Sollen</em> bezeichnet
-einen Befehl, einen Auftrag. In den angeführten Beispielen aber handelt
-sichs entweder um eine Möglichkeit oder eine Notwendigkeit. Weshalb
-also nicht <em class="gesperrt">können</em>, <em class="gesperrt">müssen</em>, <em class="gesperrt">dürfen</em>? Es ist nichts
-als dumme Ziererei.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Der_Dritte_und_der_Andre">Der Dritte und der Andre</h3>
-
-</div>
-
-<p>Viele Menschen können jetzt tatsächlich nicht mehr „bis drei
-zählen“, sondern lassen auf den Ersten gleich den Dritten folgen.
-Sie schreiben: bei allem, was ich unternommen habe, hat mich nichts
-verleiten können, das Recht eines <em class="gesperrt">Dritten</em> zu verletzen –
-an einer neuen<span class="pagenum" id="Seite_348">[S. 348]</span> Entdeckung ging er gleichgiltig vorbei; sobald sie
-aber durch einen <em class="gesperrt">Dritten</em> verballhornt war, erhob er den Kopf
-– mein Bauplan würde ganz umsonst gemacht sein, wenn dann ein
-<em class="gesperrt">Dritter</em> den Bauplatz bekäme – bei einer solchen Verpachtung
-würde die Stadtgemeinde das Eigentumsrecht behalten und nur auf eine
-Reihe von Jahren einem <em class="gesperrt">Dritten</em> ein Benutzungsrecht einräumen
-– auch der Künstler, der aus innerm Drange schafft, wird früher oder
-später erlahmen, wenn er fortwährend zusehen muß, wie <em class="gesperrt">Dritte</em>
-den ihm zukommenden Ruhm genießen – die juristische Wissenschaft
-zeigt dem Verwaltungsbeamten die Schranken, die seinem Handeln
-durch entgegenstehende Rechte <em class="gesperrt">Dritter</em> gesetzt sind – ich
-hätte die Aufgabe ohne die freundliche Hilfe <em class="gesperrt">Dritter</em> nicht
-bewältigen können – das Mißtrauen in (!) seine Begabung, unter dem
-er durch <em class="gesperrt">Dritte</em> zu leiden hatte – die Anerkennung, die sich
-als Ausbeutung seines geistigen Eigentums seitens (!) <em class="gesperrt">Dritter</em>
-darstellt – die sekundäre Art der Komposition, über Themen
-<em class="gesperrt">Dritter</em> zu phantasieren – Akten über innere Verwaltungssachen
-und Verträge mit <em class="gesperrt">Dritten</em> werden nicht mitgeteilt – da die
-Mitglieder entfernt wohnen, so lag es nahe, ihre Befugnisse auf
-<em class="gesperrt">dritte</em> Personen zu übertragen – wegen des Zeitverlustes, den
-mir die Arbeit an <em class="gesperrt">dritter</em> Stelle machen würde, bitte ich mir
-die Bücher in meine Wohnung zu senden. Ein Lokalrichter macht bekannt,
-er habe Waren im Auftrage eines <em class="gesperrt">Dritten</em> zu versteigern – eine
-Zeitung berichtet, daß ein Klempner von einem Baugerüst gefallen, ein
-Verschulden <em class="gesperrt">Dritter</em> an dem Unglücksfall aber ausgeschlossen sei
-– eine andre erzählt: der junge Mann besuchte darauf ein Restaurant,
-wo möglicherweise <em class="gesperrt">dritte</em> Personen von seinem Gelde Kenntnis
-erlangten.</p>
-
-<p>Der Unsinn stammt natürlich aus Juristenkreisen. Die Herren Juristen
-sind so daran gewöhnt, mit zwei Parteien zu tun zu haben, zu denen
-dann irgend ein „Dritter“ kommt, daß ihnen schließlich der Dritte auch
-da in die Feder läuft, wo gar nicht von zweien die Rede gewesen ist;
-er vertritt schon vollständig die Stelle des Andern. Und andre Leute
-machen es gedankenlos nach.</p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_349">[S. 349]</span></p>
-
-<h3 id="Verwechslung_von_Praepositionen">Verwechslung von Präpositionen</h3>
-
-</div>
-
-<p>Mancherlei Verwirrung herrscht auch auf dem Gebiete der Präpositionen.
-So werden z.&#160;B. sehr oft <em class="gesperrt">durch</em> und <em class="gesperrt">wegen</em> verwechselt,
-obwohl sie doch so leicht auseinanderzuhalten wären, denn <em class="gesperrt">durch</em>
-gibt das Mittel, <em class="gesperrt">wegen</em> den Grund an. Da wird z.&#160;B. geschrieben:
-das Buch ist <em class="gesperrt">durch</em> seine prachtvolle Ausstattung ein wertvolles
-Geschenk – die Marienkirche enthält viele <em class="gesperrt">durch</em> Kunst und
-Geschichte bemerkenswerte Sehenswürdigkeiten – der Streit ist
-<em class="gesperrt">durch</em> seine lange Dauer von mehr als bloß örtlicher Bedeutung
-gewesen – <em class="gesperrt">durch</em> die verkehrte Methode seines Lehrers machte
-er lange Zeit keine Fortschritte – Falb, der <em class="gesperrt">durch</em> seine
-kritischen Tage vielgenannte Wetterprophet – die Mißernten bleiben
-dann nur noch <em class="gesperrt">durch</em> Regen zu fürchten – <em class="gesperrt">durch</em>
-körperliches Leiden ist als sicher anzunehmen, daß sie sich ein Leid
-angetan hat – <em class="gesperrt">durch</em> sein liebenswürdiges und aufrichtiges
-Wesen werden wir stets seiner in Ehren gedenken. In allen diesen
-Sätzen muß es <em class="gesperrt">wegen</em> heißen, denn man fragt hier nicht: wodurch?
-sondern weshalb oder warum? Ebenso werden <em class="gesperrt">für</em> und <em class="gesperrt">vor</em>,
-<em class="gesperrt">für</em> und <em class="gesperrt">zu</em>, <em class="gesperrt">für</em> und <em class="gesperrt">über</em> oft vertauscht.
-Früher hatte man Liebe <em class="gesperrt">zu</em> jemand, faßte Neigung <em class="gesperrt">zu</em>
-jemand, hegte Achtung <em class="gesperrt">vor</em> etwas, hatte Sinn, Gefühl, Interesse
-<em class="gesperrt">für</em> etwas; jetzt gilt es <em class="gesperrt">für</em> fein, das alles durch
-<em class="gesperrt">für</em> zu erledigen: daher seine merkwürdige <em class="gesperrt">Neigung für</em>
-alle Verkommnen und Gescheiterten – wir haben <em class="gesperrt">Achtung für</em> den
-realistischen Geist – der Sozialismus hat wenig <em class="gesperrt">Achtung für</em>
-rein geistige Arbeit. Eine Stadtgemeinde gibt Verwaltungsberichte
-heraus <em class="gesperrt">für</em> das abgelaufene Jahr. Nein, Kalender und Adreßbücher
-druckt man <em class="gesperrt">für</em> ein Jahr, Berichte schreibt man <em class="gesperrt">über</em> ein
-Jahr. Früher sagte man: <em class="gesperrt">von</em> heute <em class="gesperrt">an</em>. Jetzt liest man
-nur noch: <em class="gesperrt">von</em> heute <em class="gesperrt">ab</em>, <em class="gesperrt">von</em> Montag <em class="gesperrt">ab</em>,
-<em class="gesperrt">vom</em> 1. Januar <em class="gesperrt">ab</em>. Warum denn <em class="gesperrt">ab</em>? Man bildet sich
-doch nicht etwa ein, <em class="gesperrt">ab</em> könne hier in dem Sinne stehen wie auf
-den Eisenbahnfahrplänen, wo es den Ausgangspunkt bezeichnet? Nein,
-es bedeutet die Richtung. <em class="gesperrt">Von</em> Kindesbeinen <em class="gesperrt">an</em> – das
-will sagen, daß<span class="pagenum" id="Seite_350">[S. 350]</span> der Weg von der Kindheit in die Höhe führe (vgl.
-<em class="gesperrt">hinan</em>, <em class="gesperrt">bergan</em>); noch deutlicher sagt es: <em class="gesperrt">von</em>
-Jugend <em class="gesperrt">auf</em>. Bei dem neumodischen <em class="gesperrt">von</em> – <em class="gesperrt">ab</em> hat man
-immer die Vorstellung, als ob alles, was jetzt unternommen wird, von
-Anfang an dazu verurteilt wäre, bergab zu gehen.</p>
-
-<p>Besonders anstößig ist es, wie oft sich – offenbar unter dem Einflusse
-des Lateinischen – die Präposition <em class="gesperrt">in</em> an Stellen drängt, wo sie
-nicht hingehört. In gutem Deutsch hat man Vertrauen <em class="gesperrt">zu</em> jemand,
-Hoffnung <em class="gesperrt">auf</em> jemand und Mißtrauen <em class="gesperrt">gegen</em> jemand. Das wird
-jetzt alles durch <em class="gesperrt">in</em> besorgt: man hat Vertrauen <em class="gesperrt">in</em> die
-Kriegsleitung (scheußlich!), verliert die Zuversicht <em class="gesperrt">in</em> sich
-selbst, ist ohne jedes persönliche Mißtrauen <em class="gesperrt">in</em> die Behörden
-und setzt seine Hoffnung <em class="gesperrt">in</em> die Zukunft. Ja die Juristen reden
-sogar von einer Vollstreckung <em class="gesperrt">in</em> verschuldeten Besitz, einer
-Zwangsvollstreckung <em class="gesperrt">in</em> Liegenschaften und verurteilen einen
-Angeklagten <em class="gesperrt">in</em> die Kosten. Das alles ist schlechterdings
-kein Deutsch, es ist das offenbarste Latein. Früher ging man auch
-<em class="gesperrt">auf</em> einem Wege vorwärts, und nur wenn einen auf diesem Wege
-jemand hinderte, sagte man: er tritt mir <em class="gesperrt">in</em> den Weg, er steht
-mir <em class="gesperrt">im</em> Wege, er mag mir <em class="gesperrt">aus</em> dem Wege gehen. Unsre
-Juristen aber möchten nur noch <em class="gesperrt">im Wege</em> vorwärtsgehen oder
-vielmehr „vorschreiten“, sei es nun <em class="gesperrt">im Wege</em> der Gesetzgebung
-oder <em class="gesperrt">im Wege</em> der Polizeiverordnung oder <em class="gesperrt">im Wege</em> der
-einstweiligen Verfügung oder <em class="gesperrt">im Wege</em> des Vergleichs oder
-<em class="gesperrt">im Wege</em> der Güte oder <em class="gesperrt">im Wege</em> der Anregung. Man denkt
-sich die Herren unwillkürlich in einer Schlucht oder einem Hohlwege
-stehen, „rings von Felsen eingeschlossen“, wenn sie so „im Wege
-vorschreiten“. In der Juristensprache bedeutet aber doch wenigstens
-das Wort den eingeschlagnen Weg, das Verfahren; der Jurist beschreitet
-ja auch den <em class="gesperrt">Klageweg</em> oder verweist einen Klienten auf den
-<em class="gesperrt">Beschwerdeweg</em>. Wenn aber gar eine Bibliothek berichtet, daß
-ihr Bücher zugegangen seien <em class="gesperrt">im Wege</em> der Schenkung, des Tauschs
-oder des Kaufs, so ist das doch völlig abgeschmackt, denn da ist doch
-nur von der Art und Weise die Rede: die Bücher sind ihr <em class="gesperrt">durch</em>
-Schenkung, Tausch oder Kauf zugegangen.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_351">[S. 351]</span></p>
-
-<p>Im Buchdruck und Buchhandel, wo man sich gegenwärtig durch
-Absonderlichkeiten aller Art zu überbieten sucht – in der Wahl
-der Schriften, in der Einrichtung der Kolumnen, in der Fassung und
-Anordnung der Titel, in der Angabe des Verlags –, müssen auch die
-Präpositionen mit herhalten: ein Buch wird nicht mehr <em class="gesperrt">von</em> jemand
-herausgegeben und verlegt, sondern herausgegeben wird es <em class="gesperrt">durch</em>
-jemand (herausgegeben <em class="gesperrt">durch</em> Hans Helmolt) und verlegt wird es
-<em class="gesperrt">bei</em> jemand (verlegt <em class="gesperrt">bei</em> Eugen Diederichs). Gedruckt
-<em class="gesperrt">bei</em> – das hat Sinn. Aber verlegt <em class="gesperrt">bei</em> – da fragt
-man doch: verlegt es denn der Herr nicht selbst? wer sind denn die
-Hintermänner, die es <em class="gesperrt">bei</em> ihm verlegen?</p>
-
-<p>Zu den neuesten Dummheiten gehört es auch, daß man die Präposition
-<em class="gesperrt">nach</em> gebraucht in einem Falle, wo sie nicht hingehört, und sie
-nicht gebraucht in einem Falle, wo sie hingehört. Man schreibt nicht
-mehr: <em class="gesperrt">nach</em> der und der Zeitung oder dem und dem Telegramm ist
-das und das geschehen, sondern: <em class="gesperrt">zufolge</em> (!) der Zeitung oder
-des Telegramms, als ob die Zeitung oder das Telegramm die Ursache, die
-Veranlassung des Ereignisses wäre. Da ist hier eine Ministerkrisis
-ausgebrochen, dort ein Luftschiffer verunglückt, hier beim Rennen ein
-Pferd gestürzt, dort ein Leprafall vorgekommen, alles <em class="gesperrt">zufolge</em>
-von Zeitungen! Es ist zu dumm. Man kann es aber alle Tage lesen.
-Andrerseits geht man aber nicht mehr <em class="gesperrt">zu</em> Schulze, sondern <em class="gesperrt">nach
-Schulze</em>, ja man schreibt sogar <em class="gesperrt">nach Schulze</em> und schickt
-einen Brief <em class="gesperrt">nach Schulze</em> (statt: <em class="gesperrt">an Schulze</em>). In meiner
-Kindheit ging man noch <em class="gesperrt">zu Hause</em>, so gut wie man <em class="gesperrt">zu Tische</em>
-und <em class="gesperrt">zu Bette</em> ging, und wie der Krug so lange <em class="gesperrt">zu Wasser</em>
-geht, bis er bricht. Dann hieß es auf einmal: <em class="gesperrt">zu Hause</em> auf
-die Frage wohin? sei nicht fein, man müsse sagen: <em class="gesperrt">nach Hause</em>.
-Vielleicht wird auch <em class="gesperrt">nach Schulze</em> noch fein. Feine Leute
-schicken aber auch ihre Kinder nicht mehr <em class="gesperrt">in</em> die Schule, sondern
-<em class="gesperrt">zur</em> Schule. Geht Ihre Kleine schon <em class="gesperrt">zur</em> Schule? heißt es.
-Da wird sie nicht viel lernen, wenn sie bloß <em class="gesperrt">zur</em> Schule geht;
-sie muß hineingehen!</p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_352">[S. 352]</span></p>
-
-<h3 id="Hin_und_her">Hin und her</h3>
-
-</div>
-
-<p>Auch für den Unterschied von <em class="gesperrt">hin</em> und <em class="gesperrt">her</em> scheinen nur
-wenig Menschen noch ein Gefühl zu haben; daß <em class="gesperrt">hin</em> die Richtung,
-die Bewegung von mir weg nach einem andern Orte, <em class="gesperrt">her</em> die
-Richtung, die Bewegung von einem andern Orte auf mich zu bedeutet –
-man vergleiche <em class="gesperrt">geh hin!</em> mit <em class="gesperrt">komm her!</em> –, wie wenige
-wissen das noch! In ihrem Sprachgebrauch wenigstens, dem mündlichen
-wie dem schriftlichen, wird <em class="gesperrt">hinein</em> und <em class="gesperrt">herein</em>,
-<em class="gesperrt">hinaus</em> und <em class="gesperrt">heraus</em>, <em class="gesperrt">hinan</em> und <em class="gesperrt">heran</em>,
-<em class="gesperrt">hinauf</em> und <em class="gesperrt">herauf</em> fortwährend zusammengeworfen. Ein
-klassisches Beispiel dieser Verwirrung ist die gemeine Redensart: er
-ist <em class="gesperrt">reingefallen</em>. Daß jemand in eine Grube <em class="gesperrt">hereingefallen</em>
-sei, kann man doch nur sagen, wenn man selber schon drinliegt. Die
-aber, die mit Vorliebe diese Redensart im Munde führen, fühlen sich
-doch stolz als draußen stehend, sie stehen oben am Rande der Grube
-und blicken schadenfroh auf das Opfer, das unten liegt. Das Opfer
-ist also <em class="gesperrt">hinein</em>gefallen oder <em class="gesperrt">nein</em>gefallen. Wer auf
-der Straße bleibt, kann nur sagen: <em class="gesperrt">Geh hinauf</em> und wirf mir
-den Schlüssel <em class="gesperrt">herunter</em>! Wer oben am Fenster steht, kann nur
-fragen: Willst du <em class="gesperrt">heraufkommen</em>, oder soll ich dir den Schlüssel
-<em class="gesperrt">hinunter werfen</em>? Aber der Volksmund, auch der der Gebildeten,
-drückt jetzt beides durch <em class="gesperrt">rauf</em> und <em class="gesperrt">runter</em> aus, es gilt
-das jetzt offenbar für feiner als <em class="gesperrt">nauf</em> und <em class="gesperrt">nunter</em>.
-Wenn auch niemand drin ist, ich will doch mal <em class="gesperrt">rein</em>sehen – so
-sagen auch gebildete Leute. Wenn zwei an einem Graben stehen, der
-eine hüben, der andre drüben, so kann jeder von beiden fragen: Willst
-du <em class="gesperrt">herüber</em>springen, oder soll ich <em class="gesperrt">hinüber</em>springen?
-Heute springen beide nur noch <em class="gesperrt">rüber</em>: Willst <em class="gesperrt">du</em>
-rüberspringen, oder soll <em class="gesperrt">ich</em> rüberspringen? Die Herren von
-der Feder aber machens nicht besser, auch sie verwechseln <em class="gesperrt">hin</em>
-und <em class="gesperrt">her</em>. Nicht bloß der Zeitungschreiber schreibt: bis in die
-jüngste Zeit <em class="gesperrt">hinein</em>, auch der Historiker: auf die Sturm- und
-Drangzeit folgte die klassische Periode, die in unser Jahrhundert
-<em class="gesperrt">hinein</em>ragt. Jeder ist aber doch drin in seinem Jahrhundert! In
-einem Raum oder<span class="pagenum" id="Seite_353">[S. 353]</span> Zeitraum, worin wir uns befinden, kann doch etwas nur
-<em class="gesperrt">hereinragen</em>. Etwas andres ist es, wenn von einer Erscheinung des
-sechzehnten Jahrhunderts gesagt wird, sie lasse sich bis ins siebzehnte
-Jahrhundert <em class="gesperrt">hinein</em> verfolgen; das ist richtig, denn wir sind
-nicht drin im siebzehnten Jahrhundert. Umgekehrt aber wird geschrieben:
-wir fragen nicht, was in das Bild alles <em class="gesperrt">herein</em>geheimnist ist
-(<em class="gesperrt">hinein</em>!) – über das Zellensystem kommt der Architekt nun
-einmal nicht <em class="gesperrt">heraus</em> (<em class="gesperrt">hinaus</em>!) usw.</p>
-
-<p>Nun ist es freilich eine merkwürdige Erscheinung, daß bei allen
-Zeitwörtern mit übertragner Bedeutung, bei denen man die Vorstellung
-einer äußern Richtung nur noch undeutlich oder gar nicht mehr hat,
-<em class="gesperrt">hin</em> vollständig durch <em class="gesperrt">her</em> verdrängt worden ist; man sagt
-z.&#160;B.: sich <em class="gesperrt">herab</em>lassen, mit Verachtung <em class="gesperrt">herab</em>blicken,
-den Preis <em class="gesperrt">herab</em>setzen, ein Buch <em class="gesperrt">heraus</em>geben, in seinen
-Vermögensverhältnissen <em class="gesperrt">herunter</em>kommen u.&#160;a. Die Neigung,
-<em class="gesperrt">her</em> dem <em class="gesperrt">hin</em> vorzuziehen, ist also augenscheinlich in
-der Sprache vorhanden. Man sollte aber doch meinen, daß überall
-da, wo noch deutlich eine äußere Richtung ausgedrückt wird, eine
-Verwechslung unmöglich sei. Wie kann man also sagen, daß die Steuern
-<em class="gesperrt">herauf</em>geschraubt werden? Wir stehen doch unten und möchten auch
-gern unten bleiben; also werden die Steuern <em class="gesperrt">hinauf</em>geschraubt.
-Wir erhielten Befehl, an den Feind <em class="gesperrt">heran</em>zureiten – wer kann so
-schreiben? Der Feind kann wohl an uns <em class="gesperrt">heran</em>reiten, wir aber an
-den Feind doch nur <em class="gesperrt">hinan</em>. Eine bittre Pille oder einen Vorwurf
-– schluckt man sie <em class="gesperrt">herunter</em> oder <em class="gesperrt">hinunter</em>? Da man sein
-Ich lieber im Kopfe denkt als im Magen, so kann man sie doch nur
-<em class="gesperrt">hinunter</em>schlucken. Er sah zu mir <em class="gesperrt">hinauf</em> – Unsinn! Ich
-und mein Kopf, wir sind doch oben.</p>
-
-<p>Auch sonst, nicht bloß bei <em class="gesperrt">hin</em> und <em class="gesperrt">her</em>, wird der örtliche
-Gegensatz jetzt oft verwischt. <em class="gesperrt">Hüben</em> und <em class="gesperrt">drüben</em> wird
-allenfalls noch unterschieden, aber <em class="gesperrt">haußen</em> und <em class="gesperrt">hinnen</em>
-getraut sich kaum noch jemand zu schreiben; jetzt heißt es: sie holen
-von <em class="gesperrt">draußen</em>, was <em class="gesperrt">drinnen</em> fehlt. Aber wo bin ich denn, der
-Schreibende? Irgendwo muß ich mich doch denken!</p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_354">[S. 354]</span></p>
-
-<h3 id="Ge_be_ver_ent_er">Ge, be, ver, ent, er</h3>
-
-</div>
-
-<p>Wenn auf solche Weise Wörter mißverstanden und miteinander
-verwechselt werden können, deren Sinn und Bedeutung man sich mit
-ein wenig Nachdenken noch klarmachen kann, um wieviel mehr sind
-Wörter dem Mißverständnis und dem Mißbrauch ausgesetzt, wie die
-kleinen Präfixe <em class="gesperrt">ge</em>, <em class="gesperrt">be</em>, <em class="gesperrt">ver</em>, <em class="gesperrt">ent</em>,
-<em class="gesperrt">er</em>, deren Bedeutung nicht mehr klar zutage liegt, sondern
-nur noch mehr oder weniger dunkel gefühlt wird! Wie oft wird
-<em class="gesperrt">brauchen</em> und <em class="gesperrt">gebrauchen</em> verwechselt! Und doch heißt das
-eine <em class="gesperrt">nötig haben</em>, das andre <em class="gesperrt">anwenden</em>. Wie oft liest
-man das dumme <em class="gesperrt">belegen</em> sein (ein Haus ist in der oder der
-Straße <em class="gesperrt">belegen</em>), wie oft das gespreizte <em class="gesperrt">beheben</em> (die
-Hindernisse werden sich hoffentlich <em class="gesperrt">beheben</em> lassen), wie oft das
-widersinnige <em class="gesperrt">beeidigen</em> (die Zeugen wurden <em class="gesperrt">beeidigt</em>)! Man
-kann eine Aussage <em class="gesperrt">beeidigen</em>, aber nicht einen <em class="gesperrt">Zeugen</em>. Im
-gewöhnlichen Leben sagt man: hier wird Trottoir <em class="gesperrt">gelegt</em>; sowie
-es aber eine Tiefbauverwaltung besorgt, dann wird es <em class="gesperrt">verlegt</em>.
-Warum denn <em class="gesperrt">ver</em>? Was man <em class="gesperrt">verlegt</em> hat, das findet man
-doch nicht wieder. Wie oft muß man das lächerliche <em class="gesperrt">entnüchtern</em>
-lesen (statt <em class="gesperrt">ernüchtern</em>), auch schon <em class="gesperrt">entwehren</em> (statt
-<em class="gesperrt">erwehren</em>)! Wird jemand <em class="gesperrt">entledigen</em> und <em class="gesperrt">erledigen</em>
-verwechseln? Wie abgeschmackt ist der Gebrauch von <em class="gesperrt">entfallen</em>
-und <em class="gesperrt">entlohnen</em>, mit dem sich jetzt täglich die Zeitungen
-spreizen! Fabrikarbeiter werden ja nicht mehr bezahlt, sie werden
-nur noch <em class="gesperrt">entlohnt</em>, der deutsche Lehrerstand hat stets die
-Ideale treu gepflegt trotz kärglicher <em class="gesperrt">Entlohnung</em>, und von
-der Fernsprechstelle Berlin-Wien, die 660 Kilometer beträgt,
-<em class="gesperrt">entfallen</em> 430 auf österreichisches und 230 auf deutsches Gebiet.
-Warum denn <em class="gesperrt">ent</em>? Wem <em class="gesperrt">entfallen</em> sie denn? Es wird aber
-auch nichts mehr <em class="gesperrt">gehofft</em>, sondern alles nur <em class="gesperrt">erhofft</em>
-(der <em class="gesperrt">erhoffte</em> Erfolg blieb aus.) Das allerschönste aber ist
-<em class="gesperrt">erbringen</em>, das in keiner Zeitungsnummer fehlt. Beweise und
-Nachweise, die früher <em class="gesperrt">gebracht</em> oder <em class="gesperrt">geliefert</em> wurden
-und im Volksmunde noch jetzt <em class="gesperrt">gebracht</em> werden, in der Zeitung
-werden sie nur noch <em class="gesperrt">erbracht</em>. Ja selbst Tatsachen werden schon
-<em class="gesperrt">erbracht</em> (die neue Verhandlung hat eine<span class="pagenum" id="Seite_355">[S. 355]</span> ganze Reihe neuer
-Tatsachen <em class="gesperrt">erbracht</em>), Beispiele (Koschat <em class="gesperrt">erbringt</em> dafür
-ein lebendes Beispiel – schreibt der Musikschwätzer), Erträge (die
-Staatsforsten <em class="gesperrt">erbringen</em> einen Ertrag von einer Million Mark)
-und sogar Spuren (von einem Sinken des Richterstandes ist bis jetzt
-noch keine Spur <em class="gesperrt">erbracht</em>). Warum denn <em class="gesperrt">er</em>? was heißt denn
-<em class="gesperrt">er</em>?</p>
-
-<p>Er ist verwandt mit <em class="gesperrt">ur</em>, wie <em class="gesperrt">erlauben</em> neben <em class="gesperrt">Urlaub</em>
-zeigt, und beide bedeuteten <em class="gesperrt">aus</em>. Diese ursprüngliche Bedeutung
-von <em class="gesperrt">er</em> ist in vielen zusammengesetzten Zeitwörtern noch sehr
-gut zu fühlen: gewöhnlich bedeuten sie den Anfang oder das Ende
-einer Handlung, wie auch das Wort <em class="gesperrt">ausgehen</em> beides bedeutet
-(vgl. wir sind davon <em class="gesperrt">ausgegangen</em>, und: die Sache ist übel
-<em class="gesperrt">ausgegangen</em>). Den Anfang einer Handlung bezeichnet <em class="gesperrt">er</em>
-z.&#160;B. in <em class="gesperrt">erblühen</em>, den Endpunkt dagegen in <em class="gesperrt">erlangen</em>,
-<em class="gesperrt">erreichen</em>, <em class="gesperrt">erfinden</em>, <em class="gesperrt">erfüllen</em>, <em class="gesperrt">ertrinken</em>,
-<em class="gesperrt">ersticken</em>. Weislingen im Götz sagt mit bewußter Unterscheidung:
-ich <em class="gesperrt">sterbe</em> und kann nicht <em class="gesperrt">ersterben</em>. Was da
-<em class="gesperrt">erhoffen</em> bedeuten soll, ist unverständlich; es könnte doch nur
-heißen: so lange auf etwas hoffen, bis es eintritt. Jedenfalls ist es
-ein Widerspruch, zu sagen: der <em class="gesperrt">erhoffte</em> Erfolg blieb aus, es
-genügt der <em class="gesperrt">gehoffte</em>. Auch ein Brief kann nicht <em class="gesperrt">eröffnet</em>
-werden, wie die Post sagt (amtlich <em class="gesperrt">eröffnet</em>!), sondern einfach
-<em class="gesperrt">geöffnet</em>; eine Aussicht wird mir <em class="gesperrt">eröffnet</em>, ein Beschluß
-der Behörde, auch ein neues Geschäft; dann wird es aber jeden Morgen
-nur <em class="gesperrt">geöffnet</em>. Auch weshalb die Eisenbahndirektion Sonntags
-einen Sonderzug <em class="gesperrt">erstellt</em>, ist nicht einzusehen; man ist doch
-schon zufrieden, wenn sie ihn <em class="gesperrt">stellt</em>. Das törichtste aber
-sind die <em class="gesperrt">erbrachten</em> Beweise, Nachweise, Belege, Beispiele,
-Erträge und Spuren. Einen Beweis oder Nachweis <em class="gesperrt">erbringen</em>
-könnte zur Not einen Sinn haben, wenn man damit den durchgeführten,
-bis aufs letzte Tüpfelchen gelungnen Beweis im Gegensatz zu dem bloß
-versuchten bezeichnen wollte. Aber daran ist in den seltensten Fällen
-zu denken, <em class="gesperrt">erbringen</em> wird mit ganz gedankenlosem Gespreiz
-für <em class="gesperrt">bringen</em> gesagt. In <em class="gesperrt">bringen</em> liegt ja schon der
-Begriff des Vollendens, des Beendigens; <em class="gesperrt">bringen</em><span class="pagenum" id="Seite_356">[S. 356]</span> verhält sich
-zu <em class="gesperrt">tragen</em> wie <em class="gesperrt">treffen</em> zu <em class="gesperrt">werfen</em>. Man könnte
-schließlich auch sagen: Kellner, <em class="gesperrt">erbringen</em> Sie mir ein Glas Bier!</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Ent</em> (urverwandt mit dem lateinischen <span class="antiqua">ante</span> und dem
-griechischen ἀντί, vgl. Antlitz, Antwort) bedeutet
-eigentlich <em class="gesperrt">vor</em>, <em class="gesperrt">gegen</em>, <em class="gesperrt">gegenüber</em>. Mit
-Zeitwörtern zusammengesetzt, drückt es daher zunächst aus, daß sich
-von einem Ganzen ein Teil ablöst und ihm als ein selbständiges
-Ganze gegenübertritt, so in <em class="gesperrt">entstehen</em>, <em class="gesperrt">entspringen</em>.
-Daraus entwickelt sich dann überhaupt der Begriff der Trennung,
-Lösung, Befreiung und auch Beraubung, wie in <em class="gesperrt">entkommen</em>,
-<em class="gesperrt">entfliehen</em>, <em class="gesperrt">entwenden</em>, <em class="gesperrt">entlehnen</em>,
-<em class="gesperrt">entkleiden</em>, <em class="gesperrt">enthüllen</em>, <em class="gesperrt">entblättern</em>,
-<em class="gesperrt">entkräften</em>, <em class="gesperrt">entthronen</em>, <em class="gesperrt">entfesseln</em>,
-<em class="gesperrt">entlarven</em>, und endlich, bei gänzlicher Verblassung der
-eigentlichen Bedeutung, eine bloße Verstärkung des Verbalbegriffs,
-wie in <em class="gesperrt">entlassen</em>, <em class="gesperrt">enttäuschen</em>, <em class="gesperrt">entfremden</em>. Wenn
-man neuerdings <em class="gesperrt">entrechten</em> und <em class="gesperrt">enthaften</em> gebildet hat,
-so ist dagegen nichts weiter einzuwenden, als daß das zweite Wort
-recht überflüssig ist. <em class="gesperrt">Entlohnen</em> aber kann doch nur heißen:
-einem seinen Lohn wegnehmen (wahrscheinlich hat der Schöpfer des
-Wortes zugleich an <em class="gesperrt">lohnen</em> und <em class="gesperrt">entlassen</em> gedacht) und
-<em class="gesperrt">entnüchtern</em> nur: einen betrunken machen, und was das <em class="gesperrt">ent</em>
-in einem Satze wie: auf den Quadratkilometer <em class="gesperrt">entfallen</em> 200
-Seelen – bedeuten soll, ist gänzlich unverständlich. Man könnte
-ebensogut sagen: auf den Quadratkilometer <em class="gesperrt">entkommen</em> 200
-Seelen.<a id="FNAnker_159" href="#Fussnote_159" class="fnanchor">[159]</a> Auch wenn Bibliotheken um gütige <em class="gesperrt">Entleihung</em> oder
-<em class="gesperrt">Entlehnung</em> eines Buches gebeten werden, so ist das sinnwidrig;
-die Bibliothek <em class="gesperrt">verleiht</em> ihre Bücher, der Leser aber <em class="gesperrt">leiht</em>
-oder <em class="gesperrt">entleiht</em> sie.</p>
-
-<p>Lebhafter Streit ist darüber geführt worden, ob es richtig sei, zu
-sagen: er <em class="gesperrt">entblödete sich nicht</em>. Das Grimmische Wörterbuch
-erklärt die Verneinung bei <em class="gesperrt">sich entblöden</em> für falsch. In der
-Tat liegt es auch am nächsten, <em class="gesperrt">sich entblöden</em> mit Zeitwörtern
-wie <em class="gesperrt">entbehren</em>, <em class="gesperrt">enthüllen</em>, <em class="gesperrt">entschuldigen</em>,
-<em class="gesperrt">entführen</em>,<span class="pagenum" id="Seite_357">[S. 357]</span> <em class="gesperrt">entwischen</em> zu vergleichen, sodaß es bedeuten
-würde: <em class="gesperrt">die Blödigkeit</em> (d.&#160;h. Schüchternheit) <em class="gesperrt">ablegen</em>,
-<em class="gesperrt">sich erdreisten</em>, <em class="gesperrt">sich erfrechen</em>. Dann wäre natürlich
-die Verneinung falsch, denn <em class="gesperrt">sich erdreisten</em> – das will man
-ja gerade mit <em class="gesperrt">sich nicht entblöden</em> sagen. Neuerdings ist
-aber darauf aufmerksam gemacht worden, daß die Vorsilbe <em class="gesperrt">ent</em>
-hier gar nicht verneinenden (privativen) Sinn habe, sondern wie
-in <em class="gesperrt">entschlafen</em>, <em class="gesperrt">entbrennen</em>, <em class="gesperrt">entzünden</em>,
-<em class="gesperrt">entblößen</em> das Eintreten in einen Zustand bezeichne, sodaß
-sich <em class="gesperrt">entblöden</em> bedeuten würde: <em class="gesperrt">sich schämen</em>, <em class="gesperrt">sich
-scheuen</em>, und die Verneinung davon: <em class="gesperrt">sich erdreisten</em>. Die
-Unsicherheit über die eigentliche Bedeutung des Wortes bestand schon im
-achtzehnten Jahrhundert. Wieland schreibt bald: Verwegner, darfst du
-<em class="gesperrt">dich entblöden</em> (d.&#160;h. dich erfrechen), bald: du solltest <em class="gesperrt">dich
-entblöden</em> (d.&#160;h. dich schämen). Das Klügste wäre, man gebrauchte
-eine Redensart überhaupt nicht mehr, die so veraltet und in ihrer
-Bedeutung so verblichen ist, daß ihr niemand mehr unmittelbar anfühlt,
-ob sie mit oder ohne Verneinung das ausdrückt, was man ausdrücken will.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Ver</em> gibt dem Zeitwort meist einen schlimmen Sinn, es bezeichnet,
-daß gleichsam ein Riegel vor eine Sache geschoben ist, daß sie
-nicht wieder rückgängig gemacht werden kann, und schließlich auch,
-da man doch manche eben gern wieder rückgängig machen möchte, daß
-sie falsch gemacht worden ist. Man denke an: <em class="gesperrt">versichern</em>,
-<em class="gesperrt">versprechen</em>, <em class="gesperrt">verbinden</em>, <em class="gesperrt">verpflichten</em>,
-<em class="gesperrt">verkaufen</em>, <em class="gesperrt">verpfänden</em>, sich <em class="gesperrt">verlieben</em>, sich
-<em class="gesperrt">verloben</em>, sich <em class="gesperrt">verheiraten</em>, <em class="gesperrt">verstellen</em>,
-<em class="gesperrt">verdrehen</em>, <em class="gesperrt">verrücken</em>, <em class="gesperrt">verlieren</em>, <em class="gesperrt">verderben</em>,
-<em class="gesperrt">vergiften</em>, <em class="gesperrt">verschwinden</em>, <em class="gesperrt">verschlimmern</em>,
-<em class="gesperrt">versauern</em> (allerdings auch: <em class="gesperrt">verbessern</em>,
-<em class="gesperrt">vergrößern</em>, <em class="gesperrt">verfeinern</em>, <em class="gesperrt">verschönern</em>,
-<em class="gesperrt">veredeln</em>, <em class="gesperrt">versüßen</em>). Für <em class="gesperrt">meinen</em> also zu sagen
-<em class="gesperrt">vermeinen</em>, wie es der Amtsstil liebt, wäre eigentlich nur
-dann am Platze, wenn die Meinung als irrig bezeichnet werden sollte
-(vgl. <em class="gesperrt">vermeintlich</em>), und von jemand, der einfach seine Wohnung
-oder seinen Aufenthalt gewechselt hat, zu sagen: er ist nach Dresden
-<em class="gesperrt">verzogen</em>, ist geradezu lächerlich, denn es klingt das, als<span class="pagenum" id="Seite_358">[S. 358]</span> ob
-er damit verschwunden und gänzlich unauffindbar geworden wäre. Ebenso
-unverständlich aber ist es, warum, wie in Leipzig, Trottoirplatten,
-Straßenbahngleise und elektrische Kabel immer <em class="gesperrt">verlegt</em> werden,
-oder, wie in Hamburg, Kaffee <em class="gesperrt">verlesen</em> wird, oder, wie in
-Magdeburg, Rüben <em class="gesperrt">verzogen</em> werden. Es genügt doch, wenn sie
-<em class="gesperrt">gelegt</em>, <em class="gesperrt">gelesen</em> und <em class="gesperrt">gezogen</em> werden.</p>
-
-<p>Am meisten verblaßt ist die Bedeutung von <em class="gesperrt">be</em> und <em class="gesperrt">ge</em>.
-<em class="gesperrt">Be</em> ist aus <em class="gesperrt">bei</em> abgeschwächt; <em class="gesperrt">ge</em>, in der ältern
-Sprache <span class="antiqua">ga</span> (wie noch in <em class="gesperrt">Gastein</em>), ist urverwandt mit
-dem lateinischen <span class="antiqua">con</span> und bedeutet einen Zusammenhang, eine
-Vereinigung. Am deutlichsten ist sein Sinn noch in Bildungen wie
-<em class="gesperrt">gerinnen</em>, <em class="gesperrt">gefrieren</em>, <em class="gesperrt">Gedicht</em>, <em class="gesperrt">Gebüsch</em>,
-<em class="gesperrt">Gehölz</em>, <em class="gesperrt">Gewölk</em>, <em class="gesperrt">Gebirge</em>, <em class="gesperrt">Gerippe</em>,
-<em class="gesperrt">Gefühl</em>, <em class="gesperrt">Gehör</em>, <em class="gesperrt">Gewissen</em> (vgl. <span class="antiqua">scientia</span>
-und <span class="antiqua">conscientia</span>). Aber wenn sich auch die ursprüngliche
-Bedeutung noch so sehr abgeschwächt hat, so kann man doch immer
-noch durch umsichtige Vergleichung dahinterkommen, weshalb es
-unnötig ist, zu sagen: einem die Möglichkeit <em class="gesperrt">benehmen</em>,
-Geld zu <em class="gesperrt">beschaffen</em>, oder: ein Haus <em class="gesperrt">beheizen</em>, wie
-unsre Techniker jetzt sagen (sie meinen wohl: <em class="gesperrt">beöfnen</em>, mit
-Öfen versehen), oder: die bei Goslar <em class="gesperrt">belegnen</em> geistlichen
-Stiftungen, weshalb es lächerlich ist, wenn Schmerzen, Krankheiten,
-Hindernisse immer <em class="gesperrt">behoben</em> werden (statt <em class="gesperrt">gehoben</em>). Auch
-für <em class="gesperrt">gründen</em> wird jetzt oft unnötigerweise <em class="gesperrt">begründen</em>
-gesagt: die <em class="gesperrt">Begründung</em> des Deutschen Reiches. Nein,
-<em class="gesperrt">begründet</em> werden nur Meinungen, Behauptungen, Urteile; aber
-Reiche, Staaten, Städte, Anstalten, Schulen, Geschäfte, Zeitungen
-werden <em class="gesperrt">gegründet</em>. Befremdlich klingt es auch, wenn Juristen
-davon reden, daß ein Zeuge <em class="gesperrt">beeidigt</em> werden müsse, oder wenn
-Berichterstatter über Gerichtsverhandlungen einen <em class="gesperrt">Beklagten</em>
-auftreten lassen. Ein Zeuge kann seine Aussage <em class="gesperrt">beeidigen</em> (vgl.
-<em class="gesperrt">beschwören</em>), aber er selbst kann nur <em class="gesperrt">vereidigt</em> werden
-(vgl. <em class="gesperrt">verpflichten</em>). <em class="gesperrt">Beklagen</em> kann man aber nur den, dem
-ein Unglück zugestoßen ist; vor Gericht kann einer nur <em class="gesperrt">verklagt</em>
-oder <em class="gesperrt">angeklagt</em> werden. Wer <em class="gesperrt">angeklagt</em> wird, kommt vor
-den Strafrichter, wer <em class="gesperrt">verklagt</em> wird, vor den Richter in<span class="pagenum" id="Seite_359">[S. 359]</span>
-bürgerlichen Streitigkeiten. Und ebenso läßt sich endlich recht gut
-fühlen, weshalb es unnötig ist, zu sagen, die 1883 gebornen haben sich
-heuer zu <em class="gesperrt">gestellen</em>.<a id="FNAnker_160" href="#Fussnote_160" class="fnanchor">[160]</a></p>
-
-<p>Groß in solchen Verschiebungen und Vertauschungen sind namentlich
-die Kanzleimenschen und die Techniker. Sie suchen etwas darin, und
-sie verblüffen auch wirklich die große Masse mit diesem wohlfeilen
-Mittelchen.<a id="FNAnker_161" href="#Fussnote_161" class="fnanchor">[161]</a></p>
-
-<p>Der Unterricht kann sehr viel tun, das abgestorbne Sprachgefühl in
-solchen Fällen wieder zu beleben. Wem die Bedeutung von <em class="gesperrt">ent</em> und
-<em class="gesperrt">er</em> einmal auseinandergesetzt worden ist, der wird nie wieder
-<em class="gesperrt">entnüchtern</em> statt <em class="gesperrt">ernüchtern</em> schreiben, er wird aber auch
-bald alle die Leute auslachen, die sich immer mit <em class="gesperrt">entfallen</em> und
-<em class="gesperrt">erbringen</em> spreizen.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Neue_Woerter">Neue Wörter</h3>
-
-</div>
-
-<p>Kein Tag vergeht, ohne daß einem in Büchern oder Zeitungen neue Wörter
-entgegenträten. Nun wird niemand so töricht sein, ein neues Wort
-deshalb anzufechten, weil es neu ist. Jedes Wort ist zu irgendeiner
-Zeit<span class="pagenum" id="Seite_360">[S. 360]</span> einmal neu gewesen; von vielen Wörtern, die uns jetzt so geläufig
-sind, daß wir sie uns gar nicht mehr aus der Sprache wegdenken können,
-läßt sich nachweisen, wann und wie sie ältern Wörtern an die Seite
-getreten sind, bis sie diese allmählich ganz verdrängten. Wohl aber
-darf man neuen Wörtern gegenüber fragen: sind sie nötig? und sind sie
-richtig gebildet?</p>
-
-<p>Neue Gegenstände, neue Vorstellungen und Begriffe verlangen unbedingt
-auch neue Wörter. Ein neu erfundnes Gerät, ein neu ersonnener
-Kleiderstoff, eine neu entdeckte chemische Verbindung, eine neu
-beobachtete Krankheit, eine neu entstandne politische Partei – wie
-sollte man sie mit den bisher üblichen Wörtern bezeichnen können?
-Sie alle verlangen und erhalten auch alsbald ihre neuen Namen. Aber
-auch alte Dinge fordern bisweilen neue Bezeichnungen. Wörter sind wie
-Münzen im Verkehr: sie greifen sich mit der Zeit ab und verlieren
-ihr scharfes Gepräge. Ist dieser Vorgang so weit fortgeschritten,
-daß das Gepräge beinahe unkenntlich geworden ist, so entsteht von
-selbst das Bedürfnis, die abgenutzten Wörter gegen neue umzutauschen.
-Und wie bei abgegriffnen Münzen leicht Täuschungen entstehen, so
-auch bei vielbenutzten Wörtern; sehr leicht verschiebt sich nämlich
-ihre ursprüngliche Bedeutung. Hat sich aber eine solche Verschiebung
-vollzogen, dann ist für den alten Begriff, der durch das alte Wort
-nun nicht mehr völlig gedeckt wird, gleichfalls ein neues Wort
-nötig. In vielen Fällen büßen die Wörter, ebenso wie die Münzen,
-durch den fortwährenden Gebrauch geradezu an Wert ein, sie erhalten
-einen niedrigen, gemeinen Nebensinn. Dieser „pessimistische“ Zug,
-wie man ihn genannt hat, ist gerade im Deutschen weit verbreitet
-und hat mit der Zeit eine große Masse von Wörtern ergriffen; man
-denke an <em class="gesperrt">Pfaffe</em>, <em class="gesperrt">Schulmeister</em>, <em class="gesperrt">Komödiant</em>,
-<em class="gesperrt">Literat</em>, <em class="gesperrt">Magd</em>, <em class="gesperrt">Dirne</em>, <em class="gesperrt">Mensch</em> (<em class="gesperrt">das</em>
-Mensch, Küchenmensch, Kammermensch), <em class="gesperrt">Elend</em>, <em class="gesperrt">Schimpf</em>,
-<em class="gesperrt">Hoffart</em>, <em class="gesperrt">Gift</em>, <em class="gesperrt">List</em>, <em class="gesperrt">gemein</em>,
-<em class="gesperrt">schlecht</em>, <em class="gesperrt">frech</em>, <em class="gesperrt">erbärmlich</em>. Ihnen allen ist
-ursprünglich der verächtliche Nebensinn fremd, der im Laufe der Zeit
-hineingelegt worden ist. Sobald sie aber einmal damit behaftet waren,
-mußten sie, wenn<span class="pagenum" id="Seite_361">[S. 361]</span> der frühere Sinn ohne Beigeschmack wieder ausgedrückt
-werden sollte, durch andre Wörter ersetzt werden. So wurden sie
-verdrängt durch <em class="gesperrt">Geistlicher</em>, <em class="gesperrt">Lehrer</em>, <em class="gesperrt">Schauspieler</em>,
-<em class="gesperrt">Schriftsteller</em>, <em class="gesperrt">Mädchen</em>, <em class="gesperrt">Fremde</em>, <em class="gesperrt">Scherz</em>,
-<em class="gesperrt">Hochherzigkeit</em>, <em class="gesperrt">Gabe</em>, <em class="gesperrt">Klugheit</em>, <em class="gesperrt">allgemein</em>,
-<em class="gesperrt">schlicht</em>, <em class="gesperrt">kühn</em>, <em class="gesperrt">barmherzig</em>.</p>
-
-<p>Die andre Forderung, die man an ein neu aufkommendes Wort stellen darf,
-ist die, daß es regelrecht, gesetzmäßig gebildet sei, und daß es mit
-einleuchtender Deutlichkeit wirklich das ausdrücke, was es auszudrücken
-vorgibt. Diese Forderung ist so wesentlich, daß man, wo sie erfüllt
-ist, selbst davon absieht, die Bedürfnisfrage zu betonen. Verrät
-sich in einem neu gebildeten Wort ein besonders geschickter Griff,
-zeigt es etwas besonders schlagendes, überzeugendes, eine besondre
-Anschaulichkeit, und das alles noch verbunden mit gefälligem Klang, so
-heißt man es auch dann willkommen, wenn es überflüssig ist; man läßt es
-sich als eine glückliche Bereicherung des Wortschatzes gefallen.</p>
-
-<p>Aber wie wenige von den neuen Wörtern, mit denen unsre Sprache jetzt
-überschwemmt wird, erfüllen diese Forderungen! Die meisten werden aus
-Eitelkeit oder aus – Langerweile gebildet. Schopenhauer hat einmal mit
-schlagender Kürze ausgesprochen, was er von einem guten Schriftsteller
-verlange: er gebrauche gewöhnliche Wörter und sage ungewöhnliche Dinge!
-Heute machen es die meisten umgekehrt und hoffen, der Leser werde
-so dumm sein, zu glauben, sie hätten etwas neues gesagt. Wie quälen
-sich unsre ästhetischen Schwätzer, ihren Trivialitäten den Schein des
-Geistreichen zu geben, indem sie sich neue Wörter aussinnen! Eine Art
-von „Jugendstil“ möchten sie auch in die Sprache einführen. Wie quälen
-sich unsre Musik- und Theaterschreiber, den tausendmal gesagten Quark
-einmal mit andern Worten zu sagen! Wie quälen sich die Geschäftsleute
-in ihren Anzeigen, dem „Konkurrenten“ durch neue Wörter und Wendungen
-den Rang abzulaufen!</p>
-
-<p>Jahrzehntelang hat man von <em class="gesperrt">Zeitungsnachrichten</em> gesprochen; jetzt
-heißt es: <em class="gesperrt">Blättermeldungen</em>! Das eine verhält sich zum andern
-ungefähr wie der <em class="gesperrt">Essenkehrer</em><span class="pagenum" id="Seite_362">[S. 362]</span> zum <em class="gesperrt">Schornsteinfeger</em> oder
-der <em class="gesperrt">Korkzieher</em> zum <em class="gesperrt">Pfropfenheber</em>. Verfallen sein kann
-auf <em class="gesperrt">Blättermeldung</em> nur einer, dem <em class="gesperrt">Zeitungsnachricht</em> zu
-langweilig geworden war. Was soll <em class="gesperrt">Jetztzeit</em>? Es ist schlecht
-gebildet, denn unsre Sprache kennt keine Zusammensetzungen aus einem
-Umstandswort und einem Hauptwort,<a id="FNAnker_162" href="#Fussnote_162" class="fnanchor">[162]</a> es klingt auch schlecht mit
-seinem tztz und ist ganz überflüssig, denn <em class="gesperrt">Gegenwart</em> hat weder
-etwas von seiner alten Kraft eingebüßt noch seine Bedeutung verschoben.
-<em class="gesperrt">Gepflogenheit</em> hat man gebildet, um eine Schattierung von
-<em class="gesperrt">Gewohnheit</em> zu haben; ist aber nicht <em class="gesperrt">Brauch</em> so ziemlich
-dasselbe? Ein abscheuliches Wort ist <em class="gesperrt">Einakter</em> (für einaktiges
-Schauspiel). Freilich haben wir auch <em class="gesperrt">Einhufer</em>, <em class="gesperrt">Dreimaster</em>
-und <em class="gesperrt">Vierpfünder</em>; würde aber wohl jemand ein Distichon einen
-<em class="gesperrt">Zweizeiler</em> nennen? Um für <em class="gesperrt">Lehrer</em> und <em class="gesperrt">Lehrerin</em> ein
-gemeinschaftliches Wort zu haben, hat man <em class="gesperrt">Lehrperson</em> gebildet –
-eine gräßliche Geschmacklosigkeit. Den <em class="gesperrt">Arbeiter</em> nennt man jetzt
-<em class="gesperrt">Arbeitnehmer</em> in plumpem Gegensatz zum <em class="gesperrt">Arbeitgeber</em>! Statt
-<em class="gesperrt">voriges Jahr</em> sagt man jetzt <em class="gesperrt">Vorjahr</em>; alle Jahresberichte
-spreizen sich damit. Man hat das aus dem Adjektivum <em class="gesperrt">vorjährig</em>
-gebildet, wie man auch aus <em class="gesperrt">alltäglich</em> und <em class="gesperrt">vormärzlich</em>
-gedankenloserweise <em class="gesperrt">Alltag</em> und <em class="gesperrt">Vormärz</em> (!) gemacht
-hat, aus <em class="gesperrt">freisinnig</em> eine Partei, die man <em class="gesperrt">den Freisinn</em>
-nennt, und neuerdings gar aus <em class="gesperrt">überseeisch</em> <em class="gesperrt">Übersee</em>:
-aus Europa und <em class="gesperrt">Übersee</em> (<em class="gesperrt">die</em> Übersee oder <em class="gesperrt">das</em>
-Übersee?) – die Briefe gehen <em class="gesperrt">nach Übersee</em> (warum denn nicht
-einfach und vernünftig: <em class="gesperrt">über See</em>?). Vorjahr ist aber auch dem
-Sinne nach anstößig. Die mit <em class="gesperrt">Vor</em> zusammengesetzten Hauptwörter
-bedeuten (wenn es nicht Verbalsubstantiva sind, wie <em class="gesperrt">Vorsteher</em>,
-<em class="gesperrt">Vorreiter</em>, <em class="gesperrt">Vorsänger</em>, <em class="gesperrt">Vorbeter</em>) ein Ding, das
-einem andern Dinge als Vorbereitung vorhergeht, wie <em class="gesperrt">Vorspiel</em>,
-<em class="gesperrt">Vorrede</em>, <em class="gesperrt">Vorgeschichte</em>, <em class="gesperrt">Vorfrühling</em>,
-<em class="gesperrt">Voressen</em>, <em class="gesperrt">Vorgeschmack</em>. Die Leipziger Messe hatte sonst
-eine <em class="gesperrt">Vorwoche</em>, die der Hauptwoche vorausging. Wie kann man also
-jedes beliebige Jahr das<span class="pagenum" id="Seite_363">[S. 363]</span> <em class="gesperrt">Vorjahr</em> des folgenden Jahres nennen!
-Dann könnte auch der Lehrer im Unterricht fragen: Was haben wir in
-der <em class="gesperrt">Vorstunde</em> behandelt? Mit dem <em class="gesperrt">Vortag</em> fängt man aber
-auch schon an: trotz des schlechten Wetters am <em class="gesperrt">Vortage</em> – das
-Befinden des Monarchen war diese Woche besser als am <em class="gesperrt">Vortage</em>.
-Ebenso verfehlt wie das <em class="gesperrt">Vorjahr</em> ist natürlich der
-<em class="gesperrt">Vorredner</em> – man vergleiche ihn nur mit dem <em class="gesperrt">Vorsänger</em> und
-dem <em class="gesperrt">Vorbeter</em>. Wenn ein Schiff eine Reise antritt, so nennt man
-das jetzt nicht mehr <em class="gesperrt">abreisen</em>, sondern <em class="gesperrt">ausreisen</em>: der Tag
-der <em class="gesperrt">Ausreise</em> rückte heran. War das Wort wirklich nötig, das so
-lächerlich an <em class="gesperrt">ausreißen</em> anklingt? Für die zeichnenden Künste hat
-neuerdings jemand das schöne Wort <em class="gesperrt">Griffelkunst</em> erfunden, das die
-Kunstschreiber schon fleißig nachgebrauchen. Nun verstand man ja unter
-den zeichnenden Künsten auch den Kupferstich und die Radierung, die mit
-dem Griffel arbeiten. Unter der <em class="gesperrt">Griffelkunst</em> aber soll man nun
-auch die Bleistift-, die Feder- und die Tuschzeichnung verstehen, die
-nicht mit dem Griffel arbeiten. Was ist also gewonnen? Und wollen wir
-die Malerei vielleicht nun <em class="gesperrt">Pinselkunst</em> nennen?</p>
-
-<p>Zu recht verunglückten Bildungen hat neuerdings öfter das Streben
-geführt, einen Ersatz für Fremdwörter zu schaffen. Dazu gehören
-z.&#160;B. der <em class="gesperrt">Fehlbetrag</em> (Defizit), die <em class="gesperrt">Begleiterscheinung</em>
-(Symptom), der <em class="gesperrt">Werdegang</em> (Genesis) und die <em class="gesperrt">Straftat</em>
-(Delikt). Auch das <em class="gesperrt">Lebewesen</em> kann mit angereiht werden. Ein
-Verbalstamm als Bestimmungswort einer Zusammensetzung bedeutet meist
-den Zweck des Dinges (vgl. <em class="gesperrt">Leitfaden</em>, <em class="gesperrt">Trinkglas</em>,
-<em class="gesperrt">Schießpulver</em> und <a href="#Seite_73">S. 73</a>).<a id="FNAnker_163" href="#Fussnote_163" class="fnanchor">[163]</a> Ein <em class="gesperrt">Fehlbetrag</em> ist
-aber doch nicht ein Betrag, der den Zweck hat, zu fehlen, sondern
-es soll ein <em class="gesperrt">fehlender</em><span class="pagenum" id="Seite_364">[S. 364]</span> Betrag sein (ganz anders gebildet
-sind <em class="gesperrt">Fehlbitte</em>, <em class="gesperrt">Fehltritt</em>, <em class="gesperrt">Fehlschuß</em>,
-<em class="gesperrt">Fehlschluß</em>; hier ist fehl nicht der Verbalstamm, sondern
-das Adverbium), ebenso soll <em class="gesperrt">Lebewesen</em> ein <em class="gesperrt">lebendes</em>
-Wesen, <em class="gesperrt">Begleiterscheinung</em> eine <em class="gesperrt">begleitende</em> Erscheinung
-bedeuten. In <em class="gesperrt">Werdegang</em> vollends soll der Verbalstamm den Genitiv
-ersetzen (Gang <em class="gesperrt">des Werdens</em>); es scheint nach <em class="gesperrt">Lehrgang</em>
-gebildet zu sein, aber es scheint nur so, denn <em class="gesperrt">Lehrgang</em> ist
-mit <em class="gesperrt">Lehre</em> zusammengesetzt. Überdies wird es lächerlicherweise
-auch schon für <em class="gesperrt">Geschichte</em> gebraucht; man redet nicht bloß
-von dem <em class="gesperrt">Werdegang</em> einer Kellnerin, sondern auch von dem
-<em class="gesperrt">Werdegang</em> der mittelalterlichen Pergamenthandschriften! Die
-verunglückteste Bildung ist wohl <em class="gesperrt">Straftat</em> – wer mag die auf
-dem Gewissen haben! Das Wort ist gebildet, um eine gemeinschaftliche
-Bezeichnung für <em class="gesperrt">Vergehen</em> und <em class="gesperrt">Verbrechen</em> zu haben. Was
-soll man sich aber dabei unter <em class="gesperrt">Straf</em>- denken? das Hauptwort
-oder den Verbalstamm? Eins ist so unmöglich wie das andre. Im ersten
-Falle würde das Wort auf einer Stufe stehen mit <em class="gesperrt">Freveltat</em>,
-<em class="gesperrt">Gewalttat</em>, <em class="gesperrt">Greueltat</em>, <em class="gesperrt">Schandtat</em>, <em class="gesperrt">Wundertat</em>.
-Alle diese Zusammensetzungen bezeichnen eine Eigenschaft der Tat und
-zugleich des Täters; in <em class="gesperrt">Straftat</em> aber würde – die Folge der
-Tat bezeichnet sein! Im zweiten Falle würde es auf einer Stufe stehen
-mit <em class="gesperrt">Trinkwasser</em>, und das wäre der helle Unsinn, denn dann wäre
-es eine Tat, die den Zweck hätte, bestraft zu werden! Freilich sind
-solche ungeschickte Wörter auch früher schon als Übersetzung von
-Fremdwörtern „von plumpen Puristenfäusten geknetet“ worden, man denke
-nur an <em class="gesperrt">Beweggrund</em> (für Motiv), <em class="gesperrt">Fahrgast</em> (für Passagier)
-und ähnliche.</p>
-
-<p>Unter den Eigenschaftswörtern sind ebenso geschmacklose wie
-überflüssige Neubildungen: <em class="gesperrt">erhältlich</em> (in allen Apotheken
-erhältlich), <em class="gesperrt">erstklassig</em> (ein erstklassiges Etablissement,
-ein erstklassiges Restaurant, ein erstklassiges Pensionat, eine
-erstklassige Firma, erstklassiges Personal, erstklassige Spezialitäten
-usw.), <em class="gesperrt">erststellig</em> und <em class="gesperrt">zweitstellig</em> (eine erststellige
-Beleihung, eine zweitstellige Hypothek), <em class="gesperrt">innerpolitisch</em>
-(die innerpolitische Lage), <em class="gesperrt">treffsicher</em> (eine treffsichere
-Charakteristik), <em class="gesperrt">parteilos</em> (für<span class="pagenum" id="Seite_365">[S. 365]</span> unparteiisch), <em class="gesperrt">lateinlos</em>
-(die lateinlose Realschule!); unter den Adverbien: <em class="gesperrt">fraglos</em>,
-<em class="gesperrt">debattelos</em> (es wurde <em class="gesperrt">debattelos</em> genehmigt),
-<em class="gesperrt">verdachtlos</em> (ein Fahrrad wurde <em class="gesperrt">verdachtlos</em> gestohlen –
-abgesehen davon, daß hier weder das grammatische Subjekt, das Fahrrad,
-noch das logische Subjekt, der Dieb, einen Verdacht haben kann). Nach
-<em class="gesperrt">jahrein jahraus</em> hat man <em class="gesperrt">tagein tagaus</em> gebildet – ganz
-töricht! Das Jahr ist ein großer Ring oder Kreis, in den tritt man ein
-und wieder aus; die kurzen Tage aber gleichen einzelnen Schritten,
-darum sagt man richtiger: <em class="gesperrt">Tag für Tag</em>, wie <em class="gesperrt">Schritt für
-Schritt</em>.</p>
-
-<p>Besonders gern werfen die Techniker unnötige neue Wörter in die
-Sprache. Wenn man auf einen Gegenstand Licht fallen läßt, so nannte
-man das früher <em class="gesperrt">beleuchten</em>. Das hat aber den Photographen nicht
-genügt, sie haben sich das schöne Wort <em class="gesperrt">belichten</em> ausgedacht. Ein
-Ding, womit man ein Zimmer heizt, nannte man früher einen <em class="gesperrt">Ofen</em>,
-und ein Ding, womit man ein Zimmer beleuchtet, einen <em class="gesperrt">Leuchter</em>
-(Armleuchter, Kronleuchter) oder eine <em class="gesperrt">Lampe</em>. Jetzt nennt man
-das eine <em class="gesperrt">Heizkörper</em>, das andre <em class="gesperrt">Beleuchtungskörper</em>.
-<em class="gesperrt">Lehrperson</em> und <em class="gesperrt">Heizkörper</em> – eins immer schöner als das
-andre! Denen, die sich für Krematorien begeistern, will doch das Wort
-<em class="gesperrt">Leichenverbrennung</em> nicht gefallen, obwohl es die Sache schlicht
-und ehrlich bezeichnet. Daher haben sie zur <em class="gesperrt">Einäscherung</em>
-ihre Zuflucht genommen, oder gar zur <em class="gesperrt">Feuerbestattung</em>, ja sie
-reden sogar davon, daß jemand <em class="gesperrt">feuerbestattet</em> worden sei. Nur
-schade, daß bei der Leichenverbrennung der Verstorbne eben nicht
-<em class="gesperrt">bestattet</em>, d.&#160;h. mit einer <em class="gesperrt">Grabstätte</em> versehen wird,
-und daß man wohl von <em class="gesperrt">Gasbeleuchtung</em> und <em class="gesperrt">Wasserheizung</em>
-sprechen, aber nicht sagen kann: ich <em class="gesperrt">gasbeleuchte</em>, du
-<em class="gesperrt">wasserheizest</em>.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Modewoerter">Modewörter</h3>
-
-</div>
-
-<p>Verbreitet werden neue Wörter namentlich durch die Jugend und durch die
-Ungebildeten, die keine Spracherfahrung haben, die nicht wissen, ob ein
-Wort alt oder neu, gebräuchlich oder ungebräuchlich ist; dann werden
-sie oft in kurzer Zeit zu Modewörtern. Daß es Sprachmoden<span class="pagenum" id="Seite_366">[S. 366]</span> gibt so gut
-wie Kleidermoden, und Modewörter so gut wie Modekleider, Modefarben,
-Modefrisuren und Modesitten, darüber kann gar kein Zweifel sein. In
-meiner Kinderzeit fragte man, wenn man jemand nicht verstanden hatte:
-<em class="gesperrt">Was?</em> Dazu war natürlich zu ergänzen: hast du gesagt? Dann hieß
-es plötzlich: <em class="gesperrt">Was</em> sei grob, man müsse fragen: <em class="gesperrt">Wie?</em> Dazu
-sollte man ergänzen: meinen Sie? In neuerer Zeit kamen dann dafür
-die schönen Fragen auf: <em class="gesperrt">Wie meinen?</em> (vgl. <a href="#Seite_92">S. 92</a>) und <em class="gesperrt">Wie
-beliebt?</em> (was immer wie <em class="gesperrt">Bibeli</em> klingt), und das Allerneueste
-ist, daß man den andern zärtlich von der Seite anblickt, das Ohr
-hinhält und fragt: <em class="gesperrt">Bötte?</em></p>
-
-<p>Nun kommt ja unleugbar auch bisweilen eine hübsche Kleidermode auf,
-aber im allgemeinen wird doch die Mode gemacht von Leuten, die
-nicht den besten Geschmack haben. Oft ist sie so dumm, daß man sich
-ihre Entstehung kaum anders erklären kann, als daß man annimmt,
-der Fabrikant habe absichtlich etwas recht dummes unter die Leute
-geworfen, um zu sehen, ob sie darauf hineinfallen würden. Aber immer
-fällt die ganze große Masse darauf hinein, denn Geschmack ist, wie
-Verstand, „stets bei wenigen nur gewesen“. Ähnlich ist es mit den
-Modesitten. Kann es etwas dümmeres, lächerlicheres geben, als den
-Stock in die Rocktasche zu stecken oder ans Knopfloch zu hängen?
-etwas unritterlicheres, ja roheres, als daß der Mann auf der Straße
-die Frau nicht mehr führt, sondern sich bei ihr einhakt und sich von
-ihr schleppen läßt oder sie vor sich herschiebt? Aber mindestens
-neunzig von hundert Frauen sind darauf hineingefallen. Zuletzt, wenn
-eine Mode so gemein (d.&#160;h. allgemein) geworden ist, daß sie auch dem
-Beschränktesten als das erscheint, was sie für den Einsichtigen von
-Anfang an gewesen ist, als gemein (d.&#160;h. niedrig), verschwindet sie
-wieder, um einer andern Platz zu machen, die dann denselben Lauf nimmt.
-Vornehme Menschen halten sich stets von der Mode fern. Es gibt Frauen
-und Mädchen, die in ihrer Kleidung alles verschmähen, was an die
-jeweilig herrschende Mode streift; und doch ist nichts in ihrem Äußern,
-was man absonderlich oder gar altmodisch nennen könnte, sie erscheinen
-so modern<span class="pagenum" id="Seite_367">[S. 367]</span> wie möglich und dabei so vornehm, daß alle Modegänschen sie
-darum beneiden könnten.</p>
-
-<p>Genau so geht es mit gewissen Wörtern und Redensarten. Man hört oder
-liest ein Wort – entweder ein neugebildetes oder, was noch öfter
-geschieht, ein bereits vorhandnes in neuer Bedeutung! – irgendwo zum
-erstenmal, bald darauf zum zweiten, dann kommt es öfter und öfter,
-und endlich führt es alle Welt im Munde, es wird so gemein, daß es
-selbst denen, die es eine Zeit lang mit Vergnügen mitgebraucht haben,
-widerwärtig wird, sie anfangen, sich darüber lustig zu machen, es
-gleichsam nur noch mit Gänsefüßchen gebrauchen, bis sie es endlich
-wieder fallen lassen. Aber es gibt immer auch eine kleine Anzahl von
-Leuten, die, sowie ein solches Wort auftaucht, von einem unbesiegbaren
-Widerwillen dagegen ergriffen werden, es nicht über die Lippen, nicht
-aus der Feder bringen. Und da ist auch gar kein Zweifel möglich; wer
-überhaupt die Fähigkeit hat, solche Wörter zu erkennen, erkennt sie
-sofort und erkennt sie alle. Er sagt sich sofort: das Wort nimmst
-du nie in den Mund, denn das wird Mode. Und wenn zwei oder drei
-zusammenkommen, die den Modewörterabscheu teilen, und sie vergleichen
-ihre Liste, so zeigt sich, daß sie genau dieselben Wörter darauf
-haben – ein Beweis, daß es an den Wörtern liegt und nicht an den
-Menschen, wenn manche Menschen manche Wörter unausstehlich finden.
