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If you are not located in the United States, you -will have to check the laws of the country where you are located before -using this eBook. - -Title: Wera Njedin - Erzählungen und Skizzen - -Author: Annette Kolb - -Release Date: January 14, 2023 [eBook #69797] - -Language: German - -Produced by: Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team - at https://www.pgdp.net. This book was produced from images - made available by the HathiTrust Digital Library. - -*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK WERA NJEDIN *** - - - DAS KLEINE PROPYLÄEN-BUCH - - - Annette Kolb - - - - - Wera Njedin - - - Erzählungen und Skizzen - - - Im Propyläen-Verlag / Berlin - - Im Ullsteinhaus, Berlin - - - - - Inhalt - - - Wera Njedin 7 - Varramista 15 - Torso 39 - Geraldine 77 - Der Geiz 93 - Schiffahrt und Eisenbahn 101 - Donaueschingen 115 - Marseille 123 - Venedig 1922 135 - Abschied von Venedig 1924 151 - Molières Tod 161 - - - - - Wera Njedin - - - Für Germaine Stockley - -Erst später wurde uns bewußt, was für lustige Leute wir doch eigentlich -gewesen sind, als wir zu Hause noch alle beieinander waren. Damals -ahnten wir es ja nicht. Wir hielten uns für tragische Figuren, die nur -aus Trotz, und um andere hinters Licht zu führen, eine so vergnügte -Maske zur Schau trugen, sahen wir doch sogar darin eine heroische Geste, -daß wir als halb Abgebrannte immerzu offenes Haus hielten. In -Wirklichkeit geschah dies aber nur, weil es uns Spaß machte. Da wir -keinem bestimmten Kreis angehörten, hatten unsere Empfänge immerhin die -Eigentümlichkeit, daß sie Leute zusammenführten, die sich nicht zu -begegnen pflegten, jenem Milliardär Gelegenheit boten, sich, einmal und -nicht wieder, mit jenem armen Teufel voraussetzungslos zu unterhalten, -und jenem ehrgeizigen und hoffnungslosen Streber, einmal und nicht -wieder, mit jenem Staatsmann ein paar Worte zu wechseln. Jedenfalls war -es das Unkonventionelle mit all seinen unberechenbaren Möglichkeiten, -das uns in Spannung hielt, und es dünkte uns das Monopol und die -Romantik unseres Salons, daß er gewissermaßen eine Freistatt war, wo -sich Fäden anspannen und Dinge einleiten ließen, deren Tragweite wir -maßlos übertrieben. Und so bildete sich eine Protegierader in uns aus, -die, anfänglich Spielerei, dann zur Grille wurde und endlich in Manie -ausartete. Jedes hatte seine besonderen Schützlinge, zu deren Förderung -eine Soiree nach der anderen veranstaltet wurde. Hatte alles geklappt -und durften wir still triumphierend wahrnehmen, daß sich das Spiel -unserer Intrigen wunschgemäß entrollte, so saßen wir, nachdem unsere -Gäste uns verlassen hatten, noch lange über unser Tun wie über dem -siebenten Schöpfungstage auf, dramatisierten unsere Absichtslosigkeit -und fanden alles gut und höchst merkwürdig, besonders uns selbst. - -Nun war es ja schon vorgekommen, daß eine ältere Freundin des Hauses -sich am nächsten Morgen wieder hergetrieben fühlte, nicht etwa, wie wir -bei ihrem Erscheinen erwarteten, um auf unser gelungenes Fest -zurückzukommen, sondern im Gegenteil ihre wohlgemeinten Befürchtungen -betreffs unserer so wenig gesicherten Zukunft auszusprechen und von dem -Ernst des Lebens sowie unserem Leichtsinn zu reden, der uns die -kostbare, enteilende Zeit so vergeuden ließ. Solche Kuckucksrufe wurden -ungnädig aufgenommen. Aber im stillen erschraken wir doch sehr vor -allem, was uns an die Wirklichkeit erinnerte. Zog sich die eine auf -mehrere Tage in ihr Atelier zurück, nahm die andere Orgelstunden, so -fing ich infolge innerer Panik sehr früh zu schreiben an. Ich verfaßte -sehr schöne Artikel über den Tiefsinn in der Malerei, den Unwert der -Renaissance und den Vorteil der Fremdwörter. Unter dem Titel: „_Rose la -France et Bière de Munich_“ tadelte ich den Frankfurter Frieden. Die -Redakteure, über die vielen Briefmarken betroffen, mit welchen ich ihre -Aufmerksamkeit erzwingen wollte, sandten mir alles ziemlich umgehend -zurück. Inzwischen war auch ein Stilleben fertig geworden, und man wußte -allerseits nicht mehr recht, was tun. Wir gaben also wieder eine Soiree. - -Damals hielt sich eine strahlend junge und strahlend schöne Amerikanerin -in München auf. Wenn auch nicht für ewig, so verliebte sich doch jung -und alt auf den ersten Blick in sie, und wir pflanzten sie, stets auf -das Dekorative bedacht, nicht anders als einen Blumenbusch, mit Vorliebe -bei uns auf. Sie war dabei ein harmloses und liebenswürdiges Mädchen, -aber von einem geradezu närrischen Snobismus. Obwohl stets ihre -Verwandtschaft mit der Prinzessin Pocahontas betonend, imponierte ihr -schon jede Baronin. Meistens erschien sie in Begleitung eines -nichtssagenden, durch seine Goldplomben wie durch seine ewigen rosa -Hemden ermüdenden Bruders. Eines Abends aber – es war gerade vor ihrer -Abreise – brachte sie auch ihren Vater mit. - -Entschuldige, lieber Leser, wenn ich diesen ehrenwerten Mann gleich -wieder stehen lasse, und gestatte, daß ich dir Fräulein Wera Njedin -vorstelle. - -Ich hatte sie zuerst entdeckt, und sie stand unter meinem ganz -speziellen Schutz. Trotz ihrer großen Sprachkenntnisse machte sie den -Eindruck einer ausgesprochenen, wenn auch sehr sympathischen Wilden. -Dünn wie ein Faden, schwarz wie die Nacht und kreideweiß, war sie von -einer intensiven, ja entzückenden Häßlichkeit. Auch sonst machten sie -mir zwei Dinge besonders wert: ihre Kunst im Kartenschlagen und ihre -wundervolle Stimme. Keine sehr bildbare, leider, und man konnte weniger -ihr Talent als ihren Gesang, weniger ihren Gesang als ihre Stimme, und -weniger ihre Stimme als ein paar unvergleichliche Töne in der Mittellage -rühmen. Mit sanfter, unwiderstehlicher Glut und wie der Leier des -Orpheus entblüht, drangen sie ans Herz. Man dachte sich dies seltsame -Mädchen inmitten weiter Steppen vor einem Zelt, einem Wachtfeuer, bunte, -malerische Volksstämme im Banne haltend, denn ihr Sang hatte dieselbe -bühnenfremde Wildheit wie sie selbst. Ihre Laufbahn schien höchst -zweifelhaft, ob auch alles darauf ankam. Sie führte ihr sehr reduziertes -Erbteil sozusagen in der Tasche mit. Wenn das zu Ende war, dann stand -für dies romantische Geschöpf die Welt versperrt. Wera Njedin schien sie -zu kennen. Sie machte sich wenig Illusionen. Aber wenn sie bei guter -Laune war, konnte sie die Gespenster ihrer Zukunft noch schwarzer und -grotesker ausmalen, als sie zu sein drohten, und die lustigsten Fratzen -dazu schneiden. Es läßt sich denken, wie sehr eine so gefährdete -Existenz unser Interesse erregte. - -Kehren wir jedoch zum Vater des „Blumenbusches“ zurück, der allein und -gelangweilt in einer Ecke steht. Aus bescheidensten Anfängen – die -Verwandtschaft der Geschwister mit der Prinzessin Pocahontas bestand -wohl nur mütterlicherseits – hatte er sich zu einer Art Triumvir seiner -Vaterstadt emporgeschwungen und ihr schon ein Spital, einen Park und ein -Museum gestiftet. Und nun vernahm ich, daß er gerade im Begriffe stand, -ihr über Nacht auch ein Opernhaus zu schenken. Dazu war er auf einige -Tage nach Europa hinübergefahren. - -Ein im Grase kauernder, von Spähern umringter Hase konnte die Ohren -nicht bebender spitzen, als ich es da tat. Die Fahne einer neuen Intrige -war blitzschnell in mir aufgezogen, das Seil meiner Pläne schon -verankert. Wera sollte in einer Luxuskabine nach dem wilden Westen -hinüberschaukeln und an der Oper dieses Stadtvaters eine wilde Gage -beziehen. Die Schwierigkeit des Unternehmens kannte ich wohl. Denn -leider war der biedere Mann von dem äußeren Glanz seiner Kinder so -geblendet, und vollends in den Kunstsinn seines rosa und goldenen Sohnes -setzte er ein blindes Vertrauen. Dieser hatte sich bereits von einem -blutigen Dilettanten, der aber Reichsrat der Krone Bayerns war, beraten -lassen. Statt uns zu fragen! Die ganz unbekannte Wera Njedin dagegen -wurde von ihm gründlich übersehen. Ohne Anhang und Empfehlung war sie -sehr buchstäblich von Rußland herübergeschneit. Auch nicht der kleinste -Attaché diente ihr zur Folie. Wie ließe sich da in aller Eile ihr -Engagement erreichen? Dennoch mußte es unverzüglich erwirkt werden. - -Da kam uns eine geniale Idee. Ihr Notenstand lag am Flügel auf. -Geschickt wurde er hinausgeschmuggelt, draußen mit Widmungen versehen -und unter einem anderen Schutzdeckel wieder hereintransportiert. Nach -einer Weile wurde Wera mit verteilten Rollen von uns interpelliert. Die -eine hatte sie zum Singen aufzufordern, die andere in ihren Heften zu -kramen und erstaunt auszurufen: „Da hat sich ja das halbe Winterpalais -eingetragen! _Hommage admiratif du Prince de Boutonoff_“ las sie laut -und wie um Wera aufzuziehen vor. Auf einem zerrissenen Notenblatt hatte -eine Duchesse Alice de Montreuil die Worte: „_Pour la voix d’or de ma -chère Wera_“ eingetragen, und mein spezielles Werk war die auf -Tschaikowskys „Sehnsucht“ in zackigen Riesenlettern vor Vornehmheit -förmlich baumelnde Inschrift: _Ne m’oubliez pas!_ Anastasie. - -Schon trieb der Blumenbusch heran. Weniger naiv maskierte der Bruder -seine Neugier mit einem weiten Katzenbogen, bevor er sich näherte. Der -Moment zum Probesingen aber war gekommen, ich öffnete den Flügel und bat -um Schweigen. Die Gewalt, mit welcher wir unsere Lachkrämpfe auf später -unterdrückten, verlieh uns teils todernste, teils bezechte Mienen. Wera, -vielfach auf den Fuß getreten, ahnte, wieviel im Spiele war. Sie sang -die Arie der Fides mit schmerzerfüllten Akzenten, welche das -unverdorbene Herz des alten Selfmade-Amerikaners rührten. Mit -ausgestreckten Händen eilte er auf sie zu. Es war erreicht und der -Widerstand der Geschwister Pocahontas war gebrochen. Und Wera war -engagiert. Ach ja, es waren heitere Tage! - - - - - Varramista - - - Für Zeb-On-Nissa - - - I - -Durch die Abgetrenntheit der letzten Jahre sind die Völker in allen -ihren Eigenheiten charakteristischer sie selbst geworden, als sie es -vielleicht je im Laufe ihrer ganzen Geschichte gewesen sind. Alle ihre -Äußerungen tragen ein so lokales Gepräge, als ob keine Eisenbahnen -wären, und sie sind so stark mit sich selbst beschäftigt, daß ihnen, was -sie vorstellen, in demselben Maße entgeht, wie den Außenstehenden, was -sie sind. Man muß heute die Nationen aufsuchen, um sie zu begreifen. Der -Faszismus spricht italienisch, nur italienisch. Mit dem Auslande, in dem -er so viel von sich reden macht, befaßt er sich herzlich wenig. Die -faszistischen Zeitungen interessieren sich ausschließlich für die -Patria. Kinderkreuzzügler nannte ein florentinischer Witzbold die -Faszisten. Wem aber fiele es im Ausland ein, sie so zu benennen? So oder -so ist die Bezeichnung vorschnell gewesen; aber mit den Leuten um Hitler -oder Leon Daudet sind sie fürwahr nicht zu vergleichen. Die _Camiccie -nere_ sind vielmehr wie ein helles Mantelfutter, das nichts von seiner -ominösen Außenseite weiß. Ja, die Völker sind heute charakteristischer -sie selbst, und was die Italiener angeht, so stieg der Schmutz ihrer -Dörfer noch nie so hoch. Dabei hat die Reinlichkeit der italienischen -Villa und der Palazzos eine Blume und Poesie, zu der gehalten die -Sauberkeit der sauberen Länder gar nüchtern und langweilig erscheint. -Aber zwischen den Herrenhäusern und den Behausungen des Volkes ist kein -Übergang. Wäre ich Faszist und hätte mit einer Handvoll Leute den großen -Kehraus vorgenommen, und wäre ich als neuer Besen in meinem Lande -aufgetreten, ich wüßte, was ihm noch obläge: mit eisernem Griffe in alle -Straßen und Plätze und Straßenecken hineinzufahren, deren Anblick, deren -Befund meinem gesteigerten Nationalgefühl (wennschon) allzupeinlich -wäre. - -Allem Gottesgnadentum und allen Servilismen zum Trotz waren zwar nicht -der Verfassung, wohl aber der Anlage nach diejenigen Länder im -vorhinein, bevor es eine Demokratie gab, demokratisch, in welchen das -Dorf und die Kleinstadt ihre Blüte erfuhren und der „kleine Mann“ in -einem würdigen statt ungefähren Rahmen seine Tage verlebte. Aber eine -Hochkonjunktur herrlicher Paläste und herrlicher Dörfer zugleich ist -noch nicht dagewesen, und die einen gingen noch jederzeit auf Kosten der -anderen. So die, wie in einer Spieloper blitzblanken Ortschaften der -heutigen Schweiz, des gestrigen Zentraleuropas, der skandinavischen -Länder: als müsse unverweilt eine Musik von Boieldieu einsetzen, oder -Zerbinetta, zum Tanze geschmückt, warte nur auf ein Zeichen, um -hervorzutreten. Und doch, wie ausdrucksvoll, wie interessant ist gerade -der Kopf der Contadina, ihr verlorenes Profil unter dem kleidsamen -Schleier, der übrigens das Glanzstück ihres sonntäglichen Staates -geworden ist. Sollte er den Faszisten nicht einen Wink bedeuten, zu -einer Hebung einer progressiven Aufklärung des niederen Standes zu -schreiten? Wie brach liegt da ein weites Feld vor ihnen, denn von ihnen, -den Faszisten, reden wir! Der große Anhang, den sie im eigenen Lande -fanden, hat seinen besonderen Grund: Die Bewohner der Dreckshäuser, -deren Fenster wie schwarze Löcher den im Auto Vorbeisurrenden anstarren, -wissen es seit vielen Jahrhunderten nicht anders, als daß es Paläste -gibt in ihrem Glanz – und ihre eigene Unterkunft mit all dem Unrat, der -sie umgibt. – Sie wissen es nicht anders. Der Gedanke an eine -Verschönerung der Lebenshaltung, des Rahmens, in welchem sie sich -abspielt, liegt noch weitab. Sie wissen es nicht anders. Hier liegt der -springende Punkt. Der Italiener aus dem Volke ist höflich, ohne servil -zu sein, er wäre sehr bildungsfähig. Vorläufig ist er leicht erregbar -und wild. Der Tiefstand seiner Kaste beruht nicht auf Unterdrückung, -sondern auf Vernachlässigung (wie überall hat sich der Bauer schwer -bereichert). Nichts ist von so grausamer Trauer wie die italienische -Ebene, als wüßte auch die Natur von diesen trostlosen Dörfern. Die -Grausamkeit nicht nur der Natur, auch des Lebens selbst brütet über ihre -herbstlichen Felder hin. Welkes Weinlaub schlingt sich da von Stock zu -Stock, Kränzen gleich über eine Erde hingeworfen, die nur ein Friedhof -ist. Wie lachend ist Zentraleuropa, verglichen mit der Straße, die nach -Pisa führt! Der Bolschewismus aber in dem sozial so unbalancierten -Italien hätte Europa den Rest gegeben. Eine solche Verfinsterung und -Vergiftung seines Blutes so nah an seinem Herzen hätte es nicht -ertragen. - -Fahrten durch italienische Dörfer oder den _piccolo borgo_ boten -jedesmal dasselbe Bild: in den Hauptstraßen, und war es noch so spät, -stand eine aufgeregte und heftig gestikulierende Menge, von Fahnen -umweht (ich sah drei Wochen hindurch die Ortschaften nie anders als -beflaggt, alle Fenster bewimpelt). Der Grad der Erregbarkeit dieses -Volkes war unschwer zu ermessen: es in die Hand nehmen und auf die -Schlösser losmarschieren lassen, um den Besitzern Ovationen zu bereiten, -war ebenso leicht, wie dieselben Scharen denselben Weg, jedoch als -ebenso viele Brandstifter anzuführen und den Conte oder Marchese -niederzuknallen. Als ich den beängstigend langen Zug die Zypressenallee -heraufziehen und im Scheine der Fackeln den Riesenperystil und die -Boskette belagern sah, glaubte ich wieder alle zu erkennen, die so oder -so hätten sein können: bestialische Mörder oder fanatische Beschützer -dieses _Padrone di casa_, der mitten in seinem _pranzo_ unterbrochen und -hervorgeholt wurde (just als sollte er aufgeknüpft werden) und – nicht -ahnend, daß er noch schutzbedürftig sei, die _Evvivas, Alas alas, -alalas!_ seiner Retter schnell gefaßt mit einer Ansprache quittierte. -Und dann flossen Ströme von Chianti. Und so machte der Faszismus -Karriere. Kunststück! Es ist wahr, daß er Italien gerettet hat. Laßt ihm -noch seine kindliche Erpichtheit, es nachträglich Wort haben zu wollen. -Das indolente Rom träumte in den Tag, als es plötzlich, von seinen -anrückenden Befreiern aufgeschreckt, schnell die Schienen aufriß und -sich wie hinter Zugbrücken gegen sie verschanzte. Ohne bedroht gewesen -zu sein außer von seinen Befreiern, ward es dann sehr peremptorisch -befreit und es gab über Nacht eine _Roma Liberata_. - - - II - -Wieder fuhr ich zwischen den hohläugigen Häusern der Dörfer dahin, auf -der Straße, die nach Pisa führt. Von der aufgeweichten Erde war das Auto -überspritzt. Man hätte die Sonnenstrahlen fangen mögen, so schnell -erbleichte ihr Gold und schöpfte der Sturm wieder Atem. Denn am Himmel -war Krieg. - -Die plötzlich auftauchende Gestalt eines _Camiccia Nera_ schreckte mich -da – Halt gebietend – aus meinen Novemberträumen. Er streckte den Arm -vor mir aus, wie ihn die Legionen des Cäsar zum Gruß ausgestreckt haben -sollen, und mit den Worten „_Capitano Fascista_“ schwang er sich -theatralisch und elegant, aber ohne weiteres neben den Chauffeur. - -Ich war wieder einmal gerettet. - -Und weiter ging’s: rechts der Berg von Lucca, in seiner Vereinzelung die -wühlende Trauer dieser Ebene noch mehr akzentuierend. Seitwärts starrte -auf halber Höhe das grausame Weiß von Carduccis Heimatsort. Wer mochte -diese Felder bis zu ihrem Ende durchmessen? Führte denn ein Weg hinauf -zu diesem grellen und gewürfelten Kranz von Mauern? Bogen nicht alle -Straßen von ihnen ab? - -Mein schlammüberzogener Wagen indessen gelangte nach Pisa, und von -neuem, Gott sei Dank, waren wieder Paläste zur Rechten und Paläste zur -Linken, oder sogar mitten auf die Straße gestellt, wie um sie zu -versperren. Unter einem geklärten Firmament wurde sodann das Grundstück -aller Grundstücke erreicht, auf welchem der Campo Santo und die -Kathedrale, der schiefe Turm und das Battisterium zusammen stehen. - -War ich zwischen den hohläugigen Häusern so vieler Ortschaften gefahren, -um unvorbereitet und unvermittelt zu diesen schwebenden Kolonnaden, -diesen singenden Säulenreihen emporzusehen, die kein Spiel der -Phantasie, kein Abbild je vorwegnehmen könnte? Zum Schächer hatte mich -der Anblick all der Dörfer herabgedrückt, dem aber nun die Verheißung -sich erfüllte: „Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein!“ - -Was begab sich hier und was vernahm das überwältigte Gemüt? Was für -Knospen bersteten ihm? Welches „Sesam, tu dich auf!“ ließ Pforten der -Hoffnung in ihren Angeln drehen? Ich setzte im Sturm über die Stufen des -Turmes, den roten Streifen am Himmel und der spürbaren Nähe des Meeres -entgegen. In der Nacht trieb es mich noch einmal zurück. Der Mond war -aufgegangen. Der sonst so Teilnahmslose schien mit einbezogen. Auf mein -Wort, er spielte voll herab. Ein Campo Santo, eine Kathedrale, ein -schiefer Turm? Oft vernommene Worte! Was bedeuteten sie? – Die Harmonie -der Sphären, es ist die Sphärenharmonie, von welcher dieser flache -Rasenplan mit diesem schiefen Turm, diesem Dom, diesem Battisterium -verhaltenen Atems rätselhaft erdröhnt. - -Hierher, ihr Kommissionen! Unter diesem Himmel würdet ihr nicht -vergebens tagen. Es ist der Himmel desselben Landes, das mit einer -solchen Vergangenheit, in Rom das Denkmal Viktor Emanuels, diesen giftig -weißen Höllenbraten, ansetzte und heutigentages keine Maler, keine -Architekten mehr erzeugt. Wäre es nicht wichtig, die Gründe hierfür zu -suchen? – Der Zauber italienischer Kunst lag in ihrer Gedanklichkeit. -Weltumspannendes zieht seine Linien in den Madonnengesichtern und macht -sie noch zarter, zerbricht sie fast. Wo ist die Seele hin des Jacopo -della Quercia oder jenes Ignoto Fiorentino, dessen Bild in den Uffici -hängt? Die abgründigsten Stellen der Chaconne von Bach greifen nicht -tiefer. Welche Beziehung zur Unsterblichkeit! Und was für Italiener sind -das gewesen? - -Auch um Siena aufzusuchen, wählte ich eine Vollmondnacht. Der Zug stieg -wie zwischen hell beschienenen Vorhöfen des Himmels an, von immer -frischeren Winden umstrichen. Und bei der Ankunft ging es erst recht -aufwärts, die lange Stadtmauer entlang, zur steil gewundenen Via Cavour, -die zur Linken, mit allen Schauern, die herrliche Piazza del Campo in -der Versenkung hinter sich läßt. Die Cafés waren noch offen, festlich -trieb der fahnenumwehte Faszismus unter dem mitternächtigen Mond. An -einer besonders stolzen Kreuzung von Palästen, Standbildern und Säulen -warf mich ein pestilenzialischer Gestank aus der Ekstase. Die -Spaziergänger schienen ihn nicht zu bemerken. Gemütlich wogte der Korso -an einer Passerelle auf und nieder, die zwischen Negerkabusen noch ein -Skandal gewesen wäre. - - * * * * * - -Schauderhafte alte Kokotten kamen die Wunderbauten entlang. War dies das -Siena, zu dem ich wie auf Knien gepilgert war? Die Gassen stiegen in -ehernen Schleifen zwischen den senkrechten Palästen empor, und es war, -als müsse sogleich ein Gipfel, eine Fernsicht kommen. Aber der höchste -Platz war ganz von Zinnen und Arkaden und Türmen umstellt, und nur sie -und der Dom sahen ins Weite. Er thronte in der Mitte, und seine -überladene Fassade (_mauvais gout du XIVe_ oder Restaurierungen?) konnte -die Schönheit des Ganzen nicht beeinträchtigen. Ringsum war Leere. Ich -stand allein. Unten in der Via Cavour blieben die Cafés noch lange -überfüllt, die Lichter und Fahnen in ihrem Braus, und der Gestank der -Passerelle inmitten des elegantesten Viertels tobte nach allen -Richtungen. - -Ich durchschritt ein anderes Siena freilich als das, welches seine -Pracht entstehen sah. Allein die Verwandtschaft war nur suspendiert und -jederzeit wieder anzutreten. Das reizvolle Lokal, einem hohen Gewölbe -ähnlich, in dem ich zu Mittag aß, war von poetischer Sauberkeit, in -Zartheit und Geschmack. Ich verließ Siena wie im Traum. Kein Zweifel, es -war noch sein altes Tageslicht, derselbe getönte und schweifende Himmel -hüllte es ein wie dereinst. Was aber war heute von der großen -Gemeinschaft der einstigen Meister Italiens geblieben? Nur ganz -vereinzelt, ohne Gefolgschaft der inneren Vereinsamung anheimgestellte -Künstler, wie hier Gabriele d’Annunzio, dort Ferruccio Busoni. Der Rest -ist die Leere der Straße, die nach Pisa führt. Und der Grund? – Ich will -ihn euch ins Ohr sagen: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei, und -Italien war mit Athen, mit Byzanz und dem germanischen Norden aufs -bräutlichste vermählt. Wie ein Baum trat es in die überschwenglichste -Frühlingspracht. Man reiste damals langsam, es ist wahr. Und dennoch -entblühten das Tuchersche Jagdschloß zu Nürnberg, Maria im Gestade zu -Wien und die diminutive Maria della Spina zu Pisa einer selben Familie. -Denn das nationalistische Schisma hatte noch nicht – in -entgegengesetzter Richtung – den Wettlauf mit den Blitz- und Orientzügen -aufgenommen. Und für die verheirateten Völker bestand noch nicht, wie -heute, die Gefahr, daß die einen in Problematik verarmen und sich -zermürben, die anderen in Gesten und Parolen sich exteriorisieren, jedes -auf seine Weise sich überschlagen und auf toten Geleisen sich heiß -laufen würde. Der Hain der Musen war noch nicht zu einem Theater -abgeholzt, auf dessen Brettern die Auftretenden in ihre eigenen Kulissen -hineinreden und die Geltung ihrer Worte immer mehr zerschichtet sehen. -Die Talente, die noch treiben, dürfen uns über die um sich greifende -Wüste, die uns alle bedroht, nicht hinwegtäuschen. Zwar ist der -vielgenannte „Untergang des Abendlandes“ kein Begriff, sondern nur ein -willkürliches Postulat. Aber die kurzsichtig sich aufwerfenden -Abendländer drängten den Gedanken des Abendlandes ganz und gar zurück, -statt in ihn einzugehen. Die Vorherrschaft bald dieser, bald jener -Abendländer hat die Verwirrung angestellt. Auf diese Abendländer, statt -auf ein Abendland, das außer Kraft gesetzt wurde, wäre diese These zu -stellen, statt mit einer These, die es nicht gibt, die Unnachdenklichen -zu verführen und die Begriffe noch mehr zu verheeren. - -Aber laßt mich zurückkehren zur hochgelegenen Villa, die Carducci -besang, die sich stolz abkehrt von den Feldern, welche sie beherrscht, -und ihre Pinienhaine und Boskette im Auge behält. Laßt mich euch eine -Geistergeschichte erzählen, wie ich sie in diesem Hause erlebte. - - - III - -Ich wohnte zur ebenen Erde in einem großen Saal. Die Wände, die vielen -Stühle, das Riesensofa, das weite Himmelbett in gelbem Damast -ausgeschlagen, sie und die venezianischen Spiegel waren reinstes -achtzehntes Jahrhundert, wie ein Bild von Ghislandi. Nur das -schwervergitterte, übrigens einzige Fenster, merkwürdig zur Seite -hinausgerückt, fast in die Ecke gedrängt, entstammte einer früheren -Zeit. Die eine Tür ging auf die Halle hinaus, die andere in ein kleines -Kabinett, als Ankleideraum gedacht, der rechts an das Badezimmer, links -wiederum an eine winzige Türe stieß, von welcher unmittelbar eine -geheime Treppe in vielen Windungen zu den oberen Stockwerken führte. Man -sieht: ein getrenntes Appartement, und nur durch das saalartige -Schlafzimmer so groß. – Zwischen den thronartigen Sesseln ragte der -prachtvolle Kamin, dessen Feuer mich entzückte. Es war November und -regnete immerzu. Doch herrschte keine Kälte. Ja, eine Schlange ringelte -gleich den Parkweg heran, als ihn die Sonne eines Morgens beschien. - -Schnell aber füllte Dämmerung den Saal. Der gelbe Damast, von -unnachahmlichem Gelb, an manchen Stellen zerschlissen, war er doch so -kostbar wie alt, und der Baldachin mit seinen schweren, etwas -zerfransten silbernen Troddeln, sowie das Bett, die Stühle, die Spiegel -schienen dann alle auf Menschen und auf Dinge zu warten, sie, für welche -Menschen und Dinge doch so Vergangenes und Abgelegtes waren. „Es -geisterte hier“, hörte ich flüstern. Mir aber brauchte man solches weder -zu verheimlichen noch zu verraten. Ich sehe es einem Zimmer sofort an, -auch wenn Morgenlicht es verklärt und Vögel vor dem Fenster trillern, ob -es wacht oder schläft in der Spanne zwischen Nacht und Tag. Denn nie -verscheucht die Sonne seine Wolken, seine Schatten ganz, und immer -bleibt ein solches Zimmer ernst. - -Rita hieß die Schwester des Herzogs; sie schien aus einem Raume nicht zu -gehen, sondern leis und leidenschaftlich zu entschwinden. - -Man ging früh zur Ruh’ in diesem Hause. Aber sie pflegte noch zu mir -hereinzukommen und die zurechtgelegten Reisigbündel und die Pinienzapfen -anzustecken. Dann rasten die Flammen, und wir plauderten. Mir bedeutete -die Zeit, die sie verweilte, eine Frist, denn die Nacht, kaum -angebrochen, war noch lang und das Lächeln, mit dem ich sie endlich an -der Schwelle verabschiedete, durfte so verzerrt sein als es wollte, -reichte doch der Glanz der Kerzen kaum über den Tisch, und eine andere -Beleuchtung gab es in der Villa nicht. Weit stärker war der Schein des -Feuers, das hin und wieder zusammensank, dann aber, wenn neue Scheite in -Brand gerieten, den Stühlen ihre gelbe Sonnenfarbe wiedergab. - -Ich hatte die Türe hinter Rita noch nicht geschlossen und mich dem Saale -noch nicht zugewandt, da fühlte ich schon sein Dunkel ganz ungeteilt im -vollen Braus, wie ein Orchester, das nur auf das Zeichen wartet. - -Eine Stunde oder mehr starrte ich ins Feuer, bis die kleine Tür zu der -geheimen Treppe allzu knisternd erbebte, in ihrem Drange sich zu öffnen. -Ich ging auf sie zu, sie versank in Stille, ich trat zurück, von neuem -atmete ihr Griff. – Dem Feuer abgewandt, behielt ich sie jetzt im Auge. -Sie endlich fröstelnd selber öffnend, steckte ich die Kerzen vor dem -Spiegel an und machte mich langsam bereit, das hohe Baldachinbett zu -besteigen, das belagerte! Nur von einem kleinen Teil desselben war die -damastene Decke zurückgeschlagen; links fast in Armeslänge die Wand, die -rechte Schulter aber dem Sturme ausgesetzt und unbeschirmt inmitten der -gesteigerten, immer mehr sich verstrickenden Luft. Trauer wogte und -trieb heran. So werden lachlustige, lachbegierige, stets nach einem -Anlaß zu Gelächter dürstende Lippen in sich zusammensinken, einfallen in -Ernst und Bitterkeit, wenn ein noch so ferner Reflex von einer Welt sie -trifft, die kein Lachen zu kennen scheint. Und der Gedanke an sie kann -sich hinstürzen über uns, gegen uns ausgestrahlt, uns ganz zu seinem -Brennpunkt nehmen und besitzen. - -Rita pflegte die Stühle wie für Besuche um den brennenden Kamin zu -stellen; sie maß ihn vom Baldachin aus, der Zwischenräume halber, die zu -belassen waren, auf daß ich das Spiel der Flammen frei genoß. -Hochaufgerichtet starrte ich sie an. Ein Nichts, der Bruchteil eines -Nichts, und ich würde sie erblicken die Gestalten, die, so schien mir, -in den alten, den wohlbekannten Stühlen saßen, dem Feuer zugekehrt, oder -vielleicht mir, die so hinstarrte zu ihnen. Jetzt – jetzt – was vermaß -ich mich so auszuschauen? Und fühlte ich nicht schon allzu deutlich den -Saal ins Grenzenlose schleifen, und dieses ungeheuere Bett? – Was fehlte -noch, daß ich die Griffe faßte, die so geisterhaft auf meiner rechten -Schulter lasteten, und daß meine Finger die Schleier befühlten, die an -meinem Nacken sich verankerten, Schatten, von allen Seiten auf mich -zugewallt. Bis ich aufsprang und die Sessel am Kamin aus dem -Gesichtskreis rückte. Aber all die anderen, längs der Wand angereiht, -lebten sie minder auf? Was ließ mich zuletzt die Pfosten des Baldachins -umschlingen, meiner blinden Zeugenschaft ganz hingegeben, ihr immer mehr -entgegengleitend – - -O schattenschwere Novembernächte! - -Wohl konnte es sein, daß sich da sachte die Türe öffnete und, ihre Kerze -vorantragend, Cassilda schüchtern hereinsah: nächtlichen Haares im -langen Nachtgewand, fast rätselhaft in ihrer Anmut, schwang sie sich auf -das goldene Bett. Es war ihr Eigentum wie dieses ganze Haus. - -„Wie schlecht man schläft in meiner Villa!“ seufzte sie und sprach über -ihr Leben. Und ich hörte zu. - -Jedoch der Übergang zu ihr schien mir beschwerlicher als sonst; und -lebendiger freilich, doch scheinhafter auch dünkte sie mir; und -_wesenhafter_ jene Schatten als wir beide, der Weg zu ihnen der -direktere, wenn auch ungangbar; und unsere Gemeinschaft wie unser -Zusammensein, ob es auch alle Saturnalien des Todes in Nichts -zerstreute, war ephemer; Cassildas Nähe war illusorisch. Denn -unübersteiglich dumpf und trennend war die Welt der Körper. Die ganze -Kälte und Abgetrenntheit, der sich jedes einzelne Wesen überantwortet -sieht, ging mir auf, während Cassilda sich schläfrig redete und dann vom -Bett herunterstieg, um ihr eigenes Zimmer wieder aufzusuchen. - -Nacht für Nacht verging in dieser Weise: erst der ausgedehnte Abend mit -Rita, welche die Scheite und Pinienzapfen entfachte, unser Abschied an -der Tür, sodann das lange Gegenüber, das schweigsame Duell bis zu den -Morgenstunden, der schwere Schlaf bis in den Vormittag. Zuweilen das -Auftreten der ruhelosen Cassilda, unsere Gespräche unter dem Baldachin, -bis sie den Fuß zu Boden setzte und mich verließ. Ich merkte die Kurve -jener Nächte nicht sogleich, noch das verminderte Grauen, mit welchem -ich mich dem Saale zurückwandte, wenn Rita entschwand, noch daß mein -streitsüchtiger Arm erstarkte. Sondern wie ein Stoß traf mich die -aufgekeimte Sympathie. – Es war nicht nur die Müdigkeit, welche das Auge -immer erloschener in den Tag hineinsehen ließ, den ohnehin so trüben -Novembertag. Sondern sie hatten auch ihren sehr vernehmlichen Lockruf, -diese Nächte, und ihre gefährliche Lust. Wie löste sie den blinden -Drang, nur ja zu leben, nur ja nicht zu sterben, wesensverschieden von -den Gestorbenen zu sein! Und nun – statt des Sturmes und der Furcht – -orphische Schwingungen herüber und hin. – Aber plötzlich, war es -Ungeduld, Widerwille oder Scheu? – zerriß ich alle Fäden, die fein wie -Spinnweben nach mir zogen, und von einer Stunde zur anderen war ich -entschlossen, diesem Hause zu entfliehen. Um Mittag stand mein Koffer -bereit, triumphierend hatte ich ihn abgeschlossen; da ereignete sich ein -Zwischenfall, der mich noch für eine letzte Nacht in diesem Zimmer -zurückhielt und zugleich meinem Aufenthalt in der „_Italia liberata_“ -einen unerwarteten Abschluß verlieh. - - - IV - -„Heute wird nicht gefahren!