-Ihrer Ausdrucksweise merkt aber trotzdem niemand an, daß sie die Wörter
-vermeiden, die klingt so modern wie möglich, niemand vermißt die
-Modewörter darin. Gewiß gibt es auch unter den Modewörtern einzelne,
-die an sich nicht übel sind. Aber das Widerwärtige daran ist, daß es
-eben Modewörter sind, daß sie eine Menge andrer guter Wörter, die
-bisher im Gebrauch waren, verdrängen, schließlich sogar in völlig
-unpassendem Sinn angewandt werden und doch das bißchen Reiz, daß sie im
-Anfange hatten, sehr schnell verlieren.</p>
-
-<p>Im folgenden sollen einige Wörter zusammengestellt werden, die
-entweder überhaupt oder doch in der Bedeutung, in der sie jetzt fast
-ausschließlich angewandt werden, unzweifelhaft Modewörter sind. Die
-meisten<span class="pagenum" id="Seite_368">[S. 368]</span> davon stehen jetzt in vollster Blüte; einige haben zwar ihre
-Blütezeit schon hinter sich, sollen aber doch nicht übergegangen
-werden, weil sie am besten zeigen können, wie schnell dergleichen
-veraltet.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Darbietung.</em> Als solche wird jetzt alles bezeichnet, was in
-einem Konzert oder an einem Vereinsabend geredet, gespielt oder
-gesungen wird: die gelungenste <em class="gesperrt">Darbietung</em> des Abends – die
-<em class="gesperrt">Darbietungen</em> des diesjährigen Pensionsfondskonzerts – das
-Programm enthielt auch einige solistische <em class="gesperrt">Darbietungen</em> – die
-literarischen <em class="gesperrt">Darbietungen</em> im Stil der freien Bühne usw.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Ehrung.</em> Für <em class="gesperrt">Ehrenbezeigung</em> oder <em class="gesperrt">Auszeichnung</em>. In
-<em class="gesperrt">Ehrungen</em> wird jetzt ungemein viel geleistet.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Note.</em> Wofür? Ja, wer das sagen könnte! man schwatzt von einer
-eignen, einer besondern, einer persönlichen, einer intimen <em class="gesperrt">Note</em>:
-das Leipziger Barock besitzt eine eigne <em class="gesperrt">Note</em> – was dem Buche
-noch eine besondre <em class="gesperrt">Note</em> gibt, ist, daß es ein späterer Papst
-geschrieben hat – ein Haus gibt seine intime <em class="gesperrt">Note</em> an ein andres
-Haus weiter – wenn auch die Sammlung meist Kunstwerke enthält, so
-fehlt doch auch die <em class="gesperrt">Note</em> des Absonderlichen nicht – mit dem
-fußfreien Rock hat die Modedame ihre Erscheinung auf die <em class="gesperrt">Note</em>
-des Mädchenhaften gestimmt. Das letzte Beispiel ist völliger Unsinn,
-denn hier ist außerdem noch <em class="gesperrt">Note</em> mit <em class="gesperrt">Ton</em> verwechselt.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Prozent</em> oder <em class="gesperrt">Prozentsatz</em>. Für <em class="gesperrt">Teil</em>. Aus der
-Sprache der Statistik. Man sagt nicht mehr: über die <em class="gesperrt">Hälfte</em>
-aller Arbeiter, sondern: über <em class="gesperrt">fünfzig Prozent</em> aller Arbeiter,
-nicht mehr: ein ganz geringer <em class="gesperrt">Teil</em> der Künstler, sondern:
-ein ganz geringer <em class="gesperrt">Prozentsatz</em> der Künstler darf hoffen, als
-Bildhauer oder Maler vorwärts zu kommen. Man sagt nicht: ein großer
-<em class="gesperrt">Teil</em> der Studenten ist faul, sondern man klagt über den Unfleiß
-(!) eines großen <em class="gesperrt">Prozentsatzes</em> der „Studierenden“.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Rückschluß</em>, <em class="gesperrt">Rückschlag</em> und <em class="gesperrt">Rückwirkung</em>. Für
-<em class="gesperrt">Schluß</em>, <em class="gesperrt">Einfluß</em> und <em class="gesperrt">Wirkung</em>. <em class="gesperrt">Schlüsse</em> und
-<em class="gesperrt">Wirkungen</em> gibt es nicht mehr, nur noch <em class="gesperrt">Rückschlüsse</em> und
-<em class="gesperrt">Rückwirkungen</em>. Von <em class="gesperrt">Rück</em>- ist aber meist gar nicht die
-Rede.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_369">[S. 369]</span></p>
-
-<p><em class="gesperrt">Unstimmigkeit.</em> Törichte Neubildung für <em class="gesperrt">Widerspruch</em>,
-<em class="gesperrt">Meinungsverschiedenheit</em>, <em class="gesperrt">Mißhelligkeit</em>. Es gibt
-<em class="gesperrt">einstimmige</em> und <em class="gesperrt">vierstimmige</em> Lieder, es gibt auch
-<em class="gesperrt">Einstimmigkeit</em> bei Abstimmungen, aber es gibt weder
-<em class="gesperrt">Stimmigkeit</em> noch <em class="gesperrt">Unstimmigkeit</em>.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Verfehlung.</em> Mattherzig bemäntelndes Wort für <em class="gesperrt">Verbrechen</em>,
-<em class="gesperrt">Vergehen</em>. Für Betrügereien, Unterschlagungen, Fälschungen,
-Bilanzverschleierungen, betrügerische Bankerotte, Ehebrüche u.&#160;dgl.
-sehr beliebt.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Bedeutsam.</em> Aufs unsinnigste mißbrauchtes Wort. Goethe sagt in
-seiner Beschreibung von dem Selbstbildnis des jungen Dürer, der Maler
-halte das Blümlein Mannstreu <em class="gesperrt">bedeutsam</em> in der Hand. Das heißt so
-viel wie <em class="gesperrt">bedeutungsvoll</em>: der Maler habe damit sinnbildlich oder
-symbolisch etwas andeuten wollen. Von dieser schönen ursprünglichen
-Bedeutung des Wortes ist heute nicht der leiseste Hauch mehr zu spüren.
-Kein zweites Wort ist binnen wenigen Jahren so heruntergebracht, so
-scheußlich entwertet worden wie dieses schöne Wort. Für alles mögliche
-muß es herhalten, für <em class="gesperrt">groß</em>, <em class="gesperrt">wichtig</em>, <em class="gesperrt">bedeutend</em>,
-<em class="gesperrt">hervorragend</em>, <em class="gesperrt">wertvoll</em>, <em class="gesperrt">brauchbar</em> usw. Wenn
-man über eine Sache nichts, gar nichts zu sagen weiß, so nennt man
-sie <em class="gesperrt">bedeutsam</em>. Man schreibt: der Verfasser hat auch über
-Luther, Kant, Fichte und Hegel <em class="gesperrt">bedeutsame</em> Bücher geschrieben
-– diese Zusammenstellung ist nicht bloß sprachgeschichtlich,
-sondern auch kulturgeschichtlich <em class="gesperrt">bedeutsam</em> – das Buch wird
-der Erkenntnis Bahn brechen, daß die Bildhauerei des damaligen
-Deutschlands eine (!) <em class="gesperrt">bedeutsame</em> war – für den Buchstaben G
-lagen schon aus Hildebrands Nachlaß <em class="gesperrt">bedeutsame</em> Ergänzungen
-vor – auch in dem Holzschnittwerk des Meisters findet sich eine
-<em class="gesperrt">bedeutsame</em> Nummer – in Amerika sind für die deutsche Sprache
-<em class="gesperrt">bedeutsame</em> Ereignisse zu verzeichnen – die Thronrede
-mußte um so <em class="gesperrt">bedeutsamer</em> wirken, als Österreich jetzt im
-Brennpunkt des Interesses steht – daß diese Gedanken von einer Frau
-ausgesprochen wurden, schien dem Herausgeber <em class="gesperrt">bedeutsam</em> genug,
-um (!) sie hier mitzuteilen. Man schwatzt von <em class="gesperrt">bedeutsamen</em>
-Bekanntschaften, Erfolgen, Aufgaben, Funden,<span class="pagenum" id="Seite_370">[S. 370]</span> Kunstwerken, von
-einer für die Kulturgeschichte <em class="gesperrt">bedeutsamen</em> Veröffentlichung,
-von einer <em class="gesperrt">bedeutsamen</em> Umgestaltung des Schulwesens, von
-dem <em class="gesperrt">bedeutsamsten</em> Teil der Wettinischen Lande, von einem
-<em class="gesperrt">bedeutsamen</em> Hinweis auf Pflanzenstudien, von <em class="gesperrt">bedeutsamen</em>
-Probeleistungen einer Kunstgewerbeschule, von <em class="gesperrt">bedeutsamen</em>
-politischen Momenten (was mag das sein?), ja sogar von einem
-<em class="gesperrt">bedeutsamen</em> Mozartinterpreten (!), von kunstvollen, bzw. (!)
-durch (!) die Namen ihrer einstigen Besitzer <em class="gesperrt">bedeutsamen</em>
-Armbrüsten und von der <em class="gesperrt">bedeutsamen</em> Stellung, die in der
-Kundschaft der Fleischer die Schänkwirte einnehmen. Jammerschade um das
-einst so sinnvolle, gehaltvolle Wort!</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Belangreich</em> und <em class="gesperrt">belanglos</em>. Zwei herrliche Wörter,
-obgleich kein Mensch sagen kann, was <em class="gesperrt">Belang</em> ist, und ob es
-<em class="gesperrt">der</em> Belang oder <em class="gesperrt">das</em> Belang heißt.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Besser.</em> Wird jetzt mit Vorliebe nicht mehr als positive
-Steigerung von <em class="gesperrt">gut</em>, sondern als negative Steigerung von
-<em class="gesperrt">schlecht</em> gebraucht, also in dem Sinne von <em class="gesperrt">weniger
-schlecht</em>. Herrschaften suchen täglich in den Zeitungen
-<em class="gesperrt">bessere</em> Mädchen, und Mädchen natürlich nun auch <em class="gesperrt">bessere</em>
-Herrschaften oder auch, wenn sie sich verheiraten wollen,
-<em class="gesperrt">bessere</em> Herren. Ein Zeitungsverleger versichert, daß seine
-Zeitung in allen <em class="gesperrt">bessern</em> Hotels und Cafés ausliege, und ein
-Geheimmittelfabrikant, daß sein Fabrikat in allen <em class="gesperrt">bessern</em>
-Apotheken und Drogengeschäften „erhältlich“ sei. Folglich ist
-<em class="gesperrt">gut</em> jetzt besser als <em class="gesperrt">besser</em>.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Eigenartig.</em> Äußerst beliebt als Ersatz für das Fremdwort
-<em class="gesperrt">originell</em> und zugleich für <em class="gesperrt">eigentümlich</em>, worunter man
-jetzt nur noch so viel wie <em class="gesperrt">wunderlich</em> oder <em class="gesperrt">seltsam</em> zu
-verstehen scheint. Oft auch bloßer Schwulst für <em class="gesperrt">eigen</em>
-(vgl. <a href="#Seite_400">S. 400</a>): ein <em class="gesperrt">eigenartiger</em> Reiz, ein <em class="gesperrt">eigenartiger</em> Zauber,
-eine <em class="gesperrt">eigenartige</em> Weihe usw.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Einwandfrei.</em> Schöner neuer Ersatz für <em class="gesperrt">tadellos</em> und
-zugleich für <em class="gesperrt">unanfechtbar</em>: gesunde, frische, <em class="gesperrt">einwandfreie</em>
-Milch – ein sittlich <em class="gesperrt">einwandfreier</em> Priester – eine
-absolut <em class="gesperrt">einwandfreie</em> Berliner Familie. Daß man nur von
-Dingen <em class="gesperrt">frei</em> sein kann, die einem auch anhaften können (vgl.
-<em class="gesperrt">fehlerfrei</em>, <em class="gesperrt">fieberfrei</em>), daran wird gar nicht gedacht.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_371">[S. 371]</span></p>
-
-<p><em class="gesperrt">Erheblich.</em> Altes Kanzleiwort, das man schon für tot und
-begraben gehalten hatte, das aber seit einiger Zeit wieder
-hervorgesucht und nun, als Adjektiv wie als Adverb, zum Lieblingswort
-aller Juristen, Beamten und Zeitungschreiber geworden ist (für
-<em class="gesperrt">groß</em>, <em class="gesperrt">wichtig</em>, <em class="gesperrt">bedeutend</em>, <em class="gesperrt">wesentlich</em>).
-Es gibt nichts in der Welt, was nicht entweder <em class="gesperrt">erheblich</em> oder
-<em class="gesperrt">unerheblich</em> oder – <em class="gesperrt">nicht unerheblich</em> wäre: eine Wunde,
-ein Schadenfeuer, eine Gehaltsverbesserung, eine Verkehrsstörung,
-alles ist <em class="gesperrt">erheblich</em>. So heißt es auch vor Komparativen nicht
-mehr <em class="gesperrt">viel</em>, sondern nur noch <em class="gesperrt">erheblich</em>: <em class="gesperrt">erheblich</em>
-besser, <em class="gesperrt">erheblich</em> größer usw.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Froh</em> und viele Zusammensetzungen damit: <em class="gesperrt">arbeitsfroh</em>,
-<em class="gesperrt">bildungsfroh</em>, <em class="gesperrt">genußfroh</em>, <em class="gesperrt">sangesfroh</em>,
-<em class="gesperrt">kunstfroh</em>, <em class="gesperrt">farbenfroh</em>, <em class="gesperrt">fleischfroh</em> (der
-<em class="gesperrt">fleischfrohe</em> Rubens!), <em class="gesperrt">wirklichkeitsfroh</em>, namentlich
-in der Kunstschreiberei jetzt äußerst beliebt. Wir leben in einer
-<em class="gesperrt">kunstfrohen</em> Zeit, in der es viele <em class="gesperrt">novitätenfrohe</em>
-Kunstfreunde gibt.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Glatt.</em> Modewort von der mannigfachsten Bedeutung: <em class="gesperrt">leicht</em>,
-<em class="gesperrt">schnell</em>, <em class="gesperrt">sicher</em>, <em class="gesperrt">offenbar</em> usw.: der Verkehr
-wickelte sich <em class="gesperrt">glatt</em> ab – er fiel mit seinem Antrage
-<em class="gesperrt">glatt</em> ab – es steht zu hoffen, daß die Heilung der Wunde
-<em class="gesperrt">glatt</em> erfolgen wird – es liegt ein ganz <em class="gesperrt">glatter</em>
-Betrug vor – sogar: das liegt auf <em class="gesperrt">glatter</em> Hand (statt: auf
-<em class="gesperrt">flacher</em>)!</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Großzügig.</em> Neues Glanzwort, das alle Welt berauscht oder
-wenigstens berauschen soll. Wenn man sich früher bei einer Darstellung
-auf <em class="gesperrt">große Züge</em> beschränkte, so wurde sie gewöhnlich
-oberflächlich. Nun kann man ja in anderm Sinne auch von den <em class="gesperrt">großen
-Zügen</em> (Linien) einer Gebirgslandschaft, also allenfalls auch
-von einer <em class="gesperrt">großzügigen</em> Gebirgslandschaft reden. Was soll man
-sich aber darunter denken, wenn es heißt: ein <em class="gesperrt">großzügiges</em>
-Regierungsprogramm wird aufgerollt (!) – es fehlt dem Wahlkampf
-an einer <em class="gesperrt">großzügigen</em> Bewegung – einen Zufall gibt es für
-diesen Standpunkt (!) <em class="gesperrt">großzügiger</em> Auffassung nicht – die
-protestantischen Völker verfolgen <em class="gesperrt">großzügig</em> ihre Ziele – seiner
-<em class="gesperrt">großzügigen</em> Persönlichkeit entsprechend hat Begas sein Lehramt<span class="pagenum" id="Seite_372">[S. 372]</span>
-ohne Pedanterie verwaltet – das Denkmal ist eine <em class="gesperrt">großzügige</em>
-deutsche Tat, auf die Leipzig stolz sein kann – G. verrät in seinen
-Porträtköpfen eine <em class="gesperrt">großzügige</em> Eigenart – zeichnerische
-Genialität und malerische Kraft paaren sich mit <em class="gesperrt">großzügigem</em>
-Realismus? Was soll man sich unter einer <em class="gesperrt">großzügigen</em>
-Stadtverwaltung, unter <em class="gesperrt">großzügigen</em> Straßennetzen,
-Bebauungsplänen und Bauschöpfungen, einem <em class="gesperrt">großzügig</em> redigierten
-Familienblatt, unter der <em class="gesperrt">großzügigen</em> Formensprache des Barock
-und der imposanten <em class="gesperrt">Großzügigkeit</em> seiner Fassaden vorstellen?
-Was sind das für „Züge“, an die man dabei denken soll? Gemeint ist
-bald einfach <em class="gesperrt">groß</em> oder <em class="gesperrt">großartig</em>, bald <em class="gesperrt">reich</em>,
-<em class="gesperrt">kräftig</em> oder <em class="gesperrt">schwungvoll</em>, bald <em class="gesperrt">geistreich</em> oder
-<em class="gesperrt">geistvoll</em>, bald <em class="gesperrt">weitherzig</em> oder <em class="gesperrt">weitblickend</em>.
-Das alles soll jetzt das alberne <em class="gesperrt">großzügig</em> ausdrücken! Es
-ist ein ganz infames Klingklangwort, ohne allen Sinn und Inhalt, so
-recht für die gedankenlose, groß–mäulige Schwätzerei unsrer Tage
-ersonnen, namentlich für die Kunstschwätzerei, aus deren Kreisen es
-höchstwahrscheinlich auch stammt.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Hochgradig.</em> Für <em class="gesperrt">hoch</em> oder <em class="gesperrt">groß</em>; aus der Sprache
-der Ärzte: <em class="gesperrt">hochgradiges</em> Fieber. Dann auch <em class="gesperrt">hochgradige</em>
-Erregung, <em class="gesperrt">hochgradige</em> Erbitterung usw.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Jugendlich.</em> Modeersatz für <em class="gesperrt">jung</em>, das vollständig in
-Verruf gekommen ist. Hat namentlich seit der Thronbesteigung des
-jetzigen Kaisers um sich gegriffen. Den wagte man nicht <em class="gesperrt">jung</em> zu
-nennen – wahrscheinlich hielt man das für eine Majestätsbeleidigung
-–, man sagte immer: unser <em class="gesperrt">jugendlicher</em> Kaiser, und genau so
-ging es dann wieder mit dem <em class="gesperrt">jugendlichen</em> Kronprinzen. Welch
-großer Unterschied zwischen <em class="gesperrt">jung</em> und <em class="gesperrt">jugendlich</em> ist,
-welch erfreuliche Erscheinung z.&#160;B. ein <em class="gesperrt">jugendlicher Greis</em>,
-welch klägliche ein <em class="gesperrt">junger Greis</em> ist, dafür hat man gar kein
-Gefühl mehr, fort und fort redet man von <em class="gesperrt">jugendlichen</em> Arbeitern,
-<em class="gesperrt">jugendlichen</em> Übeltätern, Verbrechern, Dieben, Brandstiftern,
-einer <em class="gesperrt">jugendlichen</em> Sängerschar, sogar <em class="gesperrt">jugendlichen</em>, unter
-sechzehn Jahren alten Mädchen; den siebenjährigen Knaben Mozart nennt
-man den <em class="gesperrt">jugendlichen</em> Mozart<span class="pagenum" id="Seite_373">[S. 373]</span> und den sechzehnjährigen Studenten
-Goethe den <em class="gesperrt">jugendlichen</em> Goethe und betont das <em class="gesperrt">jugendliche
-Alter</em>, in dem er die Universität bezog! Überall ist <em class="gesperrt">jung</em>
-gemeint, und <em class="gesperrt">jugendlich</em> wird gesagt und geschrieben.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Minderwertig.</em> Verhüllender Ausdruck für <em class="gesperrt">schlecht</em>,
-<em class="gesperrt">wertlos</em>, <em class="gesperrt">unbrauchbar</em>. Irgendeinen Menschen oder
-eine Sache <em class="gesperrt">schlecht</em> zu nennen, hat man nicht mehr den
-Mut; man spricht nur noch von <em class="gesperrt">minderwertigem</em> Fleisch,
-<em class="gesperrt">minderwertigen</em> Kartoffeln, <em class="gesperrt">minderwertigen</em> Existenzen,
-sogar von <em class="gesperrt">minderwertigen</em> Referendaren.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Offensichtlich.</em> Lieblingswort der Zeitungschreiber,
-zusammengebraut aus <em class="gesperrt">sichtlich</em> und <em class="gesperrt">offenbar</em>: die
-<em class="gesperrt">offensichtliche</em> Gefahr, <em class="gesperrt">offensichtliche</em> Mängel, mit
-<em class="gesperrt">offensichtlichem</em> Stolz usw.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Schneidig.</em> Blühendes Modewort zur Bezeichnung der eigentümlichen
-Verbindung von äußerlicher Schniepelei und innerlicher Roheit,
-Fatzkentum und Landsknechtswesen, in der sich ein Teil unsrer jungen
-Männerwelt jetzt gefällt. Zum Glück im Rückgange begriffen.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Selbstlos.</em> Kühne Bildung. Eine Zeit lang sehr beliebt
-zur Bezeichnung des höchsten Grades von Uneigennützigkeit und
-Opferwilligkeit. Hat aber auch schon ziemlich abgewirtschaftet.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Tiefgründig.</em> Neues Modewort. Man spricht von
-<em class="gesperrt">tiefgründiger</em>, das soll heißen: in die Tiefe gehender
-Arbeit und Forschung, aber auch von <em class="gesperrt">tiefgründigen</em>, das
-soll heißen geheimnisvollen Kunstwerken: Klingers Werke sind viel
-zu <em class="gesperrt">tiefgründig</em> (!), um dem unvorbereiteten Betrachter
-schnell ihren Gehalt zu offenbaren – endlich aber auch schon von
-<em class="gesperrt">tiefgründiger</em> (statt <em class="gesperrt">tiefer</em>!) Vaterlandsliebe.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Tunlich</em> und <em class="gesperrt">angängig</em>. Lieblingswörter der Kanzleisprache
-für <em class="gesperrt">möglich</em>: mit <em class="gesperrt">tunlichster</em> Bälde.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Uferlos</em>, für endlos: <em class="gesperrt">uferlose</em> Debatten, die Darstellung
-verliert sich in <em class="gesperrt">uferlose</em> Breite. Ja ja, wir sind ein
-seefahrendes Volk geworden.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Unerfindlich.</em> Für <em class="gesperrt">unbegreiflich</em> oder
-<em class="gesperrt">unverständlich</em>. Verfehlt gebildet, da <em class="gesperrt">erfinden</em> in
-dem Sinne, wie es in <em class="gesperrt">unerfindlich</em> verstanden werden soll,<span class="pagenum" id="Seite_374">[S. 374]</span>
-ungebräuchlich ist. Trotzdem eine Zeit lang sehr beliebt, jetzt im
-Rückgange.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Ungezählt.</em> Sehr beliebte neue Modedummheit für <em class="gesperrt">unzählig</em>,
-<em class="gesperrt">zahllos</em>, ja sogar für <em class="gesperrt">zahlreich</em>. Napoleon stand
-einer Streitmacht <em class="gesperrt">ungezählter</em> Kosaken gegenüber – die
-Stadtchronik berichtet von <em class="gesperrt">ungezählten</em> Festen – dieser
-Schrank birgt <em class="gesperrt">ungezählte</em> Zinnkannen – die Atmosphäre ist
-mit <em class="gesperrt">ungezählten</em> Kohlenteilchen erfüllt – Messel hat im
-Wertheimpalast Normen geschaffen, die bestimmend für <em class="gesperrt">ungezählte</em>
-Warenhäuser wurden – eine <em class="gesperrt">ungezählte</em> Menge drängte sich nach
-dem Unglücksplatz – <em class="gesperrt">ungezählte</em> Deutsche feiern heute den
-Geburtstag des großen Kanzlers – der Roman erlebte <em class="gesperrt">ungezählte</em>
-Auflagen. Ob eine Menge gezählt worden ist, darauf kommt es doch gar
-nicht an, sondern darauf, ob sie gezählt werden konnte! Die Auflagen
-eines Buches aber werden wirklich gezählt.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Verläßlich.</em> Modewort für <em class="gesperrt">zuverlässig</em>. Wunderliche
-Verirrung! <em class="gesperrt">Zuverlässig</em> ist ein schönes, kräftiges Wort; wer
-<em class="gesperrt">zuverlässig</em> ist, auf den kann man sich wirklich verlassen. Einem
-<em class="gesperrt">Verläßlichen</em> würde ich nicht über den Weg trauen; das Wort hat
-gleich so etwas widerwärtig weichliches.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Vornehm.</em> Im Superlativ ausschließlicher Ersatz für alle
-Zusammensetzungen, die früher mit <em class="gesperrt">Haupt</em>- gebildet wurden.
-Für <em class="gesperrt">Haupt</em>ursache, <em class="gesperrt">Haupt</em>bedingung, <em class="gesperrt">Haupt</em>zweck,
-<em class="gesperrt">Haupt</em>aufgabe heißt es nur noch: die <em class="gesperrt">vornehmste</em> Ursache,
-die <em class="gesperrt">vornehmste</em> Bedingung, der <em class="gesperrt">vornehmste</em> Zweck, die
-<em class="gesperrt">vornehmste</em> Aufgabe. Je öfter man <em class="gesperrt">vornehm</em> schreibt, desto
-vornehmer kommt man sich selber vor.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Zielbewußt.</em> Von der sozialdemokratischen Presse in Umlauf
-gesetzt und eine Zeit lang von ihr mit blutigem Ernst gebraucht.
-Heute nur noch mit Gänsefüßchen möglich: ein „zielbewußter“
-Autographensammler u.&#160;ähnl.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Abstürzen.</em> Für <em class="gesperrt">herabstürzen</em> oder <em class="gesperrt">hinabstürzen</em>;
-namentlich von den Alpenfexen verbreitet. In den Zeitungen
-<em class="gesperrt">stürzen</em> aber schon nicht mehr bloß Bergkletterer <em class="gesperrt">ab</em>,
-sondern auch Steinblöcke in Steinbrüchen, Turner<span class="pagenum" id="Seite_375">[S. 375]</span> vom Reck, Kinder vom
-Straßenbahnwagen usw. Man setze <em class="gesperrt">fallen</em> für <em class="gesperrt">stürzen</em>, und
-man wird die Lächerlichkeit fühlen! Ab mit Zeitwörtern zusammengesetzt
-bedeutet ja die Trennung, die Entfernung; vgl. <em class="gesperrt">abfallen</em>,
-<em class="gesperrt">abgehen</em>, <em class="gesperrt">abfahren</em>, <em class="gesperrt">absenden</em>, <em class="gesperrt">abspringen</em>,
-<em class="gesperrt">abnehmen</em>, <em class="gesperrt">abreißen</em>, <em class="gesperrt">abhauen</em>, <em class="gesperrt">abschneiden</em>
-usw.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Anschneiden</em> und <em class="gesperrt">aufrollen</em>. Eine Frage, ein Thema wird
-nicht mehr <em class="gesperrt">berührt</em>, <em class="gesperrt">angeregt</em> – das ist viel zu fein –,
-sondern entweder werden sie <em class="gesperrt">angeschnitten</em>, wie eine Blutwurst,
-oder sie werden <em class="gesperrt">aufgerollt</em>, wie ein Treppenläufer oder eine
-Linoleumrolle. Das ist die Bildersprache der Gegenwart! Und wenn eine
-Frage dann <em class="gesperrt">aufgerollt</em> oder <em class="gesperrt">angeschnitten</em> ist, dann
-kommt es darauf an, sich ein tüchtiges Stück <em class="gesperrt">abzuschneiden</em>.
-Gelingt einem das, dann hat man <em class="gesperrt">gut abgeschnitten</em>, das soll
-heißen: man ist gut dabei weggekommen. Wie wird Deutschland dabei
-<em class="gesperrt">abschneiden</em>?</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Auslösen.</em> Für <em class="gesperrt">erregen</em>, <em class="gesperrt">wecken</em>, <em class="gesperrt">hervorrufen</em>,
-<em class="gesperrt">veranlassen</em>. Aus der Mechanik, wo es so viel bedeutet, wie durch
-Beseitigung einer Hemmung irgend etwas in Bewegung oder Tätigkeit
-setzen: der Dichter will uns nicht seine Gedanken aufnötigen, sondern
-unsre eignen Gedanken <em class="gesperrt">auslösen</em> – ein Wort, das gerade in
-diesem Zusammenhange eigentümliche Empfindungen <em class="gesperrt">auslösen</em> mußte
-– ob ein Unlustgefühl eine Handlung <em class="gesperrt">auszulösen</em> imstande ist
-– Eindrücke, die leicht pathologische Reize <em class="gesperrt">auslösen</em> –
-durch frische Luft wird körperliches Wohlbefinden <em class="gesperrt">ausgelöst</em>
-– allgemeine Heiterkeit <em class="gesperrt">löste</em> folgender Vorfall <em class="gesperrt">aus</em>.
-Aber auch: manche lyrische Gedichte Goethes lassen sich in der
-Musik nicht voll (!) <em class="gesperrt">auslösen</em> – in den ersten Monaten
-seiner Universitätszeit <em class="gesperrt">löste sich</em> (!) bei ihm eine kräftige
-Fuchsenstimmung <em class="gesperrt">aus</em>. Schön gesagt!</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Ausschalten.</em> Für <em class="gesperrt">beseitigen</em>, <em class="gesperrt">fernhalten</em>,
-<em class="gesperrt">vermeiden</em>, <em class="gesperrt">unnötig machen</em>, <em class="gesperrt">aufgeben</em> usw.: der
-Einfluß des Charakters kann natürlich nicht <em class="gesperrt">ausgeschaltet</em>
-werden – nachdem alle andern Projekte <em class="gesperrt">ausgeschaltet</em> sind – um
-sprachliche Erklärungen des Textes von vornherein <em class="gesperrt">auszuschalten</em>.
-Man muß doch zeigen,<span class="pagenum" id="Seite_376">[S. 376]</span> daß man mit dem Telephon und dem elektrischen
-Licht Bescheid weiß.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Bedeuten.</em> Gespreizter Ersatz für <em class="gesperrt">sein</em>, für die ganz
-einfache „Kopula“: sein Tod <em class="gesperrt">bedeutet</em> für die gesamte Kunst
-einen schweren Verlust – eine dreiköpfige Leitung würde eine äußerst
-bedenkliche Einrichtung <em class="gesperrt">bedeuten</em> – die Schülerfahrt nach Weimar
-soll für jeden Teilnehmer ein unvergeßliches Erlebnis <em class="gesperrt">bedeuten</em>
-– welche Ermäßigung das gegenüber dem jetzigen Tarif <em class="gesperrt">bedeuten</em>
-würde, mag folgendes Beispiel zeigen – diese Art der Einordnung
-<em class="gesperrt">bedeutet</em> einen willkürlichen Anachronismus – Gobineaus letzte
-Lebensjahre <em class="gesperrt">bedeuten</em> den Schlußakt eines erschütternden
-Trauerspiels – der Tod der Königin <em class="gesperrt">bedeutete</em> für Southampton
-das Ende der Kerkerhaft. (Vgl. <em class="gesperrt">darstellen</em>.)</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Begrüßen.</em> Neuerdings sehr beliebt statt: <em class="gesperrt">willkommen
-heißen</em>. <em class="gesperrt">Begrüßen</em> ist aber ein neutraler Begriff; man
-kann etwas mit Freuden, mit Jubel, dankbar, aber auch kühl,
-gleichgiltig, mit sauersüßer Miene begrüßen. Es ist also nichtssagend,
-wenn geschrieben wird: es wäre zu <em class="gesperrt">begrüßen</em>, wenn solche
-Untersuchungen weiter angestellt würden – daß Bach mit Chorälen
-vertreten ist, kann man nur <em class="gesperrt">begrüßen</em> – wir müssen es immer
-<em class="gesperrt">begrüßen</em>, wenn ein Mann der Wissenschaft die Gabe volkstümlicher
-Darstellung besitzt (!).</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Bekannt geben.</em> Für <em class="gesperrt">bekannt machen</em>, weil <em class="gesperrt">machen</em>
-nicht mehr für fein gilt. Freilich wird ein bißchen viel
-<em class="gesperrt">gemacht</em>: ein Mädchen <em class="gesperrt">macht</em> sich erst die Haare, dann
-<em class="gesperrt">macht</em> sie die Betten, dann <em class="gesperrt">macht</em> sie Feuer usw. Sonntags
-<em class="gesperrt">macht</em> der Leipziger sogar nach Dresden. Trotzdem ist <em class="gesperrt">bekannt
-geben</em> eine Abgeschmacktheit.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Sich beziffern.</em> Statt <em class="gesperrt">betragen</em>, <em class="gesperrt">sich belaufen</em>.
-Aus der Statistik, die ja keine <em class="gesperrt">Zahlen</em> kennt, sondern
-nur <em class="gesperrt">Ziffern</em> (obwohl sich Ziffer zu Zahl verhält wie
-Buchstabe zu Laut und Note zu Ton): Bevölkerungs<em class="gesperrt">ziffer</em>,
-Durchschnitts<em class="gesperrt">ziffer</em> – ich kann Ihnen noch einige <em class="gesperrt">Ziffern</em>
-vorlegen – das Personal <em class="gesperrt">beziffert sich</em> auf hundert Köpfe – der
-Verlust <em class="gesperrt">beziffert sich</em> auf 30000 Mann usw.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_377">[S. 377]</span></p>
-
-<p><em class="gesperrt">Darstellen.</em> Schauderhaft gespreizter Ersatz für <em class="gesperrt">bilden</em> in
-dem Sinne von <em class="gesperrt">sein</em> (vgl. <em class="gesperrt">bedeuten</em>). Schon <em class="gesperrt">bilden</em>
-war überflüssige Ziererei, wenn man an seine eigentliche Bedeutung
-denkt. Nun vollends <em class="gesperrt">darstellen</em>! Und doch wird jetzt nur
-noch geschrieben: ein Staatspapier, wie es unsre Konsols bisher
-<em class="gesperrt">darstellten</em> – der Jahresbericht, den die zweite Lieferung des
-Buches <em class="gesperrt">darstellt</em> – das Geschwader <em class="gesperrt">stellt</em> eine bedeutende
-Streitmacht <em class="gesperrt">dar</em> – die Zusammenkünfte sollen ein kollegiales
-Bindemittel <em class="gesperrt">darstellen</em> – diese Bahn <em class="gesperrt">stellt</em> den nächsten
-Landweg von Mitteleuropa nach Indien <em class="gesperrt">dar</em> – diese Beschäftigung
-<em class="gesperrt">stellt</em> keine ausreichende Tätigkeit <em class="gesperrt">dar</em> – die
-Menschheit, die trotz aller Mängel doch nicht bloß eine Schar von armen
-Sündern <em class="gesperrt">darstellt</em> – Bücherschätze, die ein herrliches Zeugnis
-für die Freigebigkeit früherer Jahrhunderte <em class="gesperrt">darstellen</em> – die
-Akademie <em class="gesperrt">stellt</em> einen zusammenhängenden Organismus <em class="gesperrt">dar</em>
-– ein Gebiet, das an dem großen Baume des Kunstgewerbes nur einen Ast
-<em class="gesperrt">darstellt</em> – ein Unternehmen, bei dem die hochtönenden Namen
-offenbar die Hauptsache <em class="gesperrt">darstellen</em> – das Fleisch der Seefische
-<em class="gesperrt">stellt</em> auch für den Arbeiter ein vollwertiges Nahrungsmittel
-<em class="gesperrt">dar</em> – unterliegt ein Volk seinem Gegner, so bleibt nur der
-Schluß, daß es einen weniger lebensfähigen Typ (!) repräsentiert (!),
-als ihn der Sieger <em class="gesperrt">darstellt</em> (d.&#160;h. nicht so lebensfähig ist wie
-der Sieger!). Kann es einen alberneren Sprachschwulst geben?</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Einschätzen.</em> Es wird nichts mehr <em class="gesperrt">geschätzt</em>,
-<em class="gesperrt">beurteilt</em>, für etwas <em class="gesperrt">gehalten</em>, sondern alles wird
-<em class="gesperrt">eingeschätzt</em>: ein Buch, das der Kritiker dieses Blattes <em class="gesperrt">hoch
-einschätzt</em> – ein Parteifreund, der die ultramontane Gefahr minder
-hoch <em class="gesperrt">einschätzt</em> – man muß sich selbst beobachten und studieren,
-um seine Fähigkeiten richtig <em class="gesperrt">einzuschätzen</em> – sie nahm zu einem
-Manne ihre Zuflucht, dessen Charakter sie falsch <em class="gesperrt">einschätzte</em>
-– auch die <em class="gesperrt">Einschätzung</em> der künstlerischen Tätigkeit ist dem
-Wechsel der Zeiten unterworfen – 1849 gab es nicht einen Menschen,
-der Goethes Wert richtig <em class="gesperrt">einschätzte</em> – das Buch ermöglicht uns
-eine richtige <em class="gesperrt">Einschätzung</em> der Verhältnisse unsers Grenznachbars
-–<span class="pagenum" id="Seite_378">[S. 378]</span> ein Diplomat, der die Gewähr bietet, daß er Stimmungen und
-Personen aus eigner Anschauung <em class="gesperrt">einzuschätzen</em> weiß – sein
-Idealismus <em class="gesperrt">schätzte</em> den Opfermut seiner Landsleute zu hoch, die
-Schwierigkeiten zu niedrig <em class="gesperrt">ein</em> – Zöllners Musik zur Versunknen
-Glocke ist höher <em class="gesperrt">einzuschätzen</em> als seine Faustmusik. Warum
-denn <em class="gesperrt">ein</em>-? <em class="gesperrt">Eingeschätzt</em> wird man bei der Steuer, sonst
-nirgends. Dort hat das <em class="gesperrt">ein</em>- seinen guten Sinn, denn man wird
-durch die Schätzung in eine bestimmte Steuerklasse gesetzt, und daran
-hängt die Verpflichtung, eine bestimmte Steuer zu bezahlen. Irgendein
-dummer Kerl hat das Wort für <em class="gesperrt">schätzen</em>, <em class="gesperrt">beurteilen</em>
-gebraucht, und die gescheitesten Leute sind darauf hineingefallen.
-Hat man gar kein Gefühl mehr für die Bedeutung eines Wortes, daß man
-solchen Unsinn sagt, wie hohe <em class="gesperrt">Einschätzung</em> der Kunst? Muß man
-denn auf Schritt und Tritt an den Steuerzettel erinnert werden?</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Einsetzen.</em> Seit einigen Jahren großartiges Modewort für
-<em class="gesperrt">anfangen</em> und <em class="gesperrt">beginnen</em>, und gleichfalls eins der
-schlagendsten Beispiele von der Gedankenlosigkeit, mit der solche
-Wörter nachgeplärrt werden. Das Wort ist von den Musikschreibern in
-die Mode gebracht worden. In einer Fuge <em class="gesperrt">setzen</em> die einzelnen
-Stimmen hintereinander <em class="gesperrt">ein</em>, jede Stimme nämlich in das, was
-die vorhergehende schon singt. Das hat guten Sinn. Aber die erste
-Stimme – <em class="gesperrt">setzt</em> die auch <em class="gesperrt">ein</em>? Nein, die <em class="gesperrt">beginnt</em>
-oder <em class="gesperrt">fängt an</em>, denn sie ist eben die erste. Und das ist nun
-der Blödsinn, und diesen Blödsinn haben die Musikschreiber selbst
-aufgebracht, daß <em class="gesperrt">einsetzen</em> als Modewort ausschließlich für
-das wirkliche <em class="gesperrt">anfangen</em> oder <em class="gesperrt">beginnen</em> gebraucht wird,
-außerdem aber noch für viele andre Wörter, auf die man zu faul ist
-sich zu besinnen. Bücher und Zeitungen wimmeln von Beispielen: die
-Untersuchungen über die Grenzen der Instrumentalmusik <em class="gesperrt">setzen</em>
-erst nach Beethoven <em class="gesperrt">ein</em> – die Festspiele haben Mittwoch
-mit Don Juan unter sehr günstigem Stern <em class="gesperrt">eingesetzt</em> – ihre
-greifbarste Gestalt haben diese Bestrebungen in dem <em class="gesperrt">Einsetzen</em>
-(Entstehung, Gründung) der deutschen Liedertafeln – die
-Verhandlungen <em class="gesperrt">setzten</em> sehr ruhig <em class="gesperrt">ein</em> – überaus
-heftig <em class="gesperrt">setzte</em><span class="pagenum" id="Seite_379">[S. 379]</span> alsbald die Kritik <em class="gesperrt">ein</em> – groß und
-vielversprechend <em class="gesperrt">setzt</em> Klingers Schaffen <em class="gesperrt">ein</em> – die
-Kampftage waren vorüber, das Strafgericht <em class="gesperrt">setzte</em> mit alter
-Herzlosigkeit <em class="gesperrt">ein</em> – die Romantik <em class="gesperrt">setzt</em> in Dresden
-früh und mit Entschiedenheit <em class="gesperrt">ein</em> – damit hat Uhlfeldt sein
-Schicksal besiegelt, und die fallende Handlung <em class="gesperrt">setzt ein</em> –
-die Kunst kann erst <em class="gesperrt">einsetzen</em>, wenn dem Schauspieler die
-Seele der dargestellten Person in Fleisch und Blut übergegangen ist
-– die Mode, bei Abendgesellschaften farbige Schuhe zu tragen, hat
-schon <em class="gesperrt">eingesetzt</em> – hier hört der Historiker auf, und der
-Theolog <em class="gesperrt">setzt ein</em> – Paul Krügers Memoiren <em class="gesperrt">setzen</em> mit
-seiner Jugend <em class="gesperrt">ein</em> – die aufbewahrten Schreiben von Freytags
-Hand <em class="gesperrt">setzen</em> mit dem Jahre 1854 <em class="gesperrt">ein</em> – die heutige
-Verhandlung <em class="gesperrt">setzte</em> mit einem Briefe Schmidts <em class="gesperrt">ein</em> –
-dogmatische Spekulation <em class="gesperrt">setzte</em> schon zur Zeit der Entstehung
-der Evangelien <em class="gesperrt">ein</em> – in dieser Zeit scheinen seine Bemühungen
-um eine Professur <em class="gesperrt">einzusetzen</em> – die Scheidung der Mundarten
-hat bereits im sechzehnten Jahrhundert <em class="gesperrt">eingesetzt</em> – der
-wirtschaftliche Niedergang <em class="gesperrt">setzte</em> im Jahre 1901 <em class="gesperrt">ein</em>
-– im Frühjahr <em class="gesperrt">setzt</em> regelmäßig eine stärkere Bautätigkeit
-<em class="gesperrt">ein</em> – das Erdbeben <em class="gesperrt">setzte</em> 5 Uhr 30 Minuten <em class="gesperrt">ein</em>
-– die schon früh <em class="gesperrt">einsetzende</em> Dunkelheit erhöht die Gefahr
-– als ob die Brauchbarkeit der Halle bewiesen werden sollte,
-<em class="gesperrt">setzte</em> am Nachmittag ein gelinder Regen <em class="gesperrt">ein</em> – ja sogar:
-für die diesjährige Saison haben die Fabrikanten mit billigen Preisen
-<em class="gesperrt">eingesetzt</em> (!) – die Diskussion in der Presse <em class="gesperrt">beginnt</em>
-(!) bereits <em class="gesperrt">einzusetzen</em> – es <em class="gesperrt">beginnt</em> (!) hier eine
-Entwicklung <em class="gesperrt">einzusetzen</em>, die möglicherweise zu irrigen Schlüssen
-führen könnte. Wem diese Beispiele den Appetit noch nicht verdorben
-haben, der sammle in den nächsten drei Tagen selber weiter, bis ihm der
-Appetit vergeht. Vernünftigen Sinn hat es, wenn man schreibt: Hier muß
-die Wissenschaft <em class="gesperrt">einsetzen</em>, wenn sie zu einer befriedigenden
-Lösung der Frage kommen will; denn hier schwebt ein ganz andres Bild
-vor, nämlich das vom Einsetzen oder Ansetzen des Hebels. Aber Unsinn
-ist es wieder, zu schreiben: Hier will mein Buch <em class="gesperrt">einsetzen</em> (für
-<em class="gesperrt">eingreifen</em>, <em class="gesperrt">einspringen</em>, <em class="gesperrt">in die Lücke treten</em>).</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_380">[S. 380]</span></p>
-
-<p><em class="gesperrt">Einstellen.</em> Aus der Sprache des Photographen, der die
-Camera einstellt: der Blick, die Aufmerksamkeit muß auf diesen
-Punkt <em class="gesperrt">eingestellt</em> werden. Warum denn nicht: <em class="gesperrt">gelenkt</em>,
-<em class="gesperrt">gerichtet</em>, <em class="gesperrt">geleitet</em>?</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Entgegennehmen.</em> Spreizwort für <em class="gesperrt">annehmen</em>. Anfangs nahm
-bloß der Kaiser das Beglaubigungsschreiben des Botschafters eines
-auswärtigen Souveräns <em class="gesperrt">entgegen</em>. Das <em class="gesperrt">entgegen</em> malte das
-Zeremoniell der feierlichen Handlung. Jetzt werden auch Geldbeiträge
-für öffentliche Sammlungen, Blumenspenden für Begräbnisse, Anmeldungen
-neuer Schüler, Inserate für die nächste Nummer, Bestellungen auf das
-nächste Quartal nur noch <em class="gesperrt">entgegengenommen</em> – immer feierlich,
-herablassend. Sogar die Kürschnergesellen nehmen ihren Jahresbericht
-<em class="gesperrt">entgegen</em>, und der Angeklagte <em class="gesperrt">nimmt</em> das Todesurteil
-gefaßt, das Publikum aber <em class="gesperrt">nimmt</em> es mit tiefem Schweigen
-<em class="gesperrt">entgegen</em>.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Erübrigen</em> und <em class="gesperrt">sich erübrigen</em>. Ein schlagendes Beispiel
-dafür, welche Verwirrung durch überflüssige und halbverstandne
-Neubildungen angerichtet werden kann. <em class="gesperrt">Erübrigen</em> war bisher
-ein transitives Zeitwort und bedeutete so viel wie <em class="gesperrt">sparen</em>,
-<em class="gesperrt">zurücklegen</em>: ich habe mir schon ein hübsches Sümmchen
-<em class="gesperrt">erübrigt</em>. Das hat man neuerdings angefangen intransitiv zu
-gebrauchen in dem Sinne von <em class="gesperrt">übrig bleiben</em>: es <em class="gesperrt">erübrigt</em>
-noch, allen denen meinen Dank auszusprechen – es <em class="gesperrt">erübrigt</em>
-nur noch, besonders darauf hinzuweisen usw. Andre aber, die das Wort
-wohl hatten klingen hören, aber nicht auf den Zusammenhang geachtet
-hatten, fingen gleichzeitig an, es in dem Sinne von <em class="gesperrt">überflüssig
-sein</em> zu gebrauchen: auf die ganze Tagesordnung <em class="gesperrt">erübrigt</em>
-es heute einzugehen – hier <em class="gesperrt">erübrigt</em> jedes weitere Wort – es
-<em class="gesperrt">erübrigt</em> für mich jede weitere Bemerkung – ein ausdrücklicher
-Verzicht <em class="gesperrt">erübrigt</em> von selbst. Noch andre endlich machten
-das Wort in der zweiten Anwendung zum Reflexiv und schrieben: die
-Ratschläge, deren Wiedergabe <em class="gesperrt">sich erübrigt</em> – alle weitern
-Schritte <em class="gesperrt">erübrigen sich</em> hierdurch – es <em class="gesperrt">erübrigt sich</em>
-wohl, noch besonders darauf hinzuweisen – es <em class="gesperrt">erübrigt sich</em>,
-auch nur ein Wort darüber zu verlieren. In solchen Quatsch gerät<span class="pagenum" id="Seite_381">[S. 381]</span> man,
-wenn man vor lauter Modenarrheit zwei guten, deutlichen Ausdrücken wie
-<em class="gesperrt">übrig bleiben</em> und <em class="gesperrt">überflüssig sein</em> aus dem Wege geht.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Erzielen.</em> Ausschließlicher Ersatz für <em class="gesperrt">erreichen</em>.
-<em class="gesperrt">Erreicht</em> wird nichts mehr; Nutzen, Gewinn, Vorteil, Ergebnisse,
-Erfolge, alles wird <em class="gesperrt">erzielt</em>.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Führen.</em> Statt <em class="gesperrt">hervorragen</em>, <em class="gesperrt">Bahn brechen</em>, <em class="gesperrt">den
-Ton angeben</em>. Man spricht nur noch von <em class="gesperrt">führenden</em> Geistern,
-Denkern, Persönlichkeiten, Kunstschriftstellern, Chirurgen, von der
-<em class="gesperrt">führenden</em> Presse, von Leuten, die eine <em class="gesperrt">führende</em> Stelle
-oder Stellung einnehmen, eine <em class="gesperrt">führende</em> Rolle spielen, und
-Henckell Trocken ist die <em class="gesperrt">führende</em> Marke! Bei <em class="gesperrt">hervorragen</em>
-sah man gleichsam eine stillstehende Reihe oder Gruppe vor sich; bei
-<em class="gesperrt">führen</em> sieht man die ganze Bande marschieren, und zwar im
-Gänsemarsch.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Im Gefolge haben.</em> Modephrase für: <em class="gesperrt">zur Folge haben</em>. Bisher
-hatte nur ein Fürst ein Gefolge; jetzt heißt es: die Not <em class="gesperrt">hat</em>
-Unzufriedenheit <em class="gesperrt">im Gefolge</em> – Reformen, die die Schmälerung des
-Profits <em class="gesperrt">im Gefolge haben</em> könnten – anarchistische Bestrebungen,
-die reaktionäre Maßregeln <em class="gesperrt">im Gefolge haben</em> – der Fall
-<em class="gesperrt">hatte</em> eine fünfjährige Freiheitsstrafe <em class="gesperrt">im Gefolge</em> –
-es ist nicht zu verkennen, daß die Preßfreiheit auch schwere Schäden
-<em class="gesperrt">im Gefolge hatte</em>. Man überlege sich nur, was für Unsinn man da
-hinschreibt!</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Gestatten.</em> Feiner Ersatz für <em class="gesperrt">erlauben</em>, das ganz ins
-alte Eisen geworfen ist. Hat aber seine Laufbahn ziemlich rasch
-zurückgelegt. Auch der Handlanger sagt schon, ehe er einem auf die Füße
-tritt: <em class="gesperrt">Gestatten!</em> so gut wie er schon die Zigarette nachlässig
-zwischen den Lippen hängen hat. Wo bleibt nun die Feinheit?</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Landen für ankommen.</em> Anfangs als Scherz, jetzt aber in vollem
-Ernst geschrieben: als Schiffbrüchiger <em class="gesperrt">landete</em> er in Rom –
-1842 war Wagner nach langer Wanderung in Dresden <em class="gesperrt">gelandet</em>
-(wahrscheinlich kam er mit dem Schandauer Dampfschiff).</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Rechnung tragen.</em> Beliebte Phrase des Kanzleistils und bequemer
-Ersatz für alle möglichen Zeitwörter<span class="pagenum" id="Seite_382">[S. 382]</span> und Redensarten: wir sind bemüht,
-diesen Beschwerden <em class="gesperrt">Rechnung zu tragen</em> (<em class="gesperrt">abzuhelfen</em>!) –
-Ihrem Wunsche, den Gebrauch der Fremdwörter einzuschränken, werden
-wir gern <em class="gesperrt">Rechnung tragen</em> (<em class="gesperrt">erfüllen</em>!) – es finden sich
-Bearbeitungen von den einfachsten bis zu den schwierigsten, sodaß allen
-Vereinen <em class="gesperrt">Rechnung getragen</em> ist (<em class="gesperrt">Rücksicht genommen</em>!)
-– es war zu erwarten, daß das Volk durch eine Landestrauer seinen
-Gefühlen <em class="gesperrt">Rechnung tragen</em> würde (<em class="gesperrt">Ausdruck geben</em>!)
-– dieser Auffassung haben wir auch <em class="gesperrt">Rechnung getragen</em>
-(<em class="gesperrt">bestätigt</em>!) – wie wenig die Verwaltung diesem Grundsatz
-<em class="gesperrt">Rechnung getragen</em> hat (<em class="gesperrt">gefolgt ist</em>!).</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Schreiten</em>, <em class="gesperrt">beschreiten</em>, <em class="gesperrt">verschreiten</em>. Für
-<em class="gesperrt">gehen</em> oder <em class="gesperrt">sich wenden</em>. Man <em class="gesperrt">schreitet</em>, oder
-noch lieber: man <em class="gesperrt">verschreitet</em> zur Wahl, zur Abstimmung, zur
-Veröffentlichung, zur Operation, ja sogar zum Aufgießen des Tees.
-Fürsten <em class="gesperrt">gehen</em> nie, sie <em class="gesperrt">schreiten</em> immer: der Kaiser
-<em class="gesperrt">schritt</em> zunächst durch die Sammlung der Musikinstrumente. Aber
-auch: die Maori <em class="gesperrt">schreiten</em> unaufhaltsam ihrem Untergang entgegen
-– immer mit gehobnen und gestreckten Beinen, wie die Rekruten auf dem
-Drillplatze.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Tragen.</em> Feierlicher Ersatz für <em class="gesperrt">bringen</em>: wir <em class="gesperrt">tragen</em>
-dem Kaiser Liebe und Vertrauen <em class="gesperrt">entgegen</em>. Nur schade, daß
-man einem nur etwas in den Händen oder auf einem Präsentierteller
-<em class="gesperrt">entgegentragen</em> kann, in seinem Innern aber doch nur
-<em class="gesperrt">entgegenbringen</em>. Ganz besonders aber ist <em class="gesperrt">getragen sein</em>
-jetzt beliebtes Spreizwort für <em class="gesperrt">erfüllt sein</em>: von künstlerischer
-Überzeugung <em class="gesperrt">getragen</em> – von patriotischer Wärme <em class="gesperrt">getragen</em>
-– von religiöser Gläubigkeit <em class="gesperrt">getragen</em> – von wissenschaftlichem
-Ernst <em class="gesperrt">getragen</em> – von düsterm Pessimismus <em class="gesperrt">getragen</em> –
-eine von hoher Begeisterung <em class="gesperrt">getragene</em> Rede – eine fesselnde,
-von staunenswerter Belesenheit <em class="gesperrt">getragene</em> Darstellung – eine von
-froher Geselligkeit <em class="gesperrt">getragene</em> Veranstaltung – die geräuschlose,
-von warmer Fürsorge für die Jugend <em class="gesperrt">getragene</em> Arbeit – der
-Kommers nahm einen von echt studentischem Geiste <em class="gesperrt">getragenen</em>
-Verlauf – der Empfang des<span class="pagenum" id="Seite_383">[S. 383]</span> Kaisers war von herzlicher Begeisterung
-<em class="gesperrt">getragen</em> usw. Man muß immer an einen Luftballon denken.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Treten.</em> Ebenso beliebt wie <em class="gesperrt">schreiten</em>. Einer Frage
-wird näher <em class="gesperrt">getreten</em>, das Ministerium ist zu einer Beratung
-zusammen<em class="gesperrt">getreten</em>, und besonders gern wird in etwas
-<em class="gesperrt">eingetreten</em>: Arbeiter <em class="gesperrt">treten</em> in einen Streik, sogar
-in einen Ausstand <em class="gesperrt">ein</em>, eine Versammlung <em class="gesperrt">tritt</em> in eine
-Verhandlung <em class="gesperrt">ein</em>, der Reichskanzler ist in ernstliche Erwägungen
-<em class="gesperrt">eingetreten</em>, und der Gelehrte schreibt: ich will auf dieses
-Gebiet hier nicht näher <em class="gesperrt">eintreten</em> – ich mag hier nicht in den
-Streit über die Bedeutung Hamerlings <em class="gesperrt">eintreten</em>. Das schönste
-aber ist: <em class="gesperrt">in die Erscheinung treten</em> (statt <em class="gesperrt">erscheinen</em>
-oder <em class="gesperrt">zur Erscheinung kommen</em>): es ist bei dieser Gelegenheit
-scharf (!) <em class="gesperrt">in die Erscheinung getreten</em> (es hat sich deutlich
-gezeigt) – dabei <em class="gesperrt">tritt</em> das Gesetz <em class="gesperrt">in die Erscheinung</em>
-(dabei kann man beobachten) – es zeigten sich Krankheitssymptome,
-die immer intensiver <em class="gesperrt">in die Erscheinung traten</em> – der Zustand
-der Herzschwäche <em class="gesperrt">trat</em> vermindert <em class="gesperrt">in die Erscheinung</em>
-– es handelt sich um eine Krankheit des modernen Lebens, die hier
-in besonders krasser Weise <em class="gesperrt">in die Erscheinung tritt</em> –
-Unregelmäßigkeiten <em class="gesperrt">treten</em> um so mehr <em class="gesperrt">in die Erscheinung</em>,
-je kleiner das Beobachtungsfeld ist – hier <em class="gesperrt">tritt</em> nie eine so
-starke territoriale Zersplitterung <em class="gesperrt">in die Erscheinung</em> – das
-Gesamtleben des Reichs <em class="gesperrt">tritt</em> in der Hauptstadt konzentriert
-<em class="gesperrt">in die Erscheinung</em> – das Nachtleben <em class="gesperrt">tritt</em> in Berlin weit
-auffälliger <em class="gesperrt">in die Erscheinung</em> – ja sogar der neue Spielplan
-wird zu Neujahr <em class="gesperrt">in die Erscheinung treten</em>. Wie vornehm glauben
-sich die Leute mit diesem ewigen Getrete auszudrücken, und – wie
-albern ist es!</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Vertrauen.</em> Mit nachfolgendem Objektsatz (!), statt
-<em class="gesperrt">hoffen</em>, <em class="gesperrt">glauben</em>, <em class="gesperrt">überzeugt sein</em>: das Ministerium
-<em class="gesperrt">vertraut, daß</em> der eingerissene Mißbrauch bald wieder abgestellt
-sein werde – die Leser können <em class="gesperrt">vertrauen, daß</em> wir bei der
-Feststellung des Textes die größte Vorsicht haben walten lassen.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Vorbestrafen.</em> Lieblingswort aller Polizeireporter und
-aller Berichterstatter über Gerichtsverhandlungen:<span class="pagenum" id="Seite_384">[S. 384]</span> ein schon
-zehnmal <em class="gesperrt">vorbestrafter</em> Kellner – ein schon fünfzehnmal
-<em class="gesperrt">vorbestrafter</em> Riemergeselle – ein schon vielfach, sogar mit
-Zuchthaus, <em class="gesperrt">vorbestraftes</em> Subjekt. Als ob nicht <em class="gesperrt">bestraft</em>
-genügte! Müssen denn nicht, wenn einer „schon oft“ bestraft worden ist,
-diese Strafen <em class="gesperrt">vor</em> der liegen, die ihn jetzt erwartet! Der Unsinn
-ist aber nicht auszurotten. Vielleicht schreibt man nächstens auch
-noch: eine bisher noch <em class="gesperrt">unvorbestrafte</em> Verkäuferin.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Vorsehen</em>, nicht als reflexives, sondern als transitives
-Zeitwort: <em class="gesperrt">etwas vorsehen.</em> Binnen wenigen Jahren mit ungeheurer
-Schnelligkeit in der Kanzlei- und Zeitungssprache verbreitet, für
-denkfaule Leute wieder ein willkommner Ersatz für alle möglichen
-Zeitwörter. Auf dem Gymnasium wird man im lateinischen Unterricht
-ermahnt, <span class="antiqua">providere</span> ja nicht mit <em class="gesperrt">vorsehen</em> zu übersetzen,
-es sei das ein gemeiner Latinismus; gut übersetzt heiße es: für etwas
-<em class="gesperrt">sorgen</em>, <em class="gesperrt">Fürsorge</em> oder <em class="gesperrt">Vorsorge treffen</em>, etwas
-<em class="gesperrt">vorbereiten</em>. Dieser „gemeine Latinismus“ ist der neueste Stolz
-der Kanzlei- und Zeitungssprache: Sache der Übungsbücher ist es, eine
-geordnete Folge von Übungen <em class="gesperrt">vorzusehen</em> – zur Erhöhung der
-Beamtengehalte sind für das Jahr 1904 keine Mittel <em class="gesperrt">vorgesehen</em>
-– die Erstaufführung (!) ist für die Saison 1903 am Leipziger
-Stadttheater <em class="gesperrt">vorgesehen</em> – als Verbindung zwischen beiden
-Straßen ist eine Allee <em class="gesperrt">vorgesehen</em> – für die Rasenrabatten
-ist die übliche niedrige Einfassung <em class="gesperrt">vorgesehen</em> – für den
-Speisesaal ist Rokoko <em class="gesperrt">vorgesehen</em> – die Selbstregierung, die
-das Friedensinstrument <em class="gesperrt">vorsieht</em> – die zu einer Ferienreise
-<em class="gesperrt">vorgesehenen</em> Ersparnisse der Schulkinder – das Richtfest der
-hiesigen Kirche ist auf Sonnabend den 5. November <em class="gesperrt">vorgesehen</em> –
-für den Besuch Sr. Majestät in der Handelsschule ist folgendes Programm
-<em class="gesperrt">vorgesehen</em> – für den Abend ist ein Fackelzug <em class="gesperrt">vorgesehen</em>
-usw. Also <em class="gesperrt">sorgen</em>, <em class="gesperrt">beabsichtigen</em>, <em class="gesperrt">planen</em>,
-<em class="gesperrt">bestimmen</em>, <em class="gesperrt">festsetzen</em> – alles wird mit diesem aus reiner
-Dummheit dem Lateinischen nachgeäfften <em class="gesperrt">vorsehen</em> ausgedrückt!</p>
-
-<p><em class="gesperrt">In die Wege leiten.</em> Herrliche neue Modephrase der Amts- und
-Zeitungssprache für – ja, wofür?<span class="pagenum" id="Seite_385">[S. 385]</span> Eigentlich für gar nichts. Anstatt
-einfach zu sagen: es wurde eine starke Seemacht <em class="gesperrt">geschaffen</em> –
-er hat mancherlei Technisches <em class="gesperrt">unternommen</em> – die Veranstaltung
-wird schon jetzt <em class="gesperrt">vorbereitet</em> – es wäre zu wünschen, daß ein
-solches Amt <em class="gesperrt">eingerichtet</em> würde – heißt es: die Schaffung
-einer starken Seemacht wurde <em class="gesperrt">in die Wege geleitet</em> – er hat
-mancherlei technische Unternehmungen <em class="gesperrt">in die Wege geleitet</em>
-– die Vorbereitungen zu der Anstalt werden bereits <em class="gesperrt">in die Wege
-geleitet</em> – es wäre zu wünschen, daß die Organisation eines solchen
-Amtes <em class="gesperrt">in die Wege geleitet</em> würde. Und ein Unterbeamter schreibt
-an den andern: ich bitte, das Weitere baldgefälligst (!) <em class="gesperrt">in die Wege
-leiten</em> zu wollen.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Werten</em> und <em class="gesperrt">bewerten</em>. Neben <em class="gesperrt">einschätzen</em>
-(vgl. <a href="#Seite_377">S. 377</a>) seit kurzem äußerst beliebte Spreizwörter für <em class="gesperrt">schätzen</em>,
-<em class="gesperrt">beurteilen</em>, <em class="gesperrt">für etwas ansehen</em> oder <em class="gesperrt">halten</em>. Bisher
-kannte man nur <em class="gesperrt">verwerten</em> und <em class="gesperrt">entwerten</em>. Jetzt wird
-aber alles <em class="gesperrt">gewertet</em> oder <em class="gesperrt">bewertet</em>: in Schlesien weiß
-man die Kraft, die aus der Muttererde strömt, wohl zu <em class="gesperrt">werten</em>
-– diese Luxusausgaben werden im Handel bereits hoch <em class="gesperrt">bewertet</em>
-– seine Schriften verraten eine selten (!) hohe <em class="gesperrt">Wertung</em> der
-Ehe – es drängt sich die Frage auf, wie ein sächsischer Offizier
-einem preußischen gegenüber zu <em class="gesperrt">bewerten</em> sei – wir können
-diese Urteile nicht als Urteile eines ernsthaften Journalisten
-<em class="gesperrt">bewerten</em> – diese Abweichung von der Regel dürfte als nicht
-ganz sachgemäß <em class="gesperrt">bewertet</em> werden – man muß die Ausdrucksweise
-einer Zeit kennen, wenn man ihre Freundschaften und Liebschaften
-<em class="gesperrt">bewerten</em> will – die Monarchenzusammenkunft wird in der N. A.
-Z. mit folgenden Worten <em class="gesperrt">gewertet</em> – beide, er wie sie, wollen
-selbständig <em class="gesperrt">gewertet</em> werden – bei der wissenschaftlichen
-<em class="gesperrt">Wertung</em> des Problems tut vor allem Nüchternheit not – man muß
-die juristische <em class="gesperrt">Bewertung</em> des Falles abwarten – ja sogar: die
-<em class="gesperrt">Bewertung</em> und <em class="gesperrt">Beurteilung</em> (!) dieser Bilder wird neu
-festzustellen und zu modifizieren sein – was eine Südländerin von
-Temperament als Lebensforderung <em class="gesperrt">einschätzt</em> und <em class="gesperrt">wertet</em>
-(!) – und das Neueste und Schönste<span class="pagenum" id="Seite_386">[S. 386]</span> von allem: baugeschichtliche
-Feststellungen geben uns die Möglichkeit, die Entstehungsbedingungen
-dieser Baukunst sicher <em class="gesperrt">einzuwerten</em> (also aus <em class="gesperrt">werten</em>
-und <em class="gesperrt">einschätzen</em> ein drittes Wort zusammengeknetet!). Woher
-stammen die herrlichen Wörter? Aus der Börsensprache, die von der
-<em class="gesperrt">Bewertung</em> des umlaufenden Edelmetalls spricht? Oder von
-Nietzsche?</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Zeitigen.</em> Für <em class="gesperrt">hervorbringen</em>, <em class="gesperrt">schaffen</em>: es ist eine
-armselige Literatur, wie sie noch keine Periode der Musikgeschichte
-<em class="gesperrt">gezeitigt</em> hat.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Zubilligen.</em> Für <em class="gesperrt">bewilligen</em> oder <em class="gesperrt">zugestehen</em>:
-den Arbeitern wurde eine Unterredung <em class="gesperrt">zugebilligt</em> – jeder
-höhern Lehranstalt sind für Bibliothekzwecke jährlich tausend Mark
-<em class="gesperrt">zugebilligt</em> – die Hinterbliebenen haben mir das Recht der
-Veröffentlichung <em class="gesperrt">zugebilligt</em>.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Zukommen</em>, auf etwas. Beliebtes neues Ersatzwort des sächsischen
-Kanzleistils für alles mögliche, für: an etwas <em class="gesperrt">denken</em>, etwas
-<em class="gesperrt">ins Auge fassen</em>, etwas <em class="gesperrt">beschließen</em>, <em class="gesperrt">sich</em> zu
-etwas <em class="gesperrt">entschließen</em>, <em class="gesperrt">sich</em> auf etwas <em class="gesperrt">einlassen</em>:
-wenn man auf die Ausführung dieses Gedankens <em class="gesperrt">zukommen</em> wollte,
-so wäre jetzt der geeignete Augenblick – es kann kein Zweifel
-darüber bestehen, daß auf einen Aufbau der Türme <em class="gesperrt">zuzukommen</em>
-sei – wann wird man an den höhern Schulen auf eine Verminderung der
-Unterrichtszeiten <em class="gesperrt">zukommen</em>.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Bislang.</em> Für <em class="gesperrt">bisher</em>. Provinzialismus aus Hannover, nach
-1866 stark verbreitet, heute ziemlich vergessen.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Da und dort.</em> Modeverbindung für <em class="gesperrt">hie und da</em>: unter den
-technischen Schwierigkeiten klingt doch <em class="gesperrt">da und dort</em> ein tieferer
-musikalischer Sinn heraus.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Erstmals.</em> Neues Spreizwort für <em class="gesperrt">zuerst</em> oder <em class="gesperrt">zum
-erstenmal</em>: eine Fülle von Material ist in diesem Buche
-<em class="gesperrt">erstmals</em> erschlossen. (Vgl.