“ rief Cassilda in den Saal, „es sind vier -deutsche Studenten angekommen, zu Fuß, von Rom. Und wie abgerissen sie -sind! Aber ihre Schuhe werden im Dorfe frisch besohlt! Sie übernachten -in der Fattoria, und sie wollen uns vorsingen heute abend.“ Ihr -melodisches Lachen hatte einen metallnen Sprung wie eine Glocke. „Nein, -wie sie essen können!“ brach sie aus. - -Mein erster Impuls war, mich vor diesen deutschen Studenten zu drücken. -Ich fand es nicht am Platze, ich fand es nicht an der Zeit, daß sie -gerade jetzt und ausgerechnet dieses Land auf solche Weise bereisten, -Obdach erbittend von Ort zu Ort, in Scheunen nächtigend (und was für -Scheunen!) oder dann auf Gutsherrschaften nach dem Ökonomiegebäude -mitleidig verwiesen. Konnte man besiegter auftreten? Zum Teufel auch! -Man schuldete etwas seiner Vergangenheit! Entstammten sie nicht einem -stolzen Volk? Es hatte nicht mit zagen Bettlerschritten auf diesem Boden -vorzudringen gepflegt! Und war ihre Rolle nicht neu? Was besaßen sie für -Gründe, sich so unschwer in dieselbe zu finden? Aber natürlich mußte ich -helfen, sie zu empfangen. - -Übrigens – dem einen oder anderen wurde wohl bei einem Baumeister auf -dem Reißbrett zu schaffen gegeben; aber Studenten waren es keine, und -ihre Naivität schien entschuldbarer, sobald man sie sah. Auch deutete -nichts darauf hin, daß sie seit einem Vierteljahr zumeist auf dem Stroh -italienischer Bauernhöfe schliefen, sondern sauber und adrett, ja -schmuck, bei aller Dürftigkeit, standen sie abends zur Serenade -aufgepflanzt, vornean der Lautenspieler, blond wie Dornröschen und das -Gesicht schneeweiß. - -Der Tenor mit seinem schmalen, fahlen und windschiefen Kopf schien auf -ein romantisches Erlebnis mit Rübezahl zurückzuschauen und immer noch -daran zu denken; der dritte glich auf ein Haar dem braven Knappen -Fridolin, und nur der vierte, ein Magdeburger, war Realpolitiker. - -Durch das offene Fenster leuchtete im Kerzenscheine der weiß gedeckte -Tisch, Gläser, noch mit Chianti gefüllt, halbgeleerte Riesenschüsseln -mit Makkaroni. Es war ihre vierte Mahlzeit. „_Bevono poco, ma che -appetito!_“ berichtete der Verwalter. Sie standen in Hausschuhen. Ihres -Stiefelwerkes hatte sich der Herzog angenommen. Bis zum nächsten Mittag -sollten sie es gesohlt zurückerhalten. Cassilda war guter Dinge. -Melodisch schlug die zersprungene Glocke ihres Lachens an. Die Luft war -lau. Wir saßen in Tüchern und Mänteln um das Ökonomiegebäude gruppiert. -Durch das immergrüne Laub der Bäume sah der Mond. Und das Konzert -begann. – - -Selten hatte ich etwas so Erschütterndes gehört. Wie aus einem -Wunderhorn ergoß sich der Wohllaut dieser staunenswert geschulten -Stimmen. Wälder fingen an zu rauschen, verzückte Büsche über den Vater -Rhein gebeugt, Kähne von Wellen hoch emporgehoben, Seen der Gebirge; -blanke Scheiben einer Herberge dem müde Gelaufenen entgegenfunkelnd ... - -Es mehrten sich jetzt unter den Bäumen magisch angezogene Gestalten, sie -traten näher, standen unbeweglich. - -Ich achtete nicht mehr der Lieder, sie waren nur noch die Begleitung zu -dem Sturm in meinem Innern. Wie aus einem tiefen Brunnen tauchte ich -empor, als die Sänger innehielten. Man umringte sie, von allen Seiten -kam Applaus. Der Nachtwind strich unter einem milden Himmel, -Kerzenschein flackerte über den Tisch, welcher die Platten, den Chianti, -die halbgefüllten Gläser trug; alles war wie in einer gesitteten, -idyllischen Welt. Nur ließ der Magdeburger seine Kameraden nie zu Worte -kommen. - -Nach einer Weile wurden sie gebeten, weiterzusingen. Ich saß zwischen -der Mutter des Herzogs, einer Französin, und einer jungen Deutschen in -Schwesterntracht, die unter ihrem Häubchen mit runden Augen Welt und -Dinge betrachtete. Der Lautenspieler mit dem schneeweißen Angesicht -wartete auf ein Zeichen des Magdeburgers, bevor er in die Saiten griff. -Die Aussprache der vier war nicht sehr deutlich. Nur das Wort Kikeriki -kehrte jetzt nach jeder Strophe vernehmlich wieder. Plötzlich gerieten -die Schatten unter den Bäumen in Bewegung; einige traten mit fast -drohender Gebärde vor. Was ist das für ein Lied? fragte ich die kleine -Diakonissin. Sie kannte es gut. Kikeriki sei der Spitzname der Italiener -während des Krieges gewesen. Ein Kriegslied also! – Es schien ihr -spaßig. Zum Glück ging seine Pointe unserem Halbkreis verloren, und es -wurde geklatscht. Nur der Herzog sah wie mit versteinerter Pupille -geradeaus. - -Eigentlich schienen die drei den Magdeburger gar nicht zu mögen. Aber -man erlebte jetzt ein Stückchen deutscher Geschichte: nämlich sie -gehorchten ihm doch. - -„Bis daß das Auge bricht, bis daß das Auge bricht“, hieß der nächste -Refrain. Entgeistert lehnte der junge Lautenspieler an der Mauer, und -ferne war sein Sinn. „Bis daß das Auge bricht, bis daß das Auge bricht“, -sangen die vier, als läge in der Vorstellung etwas, worin sie -schwelgten. „_Comme c’est triste_“, sagte die Mutter des Herzogs. Unter -den Bäumen aber waren keine Schatten mehr zu sehen. - -„Ich verstehe nur die Ritornelle“, sagte ich leise zur Diakonissin. - -Die war schon wieder im Bilde. „Schießen tun sie, bis daß das Auge -bricht“, sagte sie und lachte schelmisch. Sie fand nichts dabei. „Bis -daß das Auge bricht“, sekundierte die Laute mit unerhörter Melancholie. -Dann schloß das Konzert mit einem Hoch auf den Herzog. Ich mußte noch -hören, wie der Magdeburger ihm versicherte, sie fänden überall eine so -gute Aufnahme; bei den Bauern jedoch würden sie erst gefragt, ob sie -wirklich Tedeschi seien, denn wenn sie Francesi wären, wiese man sie vor -die Türe. Über diesen seinen Beitrag zur Politik war er sichtlich -befriedigt. Cassilda lachte. Ihr konnte es egal sein. Mir war es zuviel. -Ich floh in den Park. Sein Dunkel nahm mich auf. Wie der rasende Ajax, -ein pazifistischer Ajax, köpfte ich Sträucher, schlug auf die Hecken wie -auf einen imaginären Konferenztisch, traf drakonische Maßregeln, -untersagte und befahl. „Ich habe keine Lust an Völkern“, schrie ich die -Pinien an. Und kein Angehöriger eines fremden Staates durfte mir auf -drei Generationen bei Verlust aller Ämter eine Landsmännin heiraten. -Noch am Traualtar war sie von seiner Seite zu reißen. Wie besinnungslos -fuhr ich in die Äste, teilte das Gezweige rings um mich her, als sähe -ich schon hier in diesem Lande die Mädchen nicht nur schön und -liebenswürdig, sondern auch wieder versonnen, wieder unschuldigen Auges -und gedankenvoll wie seine Madonnen von einst. Und als sähe ich schon -berückend unkonventionell gewordene Französinnen, komplett aus der Art -geschlagene Engländer und weltkundige Deutsche die ihnen -verlorengegangene Welt nicht zurückerobern, sondern zurückgewinnen. -Nichts stünde dann jener Stunde der Einkehr mehr im Wege, in der sich -jede Nation auf die innerhalb ihrer Grenzpfähle begangenen Infamien, auf -die Niederlagen ihrer Gerechten, auf die Triumphe ihrer Lügner und -Verhetzer als der einzigen Schmach besänne, welche sie treffen kann. Das -Tausendjährige Reich wäre jede Stunde einzuläuten. Aber es geschehen -keine Wunder dem Verblendeten, um ihn der Hölle zu entreißen, die er -sich bereitete. Noch immer litt das Himmelreich Gewalt. - -Wo aber sah ich den Weisen, ach, der noch Hoffnungen frönte? Er kehrt -sich ab, begibt sich seines Anteiles und glaubt nicht mehr an diese -Welt. Doch wehe, sie ist die unsere! – Wie ihr heutiger Zustand Werk und -Schlagwort einzelner ist, so könnte nur Wort und Tat einzelner ihre -Rettung bereiten. Wenn sie auch nicht die Saat aufschießen sehen, die -sie streuen, noch die Mühle, an der sie mahlen. Der Tod wird sie -erlösen. Denn die Not dieser ohnmächtigen Zuschauer ist nur vergleichbar -mit der des Schemen, das in seinem Drange, vielleicht sich kundzugeben, -vielleicht zu rufen, doch ohne einen Laut, uns anblickt vielleicht, doch -ohne gesehen zu werden, flehende Arme vielleicht nach uns ausstreckt, -durch die wir schreiten als durch leere Luft. Wie vorstellbar war doch -mit einem Male ihre heiße, verzehrende Wut! - -Der Park war jetzt in Nacht versunken. Nacht hing an den Zweigen, kein -Gesang durchbrach sie mehr, die Vögel, die Schlangen, die Bäume, sie -waren eins, sie ruhten. In dichte Wolken hatte sich der Mond gebettet, -kaum ein hellerer Schein dort, wo er schlafend lag. Unenträtselt fügten -sich die Rhythmen der Gestirne, spielte sich dem Auge der Marsch der -Sterne ab, geheimem Schlüssel entspannt. - -Ich eilte dem Hause zu. Finster die Terrasse, leer die Halle. Wie lange -war ich verweilt? - -In meinem Saale aber entsandten die Flammen des Kamins ihren warmen -Hauch bis zu den sonnenfarbenen Stühlen. Sie standen erwartungsvoll. -Rita hatte es aufgegeben, auf mich zu warten, aber Spätrosen auf den -Tisch gestellt; ein Rosenstrauch leuchtete im Schein des Feuers. Ich sah -mich um. Von neuem rauschte draußen der Regen. Bitterkeit und Süße -wellte jetzt empor und ließ mich die Arme ausbreiten. Zum Fest war die -pulsierende Luft um mich her. Hoch ins Leere aufgerichtet unter -köstlichen Schauern lauschte ich ihr von meinem goldenen Bette entgegen. -Die im Park ausgekostete verwandte Qual, sie war es, die wie mit -Leierklängen die Schatten dieses Saales versöhnte. Blumenleicht! Wie von -Blumen war die Schulter umweht, milde und barmherzig unser Abschied, als -seien wir uns teuer geworden. - -Und ihr, meine Leser, seid ihr enttäuscht von meiner Geistergeschichte, -weil sie tröstlich verklang? - - - - - Torso - - -Gedanken, Meinungen und Überzeugungen drängen nach Äußerung, lange bevor -wir noch wissen, welchen Ausdruck wir ihnen verleihen, in welche Form -wir sie bringen können. Den einen treiben sie zur Gestaltung, zur -Ausführung oder zur Tat, den minder Glücklichen zwingen sie zur Schrift. - -Leopardi nennt die so verbreitete Meinung von der Seltenheit der -Originale einen großen Irrtum, denn bei näherer Betrachtung erweise sich -fast ein jeder als ein ganz einziges, noch nie dagewesenes Exemplar! -Einem solchen Begriff der Originalität fehlt freilich jedes Prestige. -Aber tatsächlich ist es mit den geistigen Physiognomien der Menschen wie -mit den äußerlichen. Könnten wir jene mit den Augen sehen, wir würden da -genau dieselbe Mannigfaltigkeit, aber auch dieselben Mißverhältnisse -wahrnehmen wie an den sichtbaren Gestalten; nur daß sich auf geistigem -Gebiete der Wahn so bemerkbar macht, als sei hier eine Unterschiebung -der eigenen Identität durch eine schönere oder bedeutendere leichter -möglich, die Gesetze der Unveränderlichkeit leichter zu täuschen oder zu -umgehen als in der körperlichen Welt. Wie wenige sind denn wirklich -schöne oder vollendete Typen! Und wie viele gleichen jenen Bruchstücken -antiker Statuen, deren Wirkung durch einen ergänzten Kopf, eine fremde -Bewegung verdorben oder gestört wird, statt daß sie bleiben, was sie -sind, nämlich meist _ohne_ Kopf und Fuß, aber echt. - -Marie stand mit fünf Jahren eines Morgens unter einem Baum, dessen Laub -im Winde rauschte und den blauen Himmel durchblicken ließ. „Das Leben -ist schön!“ dachte sie. - -Da flog ein Blatt von den Zweigen herab in ihre Hand, und während sie -seine groben Adern und Fasern langsam auseinanderriß, wurde sie -unsäglich verstimmt. Nicht der frohbewegte Wipfel in der Höhe, das -einzelne langweilige Ding in ihren Händen war die Wirklichkeit! – - -Der Grundakkord ihres Wesens schlug da zum erstenmal an ihr Bewußtsein -an; denn es gibt nichts Neues im Menschen. Das _fin mot_ eines Ichs ist -ein Motiv, und was hinzutritt sind Amplifikationen. - -Schon ein Jahr darauf lernte sie im Kloster die Langeweile kennen, zu -der sie neigte wie ein anderer zu Gichtschmerzen oder Rheumatismen, und -die sie anwehen konnte, plötzlich, unvermittelt, wie ein Wind, der um -die Ecke fährt. - -In ihrem Kloster blies sie durch das ganze Haus, um alle Mauern und -durch den ganzen Garten, die Stelle ausgenommen, an der eine reizende -Brücke über den Wildbach bog, Libellen unklösterlich schwirrten und die -Bäume parkähnlich zusammenstanden. Aber alles andere war häßlich. Zwei -hohe, plumpe Berge versperrten wie Riesentore nach Norden hin die Welt, -und die Monatsrosen standen, meist verwelkt und verweht, um ein -mächtiges Kreuz vor dem Haus. Alles, was sie sah, mußte sie zugleich -empfinden, doch ohne auch nur entfernt die Fähigkeit zu haben, sich dies -zum Bewußtsein zu führen. Wie schmerzlich schien ihr im Frühjahr das -Licht, wenn die Furchen der Berge so rauh aus dem Schnee hervorstachen -und die grünenden Bäume im Scheine eines regnerischen Tages fröstelten. -Ach, wie öde der Ackergeruch im Winter, die Stoppeln und Maulwurfhügel -auf dem Felde, der schwere, fette Flug der Raben! - -Zu ihrer Unterhaltung verfiel sie da auf ein höchst seltsames -Gedankenspiel: sie setzte sich abseits, stützte die Arme auf, schloß die -Augen und dachte mit immer beschleunigterem Tempo und eingezogenem Atem: -„Ich bin Ich.“ An diesem Gedanken konnte sie nämlich, wie an einem Seil, -immer dunklere Schlünde hinabgleiten, bis sie ein Schwindel erfaßte und -ihr Ich ihrem Bewußtsein entsank. - -Wie sie das zusammenbrachte, wurde ihr später selbst ein Rätsel: ihr -Geist hatte damals eine jongleurartige Geschwindigkeit, als sei er -transparenter und zugleich schärfer gewesen, lösbarer von ihr? – Sie -wußte es nicht. Aber sie fand es „spannend“, sich selbst zu jagen, bis -zu einer Wurzel, die sie nicht mehr war. – „Ich bin gefangen!“ dachte -sie da wohl. „Auch nicht für eine Stunde kann ich jemals von mir fort, -und wenn mir andere Menschen noch so sehr gefallen werden, kann ich sie -nie sein!“ - -Aber einmal, als ihr diese geistige Rutschpartie besonders gut gelungen -war, faßte sie ein Entsetzen, als hätte sie sich verloren, als hinge das -Seil ihrer Identität in der Luft, als harrten ihrer Gespenster in den -Tiefen, in die sie geraten war, – und mühsam, wie ein Ertrinkender, so -rang sie seufzend zur Oberfläche ihres Bewußtseins zurück. - -Ein Instinkt riet ihr jedoch, dies unheimliche Spiel zu lassen, und die -Fähigkeit verlor sich auf diese Weise sehr rasch. Dafür fingen andere -Probleme, deren Lösung sie keinen Augenblick gewachsen war, an, sie zu -quälen. - -Starb eine Klosterfrau und wurde es den Zöglingen freigestellt, sie auf -der Bahre noch einmal zu sehen, so ließ Marie alles liegen und stehen -und marschierte, zwei Schuhe hoch, allen voran. Dann starrte sie -forschend in das fahle Gesicht, dem der Geist schon zu lange -entschwunden war, und das ausdruckslos, ja sinnlos vor ihr lag. Und -nichts schien ihr gerade auf das Klosterleben ein so trauriges Licht zu -werfen als der Tod. - -Aber es kamen immer mehr Dinge, die ihr mißfielen. - -Eines Sonntags fand sie in einem Bilderbuch eine Palmengruppe -abgebildet, einen sprungbereiten Tiger und ein Mädchen, das mit tödlich -entsetzter Miene sich vor ihm zu verbergen suchte, aber vergebens, denn -er hatte sie schon fast erreicht und mußte sie unfehlbar zerreißen. - -Empört und außer sich, rannte Marie im Zimmer umher. Sie blickte zu den -gemalten Inschriften auf, die an den Wänden hingen, und die ihr so gut -gefielen: „Siehe, so sehr hat Gott die Welt geliebt ...“ „Er aber liebt -die Seinen bis in den Tod ...“ „Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr -gehört ...“ Über ihren Schrank breitete ein Pelikan seine Flügel aus mit -einem ähnlichen gefühlvollen Spruch. Wie reimte sich dies? – Und sie -verbiß sich von neuem in das schreckliche Bild. – Wie konnte Gott dies -ertragen, wenn wir sein Ebenbild waren? - -Ein anderes Mal hatte die Feuerglocke wegen eines in der Nähe brennenden -Anwesens wohl eine Stunde hindurch geläutet. Endlich kam fliegenden -Schrittes eine Klosterfrau den Gang heraufgeeilt und sagte: „Gottlob, -Kinder, es ist kein Menschenleben zugrunde gegangen, nur sechzehn Kühe -sind verbrannt.“ - -In der Nacht sah Marie die Tiere heulend durch die Flammen jagen und -fuhr erschrocken aus ihren Träumen empor. Sie schlief nahe am Fenster, -und der Wildbach rauschte mit düsterem Schwalle, ewig stöhnend, schwarze -Klagen herauf. Was war dies für eine Welt, in der die Kinder ihre Eltern -begruben, und der Herr der Schöpfung zur Beute eines niedrigen Tieres -entehrt werden durfte? Schöne Menschen, die sie kannte oder gesehen -hatte, und die schwerlich je in Kollision mit einem Tiger oder einer -_Boa constrictor_ kommen würden, schwebten ihr vor Augen. Allein gewisse -_Möglichkeiten_ genügten, um da ihren Weltschmerz zu einem unerhörten -Fortissimo zu steigern. Es gab ja kein Entrinnen aus einer solchen Welt, -keinen Tod, keine Bewußtlosigkeit mehr für unsere unsterblichen Seelen! -„Oh, wie ist das?“ dachte sie erschrocken. „Ich kann Gott nicht lieben!“ - -Am nächsten Morgen waren Geschenke für sie angekommen, und sie bezeigte -eine solche Gier, sie alsbald in Empfang zu nehmen, daß die Oberin sie -zurechtwies: „Du genußsüchtiges Kind“, sagte sie streng. Marie hörte -dies Wort zum erstenmal und vernahm es mit Interesse. In der Tat: Warum -haßte sie nichts so sehr auf der Welt als den Schmerz? Warum ging sie -stets mit abgewandtem Gesicht den unteren Gang entlang, wo die Apostel -der Reihe nach in schlecht gemalten Bildern hingen, mit Kreuz, Nägeln -und Stricken, all den furchtbaren Zutaten ihres Sterbens? Warum erfaßte -sie jede Freude mit so peinvoller Hast und entbehrte sie mit solcher -Heftigkeit? Und warum waren selbst ihre schwärzesten Stimmungen so -seicht wie Wolken, die ein leichter Windstoß wieder zerreißt? - -Aber ihre Grübeleien brachten ihr nur Überdruß, und sie war froh, sich -ihrer zu entschlagen. So fing sie mit acht Jahren an zu schwärmen, und -wenn Orgelklänge und Weihrauchdüfte die Kirche erfüllten, dachte sie nur -mehr an Rosa Flatz, Paula Baselli, Irene Angermaier und Livia Gelmini. - -Es gibt Wesen, die in früher, unwahrscheinlicher Vollendung ins Leben -hineinleuchten, gleich jenen vereinzelten Tagen inmitten langer -Regenzeiten, an denen das Licht so zärtlich, das Laub so golden, der -feuchte Blick der Sonne kristallen leuchtet! Aber tags darauf haben -Regen und Wind ihre trüben Lieder wieder aufgenommen ... Flatz war von -hohem Wuchs, hatte goldenes Haar und den Kopf einer Sirene. Da sie fast -schon erwachsen war, wagte Marie nur im Winter, wenn die Zöglinge -schweigend spazierengehen mußten, sich zu ihr zu gesellen, ergriff ihre -Hand und sah stillbeglückt von der Seite zu ihr auf. Kein Frost konnte -die liebliche Röte dieser Wangen beeinträchtigen, so schön und blühend -war ihr Flaum. Aber sie blühte so königlich! Wo sie ging, war kein -Winter, heftige Rosensträuche blühten an allen Wegen, und an den -Frühling gemahnte selbst ihr sicherer, zerstreuter Blick. - -Baselli hatte einen zu tiefen Teint und ungeschmeidiges Haar. Aber der -Schnitt war rein wie der eines Ägineten, und ihr stolzer Blick flammte -in unbewußter oder in Zaum gehaltener Trauer. Marie hielt sich gern in -ihrem Umkreis, um die edlen Augenhöhlen, die köstliche Zeichnung ihrer -Lippen in der Nähe zu sehen, und wie über einen heiligen Wald schwärmte -ihr inneres Auge über sie hin. - -Aber Irene Angermaier war die schönste! Mit braunem, weichfließendem -Haar, ruhig und müd wie eine Nymphea im Mondlicht. Sie lehnte in ihrer -harten Schulbank mit jener überlegenen Grazie, welche die Menge anjubelt -und vor der die Maler knien. In prunkvoll ausgeschlagener Gondel, in -Palästen hätte sie ruhen sollen; ein Antlitz für Perlen und unschätzbare -Schleier, ein Wesen, zu schön, um zu leben, zu leicht, um im Grabe zu -ruhen. - -Gelmini war aus Salurn und melodisch wie ein Glockenspiel. Ihre Achseln -schienen wie mit Blütenfäden an ihren Körper gefügt, und an der Art, wie -sie den Arm nach der Stiegenrampe ausstreckte, und an ihrem Gang konnte -Marie sich nimmer satt sehen. So schritt wohl Julia, als Romeo sie zum -erstenmal erblickte. Und wenn Livia: „_il gallo, la primavera, la -catena_“ sagte, dann schwärmte Maries Herz wie ein bunter Schmetterling -in der Sonne. Mit Livien, die erst neun Jahre alt war, hätte sie -verkehren können, aber sie gefiel ihr zu gut, und wo sie bewunderte, -zerfloß sie in Verehrung. In Wirklichkeit wollte sie weder von Puppen -noch von Freundinnen etwas wissen, und mit Vertraulichkeiten war ihr -nicht gedient. Sondern sie wollte höhere Wesen, die sie ihrer enthoben. -Und angesichts jener vier reizvollen Gestalten, die sie so früh -verlieren und sterben oder scheiden sehen mußte, war sie viel mehr einem -Zustand als Gefühlen hingegeben. Sie sprach nie mit ihnen und suchte nie -von ihnen beachtet zu werden, nur in der Nähe, im selben Zimmer mußten -sie sein; sie mußte sie alle vier sehen können, wenn sie den Kopf -wandte; dann nur war ihr Kloster ein schöner, gewählter und -träumerischer Ort. - -Mit ihnen schwand alle Poesie aus Maries klösterlichem Leben; sie stak -von neuem in Grübeleien, wie in ödem, verwirrendem Sande, langweilte -sich und sehnte sich fort. Zudem wurden alle ihre Bücher, die sie gerne -vorschriftswidrig in ihrer Schublade aufgeschlagen hielt, der Reihe nach -konfisziert, und ehe sie sich versah, stand sie als Verkörperung der -Insubordination von allen Zöglingen abseits. Alljährlich feierte man in -ihrem Kloster das sogenannte Königsfest, bei dem sich das ganze -Pensionat in einen Hofstaat umwandelte, und jeder Zögling, von der -Königin herab zu den Köchen und Kaminkehrern, je nach Verdienst, seine -Charge erhielt. Die ersten Jahre stand Marie als Page, in -Korkzieherlocken und Goldreif, einen ganzen Tag hindurch stumm, doch -voll Entzücken, in der Königin Dienst. Es war Irene Angermaier, in -Silbergaze und königlicher Krone. Aber später wurde ihr dies reizende -Fest verleidet: In einem schief aufgesetzten, viel zu kleinen -Schäferinnenhut und einem zu engen grünen Tarlatankleid (denn es hatte -als ehemalige Balltoilette eine Taille, und sie noch lange nicht) -spazierte sie als „königliche Lectrice“ mit einem Riesenbuch, allein und -tödlich verlegen, hinter den Landgräfinnen einher, und wenn im _cortège_ -die Reihe an sie kam, tanzte der Hofnarr in seiner roten Schellenkappe -vor ihr her und verkündete ihre Streiche. Nun pflog sie zwar über die -Weltordnung allerlei Separatanschauungen, doch für das Maß ihrer eigenen -Missetaten fehlte ihr jedes persönliche Gutdünken, und sie schämte sich -über Gebühr. - -Aber dafür war die freie, herrliche Welt der Tummelplatz aller -Freiheiten, und ihr Herz schlug hoch, als die schweren Klosterriegel auf -immer hinter ihr zufielen. - -Das Leben präludiert meist anders, als es verläuft. In der Tat: so -unglaublich es ihr selber erschien: einen Monat später durchschwärmte -sie, frei wie ein Waldestier, eine Mondnacht um die andere in den Bergen -und kampierte am offenen Feuer wie ein Zigeuner. Was hätte sie gesagt, -die würdige Mère Supérieure, die ihre Uhr nach den Hühnern richtete? – -Da hing Maries Disziplin am hohen Klostergiebel, als leeres Fähnchen -zurückgeblieben. - -Folgendes müssen wir ihren eigenen Aufzeichnungen entnehmen: - -Es war zur Sommerszeit in den bayrischen Bergen, als uns vier Kinder die -Wanderlust zum erstenmal ergriff. Aber der Tag ließ uns nicht weit genug -gelangen; so rüsteten wir uns sorglich auf einen längeren Streifzug aus. -Daß uns gerade nur so viel Geld bewilligt wurde, um vierundzwanzig -Stunden fernzubleiben, kümmerte uns nicht. - -Erst als der späte Nachmittag verglühte, traten wir vor. Bald rauschte -dann im Mondlicht der Fluß uns zur Seite, und schneeweiß zog sich die -Straße den bewaldeten Felsen entlang. Jeder Stein, der im Flusse die -Wellen zurückwarf, die Kiesel am Wegesrand, ja das zertretene Gras am -Ufer schienen verklärt. Und wenn sich in dem mondlichen Schweigen der -Schrei eines Tieres entrang, durchzitterte ein ewiges Glück die -schimmernden Mulden. - -Immer leichter trugen uns unsere Schritte voran! Immer eifriger berieten -wir die Möglichkeiten einer einstigen großen Erbschaft, und in der -großen Bergesstille schallte unser lautes Gelächter. - -Als die Lichter der „Fall“ vom anderen Ufer herüberleuchteten, hielten -wir Rat: denn aller Spaß wäre zu Ende gewesen, hätte unserem Auftreten -etwas von dem hohen Ansehen gefehlt, von dem wir selbst so sehr -überzeugt waren. So betraten wir, stets fremde Sprachen untereinander -führend, das alte Gasthaus, bestellten ein wohl ausgeklügeltes, sehr -zimperliches, aber sehr billiges Essen, gaben dann vor, einer Wette -halber die Nacht in keinem Hause verbringen zu dürfen, und griffen, -mitten in der Nacht, mit großer Eile nach unseren Stöcken. Der Eindruck -war nach Wunsch: die paar Reisenden und das Personal standen neugierig -an der Türe, eine alte Dame protegierte, die Wirtin bewunderte uns, der -Förster zog seine Pfeife weg und wies uns den Weg, und von freundlichen -Zurufen verfolgt, von der alten Dame gewarnt, drangen wir in den Wald, -und weiter hinein in die „Riß“. Den Tag verschliefen wir auf Almen oder -Bergeskanten. Kamen Stürme, so äfften wir sie. Von den Felsen geschützt, -apostrophierten wir das finster fliegende Gewölk und begrüßten die -Donnerschläge mit dröhnendem Gelächter. - -In der Folge dehnten wir unsere Touren immer stattlicher aus. An einem -Herbsttag kamen wir vom Achensee und wollten über den Schildenstein -zurück. Die Alm war geschlossen. Da liefen wir in der Dämmerung den -Kanten des Blauberges entlang, drangen durch das Fenster in eine leere -Hütte und machten uns Feuer. Aber draußen lockte die Nacht, lockten die -in Mond getauchten Tiefen des Achentales und der silberne See. -Unbeweglich wie Berggeister saßen wir, in unsere Mäntel gehüllt, vor -unserer Alm. War es Ahnung oder Müdigkeit, die uns verstummen ließ? Die -Welt mit ihrem Spiel riesiger Schatten und frohlockender Höhen atmete -Gesang, aber die Leier unserer Freuden schwebte zerrissen über uns. - -Bald standen wir wie ein Häuflein, das ohne den Führer trübe zerfällt. -Der große Zauber jener Wanderungen hing an einem romantischen, -19jährigen, höchst merkwürdigen Wesen, in dem kein Raum war für -Pandorens Trug. Reinste Vernunft gebot hier jeder Unruhe, und die -Erkenntnis überstrahlte den Wunsch. Aber nie vorher hatte sich so hohe -Weisheit mit solcher Grazie umkleidet und die Taue eines so unschuldigen -Lebens gelockert. In dieser fast morbiden Erscheinung mit dem -unbeschreiblichen Relief ihrer bangen Umrisse blieb alle Schwäche -ausgeschieden, war alles Schönheitssinn und Stil. Zuletzt sind Linien, -die uns fesseln, solche, an die wir uns nicht gewöhnen, und stete -Neugier erregte diese schmale, ernste Stirne mit den hochgezogenen -Brauen, die fast leichtsinnige Anmut des kleinen Ovals, das eitel -gesteckte Gold der Haare, und dabei die männliche Zurückhaltung in den -durchdringenden Augen. So glich die Mischung ihrer psychischen Elemente -der Stimmung eines herrlichen, aber zu zarten Instrumentes; und so -ließen sich ihre Anforderungen an ein Leben, an das sie nicht glaubte, -nicht herabdrücken, und mit allen Fasern zog sie sich von ihm zurück. - -„_La mort est bête_“, sagte Gambetta. „Aber der Tod überblickt -Zusammenhänge, und das Leben ist befangen. In unserer Existenz wähnen -wir unser Wesen erschöpft, währenddem die Grundlagen neuer -Individualitäten schon in uns dämmern, neue Lebensformen unserer harren -mögen. Allein einzig ist der Mensch als Kunstwerk! Und mit Grauen -erfahren wir, daß es Wesen gibt, die, köstlichen Schalen gleich, einmal -zerschlagen, der Natur nicht wieder gelingen.