-<em class="gesperrt">erstmalig</em> <a href="#Seite_407">S. 407</a>)</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Hoch.</em> Einzig gebräuchliches Adverb zur Begriffssteigerung
-folgender Adjektiva: <em class="gesperrt">fein</em>, <em class="gesperrt">elegant</em>, <em class="gesperrt">modern</em>,
-<em class="gesperrt">herrschaftlich</em>, <em class="gesperrt">gebildet</em>, <em class="gesperrt">gelehrt</em>,
-<em class="gesperrt">verdient</em>, <em class="gesperrt">bedeutend</em>, <em class="gesperrt">bedeutsam</em>, <em class="gesperrt">wichtig</em>,
-<em class="gesperrt">ernst</em>, <em class="gesperrt">feierlich</em>, <em class="gesperrt">tragisch</em>, <em class="gesperrt">komisch</em>,
-<em class="gesperrt">romantisch</em>, <em class="gesperrt">poetisch</em>, <em class="gesperrt">interessant</em>,
-<em class="gesperrt">erfreulich</em>, <em class="gesperrt">befriedigend</em>, <em class="gesperrt">willkommen</em>,<span class="pagenum" id="Seite_387">[S. 387]</span>
-<em class="gesperrt">achtbar</em>, <em class="gesperrt">adlich</em>, <em class="gesperrt">konservativ</em>, <em class="gesperrt">kirchlich</em>,
-<em class="gesperrt">offiziell</em>. Das wird genügen.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Indes</em> oder <em class="gesperrt">indessen</em>. Sehr beliebtes Spreizwort für
-<em class="gesperrt">aber</em>, <em class="gesperrt">doch</em>, <em class="gesperrt">jedoch</em>: heute wurden hier starke
-Erdstöße verspürt, die <em class="gesperrt">indessen</em> keinen Schaden anrichteten –
-es kam zu Zwistigkeiten, die <em class="gesperrt">indes</em> einen günstigen Verlauf
-nahmen – er hatte das Stück schon vor Jahren verfaßt, <em class="gesperrt">indessen</em>
-unterblieb damals die Aufführung – der Graf wanderte in den Tower;
-lange dauerte <em class="gesperrt">indes</em> seine Haft nicht – bei näherer Prüfung
-<em class="gesperrt">indessen</em> stellt sich R. als interessante Persönlichkeit dar.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Nahezu.</em> Modewort für <em class="gesperrt">fast</em> oder <em class="gesperrt">beinahe</em>.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Naturgemäß.</em> Aus Berlin (<em class="gesperrt">naturjemäß</em>). Hat sich mit
-lächerlicher Schnelligkeit an die Stelle von <em class="gesperrt">natürlich</em> (d.&#160;h.
-<em class="gesperrt">selbstverständlich</em>) gedrängt, sodaß man sich, wo es einmal
-in seiner wirklichen Bedeutung erscheint (die soziale Bewegung ist
-<em class="gesperrt">naturgemäß</em> erwachsen), erst förmlich besinnen muß, daß es
-ja diese Bedeutung auch noch haben kann. Sonst heißt es nur noch:
-wir beginnen <em class="gesperrt">naturgemäß</em> mit den preisgekrönten Entwürfen –
-<em class="gesperrt">naturgemäß</em> ist die Studentenzeit zum Lernen bestimmt – die
-Wiedergabe durch Lichtdruck läßt <em class="gesperrt">naturgemäß</em> manches unklar
-– die Sorge beginnt <em class="gesperrt">naturgemäß</em> gleich bei der Aufnahme der
-Lehrlinge – <em class="gesperrt">naturgemäß</em> konnte die Stadtbahn nicht durch den
-glänzendsten Teil der Hauptstadt gelegt werden – <em class="gesperrt">naturgemäß</em> ist
-der Grund der Unsicherheit nicht in allen Fällen der gleiche – die
-Unbilligkeit verstärkt sich <em class="gesperrt">naturgemäß</em> mit jedem Jahre usw. Man
-redet aber auch schon von einer <em class="gesperrt">vernunftgemäßen</em> (!) Auswahl der
-Schreibfeder, statt von einer <em class="gesperrt">vernünftigen</em> – und da nun einmal
-<em class="gesperrt">gemäß</em> Mode ist, so führt auch der Kaufmann <em class="gesperrt">wunschgemäß</em>
-seine Bestellungen aus, und der Unterbeamte erledigt alles mit großem
-Eifer <em class="gesperrt">auftraggemäß</em>.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Rund.</em> Dem Englischen nachgeäfft. Wird jetzt vor alle Zahlen
-gesetzt, die, wie der Zusammenhang zeigt, selbstverständlich nur runde
-Zahlen sein können und sollen: der Kandidat der Ordnungsparteien
-erhielt <em class="gesperrt">rund</em> 3200 Stimmen gegen <em class="gesperrt">rund</em> 360 Stimmen der
-Sozialdemokraten<span class="pagenum" id="Seite_388">[S. 388]</span> – der Ertrag der Sammlung bezifferte sich (!) auf
-<em class="gesperrt">rund</em> 5000 Mark. Ohne <em class="gesperrt">rund</em> bekommt man eine Zahl mit
-Nullen am Ende kaum mehr zu lesen.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Reichlich.</em> Seit kurzem äußerst beliebt für <em class="gesperrt">sehr</em>, aber
-immer nur da, wo es nicht hinpaßt, nämlich in tadelnden Bemerkungen: du
-kommst <em class="gesperrt">reichlich spät</em>, der Kerl ist <em class="gesperrt">reichlich dumm</em>. Es
-fehlt nur noch, daß gesagt würde: er hat <em class="gesperrt">reichlich wenig</em> gegeben.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Selten.</em> Beliebtes Adverb zur Steigerung von Eigenschaftswörtern
-(in dem Sinne von <em class="gesperrt">ungewöhnlich</em>, <em class="gesperrt">außerordentlich</em>, <em class="gesperrt">in
-seltnem Grade</em>), z.&#160;B.: ein Mädchen von <em class="gesperrt">selten gutem</em>
-Charakter – eine <em class="gesperrt">selten frische</em> Witwe – ein <em class="gesperrt">selten
-schönes</em> Familienleben – eine <em class="gesperrt">selten günstige</em> Kapitalanlage
-– wir haben <em class="gesperrt">selten schönes</em> Wetter gehabt – dieser Weizen
-gedeiht auf leichtem Boden und liefert <em class="gesperrt">selten hohe</em> Erträge –
-besonders hebe ich die <em class="gesperrt">selten naturgetreuen</em> farbigen Abbildungen
-hervor – die Inhaber dieser Bauernhöfe sind <em class="gesperrt">selten fleißige</em>
-und <em class="gesperrt">tüchtige</em> Wirte usw. Nur schade, daß <em class="gesperrt">selten</em> eben vor
-allen Dingen <em class="gesperrt">selten</em> bedeutet, und nicht <em class="gesperrt">in seltnem Grade</em>,
-und daß infolgedessen stets das Gegenteil von dem herauskommt, was die
-Leute meinen. Darüber ist denn auch schon viel gespottet worden, so
-viel, daß endlich doch auch dem Harmlosesten ein Licht aufgehen müßte.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Unentwegt.</em> Lächerlicher schweizerischer Provinzialismus für
-<em class="gesperrt">fest</em>, <em class="gesperrt">beharrlich</em>. Hat seine Rolle ziemlich ausgespielt.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Vielmehr.</em> Ausschließlicher Ersatz für <em class="gesperrt">sondern</em>: diese
-Preisbewegung ist nicht bloß dem Getreide eigentümlich, sie stimmt
-<em class="gesperrt">vielmehr</em> mit den übrigen Ackerbauerzeugnissen überein – der
-Leser wird nicht mit einem Ballast von Erläuterungen überschüttet,
-<em class="gesperrt">vielmehr</em> halten die Anmerkungen das rechte Maß ein.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Voll und ganz.</em> Modephrase ersten Ranges, die aber ihren Weg
-wohl bald „voll und ganz“ zurückgelegt haben wird.<a id="FNAnker_164" href="#Fussnote_164" class="fnanchor">[164]</a> Sehr beliebt
-ist es jetzt, <em class="gesperrt">voll</em> allein zu<span class="pagenum" id="Seite_389">[S. 389]</span> gebrauchen (für <em class="gesperrt">ganz</em>
-oder <em class="gesperrt">vollständig</em>): dieser Auffassung kann ich <em class="gesperrt">voll</em>
-beipflichten – überall deckt der Ausdruck <em class="gesperrt">voll</em> den Gedanken –
-um die Tiefe seiner Auffassung <em class="gesperrt">voll</em> zu würdigen – Künstler,
-die diese Bedingung <em class="gesperrt">voll</em> erfüllen können – die deutschen
-Gemälde hielten den Vergleich mit den französischen <em class="gesperrt">voll</em> aus
-usw. Auch Zusammensetzungen mit <em class="gesperrt">Voll</em>- als Bestimmungswort
-schießen wie Pilze aus der Erde: <em class="gesperrt">Vollbild</em>, <em class="gesperrt">Vollmilch</em>,
-<em class="gesperrt">Vollgymnasium</em>, sogar <em class="gesperrt">vollinhaltlich</em>: ich kann das
-<em class="gesperrt">vollinhaltlich</em> bestätigen – er mußte das Leben der Gefangnen
-<em class="gesperrt">vollinhaltlich</em> mitleben.</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Vorab</em> und <em class="gesperrt">vornehmlich</em>. Beide gleich beliebter Ersatz
-für <em class="gesperrt">besonders</em>, <em class="gesperrt">namentlich</em> und <em class="gesperrt">hauptsächlich</em>. Das
-sechzehnte, <em class="gesperrt">vorab</em> das siebzehnte Jahrhundert – die Künstler
-<em class="gesperrt">vorab</em> hatten sein herzliches Wohlwollen erfahren – Briefe
-Wielands, <em class="gesperrt">vornehmlich</em> an Sophie La Roche – <em class="gesperrt">vornehmlich</em>
-habe ich die Syntax von Grund aus umgestaltet. (Vgl. <em class="gesperrt">vornehm</em>
-<a href="#Seite_374">S. 374</a>).</p>
-
-<p><em class="gesperrt">Weitaus.</em> Modezusatz zum Superlativ: <em class="gesperrt">weitaus</em> der beste –
-in <em class="gesperrt">weitaus</em> den meisten Fällen.</p>
-
-<p>Außer solchen allgemein gebräuchlichen Modewörtern und Modephrasen gibt
-es aber noch eine Masse andrer, die auf einzelne Kreise beschränkt
-sind. In der Sprache der Geschäftsleute, der Zeitungschreiber, wohin
-man<span class="pagenum" id="Seite_390">[S. 390]</span> blickt: Mode, nichts als Mode. Kaufleute reden nicht mehr von
-<em class="gesperrt">Preisen</em>, sondern nur noch von <em class="gesperrt">Preislagen</em>, an die
-Stelle der frühern <em class="gesperrt">Sorten</em> sind die <em class="gesperrt">Qualitäten</em>, die
-<em class="gesperrt">Marken</em> und die – <em class="gesperrt">Genres</em> getreten (bitte, probieren
-Sie meine <em class="gesperrt">Spezialmarke</em>!). Wer einen kleinen Laden gemietet
-und ein Geschäftchen darin eröffnet hat, nennt das jetzt ein
-<em class="gesperrt">Haus</em>; der eine hat ein <em class="gesperrt">Schokoladenhaus</em>, der andre
-ein <em class="gesperrt">Porzellanhaus</em>, ein dritter ein <em class="gesperrt">Havannahaus</em>, ein
-<em class="gesperrt">Seidenhaus</em>, ein <em class="gesperrt">Leinwandhaus</em>, ein <em class="gesperrt">Lodenhaus</em>.
-Vor etlichen Jahren fiel es einem Schneider in Leipzig ein,
-über seine Ladentür statt <em class="gesperrt">Schneidermeister</em> zu schreiben:
-<em class="gesperrt">Herrenmoden</em>. Das war natürlich fürchterlicher Unsinn, denn
-ein Schneider ist keine Mode und fertigt auch keine Moden, sondern
-Kleider. Als das aber die andern Schneider gesehen hatten, da kam
-für die Firmenschreiber gute Zeit. Sämtliche Schneider ließen
-ihre Schilder ändern, und heute gibt es in ganz Leipzig keinen
-Schneidermeister mehr. Der kleinste Flickschneider im Hinterhause
-vier Treppen hoch hat vorn an der Haustür sein Schildchen prangen:
-Wilhelm Benedix, <em class="gesperrt">Herrenmoden</em>! Vor etlichen Jahren fiel es
-auch einmal einem Bierwirt in Leipzig ein, von einem Militärkonzert
-anzukündigen, daß es <em class="gesperrt">unter persönlicher Leitung</em> des Herrn
-Musikdirektors X stattfinden würde – als ob in andre Wirtschaften
-der Herr Musikdirektor seinen Stiefelputzer schickte. Große Aufregung
-unter den Bierwirten! Binnen vier Wochen fanden alle Konzerte
-<em class="gesperrt">unter persönlicher Leitung</em> statt. Aus nichts als Modewörtern
-und Modephrasen ist die Sprache der Reporter zusammengesetzt. Da ist
-eine Gesellschaft stets <em class="gesperrt">illustre</em> (wenigstens in Leipzig), ein
-Kapellmeister stets <em class="gesperrt">genial</em>, ein Geschenk stets <em class="gesperrt">sinnig</em>,
-Orgelspiel stets <em class="gesperrt">weihevoll</em>. Wird irgendwo ein Vortrag gehalten,
-so wird er von musikalischen und gesanglichen <em class="gesperrt">Darbietungen
-umrahmt</em>; von einer Festlichkeit wird stets versichert, sie
-habe <em class="gesperrt">einen würdigen (!) Verlauf</em> genommen. Ein Revolverschuß
-wird stets <em class="gesperrt">abgegeben</em>, und flieht der Täter, so wird sofort
-<em class="gesperrt">die Verfolgung aufgenommen</em>; sich selbst aber schießt man eine
-Kugel niemals zum Vergnügen<span class="pagenum" id="Seite_391">[S. 391]</span> sondern immer <em class="gesperrt">in selbstmörderischer
-Absicht</em> in den Kopf. Wenn es in einer Familie oder zwischen einem
-Liebespaar zu Zank und Streit, Mord und Totschlag gekommen ist, so
-heißt das ein <em class="gesperrt">Familiendrama</em> oder eine <em class="gesperrt">Liebestragödie</em>.
-Wer ein Jubiläum feiert, <em class="gesperrt">kann</em> stets <em class="gesperrt">auf eine</em> 25jährige
-oder 50jährige <em class="gesperrt">Tätigkeit zurückblicken</em>, und ist es ein Verein,
-so <em class="gesperrt">blickt</em> er <em class="gesperrt">auf ein</em> 25jähriges <em class="gesperrt">Bestehen zurück</em>;
-wer pensioniert wird, tritt in den <em class="gesperrt">wohlverdienten Ruhestand</em>, und
-stirbt er, so werden an seinem Sarge Lorbeerkränze <em class="gesperrt">niedergelegt</em>.
-Wenn einer von einem Dache herabstürzt, so <em class="gesperrt">bleibt</em> er <em class="gesperrt">tot</em>
-(als ob er es schon vorher gewesen wäre!). Leichen von Verunglückten
-werden nicht <em class="gesperrt">gefunden</em>, sondern stets <em class="gesperrt">geborgen</em> (hätte
-man die Lebenden besser „geborgen“, so wären sie nicht verunglückt!),
-und wenn sie im Wasser gelegen haben, so werden sie <em class="gesperrt">geländet</em>;
-wird aber einer glücklich noch lebend aus dem Wasser gezogen, so wird
-er <em class="gesperrt">dem nassen Element entrissen</em>. Kommt ein Fürst zu Besuch,
-so steigt er nicht aus dem Wagen, sondern er <em class="gesperrt">ent(!)steigt</em>
-dem <em class="gesperrt">Waggon</em> und <em class="gesperrt">schreitet</em> dann, und zwar stets
-<em class="gesperrt">elastischen Schrittes</em>, die Front der Ehrenkompagnie <em class="gesperrt">ab</em>.
-Man begreift nicht, warum nicht die Zeitungen für gewisse besonders
-oft wiederkehrende wichtige Ereignisse, wie die Ankunft eines Fürsten,
-die Eröffnung einer Ausstellung, die Enthüllung eines Denkmals, das
-Jubiläum eines Geschäfts, das Begräbnis eines Kommerzienrats und
-dergleichen, für ihre Berichterstatter Formulare drucken lassen, worin
-sie dann bloß Tag, Stunde und Namen auszufüllen hätten.</p>
-
-<p>Aber auch die niedrige Umgangssprache ist voll von Modewörtern, die
-immer wechseln. Man könnte sie die Gassenhauer der Sprache nennen.
-Zu ihnen gehört das schöne <em class="gesperrt">selbstredend</em>, das eine Reihe von
-Jahren für <em class="gesperrt">selbstverständlich</em> gesagt wurde (übrigens stets
-falsch betont: <em class="gesperrt">selbstrédend</em>, wie auch <em class="gesperrt">tats<b>ä</b>chlich</em>,
-<em class="gesperrt">wunderbár</em>, <em class="gesperrt">ekelháft</em>, <em class="gesperrt">tadellós</em>). Neuerdings
-ist wieder <em class="gesperrt">selbstverständlich</em> durchgedrungen (aber auch
-das wieder falsch betont: <em class="gesperrt">selbstverst<b>ä</b>ndlich</em>).
-Augenblicklich ist der beliebteste Gassenhauer: <em class="gesperrt">ausgeschlossen</em>,
-<em class="gesperrt">ganz ausgeschlossen</em>, <em class="gesperrt">völlig ausgeschlossen</em>.
-<em class="gesperrt">Unwahrscheinlich</em>,<span class="pagenum" id="Seite_392">[S. 392]</span> <em class="gesperrt">unmöglich</em>, <em class="gesperrt">undenkbar</em>, sogar
-<em class="gesperrt">unnötig</em> – das alles gibt es nicht mehr. <em class="gesperrt">Ausgeschlossen</em>
-– bums! fertig! In der Unterhaltung am Biertisch hört man nichts
-weiter als: <em class="gesperrt">selbstverständlich</em> (für <em class="gesperrt">ja</em>) und:
-<em class="gesperrt">ausgeschlossen</em> (für <em class="gesperrt">nein</em>). Andre neue Gassenhauer
-sind: <em class="gesperrt">totsicher</em>, <em class="gesperrt">totschick</em>, <em class="gesperrt">Ton</em> (für
-<em class="gesperrt">Wort</em>): er hat mir nicht einen <em class="gesperrt">Ton</em> davon gesagt –, auf
-Wieder<em class="gesperrt">schaun</em>, und <em class="gesperrt">ausgerechnet</em> (für <em class="gesperrt">gerade</em>,
-<em class="gesperrt">genau</em> oder dgl.): das muß <em class="gesperrt">ausgerechnet</em> Bebel begegnen!</p>
-
-<p>Eine feine Nase für Modewörter hat gewöhnlich der Student. Die
-Studentensprache wimmelt von Modewörtern; sowie ein neues aufkommt,
-wird es ihr sofort „einverleibt“. Aber der Student spricht sie fast
-alle mit Gänsefüßchen, er macht sich lustig über sie, während er sie
-gebraucht. Die Sache hat nur nicht bloß eine lustige, sie hat auch
-eine sehr ernste Seite. Jedes neu aufkommende Modewort verdrängt eine
-Anzahl sinnverwandter Wörter mit ihren fein abgetönten Unterschieden,
-und schließlich wird es gedankenlos auch für Wörter gebraucht, die
-einen ganz andern Sinn haben. So ist mit jedem neuen Modewort eine
-zunehmende Verarmung der Sprache und eine zunehmende Oberflächlichkeit
-und Unklarheit des Denkens verbunden.</p>
-
-<p>Wie alle Modedummheiten haben aber auch die Sprachmoden ihre Zeit.
-Sie verschwinden alle wieder, die einen früher, die andern später.
-Darum ist ein Kampf gegen sie eigentlich überflüssig.<a id="FNAnker_165" href="#Fussnote_165" class="fnanchor">[165]</a> Verteidigt
-werden sie immer nur von solchen, die darauf hineingefallen sind, ohne
-es zu merken; die ärgern sich dann über den, der es gemerkt hat, und
-bestreiten die Berechtigung seiner Angriffe. Jeder gute Schriftsteller
-aber wird sich vor ihnen hüten. Denn jeder gute Schriftsteller hat doch
-den Wunsch, nicht gar zu schnell zu veralten. Dazu gehört aber, daß
-das, was er schreibt, nicht bloß einen dauerhaften Inhalt, sondern auch
-eine dauerhafte Form habe.</p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_393">[S. 393]</span></p>
-
-<h3 id="Der_Gesichtspunkt_und_der_Standpunkt">Der Gesichtspunkt und der
-Standpunkt</h3>
-
-</div>
-
-<p>Ein Modewort, mit dem ein ganz törichter Mißbrauch getrieben
-wird, der zu einer Unmasse von Bildervermengungen führt, ist
-<em class="gesperrt">Gesichtspunkt</em>. Das Wort bedeutet den Punkt, von dem aus man
-etwas ansieht, wie <em class="gesperrt">Standpunkt</em> den Punkt, auf den man sich
-gestellt hat, um etwas anzusehen. Beides ist so ziemlich dasselbe.
-Man sollte doch nun meinen, das Bild, das in diesen Ausdrücken liegt,
-wäre so klar und deutlich, daß es gar nicht vergessen werden könnte:
-<em class="gesperrt">Standpunkt</em> und <em class="gesperrt">Gesichtspunkt</em> bedeuten durchaus etwas
-räumliches, einen Punkt im Raume. Da ist es nun schon verkehrt,
-wie es manche sehr lieben, von <em class="gesperrt">großen</em> oder <em class="gesperrt">allgemeinen
-Gesichtspunkten</em> zu reden. Man kann sich weder unter einem großen
-noch unter einem allgemeinen Punkt etwas denken. Offenbar wird hier der
-Gesichts<em class="gesperrt">punkt</em> mit dem Gesichts<em class="gesperrt">kreise</em> verwechselt. Wenn
-ich mich hoch aufstelle und die Dinge von oben betrachte, so überblicke
-ich mehr, als wenn ich unten mitten unter den Dingen stehe. Es ändert
-sich dann auch der Maßstab der Betrachtung: was mir unten groß, im
-übertragnen Sinne wichtig, bedeutend erschien, schrumpft zusammen, ja
-verschwindet vielleicht ganz, wenn ich es von oben betrachte. Man kann
-also wohl von <em class="gesperrt">hohen</em> und <em class="gesperrt">niedrigen</em> Gesichtspunkten reden,
-aber nicht von <em class="gesperrt">großen</em> und <em class="gesperrt">kleinen</em>. Der Geist ist klein,
-der sich nicht zu höhern Gesichtspunkten aufschwingen kann, auch der
-Gesichtskreis eines solchen Geistes ist klein, aber ein Punkt ist und
-bleibt – ein Punkt, er kann weder klein noch groß sein.</p>
-
-<p>Was muß sich aber der Gesichtspunkt sonst noch alles gefallen lassen!
-Er wird nicht nur <em class="gesperrt">berührt</em>, <em class="gesperrt">dargelegt</em>, <em class="gesperrt">ausgeführt</em>,
-er wird auch <em class="gesperrt">beachtet</em>, <em class="gesperrt">ins Auge gefaßt</em>, <em class="gesperrt">betont</em>,
-<em class="gesperrt">hervorgehoben</em>, <em class="gesperrt">geltend gemacht</em>, <em class="gesperrt">aufgestellt</em>,
-<em class="gesperrt">herausgestellt</em>, <em class="gesperrt">in den Vordergrund<span class="pagenum" id="Seite_394">[S. 394]</span> gestellt</em>, <em class="gesperrt">zur
-Diskussion gestellt</em>, <em class="gesperrt">verworfen</em>, er <em class="gesperrt">wird eröffnet</em>,
-<em class="gesperrt">zugrunde gelegt</em>, <em class="gesperrt">gewonnen</em>, er wird <em class="gesperrt">in die Wagschale
-geworfen</em>, und zwar so, daß er <em class="gesperrt">ins Gewicht fällt</em>, er ist
-<em class="gesperrt">maßgebend</em>, er <em class="gesperrt">berührt sich</em> mit etwas, man tut etwas
-<em class="gesperrt">unter</em> ihm, es wird etwas von ihm <em class="gesperrt">abgeleitet</em>, es
-<em class="gesperrt">entspringt</em> ihm etwas usw. Der Leser schüttelt den Kopf? Hier
-sind die Beispiele: zum Schluß möchte ich noch zwei <em class="gesperrt">Gesichtspunkte
-berühren</em> – er <em class="gesperrt">legte die Gesichtspunkte dar</em>, die den
-Ausschuß veranlaßt hätten, die Versammlung zu berufen – es würde mich
-zu weit führen, wenn ich den angedeuteten <em class="gesperrt">Gesichtspunkt</em> näher
-<em class="gesperrt">ausführen</em> wollte – die Prügelstrafe ist nicht nur brutal,
-sie ist auch ehrenrührig, und diesen wichtigen <em class="gesperrt">Gesichtspunkt</em>
-muß man vor allen Dingen <em class="gesperrt">beachten</em> – diesen <em class="gesperrt">Gesichtspunkt
-faßte</em> Kurfürst August jetzt <em class="gesperrt">ins Auge</em> – als der Redner
-diesen <em class="gesperrt">Gesichtspunkt</em> scharf <em class="gesperrt">betonte</em> – erfreulich ist es,
-daß der Herzog für das Gefühl vaterländischer Ehre empfänglich ist und
-bei der Berücksichtigung der Muttersprache diesen <em class="gesperrt">Gesichtspunkt</em>
-besonders <em class="gesperrt">hervorhebt</em> – neue <em class="gesperrt">Gesichtspunkte</em> wurden in der
-Debatte nicht <em class="gesperrt">geltend gemacht</em> – es sind hier <em class="gesperrt">Gesichtspunkte
-aufgestellt</em>, die in der Tat <em class="gesperrt">zur Diskussion gestellt</em>
-werden müssen – er wußte immer sofort die höhern <em class="gesperrt">Gesichtspunkte
-herauszustellen</em> – man kann den Mittelstand sehr verschieden
-abgrenzen, <em class="gesperrt">je</em> nach den <em class="gesperrt">Gesichtspunkten</em>, die man <em class="gesperrt">in
-den Vordergrund stellt</em> – auch der <em class="gesperrt">Gesichtspunkt</em>, daß (!)
-man mit einer stattlichen Schrift dem Auslande imponieren müsse,
-ist nicht <em class="gesperrt">zu verwerfen</em> – diese Bestimmung <em class="gesperrt">eröffnet</em>
-für die Geschichte der Innung einen neuen <em class="gesperrt">Gesichtspunkt</em> –
-überhaupt möchten wir auf den <em class="gesperrt">Gesichtspunkt</em> hinweisen, den alle
-Gerichte ihren Rechtsprechungen auf diesem Gebiete <em class="gesperrt">zugrunde zu
-legen</em> haben – ich hoffe, daß sich aus meiner Darlegung gesunde
-(!) <em class="gesperrt">Gesichtspunkte</em> werden <em class="gesperrt">gewinnen lassen</em> – hier
-<em class="gesperrt">fallen</em> finanzielle (!) <em class="gesperrt">Gesichtspunkte</em> schwer <em class="gesperrt">ins
-Gewicht</em> – diese Frage bildet den <em class="gesperrt">maßgebenden Gesichtspunkt</em>,
-von dem aus wir dem Problem näher treten – dieser <em class="gesperrt">Gesichtspunkt</em>
-der Theaterdirektion<span class="pagenum" id="Seite_395">[S. 395]</span> <em class="gesperrt">berührt sich</em> in mannigfacher Beziehung mit
-dem Interesse des Publikums – der Theologie wandte er nur <em class="gesperrt">unter
-dem Gesichtspunkte</em>, jederzeit brauchbare Kirchendiener zu haben,
-seine Fürsorge zu – die allgemeinen <em class="gesperrt">Gesichtspunkte</em>, aus denen
-sich der kritische Vorrang der Originaldrucke lutherischer Schriften
-<em class="gesperrt">ableiten läßt</em>, sind folgende – eine innere Kolonisation,
-die den oben gekennzeichneten <em class="gesperrt">Gesichtspunkten entspringt</em>
-usw. In allen diesen Sätzen ist von dem Bilde, das in dem Worte
-<em class="gesperrt">Gesichtspunkt</em> liegt, keine Spur mehr zu finden. Es bedeutet
-etwas ganz andres, es steht für <em class="gesperrt">Umstand</em>, <em class="gesperrt">Tatsache</em>,
-<em class="gesperrt">Grund</em>, <em class="gesperrt">Ansicht</em>, <em class="gesperrt">Gedanke</em>, ja bisweilen steht es
-für – gar nichts, es wird als bloßes Klingklangwort gebraucht. Oder
-bedeutet der Satz: neue <em class="gesperrt">Gesichtspunkte</em> wurden nicht geltend
-gemacht – irgend etwas andres als: neue <em class="gesperrt">Gedanken</em> wurden
-nicht vorgebracht? der Satz: zum Schluß möchte ich noch <em class="gesperrt">zwei
-Gesichtspunkte</em> berühren – irgend etwas andres als: zum Schluß
-möchte ich noch <em class="gesperrt">zweierlei</em> berühren? Das völkerpsychologische
-<em class="gesperrt">Moment</em> (!) ist für ihn der <em class="gesperrt">maßgebende Gesichtspunkt</em> –
-kann man einen einfachen und einfach auszudrückenden Gedanken in einen
-unsinnigern Wortschwall einhüllen? Von solchen Sätzen wimmelt es aber
-jetzt in Büchern, Broschüren und Aufsätzen; Tausende lesen darüber weg,
-haben das dumpfe Gefühl, irgend etwas gelesen zu haben, aber denken
-können sie sich gar nichts dabei.</p>
-
-<p>Infolge des fortwährenden Mißbrauchs ist es geradezu dahin gekommen,
-daß dieses gute Wort, das ein so klares und deutliches Bild enthält,
-und das bisweilen gar nicht zu entbehren ist, einen lächerlichen
-Beigeschmack angenommen hat, sodaß man es in der Unterhaltung kaum noch
-anders als spöttisch gebrauchen kann. Eine weitere Folge ist, daß nun
-gewisse Leute, um das Wort zu vermeiden, es durch <em class="gesperrt">Gesichtswinkel</em>
-ersetzt haben, das freilich gleich von vornherein mit Recht dem Spott
-verfallen ist.</p>
-
-<p>Derselbe Unfug wie mit dem <em class="gesperrt">Gesichtspunkt</em> hat aber neuerdings
-nun auch mit dem <em class="gesperrt">Standpunkt</em> begonnen. Niemand hat mehr eine
-<em class="gesperrt">Ansicht</em> oder eine<span class="pagenum" id="Seite_396">[S. 396]</span> <em class="gesperrt">Meinung</em>, alle Welt hat nur noch
-einen <em class="gesperrt">Standpunkt</em>. Eine Meinung kann man ändern, eine Ansicht
-berichtigen – das ist nichts. Aber ein Standpunkt – alle Hochachtung!
-– das ist etwas. Ein Standpunkt ist unverrückbar, der kommt gleich
-nach der Weltanschauung. Man <em class="gesperrt">steht</em> auf einem <em class="gesperrt">Standpunkt</em>,
-<em class="gesperrt">stellt sich</em> auf einen <em class="gesperrt">Standpunkt</em>, <em class="gesperrt">vertritt</em> einen
-<em class="gesperrt">Standpunkt</em> usw., und das schönste dabei ist, daß man von dem
-Worte <em class="gesperrt">Standpunkt</em> (ganz so wie früher von <em class="gesperrt">Meinung</em>) einen
-Objektsatz abhängig macht, ja sogar einen Infinitiv, als ob es soviel
-bedeutete wie <em class="gesperrt">Regel</em> oder <em class="gesperrt">Grundsatz</em>, und schreibt:
-ich stehe auf dem <em class="gesperrt">Standpunkte, daß</em> man dieses Verbot wieder
-aufheben sollte – ich stehe auf dem <em class="gesperrt">Standpunkte, daß</em> man
-zwischen Leipzig und Berlin ohne umzusteigen fahren können müßte – die
-Gesellschaft steht auf dem <em class="gesperrt">Standpunkte, daß</em> die Stadtgemeinde
-berechtigt sei, unentgeltliche Abtretung der Straßenfläche zu
-verlangen – der <em class="gesperrt">Standpunkt, daß</em> ein Reisender, der auf
-derselben Linie zurückfährt, durch eine Preisermäßigung belohnt
-werden müsse, ist ein (!) völlig antiquierter – wir haben stets
-den <em class="gesperrt">Standpunkt</em> vertreten, <em class="gesperrt">daß</em> zwischen Deutschland
-und England kein vernünftiger Grund zur Feindschaft vorliege – man
-findet heute oft den <em class="gesperrt">Standpunkt</em> vertreten, <em class="gesperrt">daß</em> das
-Kleinbürgerhaus eine überwundne Form bedeute (sei!) – wir stellen
-uns auf den gewiß empfehlenswerten <em class="gesperrt">Standpunkt</em>, in schwankenden
-Fällen das überflüssige Binde-s zu vermeiden. Man sieht: auch
-der <em class="gesperrt">Standpunkt</em> ist nahe daran, zum Gassenhauer zu werden;
-in Vereinssitzungen wie in öffentlichen Versammlungen ergreift
-niemand das Wort, der nicht sofort erklärte, daß er auf irgendeinem
-<em class="gesperrt">Standpunkt</em> stehe.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Das_Koennen_und_das_Fuehlen">Das Können und das Fühlen</h3>
-
-</div>
-
-<p>Eine richtige Modenarrheit ist es, gewisse Hauptwörter immer durch
-einen substantivierten Infinitiv zu umschreiben – wenns nicht manchmal
-bloßes Ungeschick ist! Und bloßes Ungeschick ist wohl anzunehmen, wenn
-jemand statt <em class="gesperrt">Ende</em> schreibt: <em class="gesperrt">das Aufhören</em>, oder statt
-<em class="gesperrt">Mangel</em>: <em class="gesperrt">das Fehlen</em>. Eine Modenarrheit aber liegt<span class="pagenum" id="Seite_397">[S. 397]</span> ohne
-Zweifel in der Art, wie jetzt <em class="gesperrt">das Wissen</em>, <em class="gesperrt">das Können</em>,
-<em class="gesperrt">das Wollen</em>, <em class="gesperrt">das Fühlen</em> und <em class="gesperrt">das Empfinden</em>
-gebraucht wird – Wörter wie <em class="gesperrt">Kenntnis</em>, <em class="gesperrt">Fähigkeit</em>,
-<em class="gesperrt">Fertigkeit</em>, <em class="gesperrt">Geschick</em>, <em class="gesperrt">Absicht</em>, <em class="gesperrt">Gefühl</em>,
-<em class="gesperrt">Empfindung</em> scheinen ganz vergessen zu sein. Den Anfang hatte
-wohl <em class="gesperrt">das Streben</em> gemacht,<a id="FNAnker_166" href="#Fussnote_166" class="fnanchor">[166]</a> dann kam <em class="gesperrt">das Wissen</em>: er
-hat ein ganz <em class="gesperrt">hervorragendes Wissen</em>. Jetzt spricht man aber auch
-von dichterischem <em class="gesperrt">Wollen</em>: anfangs ein Dorfgeschichtenerzähler,
-wurde Rosegger allmählich ein Poet von <em class="gesperrt">großem Wollen</em> – auch
-diese Kompositionen zeigen die künstlerische Zielbewußtheit (!)
-seines <em class="gesperrt">Wollens</em>. Und in höchster Blüte steht <em class="gesperrt">das Können</em>
-und <em class="gesperrt">das Fühlen</em>: folgendes Gedicht mag das <em class="gesperrt">Können</em> des
-Dichters veranschaulichen – das Konzert lieferte einen glänzenden
-Beweis für das <em class="gesperrt">künstlerische (!) Können</em> des Vereins – Beethoven
-widmete ihr die <span class="antiqua">Cis-moll</span>-Sonate, kein geringes Zeugnis für
-das <em class="gesperrt">musikalische Können</em> der Angebeteten – die Dame hat sich
-unter dieser vortrefflichen Leitung bereits ein <em class="gesperrt">achtunggebietendes
-Können</em> angeeignet – die Schüler sollen mit einem <em class="gesperrt">solchen
-Können</em> des Deutschen aus der Schule gehen – Herr W. hat damit
-eine neue Probe seines bedeutenden <em class="gesperrt">gärtnerischen (!) Könnens</em>
-gegeben (es handelt sich um ein Teppichbeet) – die Gedichte zeigen
-ein gesundes, <em class="gesperrt">ursprüngliches Fühlen</em> – in allen Briefen gibt
-er nur dem <em class="gesperrt">einen Fühlen</em> Ausdruck – Tilgner hat den Geist (!)
-des <em class="gesperrt">österreichischen Empfindens</em> am besten zum Ausdruck gebracht
-– zu der Verehrung für das große <em class="gesperrt">Wollen</em> und <em class="gesperrt">Können</em>
-des Meisters gesellt sich das Mitleid mit dem leidenden Menschen
-– die Pyramiden der Ägypter erzählen uns von dem <em class="gesperrt">Fühlen</em>
-und <em class="gesperrt">Wollen</em> ihrer Erbauer und deren Zeitepoche (!). Das
-Neueste aber ist das <em class="gesperrt">Erinnern</em>, das <em class="gesperrt">Erleben</em> und das
-<em class="gesperrt">Verstehen</em>: er bewahrte ihm ein <em class="gesperrt">dankbares Erinnern</em> –
-für uns moderne Menschen pflegt Italien das <em class="gesperrt">größte Erleben</em>
-unsers Daseins zu sein – ein Mann, in dessen <em class="gesperrt">Erleben</em> sich ein
-ganzes<span class="pagenum" id="Seite_398">[S. 398]</span> Stück deutscher Geschichte spiegelt – Böcklin konnte von dem
-<em class="gesperrt">künstlerischen Erleben</em> abstrahieren, bei Klinger erschließt
-erst die Persönlichkeit das Geheimnis (!) seiner Werke – das Buch ist
-von <em class="gesperrt">tiefem Verstehen</em> für den geheimnisvollen (!) künstlerischen
-Trieb des Meisters durchtränkt – sie erfreute ihn durch <em class="gesperrt">warmes</em>
-geistiges <em class="gesperrt">Verstehen</em> – nimm dieses Buch in dein <em class="gesperrt">treues und
-zartes Verstehen</em> auf! Es kann einem ganz schlimm und übel dabei
-werden.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Bedingen">Bedingen</h3>
-
-</div>
-
-<p>Wie unter den Hauptwörtern das Wort <em class="gesperrt">Gesichtspunkt</em>, so ist
-unter den Zeitwörtern das am unsinnigsten mißbrauchte Modewort jetzt
-<em class="gesperrt">bedingen</em>.<a id="FNAnker_167" href="#Fussnote_167" class="fnanchor">[167]</a> Der erste Band von Grimms Wörterbuch (1854)
-erklärt <em class="gesperrt">bedingen</em> durch <em class="gesperrt">aushalten</em>, <em class="gesperrt">bestimmen</em>,
-<em class="gesperrt">ausnehmen</em>. Im Sandersschen Wörterbuche (1860) sind
-folgende Bedeutungen aufgezählt und belegt: <em class="gesperrt">verpflichten</em>,
-<em class="gesperrt">festsetzen</em>, <em class="gesperrt">ausmachen</em>, <em class="gesperrt">beschränken</em>, von etwas
-<em class="gesperrt">abhängig machen</em>, außerdem eine Anwendung, die bei Grimm noch
-fehlt: eine Sache <em class="gesperrt">bedingt</em> die andre, oder passiv: eine Sache
-<em class="gesperrt">ist</em> oder <em class="gesperrt">wird</em> durch die andre <em class="gesperrt">bedingt</em>; das Aktivum
-erklärt Sanders hier durch <em class="gesperrt">notwendig machen</em>, <em class="gesperrt">erheischen</em>,
-<em class="gesperrt">erfordern</em>, das Passivum durch <em class="gesperrt">abhängig sein</em> von etwas.</p>
-
-<p>Nun vergleiche man damit den heutigen Sprachgebrauch (der Sinn,
-in dem das Wort gebraucht ist, soll stets in Klammern hinzugefügt
-werden). Da schreiben die einen: eine Laufbahn, die akademische
-Vorbildung <em class="gesperrt">bedingt</em> (voraussetzt, verlangt, erfordert, erheischt,
-notwendig macht) – der große Aufwand, den die Aufführung dieser Oper
-<em class="gesperrt">bedingt</em> (ebenso) – die angegebnen Preise <em class="gesperrt">bedingen</em> die
-Abnahme des ganzen Werkes (machen zur Pflicht) – die Ausgaben für
-Saalmiete, Beleuchtung und Annoncen <em class="gesperrt">bedingen</em> einen Berg von
-Kosten (verursachen) – unsre ganzen Zeitverhältnisse<span class="pagenum" id="Seite_399">[S. 399]</span> <em class="gesperrt">bedingen</em>
-den zurückgegangnen Theaterbesuch (sind die Ursache, bringen mit
-sich, sind schuld an) – die Lage der Bergarbeiter zu studieren,
-ist es nötig, auch die Verhältnisse zu berühren, die diese Lage
-<em class="gesperrt">bedingen</em> (schaffen, hervorbringen, hervorrufen, erzeugen) –
-der Sand- und Lehmboden <em class="gesperrt">bedingt</em> eine besondre Flora (ebenso) –
-dieses Korsett <em class="gesperrt">bedingt</em> eleganten Sitz (!) des Kleides (schafft,
-bewirkt) – der humanistische Charakter des akademischen Studiums
-<em class="gesperrt">bedingt</em> das ganze Wesen unsrer Universitäten (ist von Einfluß
-auf) – bei Lessing <em class="gesperrt">bedingte</em> stets die kritische Einsicht das
-dichterische Schaffen (ebenso) – Tatsache ist, daß gewisse Affekte
-den Eintritt des Stotteranfalls <em class="gesperrt">bedingen</em> (herbeiführen) –
-die Stellung der Türen in den Wänden <em class="gesperrt">bedingt</em> wesentlich
-die Nutzbarkeit der Räume (von ihr hängt ab) – nur körperliches
-Leiden (Laokoongruppe!) <em class="gesperrt">bedingt</em> eine so gewaltsame Anspannung
-aller Muskeln (macht erklärlich, macht begreiflich) – dieser Zweck
-<em class="gesperrt">bedingt</em> sowohl die Mängel als die Vorzüge des Werkes (aus ihm
-erklären sich) usw.</p>
-
-<p>Nun der passive Gebrauch. Da wird geschrieben: die hohen Ränder des
-Sees und der dadurch <em class="gesperrt">bedingte</em> Reichtum malerischer Wirkungen
-(geschaffne) – diese durch die Lage Englands <em class="gesperrt">bedingte</em> Gunst des
-Glückes (ebenso) – durch die Verkehrserleichterungen ist ein Rückgang
-des Kommissionsgeschäfts <em class="gesperrt">bedingt</em> worden (bewirkt worden,
-herbeigeführt worden) – die durch die Großstadt <em class="gesperrt">bedingte</em>
-Vermehrung der Arbeitsgelegenheit (bewirkte, verursachte) – rascher
-Fortschritt wird durch zahlreiche Mitarbeiter <em class="gesperrt">bedingt</em> (entsteht)
-– der Ausfall der Wahlen ist durch unzählige nicht in der Macht der
-Regierung liegende Verhältnisse <em class="gesperrt">bedingt</em> (hängt ab von) – die
-Zulassung zur Fakultät war durch den Nachweis des philosophischen
-Magistergrades <em class="gesperrt">bedingt</em> (hing ab von) – der Erfolg des Mittels
-war durch die Zuverlässigkeit der Leute <em class="gesperrt">bedingt</em> (ebenso) –
-die Überholung Leipzigs durch Berlin ist durch die Macht der äußern
-Verhältnisse <em class="gesperrt">bedingt</em> (ist die Folge) – diese Aussichtslosigkeit
-war durch die seit drei Jahren gemachte Erfahrung <em class="gesperrt">bedingt</em> (war
-entstanden, war die<span class="pagenum" id="Seite_400">[S. 400]</span> Folge) – Glück wird durch Leistungsfähigkeit
-<em class="gesperrt">bedingt</em> (entsteht) – die Gefahr für den innern Frieden ist
-durch den Gegensatz zwischen Besitz und Besitzlosigkeit <em class="gesperrt">bedingt</em>
-(liegt in, beruht auf, entsteht aus) – die durch den Reichtum
-<em class="gesperrt">bedingten</em> Lebensgenüsse (ermöglichten) usw.</p>
-
-<p>Überblicken wir die angeführten Beispiele, so ergibt sich folgendes.
-Die einen gebrauchen <em class="gesperrt">bedingen</em> in dem Sinne von: <em class="gesperrt">zur
-Voraussetzung haben</em>. <em class="gesperrt">A bedingt B</em> – das heißt: <em class="gesperrt">A hat B
-zur Voraussetzung</em>, A hängt von B ab, A ist undenkbar, wenn nicht
-B ist, A <em class="gesperrt">verlangt</em> also, <em class="gesperrt">erheischt</em>, <em class="gesperrt">erfordert</em> B.
-Das ist die vernünftige und berechtigte Anwendung des Wortes: aus
-ihr erklärt sich das Wort <em class="gesperrt">Bedingung</em>. Die Aufführung der Oper
-<em class="gesperrt">bedingt</em> großen Aufwand – das versteht jedermann; es heißt: die
-Oper ist ohne großen Aufwand nicht aufführbar, der Aufwand ist die
-Voraussetzung, die Bedingung einer guten Aufführung.</p>
-
-<p>Nun gebrauchen aber andre das Wort in dem Sinne von <em class="gesperrt">bewirken</em>
-und den zahlreichen sinnverwandten Wörtern (<em class="gesperrt">schaffen</em>,
-<em class="gesperrt">erzeugen</em>, <em class="gesperrt">hervorbringen</em>, <em class="gesperrt">hervorrufen</em>,
-<em class="gesperrt">verursachen</em>, <em class="gesperrt">zur Folge haben</em>). A <em class="gesperrt">bedingt</em> B –
-das heißt dann: A <em class="gesperrt">ist die Ursache</em> von B. B <em class="gesperrt">wird</em> durch
-A <em class="gesperrt">bedingt</em> heißt: B <em class="gesperrt">ist die Folge</em> von A. Wie dieser
-Bedeutungswandel möglich sein soll, ist unverständlich, es ist
-schlechterdings nicht einzusehen, wie der Begriff der Voraussetzung zu
-dem der Hervorbringung soll werden können.</p>
-
-<p>Es wird aber noch ein weiterer Schritt getan, namentlich in der
-passivischen Anwendung des Wortes. B <em class="gesperrt">wird</em> durch A <em class="gesperrt">bedingt</em>
-– das heißt nicht bloß: B <em class="gesperrt">wird</em> durch A <em class="gesperrt">bewirkt</em>,
-sondern B wird <em class="gesperrt">nur</em> (!) durch A <em class="gesperrt">bewirkt</em>, es kann
-durch nichts andres entstehen als durch A, also mit andern Worten:
-B <em class="gesperrt">hat</em> A <em class="gesperrt">zur Voraussetzung</em>. Und da wären wir denn
-glücklich bei der vollständigen Verrücktheit angelangt. Denn wenn es
-ganz gleichgiltig ist, ob jemand sagt: A hat B zur Voraussetzung,
-oder B hat A zur Voraussetzung, B ist die Voraussetzung von A, oder
-A ist die Voraussetzung von B, wenn das beides (!) mit dem Satze
-ausgedrückt<span class="pagenum" id="Seite_401">[S. 401]</span> werden kann: A bedingt B (oder passiv: B wird durch A
-bedingt), mit andern Worten: wenn es ganz gleichgiltig ist, ob jemand
-sagt <em class="gesperrt">bedingen</em> oder <em class="gesperrt">bedingt werden</em>, so ist das doch
-die vollständige Verrücktheit. Auf diesem Punkte stehen wir aber
-jetzt. Geschrieben wird: Glück <em class="gesperrt">wird</em> durch Leistungsfähigkeit
-<em class="gesperrt">bedingt</em> – die Zulassung zur Fakultät <em class="gesperrt">wurde</em> durch den
-Magistergrad <em class="gesperrt">bedingt</em>, also aktiv ausgedrückt: Leistungsfähigkeit
-<em class="gesperrt">bedingt</em> Glück – der Magistergrad <em class="gesperrt">bedingte</em> die Zulassung
-zur Fakultät. Gemeint ist aber: Glück <em class="gesperrt">bedingt</em> (d.&#160;h. ist
-nicht denkbar ohne) Leistungsfähigkeit – die Zulassung zur Fakultät
-<em class="gesperrt">bedingte</em> (d.&#160;h. war nicht zu erlangen ohne) den Magistergrad.</p>
-
-<p>Man übertreibt nicht, wenn man den gegenwärtigen Gebrauch von
-<em class="gesperrt">bedingen</em> etwa so bezeichnet: wenn der Deutsche eine dunkle
-Ahnung davon hat, daß zwei Dinge in irgendeinem ursächlichen
-Zusammenhange stehen, aber weder Neigung noch Fähigkeit, sich und
-andern diesen Zusammenhang klarzumachen, so sagt er: das eine Ding
-<em class="gesperrt">bedingt</em> das andre. In welcher Reihenfolge er dabei die Dinge
-nennt, ober sagt: Kraft <em class="gesperrt">bedingt</em> Wärme oder: Wärme <em class="gesperrt">bedingt</em>
-Kraft, ist ganz gleichgiltig; der Leser wird sich schon irgend etwas
-dabei denken.</p>
-
-<p>Soll man sich denn aber nicht darüber freuen, daß dieses Wort eine
-so bewundernswürdige Verwandlungsfähigkeit erlangt hat? Wenn es
-vor fünfzig Jahren, wie die Wörterbücher zeigen, nur einen kleinen
-Bruchteil der zahlreichen Bedeutungen hatte, die es heute hat, so ist
-das doch ein Beweis für die wunderbare Triebkraft, die noch in unsrer
-Sprache lebt. Aus einem einzigen Wort entfaltet sie noch jetzt einen
-solchen Reichtum! – Die Sache ist doch wohl anders anzusehen. Wenn
-zwanzig sinn- und lebensvolle Wörter und Wendungen, die zur Verfügung
-stehen, und die die feinste Schattierung des Gedankens ermöglichen,
-verschmäht werden einem hohlen, ausgeblasnen Wortbalg wie diesem
-<em class="gesperrt">bedingen</em> zuliebe, so ist das weder Reichtum noch Triebkraft,
-sondern nur eine alberne Mode und zugleich ein trauriges Zeichen von
-der zunehmenden Verschwommenheit unsers Denkens.</p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_402">[S. 402]</span></p>
-
-<h3 id="Richtigstellen_und_klarlegen">Richtigstellen und klarlegen</h3>
-
-</div>
-
-<p>Höchst merkwürdig ist es, daß man gleichzeitig mit <em class="gesperrt">bedingen</em>,
-diesem abstraktesten aller Zeitwörter, jetzt Ausdrücke mit möglichst
-sinnlicher, handgreiflicher Bedeutung liebt. Die Fähigkeit, sich
-etwas vorzustellen (die Phantasie), ist zurückgegangen; alles will
-man sehen, alles betasten, alles mit Händen greifen. Nur so erklärt
-sich die außerordentliche Vorliebe für die Zusammensetzungen mit
-<em class="gesperrt">stellen</em> und <em class="gesperrt">legen</em>, die jetzt statt früherer Abstrakta
-Mode geworden sind. Stellen und legen – dazu braucht man keine
-geistige Anstrengung, das macht man mit den Händen. So wird denn jetzt
-niemand mehr <em class="gesperrt">befriedigt</em>, sondern <em class="gesperrt">zufriedengestellt</em>,
-nichts mehr <em class="gesperrt">vollendet</em>, <em class="gesperrt">berichtigt</em>, <em class="gesperrt">gesichert</em>,
-<em class="gesperrt">geklärt</em>, sondern alles wird <em class="gesperrt">fertiggestellt</em>,
-<em class="gesperrt">richtiggestellt</em>, <em class="gesperrt">sichergestellt</em>, <em class="gesperrt">klargestellt</em>,
-<em class="gesperrt">klargelegt</em>, <em class="gesperrt">festgelegt</em> usw. Der Nervenarzt spricht sogar
-von <em class="gesperrt">Ruhigstellung</em> des Gehirns, statt von <em class="gesperrt">Beruhigung</em>. Oder
-soll das Gehirn in dem Sinne <em class="gesperrt">ruhig gestellt</em> werden, wie die
-Suppe <em class="gesperrt">warm</em> und der Wein <em class="gesperrt">kalt gestellt</em> wird?</p>
-
-<p>Auf den ersten Blick scheint es ja, als ob sich die Wörter durch eine
-gewisse Anschaulichkeit empföhlen. Bei <em class="gesperrt">richtigstellen</em> soll man
-wohl nicht an die Zeiger der Uhr denken, sondern eher an ein Bild,
-das falsch beleuchtet gewesen ist und nun in die richtige Beleuchtung
-gestellt wird, oder an Gerätschaften im Zimmer, die durcheinander
-geraten sind und wieder auf ihren Platz gestellt werden; ähnlich,
-kann man sagen, werden Tatsachen, die verschoben sind, zurechtgerückt
-oder ins rechte Licht gestellt. Das läßt sich hören. Aber was soll
-<em class="gesperrt">fertigstellen</em> sein? Das Wort kann doch vernünftigerweise nichts
-andres bedeuten, als eine Sache so lange hin und her rücken, so lange
-an ihr gleichsam herumstellen, bis sie – steht. Das will man aber
-doch gar nicht sagen, das Wort wird einfach für <em class="gesperrt">fertigmachen</em>,
-<em class="gesperrt">beendigen</em> oder <em class="gesperrt">vollenden</em> gebraucht; von einem
-Romanmanuskript, einem Gemälde oder einem Antikenmuseum so gut wie
-von einem Denkmal oder einem<span class="pagenum" id="Seite_403">[S. 403]</span> Straßenpflaster heißt es: es ist
-<em class="gesperrt">fertiggestellt</em>.<a id="FNAnker_168" href="#Fussnote_168" class="fnanchor">[168]</a> Ganz törichte Wörter sind <em class="gesperrt">klarlegen</em>
-und <em class="gesperrt">klarstellen</em>. Klar kann in sinnlicher Bedeutung nur von
-der Luft und von Flüssigkeiten gebraucht werden.<a id="FNAnker_169" href="#Fussnote_169" class="fnanchor">[169]</a> Wie soll man
-die auf eine feste Unterlage <em class="gesperrt">legen</em> oder <em class="gesperrt">stellen</em>?
-Beide Wörter sind gedankenlos gebildet nach <em class="gesperrt">freistellen</em>
-und <em class="gesperrt">bloßstellen</em>, <em class="gesperrt">freilegen</em>, <em class="gesperrt">bloßlegen</em> und
-<em class="gesperrt">lahmlegen</em>. Gerade diese aber können den Unterschied zeigen: wie
-richtig sind <em class="gesperrt">sie</em> gebildet! Wie anschaulich wird gesagt: den Dom
-<em class="gesperrt">freilegen</em> (nämlich durch Wegreißen der Nachbarhäuser), oder:
-einen Schaden <em class="gesperrt">bloßlegen</em> – unwillkürlich denkt man an den Arzt,
-der Haut und Muskeln auf die Seite legt, bis der verletzte Knochen
-<em class="gesperrt">bloßliegt</em>, oder: einen in seiner Tätigkeit <em class="gesperrt">lahmlegen</em>
-– denn wer gelähmt ist, der ist ja zum <em class="gesperrt">Liegen</em> verurteilt!
-Besser ist <em class="gesperrt">festlegen</em> gebildet; man redet z.&#160;B. davon, daß
-die Ostertage <em class="gesperrt">festgelegt</em> werden sollen. Bisher hatten wir
-nur <em class="gesperrt">feststellen</em> und <em class="gesperrt">festsetzen</em>, aber beides drückt
-doch das nicht recht aus, was man sagen will: etwas bewegliches
-gleichsam aufschrauben, daß es sich nicht mehr rühren kann, etwa wie
-die Pfote eines Hündchens bei der Vivisektion. Gräßliches Bild! Aber
-man geht vielleicht nicht fehl damit, wenn man nach der Herkunft
-von <em class="gesperrt">festlegen</em> sucht. Das Neueste ist – <em class="gesperrt">leerstellen</em>
-und <em class="gesperrt">offenstellen</em>. Ein Leipziger Baubeamter schreibt: den
-Bewohnern ist schon gekündigt; sowie die Gebäude <em class="gesperrt">leergestellt</em>
-sein werden, sollen sie <em class="gesperrt">zum Abbruch gebracht</em> (!) werden.
-Und ein Zeitungschreiber berichtet: Fabrikbesitzer haben Gärten
-für ihre Arbeiter geschaffen, aber auch für die übrigen Bewohner
-<em class="gesperrt">offen gestellt</em>. Natürlich, die guten Wörter <em class="gesperrt">räumen</em> und
-<em class="gesperrt">öffnen</em> sind den Leuten nicht eingefallen; aber sie haben einmal
-davon gehört, daß ein Haus <em class="gesperrt">leer steht</em> und ein Garten <em class="gesperrt">offen
-steht</em>, da muß man sie doch auch <em class="gesperrt">leer stellen</em><span class="pagenum" id="Seite_404">[S. 404]</span> und <em class="gesperrt">offen
-stellen</em> können. Und so wird die Stellerei wohl fröhlich weitergehen.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Fort_oder_weg">Fort oder weg?</h3>
-
-</div>
-
-<p>Nichts weiter als eine Modeziererei ist es auch, daß man das Adverbium
-<em class="gesperrt">weg</em> zu verdrängen und überall <em class="gesperrt">fort</em> an seine Stelle
-zu setzen sucht. Die Mode stammt aus dem Niederdeutschen, hat sich
-zunächst in das Berliner Deutsch eingedrängt und dann von da aus
-weitergefressen.</p>
-
-<p>Unleugbar gibt es eine Anzahl von Zeitwörtern, bei denen es keinen
-fühlbaren Unterschied macht, ob sie mit <em class="gesperrt">weg</em> oder mit <em class="gesperrt">fort</em>
-zusammengesetzt werden. Aber ebenso sicher gibt es eine Anzahl andrer,
-bei denen bisher in der Anwendung von <em class="gesperrt">weg</em> und <em class="gesperrt">fort</em>
-nicht bloß ein feiner, sondern ein ziemlich grober Unterschied
-gemacht worden ist, den alle guten Schriftsteller beobachtet haben
-und noch beobachten. <em class="gesperrt">Fort</em> nämlich (verwandt mit <em class="gesperrt">vor</em> und
-<em class="gesperrt">vorn</em>) steht in dem Sinne von <em class="gesperrt">vorwärts</em>, wobei stets ein
-bestimmtes Ziel vorschwebt, wenn es auch nicht genannt ist; es wird
-überdies nicht bloß vom Raume, sondern auch von der Zeit gebraucht.
-<em class="gesperrt">Weg</em> dagegen (dasselbe wie <em class="gesperrt">Weg</em>) wird nur räumlich
-gebraucht und bedeutet: <em class="gesperrt">aus dem Wege</em>, <em class="gesperrt">auf die Seite</em>,
-wobei man nicht an ein Ziel, sondern an ein Verschwinden denkt. Wer
-verreisen will, kann sagen: mein Koffer ist glücklich <em class="gesperrt">fort</em>,
-in einer Stunde fahre ich; es kann aber auch vorkommen, daß er sagen
-muß: ich kann nicht fahren, mein Koffer ist <em class="gesperrt">weg</em>. In einer
-Volksmasse wird jemand mit <em class="gesperrt">fortgerissen</em>, d.&#160;h. in die Strömung
-hinein, auch von Begeisterung wird jemand <em class="gesperrt">fortgerissen</em>,
-z.&#160;B. dem hohen Ziele zu, zu dem uns der Künstler führen will; aber
-eine Mauer, ein Haus, ein Damm wird <em class="gesperrt">weggerissen</em>. Wer aus der
-großen Stadt auf ein einsames Dorf zieht, kommt sich anfangs wie
-<em class="gesperrt">weggesetzt</em> vor, aber nicht wie <em class="gesperrt">fortgesetzt</em>. Der Bruder
-sagt zur Schwester: <em class="gesperrt">setze</em> deine Malerei (das Malgerät) jetzt
-<em class="gesperrt">weg</em>, wir wollen Klavier spielen: nach einer Stunde aber: es ist
-genug, <em class="gesperrt">setze</em> deine Malerei (das Malen) nun <em class="gesperrt">fort</em>. Wenn
-ich ein Bild abzeichne, auf dem auch ein Sperling<span class="pagenum" id="Seite_405">[S. 405]</span> dargestellt ist, so
-kann ich den Sperling <em class="gesperrt">weglassen</em>; wenn ich aber einen lebendigen
-Sperling in der Hand habe, so kann ich ihn <em class="gesperrt">fortlassen</em>. Auf
-sumpfiger Landstraße kann man schlecht <em class="gesperrt">fortkommen</em>, aber bei
-einem gewagten Geschäft kann man schlecht <em class="gesperrt">wegkommen</em>. Von zwei
-Hunden, die aus <em class="gesperrt">einem</em> Napfe saufen sollten, kann ich sagen:
-der große hat dem kleinen alles <em class="gesperrt">weggesoffen</em>; ein bekannter §
-11 aber lautet: es wird <em class="gesperrt">fortgesoffen</em>. Wie jemand das Bedürfnis
-nach diesen Unterscheidungen verlieren kann, ist unbegreiflich. Aber
-die Zahl derer, die sich einbilden, <em class="gesperrt">weg</em> sei gemein, <em class="gesperrt">fort</em>
-sei fein, wird immer größer; man sagt nur noch: die beiden letzten
-Sätze der Symphonie wurden <em class="gesperrt">fortgelassen</em> – wo wurden sie denn
-hingelassen? die Mauern auf der Akropolis sind <em class="gesperrt">fortgebrochen</em>
-worden – wo sind sie denn hingebrochen worden? Sie hatte das Bild
-<em class="gesperrt">fortgeschlossen</em> – der Damm wurde durch Überschwemmung
-<em class="gesperrt">fortgerissen</em> – es ist eine nicht <em class="gesperrt">fortzuleugnende</em> (!)
-Tatsache – ich habe darüber <em class="gesperrt">fortgelesen</em> (!) – meine Bleistifte
-<em class="gesperrt">kommen</em> mir immer <em class="gesperrt">fort</em> (!) – er hat mir meine Mütze
-<em class="gesperrt">fortgenommen</em> (!) – so ist es richtig Berlinisch, und wer ein
-feiner Mann sein will, der schwatzt es nach. Vielleicht <em class="gesperrt">setzt</em>
-man <em class="gesperrt">sich</em> auch noch über einen schweren Verlust <em class="gesperrt">fort</em> oder
-spricht sich <em class="gesperrt">fortwerfend</em> über jemand aus, und in den Berliner
-Gymnasien singt man vielleicht nächstens in Uhlands Gutem Kameraden:
-ihn hat es <em class="gesperrt">fortjerissen</em>, er liegt mir vor den Füßen.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Schwulst">Schwulst</h3>
-
-</div>
-
-<p>Daß die Sprachmode wie die Kleidermode auch den Schwulst liebt, ist
-kein Wunder. Schon die bisherigen Beispiele haben es zum Teil gezeigt,
-aber es gibt noch viele andre. Auch die Sprache hat ihre Reifröcke,
-ihre Schinkenärmel, ihre Schleppen; die Sucht, sich möglichst breit
-auszudrücken, geht durch unsre ganze Schriftsprache. Wo für einen
-Begriff zwei Wörter zur Verfügung stehen, ein kurzes und ein langes,
-da wird gewiß das lange vorgezogen. Man schreibt nicht <em class="gesperrt">sein</em>,
-<em class="gesperrt">haben</em>, <em class="gesperrt">können</em>, <em class="gesperrt">kommen</em>, <em class="gesperrt">geben</em>, <em class="gesperrt">sehen</em>,
-sondern <em class="gesperrt">sich befinden</em> (z.&#160;B. in großer Verlegenheit),
-<em class="gesperrt">besitzen</em>, <em class="gesperrt">vermögen</em> (die<span class="pagenum" id="Seite_406">[S. 406]</span> Hälfte der Bevölkerung
-<em class="gesperrt">vermag</em> weder zu lesen noch zu schreiben), <em class="gesperrt">gelangen</em>,
-<em class="gesperrt">verleihen</em> (Ausdruck wird immer <em class="gesperrt">verliehen</em>, nicht
-<em class="gesperrt">gegeben</em>), <em class="gesperrt">erblicken</em>. Und doch, wie unpassend ist das oft!