“ - - Wie der Seekranke vom Schiff im ersten Morgengrauen nach der Küste - späht, so sehnt man sich oft nach dem Tode – man weiß, daß man den - Gang und die Richtung seines Schiffes nicht verändern kann. - - Nietzsche. Nachgelassene Werke. - - Ob wir wollen oder nicht, wir werden am Ende alle katholisch. - - Moltke. - -Als Marie heranwuchs, wurde ihr der Ernst so widerwärtig wie früher das -Leiden. Von den beiden Philosophen, von welchen der eine die Welt ewig -weinenswert, der andere sie ewig komisch fand, hatte nur der letztere -ihren Beifall. Denn wer sich über eine Welt, gegen die er nichts -vermochte, Sorgen machte, der war in ihren Augen ein Narr. Man lebt -nicht lange, also lebe man, ohne zu denken. Allein ihren Theorien zum -Trotz erhoben sich die Gedanken wie ein brennender Wüstenwind in ihrem -kindlichen Gehirn. Da faßte sie eine tiefe Abneigung zu Menschen ihrer -Art. Mädchen ihres Alters umging sie in weitem Bogen, aber das -Zusammensein mit schönen verwöhnten Frauen, im Kreise weltgewandter -Männer, wurde ihr Paradies. So geriet sie sehr früh in eine Clique -welterfahrener, mächtiger und verfeinerter Leute, die sich täglich -sahen, in deren Vertraulichkeit, die keine war, das Herz fast keine -Rolle spielte, sondern mehr das Behagen, und deren Denkprozeß bei oft -interessanter Begabung ein geringer blieb. Aber gerade dies fand sie -bezaubernd. Das Leben war es wohl wert, zur Kunst erhoben, erheitert zu -werden, und die Sorglosen waren die Lieblinge, die Nachdenklichen nur -die Frondiener der Götter. - -_Jene_ also waren die überlegenen und vollkommeneren Menschen. Ach und -das ferne, freundliche Mitgefühl, mit dem sie eine eben ereignete große -Katastrophe, einen Brand, ein Eisenbahnunglück besprachen, vollends die -Art, mit der sie dann das Thema wieder fallen ließen, entzückte, ja -betäubte Marie. Und die Ironie, mit der sie gesprächsweise die -Erbärmlichkeiten des Lebens streiften, – nur streiften! schien ihr das -Nonplusultra seelischer Eleganz. - -Diese siegreichen Typen schieden in ihren Augen alle entwürdigenden -Grausamkeiten, alle Häßlichkeiten aus, alles, was sie haßte, woran sie -nicht erinnert werden wollte. - -Denn es lag ihr so sehr am Leben! Es schien ihr so kostbar, so -begehrenswert. Sie liebte, ja in dem höher potenzierten Menschen -vergötterte sie es; aber die _Freude_ war das Gesetz, nach dem er -wandeln sollte. - -Aber ach! die Freunde ihrer Wahl, in deren Oberflächlichkeit sie -schwelgte, deren Lächeln sie beruhigte, an deren Leichtsinn sie ihr -Gemüt sonnte wie ein Kranker im Mittagsscheine, sie hinderten ja nicht, -daß ihre Gegensätze bestanden. Ihr Genuß löschte keine Qual, war nur ein -Kontrast – kein Ersatz – nur ein Widerspruch mehr! Empfindungen von -solcher Mannigfaltigkeit konnten sie da überwältigen, und der Andrang -ihrer Gedanken im Verhältnis zu ihren noch kaum entwickelten Fähigkeiten -sich so mächtig steigern, daß vor innerer Erregung ihre Zähne -zusammenschlugen und ein lauerndes Angstgefühl sie immer deutlicher -beschlich. - -Zu ihren Freunden hatte sie indes eigentümlich Stellung genommen: zu -jung, um noch zu zählen, störte sie niemanden; die Frauen litten sie -gern, ja die schönste von ihnen zog sie zu den Zusammenkünften, die -täglich bei ihr stattfanden, und hielt sie wie eine Art von Pagen. In -der Tat hatte Marie der Schönheit gegenüber eine huldigende Art, ein -Gefühl des Ausgefülltseins und Verlorengehens, ein Stillstehen ihres -Selbst zu einem Atom, das nicht Schwärmerei war, sondern Glück. - -Eines Tages hatte sie sich verspätet, die Besucher waren fort und ihre -Freundin allein. - -Durch das alte, gemalte Scheibenfenster umwob sie der goldene Staub der -sinkenden Frühlingssonne. Sie lag, den Kopf zurückgeworfen, ausgestreckt -und rauchte eine Zigarette. Nichts dächte man, was in diesem Anblick -klassische Erinnerungen weckte. Was hielt nun Marie vor einer der -schönsten Gestalten ihrer Zeit unbeweglich, wie geblendet, an der -Schwelle zurück? Sie sah Helden verbluten, Troja im Schutt und Hektor -erschlagen, und wie von einem plötzlichen Schein entrückt, faßte sie das -ewige Relief dieses flüchtigen Lebens. - -Aber der Mensch war ihr, was dem Künstler die Kunst, und ihr -Wohlgefallen war ein Meer der Ruhe. Und dieser eine göttliche Funke in -ihr schuf ihr Beziehungen, baute ihr Brücken, die lustig funkelten wie -Regenbogen. - -Allein nicht nur vergessen und sich verlieren wollte sie, sondern die -Art ihrer Salonolympier sich aneignen und nachahmen. Stets schwärmend, -haßte sie Exaltation, und Kälte des Herzens war in ihren Augen Weisheit. - -Es ist ja eine Tatsache, daß nicht die Eigenschaften selbst, sondern ihr -Reflex es ist, der uns besticht, und nicht der Wert, den man besitzt, -sondern den man verausgabt. Hierin beruht der Reiz gewisser typischer -Genußmenschen. Sie erwecken Illusionen, weil wir ihnen mehr zugute -halten, als sie veräußern, manchmal mit Recht, und manchmal nicht. Es -sind die Reichen, die kein dunkler Stachel der Entbehrung hindert, ihre -Empfindsamkeit ohne Rest auszuleben, und von denen geschrieben steht, -daß sie das Himmelreich so schwer erlangen, denn es leidet Gewalt. - -Und doch konnte sie nicht umhin, das Leiden als einen Mißstand, die -Entsagung nicht als eine Bestimmung des Menschen zu betrachten, und wenn -sie glückliche Naturen so sehr liebte, so war es, weil sie ihre -Berechtigung anerkannte. Dieser Glaube saß ihr im Blute, er wuchs und -lebte, er zehrte an ihr. In ihrer eigenen Zerrissenheit erblickte sie -einen untergeordneten Zustand, weil sie fühlte, wie dies Übergreifen -ihrer Individualität nichts anderes aus ihr schuf, als einen heiseren -Mißton, der jede Saite erzittern ließ, der keinen Klang ausschied und -keinen unvermischt behielt. Die Röte stieg ihr dann wohl auf, wenn sie -der eigenen Maßlosigkeit gedachte, ihres übertriebenen Gebarens, noch -vor einer Stunde, als sie in Voltaires Geschichte Karls XII. von Peter -dem Großen las, der seine Kosaken so unentwegt, nach Tausenden rädern -ließ. Gleich einem scheugewordenen Tiere war sie da mit dem Kopf gegen -die Wand gestoßen, wie um eine solche Tatsache aus ihrem Bewußtsein zu -löschen. Denn aller Jammer, der solche Greuel deckt, war da vor ihren -Blicken aufgestiegen, und ungestüme Todessehnsucht ergriff sie vor dem -Bilde einer so schmerzbefleckten Welt. - -Bei solcher Gemütsart mag es eigentümlich erscheinen, daß sie die -Religion so ganz abseits ließ. Allein sie war ihr durch das Kloster zu -sehr entfremdet worden. Das Breittreten großer Mysterien hatte nur ihren -Widerwillen, später ihre Gleichgültigkeit hervorgerufen, und weiter ging -das Senkblei ihrer Messungen nicht. Es ging ihr wie so vielen. Daß wir -einem Glauben, in dessen tiefste Geheimnisse wir als kleine Kinder -eingeweiht werden, eines Tages ungeduldig den Rücken kehren, ist ja -ungefähr das Naheliegendste, was es gibt und erfordert spottwenig Geist. -Und wie tief drang jener Rat Goethes in Wilhelm Meister, den Knaben die -Mysterien des Neuen Testaments bis zum Jünglingsalter vorzuenthalten um -der notwendigen Verstümmelung ihrer Eindrücke vorzubeugen? Christus -wählte reife Männer zu seinen Zuhörern, und wie summarisch verstanden -ihn selbst die! - -Jene Verstümmelung ihrer Eindrücke nun hatte Marie erfahren. Christus -war ihr ein furchtbares Rätsel geworden, eine unverständliche Gestalt, -der Widersprüche voll, der Umrisse bar, zu der sie keine Fühlung -gewinnen konnte und die sie bedrückte. - -Und jene dunkle, unbestimmte Furcht umzingelte sie immer näher mit -unruhigen Schatten. Bald mied, bald erforschte sie im Spiegel ihre -scheuen, trostlosen Blicke. In den Dissonanzen ihres Innern sah sie -keine Lösung, keine Lichtung für einen Strahl des Gleichgewichts, und -wie der Sturm auf schwarzem Geball, so jagte das Gespenst des Wahnsinns -auf dem Getürme ihrer Gedanken und Empfindungen, die ungeschieden -ineinander wogten; wie ein im Stimmen begriffenes Orchester, in dem -Violinen, Hörner und Baßgeigen die unzusammenhängendsten Läufe und -Motive wirr ineinandertönen. Nur indem sie stets zu den heiteren Seiten -des Daseins flüchtete, glaubte sie Ruhe und Rettung zu finden, und glich -so einem in Brand Gesteckten, der vor der Flamme davonläuft und sie -dadurch nur entfacht. Sie las grundsätzlich keine ernsten Bücher mehr -und ging nie in ein Konzert. Einzig französische Musik vermochte sie zu -zerstreuen. Ihr entströmten, wie Wohlgerüche aus unnachahmlicher Phiole, -die Kundgebungen nationalster Grazie und Form, und sie schlürfte den Tau -französischen Geistes, wie durchsickert von seiner Vollendung. Denn sie -liebte feste Umrisse, und der Zauber einer Rasse lag für sie in deren -Geschlossenheit. Das Feine gewährte ihr mehr Befriedigung als das Große, -weil sich in ihm das Wohlgefallen ohne Stachel erschöpfte. So abhold sie -jedoch dem Leben gegenüber jeder Gründlichkeit war, in der Kunst -verletzte sie die Oberflächlichkeit, ja sie erschien ihr gemein. Und -hierin allein mochte sie es nicht mit ihren Freunden halten, deren -Stellungnahme gewissen Dingen gegenüber sie verdroß. Denn sie fühlte die -gänzliche Bezugslosigkeit der Frivolität zu allen höheren Gebieten. Aber -hier wie da gelangten nur flüchtige und heftige Stimmungen bei ihr zu -Atem, und es lag etwas Chaotisches in der Gleichzeitigkeit ihrer oft -ganz entgegengesetzten Empfindungen. - -Übrigens mußte sie doch bald einsehen, daß ihr alles nichts half. Sie -mochte ihre Freunde noch so sehr bewundern, die Ansichten des einen, den -Tonfall und das blasierte Lachen eines anderen, die Persiflage eines -dritten nachahmen, schwärmen und kopieren, kopieren und schwärmen, sie -wurde ihnen nicht ähnlich. Zwar wollte auch sie zu denen gehören, welche -ihre Herzen abrichten, ihre Eindrücke assimilieren, nicht ihnen -nachhängen – ja, aber sie stürmte nicht, wie ihre Freunde, in die weite -Welt! Für sie segelte kein Schiff auf die herrlich freien, hohen Wogen -des Lebens, sie stand am Gestade, und der Gedanke an ein ruhiges, -gleichförmiges Dasein erfüllte sie mit Verzweiflung. - -Denn das Element, die Atmosphäre, in der ihre Seele lebte, war die Welt -der Eindrücke; wo diese fehlten, stagnierte ihr Inneres wie ein Sumpf, -und ihre Züge wurden stumpf und leblos vor den Augen derer, die entweder -kein Gefühl oder kein Interesse in ihr erweckten. - -Ein einziger in jener Gesellschaft, die ihr Eldorado war, hatte sie -durchschaut. – Er trug seiner romantischen Erscheinung halber den -Spitznamen Alfred de Musset. Sein Gesicht war _en face_ gesehen schön -und zauberhaft jung, das Profil niederträchtig, die Gestalt bei -äußerlicher Eleganz von schlechter Rasse, die Hände unsympathisch. Seine -Begabung, in ihrer Art ungewöhnlich, war _à fleur de peau_. Dabei -gehörte er zu jenen Menschen, welche den Geist der anderen auf das -lebhafteste anregen und in Schwung versetzen. In seiner Gegenwart -beherrschte sich die schüchterne Marie vollkommen. Sie drückte sich frei -und unbefangen aus, und die Worte standen ihr für alle ihre Einfälle zu -Gebot. Dies erhöhte nur ihre Gereiztheit, denn genau so, wie sie sich im -Zwiegespräch mit ihm zeigte, wäre sie gern vor ihren anderen Freunden -erschienen, die nur beiläufig auf sie achteten und die ihr so gut -gefielen. Sie glaubte sich an ihm rächen zu müssen, indem sie es ihm ins -Gesicht sagte, und ihm alles vorwarf, was ihr an ihm mißfiel: von seinem -Profil bis zu seinem dekadenten, mehr in die Tiefe als in die Breite -gehenden Verstand. Er ließ sie reden – ihr aber schien ihr eigenes, -merkwürdiges Verfahren höchst angebracht und loyal, und indem sie ihm -ihre Abneigung gestand, ja klagte, glaubte sie den so anregenden Verkehr -mit ihm aufrechthalten und nach Wunsch gestalten zu können. - -Aber die Nachwirkung blieb stets dieselbe, die Abneigung für ihn -steigerte sich ins Unerträgliche, und genau so ehrlich, so akut, wie -sich sehr junge Leute verlieben, war sie in ihn verhaßt. - -Eines Tages brachte er ihr die frühen, verträumten Lieder Debussys auf -Gedichte Baudelaires, und von der schwülen Atmosphäre dieser Musik halb -gehoben, halb betäubt, sprach sie sich da so manche Last so leicht vom -Herzen: ihre Scheu vor tiefen Problemen und die heimliche Qual großer -Musik. Und wie von fernem Ufer sah sie ihn da aus der Tiefe ihrer -Verlassenheit an und lächelte ihm zu, weil er ihr vom Hauche des -Frühlings umweht erschien wie ein blühender Zweig. - -Er aber sagte ihr tröstliche, schmeichelhafte Dinge, für welche sie, -aufatmend, naiv genug war, ihm zu danken; denn er wollte einen Einfluß -über sie gewinnen, nicht aber sie erfreuen. In demselben Tone -weiterredend, änderte er da auf der Stelle seine Taktik; ohne daß sie -seine Absicht merkte, entstellte, verzerrte er das Bild, das er noch -eben von ihr malte. Sie horchte entsetzt und sah nicht, daß er es war, -der sich nun rächte. Ihr war als stürzten die Balken eines Gerüstes über -sie zusammen, als hörte sie den endlichen Schlag einer lang lauernden, -elenden Stunde, den Weckruf finsterer Vögel. - -„Den Wahnsinn, dem Sie verfallen sind, ahnen Sie ja längst“, sagte er. – -Aber ein mutigeres, stärkeres Wesen schien da plötzlich in ihr zu -erstarken, sie von seinen Drohungen freizusprechen, zu beschützen. -Dieselbe Fähigkeit, aus dem Stegreif zu erfassen, zu überblicken, sich -auszudrücken, verlieh er ihr auch jetzt; doch als er lächelnd, mit -begütigenden Worten, Abschied von ihr nehmen wollte, hielt sie ihn -schnell zurück: „Dies Haus gaben Sie mir ein Recht, Ihnen zu verbieten“, -flüsterte sie, und wie Liebende in ihrer ersten Umarmung, so war sie -durch die endgültige Trennung von ihm an das Ziel ihrer Wünsche gelangt, -und Haß und Widerwille waren erloschen. - -Es gibt Momente, in welchen der Mensch den Charakter seines Lebenslaufes -so klar und nüchtern erschaut, daß, Maeterlincks kühner Hypothese gemäß, -die Zukunft mit der Klarheit der Vergangenheit an ihn herantritt. Warum -erkannte da Marie gerade jetzt, als sie dem Manne nachblickte, daß auf -Jahre hinaus alles, was sich ihr bieten, sich verkehrt zu ihr stellen -mußte, und daß sie alle Früchte verdorren sehen oder zur Unzeit brechen -würde? - -Indessen stand das Haus, in dem alle Freuden ihres Lebens blühten, -unversehens leer, ihre Freunde zogen fort, und ihr Zaubergarten versank. -Ach, auf so winzige Veranlassungen hin konnte dort die Schale ihres -Glückes überströmen, denn mächtiger als in allen Mandelblüten des -Südens, als in allen Fliederbüschen des Nordens rauschte der Frühling in -ihrem Herzen. Sie sah nun zu den verödeten Fenstern empor, und litt um -so mehr, als sie nicht leiden wollte, nicht fliehen, an toter Stätte -nicht vergessen konnte. - -Daß unser Leben zwar lange nicht so spannend, aber in seinem -eigentümlichen Verlauf unwahrscheinlicher ist als der kühnste Roman, -diese Bemerkung ist ja nicht mehr neu. Aber was uns in unsere Bahn -lenkt, tritt in der Regel nicht ominös, sondern leicht und mit -nichtssagender Miene in unseren Weg. Die Wendepunkte des Lebens liegen -im Tal, im aussichtslosen Dickicht und Gestrüpp. Marie erhielt Besuch -aus Neuyork in Gestalt eines jungen, reichen und verwöhnten Mädchens. Es -war eine jener zu rasch erfolgten, atemlosen und überhitzten Kulturen, -ohne Verweilen, ohne Gemütlichkeit und ohne Humor. Ihr Geist war stärker -als ihre Persönlichkeit. Sie kampierte auf einer weißen, großartigen -Wolke und schien mit ihrem stets in die Ferne gerichteten Blicke über -ideelle und allgemeine Interessen das Einzelne und Persönliche aus den -Augen verloren zu haben. Dabei aber war dieser „spiralähnlichen“ -Begabung ein ausgesprochener Stich ins Erhabene zu eigen. Und wie sich -sehr hervorragende psychische Veranlagungen oder Eigenschaften häufig in -einer körperlichen Linie widerspiegeln und nach sichtbarer Gestaltung -drängen, so verriet sich die hohe Unterscheidungsgabe dieses zu -farblosen und abstrakten Geistes in einer eigentümlichen Hoheit der -Haltung und der Gestalt, in einer unvergleichlich edlen Kurve ihrer -Achseln, und – man lache nicht – in dem idealen Glanz ihrer -träumerischen Flechten. Äußerlichkeiten waren es denn auch, die Marie -mit ihr versöhnten. - -„In jeder Menschenseele wohnt das Bedürfnis, sich groß zu machen, und -auch das Bedürfnis, sich klein zu machen.“ Marie, welche -Verherrlichungen ihrer eigenen Person mit fast kindlicher Freude -entgegennahm, trieb eine gewisse Bescheidenheit wiederum so weit, daß es -ihr unmöglich wurde, ein ihr dargebrachtes Gefühl sich wirklich -vorzustellen, noch zu begreifen. Entweder suchte sie den Grund dafür in -irgendeiner Lücke, einer untergeordneten Beschaffenheit des -Betreffenden, oder sie fand überhaupt nicht den Mut, daran zu glauben. -So verwirrte sie jetzt die entschiedene Gunst, die ihr von der jungen -Fremden zuteil wurde, um so mehr, als sie viel zu unerfahren war, um sie -richtig zu taxieren. Die wenigen Tage ihres Aufenthaltes gestalteten -sich übrigens auf die denkbar angenehmste Weise. Marie kam zum erstenmal -mit den berühmtesten Leuten ihrer Zeit zusammen und saß stumm, doch hoch -erregt, mittags mit ihnen zu Gaste und abends im Theater. Zwischendrin -allerdings wurde sie von Honorien, ihrer neuen Freundin, in -Zwiegespräche hineingezogen, die ihr gar nicht entsprachen. Hohen, -übersichtlichen Besprechungen war Marie nicht gewachsen, und selbst wo -sie diese zu verfolgen vermochte, geschah es mit Widerstreben. Denn -philosophische und künstlerische Probleme schienen ihr zu so -gewohnheitsmäßiger Erörterung nicht geeignet, Honoria aber besprach nie -Alltägliches, selten und nur von ferne Personalien. Bei aller -Herzlichkeit lag etwas so Unnahbares, Unpersönliches in ihrem Wesen, -etwas so Indirektes und Ferngerücktes in ihrem Blick, daß Marie immer -den Eindruck hatte, als sähe sie jene nicht selbst, sondern statt ihrer -ein Schemen, das ihr gefiel. - -Am Morgen der Abreise ging Marie zu ihr. Es war ein lauer Sommertag. -Honoria empfing sie mit offenen Armen und schickte den Wagen fort, um -die Strecke zur Bahn zu Fuß mit ihr zurückzulegen. Alsbald war denn auch -eines jener Gespräche im Gange, die Marie so sehr langweilten. Sie -seufzte und sah zerstreut auf die staubigen Bäume, zum weichen, -herbstlichen Himmel empor. „Gott sei Dank,“ dachte sie, „sie geht.“ - -Aber schon am folgenden Morgen kam ein fingerdicker, in der Eisenbahn -geschriebener, französischer Brief, der nichts weniger enthielt, als die -Fortsetzung der allzu umfassenden Philosopheme, welche Honoria auf dem -Weg zur Bahn entworfen hatte. Nicht einen Augenblick länger wollte -jedoch Marie eine solche Komödie aufrechthalten. Das „Du“ ignorierend, -das in jenem Briefe geführt wurde, schilderte sie sich selbst so, wie -sie war, mit ihrem wirklichen, mit ihrem grundsätzlichen Mangel an -Interessen, und die gänzlich verschiedene Richtung, welcher sie ihrer -Natur nach angehörte. Somit galt ihr diese Episode als beendet, und sie -war nicht wenig überrascht, als Honoria, welche die Dinge von oben nahm, -sie in einem noch dickeren Briefe eine Spartanerin nannte und nunmehr -den Verkehr so rege gestaltete, als lebten die beiden Mädchen in -benachbarten Städten, nicht in getrennten Erdteilen. Marie wurde der -Gegenstand fortwährender Sendungen und Geschenke. Bald kamen persische -Lieder in köstlichem Pergamenteinband, mystische und philosophische -Werke, eingerahmte Gravüren in hohen Kisten, und sie hatte vollauf zu -tun, um nur die Zeitschriften durchzusehen, auf die sie sich mit -einemmal abonniert sah, und sich von all den Büchern in Kenntnis zu -setzen, die ihr bald direkt, bald durch Buchhandlungen zukamen. – Sie -tat es denn auch mehr aus Erkenntlichkeit, denn aus Neigung. - -So verging ein Jahr. Da erhielt sie in den letzten Septembertagen -unerwartet einen Brief mit dem Homburger Stempel. Honoria war infolge -einer durch Überanstrengung erfolgten Krankheit zur Erholung dorthin -befohlen worden und sollte nach beendeter Kur schleunigst nach dem -Süden. Da ihr der Umweg zu ihr nicht gestattet war, bat sie nun dringend -um ihren Besuch. Marie sah diesem Wiedersehen mit Interesse entgegen; -besonders freute sie sich auf das Treiben eines so berühmten Kurortes -und ließ sich durch die Jahreszeit in ihren Erwartungen nicht -beeinträchtigen, denn in Homburg, wollte sie wissen, gab es das ganze -Jahr hindurch schöne und interessante Leute. - -Honoria, die ihr einige Tage später auf dem Frankfurter Bahnsteig -entgegeneilte, erschien ihr noch höheren, noch edleren Wuchses als -vordem. Trotz der Modernität ihrer Kleidung war die Zeichnung ihres -Kopfes, die Linien ihrer Gestalt erhebend wie ein antiker Fries. Ihr -Anblick rührte die leichtbewegte Marie. Sie freute sich, den heißen, -staubigen Zug zu verlassen und die letzte Strecke in dem offenen Wagen -zurückzulegen, der vor dem Bahnhof in der Sonne wartete, durch -Frankfurt, das sie nicht kannte und in der frischen, schimmernden Luft -nach Homburg zu fahren, und sie freute sich, daß sie gekommen war. -Allein schon unterwegs empfand sie die alte Ungemütlichkeit, die alten -Strapazen dieses Verkehrs. Honoria schien in ihrem Element, wenn ihre -Gedanken gleichsam in der Luft hingen; Marie hingegen war gänzlich real, -und ihr Idealismus galt dem Leben. Oh, wie erschrak sie über den -Anblick, den ihr Homburg gewährte! Von Massen welkenden Laubes bedrückt, -starrten die leeren Alleen, starrten verödete Gärten und Villen. Honoria -rühmte ihr die große, wohltuende Stille des sonst so geräuschvollen -Ortes. Die Villa, welche sie ganz allein mit ihrer Gesellschafterin und -einer Kammerfrau bewohnte, war die Dependance des einzigen Hotels, das, -wahrscheinlich ihr zu Ehren, noch nicht geschlossen war. Marie -erbleichte. Ihr Herz sank. Sie haßte das ausschließliche Zusammensein -mit Damen! Sie sah keine Anregung, keinen Sinn in einem einschichtigen -Verkehr, und er langweilte sie auf die Dauer zu Tränen. Ein Leben, das -auf ein Weilchen das Ideal eines geistig und gesellig überanstrengten -Menschen sein mochte, war nur ein Alp für das zerstreuungssüchtige -Mädchen. - -Honoria lag des Morgens meist mit schon ganz erschöpften Zügen zu Bett; -hatte vor Tagesanbruch ihre Korrespondenz erledigt und Emersons Essays -oder die Briefe des hl. Paulus gelesen. Sobald sie aufgestanden war, -drang Stunden hindurch der hartnäckige Lärm der Schreibmaschine durch -die stillen Zimmer. Vor dem öden Klippklapp floh Marie ins Freie und -strich durch die toten Straßen Homburgs, oder verlor sich in einer -Anwandlung von Schwermut in den großen Park. Früh am Nachmittag harrte -dann die leichtgeschirrte Viktoria, und Marie freute sich der langen -Fahrten durch den goldenen Taunus. Aber als der Oktober seinem Ende -zuneigte, litt sie bei dem Anblick des sterbenden Laubes, der finster -welkenden Natur. Ihr war, als fielen ihr die gelben Blätter aufs Herz, -und ihr Auge lechzte nach einem grünen Zweig, nach einem blühenden Fleck -inmitten des ungeheuren Grabes, das sich bereitete. Sie begriff die -Schönheit des Herbstes, Honoriens Freude daran nicht. Was der Augenblick -verhieß, nicht was er bot, nicht der Sonne zärtliches Verweilen, ihren -Scheidegruß vernahm sie allein. Und wenn der Wagen in der Dämmerung -durch einen Dom welker, seufzender Bäume fuhr, so umlauerten sie, wie -einst die Elfen des Erlkönigs Sohn, des Verfalles grausame Schatten und -entwanden ihr das Herz. - -Zu Hause kam dann der lange Abend mit Shakespeares und Brownings -Gedichten; aber sie fing an, alle Bücher zu hassen. Wohl konnte sich ihr -Blick flüchtig beleben, wenn Honoria duftend und geschmückt, gleich -einer hellen Wolke, ihrem Zimmer entschwebte, sonst aber saß sie oft -stundenlang mit ihrer Stickerei still am Fenster, und nach den -einfältigsten Bemerkungen mußte die sonst so Gesprächige ringen. Gern -folgte sie Honoriens Aufforderung, zu musizieren. Allein die Töne -brachten das Echo ihrer Langeweile mit quälender Steigerung zu ihrem -Bewußtsein, und schlaff und zerstreut endete ihr Spiel. - -In dieser Zeit hörte Marie, die sonst alle Wagner-Opern kannte, in -Frankfurt zum erstenmal den Rienzi, und obwohl Aufführung wie Besetzung -zu den minderen gehörten, so war sie von dem Drang, dem titanischen -Gären, ja gerade von dem Unvermögen dieses Werkes heftig ergriffen. Hier -war Ikarus, dessen ewiger Mut sich über Welten hin Flügel, die nicht -brachen, schmieden sollte. - -Mächtig angeregt fuhr sie im offenen Wagen durch das mondumhauchte Land -und weiße Dörfer nach Homburg zurück, und Wagners Schaffen als eines -Wunders gedenkend, lehnte sie den Kopf weit im Wagen zurück und verlor -sich in der stillen, bethlehemischen Pracht. Vergessen und verweht -schien ihre Schwermut, die doch schon tags darauf, gleich einem Nebel, -ihr Gemüt von neuem umschleierte. Besonders auf die Schreibmaschine -wurde sie zuletzt erbittert, und als diese eines Morgens wieder so -geschäftig das stille Stockwerk durchdrang, fing Marie in einem -Paroxysmus von Langeweile in ihrem Zimmer stürmisch zu weinen an. Das -Leben war so reich, so mannigfach und schön! Es gingen auf der Welt so -reizende Menschen einher! Ach! Warum lebte sie von ihnen getrennt! Wer -war für des Lebens Genüsse königlicher geartet? Mochte sie zeitlebens -entbehren, bis in alle Fibern blieb sie verwöhnt. - -Und obwohl nur mehr drei Tage ihres Bleibens waren, schien ihr gerade -der heutige nicht mehr erträglich. Rasch zu Honoria tretend: „Ich kann -heute keine gelben Bäume sehen und fahre nach Frankfurt“, sagte sie -lachend und drückte ihr den Arm. Sie sah noch Honoriens überraschten, -aber so freundlichen Blick, dann stürmte sie die Treppe hinab und zur -Bahn, der Schreibmaschine und Homburg davon! - -Wie ein Füllen, das sich auf freiem Rasen tummelt, so behaglich war es -Marie am selben Nachmittag auf der bewegten, im lieblichsten Lichte -getauchten Zeil. Die üppigen Töchter der Stadt, die mit ihren Müttern -erwartungsvoll einherzogen, die eiligen Geschäftsleute, die Müßigen und -die Lebensfrohen, die gemeinen, die aufgeputzten, oder die sympathischen -Leute, alle schufen ihr Kurzweil, und wie ein Kind in Bilderbücher, war -sie ganz in den Anblick der vielen Spaziergänger versunken; überall von -dem Zauberkreis eines selben Lebens gebannt, ruhte, sich selber -verlierend, ihre gehaltlose Seele, die dem Mann ohne Schatten glich, von -der Einsamkeit aus. - -Sie hatte die Stadt der Kreuz und Quere nach durchstreift, an Brücken, -stillen Plätzen und verlorenen Straßen geweilt, und schon erblaßte der -Himmel. Gänzlich ihrer Stimmung hingegeben, war ihr Bewußtsein wie -umflort, von der Atmosphäre des alten und des neuen Frankfurt -durchdrungen, und von der sterbenslauen Luft, in der ein Klang lag -ewiger Ermattung, von ewiger Vergänglichkeit. - -In einer kleinen verträumten Sackgasse machte sie halt, um ihren Weg zur -Bahn zu erfragen; und von einem entstellten Profil Richard Wagners, das -dort in der Auslage eines Musikladens prangte, wandte Marie, die ungern -Häßliches sah, im Vorübereilen den Blick. - -Den Abend verbrachte sie mit Honorien in aufgeräumtester Laune, -erzählte, was sie gesehen, gehört, gegessen hatte, und unterbrach die -Browningsche Lektüre mit allerlei Späßen. - -Dies war ihre vorletzte Nacht in Homburg, und entmutigt schlief sie ein. -Wann endlich würde sich ihr Leben bewegter gestalten? – Sie gedachte der -vergnügten kleinen Konditorsfrau in Frankfurt, an die sie heute so viele -Fragen gestellt, die über ihren schmucken Laden nicht hinausdachte und -inmitten ihrer Glasglocken, ihrer Schokoladekrapfen und Schaumrollen ein -Dasein lebte, vor welchem Marie erschauerte. - -Aber was hatte sie denn selbst von ihrem klein bißchen Bildung, als daß -sie für die Alltäglichkeit auf immer verdorben, auf immer beunruhigt -blieb. Heiß schoß ihr das Blut zu Kopfe: was wußte sie denn – und was -sollte sie von Honorien halten, die über ihre Theorien zu leben -verlernte? - -Es war finster und still in ihrem Zimmer, als Marie erwachte. Sie besann -sich nicht sogleich, was dies wilde Klopfen ihres Herzens verursacht, -was sie geweckt, was sie gesehen hatte. Dann stürzte sie ans Fenster und -riß es auf. Östlich dämmerte ein heller Streifen durch die Nacht, allein -den Tag in ihrem Herzen begrüßte sie mit einer Flut immer neu -hervorbrechender Tränen, daß ihr Gesicht erblindete wie eine Scheibe -unter dem Regen. - -Jenes selbe Profil, von welchem sie gestern im Vorübereilen den Blick -abwandte, hatte sie, verherrlicht, zwei Schritte vor sich, mit -unbewegtem, gerade ausschauendem Auge gesehen. Aber es war ein -vergöttlichtes Auge, weltenstrahlend, weltenspiegelnd und von -unvergeßlicher Größe; ein individuelles und doch gänzlich entrücktes -Auge. Kein Auge, mit dessen Blick der ihre sich hätte kreuzen können. Es -waren die ewigen Augen Wagnerschen Geistes. - -Wie ein Erdboden durch plötzliche Erschütterung, so hatte ihre Gesinnung -durch ein so ungeahntes Bild eine Umgestaltung erfahren. Es war seltsam, -es war spaßhaft genug, und sie wußte, welchen Hohn die Tatsache gerade -in ihrem Herzen finden, sie verfolgen würde! Hier war sie: ein junges, -bis ins Mark vergnügungssüchtiges Mädchen, das nichts mehr zur Ruhe -bringen, in dem nichts den einen brennenden Wunsch mehr betäuben konnte: -die Wahrheit zu suchen. - -Denn sie wußte in dieser stillsten Stunde ihres Lebens, daß Unwissenheit -es war, die jenen Gram in ihr erzeugte, weil _Gedanken_ hinter jenen -unruhigen Schatten ruhten, die sie schreckten, und daß nichts sie retten -konnte, als ein hellerer Kreis des Wissens, der sie schützend umschloß, -als ein Glaube, um den sie selber rang. - -Tags darauf verließ sie Homburg. - -Golden flogen im Nachmittagscheine Brücken, Felder und Wiesen vor ihrem -Zug vorbei, aber vor dem Glanz dieser sonnenerfüllten Welt schloß sie -bekümmert die Augen; denn immer schwerer wurde da wieder, auf der langen -Fahrt, ihr einsam entschlossenes Herz. Sie sah sich wie vor einem Berg, -den nur Geübte und Wetterkundige mit einem Arsenal von Werkzeugen -wohlausgerüstet zu besteigen wagen und denen sie nun barfuß und allein -folgen wollte. Was sie erstrebte, war ja zu schwer: Nichts was -Gleichgewicht und Disziplin des Geistes betraf, lag in ihr vorbereitet -noch vererbt, und zu einem systematischen Denken war sie weder veranlagt -noch geschult. Kein Pegasus, die traurigste aller Rosinanten stand ihr -zu Gebote. Aber weniger glücklich als der an Illusionen reichste Don -Quichote, verglich sie unerbittlichen, fast feindlichen Auges ihre -Unzulänglichkeit mit ihrem Wagnis. – Was hatte ihr stumpfes, kindisches -Gehirn mit jenen Rätseln zu schaffen, die es von jeher mühten? Nun war -sie erwacht. Mit weitgeöffneten Augen, die nicht sahen. - -Als sie bei ihrer Ankunft in München Glucks Oper „Iphigenie in Tauris“ -auf dem Zettel sah, ging sie noch selben Abends hinein. Es war eine der -letzten Vorstellungen, die unter Levis eminenter Leitung und einer -Besetzung alternder aber trefflicher Leute dort stattfanden, und sie -atmete auf in der Atmosphäre dieses edlen Werks. - - „Die Ruhe kehret mir zurück. - So sollte meine Qual Euch, Ihr Götter, ermüden.