-<em class="gesperrt">Erblicken</em> z.&#160;B. bezeichnet ja den Augenblick, wo ich etwas zu
-sehen anfange (vgl. <a href="#Seite_355">S. 355</a>), wo mir etwas ins Auge fällt, mag ich es
-nun vorher gesucht haben oder nicht: eine Stunde lang hatte ich mich
-in dem Menschengewühl nach ihm umgesehen, endlich <em class="gesperrt">erblickte</em> ich
-ihn. Aber: ich <em class="gesperrt">erblicke</em> darin einen großen Fehler, oder: darin
-ist ein großer Fortschritt zu <em class="gesperrt">erblicken</em> – wie jetzt immer
-geschrieben wird –, oder: die meisten haben sich verleiten lassen, in
-dem Märchen eine Verherrlichung des Freimaurertums zu <em class="gesperrt">erblicken</em>
-– ist doch sinnwidrig; denn hier handelt sichs ja um eine dauernde
-Ansicht, und die kann nur durch das schlichte, einfache <em class="gesperrt">sehen</em>
-ausgedrückt werden.</p>
-
-<p>Zahllos sind die Fälle, wo ein einfaches Verbum ganz unnötigerweise
-durch eine Redensart umschrieben wird, wie <em class="gesperrt">Folge leisten</em>,
-<em class="gesperrt">Verzicht leisten</em>, <em class="gesperrt">Abbitte leisten</em> u.&#160;ähnl., oder
-durch eine schleppende Weiterbildung verdrängt wird. Geld wird
-nicht mehr <em class="gesperrt">eingenommen</em> und <em class="gesperrt">ausgegeben</em>, sondern nur
-noch <em class="gesperrt">vereinnahmt</em> und <em class="gesperrt">verausgabt</em>. Die Kosten einer
-Sache werden nicht mehr so und so hoch <em class="gesperrt">angeschlagen</em>, sondern
-<em class="gesperrt">veranschlagt</em>. Prozente werden nicht <em class="gesperrt">abgezogen</em>,
-sondern <em class="gesperrt">verabzugt</em>, Porto wird nicht <em class="gesperrt">ausgelegt</em>,
-sondern <em class="gesperrt">verauslagt</em>, und ein kluger, aufgeweckter Junge heißt
-nicht mehr glücklich <em class="gesperrt">angelegt</em>, sondern <em class="gesperrt">beanlagt</em> oder
-<em class="gesperrt">veranlagt</em>. Lauter fürchterliche Wörter – aus dem Zeitwort
-ist ein Hauptwort gebildet, und aus dem Hauptwort dann wieder ein
-Zeitwort! Freilich sind sie nicht schlimmer als <em class="gesperrt">beauftragt</em>,
-<em class="gesperrt">beaufsichtigt</em> (vgl. <em class="gesperrt">Aufseher</em>), <em class="gesperrt">beansprucht</em> (statt
-<em class="gesperrt">angesprochen</em>), <em class="gesperrt">bevorzugt</em> (statt <em class="gesperrt">vorgezogen</em>),
-<em class="gesperrt">beeinflußt</em>, <em class="gesperrt">bewerkstelligt</em> (man überlege sich einmal,
-was <em class="gesperrt">Werkstelle</em> heißt!), Wörter, an die wir uns längst gewöhnt
-haben, und die bei ihrem ersten Auftauchen für feinfühligere
-Ohren gewiß ebenso fürchterlich gewesen sind wie für uns heute
-<em class="gesperrt">vereinnahmt</em> und <em class="gesperrt">verauslagt</em>; aber es ist doch gut, sich
-des Schwulstes bewußt<span class="pagenum" id="Seite_407">[S. 407]</span> zu werden. Auch in der Häufung der Präfixe
-und Präpositionen vor den Zeitwörtern können sich manche nicht
-genug tun. Da wird ein Stipendium nicht <em class="gesperrt">ausgezahlt</em>, sondern
-<em class="gesperrt">ausbezahlt</em>, da werden <em class="gesperrt">anlangen</em> und <em class="gesperrt">betreffen</em>
-beide zu <em class="gesperrt">anbelangen</em> und <em class="gesperrt">anbetreffen</em> verlängert,
-man <em class="gesperrt">lebt sich</em> in einen Gedanken <em class="gesperrt">hinein</em> (statt
-<em class="gesperrt">ein</em>), man führt ein Musikwerk <em class="gesperrt">mit Hinweglassung</em>
-des Chors auf (statt: <em class="gesperrt">ohne</em> Chor), vor allen Dingen aber
-<em class="gesperrt">bildet sich</em> nichts mehr <em class="gesperrt">aus</em>, sondern alles bildet
-sich <em class="gesperrt">heraus</em>: schon lange vor Einführung der Buchdruckerkunst
-hatte sich bei der Kirche die Sitte <em class="gesperrt">herausgebildet</em> usw.
-Woherrraus denn? Der Ausdruck hat etwas so gewaltsames, daß man
-die Sitte wie aus einem Krater hervorbrodeln sieht. Am Ende werden
-noch Trinksprüche <em class="gesperrt">hinausgebracht</em> und einem ein paar Hiebe
-<em class="gesperrt">hinaufgezählt</em>. Und welcher Schwulst, wenn jedes <em class="gesperrt">auch</em>
-durch <em class="gesperrt">ebenfalls</em> oder <em class="gesperrt">gleichfalls</em>, jedes <em class="gesperrt">viel</em>
-durch <em class="gesperrt">zahlreich</em>, jedes <em class="gesperrt">oft</em> durch <em class="gesperrt">häufig</em>, jedes
-<em class="gesperrt">nur</em> durch <em class="gesperrt">lediglich</em>, jedes <em class="gesperrt">viel</em> vor dem Komparativ
-(<em class="gesperrt">viel</em> weniger) durch <em class="gesperrt">bedeutend</em>, <em class="gesperrt">unvergleichlich</em>,
-<em class="gesperrt">unverhältnismäßig</em> oder womöglich gar <em class="gesperrt">unendlich</em>
-ersetzt, jedes <em class="gesperrt">sehr</em> und <em class="gesperrt">mehr</em> umschrieben wird durch:
-<em class="gesperrt">in hohem Grade</em>, <em class="gesperrt">in ausgedehntem Maße</em>, <em class="gesperrt">in höherm
-Grade</em>, <em class="gesperrt">in erhöhtem Maße</em>, jedes <em class="gesperrt">so</em> durch: <em class="gesperrt">auf
-diese Art und Weise</em>, wenn für <em class="gesperrt">näher</em>, <em class="gesperrt">weiter</em>,
-<em class="gesperrt">länger</em>, <em class="gesperrt">breiter</em>, <em class="gesperrt">öfter</em> immer geschrieben wird:
-<em class="gesperrt">des nähern</em> (oder gar <em class="gesperrt">näheren</em>), <em class="gesperrt">des weitern</em>,
-<em class="gesperrt">des längern</em>, <em class="gesperrt">des breitern</em>, <em class="gesperrt">des öftern</em>, oder wenn
-jemand Bericht erstattet nicht <em class="gesperrt">als</em> Rektor oder Vorsitzender,
-sondern <em class="gesperrt">in seiner Eigenschaft als</em> Rektor, <em class="gesperrt">in seiner
-Eigenschaft als</em> Vorsitzender, wenn <em class="gesperrt">schwere</em> Bedenken oder
-Vorwürfe zu <em class="gesperrt">schwerwiegenden</em> Bedenken und Vorwürfen, eine
-<em class="gesperrt">schwere</em> Aufgabe zu einer <em class="gesperrt">mit Schwierigkeiten verbundnen</em>,
-eine <em class="gesperrt">erste</em> Aufführung und eine <em class="gesperrt">erste</em> Einrichtung zu
-<em class="gesperrt">erstmaligen</em> gemacht werden (die <em class="gesperrt">erstmalige</em> Zusammenkunft
-der deutschen Architekten fand 1842 in Leipzig statt),<a id="FNAnker_170" href="#Fussnote_170" class="fnanchor">[170]</a> oder wenn
-immer von<span class="pagenum" id="Seite_408">[S. 408]</span> <em class="gesperrt">Vorahnung</em>, <em class="gesperrt">Voranschlag</em>, <em class="gesperrt">Vorbedingung</em>,
-<em class="gesperrt">Rückerinnerung</em>, <em class="gesperrt">Beihilfe</em>, <em class="gesperrt">Herabminderung</em> geredet
-wird, als ob man Bedingungen auch hinterher stellen, sich an ein
-Erlebnis auch voraus erinnern oder einen Aufwand hinaufmindern könnte!
-Wie der Schwulst immer mehr zunimmt, mag folgendes Beispiel zeigen:
-der Fall <em class="gesperrt">ist</em> sehr verwickelt – der Fall <em class="gesperrt">liegt</em> sehr
-verwickelt – der Fall <em class="gesperrt">ist</em> sehr verwickelt <em class="gesperrt">gelagert</em>
-– die <em class="gesperrt">Lagerung</em> des Falls <em class="gesperrt">ist</em> sehr verwickelt – die
-<em class="gesperrt">Lagerung</em> des Falls <em class="gesperrt">ist eine</em> sehr verwickelte. Weiter
-gehts nicht! In solchem Deutsch spricht man aber jetzt mit Vorliebe
-in Vereinsversammlungen, schreibt man in Jahresberichten, ja man
-unterhält sich darin schon am Biertisch, denn so schreiben die
-Leitartikelschreiber und die Reporter des Lokalblatts, und das sind ja
-die Lehrmeister des Volks auch in Sprachdingen.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Ruecksichtnahme_und_Verzichtleistung">Rücksichtnahme und
-Verzichtleistung</h3>
-
-</div>
-
-<p>Erzeugnisse des Sprachschwulstes sind unter den Substantiven besonders
-die Zusammensetzungen mit <em class="gesperrt">nahme</em>, die in neuerer Zeit so
-beliebt geworden sind: <em class="gesperrt">Parteinahme</em>, <em class="gesperrt">Stellungnahme</em>,
-<em class="gesperrt">Rücksichtnahme</em>, <em class="gesperrt">Einsichtnahme</em>, <em class="gesperrt">Anteilnahme</em>,
-<em class="gesperrt">Abschriftnahme</em>, sogar <em class="gesperrt">Einflußnahme</em> und <em class="gesperrt">Rachenahme</em>!
-Einige dieser Bildungen sind ganz überflüssig. Oder könnte es
-wirklich mißverstanden werden, wenn jemand sagt: er handelte
-ohne <em class="gesperrt">Rücksicht</em> auf seine Freunde – lege mir die Papiere
-zur <em class="gesperrt">Einsicht</em> vor – ich erhielt von ihm die Tafeln zur
-<em class="gesperrt">Abschrift</em>? Wozu das -<em class="gesperrt">nahme</em>? Offenbar soll es die
-Handlung ausdrücken. Aber die liegt doch schon in <em class="gesperrt">Rücksicht</em>,
-<em class="gesperrt">Einsicht</em> und <em class="gesperrt">Abschrift</em>, fühlt man das gar nicht mehr?
-Recht töricht ist <em class="gesperrt">Einflußnahme</em>, denn Einfluß hat man entweder,
-oder man gewinnt ihn, man kann ihn auch zu gewinnen suchen, sich ihn
-sogar anmaßen, aber man „nimmt“ ihn nicht. <em class="gesperrt">Anteilnahme</em> (in
-Leipzig <em class="gesperrt">Ahnteilnahme</em> ausgesprochen) ist nichts als eine häßliche
-Verbreiterung von <em class="gesperrt">Teilnahme</em>. Man scheint sich jetzt einzubilden,
-<em class="gesperrt">Teilnahme</em> sei auf traurige Ereignisse, Unglücksfälle,
-Todesfälle u.&#160;dgl. zu beschränken, in allen andern Fällen müsse<span class="pagenum" id="Seite_409">[S. 409]</span> es
-<em class="gesperrt">Anteilnahme</em> heißen. Ein vernünftiger Grund zu einer solchen
-Unterscheidung liegt nicht vor. Es wäre doch lächerlich, wenn nicht
-auch bei einem freudigen Ereignis meine <em class="gesperrt">Teilnahme</em> genügte;
-<em class="gesperrt">Parteinahme</em> und <em class="gesperrt">Stellungnahme</em> scheinen auf den ersten
-Blick unentbehrlich zu sein, aber doch nur deshalb, weil man immer in
-ein Substantiv zusammenquetschen zu müssen glaubt, was man mit dem
-Verbum sagen sollte.</p>
-
-<p>Wie mit <em class="gesperrt">Rücksichtnahme</em> aber verhält sichs auch mit
-<em class="gesperrt">Hilfeleistung</em> und <em class="gesperrt">Verzichtleistung</em>; <em class="gesperrt">Hilfe</em> und
-<em class="gesperrt">Verzicht</em> sagen genau dasselbe.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Anders_andersartig_und_anders_geartet">Anders, andersartig und anders
-geartet</h3>
-
-</div>
-
-<p>Ein entsetzlicher Schwulst greift neuerdings unter gewissen
-Eigenschaftswörtern um sich: man fühlt nicht mehr oder tut so, als
-ob man nicht mehr fühlte, daß diese Eigenschaftswörter eben die
-Art, die Eigenschaft eines Dinges bezeichnen, sondern glaubt, das
-noch besonders ausdrücken zu müssen, indem man das Wort <em class="gesperrt">Art</em>
-zu Hilfe nimmt. Bildungen wie <em class="gesperrt">gutartig</em>, <em class="gesperrt">bösartig</em> und
-<em class="gesperrt">großartig</em> sind ja schon alt und haben mit der Zeit einen Sinn
-angenommen, der sich von dem einfachen <em class="gesperrt">gut</em>, <em class="gesperrt">böse</em> und
-<em class="gesperrt">groß</em> unterscheidet, wiewohl zwischen einem <em class="gesperrt">bösen</em> Hund
-und einem <em class="gesperrt">bösartigen</em> Hund, einer <em class="gesperrt">großen</em> Auffassung und
-einer <em class="gesperrt">großartigen</em> Auffassung ein recht geringer Unterschied
-ist. Aber schon <em class="gesperrt">fremdartig</em> und <em class="gesperrt">verschiedenartig</em> ist
-doch oft nichts als eine überflüssige Verbreiterung von <em class="gesperrt">fremd</em>
-und <em class="gesperrt">verschieden</em>. Oder wäre es wirklich nicht mehr deutlich,
-wenn man sagt: es ist dem innersten Wesen des Deutschen <em class="gesperrt">fremd</em>
-– oder wenn man Gaslicht und elektrisches Licht <em class="gesperrt">verschiednes</em>
-Licht nennt? Vollends unnötiger Schwulst aber ist in den meisten
-Fällen das neumodische <em class="gesperrt">andersartig</em> für <em class="gesperrt">anders</em>. Oder ist
-es etwa nicht mehr zu verstehen, wenn jemand sagt: die Befriedigung,
-die wir aus der Kunst schöpfen, ist eine ganz <em class="gesperrt">andre</em> als die,
-die uns die Natur gewährt? (Vgl., was <a href="#Seite_370">S. 370</a> über <em class="gesperrt">eigen</em> und
-<em class="gesperrt">eigenartig</em> gesagt ist.)</p>
-
-<p>Man begnügt sich aber schon nicht mehr mit den Zusammensetzungen von
-<em class="gesperrt">artig</em> – es scheint das noch<span class="pagenum" id="Seite_410">[S. 410]</span> nicht schwülstig genug zu sein
-–, sondern hat das herrliche Partizip <em class="gesperrt">geartet</em> erfunden und
-schreibt nun nicht bloß von einer <em class="gesperrt">anders gearteten</em> Zeit und
-<em class="gesperrt">anders gearteten</em> Verhältnissen, sondern auch von einer <em class="gesperrt">so
-gearteten</em> Begabung (statt von einer <em class="gesperrt">solchen</em>), von <em class="gesperrt">ähnlich
-gearteten</em> Unternehmungen (statt von <em class="gesperrt">ähnlichen</em>) usw. Ist der
-heutige Sextaner <em class="gesperrt">anders geartet</em> als der frühere? – man sah der
-Ausführung zwar mit <em class="gesperrt">anders gearteter</em>, aber nicht geringerer
-Spannung entgegen – wären alle Deutschen Österreichs <em class="gesperrt">so geartet</em>
-wie die Siebenbürger Sachsen – das Schöffengericht hat in einem ganz
-<em class="gesperrt">ähnlich gearteten</em> Falle auf Freisprechung erkannt (vgl. <a href="#Seite_408">S. 408</a>
-den <em class="gesperrt">gelagerten</em> Fall!) – mit der besondern Veranlassung war auch
-eine <em class="gesperrt">besonders geartete</em> Zuhörerschaft gegeben – so spreizt man
-sich, und dabei ist man womöglich noch stolz auf seinen Scharfsinn,
-der den Unterschied zwischen <em class="gesperrt">ähnlich</em> und <em class="gesperrt">ähnlich geartet</em>
-ausgediftelt hat.</p>
-
-<p>Vielleicht erleben wirs noch, daß auch <em class="gesperrt">anders geartet</em> nicht mehr
-genügt, daß man sagt: die Befriedigung, welche (!) wir aus der Kunst
-schöpfen, ist eine ganz <em class="gesperrt">andersartig geartete</em> als diejenige,
-welche (!) uns die Natur gewährt. Breiter könnte dann der Ausdruck beim
-besten Willen nicht genudelt werden.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Haben_und_besitzen">Haben und besitzen</h3>
-
-</div>
-
-<p>Wohin es führt, wenn man ein kurzes Zeitwort immer gedankenlos und aus
-bloßer Neigung zur Breite durch ein längeres ersetzt, zeigt am besten
-der heutige Mißbrauch von <em class="gesperrt">besitzen</em> für <em class="gesperrt">haben</em>. Auch er
-ist, wie der Mißbrauch des Zeitworts <em class="gesperrt">bedingen</em> (vgl.
-<a href="#Seite_398">S. 398</a>), zu völliger Verrücktheit ausgeartet.</p>
-
-<p>Die Grundbedeutung von <em class="gesperrt">haben</em> ist <em class="gesperrt">halten</em>, <em class="gesperrt">in der Hand
-haben</em>. Aus ihr hat sich dann leicht die des Eigentums, des Besitzes
-entwickelt, wie sie deutlich in <em class="gesperrt">Habe</em> vorliegt. Aber damit ist
-die Anwendung des Wortes nicht erschöpft: mit <em class="gesperrt">haben</em> läßt sich
-fast jeder denkbare Zusammenhang, jedes denkbare Verhältnis zwischen
-zwei Dingen ausdrücken. <em class="gesperrt">Besitzen</em> dagegen bedeutet ursprünglich
-<em class="gesperrt">auf etwas sitzen</em>. Das erste,<span class="pagenum" id="Seite_411">[S. 411]</span> was der Mensch „besaß“, war
-unzweifelhaft der Grund und Boden, auf dem er saß. Noch im siebzehnten
-Jahrhundert „besaß“ der Richter die Bank, der Reiter das Pferd, die
-brütende Henne die Eier. Vom Grund und Boden ist das Wort dann auf
-andre Dinge übertragen worden, die unser Eigentum sind, vor allem auf
-das Haus, das auf dem Grund und Boden errichtet ist – auch dieses
-„besitzt“ man noch im eigentlichen Sinne des Wortes, man sitzt darin,
-man ist Insasse des Hauses –, dann auch auf alle fahrende Habe, auf
-allen Hausrat und endlich auf das liebe Geld. Damit ist aber die
-sinngemäße Anwendung des Wortes erschöpft.</p>
-
-<p>Bedenklich ist es schon, Kinder als Besitztum der Eltern zu bezeichnen:
-er <em class="gesperrt">besaß</em> vier <em class="gesperrt">Kinder</em>, zwei Söhne und zwei Töchter.
-Eltern <em class="gesperrt">haben</em> Kinder, aber sie <em class="gesperrt">besitzen</em> sie nicht.
-Dasselbe gilt von dem Verhältnis des Herrn zum Diener, des Herrschers
-zu den Untertanen, des Freundes zum Freunde. Es ist abgeschmackt, zu
-schreiben: er hatte viele sympathische Züge, und doch <em class="gesperrt">besaß</em> er
-keinen <em class="gesperrt">Freund</em>. Wer die Abgeschmacktheit nicht fühlen sollte,
-der kehre sich die Verhältnisse um; wenn Eltern Kinder, ein Herrscher
-Untertanen „besitzt“, dann „besitzen“ auch Kinder Eltern und Untertanen
-einen Herrscher. In der Tat schrickt man auch vor solchem Unsinn
-schon nicht mehr zurück; man schreibt: er <em class="gesperrt">besaß Eltern</em>, die
-töricht genug gewesen waren, in seinen Kinderjahren die Keime der
-Genußsucht in seinem Herzen zu pflegen – Tycho Brahe <em class="gesperrt">besaß</em>
-auch entfernte <em class="gesperrt">Verwandte</em> in Schweden – wir <em class="gesperrt">besitzen</em> in
-unsrer Verwandtschaft einen berühmten <em class="gesperrt">Astronomen</em> – Preußen
-<em class="gesperrt">besitzt</em> in den Hohenzollern ein <em class="gesperrt">Herrschergeschlecht</em>, um
-das es jedes andre Land beneiden kann. Ist das richtig, dann kann man
-schließlich auch einen Onkel, einen Großvater, einen Gönner, einen
-Widersacher „besitzen“, eine Stadt kann einen Bürgermeister, eine
-Kompagnie einen Hauptmann „besitzen“.<a id="FNAnker_171" href="#Fussnote_171" class="fnanchor">[171]</a></p>
-
-<p>Ebenso bedenklich ist es, einen Teil unsers eignen Selbst, also
-entweder den Körper oder den Geist oder<span class="pagenum" id="Seite_412">[S. 412]</span> einen Teil des Körpers als
-unser Besitztum zu bezeichnen und zu schreiben: er <em class="gesperrt">besaß</em> einen
-kräftigen, wohlgebauten <em class="gesperrt">Körper</em> – sie <em class="gesperrt">besaß</em> eine feine,
-schmale, wohlgepflegte <em class="gesperrt">Hand</em> (in Romanen sehr beliebt!) – ein
-Kind, das ganz normal entwickelt ist, aber leider keine <em class="gesperrt">Augen
-besitzt</em> – ich habe dir treu gedient, ohne daß du ein <em class="gesperrt">Auge</em>
-dafür <em class="gesperrt">besaßest</em> – er <em class="gesperrt">besaß</em> ein <em class="gesperrt">Ohr</em> für den
-Pulsschlag der Zeit – die Soldaten möchten bedenken, daß die Schwarzen
-auch ein <em class="gesperrt">Herz besäßen</em>. Derselbe Fall ist es, wenn Bestandteile
-einer Sache als Besitztum der Sache bezeichnet werden, z.&#160;B.: die
-Peterskirche <em class="gesperrt">besitzt</em> eine Menge kleiner <em class="gesperrt">Türmchen</em> –
-der Turm <em class="gesperrt">besitzt</em> auf jeder Seite eine <em class="gesperrt">Uhr</em> – das Stück
-<em class="gesperrt">besitzt</em> fünf <em class="gesperrt">Akte</em> – das Werk <em class="gesperrt">besitzt</em> über 100
-<em class="gesperrt">Abbildungen</em> – die spanisch-maurischen Fayencen <em class="gesperrt">besaßen</em>
-eine <em class="gesperrt">Zinnglasur</em> – das Buschweidenröschen <em class="gesperrt">besitzt</em> einen
-unterirdischen wurzelartigen <em class="gesperrt">Stengel</em> – diese Schaftstiefel
-<em class="gesperrt">besitzen</em> <em class="gesperrt">Doppelsohlen</em>, oben von Leder, unten von Blech
-– wir reden von Fensterscheiben, die doch meist vier <em class="gesperrt">Ecken
-besitzen</em>.</p>
-
-<p>Unzählig aber sind nun die Fälle, wo gar äußere oder innere
-Eigenschaften einer Person oder Sache, Zustände, Empfindungen,
-Geistestätigkeiten und ähnliches unsinnigerweise als Besitztum der
-Person oder Sache hingestellt werden. Da schreibt man z. B: dieser
-Orden wird auch an solche Leute verliehen, die keinen <em class="gesperrt">Hofrang
-besitzen</em> – er <em class="gesperrt">besaß</em> eine auskömmliche <em class="gesperrt">Stellung</em>
-– Herr R. <em class="gesperrt">besaß</em> damals ein <em class="gesperrt">Engagement</em> in Leipzig –
-so wenig wird man begriffen, wenn man die <em class="gesperrt">Eigenschaften</em> des
-Künstlers <em class="gesperrt">besitzt</em> – K. <em class="gesperrt">besitzt</em> dazu weder das reife,
-ruhige <em class="gesperrt">Urteil</em>, noch die nötige <em class="gesperrt">Sachlichkeit</em>, ja auch
-die nötige <em class="gesperrt">Wahrheitsliebe</em> – unsre Juden <em class="gesperrt">besitzen</em>
-nicht die <em class="gesperrt">Feinheit</em> der Empfindung, vor dieser deutlichen
-Ablehnung zurückzutreten – einige Tanzweisen der nordischen Völker
-<em class="gesperrt">besitzen</em> mit denen der alten Deutschen große <em class="gesperrt">Ähnlichkeit</em>
-– der hochgeehrte Rat wolle die <em class="gesperrt">Güte besitzen</em>, unser Gesuch
-wohlwollend in Erwägung zu ziehen – das moderne Theater <em class="gesperrt">besitzt</em>
-einen ganz bestimmten <em class="gesperrt">Charakter</em> – entscheidend ist die
-Frage, ob die bedeutendern Künstler<span class="pagenum" id="Seite_413">[S. 413]</span> diese <em class="gesperrt">Kennzeichen</em> des
-Klassizismus <em class="gesperrt">besitzen</em> oder nicht – die <em class="gesperrt">Bedeutung</em>, die
-in der Entwicklung Englands die normannische Eroberung <em class="gesperrt">besitzt</em>
-– die Reise des Kaisers nach London scheint eine politische
-<em class="gesperrt">Bedeutung</em> zu <em class="gesperrt">besitzen</em> – fast alle englischen Offiziere
-<em class="gesperrt">besitzen Spitznamen</em> – beide Bauten <em class="gesperrt">besitzen</em> einen
-langgestreckten, rechteckigen <em class="gesperrt">Grundriß</em> – diese epochemachende
-Camera <em class="gesperrt">besitzt</em> folgende <em class="gesperrt">Einrichtung</em> – der Mann
-<em class="gesperrt">besitzt</em> die stattliche <em class="gesperrt">Größe</em> von 2,26 Metern – die
-Passage <em class="gesperrt">besitzt</em> eine <em class="gesperrt">Länge</em> von dreiundvierzig Metern
-– die Zigarre <em class="gesperrt">besitzt</em> einen schönen, angenehmen <em class="gesperrt">Brand</em>
-– dieser Fleischextrakt <em class="gesperrt">besitzt</em> den <em class="gesperrt">Wohlgeschmack</em>
-des frischen Fleisches – diese Sprachen <em class="gesperrt">besaßen</em> nur die
-<em class="gesperrt">Stellung</em> von Mundarten – man muß sich bewußt bleiben, daß diese
-Unterscheidung keinen theoretischen, sondern nur einen praktischen
-<em class="gesperrt">Wert besitzt</em> – der Name dieses Künstlers <em class="gesperrt">besitzt</em> für
-uns alle einen vertrauten <em class="gesperrt">Klang</em> – das Genie <em class="gesperrt">besitzt</em>
-eine <em class="gesperrt">Verwandtschaft</em> mit dem Wahnsinn – priesterlicher Gesang
-kann nicht die <em class="gesperrt">Töne besitzen</em>, aus denen das leise Erzittern des
-frommen Herzens spricht – für die moderne Revolution <em class="gesperrt">besitzen</em>
-Dichter und Denker kaum eine geringere <em class="gesperrt">Bedeutung</em> als die Männer
-der Tat – man <em class="gesperrt">besitzt</em> in Preußen volles <em class="gesperrt">Verständnis</em>
-für den sächsischen Standpunkt – wir <em class="gesperrt">besitzen</em> an einer
-Vermehrung der Streitkräfte unsrer Nachbarn nicht das geringste
-<em class="gesperrt">Interesse</em> – die Landstreicher zerfallen (!) in solche, deren
-Streben darauf gerichtet ist, bald wieder Arbeit zu finden, und
-solche, die dieses <em class="gesperrt">Streben</em> nicht <em class="gesperrt">besitzen</em> – die meisten
-Menschen <em class="gesperrt">besitzen</em> den sehnlichen <em class="gesperrt">Wunsch</em>, möglichst
-lange zu leben – die Behörden <em class="gesperrt">besaßen</em> keine <em class="gesperrt">Ahnung</em>
-von den ihnen obliegenden Pflichten – wer mit dem Volksleben nicht
-die geringste persönliche <em class="gesperrt">Fühlung besitzt</em> – er <em class="gesperrt">besaß</em>
-die moralische <em class="gesperrt">Überzeugung</em> von ihrer Unschuld – er hatte die
-Kühnheit, eine eigne <em class="gesperrt">Meinung</em> zu <em class="gesperrt">besitzen</em> (warum nicht
-auch: er <em class="gesperrt">besaß</em> die <em class="gesperrt">Kühnheit</em>?) – zu dem praktischen
-Blick seiner Mutter <em class="gesperrt">besaß</em> er unbedingtes <em class="gesperrt">Vertrauen</em> –
-die Neuberin <em class="gesperrt">besaß</em> jedenfalls mehr <em class="gesperrt">Begeisterung</em> für die
-Kunst als Pollini – jeder Preuße,<span class="pagenum" id="Seite_414">[S. 414]</span> der die <em class="gesperrt">Befähigung</em> zu den
-Gemeindewahlen <em class="gesperrt">besitzt</em> – die Erde <em class="gesperrt">besitzt Raum</em> genug
-für den Wettkampf der zwei germanischen Völker (Schiller: <em class="gesperrt">Raum</em>
-für alle <em class="gesperrt">hat</em> die Erde!) – Leute, die gern Konjekturen
-machen, <em class="gesperrt">besitzen</em> hier ein ergiebiges <em class="gesperrt">Arbeitsfeld</em> –
-wir <em class="gesperrt">besitzen</em> hier einen zuverlässigen <em class="gesperrt">Ausgangspunkt</em> –
-nun erst <em class="gesperrt">besaßen</em> die Künstler den <em class="gesperrt">Malgrund</em>, auf dem
-sie bequem arbeiten konnten – da er keine Beweise vorgebracht hat,
-muß man annehmen, daß er keine <em class="gesperrt">Beweise besaß</em> – gegen die
-Diphtheritis <em class="gesperrt">besitzen</em> die Naturärzte eine <em class="gesperrt">Behandlung</em> von
-ausgezeichnetem Heilerfolg – der Entschlafne <em class="gesperrt">besitzt</em> ein volles
-<em class="gesperrt">Anrecht</em> darauf, daß wir ihn durch Worte dankbarer Erinnerung
-ehren – die Fortbildungsschüler müssen noch eine Menge Dinge lernen,
-in denen sie schon <em class="gesperrt">Übung besitzen</em> sollten – das Konsistorium
-wird hoffentlich die <em class="gesperrt">Konsequenz besitzen</em> (so konsequent sein!),
-ebenfalls aus dem Amte zu scheiden – es traten Persönlichkeiten auf,
-die zum Klagen nicht den geringsten <em class="gesperrt">Grund besaßen</em>. In Leipzig
-kann man sogar schon auf der Straße hören: Nee, so ’ne <em class="gesperrt">Frechheet</em>
-zu <em class="gesperrt">besitzen</em>!</p>
-
-<p>Ein Recht auf eine Sache kann gewiß unter Umständen als eine Art
-wertvollen Besitztums aufgefaßt werden. Dasselbe gilt von Kenntnissen
-und Fertigkeiten. Aber das meinen doch die gar nicht, die gedankenlos
-so etwas hinschreiben, wie daß der Entschlafne (!) ein Anrecht auf
-dankbare Erinnerung „besitze“. <em class="gesperrt">Haben</em> kann auch ein Entschlafner
-noch alles mögliche, <em class="gesperrt">besitzen</em> kann er schlechterdings nichts
-mehr. Aber auch der Lebende kann alle die andern schönen Dinge, wie
-Begeisterung, Streben, Interesse, Verständnis, Vertrauen, Kühnheit,
-„Frechheet“, wohl haben, aber nicht besitzen. <em class="gesperrt">Güte haben</em> ist ja
-nur eine verbreiternde Umschreibung von <em class="gesperrt">gut sein</em>, <em class="gesperrt">Ähnlichkeit
-haben</em> eine Umschreibung von <em class="gesperrt">ähnlich sein</em>. Das sind aber
-Eigenschaften, keine Besitztümer.</p>
-
-<p>Vollends lächerlich ist es, wenn Eigenschaften oder Zustände, die einen
-Schaden oder Mangel bilden, als Besitztümer bezeichnet werden. Und
-doch wird auch geschrieben: das <em class="gesperrt">Leiden</em>, das <em class="gesperrt">er besaß</em>,
-war eine Blasenfistel<span class="pagenum" id="Seite_415">[S. 415]</span> – beim Verhör stellte sich heraus, daß er
-eine tiefe <em class="gesperrt">Wunde</em> am Jochbein sowie eine <em class="gesperrt">Schußwunde</em>
-oberhalb der Herzgegend <em class="gesperrt">besaß</em>. Ja sogar Schulden werden als
-Besitztum hingestellt: das Reich und die Einzelstaaten <em class="gesperrt">besitzen</em>
-gegenwärtig etwas über zehn Milliarden <em class="gesperrt">Staatsschulden</em>. Nettes
-Besitztum!</p>
-
-<p>Aber auch das bloße Dasein, Vorhandensein, Bestehen einer Sache
-an irgendeinem Orte, in einem bestimmten örtlichen Umkreis oder
-sonstigen Bereich läßt sich wohl mit <em class="gesperrt">haben</em> ausdrücken, aber
-nicht mit <em class="gesperrt">besitzen</em>. In Leipzig <em class="gesperrt">sind</em> sechs Bahnhöfe,
-oder: in Leipzig <em class="gesperrt">gibt es</em> sechs Bahnhöfe – dafür kann man auch
-sagen: Leipzig <em class="gesperrt">hat</em> sechs Bahnhöfe. Aber zu schreiben: Leipzig
-<em class="gesperrt">besitzt</em> sechs <em class="gesperrt">Bahnhöfe</em> – ist Unsinn. Leipzig besitzt
-eine Anzahl Waldungen, Rittergüter, auch öffentliche Gebäude, aber
-seine sechs Bahnhöfe <em class="gesperrt">hat</em> es nur. Auf die Spitze getrieben
-erscheint der Unsinn, wenn die Angabe des Ortes wegfällt und nur gesagt
-werden soll, daß eine Sache überhaupt da sei. Anstatt: es ist das die
-älteste <em class="gesperrt">Nachricht</em>, die es hierüber <em class="gesperrt">gibt</em> – kann man
-auch sagen: es ist das die älteste <em class="gesperrt">Nachricht</em>, die wir hierüber
-<em class="gesperrt">haben</em>, wir, nämlich alle, die sich mit der Sache beschäftigen.
-Welch törichtes Gespreiz aber, dafür zu schreiben: es ist das die
-älteste <em class="gesperrt">Nachricht</em>, die wir darüber <em class="gesperrt">besitzen</em> – Weltrichs
-Buch ist die beste wissenschaftliche <em class="gesperrt">Biographie</em> Schillers, die
-wir <em class="gesperrt">besitzen</em> – Minors Kommentar bedeutet (!) das Beste, was wir
-bis jetzt über den Faust <em class="gesperrt">besitzen</em>.</p>
-
-<p>Die Neigung, <em class="gesperrt">besitzen</em> zu schreiben, wo <em class="gesperrt">haben</em> gemeint
-ist, ist freilich nicht von heute und gestern, sie findet sich schon
-im achtzehnten Jahrhundert. Man denke nur an die Worte des Schülers im
-Faust:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Denn was man schwarz auf weiß <em class="gesperrt">besitzt</em>,</div>
- <div class="verse indent0">Kann man getrost nach Hause tragen,</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p class="p0">oder an den Goethischen Spruch:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Wer Wissenschaft und Kunst <em class="gesperrt">besitzt</em>,</div>
- <div class="verse indent0"><em class="gesperrt">Hat</em> auch Religion;</div>
- <div class="verse indent0">Wer jene beiden nicht <em class="gesperrt">besitzt</em>,</div>
- <div class="verse indent0">Der <em class="gesperrt">habe</em> Religion.</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_416">[S. 416]</span></p>
-
-<p class="p0">Sieht man sich aber die Stellen, wo so geschrieben ist, näher an,
-so sieht man, daß es meist mit Absicht geschehen ist, weil eben die
-Sache, um die sichs handelt, als eine Art von Besitztum hingestellt
-werden soll, oder es ist der Abwechslung, des Reims, des Rhythmus
-wegen geschehen.<a id="FNAnker_172" href="#Fussnote_172" class="fnanchor">[172]</a> Zur gedankenlosen Mode ist es erst in unsrer
-Zeit ausgeartet. Nun hat es aber auch so um sich gegriffen, daß man
-auf alles gefaßt sein muß. Es ist gar nicht undenkbar, daß wir noch
-dahin kommen, daß einer auch Recht oder Unrecht, Glück oder Unglück
-<em class="gesperrt">besitzt</em>, eine Pflicht oder Verpflichtung <em class="gesperrt">besitzt</em>, Zeit
-zu einer Arbeit, Lust zu einer Reise <em class="gesperrt">besitzt</em>, Hunger oder Durst
-<em class="gesperrt">besitzt</em>, schlechte Laune <em class="gesperrt">besitzt</em>, das Scharlachfieber
-<em class="gesperrt">besitzt</em>, einen Floh <em class="gesperrt">besitzt</em> usw.</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Verbalsurrogate">Verbalsurrogate</h3>
-
-</div>
-
-<p>Zum Sprachschwulst gehört auch die immer weiter fressende, kaum
-noch irgendeinen Tätigkeitsbegriff verschonende Umschreibung
-einfacher Zeitwörter durch <em class="gesperrt">ziehen</em> und <em class="gesperrt">bringen</em> im
-Aktiv, <em class="gesperrt">gezogen</em> oder <em class="gesperrt">gebracht werden</em>, <em class="gesperrt">kommen</em>,
-<em class="gesperrt">gelangen</em> und <em class="gesperrt">finden</em> im Passiv. Nichts wird mehr
-<em class="gesperrt">erwogen</em>, <em class="gesperrt">überlegt</em>, <em class="gesperrt">erörtert</em>, <em class="gesperrt">betrachtet</em>,
-<em class="gesperrt">berücksichtigt</em>, sondern alles wird <em class="gesperrt">in Erwägung</em>, <em class="gesperrt">in
-Überlegung</em>, <em class="gesperrt">in Erörterung</em>, <em class="gesperrt">in Betracht</em>, <em class="gesperrt">in
-Berücksichtigung gezogen</em>. Nichts wird mehr <em class="gesperrt">vorgelegt</em>,
-<em class="gesperrt">vorgetragen</em>, <em class="gesperrt">aufgeführt</em>, <em class="gesperrt">dargestellt</em>,
-<em class="gesperrt">wiederhergestellt</em>, <em class="gesperrt">ausgeführt</em>, <em class="gesperrt">durchgeführt</em>,
-<em class="gesperrt">angeregt</em>, <em class="gesperrt">angerechnet</em>, <em class="gesperrt">vorgeschlagen</em>,
-<em class="gesperrt">angezeigt</em>, <em class="gesperrt">verkauft</em>, <em class="gesperrt">verteilt</em>, <em class="gesperrt">versandt</em>,
-<em class="gesperrt">ausgegeben</em>, <em class="gesperrt">angewandt</em>, <em class="gesperrt">erledigt</em>,
-<em class="gesperrt">entschieden</em>, <em class="gesperrt">erfüllt</em>, sondern alles wird <em class="gesperrt">zur Vorlage
-gebracht</em>, <em class="gesperrt">zum Vortrag gebracht</em>, <em class="gesperrt">zur Aufführung</em> oder
-<em class="gesperrt">zur Darstellung gebracht</em>, <em class="gesperrt">zur Ausführung</em> oder <em class="gesperrt">zur
-Durchführung gebracht</em>, <em class="gesperrt">in Anregung</em>, <em class="gesperrt">in Anrechnung</em>,
-<em class="gesperrt">in Vorschlag gebracht</em>, <em class="gesperrt">zur Anzeige</em>, <em class="gesperrt">zum Verkauf</em>,
-<em class="gesperrt">zur Verteilung</em>, <em class="gesperrt">zur Versendung gebracht</em>, <em class="gesperrt">zur
-Ausgabe</em>, <em class="gesperrt">zur Anwendung</em>, <em class="gesperrt">zur Erledigung</em>, <em class="gesperrt">zur
-Entscheidung</em>, <em class="gesperrt">zur Erfüllung<span class="pagenum" id="Seite_417">[S. 417]</span> gebracht</em>, oder es <em class="gesperrt">kommt</em>
-oder <em class="gesperrt">gelangt zum Vortrag</em>, <em class="gesperrt">zur Aufführung</em>, <em class="gesperrt">zur
-Wiederherstellung</em>, <em class="gesperrt">in Vorschlag</em>, <em class="gesperrt">zur Anzeige</em>,
-es <em class="gesperrt">findet Anwendung</em>, <em class="gesperrt">Erledigung</em>. Ein Personenzug
-<em class="gesperrt">kommt zur Ablassung</em>, ein Buch <em class="gesperrt">gelangt zum Druck</em>,
-und dann <em class="gesperrt">gelangt es zur Ausgabe</em>, das Kommißbrot <em class="gesperrt">gelangt
-zum Verzehr</em> (!). Eine Bürgermeisterstelle wird nicht
-<em class="gesperrt">ausgeschrieben</em>, sondern zur <em class="gesperrt">Ausschreibung gebracht</em>;
-selbst von Häusern, die infolge einer Überschwemmung <em class="gesperrt">eingestürzt</em>
-sind, heißt es, sie seien <em class="gesperrt">zum Einsturz gebracht</em> worden. Die
-Train-Depot-Offiziere <em class="gesperrt">fallen</em> nicht <em class="gesperrt">weg</em>, sondern sie
-<em class="gesperrt">gelangen zum Fortfall</em> (!). Grund und Boden <em class="gesperrt">gelangt zur
-Aufforstung</em>, alte Schiffe <em class="gesperrt">gelangen zur Außerdienststellung</em>,
-Rinder und Schweine <em class="gesperrt">gelangen zur Schlachtung</em>, eine
-Stadtkassenrechnung <em class="gesperrt">gelangt</em> bei den Stadtverordneten zur
-<em class="gesperrt">Richtigsprechung</em>, ja sogar eine Ratsvorlage zur <em class="gesperrt">Ablehnung</em>
-(als ob es Ziel und Bestimmung der Ratsvorlagen wäre, abgelehnt zu
-werden), und wenn die Straßenbahndirektion ihren Fahrpreis herabsetzt,
-so macht sie bekannt: Wir <em class="gesperrt">bringen</em> hiermit <em class="gesperrt">zur Kenntnis</em>,
-daß der seither giltige Fahrpreis von 15 Pfennigen <em class="gesperrt">in Wegfall
-kommt</em> und der neue Tarifsatz von 10 Pfennigen <em class="gesperrt">zur Erhebung
-gelangt</em>.</p>
-
-<p>Zum Schwulst gesellt sich aber hier noch etwas andres: die höchst
-bedenkliche Neigung, den Verbalreichtum der Sprache gleichsam auf ein
-paar Formeln abzuziehen, die alles Flektieren überflüssig machen.
-Wer von diesen sechs oder sieben Verbalsurrogaten glücklich noch ein
-Tempus und einen Modus bilden kann, der braucht sich nicht mehr mit
-Ablautreihen und schwankenden Konjunktivformen zu plagen. Wie sich das
-Französische für das Futurum ein Surrogat geschaffen hat in seinem
-<span class="antiqua">avoir</span> mit dem Infinitiv, wie das Deutsche auf dem besten Wege
-ist, sich für den Konjunktiv des Imperfekts ein Surrogat zu schaffen in
-<em class="gesperrt">würde</em> mit dem Infinitiv, so ersetzen wir vielleicht in hundert
-Jahren das Verbum überhaupt durch <em class="gesperrt">bringen</em> und <em class="gesperrt">gelangen</em>
-mit einem Substantiv und sagen: <span class="antiqua">propono</span>, ich <em class="gesperrt">bringe</em> in
-Vorschlag – <span class="antiqua">proponor</span>, ich <em class="gesperrt">komme</em> in Vorschlag.</p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_418">[S. 418]</span></p>
-
-<h3 id="Vermittelst_mit_Zuhilfenahme_von">Vermittelst, mit Zuhilfenahme von</h3>
-
-</div>
-
-<p>Unrettbar dem Schwulst verfallen sind unsre Präpositionen. Als
-Präpositionen gebrauchte man früher eine Menge kleiner Wörtchen, die
-aus zwei, drei, vier Buchstaben bestanden. In unsern Grammatiken
-findet man sie auch jetzt noch verzeichnet, dieses lustige kleine
-Gesindel: <em class="gesperrt">in</em>, <em class="gesperrt">an</em>, <em class="gesperrt">zu</em>, <em class="gesperrt">aus</em>, <em class="gesperrt">von</em>,
-<em class="gesperrt">auf</em>, <em class="gesperrt">mit</em>, <em class="gesperrt">bei</em>, <em class="gesperrt">vor</em>, <em class="gesperrt">nach</em>,
-<em class="gesperrt">durch</em> usw.; in unserm Amts- und Zeitungsdeutsch aber fristen
-sie nur noch ein kümmerliches Dasein, da sind sie verdrängt und
-werden immer mehr verdrängt durch schwerfällige, schleppende Ungetüme
-wie: <em class="gesperrt">betreffs</em>, <em class="gesperrt">behufs</em>, <em class="gesperrt">zwecks</em>, <em class="gesperrt">seitens</em>,
-<em class="gesperrt">angesichts</em>, <em class="gesperrt">mittelst</em>, <em class="gesperrt">vermittelst</em>, <em class="gesperrt">vermöge</em>,
-<em class="gesperrt">bezüglich</em>, <em class="gesperrt">hinsichtlich</em>, <em class="gesperrt">rücksichtlich</em>,
-<em class="gesperrt">einschließlich</em>, <em class="gesperrt">ausschließlich</em>, <em class="gesperrt">anläßlich</em>,
-<em class="gesperrt">gelegentlich</em>, <em class="gesperrt">inhaltlich</em>, <em class="gesperrt">ausweislich</em>,
-<em class="gesperrt">antwortlich</em>, <em class="gesperrt">abzüglich</em>, <em class="gesperrt">zuzüglich</em>,
-<em class="gesperrt">zusätzlich</em>, <em class="gesperrt">vorbehältlich</em> usw. Wie lange wird es dauern,
-so wird in unsern Grammatiken auch der Abschnitt über die Präpositionen
-vollständig umgestaltet werden müssen; alle diese Ungetüme werden als
-unsre eigentlichen Präpositionen verzeichnet, die alten, wirklichen
-Präpositionen in die Sprachgeschichte verwiesen werden müssen.</p>
-
-<p>Früher wurde einer, der <em class="gesperrt">mit</em> einem Messer gestochen worden
-war, <em class="gesperrt">mit</em> einer Droschke ins Krankenhaus gebracht; so wird
-auch heute noch – gesagt. In der Zeitung geschieht es aber nur noch
-<em class="gesperrt">vermittelst</em> eines Messers und <em class="gesperrt">vermittelst</em> einer Droschke.
-Ein herrliches Wort, dieses <em class="gesperrt">vermittelst</em>! Dem Anschein nach
-eine Superlativbildung, aber wovon? Ein Adjektivum <em class="gesperrt">vermittel</em>
-gibt es nicht, nur ein Zeitwort <em class="gesperrt">vermitteln</em>. Daran ist aber
-doch bei <em class="gesperrt">vermittelst</em> nicht zu denken. Offenbar ist das Wort in
-schauderhafter Weise verdorben aus <em class="gesperrt">mittels</em>,<a id="FNAnker_173" href="#Fussnote_173" class="fnanchor">[173]</a> dem Genitiv von
-<em class="gesperrt">Mittel</em>, der in ähnlicher Weise zur Präposition gepreßt worden
-ist wie <em class="gesperrt">behufs</em> und <em class="gesperrt">betreffs</em>, zu denen sich neuerdings
-noch <em class="gesperrt">zwecks</em>, <em class="gesperrt">mangels</em> und <em class="gesperrt">namens</em> gesellt haben
-– lauter<span class="pagenum" id="Seite_419">[S. 419]</span> herrliche Erfindungen.<a id="FNAnker_174" href="#Fussnote_174" class="fnanchor">[174]</a> Das Zwischenglied wäre dann
-<em class="gesperrt">mittelst</em>, das es ja auch gibt; fürstliche Personen reisen
-stets <em class="gesperrt">mittelst</em> Sonderzugs, und ein „Etablissement“, das früher
-<em class="gesperrt">mit</em> oder <em class="gesperrt">durch</em> Gas erleuchtet wurde, wird jetzt natürlich
-<em class="gesperrt">mittelst</em> Elektrizität erleuchtet, Handelsartikel, die früher
-<em class="gesperrt">mit</em> der Hand hergestellt wurden, werden jetzt <em class="gesperrt">mittelst</em>
-Maschinen gewonnen; ja es kommt sogar vor, daß ausgediente Mannschaften
-<em class="gesperrt">mittelst Musik</em> auf den Bahnhof gebracht werden!</p>
-
-<p>Daß <em class="gesperrt">zu</em> unter anderm auch den Zweck bezeichnet, ist dem Beamten
-und dem Zeitungschreiber gänzlich unbekannt. Früher verstand man es
-sehr gut, wenn einer sagte: er ist der Polizeibehörde <em class="gesperrt">zur</em>
-Einsperrung überwiesen worden – die Nummern sind <em class="gesperrt">zur</em>
-Registrierung beigefügt; jetzt heißt es nur noch: <em class="gesperrt">behufs</em>
-oder noch lieber <em class="gesperrt">zwecks</em> Einsperrung, <em class="gesperrt">zwecks</em> (oder
-<em class="gesperrt">zum Zwecke</em>) der Registrierung, <em class="gesperrt">zwecks</em> Feststellung der
-Krankenkassenbeiträge, <em class="gesperrt">zwecks</em> Stellungnahme usw. <em class="gesperrt">Behufs</em>
-Bildung einer Berufsgenossenschaft – <em class="gesperrt">behufs</em> Wahrung des
-Prestiges der italienischen Flagge – ein Bündnis Englands mit
-Rußland <em class="gesperrt">zwecks</em> Niederhaltung Deutschlands – die Leiche wurde
-<em class="gesperrt">zwecks</em> Verbrennung nach Gotha überführt (!) – die Bank hat
-<em class="gesperrt">zwecks</em> Erweiterung ihrer Räume das Nachbarhaus angekauft –
-die Schülerinnen sollen <em class="gesperrt">zwecks</em> Schonung ihrer Augen acht Tage
-vom Unterricht dispensiert werden und dann <em class="gesperrt">zwecks</em> erneuter
-Untersuchung sich wieder in der Schule einfinden – so hufst und
-zweckeckeckst es durch die Spalten unsrer Zeitungen.</p>
-
-<p>Einen Brief fing man früher an: <em class="gesperrt">auf</em> dein Schreiben vom 17. teile
-ich dir mit –; jetzt heißt es nur noch: <em class="gesperrt">antwortlich</em> (oder in
-<em class="gesperrt">Beantwortung</em> oder <em class="gesperrt">Erwiderung</em>) deines Schreibens
-(vgl. <a href="#Seite_173">S. 173</a>). Früher verstand es jedermann, wenn man sagte: <em class="gesperrt">nach</em> der
-Betriebsordnung oder <em class="gesperrt">nach</em> den Bestimmungen der Bauordnung,<span class="pagenum" id="Seite_420">[S. 420]</span>
-<em class="gesperrt">nach</em> dem Standesamtsregister, <em class="gesperrt">nach</em> Paragraph 5;
-das Volk spricht auch heute noch so. In den Bekanntmachungen der
-Behörden aber heißt es nur: <em class="gesperrt">auf Grund</em> der Betriebsordnung,
-<em class="gesperrt">inhaltlich</em> der Bestimmungen der Bauordnung, <em class="gesperrt">ausweislich</em>
-des Standesamtsregisters, und was das Allerschönste ist: <em class="gesperrt">in
-Gemäßheit von</em> Paragraph 5, <em class="gesperrt">in Gemäßheit</em> des Beschlusses
-der Stadtverordneten. Also statt einer einsilbigen Präposition ein
-so fürchterliches Wort wie <em class="gesperrt">Gemäßheit</em>, flankiert von zwei
-Präpositionen, <em class="gesperrt">in</em> und <em class="gesperrt">von</em>! Früher sagte man: <em class="gesperrt">nach</em>
-seinen Kräften, <em class="gesperrt">bei</em> der herrschenden Verwirrung, <em class="gesperrt">durch</em>
-den billigen Zinsfuß – jetzt heißt es: <em class="gesperrt">nach Maßgabe</em> seiner
-Kräfte, <em class="gesperrt">angesichts</em> der herrschenden Verwirrung, <em class="gesperrt">vermöge</em>
-des billigen Zinsfußes. Eine Festschrift erschien früher <em class="gesperrt">zum</em>
-Geburtstag eines Gelehrten, <em class="gesperrt">beim</em> Jubiläum eines Rektors,
-<em class="gesperrt">zur</em> Enthüllung eines Denkmals, jetzt nur noch <em class="gesperrt">aus Anlaß</em>
-oder <em class="gesperrt">anläßlich</em> des Geburtstags, <em class="gesperrt">gelegentlich</em> des
-Jubiläums, <em class="gesperrt">bei Gelegenheit</em> der Enthüllung. <em class="gesperrt">Bei</em> dem
-Auftreten der Influenza hat sich gezeigt – <em class="gesperrt">in</em> den Verhandlungen
-<em class="gesperrt">über</em> den Entwurf wurde bemerkt – <em class="gesperrt">auf</em> der Weltausstellung
-in Sydney traten diese Bestrebungen zuerst hervor – versteht das
-niemand mehr? Es scheint so, denn jetzt heißt es: <em class="gesperrt">gelegentlich</em>
-des Auftretens der Influenza – <em class="gesperrt">gelegentlich</em> der über den
-Entwurf gepflognen (!) Verhandlungen – <em class="gesperrt">bei Gelegenheit</em> der
-Weltausstellung in Sydney. Für <em class="gesperrt">wegen</em> wird <em class="gesperrt">aus Anlaß</em>
-gesagt: der Botschafter X hat sich <em class="gesperrt">aus Anlaß</em> einer ernsten
-Erkrankung seiner Gemahlin nach B. begeben. Für <em class="gesperrt">über</em> heißt es
-<em class="gesperrt">betreffs</em> oder <em class="gesperrt">bezüglich</em>: das letzte Wort <em class="gesperrt">betreffs</em>
-der Expedition ist noch nicht gesprochen – die Mitteilung der
-Theaterdirektion <em class="gesperrt">bezüglich</em> der Neueinstudierung des Don Juan
-war verfrüht. Früher verstand es jeder, wenn gesagt wurde: <em class="gesperrt">mit</em>
-der heutigen Versammlung sind dieses Jahr zehn Versammlungen gewesen,
-<em class="gesperrt">ohne</em> die heutige neun; jetzt heißt es: <em class="gesperrt">einschließlich</em> der
-heutigen Versammlung, <em class="gesperrt">ausschließlich</em> der heutigen Versammlung.
-Unsre Kaufleute reden sogar davon, was eine Ware zu stehen komme,
-<em class="gesperrt">zuzüglich</em><span class="pagenum" id="Seite_421">[S. 421]</span> der Transportkosten, <em class="gesperrt">abzüglich</em> der Fracht oder
-<em class="gesperrt">zusätzlich</em> der Differenz, statt: <em class="gesperrt">mit</em> den Transportkosten,
-<em class="gesperrt">ohne</em> die Fracht, <em class="gesperrt">samt</em> der Differenz, was man doch auch
-verstehen würde, und ein Verein macht bekannt, daß er den Jahresbeitrag
-<em class="gesperrt">zuzüglich</em> der dadurch entstehenden Kosten durch Postauftrag
-erheben werde, statt <em class="gesperrt">samt</em> oder <em class="gesperrt">nebst</em> den Kosten.
-Ein Betrüger ist <em class="gesperrt">mit</em> 10000 Mark entflohen – ist das nicht
-deutlich? Der Zeitungschreiber sagt: <em class="gesperrt">unter Mitnahme von</em> 10000
-Mark! Endlich: <em class="gesperrt">mit Zuhilfenahme von</em>, <em class="gesperrt">unter Zugrundelegung
-von</em>, <em class="gesperrt">in der Richtung nach</em>, <em class="gesperrt">in Höhe von</em>, <em class="gesperrt">an der
-Hand von</em> (jetzt sehr beliebt: <em class="gesperrt">an der Hand</em> der Statistik),
-was sind alle diese Wendungen anders als breitspurige Umschreibungen
-einfacher Präpositionen, zu denen man greift, weil man die Kraft und
-Wirkung der Präpositionen nicht mehr fühlt oder nicht mehr fühlen will.
-<em class="gesperrt">Ohne Zuhilfenahme von</em> fremdem Material – was heißt das anders
-als: <em class="gesperrt">ohne</em> fremdes Material? Der Staatsanwalt machte <em class="gesperrt">an der
-Hand</em> einer Reihe von Straftaten (!) die Schuld des Angeklagten
-wahrscheinlich – was heißt das anders als: <em class="gesperrt">mit</em> oder <em class="gesperrt">an</em>
-einer Reihe? Ist es nötig, daß in Bekanntmachungen einer Behörde
-geschrieben wird, daß ein gewisser Unternehmer eine Kaution <em class="gesperrt">in Höhe
-von</em> 1000 Mark zu erlegen habe, daß eine Straße neu gepflastert
-werden solle <em class="gesperrt">in ihrer Ausdehnung von</em> der Straße A <em class="gesperrt">bis zur</em>
-Straße B? Sind wir so schwachsinnig geworden, daß wir eine Kaution
-<em class="gesperrt">von</em> 1000 Mark nicht mehr verstehen, uns bei dem einfachen
-<em class="gesperrt">von – bis</em> keine Strecke mehr vorstellen können? Muß das alles
-besonders ausgequetscht werden? Rührend ist es, wenn der „Portier“ auf
-dem Bahnhof ausruft: Abfahrt <em class="gesperrt">in der Richtung nach</em> Altenburg,
-Plauen, Hof, Bamberg, Nürnberg usw. Der Bureaumensch, der <em class="gesperrt">das</em>
-ausgeheckt hat, verdiente zum Geheimen Regierungsrat ernannt zu werden!
-Er wird es längst sein. Bei einem bloßen <em class="gesperrt">nach</em> könnte sich ja ein
-Reisender beschweren und sagen: Ich wollte nach Gaschwitz, das ist aber
-nicht mit ausgerufen worden, nun bin ich sitzen geblieben. Aber <em class="gesperrt">in
-der Richtung nach</em> – da kann sich niemand beschweren.</p>
-
-<div class="section">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_422">[S. 422]</span></p>
-
-<h3 id="Seitens">Seitens</h3>
-
-</div>
-
-<p>Der größte Greuel aber auf dem Gebiete unsers ganzen heutigen
-Präpositionenschwulstes ist wohl das Wort <em class="gesperrt">seitens</em>; es ist zu
-einer wahren Krankheit am Leibe unsrer Sprache geworden.</p>
-
-<p>Zunächst ist es schon eine garstige Bildung. In den vierziger und
-fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts schrieben die Beamten und
-Zeitungschreiber beim passiven Verbum mit Vorliebe <em class="gesperrt">von Seiten</em>
-statt des einfachen <em class="gesperrt">von</em> (ebenso <em class="gesperrt">auf Seiten</em> statt
-<em class="gesperrt">bei</em>). Das war natürlich unnötiger Schwulst, aber es war doch
-wenigstens richtig, ja man konnte sich sogar über den schwachen
-Dativ <em class="gesperrt">Seiten</em> freuen, den sich heute niemand mehr zu bilden
-getrauen würde. Mit der Zeit wurde aber doch selbst den Kanzlei-
-und Zeitungsmenschen dieses ewige <em class="gesperrt">von Seiten</em> zu viel. Statt
-nun das einzig vernünftige zu tun und wieder zu dem einfachen
-<em class="gesperrt">von</em> zurückzukehren, ließ man das <em class="gesperrt">von</em> weg und sagte nur
-noch <em class="gesperrt">seiten</em>. Aber das dauerte auch nicht lange. Kaum war die
-Neubildung fertig, so wurde sie einer abermaligen Umbildung unterzogen,
-man hängte gedankenlos, verführt durch Genitive wie <em class="gesperrt">behufs</em>,
-<em class="gesperrt">betreffs</em>, ein unorganisches s an den schwachen Dativ,<a id="FNAnker_175" href="#Fussnote_175" class="fnanchor">[175]</a>
-und so entstand nun dieses Jammerbild einer Präposition, das heute
-das Leib- und Lieblingswort unsrer Amts- und Zeitungssprache ist.
-Sowie man eine Zeitung in die Hand nimmt, das erste Wort, das einem
-in die Augen fällt, ist: <em class="gesperrt">seitens</em>. Die kleinen Pfennignotizen
-der Lokalreporter fangen gewöhnlich gleich damit an; wenn nicht,
-dann stehts gewiß auf<span class="pagenum" id="Seite_423">[S. 423]</span> der zweiten oder dritten Zeile. Da es die
-Zeitungssprache immer mehr verlernt, ein Ereignis im Aktivum
-mitzuteilen, da sie mit Vorliebe im Passivum erzählt, sodaß das Objekt
-zum grammatischen Subjekt und das logische Subjekt zum äußerlichen
-Agens wird, <em class="gesperrt">von</em> beim Passiv ihr aber gänzlich unbekannt
-geworden ist, so kann sie tatsächlich nicht die kleinste Mitteilung
-mehr machen ohne <em class="gesperrt">seitens</em>. Die Regierung, der Bundesrat, das
-Ministerium, das Gericht, der Magistrat, die Polizeidirektion,
-das Stadtverordnetenkollegium – sie alle <em class="gesperrt">tun</em> nichts mehr,
-sondern alles <em class="gesperrt">wird</em> getan, alles geschieht, erfolgt, findet
-statt <em class="gesperrt">seitens</em> der Regierung, <em class="gesperrt">seitens</em> des Bundesrats,
-<em class="gesperrt">seitens</em> des Ministeriums, <em class="gesperrt">seitens</em> des Gerichts,
-<em class="gesperrt">seitens</em> des Magistrats, <em class="gesperrt">seitens</em> der Polizeidirektion
-usw. Dem fortschrittlichen Kandidaten konnte <em class="gesperrt">seitens</em> der Gegner
-nichts nachgesagt werden – die Maschinen können <em class="gesperrt">seitens</em> der
-Interessenten jederzeit besichtigt werden – gegen solche Unart
-muß endlich einmal mit Ernst vorgegangen werden, <em class="gesperrt">seitens</em>
-der Schule, <em class="gesperrt">seitens</em> der Polizei, aber auch <em class="gesperrt">seitens</em>
-des Publikums – es liegt darin etwas verletzendes, auch wenn dies
-weder <em class="gesperrt">seitens</em> des Dichters, noch <em class="gesperrt">seitens</em> der Darsteller
-beabsichtigt sein sollte; das Stück wurde <em class="gesperrt">seitens</em> des Publikums
-einstimmig abgelehnt – anders wird nicht geschrieben. Aber auch
-bei aktiven Verben heißt es: zahlreiche Klagen sind <em class="gesperrt">seitens</em>
-(!) einflußreicher Personen eingelaufen – <em class="gesperrt">seitens</em> des Herrn
-Polizeipräsidenten ist uns nachstehende Bekanntmachung zugegangen –
-<em class="gesperrt">seitens</em> der Kurie hat man (!) sich noch nicht schlüssig gemacht
-– <em class="gesperrt">seitens</em> der Regierung gibt man (!) sich der bestimmten
-Hoffnung hin. Und hier wird <em class="gesperrt">seitens</em> auch für <em class="gesperrt">bei</em>
-gebraucht: dabei stieß er <em class="gesperrt">seitens</em> des Gouverneurs auf große
-Schwierigkeiten (statt: <em class="gesperrt">bei</em> dem Gouverneur!) – wie er denn
-auch vielfache Anerkennung <em class="gesperrt">seitens</em> der wissenschaftlichen
-Welt (<em class="gesperrt">bei</em> der wissenschaftlichen Welt!) gefunden hat – er
-erfreute sich des größten Vertrauens <em class="gesperrt">seitens</em> seines Chefs
-(<em class="gesperrt">bei</em> seinem Chef!) – das Werk wird dadurch an Teilnahme
-und Gunst <em class="gesperrt">seitens</em> der Berliner (<em class="gesperrt">bei</em> den Berlinern!)
-nichts einbüßen. Für den garstigen Gleichklang, der entsteht, wenn
-hinter<span class="pagenum" id="Seite_424">[S. 424]</span> <em class="gesperrt">seitens</em> nun immer wieder Genitive auf s kommen, für
-dieses unaufhörliche Gezisch hat der Papiermensch kein Ohr. Will
-er ja einmal abwechseln, auf das einfache, vernünftige <em class="gesperrt">von</em>
-oder gar auf das Aktivum verfällt er gewiß nicht; dann schreibt
-er lieber: <em class="gesperrt">englischerseits</em>, <em class="gesperrt">staatlicherseits</em>,
-<em class="gesperrt">kirchlicherseits</em>, <em class="gesperrt">päpstlicherseits</em>,
-<em class="gesperrt">ministeriellerseits</em>, <em class="gesperrt">landwirtschaftlicherseits</em>, ja
-sogar <em class="gesperrt">unterrichteterseits</em> oder: <em class="gesperrt">regierungsseitig</em>,
-<em class="gesperrt">eisenbahnseitig</em>, <em class="gesperrt">gerichtsseitig</em>, <em class="gesperrt">prinzipalseitig</em>:
-die Gehilfenschaft hatte die Frage in ein Gleis gebracht, an dem
-sich <em class="gesperrt">prinzipalseitig</em> nichts aussetzen ließ! Ein Tierarzt
-macht darauf aufmerksam – die Judenfeinde behaupten – wie simpel!
-Der Zeitungschreiber sagt: <em class="gesperrt">tierärztlicherseits</em> wird darauf
-aufmerksam gemacht – <em class="gesperrt">antisemitischerseits</em> (<img class="h0_4em" src="images/rhythmus_2.png" alt="Sprachrhythmus: Mark">) wird
-behauptet. So klingts vornehm!</p>
-
-<p>Damit ist aber die Anwendung des garstigen Wortes noch nicht
-erschöpft. <em class="gesperrt">Seitens</em> wird nicht nur mit Verben, es wird auch
-mit Verbalsubstantiven verbunden. Da schreibt man: die Beiträge
-zur Unfallversicherung <em class="gesperrt">seitens</em> der Arbeitsherren – die
-Vorführung eines Spritzenzugs <em class="gesperrt">seitens</em> des Branddirektors –
-die Behandlung der Frauen <em class="gesperrt">seitens</em> der Männer – die Aufnahme
-des Gesandten <em class="gesperrt">seitens</em> des Königs – die Abneigung gegen die
-Angestellten <em class="gesperrt">seitens</em> der Einwohnerschaft – der Übergang über
-die Parthe <em class="gesperrt">seitens</em> der Nordarmee – die allgemeine Benutzung
-der Lebensversicherung <em class="gesperrt">seitens</em> der ärmern Klassen – ein Opfer
-von 3000 Mark <em class="gesperrt">seitens</em> der Stadt – die Besitznahme dieses
-Küstengebiets <em class="gesperrt">seitens</em> der Franzosen – die Unsitte des Trampelns
-im Theater <em class="gesperrt">seitens</em> der Studenten – der schädigende Einfluß der
-Verletzung der Glaubenspflichten <em class="gesperrt">seitens</em> eines Kirchenmitgliedes
-– das Dementi der Nachricht von der Audienz des Herrn H. beim Kaiser
-<em class="gesperrt">seitens</em> der Konservativen Korrespondenz – Zeitungen wie Bücher
-sind voll von solchen Verbindungen! Wie soll man sie aber vermeiden?
-in allen diesen Beispielen ist doch ohne <em class="gesperrt">seitens</em> gar nicht
-auszukommen. Nun, wie ist man denn früher ohne das Wort ausgekommen?