“ - -Es war Orestens Lied, und in prachtvoller Wiedergabe die eherne -Begleitung des Orchesters. - -In diesem Augenblick kulminierte das musikalische Vermögen, die -Genialität des Dirigenten. Nicht so sehr „gestaltend“ stand er dem -Meisterwerke gegenüber, als daß seinem unvergleichlich künstlerischen -Impuls, seiner in höchster Passivität so wundervollen Ergriffenheit die -tief umhülltesten Regionen sich erschlossen. So stand er unbeweglich, -mit gesenktem Stabe, nur verklärten Auges sein Orchester bannend. Aber -der Hauch von Ewigkeit, der über den friedensvollen Fall der Baßtöne -gebreitet liegt, riß Marie mit fort. Kein anderes Kunstwerk sollte je -wieder jene selbe überwältigende Wirkung in ihr hervorrufen, zu der sie -jetzt ihr abnorm gesteigerter Gemütszustand befähigte. Sie verlor das -Gesicht. Der Wunsch, den sie so früh gehegt, er war ihr erfüllt, die -Müdigkeit, die sie so früh empfunden, sie war von ihr genommen, und sich -selbst, der eigenen Dürftigkeit, der eigenen Torheit, allen Schranken -des Persönlichen weit enthoben, behielt sie nur das Bewußtsein eines -strömenden Glücks. - -So waren denn die Würfel gefallen. Ihr Drang nach Erkenntnis war stärker -als ihr Sträuben, ihre Trägheit und ihr Unvermögen. - -Stundenlang saß sie nun, meist ganz vergebens, über einer einzigen Seite -Kants. Aber gerade bei ihm, dem sie ein so lückenhaftes Verständnis -entgegenbrachte, durfte sie, zum Atome sich erkennend, ruhn, wenn sie -die Schwingen ewiger Begriffe auf Augenblicke streiften. Denn Marie -hatte Geist, doch keine Geisteskraft, niemanden, der ihr half, noch sie -belehrte! Nur einem Menschen, dessen Überlegenheit ihr nach allen Seiten -hin entsprach, hätte sie sich ohne Reue anvertrauen können, und einen -solchen Freund zu haben war ihr nicht vergönnt. So mußten denn die -Bücher ihre Freunde, ihre Lehrer werden. Und schon hatte sie erkannt, -daß hervorragende Anlagen nur eine gefährliche Mitgift sind, wenn gerade -sie einen versöhnenden Ausgleich innerer und äußerer Widersprüche -erschweren. Sie hatte erkannt, daß nicht das Leben, für welches wir -geschaffen wären, in die Wage fällt, daß nicht wir selbst, sondern unser -Geschick das Gegebene ist, und daß sie nicht dem Knechte gleichen -durfte, der mit seinem einen Talent verzagte und es vergrub. Am -schwersten ließ sie sich’s mit Schopenhauer werden, der den jugendlichen -Leser terrorisiert. Und wer war sie, daß sie es wagte, ohnmächtig, -verzweifelnd, so lange gegen ihn anzustürmen, bis ihre innerste -Überzeugung sich wieder von ihm losriß, von seinem großartigen -Gedankenring gefördert und belehrt, ihm nicht länger unterworfen war? - -Einen heißen, einsamen Sommer verbrachte sie mit Platos Büchern, und -unter Tränen las sie das Symposion. Hier war ein Ziel und göttliches -Verweilen, der Harmonien seliger Hauch, und wie vom hohen Berg herab lag -da die Welt – beschaulich, unbegehrt – zu ihren Füßen. - -Aber sie war schön, diese Welt! Feierlich und groß! – Und alles in ihr -erhielt Sinn, Leben und Bestand durch Bezüge. Und in Bezügen lag ein -Schwerpunkt selbst der größten Geister. - -Der Erwerb des einen wird da dem anderen Besitz; Steigbügel für den -Kommenden. Allein die Schranke war die Bedingung des menschlichen -Gehirns, und die Grenze des intellektuellen Vermögens durch die -menschliche Natur scharf abgesteckt. - -Marie versank in immer tieferes Nachdenken. - -Nein: Allumfassende Vollkommenheit war nirgends. – - -Da erstand vor ihrem inneren Auge, wie im Morgengrauen deutlich -erkennbar, die universellste, übergreifendste Gestalt, die keine -Irrtümer und keine Lücken in sich aufwies! Vielmehr auf unnennbar -geheimnisvolle Weise alle Widersprüche in sich aufhob, weil ihr nichts -fremd war und nichts entzogen, was tausendfach die Menschen scheidet und -vereinsamt. Ja, es war ein Mensch. Aber Himmel und Erde waren der -Schlüssel zu ihm, und er erfüllte die Welt. Allumfassendes, schweigendes -Begreifen entströmte seinem Auge. Ja, es war ein Gott. Seine Züge aber! -Die größten Denker und Meister aller Zeiten hatten sie ihr entschleiert, -weil alle menschlichen Heroen zu seinen Kommentaren wurden, und ihre -unbeschreibliche Bewandtnis zur Erläuterung! – Keine Philosophie, keine -Äußerung auf dem Gebiete des menschlichen Geistes, ja des Geistreichen, -des Witzigen, des Profanen – keine Kunst, die nicht zu ihm gravitierte. -Der Gedanke war so groß, daß sie erschauerte. Und von der -überschwenglichen Tragweite jenes schlichttönenden Ausspruches: „In -meines Vaters Haus sind viele Wohnungen“ wurde sie wie von unendlichen -Schallwellen fortgerissen und durchleuchtet. - -Nur eines trennte ihn von uns – das Übel, das allen Gram erzeugt. Eines -mußte er uns entnehmen. Eines war göttergleich im Prinzip von ihm -ausgeschieden: die Qual. - -Marie mochte ihre Gedanken nicht länger ertragen. Sie ging hinab in die -Straße, die starren Häuserreihen entlang, der heißen, verödeten Stadt. -Aber das Licht, der Anblick des leeren, weißlichen Himmels erweckte -Erinnerungen und Leid. Zum Stachel war ihr da der taube Glanz des Tages, -und jene „Geister der Luft“, die den Menschen jagen und ihm das -Himmelslicht versteinern. Atemringend muß er es ertragen. - -Nicht daß es sie jetzt nach Mitteilsamkeit drängte, nein, auszuruhen, zu -vergessen, sich zu freuen. Schönheit, Gebärde, Sprache, die Form eines -Auges, die Bewegung eines Armes, dies alles war ein Organismus, der sie -umfriedete. Dann wurde es still in der dumpfen Werkstatt, und Gedanken -feierten. Der Reiz der Nähe löste den gezogenen Blick von ihren Augen, -und ihr Geist erkannte rastend seine Heimat. - -Denn es war ihr Geist, der in der Welt der Körper, der in dieser Welt -sein Element erkannte! - -Allein in der Einsamkeit, die sie also bedräute, umschloß sie jetzt, -deutlich wie Felsenzacken gegen das Sonnenlicht, der Ring ihrer -Gedanken. - -Nicht länger von der Welt barer Vorkommnisse aus den Fugen gerissen, -erkannte sie die tröstliche Bedingtheit alles Elends. Erkenntnis sollte -_nicht_ den Pflock des Leidens tiefer in uns treiben! Alles war Folge, -und selbst Geschehnisse nicht unentrinnbar. - -So weit, so anders erblickte sie die verlorenen Tore ihres Glaubens -wieder. Was immer das Dogma vom Geiste löste, erschien ihr da als -ungeheuerster Verrat. Nicht als Dualität, als Organismus erfaßte sie den -Menschen und seine Apotheose, nicht seine Trennung als sein Endziel. -Ihrem weltabgewandten und entsagungsvollen, aber stets verheißungsvollen -Bildern zugekehrtem Auge wollte die unendliche Elastizität jenes -Glaubens als sein tiefinnerstes Geheimnis sich erschließen; des -Paradoxalsten, eingedenk und psychologisch tiefst Begründeten, was der -Mensch zutage förderte: als das „Maß aller Dinge“ stellt er den Abstand -zwischen ihm und der Gottheit, Prometheus, die seligen Götter und den -allgewaltigen Zeus. Quellen und Haine belebt er mit übermenschlichen -Wesen, scheu verehrend, was er selber schuf. Ahnung war es, die ihn die -eigenen Ideale, das eigene Ziel so fern erkennen und den Olymp erträumen -ließ! Solche Träume, mußten sie nicht das Sehnen eines Gottes nötigen, -zu tausendfacher Befreiung den Menschen zu erlösen? - - - - - Geraldine - oder - die Geschichte einer Operation - - - Für Professor Franz Keysser (Berlin) - - - I - -Geraldine, aus dem Häuflein derer, mußte im Spätfrühling des Jahres 1923 -in die chirurgische Klinik einer süddeutschen Stadt. Freunde begleiteten -sie. Den Abend durfte sie noch mit ihnen verbringen. Sie war guter Dinge -und trank auf ihr eigenes Wohl. Dann nahm ein helles Zimmer, das ins -Grüne sah, sie auf. Die Schwestern, in der Umrahmung ihrer gesteiften -weißen Flügelhauben, besonders aber deren breite und bejahrte -Vorsteherin, erweckten ihre Zuversicht. Spät trat sie noch bei -Geraldinen ein, um nach der Neuangekommenen zu schauen, und bei ihrem -Anblick streckte die Kranke ihre Füße länger aus, einer Müdigkeit -hingegeben, die sie plötzlich wie von weither überkam. So -schutzverheißend war die erstarkte Weisheit dieser Augen, so geborgen -fühlte sich Geraldine, als sie in diese mächtigen Pupillen sah. Sie -wußte, wie wenig ein Beruf zur Sache tat, wie leicht gerade die -tugendhaftesten zur Klippe werden. Inbegriffen, ganz unausgesprochen -aber war hier alles Fromme, und daß die Pflegerinnen dieses Hauses wie -die Blumen eines gehegten Gartens standen, Unkraut nicht wuchern konnte, -lag an dieser Vorgesetzten. Denn es ist immer das Wichtigste, wer -regiert. Wie eine Mutter, nicht nur der Patienten, sondern irgendwie -auch dieser Ärzte, Geheimräte und Professoren, wie eine Mutter aller -Menschen schritt sie durch die Gänge, homerisch in der Unbeirrbarkeit -ihres Waltens, ehrwürdig wie ein Stück Natur. Und sie hieß Guido, wie -ein Mann. - -Aber auch Geraldine kannte die Welt. - - * * * * * - -Lesend verbrachte sie den nächsten Morgen; am frühen Nachmittag wurde -ihr Morphium gegeben und später noch einmal. Da tönte sich der -Widerschein der grünen Bäume in ihrem Zimmer sanft und immer sanfter ab, -und als eine Bahre hereingezogen kam, bestieg sie sie eilends wie im -Traum. Nach einer kurzen Fahrt befand sie sich zwei Schwestern -gegenüber, und diese trugen ihre weißen Ordensschleier nicht abstehend -und gesteift, sondern gar kleidsam in den Nacken zurückgerafft, und sie -fragte die Schönste um ihren Namen: Ermentrudis. „Meine Zunge ist -schwer, sie ist trocken, sie ist voll Mohn, ich spreche so mühsam“, -sagte Geraldine, und überließ sich ihnen. Ihr war, als würde sie von -Engeln bedient. Da lag sie schon auf einer Bahre, und rechts von ihr gab -sich ein Arzt mit ihr zu tun. Aber seine Gegenwart war ohne Resonanz. -Nur Ermentrudis erfüllte den Raum. Vielleicht ist sie nicht so schön als -ich sie sehe, dachte Geraldine, deren Augen zugefallen waren, vielleicht -ist es Täuschung, wie der Geschmack von Mohn in meinem Munde. Wie ist -sie schön! – Da war sie weg, und Geraldine wieder in der Fahrt. Nur bis -zum nächsten Zimmer dieses Mal. Es dünkte sie aus Glas, und ein anderer -Arzt saß jetzt rechts von ihr, als hätte er auf sie gewartet. Sein -Gesicht schien ihr nicht sein eigenes zu sein, sondern ganz in der -Anspannung seiner Züge statt in seinen Zügen zu beruhen, aber sie -streifte es nur mit einem Blick, dann fielen ihre mohnbeschwerten Augen -wieder zu. Doch alsbald hörte sie sich stöhnen. Und warum riß er ihre -Adern so unbarmherzig auf? Sie fühlte, wie er sich durch nichts beirren -ließ, und sie blieb unbeweglich, aber sie hielt ihm vor, daß er sie -peinige. Fort und fort, wie lange noch? – Da merkte sie plötzlich, daß -er nicht länger rechts, sondern ihr jetzt links zur Seite stand, indes -ein anderer Mann in Szene trat, als wäre dies eine Bühne. Ja, genau so, -war jetzt eine mächtige Form herangetreten, wie ein Dirigent sein Pult -einnimmt, und als schwänge er einen Stab mit den Worten: „_Alla breve_ -meine Herren!“ so sagte er: „Klagen Sie nicht!“ und fing an zu -schneiden. Geraldine aber griff da zum Schweigen, wie ein Geiger in sein -Instrument. Sie streckte nur ihre linke Hand schutzflehend ins Leere. -Aber schon war sie von einer andern sanft geborgen und vertröstet, und -sie umklammernd, führte Geraldine ihren stummen Pakt den ersten Stößen -gegenüber aus. Sie wähnte jetzt, es sei Nacht. Doch statt erhöhter -Schmerzen wurden sie mit jeder Sekunde dumpfer. Und war sie denn selbst -ein besaitetes Holz geworden? Sie spürte nur ein virtuoses Kneten, wie -rasche Fingersätze eines Pianisten in ihrem unempfindlichen Fleisch. -_Allegro, vivace, accellerando, presto, tempestuoso_ fuhren die Griffe -wie auf Tasten dahin. Geraldine hatte den Eindruck von _Kunst_. Wie -aber? Wie konnte dies sein? Und doch, welch deutliche, welch aufregende -Beziehung, welch unerhörte Analogie, welch spannende und unvermutete -Sensation! Für einen Augenblick war alles rege in ihr, und sie hätte -sich gern aufgerichtet, um hinzusehen, ihr Kopf aber leistete -Widerstand; er war zu schwer. „Es wird schon genäht, es wird schon -verbunden“, drang es von links, wie aus einem Souffleurkasten zu ihr. - -Und schon wurde sie wieder fortgetragen. Unklar diesmal die Fahrt durch -den Gang in ihr Zimmer zurück. - -Die Nacht war nicht mehr fern. In ihrem Bette aufgerichtet, ohne eine -Spur von Schmerzen, ließ sie sich ein Buch herüberreichen, wähnend, das -Lesen würde ihr leichter fallen als das Sprechen. Die Vorhänge bauschten -sich sachte in der Frühlingsluft, im Scheine eines blauen Seidenschirmes -lag sie und sann. - -Welch freundlicher Dämon hatte die Tafel ihrer Erinnerungen gelöscht, -daß ihre Gelassenheit sich immer mehr vertiefte? - -Da, mitten in der Nacht – als klingle es von allen Seiten zugleich – -schlugen die Wunden Alarm. Weggefegt das letzte Stäubchen Morphium; das -ganze Bein entfacht. Schlimmer noch die hohe Stachelkrause, die vom Knie -aufwärts loderte. Aus purer Sympathie erglühten Fuß und Ferse, von -heißer, imaginärer Asche versengt. Geraldine, in den Tumult verstrickt, -hörte ihre eigenen Seufzer nicht. - -Am Morgen klirrte der Wagen mit den Verbandwerkzeugen durch den Gang. -Guido war bei Geraldinen. Da öffnete sich die Türe, als sei ihr Zimmer -eine Freistatt. Der Chefarzt trat als erster herein, nach den Schmerzen -dieser Nacht zu fragen. Und es erfolgten sehr genaue Weisungen, um einem -neuen Ansturm vorzubeugen. Da wunderte sich Geraldine zum ersten Male, -ohne sich entsinnen zu können weshalb. Sie grüßte nach rechts und links -die beiden anderen Ärzte von gestern; dann war sie wieder allein. - - - II - -Seltsame Schwingen, neue Rhythmen trugen ihre Tage jetzt dahin, ihre -Stille so manches Mal durch nichts als den Besuch der Ärzte -unterbrochen. Blumen umgaben sie. Der über ihr Bett geschobene -Krankentisch bot ein reiches Feld der Beschäftigung, und ein Zufall -wollte, daß Leute, mit welchen sie lange nicht mehr in Kontakt war, -plötzlich in der Ferne an sie dachten und ihr schrieben. Eines Morgens -kam ein Stoß der neuesten französischen Bücher für sie an; sie lagen in -großer Evidenz auf Tisch und Decke gebreitet. Jedoch der Zeitungsmann -durfte nicht zu ihr herein. In Tönen der Angst bat sie die Schwester, -ihn von ihr fernzuhalten, und schon früh am Nachmittag sehnte sie sich -nach Morphium. Fing aber der Rollwagen mit dem Verbandzeug, den Alkohol -und Jodoformflaschen durch den Gang zu klirren an, so mußte sie lachen; -denn es ging dann so fühlbar von Zimmer zu Zimmer eine Spannung, es -entstand eine Aufregung, wie wenn Hennen gefüttert werden. „Jetzt werden -die Hennen gefüttert“, sagte sie jedesmal zu Guido, die immer der -Karosserie voranschritt. - -Eines Tages fragte sie den Arzt, der sie in ihrer Lektüre unterbrach: -„Würde dieses Buch Sie interessieren, wenn ich fertig damit bin?“ - -Er warf einen Blick auf den Umschlag und zögerte: „Von Franzosen höre -ich lieber nichts“, sagte er dann. - -Da schwieg Geraldine. - -Das Buch, das er abgelehnt hatte zu lesen, _Siegfried et le Limousin_, -von Jean Giraudoux, war nicht vollkommen. O nein, es hatte seine Fehler. -Man durfte es ein wenig inkoherent nennen sogar. Aber jede Seite rührte -und entzückte Geraldine. Denn regenbogenartig schlug hier eine Brücke -auf, bebend schwang sie herüber, pulsierte, vibrierte, wie ein -Regenbogen ephemär. So gehörte auch dies Buch einer anderen Wirklichkeit -als die der Ereignisse an; und sie mißachtend, sie verachtend, irisierte -über sie hin die Fülle des sich entziehenden, ach! des werbenden Auges -... - -Allein es war umsonst geschrieben, da niemand es in Deutschland las. -Auch die anderen neuen Bücher enthielten kein gehässiges Wort mehr über -„_les Allemands_“, aber sie waren umsonst geschrieben, da niemand sie in -Deutschland las. Geraldine entsann sich der skeptischem aber so -aufhorchenden, so gespannten Mienen ihrer Freunde in Paris, als sie -ihnen von „jenen anderen Deutschen“ erzählte, von welchen nichts mehr -bis zu ihnen gedrungen war. Ob auch einige wie mit Engelszungen -hinüberriefen, man stellte sich ihnen taub, wenigstens solange sie -lebten. Heute war es umgekehrt. - -Geraldine schlief mit dem Kopf auf dem offenen Buche ein, aber nicht -lange; ihre Aufregung scheuchte sie auf, und sie las im Scheine ihrer -blauen Lampe weiter. - -Als am nächsten Morgen der Chefarzt bei ihr eintrat, warf er einen Blick -auf die Tabelle und ließ Sandsäcke herbeischaffen, in welchen Geraldines -Bein wie in einen Schacht eingedämmt werden sollte, damit es sich nicht -mehr bewege. Man schleppte sie wie etwas gar Wichtiges herbei. „Hier -stimmt etwas nicht!“ dachte sie gequält. Die Ärzte umstanden sie ja, als -ob ihre Gesundung eine wichtige Sache sei. Und das Stück von der -gesitteten Weltordnung wurde hier gespielt, als wisse man nicht, wie es -draußen zugeht. Aber sie selbst, spielte sie nicht mit? Ließ sie nicht -alle fünf gerade sein? Nicht einmal nach dem Wetter mochte sie fragen, -als ginge sie das alles nichts mehr an, als sei alles eins. Und nun? Und -wie lange durfte sie noch ihrer beginnenden Unruhe, ihrer wachsenden -Verwirrung wehren? Die Wirklichkeit. Ja sie war das entfallene Wort, der -Faden, der gerissen war, an dem sie wieder anknüpfen mußte. - -In der Nacht fuhr sie an die Klingel, und die Stimme, mit der sie die -herbeieilende Schwester unter Ächzen anflehte, sie aus dem eingestürzten -Tunnel vorzuziehen, war wie ein heiserer Bariton. Es hatten sich aber -nur die Sandsäcke verschoben, und mit ihrem Gewicht die Wunden -beschwert. Vielleicht auch hatte sie nur geträumt. Allein die Schwester -beruhigte sie, räumte die Säcke aus dem Weg, brachte ihr eisgekühltes -Zitronenwasser und reichte ihr Morphium. Sie war mürbe und trug sich -zart wie eine schwanke Wicke im Sommerwind, die ihren letzten Duft, ihre -letzte Süße veratmet. „Welch ein Frühbeet von Schwestern!“ dachte -Geraldine. Und Guido die große Gärtnerin. - -Es gäbe vielleicht keine Ärzte in der Welt, wenn nicht so ziemlich -jedermann seinen eigenen Arzt in seinem Innern hätte. Geraldinen war es -am folgenden Morgen klar, daß es nur mehr wenig Tage bis zu ihrer -Herstellung bedurfte. Bei ihrem Einzug in die Klinik richtete sie fürs -erste an alle die Frage, wann sie wieder herauskommen würde, und gleich -und auf die Stunde verlangte sie es zu wissen. Nun sie fast keine -Schmerzen mehr hatte, erkannte sie mit einem Male, welche Ablenkung sie -für sie gewesen waren, und sie vermißte sie; denn diese an sich waren ja -auch eine Betäubung gewesen. Und ihr geschah wie dem flüggen Vogel, der -wohl am liebsten noch einmal in seine Geborgenheit zurückkröche, bevor -er den ersten Flug unternimmt. Draußen wartet seiner die Welt. Das Nest -dagegen war ihr entzogen. So dieses Haus. Wie eine Arche zog es über die -finsteren Wasser dahin und beruhte in sich. Bald mußte nun Geraldine aus -seinem Schutze wieder hervor. Und sie verzagte. Sie bangte nach den -wolkenlosen Tagen der Vergessenheit, der Palliative. Sie waren vorbei. -Andere Wunden waren nunmehr wieder erwacht, unheilbare, die niemand -verband, um derentwillen niemand sie bemitleidete, noch eine Blume -schenkte oder sie umgab. Wie ein Himmel, der sich ganz verhängt, und von -dem es dann unablässig niederrauscht, umzog sich Geraldinens Gemüt, und -erst stoßweise, dann unaufhaltsam flossen ihre Tränen. Zwar konnte sie -jederzeit innehalten, und wenn jemand bei ihr eintrat, ganz vernünftig -schwätzen. Aber sobald sie allein war, setzte der Landregen wieder ein. -Der Geruch der Speisen widerte sie mit jedem Tage stärker an, und sie -weinte vor Ekel bei ihrem Anblick, ob sie auch hungrig zu sein -vermeinte, bevor man sie ihr brachte. „Kaputt ist kaputt!“ sagte sie zur -Schwester, die sich über ihre kaputten Nerven ausließ. Aber vor den -alles sehenden Pupillen Guidos redete sie sich auf eine beunruhigende -Äußerung heraus, die bei der Morgenvisite zwischen den Ärzten gefallen -sei; sie habe sie deutlich gehört. Und sie rückte beiseite, damit Guido -sich zu ihr setze, denn sie erbettelte jede Minute ihres Verweilens. - -Der Tag verebbte an den weißen Wänden ihres Zimmers, sie standen im -Widerschein des umgoldeten Laubes, dann erbleichten sie wieder. -Geraldine war schon für die Nacht gerichtet, hielt ihr heiles Knie -umklammert und weinte. Die blaue Lampe warf ihren Schein. Niemand störte -sie mehr. Da klopfte es an ihre Türe und Guido in Begleitung des Arztes -trat herein. Er kam sie zu beruhigen: es handle sich nur um eine -vorübergehende Phase und sie würde die Klinik bald verlassen können. Er -erinnerte sie nicht daran, daß Schwerkranke in den angrenzenden Zimmern -lagen, ohne Aussicht auf Genesung. Ein schwedischer Student war in der -Nacht gestorben. Sie aber mußte noch so spät getröstet werden. Ihr -Schuldbewußtsein machte sie befangen, sie wußte nicht, was sagen. Die -französischen Neuerscheinungen lagen auf ihrer Decke gebreitet. Es war -aber derselbe Arzt, der es abgelehnt hatte, sie zu lesen. Scharmante -Bücher, bemerkte sie, doch ohne sie ihm noch einmal anzubieten. Doch als -er sich jetzt anschickte zu gehen, bat sie mit einer winzigen Stimme um -Morphium. Es wirkte nur langsam bei ihr, und bis dahin konnte sie bequem -schluchzen. - -Fürwahr, sie hatte es gut. Selbst in der Nacht war dieses Zimmer -freundlich: der weiße Tisch mit den lichten Messinghähnen für warm und -kalt, wie sie es liebte; der magisch sanfte Schein des Seidenschirmes, -wie blasser Rittersporn so blau. Die Birne war schwach, aber sie genügte -gerade. - -Sie dachte an ermordete Freunde, an die grenzenlose Abgeschiedenheit -ihrer letzten Augenblicke. Ja, das war die Wirklichkeit! Feige, feige -Geraldine! Freunde, besser als sie, waren gegangen, früher als sie, und -hatten ihr Tagewerk vollendet. Ihr war noch eine Frist gegeben. Nichts -anderes als eine Frist bedeutete ihr Genesung. - -Geraldine hörte der Posaunen viele. - -Und dann genoß sie doch wieder die tröstliche, verbrecherische Schale -der Vergessenheit, und es war alles eins. - -Jedoch derselbe Arzt kam tags darauf selbst auf das Thema zurück, und -bevor sie ihrerseits sich dazu äußerte, überschlug sie im stillen, wie -oft sie schon dasselbe gesagt hatte, sich, und gewiß auch andern zum -Überdruß. Innerlich seufzend legte sie über „jene anderen Franzosen“ -los, wie sie es drüben über „jene anderen Deutschen“ getan hatte. Es ist -nicht mehr zum Anhören, dachte sie dabei. Denn das Wahre, das Rechte, -das Richtige, es verträgt nicht unbeschadet die Geistlosigkeit ständiger -Wiederholung. Diese schlägt vielmehr den widerlegbaren, den falschen -Argumenten vortrefflich an, und entkräftet sie nie; ja sie ist das -Geheimnis ihrer Wirkung: immerzu laut ausgerufen schlagen sie ein, und -wuchern wie jedes andere Unkraut. Indessen sprach Geraldine von dem -versöhnlichen Geist der Intellektuellen, den man unbeachtet ließ; wie -unglücklich sind wir über so vieles gewesen, schloß sie mit schier -lahmer Zunge, was unter unserem Namen geschah, und heute stellen wir uns -unseren Gleichgesinnten gegenüber taub. - -„O wirklich?“ sagte er. - -Es war aber so ganz und gar derselbe aufhorchende Ausdruck, dieselbe -Skepsis, dieselbe sensible Spannung im Auge, mit welcher auch ihre -Pariser Freunde „_oh vraiment?_“ erwidert hatten, daß sie fürwahr nicht -nur ein ähnliches, nein! ein identisches Gesicht vor sich sah. Und es -war undenkbar, daß mit demselben verschütteten Gefühl, derselben -verdrängten Schmerzlichkeit das „_oh really?_“ eines Engländers, auch -des „deutschfreundlichsten“ gefallen wäre. Denn nicht Sympathie oder -Abneigung sind hier, wie zwischen andern Völkern, das Hin und Her. -Sondern Erotik oder der Haß der Geschlechter, die beseligende Flamme, -oder der Atem des Teufels, der über sie hinbläst. - -Seit ihrer Krankheit wechselten ihre Anwandlungen schneller als das -Licht. Was ließ sie jetzt in einer blauen, spiegelklaren Stimmung -untergehen? - -Sie hatte unter ihren mitgenommenen Büchern die von Hofmannsthal Anno -1913 so schön und ahnungsvoll eingeleiteten Bände des „Deutschen -Erzählers“. Ein paar Generationen alt und schon antik! Verwunschen, -unerschöpflich, losgelöst! – Und aus ihrer Welt heraus, ebenso zeitfremd -wie sie, war hier ein Deutscher, der Sache so ganz ihrer selbst willen -ergeben, daß eine fühlbare Stille ihn umgab, die ihn allem Getriebe -entzog. Schlecht oder recht dachte Geraldine, wie ist doch der Deutsche -so gründlich! Er ist schlecht fast bis zur Pedanterie, seine Güte ist -unwahrscheinlich. Dieser hier stand an der Spitze einer nunmehr so weit -gediehenen Forschung, daß sicheren Todeskandidaten eine Anwartschaft, -statt auf Rückfälle, auf ein neues Leben verliehen wurde. Da entsann -sich Geraldine, was sie sich vorgenommen hatte, ihm zu sagen. „Mich faßt -eine wilde Freude,“ sagte sie, „wenn ich an solche Verwirklichungen -denke. Denn ein Deutschland als Wohltäter der Menschheit, welch ein -Triumph wäre dies! Welch stolze Absage an seine Schuldigen! Welche -Ehrung seiner Schuldlosen und seiner Geopferten! Welch einzig würdige -Art, der Welt seine Leiden heimzuzahlen!“ - -Utopien, dachte sie, als er draußen war, Utopien, und weinte in Strömen. - -Aber wie eine Bravourarie ging tags darauf das Ausziehen der Fäden vor -sich. Rhythmisch flog die Schere durch die Luft und schoß wieder herab. -Geraldine gab keinen Laut und staunte. - -Eine Woche später packte sie ihre Siebensachen mit Hilfe der Schwester, -die französischen Neuerscheinungen obenauf. Dann besann sie sich auf -Zahnschmerzen und bat um Morphium für die letzte Nacht. Im Schein der -blauen Lampe war sie des Augenblicks gewärtig, wo sie sich entfliehen, -noch einmal Urlaub von sich nehmen durfte. Wie ein alter Zwilchrock, der -müde vom Nagel hängt, so harrte ja ihr abgelegtes Sein, daß sie es -wieder überzog. Nur einmal noch wollte sie das Fest der Trennung von ihm -feiern. Als Kind hatte sie sich an Erwachsene geklammert mit der Frage, -ob man denn sein ganzes Leben sich selber bleiben müsse, ohne jemals von -sich fort zu können, ohne je andere sein zu dürfen. Ihr früher Wunsch -war wohl ein Vorgefühl, in welche Zeit ihr Ich hineinwachsen, welche -Last es ihr aufbürden würde. Allein die Möglichkeit, die damals -verneinte, die gab es dennoch. Schon rauschten ihr die Fittiche -entgegen; das Leben war eine holde Landschaft, von verlockenden Linien; -Fernen, sie nicht mehr betreffend, nahmen die beiden Länder ihres -Herzens auf, deren Not war an Ereignisse gebunden, vergänglich wie sie -selbst. In ihrer Wonne ließ sie sich gleiten. Sie sah Gras wachsen über -ihr eigenes Grab, und es war alles eins. - -Aber dein Kopf liegt in den Kissen schwer zurückgeworfen, Geraldine, und -dein Gesicht ist fahl, derweil du dir enteilst, melodischen Ufern -entlang, geäugt von Vögeln, deren Staunen Schleier der Lust in deine -erinnerungslosen Augen treibt. Sie sind nicht dein! Und dies ist nicht -das Leben, sondern dein Erwachen, und dein Wissen um die Außenwelt. - -Und tags darauf nahm sie Abschied. Und Guido geleitete sie hinab zu dem -offenen Tor, durch das ein Stück Himmel hereinsah. Und wie die Taube, -der Arche entsandt, die vergebens spähte, ob die Wasser noch nicht -fielen, und die nicht wiederkehrte, so flog sie aus. - - - - - Der Geiz - - -_Avec la richesse commence l’avarice_, sagt Balzac in seinen _Illusions -perdues_. - -Der Geiz scheint jedoch nicht zur Beobachtung zu reizen, und außer -Molière und Schopenhauer haben sich nur die allerwenigsten mit diesem -hochinteressanten Laster eingehend befaßt. Auch soll hier keineswegs von -seinen ungeheuerlichen Auswüchsen die Rede sein, sondern vom Geiz in -seinem normalen Verlauf, wie die Ärzte sagen. - -Vor allen Dingen glaube man nicht, das Geld sei etwas Totes. Es ist ganz -Wahlverwandtschaft, ganz Antipathie, ganz Selbsterhaltungstrieb, ganz -„Seele“ (auf seine Art). Ja, dem Gelde entströmen atmosphärische -Schichten, die sich in feine, aber undurchsichtige Schleier zerteilen, -um sich über das Gemüt des Reichen zu lagern. Es ist, als schöbe sich -ein Milchglas trennend zwischen ihn und seine Welt. Mag der Trinker vom -Weine noch so sehr umnebelt sein: daß er ein Trinker ist, darüber ist er -sich klar. Der Lügner weiß von seiner Verlogenheit, der Zornige von -seinem Haß. Aber der Geiz spinnt so feine und undeutliche Fäden, daß der -von ihm Betroffene ganz im unklaren über sich selbst verbleiben darf. -Dem Geizigen steht überdies ein Überfluß an Mänteln und Mäntelchen zu -Gebote, die ihm sein Spiegelbild bis zur Unkenntlichkeit maskieren, -wobei immer nur er selbst, niemals die anderen über seine wahren Züge -mystifiziert werden. Man denke sich die Freudsche Methode, die meist -einer sinnwidrigen Anwendung verfällt, einmal auf verhärtete Geizhälse -angewandt. Einer psychoanalytischen Behandlung unterzogen, würden diese -Patienten am Ende gar kuriert vor Schreck über die Entdeckungen, welche -sie an sich selber zu machen hätten. - -Ein Grund ihres Selbstbetruges liegt darin, daß sie nicht selten mit -Vorliebe geben; ja Geschenke zu machen – freilich niemals entsprechende -– kann bei dem Geizigen fast zur Marotte werden. Denn er weiß so gut wie -ein anderer, daß Geben seliger ist als Nehmen, und er hat es so gut wie -der Freigebige an sich erfahren. Und weil er auch – denn er will alles -haben – des Gebens froh werden will, gibt er nochmal aus seinem Geiz und -seiner Habgier heraus. Und darum schenkt auch er. Aber dabei rächt sich -alsbald sein Laster an ihm und bindet seine Hände, daß er nicht -freigebig, d. h. nicht frei wird zu geben wie er möchte, und schließt -ihn wie mit eisernen Fäden in immer engere Gefangenschaft, bis seine -Miene den inneren Bann, dem er verfiel, auch äußerlich verrät. - -Wer wollte denn auch leugnen, daß geizige Leute häufig zu bedauern sind, -und zwar je mehr sie sich bereichern, da ein Zuwachs ihrer Habe eine -Verhärtung ihres Geizes unerbittlich zur Folge hat. Wobei ihm die fremde -Schlechtigkeit vielfach Grund für sein Verhalten zu bieten scheint. Denn -ein sehr reicher Mensch ist ja schlechten Erfahrungen in schlimmster -Weise ausgesetzt. Die anständigen Leute werden es nicht sein, die sich -an ihn herandrängen – seine guten Erfahrungen bleiben somit negativ –, -während er die miserabelste Sorte aus nächster Nähe kennenlernt. Kein -Wunder, daß manch vertrauendes und großmütiges Herz karg und mißtrauisch -wurde. Es kommt unversehens. Der Geiz hat eine unheimlich schnelle -Reife. Dann aber läßt er seine Opfer nicht mehr los. Er hat nur eine -aufsteigende Linie. Er kennt keinen Verfall und er kann nicht sterben. - -Das Trübseligste erlebte ich einmal auf der Reise von seiten einer -alten, kinderlosen Dame, deren Nichte mich gebeten hatte, ihr Nachricht -zukommen zu lassen, denn die Greisin schien sich um ihre sämtliche -Verwandtschaft nicht mehr viel zu kümmern. Sie lebte fern von ihr in -einer fremden Stadt, und hatte es glücklich auf sechsundachtzig Jahre -und fünfzig Millionen gebracht. Ich traf sie in ihrem wundervollen Haus, -umgeben von Bildern und Schätzen. – In ihrem Lehnstuhl vergraben, klagte -sie, daß ihr das Schreiben schwer fiele und erkundigte sich alsbald mit -wärmster Anteilnahme nach der Schar ihrer Nichten, Groß- und -Urgroßnichten, insbesondere nach einer gewissen „Hertha“, ihrem Patchen, -das sie am innigsten liebte. Um die handelte es sich eben. Ich malte -also die blasse Schönheit dieser Hertha in den leuchtendsten Farben hin -und erzählte sodann, daß die Ärzte einen längeren Aufenthalt in Ägypten -sehr ratsam für sie hielten. - -„Ja mein Gott,“ forschte sie ganz bestürzt und voll aufrichtiger -Besorgnis, „wird sich denn das pekuniär machen lassen?“ - -„Schwer“, erwiderte ich. - -Mehr zu sagen stand mir natürlich nicht zu. Derselbe Gedanke war zwar -gleichzeitig in uns aufgestiegen; aber nichts von Unentschlossenheit -malte sich in dem Gesicht der Greisin – viele Jahre früher hätte sie -wohl gezaudert –, doch nur Schatten des Grams breiteten sich über ihr -melancholisches Gesicht. - -Seufzend sprach sie jetzt von ihrem nahen Tode, von der Verlassenheit -und den Enttäuschungen eines zu langen Lebens. Während wir uns -unterhielten, trat die Jungfer ein und fragte leise, ob sie das -Töchterchen des Kutschers, das heute das Haus verließ und in die Lehre -zog, einen Augenblick einlassen dürfe. Die alte Dame empfing das Kind -voll Güte und Wohlwollen, und als es dann schied, hielt sie es noch -einmal zurück. Schränke, Kisten und Truhen wurden nun durchgesehen, -aufgeschlossen und dann wieder abgesperrt. Ein Heer weißer Schachteln in -Seidenpapier, umwickelte Päckchen und Pakete kamen dabei zum Vorschein. -Aber sie zog bald diese, bald jene Schieblade zu Rat, ohne sich -entscheiden zu können. Die Kleine stand indes mitten im Zimmer und -wartete, wie man es ihr gesagt hatte. Plötzlich flog ein Schein, eine -schnelle Röte über ihr Gesicht. Gleich darauf wandte sie erblassend den -Blick nach der anderen Seite hin. Aber ich war ihm schon gefolgt und -gewahrte ein schwarzes Ledertäschchen, das die Greisin gerade in Händen -hielt, öffnete und untersuchte. Innen mit dunkelroter Seide ausstaffiert -und mit Nähutensilien angefüllt, zugleich verschiedene Fächer -enthaltend, war es wohl der kühnste Traum von einem Täschchen für eine -kleine Nähmamsell; im übrigen nichts Kostbares, sondern ein schöner -Dutzendartikel aus einem Warenhaus. Aber nicht lange, und die Besitzerin -hüllte es wieder ein. Ihre Hände waren gebunden, und sie konnte das -Täschchen, das um eine Idee zu schön für die Kleine war, nicht spenden. -Diese stand unbeweglich mitten im Zimmer, aber der Strahl in ihren Augen -war erloschen. Die Alte kramte indes in einem anderen Fach und zog ein -silbernes Armband hervor, auf dem „Gott mit dir“ in schwarzen Lettern -eingetragen war, und damit entließ sie das enttäuschte Kind. - -Die Geberin saß nun wieder in ihrem Lehnstuhl zusammengesunken und -schaute mit einem blassen, vergrämten Gesicht vor sich hin. Ein Fest war -ja der kleine Zwischenfall mit dem häßlichen Armband, darauf „Gott mit -dir“ in schwarzen Lettern prangte, für niemanden gewesen, und ein -gesteigertes Bewußtsein hatte sich der Spenderin unmöglich mitteilen -können, vielmehr die Öde des Ereignislosen. Es hatte sich nichts -ereignet. Die Kleine war nur um eine gewaltige Freude betrogen worden, -und die Alte, die gern Freude bereitete, wußte es genau; und wußte -ebensowohl, daß sie niemals anders verfahren würde, selbst wenn sie das -Kind noch einmal zurückriefe. Nebenan hub jetzt ein Papagei, von der -kleinen Passantin aufgeschreckt, zu schreien und über die -Unerfreulichkeit der Welt zu schimpfen an. Schräge Strahlen ergossen -sich durch die weit geöffneten Fenster (die größten der Stadt) und über -die prachtvoll weichen Farben der Teppiche, die Leuchter aus altem -Kristall, die goldumränderten Schalen und silbernen Dosen. Dennoch lag -etwas Drückendes, in seiner Öde unerträglich Akzentuiertes, ja -Unheimliches in der Atmosphäre dieses Raumes. Und plötzlich war mir, als -befände ich mich ganz allein, als sei die halb erloschene Frau vor mir -schon verblichen und nur mehr ein Schemen. Es fehlte so wenig! All die -Päckchen und Pakete, die sich in tadelloser Ordnung in ihren Kästen und -Truhen häuften, waren schon fast herrenlos. Und nicht die kleine -Nähmamsell, nicht einmal die Nichte Hertha schien mir mit einem Male -beklagenswert, sondern die sonst so kluge, ja sympathische, die -unbegreifliche alte Dame, die rettungslos in die Falle geraten war, -welche der Geiz den Besitzenden stellt. - -Sie starb bald darauf. Und da ihr Geiz eine lange Geschichte hatte, -ragte er denn auch weit über ihr Leben hinaus. Sie hinterließ ihr -Vermögen ihren _reichen_ Verwandten, den weniger bemittelten, der -Großnichte Hertha, die ihrem Herzen so nahe stand, unbedeutende Legate. - - - - - Schiffahrt und Eisenbahn - - -Wie behaglich, wie menschenwürdig hat sich unsere Schiffahrt -ausgebildet; wie stolz setzen wir über das Meer, aber wie barbarisch -fahren wir noch Eisenbahn. Unser größter Wohltäter wäre der, welcher -frei nach Pullman einen neuen Typ unserer Eisenbahnwagen einführte. Aber -würden die zuständigen Generaldirektionen die leiseste Notiz davon -nehmen? – Hat je vor mir einer den Plan eines Generalstreikes der -Eisenbahnpassagiere gefaßt? Nein. Wir lassen uns in den stets -überfüllten Zügen wahllos wie Herdentiere zusammendrängen und zahlen und -überzahlen die unverschämte Tortur. - -Oder sitzen wir etwa _nicht_ wie Böcke und Schafe stunden- und tagelang -in einer verrußten, vergifteten Luft – mit einer Platzkarte gezeichnet, -wie Hammel mit einem Kreuz? Nur die rachsüchtige Hoffnung im Herzen, -unsere Leidensgefährten (welche die Eckplätze innehaben) möchten doch so -töricht oder so unerfahren sein, sich in jene andere Vorhölle: den -Speisewagen, zu begeben, woselbst ein wüster Dunst, übel wie eine -Seekrankheit, regiert. Und sind wir endlich allein, so stürzen wir ans -Fenster, um Luft, und wäre sie noch so eisig, hereinzulassen. Aber wir -bringen es nicht auf. Wir rufen den Gefängniswärter: er bringt es auch -nicht auf. Das Holz sei aufgequollen, bemerkt er und geht. Nicht lange, -und die anderen Sträflinge kehren zurück. Man nimmt also wieder mit -stechendem Kopfweh seinen Rückplatz ein und hat bald darauf die -unmittelbare Aussicht auf zwei vom Schlaf überwältigte ältere Herren. - -Sie sind nicht schön. - -Endlich – ich spezialisiere schon; ach es liegt so nahe! – ist das Licht -dieses mühseligen Tages gesunken. Aber der Lampenschein ist nur ein -trübes Geblinzel in dieser Luft! Und noch fünf Stunden. Das heißt, man -wird nie ankommen. Man wird es nicht erleben. Hannover! – Die -schlummernden Gebrüder fahren auf, greifen nach ihren Taschen und fort! -– Oh! – Ich bin allein mit einem jungen und scharmanten Mädchen. Wir -wissen nichts voneinander, aber die gemeinsame Plage hat uns längst zu -Verbündeten gemacht. Sie erzählt mir, daß sie soeben einen Krankenkursus -absolviert. Sie hat einen Apfel, ich gebe ihr ein Messer; sie reicht mir -ein Aspirin. „Aber Sie müssen sich hinlegen,“ sagt sie, „sonst wirkt es -nicht.“ Sie reißt die oberen Klappen auf und verhängt das Licht, und wir -strecken uns der Länge nach aus. „O Gott, Schwester,“ rufe ich aus, -„dies ist viel zu schön. Es kann nicht dauern!“ Aber sie tröstet mich, -daß der Zug vor Hamburg nicht mehr hält. Da wird – bang! – die Tür -aufgerissen und eine Blendlaterne grell vor unsere Augen gehalten. Es -ist der Kerkermeister, der sich umsieht wie einer, der hier zu Hause -ist, dann die Tür zuschlägt und wieder verschwindet. - -Dem ist etwas nicht recht, meinten wir bescheiden und einigten uns über -ein Trinkgeld, falls er wiederkäme. Wir fingen schon an, unsere Ruhe und -das Dunkel wieder zu genießen, als die Tür lärmend aufgerissen wurde und -Kerkermeister und Laterne uns von neuem aufschreckten. Gebieterisch -verlangte er (wie oft denn noch) nach unseren Billetten. Ich reichte ihm -das meinige zugleich mit einem Zweimarkstück entgegen. „Wieso? Was soll -dieses Geld?“ herrschte er. „Daß Sie uns nicht immer stören sollen, weil -wir müde sind.“ „Sie haben ja“ – tat er sehr überrascht – „ein Billett -zweiter Klasse und sind hier in der ersten.“ „Das wissen Sie so gut wie -ich. Ich wurde hierher verwiesen, weil alles überfüllt ist.“ „Das gilt -nur, solange wirklich kein Platz ist“, bestimmte er. „In Hannover sind -mehrere Personen ausgestiegen. Ich werde gleich nachsehen, ob etwas frei -geworden ist. Dann müssen Sie hinüber.“ Er schlug die Tür zu und ging. -„Gibt es Worte!“ rief die Schwester empört. „Wir sind hier im Lande der -häßlichen Briefmarken“, sagte ich, vor Wut zitternd. „Paßt so viel -Gemeinheit nicht wundervoll zur Schreibweise der Worte ‚Soße‘ und -‚Büro‘?“ Dabei stand der Laternenkerl schon wieder unter der Tür. „So,“ -meinte er im Tone des Vorgesetzten, „drüben ist Platz“, und machte sich -anheischig, nach meinem Gepäck zu greifen. „Zurück!“ schrie ich wie eine -Wilde. „Dann zahlen Sie die erste Klasse nach“, sagte er erschrocken. -„Nein, keinen Pfennig!“ schrie ich, denn mein Zorn kochte jetzt wie auf -einem Schnellsieder. „Aber morgen“, schrie ich, „steht diese Geschichte -in allen Blättern; es stehen mir alle Blätter,“ log ich schreiend, „alle -Blätter Deutschlands stehen mir zu Gebote.“ Ich fand eine sehr -dramatische Geste, und der Mann fuhr vor meinen Megärenaugen betreten -zurück. „Ach was, meinetwegen bleiben Sie, wo Sie wollen“, sagte er. -„Jawohl!“ schrie ich, und meine Börse öffnend, warf ich das ihm -zugedachte Geldstück ostentativ wieder hinein. Dies imponierte ihm -vollends. Er schlug zwar die Tür noch einmal zu (dies war seine Natur), -jedoch blicken ließ er sich nicht mehr. - -„Sind Sie Schauspielerin?“ fragte mich meine Gefährtin voll Bewunderung. - -Aber ich sank erschöpft zurück. - -Diese eine gröbliche Geschichte greife ich nur deshalb mit Vorliebe -heraus, weil ich merkwürdigerweise nicht den Kürzeren dabei zog. Die -anderen Geschichten erzähle ich nur auf speziellen Wunsch, weil ich mich -zu sehr dabei aufrege. Und wer sie auch für erdichtet hielte, würde sie -doch nie für übertrieben erklären. Wir fahren heute lieber auf dem -längsten Seeweg nach England, lieber vierundzwanzig Stunden lang die -ganze Küste entlang zu Schiff, um der möglichen Drangsal einer -zehnstündigen Bahnfahrt zu entgehen; und wer all die Eventualitäten des -Winter- und Sommerfahrplans auf der Strecke München-Ostende oder -Vlissingen erprobte, der zieht es vor, sich allen Meeresstürmen und dem -dichtesten Nebel auszusetzen und einen ganzen Tag und eine Nacht länger -unterwegs zu sein. Daß die Schiffahrtsgesellschaften bei täglich -wachsender Konkurrenz so emporblühen und ihre Bureaux (ich schreibe es -so) in allen Städten aufschlagen und daß der Zulauf sich immer steigert, -geschieht nicht nur, weil die Schiffe so prächtig geworden sind, sondern -weil das Eisenbahnfahren mit jedem Jahr unerfreulicher und mühsamer wird -und hier statt des Fortschritts eine immer größere Nachlässigkeit -waltet. Nur die Preise sind gestiegen. Aber es ist, als führe man -geschenkt. Die armen Ausflügler, die an Feiertagen zu ihren -unzureichenden Zügen strömen, angebrüllt, zurück- und zurechtgewiesen -werden, sind ein Kapitel für sich. Sich darüber zu beschweren, überlasse -ich denen, welche noch den Mut besitzen, Sonntag über Land zu fahren und -durch Lösung einer Fahrkarte das Recht auf anständige Behandlung -einzubüßen. Natürlich gibt es viele Schaffner, die höflich und gefällig -sind. Unwürdig ist nur die Tatsache, daß Wohl und Wehe des Reisenden von -der Gemütsverfassung, der Laune und dem Naturell der Diensthabenden -abhängig sind. Sinnen und Trachten unserer Generaldirektionen gehen -dahin, möglichst große, umständliche, protzige und unnötige Bahnhöfe -(die Bahnzüge sind ihnen egal!) zu errichten. _Unnötig_: Diese -Behauptung ist mitnichten so unverständig, wie die Herren -Bahninspektoren und Oberbauräte es möchten. Wenn sie notwendig sind, -warum stehen sie nirgends in dem praktischen England? Warum stehen sie -nicht in Paris? Warum bleiben sie in London auf ihre einfachste Form -erhalten? Warum sind sie dort nur weite Hallen, die nur von einem ewigen -Kommen und Gehen atmen – nur praktisch – nur zweckmäßig und trotzdem und -gerade deshalb von einer starken, beschwingten Atmosphäre von -klassischer Einfachheit, und deshalb schön. - -Kürzlich mußte ich in Leipzig den Nachtzug nehmen. Der Bahnhof – der -Stolz des Sachsenlandes – ist groß wie ein Marktflecken, und ich könnte -mir so gut vorstellen, wie hier ein Massenkostümfest veranstaltet würde, -nicht aus den besten Kreisen, aber üppig, mit großen Palmenarrangements. -Ich bitte Sie, all die Treppen, das schöne Auf und Ab, wie geeignet! Nun -– ich warte also auf Bahnsteig vier auf den Berliner Zug. Er lief -verspätet in die großartige Halle ein, und war vollkommen überfüllt. Wir -standen geduldig und übernächtig auf der Plattform wie ein Rudel -Landstreicher, die zu warten haben, bis man sie abschiebt. Plötzlich, -wie von hoher Brücke herab, der stolze Kommandoruf: Wagen werden keine -angehängt! Es herrschte der gewöhnliche Kriegszustand. Ich wurde in -einem Halbcoupé einem alten Sachsen zugesellt. Als nach einer Weile der -Schaffner erschien und ich ihn fragte, ob denn nirgends Platz sei, -schlug er die Tür zu, ohne mich einer Antwort zu würdigen. „Von dem -erwarten Sie ja nichts!“ rief der alte Herr. „Das Subjekt kenne ich. Er -war eine Zeitlang in meinem Geschäft angestellt, aber ich mußte ihn -schleunigst entlassen.“ - -Es gelang uns mit vereinten Kräften, das Fenster zu öffnen, aber vor dem -Ruß, der uns entgegenflog, zogen wir es alsbald wieder in die Höhe. Wir -stellten die Heizung auf kalt, wobei es immer wärmer wurde. „Ich bin -schon alt“, sagte er plötzlich, „und werde nicht mehr viel Eisenbahn -fahren. Das ist aber auch das letzte, worum ich die Lebendigen beneiden -werde.“ - -Nun – eine solche zehnstündige Fahrt, um die kein Toter mich beneidet -hätte, lag unmittelbar hinter mir, als ich in Cuxhaven, unter einem -flockigen Himmel, von Möwen umkreist, die hohe Brücke eines Dampfers -bestieg. Der Kontrast zwischen dem Aufschwung unseres Schiffsbaus und -der Rückständigkeit unserer Eisenbahnen hat etwas Überwältigendes; man -ist auf den Eindruck nicht vorbereitet. Es ist ja nicht der Luxus, der -uns erstaunt. Mein Gott, den findet man heute mehr oder minder in jedem -Hotel, und er hat den Reiz der Neuheit schon so sehr verloren, daß ich -mich fragte, ob er sich in der gegenwärtigen Form noch lange halten -wird. Und da ich mir nun schon einmal das Kapitel der Anregungen -gestatte: Wäre es nicht schön, den ganzen Aufwand neuen Bahnen -zuzuleiten und einmal ein wirklich gutes Orchester und große Musik auf -einem so würdigen Boden, wie den eines großen Dampfers zu lancieren? Das -Meer ist eine unvergleichliche Konzerthalle! - -Nicht die kostbare Ausstattung des Schiffes, sondern daß wir -stimmungsvolle, lauschige Zimmer statt der engen Kabine beziehen, -sondern daß wir einen Kilometer zurückgelegt haben, wenn wir dreimal das -Deck umgehen, der Luxus des _Raums_, das ist es, was uns hier ergreift. -Jeder Fußbreit mehr, der sich hier dem Element widersetzt, das ist es, -was imponiert! Drinnen im Binnenlande begreift man nicht recht, bevor -man es erfuhr, warum ein Schiff so groß sein soll. Erst wenn man darauf -hinzog, versteht man den Sinn dieser großen, immer größeren Häuser, in -welchen man des Schiffes immerzu vergißt. Wir ahnen nicht vorher, mit -welcher Rührung wir uns besinnen werden, wenn uns in mitternächtlicher -Stille ein dumpfes, kaum wahrnehmbares, wie unterirdisch wachsames -Treiben die Augen aufschlagen läßt, und ein Ruck, ein sanft harmonisches -Rauschen uns daran erinnert, daß nicht Straßen noch Plätze, nicht Gras -noch Baum vor dem Fenster im Winde stehen, sondern das nasse, leere Feld -des furchtbaren, feindseligen Gottes, auf welchem dies ungeheure, -beladene Schiff zur winzigen Nußschale schwindet. Aber eine Nußschale, -die uns das Gefühl höchster Geborgenheit mitzuteilen weiß, und an -welcher Menschenhände so lange und so kundig bildeten, bis sie, allen -Stürmen gewachsen, endlich den Begriff des Schiffes selber überwand. So -ist hier der Zauber aus dem Kontrast von Größe und Kleinheit gewoben, -und mit innerem Jubel kreisen wir immer wieder um das weite Deck dieser -schwimmenden Arche, des Spiels nicht müde, so groß ist die Romantik -dieser kleinen, armseligen, rastlos dahingemähten, dieser so kühnen, -prometheischen Menschheit, und so stark sind hier die Perspektiven, daß -wir plötzlich, wie selbst aus ihr hinausgerückt, von Bewunderung -hingerissen vor ihr stehen. - - * * * * * - -Da wir von Perspektive und von Romantik sprechen, treten wir doch bitte -einen Schritt zurück, kneifen wir ein Auge zu, und sehen wir ins Leere, -in die Ferne; dorthin, wo sich über den Fluß die massive Brücke -schwingt. Denn nicht lange, und der Schnellzug saust plötzlich -darüberhin, aus dem Hals der Lokomotive windet sich ein brauner Rauch -zur krausen Barocksäule empor, und die locker aneinandergeschmiedeten -Wagen rollen fröhlich mit lautem, schnell verhallendem Geräusch und wie -ein gefährliches Spielzeug vorbei. Ein kurzer Pfiff, wie ein -Angstschrei, und nichts ist mehr, als die schwarze Wölbung eines -Tunnels, durch die sie geradewegs ins Innere des Felsens drangen. Und -nun meine Zeitgenossen, bitte ich Sie: Ist die Ritterburg, deren -efeuumrankter Turm vom Berge niederschaut, suggestiver? Kann sie unserer -Phantasie die Seele eines Zeitalters mächtiger, unmittelbarer -entgegenhalten, wie der soeben vorübergerauschte Zug, dessen Fenster wir -einen Augenblick in der Sonne flimmern sahen? Fühlen wir uns da nicht -blitzschnell den vielfachen Existenzen ein, die er dahinträgt, reißt er -da nicht unsere Teilnahme zu Schemen des Lebens hin, vertraut und -unbekannt – verklungen schon, wie angesichts des verwitterten Burgtores -das Bild des Jagdtrosses, der über die Zugbrücke lärmte; melancholischer -auch in der zerrinnenden Vielfältigkeit seiner steigenden und fallenden -Linien. Denn wie Lose in einer Urne sind unsere Leben in jener kleinen -Eisenbahn zusammengeworfen. Wieviel vergrämte, bekümmerte und schwere -Herzen trug sie nicht schon dahin! Wieviel Verliebte starrten schon -durch ihre Scheiben in die fliehende Gegend hinaus und erfaßten mit -magischer Schärfe den Baum, den zuckenden Steg, Dörflein und Wald, -während sie doch nur das Bild der Kreatur, an die sie dachten, vor Augen -hatten! Verträumte Flammen des Hoffens, der Illusion, von der Bewegung -gefächelt, wie Blumen, die im Zephir stehen. Es ist eine Zeit, es ist -ihr bewegter, ruheloser Schild, der nachts als funkelnde Schlange mit -runden, feurigen Drachenaugen seinen Weg erkannt und viel Romantik in -sich verdichtet. Und es ist, als sei nichts klein, als sei alles -interessant an den Wesen und ihren Schicksalen, solange die Bahn sie -hinträgt und gleichsam dem Alltag entreißt. Nur daß sie noch nicht, wie -die viel besungene Burg, ihren Dichter gefunden hat, die eilige -Besiegerin der Fernen, die, rastlos, immer auf der Flucht, unsere Epoche -gestaltet, deren Schienen unsere Welt aufackerten und uns erst zu eigen -machten. - -Und ein Ding, so verlockend anzusehen, unterhält so wüste Möglichkeiten; -einer so glorreichen Erfindung sollte jener Fortschritt verwehrt -bleiben, der sich heute auf allen Gebieten des äußeren Lebens – von dem -fabelhaften Aufschwung unseres Schiffahrtwesens nicht zu reden – so -glücklich geltend macht. Man fährt schon in Rußland und auf der -transsibirischen Eisenbahn sehr angenehm – es ist also möglich. Warum -sollten wir hier nicht auch wie in so vielem Vorbildliches stellen? Wie -schön, welche Freude wären die Eisenbahnwagen, die einmal ein Künstler -wie Adolf Hildebrand entwarf. – Wo sind sie? - -„Aber“, sagte mir kopfschüttelnd, mit erhobenem Finger, ein mehrfacher -Aufsichtsrat, „sehen Sie denn nicht ein, daß die kolossalen -Anstrengungen, welche von seiten der Schiffsagenturen zur Hebung -desselben geschehen sind, absolut notwendig waren, um das Verkehrsmittel -überhaupt in Schwung zu bringen, und daß es ohne die rücksichtsvolle -Behandlung der Passagiere, welche Sie so sehr rühmen, niemals florieren -könnte, während unsere Eisenbahnen – ob nun etwas für sie geschieht oder -nicht, und mögen sie noch so rückständig bleiben, ja noch unerträglicher -werden – einen stets wachsenden Zudrang erfahren werden, da es kein -anderes großes Verkehrsmittel _gibt_ – es sei denn das Auto oder der -Luxuszug, der ja auch“, schloß er zutreffend und mit einem süffisanten -Lächeln, „mehr oder minder nur für Autobesitzer (er war selbst einer) in -Betracht kommt.“ - -Nun möchte ich nur, wiewohl vergebens, unsere Herren Eisenbahnminister -fragen, ob dies ein anständiges Argument war. - - - - - Donaueschingen im Sommer 1923 - - - I - -Ich glaubte es meinem Interesse für die Musik schuldig zu sein, daß ich -nach Donaueschingen fuhr. Die Hitze war mörderisch, die Züge so -überfüllt, wie sie nur hart vor einer Tariferhöhung zu sein pflegten. -Der Rauch billiger Zigarren mischte sich in den herrschenden Dunst. Tief -verdrossen saß ich in der Dichterklasse. Wo sonst? Zum Lesen war es zu -dunkel in der einbrechenden Nacht, die Beleuchtung spärlich wie für -Sträflinge, und alles winterlich trübe bis auf die Hitze. - -In Titisee wurde die Tür aufgerissen, und es quetschten sich noch zwei -junge Leute herein: der eine war blaß und mickerig: erster -Handlungsgehilfe, letzter Bankbeamter, man wußte nicht recht. Auch beim -andern nicht, dessen hübsches, rundes und zierliches Gesicht bunt war -wie eine Forelle. - -„Sie Lümmel!“ sagte er plötzlich zu dem bläßlichen Handlungsgehilfen -oder Schaltervolontär. „Sie Lümmel! So ein Lümmel!“ Man horchte auf. -Denn welch ein überraschender Wohlklang, welch bezauberndes Organ! War -er wenigstens ein kommender Bühnenstar, wartete seiner wenigstens ein -Ruf aus der Großstadt? Er sprach das reizendste und geschmeidigste -Deutsch, aber so blitzschnell, daß vieles, was er sagte, im Geräusch des -Wagens und des Gelächters unterging. Wir vernahmen jetzt etwas von einem -Onkel, der dem „Lümmel“ einen Dollar schenkte, worauf vier Kellner -ausgesandt wurden, um nach den Kursen zu schauen. Hitze, Rauch, billige -Zigarren, alles war vergessen: wir saßen im Parkett. Chaplin war nicht -anmutiger. Donaueschingen kam nur zu bald. Die anderen lachten -vielleicht noch bis Mainz, den ganzen Rhein entlang. Wohin fuhr der -junge Mann? Was war er? Vielleicht verkaufte er Handschuhe und Krawatten -die Woche über. Seine übersensible Lustigkeit rührte geradezu. Ein -Künstler unleugbar, aber der arme Kerl ahnte es vielleicht nicht. Die -Laufbahn kam wohl nicht in Frage für ihn. Ja, ja, ein neuer Typ! - -Ich dachte noch an ihn, als ich auf dem Bahnhof stand. Donaueschingen -lag in tiefster Schwärze. Die drei Personen, die sich eingefunden -hatten, mich abzuholen, versicherten mir alle zugleich, sie seien drauf -und dran gewesen, im Hotel ein Zimmer für mich zu finden. So war es auch -mit jener Dame, die immer so lange Geschichten erzählte, deren Pointe -immer war, daß sie fast ertrunken, eigentlich nur durch ein Wunder nicht -abgestürzt, bei zweiundvierzig Grad Fieber um ein Haar gestorben wäre -usw. Kurz gesagt: das Wort „Privatquartier“ schlug jetzt an mein Ohr, -und ich mußte nehmen, was sich mir bot, oder die Krönungsmesse des schon -nahenden Morgens versäumen. Um neun Uhr früh, bequem an einen Pfeiler -lehnend, freute ich mich zum erstenmal, daß ich gekommen war. Ein feines -Städtchen dieses Donaueschingen. Die Solisten sangen so schön und -stilvoll, daß ich schon Berühmtheiten in ihnen vermutete, statt dessen -waren es Einheimische, deren Namen niemand kannte. - -Von der Kirche weg ging alles im Oberammergauer Passionsschritt auf eine -stimmungslose Turnhalle zu, in welcher die Konzerte abgehalten wurden. -Die des ersten Tages habe ich vergessen. Was den Durchschnitt der -Aufführungen überragte, überragte ihn so bestimmt, daß die Besprechungen -vermutlich recht gleichförmig ausgefallen sind. So wird jeder Kritiker -Hába hervorgehoben haben, aber nicht die überraschende Sinnfälligkeit -seines Quartetts im Vierteltonsystem. Durch seine innere Notwendigkeit -leuchtete es ebensosehr wie durch seine meisterliche Kürze ein. Denn -keine Musik verträgt Längen schlechter als die neue. Wohl haben wir die -der nachwagnerischen Programmusik noch voll im Gedächtnis. Aber bei -ihnen konnte man einschlafen, seine eigenen Gedanken spinnen. Wir kennen -die Klippe der tonalen Kompositionen; die der atonalen heißt -Katzenmusik. Mit halbem Hinhören wird man sie nicht los. Mit Snobismen -führe hier die ganze Hölle auf. Zwar keimen sie bereits, jedoch – -gottlob! – sie wucherten noch nicht. Die Atmosphäre Donaueschingens war -noch sehr sympathisch. Der Dollarstand war fern, von Nationalismen keine -Rede. Es drehte sich wirklich alles nur um die Sache. Diese Jugend, ganz -sich selbst überlassen, war ganz sich selbst. Viel eher schien sie sich -der kontemplativen Landschaft anzupassen, so daß ein fast zeitloses -Stimmungsbild entstand. Einem jungen Belgier wurde zugejubelt, als gäbe -es nur _eine_ Kameradschaft auf der Welt, und als Sieger des -musikalischen Turniers ging der Tscheche Hába und der Spanier Jarnach -hervor. - - - II - -Ich suchte, außer um mich umzuziehen, tagsüber mein „Privatquartier“ -nicht auf. Im „Lamm“ war ein leerer Saal. Dort saß ich am zweiten -Nachmittag, als aus einem Nebenraum Musik ertönte. Alt oder neu? Beides, -oder weder dies noch das, aber so reich, so ergreifend, daß ich zur Tür -ging und sie öffnete: um ein Pianino saß eine kleine Schar, und man -probte die Oper eines Komponisten, dessen Namen ich zum ersten Male -hörte: Rudi Stephan. Im Kriege gefallen. Natürlich. - - - III - -Daß Jarnachs Quartett den Glanzpunkt des letzten Tages bildete, auch -dieses werden sehr viele geschrieben haben, denn es konnte kein Zweifel -darüber bestehen. Zu wenige aber bemerkten vielleicht, daß hier ein -wahrer Schüler Busonis die Probe seines Talentes gab. Der wahre Schüler -ist immer nur der, welchem sein Lehrer Wegweiser, aber nicht -Gängelführer bleibt. Wie es des wahren Schülers ist, seine eigenen Wege -auf der ihm gewiesenen Bahn weiter zu verfolgen, so des wahren Meisters, -jene Bahn zu brechen. Mit dem so viel gebrauchten Worte „Anreger“ -scheint mir bei Busoni entschieden zu wenig gesagt. Man mag sich zu ihm -stellen wie man will, heute schon gebietet sein Werk vor allem Distanz; -diese aber, finde ich, wird nur von den paar ganz erlesenen Kennern -eingehalten. Bei den anderen vermisse ich sie. Distanz schließt die -Kritik nicht aus, ist aber immer eingedenk. Busonis Tragik liegt darin, -daß er sich wieder an den Anfang aller Dinge stellte, keiner in unseren -Tagen machte es sich so schwer. Vielleicht ist es schon für Jarnach eine -Lust zu komponieren: seinem edlen Kolorit, seiner bedeutenden Sprache -ist die Arena geöffnet. Armer Busoni! Wie rührend ist er, wenn er -feiert! Die Schauer der Angelangtheit, jener Orgel-Tokkata, -„Bach-Busoni“ überschrieben, weihevoll wie ein erhobener Kelch, die -göttliche Melancholie, der er in seiner Tokkata frönt, und sein -Perpetuum mobile, in welchem Seite achtunddreißig mit einem Male die -Flöte Pans einsetzt – wie selten sind die Feste, die er sich gewährt. -Seine wahren Schüler haben es schon leichter. Gerodet liegt das -unbetretene Land vor ihnen, die Ufer von Gestrüpp frei. - - - IV - -Es dalberte der Satrap von Donaueschingen – laßt ihn uns so nennen – im -Grase seines Gartens mit den Musikern herum. Er hatte sich aus -Zeitungspapier einen Helm gedreht, und den Musikern desgleichen. Dann -hieß es: Augen links und stramm gestanden unter dem Papierhut, und so -wurde die Parade abgenommen. Ja, und so lobe ich mir das Militär. - - - V - -Aber es kam noch viel schöner. Am letzten Abend, als alle Konzerte -glücklich hinter uns lagen, standen im Kurhaus noch einige -Gelegenheits-Kompositionen Paul Hindemiths in Aussicht. Man saß bei Wein -oder Tee und Kuchen, als das Amarquartett mit der bescheidenen Bitte -aufzog, man möge eine Weile nicht servieren; sie gedachten noch einiges -zum besten zu geben. - -„Es darf nicht serviert werden!“ rief in unbändiger Fröhlichkeit der -Satrap durch den Saal. Und nun ertönte als erstes ein Militärmarsch, ein -Militärmärschlein sage ich, ein goldiges Militärmärschli, dessen -geringelte Ritornelle, dessen Ringelschwänzchen von einer Ritornelle die -ulkigste, witzigste, übermütigste und zugleich saftigste Verhöhnung war, -welche militaristischer Dünkel und Stupidität jemals erfuhren. Der -Komponist spielte in sich hinein, machte seinen runden, lustigen Kopf, -und sooft die Ritornelle seinem Bogen entquirlte, ging unwiderstehliches -Gelächter durch den ganzen Saal. Oh! Hätte man solchen Rattenfängern von -Hameln eher gelauscht! - - - - - Marseille - - - La patrie c’est la terre, c’est - l’Univers, ce sont les étoiles, - c’est l’air, c’est la pensée - elle-même. - - _Flaubert_ - Correspondence - - - I - - Dezember 1923 - -Ich habe von der Vogelperspektive aus noch keine schönere Stadt gesehen -als Marseille. Die sehr nennenswerte Kälte und ein strömender Regen -beeinträchtigten den Eindruck nicht. Freilich, das Meer war tonlos bis -in alle Fernen. Doch um so berückender leuchteten inmitten des Dunstes -die Dächer und die schmalen Fronten der Häuser. Eines stand ganz allein -für sich in seiner Feinheit, von einem rührenden Garten umzogen, der ein -flaches Viereck bildete. Sonst nirgends ein grüner Fleck. Aber durch -geheimnisvolle Vorgänge der Sonne und der Luft war hier im Laufe der -Zeiten ein Werk von Menschenhänden selber zur Natur geworden. Diese -Dächer, diese Steine überboten die Natur. - -Als wir zu Tale fuhren, dem alten Hafen zu, blieben wir in dessen -handbreiten Gassen natürlich hängen. Es dunkelte. Schon brannten die -Lichter überall. Ich sprang aus dem Wagen hinter einem grauen Kater her -und erhaschte ihn. Doch ich war der französischen Katzensprache nicht -mehr mächtig, und er riß mir aus. Trotz des Regens setzte ich mich zum -Chauffeur. Wir blieben lange festgefahren. Ein wunderhübsches junges -Mädchen schlug im Vorübergehen leise auf seine Hand, sah sich dann um -und lächelte. Auf der andern Seite schwang sich ein kleiner Junge -herauf, starrte mich an und wartete, daß ich lachte über seinen Spaß. -Dann erst sprang er wieder ab. Diese schwarzäugigen, grauäugigen -Gesichter unter dem nächtlichen Haar waren alle auf der Lauer. Auf ein -Lächeln, ein lustiges Wort des Nächsten lauerten diese dunkeln und -verspielten Gesichter. Im Restaurant, in dem wir aßen, servierte nicht, -es zelebrierte der Kellner. - -Ich fuhr am nächsten Morgen wieder auf den Berg, um die Stadt noch -einmal von der Höhe aus zu sehen. Aber die Dächer lagen wie entkräftet -im Sonnenlicht. Dafür schlug das Meer tiefblaue Pulse zu ihm auf. In den -Gassen des alten Hafens baumelten bis zu den obersten Mansarden hinauf -farbenfrohe Kleider übereinander und wehten bunte Schürzen hin und her. - -Fasse dich, Leser, Geduld. Ich komme bald zu dem, was ich sagen will. -Sieh, schon verlasse ich Marseille. - -Paris-Lyon-Méditerranée hieß mein Zug. Im Mittagglanze dampfte er los. - -Wieviel Inspiration niedrigen Bergen innewohnen kann, ahnte ich nicht, -bevor das weiße, lebhafte Arles vor mir aufblitzte, bevor ich die -niedrigen Berge um Arles, die einfachen Terrainwellen der schaukelnden -Erde um Tarascon, die unaufdringliche und wunderbare Schönheit der -Provence gewahrte. - -Freunde. Eure Hände. Wie oft schwur ich mir, keine Betrachtungen mehr -über Frankreich anzustellen. Denn es ist mir nicht gegeben, sie anders -als auf Deutschland zu beziehen. Aber heute ist man verwachsen mit -seinem Kreuz. Und die Unkenntnis wahrzunehmen, die ein Stockwerk um das -andere dem Turm Babel anreiht, zwingt uns immer wieder, unsere nie -vernommenen Stimmen zu erheben. - -Laßt uns ganz unsentimental sein. Auch ohne Liebhaberei müßte uns der -Anblick Frankreichs die Worte: „Es lebe Frankreich!“ entreißen. Denn -Frankreich mit seinem rar gewordenen Blute ist unser Wein. Sein Leben -ist der Welt notwendig. Deutschland – denn immer nur um diese beiden -geht es –, Deutschland wäre aller Brot, wenn es doch endlich die Dinge -gehen ließe. Die Stärke seiner geistigen Existenz ist eine Großmacht -geblieben, intangibel und der Welt notwendig. - - - II - -Nicht wie eine Dichterin, wie eine Schwerkapitalistin, in einem Coupé -erster Klasse, durchfuhr ich Frankreich der ganzen Länge nach. So etwas -will ausgekostet werden. Allein, ich war zu krank. Und welche Not, Arles -mit seinen kleinen Bergen vor sich zu sehen, ohne auszusteigen. Denn die -mir zuerteilte Jungfer kam aus ihrem Abteil hervor und parlamentierte so -eindringlich dagegen, daß ich im Zuge blieb. Aber in Avignon sprang ich -doch heraus und ließ meine Suite vorausreisen. - -Ich fuhr – denn sobald ich zu Fuße ging, neigten sich die Häuser höflich -vornüber und der Boden beschrieb unsichere Kurven –, ich fuhr also die -lange Straße, die zum Palast der Päpste führt. Er war geschlossen. Was -blieb mir da, als die Zeit mit einer Rundfahrt auszufüllen in dieser -gewesenen Stadt mit ihrem Vorgeschmack des Nordens, ihrer herbstlichen -Sonne, ihrer kälteren Luft und ihrer Schwermut? Wie eine Orgel nach -allen Richtungen braust, so erfüllte der Palast der Päpste überallhin -den Raum. Als ich mit dem nächsten Zuge weiterfuhr, glühte er feenhaft -im Abendschein in seiner Weitläufigkeit wie zum Tanze geschlossen, gebot -er über die Rhone, die breiten Laufes sich dem Meer entgegenwand. Der -Gang, von dem aus ich zu ihm hinüberschaute, war leer. Auch kein -Schaffner zeigte sich, und die Bangigkeit des Abends umspann mich ganz. -Mein einziger Reisegefährte war ein Herr, der sehr viel Zeitungen mit -sich führte. Aber die Dämmerung kam schnell, das Licht war zu trübe, um -dabei zu lesen, und so gerieten wir in ein Gespräch. Langsam und -beschaulich war manch ein Wort gefallen, als in Valence eine -fremdsprachige Familie, mit starken Nüstern, hereinbrach. Ein -ungebärdiges, der hintersten kleinen Entente entstammendes Französisch -um sich werfend, zog sie gleich darauf wieder ab, größere -Ausbreitungsmöglichkeiten zu suchen. - -„_Que de mines étrangères quand on traverse la France, nous ne sommes -plus chez nous._“ - -Ich war es, die so gesprochen hatte, und ob ich auch alsbald über meine -Worte sehr erschrak, so war es doch zu spät, um sie zurückzunehmen. -Dieser Tag, bisher so stumm verbracht, hatte mich in seine Falten -eingeschlagen, bis ich, voll eines sanften Übermutes, heimisch in ihm -wurde, geborgen und betäubt. Nun war er zu Ende. Es war Nacht. Der Fluß -zog im Dunkeln hart an uns vorbei. Das Rauschen des Zuges glich einem -Monolog, wir aber waren eines Sinnes, und mit sepulchraler Melancholie -unterhielten wir uns über Frankreich. Beide, weit zurückgelehnt, sahen -wir einander nicht. Ich sehnte Lyon herbei, denn eine grauenvolle -Erschöpfung kam jetzt zu ihrem Recht. Der Wagen schien mir hin und her -gestoßen wie ein Schiff, das im Sturm auf Grund gerät. Wir sprachen von -der Notwendigkeit, sich zu vertragen, und daß wir alle nur eine einzige -Aufgabe hätten, einen neuen Krieg zu verhindern. Alles andere sei -unwichtig. Wann aber kam Lyon? Wenn ich bewußtlos wurde, bevor wir es -erreichten, was dann? Als erstes würde man suchen, mich zu -identifizieren. Gleich zuoberst in meinem Täschchen aber lag mein Paß. -So so; ei ei. Ich rieb mir die Schläfen mit Kölnischem Wasser, saß jetzt -mit gefalteten Händen und schwieg. Wann kam Lyon? Hinter meiner Lehne -verschanzt, sprach ich mir Mut zu. Endlich gab ich es auf und bat ihn, -das Fenster zu öffnen. Nebel und Kälte strömten herein. „_Nous voilà_“, -sagte er, und kramte seine Zeitungen zusammen. Wir waren in Lyon. - - * * * * * - -Auch in England, daß ich es nur gestehe, habe ich mich vor dem Kriege -manchmal heimisch gefühlt. Wer jedoch die Geschicke dieses Kontinents -mit starker Anteilnahme verfolgt, der kann heute kein Herz fassen zu -England. Auch durchschauen die Besten dort wohl, und weisen die -Heuchelei eines Axioms zurück, das sich als eine „Parteinahme des -Schwächeren“ formuliert, in Wirklichkeit aber nur den Hader auf diesem -Erdteil zu perpetuieren beabsichtigt. Der falsche Bruder hatte vor dem -rabiaten Gegner ohne weiteres den Vorzug für die leichtgläubigen -Deutschen. Der Politik Frankreichs zuzusehen, ist ja ein Alpdruck für -sich, aber Englands Rolle in diesen Tagen war viel finsterer. Die Besten -dort erkennen wohl, daß es sich in seiner Rechenkunst überschlug; denn -der Rest wäre zu trübe, um darin fischen zu können; so daß letzten Endes -es nicht mehr in Englands eigenstem Interesse läge, seinen säkularen, -aber nicht ehrwürdigen Kurs in Europa beizubehalten. Die Besten dort -wissen es wohl. - - - III - -Der Schnellzug nach Straßburg verließ Lyon frühmorgens. Auf dem andern -Geleise lief einer, auf den ich hatte verzichten müssen, um die gleiche -Stunde nach Paris. Lyon trug sich in Nebeln, vielfach noch in Lichtern. -Es gab viel Reisende, und bei mir zog gleich eine ganze Gesellschaft -ein: zwei ältere Herren, der eine sehr schön gewesen, der andere sehr -lustig geblieben, ein Herr von vierzig Jahren und eine noch -wunderhübsche Dame mit einem schon siebzehnjährigen Söhnchen, der in -einem großen, weiten Eisbärpelz schier zerging. Sie waren guter Dinge, -und kurzweilig kündete sich meine Fahrt. Der lustig Gebliebene lachte -über eine Komödie aus der „_Illustration_“, und die Weise, in welcher -der schöne Nestor der Dame aus ihrer Jacke half, sprach Bände für seine -Vergangenheit. Als sie das erste Mittagessen wählten, wählte ich auch -das erste Mittagessen, und im Speisewagen behielt ich sie erst recht im -Auge. Die Dame trug eine Bluse aus weißer Chinaseide zu einem grauen -Rock. Ihre schlanken Füße in den hellen Strümpfen und den offenen -Schuhen hatten eine feste Art aufzutreten. Munter speiste sie, trank -munter Wein, derweil sie munter sprach, und blieb zart und blaß dabei -wie eine Narzisse. Das Reizendste vielleicht war doch ihr Mund, der, ein -bißchen schief gezogen, ein bißchen schmerzlich, eben diese -Schmerzlichkeit jener leisen Verzogenheit verdankte. Es war ein -schwärmerischer, bitterer, glückseliger Mund, man wußte nicht recht, wie -er sich zu ihrem lebhaften und sicheren Wesen verhielt. Aber sie war -sich bewußt, glücklich zu sein. - -Vor den breiten Scheiben floh eine Landschaft dahin, die mich nicht -fesselte. Hin und wieder Hügel, von Schnee gestreift: der Winter, mir -von jeher verhaßt, der von der Erde Besitz ergriff, und ein toter, -mißgelaunter Himmel. Lieber sah ich zu jenem Tische hin. Als sie dort -Kaffee nahmen, nahm ich auch Kaffee, denn ich wollte erst aufbrechen, -wenn sie aufbrechen würden. Mein Eckplatz befand sich an der Seite des -Ganges. Dort pflanzten sie sich bei ihrer Rückkehr auf; sie setzten sich -nicht gleich herein, aber sie blieben bei mir, und ich hörte alles, was -sie sagten. In aufgeregtester Debatte standen sie beisammen: denn das -Essen hatte nichts getaugt. Dieses _Fricandeau_, was das wohl hatte -bedeuten sollen? Gab es Worte für so unzulängliche Kartoffeln und eine -so nichtssagende _Omelette_? „_Cependant les petits pois_“, sagte der -Mann von vierzig Jahren ... „_Les petits pois étaient bons_“, sagte die -hochstielige Narzisse. „_C’étaient ma foi d’excellents petits pois_“, -sagte Nestor. „_Ils étaient même étonnants_“, sagte mit großem Ernst der -lustig Gebliebene. Das Söhnchen hatte im Speisewagen sein Zigarettenetui -vergessen, kam jetzt herzu und sagte lebhaft: „_Il n’y avait de bon que -les petits pois_.