-Entweder durch vernünftige Wortstellung: die Beiträge <em class="gesperrt">der</em>
-Arbeitsherren<span class="pagenum" id="Seite_425">[S. 425]</span> zur Unfallversicherung – der Übergang <em class="gesperrt">der</em>
-Nordarmee über die Parthe – ein Opfer <em class="gesperrt">der</em> Stadt von 3000 Mark;
-oder dadurch, daß man Sätze bildete, anstatt, wie es jetzt geschieht,
-ganze Sätze immer in Substantiva zusammenzuquetschen. Zu einem Zeitwort
-kann man ein halbes Dutzend näherer Bestimmungen setzen, da hat man
-immer freie Bahn und kommt leicht vorwärts; sowie man aber das flüssige
-Zeitwort in das starre Hauptwort verwandelt, verbaut man sich selbst
-den Weg, und dann werden solche Angstverbindungen fertig wie: mit der
-Beherrschung von Raum und Kraft <em class="gesperrt">seitens</em> der Menschen wäre es zu
-Ende (statt: die Menschen würden Raum und Kraft nicht mehr beherrschen)
-– der redliche Erwerb (!) der Kleidungsstücke <em class="gesperrt">seitens</em> des
-Angeklagten ließ sich zum Glück nachweisen (statt: daß er sie redlich
-erworben hatte).</p>
-
-<p>Nun aber das Tollste: diese Angstverbindungen von Substantiven mit
-<em class="gesperrt">seitens</em> sind den Leuten schon so geläufig geworden, und man
-ist so vernarrt in das schöne Wort, daß man es auch da anwendet, wo
-gar keine Nötigung dazu vorliegt, daß man geradezu – den Genitiv
-damit umschreibt! Man sagt nicht mehr: der Besuch des Publikums, die
-Anregung des Vorstandes, eine Erklärung des Wirts, die freiwillige
-Pflichterfüllung eines Einzelnen, sondern: der Besuch <em class="gesperrt">seitens</em>
-des Publikums, die Anregung <em class="gesperrt">seitens</em> des Vorstandes, eine
-Erklärung <em class="gesperrt">seitens</em> des Wirts, die freiwillige Pflichterfüllung
-<em class="gesperrt">seitens</em> eines Einzelnen. Überall laufen einem jetzt solche
-Genitive über den Weg, man braucht nur zuzugreifen: ich wollte damit
-etwaigen Einreden <em class="gesperrt">seitens</em> der Gegner vorbeugen – der glänzende
-Erfolg, den der Verfasser dem ausgezeichneten Vortrage <em class="gesperrt">seitens</em>
-des Rezitators zu danken hat – ein ähnliches Beispiel einer starken
-Willkür <em class="gesperrt">seitens</em> eines Herausgebers – er wurde die Zielscheibe
-vieler Angriffe <em class="gesperrt">seitens</em> der Klerikalen – ein höherer Gehilfe
-kann nicht ohne Vertrauen <em class="gesperrt">seitens</em> des Handelsherrn angestellt
-werden – die Frau war wegen fortgesetzter Roheiten <em class="gesperrt">seitens</em>
-ihres Mannes ins Elternhaus zurückgekehrt – der Gesandte hatte die
-Stirn, zu fragen, ob man denn auch des Friedensbruchs <em class="gesperrt">seitens</em><span class="pagenum" id="Seite_426">[S. 426]</span>
-Frankreichs gewiß sei – es fehlt ihm die Anerkennung <em class="gesperrt">seitens</em>
-der Großmächte – das Urteil klingt hart, beruht aber auf sorgfältiger
-Prüfung <em class="gesperrt">seitens</em> eines Unbefangnen – es bedarf nur der
-Aufforderung <em class="gesperrt">seitens</em> eines geeigneten Mannes – sie wählten
-diese Wohnungen, um sich gegen Überraschungen <em class="gesperrt">seitens</em> ihrer
-Feinde zu sichern – ohne die freundliche Unterstützung <em class="gesperrt">seitens</em>
-zahlreicher Bibliotheksverwaltungen würde es nicht gelungen sein –
-es trifft ihn die Verachtung <em class="gesperrt">seitens</em> seiner Mitmenschen – es
-kostete große Anstrengungen <em class="gesperrt">seitens</em> der bekümmerten Verwandten
-– an der Tafel fehlte es nicht an herzlichen Reden und Gegenreden
-<em class="gesperrt">seitens</em> der Arbeiter und Prinzipale – der Straßenhandel hat
-zu Beschwerden <em class="gesperrt">seitens</em> der Einwohnerschaft geführt – eine
-Trauung, bei der es an aufrichtig frommer Gesinnung <em class="gesperrt">seitens</em>
-der Brautleute fehlte. Für einzelne dieser Beispiele scheint es ja
-einen Schimmer von Entschuldigung zu geben. Das Hauptwort, von dem
-der Genitiv abhängen würde, ist meist ein Verbalsubstantiv, und da
-kann der Zweifel entstehen, ob man die Handlung, die es ausdrückt, als
-aktiv oder als passiv auffassen soll. Der Besuch des Publikums – das
-könnte ja auch heißen, das Publikum sei besucht <em class="gesperrt">worden</em>; der
-Besuch <em class="gesperrt">seitens</em> des Publikums – das ist nicht mißzuverstehen,
-da <em class="gesperrt">hat</em> das Publikum besucht. Angriffe der Klerikalen – da
-könnte man auch denken, die Klerikalen wären angegriffen <em class="gesperrt">worden</em>;
-Angriffe <em class="gesperrt">seitens</em> der Klerikalen – da <em class="gesperrt">haben</em> sie
-natürlich angegriffen. Die Untersuchung des Arztes – da könnte man
-ja denken, der Arzt wäre untersucht <em class="gesperrt">worden</em>; die Untersuchung
-<em class="gesperrt">seitens</em> des Arztes – nun <em class="gesperrt">hat</em> der Arzt untersucht. Sollte
-es aber wirklich Leser geben, die so beschränkt wären, dergleichen
-mißzuverstehen?</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Bez_beziehungsweise_bezw">Bez. beziehungsweise bezw.</h3>
-
-</div>
-
-<p>Ein Juwel unsrer Papiersprache endlich, der Stolz aller Kanzlisten
-und Reporter, der höchste Triumph der Bildungsphilisterlogik ist das
-Bindewort <em class="gesperrt">bez.</em> oder <em class="gesperrt">bezw.</em></p>
-
-<p>Vor fünfzig Jahren gab es noch im Deutschen das schöne Wort
-<em class="gesperrt">respektive</em>, geschrieben: <em class="gesperrt">resp.</em>; man sagte<span class="pagenum" id="Seite_427">[S. 427]</span> z.&#160;B.:
-der <em class="gesperrt">Vater resp. Vormund</em> – der <em class="gesperrt">Rektor</em> der Schule,
-<em class="gesperrt">resp.</em> dessen <em class="gesperrt">Stellvertreter</em> – <em class="gesperrt">nachlässige, resp.
-rohe</em> Eltern. Was wollte man mit dem Worte? Warum sagte man nicht:
-der <em class="gesperrt">Vater oder Vormund</em>? Hätte man das nicht verstanden? I nun,
-der gesunde Menschenverstand des Volks hätte es schon verstanden;
-aber der große Logiker, der Kanzleimensch, sagte sich: ein Kind kann
-doch nicht zugleich einen Vater und einen Vormund haben, es kann doch
-nur entweder einen Vater oder (oder aber! sagte der Kanzleimensch)
-einen Vormund haben. Dieses Verhältnis kann man nicht mit dem bloßen
-<em class="gesperrt">oder</em> ausdrücken, für dieses feine, bedingte <em class="gesperrt">oder</em>: der
-<em class="gesperrt">Vater oder</em> (<em class="gesperrt">wenn</em> nämlich das Kind keinen Vater mehr haben
-sollte!) <em class="gesperrt">Vormund</em> gibt es im Deutschen überhaupt kein Wort, das
-läßt sich nur durch – <em class="gesperrt">respektive</em> sagen, dadurch aber auch „voll
-und ganz“.</p>
-
-<p>Als man nun auch im Kanzleistil den Fremdwörterzopf abzuschneiden
-anfing, erfand man als Übersetzung von <em class="gesperrt">respektive</em> das
-herrliche Wort <em class="gesperrt">beziehentlich</em> oder <em class="gesperrt">beziehungsweise</em>:
-<em class="gesperrt">be-zieh-ungs-wei-se</em>! Das war natürlich etwas zu lang, es immer
-zu schreiben und zu drucken, und so wurde es denn zu <em class="gesperrt">bez.</em>
-„beziehungsweise“ <em class="gesperrt">bezw.</em> abgekürzt. Daß das Wörtchen <em class="gesperrt">oder</em>
-auch nur vier Buchstaben hat und dabei ein wirkliches Wort ist, kein
-bloßer Wortstummel wie <em class="gesperrt">bezw.</em>, auf diesen naheliegenden Gedanken
-verfiel merkwürdigerweise niemand. Und doch, was bedeutet in folgenden
-Beispielen das <em class="gesperrt">bezw.</em> anders als <em class="gesperrt">oder</em>: in einer Zeit,
-wo man alles den einzelnen <em class="gesperrt">Kreisen bezw. Staaten</em> überließ –
-alles weitere ist <em class="gesperrt">Spezialsache bezw. Aufgabe</em> der spätern Jahre
-– über den <em class="gesperrt">Mord bezw. Raubmord</em> in R. ist noch immer nichts
-genaues festgestellt – Windschirme mit japanischer <em class="gesperrt">Malerei bezw.
-Stickerei</em> – der Zusammenschluß zu einem <em class="gesperrt">genossenschaftlichen
-bezw. landschaftlichen</em> Kreisverbande – die <em class="gesperrt">wieder bezw. neu</em>
-gewählten Stadtverordneten – ein <em class="gesperrt">angebornes bezw.</em> durch
-Überlieferung <em class="gesperrt">geschultes</em> Geschick – die Bänder haben Wert als
-<em class="gesperrt">geschichtliche bezw. kulturgeschichtliche</em> Erinnerungsstücke
-– <em class="gesperrt">nicht benutzte bezw. nicht abgeholte</em> Bücher werden wieder<span class="pagenum" id="Seite_428">[S. 428]</span>
-eingestellt – es wird mit dem <em class="gesperrt">Kellergeschoß bezw. Erdgeschoß</em>
-angefangen – zwei Dachstuben von je drei Meter Breite und <em class="gesperrt">drei
-bezw. vier</em> Meter Länge – jede Serie umfaßt <em class="gesperrt">15 bezw. 12</em>
-Hefte – die Bemerkung befindet sich in dem <em class="gesperrt">Vor- bezw. Nachwort</em>
-der Ausgabe – W. A. Lippert, welcher <em class="gesperrt">flüchtig ist bezw. sich
-verborgen hält</em> – da die Anstalt nur solche Kinder <em class="gesperrt">aufnimmt
-bezw. behält</em>, die eine Besserung erwarten lassen – wo Jahnsdorf
-<em class="gesperrt">liegt bezw. gelegen hat</em>, ist ungewiß – viele Personen sind
-außerstande, selbst bei langsamem Gange des Wagens <em class="gesperrt">auf- bezw.
-abzuspringen</em> – jeder Fachmann wird die Schrift <em class="gesperrt">beiseite bezw.
-in den Papierkorb</em> werfen – es ist anziehend, zu sehen, wie
-sich dieser Kreis im Laufe der Sprachentwicklung <em class="gesperrt">verengert bezw.
-erweitert</em> – die Weigerung der Prinzessin ist <em class="gesperrt">hauptsächlich
-bezw. ausschließlich</em> auf diesen Umstand zurückzuführen. Und
-in folgenden Beispielen, was bedeutet da <em class="gesperrt">bezw.</em> anders als
-<em class="gesperrt">und</em>: ein Haus an der <em class="gesperrt">Beethoven- bezw. Rhodestraße</em> –
-französische <em class="gesperrt">Bonnen bezw. Gouvernanten</em> haben seit Jahrhunderten
-in Deutschland eine Rolle gespielt – zwei Kinder im Alter von <em class="gesperrt">fünf
-bezw. drei</em> Jahren – K. und T. wurden zu <em class="gesperrt">viermonatiger bezw.
-zweimonatiger</em> Gefängnisstrafe verurteilt – später verfaßte er
-<em class="gesperrt">pädagogische bezw. Schulbücher</em> – alle <em class="gesperrt">Bestellzettel bezw.
-Quittungsformulare</em> sind mit Tinte auszufüllen – <em class="gesperrt">Anfragen bezw.
-Anmeldungen</em> sind an den Vorstand des Kunstvereins zu richten – zur
-<em class="gesperrt">Rechten bezw. Linken</em> des Kaisers saßen der Reichskanzler und der
-Staatssekretär – die Zinsen werden zu <em class="gesperrt">Ostern bezw. zu Michaeli</em>
-bezahlt – großen Einfluß auf die Zahl der <em class="gesperrt">Dissertationen bezw.
-Promotionen</em> über den pekuniären Anforderungen, die die einzelnen
-<em class="gesperrt">Universitäten bezw. Fakultäten</em> stellen – wann die noch
-übrigen Befestigungsreste der <em class="gesperrt">Burg bezw. Stadt</em> entstanden
-sind, läßt sich nicht mit Sicherheit angeben – der König tritt eine
-mehrwöchige Reise nach <em class="gesperrt">München bezw. Stuttgart</em> an – die
-Zehnpfennigmarken und die Fünfpfennigmarken sind von <em class="gesperrt">roter bezw.
-grüner</em> Farbe – in A.<span class="pagenum" id="Seite_429">[S. 429]</span> sind letzte Nacht zwei Personen, ein Maler
-und ein Strumpfwirker, die in einem <em class="gesperrt">Schuppen bezw. einem Stalle</em>
-nächtigten, erfroren.</p>
-
-<p>Der große Logiker, der so schreibt, denkt natürlich wenn er <em class="gesperrt">und</em>
-gebrauche, so könnte ihn jemand auch so verstehen, als ob „sowohl“ die
-Zehnpfennigmarken „als auch“ die Fünfpfennigmarken zweifarbig wären,
-nämlich beide Arten rot und grün, als ob „sowohl“ der Maler „als auch“
-der Strumpfwirker in zwei Räumlichkeiten, nämlich gleichzeitig in
-einem Schuppen und in einem Stalle genächtigt hätte. Solchen Gefahren
-wird natürlich durch <em class="gesperrt">bezw.</em> vorgebeugt; nun weiß man genau,
-daß die Zehnpfennigmarken rot und die Fünfpfennigmarken grün sind,
-daß der Maler in einem Schuppen, der Strumpfwirker in einem Stalle
-genächtigt hat. Maler: Schuppen = Strumpfwirker: Stall – darin liegt
-die tiefe Bedeutung von <em class="gesperrt">bezw.</em>! Ein unübertreffliches Beispiel
-ist folgender Zeitungssatz: alle <em class="gesperrt">Musik- bezw. Trompeterkorps</em> und
-alle Spielmannszüge <em class="gesperrt">bliesen bezw. schlugen</em> den Präsentiermarsch
-<em class="gesperrt">bezw.</em> die Paradepost.</p>
-
-<p>Aber damit ist der große Logiker noch nicht auf dem Gipfel seines
-Scharfsinns angelangt. Sein schlauestes Gesicht steckt er auf, wenn er
-schreibt: <em class="gesperrt">und (!) bezw.</em> <em class="gesperrt">Die Besitzer und bezw. Pächter</em>
-der Grundstücke werden darauf aufmerksam gemacht – die <em class="gesperrt">Eltern
-und bezw. Erzieher</em> der schulpflichtigen Kinder werden hiermit
-aufgefordert – ich bitte mir angeben zu wollen, ob diese Ausgabe
-<em class="gesperrt">und beziehungsweise oder</em> (!) andre Ausgaben auf der Bibliothek
-vorhanden sind usw. Sogar solche Dummheiten werden jetzt geschrieben
-„und bezw.“ gedruckt, und die, die sie leisten, bilden sich dabei noch
-ein, sie hätten sich wunder wie fein und scharf ausgedrückt! Leider ist
-das widerwärtige Wort, das übrigens neuerdings oft mit <em class="gesperrt">bezüglich</em>
-vermengt wird,<a id="FNAnker_176" href="#Fussnote_176" class="fnanchor">[176]</a> aus der Papiersprache bereits in die lebendige
-Sprache eingedrungen. Nicht nur in Sitzungen und Verhandlungen muß
-man es hören, es ertönt auch immer häufiger<span class="pagenum" id="Seite_430">[S. 430]</span> auf Kathedern, und da es
-der Professor gebraucht, gebrauchts natürlich der Student mit, und
-selbst der Kaufmannsdiener sagt schon am Biertische: Sie erhalten
-Sonnabend abend <em class="gesperrt">beziehentlich</em> (oder <em class="gesperrt">bezüglich</em>!) Sonntag
-früh Nachricht. Schließlich wird noch der Herr Assessor, der für seine
-Kinder zu Weihnachten Spielzeug eingekauft hat, zur Frau Assessorin
-sagen: ich habe für Fritz und Mariechen <em class="gesperrt">eine Schachtel Soldaten
-beziehungsweise eine Puppe</em> mitgebracht!</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Provinzialismen">Provinzialismen</h3>
-
-</div>
-
-<p>Für Provinzialismen ist in der guten Schriftsprache kein Raum,
-mögen sie stammen, woher sie wollen. Man spricht jetzt viel davon,
-daß unser Sprachvorrat aus den Mundarten aufgefrischt, verjüngt,
-bereichert, befruchtet werden könnte. O ja, wenn es mit Maß und Takt
-geschähe, warum nicht? Überzeugende Proben davon hat man aber noch
-nicht viel gesehen. Ein böses Mißverständnis wäre es, wenn man jeden
-beliebigen Provinzialismus für geeignet hielte, unsern Sprachvorrat
-zu „bereichern“. Meist liegt kein Bedürfnis darnach vor, man legt
-sich dergleichen aus Eitelkeit zu, um Aufmerksamkeit zu erregen, etwa
-wie irgend ein Hansnarr zu einem gut bürgerlichen Anzug einen Tiroler
-Lodenhut mit Hahnenfeder aufsetzt.</p>
-
-<p>Namentlich sind es österreichische Ausdrücke und Wendungen
-(Austriazismen), die jetzt durch wörtlichen Abdruck aus
-österreichischen Zeitungen in unsre Schriftsprache hereingeschleppt,
-dann aber auch nachgebraucht werden.</p>
-
-<p>Für <em class="gesperrt">brauchen</em> z.&#160;B. sagt der Österreicher <em class="gesperrt">benötigen</em>,
-für <em class="gesperrt">benachrichtigen</em> <em class="gesperrt">verständigen</em> (<em class="gesperrt">jemand
-verständigen</em>, während sich in gutem Deutsch nur zwei oder mehr
-<em class="gesperrt">untereinander verständigen</em> können); beides kann man jetzt
-auch in deutschen Zeitungen lesen. In der Studentensprache ist das
-schöne Wort <em class="gesperrt">unterfertigen</em> Mode (statt <em class="gesperrt">unterzeichnen</em>);
-das ist nichts als eine lächerliche, halb(!)-österreichische
-Bastardbildung. Der Österreicher sagt: der <em class="gesperrt">Gefertigte</em>. Das ist
-dem deutschen Studenten, der sich zuerst damit spreizen wollte, mit
-dem <em class="gesperrt">Unterzeichneten</em> in eine Mischform zusammengeronnen,<span class="pagenum" id="Seite_431">[S. 431]</span> und
-seitdem erfüllt fast in allen akademischen Vereinigungen beim „Ableben“
-eines Mitgliedes der <em class="gesperrt">unterfertigte</em> Schriftführer „die traurige
-Pflicht, die geehrten a.&#160;H.&#160;a.&#160;H. und a.&#160; o.&#160;M.&#160;a.&#160;o.&#160;M. geziemend (!)
-in Kenntnis zu setzen“.</p>
-
-<p>Unerträglich in gutem Schriftdeutsch ist das süddeutsche <em class="gesperrt">gestanden
-sein</em> und <em class="gesperrt">gesessen sein</em>: die Personen, mit denen er in
-näherm Verkehr <em class="gesperrt">gestanden war</em> – es lebten noch Männer, die in
-der Paulskirche <em class="gesperrt">gesessen waren</em> (vgl. <a href="#Seite_59">S. 59</a>); ganz unerträglich
-ferner die österreichischen Verbindungen: <em class="gesperrt">an etwas vergessen</em>,
-<em class="gesperrt">auf etwas vergessen</em> und <em class="gesperrt">auf etwas erinnern</em>: heute schien
-die Schar ihrer Verehrer <em class="gesperrt">auf sie vergessen</em> zu haben – <em class="gesperrt">auf
-die Einzelheiten</em> des Stückes konnte ich nicht mehr <em class="gesperrt">erinnern</em>
-u.&#160;ähnl.</p>
-
-<p>Eine ganze Reihe von Eigenheiten hat der Österreicher im Gebrauche der
-Adverbia. Er sagt: <em class="gesperrt">im vorhinein</em> statt <em class="gesperrt">von vornherein</em>,
-<em class="gesperrt">rückwärts</em> statt <em class="gesperrt">hinten</em>, <em class="gesperrt">beiläufig</em> (bailaifig)
-statt <em class="gesperrt">ungefähr</em> (bis zur höchsten Spitze ist es <em class="gesperrt">beiläufig</em>
-6000 Fuß – dies ist <em class="gesperrt">beiläufig</em> der Inhalt des hübschen Buches –
-der zweite Band erscheint in <em class="gesperrt">beiläufig</em> gleicher Stärke), während
-in gutem Deutsch <em class="gesperrt">beiläufig</em> nur bedeutet: <em class="gesperrt">nebenbei</em>, im
-<em class="gesperrt">Vorbeigehen</em> (<em class="gesperrt">beiläufig</em> will ich bemerken). Für <em class="gesperrt">nur
-noch</em> heißt es in München wie in Wien: <em class="gesperrt">nur mehr</em>: z.&#160;B.
-leidenschaftliche Gedichte von <em class="gesperrt">nur mehr</em> geschichtlichem Wert
-– ein Ausspruch, der uns heute <em class="gesperrt">nur mehr</em> grotesk anmutet –
-alle Bemühungen sind jetzt <em class="gesperrt">nur mehr</em> darauf gerichtet – auf
-die Christlich-Sozialen fielen heute <em class="gesperrt">nur mehr</em> acht Stimmen
-usw. <em class="gesperrt">Neuerdings</em>, das gut deutsch nichts andres heißt als:
-<em class="gesperrt">in neuerer Zeit</em> (<em class="gesperrt">neuerdings</em> ist der Apparat noch
-wesentlich vervollkommnet worden), wird in Österreich in dem Sinne von
-<em class="gesperrt">wiederum</em>, <em class="gesperrt">nochmals</em>, <em class="gesperrt">abermals</em>, <em class="gesperrt">aufs neue</em>,
-<em class="gesperrt">von neuem</em> gebraucht, z.&#160;B.: es kommt mir nicht darauf an, oft
-gesagtes <em class="gesperrt">neuerdings</em> zu wiederholen – er hat mich hierdurch
-<em class="gesperrt">neuerdings</em> zu Dank verpflichtet – eine Reise führte ihn
-<em class="gesperrt">neuerdings</em> mit der Künstlerin zusammen – in diesem Vertrage
-wird <em class="gesperrt">neuerdings</em> die Frage untersucht – es kam eine Schrift zur
-Verlesung,<span class="pagenum" id="Seite_432">[S. 432]</span> worin B. <em class="gesperrt">neuerdings</em> für seine Überzeugung eintrat
-– die Geneigtheit der Kurie muß bei jedem Wahlgange <em class="gesperrt">neuerdings</em>
-erkauft werden.<a id="FNAnker_177" href="#Fussnote_177" class="fnanchor">[177]</a> Man möchte wirklich annehmen, daß mancher deutsche
-Zeitungsredakteur von all diesen Gebrauchsunterschieden gar keine
-Ahnung habe, denn sonst könnte er doch solche Sätze nicht unverändert
-in seiner Zeitung nachdrucken, er müßte doch jedesmal den Austriazismus
-erst ins Deutsche übersetzen, damit der deutsche Leser nicht falsch
-verstehe!</p>
-
-<p>Nichts als ein Provinzialismus, den man aber in neuern Erzählungen oft
-lesen kann, ist es auch, bei dem reflexiven <em class="gesperrt">sich finden</em> mit
-Angabe einer Richtung (sich nach Hause finden, sich hinfinden, sich
-zurückfinden, sich zurechtfinden) das <em class="gesperrt">sich</em> wegzulassen und zu
-schreiben: den sichern Boden, zu dem er <em class="gesperrt">zurückfand</em> – er konnte
-nicht <em class="gesperrt">nach Hause finden</em> u.&#160;dgl.</p>
-
-<p>Eine Schrulle des niedrigen Geschäftsstils ist es, wenn jetzt
-angezeigt wird, daß Kohlen <em class="gesperrt">ab Zwickau</em> oder <em class="gesperrt">ab Werke</em>
-(!) oder <em class="gesperrt">ab Bahnhof</em> oder <em class="gesperrt">ab Lager</em> zu haben seien, Heu
-<em class="gesperrt">ab Wiese</em> verkauft, Flaschenbier <em class="gesperrt">ab Brauerei</em> oder <em class="gesperrt">ab
-Kellerei</em>, Mineralwasser <em class="gesperrt">ab Quelle</em> geliefert werde, daß
-eine Konzertgesellschaft <em class="gesperrt">ab Sonntag</em> den 7. Juni auftrete,
-oder daß eine Wohnung <em class="gesperrt">ab 1. Oktober</em> zu vermieten sei. Ab als
-selbständige Präposition vor Substantiven (vgl. <em class="gesperrt">abhanden</em>,
-d.&#160;i. <em class="gesperrt">ab Handen</em>) ist schon seit dem siebzehnten Jahrhundert
-vollständig durch <em class="gesperrt">von</em> verdrängt. Nur in Süddeutschland und
-namentlich in der Schweiz wird es noch gebraucht, dort sagt man noch
-<em class="gesperrt">ab dem Hause</em>, <em class="gesperrt">ab dem Lande</em>. Aber was soll uns dieser
-Provinzialismus? und noch dazu in solcher Stammelform: <em class="gesperrt">ab Werke</em>,
-von der man nicht weiß, ob es der Dativ der Einzahl oder vielleicht
-gar der Akkusativ der Mehrzahl sein soll? Es ist übrigens doch
-zweifelhaft, ob die Geschäftsleute, die sich neuerdings damit spreizen,
-wirklich das alte deutsche <em class="gesperrt">ab</em> meinen, und nicht vielmehr das
-lateinische <em class="gesperrt"><span class="antiqua">ab</span></em>. Zuzutrauen wäre es ihnen, wenigstens wenn
-man <em class="gesperrt"><span class="antiqua">pro</span> Jahr</em>, <em class="gesperrt"><span class="antiqua">pro</span> Kopf</em>,<span class="pagenum" id="Seite_433">[S. 433]</span> <em class="gesperrt"><span class="antiqua">per</span>
-sofort</em>, <em class="gesperrt"><span class="antiqua">per</span> bald</em>, <em class="gesperrt"><span class="antiqua">per</span> Weihnachten</em> und
-ähnlichen Unsinn damit vergleicht.<a id="FNAnker_178" href="#Fussnote_178" class="fnanchor">[178]</a></p>
-
-<p>Ein gemeiner Berolinismus, der aber immer mehr um sich greift und schon
-in Lustspielen von der Bühne herab zu hören ist, ist die Anwendung von
-<em class="gesperrt">bloß</em> für <em class="gesperrt">nur</em> in ungeduldigen Fragen und Aufforderungen:
-Was hat er <em class="gesperrt">bloß</em>? Was will er <em class="gesperrt">bloß</em>? Komm doch <em class="gesperrt">bloß</em>
-mal her!</p>
-
-<div class="section">
-
-<h3 id="Fremdwoerter">Fremdwörter</h3>
-
-</div>
-
-<p>Auch unsre Fremdwörter sind zum großen Teil Modewörter. Bei dem Kampfe
-gegen die Fremdwörter, der seit einiger Zeit wieder in Deutschland
-entbrannt ist, handelt sichs natürlich nicht um die große Zahl zum
-Teil internationaler technischer Ausdrücke, sondern vor allem um
-die verhältnismäßig kleine Zahl ganz entbehrlicher Fremdwörter, die
-namentlich unsre Umgangssprache und die Sprache der Gelehrten, der
-Beamten, der Geschäftsleute, der Zeitungschreiber entstellen.</p>
-
-<p>Zwar haben sich die Bemühungen der Sprachreiniger auch auf die
-technischen Ausdrücke einzelner Berufe und Tätigkeitsgebiete erstreckt,
-wie des Militärs, des Post- und Eisenbahnwesens, des Handels, der
-Küche, des Spiels, auch einzelner Wissenschaften und Künste, wie der
-Grammatik, der Mathematik, der Baukunst, der Musik, des Tanzes. Was
-aber vorgeschlagen worden ist, hat selten Beifall gefunden. Schlimm
-und verdächtig ist es immer schon, wenn einfache Fremdwörter durch
-Wortzusammensetzungen verdeutscht werden sollen: einige Beispiele
-solcher Art sind schon früher angeführt worden (<a href="#Seite_363">S. 363</a>). Gewöhnlich
-sind das gar keine Übersetzungen, sondern Umschreibungen oder
-Begriffserklärungen. So hat man <em class="gesperrt">Redakteur</em> und <em class="gesperrt">Redaktion</em>
-durch <em class="gesperrt">Schriftleiter</em> und <em class="gesperrt">Schriftleitung</em> „übersetzt“,
-und einzelne Zeitungen und Zeitschriften haben das angenommen<span class="pagenum" id="Seite_434">[S. 434]</span>
-(dann auch <em class="gesperrt">Geschäftsstelle</em> für <em class="gesperrt">Expedition</em>). Diese
-Verdeutschungen geben nicht entfernt den Begriff des Fremdworts
-wieder. Unter <em class="gesperrt">Schrift</em> kann dreierlei verstanden werden: die
-Handschrift, ein Schriftstück und die Lettern der Druckerei. An die
-erste und die dritte Bedeutung ist hier natürlich nicht zu denken,
-nur die zweite kann gemeint sein. Aufgabe eines Redakteurs ist es,
-die eingegangnen Schriftstücke auf ihren Inhalt zu prüfen, sie in
-anständiges Deutsch zu bringen, eine sorgfältige Druckkorrektur zu
-lesen und den Inhalt der einzelnen Zeitungsnummern zu bestimmen
-und anzuordnen. Das alles stellen wir uns wohl bei dem Worte
-<em class="gesperrt">Redakteur</em> vor, aber nicht bei dem mühselig ausgeklügelten
-Worte <em class="gesperrt">Schriftleiter</em>. Die Zeitung selbst wird <em class="gesperrt">geleitet</em>,
-aber nicht ihre Schriftstücke. Wenn es damals, als es im Deutschen
-noch keine Fremdwörter gab, schon Zeitungen gegeben hätte, ich weiß,
-wie man den Redakteur genannt hätte: <em class="gesperrt">Zeitungmeister</em>! Im
-Eisenbahnverkehr hat man uns die <em class="gesperrt">Fahrkarte</em> und das fürchterliche
-<em class="gesperrt">Abteil</em> aufgenötigt (statt <em class="gesperrt">Billett</em> und <em class="gesperrt">Coupé</em>).
-Das kurze, leichte <em class="gesperrt">Billett</em> war – man spreche es nur deutsch
-aus! – fast schon zum Lehnwort geworden. In Leipzig hieß schon im
-sechzehnten Jahrhundert die Kupfermarke, die sich der Brauerbe auf
-dem Rathause holen mußte, wenn er Bier brauen wollte, <em class="gesperrt">Bollet</em>.
-Was für ein langstieliger Ersatz dafür sind unsre <em class="gesperrt">Fahrkarten</em>,
-<em class="gesperrt">Eintrittskarten</em>, <em class="gesperrt">Teilnehmerkarten</em> usw.! Und ist etwa
-<em class="gesperrt">Karte</em> ein deutsches Wort? Eine wirkliche Übersetzung von
-<em class="gesperrt">Coupé</em> wäre <em class="gesperrt">Fach</em> gewesen, das in dem ältern Deutsch jede
-Abteilung eines Raums bedeutete, nicht bloß in einem Schrank oder
-Kasten, sondern auch im Hause (vgl. <em class="gesperrt">Dach und Fach</em>). Sogar eine
-Straße, die in einen Fahrweg, einen Fußweg und einen Reitweg geteilt
-war, hieß im achtzehnten Jahrhundert eine Straße in <em class="gesperrt">drei Fachen</em>.
-Das <em class="gesperrt">Abteil</em> und die <em class="gesperrt">Fahrkarte</em> werden sich schwerlich
-einbürgern. Die Schaffner sind ja dazu verurteilt, die Wörter zu
-gebrauchen, aber das Publikum gebraucht lachend die Fremdwörter weiter.
-Etwas ganz komisches – wenigstens nach meinem Gefühl – ist bei der
-Übersetzung der militärischen Fachausdrücke<span class="pagenum" id="Seite_435">[S. 435]</span> mit untergelaufen: die
-Wiedergabe von <em class="gesperrt">Terrain</em> durch <em class="gesperrt">Gelände</em>. <em class="gesperrt">Gelände</em> war
-früher ein poetisches Wort, und zwar ein Wort der höchsten Poesie.
-Man denke nur an Schillers Berglied: da tut sich ein <em class="gesperrt">lachend
-Gelände</em> hervor – und vor allem an Goethes herrlichen Spruch:
-Gottes ist der Orient, Gottes ist der Occident, Nord- und <em class="gesperrt">südliches
-Gelände</em> ruht im Frieden seiner Hände. Einem solchen Wort jetzt
-in den Manöverberichten der Zeitungen zu begegnen ist doch gar zu
-komisch. In der Musik möchte man jetzt die Wörter <em class="gesperrt">komponieren</em>
-und <em class="gesperrt">Komposition</em> abschaffen, und durch <em class="gesperrt">vertonen</em> und
-<em class="gesperrt">Vertonung</em> ersetzen. Gräßliche Geschmacklosigkeit! Von einem
-<em class="gesperrt">vertonten</em> (<em class="gesperrt">ver</em>!) Liede kann man doch nur mit Bedauern
-sprechen, denn das könnte doch nur eins sein, das ungeschickt, falsch,
-fehlerhaft komponiert, durch die musikalische Zutat verdorben worden
-wäre (vgl. <a href="#Seite_357">S. 357</a>). Die Architekten vermeiden jetzt erfreulicherweise
-das überflüssige Fremdwort <em class="gesperrt">Dimension</em>, nur sollten sie es nicht
-immer durch <em class="gesperrt">Abmessung</em> übersetzen, was meist gar keinen Sinn
-gibt (denn Abmessung bedeutet eine Handlung, keine Eigenschaft!),
-sondern einfach durch <em class="gesperrt">Maß</em> oder – es ganz weglassen. Denn ist
-ein Gebäude von <em class="gesperrt">riesigen Abmessungen</em> etwas andres als ein
-<em class="gesperrt">riesiges</em> Gebäude? Und welcher Schwulst, zu schreiben: der
-Baumeister ist verpflichtet, Irrtümer im Voranschlag in bescheidnen
-<em class="gesperrt">Abmessungen</em> auftreten zu lassen! Wenn vollends allgemein
-angenommene und geläufige alte Kunstausdrücke einzelner Wissenschaften
-„übersetzt“ werden, wie man es den Kindern der Volksschule zuliebe
-in der Grammatik, auch in der Arithmetik versucht hat, so ist das
-Ergebnis meist ganz unerfreulich. Wenn man ein Buch oder einen Aufsatz
-mit solchen Verdeutschungen liest, so hat man immer das unbehagliche
-Gefühl, als ginge man auf einem Wege, wo aller zwanzig Schritt ein Loch
-gegraben und ein paar wacklige Bretter darüber gelegt wären.</p>
-
-<p>Am ehesten darf man vielleicht hoffen, daß die Fremdwörter aus der
-Umgangssprache verschwinden werden, denn hier wirkt fast nur die
-Mode. Die Fremdwörter unsrer Umgangssprache stammen zum Teil noch aus
-dem<span class="pagenum" id="Seite_436">[S. 436]</span> siebzehnten Jahrhundert, andre sind im achtzehnten, noch andre
-erst in der Franzosenzeit zu Anfange des neunzehnten Jahrhunderts
-eingedrungen. Aber sie kommen eins nach dem andern wieder aus der Mode.
-Viele, die vor fünfzig Jahren noch für fein galten, fristen heute
-nur noch in den untersten Volksschichten ein kümmerliches Dasein!
-man denke an <em class="gesperrt">Madame</em>, <em class="gesperrt">Logis</em>, <em class="gesperrt"><span class="antiqua">vis-à-vis</span></em>,
-<em class="gesperrt"><span class="antiqua">peu-à-peu</span></em> (in Leipzig <em class="gesperrt">beeabeeh</em> gesprochen),
-<em class="gesperrt">retour</em>, <em class="gesperrt">charmant</em>, <em class="gesperrt">mechant</em>, <em class="gesperrt">inkommodieren</em>,
-<em class="gesperrt">sich revanchieren</em> und viele andre. In den Befreiungskriegen gab
-es nur <em class="gesperrt">Blessierte</em>; wer hat 1870 noch von <em class="gesperrt">Blessierten</em>
-gesprochen? Wer <em class="gesperrt">amüsiert</em> sich noch? anständige Leute nicht
-mehr; die haben längst wieder angefangen, sich zu <em class="gesperrt">vergnügen</em>.
-Auch <em class="gesperrt">existieren</em>, <em class="gesperrt">passieren</em> (für <em class="gesperrt">geschehen</em>
-oder <em class="gesperrt">begegnen</em>: es ist ein Unglück <em class="gesperrt">passiert</em>, mir
-ist etwas Unangenehmes <em class="gesperrt">passiert</em>), <em class="gesperrt">sich genieren</em>
-sind so heruntergekommen, daß man sie anständigerweise kaum
-noch gebrauchen kann. Vor dreißig Jahren gab es noch vereinzelt
-Schneider<em class="gesperrt">mamsellen</em>; jetzt wird jedes Dienstmädchen in der
-Markthalle mit <em class="gesperrt">Fräulein</em> angeredet, wofür die Bürgerstochter
-freilich zum <em class="gesperrt">gnädigen Fräulein</em> aufgerückt ist. Und wo ist das
-<em class="gesperrt">Parapluie</em> geblieben, das doch auch einmal fein war, und wie fein!</p>
-
-<p>Leider tauchen nur an Stelle veraltender Fremdwörter immer auch wieder
-neue auf. Wer hat vor dreißig Jahren etwas von <em class="gesperrt">Milieu</em> gewußt?
-Als es aufkam, mußten auch gebildete Leute das Wörterbuch aufschlagen,
-um sich zu belehren, was eigentlich damit gemeint sei. Und was war
-es schließlich? Weiter nichts, als was man bis dahin als Hintergrund
-(einer Handlung, einer Erzählung) bezeichnet hatte. Neue Schiffe
-werden jetzt nicht mehr nach einem Muster gebaut, sondern nur noch
-nach einem <em class="gesperrt">Typ</em>, ebenso auch schon Automobile und Orgeln. Unsre
-Frauen und Mädchen tragen keine Kleider oder Anzüge mehr, sondern
-nur noch <em class="gesperrt">Kostüme</em>, die es früher nur auf dem Theater oder auf
-Maskenbällen gab. Wagen wurden bisher in eine <em class="gesperrt">Remise</em> gestellt;
-die Automobile müssen natürlich etwas besondres haben, sie werden in
-die <em class="gesperrt">Garage</em> gebracht; aber auch<span class="pagenum" id="Seite_437">[S. 437]</span> das ist nichts weiter als ein
-Schuppen. Ein neues Eigenschaftswort, das man seit kurzem täglich hört
-und liest, ist <em class="gesperrt">markant</em>: eine <em class="gesperrt">markante</em> Erscheinung, ein
-<em class="gesperrt">markanter</em> Unterschied, eine <em class="gesperrt">markante</em> Persönlichkeit, die
-<em class="gesperrt">markanteste</em> Linie des Gesichts. Eine feine, leicht auf der Zunge
-zergehende Schokolade heißt im Französischen <span class="antiqua">chocolat fondant</span>;
-<span class="antiqua">fondre</span> heißt <em class="gesperrt">schmelzen</em>. Was haben die deutschen
-Fabrikanten daraus gemacht? <em class="gesperrt">Fondantschokolade</em>! Warum denn
-nicht <em class="gesperrt">Schmelzschokolade</em>? Wer hat vor dreißig Jahren etwas von
-<em class="gesperrt">chic</em> gewußt? Es ist nichts andres als unser <em class="gesperrt">geschickt</em>,
-das nach Frankreich gegangen und in der Form <em class="gesperrt">chic</em> zurückgekehrt
-ist und nun für <em class="gesperrt">fein</em>, <em class="gesperrt">hübsch</em>, <em class="gesperrt">nett</em> gebraucht
-wird. Der Plural davon wird von unsern Geschäftsleuten <em class="gesperrt">chice</em>
-geschrieben: <em class="gesperrt">chice</em> Hüte, <em class="gesperrt">chice</em> Kleider, <em class="gesperrt">chice</em>
-Schuhe, was man wohl <em class="gesperrt">schicke</em> aussprechen soll, aber doch
-nur <em class="gesperrt">schitze</em> aussprechen kann (vgl. <em class="gesperrt">Vice</em>). Zum Glück
-ist es neuerdings schon wieder aus der Mode gekommen. Zu einem
-greulichen Modewort dagegen ist <em class="gesperrt">eventuell</em> geworden. Es
-bedeutet ja: <em class="gesperrt">vorkommendenfalls</em>, ferner <em class="gesperrt">nötigenfalls</em>
-oder <em class="gesperrt">möglichenfalls</em>, je nachdem, dann immer mehr verblassend:
-<em class="gesperrt">möglicherweise</em>, <em class="gesperrt">vielleicht</em>, <em class="gesperrt">etwa</em>, <em class="gesperrt">wohl</em>
-und endlich: gar nichts. Es gibt aber eine Menge Leute, die heute
-kaum noch einen Satz sagen können, worin nicht <em class="gesperrt">eventuell</em>
-vorkäme: wir könnens ja <em class="gesperrt">eventuell</em> auch so machen – ich kann
-<em class="gesperrt">eventuell</em> schon um sieben kommen. Wenn man auf der Straße aus
-der Unterhaltung Vorübergehender zehn Worte aufschnappt, das Wort
-<em class="gesperrt">eventuell</em> ist sicher darunter. Aber auch der Musikschreiber
-sagt: etwas mehr Fülle des Tons hätte <em class="gesperrt">eventuell</em> den Vortrag noch
-mehr unterstützt; ein Buchhändler schreibt: umstehenden Bestellzettel
-bitten wir <em class="gesperrt">eventuell</em> direkt an die Verlagsbuchhandlung
-gelangen zu lassen, und Zeitungen schreiben: ein Mensch, der eine
-Volksschule und <em class="gesperrt">eventuell</em> eine höhere Schule besucht hat –
-der Kreuzer X erhielt Befehl, sich <em class="gesperrt">eventuell</em> zur Ausreise (!)
-bereit zu halten – die Regierung hat alle Maßregeln getroffen, um
-für einen <em class="gesperrt">eventuellen</em> (!) Streik gerüstet zu sein – es war
-Schutzmannschaft aufgestellt,<span class="pagenum" id="Seite_438">[S. 438]</span> um einen <em class="gesperrt">eventuellen</em> Tumult zu
-verhüten – der Platz soll zur <em class="gesperrt">eventuellen</em> (!) Bebauung liegen
-bleiben. Fast überall kann man <em class="gesperrt">eventuell</em> streichen, und der Sinn
-bleibt genau derselbe. Eine ganz neue Aufgabe erfüllt das Zeitwort
-<em class="gesperrt">interpretieren</em>. Aus der Sprache der Philologie, wo es immer
-mehr zurückgegangen ist, ist es in die der Musik- und Theaterschreiber
-eingedrungen. Eine Rolle auf der Bühne wird nicht mehr gespielt, ein
-Musikstück nicht vorgetragen, ein Lied nicht gesungen – es wird
-alles <em class="gesperrt">interpretiert</em>: Strauß wird die Lieder selbst dirigieren,
-Frau B. wird <em class="gesperrt">Interpretin</em> sein – der Künstler hat durch die
-<em class="gesperrt">Interpretation</em> dieses Liedes einen Beweis seines hervorragenden
-Könnens (!) erbracht(!) usw. An Stelle der <em class="gesperrt">Sensationen</em> sind
-neuerdings die <em class="gesperrt">Attraktionen</em> getreten, das Konzertprogramm
-hat man zwar in <em class="gesperrt">Vortragsordnung</em> „übersetzt“, aber in dieser
-„Vortragsordnung“ erscheint nun statt des ehemaligen <em class="gesperrt">Potpourris</em>
-die <em class="gesperrt">Selektion</em>, und dafür hat man den guten Theater<em class="gesperrt">zettel</em>
-in Theater<em class="gesperrt">programm</em> verwandelt, wenigstens in Leipzig, wo die
-Jungen jetzt abends am Theater ausrufen: <em class="gesperrt">Deeaderbroogramm</em>
-gefällig? Kunst- und Kunstgewerbemuseen veranstalten jetzt mit Vorliebe
-<em class="gesperrt">retrospektive</em> Ausstellungen. Wieviele Leute, die in solche
-Ausstellungen laufen, mögen wissen, was <em class="gesperrt">retrospektiv</em> heißt? Ein
-Friedhof hat in Sachsen seit einiger Zeit keine Leichenhalle mehr,
-sondern eine <em class="gesperrt">Parentationshalle</em>! Wieviel Leute, auch gelehrte
-Leute, mögen wissen, was <span class="antiqua">parentare</span> und <span class="antiqua">parentatio</span> heißt,
-wissen, daß das heidnische Begriffe sind, die auf unsre Friedhöfe gar
-nicht passen?</p>
-
-<p>Ganz widerwärtig ist es, wie unsre Sprache neuerdings mit
-englischen Sprachbrocken überschüttet wird. Da wird das kleine
-Kind <em class="gesperrt">Baby</em> genannt, und die Bedürfnisse für kleine Kinder
-kauft man im <em class="gesperrt">Babybasar</em>, ja im zoologischen Garten ist
-sogar ein Elefanten<em class="gesperrt">baby</em> zu sehen! Ein Frauenkleid, das der
-Schneider gemacht hat, wird als <span class="antiqua">tailor-made</span> bezeichnet,
-eine Schauspielerin oder Sängerin, die Aufsehen erregt, wird als
-<em class="gesperrt">Star</em> gefeiert, Buchhändler reden von <em class="gesperrt">Standard</em>-Werken,
-unsre Schuhe werden aus <em class="gesperrt">Boxcalf</em> gemacht (wenn nicht noch<span class="pagenum" id="Seite_439">[S. 439]</span>
-lieber aus <em class="gesperrt">Chevreau</em>), an allen Mauern, Wänden und Schaufenstern
-schreit uns das Wort <em class="gesperrt">Sunlight-Seife</em> entgegen, das die
-Fabrikanten den deutschen Dienstmädchen zuliebe neuerdings sogar
-in <em class="gesperrt">Sunlicht-Seife</em> (!) geändert haben, ein andrer Fabrikant
-preist seine <em class="gesperrt">Safety</em>-Füllfedern an, und an den Anschlagsäulen
-heißt es, daß in dem oder jenem Tingeltangel <span class="antiqua">fife sisters</span> oder
-<span class="antiqua">fife brothers</span> auftreten werden. Und dabei rühmt eine bekannte
-Fabrik von Teegebäck in Hannover, daß ihr Fabrikat <em class="gesperrt">der (!) beste
-Buttercakes</em> sei! Eine deutsche Mutter sollte sich schämen, ihr Kind
-<em class="gesperrt">Baby</em> zu nennen. Was würden unsre guten Freunde, die Engländer,
-sagen, wenn ein englischer Fabrikant wagen wollte, <span class="antiqua">Sonnenlicht
-Soap</span> anzupreisen!</p>
-
-<p>Unsre Kanzleisprache hat sich im Laufe eines Jahrhunderts
-gewaltig gereinigt. Noch 1810 konnte ein deutsches Stadtgericht
-an das andre schreiben: „Ew. Wohlgeboren werden <span class="antiqua">in subsidium
-juris et sub oblatione ad reciproca</span> ergebenst ersucht, die
-anliegende <span class="antiqua">Edictalcitation</span> in Sachen des Kaufmanns R.
-daselbst <span class="antiqua">loco consueto affigiren</span> zu lassen und selbige
-<span class="antiqua">effluxo termino cum documentis aff- et refixionis</span> gegen
-die Gebühr zu <span class="antiqua">remittiren</span>.“ Heute hat sich, wenigstens
-unter den höhergebildeten Beamten, doch fast allgemein
-die Einsicht Bahn gebrochen, daß das beste und vornehmste
-Amtsdeutsch das sei, das die wenigsten Fremdwörter enthält. Nur
-der kleine Unterbeamte, der <em class="gesperrt">Folium</em> und <em class="gesperrt">Volumen</em>,
-<em class="gesperrt">Repositorium</em> und <em class="gesperrt">Repertorium</em> nicht unterscheiden
-kann, der eine Empfangsbescheinigung eine <em class="gesperrt">Rezepisse</em> nennt
-und vom <em class="gesperrt">Makulatieren</em> der Akten redet, weil er einmal von
-<em class="gesperrt">Makulatur</em> gehört hat, tut sich noch etwas zugute auf ein
-<span class="antiqua">sub</span> oder <span class="antiqua">ad</span> (das gehört <em class="gesperrt">unter</em> <span class="antiqua">sub A</span>,
-sagt er), auf ein <span class="antiqua">a. c.</span> (<span class="antiqua">anni currentis</span>), ein <span class="antiqua">eodem
-die</span>, ein <span class="antiqua">s. p. r.</span> (<span class="antiqua">sub petito remissonis</span>), ein <span class="antiqua">cf.
-pg.</span> (<span class="antiqua">confer paginam</span>) u.&#160;dgl.; er fühlt sich gehoben, wenn er
-solche geheimnisvolle Zeichen in die Akten hineinmalen kann.</p>
-
-<p>Wundern muß man sich, daß die Männer der Wissenschaft, bei denen man
-doch die größte Einsicht voraussetzen sollte, fast alle noch in dem
-Wahne befangen sind, daß sie durch Fremdwörter ihrer Sache Glanz
-und Bedeutung geben könnten. Auf den Universitätskathedern<span class="pagenum" id="Seite_440">[S. 440]</span> und in
-der fachwissenschaftlichen Literatur, da steht die Fremdwörterei
-noch in voller Blüte. Der deutsche Professor glaubt immer noch,
-daß er sich mit <em class="gesperrt"><span class="antiqua">editio princeps</span></em>, <em class="gesperrt"><span class="antiqua">terra
-incognita</span></em>, <em class="gesperrt"><span class="antiqua">eo ipso</span></em>, <em class="gesperrt"><span class="antiqua">bona fide</span></em>,
-<em class="gesperrt">Publikation</em>, <em class="gesperrt">Argumentation</em>, <em class="gesperrt">Modifikation</em>,
-<em class="gesperrt">Akquisition</em>, <em class="gesperrt">Kontroverse</em>, <em class="gesperrt">Resultat</em>,
-<em class="gesperrt">Analogie</em>, <em class="gesperrt">intellektuell</em>, <em class="gesperrt">individuell</em>,
-<em class="gesperrt">identisch</em>, <em class="gesperrt">irrelevant</em>, <em class="gesperrt">adäquat</em>, <em class="gesperrt">edieren</em>,
-<em class="gesperrt">dokumentieren</em>, <em class="gesperrt">polemisieren</em>, <em class="gesperrt">modifizieren</em>,
-<em class="gesperrt">identifizieren</em>, <em class="gesperrt">verifizieren</em> vornehmer ausdrücke als mit
-den entsprechenden deutschen Wörtern. Er fühlt sich wunderlicherweise
-auch gehoben (wie der kleine Rats- und Gerichtsbeamte), wenn er
-<em class="gesperrt">lexikalisches Material</em> sagt statt <em class="gesperrt">Wortschatz</em>, wenn
-er von <em class="gesperrt">heterogenen Elementen</em>, <em class="gesperrt">intensiven Impulsen</em>,
-<em class="gesperrt">prägnanten Kontrasten</em>, <em class="gesperrt">approximativen Fixierungen</em>
-oder einer <em class="gesperrt">aggressiven Tendenz</em>, einem <em class="gesperrt">intellektuellen</em>
-oder <em class="gesperrt">moralischen Defekt</em>, einem <em class="gesperrt">Produkt destruktiver
-Tendenzen</em> redet, wenn er eine <em class="gesperrt">Idee ventiliert</em>, statt einen
-<em class="gesperrt">Gedanken</em> zu <em class="gesperrt">erörtern</em>, wenn er von einem <em class="gesperrt">Produkt</em>
-der <em class="gesperrt">Textilkunst</em> die <em class="gesperrt">Provenienz konstatiert</em>, statt
-von einem <em class="gesperrt">Erzeugnis</em> der <em class="gesperrt">Weberei</em> die <em class="gesperrt">Herkunft
-nachzuweisen</em>, wenn er schreibt: es kommt fast nie vor, daß
-gutartige Polypen <em class="gesperrt">recidivieren</em> (statt: wiederkehren) – die
-<em class="gesperrt">Autopsie konstatierte</em> die <em class="gesperrt">Existenz</em> eines <em class="gesperrt">sanguinolent
-tingierten Serums</em> im <em class="gesperrt">Perikardium</em> (statt: bei der Öffnung
-der Leiche zeigte sich, daß der Herzbeutel blutig gefärbte Flüssigkeit
-enthielt).<a id="FNAnker_179" href="#Fussnote_179" class="fnanchor">[179]</a> Und der Student macht es ihm leider meist gedankenlos
-nach; die wenigsten haben die geistige Überlegenheit, sich darüber
-zu erheben. In der Sprache aller Wissenschaften gibt es ja gewisse
-Freimaurerhändedrücke, an denen sich die Leute von der Zunft erkennen.
-Wie stolz ist der Student der Kunstgeschichte, wenn er zum erstenmale
-<em class="gesperrt">Cinquecento</em> sagen kann! Zwei Semester lang tut er, als ob
-er <em class="gesperrt">sechzehntes Jahrhundert</em> gar nicht mehr verstünde.<span class="pagenum" id="Seite_441">[S. 441]</span> Wie
-stolz ist er, wenn er das Wort <em class="gesperrt">konventionell</em> begriffen hat!
-Mit der größten Verachtung blickt er auf die gesamte Kunst aller
-Zeiten und Völker herab, denn mit Ausnahme der Kunst der letzten drei
-Jahre ist ja alles – <em class="gesperrt">konventionell</em>. Und wenn er dann sein
-Dissertatiönchen baut, wie freut es ihn, wenn er alle die schönen
-vom Katheder aufgeschnappten Wörter und Redensarten darin anbringen
-kann! Man kennt den Rummel, man ist ja selber einmal so kindisch
-gewesen. Dabei begegnet es aber auch sehr gelehrten Herren, daß sie
-die Verneinung von <em class="gesperrt">normal</em> frischweg <em class="gesperrt">anormal</em> bilden,
-also das sogenannte <span class="antiqua">Alpha privativum</span> des Griechischen vor ein
-lateinisches Wort leimen, statt <em class="gesperrt">anomal</em> (griechisch!) oder
-<em class="gesperrt">abnorm</em> (lateinisch!) zu sagen. Was ist in der letzten Zeit von
-<em class="gesperrt">anormalem</em> Denken, <em class="gesperrt">anormalem</em> Empfinden, <em class="gesperrt">anormalen</em>
-Trieben geschwafelt worden! Es begegnet auch sehr gelehrten Herren, daß
-sie von <em class="gesperrt">Prozent</em> ein Eigenschaftswort <em class="gesperrt">prozentuell</em> bilden
-(als ob <span class="antiqua">centum</span> „nach der vierten“ ginge, einen <span class="antiqua">u</span>-Stamm
-hätte wie <span class="antiqua">accentus</span>!), statt <em class="gesperrt">prozentisch</em> zu sagen, daß
-sie <em class="gesperrt">indifferent</em> schreiben, wo sie <em class="gesperrt">undifferenziert</em> meinen
-u.&#160;dgl.</p>
-
-<p>Besonders stolz auf ihre Fremdwörterkenntnis sind gewöhnlich die
-Herren „Pädagogen“, d.&#160;h. die Volksschullehrer, die sich nicht mit dem
-Seminar begnügt, sondern nachträglich noch ein paar Semester an den
-Brüsten der <span class="antiqua">Alma mater</span> gesogen haben. Schon daß sie sich immer
-<em class="gesperrt">Pädagogen</em> nennen, ist bezeichnend. <em class="gesperrt">Lehrer</em> klingt ihnen
-nicht wichtig genug. Daß ein Pädagog etwas ganz andres ist als ein
-Lehrer, daran denken sie gar nicht. Wenn so ein Pädagog einen Vortrag
-hält oder einen Aufsatz schreibt über die Aufgaben oder vielmehr die
-<em class="gesperrt">Probleme</em> (!) des Unterrichts in der Klippschule, dann regnet
-es nur so von <em class="gesperrt">exakt</em>, <em class="gesperrt">theoretisch</em>, <em class="gesperrt">empirisch</em>,
-<em class="gesperrt">empiristisch</em>, <em class="gesperrt">didaktisch</em>, <em class="gesperrt">psychisch</em>,
-<em class="gesperrt">psychologisch</em>, <em class="gesperrt">ethisch</em>, <em class="gesperrt">Lustrum</em>, <em class="gesperrt">Dezennium</em>,
-<em class="gesperrt">Koedukation</em> usw. Aus diesen Kreisen ist dann auch in andre
-Kreise der Unsinn verpflanzt worden, von <em class="gesperrt">Klavier-</em> und
-<em class="gesperrt">Gesangpädagogen</em> zu reden. Wieck, der Vater der Klara Schumann,
-der bekanntlich in Leipzig Klavierstunden gab, wird stets „der
-hervorragende Klavierpädagog“<span class="pagenum" id="Seite_442">[S. 442]</span> genannt. Vielleicht erleben wir auch
-noch <em class="gesperrt">Geigen-</em>, <em class="gesperrt">Posaunen-</em> und <em class="gesperrt">Fagottpädagogen</em>.</p>
-
-<p>Weniger zu verwundern ist der Massenverbrauch von Fremdwörtern bei den
-Geschäftsleuten. Sie stecken infolge ihrer Halbbildung am tiefsten in
-dem Wahne, daß ein Fremdwort stets vornehmer sei als das entsprechende
-deutsche Wort. Weil auf sie selbst ein Fremdwort einen so gewaltigen
-Eindruck macht, so meinen sie, es müsse diesen Eindruck auf alle
-Menschen machen. Ein Kapitel, das von Jahr zu Jahr beschämender für
-unser Volk wird, bilden die Warennamen, die, wohl meist von den
-Fabrikanten der Waren oder von ebenso unfähigen Helfern ersonnen, uns
-täglich in Zeitungen und Wochenblättern anschreien. Namentlich auf dem
-Gebiete der Arznei- und Toilettenmittel, aber auch auf andern Gebieten,
-wie dem der Beleuchtungsmittel, der Kraftfahrzeuge, der Musikmaschinen,
-der photographischen Artikel, der „alkoholfreien“ Getränke usw.,
-wimmelt es davon. Von vernünftigen Sprachgesetzen, nach denen sich
-doch auch solche Namen bilden ließen, ist gar keine Rede mehr. Die
-Zeiten, wo ein Chemiker oder ein Techniker, der einen neuen Namen
-brauchte, einen Philologen zu Rate zog, sind längst vorüber. Jeder
-Fabrikant hält sich heute für berechtigt und befähigt, solche Namen zu
-bilden; er nimmt ein paar – Stämme oder Wurzeln, kann man gar nicht
-sagen, sondern Stammsplitter oder Wurzelfetzen – von irgendwelchen
-griechischen oder lateinischen Wörtern und leimt sie aneinander,
-klebt auch vielleicht noch eine der aus der Chemie bekannten oder
-sonst beliebten Endungen daran (ol, il, it, in usw.), und der Name
-ist fertig. Man denke nur an Wörter wie <em class="gesperrt">Odol</em>, <em class="gesperrt">Pektol</em>,
-<em class="gesperrt">Javol</em>, <em class="gesperrt">Virisanol</em>, <em class="gesperrt">Antirheumol</em>, <em class="gesperrt">Pomeril</em>,
-<em class="gesperrt">Frutil</em>, <em class="gesperrt">Fortisin</em>, <em class="gesperrt">Antinervin</em>, <em class="gesperrt">Bioferrin</em>,
-<em class="gesperrt">Hämoglobin</em>, <em class="gesperrt">Sanatogen</em>, <em class="gesperrt">Kantophon</em>,
-<em class="gesperrt">Solvolith</em>, <em class="gesperrt">Photonox</em>, <em class="gesperrt">Humidophor</em>, <em class="gesperrt">Pianola</em>,
-nicht zu reden von solchen Albernheiten wie <em class="gesperrt">Velotrab</em>,
-<em class="gesperrt">Biomalz</em>, <em class="gesperrt">Abrador</em>, <em class="gesperrt">Waschifix</em> u.&#160;a.<a id="FNAnker_180" href="#Fussnote_180" class="fnanchor">[180]</a><span class="pagenum" id="Seite_443">[S. 443]</span> Die
-Verrücktheit geht so weit, daß man sogar die Namen der Orte zu
-Hilfe nimmt, wo die Waren fabriziert werden, und Namen bildet wie
-<em class="gesperrt">Thürpil</em> (Thüringer Pillen!), ja daß man die Anfangsbuchstaben
-des in der Regel ja sehr breitspurigen Namens der Anstalt oder Fabrik,
-aus der die Ware hervorgeht, oder anderer beliebiger Wörter zu einem
-scheinbaren Wort aufreiht, das in Wahrheit nichts als ein bloßer
-Lauthaufe ist, ja daß man sogar aus ganz beliebigen Lauten solche
-Lauthaufen bildet! <span class="antiqua">Tet roia aga simi dalli perco aok degea ohno
-pilo agfi wuk afpi tita maggi oxo ciba pebeco densos</span> – klingt das
-nicht wie Sprache der Herero oder der Wahehe? Das alles sind deutsche
-Warennamen! Ein Glück, daß die meisten nur ein kurzes Dasein fristen.
-Sie flackern zu irgendeiner Zeit plötzlich auf, verlöschen aber bald
-wieder wie Lämpchen, denen das nötige Öl fehlt. Leider drängen sich
-aber an die Stelle jedes verschwindenden sofort wieder zwei oder drei
-neue. Man kann nur hoffen, daß der ganze Blödsinn schließlich einmal an
-sich selber zugrunde gehen werde.</p>
-
-<p>Eine Menge Fremdwörter schleppen sich in der Zeitungssprache fort. In
-der Zeit der Befreiungskriege redete man viel von <em class="gesperrt">Monarchen</em>; bei
-Leipzig erinnert noch der <em class="gesperrt">Monarchenhügel</em> daran. Heute dient der
-<em class="gesperrt">Monarch</em> nur noch dem Zeitungschreiber zur Abwechselung und als
-Ersatz für das persönliche Fürwort <em class="gesperrt">er</em>, das er sich von einem
-gekrönten Haupte nicht zu gebrauchen getraut: heute vormittag empfing
-der Kaiser den Prinzen X; bald darauf stattete der <em class="gesperrt">Monarch</em>
-dem Prinzen einen Gegenbesuch ab – der Katarrh des Kaisers ist noch
-im Zunehmen begriffen, doch ist das Befinden des <em class="gesperrt">Monarchen</em>
-befriedigend – es steht jetzt fest, daß die angedeutete Besprechung
-des Königs nicht stattgefunden hat, der <em class="gesperrt">Monarch</em> also gar nicht
-in der Lage gewesen ist, sich zu äußern – der König nahm heute an
-der Familientafel teil, nach der Tafel besuchte der <em class="gesperrt">Monarch</em>
-die Gartenbauausstellung – der König wurde aufs Rathaus geleitet,
-wo der Bürgermeister den <em class="gesperrt">Monarchen</em> erwartete – Frl. R.
-überreichte dem König ein Bukett, wofür der <em class="gesperrt">Monarch</em> freundlich
-dankte.<span class="pagenum" id="Seite_444">[S. 444]</span> Lieblingswörter der Zeitungssprache sind: <em class="gesperrt">Individuum</em>,
-<em class="gesperrt">Panik</em>, <em class="gesperrt">Affäre</em>, <em class="gesperrt">Katastrophe</em>. Wenn ein Kerl einen
-Mordversuch gemacht hat, heißt er stets ein <em class="gesperrt">Individuum</em>. Ein
-großer Schrecken in einer Volksmasse oder im Theater wird stets als
-<em class="gesperrt">Panik</em> bezeichnet; ob der Zeitungschreiber wohl eine Ahnung
-davon hat, woher das Wort stammt? Einen großen Unglücksfall nennt
-er stets eine <em class="gesperrt">Katastrophe</em>: da gibt es <em class="gesperrt">Eisenbahn-</em>,
-<em class="gesperrt">Schiffs-</em> und <em class="gesperrt">Bootskatastrophen</em>, <em class="gesperrt">Erdbeben-</em>
-oder <em class="gesperrt">Vulkankatastrophen</em>, <em class="gesperrt">Brandkatastrophen</em>,
-<em class="gesperrt">Überschwemmungskatastrophen</em>, <em class="gesperrt">Grubenkatastrophen</em>,
-sogar <em class="gesperrt">Unglückskatastrophen</em>! Er redet auch stets von
-einer <em class="gesperrt">Duellaffäre</em>, einer <em class="gesperrt">Säbelaffäre</em>, einer
-<em class="gesperrt">Messeraffäre</em>, einer <em class="gesperrt">Giftmordaffäre</em>. Einen gemeinen
-Betrüger bezeichnet er vornehm als <em class="gesperrt">Defraudanten</em>. Wenn sich einer
-in einem Hotel erschießt, so gibt das stets eine <em class="gesperrt">Detonation</em>,
-dann findet man das <em class="gesperrt">Projektil</em>, das <em class="gesperrt">Motiv</em> der Tat
-ist aber gewöhnlich unbekannt. Gerade gegenwärtig schwelgen die
-Zeitungschreiber wieder – im Leitartikel wie im Feuilleton – ärger
-denn je in Fremdwörtern. Es ist, als ob es ihnen förmlich Spaß machte,
-die Puristen zu ärgern und ihnen zu zeigen: wir scheren uns den Kuckuck
-um eure Bestrebungen! Der Kohlen<em class="gesperrt">konsum</em> <em class="gesperrt">figuriert</em> bei der
-<em class="gesperrt">Rentabilität</em> als <em class="gesperrt">Bagatelle</em> – von solchen Sätzen sind die
-Zeitungen wieder voll. Es war schon einmal besser geworden.</p>
-
-<p>Könnte man doch nur den Aberglauben loswerden, daß das Fremdwort
-vornehmer sei als das deutsche Wort, das <em class="gesperrt">momentan</em> vornehmer
-klinge als <em class="gesperrt">augenblicklich</em>, <em class="gesperrt">transpirieren</em> vornehmer als
-<em class="gesperrt">schwitzen</em> (der Hufschmied bei seiner Arbeit <em class="gesperrt">schwitzt</em>
-bekanntlich, aber der Herr im Ballsaal <em class="gesperrt">transpiriert</em>!),
-<em class="gesperrt">professioneller Vagabund</em> vornehmer als <em class="gesperrt">gewerbsmäßiger
-Landstreicher</em>, ein <em class="gesperrt">elegant möbliertes Garçonlogis</em> vornehmer
-als ein <em class="gesperrt">fein ausgestattetes Herrenzimmer</em>, <em class="gesperrt">konsequent
-ignorieren</em> vornehmer als <em class="gesperrt">beharrlich unbeachtet lassen</em>,
-daß ein <em class="gesperrt">Eleve</em> etwas vornehmeres sei als ein <em class="gesperrt">Lehrling</em>
-(Apotheker, Banken usw. suchen stets Eleven!), ein <em class="gesperrt">Collier</em> etwas
-vornehmeres<span class="pagenum" id="Seite_445">[S. 445]</span> als ein <em class="gesperrt">Halsband</em> oder eine <em class="gesperrt">Halskette</em>!<a id="FNAnker_181" href="#Fussnote_181" class="fnanchor">[181]</a>
-Schon der Umstand, daß wir für niedrige, gemeine Dinge so oft zum
-Fremdwort greifen, sollte uns von diesem Aberglauben befreien.
-Oder wäre <em class="gesperrt">perfid</em>, <em class="gesperrt">frivol</em>, <em class="gesperrt">anonymer Denunziant</em>
-nicht zehnmal gemeiner als <em class="gesperrt">treulos</em>, <em class="gesperrt">leichtfertig</em>,
-<em class="gesperrt">ungenannter Ankläger</em>? Und stehen <em class="gesperrt">noble Passionen</em>
-nicht tief unter <em class="gesperrt">edeln Leidenschaften</em>? Um etwas niedriges zu
-bezeichnen, dazu sollte uns das Fremdwort gerade gut genug sein.<a id="FNAnker_182" href="#Fussnote_182" class="fnanchor">[182]</a></p>
-
-<p>Aber auch unklar, verschwommen, vieldeutig sind oft die
-Fremdwörter. Was wird nicht alles durch <em class="gesperrt">konstatieren</em>
-ausgedrückt! <em class="gesperrt">Feststellen</em>, <em class="gesperrt">behaupten</em>, <em class="gesperrt">erklären</em>,
-<em class="gesperrt">wahrnehmen</em>, <em class="gesperrt">beobachten</em>, <em class="gesperrt">nachweisen</em> – alles legt
-man in dieses alberne Wort! Da ist wieder etwas überraschendes zu
-<em class="gesperrt">konstatieren</em> – was heißt das anders als: da macht man wieder
-eine überraschende <em class="gesperrt">Wahrnehmung</em> oder <em class="gesperrt">Beobachtung</em>?<a id="FNAnker_183" href="#Fussnote_183" class="fnanchor">[183]</a>
-Was soll <em class="gesperrt">intensiv</em> nicht alles bedeuten: <em class="gesperrt">groß</em>,
-<em class="gesperrt">stark</em>, <em class="gesperrt">lebhaft</em>, <em class="gesperrt">heftig</em>, <em class="gesperrt">eifrig</em>,
-<em class="gesperrt">kräftig</em>, <em class="gesperrt">genau</em>, <em class="gesperrt">scharf</em>, <em class="gesperrt">straff</em>! Man
-nutzt die Zeit <em class="gesperrt">intensiv</em> aus, lernt ein Volk <em class="gesperrt">intensiv</em>
-kennen, bespricht eine Rechenaufgabe <em class="gesperrt">intensiv</em> usw. Was soll
-<em class="gesperrt">direkt</em> nicht alles bedeuten! Bald <em class="gesperrt">unmittelbar</em> (die
-<em class="gesperrt">direkte</em> Umgebung von Leipzig, eine Ware wird <em class="gesperrt">direkt</em>
-bezogen, einer ist der <em class="gesperrt">direkte</em> Schüler des andern, ein Aufsatz
-wird unter <em class="gesperrt">direkter</em> Beteiligung des Kanzlers geschrieben), bald
-<em class="gesperrt">gleich</em> (sie gingen <em class="gesperrt">direkt</em> von der Arbeit ins Wirtshaus),
-bald <em class="gesperrt">dicht</em> oder <em class="gesperrt">nahe</em> (der Gasthof liegt <em class="gesperrt">direkt</em>
-am Bahnhof), bald <em class="gesperrt">gerade</em><span class="pagenum" id="Seite_446">[S. 446]</span> (die Straße führt <em class="gesperrt">direkt</em>
-nach der Ausstellung), bald <em class="gesperrt">geradezu</em> (die Verschiedenheit der
-Darstellung wird als <em class="gesperrt">direkt</em> störend empfunden – die Stelle
-wirkt in dieser Fassung <em class="gesperrt">direkt</em> erschütternd – die Dichtung ist
-in ihrer Art <em class="gesperrt">direkt</em> klassisch – die evangelische Kirche ist
-hier in <em class="gesperrt">direkt</em> falschem Licht dargestellt), bald <em class="gesperrt">genau</em>
-(soll ich denn <em class="gesperrt">direkt</em> um sieben kommen?), bald <em class="gesperrt">wirklich</em>
-(bist du in Berlin gewesen, <em class="gesperrt">direkt</em> in Berlin?), bald <em class="gesperrt">nur</em>
-(Ihre Bibliothek hat also <em class="gesperrt">direkt</em> wissenschaftliche Werke?).
-Eine Berlinerin ist imstande, zu ihrem ungezognen Bengel zu sagen: was
-hast du da gemacht? das ist <em class="gesperrt">direkt</em> ein Fettfleck! oder: wirst
-du <em class="gesperrt">direkt</em> folgen? wirst dus <em class="gesperrt">direkt</em> wieder aufheben? Was
-für ein unklares Wort ist <em class="gesperrt">Konsequenz</em>! Bald soll es <em class="gesperrt">Folge</em>
-heißen (die Konsequenzen tragen), bald <em class="gesperrt">Folgerung</em> (die
-Konsequenzen ziehen). Was für ein unklares Wort ist <em class="gesperrt">Tendenz</em>!
-Bald soll es <em class="gesperrt">Bestrebung</em> bedeuten, bald <em class="gesperrt">Absicht</em>, bald
-<em class="gesperrt">Richtung</em>, bald <em class="gesperrt">Neigung</em>. Was für ein unklares Wort ist
-<em class="gesperrt">System</em>! Man spricht von einem <em class="gesperrt">philosophischen System</em>
-und meint eine <em class="gesperrt">Lehre</em> oder ein <em class="gesperrt">Lehrgebäude</em>, von einem
-<em class="gesperrt">Röhrensystem</em> und meint ein <em class="gesperrt">Röhrennetz</em>, von einem
-<em class="gesperrt">Festungssystem</em> und meint einen <em class="gesperrt">Festungsgürtel</em>, von
-einem <em class="gesperrt">Achsensystem</em> und meint ein <em class="gesperrt">Achsenkreuz</em>, von
-einem <em class="gesperrt">Sternsystem</em> und meint eine <em class="gesperrt">Sterngruppe</em>, von
-einem <em class="gesperrt">Verwaltungssystem</em> und meint die <em class="gesperrt">Grundsätze</em> der
-Verwaltung, von einem Sprengwagen <em class="gesperrt">System Eckert</em> und meint die
-<em class="gesperrt">Bauweise</em>, ja man kann nicht ein Hemd auf den Leib ziehen,
-ohne mit einem <em class="gesperrt">System</em> in Berührung zu kommen, entweder dem
-<em class="gesperrt">System Prof. <span class="antiqua">Dr.</span> Jäger</em> (!) oder dem <em class="gesperrt">System Lahmann</em>
-oder dem <em class="gesperrt">System Kneipp</em> – was mag sich die Verkäuferin im
-Wolladen unter all diesen Systemen denken? Man sagt: hier fehlt es an
-<em class="gesperrt">System</em>, und meint <em class="gesperrt">Ordnung</em> oder <em class="gesperrt">Plan</em>, man spricht
-von <em class="gesperrt">systematischem</em> Vorgehen und meint <em class="gesperrt">planmäßiges</em>. Dazu
-wird System fort und fort verwechselt mit <em class="gesperrt">Prinzip</em> und mit
-<em class="gesperrt">Methode</em> (auf derselben Seite spricht derselbe Schriftsteller
-bald von Germanisierungssystem, bald von Germanisierungsmethode). Wie
-kann man den Reichtum des Deutschen<span class="pagenum" id="Seite_447">[S. 447]</span> so gegen die Armut des Fremden
-vertauschen! Das Erstaunlichste von Vieldeutigkeit und infolgedessen
-völliger Inhaltlosigkeit sind wohl die Wörter <em class="gesperrt">Interesse</em>,
-<em class="gesperrt">interessant</em> und <em class="gesperrt">interessieren</em>. Vor kurzem hat jemand
-in einer großen Tabelle alle möglichen Übersetzungen dieser Wörter
-zusammengestellt. Da zeigte sich, daß es kaum ein deutsches Adjektiv
-gibt, das nicht durch <em class="gesperrt">interessant</em> übersetzt werden könnte! Ein
-so nichtssagendes „Bummelwort“ sollte doch anständigerweise in keinem
-Buche und keinem Aufsatze mehr vorkommen.</p>
-
-<p>Aus der Unklarheit, die durch die Fremdwörter großgezogen wird,
-entspringen dann auch so alberne Verbindungen wie: <em class="gesperrt">vorübergehende
-Passanten</em>, <em class="gesperrt">dekorativer Schmuck</em>, <em class="gesperrt">neu renovierter Saal</em>,
-<em class="gesperrt">Grundprinzip</em>, <em class="gesperrt">Einzelindividuum</em>, <em class="gesperrt">Attentatsversuch</em>,
-<em class="gesperrt">defensive Abwehr</em>, <em class="gesperrt">numerische Anzahl</em>, <em class="gesperrt">gemeinsame
-Solidarität</em>, <em class="gesperrt">charakteristisches Gepräge</em> (in der Kunst
-und Literaturschreiberei äußerst beliebt!), <em class="gesperrt">ausschlaggebendes
-Moment</em> u.&#160;ähnl. Nicht einmal richtig geschrieben werden manche
-Fremdwörter. Wir Deutschen lassen uns keine Gelegenheit entgehen,
-über den Fremden zu spotten, der ein deutsches Wort falsch schreibt.
-Aber machen wir es denn besser? Nicht bloß der kleine Handwerker
-setzt uns eine <em class="gesperrt">Vetterage</em> oder eine <em class="gesperrt">Lamperie</em> auf die
-Rechnung statt einer <em class="gesperrt">Vitrage</em> oder eines <em class="gesperrt">Lambris</em>, sondern
-auch der Zeitungschreiber schreibt beharrlich <em class="gesperrt">Plebiscit</em>,
-<em class="gesperrt">Diaspora</em>, <em class="gesperrt">Atmosphäre</em> (sogar <em class="gesperrt">Athmosphäre</em>),
-<em class="gesperrt">Proſelyten</em> statt <em class="gesperrt">Plebiſcit</em>, <em class="gesperrt">Diaſpora</em>,
-<em class="gesperrt">Atmoſphäre</em>, <em class="gesperrt">Proselyten</em>. Wer Griechisch versteht,
-dem kommt doch <em class="gesperrt">Diaspora</em> und <em class="gesperrt">Proſelyten</em> so vor, wie
-wenn einer <em class="gesperrt">Schnürstiefel</em> und <em class="gesperrt">Halſtuch</em> schriebe! Auf
-Leipziger Ladenschildern liest man in zehn Fällen kaum einmal richtig
-<em class="gesperrt">Email</em>, überall steht <em class="gesperrt">Emaille</em>, ein Wort, das es gar nicht
-gibt! <em class="gesperrt">Drogue</em> und <em class="gesperrt">Droguerie</em> werden sogar amtlich in der
-„neuen Orthographie“ <em class="gesperrt">Droge</em> und <em class="gesperrt">Drogerie</em> geschrieben, als
-ob sie wie <em class="gesperrt">Loge</em> und <em class="gesperrt">Eloge</em> ausgesprochen werden sollten;
-man ließe sich noch <em class="gesperrt">Drogerei</em> gefallen, aber -<em class="gesperrt">erie</em> ist
-doch eine französische Endung! Wie lange wird man noch <em class="gesperrt">posthum</em><span class="pagenum" id="Seite_448">[S. 448]</span>
-mit dem törichten h schreiben! Man kann darauf wetten, daß die meisten
-dabei nicht an <span class="antiqua">postumus</span>, sondern an <span class="antiqua">humus</span> denken. Ganz
-glücklich sind die Leute, wenn sie in einem Fremdwort ein y anbringen
-können; gewöhnlich tun sies aber gerade an der falschen Stelle, wie in
-<em class="gesperrt">Sphynx</em>, <em class="gesperrt">Syphon</em>, <em class="gesperrt">Logogryph</em> usw.</p>
-
-<p>Manche Fremdwörter berauschen die Menschen offenbar durch ihren
-Klang, wie <em class="gesperrt">glorreich</em> (in Leipziger Festreden <em class="gesperrt">chlorreich</em>
-gesprochen), <em class="gesperrt">historisch</em>, <em class="gesperrt">Material</em>, <em class="gesperrt">Element</em>,
-<em class="gesperrt">Moment</em>, <em class="gesperrt">Faktor</em>, <em class="gesperrt">Charakter</em>, <em class="gesperrt">Epoche</em>
-und die zahlreichen Wörter auf <em class="gesperrt">ion</em>. <em class="gesperrt">Material</em> wird
-in ganz abscheulicher Weise gebraucht: man redet nicht bloß von
-<em class="gesperrt">Pferdematerial</em>, sondern auch von <em class="gesperrt">Menschenmaterial</em>,
-<em class="gesperrt">Kolonistenmaterial</em>, sogar <em class="gesperrt">Referendarmaterial</em>! Streicht
-man das <em class="gesperrt">Material</em>, so bleibt der Sinn derselbe und der Ausdruck
-verliert zwar seine klangvolle Breite, aber auch seinen ganz unnötig
-geringschätzigen Nebensinn. Zu den nichtsnutzigsten Klingklangwörtern
-gehören <em class="gesperrt">Element</em>, <em class="gesperrt">Moment</em> (<em class="gesperrt">das</em> Moment!) und
-<em class="gesperrt">Faktor</em>, sie werden ganz sinnlos mißbraucht. Es sind ja
-eigentlich lateinische Wörter (<span class="antiqua">elementum</span>, <span class="antiqua">momentum</span>,
-<span class="antiqua">factor</span>); wenn man aber einen Satz, worin eins von ihnen
-vorkommt, in wirkliches Latein übersetzen wollte, könnte man meist
-gar nichts besseres tun, als die Wörter einfach – weglassen.
-Liberale <em class="gesperrt">Elemente</em>, bedenkliche, unzuverlässige, gefährliche
-<em class="gesperrt">Elemente</em> – das ist doch nichts andres als Männer, Menschen,
-<em class="gesperrt">Leute</em>. Glücklicherweise bildeten die anständigen <em class="gesperrt">Elemente</em>
-die <em class="gesperrt">Majorität</em> – das heißt doch nichts weiter als: die
-anständigen <em class="gesperrt">Leute</em> bildeten die <em class="gesperrt">Mehrheit</em>. <em class="gesperrt">Moment</em>
-wie <em class="gesperrt">Faktor</em> aber bedeutet in den meisten Fällen weiter nichts
-als <span class="antiqua">res</span>, <span class="antiqua">aliquid</span>, und auch mit <em class="gesperrt">Element</em> ist es
-oft nicht anders. Da will einer sagen: trotz aller Erfahrungen im
-Seekrieg ist der Torpedo noch immer <em class="gesperrt">etwas neues</em>. Das drückt
-er so aus: trotz aller Erfahrungen im Seekrieg ist der Torpedo noch
-immer ein <em class="gesperrt">neues Element</em> oder ein <em class="gesperrt">neues Moment</em> oder ein
-<em class="gesperrt">neuer Faktor</em> – nun klingt es! Hier sind <em class="gesperrt">drei Momente</em>
-zu berücksichtigen, oder hier wirken <em class="gesperrt">drei Faktoren</em> zusammen
-– bei Lichte besehen ist es<span class="pagenum" id="Seite_449">[S. 449]</span> weiter nichts als: <em class="gesperrt">dreierlei</em>
-(<span class="antiqua">tria</span>). Das wichtigste <em class="gesperrt">Moment</em> – es ist schlechterdings
-nichts andres als das <em class="gesperrt">Wichtigste</em>. Der Stock hat von jeher Freud
-und Leid mit den Menschen geteilt: dies <em class="gesperrt">Moment</em> findet in der
-Glocke einen ergreifenden Ausdruck – wenn diejenigen <em class="gesperrt">Momente</em>
-in den Vordergrund gestellt werden, die für die Technik von Wert
-und Interesse sind – die Feinhörigkeit ist von osteologischen
-<em class="gesperrt">Momenten</em> abhängig – die Studentenauffahrt mit ihren bunten,
-malerischen <em class="gesperrt">Momenten</em> entrollte ein interessantes akademisches
-(!) Bild – die gestrige Stadtverordnetensitzung bot verschiedne
-interessante <em class="gesperrt">Momente</em> – bei jedem entstehenden Reichtum ist
-die Arbeit ein mitwirkender <em class="gesperrt">Faktor</em> – sind nicht <em class="gesperrt">Moment</em>
-und <em class="gesperrt">Faktor</em> hier ganz taube, inhaltleere Wörter? Bisweilen
-kann man wohl <em class="gesperrt">Moment</em> durch <em class="gesperrt">Umstand</em>, <em class="gesperrt">Tatsache</em>,
-<em class="gesperrt">Zug</em>, <em class="gesperrt">Seite</em> wiedergeben, ebenso <em class="gesperrt">Faktor</em> bisweilen
-durch <em class="gesperrt">Macht</em>, <em class="gesperrt">Kraft</em>, <em class="gesperrt">Mittel</em>, aber in den meisten
-Fällen ist es nichts als: <em class="gesperrt">etwas</em>; ein <em class="gesperrt">beunruhigendes
-Moment</em>, ein <em class="gesperrt">differenzierendes Moment</em> – es sind doch nur
-gespreizte wichtigtuerische Umschreibungen von <em class="gesperrt">Beunruhigung</em> und
-<em class="gesperrt">Unterschied</em>.<a id="FNAnker_184" href="#Fussnote_184" class="fnanchor">[184]</a> Nicht viel anders ist es mit <em class="gesperrt">Charakter</em>.
-Diese Festlichkeiten haben deshalb einen wertvollen und interessanten
-<em class="gesperrt">Charakter</em> – was bedeutet das anders als: sie sind deshalb
-wertvoll? Die Raumbildung ist der wesentlichste <em class="gesperrt">Faktor</em>,
-der dem Architekten zur Verfügung steht. Daneben ist ein zweiter,
-sehr wichtiger <em class="gesperrt">Faktor</em>, um (!) einem Raum <em class="gesperrt">individuellen
-Charakter</em> zu geben, die Art seiner Beleuchtung. Das dritte
-<em class="gesperrt">Charakterisierungsmoment</em>, das dem Architekten zur Verfügung
-steht, ist die Farbengebung. In solch albernem Schwulst wird jetzt der
-einfache Gedanke ausgedrückt: der Architekt wirkt durch drei Mittel:
-Raum, Licht und Farbe! <em class="gesperrt">Historisch</em> (d.&#160;h. <em class="gesperrt">geschichtlich</em>
-oder<span class="pagenum" id="Seite_450">[S. 450]</span> <em class="gesperrt">geschichtswissenschaftlich</em>) wird jetzt unsinnigerweise
-für <em class="gesperrt">alt</em> oder <em class="gesperrt">altertümlich</em> gebraucht. Man gibt Konzerte
-mit <em class="gesperrt">historischen</em> Blasinstrumenten (zu dumm!), schießt auf
-der Schützenwiese mit <em class="gesperrt">historischen</em> Armbrüsten, bildet
-Fanfarenbläser in <em class="gesperrt">historischer</em> Tracht ab, schwärmt von der
-<em class="gesperrt">alten, historischen</em> Markgrafenstadt Meißen und preist die
-<em class="gesperrt">althistorischen</em> Sehenswürdigkeiten von Augsburg an. Ganz
-arg ist auch der Mißbrauch, der mit <em class="gesperrt">Epoche</em> getrieben wird,
-namentlich in den Schriften neuerer Geschichtschreiber. <em class="gesperrt">Epoche</em>
-(ἐποχή) bedeutet Haltepunkt, in der Geschichte ein Ereignis, das einen
-wichtigen Wendepunkt gebildet hat. So brauchen noch unsre Klassiker
-bisweilen das Wort. Schiller nennt noch ganz richtig die Geburt Christi
-eine <em class="gesperrt">Epoche</em>, das Ereignis selbst, nicht etwa die Zeit des
-Ereignisses! Die <em class="gesperrt">Epoche</em> der Weltliteratur ist an der <em class="gesperrt">Zeit</em>
-– sagte Goethe zu Eckermann. Daher stammt ja auch die Verbindung
-<em class="gesperrt">epochemachend</em>, d.&#160;h. einen Wendepunkt bezeichnend. Das Wort ist
-dann auf die Zeit selbst übertragen worden – worin allerdings schon
-der alte Goethe erkleckliches geleistet hat –, und heute bezeichnet
-man jeden beliebigen Zeitabschnitt, klein oder groß, wichtig oder
-unwichtig, als <em class="gesperrt">Epoche</em>. Für Zeit kennen unsre Geschichtschreiber
-gar kein andres Wort mehr, sie verwechseln es auch fortwährend mit
-<em class="gesperrt">Periode</em>,<a id="FNAnker_185" href="#Fussnote_185" class="fnanchor">[185]</a> reden sogar von <em class="gesperrt">Zeitepoche</em>, unaufhörlich
-pochpochpocht es durch ihre Darstellungen! Aber auch die Jahre, in
-denen ein tüchtiger Rektor eine Schule geleitet hat, werden schon
-eine der inhaltreichsten <em class="gesperrt">Epochen</em> der Schule genannt! Auch
-<em class="gesperrt">Generation</em> hats den Leuten angetan, obwohl es zu den zahlreichen
-unklaren Fremdwörtern gehört, denn es bedeutet ja <em class="gesperrt">Geschlecht</em>
-und auch <em class="gesperrt">Menschenalter</em>; man kann zuweilen geradezu lesen von
-der <em class="gesperrt">Generation</em>, die vor drei <em class="gesperrt">Generationen</em> gelebt hat!
-Aber es klingt, und das ist die Hauptsache. Wenn sich bei einer
-großen Festtafel nach dem zweiten Gange, wo der Wein schon zu wirken
-anfängt, einer<span class="pagenum" id="Seite_451">[S. 451]</span> erhebt, und nachdem er einigemal mit <em class="gesperrt">glorreiche
-Epoche</em>, <em class="gesperrt">Moment</em>, <em class="gesperrt">Faktor</em>, <em class="gesperrt">zielbewußt</em>,
-<em class="gesperrt">unentwegt</em> um sich geworfen hat, schließlich, ehe er „in diesem
-Sinne“ sein Glas leert, noch einmal donnert: von <em class="gesperrt">Generatiooon</em>
-zu <em class="gesperrt">Generatiooon</em>! so muß ja alles auf dem Kopfe stehen vor
-Entzücken. <em class="gesperrt">Von Geschlecht zu Geschlecht</em> – damit tut man keine
-Wirkung.</p>
-
-<p>Im Grunde ist die Fremdwörterfrage eine Frage der Bildung und des
-guten Geschmacks. Man könnte mit Rücksicht auf den Gebrauch unnötiger
-Fremdwörter die Deutschen in drei Bildungsklassen einteilen: die
-unterste Klasse gebraucht die Fremdwörter falsch, die mittlere
-gebraucht sie richtig, die oberste gebraucht sie – gar nicht. Daneben
-gibts natürlich Misch- und Zwischenklassen, aber die Hauptklassen sind
-doch diese drei.</p>
-
-<p>Der gewöhnliche Mann aus dem Volke weiß in den meisten Fällen gar
-nicht, daß er Fremdwörter gebraucht. Woher sollte ers auch wissen? In
-eine fremde Sprache hat er nie hineingeblickt, über seinen Wortschatz
-macht er sich keine Gedanken, entweder versteht er ein Wort, oder er
-versteht es nicht – die Fremdwörter versteht er meist nicht; ob die
-Wörter, die er gebraucht, deutsch sind oder einer fremden Sprache
-angehören, vermag er nicht zu beurteilen. In Leipzig ist z.&#160;B. dem
-kleinen Handwerker und Krämer, dem untern Beamten, dem Kutscher, dem
-Packträger, dem Kellner das Wort <em class="gesperrt">zurück</em> fast unbekannt. Wenns
-ers gedruckt liest, versteht ers wohl, aber seinem Wortschatze gehört
-es nicht an, er kennt nur das Wort <em class="gesperrt">reduhr</em> (<em class="gesperrt">retour</em>), das
-ist für ihn deutsch! Er sagt: ich kriege zehn Fennche <em class="gesperrt">reduhr</em> –
-schiebe mal de Karre <em class="gesperrt">reduhr</em> – um zehne fahrmer <em class="gesperrt">reduhr</em>
-– Müller is in seinem Jeschäfte <em class="gesperrt">redur</em>jekommen (denn auch in
-Leipzig wird jetzt vielfach <em class="gesperrt">jesehen</em>, <em class="gesperrt">jekommen</em> gesagt). So
-gibt es noch eine Menge von Fremdwörtern aus dem täglichen Leben, die
-er ganz richtig gebraucht, die aber eben für ihn so gut wie deutsche
-Wörter sind, wie <em class="gesperrt">Gongerrenz</em> (Konkurrenz), <em class="gesperrt">degerieren</em>
-(dekorieren), <em class="gesperrt">mummendahn</em>, <em class="gesperrt">orchinell</em> u.&#160;a. Die meisten
-aber gebraucht er falsch oder halbfalsch: entweder er verdirbt oder
-verstümmelt ihre<span class="pagenum" id="Seite_452">[S. 452]</span> Form, oder er wendet sie in falscher Bedeutung an,
-oder er verwechselt zwei miteinander: er sagt <em class="gesperrt">absorbieren</em>, wo er
-<em class="gesperrt">absolvieren</em> meint (meine Tochter hat die höhere Töchterschule
-<em class="gesperrt">absorbiert</em>), er fordert <em class="gesperrt">Reduzierung</em> der Arbeitslöhne
-(statt <em class="gesperrt">Regulierung</em>) und erbietet sich, wenn er eine Stelle
-sucht, <em class="gesperrt">Primadifferenzen</em> vorzulegen, spricht von <em class="gesperrt">rabiater</em>
-Geschwindigkeit (statt von <em class="gesperrt">rapider</em>) und von der Gefahr, die es
-hat, wenn ein Schlaganfall <em class="gesperrt">repartiert</em> (statt <em class="gesperrt">repetiert</em>),
-verwechselt <em class="gesperrt">luxuriös</em> und <em class="gesperrt">lukrativ</em> (wir können nicht so
-<em class="gesperrt">lukrativ</em> bauen wie die reichen Leute), versteht <em class="gesperrt">intakt</em>
-als <em class="gesperrt">in Takt</em>, gebraucht <em class="gesperrt">irritieren</em> in dem Sinne von
-<em class="gesperrt">irre machen</em>, <em class="gesperrt">stören</em>, leitet <em class="gesperrt">affektiert</em> von
-<em class="gesperrt">Affe</em> ab, bringt überall ein bißchen „französische“ Aussprache
-an: <em class="gesperrt">Orschester</em>, <em class="gesperrt">Sanktimeter</em>, <em class="gesperrt">Parangthese</em>,
-<em class="gesperrt">Deelephong</em>, <em class="gesperrt">Biweh</em> (Büfett!), <em class="gesperrt">Serwih</em> (Service),
-<em class="gesperrt">Dabbeldooh</em> und prophezeit von einem neuen Konzertsaal: wenn er
-ene gute <em class="gesperrt">Renässangs</em> (Resonanz) kriegt, kriegt er ooch ene gute
-<em class="gesperrt">Augustik</em> (Akustik).</p>
-
-<p>Nun die mittlere Klasse. Das sind die, die sich so viel Kenntnis
-fremder Sprachen angeeignet haben, daß sie von einer großen Anzahl von
-Fremdwörtern die Ableitung, die eigentliche Bedeutung kennen, auf diese
-Wissenschaft (wenn sie sich mit den unter ihnen stehenden vergleichen,
-die <em class="gesperrt">Gratifikation</em> und <em class="gesperrt">Gravitation</em> verwechseln) sehr
-stolz sind und ihre hohe Bildung nun durch möglichst häufigen Gebrauch
-von Fremdwörtern an den Tag zu legen suchen. Das ist die gefährliche
-Klasse. Sie werfen sich in die Brust und meinen, sie hätten wunder
-was gesagt, wenn sie von <em class="gesperrt">lokalem Konsum</em> reden, statt von
-<em class="gesperrt">örtlichem Verbrauch</em>.</p>
-
-<p>Über dieser aber gibt es noch eine dritte Klasse. Es ist ein Zeichen
-höchster und vornehmster Bildung, wenn man durch die Erlernung fremder
-Sprachen zugleich seine Muttersprache so hat beherrschen lernen, daß
-man die fremden Flicken und Lappen entbehren, daß man wirklich deutsch
-reden kann.</p>
-
-<figure class="figcenter illowe3" id="deko11">
- <img class="w100 padtop1" src="images/deko.png" alt="Deko">
-</figure>
-
-<div class="chapter">
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_453">[S. 453]</span></p>
-
-<figure class="figcenter illowe50" id="borduere1g">
- <img class="w100 mtop3" src="images/borduere1.png" alt="Zierband">
-</figure>
-
-<h2 class="nopad" id="Alphabetisches_Wortregister">Alphabetisches Wortregister</h2>
-</div>
-
-<div class="inx">
-
-<ul class="index">
-
-<li class="ifrst">ab statt von <a href="#Seite_432">432</a></li>
-
-<li class="indx">abdecken <a href="#Seite_359">359</a></li>
-
-<li class="indx">abend und abends <a href="#Seite_261">261</a></li>
-
-<li class="indx">Abmessung <a href="#Seite_435">435</a></li>
-
-<li class="indx">abpflastern <a href="#Seite_359">359</a></li>
-
-<li class="indx">abschlägig und abschläglich <a href="#Seite_83">83</a></li>
-
-<li class="indx">abstürzen <a href="#Seite_374">374</a></li>
-
-<li class="indx">Abteil <a href="#Seite_434">434</a></li>
-
-<li class="indx">abzüglich <a href="#Seite_421">421</a></li>
-
-<li class="indx">Achtung für oder vor <a href="#Seite_349">349</a></li>
-
-<li class="indx">adlig und adlich <a href="#Seite_81">81</a></li>
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-<li class="indx">Affäre <a href="#Seite_444">444</a></li>
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-<li class="indx">Afrikareisender <a href="#Seite_193">193</a></li>
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-<li class="indx">Aktiengesellschaft <a href="#Seite_199">199</a></li>
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-<li class="indx">alle <a href="#Seite_31">31</a></li>
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-<li class="indx">alle oder aller vier Wochen <a href="#Seite_259">259</a></li>
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-<li class="indx">allmählich <a href="#Seite_81">81</a></li>
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-<li class="indx">Alltag <a href="#Seite_362">362</a></li>
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-<li class="indx">alpine Flora <a href="#Seite_185">185</a></li>
-
-<li class="indx">als beim Komparativ <a href="#Seite_268">268</a></li>
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-<li class="indx">als ob, als wenn <a href="#Seite_157">157</a></li>
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-<li class="indx">altbacken <a href="#Seite_59">59</a></li>
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-<li class="indx">Altheidelberg, Altweimar <a href="#Seite_191">191</a></li>
-
-<li class="indx">Altmeister <a href="#Seite_190">190</a></li>
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-<li class="indx">Altmeißner Porzellan <a href="#Seite_191">191</a></li>
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-<li class="indx">anbelangen, anbetreffen <a href="#Seite_407">407</a></li>
-
-<li class="indx">anders <a href="#Seite_47">47</a></li>
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-<li class="indx">anderthalb <a href="#Seite_49">49</a></li>
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-<li class="indx">andersartig <a href="#Seite_409">409</a></li>
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-<li class="indx">andres, ein <a href="#Seite_48">48</a></li>
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-<li class="indx">Anfang und Anfangs <a href="#Seite_261">261</a></li>
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-<li class="indx">angängig <a href="#Seite_373">373</a></li>
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-<li class="indx">angehen <a href="#Seite_239">239</a></li>
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-<li class="indx">Angehöriger <a href="#Seite_34">34</a></li>
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-<li class="indx">Angel <a href="#Seite_19">19</a></li>
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-<li class="indx">Anhaltspunkt <a href="#Seite_73">73</a></li>
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-<li class="indx">anklagen, beklagen, verklagen <a href="#Seite_358">358</a></li>
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-<li class="indx">Anlage und Anlegung <a href="#Seite_344">344</a></li>
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-<li class="indx">anläßlich <a href="#Seite_420">420</a></li>
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-<li class="indx">anliefern <a href="#Seite_359">359</a></li>
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-<li class="indx">anormal <a href="#Seite_441">441</a></li>
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-<li class="indx">anscheinend <a href="#Seite_341">341</a></li>
-
-<li class="indx">anschneiden, eine Frage <a href="#Seite_375">375</a></li>
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-<li class="indx">anschließen, sich <a href="#Seite_341">341</a></li>
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-<li class="indx">Anteilnahme <a href="#Seite_408">408</a></li>
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-<li class="indx">antideutsch <a href="#Seite_88">88</a></li>
-
-<li class="indx">antwortlich <a href="#Seite_419">419</a></li>
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-<li class="indx">Anwaltstag <a href="#Seite_76">76</a></li>
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-<li class="indx">Anzahl <a href="#Seite_96">96</a></li>
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-<li class="indx">Apfelwein <a href="#Seite_74">74</a></li>
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-<li class="indx">Apostel <a href="#Seite_19">19</a></li>
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-<li class="indx">Arbeitgeber <a href="#Seite_80">80</a></li>
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-<li class="indx">Arbeitnehmer <a href="#Seite_362">362</a></li>
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-<li class="indx">Arm <a href="#Seite_16">16</a></li>
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-<li class="indx">Armesünderglocke <a href="#Seite_206">206</a></li>
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-<li class="indx">Aschenbecher <a href="#Seite_70">70</a></li>
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-<li class="indx">Ärztetag <a href="#Seite_70">70</a></li>
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-<li class="indx">Ärztin <a href="#Seite_68">68</a></li>
-
-<li class="indx">Attentäter <a href="#Seite_67">67</a></li>
-
-<li class="indx">auf Festung, auf Jagd <a href="#Seite_275">275</a></li>
-
-<li class="indx">aufliefern <a href="#Seite_359">359</a></li>
-
-<li class="indx">Aufregung und Aufgeregtheit <a href="#Seite_345">345</a></li>
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-<li class="indx">aufrollen, eine Frage <a href="#Seite_375">375</a></li>
-
-<li class="indx">auftraggemäß <a href="#Seite_387">387</a></li>
-
-<li class="indx">augenscheinlich <a href="#Seite_341">341</a></li>
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-<li class="indx">Aurikel <a href="#Seite_19">19</a></li>
-
-<li class="indx">ausbezahlen <a href="#Seite_407">407</a></li>
-
-<li class="indx"><span class="pagenum" id="Seite_454">[S. 454]</span>
- Ausfuhr u. Ausführung <a href="#Seite_344">344</a></li>
-
-<li class="indx">Ausgabe, erste seltene <a href="#Seite_301">301</a></li>
-
-<li class="indx">ausgehen <a href="#Seite_355">355</a></li>
-
-<li class="indx">ausgeschlossen <a href="#Seite_391">391</a></li>
-
-<li class="indx">Auskunftei Schimmelpfeng <a href="#Seite_203">203</a></li>
-
-<li class="indx">auslösen <a href="#Seite_375">375</a></li>
-
-<li class="indx">Ausreise <a href="#Seite_363">363</a></li>
-
-<li class="indx">ausschließlich <a href="#Seite_420">420</a></li>
-
-<li class="indx">Ausschmuck <a href="#Seite_345">345</a></li>
-
-<li class="indx">ausschalten <a href="#Seite_375">375</a></li>
-
-<li class="indx">Autograph <a href="#Seite_18">18</a></li>
-
-<li class="ifrst">Baby <a href="#Seite_438">438</a></li>
-
-<li class="indx">Bachkantate <a href="#Seite_195">195</a></li>
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-<li class="indx">baden <a href="#Seite_56">56</a></li>
-
-<li class="indx">Bad-Kissingen <a href="#Seite_218">218</a></li>
-
-<li class="indx">baldgefälligst <a href="#Seite_43">43</a></li>
-
-<li class="indx">Bande, Bände, Bänder <a href="#Seite_20">20</a></li>
-
-<li class="indx">Beamter <a href="#Seite_33">33</a></li>
-
-<li class="indx">Beamtin <a href="#Seite_69">69</a></li>
-
-<li class="indx">bedanken <a href="#Seite_243">243</a></li>
-
-<li class="indx">bedeuten statt sein <a href="#Seite_376">376</a></li>
-
-<li class="indx">bedeutsam <a href="#Seite_369">369</a></li>
-
-<li class="indx">bedingen <a href="#Seite_398">398</a></li>
-
-<li class="indx">beföhle <a href="#Seite_63">63</a></li>
-
-<li class="indx">Begleiterscheinung <a href="#Seite_363">363</a></li>
-
-<li class="indx">begönne <a href="#Seite_63">63</a></li>
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-<li class="indx">begründen und gründen <a href="#Seite_358">358</a></li>
-
-<li class="indx">begrüßen <a href="#Seite_376">376</a></li>
-
-<li class="indx">behufs <a href="#Seite_418">418</a></li>
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-<li class="indx">bei statt von <a href="#Seite_351">351</a></li>
-
-<li class="indx">beide <a href="#Seite_37">37</a></li>
-
-<li class="indx">beiderlei Geschlechts <a href="#Seite_290">290</a></li>
-
-<li class="indx">beiläufig <a href="#Seite_431">431</a></li>
-
-<li class="indx">bekannt als, berühmt als <a href="#Seite_214">214</a></li>
-
-<li class="indx">bekannt geben <a href="#Seite_376">376</a></li>
-
-<li class="indx">beklagen, anklagen, verklagen <a href="#Seite_358">358</a></li>
-
-<li class="indx">Beklagtin <a href="#Seite_69">69</a></li>
-
-<li class="indx">belanglos, belangreich <a href="#Seite_370">370</a></li>
-
-<li class="indx">beheben <a href="#Seite_354">354</a></li>
-
-<li class="indx">belegen sein <a href="#Seite_354">354</a>. <a href="#Seite_358">358</a></li>
-
-<li class="indx">Beleuchtungskörper <a href="#Seite_365">365</a></li>
-
-<li class="indx">belichten <a href="#Seite_365">365</a></li>
-
-<li class="indx">benötigen <a href="#Seite_430">430</a></li>
-
-<li class="indx">bereits schon <a href="#Seite_290">290</a></li>
-
-<li class="indx">Bergmann <a href="#Seite_4">4</a></li>
-
-<li class="indx">Bericht erstatten <a href="#Seite_280">280</a></li>
-
-<li class="indx">berichten <a href="#Seite_240">240</a></li>
-
-<li class="indx">besitzen statt haben <a href="#Seite_410">410</a></li>
-
-<li class="indx">besönne <a href="#Seite_63">63</a></li>
-
-<li class="indx">besser statt gut <a href="#Seite_370">370</a></li>
-
-<li class="indx">bewähren, sich, als <a href="#Seite_215">215</a></li>
-
-<li class="indx">bewerten <a href="#Seite_385">385</a></li>
-
-<li class="indx">beziffern sich <a href="#Seite_376">376</a></li>
-
-<li class="indx">Beziehung, Bezug, Bezugnahme <a href="#Seite_345">345</a></li>
-
-<li class="indx">beziehentlich, beziehungsweise <a href="#Seite_426">426</a></li>
-
-<li class="indx">Biere <a href="#Seite_337">337</a></li>
-
-<li class="indx">bilden statt sein <a href="#Seite_377">377</a></li>
-
-<li class="indx">billig <a href="#Seite_81">81</a></li>
-
-<li class="indx">bis <a href="#Seite_257">257</a></li>
-
-<li class="indx">bislang <a href="#Seite_386">386</a></li>
-
-<li class="indx">Bismarckbeleidigung <a href="#Seite_198">198</a></li>
-
-<li class="indx">Blatt und Blätter <a href="#Seite_24">24</a></li>
-
-<li class="indx">Blättermeldung <a href="#Seite_361">361</a></li>
-
-<li class="indx">Blau, das, und das Blaue <a href="#Seite_35">35</a></li>
-
-<li class="indx">blumistisch <a href="#Seite_88">88</a></li>
-
-<li class="indx">Blüthnerflügel <a href="#Seite_196">196</a></li>
-
-<li class="indx">Boden <a href="#Seite_16">16</a></li>
-
-<li class="indx">Bogen <a href="#Seite_16">16</a></li>
-
-<li class="indx">Boot <a href="#Seite_16">16</a></li>
-
-<li class="indx">brauchen oder gebraucht <a href="#Seite_61">61</a></li>
-
-<li class="indx">brauchen mit Infinitiv <a href="#Seite_292">292</a></li>
-
-<li class="indx">brauchen und gebrauchen <a href="#Seite_354">354</a></li>
-
-<li class="indx">bringen, zur Aufführung <a href="#Seite_416">416</a></li>
-
-<li class="indx">Brot <a href="#Seite_16">16</a></li>
-
-<li class="indx">Buckel <a href="#Seite_19">19</a></li>
-
-<li class="ifrst">Café Bauer <a href="#Seite_201">201</a></li>
-
-<li class="indx">Charakter <a href="#Seite_449">449</a></li>
-
-<li class="indx">chic <a href="#Seite_437">437</a></li>
-
-<li class="indx">Cypernwein <a href="#Seite_192">192</a></li>
-
-<li class="ifrst">da und dort <a href="#Seite_386">386</a></li>
-
-<li class="indx">dabei, dafür, darin <a href="#Seite_231">231</a></li>
-
-<li class="indx">dank <a href="#Seite_247">247</a></li>
-
-<li class="indx">Darbietung <a href="#Seite_368">368</a></li>
-
-<li class="indx"><span class="pagenum" id="Seite_455">[S. 455]</span>
- Darlehen <a href="#Seite_4">4</a></li>
-
-<li class="indx">darstellen statt sein oder bilden <a href="#Seite_377">377</a></li>
-
-<li class="indx">das und was <a href="#Seite_116">116</a></li>
-
-<li class="indx">denkbar beim Superlativ <a href="#Seite_43">43</a></li>
-
-<li class="indx">Denkmal <a href="#Seite_20">20</a></li>
-
-<li class="indx">denn beim Komparativ <a href="#Seite_268">268</a></li>
-
-<li class="indx">der der, die die, das das <a href="#Seite_115">115</a></li>
-
-<li class="indx">der, die, das als Relativpronomen <a href="#Seite_112">112</a></li>
-
-<li class="indx">deren <a href="#Seite_40">40</a></li>
-
-<li class="indx">deren und derer <a href="#Seite_45">45</a></li>
-
-<li class="indx">derem und dessem <a href="#Seite_45">45</a></li>
-
-<li class="indx">derjenige, welcher <a href="#Seite_235">235</a></li>
-
-<li class="indx">derselbe <a href="#Seite_226">226</a></li>
-
-<li class="indx">derselbige <a href="#Seite_235">235</a></li>
-
-<li class="indx">dessen <a href="#Seite_40">40</a></li>
-
-<li class="indx">Deutsch, das, und das Deutsche <a href="#Seite_35">35</a></li>
-
-<li class="indx">Deutsche, wir, und wir Deutschen <a href="#Seite_36">36</a></li>
-
-<li class="indx">Dichter-Komponist <a href="#Seite_220">220</a></li>
-
-<li class="indx">Ding <a href="#Seite_21">21</a></li>
-
-<li class="indx">direkt <a href="#Seite_445">445</a></li>
-
-<li class="indx">Doktor-Ingenieur <a href="#Seite_220">220</a></li>
-
-<li class="indx"><span class="antiqua">Dr.</span>, weiblich <a href="#Seite_277">277</a></li>
-
-<li class="indx">drängen <a href="#Seite_53">53</a></li>
-
-<li class="indx">draußen, drinnen <a href="#Seite_353">353</a></li>
-
-<li class="indx">dreimonatig und dreimonatlich <a href="#Seite_82">82</a></li>
-
-<li class="indx">dringen <a href="#Seite_53">53</a></li>
-
-<li class="indx">Dritte, der, statt der Andre <a href="#Seite_347">347</a></li>
-
-<li class="indx">drittehalb <a href="#Seite_49">49</a></li>
-
-<li class="indx">Droguerie <a href="#Seite_447">447</a></li>
-
-<li class="indx">drüben und hüben <a href="#Seite_353">353</a></li>
-
-<li class="indx">dünken <a href="#Seite_53">53</a></li>
-
-<li class="indx">durch statt von <a href="#Seite_351">351</a></li>
-
-<li class="indx">durch von der Zeit <a href="#Seite_263">263</a></li>
-
-<li class="indx">durch und wegen <a href="#Seite_349">349</a></li>
-
-<li class="indx">durchwegs <a href="#Seite_422">422</a></li>
-
-<li class="indx">Dürerzeichnung <a href="#Seite_195">195</a></li>
-
-<li class="indx">dürfen <a href="#Seite_347">347</a></li>
-
-<li class="indx">dürfen mit Recht <a href="#Seite_290">290</a></li>
-
-<li class="ifrst">Edition Peters <a href="#Seite_201">201</a></li>
-
-<li class="indx">Effekt <a href="#Seite_18">18</a></li>
-
-<li class="indx">ehe nicht <a href="#Seite_272">272</a></li>
-
-<li class="indx">Ehrung <a href="#Seite_368">368</a></li>
-
-<li class="indx">eigenartig <a href="#Seite_370">370</a></li>
-
-<li class="indx">ein andres <a href="#Seite_48">48</a></li>
-
-<li class="indx">Einakter <a href="#Seite_362">362</a></li>
-
-<li class="indx">einander gegenseitig <a href="#Seite_290">290</a></li>
-
-<li class="indx">eindecken <a href="#Seite_359">359</a></li>
-
-<li class="indx">einer nicht statt keiner <a href="#Seite_270">270</a></li>
-
-<li class="indx">eines, einem, einen <a href="#Seite_46">46</a></li>
-
-<li class="indx">ein Goethe <a href="#Seite_276">276</a></li>
-
-<li class="indx">einige <a href="#Seite_31">31</a></li>
-
-<li class="indx">einig sein, sich <a href="#Seite_342">342</a></li>
-
-<li class="indx">einliefern <a href="#Seite_339">339</a></li>
-
-<li class="indx">ein Maler drei, ein Stücker drei <a href="#Seite_245">245</a></li>
-
-<li class="indx">einmal statt erstens <a href="#Seite_342">342</a></li>
-
-<li class="indx">Einnahmsquelle <a href="#Seite_78">78</a></li>
-
-<li class="indx">einschätzen <a href="#Seite_377">377</a></li>
-
-<li class="indx">einschließlich <a href="#Seite_420">420</a></li>
-
-<li class="indx">einsetzen <a href="#Seite_378">378</a></li>
-
-<li class="indx">Einsichtnahme <a href="#Seite_408">408</a></li>
-
-<li class="indx">einstellen <a href="#Seite_380">380</a></li>
-
-<li class="indx">einundderselbe <a href="#Seite_46">46</a>. <a href="#Seite_226">226</a></li>
-
-<li class="indx">einwandfrei <a href="#Seite_370">370</a></li>
-
-<li class="indx">einwerten <a href="#Seite_386">386</a></li>
-
-<li class="indx">einzig <a href="#Seite_44">44</a></li>
-
-<li class="indx">Eisenbahner <a href="#Seite_67">67</a></li>
-
-<li class="indx">Element <a href="#Seite_448">448</a></li>
-
-<li class="indx">Eltern <a href="#Seite_29">29</a></li>
-
-<li class="indx">Email <a href="#Seite_447">447</a></li>
-
-<li class="indx">empfangen und erhalten <a href="#Seite_341">341</a></li>
-
-<li class="indx">empföhle <a href="#Seite_63">63</a></li>
-
-<li class="indx">empor <a href="#Seite_257">257</a></li>
-
-<li class="indx">entblöden, sich <a href="#Seite_356">356</a></li>
-
-<li class="indx">entfallen statt fallen <a href="#Seite_354">354</a>. <a href="#Seite_356">356</a></li>
-
-<li class="indx">entgegennehmen <a href="#Seite_380">380</a></li>
-
-<li class="indx">entleihen <a href="#Seite_356">356</a></li>
-
-<li class="indx">entlohnen <a href="#Seite_354">354</a>. <a href="#Seite_356">356</a></li>
-
-<li class="indx">entnüchtern, ernüchtern <a href="#Seite_359">359</a></li>
-
-<li class="indx">Entscheid <a href="#Seite_345">345</a></li>
-
-<li class="indx">Epoche <a href="#Seite_450">450</a></li>
-
-<li class="indx">erblicken <a href="#Seite_406">406</a></li>
-
-<li class="indx">erbringen <a href="#Seite_354">354</a></li>
-
-<li class="indx"><span class="pagenum" id="Seite_456">[S. 456]</span>
- Erfolg <a href="#Seite_340">340</a></li>
-
-<li class="indx">erfolgen <a href="#Seite_344">344</a></li>
-
-<li class="indx">erhalten und empfangen <a href="#Seite_341">341</a></li>
-
-<li class="indx">erhältlich <a href="#Seite_364">364</a></li>
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-<li class="indx">erheben, sich <a href="#Seite_341">341</a></li>
-
-<li class="indx">erheblich <a href="#Seite_371">371</a></li>
-
-<li class="indx">erholen, sich, Rats <a href="#Seite_241">241</a></li>
-
-<li class="indx">erhoffen <a href="#Seite_354">354</a></li>
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-<li class="indx">erinnern, auf etwas <a href="#Seite_431">431</a></li>
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-<li class="indx">erlauben <a href="#Seite_355">355</a></li>
-
-<li class="indx">Erleben, das <a href="#Seite_397">397</a></li>
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-<li class="indx">eröffnen <a href="#Seite_355">355</a></li>
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-<li class="indx">Erscheinung, in die, treten <a href="#Seite_383">383</a></li>
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-<li class="indx">erschrecken <a href="#Seite_51">51</a></li>
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-<li class="indx">Erstaufführung <a href="#Seite_188">188</a></li>
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-<li class="indx">Erstausgabe, Erstdruck <a href="#Seite_188">188</a></li>
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-<li class="indx">erstbeste <a href="#Seite_43">43</a></li>
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-<li class="indx">erste Künstler <a href="#Seite_245">245</a></li>
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-<li class="indx">erstellen <a href="#Seite_355">355</a></li>
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-<li class="indx">ersterer <a href="#Seite_223">223</a></li>
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-<li class="indx">erstklassig <a href="#Seite_364">364</a></li>
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-<li class="indx">erstmalig <a href="#Seite_407">407</a></li>
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-<li class="indx">erstmals <a href="#Seite_386">386</a></li>
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-<li class="indx">erübrigen statt übrig bleiben <a href="#Seite_380">380</a></li>
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-<li class="indx">erübrigen, sich, statt überflüssig sein <a href="#Seite_380">380</a></li>
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-<li class="indx">Erwerb und Erwerbung <a href="#Seite_345">345</a></li>
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-<li class="indx">erzielen <a href="#Seite_381">381</a></li>
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-<li class="indx">essen <a href="#Seite_62">62</a></li>
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-<li class="indx">Essen-Ruhr <a href="#Seite_200">200</a></li>
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-<li class="indx"><span class="antiqua">et</span>, &amp; 267</li>
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-<li class="indx">Etikett, das <a href="#Seite_23">23</a></li>
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-<li class="indx">etwas andres <a href="#Seite_48">48</a></li>
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-<li class="indx">etwas nicht statt nichts <a href="#Seite_270">270</a></li>
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-<li class="indx">euer und eurer <a href="#Seite_44">44</a></li>
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-<li class="indx">Eure Majestät <a href="#Seite_45">45</a></li>
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-<li class="indx">Exlibris <a href="#Seite_203">203</a></li>
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-<li class="indx">Façon, das <a href="#Seite_23">23</a></li>
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-<li class="indx">fahren und führen <a href="#Seite_56">56</a>. <a href="#Seite_166">166</a></li>
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-<li class="indx">Fahrkarte <a href="#Seite_434">434</a></li>
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-<li class="indx">fertigstellen <a href="#Seite_402">402</a></li>
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-<li class="indx">Feuerbestattung <a href="#Seite_365">365</a></li>
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-<li class="indx">Friede <a href="#Seite_5">5</a></li>
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-<li class="indx">Frischluft <a href="#Seite_189">189</a></li>
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-<li class="indx">froh in Zusammensetzungen (arbeitsfroh) 371</li>
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-<li class="indx">Fühlen, das <a href="#Seite_396">396</a></li>
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-<li class="indx">führende Geister <a href="#Seite_381">381</a></li>
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-<li class="indx">fünfzig und funfzig <a href="#Seite_49">49</a></li>
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-<li class="indx">für und über <a href="#Seite_349">349</a></li>
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-<li class="indx">fußfrei <a href="#Seite_210">210</a></li>
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-<li class="indx">Garage <a href="#Seite_436">436</a></li>
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-<li class="indx">Garne <a href="#Seite_337">337</a></li>
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-<li class="indx">Gartenlaubekalender <a href="#Seite_70">70</a></li>
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-<li class="indx"><span class="pagenum" id="Seite_457">[S. 457]</span>
- Gastwirtstag, Gastwirtsverein <a href="#Seite_76">76</a></li>
-
-<li class="indx">Gau <a href="#Seite_4">4</a></li>
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-<li class="indx">geartet <a href="#Seite_409">409</a></li>
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-<li class="indx">geboren werden, geboren sein <a href="#Seite_108">108</a></li>
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-<li class="indx">gebrauchen und brauchen <a href="#Seite_354">354</a></li>
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-<li class="indx">gedienter Soldat <a href="#Seite_166">166</a></li>
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-<li class="indx">gefeiert als <a href="#Seite_214">214</a></li>
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-<li class="indx">Gehalte und Gehälter <a href="#Seite_20">20</a>. <a href="#Seite_22">22</a></li>
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-<li class="indx">Geistlicher <a href="#Seite_33">33</a></li>
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-<li class="indx">gleiche, der <a href="#Seite_226">226</a></li>
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-<li class="indx">Goethebiographie, Goethedenkmal <a href="#Seite_194">194</a></li>
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-<li class="indx">Heiliger <a href="#Seite_33">33</a></li>
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-<li class="indx">heißen <a href="#Seite_239">239</a></li>
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-<li class="indx">heißen oder geheißen <a href="#Seite_60">60</a></li>
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-<li class="indx">-heit, Wörter auf <a href="#Seite_345">345</a></li>
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-<li class="indx">Heizkörper <a href="#Seite_365">365</a></li>
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-<li class="indx">herab, heran, herunter <a href="#Seite_353">353</a></li>
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-<li class="indx">Herabminderung <a href="#Seite_408">408</a></li>
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-<li class="indx">herausbilden <a href="#Seite_407">407</a></li>
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-<li class="indx">Herbstzeitlose <a href="#Seite_34">34</a></li>
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-<li class="indx">Herr <a href="#Seite_14">14</a></li>
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-<li class="indx">Herzog <a href="#Seite_17">17</a></li>
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-<li class="indx">Hilferuf, Hilfeleistung <a href="#Seite_80">80</a></li>
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-<li class="indx">Hilfslehrer, Hilfsprediger <a href="#Seite_80">80</a></li>
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-<li class="indx">hin und her <a href="#Seite_352">352</a></li>
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-<li class="indx"><span class="pagenum" id="Seite_458">[S. 458]</span>
- hinab, hinan, hinunter <a href="#Seite_353">353</a></li>
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-<li class="indx">hinauf <a href="#Seite_257">257</a></li>
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-<li class="indx">Hirt <a href="#Seite_4">4</a></li>
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-<li class="indx">hüben und drüben <a href="#Seite_353">353</a></li>
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-<li class="indx">hülfe <a href="#Seite_63">63</a></li>
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-<li class="indx">Kiefer <a href="#Seite_19">19</a></li>
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-<li class="indx">Klage führen <a href="#Seite_281">281</a></li>
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-<li class="indx">klar sein, sich <a href="#Seite_342">342</a></li>
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-<li class="indx">kleiden <a href="#Seite_240">240</a></li>
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-<li class="indx">Klein, das <a href="#Seite_35">35</a></li>
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-<li class="indx">Kolleggeld <a href="#Seite_76">76</a></li>
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-<li class="indx">Kollegs <a href="#Seite_23">23</a></li>
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-<li class="indx"><span class="pagenum" id="Seite_459">[S. 459]</span>
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-<li class="indx">unschwer, nicht unschwer <a href="#Seite_273">273</a></li>
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-<li class="indx">unser und unsrer <a href="#Seite_44">44</a></li>
-
-<li class="indx">unsre Gegenwart <a href="#Seite_290">290</a></li>
-
-<li class="indx">Unstimmigkeit <a href="#Seite_369">369</a></li>
-
-<li class="indx">untadlig <a href="#Seite_81">81</a></li>
-
-<li class="indx">unterbreiten <a href="#Seite_57">57</a></li>
-
-<li class="indx">Unterfertigte, der <a href="#Seite_431">431</a></li>
-
-<li class="indx">unterhalten <a href="#Seite_57">57</a></li>
-
-<li class="indx">unterrichtlich <a href="#Seite_184">184</a></li>
-
-<li class="indx">unterschlagen <a href="#Seite_57">57</a></li>
-
-<li class="indx">Untertan <a href="#Seite_33">33</a></li>
-
-<li class="indx">unverhohlen <a href="#Seite_54">54</a></li>
-
-<li class="indx">unweit <a href="#Seite_249">249</a></li>
-
-<li class="indx">unwidersprochen <a href="#Seite_243">243</a></li>
-
-<li class="indx">unzählig <a href="#Seite_81">81</a></li>
-
-<li class="indx">Urlaub <a href="#Seite_355">355</a></li>
-
-<li class="ifrst">vaterlandsliebend <a href="#Seite_80">80</a></li>
-
-<li class="indx">veranschlagen <a href="#Seite_406">406</a></li>
-
-<li class="indx">verausgaben <a href="#Seite_406">406</a></li>
-
-<li class="indx">verdenken <a href="#Seite_241">241</a></li>
-
-<li class="indx">verderben <a href="#Seite_51">51</a></li>
-
-<li class="indx">Verdienst <a href="#Seite_22">22</a></li>
-
-<li class="indx">verdürbe <a href="#Seite_63">63</a></li>
-
-<li class="indx">Verein Berliner Künstler <a href="#Seite_39">39</a></li>
-
-<li class="indx">vereinnahmen <a href="#Seite_406">406</a></li>
-
-<li class="indx">Verfehlung <a href="#Seite_369">369</a></li>
-
-<li class="indx">Verfügung, zur, stehen und stellen <a href="#Seite_281">281</a></li>
-
-<li class="indx">vergessen, auf etwas <a href="#Seite_431">431</a></li>
-
-<li class="indx">Verkauf und Verkaufung <a href="#Seite_344">344</a></li>
-
-<li class="indx">verkehren <a href="#Seite_60">60</a></li>
-
-<li class="indx">verläßlich statt zuverlässig <a href="#Seite_374">374</a></li>
-
-<li class="indx">verlautbaren u. verlauten <a href="#Seite_341">341</a></li>
-
-<li class="indx">verlegen statt legen <a href="#Seite_354">354</a></li>
-
-<li class="indx">vermeinen <a href="#Seite_357">357</a></li>
-
-<li class="indx">vermittelst <a href="#Seite_418">418</a></li>
-
-<li class="indx">vernunftgemäß <a href="#Seite_387">387</a></li>
-
-<li class="indx">verraten, sich, als <a href="#Seite_215">215</a></li>
-
-<li class="indx">verschreiten <a href="#Seite_382">382</a></li>
-
-<li class="indx">verschroben <a href="#Seite_54">54</a></li>
-
-<li class="indx">versichern <a href="#Seite_240">240</a></li>
-
-<li class="indx">verständigen <a href="#Seite_430">430</a></li>
-
-<li class="indx">Verstehen, das <a href="#Seite_397">397</a></li>
-
-<li class="indx">vertonen <a href="#Seite_435">435</a></li>
-
-<li class="indx">vertrauen <a href="#Seite_383">383</a></li>
-
-<li class="indx">Verwandter <a href="#Seite_33">33</a></li>
-
-<li class="indx">Verwandtin <a href="#Seite_69">69</a></li>
-
-<li class="indx">Verzichtleistung <a href="#Seite_408">408</a></li>
-
-<li class="indx">verziehen <a href="#Seite_357">357</a></li>
-
-<li class="indx">viele <a href="#Seite_32">32</a></li>
-
-<li class="indx">vielmehr <a href="#Seite_388">388</a></li>
-
-<li class="indx">vierwöchig und vierwöchentlich <a href="#Seite_82">82</a></li>
-
-<li class="indx">Villa-Daheim <a href="#Seite_218">218</a></li>
-
-<li class="indx">Visitekarte <a href="#Seite_70">70</a></li>
-
-<li class="indx">volklich, völkisch <a href="#Seite_184">184</a></li>
-
-<li class="indx">voll und ganz <a href="#Seite_388">388</a></li>
-
-<li class="indx">vollends <a href="#Seite_273">273</a></li>
-
-<li class="indx">voller <a href="#Seite_244">244</a></li>
-
-<li class="indx">Vollziehung und Vollzug <a href="#Seite_345">345</a></li>
-
-<li class="indx">von – ab, von – an <a href="#Seite_349">349</a></li>
-
-<li class="indx">von Ende oder vom Ende <a href="#Seite_264">264</a></li>
-
-<li class="indx">von Hause, von zuhause <a href="#Seite_264">264</a></li>
-
-<li class="indx">vorab <a href="#Seite_389">389</a></li>
-
-<li class="indx">voran und vorwärts <a href="#Seite_341">341</a></li>
-
-<li class="indx">vorbestrafen <a href="#Seite_383">383</a></li>
-
-<li class="indx">vorhanden <a href="#Seite_209">209</a></li>
-
-<li class="indx">vorhinein, im <a href="#Seite_431">431</a></li>
-
-<li class="indx">Vorjahr <a href="#Seite_362">362</a></li>
-
-<li class="indx">Vormärz <a href="#Seite_362">362</a></li>
-
-<li class="indx">vornehm statt Haupt- 374</li>
-
-<li class="indx">vornehmlich <a href="#Seite_389">389</a></li>
-
-<li class="indx">Vorredner <a href="#Seite_362">362</a></li>
-
-<li class="indx">vorsehen <a href="#Seite_384">384</a></li>
-
-<li class="indx"><span class="pagenum" id="Seite_463">[S. 463]</span>
- Wagen <a href="#Seite_163">163</a></li>
-
-<li class="indx">wägen <a href="#Seite_51">51</a></li>
-
-<li class="indx">Wagnerverehrer <a href="#Seite_198">198</a></li>
-
-<li class="indx">während <a href="#Seite_14">14</a>. <a href="#Seite_261">261</a></li>
-
-<li class="indx">weder – noch <a href="#Seite_98">98</a></li>
-
-<li class="indx">weg <a href="#Seite_404">404</a></li>
-
-<li class="indx">Wege, im <a href="#Seite_350">350</a></li>
-
-<li class="indx">Wege, in die – leiten <a href="#Seite_384">384</a></li>
-
-<li class="indx">wegen und durch <a href="#Seite_349">349</a></li>
-
-<li class="indx">Weimaraner <a href="#Seite_88">88</a></li>
-
-<li class="indx">Wein <a href="#Seite_337">337</a></li>
-
-<li class="indx">weise <a href="#Seite_207">207</a></li>
-
-<li class="indx">Weiser <a href="#Seite_33">33</a></li>
-
-<li class="indx">Weiße, die <a href="#Seite_49">49</a></li>
-
-<li class="indx">weitaus <a href="#Seite_38">38</a></li>
-
-<li class="indx">weitgehend <a href="#Seite_413">413</a></li>
-
-<li class="indx">welcher <a href="#Seite_27">27</a>. <a href="#Seite_112">112</a></li>
-
-<li class="indx">welch letzterer <a href="#Seite_123">123</a></li>
-
-<li class="indx">Werdegang <a href="#Seite_360">360</a></li>
-
-<li class="indx">werden lassen <a href="#Seite_215">215</a></li>
-
-<li class="indx">werten <a href="#Seite_385">385</a></li>
-
-<li class="indx">wie beim Komparativ <a href="#Seite_268">268</a></li>
-
-<li class="indx">Wie meinen? 366</li>
-
-<li class="indx">wiegen <a href="#Seite_51">51</a></li>
-
-<li class="indx">Wild, das <a href="#Seite_35">35</a></li>
-
-<li class="indx">Wille <a href="#Seite_5">5</a></li>
-
-<li class="indx">willfahren <a href="#Seite_53">53</a></li>
-
-<li class="indx">wir Deutschen <a href="#Seite_36">36</a></li>
-
-<li class="indx">Wirksamkeit und Wirkung <a href="#Seite_340">340</a></li>
-
-<li class="indx">wo, wobei, womit, worin <a href="#Seite_118">118</a></li>
-
-<li class="indx">wöchentlich <a href="#Seite_82">82</a></li>
-
-<li class="indx">Wolle <a href="#Seite_337">337</a></li>
-
-<li class="indx">Wollen, das <a href="#Seite_397">397</a></li>
-
-<li class="indx">worden <a href="#Seite_105">105</a></li>
-
-<li class="indx">Wort, Worte, Wörter <a href="#Seite_20">20</a></li>
-
-<li class="indx">wunschgemäß <a href="#Seite_387">387</a></li>
-
-<li class="indx">wünschen und hoffen verwechselt <a href="#Seite_296">296</a></li>
-
-<li class="indx">würbe <a href="#Seite_63">63</a></li>
-
-<li class="indx">würde statt des Konjunktivs <a href="#Seite_158">158</a></li>
-
-<li class="indx">würfe <a href="#Seite_63">63</a></li>
-
-<li class="ifrst">Zeichenbuch <a href="#Seite_76">76</a></li>
-
-<li class="indx">zeigen, sich, als <a href="#Seite_215">215</a></li>
-
-<li class="indx">Zeit, die gute alte <a href="#Seite_209">209</a></li>
-
-<li class="indx">zeitigen <a href="#Seite_386">386</a></li>
-
-<li class="indx">Zelt <a href="#Seite_21">21</a></li>
-
-<li class="indx">Zerstreuung und Zerstreutheit <a href="#Seite_345">345</a></li>
-
-<li class="indx">Zettel <a href="#Seite_18">18</a></li>
-
-<li class="indx">Ziegel <a href="#Seite_19">19</a></li>
-
-<li class="indx">zielbewußt <a href="#Seite_374">374</a></li>
-
-<li class="indx">zu und um zu <a href="#Seite_161">161</a></li>
-
-<li class="indx">zubilligen <a href="#Seite_386">386</a></li>
-
-<li class="indx">zufolge statt nach <a href="#Seite_351">351</a></li>
-
-<li class="indx">zufrieden <a href="#Seite_209">209</a></li>
-
-<li class="indx">zufriedenstellen <a href="#Seite_402">402</a></li>
-
-<li class="indx">zugängig und zugänglich <a href="#Seite_83">83</a></li>
-
-<li class="indx">Zugsverbindung <a href="#Seite_78">78</a></li>
-
-<li class="indx">zuhause <a href="#Seite_264">264</a></li>
-
-<li class="indx">Zuhilfenahme <a href="#Seite_421">421</a></li>
-
-<li class="indx">zukommen, auf etwas <a href="#Seite_386">386</a></li>
-
-<li class="indx">zumal <a href="#Seite_342">342</a></li>
-
-<li class="indx">zumal und zumal da <a href="#Seite_132">132</a></li>
-
-<li class="indx">zuzüglich <a href="#Seite_421">421</a></li>
-
-<li class="indx">zwangsweise <a href="#Seite_207">207</a></li>
-
-<li class="indx">zwar, so <a href="#Seite_267">267</a></li>
-
-<li class="indx">zwecks <a href="#Seite_418">418</a></li>
-
-<li class="indx">zween, zwo, zwei <a href="#Seite_49">49</a></li>
-
-<li class="indx">zwischen <a href="#Seite_258">258</a></li>
-
-</ul>
-
-</div>
-
-<figure class="figcenter illowe3" id="deko12">
- <img class="w100 padtop1" src="images/deko.png" alt="Deko">
-</figure>
-
-<p class="s5 center padtop5 break-before" id="buchwerbung"><span class="btt bbt">Druck von Carl
-Marquart in Leipzig</span></p>
-
-<hr class="full x-ebookmaker-drop">
-
-<div class="schmal">
-
-<div class="section">
-
-<p class="s4 center mtop3"><span class="bbt">Verlag von KARL J. TRÜBNER in
-Straßburg.</span></p>
-
-</div>
-
-<p class="s1 center"><b>Walther von der Vogelweide</b></p>
-
-<p class="center">Von</p>
-
-<p class="s3 center"><b>Rudolf Wustmann</b></p>
-
-<hr class="r10">
-
-<p class="center">Kl. 8°. V, 103 S. 1912. Mit 3 Tafeln.<br>
-Geheftet <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 2.—, gebunden <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 2.40.</p>
-
-<hr class="r10">
-
-<p class="s5 center mtop1"><em class="gesperrt">Vorwort des Verfassers</em>:</p>
-
-<p>„Dies Büchlein zu schreiben hat mich schon lange gedrängt. Walther
-von der Vogelweide verdient in unserer allgemeinen Bildung einen
-besseren Platz, als ihm die meisten deutschen Hoch- und Mittelschulen
-zuteil werden lassen. Sein Charakterbild steht im großen und ganzen
-fest, so vieles auch an seinem Lebensbilde noch undeutlich ist. Daß
-ich nun auch etwas von Walthers Musik mit vorlegen kann, macht mir
-besondere Freude.“</p>
-
-<hr class="r100">
-
-<p class="s1 center">Shakspere</p>
-
-<p class="s3 center">Fünf Vorlesungen aus dem Nachlaß</p>
-
-<p class="center">von</p>
-
-<p class="s4 center"><b>Bernhard ten Brink</b></p>
-
-<p class="s4 center">Mit dem Medaillonbildnis des Verfassers in Lichtdruck</p>
-
-<p class="center"><b>Dritte durchgesehene Auflage</b></p>
-
-<p class="center">Klein 8°. VII, 149 S. 1907. <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 2.—, gebunden <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 2.50.</p>
-
-<figure class="figcenter illowe6" id="borduere2">
- <img class="w100" src="images/borduere2.png" alt="Deko">
-</figure>
-
-<p class="s5 hang1_5">Inhalt: Erste Vorlesung: Der Dichter und der Mensch. – Zweite
-Vorlesung: Die Zeitfolge von Shaksperes Werken. – Dritte Vorlesung:
-Shakspere als Dramatiker. – Vierte Vorlesung: Shakspere als
-komischer Dichter. – Fünfte Vorlesung: Shakspere als Tragiker.</p>
-
-</div>
-
-<hr class="full x-ebookmaker-drop">
-
-<div class="schmal">
-
-<div class="section">
-
-<p class="s4 center mtop3"><span class="bbt">Verlag von KARL J. TRÜBNER in
-Straßburg.</span></p>
-
-</div>
-
-<p class="s1 center"><b><span class="s6">Deutsches</span><br>
-Fremdwörterbuch</b></p>
-
-<p class="center">Von</p>
-
-<p class="s3 center"><b>Hans Schulz</b></p>
-
-<p class="s5 center">Privatdozent an der Universität Freiburg i. Br.</p>
-
-<p class="s4 center">Erste bis vierte Lieferung: A-Kampagne</p>
-
-<p class="center">Lex. 8°. je 5 Bogen. Subskriptionspreis für die Lieferung <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 1.50.<br>
-Das Werk wird etwa 10 Lieferungen von je 5 Bogen Lex. 8° umfassen.</p>
-
-<p class="s5">Das Buch versucht zum ersten Male eine lexikalische Behandlung der
-in unsere Sprache aufgenommenen Fremdwörter nach den Grundsätzen der
-modernen Wortforschung. Der Verfasser hat es sich zur Aufgabe gemacht,
-für jedes Wort die Quelle und die Zeit der Entlehnung zu ermitteln,
-seinen ursprünglichen Geltungsbereich festzustellen und unter Darlegung
-des historischen Belegmaterials seine Entwicklung im deutschen
-Sprachgebrauch zu veranschaulichen. Besonderer Wert wurde darauf
-gelegt, die lebende und allgemein gebräuchliche Sprache zu fassen und
-eingehend zu behandeln.</p>
-
-<p class="s5">„Das lang ersehnte geschichtliche Fremdwörterbuch tritt endlich
-in Erscheinung, nicht im Zusammenarbeiten mehrerer, nicht als Ertrag
-einer langen Lebensarbeit, sondern dank der Tatkraft, dem mutigen
-Zugreifen eines jugendfrischen Mannes. Schulz will allerdings nicht
-ein Seitenstück zum Deutschen Wörterbuch bieten, seine Arbeit ist
-vielmehr auf ein einbändiges Werk berechnet. Es sollen nur die wirklich
-lebendigen Fremdwörter behandelt werden und nur die, die der allgemein
-gebräuchlichen Sprache angehören; Veraltetes, wie das große Heer der
-technischen Ausdrücke, scheidet also aus. Was Schulz innerhalb dieser
-Grenzen geleistet hat, ist ganz vortrefflich. Auswahl, Anordnung,
-Darstellung sind durchaus zweckentsprechend und geschickt; musterhafte
-Knappheit verbindet sich mit großem Reichtum ... Die Ausstattung des
-Buches ist durchaus erfreulich. Hoffentlich liegt das Ganze recht bald
-vollendet vor uns.“</p>
-
-<p class="s5 center"><i>Prof. Dr. O. Behaghel im Literaturblatt für germanische und
-romanische Philologie XXII. Jahrgang 1911, Nr. 1.</i></p>
-
-</div>
-
-<hr class="full x-ebookmaker-drop">
-
-<div class="schmal">
-
-<div class="section">
-
-<p class="s4 center mtop3"><span class="bbt">Verlag von KARL J. TRÜBNER in
-Straßburg.</span></p>
-
-</div>
-
-<p class="s1 center"><b>Etymologisches Wörterbuch<br>
-<span class="s6">der deutschen Sprache</span></b></p>
-
-<p class="s5 center">von</p>
-
-<p class="s3 center"><b>Friedrich Kluge</b></p>
-
-<p class="s5 center">ord. Professor der deutschen Sprache an der Universität
-Freiburg i. Br.</p>
-
-<hr class="r10">
-
-<p class="s4 center"><b>Siebente verbesserte und vermehrte Auflage</b></p>
-
-<hr class="r10">
-
-<p class="s5 center">Lex. 8°. XVI, 519 S. 1910. Geheftet <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 9.—, in Leinwand geb. <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 10.20,
-in Halbfranz geb. <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 11.—.</p>
-
-<hr class="r10">
-
-<p class="s5"><b>Kluges Wörterbuch</b> ist im Jahre 1883 erstmals erschienen; es
-hat also im Jahre 1908 sein 25jähriges Jubiläum feiern können. Der
-Erfolg der bis jetzt erschienenen sieben Auflagen und die Anerkennung,
-welche dem Buche zu Teil geworden, haben gezeigt, wie richtig der
-Gedanke war, die Ergebnisse des anziehendsten und wertvollsten Teiles
-der wissenschaftlichen Wortforschung, den über die Entstehung und
-Geschichte der einzelnen Wörter unseres Sprachschatzes, in knapper
-lexikalischer Darstellung zusammenzufassen.</p>
-
-<p class="s5">Der Verfasser hat es sich zur Aufgabe gemacht, Form und Bedeutung
-jedes Wortes bis zu seiner Quelle zu verfolgen, die Beziehungen
-zu den klassischen Sprachen in gleichem Maße betonend wie das
-Verwandtschaftsverhältnis zu den übrigen germanischen und den
-romanischen Sprachen; auch die entfernteren orientalischen,
-sowie die keltischen und die slavischen Sprachen sind in allen
-Fällen herangezogen, wo die Forschung eine sichere Verwandtschaft
-festzustellen vermag.</p>
-
-<p class="s5">Die vorliegende neue Auflage, die auf jeder Seite Besserungen und
-Zusätze aufweist, hält an dem früheren Programm des Werkes fest,
-strebt aber wiederum nach einer Vertiefung und Erweiterung der
-wortgeschichtlichen Probleme und ist auch diesmal bemüht, den
-neuesten Fortschritten der etymologischen Wortforschung gebührende
-Rechnung zu tragen. Am besten aber veranschaulichen einige Zahlen die
-Vervollständigung des Werkes seit seinem ersten Erscheinen: die Zahl
-der Stichworte hat sich von der ersten zur siebenten Auflage vermehrt
-im Buchstaben A: von 130 auf 346 (6. Aufl. 280); B: von 378 auf 608 (6.