“ Und nun wurde noch eine ganze Weile intensiv, wie in -den Wandelgängen der Kammer, über die, wie mir dabei kund wurde, -keineswegs leichte Kunst der Erbsenzubereitung verhandelt. Von den -Erbsen kam man auf die Wicken, von den Wicken auf die Gewinnung des -Lavendels. Der echte ist sehr schwer vom wilden zu unterscheiden. -Nestor, müde vom Stehen, nahm als erster wieder Platz. Er fragte mich, -ob mich der Rauch nicht störe, und mein „_oh non_“, die einzigen Worte, -die ich an diesem Tage sprach, wollte sagen: „Kommt alle herein, setzt -euch. Ich bin entzückt.“ - -Das Geheimnis der Franzosen, was ist es, wenn nicht, daß sie bei so -starker Animalität so wenig materiell sind. Hier ist der Schlüssel zu -ihrem Wesen wie zu ihrer Kunst. Es ist der Augenblick, der, wenn auch -nicht verweilen, sich voll auslösen darf, weil er nie vorgreift, auch wo -er überfließt, und weil sein Rhythmus sich genügt. Unüberlegtes Volk, -tragisch in seiner Kindlichkeit. Wem würde es einfallen, die Deutschen -Kinder zu nennen? Frankreich ist der Wein der Welt, Deutschland wäre -aller Brot, wenn es doch endlich die Dinge treiben ließe. - -Ich kann freilich nicht verlangen, daß ein Militarist von dem, was hier -gemeint ist, auch nur ein Wort versteht. Denn Militaristen sind -Geschöpfe ohne Hirn, an sich also nur grotesk. Allein, solche Wesen ohne -Kopf durften sich zu Herren der Welt erheben, und streben vollen -Ernstes, es noch einmal zu werden. Auf die Weise zwingen sie denkende -Kreaturen, im Harnisch zu bleiben und weiterhin zu buchstabieren. - - - - - Venedig 1922 - - -Ich traf es unvergleichlich, um über den Gotthardt zu fahren. Er stand -in Verzückung, und die Seen lösten sich als himmlische Dekorationen ab. -Dennoch ist es nicht nur die Schönheit – die Welt ist in Europa fast -überall schön –, sondern der seltene Vorzug der Schweiz ist ihre heutige -Leere. Man kehrt in leeren Gasthöfen ein, speist in leeren Lokalen, kein -Zug ist überfüllt. Wohin du siehst, brauchst du nicht über eine Unzahl -Köpfe hinüberzublicken: die Dinge sind dein. Der hohe Kurs hält nicht -nur den Andrang der Reisenden ab, auch von den eigenen Landeskindern -sind viele ausgeflogen. Schon in Como sitzt man wieder gedrängt. Und -angesichts des immer voll besetzten Vaporettos, der zum Lido fährt, -steigt der Gedanke auf, daß wir zu zahlreich geworden sind, Atem holen, -eine Orgelpause ansetzen, auch in geistiger Hinsicht aufräumen, und uns -besinnen sollten, bevor wir weitergehen. Wir erleben eine Zeit, die sich -nicht mehr überblicken läßt. Vorigen Herbst kam ich in einem sehr -östlichen Lande beim Umsteigen hinter einer dichten Menschenmenge durch -die Untergründe eines Bahnhofs zu gehen, von welchen zwei Treppen zur -Oberfläche zurückführten. Von unten gesehen schienen die langsam nach -oben vorschiebenden Köpfe alle konisch auszulaufen, und also gestaut, -und in solcher Massenauflage kaum noch auf ein persönliches Schicksal -hinzudeuten. Entsetzlich zu sagen: wie Sardinenpackungen nahmen sie sich -aus. - -Die Allgemeinheit ist heute jener Wald geworden, den man vor Bäumen -nicht mehr sieht. Sie stiebt hin und her, und nicht mehr dem Führer, -sondern den mannigfachen Verführern eröffnet sich heute ein dankbares -Feld. Es wird immerzu von der Masse gesprochen, nie von der Menge, nie -von der _pacotille humaine_, welche, lediglich weil sie aus allen -Ständen zusammengesetzt und zahlkräftig ist, zum Machtfaktor erhoben -wurde. Die stets lenksame Herde ist es, der man sich unterwirft. Und -diese so unnötige Diktatur der Menge, sie, deren Exponent der -Ramschladen ist, sie ist es, die unserem Gemeinschaftsleben den -gewöhnlichen Stempel aufdrückt. - -Ich schreibe diese Zeilen in Venedig, es ist wahr, aber Leute wie ich -haben ja nur für ein paar Gedanken Raum, und alle Wege führen zu ihnen -wie nach Rom. Sie bezahlen ihren partiellen Scharfsinn mit -Unzulänglichkeiten aller Art. - -Auf meiner Fahrt hierher stellte ich des öfteren fest, in wie hohem -Grade die Masse sowohl heranzubilden wie zu korrumpieren ist. Ich war -bereit, in Mailand dieselbe angenehme Enttäuschung zu erleben wie bei -meiner ersten Reise nach Italien, vor welcher ich manches von dem -„erledigten und geschmacklosen Rafael“ gehört hatte und seine Stanzen -und Deckengemälde mir dann vor Bewunderung den Atem raubten. - -Vielleicht würde es mir mit dem Mailänder Dom ähnlich ergehen. - -Allein ich kam über den Krankheitsherd seiner Fassade nicht hinaus; die -schönen Paläste, die sich auch hier vorfinden, kommen dagegen nicht an. -Die in Triangelform ausgehauene Schweizer Stickerei, welche sie -überragt, schlug eine Dominante für Mailand an. Sie ist heute -noch verantwortlich für gewisse Hüte, Kleiderarrangements, -Farbenzusammenstellungen, Loggien und Neubauten, denen man anderorts -nicht begegnet, denn sie hat fortwirkend das Auge der Mailänder so -sicher gefälscht, wie sich das der Venezianer bildete. Die ärmste Frau -aus dem Volke hüllt dort bis an das Ende der Zeiten ihre ungefähre -Kleidung in das Dekorum eines schwarzen Schals, zum Zeichen, daß sie -einen höheren Rang einnimmt als die Kollegin, welche in Schürze und -Kittel zwischen scheußlichen Mietskasernen ihre Sohlen schief tritt, -während die Elektrische hinter ihr daherpoltert. Ihr Bewußtsein ist ein -Reflex der Wundergassen, durch die sie wandelt. Er leuchtet von den -beseelten Stirnen der venezianischen Kinder. Laut sind nur die -melodischen Rufe der Gondoliere. Man erschrickt hier vor groben Stimmen, -oder sie wirken komisch. - -Für den Militarismus freilich war diese Stadt wie jede andere lediglich -eine Zielscheibe für erfolgreiche Bombenwürfe, und nichts könnte ihn -besser kennzeichnen, als seine Kanonenauffahrt gegen ihre Fragilität. -Von seinen Bekennern sagte ich ja schon, daß ihre Nasen stumpf -ausliefen, wie die Nasen der Hunde, ebenso unfähig wie Hunde, den -geistigen Gang der Dinge zu spüren. - -Ich schreibe diesen Brief im Abendwinde der Piazzetta, nach einem ersten -flüchtigen Rundgang in den _giardini publici_. Dort stehen ein halb -Dutzend Gebäude oder mehr den Bildern aller Länder gastlich, allzu -gastlich offen. Die schon geäußerten Erwägungen drängen sich von neuem -auf: Überschüssiges, Ausschußware, als eine Folge der Quantität, die -sich auf Kosten der Qualität behauptet, infolgedessen höherer, nicht zu -vermeidender Ramsch auch hier. Die guten Bilder, oder wenigstens die -guten Künstler, auch die guten Plastiker kannte man. - -Überall läuteten schon die Wächter den Schluß der Ausstellung ein, sehr -verfrüht, wie mir schien, aber sie waren es wohl müde, vor so viel -Bildern herumzustehen. Gott, o Gott! Was sollte ich über diese -Ausstellung schreiben? „Ich komme schon!“ rief ich, England durchrasend, -dem Türhüter zu. Nach Holland fliehend, läutete mich schon wieder einer -hinaus. Aber ein erster Rundgang sollte es ja sein. Also rasch nach -Ungarn, dazu reichte es noch. – - -Seid mir gegrüßt, ihr Glocken! - -Ich stand wieder auf dem Vaporetto; konnte es etwas Überwundeneres -geben, etwas, das sich in dem Maße überlebt hatte, etwas den Bildern -selbst Unzuträglicheres, wie solche Massendarbietungen? Nur -Separatausstellungen haben noch einen Sinn. Der Eindruck einer Überzahl -von Bildern verschiedensten Ursprungs hingegen ist dem eines großen -Geschreies vergleichbar. Wir möchten uns die Ohren zuhalten: sie reden -alle zugleich und fallen einander ins Wort, wobei die Unwichtigsten, wie -das so geht, am lautesten sind. Welch eine stillere Kunst fürwahr ist -die Musik! Und wäre es nicht an der Zeit, solche Bilderparlamente ein -für allemal zu schließen? Hier geht es doch wirklich nicht um -Demokratie. Lohnt es sich, so weise man diesen und jenen Malern einen -Raum. Wenn nicht, so mögen sie erst ausreifen, sofern sie das Malen -nicht aufstecken; jedenfalls verschone man uns mit ihrem Lärm. Auch dem -Nichtssagenden, wie allem, was es gibt, hat der Weltkrieg neue Lichter -aufgesteckt. Vor Leuten, von welchen sich einer acht Jahre früher anöden -ließ, ergreift er heute erschrocken die Flucht, und die Menschengruppen -sondern sich heute reinlicher ab, es ist wahr. - - Montag, 26. Juni - -Wieder auf dem Vaporetto. Nur für Stehplätze an der Sonne ist noch Raum, -einer Julisonne kann man wohl sagen, und es ist Mittag. Mein -Sonnenschirm ist an der Grenze geblieben, und mein Fächer im Hotel. Es -fällt mir plötzlich ein, daß man damals, als es sich noch ausbreiten -konnte in der ganzen Welt, und seine Schiffe in allen Häfen einliefen, -so oft sagen hörte: Deutschland müsse seinen Platz an der Sonne haben -und er sei ihm verwehrt. Barmherziger Gott! Wie ist es heute -zusammengepfercht! Warum ich gerade heute so viel hinüberdenke? Ist es -das überfüllte Boot? - -Es glitt den _Canal Grande_ entlang, und das Auge stillte sich an den -unsterblichen Palästen, den gewaltigen wie den schmächtigen, der Musik -ihrer Formen, dem Zusammenklang ihrer Farben; denn sie sprachen zu ihm. -Ja, es fühlte sich angerufen von diesen geschwungenen Brücken, sie -fingen an, ihm die intimste aller Gefolgschaften zu bilden; diese -Gassen, in den Gewässern aufgetan, die Stufen, die hinab in ihre Stille -führten, und ihre Pforten, so traumhaft umspült, sie zogen alle mit ihm; -und die Gärten, die Mauern, tief von den Ästen überhangen, und jene -Kinder dort, zwischen den Säulen der Terrasse, so schlank, so zart -gekleidet, und die so still hielten ... Und die berückende Dame, die uns -in ihrer Gondel kreuzte, deren Rosenherz vorfrüh gebrochen ist, und -lange vor Sommers Ende den Herbst erlebte. Welcher Stoß hat es -getroffen, und wird es sich erholen? Sie gibt die schweren Kelche ihrer -Augen, die von der Süße und Qual der Rosen beladenen, dem Lichte preis, -fesselnder in ihrem unverminderten, doch schon verfallenen Zauber, wie -alle Jugend. Sie ist vorbeigezogen. - -Am Rialto gab es ein Gedränge. Doch jetzt saß ich am äußersten Ende des -Bootes. Das Glück stieg und schwellte in mir empor, und ich gewährte ihm -ganz. Wir hatten im Schatten angelegt, und vor mir war ein schwerer -Palast, die rostbraunen Gardinen herabgelassen. Aber ein Luftzug bewegte -sie; sie blähten sich wie Segel, bereit, dem Winde zu folgen. Warum -erhöhte sich da meine Lust? – Die Welt ist nie so heimatlos, Venedig -noch nie so kostbar gewesen. - -Ich hatte beim Einsteigen den _Corriere della Sera_ erstanden, aber -vergessen, ihn zu lesen. Er glitt jetzt von meinen Knien zu Boden, und -ich hob ihn auf. Zuoberst auf der ersten Seite standen die Worte: -_Rathenau assassinato_. Sie setzten das Auge unverzüglich außer Spiel -und schalteten es aus. Von all den Palästen sah es keinen einzigen mehr. - - * * * * * - -Fürwahr, ihr Freunde, ein wunderbarer Richter ist der Tod. Mit zeitloser -Geschwindigkeit hat er die Maske von uns gerissen, die Schale zerbrochen -und den tauben oder süßen Kern in uns geprüft und kundgetan. Da sind -„gute Bekannte“, von deren Sterben man Notiz nahm, ohne mit der Wimper -zu zucken; da ist ein anderer, scheinbar Fernerstehender, dem wir durch -die Umstände oder durch gewisse Eigenschaften, die uns in Schach -hielten, nie wirklich nähertraten. Und da trifft uns sein Tod wie der -eines nahen Freundes, als hätten wir ihn immer geliebt. Es zeigt sich, -daß alle seine Schuldscheine zerrissen, jeder Schatten durch starke -Wesenheiten überboten sind, und es will plötzlich nicht mehr gelingen, -uns seiner Fehler auch nur zu entsinnen. Was ist geschehen? Es gibt -Fehler, die nichts Inherierendes sind. - -Rathenau gehörte, wie der während des Krieges verstorbene Robby -Mendelsohn, zu den ganz wenigen feudalen Juden, die in Deutschland zu -finden sind. Hier ist der Punkt, wo jeder Mensch von Ressentiment (sei -es aus Rasse oder sonstigen Gründen) ihn mißverstehen mußte. Undenkbar – -denn es war nichts Kleinliches in ihm, nicht einmal in seiner Eitelkeit -–, daß er den Nekrolog geschrieben hätte, der ihm von Harden zuteil -wurde. Selbst was er Richtiges enthält, ist daneben. Rathenaus Ehrgeiz -war ohne eine Spur von Subalternität. Als er zur Regierung gelangte, -zeigte es sich, daß er nicht nur seinem Talent, sondern auch seiner -Natur nach dazu berufen war. Dies gab seiner Gestalt das ungemeine -Relief: mochte er diesen oder jenen Fehler begehen, er war an seinem -richtigen Platz. Und die antike Glorie seines Todes entsprach ihm -wirklich. - -Daß er übrigens bis in das Jahr neunzehnhundertundachtzehn an den Sieg -Deutschlands glaubte, habe ich von ihm selbst anders gehört. Im Frühjahr -neunzehnhundertundsechzehn besuchte er mich einmal in München, im Herbst -desselben Jahres fuhren wir die Strecke Romanshorn-Buchloe zusammen, im -Januar neunzehnhundertundsiebzehn sah ich ihn zum letzten Male in -Berlin. Es war hier und dort fast dasselbe Gespräch: - -„Lassen Sie heute die Hände“, sagte er, „von der Politik. Sie ist des -Teufels Kessel. Sie wissen nicht, was vorgeht, und Sie können nicht -dagegen an.“ - -„Warum tun _Sie_ nichts?“ - -„Weil nichts zu machen ist, die Dinge müssen ihren Lauf nehmen. Erwarten -Sie immer das Ärgste, und Sie werden es noch übertroffen sehen. Es gibt -keine Dummheit, die man unterlassen wird. Den Unterseebootkrieg? Ja, der -kommt auch,“ fuhr er in seiner gleichmäßigen Stimme fort, „und dann der -Krieg mit Amerika. Und zuletzt wird man ihn verlieren. Auch das.“ - -„Das sagen Sie,“ rief ich, „und sehen zu?“ - -„Weil alles vergebens ist. Später, viel später erst, werde ich -vielleicht eingreifen können. Ich warne Sie“, fing er wieder an – und -nahm seine Belehrungen wieder auf. - -Seine Worte, meine Unfähigkeit, die Lage zu übersehen, bedrückten mich -schwer. Doch ich hielt an meiner Hoffnung an ein baldiges Ende fest. -Dieser Allesbesserwisser! Gottlob, daß er nicht recht zu haben brauchte. - - - Den Hakenkreuzlern ins Stammbuch - -Kein Glaube hat sich als so ominös erwiesen, als wie der Glaube, das -auserwählte Volk zu sein. Ihm wurde auf Jahrhunderte der Fluch des -Ghettos zuteil, der auf den größten aller Morde zurückführt. Seht ihr -nicht, wie sich für eure Verblendung und eure Missetaten über eure Köpfe -hin das Ghetto profiliert, das euch abseits stellt? – Kein Mord bleibt -ungesühnt, auch wenn der Täter entwischt. _Haken_-Kreuzler in der Tat! - - - Zum Wandel der Zeiten - -Das jüdische Problem ist reich an Geheimnissen. Auf vielfache Weisen, -auch auf Weisen, die wir vielfach übersehen, tritt es immer stärker in -den Vordergrund. Vielleicht sind gewisse typische Christusmenschen -jüdischer Abkunft das Unverjudetste, was es gibt. Ihrer wurden in -Deutschland während der letzten Jahre eine Anzahl um die Ecke gebracht. -Ist da nicht der Moment gekommen, uns über die Juden zu äußern, statt -diese ausschließlich von sich reden zu lassen? Man gestatte es uns ganz -ohne Empfindelei: es ist immer so langweilig, was ein Volk über sich -selber sagt. Räumen wir auch mit allen gefälligen Fiktionen auf, als sei -der Haß der Juden für uns in Frage. Vielmehr bildet die Attraktion, -welche unsere Typen, je ausgesprochener sie sind, auf sie ausüben – das -Wort ist heraußen –, einen Bestandteil des Rätsels, dessen endliche -Lösung mit unserer endlichen Erlösung insgeheim verwoben ist. Aber die -Judenfrage ist eine Christenfrage. Das Wort ist nicht von mir. - -Man mißverstehe nicht absichtlich folgende einfache Bemerkungen zum -schwierigsten aller Themen: Wie jeder hochgezüchtete Deutsche das -lebendige Gegenteil ist von einem Boche, also ein Anti-Boche, so ist -nicht nur der Unterschied, sondern der Gegensatz zwischen dem -losgelösten und dem, was wir den stofflichen Juden nennen wollen, so -groß, daß wir in jenem den eigentlichen Anti-Semiten erkennen dürften. -Freilich nicht nach Art der Haken-Kreuzler, die das Verjudetste sind, -was es heute gibt. Man kann es ihnen nicht oft genug wiederholen, auch -wenn sie einen dafür auf ihre Liste setzen. - - Tags zuvor 25. Juni, Sonntag - -So schön sah ich Venedig noch nie! Es schimmerte von weitem, das Schiff -hatte eben vom Lido abgestoßen, und der Himmel verdunkelte sich, aber -ein magischer Umsturz aller Farben – dem Fabelreiche entnommen – setzte -sich in Szene. Einer Laune folgend, schien die Sonne ins Meer -hinabzufahren, um aus den Tiefen zu dieser Stadt emporzuleuchten, daß -sie in pfirsichgelbem, in grünstem Gold erglühte, ermattete. Ein zartes -Rosa schlug melodisch an, eine Kuppel trug sich, Feuer fangend, wie ein -Edelstein, und vor den toll erblauenden Lagunen fuhren Türme -leidenschaftlich auf. Venedig zuckte, flammte und erlosch, von einer -schwarzen See verschlungen. Das Vaporetto, allen Ufern entzogen, vom -Sturme eingehüllt, wurde der Schauplatz eines Wolkenbruches und war so -dicht besetzt, daß keiner von seinem Heringsplatz wegrücken konnte. -Ströme liefen den Längsseiten entlang und gurgelten in die Schuhe. An -der Peripherie stehend und vom Wind halb erstickt, erhaschte ich gerade -noch meinen Hut, als er über Bord fliegen wollte. Von allen Köpfen rann -das Wasser. Da schlug ein Blitz wie ein Riesenschwert hart am Schiffe -vorbei in die Wellen, und im selben Augenblick setzten Rufe und -Wehklagen von Frauen und Kindern ein, das merkwürdigste Lamento, einem -Sirenengeheul nicht unähnlich. Was jetzt vor sich ging, war die -regelrechte Generalprobe einer großen Panik; denn das Schiff hatte -keinen Schaden erlitten. Es schien zu stoppen, legte aber langsam die -gewohnte Straße zurück, und nur der _Gedanke_ an den Untergang löste -also diese Angst und dies rührende Flehen der Kinder aus, die, an ihre -Mütter gepreßt, unausgesetzt nach ihnen riefen. Väter waren plötzlich -etwas Unvorhandenes in der Welt. Aber dieser Präventivjammer, war er -nicht seltsam angesichts der Tatsache, daß wir in einer viertel Stunde -landen würden, während Schiffe, die solche Klagetöne entsandten, zu -Tausenden untergegangen waren mit Menschen, welche auch vermeinten, -ihnen könne und dürfe dies nicht widerfahren, und mit demselben starken -Willen wie hier sich an das Leben klammerten, bevor sie ertranken. Und -waren wir darum weniger Kandidaten des Todes, weil jetzt das Schiff ohne -Havarie das Ufer erreichte, der seltsame Choral verstummte und Gelächter -sich vernehmen ließ, als sei alles gewonnen? Dem Wolkenbruch war ein -heftiger Regen gefolgt. Meinen Hut, der einer ersäuften Ratte glich, in -der Hand haltend, stürzte ich blindlings auf einen offenen Eingang los. -Es war die dem Landungsplatz gerade gegenüberliegende Pforte des Hotels -Danieli. Ein großer, breitschulteriger Herr starrte mich an, als sei der -Genius des Regens durch den Schornstein zu ihm hereingefahren. Dann aber -geleitete er mich, ohne eine Frage zu stellen, die Treppe hinauf, schloß -eine Tür auf, läutete einer Cameriera, die alle meine Sachen mit -fortnahm, und ich war allein in einem großen Doppelzimmer, das plötzlich -stockfinster wurde, weil jetzt der Blitz irgendeine Leitung beschädigte, -so daß alle Klingeln und alles Licht im Hotel versagte. Nun war ich bis -zu diesem Tage mit meinem Italienisch pompös ausgekommen. Vergessene -Worte aus meiner Kindheit waren mir in Scharen wieder zugeflogen. Und -ich fing sie ein, wie sie gerade kamen, duzte groß und klein, weil mir -die Verben nur _en gros_ einfielen, spickte sie dafür mit _magaris_ und -_c’è casos_ und _ma comes_ und _ma ches_, alles in rüstiger Bearbeitung, -wie frische Salatblätter, und mit einer so draufgängerischen -Volubilität, als müßte mir doch endlich jemand sagen: „Nein, wie _Sie_ -gut italienisch reden!“ Allein, das neueröffnete Konto meines -Wortschatzes hatte angesichts des Bewußtseins als Dachrinne, statt, wie -es in meinem _Biglietto gratuito_ stand, als „_critica del Berliner -Tageblatt_“ _in questo albergo_ aufzutreten, eine plötzliche Sperre -erlitten. Während ich zähneklappernd durch die strahlende Halle -vorüberströmte, hatte mir zwar meine rinnende Stirn noch einige -Kontenance gegeben. Als ich aber zwei Stunden später, nach Verbrauch -vieler Handtücher, in getrockneten und heiß gebügelten Kleidern und mit -einem menschlichen Angesicht im Bureau des Hotels bei dem -breitschulterigen Herrn vorsprach, da war mein Italienisch, wie der -Federkranz auf meinem Hute, von mir weggeweht, und gefaßt, aber in einem -fürchterlichen Kauderwelsch erkundigte ich mich nach dem Preis. _Ma -niente!_ sagte er, ganz Kaufmann von Venedig und mit einer Geste, welche -diese ganze Stadt zum Hintergrunde hatte. - - * * * * * - -Mit der Hitze ist es übrigens, wie ich vermutet habe. Heiß ist heiß und -kalt ist kalt. Mehr als heiß kann es nicht geben, und ein Eisenbahnwagen -in der Sommersglut zwischen Offenburg und Frankfurt bietet nicht die -Spur größerer Kühle als Verona um dieselbe Jahreszeit. - - 27. Juni, Dienstag - -Was die Ausstellung betrifft, so mußte es bei jenem ersten flüchtigen -Rundgang bleiben. – Als ich heute morgen Lire kaufen wollte, war die -Mark derart zusammengebrochen, daß man in den Wechselstuben Miene -machte, sie überhaupt nicht mehr zu nehmen. Als sei mit Rathenau ein -letzter tragender Pfeiler niedergerissen, und jener drohende Ruin, gegen -welchen dieser Sohn seines Landes alle seine Kräfte angespannt hatte, -vollzöge nunmehr ungehindert seinen verheerenden Marsch. Fluchtartig -verließ ich Venedig. - - - - - Abschied von Venedig 1924 - - -Von der Einnahme Venedigs durch die Deutschen in der Osterwoche 1924 -werden die Annalen dieser Stadt vermutlich nichts berichten. Wer hätte -es auch gedacht? So schnell, nicht wahr? Ohne Schwertstreich. Infolge -der schönen Verordnung, daß ihnen bei der Ausreise eine hohe Summe -abzufordern sei, sprangen, kletterten, überrannten, stürmten sie in -ihrer Torschlußpanik scharenweise die Grenzpfähle – und waren da. Man -sah mit einem Male auf unbemittelte Deutsche, welchen man die Spuren der -letzten zehn Jahre anmerkte, und die billigen Alberghi waren nicht -minder angefüllt als wie Danieli, Grünwald usw. – Bleibt es bei jener -Verordnung, dann werden – ausgerechnet – nur mehr jene Typen, welche uns -dies Frühjahr so blamierten und durch ihren Aufwand so viele Spenden an -ihre notleidenden Landsleute rückgängig machten, sie allein werden -dieselben fürderhin vor dem Auslande repräsentieren. - -In jener Osterwoche jedoch sah man, wie gesagt, so manch sympathisches -Gesicht mit dem Gepräge einer geistigen Existenz. Wie eine Springflut -stürzte auch die heute so zurückgedämmte Sprache über ganz Venezien hin, -und deutsche Speisekarten lagen in allen Ristorante auf. Mehrfach habe -ich „Wurstl mit Cren“ gelesen; hyperdeutsch; nur Münchner mochten auf -den ersten Blick erfassen, daß hiermit kein Hanswurst gemeint ist, kein -Wurstl, sondern Wurst mit Meerrettig. - -Die Osterglocken läuten über den Markusplatz, die Sonne leuchtet und -lockt ans Meer; es gurren die Tauben im verstärkten Chor, und nie war -die Welt so gemein. Restbestände aus der Arche Noah sind natürlich -überall noch anzutreffen, aber mehr als „Souvenirs“, nicht daß sie ins -Gewicht fallen; bewahre! Ausschlaggebend ist durchaus die dicke Krämerin -aus dem Grand Hotel, die an einer Porphyrsäule der Markuskirche lehnt -und behufs photographischer Aufnahme mit ihrem Mispelgesicht zu einer -Taube wie eine Mispel niederlächelt, wenn eine Mispel lächeln könnte. - - - Wunschtraum - -Wenn ich ein Vöglein wäre, flöge ich natürlich dieser Welt davon. Hätte -ich aber in ihr etwas zu sagen, so führe dieser Tage ein strammer und -himmellanger Besen in den Markusplatz hinein. Die an der Porphyrsäule -Lehnende würde in eine Calle hinter einen Ladentisch mit Mortadella -zurückgefegt. Sodann müßten mir die Konzertprogramme bei Quadri, -Olympia, Florian und Lavena unterbreitet werden. Denn bei schwerer -Geldstrafe dürfte keine Bumsmusik auf der Piazza hin- und herüber tönen. -Ich erlebte folgendes: Eine der dortigen Kapellen – sie bestand aus -Deutschen, Südtirolern und einem Italiener – gab als schüchterne -Konzession an den Karfreitag Paraphrasen aus dem Parsifal. Zum Schluß -rief jemand Bis. Daraufhin entspann sich zwischen den Musikern und mir -folgender Dialog: „Spielen Sie das doch noch einmal.“ – „Wir können -nicht.“ – „Man hat doch Bis gerufen.“ – „Es war ja nur Hohn.“ „_Non li -piace_,“ sagte der Cellist, „_piace a noi, ma non a loro_.“ Ich würde -mir aber das Publikum schon ziehen. - -Haben wir, die wir uns in der Welt nicht mehr recht zu Hause fühlen, am -Ende ehrlichere Gesichter von unserem Unbehagen weg? – Ich erstand ein -Fernglas, hatte aber nicht genügend Geld bei mir und ersuchte die -Verkäuferin, es mir zurückzulegen. Da trat aus dem Schatten die Padrona -hervor, bat mich um Namen und Adresse und händigte mir das Fernglas ein. - -Und doch bin ich finsterer denn je entschlossen, den nächsten Fund, den -ich mache, zu behalten. Aber ach! Die Menschen teilen sich in Finder und -in Verlierer ein und mir sind die Finder immer an den Fersen. – - - - _La valigia_ - -Die Nacht war längst angebrochen, als der Zug, mit dem ich fuhr, sich -Venedig näherte. In meinem Abteil saßen mir zwei Herren gegenüber, auf -meiner Seite niemand. Ich streckte mich also der Länge nach aus und -merkte nicht einmal, daß einer meiner Reisegefährten in Vicenza -ausstieg, der andere in Mestre. In Venedig angekommen, merkte ich aber, -daß an Stelle meiner Handtasche eine viel kürzere, die ihr außer in der -Farbe gar nicht glich, zurückgeblieben war. Die meinige war offen -gewesen. Kofferschlüssel führe ich prinzipiell schon lange keine mehr -mit mir. Wozu auch? Es mußte regelmäßig der Schlosser gerufen werden, -der neue Schlüssel aber war es, der als erster abhanden ging, während -der alte wieder zum Vorschein zu kommen pflegte, zum geänderten Schlosse -aber nicht mehr paßte. Außerdem: was nützen Schlüssel? – Fuhrwerke etwa -ich in Koffern herum, die andern gehören? Wäre ich aber ein Dieb, würde -das bißchen Schloß mich daran hindern? Also. - -Übergehen wir aber, ehrlicher und teilnehmender Leser, meine -Fassungslosigkeit, als über das Fehlen meiner Tasche kein Zweifel mehr -bestand. Nichts von angelsächsischer Selbstbeherrschung legte ich an den -Tag; nichts von Stoik. Ungeheuchelt brach sich mein Furor Bahn. Zwar -hatte schon ein Herr aus Vicenza wegen eines Gepäckstückes telephoniert; -aber böse Ahnungen zogen im Sturme in mir auf; den Bettelstab sah ich -grünen in meiner Hand. Denn auch meine Manuskripte, die Arbeit von -Jahren, steckten wohlverschnürt in einer Seitentasche und sollten in -Venedig ihre letzte Reife erfahren. Und nicht nur sie, sondern mein -jüngstes Produkt, mein Benjamin, welcher den Titel führte: veder _Napoli -e partire_. Er war nicht gegen Napoli, nur gegen das schlechte Wetter -gemünzt, das ich dort angetroffen hatte. Wer aber bürgte mir, daß mein -_mal’ occhio_ weiter als diesen Titel lesen und in nationalistischer -Entrüstung den ganzen Bündel nicht ins Feuer werfen würde. Hatte man -nicht wegen Palermo den Maeterlinck gefordert? – - -Um zwei Uhr morgens war ich in meinem Hotelzimmer, um neun Uhr schon -wieder auf dem Weg zur Bahn. Über meine Tasche lagen nur höchst -undeutliche Meldungen vor, die des Vicentiners hatte man ihm -zurückgeschickt. Ich begab mich zum _capo di stazione_. Wert im Rate der -Zehn zu sitzen, höchst ritterlich, und noch dazu auffallend schön, nahm -er sich, über jeden _sacro egoismo_ erhaben, sofort meiner an und -telephonierte nach Vicenza. Es sei eine Tasche da, jawohl. Ich wurde -gefragt, was alles drin sei, und ich nannte ein paar Dinge, die mir -gerade einfielen. „Toilettengegenstände, eine Reiseuhr, ein Arbeitssack, -_Delle lettere_“, sagte ich; _scritture_. Der _capo di stazione_ -notierte alles und gab seine Orders. Mit dem Sieben-Uhr-Abendzug würde -die Tasche ankommen, wenn ich also um dieselbe Zeit mich einfinden -wollte? ... Doch ach, nur ich traf ein zu diesem Abendzug. Der _capo di -stazione_ begab sich in den Gepäckraum; errötend gab er mir das negative -Ergebnis mit. Er telephonierte und telegraphierte von neuem. - -Am nächsten Morgen war die Tasche da. - - * * * * * - -Verschnürt und plombiert harrte sie meiner im Lagerraum, und ich wurde -aufgefordert, sie zu öffnen und festzustellen, ob nichts fehle. Ich -zerschnitt die Schnüre, sie sprang auf. Ein Griff nach rechts, ein -Befühlen der Rolle, meine Werkstatt war unversehrt. Da genügte ein -flüchtiger Blick auf alles übrige. „_C’è tutto!