-Aufl. 520); D: von 137 auf 238 (6. Aufl. 200); E: von 100 auf 202 (6.
-Aufl. 160); F: von 236 auf 454 (6. Aufl. 329). Diese Vermehrung ist in
-gleicher Weise auch bei den übrigen Buchstaben angestrebt worden.</p>
-
-</div>
-
-<hr class="full x-ebookmaker-drop">
-
-<div class="schmal">
-
-<div class="section">
-
-<p class="s4 center mtop3"><span class="bbt">Verlag von KARL J. TRÜBNER in
-Straßburg.</span></p>
-
-</div>
-
-<p class="s1 center"><b>Wörterbuch-Bibliothek.</b></p>
-
-<p class="hang1_5"><b class="s4">Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache.</b> Von
-<em class="gesperrt">Friedrich Kluge</em>, Professor an der Universität Freiburg i. Br.
-Siebente verbesserte und vermehrte Auflage. Lex. 8°. XVI, 519 S.
-1910. Geh. <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 9.—, in Leinw. geb. <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 10.20, in Halbfranz geb. <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 11.—</p>
-
-<p class="hang1_5"><b class="s4">Deutsches Fremdwörterbuch.</b> Von <em class="gesperrt">Hans Schulz</em>,
-Privatdozent an der Universität Freiburg i. Br. 1.-4. Lieferung:
-A-Kampagne. Subskriptionspreis für die Lieferung <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 1.50. Das Werk
-wird etwa 10 Lieferungen von je 5 Bogen Lex. 8°. umfassen.</p>
-
-<p class="hang1_5"><b class="s4">Wörterbuch der deutschen Kaufmannssprache.</b> Auf
-geschichtlichen Grundlagen. Mit einer systematischen Einleitung. Von
-<i>Alfred Schirmer</i>. Lex. 8°. LI, 218 S. 1911. Geh. <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 6.50, geb. <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 7.50</p>
-
-<p class="hang1_5"><b class="s4">Die deutsche Druckersprache.</b> Von <span class="antiqua">Dr.</span> <em class="gesperrt">Heinrich
-Klenz</em>. 8°. XV, 128 S. 1900. Geh. <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 2.50, geb. <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 3.50</p>
-
-<p class="hang1_5"><b class="s4">Schlagwörterbuch.</b> Von <em class="gesperrt">Otto Ladendorf</em>. 8°. XXIV, 365 S.
-1906. Geh. <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 6.—, in Leinwand geb. <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 7.—</p>
-
-<p class="hang1_5"><b class="s4">Pennälersprache.</b> Entwicklung, Wortschatz und Wörterbuch. Von
-<em class="gesperrt">Rudolf Eilenberger</em>. 8°. VIII, 68 S. 1910. Geh. <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 1.80, in
-Leinwand geb. <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 2.30</p>
-
-<p class="hang1_5"><b class="s4">Schelten-Wörterbuch.</b> Die Berufs-, besonders Handwerkerschelten
-und Verwandtes. Von <span class="antiqua">Dr.</span> <em class="gesperrt">Heinrich Klenz</em>. 8°. VIII, 159
-S. 1910. Geh. <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 4.—, geb. <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 5.—</p>
-
-<p class="hang1_5"><b class="s4">Rotwelsch.</b> <em class="gesperrt">Quellen und Wortschatz der Gaunersprache</em>
-und der verwandten Geheimsprachen. Von <em class="gesperrt">Friedrich Kluge</em>. I.
-Rotwelsches Quellenbuch. Gr. 8°. XVI, 495 S. 1901. <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 14.—</p>
-
-</div>
-
-<hr class="full x-ebookmaker-drop">
-
-<div class="schmal">
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-<div class="section">
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-<p class="s4 center mtop3"><span class="bbt">Verlag von KARL J. TRÜBNER in
-Straßburg.</span></p>
-
-</div>
-
-<p class="s1 center"><b><span class="s6">Allgemeine</span><br>
-Bücherkunde<br>
-<span class="s7">zur neueren deutschen Literaturgeschichte</span></b></p>
-
-<p class="center">Von</p>
-
-<p class="s3 center"><b>Robert F. Arnold</b></p>
-
-<p class="s5 center">a. o. Univ.-Prof., Kustos der k. k. Hofbibliothek in Wien.</p>
-
-<p class="s4 center">8°. XIX, 354 S. 1910.</p>
-
-<p class="s4 center">Geheftet <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 8.—, in Leinwand geb. <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 9.—.</p>
-
-<p class="s5 mtop1">Dieses Werk gehört zu den Büchern, die wirklich einmal eine
-vorhandene Lücke ausfüllen und den Bestand unserer Hilfsmittel um
-ein höchst nützliches Glied erweitern. Aus der Praxis erwachsen, ist
-es auch in besonderem Sinne praktisch gestaltet worden, zumal der
-Verfasser reiche bibliothekarische Erfahrung mit literarhistorischer
-Kritik aufs glücklichste vereinigte ... Alles in allem erscheint der
-Inhalt des Buches so wohlerwogen und so gewissenhaft überprüft, ist
-die Anordnung und der Druck so klar und übersichtlich, daß es den
-zu stellenden Anforderungen aufs beste entspricht ... Und wenn der
-Verfasser die mühevolle Arbeit mit einem Seufzer der Erleichterung
-beschließt, so mag in das Bewußtsein trösten, durch sein schönes Buch
-den Nachstrebenden wie den Fachgenossen einen guten Dienst geleistet zu
-haben.“</p>
-
-<p class="right"><i>Dr. Otto Ladendorf in Zeitschr. f. d. dt. Unterricht, 24.
-Jahrg., Heft 11.</i></p>
-
-<p class="s5 mtop1">„<span class="antiqua">Für das Gebiet der deutschen Literatur, den bevorzugten Tummelplatz
-unserer Bibliophilen, liefert der bekannte, als Bibliograph der neueren
-Theatergeschichte bewährte Wiener Literaturhistoriker und Bibliothekar
-Arnold eine überaus nützliche Einführung, indem er streng gegliedert
-die gesamte eingeschlagene Literatur vorführt. Das System ist praktisch
-und zumal durch das ausführliche Register auch für Laien leicht
-benutzbar. Für jedes Gebiet wird eine Art historischer Entwicklung
-an der Hand der älteren Bücher und Zeitschriften gegeben; knappe,
-sichere Urteile, Anweisungen für den Gebrauch von Sammelwerken und
-Nachschlagebüchern gewähren namentlich dem Anfänger die nützlichste
-Unterstützung</span> ...“</p>
-
-<p class="right"><i>Prof. Dr. G. Witkowski in der Zeitschr. f. Bücherfreunde,
-Januar-Heft 1911.</i></p>
-
-</div>
-
-<hr class="full x-ebookmaker-drop">
-
-<div class="schmal">
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-<div class="section">
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-<p class="s4 center mtop3"><span class="bbt">Verlag von KARL J. TRÜBNER in
-Straßburg.</span></p>
-
-</div>
-
-<p class="s1 center"><b>Die Renaissance</b></p>
-
-<p class="s4 center">Historische Szenen</p>
-
-<p class="center">vom</p>
-
-<p class="s3 center"><b>Grafen Gobineau</b></p>
-
-<p class="center"><em class="gesperrt">Deutsch von Ludwig Schemann</em></p>
-
-<p class="center">Ausgabe letzter Hand mit den aus der Handschrift erstmalig
-übertragenen</p>
-
-<p class="s4 center"><b>Originaleinleitungen Gobineaus.</b></p>
-
-<p class="center">8°. LXXXV, 387 S. 1912.</p>
-
-<hr class="r10">
-
-<p class="center">Preis: Geheftet <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 4.—, geb. in Leinwand <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 5.—, in
-Ganzlederband <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 6.—.</p>
-
-<hr class="r10">
-
-<p class="s4">Der Wert und die Bedeutung der neuen Auflage wird besonders dadurch
-erhöht, daß in ihr <b>zum ersten Male</b> und <b>allein in ihr die
-Einleitungen, die Gobineau selbst zur Renaissance</b> geschrieben
-hat, veröffentlicht werden. „Diese Einleitungen, deren Charakter
-und Bedeutung auf den ersten Blick erhellt, bringen einerseits eine
-Art <b>Vorgeschichte der Renaissance</b>, eine knappe, lichtvolle
-kulturgeschichtliche Übersicht über das Mittelalter, als die
-eigentliche Grundlage und Voraussetzung jener großen Zeit; anderseits
-aber Einzelcharakteristiken von Personen und Ereignissen, welche
-die des Hauptwerkes zum Teil zusammenfassen, zum Teil ergänzen
-und durch neue Züge bereichern; endlich noch einzelne besondere
-geschichtsphilosophische Ausblicke und Erörterungen. <b>Das Ganze
-bildet eine schwungvolle Parallele</b>, die der Kulturhistoriker dem
-Dichter geliefert hat.“</p>
-
-</div>
-
-<hr class="full x-ebookmaker-drop">
-
-<div class="schmal">
-
-<div class="section">
-
-<p class="s4 center mtop3"><span class="bbt">Verlag von KARL J. TRÜBNER in
-Straßburg.</span></p>
-
-</div>
-
-<p class="s3 center"><i>DAS GESAMTE GEBIET DER NATURWISSENSCHAFTEN IN ZEHN
-BÄNDCHEN.</i></p>
-
-<p class="s4 center">Chemie – Physik – Astronomie – Physikalische Geographie –
-Geologie – Tierkunde – Botanik – Mineralogie – Physiologie – Allgemeine
-Einführung in die Naturwissenschaften</p>
-
-<p>vereinigt die bekannte von bedeutenden Gelehrten verfaßte Sammlung</p>
-
-<p class="s2 center mbot1"><b>Naturwissenschaftliche Elementarbücher.</b></p>
-
-<hr class="r10">
-
-<p class="mtop2">Ihren durchschlagenden Erfolg haben die Bändchen dieser Serie dem
-Umstand zu danken, daß hier zum erstenmal die Wissenschaft durch ihre
-allerersten Vertreter dem Elementar-Unterricht direkt dienstbar gemacht
-ist; sie wollen „die Schuljugend zur Beobachtung, zum Nachdenken über
-die alltäglichen Erscheinungen der Außenwelt anleiten und sie so mit
-der Natur, in der wir wurzeln, vertraut machen. Nie zuvor sind unserer
-Schule so gediegene Hilfsmittel dargeboten worden, in denen unter
-der einfachsten und verständlichsten, zugleich das Gemüt erfreuenden
-Einkleidung die Resultate der Wissenschaften durchblicken“. – Die
-schöne klare Sprache machen die Bändchen auch in hervorragendem Maße
-zum Selbststudium und ersten Einführung gut geeignet.</p>
-
-<p class="center"><em class="gesperrt">Gute Ausstattung</em> (klarer Druck, weißes starkes Papier). —
-<em class="gesperrt">Zahlreiche gute Abbildungen.</em> —</p>
-
-<figure class="figcenter illowp100" id="borduere3" style="max-width: 121.125em;">
- <img class="w100" src="images/borduere3.png" alt="Zierbordüre">
-</figure>
-
-<table class="naturwissenschaften">
- <tr>
- <td>
- <div class="left">Preis pro Bändchen:</div>
- </td>
- <td>
- <div class="right">in Schulband</div>
- </td>
- <td>
- <div class="left"><img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> —.80,</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td colspan="2">
- <div class="right">in gediegenem Leinenband</div>
- <td>
- <div class="left"><img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 1.—.</div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td class="padtop0_5">
- <div class="left"><i>Die ganze Serie zusammen</i>:</div>
- </td>
- <td class="padtop0_5">
- <div class="right"><i>in Schulband</i></div>
- </td>
- <td class="padtop0_5">
- <div class="left"><i><img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 8.—,</i></div>
- </td>
- </tr>
- <tr>
- <td colspan="2">
- <div class="right"><i>gebunden in Leinen in elegantem Karton</i></div>
- <td>
- <div class="left"><i><img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 10.—.</i></div>
- </td>
- </tr>
-</table>
-
-</div>
-
-<hr class="full x-ebookmaker-drop">
-
-<div class="schmal">
-
-<div class="section">
-
-<p class="s4 center mtop3"><span class="bbt">Verlag von KARL J. TRÜBNER in
-Straßburg.</span></p>
-
-</div>
-
-<p class="s1 center"><span class="s7">Kurzes Lehrbuch der</span><br>
-Physikalischen Geographie</p>
-
-<p class="center">von</p>
-
-<p class="s3 center"><b>A. Geikie</b></p>
-
-<p class="s5 center">Professor an der Universität Edinburg.</p>
-
-<p class="s3 center">Autorisierte Deutsche Ausgabe</p>
-
-<p class="center">von</p>
-
-<p class="s4 center">Prof. Dr. Bruno Weigand.</p>
-
-<p class="s4 center">Mit einer Einführung von Prof. Dr. Erich von Drygalski.</p>
-
-<hr class="r10">
-
-<p class="s4 center">Zweite verbesserte und vermehrte Auflage.</p>
-
-<p class="s4 center">Mit 77 Holzschnitten, 5 Vollbildern und 13 Karten.</p>
-
-<hr class="r10">
-
-<p class="s4 center">8°. X, 386 S. 1908.</p>
-
-<p class="s4 center">Geheftet <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 4.50, in Leinwand gebunden <img class="h1em" src="images/mark.png" alt="Währungssymbol: Mark"> 5.20.</p>
-
-<hr class="r10">
-
-<p class="center"><em class="gesperrt">Inhalt</em>: 1. Die Erde als Planet. – 2. Die Luft. – 3. Das
-Meer. – 4. Das Festland. – 5. Das Leben.</p>
-
-<hr class="r10">
-
-<p class="s5 mtop1">„... Wer die kleine „physikalische Geographie“ und „Geologie“
-Geikies kennt, die als Nr. 4 und 5 der „Naturwissenschaftlichen
-Elementarbücher“ (im selben Verlage) erschienen sind, der wird mit
-großer Spannung an Geikies Lehrbuch herantreten. Und diese wächst mit
-der Lektüre jeder Seite. Denn es spricht ein Meister und ein Künstler
-der Sprache zu uns. Da ist alles knapp, einfach, klar und präzise
-ausgedrückt ...“</p>
-
-<p class="s5 right"><i>Blätter für die Fortbildung des Lehrers und der Lehrerin
-1908, Heft 23.</i></p>
-
-<p class="s5 mtop1">„... In seiner Klarheit, Allseitigkeit, strengen Begründung und
-doch leichten Faßlichkeit ist das Buch dem Lehrer das beste Werk zum
-Selbststudium, dem Unterricht ein treffliches Hilfsmittel und der
-reifen Jugend eine anregende Lektüre.“</p>
-
-<p class="s5 right"><i>Bayerische Lehrerzeitung 1908, Heft 41.</i></p>
-
-</div>
-
-<div class="footnotes">
-
-<p class="s3 center padtop1"><b>Fußnoten:</b></p>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_1" href="#FNAnker_1" class="label">[1]</a> Die Bezeichnungen starke und schwache Deklination sind
-ebenso wie das Wort Umlaut von Jakob Grimm gebildet.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_2" href="#FNAnker_2" class="label">[2]</a> Einige Wörter, wie <em class="gesperrt">Auge</em>, <em class="gesperrt">Bett</em> u.&#160;a., werden
-in der Einzahl stark, in der Mehrzahl schwach dekliniert. Diese faßt
-man als gemischte Deklination zusammen.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_3" href="#FNAnker_3" class="label">[3]</a> Mit Ausnahme von <em class="gesperrt">Friede</em> und <em class="gesperrt">Gedanke</em>, die
-im Mittelhochdeutschen (<span class="antiqua">vride</span>, <span class="antiqua">gedanc</span>) zur starken
-Deklination gehörten.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_4" href="#FNAnker_4" class="label">[4]</a> Auch der Nominativ <em class="gesperrt">Felsen</em> neben <em class="gesperrt">Fels</em>
-ist auf diese Weise entstanden; das Wort gehört ursprünglich der
-starken Deklination an, daher ist gegen die Dativ- und Akkusativform
-<em class="gesperrt">Fels</em> (<em class="gesperrt">Vom Fels</em> zum Meer) nichts einzuwenden.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_5" href="#FNAnker_5" class="label">[5]</a> Etwas andres ist es in Fällen, wo die falsche Form die
-alte, richtige aus dem Sprachbewußtsein schon ganz verdrängt hat,
-wie bei <em class="gesperrt">Braten</em>, <em class="gesperrt">Hopfen</em>, <em class="gesperrt">Kuchen</em>, <em class="gesperrt">Rücken</em>,
-<em class="gesperrt">Schinken</em> u.&#160;a., die im Mittelhochdeutschen noch <span class="antiqua">brate</span>,
-<span class="antiqua">hopfe</span> usw. hießen.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_6" href="#FNAnker_6" class="label">[6]</a> Der Apostroph sollte nur da angewandt werden, wo er eine
-Verwechslung verhüten kann, z.&#160;B. zwischen dem Präsens <em class="gesperrt">rauscht</em>
-und dem Imperfektum <em class="gesperrt">rauscht’</em> (Das Wasser <em class="gesperrt">rauscht’</em>, das
-Wasser schwoll), oder zwischen der Einzahl <em class="gesperrt">Berg</em> und der Mehrzahl
-<em class="gesperrt">Berg’</em> (über <em class="gesperrt">Berg’</em> und Täler). Hier bedeutet er wirklich
-etwas, und hier kann man ihn bei gutem Vorlesen sogar – hören!</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_7" href="#FNAnker_7" class="label">[7]</a> Diese schwache oder aus schwacher und starker gemischte
-Deklination der Eigennamen war früher noch viel weiter verbreitet.
-Nicht bloß <em class="gesperrt">Schwarz</em> und <em class="gesperrt">Schütz</em> wurden dekliniert
-<em class="gesperrt">Schwarzens</em>, <em class="gesperrt">Schwarzen</em>, <em class="gesperrt">Schützens</em>, <em class="gesperrt">Schützen</em>,
-weshalb man aus den <span class="antiqua">casus obliqui</span> nie entnehmen kann, ob
-sich der Mann <em class="gesperrt">Schwarz</em> oder <em class="gesperrt">Schwarze</em> nannte; auch von
-<em class="gesperrt">Christ</em>, <em class="gesperrt">Weck</em>, <em class="gesperrt">Frank</em>, <em class="gesperrt">Fritsch</em> bildete man
-<em class="gesperrt">Christens</em>, <em class="gesperrt">Christen</em>, <em class="gesperrt">Weckens</em>, <em class="gesperrt">Wecken</em>,
-<em class="gesperrt">Frankens</em>, <em class="gesperrt">Franken</em>, <em class="gesperrt">Fritschens</em>, <em class="gesperrt">Fritschen</em>
-(Leipzig, bei Thomas Fritschen). Daher findet man in antiquarischen
-Katalogen Christs Buch „Anzeige und Auslegung der <span class="antiqua">Monogrammatum</span>“
-meist unter dem falschen Namen <em class="gesperrt">Christen</em>, Wecks Beschreibung
-von Dresden meist unter dem falschen Namen <em class="gesperrt">Wecken</em> aufgeführt;
-auf den Titelblättern steht wirklich: <em class="gesperrt">von Christen</em>, <em class="gesperrt">von
-Wecken</em>. Die berühmte Leipziger Gelehrtenfamilie der <em class="gesperrt">Mencke</em>,
-aus der Bismarcks Mutter abstammte, war durch ihre <span class="antiqua">casus obliqui</span>
-so irre geworden, daß sie schließlich selber nicht mehr wußte, wie
-sie hieß; deutsch schrieben sie sich <em class="gesperrt">Mencke</em>, aber latinisiert
-<span class="antiqua">Menckenius</span>. Aber auch bei solchen Genitiven auf <em class="gesperrt">ens</em>
-richtet der Apostroph oft Unheil an. An <em class="gesperrt">Stieglitzens</em> Hof
-am Markt in Leipzig steht über dem Eingang in goldner Schrift:
-<em class="gesperrt">Stieglitzen’s</em> Hof – als ob der Erbauer <em class="gesperrt">Stieglitzen</em>
-geheißen hätte. Und welche Überraschung, wenn einem der Buchbinder
-auf einen schönen Halbfranzband gedruckt hat: Hans <em class="gesperrt">Sachsen’s</em>
-Dichtungen!</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_8" href="#FNAnker_8" class="label">[8]</a> Wie lange soll übrigens noch in der deutschen Schrift der
-Zopf der römischen Ziffern weitergeschleppt werden? Warum druckt man
-nicht <em class="gesperrt">Heinrichs 8.</em>, <em class="gesperrt">Ludwigs XIV.</em>? Auch in andern Fällen
-werden die römischen Ziffern ganz unnötigerweise verwandt. Warum nicht
-das <em class="gesperrt">12. Armeekorps</em>, warum immer das <em class="gesperrt">XII. Armeekorps</em>? Fast
-alle unsre Historiker scheinen zu glauben, es klinge gelehrter, wenn
-sie schreiben: im <em class="gesperrt">XVIII. Jahrhundert</em>. Eigentlich sollte man im
-Druck überhaupt Ziffern nur für das Datum und für rechnungsmäßige,
-z.&#160;B. statistische, finanzielle, astronomische Angaben verwenden, also
-nicht drucken: Unser Leben währet 70 Jahre. Vornehme Druckereien haben
-sich auch früher so etwas nie erlaubt. Von den Zifferblättern unsrer
-Uhren verschwinden erfreulicherweise die römischen Ziffern immer mehr.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_9" href="#FNAnker_9" class="label">[9]</a> Daher schreibt man auch auf Büchertiteln: <em class="gesperrt">Von
-Pfarrer</em> Hansjakob, <em class="gesperrt">von Prof.</em> A. Schneider (statt <em class="gesperrt">von
-dem</em> Professor), wo bloß der Titel gemeint ist.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_10" href="#FNAnker_10" class="label">[10]</a> Geschmacklos ist es, vor derartige Appositionen, wo
-sie wirklich den Beruf, das Amt, die Tätigkeit bedeuten, noch das
-Wort <em class="gesperrt">Herr</em> zu setzen: der <em class="gesperrt">Herr Reichskanzler</em>, der
-<em class="gesperrt">Herr Erste(!) Staatsanwalt</em>, der <em class="gesperrt">Herr Bürgermeister</em>,
-der <em class="gesperrt">Herr Stadtverordnete</em>, der <em class="gesperrt">Herr Vorsitzende</em>, der
-<em class="gesperrt">Herr Direktor</em>, der <em class="gesperrt">Herr Lehrer</em> (die <em class="gesperrt">Herren Lehrer</em>
-sind während der Unterrichtsstunden nicht zu sprechen), der <em class="gesperrt">Herr
-Königliche Oberförster</em>, der <em class="gesperrt">Herr Organist</em>, der <em class="gesperrt">Herr
-Hilfsgeistliche</em>, sogar der <em class="gesperrt">Herr Aufseher</em>, der <em class="gesperrt">Herr
-Expedient</em>, die <em class="gesperrt">Herren Beamten</em> usw. Wenn das <em class="gesperrt">Herr</em>
-durchaus zur Erhöhung der Würde dabeistehen soll, so gehört es
-unmittelbar vor den Namen: der <em class="gesperrt">Abgeordnete Herr Götz</em>, der
-<em class="gesperrt">Organist Herr Schneider</em>, der <em class="gesperrt">Hilfsgeistliche Herr Richter</em>
-usw. Fühlt man denn aber nicht, daß <em class="gesperrt">der Reichskanzler</em>, <em class="gesperrt">der
-Bürgermeister</em> und <em class="gesperrt">der Direktor</em> viel vornehmere Leute sind
-als der <em class="gesperrt">Herr Reichskanzler</em>, der <em class="gesperrt">Herr Bürgermeister</em> und
-der <em class="gesperrt">Herr Direktor</em>? Wie vornehm klangen die Theaterzettel der
-Meininger, wie lächerlich klingt eine Liste der Prediger des nächsten
-Sonntags, wenn sie alle vom Superintendenten bis herab zum letzten
-Kandidaten als <em class="gesperrt">Herren</em> aufgeführt sind! Das allerlächerlichste
-sind wohl die <em class="gesperrt">Herren Mitglieder</em>. Wie heißt denn davon die
-Einzahl? <em class="gesperrt">der</em> Herr Mitglied? oder <em class="gesperrt">das</em> Herr Mitglied?</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_11" href="#FNAnker_11" class="label">[11]</a> Obwohl sich schon im fünfzehnten Jahrhundert in Urkunden
-findet: das Haus, das <em class="gesperrt">Peter von Dubins</em> (Peters von Düben) oder
-das <em class="gesperrt">Nickel von Pirnes</em> (Nickels von Pirne) gewest, als das Gefühl
-für den Ortsnamen noch viel lebendiger war als bei unsern heutigen
-Adelsnamen.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_12" href="#FNAnker_12" class="label">[12]</a> In München und in Wien <em class="gesperrt">fahrt</em> man in <em class="gesperrt">Wägen</em>!
-Die <em class="gesperrt">Nägel</em>, die <em class="gesperrt">Gärten</em> u.&#160;a. sind freilich schon längst
-durchgedrungen, während es im sechzehnten Jahrhundert noch hieß: <em class="gesperrt">die
-Nagel</em>, <em class="gesperrt">die Garten</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_13" href="#FNAnker_13" class="label">[13]</a> Ausgenommen sind nur <em class="gesperrt">Mutter</em> und <em class="gesperrt">Tochter</em>,
-die zur starken, und <em class="gesperrt">Bauer</em>, <em class="gesperrt">Vetter</em> und <em class="gesperrt">Gevatter</em>, die
-zur gemischten Deklination gehören. In der Sprache der Technik aber, wo
-<em class="gesperrt">Mutter</em> mehrfach im übertragnen Sinne gebraucht wird, bildet man
-unbedenklich die <em class="gesperrt">Muttern</em> (die <em class="gesperrt">Schraubenmuttern</em>).</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_14" href="#FNAnker_14" class="label">[14]</a> Vereinzelt ist auch in Fachkreisen die alte Form lebendig
-geblieben. Der Leipziger Zimmermann sagt noch heute: <em class="gesperrt">die Bret</em>,
-<em class="gesperrt">die Fach</em>, nicht <em class="gesperrt">die Bretter</em>, <em class="gesperrt">die Fächer</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_15" href="#FNAnker_15" class="label">[15]</a> Als die <em class="gesperrt">Schlösser</em> aufkamen, müssen Menschen von
-feinerem Sprachgefühl etwa dasselbe gefühlt haben, was man heute fühlen
-würde, wenn jemand von <em class="gesperrt">Rössern</em> reden wollte.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_16" href="#FNAnker_16" class="label">[16]</a> Faß e mal das Ding an den Dingern hier an, daß die Dinger
-drinne nich gedrückt werden. D.&#160;h. fasse den Korb an den Henkeln hier
-an, daß die Hüte drin nicht gedrückt werden.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_17" href="#FNAnker_17" class="label">[17]</a> Auch bei <em class="gesperrt">Lohn</em> sind seit alter Zeit beide
-Geschlechter üblich: aber auch hier hat das Neutrum jetzt einen
-niedrigen Beigeschmack. Dienstmädchen verlangen <em class="gesperrt">hohes Lohn</em>,
-Gesellen <em class="gesperrt">höheres Macherlohn</em> oder <em class="gesperrt">Arbeitslohn</em>; aber jede
-gute Tat hat <em class="gesperrt">ihren</em> schönsten <em class="gesperrt">Lohn</em> in sich selbst.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_18" href="#FNAnker_18" class="label">[18]</a> Wenn ein Hauptwort in seinem Geschlecht schwankt, so hat
-das Neutrum nicht selten etwas gemeines. Es hängt das damit zusammen,
-daß nicht bloß der ungebildete Fremde, der des Deutschen nicht mächtig
-ist, alle deutschen Hauptwörter im Zweifelfalle sächlich behandelt
-(<em class="gesperrt">das Bruder</em>, <em class="gesperrt">das Offizier</em>, <em class="gesperrt">das Kutscher</em>), sondern
-auch der ungebildete Deutsche ebenso mit Fremdwörtern verfährt. Man
-denke nur an die unausstehlichen Neutra unsrer Handlungsreisenden,
-Ladendiener, und Ladenmädchen: <em class="gesperrt">das Firma</em>, <em class="gesperrt">das Fasson</em>,
-<em class="gesperrt">das Etikett</em>, <em class="gesperrt">das Offert</em>, <em class="gesperrt">das Makulatur</em>! Das
-neueste ist <em class="gesperrt">das Meter</em>, das die Handlungsdiener und Ladenmädchen
-doch wahrhaftig nicht dem griechischen μέτρον zuliebe plötzlich als
-Neutrum behandeln!</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_19" href="#FNAnker_19" class="label">[19]</a> Vielleicht ist es dort über die Niederlande aus dem
-Französischen eingedrungen; dann würde es schließlich auch auf die
-romanische Quelle zurückgehen.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_20" href="#FNAnker_20" class="label">[20]</a> Von Wörtern weiblichen Geschlechts wird immer der Plural
-gebildet: <em class="gesperrt">zwei Mandeln</em> Eier, <em class="gesperrt">drei Ellen</em> Band, <em class="gesperrt">sechs
-Flaschen</em> Wein, <em class="gesperrt">zehn Klaftern</em> Holz, <em class="gesperrt">vier Wochen</em> alt.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_21" href="#FNAnker_21" class="label">[21]</a> Wenn aber ein Antiquar in einem Katalog von einem
-wertvollen alten Druck sagt: <em class="gesperrt">Sechs Blatt</em> sind stockfleckig, so
-ist das natürlich falsch.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_22" href="#FNAnker_22" class="label">[22]</a> Genau genommen wird freilich auch nicht <em class="gesperrt">vereiteln</em>,
-<em class="gesperrt">verändern</em> gesprochen, sondern <em class="gesperrt">vereitln, verändrn</em>, l
-und r werden gleichsam vokalisiert. Aber gemeint ist doch mit dieser
-Aussprache <em class="gesperrt">eln</em>, <em class="gesperrt">ern</em>, nicht <em class="gesperrt">len</em>, <em class="gesperrt">ren</em>.
-Eigentlich gehören auch noch die Wortstämme auf <em class="gesperrt">en</em> hierher, wie
-<em class="gesperrt">rechen</em>, <em class="gesperrt">zeichen</em>, <em class="gesperrt">orden</em>, <em class="gesperrt">offen</em>, <em class="gesperrt">eben</em>,
-<em class="gesperrt">eigen</em>, <em class="gesperrt">regen</em> (vgl. <em class="gesperrt">Rechenschaft</em>, <em class="gesperrt">Eigentum</em>,
-<em class="gesperrt">Offenbarung</em>). Die Infinitive können da natürlich nur
-<em class="gesperrt">rechnen</em>, <em class="gesperrt">ordnen</em>, <em class="gesperrt">eignen</em> lauten; die flektierten
-Formen aber, die wir jetzt leider allgemein <em class="gesperrt">zeichnet</em>,
-<em class="gesperrt">zeichnete</em>, <em class="gesperrt">öffnete</em>, <em class="gesperrt">gerechnet</em>, <em class="gesperrt">geordnet</em>,
-<em class="gesperrt">geeignet</em> schreiben, lauteten im sechzehnten und siebzehnten
-Jahrhundert noch überall schöner: <em class="gesperrt">zeichent</em>, <em class="gesperrt">gerechent</em>,
-<em class="gesperrt">geordent</em>, <em class="gesperrt">geeigent</em>. Der Volksmund spricht auch heute noch
-so, selbst der Gebildete sagt – er mag sich nur richtig beobachten
-–: <em class="gesperrt">es regent</em>, es <em class="gesperrt">regente</em>, es hat <em class="gesperrt">geregent</em> (genau
-genommen freilich auch hier wieder <em class="gesperrt">regnt</em>, <em class="gesperrt">geregnt</em>, mit
-vokalisiertem n). Nur wer sich ziert, wer „wie gedruckt“ redet, sagt:
-<em class="gesperrt">ausgezeichnet</em>! <em class="gesperrt">Net</em>, womöglich <em class="gesperrt">nett</em>! Man muß
-ja förmlich eine Pause machen und Kraft sammeln, um das <em class="gesperrt">net</em>
-herauszubringen! Unsre besten und hervorragendsten Zeitschriften
-brauchten nur einmal die vernünftigen Formen <em class="gesperrt">zeichent</em>,
-<em class="gesperrt">öffent</em>, <em class="gesperrt">zeichente</em>, <em class="gesperrt">öffente</em>, <em class="gesperrt">gezeichent</em>,
-<em class="gesperrt">geöffent</em> eine Reihe von Jahren beharrlich drucken zu lassen, so
-wären sie wieder durchgedrückt. In <em class="gesperrt">atmen</em> (Stamm <em class="gesperrt">atem</em>)
-hat natürlich das Stamm-e ausgeworfen werden müssen, weil <em class="gesperrt">atemn</em>
-niemand sprechen kann; für <em class="gesperrt">atmet</em> hört man aber im Volksmunde
-auch oft genug <em class="gesperrt">atent</em>, wie denn auch schon in der ältern Sprache
-<em class="gesperrt">Aten</em> neben <em class="gesperrt">Atem</em> erscheint, (und wie auch <span class="antiqua">bodem</span>,
-<span class="antiqua">gadem</span>, <span class="antiqua">besem</span>, <span class="antiqua">busem</span> zu <em class="gesperrt">Boden</em>, <em class="gesperrt">Gaden</em>,
-<em class="gesperrt">Besen</em>, <em class="gesperrt">Busen</em> geworden sind).</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_23" href="#FNAnker_23" class="label">[23]</a> Auch wenn ein Schriftsteller die schönen, kräftig
-klingenden Formen geschrieben hat, werden ihm in den Druckereien stets
-die garstigen weichlichen Formen oder gar die Formen mit zwei e daraus
-gemacht, die gar niemand spricht (<em class="gesperrt">anderen</em>, <em class="gesperrt">unseren</em>). Die
-Schriftsteller sollten sich das nur ernstlich verbitten, dann würde dem
-Schlendrian schon ein Ende gemacht werden. Zu Schillers und Goethes
-Zeit waren in allen Druckereien noch die Formen mit vollem Wortstamm
-das selbstverständliche.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_24" href="#FNAnker_24" class="label">[24]</a> Früher hat man freilich auch so gesagt. Im siebzehnten
-Jahrhundert: nach <em class="gesperrt">gepflogner reifen</em> Beratschlagung; Lessing: aus
-<em class="gesperrt">eigner sorgfältigen</em> Lesung.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_25" href="#FNAnker_25" class="label">[25]</a> Das vernünftigste wäre natürlich, man setzte den Artikel
-und sagte: <em class="gesperrt">Verein der Berliner Künstler</em>. Es brauchten doch
-deshalb nicht alle dabei zu sein. Wer nicht mittun will, läßts bleiben.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_26" href="#FNAnker_26" class="label">[26]</a> Der Fehler ist, wie die ganze Phrase und wie so vieles
-andre heute in unsrer Sprache, eine Nachäfferei des Englischen. Im
-Englischen wird <span class="antiqua">on board</span> mit dem Akkusativ verbunden (<span class="antiqua">to go
-on board a ship</span> – <span class="antiqua">on board Her Majesty’s ship Albert</span>). Aber
-was geht das uns an?</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_27" href="#FNAnker_27" class="label">[27]</a> Beim Dichter läßt man sich gefallen: drum komme, wem
-der Mai gefällt, und freue sich der schönen Welt und <em class="gesperrt">Gottes
-Vatergüte</em> (statt <em class="gesperrt">der Vatergüte Gottes</em>).</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_28" href="#FNAnker_28" class="label">[28]</a> Völlig unsinnig ist natürlich: es gibt kein <em class="gesperrt">leicht
-verdaulicheres</em> Mehl als Rademanns Kindermehl.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_29" href="#FNAnker_29" class="label">[29]</a> Aus diesen Genitiven sind dann, indem man sie als
-Nominative auffaßte (<em class="gesperrt">mein</em> wie <em class="gesperrt">klein</em>) und nun aufs neue
-deklinierte, die besitzanzeigenden Eigenschaftswörter <em class="gesperrt">mein</em>,
-<em class="gesperrt">dein</em>, <em class="gesperrt">sein</em>, <em class="gesperrt">unser</em>, <em class="gesperrt">euer</em>, <em class="gesperrt">ihr</em>
-entstanden. Früher nahm man an, daß auch in den Anfangsworten des
-<em class="gesperrt">Vaterunsers</em> das <em class="gesperrt">unser</em> der nachgestellte Genitiv von
-<em class="gesperrt">wir</em> sei (nach dem griechischen πάτερ ἡμῶν). Wahrscheinlicher
-ist, daß es hier doch das besitzanzeigende Eigenschaftswort ist (nach
-dem lateinischen <span class="antiqua">Pater noster</span>), das in der ältern Sprache auch
-nachgestellt werden konnte (in der gotischen Bibelübersetzung: <span class="antiqua">atta
-unsar</span>).</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_30" href="#FNAnker_30" class="label">[30]</a> Genitiv und Dativ von <em class="gesperrt">Eure Majestät</em>, <em class="gesperrt">Eure
-Exzellenz</em> heißen natürlich <em class="gesperrt">Eurer Majestät</em>, <em class="gesperrt">Eurer
-Exzellenz</em>. Völliger Unsinn aber ist, was man darnach gebildet hat:
-<em class="gesperrt">Eurer Hochwohlgeboren</em>!</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_31" href="#FNAnker_31" class="label">[31]</a> Das Dativ-m hat Ungebildeten immer großen Respekt
-eingeflößt. Schrieb und druckte man doch sogar im achtzehnten
-Jahrhundert in Leipzig: der Gasthof <em class="gesperrt">zum drei Schwanen</em>, der Riß
-<em class="gesperrt">zum Schlachthöfen</em>. Man meinte natürlich <em class="gesperrt">zun</em> d.&#160;i. <em class="gesperrt">zu
-den</em>, getraute sich das aber nicht zu schreiben.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_32" href="#FNAnker_32" class="label">[32]</a> Leute, die altertümlich schreiben möchten, z.&#160;B.
-Verfasser historischer Romane oder Schauspiele, greifen gern zu
-<em class="gesperrt">zween</em> und <em class="gesperrt">zwo</em>, haben aber gewöhnlich keine Ahnung von dem
-Unterschied der Geschlechter und machen sich deshalb lächerlich.
-Darum wohl gemerkt: <em class="gesperrt">zween</em> war männlich, <em class="gesperrt">zwo</em> weiblich,
-<em class="gesperrt">zwei</em> sächlich.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_33" href="#FNAnker_33" class="label">[33]</a> Auch diese Ausdrücke stammen von Jakob Grimm.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_34" href="#FNAnker_34" class="label">[34]</a> Andre wollen es auf das Rädern, die Tätigkeit des
-Henkers, zurückführen.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_35" href="#FNAnker_35" class="label">[35]</a> Das Niederdeutsche hat auch <em class="gesperrt">jug</em> gebildet von
-<em class="gesperrt">jagen</em>. Doch wird ein Unterschied gemacht. Bismarcks Vater
-brauchte <em class="gesperrt">jagte</em> von der Jagd, <em class="gesperrt">jug</em> von schneller Bewegung,
-z.&#160;B. schnellem Fahren. In Hannover sagt der gemeine Mann: ehe der
-Polizist die Nummer merken konnte, <em class="gesperrt">jug</em> der Bengel um die Ecke.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_36" href="#FNAnker_36" class="label">[36]</a> Viel zu ihrer Verbreitung haben wohl Scheffel und Freytag
-beigetragen, die sie beide sehr lieben.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_37" href="#FNAnker_37" class="label">[37]</a> Die Grenzboten veröffentlichten 1882 ein hübsches Sonett
-aus Süddeutschland, das sich über das Vordringen der falschen Formen
-lustig machte. Es begann mit der Strophe:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Ich <em class="gesperrt">frug</em> mich manchmal in den letzten Tagen:</div>
- <div class="verse indent0">Woher stammt wohl die edle Form: er <em class="gesperrt">frug</em>?</div>
- <div class="verse indent0">Wer war der Kühne, der zuerst sie <em class="gesperrt">wug</em>?</div>
- <div class="verse indent0">So <em class="gesperrt">frug</em> ich mich, so hab ich mich <em class="gesperrt">gefragen</em>.</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Eine Anzahl von Zeitungen brachte dann elende Gegensonette, aus denen
-nichts weiter hervorging, als daß die Verfasser keine Ahnung von den
-Anfangsgründen der deutschen Grammatik hatten, und daß ihnen die
-falschen Formen schon so in Fleisch und Blut übergegangen waren, daß
-sie für das Richtige alles Gefühl verloren hatten.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_38" href="#FNAnker_38" class="label">[38]</a> Wenn freilich Kindern, die im Elternhause noch richtig
-<em class="gesperrt">fragt</em> und fragte gelernt haben, in der Schule das dumme
-<em class="gesperrt">frug</em> in die Arbeiten hinein„korrigiert“ wird, dann ist nichts zu
-hoffen.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_39" href="#FNAnker_39" class="label">[39]</a> Als eine Merkwürdigkeit mag erwähnt sein, daß die
-Leipziger Buchbinder sagen: das Buch wird bloß <em class="gesperrt">geheftet</em>, dagegen
-die Leipziger Schneider: der Ärmel ist erst <em class="gesperrt">gehoften</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_40" href="#FNAnker_40" class="label">[40]</a> Diese Unterscheidung sitzt im Sprachgefühl so fest, daß
-mir sogar ein vierjähriges Kind auf meine bedauernde Frage: Du bist
-wohl gefallen? seelenvergnügt erwiderte: Ich bin nich gefallen, ich
-<em class="gesperrt">hab gehuppt</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_41" href="#FNAnker_41" class="label">[41]</a> Bei <em class="gesperrt">brauchen</em> darf natürlich <em class="gesperrt">zu</em> beim
-Infinitiv nicht fehlen. Das hättest du ja nicht <em class="gesperrt">sagen brauchen</em>
-– ist Gassendeutsch.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_42" href="#FNAnker_42" class="label">[42]</a> Ebenso bei <em class="gesperrt">bleiben</em> und <em class="gesperrt">haben</em>: er
-ist <em class="gesperrt">sitzen geblieben</em> (eigentlich: <em class="gesperrt">sitzend</em>) – ich
-<em class="gesperrt">habe</em> tausend Mark auf dem Hause <em class="gesperrt">stehen</em> (eigentlich:
-<em class="gesperrt">stehend</em>) – hat keiner einen Bleistift <em class="gesperrt">einstecken</em>?
-(eigentlich: <em class="gesperrt">einsteckend</em>). In der ältern Zeit schrieb man
-sogar: ein Büchlein, das man in Kirchen <em class="gesperrt">gebrauchen ist</em> (statt
-<em class="gesperrt">gebrauchend</em>) – wir <em class="gesperrt">sind</em> euch dafür <em class="gesperrt">danken</em> (statt
-<em class="gesperrt">dankend</em>).</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_43" href="#FNAnker_43" class="label">[43]</a> <em class="gesperrt">Apotheker</em> und, was man im Volke auch hören kann,
-<em class="gesperrt">Bibliotheker</em> ist anders entstanden, es ist verstümmelt aus
-<span class="antiqua">apothecarius</span> und <span class="antiqua">biliothecarius</span>. <em class="gesperrt">Attentäter</em> wurde
-anfangs nur als schlechter Witz gebildet (es hätte auch <em class="gesperrt">Täter</em>
-genügt); aber törichte Zeitungschreiber haben es dann in vollem Ernst
-nachgebraucht.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_44" href="#FNAnker_44" class="label">[44]</a> <em class="gesperrt">Kreidezeichnung</em>, <em class="gesperrt">Höhepunkt</em> und
-<em class="gesperrt">Blütezeit</em> haben wir ja schon längst, und doch wurden auch sie
-anfangs richtig gebildet: <em class="gesperrt">Kreidenstrich</em>, <em class="gesperrt">Höhenpunkt</em>,
-<em class="gesperrt">Blütenzeit</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_45" href="#FNAnker_45" class="label">[45]</a> Ein Jammer ist es, auf Weinkarten und Weinflaschen jetzt
-<em class="gesperrt">Liebfraumilch</em> lesen zu müssen! Wahrscheinlich zur Entschädigung
-dafür schmuggelt man dann das <em class="gesperrt">en</em> in den <em class="gesperrt">Niersteiner</em>
-ein und nennt ihn – höchst verdächtig! – <em class="gesperrt">Nierensteiner</em>
-(Nierstein ist nach dem Kaiser Nero genannt). <em class="gesperrt">Visitekarte</em>,
-<em class="gesperrt">Manschetteknopf</em>, <em class="gesperrt">Toiletteseife</em> soll vielleicht
-<em class="gesperrt">Visittkarte</em>, <em class="gesperrt">Manschettknopf</em>, <em class="gesperrt">Toilettseife</em>
-gesprochen werden – gehört habe ichs noch nicht, man siehts ja immer
-nur gedruckt; aber wozu die französische Aussprache?</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_46" href="#FNAnker_46" class="label">[46]</a> Freilich finden sich auch solche Zusammenleimungen
-schon früh. Schon im fünfzehnten Jahrhundert kommt in Leipziger
-Urkunden die <em class="gesperrt">Parthenmühle</em> als <span class="antiqua">Pardemöl</span> vor. Im Harz
-spricht man allgemein und wohl schon lange vom <em class="gesperrt">Bodetal</em> und vom
-<em class="gesperrt">Ilsetal</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_47" href="#FNAnker_47" class="label">[47]</a> Ähnlich verhält sichs mit dem neuen Modewort
-<em class="gesperrt">Anhaltspunkt</em>. Früher sagte man: ich finde keinen
-<em class="gesperrt">Anhaltepunkt</em>, d.&#160;h. keinen Punkt, wo ich mich anhalten könnte
-(vgl. <em class="gesperrt">Siedepunkt</em>, <em class="gesperrt">Gefrierpunkt</em>). Daneben hatte man
-in demselben Sinne das Substantiv <em class="gesperrt">Anhalt</em>; man sagte: dafür
-fehlt es mir an jedem <em class="gesperrt">Anhalt</em>. Aus beiden aber nun einen
-<em class="gesperrt">Anhaltspunkt</em> zu bilden, war doch wirklich überflüssig.
-Wahrscheinlich hat man geglaubt, damit einen feinen Unterschied zu
-schaffen zu den <em class="gesperrt">Anhaltepunkten</em> auf den Eisenbahnen. Als ob
-<em class="gesperrt">Anhaltepunkt</em> nicht ebensogut die Stelle bedeuten könnte, wo man
-<em class="gesperrt">sich anhält</em>, wie die, wo man <em class="gesperrt">anhält</em>!</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_48" href="#FNAnker_48" class="label">[48]</a> In Leipzig hält man sich ein <em class="gesperrt">Kindermädchen</em>, auch
-wenn man nur ein Kind hat, in Wien eine <em class="gesperrt">Kinds</em>magd, auch wenn man
-<em class="gesperrt">sechs</em> Kinder hat.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_49" href="#FNAnker_49" class="label">[49]</a> Wofür man in Süddeutschland auch <em class="gesperrt">Wartsaal</em>,
-<em class="gesperrt">Singstunde</em> sagt, wie neben <em class="gesperrt">Bindemittel</em> auch
-<em class="gesperrt">Bindfaden</em> steht. <em class="gesperrt">Schreibpapier</em> und <em class="gesperrt">Schreibpult</em>
-spricht sich schwer aus, weil b und p zusammentreffen; man hört
-immer nur: <em class="gesperrt">Schreipapier</em>. Darum ist wohl <em class="gesperrt">Schreibepapier</em>
-vorzuziehen.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_50" href="#FNAnker_50" class="label">[50]</a> Jean Paul hat schon 1817 einmal den Versuch gemacht,
-diese s-Krätze, wie er es nannte, zu bekämpfen, merzte auch aus einer
-neuen Auflage seines Siebenkäs alle falschen s aus. Es ist aber
-vergeblich gewesen. Und ebenso vergeblich wird es sein, daß es jetzt
-der Herausgeber der in Berlin erscheinenden Wochenschrift Die Zukunft
-wieder versucht. Die Mitarbeiter sollten sich das einfach verbitten.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_51" href="#FNAnker_51" class="label">[51]</a> Das Bürgerliche Gesetzbuch kennt die greulichen
-Zusammensetzungen nicht.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_52" href="#FNAnker_52" class="label">[52]</a> Unter den Hunderten mit Liebe gebildeten
-Zusammensetzungen haben nur wenige das s nicht: <em class="gesperrt">liebreich</em>,
-<em class="gesperrt">liebevoll</em>, <em class="gesperrt">liebeglühend</em>, <em class="gesperrt">liebetrunken</em>,
-<em class="gesperrt">liebedienerisch</em>, <em class="gesperrt">Liebedienerei</em>, einige wohl deshalb, weil
-hier mehr ein dativisches Verhältnis gefühlt wird.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_53" href="#FNAnker_53" class="label">[53]</a> Wie man auch das Haus eines Mannes, der <em class="gesperrt">Plank</em>
-hieß, das <em class="gesperrt">Plänkische Haus</em> nannte, die Mühle in dem Dorfe
-<em class="gesperrt">Wahren</em> die <em class="gesperrt">Währische Mühle</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_54" href="#FNAnker_54" class="label">[54]</a> Daneben freilich auch schon vom <em class="gesperrt">Manesse-Kodex</em>!
-Es wird immer besser. Vielleicht wird nächstens auch noch der
-<em class="gesperrt">Farnesische Herkules</em> in einen <em class="gesperrt">Farnese’schen</em> verwandelt,
-und der <em class="gesperrt">Borghesische</em> Fechter in einen <em class="gesperrt">Borghese’schen</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_55" href="#FNAnker_55" class="label">[55]</a> Auch die guten Pfefferkuchen, die <em class="gesperrt">Aachner Printen</em>,
-sollen früher in Aachen selbst <em class="gesperrt">Aacher Printen</em> geheißen haben. In
-vielen ursprünglich undeutschen (lateinischen, slawischen) Ortsnamen
-gehört das n zum Stamm; die bilden dann natürlich richtig Bozner,
-Dresdner, Meißner, Posner usw. Aber die guten <em class="gesperrt">Gießer</em> hätten
-sich keine <em class="gesperrt">Gießener Neuesten Nachrichten</em> aufnötigen zu lassen
-brauchen.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_56" href="#FNAnker_56" class="label">[56]</a> Woraus die Kunsthistoriker „Hans Baldung, genannt Grien“,
-gemacht haben.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_57" href="#FNAnker_57" class="label">[57]</a> Freilich sind Formen wie <em class="gesperrt">Jenaer</em> und
-<em class="gesperrt">Geraer</em> auch nicht besonders schön, so wenig wie die in
-Sachsen in der Schriftsprache beliebten Adjektivbildungen auf
-<em class="gesperrt">aisch</em>: <em class="gesperrt">Grimmaisch</em>, <em class="gesperrt">Tauchaisch</em>, <em class="gesperrt">Bornaisch</em>,
-<em class="gesperrt">Pirnaisch</em>. In diesen Bildungen ist eine deutsche Endung an eine
-ganz unvolkstümliche, künstlich gemachte lateinische Endung gehängt.
-Der Volksmund kennt noch heutigestags nur die Städte <em class="gesperrt">Grimme</em>,
-<em class="gesperrt">Tauche</em>, <em class="gesperrt">Borne</em>, <em class="gesperrt">Pirne</em> und so auch nur die
-Adjektivbildungen <em class="gesperrt">Grimmisch</em>, <em class="gesperrt">Tauchisch</em>, <em class="gesperrt">Bornisch</em>,
-<em class="gesperrt">Pirnisch</em>, und es wäre zu wünschen, daß sich die amtliche
-Schreibung dem wieder anschlösse. So gut wie sich zu irgendeiner
-Zeit das Falsche amtlich hat einführen lassen, ließe sich doch auch
-das Richtige amtlich wieder einführen. Man pflegt jetzt eifrig die
-„Volkskunde“, sucht überall die Reste volkstümlicher alter Sitten und
-Gebräuche zu retten und zu erhalten. Gehört dazu nicht vor allem die
-Sprache des Volks?</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_58" href="#FNAnker_58" class="label">[58]</a> Der Unsinn geht so weit, daß man sogar feststehende
-formelhafte Verbindungen, wie: eine <em class="gesperrt">offne Frage</em>, ein
-<em class="gesperrt">zweifelhaftes Lob</em>, ein <em class="gesperrt">frommer Wunsch</em>, <em class="gesperrt">blinder
-Lärm</em>, auseinanderreißt, das Prädikat zum Subjekt macht und
-schreibt: <em class="gesperrt">die Frage</em>, ob das Werk fortgesetzt werden sollte,
-war lange Zeit <em class="gesperrt">eine offne</em> – <em class="gesperrt">dieses Lob</em> ist doch <em class="gesperrt">ein
-sehr zweifelhaftes</em> – <em class="gesperrt">dieser Wunsch</em> wird wohl ewig <em class="gesperrt">ein
-frommer</em> (!) bleiben – <em class="gesperrt">der Lärm</em> war zum Glück nur <em class="gesperrt">ein
-blinder</em> (!).</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_59" href="#FNAnker_59" class="label">[59]</a> Vgl. ein <em class="gesperrt">Schock frische</em> Eier – ein <em class="gesperrt">Dutzend
-neue</em> Hemden – eine <em class="gesperrt">Flasche guter</em> Wein – mit <em class="gesperrt">ein
-paar guten</em> Freunden – mit ein <em class="gesperrt">bißchen fremdländischem</em>
-Sprachflitter.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_60" href="#FNAnker_60" class="label">[60]</a> Den Inhalt eines Dramas kurz anzugeben, gehört zu
-den beliebtesten Aufgaben für deutsche Aufsätze in den oberen
-Gymnasialklassen. Es ist auch wirklich eine Aufgabe, bei der viel
-gelernt werden kann. Wie viel ärgerliche Korrektur aber könnte sich
-der Lehrer ersparen, wenn er bei der Vorbesprechung immer auch diese
-Tempusfrage mit den Jungen gründlich erörterte!</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_61" href="#FNAnker_61" class="label">[61]</a> Nur in Süddeutschland und Österreich wird <em class="gesperrt">welcher</em>
-auch gesprochen, aber immer nur von Leuten, die sich „gebildet“
-ausdrücken möchten. In deren falschem, halbgebildetem Hochdeutsch –
-da grassiert es. In Wien und München, dort sagen es nicht bloß die
-Professoren in Gesellschaft, sondern auch schon die Droschkenkutscher,
-wenn sie zusammengekommen sind, um zu einem neuen Tarif „Stellung zu
-nehmen“. Ja sogar der norddeutsche Professor spricht, wenn er nach Wien
-berufen worden ist, nach einigen Jahren „bloß mehr“ <em class="gesperrt">welcher</em>. In
-Mittel- und Norddeutschland aber spricht es niemand.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_62" href="#FNAnker_62" class="label">[62]</a> Um <em class="gesperrt">welcher</em> zu verteidigen, hat man neuerdings
-ausgezählt, wie oft es unsre klassischen Schriftsteller schreiben,
-und hat gefunden, daß sie es – sehr oft schreiben. Aber was wird
-damit bewiesen? Doch weiter nichts, als daß auch unsre klassischen
-Schriftsteller von Kindesbeinen an im Banne der Papiersprache gestanden
-haben. Das braucht aber nicht erst bewiesen zu werden, das wissen wir
-längst.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_63" href="#FNAnker_63" class="label">[63]</a> Wenn man nicht <em class="gesperrt">der der</em> oder <em class="gesperrt">die die</em>
-schreiben dürfte, dann dürfte man auch nicht schreiben: <em class="gesperrt">an
-an</em>drer Stelle, <em class="gesperrt">ein ein</em>zigesmal, <em class="gesperrt">bei bei</em>den
-Gelegenheiten, <em class="gesperrt">mit mit</em>leidiger Miene. Sehr oft entsteht
-übrigens die so gefürchtete Doppelung nur durch falsche Wortstellung:
-ein persönliches oder reflexives Fürwort, das zwischen die beiden
-<em class="gesperrt">der</em> oder <em class="gesperrt">die</em> oder <em class="gesperrt">das</em> gehört, wird verschoben und
-erst beim Verbum nachgebracht: <em class="gesperrt">alle</em> Änderungen, <em class="gesperrt">die die</em>
-Schule <em class="gesperrt">sich</em> hat gefallen lassen – die Grundsätze, an <em class="gesperrt">die
-die</em> Revision <em class="gesperrt">sich</em> gebunden hat – die Aufgaben, <em class="gesperrt">die
-die</em> wirtschaftlichen Bedürfnisse der Zeit <em class="gesperrt">uns</em> stellen. Man
-bringe das persönliche Fürwort an die richtige Stelle, und das Gespenst
-ist verschwunden: alle Änderungen, <em class="gesperrt">die sich die</em> Schule hat
-gefallen lassen.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_64" href="#FNAnker_64" class="label">[64]</a> Hier ist eine Apposition, die vor dem Relativpronomen
-stehen müßte, in den Relativsatz versetzt. Das ist vollends undeutsch,
-es ist ganz dem Lateinischen nachgeahmt.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_65" href="#FNAnker_65" class="label">[65]</a> Nicht zu verwechseln hiermit ist natürlich ein Fall
-wie folgender: <em class="gesperrt">eine</em> der größten <em class="gesperrt">Schwierigkeiten</em> für
-das Verständnis unsrer Vorzeit, <em class="gesperrt">die</em> meist gar nicht gewürdigt
-<em class="gesperrt">wird</em>. Hier muß es <em class="gesperrt">wird</em> heißen, denn hier bezieht sich
-der Relativsatz wirklich auf <em class="gesperrt">eine</em>; der Sinn ist: und zwar
-<em class="gesperrt">eine</em>, <em class="gesperrt">die</em> meist gar nicht gewürdigt wird.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_66" href="#FNAnker_66" class="label">[66]</a> <em class="gesperrt">Habe</em> wäre ja ein Eingeständnis, daß der Vorwurf
-berechtigt sei, denn es kann eben nur als Indikativ gefühlt werden.
-Manchen Süddeutschen will das nicht in den Kopf, weil sie (in Schwaben)
-den dialektischen Konjunktiv des Präsens haben: <em class="gesperrt">ich häbe</em>,
-<em class="gesperrt">wir häben</em>, <em class="gesperrt">sie häben</em> und daher den Konjunktiv <em class="gesperrt">ich
-habe</em>, <em class="gesperrt">wir haben</em>, <em class="gesperrt">sie haben</em>, wo sie ihn gedruckt
-sehen, unwillkürlich als <em class="gesperrt">häbe</em> verstehen und vielleicht auch so
-– aussprechen. Die mögen dann nichts davon wissen, <em class="gesperrt">habe</em> durch
-<em class="gesperrt">hätte</em> zu ersetzen, und behaupten, sie könnten <em class="gesperrt">hätte</em> nur
-als Konditional fühlen. Mag sein. Wir in Mittel- und Norddeutschland
-fühlen eben anders.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_67" href="#FNAnker_67" class="label">[67]</a> Im Konjunktiv Futuri von <em class="gesperrt">werden</em> zu <em class="gesperrt">würden</em>
-auszuweichen ist freilich nicht möglich, wenn der Hauptsatz im Präsens
-steht, weil dann <em class="gesperrt">würden</em> als Konditional gefühlt werden würde,
-z.&#160;B. ein geschlagnes Ministerium kann dem Herrscher raten, das
-Parlament aufzulösen, in der Hoffnung, daß die Wähler eine seinen
-Ansichten günstige Mehrheit von Abgeordneten entsenden <em class="gesperrt">werden</em>.
-In solchen Fällen kann man sich aber leicht dadurch helfen, daß man zum
-Singular greift: daß die Wählerschaft entsenden <em class="gesperrt">werde</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_68" href="#FNAnker_68" class="label">[68]</a> Der Volksmund liebt es, eine irreale Bedingung in der
-Vergangenheit durch den – Indikativ des Imperfekts auszudrücken: wenn
-ich Geld <em class="gesperrt">hatte</em>, <em class="gesperrt">kam</em> ich. Das klingt aber der Angabe einer
-wiederholten Handlung in der Wirklichkeit (<em class="gesperrt">jedesmal</em>, <em class="gesperrt">wenn</em>
-ich Geld <em class="gesperrt">hatte</em>, <em class="gesperrt">kam</em> ich) so ähnlich, daß man es in der
-guten Schriftsprache besser vermeidet.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_69" href="#FNAnker_69" class="label">[69]</a> Auch oft verkürzt, ohne Hauptsatz: daß ich <em class="gesperrt">nicht
-wüßte</em> – <em class="gesperrt">nicht</em> daß es dem Vater an trefflichen Eigenschaften
-<em class="gesperrt">gefehlt hätte</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_70" href="#FNAnker_70" class="label">[70]</a> In einem der schönsten Brahmsschen Lieder,
-Feldeinsamkeit, das H. Allmers gedichtet hat, heißt es: die schönen,
-weißen Wolken ziehn dahin – durchs tiefe Blau wie schöne stille
-Träume; – mir ist, <em class="gesperrt">als ob</em> ich längst gestorben <em class="gesperrt">bin</em> (!)
-– und <em class="gesperrt">ziehe</em> (!) selig mit durch ewge Räume. Das bringt man
-doch beim Singen kaum über die Lippen. – Natürlich kann ein Vergleich
-auch als wirklich hingestellt werden, z.&#160;B. hörten wir ein Geräusch,
-<em class="gesperrt">wie wenn</em> in regelmäßigen Zwischenräumen ein großer Wassertropfen
-auf ein Brett <em class="gesperrt">fällt</em>, d.&#160;h. wie man es hört, <em class="gesperrt">wenn</em> ein
-Wassertropfen <em class="gesperrt">fällt</em> (Schiller im Taucher: <em class="gesperrt">wie wenn</em> Wasser
-mit Feuer <em class="gesperrt">sich mengt</em>). Hier ist selbstverständlich der Indikativ
-am Platze.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_71" href="#FNAnker_71" class="label">[71]</a> In der älteren Zeit ist auch der Zweck, die Absicht durch
-das bloße <em class="gesperrt">zu</em> ausgedrückt worden; die Ausdrucksweise mit <em class="gesperrt">um
-zu</em> ist die jüngere.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_72" href="#FNAnker_72" class="label">[72]</a> An ein Hauptwort kann ein Infinitivsatz mit <em class="gesperrt">um zu</em>
-niemals angeschlossen werden, selbst nicht an einen substantivierten
-Infinitiv. Wenn auf Konzertprogrammen steht: <em class="gesperrt">Das Belegen</em> der
-Plätze, <em class="gesperrt">um</em> solche Späterkommenden <em class="gesperrt">zu sichern</em>, ist streng
-untersagt – so ist das ein Schnitzer.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_73" href="#FNAnker_73" class="label">[73]</a> Außerdem die partizipähnlichen passiven Formen: <em class="gesperrt">zu
-hoffend</em>, <em class="gesperrt">zu fürchtend</em>, <em class="gesperrt">anzuerkennend</em>, die durch
-Anhängen eines unorganischen d aus dem Infinitiv mit <em class="gesperrt">zu</em>
-entstanden sind.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_74" href="#FNAnker_74" class="label">[74]</a> Nur in einzelnen Fällen kann das passive Partizip die
-Gegenwart bedeuten, z.&#160;B. das von mir <em class="gesperrt">bewohnte</em> Haus (d.&#160;i. das
-Haus, das von mir <em class="gesperrt">bewohnt wird</em>). Eine Anzeige also wie die
-folgende: die von dem verstorbenen Rentier Sch. <em class="gesperrt">bewohnte</em> Wohnung
-ist zu Ostern anderweit zu vermieten – kann einem geradezu gruselig
-machen; hier muß es heißen: die <em class="gesperrt">bewohnt gewesene</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_75" href="#FNAnker_75" class="label">[75]</a> Zur Verzierung von Leipziger Wäschschränken wurde eine
-Zeit lang mit Vorliebe der Spruch gestickt:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0"><em class="gesperrt">Geblüht</em> im Sommerwinde,</div>
- <div class="verse indent0"><em class="gesperrt">Gebleicht</em> auf grüner Au,</div>
- <div class="verse indent0">Ruht still es nun im Spinde</div>
- <div class="verse indent0">Zum Stolz der deutschen Frau.</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p><em class="gesperrt">Gebleicht</em> ist richtig; aber daß das <em class="gesperrt">geblüht</em> den Stolz der
-deutschen Frau nicht verletzte, war zu verwundern.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_76" href="#FNAnker_76" class="label">[76]</a> In Bibliotheksbekanntmachungen liest man gelegentlich
-sogar von demnächst <em class="gesperrt">stattzufindenden</em> Revisionen, und in
-Kunstausstellungsprogrammen von einer aus sechs Mitgliedern <em class="gesperrt">zu
-bestehenden</em> Jury!</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_77" href="#FNAnker_77" class="label">[77]</a> Und auch in Mittel- und Norddeutschland spricht man von
-<em class="gesperrt">gestandnem Wasser</em> (im Gegensatz zu frischem).</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_78" href="#FNAnker_78" class="label">[78]</a> Vor einiger Zeit hatte ich an mehrere hundert Personen
-eine Zuschrift abzufassen, auf die ebenso viel hundert teils
-ablehnende, teils zustimmende Antworten eingingen. Ich beauftragte
-einen Schreiber mit der Durchsicht und Ordnung der eingelaufenen
-Antworten. Als er fertig war, legte er mir zwei Mappen vor, und
-auf der einen stand: <em class="gesperrt">abgelehnte Schreiben</em>, auf der andern:
-<em class="gesperrt">angenommene Schreiben</em>. Ich fragte ihn, was das heißen solle.
-Nun, das hier sagte er, sind die Schreiben, die angenommen haben, und
-das hier die, die abgelehnt haben.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_79" href="#FNAnker_79" class="label">[79]</a> Daher hat es ja seinen Namen. Partizipium kommt her
-von <span class="antiqua">particeps</span>, d.&#160;h. Anteil habend; es ist davon genannt, daß
-es zugleich am Verbum und am Nomen Anteil hat, zwischen beiden ein
-Mittelding ist. Darum hat man es ja auch in der Volksschulgrammatik
-durch Mittelwort übersetzt.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_80" href="#FNAnker_80" class="label">[80]</a> <em class="gesperrt">In Ermanglung</em> ist mir immer so vorgekommen, als ob
-sichs einer als schlechten Witz ausgedacht hätte, um den Aktenstil zu
-verhöhnen, um zu probieren, ob es ihm wohl einer nachmachen würde.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_81" href="#FNAnker_81" class="label">[81]</a> Übrigens fehlt es auch nicht an Beispielen, wo noch dazu
-das Hauptwort auf <em class="gesperrt">ung</em> von einem Zeitwort gebildet ist, das
-den Dativ regiert, also eigentlich gar keinen Objektsgenitiv zu sich
-nehmen kann, wie: der Zinsfuß wird herabgesetzt <em class="gesperrt">in Entsprechung</em>
-eines Gesuchs (vgl. <a href="#Seite_243">S. 243</a>). Eine Behörde schreibt: <em class="gesperrt">In Begegnung
-von</em> (!) an (!) andern Orten sich ereignet habenden (!) Vorgängen
-wird hierdurch bekanntgemacht; das soll heißen: <em class="gesperrt">um</em> Vorgängen
-<em class="gesperrt">zu begegnen</em> (vorzubeugen), wie sie sich an andern Orten ereignet
-haben.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_82" href="#FNAnker_82" class="label">[82]</a> In Leipzig empfiehlt man freilich auch <em class="gesperrt">echt
-Madeirahandarbeiten</em>, <em class="gesperrt">echt Gose</em> und <em class="gesperrt">echt Bütten</em>
-(nämlich <em class="gesperrt">-papier</em>)!</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_83" href="#FNAnker_83" class="label">[83]</a> Manche Leute sind in diese Formen auf <em class="gesperrt">er</em> so
-vernarrt, daß sie sie sogar von Wörtern bilden, die gar keine
-wirklichen Ortsnamen sind. So redeten die Leipziger Förster früher
-vom <em class="gesperrt">Rosentäler</em>, vom <em class="gesperrt">Kuhturmer</em> und vom <em class="gesperrt">Burgauer</em>
-Revier, statt vom <em class="gesperrt">Rosentalrevier</em>, <em class="gesperrt">Kuhturmrevier</em>,
-<em class="gesperrt">Burgauenrevier</em>. Ob sies auch heute noch tun, weiß ich nicht.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_84" href="#FNAnker_84" class="label">[84]</a> Über die Bedeutung mancher von unsern Straßennamen
-herrscht ohnehin in den Köpfen der Masse eine solche Unklarheit,
-daß man sie nicht noch durch fehlerhafte Schreibung zu steigern
-braucht. Unter den Straßen Leipzigs, die nach den Helden der
-Freiheitskriege genannt sind, ist auch eine <em class="gesperrt">Lützowstraße</em>, eine
-<em class="gesperrt">Schenkendorfstraße</em>, eine <em class="gesperrt">Gneisenaustraße</em>. Was machen die
-Kinder daraus, die kleinen wie die großen Kinder? Eine <em class="gesperrt">Lützower
-Straße</em>, eine <em class="gesperrt">Schenkendorfer Straße</em>, eine <em class="gesperrt">Gneisenauer
-Straße</em>! Wir haben ferner eine <em class="gesperrt">Senefelderstraße</em>. Auch die
-wird im Volksmunde als <em class="gesperrt">Senefelder Straße</em> verstanden. Freilich
-gibt es bei Leipzig kein Senefeld, kein Schenkendorf, kein Gneisenau,
-kein Lützow. Aber das Volk, namentlich das ewig zu- und abfließende
-niedrige Volk, weiß doch von der Umgebung Leipzigs ebensowenig etwas
-wie von dem Erfinder der Lithographie und den großen Männern der
-Freiheitskriege. Wurde doch auch die <em class="gesperrt">Fichtestraße</em>, als sie neu
-war, sofort als <em class="gesperrt">Fichtenstraße</em> verstanden, und ein unternehmender
-Schenkwirt eröffnete dort schleunigst ein „Restaurant zur Fichte“!</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_85" href="#FNAnker_85" class="label">[85]</a> Als vor einigen Jahren die Firma August Scherl den Verlag
-des Leipziger Adreßbuchs an sich gebracht hatte, beliebte es ihr,
-alle Leipziger Straßennamen über einen Kamm zu scheren und sie alle
-als zusammengesetzte Wörter drucken zu lassen: <em class="gesperrt">Dresdnerstraße</em>,
-<em class="gesperrt">Grimmaischestraße</em>, <em class="gesperrt">Hohestraße</em> usw., obwohl in allen
-amtlichen Veröffentlichungen und an allen Straßenecken zwischen
-zusammengesetzten und nicht zusammensetzbaren Namen streng geschieden
-wird, auch das frühere Adreßbuch dazwischen streng geschieden hatte.
-Zum Glück griff sofort die Behörde ein und zwang den Verleger, vom
-nächsten Jahrgang an die Namen wieder richtig zu drucken. Geschadet
-hat aber doch das böse Beispiel ungeheuer. Der Verlag der bekannten
-Leipziger Illustrierten Zeitung befindet sich noch heute auf <em class="gesperrt">der
-Reudnitzerstraße</em>!</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_86" href="#FNAnker_86" class="label">[86]</a> Freilich findet sich auch schon in Leipziger Urkunden des
-fünfzehnten Jahrhunderts: <span class="antiqua">uf der nuwestrasse</span> (auf der <em class="gesperrt">Neuen
-Straße</em>).</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_87" href="#FNAnker_87" class="label">[87]</a> Auf der einen Seite schreiben sie: <em class="gesperrt">Kaiser
-Park</em>, <em class="gesperrt">Hôtel Eingang</em>, hier werden <em class="gesperrt">Kinder</em> und
-<em class="gesperrt">Damenschuhe</em> gemacht, auf der andern Seite: <em class="gesperrt">Grüne-Waren</em>,
-<em class="gesperrt">Täglich-frei-Konzert</em> u.&#160;ähnl.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_88" href="#FNAnker_88" class="label">[88]</a> Nachdem die <em class="gesperrt">Sprachdummheiten</em> erschienen waren,
-redeten auch andre von <em class="gesperrt">Sprachsünden</em>, <em class="gesperrt">Sprachleben</em>,
-<em class="gesperrt">Sprachgefühl</em> usw. Wären die <em class="gesperrt">Sprachdummheiten</em>
-nicht vorangegangen, so kann man sicher sein, daß die andern
-von sprach<em class="gesperrt">lichen</em> Sünden, sprach<em class="gesperrt">lichem</em> Leben,
-sprach<em class="gesperrt">lichem</em> Gefühl geredet hätten.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_89" href="#FNAnker_89" class="label">[89]</a> Es handelt sich um Beobachtungen an dem noch ungebornen
-Kinde!</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_90" href="#FNAnker_90" class="label">[90]</a> Fühlt man denn gar nicht, daß bei der <em class="gesperrt">silbernen</em>
-und der <em class="gesperrt">goldnen Hochzeit</em> das <em class="gesperrt">silbern</em> und <em class="gesperrt">golden</em>
-nur ein schönes Gleichnis ist, wie beim <em class="gesperrt">silbernen</em> und <em class="gesperrt">goldnen
-Zeitalter</em>? und daß dieses Gleichnis durch <em class="gesperrt">Silber</em>hochzeit
-sofort zerstört und die Vorstellung in plumper Weise auf das
-Metall gelenkt wird, das dem Jubelpaar in Gestalt von Bechern,
-Tafelaufsätzen u.&#160;dgl. winkt? Oder wollen wir in Zukunft auch von
-der <em class="gesperrt">Goldhochzeit</em> und vom <em class="gesperrt">Goldzeitalter</em> reden? Wir
-reden von einem <em class="gesperrt">Bronzezeitalter</em>, aber in wie anderm Sinne!
-Daß schon Goethe einmal das Wort <em class="gesperrt">Silberhochzeit</em> gebraucht –
-in einem Brief an Schiller nennt er Gedichte Wielands „Schoßkinder
-seines Alters, Produkte einer Silberhochzeit“ –, auch Rückert einmal
-(in trochäischen Versen, wo <em class="gesperrt">silberne Hochzeit</em> gar nicht
-unterzubringen gewesen wäre), will gar nichts sagen.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_91" href="#FNAnker_91" class="label">[91]</a> Darum gehört auch die Behandlung dieses Fehlers nicht,
-wie manche wohl meinen könnten, in die Wortbildungslehre, sondern sie
-gehört in die Satzlehre. Der Fehler liegt nicht in der Bildung der
-Adjektiva – gebildet sind sie ja richtig –, sondern in ihrer falschen
-Anwendung.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_92" href="#FNAnker_92" class="label">[92]</a> Zu welcher Geschmacklosigkeit sich manche Leute
-verirren vor lauter Angst, mißverstanden zu werden, dafür noch ein
-Beispiel. Ein Zeichenlehrer wollte einen Unterrichtskursus für Damen
-ankündigen. Aber das Wort <em class="gesperrt">Damen</em> wollte er als Fremdwort
-nicht gebrauchen, <em class="gesperrt">Frauen</em> auch nicht, denn dann wären am Ende
-die Mädchen ausgeblieben, auf die ers besonders abgesehen hatte,
-<em class="gesperrt">Frauen und Mädchen</em> aber auch nicht, denn dann wären vielleicht
-Schulmädchen mitgekommen, die er nicht haben wollte. Was kündigte
-er also an? Zeichenunterricht für <em class="gesperrt">erwachsene Personen weiblichen
-Geschlechts</em>!</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_93" href="#FNAnker_93" class="label">[93]</a> Auch sie hat es übrigens nicht immer gegeben. Noch im
-siebzehnten Jahrhundert erteilte, wer mit seinem <em class="gesperrt">halben Bruder</em>
-im Streite lag, einem Anwalt <em class="gesperrt">volle Macht</em>, den Prozeß zu führen,
-noch 1820 wurde auf der Leipziger Messe von <em class="gesperrt">kurzen Waren</em>
-gesprochen.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_94" href="#FNAnker_94" class="label">[94]</a> Neuerdings hat man es durch <em class="gesperrt">Uraufführung</em> ersetzt,
-kein glücklicher Ersatz.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_95" href="#FNAnker_95" class="label">[95]</a> Daher Ortsnamen wie <em class="gesperrt">Karlsruhe</em>, <em class="gesperrt">Ludwigsburg</em>,
-<em class="gesperrt">Wilhelmshaven</em>, die ja nichts andres sind als <em class="gesperrt">Karls Ruhe</em>
-usw.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_96" href="#FNAnker_96" class="label">[96]</a> Das Haarsträubendste, was auf diesem Gebiete geleistet
-worden ist, sind wohl die Ausdrücke, die einem täglich in den Zeitungen
-entgegenschreien: <em class="gesperrt">Henckell Trocken</em>, <em class="gesperrt">Kupferberg Gold</em>
-u.&#160;ähnl. Als vernünftiger Mensch möchte man sich doch hierbei gern
-etwas denken und fragt: Was sind denn das für Waren: <em class="gesperrt">Trocken</em>
-und <em class="gesperrt">Gold</em>? Es sind gar keine Waren, die Bezeichnung der Ware
-fehlt hier ganz! Gemeint ist <em class="gesperrt">Henckellscher Schaumwein</em>,
-<em class="gesperrt">Kupferbergscher Schaumwein</em>. Aber keiner der beiden Fabrikanten
-sagt das, sondern der eine schreibt statt der Ware eine Eigenschaft der
-Ware hin (<span class="antiqua">sec</span>, <span class="antiqua">dry</span>), aber mit großem Anfangsbuchstaben,
-sodaß sie jeder denkende Mensch für die Bezeichnung der Ware selbst
-halten muß, der andre die Art der Ausstattung, denn <em class="gesperrt">Gold</em> soll
-sich doch wohl auf die Farbe der Kapsel beziehen? Die Sprache mancher
-afrikanischen Wilden ist gebildeter und fortgeschrittner als solches
-Fabrikantendeutsch.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_97" href="#FNAnker_97" class="label">[97]</a> Überhaupt kann man nicht, um eine nähere Bestimmung
-zu schaffen, mechanisch alles mit allem zusammensetzen; es kommt
-doch sehr auf Sinn und Bedeutung der beiden Glieder an. Bei
-<em class="gesperrt">Gesellschaft</em> und <em class="gesperrt">Verein</em> z.&#160;B. liegt der Gedanke an die
-Personen, die den Verein bilden, so nahe, daß es mindestens etwas
-kühn erscheint, eine Anzahl Geldleute eine <em class="gesperrt">Aktiengesellschaft</em>
-oder eine <em class="gesperrt">Immobiliengesellschaft</em>, eine Gesellschaft von
-Schlittschuhläufern einen <em class="gesperrt">Eisverein</em> und eine Vereinigung von
-Förstern einen <em class="gesperrt">Forstverein</em> zu nennen. Noch gewagter ist es,
-daß sich die deutschen Papierhändler zu einem <em class="gesperrt">Papierverein</em>
-zusammengetan haben. Mit demselben Recht und demselben guten Geschmack
-könnte sich schließlich auch eine Fleischergesellschaft einen
-<em class="gesperrt">Fleischverein</em> nennen.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_98" href="#FNAnker_98" class="label">[98]</a> <em class="gesperrt">Schokolade</em> und <em class="gesperrt">Tee</em> – deutsch geschrieben!
-Manche verbinden die beiden Wörter gar noch durch einen Bindestrich,
-wie <em class="gesperrt">Atelier-Strauß</em>, <em class="gesperrt">Tee-Meßmer</em>, was doch nur Männer
-bezeichnen kann (der Atelier-Strauß, der Tee-Meßmer). In Sachsen gibt
-es wirklich Geschäftsleute, die sich mit solchen Namen bezeichnen
-und sich dadurch selber lächerlich machen, wie: <em class="gesperrt">Butter-Bader</em>,
-<em class="gesperrt">Gold-Richter</em>, <em class="gesperrt">Fahrrad-Klarner</em>, <em class="gesperrt">Zigarren-Krause</em>,
-<em class="gesperrt">Schokoladen-Hering</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_99" href="#FNAnker_99" class="label">[99]</a> Man könnte ebensogut eine Abfahrthalle auf dem Bahnhof
-die <em class="gesperrt">Abfahrtei</em> nennen oder die Kopierstube im Amtsgericht die
-<em class="gesperrt">Abschriftei</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_100" href="#FNAnker_100" class="label">[100]</a> Unsre Schiffe werden bekanntlich, wenn sie einen Länder-
-oder Städtenamen tragen, als Weiber betrachtet: <em class="gesperrt">die</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_101" href="#FNAnker_101" class="label">[101]</a> Die englische in einzelnen Fällen, wie: <span class="antiqua">the now
-king</span>, <span class="antiqua">the then ministry</span>, <span class="antiqua">the above rule</span>, die aber
-nicht von allen englischen Grammatikern gebilligt werden.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_102" href="#FNAnker_102" class="label">[102]</a> Wenn geschrieben wird: das Bild zeigt den Kaiser <em class="gesperrt">in
-fast Lebensgröße</em>, so liegt wohl nur eine verkehrte Wortstellung vor
-(<em class="gesperrt">in fast</em> statt <em class="gesperrt">fast in</em>).</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_103" href="#FNAnker_103" class="label">[103]</a> Im Stephansdom in Wien ist etwas bei <em class="gesperrt">sogleicher
-Wegweisung</em> verboten.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_104" href="#FNAnker_104" class="label">[104]</a> Heinrich von Treitschke, ein Meister in der Kunst,
-deutsch zu schreiben, haßte sie aus tiefster Seele.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_105" href="#FNAnker_105" class="label">[105]</a> Nicht besser, eher schlimmer wird die Sache, wenn man
-die Apposition voranstellt: <em class="gesperrt">von Privatdozent</em> <span class="antiqua">Dr.</span> Albert
-Schmidt, <em class="gesperrt">von ordentl. Professor</em> E. Max, was doch unzweifelhaft
-<em class="gesperrt">von ordentlicher</em> (!) Professor gelesen werden soll.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_106" href="#FNAnker_106" class="label">[106]</a> In Leipzig fängt man jetzt gar an, zwischen Vornamen
-und Familiennamen einen Bindestrich zu setzen: <em class="gesperrt">Horst-Schulze</em>,
-<em class="gesperrt">Hermann-Könnecke</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_107" href="#FNAnker_107" class="label">[107]</a> Der Deutsche sagt dafür <em class="gesperrt">Renommage</em>, ein Wort, das
-es im Französischen gar nicht gibt!</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_108" href="#FNAnker_108" class="label">[108]</a> O. Schroeder, Vom papiernen Stil. 7. Aufl. Leipzig,
-1908.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_109" href="#FNAnker_109" class="label">[109]</a> Beim Übersetzen aus dem Lateinischen z.&#160;B. sollte streng
-darauf gehalten werden, daß kein <span class="antiqua">ejus</span> und <span class="antiqua">eorum</span> mit
-<em class="gesperrt">desselben</em> und <em class="gesperrt">derselben</em> übersetzt werde.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_110" href="#FNAnker_110" class="label">[110]</a> Es ist auch nicht nötig; spricht und betont doch jeder
-richtig <em class="gesperrt">der</em>artig, <em class="gesperrt">der</em>maßen, <em class="gesperrt">der</em>gestalt usw.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_111" href="#FNAnker_111" class="label">[111]</a> Bei einer Leichenfeier in der Universitätskirche in
-Leipzig sagte der Prediger, ein bedeutender Kanzelredner, in der
-gehobensten und feierlichsten Sprache: selbst <em class="gesperrt">die, die die</em>
-wissenschaftliche Bedeutung des Mannes nicht zu beurteilen wußten usw.
-Ich bin fest überzeugt, daß außer mir kein Mensch die drei <em class="gesperrt">die</em>
-gehört hat, obwohl Hunderte von Menschen in der Kirche saßen. Mir waren
-sie ein Labsal, weil sie Natur sind. Ob sie auch gedruckt worden sind,
-weiß ich nicht.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_112" href="#FNAnker_112" class="label">[112]</a> In der Dichtersprache wird auch <em class="gesperrt">rufen</em> noch wie
-im alten Deutsch bisweilen mit dem Dativ verbunden (Goethe im Faust:
-Wer ruft <em class="gesperrt">mir</em>? Gellert: <em class="gesperrt">Er ruft der Sonn’</em>, er schafft den
-Mond). Auch hier ist aber dann ein Bedeutungsunterschied; <em class="gesperrt">rufen</em>
-steht hier im Sinne von <em class="gesperrt">zurufen</em>, <em class="gesperrt">gebieten</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_113" href="#FNAnker_113" class="label">[113]</a> In der ältern Sprache hatte auch <em class="gesperrt">berichten</em> den
-Akkusativ der Person mit nachfolgendem Objektsatz bei sich, z.&#160;B. ob
-sie gleich den <em class="gesperrt">Kurfürsten</em> mit Lügen <em class="gesperrt">berichteten</em>, die
-hohe Schule zu Wittenberg wäre die studentenreichste. Heute ist das
-einzige sinnverwandte Zeitwort, das mit einem Akkusativ der Person und
-einem Objektsatze verbunden werden kann, das verhältnismäßig junge
-<em class="gesperrt">benachrichtigen</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_114" href="#FNAnker_114" class="label">[114]</a> Nur mit den Bildungen auf <em class="gesperrt">bar</em> nimmt man es nicht
-so genau, wie <em class="gesperrt">unentrinnbar</em> zeigt.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_115" href="#FNAnker_115" class="label">[115]</a> Eine ähnlich merkwürdige Bildung wie <em class="gesperrt">voller</em>
-ist <em class="gesperrt">Maler</em>, <em class="gesperrt">Stücker</em>, <em class="gesperrt">Tager</em>, <em class="gesperrt">Jahrer</em> in
-Verbindungen wie: <em class="gesperrt">ein Maler drei</em>, <em class="gesperrt">ein Stücker drei</em>,
-<em class="gesperrt">ein Jahrer fünf</em>, <em class="gesperrt">ein Tager sechs</em> u.&#160;ähnl. Hier ist das
-<em class="gesperrt">er</em> der Rest eines rasch und nachlässig gesprochnen <em class="gesperrt">oder</em>:
-<em class="gesperrt">ein Stück oder drei</em>. Diese Verbindungen würden sich aber doch in
-der guten Schriftsprache recht seltsam ausnehmen, sie gehören nur noch
-der Umgangssprache an.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_116" href="#FNAnker_116" class="label">[116]</a> Nur in Verbindungen wie: ein Kaffee <em class="gesperrt">erster Sorte</em>,
-ein Künstler <em class="gesperrt">zweiten Ranges</em>, ein Wagen <em class="gesperrt">dritter Klasse</em>,
-ein Stern <em class="gesperrt">vierter Größe</em> bleibt der bestimmte Artikel vor den
-Ordinalzahlen weg.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_117" href="#FNAnker_117" class="label">[117]</a> Hierher gehört auch der beliebte Fehler: <em class="gesperrt">aus</em>
-aller Herrn <em class="gesperrt">Länder</em>, der dem Wohllaut zuliebe entstanden ist:
-das doppelte <em class="gesperrt">ern</em> schien unerträglich. Aber noch unerträglicher
-ist doch der Akkusativ hinter <em class="gesperrt">aus</em>, man schreibe nur, wie sichs
-gehört: <em class="gesperrt">aus</em> aller Herr<em class="gesperrt">en</em> Länd<em class="gesperrt">ern</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_118" href="#FNAnker_118" class="label">[118]</a> Nur bei vielgebrauchten Redensarten, an deren
-eigentliche Bedeutung niemand mehr denkt, wie: <em class="gesperrt">im Stande</em>, <em class="gesperrt">im
-Begriff</em>, <em class="gesperrt">im Interesse</em>, <em class="gesperrt">im Sinne</em>, <em class="gesperrt">im Lichte</em>,
-<em class="gesperrt">im Spiegel</em>, <em class="gesperrt">zum Besten</em>, ist im Dativ die Verschmelzung
-vollständig durchgedrungen. Niemand sagt: die Heimat der Indogermanen
-<em class="gesperrt">in dem Lichte</em> der urgeschichtlichen Forschung – Napoleons Tod
-<em class="gesperrt">in dem Spiegel</em> zeitgenössischer Dichtung – wir sind <em class="gesperrt">in
-dem Begriff</em>, abzureisen – ich bin nicht <em class="gesperrt">in dem Stande</em>,
-einen Bissen zu essen. Dagegen läßt sich wohl unterscheiden: das
-Haus ist wieder <em class="gesperrt">in Stand</em> gesetzt worden, und: der Verfasser
-will uns <em class="gesperrt">in den Stand</em> setzen, selbst an der Forschung
-<em class="gesperrt">teilzunehmen</em>. Bei dem bloßen <em class="gesperrt">in Stand</em> (d.&#160;h. in’n Stand)
-ist der Artikel verschlungen (vgl. <em class="gesperrt">in Händen</em> haben, <em class="gesperrt">in
-Kauf</em> nehmen).</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_119" href="#FNAnker_119" class="label">[119]</a> An den Leipziger Pferdebahnwagen war am Hintertritt
-folgender Satz mit Gänsefüßchen (!) angeschrieben: „Dieser Platz des
-Hinterperrons bleibt frei.“ Offenbar war der Satz ein Zitat. Aber
-woher? Büchmann gibt keine Auskunft.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_120" href="#FNAnker_120" class="label">[120]</a> Ein gemeiner Provinzialismus (aus Berlin?), der aber
-neuerdings rasch Fortschritte macht, ist der Gebrauch von <em class="gesperrt">hoch</em>
-für <em class="gesperrt">oben</em> und zugleich für <em class="gesperrt">hinauf</em>, <em class="gesperrt">herauf</em>,
-<em class="gesperrt">empor</em>, <em class="gesperrt">in die Höhe</em>, z.&#160;B. <em class="gesperrt">hoch kommen</em>, <em class="gesperrt">hoch
-gehen</em>, <em class="gesperrt">hoch holen</em> (eine Flasche aus dem Keller); wenn ich
-einmal <em class="gesperrt">hoch bin</em>, dann geh ich nicht gleich wieder runter;
-ein ebenso gemeiner (aus Wien?) der Gebrauch von <em class="gesperrt">oben</em> für
-<em class="gesperrt">hinauf</em>, z.&#160;B. <em class="gesperrt">oben gehen</em>. In anständigem Deutsch geht man
-weder <em class="gesperrt">hoch</em> noch <em class="gesperrt">oben</em>, sondern <em class="gesperrt">hinauf</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_121" href="#FNAnker_121" class="label">[121]</a> Dieser dumme Strich hat es mit sich gebracht, daß nun
-auch geschrieben wird: <em class="gesperrt">zwischen 1670 bis 1710</em>. Offenbar hatte
-einer geschrieben: <em class="gesperrt">zwischen</em> 1670–1710, ein andrer schrieb das
-ab und wollte ein Wort aus dem Striche machen. Hier hätte er aber den
-Strich als <em class="gesperrt">und</em> lesen sollen! Besser, man macht keine Striche,
-sondern schreibt Wörter.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_122" href="#FNAnker_122" class="label">[122]</a> Wenn Wolfgang Müller von der Wunderblume singt: Sie
-blüht nur <em class="gesperrt">einmal alle hundert Jahr</em>, so heißt das nur, daß sie im
-Verlaufe von hundert Jahren <em class="gesperrt">einmal</em> blühe. Soll aber ausgedrückt
-werden, daß sie in regelmäßigen Zwischenräumen von hundert Jahren
-blühe, so ist das <em class="gesperrt">einmal</em> ganz überflüssig; dann genügt es,
-sagen: sie blüht <em class="gesperrt">aller hundert Jahr</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_123" href="#FNAnker_123" class="label">[123]</a> Ich hatte einmal eine Zeit lang in regelmäßigen
-Zwischenräumen in der Zeitung bekanntzumachen, daß <em class="gesperrt">nächste Mittwoch
-Abend 8 Uhr</em> eine gewisse Versammlung abgehalten werde (ich gehöre
-nämlich zu den altmodischen Leuten, die <em class="gesperrt">Mittwoch</em> noch für
-ein Wort weiblichen Geschlechts halten). Regelmäßig hatte mir der
-Zeitungsetzer, der es natürlich besser wußte, <em class="gesperrt">nächste Mittwoch
-Abends</em> daraus gemacht, bis ich mirs endlich verbat.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_124" href="#FNAnker_124" class="label">[124]</a> Bei Handlungen, die noch bevorstehen, wird die erste
-Verbindung vorgezogen, bei Handlungen, die vorüber sind, die zweite.
-Wann wird er zurückkehren? (<em class="gesperrt">Den</em>) Donnerstag. Wann ist er
-zurückgekehrt? <em class="gesperrt">Am</em> Donnerstag.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_125" href="#FNAnker_125" class="label">[125]</a> Zu den nicht auszurottenden Scherzen der
-Geschäftssprache gehört das sogenannte „Undzeichen“ &amp;, das angeblich
-zur Abkürzung des Wörtchens <em class="gesperrt">und</em> gebraucht wird. Es ist aber gar
-kein Undzeichen, sondern es ist weiter nichts als das verschnörkelte
-lateinische Wörtchen <span class="antiqua">et</span>. Aber alle Geschäftsleute und
-Firmenschreiber sind glückselig, wenn sie schreiben können: <em class="gesperrt">Calw
-<span class="antiqua">et</span> Stuttgart</em>, <em class="gesperrt">Max <span class="antiqua">et</span> Johann Schneider</em>,
-<em class="gesperrt">Tricotagen <span class="antiqua">et</span> Strumpfwaren</em>, <em class="gesperrt">Conditorei <span class="antiqua">et</span>
-Café</em>, Schnitzel mit <em class="gesperrt">Schoten <span class="antiqua">et</span> Karotten</em>. Als ob nicht
-und eben so kurz wäre!</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_126" href="#FNAnker_126" class="label">[126]</a> Durch falsche Stellung oder Beziehung der Negation
-kann der Sinn eines Satzes vollständig verschoben werden. Es ist ein
-großer Unterschied, ob ich sage: <em class="gesperrt">Nicht alle</em> Bücher dieses
-Verzeichnisses sind eingebunden, oder: <em class="gesperrt">Alle</em> Bücher dieses
-Verzeichnisses sind <em class="gesperrt">nicht eingebunden</em>. Auf den Programmen der
-Leipziger Gewandhauskonzerte steht: Für die Aufführung sämtlicher
-Nummern dieses Programms wird keine Gewähr übernommen, d.&#160;h.: es ist
-möglich, daß das <em class="gesperrt">ganze</em> Programm <em class="gesperrt">nicht aufgeführt</em> wird –
-eine schöne Aussicht! Die Direktion will aber sagen: es ist möglich,
-daß <em class="gesperrt">nicht das ganze</em> Programm <em class="gesperrt">aufgeführt</em> wird. Das hätte
-sie auf ihre Weise so ausdrücken müssen: Dafür, daß sämtliche Nummern
-dieses Programms aufgeführt werden, wird keine Gewähr übernommen.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_127" href="#FNAnker_127" class="label">[127]</a> Freilich war <em class="gesperrt">kein</em> ursprünglich gar kein
-verneinendes, sondern ein unbestimmtes Fürwort (<em class="gesperrt">irgend ein</em>).
-Luther hat es sicherlich noch so gefühlt.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_128" href="#FNAnker_128" class="label">[128]</a> Es gibt jetzt Schriftsteller, die vor lauter Ziererei
-nicht mehr <em class="gesperrt">traurig</em> sagen, sondern <em class="gesperrt">unfroh</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_129" href="#FNAnker_129" class="label">[129]</a> In der Schiffersprache geht man <em class="gesperrt">in See</em>, <em class="gesperrt">an
-Land</em>, <em class="gesperrt">an Bord</em>, <em class="gesperrt">auf Deck</em>, und der Soldat zieht
-<em class="gesperrt">auf Wache</em>. Neuerdings ist es aber auch fein geworden, nicht
-mehr <em class="gesperrt">auf die Jagd</em> zu gehen, sondern <em class="gesperrt">auf Jagd</em> (oder
-vielmehr <em class="gesperrt">auf Jacht</em>, natürlich nachdem man vorher ein Stück
-„mitm <em class="gesperrt">Zuch</em> jefahren is“), und der junge Leutnant wird <em class="gesperrt">auf
-Festung</em> kommandiert oder geht <em class="gesperrt">auf Kriegsschule</em>. Schließlich
-geht man vielleicht auch noch <em class="gesperrt">auf Universität</em>, setzt sich <em class="gesperrt">auf
-Stuhl</em> und klettert <em class="gesperrt">auf Baum</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_130" href="#FNAnker_130" class="label">[130]</a> Falsch ist es natürlich auch, das Hauptwort solcher
-Redensarten in die Mehrzahl zu setzen: hierüber <em class="gesperrt">sind</em> neuerdings
-<em class="gesperrt">Klagen geführt</em> worden. Man führt nur <em class="gesperrt">Klage</em>, aber nicht
-<em class="gesperrt">Klagen</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_131" href="#FNAnker_131" class="label">[131]</a> Solche Zusammenziehungen stehen ungefähr auf derselben
-Stufe wie die bekannten scherzhaften Wortverbindungen: <em class="gesperrt">geo-
-und arithmetisch</em> – teils <em class="gesperrt">aus Frömmig-</em>, teils <em class="gesperrt">zum
-Zeitvertreib</em> – der heutige Tag wird mir ewig <em class="gesperrt">denk-</em> und
-<em class="gesperrt">gegenwärtig</em> bleiben.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_132" href="#FNAnker_132" class="label">[132]</a> Vollends arg sind Zusammenziehungen wie: <em class="gesperrt">unsre</em>
-Arbeit und <em class="gesperrt">Streben</em>. Über solche Sudelei ist natürlich kein Wort
-zu verlieren; für sie gibt es auch keinen Schein von Entschuldigung.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_133" href="#FNAnker_133" class="label">[133]</a> Das geschieht z.&#160;B. bei der Verdopplung einer
-Präposition wie: an diese Jugendarbeit schlossen sich mehrere Dramen
-<em class="gesperrt">an</em> – sie traten <em class="gesperrt">aus</em> der Landeskirche <em class="gesperrt">aus</em> – man
-warf ihn <em class="gesperrt">aus</em> dem Zimmer <em class="gesperrt">hinaus</em> – das Gymnasium geriet
-<em class="gesperrt">in</em> einen innern Widerspruch <em class="gesperrt">hinein</em> – dieser Gedanke
-zieht sich wie ein roter Faden <em class="gesperrt">durch</em> das Gesetz <em class="gesperrt">hindurch</em>
-– wir können uns schlechterdings nicht <em class="gesperrt">darum herumdrücken</em>.
-Gegen solche Verdopplungen ist nichts einzuwenden.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_134" href="#FNAnker_134" class="label">[134]</a> Von einem Leipziger Bankier erzählt man, daß er auf die
-Frage, ob er eine gewisse ausländische Geldsorte beschaffen könne, mit
-der Gegenfrage geantwortet habe: muß es denn <em class="gesperrt">jetzt alleweile gleich
-in demselben Momente</em> sein? Ein Schaubudenbesitzer macht bekannt:
-„Morgen Eintritt <em class="gesperrt">ausschließlich nur allein</em> für Damen.“</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_135" href="#FNAnker_135" class="label">[135]</a> Dabei hier noch der gemeine Provinzialismus, daß
-<em class="gesperrt">brauchen</em> mit dem bloßen Infinitiv verbunden ist! (Vgl. <a href="#Seite_61">S. 61</a>.)</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_136" href="#FNAnker_136" class="label">[136]</a> Ein neutraler Begriff ist <em class="gesperrt">Lage</em>. Ich bin <em class="gesperrt">in
-der Lage</em> – kann ebensogut heißen: ich habe die Möglichkeit,
-wie: ich bin genötigt. Hier muß die besondre Art der Lage durch
-ein <em class="gesperrt">können</em> oder <em class="gesperrt">müssen</em> näher bezeichnet werden.
-Dagegen ist es natürlich überflüssig, zu schreiben: er wird in die
-<em class="gesperrt">Zwangslage</em> gebracht, sich mit einer Stellung zweiten Ranges
-begnügen zu <em class="gesperrt">müssen</em>. Vereinzelt wird übrigens auch der umgekehrte
-Fehler gemacht, nämlich das Hilfszeitwort weggelassen, wo es ganz
-notwendig ist, z.&#160;B.: wir erklärten, <em class="gesperrt">dazubleiben</em> – wo es heißen
-muß: dableiben zu <em class="gesperrt">wollen</em>, denn in <em class="gesperrt">erklären</em> liegt noch
-nicht der Begriff der Absicht.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_137" href="#FNAnker_137" class="label">[137]</a> Alle diese Beispiele sind, wie ausdrücklich bemerkt
-werden mag, nicht erfunden!</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_138" href="#FNAnker_138" class="label">[138]</a> Übrigens kann ein Bild auch ohne Vermengung mit andern
-geschmacklos wirken, nämlich dann, wenn es zu sehr ausgetitscht
-wird; so, wenn es von den Arbeiten, die ein Schriftsteller seinem
-Verleger einsandte, heißt: jede <em class="gesperrt">jährliche Ernte</em> seines Fleißes
-und Talentes hat er <em class="gesperrt">in den Hof</em> des befreundeten Hauses
-<em class="gesperrt">eingefahren</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_139" href="#FNAnker_139" class="label">[139]</a> Mit dem Voranstellen des abhängigen Genitivs muß
-man überdies vorsichtig sein. Vor kurzem ist ein Buch erschienen:
-<em class="gesperrt">Lichtenbergs Mädchen</em>. Da fragt doch der Leser sofort: <em class="gesperrt">das</em>
-oder <em class="gesperrt">die</em>?</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_140" href="#FNAnker_140" class="label">[140]</a> <em class="gesperrt">Das Mitglied Eugen Richter des Reichstags</em> habe
-ich wirklich gedruckt gelesen.</p>
-
-</div>
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-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_141" href="#FNAnker_141" class="label">[141]</a> Die Inversion findet sich in der ältern Zeit auch nach
-<em class="gesperrt">denn</em> und <em class="gesperrt">nämlich</em>; wird das heute jemand nachmachen
-wollen? Vortrefflich schließt O. Erdmann einen Aufsatz über die
-Geschichte der Inversion mit den Worten: „Das historische Studium des
-ältern Sprachgebrauchs soll einem vernünftigen und kräftigen Streben
-nach Regelrichtigkeit des gegenwärtigen und künftigen nicht hinderlich,
-sondern förderlich werden.“</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_142" href="#FNAnker_142" class="label">[142]</a> Ein Meister des deutschen Stils, Otto Gildemeister,
-schrieb einem jungen Neffen, als dieser in einem Brief an ihn
-eine Inversion gebraucht hatte: So schreiben Kommis und schlechte
-Journalisten, aber kein edler deutscher Jüngling. Diese Inversion ist
-so schlimm wie mit dem Messer essen. Tu es nicht wieder!</p>
-
-</div>
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-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_143" href="#FNAnker_143" class="label">[143]</a> Tausendmal habe ich bei der Durcharbeitung von
-Manuskripten das <em class="gesperrt">sich</em> heraufgeholt an die richtige Stelle, und
-niemals haben die Verfasser, wenn sie die Druckkorrektur bekamen,
-etwas davon gemerkt; alle haben darüber weggelesen, als ob sie selber
-so geschrieben hätten. Und hundertmal ist mir in Manuskripten der
-Fall begegnet, daß der Verfasser bei der ersten Niederschrift das
-<em class="gesperrt">sich</em> an die richtige Stelle gesetzt, aber beim Wiederdurchlesen
-dort ausgestrichen und dann hinten, unmittelbar vor dem Verbum,
-hineingeflickt hatte – niemals das umgekehrte! Damit ist schlagend
-bewiesen, daß die Voranstellung des <em class="gesperrt">sich</em> das natürliche ist und
-das, was jedem, der unbefangen schreibt, aus der lebendigen Sprache
-zunächst in die Feder läuft; erst wenn das Drechseln und Feilen
-beginnt, entsteht die Unnatur.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_144" href="#FNAnker_144" class="label">[144]</a> Nur wo ein Mißverständnis, eine Verwechslung von Subjekt
-und Objekt möglich ist, hat es einen Sinn, das Subjekt in dieser
-ängstlichen Weise vor das Fürwort zu stellen, z.&#160;B. Vater und Mutter
-müssen sich darein finden, daß <em class="gesperrt">die Kinder sie</em> verlassen. Aber
-ist etwa ein Mißverständnis möglich, wenn man sagt: Tatsachen machen
-sich geltend, gleichviel ob <em class="gesperrt">sie die Juristen</em> definieren können
-oder nicht? Wird hier jemand <em class="gesperrt">die Juristen</em> für das Objekt halten?</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_145" href="#FNAnker_145" class="label">[145]</a> Der Ausdruck ist von Gottfried Hermann gebildet.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_146" href="#FNAnker_146" class="label">[146]</a> Der Volksmund vermeidet das sogar zuweilen bei dem
-unbestimmten Artikel und dem unbestimmten Fürwort und sagt: das ist
-<em class="gesperrt">gar ein</em> merkwürdiger Mensch, das ist <em class="gesperrt">ganz was</em> feines.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_147" href="#FNAnker_147" class="label">[147]</a> Tausendmal habe ich in Manuskripten auch diese häßliche
-Wortstellung beseitigt, und niemals haben die Verfasser, wenn sie
-ihre Druckkorrektur erhielten, von der Änderung etwas gemerkt, immer
-haben sie ohne Anstoß darüber weggelesen, also offenbar geglaubt, sie
-hätten selber so geschrieben! Wenn es wirklich ein so starkes logisches
-Bedürfnis wäre, das Adverb einzuschieben, so hätte doch einmal einer
-Anstoß nehmen und seine ursprüngliche Fassung wiederherstellen müssen!</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_148" href="#FNAnker_148" class="label">[148]</a> Ein harmloses Menschenkind, dem die zwei Präpositionen
-hintereinander doch wider den Strich gingen, schrieb: <em class="gesperrt">mit
-Zumherunterlassen</em> eingerichteten Fenstern!</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_149" href="#FNAnker_149" class="label">[149]</a> Ähnlich: der Dichter begnügt sich mit einer Skizze,
-<em class="gesperrt">da wo</em> wir ein ausgeführtes Bild erwarten. Nach dem Satzbau: der
-Dichter begnügt sich mit einer Skizze <em class="gesperrt">da, wo</em> wir usw.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_150" href="#FNAnker_150" class="label">[150]</a> In dem hübschen Scherz: Der Papierreisende (Gesammelte
-Schriften, Bd. 2).</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_151" href="#FNAnker_151" class="label">[151]</a> Bedingungssätze statt mit <em class="gesperrt">wenn</em> mit dem
-Verbum anzufangen ist an sich nicht übel, nur darf das Verbum dann
-nicht unmittelbar hinter dem des Hauptsatzes stehen, z.&#160;B. ich muß
-<em class="gesperrt">eilen, will</em> ich den Zug nicht versäumen – ein gewissenhafter
-Mann <em class="gesperrt">darf, will</em> er seinen Ruf nicht gefährden – es ist
-manches verschwiegen, was gesagt werden <em class="gesperrt">müßte, sollte</em> die
-Veröffentlichung überhaupt Berechtigung haben. Wer laut schreibt,
-wird so etwas nie schreiben. Die beiden Verba platzen aufeinander
-wie ein paar Lokomotiven. Schreibt man <em class="gesperrt">wenn</em>, so mündet der
-Nebensatz leicht und natürlich ein wie ein Nebenflüßchen, das den
-Fluß des Hauptsatzes beschleunigt. Hüten muß man sich vor der Häufung
-einsilbiger Wörter. Doch kann auch eine lange Reihe einsilbiger
-Wörter ganz fließend klingen, wenn sie durch den Akzent zu Gruppen
-zusammengefaßt werden, z.&#160;B.: ein Umstand, wie es ihn | bis jetzt |
-noch fast gar nicht | gegeben hat.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_152" href="#FNAnker_152" class="label">[152]</a> Sehr komisch ist es, wenn unwillkürlich einmal die
-gesunde Natur durch die Manier durchbricht, wo es zu spät ist. Dann
-entstehen Sätze wie: es ist zu bedauern, was für ein <em class="gesperrt">Aufwand</em> von
-Zeit und Mühe darauf <em class="gesperrt">verwendet</em> worden ist – die Erfahrungen,
-die man in Dresden mit dieser Einrichtung gemacht hat, dürften den
-<em class="gesperrt">Beweis</em> für die Notwendigkeit derselben genügend <em class="gesperrt">bewiesen</em>
-haben – eine telegraphische Nachricht, wonach die <em class="gesperrt">Möglichkeit</em>
-einer persönlichen Begegnung für <em class="gesperrt">möglich</em> erachtet wurde.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_153" href="#FNAnker_153" class="label">[153]</a> Schon als Knaben haben mich die Verse nachdenklich
-gemacht: Ritter, <em class="gesperrt">treue Schwesterliebe</em> widmet euch dies Herz.
-Dann heißt es weiter: <em class="gesperrt">fordert</em> keine andre Liebe – wo mir wieder
-<em class="gesperrt">fordert</em> wie ein zweites Prädikat zu <em class="gesperrt">Schwesterliebe</em>
-erschien.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_154" href="#FNAnker_154" class="label">[154]</a> Wenn aber Sigismund Breslauer anzeigt, daß er für alte
-Kleider <em class="gesperrt">staunend hohe</em> Preise bezahle, und Sigismund Cohn, daß
-er zu <em class="gesperrt">staunend niedrigen</em> Preisen verkaufe, so ist das natürlich
-wieder eine Verwechslung; sie meinen <em class="gesperrt">erstaunlich hohe</em> und
-<em class="gesperrt">niedrige</em> Preise.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_155" href="#FNAnker_155" class="label">[155]</a> In Leipzig wird ein Hauskauf nicht ins Grundbuch
-geschrieben, sondern <em class="gesperrt">grundbücherlich</em> (so!) <em class="gesperrt">verlautbart</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_156" href="#FNAnker_156" class="label">[156]</a> Das niedrige Volk sagt jetzt auch: <em class="gesperrt">da hört sich
-alles</em> auf! offenbar, indem es die Redensart: <em class="gesperrt">das gehört sich</em>
-– damit zusammenwirft.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_157" href="#FNAnker_157" class="label">[157]</a> Im Friseurladen redet man jetzt von amerikanischer
-Kopf<em class="gesperrt">wäsche</em>. Wenn jemand im Neuen Testament von Jesu
-Fuß<em class="gesperrt">wäsche</em> reden wollte!</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_158" href="#FNAnker_158" class="label">[158]</a> Im sechzehnten Jahrhundert sprach man noch von
-<em class="gesperrt">Unterrichtung</em>. Als dafür <em class="gesperrt">Unterricht</em> aufkam (anfangs
-gewiß auf der letzten Silbe betont), muß sprachfühlenden Leuten
-ähnlich zumute gewesen sein wie uns heute beim <em class="gesperrt">Vollzug</em> und beim
-<em class="gesperrt">Entscheid</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_159" href="#FNAnker_159" class="label">[159]</a> Bei dem jetzt so beliebten <em class="gesperrt">entfallen</em> mag wohl das
-lateinische <span class="antiqua">dis</span> vorgeschwebt haben, das in <span class="antiqua">distrahere</span> die
-Trennung, in <span class="antiqua">distribuere</span> die Verteilung bedeutet.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_160" href="#FNAnker_160" class="label">[160]</a> Ein Fehler ist es übrigens, diese Präfixe abzutrennen
-und zu betonen, wie <em class="gesperrt">An-</em> und <em class="gesperrt">Ver</em>kauf, <em class="gesperrt">be</em>- und
-<em class="gesperrt">ent</em>laden, <em class="gesperrt">Be</em>- und <em class="gesperrt">Ent</em>wässerung. Getrennt und
-betont werden können immer nur echte Präpositionen: <em class="gesperrt">auf</em>- und
-<em class="gesperrt">ab</em>steigen, <em class="gesperrt">Ab</em>- und <em class="gesperrt">Zu</em>gang; dagegen <em class="gesperrt">An</em>kauf
-und <em class="gesperrt">Verkauf</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_161" href="#FNAnker_161" class="label">[161]</a> Auch mit den Präpositionen springen sie in derselben
-Weise um wie mit den Präfixen. In der Sprache des gewöhnlichen Lebens
-wird ein neues Haus <em class="gesperrt">gedeckt</em>, eine neue Kirche <em class="gesperrt">gewölbt</em>,
-eine Straße <em class="gesperrt">gepflastert</em>, Sandsteinfiguren werden an einem
-Hause <em class="gesperrt">angebracht</em>, Bilder werden <em class="gesperrt">eingerahmt</em>, und
-wenn man eine Stube tapezieren läßt, so werden die Möbel vorher
-<em class="gesperrt">zugedeckt</em>; sowie aber der Architekt davon spricht, wird das
-Haus <em class="gesperrt">eingedeckt</em>, die Kirche <em class="gesperrt">eingewölbt</em>, die Straße
-<em class="gesperrt">abgepflastert</em>, die Figuren werden <em class="gesperrt">aufgebracht</em>, die
-Bilder <em class="gesperrt">gerahmt</em>, und die Möbel – <em class="gesperrt">abgedeckt</em>! Gewöhnlich
-werden Farben <em class="gesperrt">gemischt</em>, und zu einer Lotterie werden auch
-die Lose <em class="gesperrt">gemischt</em>. Der Farbenfabrikant aber empfiehlt seine
-<em class="gesperrt">Ausmischungen</em> sämtlicher Farbentöne, und die Lotteriedirektion
-spricht von der <em class="gesperrt">Einmischung</em> der Lose. Gewöhnlich wird ein Vogel
-von der Stange <em class="gesperrt">abgeschossen</em>, und unnütze Sperlinge werden
-<em class="gesperrt">weggeschossen</em>; sowie aber der Herr Landrat davon spricht, werden
-die Sperlinge <em class="gesperrt">abgeschossen</em>. Der gewöhnliche Mensch begnügt sich
-damit, etwas zu <em class="gesperrt">liefern</em>. Im Bauwesen aber werden Steine, Kalk,
-Ziegel <em class="gesperrt">angeliefert</em>, und bei der Post werden Briefe, Postkarten,
-Pakete, Zeitungen sogar <em class="gesperrt">aufgeliefert</em>! Der gewöhnliche Mensch
-<em class="gesperrt">beschneidet</em> in seinem Garten einen Trieb, der Gärtner aber
-<em class="gesperrt">kürzt</em> ihn <em class="gesperrt">ein</em> usw.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_162" href="#FNAnker_162" class="label">[162]</a> Höchstens <em class="gesperrt">Wollust</em> und <em class="gesperrt">Jawort</em> ließen sich
-vergleichen.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_163" href="#FNAnker_163" class="label">[163]</a> Auch Wörter wie <em class="gesperrt">Pflegemutter</em>,
-<em class="gesperrt">Betschwester</em>, <em class="gesperrt">Schreihals</em>, <em class="gesperrt">Singvogel</em>,
-<em class="gesperrt">Stechapfel</em>, <em class="gesperrt">Stinktier</em> machen nur scheinbar eine Ausnahme,
-auch <em class="gesperrt">Beißkorb</em> und <em class="gesperrt">Klapperdeckchen</em>, denn sie bezeichnen
-Dinge, die den Zweck haben, Beißen und Klappern zu verhüten. Nur
-<em class="gesperrt">Bratheringe</em>, <em class="gesperrt">Röstkartoffeln</em> und <em class="gesperrt">Schlagsahne</em> haben
-ihren Zweck schon erfüllt, sie sind schon gebraten, geröstet und
-geschlagen.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_164" href="#FNAnker_164" class="label">[164]</a> Die früheste Anwendung von <em class="gesperrt">voll und ganz</em>,
-freilich in gehaltvollerem Sinne als in Parlaments- und Festreden,
-wiewohl auch schon ein wenig als Lückenbüßer, steht in Tiecks
-Übersetzung von Shakespeares Antonius und Kleopatra (I, 3):</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Der Zeiten strenger Zwang heischt unsern Dienst</div>
- <div class="verse indent0">Für eine Weile; meines Herzens Summe</div>
- <div class="verse indent0">Bleibt dein hier <em class="gesperrt">voll und ganz</em>.</div>
- <div class="verse indent0">(<span class="antiqua">The strong necessity of time commands</span></div>
- <div class="verse indent0"><span class="antiqua">Our services a while; but my full heart</span></div>
- <div class="verse indent0"><span class="antiqua">Remains in use with you.</span>)</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Dingelstedt gebraucht es 1851 in seinem Gedicht „Christnacht“, worin er
-den Heiland des Jahrhunderts herbeiwünscht, aber nicht als Kind,</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">Nein, groß und fertig, <em class="gesperrt">voll und ganz</em></div>
- <div class="verse indent0">Entsteig’ er unsern Dämmerungen –</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>schon ironisch. In einer Erinnerung an Gottfried Keller (Berliner
-Tageblatt vom 13. April 1891) wird erzählt, Keller habe, als in der
-Unterhaltung mit ihm jemand <em class="gesperrt">voll und ganz</em> gebraucht habe,
-ausgerufen: „Voll und ganz! Hm, hm! Da sieht man, was ihr für Patrone
-seid! Phrase, nichts als Phrase! Voll und ganz ist das charakterloseste
-Wort, das es gibt, trotz seiner Fülle!“</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_165" href="#FNAnker_165" class="label">[165]</a> Als der junge Goethe 1773 seine kecke Schrift „Von
-deutscher Baukunst“ hatte drucken lassen, schrieb der wackere kurf.
-sächsische Hofbaumeister Krubsacius eine Kritik darüber. Darin spricht
-er auch von der „neumodischen Schreibart“, die schon so vielfältig
-ausgespottet worden sei und trotzdem immer weiter um sich gegriffen
-habe. Daran knüpft er die wahrhaft klassischen Worte: „Ein Mißbrauch
-wird nicht anders als durch sich selbst ausgerottet, wenn er nämlich zu
-einer solchen Höhe anwächst, daß ein jeder, der nicht zu stumpfe Sinne
-hat, das Ungeheure davon gewahr werden kann.“</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_166" href="#FNAnker_166" class="label">[166]</a> Abgesehen natürlich von Infinitiven, die ganz
-zu Substantiven geworden sind, wie <em class="gesperrt">Leben</em>, <em class="gesperrt">Essen</em>,
-<em class="gesperrt">Vergnügen</em>, <em class="gesperrt">Vermögen</em>, <em class="gesperrt">Wohlwollen</em> u.&#160;a.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_167" href="#FNAnker_167" class="label">[167]</a> Seitdem dieses Kapitel veröffentlicht worden ist,
-ist der Mißbrauch erfreulicherweise bedeutend zurückgegangen.
-Trotzdem mag es unverändert hier wieder abgedruckt werden – als
-sprachgeschichtliches Zeugnis.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_168" href="#FNAnker_168" class="label">[168]</a> Neuerdings wird das Wort sogar für <em class="gesperrt">anfertigen</em>,
-<em class="gesperrt">schaffen</em> gebraucht: er hat sich ein Paar neue Stiefel
-<em class="gesperrt">fertigstellen</em> lassen – eine Sonate ist mit weniger Zeit und
-Mühe <em class="gesperrt">fertigzustellen</em> als eine Symphonie!</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_169" href="#FNAnker_169" class="label">[169]</a> Von festen Körpern nur in dem Sinne von
-<em class="gesperrt">zerkleinert</em>; <em class="gesperrt">klarer</em> Zucker, <em class="gesperrt">klares</em> Holz.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_170" href="#FNAnker_170" class="label">[170]</a> Soll vielleicht auch weiter gezählt werden: die
-<em class="gesperrt">zweitmalige</em>, <em class="gesperrt">drittmalige</em> usw.?</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_171" href="#FNAnker_171" class="label">[171]</a> Eine Leipziger Zeitung schrieb neulich: das Rathaus
-<em class="gesperrt">besitzt</em> denselben Baumeister wie die Pleißenburg!</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_172" href="#FNAnker_172" class="label">[172]</a> Anders in „Künstlers Erdewallen“, wo es von dem
-Kunstschatz des Reichen heißt: „Und er <em class="gesperrt">besitzt</em> dich nicht, er
-<em class="gesperrt">hat</em> dich nur.“</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_173" href="#FNAnker_173" class="label">[173]</a> Das t ist dasselbe unorganische Anhängsel wie in
-<em class="gesperrt">jetzt</em>, <em class="gesperrt">selbst</em> und <em class="gesperrt">Obst</em>. In Leipzig sagt das Volk
-auch <em class="gesperrt">anderst</em>, <em class="gesperrt">Rußt</em>, <em class="gesperrt">Harzt</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_174" href="#FNAnker_174" class="label">[174]</a> Früher hieß es <em class="gesperrt">im Namen</em> des Königs, <em class="gesperrt">aus
-Mangel</em> an genügendem Angebot, jetzt nur noch <em class="gesperrt">namens</em> des
-Königs – <em class="gesperrt">mangels</em> genügenden Angebots. Schon der häßliche
-Gleichklang, der ganz unnötigerweise durch die Häufung der Genitiv-s
-entsteht, hätte von solchen Bildungen abhalten sollen. Aber die
-Leute sind ganz vernarrt in solche Genitive; man denke auch an:
-<em class="gesperrt">anfangs</em> (!) Oktober (vgl. <a href="#Seite_8">S. 8</a>).</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_175" href="#FNAnker_175" class="label">[175]</a> Ein solches s drängt sich freilich gar zu gern
-ein, man denke an <em class="gesperrt">vollends</em>, <em class="gesperrt">bereits</em>, <em class="gesperrt">öfters</em>,
-<em class="gesperrt">nirgends</em>, <em class="gesperrt">zusehends</em>, <em class="gesperrt">durchgehends</em>,
-<em class="gesperrt">allerdings</em>, <em class="gesperrt">schlechterdings</em> (um 1700 noch aller
-<em class="gesperrt">Dinge</em>, <em class="gesperrt">schlechter Dinge</em>), „neuerdings“ auch
-<em class="gesperrt">folgends</em>. Bei den meisten dieser Wörter fühlen wir gar nicht
-mehr das Unorganische des s, höchstens noch bei <em class="gesperrt">öfters</em>. Wir
-fühlen es aber sofort wieder, wenn wir das häßliche süddeutsche und
-österreichische <em class="gesperrt">weiters</em> und <em class="gesperrt">durchwegs</em> hören: ein
-selbständiges, <em class="gesperrt">durchwegs</em> auf Erfahrung begründetes Urteil –
-oder wenn wir <em class="gesperrt">unversehens</em> und <em class="gesperrt">unbesehens</em> lesen: der
-Zuhörer steht <em class="gesperrt">unversehens</em> vor dem Dämonischen – er hätte dieses
-Argument nicht so <em class="gesperrt">unbesehens</em> hinnehmen sollen.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_176" href="#FNAnker_176" class="label">[176]</a> <em class="gesperrt">Bezüglich</em> ist Präposition und bedeutet dasselbe
-wie <em class="gesperrt">hinsichtlich</em>, <em class="gesperrt">rücksichtlich</em>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_177" href="#FNAnker_177" class="label">[177]</a>
-Auf einige häßliche Austriazismen ist schon in der Formenlehre und in der
-Satzlehre hingewiesen worden. Vgl. <a href="#Seite_17">S. 17</a> und <a href="#Seite_58">58</a>.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_178" href="#FNAnker_178" class="label">[178]</a> Manche Kaufleute behaupten, in dem <em class="gesperrt">ab</em> liege ein
-besondrer Sinn; es solle ausdrücken, daß der Übergang einer Ware aus
-dem Besitz des Kaufmanns in den des Käufers an der angegebnen Stelle
-(<em class="gesperrt">ab Bahnhof</em>, <em class="gesperrt">ab Lager</em>) geschehe; der Bahnhof, das Lager
-sei der „Erfüllungsort“. Davon hat aber doch der harmlose Käufer, der
-so etwas in der Zeitung liest, keine Ahnung.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_179" href="#FNAnker_179" class="label">[179]</a> Unsre Professoren lachen heute, wenn sie in einem
-Buche des achtzehnten Jahrhunderts lesen: die <span class="antiqua">iniquitaet</span> ist
-<span class="antiqua">manifest</span> oder: wir müssen diese <span class="antiqua">difficultaeten superiren</span>.
-Mache sie es denn aber um ein Haar besser?</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_180" href="#FNAnker_180" class="label">[180]</a> Freilich gehen Technik und Wissenschaft mit
-bösem Beispiel voran. Vgl. <em class="gesperrt">Taxameter</em>, <em class="gesperrt">Automobil</em>,
-<em class="gesperrt">homosexuell</em> (dessen erste Hälfte auch „gebildete“ Leute für das
-lateinische <span class="antiqua">homo</span> halten!), <em class="gesperrt">Telefunken</em> u.&#160;ähnl.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_181" href="#FNAnker_181" class="label">[181]</a> Sehr bitter spottete einmal darüber ein junger
-französischer Student in Leipzig. Die deutschen Mädchen, sagte er,
-glauben, sie müßten <em class="gesperrt">Colliers</em> tragen, weil jeder Hund ein
-<em class="gesperrt">Halsband</em> trägt. In Paris trägt aber doch jeder Hund ein
-<em class="gesperrt">Collier</em>!</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_182" href="#FNAnker_182" class="label">[182]</a> Ein vortrefflicher deutscher Schriftsteller,
-August Apel, nennt (1815) einen eingebildeten Kunstkenner einen
-<em class="gesperrt">Connaisseur</em> und fügt hinzu: Ich liebe fremde Worte, um die
-affektierende Abart zu bezeichnen.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_183" href="#FNAnker_183" class="label">[183]</a> Weiß der Leser, wie <em class="gesperrt">konstatieren</em> entstanden ist?
-Durch Anhängen der Endung -<em class="gesperrt">ieren</em> an das lateinische Impersonale
-<span class="antiqua">constat</span>. Fast unglaublich, aber Tatsache. Und dabei ist in
-999 von 1000 Fällen <em class="gesperrt">konstatieren</em> nichts weiter als ein ganz
-überflüssiger Henkel für einen Aussagesatz. Man sagt nicht: der Hund
-hat einen Schwanz, sondern man <em class="gesperrt">konstatiert</em>, daß der Hund einen
-Schwanz hat.</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_184" href="#FNAnker_184" class="label">[184]</a> In einem längern Aufsatze, worin <em class="gesperrt">Moment</em> und
-<em class="gesperrt">Faktor</em> jedes etwa ein Dutzend mal vorkamen, machte ich mir
-den Spaß, sie regelmäßig miteinander zu vertauschen. Als ich die
-Druckkorrektur des Verfassers erhielt, sah ich, daß er nicht das
-Geringste davon gemerkt hatte. Was müssen das für Wörter sein, mit
-denen man sich solche Scherze erlauben kann! Ein rechtes Kreuz sind
-die <em class="gesperrt">gesetzgebenden Faktoren</em>; könnte man die doch irgendwie los
-werden!</p>
-
-</div>
-
-<div class="footnote">
-
-<p><a id="Fussnote_185" href="#FNAnker_185" class="label">[185]</a> Schon Schiller schreibt 1797 an Goethe: Sie müssen eine
-<em class="gesperrt">Epoche</em> gehabt haben, die ich Ihre analytische <em class="gesperrt">Periode</em>
-nennen möchte.</p>
-
-</div>
-</div>
-
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-<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK <span lang='de' xml:lang='de'>ALLERHAND SPRACHDUMMHEITEN</span> ***</div>
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-</div>
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-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg&#8482;
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; is synonymous with the free distribution of
-electronic works in formats readable by the widest variety of
-computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
-exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
-from people in all walks of life.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg&#8482;&#8217;s
-goals and ensuring that the Project Gutenberg&#8482; collection will
-remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg&#8482; and future
-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation&#8217;s EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
-U.S. federal laws and your state&#8217;s laws.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Foundation&#8217;s business office is located at 809 North 1500 West,
-Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
-to date contact information can be found at the Foundation&#8217;s website
-and official page at www.gutenberg.org/contact
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; depends upon and cannot survive without widespread
-public support and donations to carry out its mission of
-increasing the number of public domain and licensed works that can be
-freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
-with these requirements. We do not solicit donations in locations
-where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
-DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
-visit <a href="https://www.gutenberg.org/donate/">www.gutenberg.org/donate</a>.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-While we cannot and do not solicit contributions from states where we
-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
-approach us with offers to donate.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-International donations are gratefully accepted, but we cannot make
-any statements concerning tax treatment of donations received from
-outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations. To
-donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 5. General Information About Project Gutenberg&#8482; electronic works
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg&#8482; concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
-distributed Project Gutenberg&#8482; eBooks with only a loose network of
-volunteer support.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
-the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
-necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
-edition.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Most people start at our website which has the main PG search
-facility: <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-This website includes information about Project Gutenberg&#8482;,
-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
-subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
-</div>
-
-</div>
-</div>
-</body>
-</html>
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