_“ sagte ich, zog ab mit -meiner Tasche, nahm eine Gondel für die Tasche und mich und blickte -triumphierend den _Canal Grande_ hinab. Die Tasche und ich, wir fuhren -dann ein in die stilleren Seitengewässer und die nur aus ihrer Stille -vernehmbare Musik Venedigs, von den Steinen und den Pforten angestimmt, -ob sie eintauchen in die Flut oder bemoost sie überragen, wie süß drang -sie zu mir. - -Erst beim Auspacken trat zutage, was alles fehlte: von drei Scheren -zwei, von zwei Bürsten die zusammenlegbare in einem Etui, der Sack -Pralinés aus Nizza. Allein solche Verluste nimmt man leicht. Als ich -jedoch den Arbeitsbeutel öffnete, wehe! Da fehlte der wertvollste und -teuerste jener Gegenstände, die ich immer mit mir führe: eine schmale, -silberne, einfache, aber wirklich vollkommen schöne Empire-Nadelbüchse, -einzig in ihrer Art, die alle kennen, die meine Sachen kennen. Sie -fehlte. Sie war gestohlen. Der naheliegende Gedanke, daß man so grausam -sein würde, sie mir zu rauben, war mir nie gekommen. Eine Welt von -Erinnerungen umschloß für mich ihr schmaler, schreinartiger Hals. Nie -öffnete ich sie mit gleichgültiger Hand. Ich hing an ihr über mein Leben -hinaus, ich träume von ihr. - -Mit welchem Fuge aber hätte ich den Weg zur Bahn von neuem -eingeschlagen, nachdem ich doch ausgerufen hatte: „_C’è tutto!_“ - -Ihr Herren Eisenbahner aus Vicenza, lohnt mir so nicht mein Vertrauen. -Gebt mir meine Nadelbüchse wieder! Was ist sie für ein verschwindend -Ding inmitten der Pracht, die euch umgibt. - -Oder sollten Sie mein Herr, der Sie meine Tasche verwechselten – Ihr -Name wurde ja auf Protokoll genommen –, sollten Sie ein Antiquar sein -und der Versuchung nicht haben widerstehen können, so schicken Sie mir -die kleine Nadelbüchse wieder. Wer sie mir findet und zurückschickt, dem -werde ich ihren vollen Wert zurückerstatten, wer immer es sei. Dem Dieb, -der sie behält, wird sie Unglück bringen, denn sie gehört zu niemandem -als zu mir. - -Seltsame Stadt, schwebend gleichsam, nein, wie in sich selbst versunken, -und dem Tode stärker als dem Leben zugewandt. Wie behält sie jedes Echo! -Was läutet sie? – Noch vibrieren heimliche Reflexe jenes Februartages, -an dem der junge d’Annunzio den Sarg des „_Grande Barbaro_“ auf seine -Schultern hob und mit seinen Freunden die Stufen des Palazzo Vendramins -hinabtrug. Noch lauern Schatten jener Gondel, die Wagners Leiche zog, -noch weht am _Canal Grande_ ein Hauch der Stunde, zu der er starb. - -Schöner, tiefer, stiller war Venedig vor zwei Jahren inmitten seiner -Junihitze und seiner Leere. Damals klang die trübe Nachricht vom Mord an -Rathenau herüber; dieses Mal der Tod der Duse, und gleich darauf in -seiner schauderhaften Schrille das Ende Helfferichs. Wer hat den Tod mit -einer Geige abgebildet? Wie verschieden moduliert er seine Weisen! Mit -welcher Pracht umleuchtete und steigerte er weithin das Sterben der -Duse. O heilige Kunst! – - - - - - Molières Tod - - -Es ist die Liebenswürdigkeit Molières, welche wir bei aller sonstigen -und eingebürgerten Würdigung seines Genies übersehen. Geistige -Verwandtschaften konstruieren sich ebenso bestimmt wie die Ausläufer und -Nebenlinien eines Stammbaumes. Es gibt Familien hier wie dort. - -Ich kann mir nicht helfen, aber ich sehe – ganz unswedenborgisch -natürlich – ich sehe immer Pascal mit Hebbel und Brahms eingehängt -daherkommen, und ich sehe, wie Molière und Mozart „_mon cousin_“ -zueinander sagen und ein Lächeln an sich tragen wie Brüder; eines selben -Hauses und von selbem Adel: zwei lichte Gestalten auf dunklem Grund. - -Molières ausgelassene Augen haben sehr melancholische Wimpern. Es -verhält sich ähnlich mit Mozarts vielgerühmter und doch so beschatteter -Heiterkeit, seinem beiläufigen, aber grandiosen Ernst. Sie sind beide zu -scharfblickend, um sich mit dem leichtsinnigen Rossini oder dem trotz -chronisch unglücklichen Verliebtseins bei Gelegenheit so fidelen -Schubert zu verzweigen. Molière und Mozart haben die ähnlichen Nerven, -den ähnlichen geistigen Charme und jene charakteristischen Merkmale, -welche nur den Lieblingen der Götter eigen sind: selbst der unheilbar -erkrankte Molière, der, in der Sänfte getragen, seinen hohen Gönnerinnen -Besuch abstattet, ist noch von Jugend umweht. Selbst der sterbende -Molière ist unvorstellbar als ein Gealterter. - -Sie haben eine ähnliche Haltung ihrer Zeit gegenüber, die ihnen teils -eine bevorzugte Stellung einräumt und sie kajoliert, teils mit letzter -Roheit ihre Vorurteile ihnen gegenüber aufrecht hält. - -So trägt Mozart den berühmten Fußtritt jenes Grafen davon, an dessen -Wappen er dann haftenblieb, und Molières Leiche wird einer Bestattung in -geweihter Erde nicht für würdig erachtet. - -Sollte man da nicht doch versucht sein, an einen Fortschritt zu glauben? -Aber nichts beleuchtet ihn besser als die unbestreitbare Tatsache, daß -in unserer Zeit Molière und Mozart auf ihre Felddiensttauglichkeit -geprüft worden wären. – Wolfgang Amadäus Mozart im Schützengraben! -Molière als Poilu! – Es ist also schon besser, nicht wahr, sie lebten im -_Dix-septième_ und _Dix-huitième_. - - - - - - - Die - nachfolgenden Seiten - werden - der Beachtung - empfohlen - - - - - DAS KLEINE PROPYLÄEN-BUCH - - - MAURICE BARING, MINIATURDRAMEN - Deutsch von Ella Bacharach-Friedmann - - - BEETHOVEN, BRIEFE, GESPRÄCHE, ERINNERUNGEN - Ausgewählt und eingeleitet von Paul Wiegler - - - CAZOTTE, BIONDETTA, DER VERLIEBTE TEUFEL - Deutsch von Franz Blei - - - CERVANTES, DER EIFERSÜCHTIGE ESTREMADURER - Drei Novellen - - - DENIS DIDEROT, DER NEFFE DES RAMEAU - Deutsch von Otto von Gemmingen - - - JOSEPH VON EICHENDORFF, AUS DEM LEBEN EINES TAUGENICHTS - - - ANSELM FEUERBACH, EIN VERMÄCHTNIS - Mit einer Einleitung von Wilhelm Weigand - - - ANDRÉ GIDE, DIE PASTORAL-SYMPHONIE - Deutsch von Bernard Guillemin - - - GOGOL, PHANTASTISCHE GESCHICHTEN - Herausgegeben von Otto Buek - - - OTTILIE VON GOETHE, EIN PORTRÄT - Aus Dokumenten ausgewählt und eingeleitet von Ilse Linden - - - STEFAN GROSSMANN, LENCHEN DEMUTH - und andere Novellen - - - HEINRICH HEINE, DIE BÄDER VON LUCCA - - - HEINRICH HEINE, EIN LIEBESSPIEGEL - Aus seinen Liedern ausgewählt und eingeleitet von Herbert - Eulenberg - - - J. K. HUYSMANS, STROMABWÄRTS - Novellen. Deutsch von Else Otten. - - - ANNETTE KOLB, WERA NJEDIN - Erzählungen und Skizzen - - - LUKIAN, GÖTTER-, TOTEN- UND HETÄRENGESPRÄCHE - Nach Wielands Übersetzung - - - HEINRICH MANN, ABRECHNUNGEN - Sieben Novellen - - - GEORGE MEREDITH, CHLOES GESCHICHTE - Deutsch von Franz Blei - - - WILLY SEIDEL, DIE EWIGE WIEDERKUNFT - Novellen - - - VERSE DER LEBENDEN, DEUTSCHE LYRIK SEIT 1910 - Herausgegeben von Heinrich Eduard Jacob - - Die Sammlung wird fortgesetzt! - Jeder Band in Leinen M. 2.50, in Satin M. 3.20 - - - IM PROPYLÄEN-VERLAG / BERLIN - - - - - Anmerkungen zur Transkription - - -Offensichtliche Druckfehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere -Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher): - - [S. 29]: - ... Es was ihr Eigentum wie dieses ganze Haus. ... - ... Es war ihr Eigentum wie dieses ganze Haus. ... - - [S. 30]: - ... lökte sie den blinden Drang, nur ja zu leben, nur ja nicht ... - ... löste sie den blinden Drang, nur ja zu leben, nur ja nicht ... - - -*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK WERA NJEDIN *** - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the -United States without permission and without paying copyright -royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part -of this license, apply to copying and distributing Project -Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ -concept and trademark. 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Hart was the originator of the Project -Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be -freely shared with anyone. For forty years, he produced and -distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of -volunteer support. - -Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in -the U.S. unless a copyright notice is included. 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margin:1em 0'> -This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and -most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions -whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms -of the Project Gutenberg License included with this eBook or online -at <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. If you -are not located in the United States, you will have to check the laws of the -country where you are located before using this eBook. -</div> -</div> - -<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Title: <span lang='de' xml:lang='de'>Wera Njedin</span></p> -<p style='display:block; margin-left:2em; text-indent:0; margin-top:0; margin-bottom:1em;'><span lang='de' xml:lang='de'>Erzählungen und Skizzen</span></p> -<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Author: Annette Kolb</p> -<p style='display:block; text-indent:0; margin:1em 0'>Release Date: January 14, 2023 [eBook #69797]</p> -<p style='display:block; text-indent:0; margin:1em 0'>Language: German</p> - <p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em; text-align:left'>Produced by: Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This book was produced from images made available by the HathiTrust Digital Library.</p> -<div style='margin-top:2em; margin-bottom:4em'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK <span lang='de' xml:lang='de'>WERA NJEDIN</span> ***</div> - -<div class="frontmatter chapter"> -<p class="ser"> -DAS KLEINE PROPYLÄEN-BUCH -</p> - -</div> - -<div class="frontmatter chapter"> -<p class="aut"> -Annette Kolb -</p> - -<h1 class="title"> -Wera Njedin -</h1> - -<p class="subt"> -Erzählungen und Skizzen -</p> - -<div class="centerpic logo"> -<img src="images/logo.jpg" alt="" /></div> - -<p class="pub"> -Im Propyläen-Verlag / Berlin -</p> - -</div> - -<div class="frontmatter chapter"> -<p class="pub2"> -Im Ullsteinhaus, Berlin -</p> - -</div> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="toc" id="chapter-0-1"> -<a id="page-5" class="pagenum" title="5"></a> -Inhalt -</h2> - -</div> - -<div class="table"> -<table class="toc" summary=""> -<tbody> - <tr> - <td class="col1">Wera Njedin</td> - <td class="col_page"><a href="#page-7">7</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Varramista</td> - <td class="col_page"><a href="#page-15">15</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Torso</td> - <td class="col_page"><a href="#page-39">39</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Geraldine</td> - <td class="col_page"><a href="#page-77">77</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Der Geiz</td> - <td class="col_page"><a href="#page-93">93</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Schiffahrt und Eisenbahn</td> - <td class="col_page"><a href="#page-101">101</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Donaueschingen</td> - <td class="col_page"><a href="#page-115">115</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Marseille</td> - <td class="col_page"><a href="#page-123">123</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Venedig 1922</td> - <td class="col_page"><a href="#page-135">135</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Abschied von Venedig 1924</td> - <td class="col_page"><a href="#page-151">151</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="col1">Molières Tod</td> - <td class="col_page"><a href="#page-161">161</a></td> - </tr> -</tbody> -</table> -</div> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-2"> -<a id="page-7" class="pagenum" title="7"></a> -Wera Njedin -</h2> - -</div> - -<p class="ded"> -<a id="page-8" class="pagenum" title="8"></a> -Für Germaine Stockley -</p> - -<p class="pbb first"> -<a id="page-9" class="pagenum" title="9"></a> -<span class="firstchar">E</span><span class="postfirstchar">rst</span> später wurde uns bewußt, was für lustige Leute -wir doch eigentlich gewesen sind, als wir zu Hause -noch alle beieinander waren. Damals ahnten wir es ja -nicht. Wir hielten uns für tragische Figuren, die nur aus -Trotz, und um andere hinters Licht zu führen, eine so vergnügte -Maske zur Schau trugen, sahen wir doch sogar darin -eine heroische Geste, daß wir als halb Abgebrannte immerzu -offenes Haus hielten. In Wirklichkeit geschah dies aber -nur, weil es uns Spaß machte. Da wir keinem bestimmten -Kreis angehörten, hatten unsere Empfänge immerhin die -Eigentümlichkeit, daß sie Leute zusammenführten, die sich -nicht zu begegnen pflegten, jenem Milliardär Gelegenheit -boten, sich, einmal und nicht wieder, mit jenem armen -Teufel voraussetzungslos zu unterhalten, und jenem ehrgeizigen -und hoffnungslosen Streber, einmal und nicht -wieder, mit jenem Staatsmann ein paar Worte zu wechseln. -Jedenfalls war es das Unkonventionelle mit all seinen unberechenbaren -Möglichkeiten, das uns in Spannung hielt, -und es dünkte uns das Monopol und die Romantik unseres -Salons, daß er gewissermaßen eine Freistatt war, wo sich -Fäden anspannen und Dinge einleiten ließen, deren Tragweite -wir maßlos übertrieben. Und so bildete sich eine -Protegierader in uns aus, die, anfänglich Spielerei, dann -zur Grille wurde und endlich in Manie ausartete. Jedes -hatte seine besonderen Schützlinge, zu deren Förderung -<a id="page-10" class="pagenum" title="10"></a> -eine Soiree nach der anderen veranstaltet wurde. Hatte -alles geklappt und durften wir still triumphierend wahrnehmen, -daß sich das Spiel unserer Intrigen wunschgemäß -entrollte, so saßen wir, nachdem unsere Gäste uns verlassen -hatten, noch lange über unser Tun wie über dem siebenten -Schöpfungstage auf, dramatisierten unsere Absichtslosigkeit -und fanden alles gut und höchst merkwürdig, besonders -uns selbst. -</p> - -<p> -Nun war es ja schon vorgekommen, daß eine ältere -Freundin des Hauses sich am nächsten Morgen wieder -hergetrieben fühlte, nicht etwa, wie wir bei ihrem Erscheinen -erwarteten, um auf unser gelungenes Fest zurückzukommen, -sondern im Gegenteil ihre wohlgemeinten Befürchtungen -betreffs unserer so wenig gesicherten Zukunft -auszusprechen und von dem Ernst des Lebens sowie -unserem Leichtsinn zu reden, der uns die kostbare, enteilende -Zeit so vergeuden ließ. Solche Kuckucksrufe wurden ungnädig -aufgenommen. Aber im stillen erschraken wir doch -sehr vor allem, was uns an die Wirklichkeit erinnerte. Zog -sich die eine auf mehrere Tage in ihr Atelier zurück, nahm -die andere Orgelstunden, so fing ich infolge innerer Panik -sehr früh zu schreiben an. Ich verfaßte sehr schöne Artikel -über den Tiefsinn in der Malerei, den Unwert der Renaissance -und den Vorteil der Fremdwörter. Unter dem -Titel: „<span class="antiqua">Rose la France et Bière de Munich</span>“ tadelte ich -den Frankfurter Frieden. Die Redakteure, über die vielen -Briefmarken betroffen, mit welchen ich ihre Aufmerksamkeit -erzwingen wollte, sandten mir alles ziemlich umgehend -zurück. Inzwischen war auch ein Stilleben fertig geworden, -<a id="page-11" class="pagenum" title="11"></a> -und man wußte allerseits nicht mehr recht, was tun. Wir -gaben also wieder eine Soiree. -</p> - -<p> -Damals hielt sich eine strahlend junge und strahlend -schöne Amerikanerin in München auf. Wenn auch nicht -für ewig, so verliebte sich doch jung und alt auf den ersten -Blick in sie, und wir pflanzten sie, stets auf das Dekorative -bedacht, nicht anders als einen Blumenbusch, mit Vorliebe -bei uns auf. Sie war dabei ein harmloses und liebenswürdiges -Mädchen, aber von einem geradezu närrischen -Snobismus. Obwohl stets ihre Verwandtschaft mit der -Prinzessin Pocahontas betonend, imponierte ihr schon jede -Baronin. Meistens erschien sie in Begleitung eines nichtssagenden, -durch seine Goldplomben wie durch seine ewigen -rosa Hemden ermüdenden Bruders. Eines Abends aber -– es war gerade vor ihrer Abreise – brachte sie auch -ihren Vater mit. -</p> - -<p> -Entschuldige, lieber Leser, wenn ich diesen ehrenwerten -Mann gleich wieder stehen lasse, und gestatte, daß ich dir -Fräulein Wera Njedin vorstelle. -</p> - -<p> -Ich hatte sie zuerst entdeckt, und sie stand unter meinem -ganz speziellen Schutz. Trotz ihrer großen Sprachkenntnisse -machte sie den Eindruck einer ausgesprochenen, wenn auch -sehr sympathischen Wilden. Dünn wie ein Faden, schwarz -wie die Nacht und kreideweiß, war sie von einer intensiven, -ja entzückenden Häßlichkeit. Auch sonst machten sie mir zwei -Dinge besonders wert: ihre Kunst im Kartenschlagen und -ihre wundervolle Stimme. Keine sehr bildbare, leider, und -man konnte weniger ihr Talent als ihren Gesang, weniger -ihren Gesang als ihre Stimme, und weniger ihre Stimme -<a id="page-12" class="pagenum" title="12"></a> -als ein paar unvergleichliche Töne in der Mittellage rühmen. -Mit sanfter, unwiderstehlicher Glut und wie der Leier des -Orpheus entblüht, drangen sie ans Herz. Man dachte sich -dies seltsame Mädchen inmitten weiter Steppen vor einem -Zelt, einem Wachtfeuer, bunte, malerische Volksstämme -im Banne haltend, denn ihr Sang hatte dieselbe bühnenfremde -Wildheit wie sie selbst. Ihre Laufbahn schien höchst -zweifelhaft, ob auch alles darauf ankam. Sie führte ihr -sehr reduziertes Erbteil sozusagen in der Tasche mit. Wenn -das zu Ende war, dann stand für dies romantische Geschöpf -die Welt versperrt. Wera Njedin schien sie zu kennen. -Sie machte sich wenig Illusionen. Aber wenn sie bei guter -Laune war, konnte sie die Gespenster ihrer Zukunft noch -schwarzer und grotesker ausmalen, als sie zu sein drohten, -und die lustigsten Fratzen dazu schneiden. Es läßt sich -denken, wie sehr eine so gefährdete Existenz unser Interesse -erregte. -</p> - -<p> -Kehren wir jedoch zum Vater des „Blumenbusches“ -zurück, der allein und gelangweilt in einer Ecke steht. Aus -bescheidensten Anfängen – die Verwandtschaft der Geschwister -mit der Prinzessin Pocahontas bestand wohl nur -mütterlicherseits – hatte er sich zu einer Art Triumvir seiner -Vaterstadt emporgeschwungen und ihr schon ein Spital, -einen Park und ein Museum gestiftet. Und nun vernahm -ich, daß er gerade im Begriffe stand, ihr über Nacht auch -ein Opernhaus zu schenken. Dazu war er auf einige Tage -nach Europa hinübergefahren. -</p> - -<p> -Ein im Grase kauernder, von Spähern umringter Hase -konnte die Ohren nicht bebender spitzen, als ich es da tat. -<a id="page-13" class="pagenum" title="13"></a> -Die Fahne einer neuen Intrige war blitzschnell in mir aufgezogen, -das Seil meiner Pläne schon verankert. Wera -sollte in einer Luxuskabine nach dem wilden Westen hinüberschaukeln -und an der Oper dieses Stadtvaters eine -wilde Gage beziehen. Die Schwierigkeit des Unternehmens -kannte ich wohl. Denn leider war der biedere Mann von -dem äußeren Glanz seiner Kinder so geblendet, und vollends -in den Kunstsinn seines rosa und goldenen Sohnes setzte -er ein blindes Vertrauen. Dieser hatte sich bereits von -einem blutigen Dilettanten, der aber Reichsrat der Krone -Bayerns war, beraten lassen. Statt uns zu fragen! Die -ganz unbekannte Wera Njedin dagegen wurde von ihm -gründlich übersehen. Ohne Anhang und Empfehlung war -sie sehr buchstäblich von Rußland herübergeschneit. Auch -nicht der kleinste Attaché diente ihr zur Folie. Wie ließe sich -da in aller Eile ihr Engagement erreichen? Dennoch mußte -es unverzüglich erwirkt werden. -</p> - -<p> -Da kam uns eine geniale Idee. Ihr Notenstand lag -am Flügel auf. Geschickt wurde er hinausgeschmuggelt, -draußen mit Widmungen versehen und unter einem anderen -Schutzdeckel wieder hereintransportiert. Nach einer Weile -wurde Wera mit verteilten Rollen von uns interpelliert. -Die eine hatte sie zum Singen aufzufordern, die andere in -ihren Heften zu kramen und erstaunt auszurufen: „Da hat -sich ja das halbe Winterpalais eingetragen! <span class="antiqua">Hommage -admiratif du Prince de Boutonoff</span>“ las sie laut und wie -um Wera aufzuziehen vor. Auf einem zerrissenen Notenblatt -hatte eine Duchesse Alice de Montreuil die Worte: -„<span class="antiqua">Pour la voix d’or de ma chère Wera</span>“ eingetragen, und -<a id="page-14" class="pagenum" title="14"></a> -mein spezielles Werk war die auf Tschaikowskys „Sehnsucht“ -in zackigen Riesenlettern vor Vornehmheit förmlich -baumelnde Inschrift: <span class="antiqua">Ne m’oubliez pas!</span> Anastasie. -</p> - -<p> -Schon trieb der Blumenbusch heran. Weniger naiv -maskierte der Bruder seine Neugier mit einem weiten -Katzenbogen, bevor er sich näherte. Der Moment zum -Probesingen aber war gekommen, ich öffnete den Flügel -und bat um Schweigen. Die Gewalt, mit welcher -wir unsere Lachkrämpfe auf später unterdrückten, verlieh -uns teils todernste, teils bezechte Mienen. Wera, vielfach -auf den Fuß getreten, ahnte, wieviel im Spiele war. Sie -sang die Arie der Fides mit schmerzerfüllten Akzenten, -welche das unverdorbene Herz des alten Selfmade-Amerikaners -rührten. Mit ausgestreckten Händen eilte er auf sie -zu. Es war erreicht und der Widerstand der Geschwister -Pocahontas war gebrochen. Und Wera war engagiert. -Ach ja, es waren heitere Tage! -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-3"> -<a id="page-15" class="pagenum" title="15"></a> -Varramista -</h2> - -</div> - -<p class="ded"> -<a id="page-16" class="pagenum" title="16"></a> -Für Zeb-On-Nissa -</p> - -<h3 class="section pbb" id="subchap-0-3-1"> -<a id="page-17" class="pagenum" title="17"></a> -I -</h3> - -<p class="first"> -<span class="firstchar">D</span><span class="postfirstchar">urch</span> die Abgetrenntheit der letzten Jahre sind die -Völker in allen ihren Eigenheiten charakteristischer -sie selbst geworden, als sie es vielleicht je im Laufe ihrer -ganzen Geschichte gewesen sind. Alle ihre Äußerungen -tragen ein so lokales Gepräge, als ob keine Eisenbahnen -wären, und sie sind so stark mit sich selbst beschäftigt, daß -ihnen, was sie vorstellen, in demselben Maße entgeht, wie -den Außenstehenden, was sie sind. Man muß heute die -Nationen aufsuchen, um sie zu begreifen. Der Faszismus -spricht italienisch, nur italienisch. Mit dem Auslande, in -dem er so viel von sich reden macht, befaßt er sich herzlich -wenig. Die faszistischen Zeitungen interessieren sich ausschließlich -für die Patria. Kinderkreuzzügler nannte ein -florentinischer Witzbold die Faszisten. Wem aber fiele es -im Ausland ein, sie so zu benennen? So oder so ist die -Bezeichnung vorschnell gewesen; aber mit den Leuten um -Hitler oder Leon Daudet sind sie fürwahr nicht zu vergleichen. -Die <span class="antiqua">Camiccie nere</span> sind vielmehr wie ein helles -Mantelfutter, das nichts von seiner ominösen Außenseite -weiß. Ja, die Völker sind heute charakteristischer sie selbst, -und was die Italiener angeht, so stieg der Schmutz ihrer -Dörfer noch nie so hoch. Dabei hat die Reinlichkeit der italienischen -Villa und der Palazzos eine Blume und Poesie, -zu der gehalten die Sauberkeit der sauberen Länder gar -<a id="page-18" class="pagenum" title="18"></a> -nüchtern und langweilig erscheint. Aber zwischen den Herrenhäusern -und den Behausungen des Volkes ist kein Übergang. -Wäre ich Faszist und hätte mit einer Handvoll Leute -den großen Kehraus vorgenommen, und wäre ich als neuer -Besen in meinem Lande aufgetreten, ich wüßte, was ihm -noch obläge: mit eisernem Griffe in alle Straßen und Plätze -und Straßenecken hineinzufahren, deren Anblick, deren Befund -meinem gesteigerten Nationalgefühl (wennschon) allzupeinlich -wäre. -</p> - -<p> -Allem Gottesgnadentum und allen Servilismen zum -Trotz waren zwar nicht der Verfassung, wohl aber der -Anlage nach diejenigen Länder im vorhinein, bevor es -eine Demokratie gab, demokratisch, in welchen das Dorf -und die Kleinstadt ihre Blüte erfuhren und der „kleine -Mann“ in einem würdigen statt ungefähren Rahmen -seine Tage verlebte. Aber eine Hochkonjunktur herrlicher -Paläste und herrlicher Dörfer zugleich ist noch nicht dagewesen, -und die einen gingen noch jederzeit auf Kosten -der anderen. So die, wie in einer Spieloper blitzblanken -Ortschaften der heutigen Schweiz, des gestrigen Zentraleuropas, -der skandinavischen Länder: als müsse unverweilt -eine Musik von Boieldieu einsetzen, oder Zerbinetta, -zum Tanze geschmückt, warte nur auf ein Zeichen, um -hervorzutreten. Und doch, wie ausdrucksvoll, wie interessant -ist gerade der Kopf der Contadina, ihr verlorenes -Profil unter dem kleidsamen Schleier, der übrigens das -Glanzstück ihres sonntäglichen Staates geworden ist. Sollte -er den Faszisten nicht einen Wink bedeuten, zu einer Hebung -einer progressiven Aufklärung des niederen Standes zu -<a id="page-19" class="pagenum" title="19"></a> -schreiten? Wie brach liegt da ein weites Feld vor ihnen, -denn von ihnen, den Faszisten, reden wir! Der große Anhang, -den sie im eigenen Lande fanden, hat seinen besonderen -Grund: Die Bewohner der Dreckshäuser, deren -Fenster wie schwarze Löcher den im Auto Vorbeisurrenden -anstarren, wissen es seit vielen Jahrhunderten nicht anders, -als daß es Paläste gibt in ihrem Glanz – und ihre eigene -Unterkunft mit all dem Unrat, der sie umgibt. – Sie -wissen es nicht anders. Der Gedanke an eine Verschönerung -der Lebenshaltung, des Rahmens, in welchem sie sich -abspielt, liegt noch weitab. Sie wissen es nicht anders. -Hier liegt der springende Punkt. Der Italiener aus dem -Volke ist höflich, ohne servil zu sein, er wäre sehr bildungsfähig. -Vorläufig ist er leicht erregbar und wild. Der Tiefstand -seiner Kaste beruht nicht auf Unterdrückung, sondern -auf Vernachlässigung (wie überall hat sich der Bauer -schwer bereichert). Nichts ist von so grausamer Trauer wie -die italienische Ebene, als wüßte auch die Natur von diesen -trostlosen Dörfern. Die Grausamkeit nicht nur der Natur, -auch des Lebens selbst brütet über ihre herbstlichen Felder -hin. Welkes Weinlaub schlingt sich da von Stock zu Stock, -Kränzen gleich über eine Erde hingeworfen, die nur ein -Friedhof ist. Wie lachend ist Zentraleuropa, verglichen -mit der Straße, die nach Pisa führt! Der Bolschewismus -aber in dem sozial so unbalancierten Italien hätte Europa -den Rest gegeben. Eine solche Verfinsterung und Vergiftung -seines Blutes so nah an seinem Herzen hätte es nicht ertragen. -</p> - -<p> -Fahrten durch italienische Dörfer oder den <span class="antiqua">piccolo borgo</span> -boten jedesmal dasselbe Bild: in den Hauptstraßen, und -<a id="page-20" class="pagenum" title="20"></a> -war es noch so spät, stand eine aufgeregte und heftig -gestikulierende Menge, von Fahnen umweht (ich sah -drei Wochen hindurch die Ortschaften nie anders als beflaggt, -alle Fenster bewimpelt). Der Grad der Erregbarkeit -dieses Volkes war unschwer zu ermessen: es in die -Hand nehmen und auf die Schlösser losmarschieren lassen, -um den Besitzern Ovationen zu bereiten, war ebenso leicht, -wie dieselben Scharen denselben Weg, jedoch als ebenso -viele Brandstifter anzuführen und den Conte oder Marchese -niederzuknallen. Als ich den beängstigend langen Zug die -Zypressenallee heraufziehen und im Scheine der Fackeln -den Riesenperystil und die Boskette belagern sah, glaubte -ich wieder alle zu erkennen, die so oder so hätten sein können: -bestialische Mörder oder fanatische Beschützer dieses <span class="antiqua">Padrone -di casa</span>, der mitten in seinem <span class="antiqua">pranzo</span> unterbrochen -und hervorgeholt wurde (just als sollte er aufgeknüpft -werden) und – nicht ahnend, daß er noch schutzbedürftig -sei, die <span class="antiqua">Evvivas, Alas alas, alalas!</span> seiner Retter schnell -gefaßt mit einer Ansprache quittierte. Und dann flossen -Ströme von Chianti. Und so machte der Faszismus Karriere. -Kunststück! Es ist wahr, daß er Italien gerettet hat. Laßt -ihm noch seine kindliche Erpichtheit, es nachträglich Wort -haben zu wollen. Das indolente Rom träumte in den Tag, -als es plötzlich, von seinen anrückenden Befreiern aufgeschreckt, -schnell die Schienen aufriß und sich wie hinter -Zugbrücken gegen sie verschanzte. Ohne bedroht gewesen -zu sein außer von seinen Befreiern, ward es dann sehr -peremptorisch befreit und es gab über Nacht eine <span class="antiqua">Roma -Liberata</span>. -</p> - -<h3 class="section" id="subchap-0-3-2"> -<a id="page-21" class="pagenum" title="21"></a> -II -</h3> - -<p class="noindent"> -Wieder fuhr ich zwischen den hohläugigen Häusern der -Dörfer dahin, auf der Straße, die nach Pisa führt. Von -der aufgeweichten Erde war das Auto überspritzt. Man -hätte die Sonnenstrahlen fangen mögen, so schnell erbleichte -ihr Gold und schöpfte der Sturm wieder Atem. Denn am -Himmel war Krieg. -</p> - -<p> -Die plötzlich auftauchende Gestalt eines <span class="antiqua">Camiccia Nera</span> -schreckte mich da – Halt gebietend – aus meinen Novemberträumen. -Er streckte den Arm vor mir aus, wie -ihn die Legionen des Cäsar zum Gruß ausgestreckt haben -sollen, und mit den Worten „<span class="antiqua">Capitano Fascista</span>“ schwang -er sich theatralisch und elegant, aber ohne weiteres neben -den Chauffeur. -</p> - -<p> -Ich war wieder einmal gerettet. -</p> - -<p> -Und weiter ging’s: rechts der Berg von Lucca, in seiner -Vereinzelung die wühlende Trauer dieser Ebene noch mehr -akzentuierend. Seitwärts starrte auf halber Höhe das grausame -Weiß von Carduccis Heimatsort. Wer mochte diese -Felder bis zu ihrem Ende durchmessen? Führte denn ein -Weg hinauf zu diesem grellen und gewürfelten Kranz von -Mauern? Bogen nicht alle Straßen von ihnen ab? -</p> - -<p> -Mein schlammüberzogener Wagen indessen gelangte -nach Pisa, und von neuem, Gott sei Dank, waren wieder -Paläste zur Rechten und Paläste zur Linken, oder sogar -mitten auf die Straße gestellt, wie um sie zu versperren. -<a id="page-22" class="pagenum" title="22"></a> -Unter einem geklärten Firmament wurde sodann das Grundstück -aller Grundstücke erreicht, auf welchem der Campo -Santo und die Kathedrale, der schiefe Turm und das Battisterium -zusammen stehen. -</p> - -<p> -War ich zwischen den hohläugigen Häusern so vieler -Ortschaften gefahren, um unvorbereitet und unvermittelt -zu diesen schwebenden Kolonnaden, diesen singenden Säulenreihen -emporzusehen, die kein Spiel der Phantasie, kein Abbild -je vorwegnehmen könnte? Zum Schächer hatte mich -der Anblick all der Dörfer herabgedrückt, dem aber nun -die Verheißung sich erfüllte: „Heute noch wirst du mit mir -im Paradiese sein!“ -</p> - -<p> -Was begab sich hier und was vernahm das überwältigte -Gemüt? Was für Knospen bersteten ihm? Welches „Sesam, -tu dich auf!“ ließ Pforten der Hoffnung in ihren -Angeln drehen? Ich setzte im Sturm über die Stufen des -Turmes, den roten Streifen am Himmel und der spürbaren -Nähe des Meeres entgegen. In der Nacht trieb es mich -noch einmal zurück. Der Mond war aufgegangen. Der -sonst so Teilnahmslose schien mit einbezogen. Auf mein -Wort, er spielte voll herab. Ein Campo Santo, eine Kathedrale, -ein schiefer Turm? Oft vernommene Worte! Was -bedeuteten sie? – Die Harmonie der Sphären, es ist die -Sphärenharmonie, von welcher dieser flache Rasenplan -mit diesem schiefen Turm, diesem Dom, diesem Battisterium -verhaltenen Atems rätselhaft erdröhnt. -</p> - -<p> -Hierher, ihr Kommissionen! Unter diesem Himmel würdet -ihr nicht vergebens tagen. Es ist der Himmel desselben -Landes, das mit einer solchen Vergangenheit, in Rom das -<a id="page-23" class="pagenum" title="23"></a> -Denkmal Viktor Emanuels, diesen giftig weißen Höllenbraten, -ansetzte und heutigentages keine Maler, keine -Architekten mehr erzeugt. Wäre es nicht wichtig, die Gründe -hierfür zu suchen? – Der Zauber italienischer Kunst lag in -ihrer Gedanklichkeit. Weltumspannendes zieht seine Linien -in den Madonnengesichtern und macht sie noch zarter, zerbricht -sie fast. Wo ist die Seele hin des Jacopo della -Quercia oder jenes Ignoto Fiorentino, dessen Bild in den -Uffici hängt? Die abgründigsten Stellen der Chaconne -von Bach greifen nicht tiefer. Welche Beziehung zur Unsterblichkeit! -Und was für Italiener sind das gewesen? -</p> - -<p> -Auch um Siena aufzusuchen, wählte ich eine Vollmondnacht. -Der Zug stieg wie zwischen hell beschienenen Vorhöfen -des Himmels an, von immer frischeren Winden umstrichen. -Und bei der Ankunft ging es erst recht aufwärts, die -lange Stadtmauer entlang, zur steil gewundenen Via Cavour, -die zur Linken, mit allen Schauern, die herrliche Piazza -del Campo in der Versenkung hinter sich läßt. Die Cafés -waren noch offen, festlich trieb der fahnenumwehte Faszismus -unter dem mitternächtigen Mond. An einer besonders -stolzen Kreuzung von Palästen, Standbildern und Säulen -warf mich ein pestilenzialischer Gestank aus der Ekstase. Die -Spaziergänger schienen ihn nicht zu bemerken. Gemütlich -wogte der Korso an einer Passerelle auf und nieder, die -zwischen Negerkabusen noch ein Skandal gewesen wäre. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Schauderhafte alte Kokotten kamen die Wunderbauten -entlang. War dies das Siena, zu dem ich wie auf Knien -gepilgert war? Die Gassen stiegen in ehernen Schleifen -<a id="page-24" class="pagenum" title="24"></a> -zwischen den senkrechten Palästen empor, und es war, als -müsse sogleich ein Gipfel, eine Fernsicht kommen. Aber der -höchste Platz war ganz von Zinnen und Arkaden und Türmen -umstellt, und nur sie und der Dom sahen ins Weite. -Er thronte in der Mitte, und seine überladene Fassade -(<span class="antiqua">mauvais gout du XIV<sup>e</sup></span> oder Restaurierungen?) konnte -die Schönheit des Ganzen nicht beeinträchtigen. Ringsum -war Leere. Ich stand allein. Unten in der Via Cavour -blieben die Cafés noch lange überfüllt, die Lichter und -Fahnen in ihrem Braus, und der Gestank der Passerelle -inmitten des elegantesten Viertels tobte nach allen Richtungen. -</p> - -<p> -Ich durchschritt ein anderes Siena freilich als das, welches -seine Pracht entstehen sah. Allein die Verwandtschaft -war nur suspendiert und jederzeit wieder anzutreten. Das -reizvolle Lokal, einem hohen Gewölbe ähnlich, in dem ich -zu Mittag aß, war von poetischer Sauberkeit, in Zartheit -und Geschmack. Ich verließ Siena wie im Traum. Kein -Zweifel, es war noch sein altes Tageslicht, derselbe getönte -und schweifende Himmel hüllte es ein wie dereinst. Was -aber war heute von der großen Gemeinschaft der einstigen -Meister Italiens geblieben? Nur ganz vereinzelt, ohne Gefolgschaft -der inneren Vereinsamung anheimgestellte Künstler, -wie hier Gabriele d’Annunzio, dort Ferruccio Busoni. -Der Rest ist die Leere der Straße, die nach Pisa führt. Und -der Grund? – Ich will ihn euch ins Ohr sagen: Es ist nicht -gut, daß der Mensch allein sei, und Italien war mit Athen, -mit Byzanz und dem germanischen Norden aufs bräutlichste -vermählt. Wie ein Baum trat es in die überschwenglichste -<a id="page-25" class="pagenum" title="25"></a> -Frühlingspracht. Man reiste damals langsam, es ist -wahr. Und dennoch entblühten das Tuchersche Jagdschloß -zu Nürnberg, Maria im Gestade zu Wien und die diminutive -Maria della Spina zu Pisa einer selben Familie. -Denn das nationalistische Schisma hatte noch nicht – in -entgegengesetzter Richtung – den Wettlauf mit den Blitz- -und Orientzügen aufgenommen. Und für die verheirateten -Völker bestand noch nicht, wie heute, die Gefahr, daß die -einen in Problematik verarmen und sich zermürben, die -anderen in Gesten und Parolen sich exteriorisieren, jedes -auf seine Weise sich überschlagen und auf toten Geleisen -sich heiß laufen würde. Der Hain der Musen war noch -nicht zu einem Theater abgeholzt, auf dessen Brettern die -Auftretenden in ihre eigenen Kulissen hineinreden und die -Geltung ihrer Worte immer mehr zerschichtet sehen. Die -Talente, die noch treiben, dürfen uns über die um sich -greifende Wüste, die uns alle bedroht, nicht hinwegtäuschen. -Zwar ist der vielgenannte „Untergang des Abendlandes“ -kein Begriff, sondern nur ein willkürliches Postulat. Aber -die kurzsichtig sich aufwerfenden Abendländer drängten den -Gedanken des Abendlandes ganz und gar zurück, statt in -ihn einzugehen. Die Vorherrschaft bald dieser, bald jener -Abendländer hat die Verwirrung angestellt. Auf diese -Abendländer, statt auf ein Abendland, das außer Kraft -gesetzt wurde, wäre diese These zu stellen, statt mit einer -These, die es nicht gibt, die Unnachdenklichen zu verführen -und die Begriffe noch mehr zu verheeren. -</p> - -<p> -Aber laßt mich zurückkehren zur hochgelegenen Villa, die -Carducci besang, die sich stolz abkehrt von den Feldern, -<a id="page-26" class="pagenum" title="26"></a> -welche sie beherrscht, und ihre Pinienhaine und Boskette -im Auge behält. Laßt mich euch eine Geistergeschichte erzählen, -wie ich sie in diesem Hause erlebte. -</p> - -<h3 class="section" id="subchap-0-3-3"> -III -</h3> - -<p class="noindent"> -Ich wohnte zur ebenen Erde in einem großen Saal. Die -Wände, die vielen Stühle, das Riesensofa, das weite -Himmelbett in gelbem Damast ausgeschlagen, sie und die -venezianischen Spiegel waren reinstes achtzehntes Jahrhundert, -wie ein Bild von Ghislandi. Nur das schwervergitterte, -übrigens einzige Fenster, merkwürdig zur Seite -hinausgerückt, fast in die Ecke gedrängt, entstammte einer -früheren Zeit. Die eine Tür ging auf die Halle hinaus, die -andere in ein kleines Kabinett, als Ankleideraum gedacht, -der rechts an das Badezimmer, links wiederum an eine -winzige Türe stieß, von welcher unmittelbar eine geheime -Treppe in vielen Windungen zu den oberen Stockwerken -führte. Man sieht: ein getrenntes Appartement, und nur -durch das saalartige Schlafzimmer so groß. – Zwischen -den thronartigen Sesseln ragte der prachtvolle Kamin, -dessen Feuer mich entzückte. Es war November und regnete -immerzu. Doch herrschte keine Kälte. Ja, eine Schlange -ringelte gleich den Parkweg heran, als ihn die Sonne eines -Morgens beschien. -</p> - -<p> -Schnell aber füllte Dämmerung den Saal. Der gelbe -Damast, von unnachahmlichem Gelb, an manchen Stellen -zerschlissen, war er doch so kostbar wie alt, und der Baldachin -<a id="page-27" class="pagenum" title="27"></a> -mit seinen schweren, etwas zerfransten silbernen Troddeln, -sowie das Bett, die Stühle, die Spiegel schienen dann alle -auf Menschen und auf Dinge zu warten, sie, für welche -Menschen und Dinge doch so Vergangenes und Abgelegtes -waren. „Es geisterte hier“, hörte ich flüstern. Mir aber -brauchte man solches weder zu verheimlichen noch zu verraten. -Ich sehe es einem Zimmer sofort an, auch wenn -Morgenlicht es verklärt und Vögel vor dem Fenster trillern, -ob es wacht oder schläft in der Spanne zwischen Nacht und -Tag. Denn nie verscheucht die Sonne seine Wolken, seine -Schatten ganz, und immer bleibt ein solches Zimmer ernst. -</p> - -<p> -Rita hieß die Schwester des Herzogs; sie schien aus -einem Raume nicht zu gehen, sondern leis und leidenschaftlich -zu entschwinden. -</p> - -<p> -Man ging früh zur Ruh’ in diesem Hause. Aber sie -pflegte noch zu mir hereinzukommen und die zurechtgelegten -Reisigbündel und die Pinienzapfen anzustecken. Dann rasten -die Flammen, und wir plauderten. Mir bedeutete die Zeit, -die sie verweilte, eine Frist, denn die Nacht, kaum angebrochen, -war noch lang und das Lächeln, mit dem ich sie -endlich an der Schwelle verabschiedete, durfte so verzerrt -sein als es wollte, reichte doch der Glanz der Kerzen kaum -über den Tisch, und eine andere Beleuchtung gab es in -der Villa nicht. Weit stärker war der Schein des Feuers, -das hin und wieder zusammensank, dann aber, wenn neue -Scheite in Brand gerieten, den Stühlen ihre gelbe Sonnenfarbe -wiedergab. -</p> - -<p> -Ich hatte die Türe hinter Rita noch nicht geschlossen -und mich dem Saale noch nicht zugewandt, da fühlte ich -<a id="page-28" class="pagenum" title="28"></a> -schon sein Dunkel ganz ungeteilt im vollen Braus, wie ein -Orchester, das nur auf das Zeichen wartet. -</p> - -<p> -Eine Stunde oder mehr starrte ich ins Feuer, bis die -kleine Tür zu der geheimen Treppe allzu knisternd erbebte, -in ihrem Drange sich zu öffnen. Ich ging auf sie zu, sie -versank in Stille, ich trat zurück, von neuem atmete ihr -Griff. – Dem Feuer abgewandt, behielt ich sie jetzt im -Auge. Sie endlich fröstelnd selber öffnend, steckte ich die -Kerzen vor dem Spiegel an und machte mich langsam -bereit, das hohe Baldachinbett zu besteigen, das belagerte! -Nur von einem kleinen Teil desselben war die damastene -Decke zurückgeschlagen; links fast in Armeslänge die Wand, -die rechte Schulter aber dem Sturme ausgesetzt und unbeschirmt -inmitten der gesteigerten, immer mehr sich verstrickenden -Luft. Trauer wogte und trieb heran. So werden -lachlustige, lachbegierige, stets nach einem Anlaß zu Gelächter -dürstende Lippen in sich zusammensinken, einfallen -in Ernst und Bitterkeit, wenn ein noch so ferner Reflex von -einer Welt sie trifft, die kein Lachen zu kennen scheint. Und -der Gedanke an sie kann sich hinstürzen über uns, gegen -uns ausgestrahlt, uns ganz zu seinem Brennpunkt nehmen -und besitzen. -</p> - -<p> -Rita pflegte die Stühle wie für Besuche um den brennenden -Kamin zu stellen; sie maß ihn vom Baldachin aus, der -Zwischenräume halber, die zu belassen waren, auf daß ich -das Spiel der Flammen frei genoß. Hochaufgerichtet starrte -ich sie an. Ein Nichts, der Bruchteil eines Nichts, und ich -würde sie erblicken die Gestalten, die, so schien mir, in den -alten, den wohlbekannten Stühlen saßen, dem Feuer -<a id="page-29" class="pagenum" title="29"></a> -zugekehrt, oder vielleicht mir, die so hinstarrte zu ihnen. Jetzt -– jetzt – was vermaß ich mich so auszuschauen? Und -fühlte ich nicht schon allzu deutlich den Saal ins Grenzenlose -schleifen, und dieses ungeheuere Bett? – Was fehlte -noch, daß ich die Griffe faßte, die so geisterhaft auf meiner -rechten Schulter lasteten, und daß meine Finger die Schleier -befühlten, die an meinem Nacken sich verankerten, Schatten, -von allen Seiten auf mich zugewallt. Bis ich aufsprang -und die Sessel am Kamin aus dem Gesichtskreis rückte. -Aber all die anderen, längs der Wand angereiht, lebten sie -minder auf? Was ließ mich zuletzt die Pfosten des Baldachins -umschlingen, meiner blinden Zeugenschaft ganz hingegeben, -ihr immer mehr entgegengleitend – -</p> - -<p> -O schattenschwere Novembernächte! -</p> - -<p> -Wohl konnte es sein, daß sich da sachte die Türe öffnete -und, ihre Kerze vorantragend, Cassilda schüchtern hereinsah: -nächtlichen Haares im langen Nachtgewand, fast rätselhaft -in ihrer Anmut, schwang sie sich auf das goldene Bett. -Es <a id="corr-0"></a>war ihr Eigentum wie dieses ganze Haus. -</p> - -<p> -„Wie schlecht man schläft in meiner Villa!“ seufzte sie -und sprach über ihr Leben. Und ich hörte zu. -</p> - -<p> -Jedoch der Übergang zu ihr schien mir beschwerlicher -als sonst; und lebendiger freilich, doch scheinhafter auch -dünkte sie mir; und <em>wesenhafter</em> jene Schatten als wir -beide, der Weg zu ihnen der direktere, wenn auch ungangbar; -und unsere Gemeinschaft wie unser Zusammensein, -ob es auch alle Saturnalien des Todes in Nichts zerstreute, -war ephemer; Cassildas Nähe war illusorisch. Denn unübersteiglich -dumpf und trennend war die Welt der Körper. -<a id="page-30" class="pagenum" title="30"></a> -Die ganze Kälte und Abgetrenntheit, der sich jedes einzelne -Wesen überantwortet sieht, ging mir auf, während Cassilda -sich schläfrig redete und dann vom Bett herunterstieg, um -ihr eigenes Zimmer wieder aufzusuchen. -</p> - -<p> -Nacht für Nacht verging in dieser Weise: erst der ausgedehnte -Abend mit Rita, welche die Scheite und Pinienzapfen -entfachte, unser Abschied an der Tür, sodann das -lange Gegenüber, das schweigsame Duell bis zu den Morgenstunden, -der schwere Schlaf bis in den Vormittag. Zuweilen -das Auftreten der ruhelosen Cassilda, unsere Gespräche -unter dem Baldachin, bis sie den Fuß zu Boden -setzte und mich verließ. Ich merkte die Kurve jener Nächte -nicht sogleich, noch das verminderte Grauen, mit welchem -ich mich dem Saale zurückwandte, wenn Rita entschwand, -noch daß mein streitsüchtiger Arm erstarkte. Sondern wie -ein Stoß traf mich die aufgekeimte Sympathie. – Es war -nicht nur die Müdigkeit, welche das Auge immer erloschener -in den Tag hineinsehen ließ, den ohnehin so trüben Novembertag. -Sondern sie hatten auch ihren sehr vernehmlichen -Lockruf, diese Nächte, und ihre gefährliche Lust. Wie -<a id="corr-1"></a>löste sie den blinden Drang, nur ja zu leben, nur ja nicht -zu sterben, wesensverschieden von den Gestorbenen zu sein! -Und nun – statt des Sturmes und der Furcht – orphische -Schwingungen herüber und hin. – Aber plötzlich, war -es Ungeduld, Widerwille oder Scheu? – zerriß ich alle -Fäden, die fein wie Spinnweben nach mir zogen, und von -einer Stunde zur anderen war ich entschlossen, diesem Hause -zu entfliehen. Um Mittag stand mein Koffer bereit, triumphierend -hatte ich ihn abgeschlossen; da ereignete sich ein -<a id="page-31" class="pagenum" title="31"></a> -Zwischenfall, der mich noch für eine letzte Nacht in diesem -Zimmer zurückhielt und zugleich meinem Aufenthalt in der -„<span class="antiqua">Italia liberata</span>“ einen unerwarteten Abschluß verlieh. -</p> - -<h3 class="section" id="subchap-0-3-4"> -IV -</h3> - -<p class="noindent"> -„Heute wird nicht gefahren!“ rief Cassilda in den Saal, -„es sind vier deutsche Studenten angekommen, zu Fuß, von -Rom. Und wie abgerissen sie sind! Aber ihre Schuhe werden -im Dorfe frisch besohlt! Sie übernachten in der Fattoria, -und sie wollen uns vorsingen heute abend.“ Ihr melodisches -Lachen hatte einen metallnen Sprung wie eine -Glocke. „Nein, wie sie essen können!“ brach sie aus. -</p> - -<p> -Mein erster Impuls war, mich vor diesen deutschen Studenten -zu drücken. Ich fand es nicht am Platze, ich fand es -nicht an der Zeit, daß sie gerade jetzt und ausgerechnet dieses -Land auf solche Weise bereisten, Obdach erbittend von Ort -zu Ort, in Scheunen nächtigend (und was für Scheunen!) -oder dann auf Gutsherrschaften nach dem Ökonomiegebäude -mitleidig verwiesen. Konnte man besiegter auftreten? -Zum Teufel auch! Man schuldete etwas seiner Vergangenheit! -Entstammten sie nicht einem stolzen Volk? Es -hatte nicht mit zagen Bettlerschritten auf diesem Boden -vorzudringen gepflegt! Und war ihre Rolle nicht neu? Was -besaßen sie für Gründe, sich so unschwer in dieselbe zu -finden? Aber natürlich mußte ich helfen, sie zu empfangen. -</p> - -<p> -Übrigens – dem einen oder anderen wurde wohl bei -einem Baumeister auf dem Reißbrett zu schaffen gegeben; -<a id="page-32" class="pagenum" title="32"></a> -aber Studenten waren es keine, und ihre Naivität schien -entschuldbarer, sobald man sie sah. Auch deutete nichts -darauf hin, daß sie seit einem Vierteljahr zumeist auf dem -Stroh italienischer Bauernhöfe schliefen, sondern sauber -und adrett, ja schmuck, bei aller Dürftigkeit, standen sie -abends zur Serenade aufgepflanzt, vornean der Lautenspieler, -blond wie Dornröschen und das Gesicht schneeweiß. -</p> - -<p> -Der Tenor mit seinem schmalen, fahlen und windschiefen -Kopf schien auf ein romantisches Erlebnis mit -Rübezahl zurückzuschauen und immer noch daran zu denken; -der dritte glich auf ein Haar dem braven Knappen -Fridolin, und nur der vierte, ein Magdeburger, war Realpolitiker. -</p> - -<p> -Durch das offene Fenster leuchtete im Kerzenscheine der -weiß gedeckte Tisch, Gläser, noch mit Chianti gefüllt, halbgeleerte -Riesenschüsseln mit Makkaroni. Es war ihre vierte -Mahlzeit. „<span class="antiqua">Bevono poco, ma che appetito!</span>“ berichtete -der Verwalter. Sie standen in Hausschuhen. Ihres Stiefelwerkes -hatte sich der Herzog angenommen. Bis zum nächsten -Mittag sollten sie es gesohlt zurückerhalten. Cassilda -war guter Dinge. Melodisch schlug die zersprungene Glocke -ihres Lachens an. Die Luft war lau. Wir saßen in Tüchern -und Mänteln um das Ökonomiegebäude gruppiert. Durch -das immergrüne Laub der Bäume sah der Mond. Und das -Konzert begann. – -</p> - -<p> -Selten hatte ich etwas so Erschütterndes gehört. Wie -aus einem Wunderhorn ergoß sich der Wohllaut dieser -staunenswert geschulten Stimmen. Wälder fingen an zu -<a id="page-33" class="pagenum" title="33"></a> -rauschen, verzückte Büsche über den Vater Rhein gebeugt, -Kähne von Wellen hoch emporgehoben, Seen der Gebirge; -blanke Scheiben einer Herberge dem müde Gelaufenen entgegenfunkelnd -... -</p> - -<p> -Es mehrten sich jetzt unter den Bäumen magisch angezogene -Gestalten, sie traten näher, standen unbeweglich. -</p> - -<p> -Ich achtete nicht mehr der Lieder, sie waren nur noch -die Begleitung zu dem Sturm in meinem Innern. Wie -aus einem tiefen Brunnen tauchte ich empor, als die -Sänger innehielten. Man umringte sie, von allen Seiten -kam Applaus. Der Nachtwind strich unter einem milden -Himmel, Kerzenschein flackerte über den Tisch, welcher die -Platten, den Chianti, die halbgefüllten Gläser trug; alles -war wie in einer gesitteten, idyllischen Welt. Nur ließ der -Magdeburger seine Kameraden nie zu Worte kommen. -</p> - -<p> -Nach einer Weile wurden sie gebeten, weiterzusingen. -Ich saß zwischen der Mutter des Herzogs, einer Französin, -und einer jungen Deutschen in Schwesterntracht, -die unter ihrem Häubchen mit runden Augen Welt und -Dinge betrachtete. Der Lautenspieler mit dem schneeweißen -Angesicht wartete auf ein Zeichen des Magdeburgers, -bevor er in die Saiten griff. Die Aussprache der -vier war nicht sehr deutlich. Nur das Wort Kikeriki kehrte -jetzt nach jeder Strophe vernehmlich wieder. Plötzlich gerieten -die Schatten unter den Bäumen in Bewegung; -einige traten mit fast drohender Gebärde vor. Was ist das -für ein Lied? fragte ich die kleine Diakonissin. Sie kannte -es gut. Kikeriki sei der Spitzname der Italiener während -des Krieges gewesen. Ein Kriegslied also! – Es schien ihr -<a id="page-34" class="pagenum" title="34"></a> -spaßig. Zum Glück ging seine Pointe unserem Halbkreis -verloren, und es wurde geklatscht. Nur der Herzog sah wie -mit versteinerter Pupille geradeaus. -</p> - -<p> -Eigentlich schienen die drei den Magdeburger gar nicht -zu mögen. Aber man erlebte jetzt ein Stückchen deutscher -Geschichte: nämlich sie gehorchten ihm doch. -</p> - -<p> -„Bis daß das Auge bricht, bis daß das Auge bricht“, -hieß der nächste Refrain. Entgeistert lehnte der junge Lautenspieler -an der Mauer, und ferne war sein Sinn. „Bis daß -das Auge bricht, bis daß das Auge bricht“, sangen die -vier, als läge in der Vorstellung etwas, worin sie schwelgten. -„<span class="antiqua">Comme c’est triste</span>“, sagte die Mutter des Herzogs. -Unter den Bäumen aber waren keine Schatten mehr zu -sehen. -</p> - -<p> -„Ich verstehe nur die Ritornelle“, sagte ich leise zur -Diakonissin. -</p> - -<p> -Die war schon wieder im Bilde. „Schießen tun sie, bis -daß das Auge bricht“, sagte sie und lachte schelmisch. Sie -fand nichts dabei. „Bis daß das Auge bricht“, sekundierte -die Laute mit unerhörter Melancholie. Dann schloß das -Konzert mit einem Hoch auf den Herzog. Ich mußte noch -hören, wie der Magdeburger ihm versicherte, sie fänden -überall eine so gute Aufnahme; bei den Bauern jedoch -würden sie erst gefragt, ob sie wirklich Tedeschi seien, denn -wenn sie Francesi wären, wiese man sie vor die Türe. Über -diesen seinen Beitrag zur Politik war er sichtlich befriedigt. -Cassilda lachte. Ihr konnte es egal sein. Mir war es zuviel. -Ich floh in den Park. Sein Dunkel nahm mich auf. Wie -der rasende Ajax, ein pazifistischer Ajax, köpfte ich Sträucher, -<a id="page-35" class="pagenum" title="35"></a> -schlug auf die Hecken wie auf einen imaginären Konferenztisch, -traf drakonische Maßregeln, untersagte und befahl. -„Ich habe keine Lust an Völkern“, schrie ich die Pinien an. -Und kein Angehöriger eines fremden Staates durfte mir -auf drei Generationen bei Verlust aller Ämter eine Landsmännin -heiraten. Noch am Traualtar war sie von seiner -Seite zu reißen. Wie besinnungslos fuhr ich in die Äste, -teilte das Gezweige rings um mich her, als sähe ich schon -hier in diesem Lande die Mädchen nicht nur schön und -liebenswürdig, sondern auch wieder versonnen, wieder unschuldigen -Auges und gedankenvoll wie seine Madonnen -von einst. Und als sähe ich schon berückend unkonventionell -gewordene Französinnen, komplett aus der Art geschlagene -Engländer und weltkundige Deutsche die ihnen verlorengegangene -Welt nicht zurückerobern, sondern zurückgewinnen. -Nichts stünde dann jener Stunde der Einkehr -mehr im Wege, in der sich jede Nation auf die innerhalb -ihrer Grenzpfähle begangenen Infamien, auf die Niederlagen -ihrer Gerechten, auf die Triumphe ihrer Lügner und -Verhetzer als der einzigen Schmach besänne, welche sie -treffen kann. Das Tausendjährige Reich wäre jede Stunde -einzuläuten. Aber es geschehen keine Wunder dem Verblendeten, -um ihn der Hölle zu entreißen, die er sich bereitete. -Noch immer litt das Himmelreich Gewalt. -</p> - -<p> -Wo aber sah ich den Weisen, ach, der noch Hoffnungen -frönte? Er kehrt sich ab, begibt sich seines Anteiles und -glaubt nicht mehr an diese Welt. Doch wehe, sie ist die -unsere! – Wie ihr heutiger Zustand Werk und Schlagwort -einzelner ist, so könnte nur Wort und Tat einzelner -<a id="page-36" class="pagenum" title="36"></a> -ihre Rettung bereiten. Wenn sie auch nicht die Saat aufschießen -sehen, die sie streuen, noch die Mühle, an der sie -mahlen. Der Tod wird sie erlösen. Denn die Not dieser -ohnmächtigen Zuschauer ist nur vergleichbar mit der des -Schemen, das in seinem Drange, vielleicht sich kundzugeben, -vielleicht zu rufen, doch ohne einen Laut, uns anblickt -vielleicht, doch ohne gesehen zu werden, flehende Arme -vielleicht nach uns ausstreckt, durch die wir schreiten als -durch leere Luft. Wie vorstellbar war doch mit einem Male -ihre heiße, verzehrende Wut! -</p> - -<p> -Der Park war jetzt in Nacht versunken. Nacht hing an -den Zweigen, kein Gesang durchbrach sie mehr, die Vögel, -die Schlangen, die Bäume, sie waren eins, sie ruhten. In -dichte Wolken hatte sich der Mond gebettet, kaum ein -hellerer Schein dort, wo er schlafend lag. Unenträtselt -fügten sich die Rhythmen der Gestirne, spielte sich dem -Auge der Marsch der Sterne ab, geheimem Schlüssel entspannt. -</p> - -<p> -Ich eilte dem Hause zu. Finster die Terrasse, leer die -Halle. Wie lange war ich verweilt? -</p> - -<p> -In meinem Saale aber entsandten die Flammen des -Kamins ihren warmen Hauch bis zu den sonnenfarbenen -Stühlen. Sie standen erwartungsvoll. Rita hatte es aufgegeben, -auf mich zu warten, aber Spätrosen auf den -Tisch gestellt; ein Rosenstrauch leuchtete im Schein des -Feuers. Ich sah mich um. Von neuem rauschte draußen -der Regen. Bitterkeit und Süße wellte jetzt empor und ließ -mich die Arme ausbreiten. Zum Fest war die pulsierende -Luft um mich her. Hoch ins Leere aufgerichtet unter -<a id="page-37" class="pagenum" title="37"></a> -köstlichen Schauern lauschte ich ihr von meinem goldenen -Bette entgegen. Die im Park ausgekostete verwandte Qual, -sie war es, die wie mit Leierklängen die Schatten dieses -Saales versöhnte. Blumenleicht! Wie von Blumen war -die Schulter umweht, milde und barmherzig unser Abschied, -als seien wir uns teuer geworden. -</p> - -<p> -Und ihr, meine Leser, seid ihr enttäuscht von meiner -Geistergeschichte, weil sie tröstlich verklang? -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-4"> -<a id="page-39" class="pagenum" title="39"></a> -Torso -</h2> - -</div> - -<p class="pbb first"> -<a id="page-41" class="pagenum" title="41"></a> -<span class="firstchar">G</span><span class="postfirstchar">edanken,</span> Meinungen und Überzeugungen drängen -nach Äußerung, lange bevor wir noch wissen, welchen -Ausdruck wir ihnen verleihen, in welche Form wir sie -bringen können. Den einen treiben sie zur Gestaltung, zur -Ausführung oder zur Tat, den minder Glücklichen zwingen -sie zur Schrift. -</p> - -<p> -Leopardi nennt die so verbreitete Meinung von der -Seltenheit der Originale einen großen Irrtum, denn bei -näherer Betrachtung erweise sich fast ein jeder als ein -ganz einziges, noch nie dagewesenes Exemplar! Einem -solchen Begriff der Originalität fehlt freilich jedes Prestige. -Aber tatsächlich ist es mit den geistigen Physiognomien der -Menschen wie mit den äußerlichen. Könnten wir jene mit -den Augen sehen, wir würden da genau dieselbe Mannigfaltigkeit, -aber auch dieselben Mißverhältnisse wahrnehmen -wie an den sichtbaren Gestalten; nur daß sich -auf geistigem Gebiete der Wahn so bemerkbar macht, als -sei hier eine Unterschiebung der eigenen Identität durch -eine schönere oder bedeutendere leichter möglich, die Gesetze -der Unveränderlichkeit leichter zu täuschen oder zu umgehen -als in der körperlichen Welt. Wie wenige sind denn -wirklich schöne oder vollendete Typen! Und wie viele -gleichen jenen Bruchstücken antiker Statuen, deren Wirkung -durch einen ergänzten Kopf, eine fremde Bewegung verdorben -oder gestört wird, statt daß sie bleiben, was sie -sind, nämlich meist <em>ohne</em> Kopf und Fuß, aber echt. -</p> - -<p> -<a id="page-42" class="pagenum" title="42"></a> -Marie stand mit fünf Jahren eines Morgens unter -einem Baum, dessen Laub im Winde rauschte und den -blauen Himmel durchblicken ließ. „Das Leben ist schön!“ -dachte sie. -</p> - -<p> -Da flog ein Blatt von den Zweigen herab in ihre Hand, -und während sie seine groben Adern und Fasern langsam -auseinanderriß, wurde sie unsäglich verstimmt. Nicht der -frohbewegte Wipfel in der Höhe, das einzelne langweilige -Ding in ihren Händen war die Wirklichkeit! – -</p> - -<p> -Der Grundakkord ihres Wesens schlug da zum erstenmal -an ihr Bewußtsein an; denn es gibt nichts Neues im -Menschen. Das <span class="antiqua">fin mot</span> eines Ichs ist ein Motiv, und -was hinzutritt sind Amplifikationen. -</p> - -<p> -Schon ein Jahr darauf lernte sie im Kloster die Langeweile -kennen, zu der sie neigte wie ein anderer zu Gichtschmerzen -oder Rheumatismen, und die sie anwehen konnte, -plötzlich, unvermittelt, wie ein Wind, der um die Ecke fährt. -</p> - -<p> -In ihrem Kloster blies sie durch das ganze Haus, um -alle Mauern und durch den ganzen Garten, die Stelle -ausgenommen, an der eine reizende Brücke über den Wildbach -bog, Libellen unklösterlich schwirrten und die Bäume -parkähnlich zusammenstanden. Aber alles andere war häßlich. -Zwei hohe, plumpe Berge versperrten wie Riesentore -nach Norden hin die Welt, und die Monatsrosen standen, -meist verwelkt und verweht, um ein mächtiges Kreuz vor -dem Haus. Alles, was sie sah, mußte sie zugleich empfinden, -doch ohne auch nur entfernt die Fähigkeit zu haben, sich -dies zum Bewußtsein zu führen. Wie schmerzlich schien ihr -im Frühjahr das Licht, wenn die Furchen der Berge so -<a id="page-43" class="pagenum" title="43"></a> -rauh aus dem Schnee hervorstachen und die grünenden -Bäume im Scheine eines regnerischen Tages fröstelten. -Ach, wie öde der Ackergeruch im Winter, die Stoppeln und -Maulwurfhügel auf dem Felde, der schwere, fette Flug -der Raben! -</p> - -<p> -Zu ihrer Unterhaltung verfiel sie da auf ein höchst seltsames -Gedankenspiel: sie setzte sich abseits, stützte die Arme -auf, schloß die Augen und dachte mit immer beschleunigterem -Tempo und eingezogenem Atem: „Ich bin Ich.“ An -diesem Gedanken konnte sie nämlich, wie an einem Seil, -immer dunklere Schlünde hinabgleiten, bis sie ein Schwindel -erfaßte und ihr Ich ihrem Bewußtsein entsank. -</p> - -<p> -Wie sie das zusammenbrachte, wurde ihr später selbst -ein Rätsel: ihr Geist hatte damals eine jongleurartige Geschwindigkeit, -als sei er transparenter und zugleich schärfer -gewesen, lösbarer von ihr? – Sie wußte es nicht. Aber -sie fand es „spannend“, sich selbst zu jagen, bis zu einer -Wurzel, die sie nicht mehr war. – „Ich bin gefangen!“ -dachte sie da wohl. „Auch nicht für eine Stunde kann ich -jemals von mir fort, und wenn mir andere Menschen noch -so sehr gefallen werden, kann ich sie nie sein!“ -</p> - -<p> -Aber einmal, als ihr diese geistige Rutschpartie besonders -gut gelungen war, faßte sie ein Entsetzen, als hätte sie sich -verloren, als hinge das Seil ihrer Identität in der Luft, -als harrten ihrer Gespenster in den Tiefen, in die sie -geraten war, – und mühsam, wie ein Ertrinkender, so -rang sie seufzend zur Oberfläche ihres Bewußtseins zurück. -</p> - -<p> -Ein Instinkt riet ihr jedoch, dies unheimliche Spiel zu -lassen, und die Fähigkeit verlor sich auf diese Weise sehr -<a id="page-44" class="pagenum" title="44"></a> -rasch. Dafür fingen andere Probleme, deren Lösung sie -keinen Augenblick gewachsen war, an, sie zu quälen. -</p> - -<p> -Starb eine Klosterfrau und wurde es den Zöglingen -freigestellt, sie auf der Bahre noch einmal zu sehen, so ließ -Marie alles liegen und stehen und marschierte, zwei Schuhe -hoch, allen voran. Dann starrte sie forschend in das fahle -Gesicht, dem der Geist schon zu lange entschwunden war, -und das ausdruckslos, ja sinnlos vor ihr lag. Und nichts -schien ihr gerade auf das Klosterleben ein so trauriges Licht -zu werfen als der Tod. -</p> - -<p> -Aber es kamen immer mehr Dinge, die ihr mißfielen. -</p> - -<p> -Eines Sonntags fand sie in einem Bilderbuch eine -Palmengruppe abgebildet, einen sprungbereiten Tiger und -ein Mädchen, das mit tödlich entsetzter Miene sich vor ihm -zu verbergen suchte, aber vergebens, denn er hatte sie schon -fast erreicht und mußte sie unfehlbar zerreißen. -</p> - -<p> -Empört und außer sich, rannte Marie im Zimmer umher. -Sie blickte zu den gemalten Inschriften auf, die an -den Wänden hingen, und die ihr so gut gefielen: „Siehe, -so sehr hat Gott die Welt geliebt ...“ „Er aber liebt die -Seinen bis in den Tod ...“ „Kein Auge hat es gesehen, -kein Ohr gehört ...“ Über ihren Schrank breitete ein Pelikan -seine Flügel aus mit einem ähnlichen gefühlvollen Spruch. -Wie reimte sich dies? – Und sie verbiß sich von neuem in -das schreckliche Bild. – Wie konnte Gott dies ertragen, -wenn wir sein Ebenbild waren? -</p> - -<p> -Ein anderes Mal hatte die Feuerglocke wegen eines in -der Nähe brennenden Anwesens wohl eine Stunde hindurch -geläutet. Endlich kam fliegenden Schrittes eine -<a id="page-45" class="pagenum" title="45"></a> -Klosterfrau den Gang heraufgeeilt und sagte: „Gottlob, -Kinder, es ist kein Menschenleben zugrunde gegangen, nur -sechzehn Kühe sind verbrannt.“ -</p> - -<p> -In der Nacht sah Marie die Tiere heulend durch die -Flammen jagen und fuhr erschrocken aus ihren Träumen -empor. Sie schlief nahe am Fenster, und der Wildbach -rauschte mit düsterem Schwalle, ewig stöhnend, schwarze -Klagen herauf. Was war dies für eine Welt, in der die -Kinder ihre Eltern begruben, und der Herr der Schöpfung -zur Beute eines niedrigen Tieres entehrt werden durfte? -Schöne Menschen, die sie kannte oder gesehen hatte, und -die schwerlich je in Kollision mit einem Tiger oder einer -<span class="antiqua">Boa constrictor</span> kommen würden, schwebten ihr vor Augen. -Allein gewisse <em>Möglichkeiten</em> genügten, um da ihren -Weltschmerz zu einem unerhörten Fortissimo zu steigern. -Es gab ja kein Entrinnen aus einer solchen Welt, keinen -Tod, keine Bewußtlosigkeit mehr für unsere unsterblichen -Seelen! „Oh, wie ist das?“ dachte sie erschrocken. „Ich -kann Gott nicht lieben!“ -</p> - -<p> -Am nächsten Morgen waren Geschenke für sie angekommen, -und sie bezeigte eine solche Gier, sie alsbald in -Empfang zu nehmen, daß die Oberin sie zurechtwies: „Du -genußsüchtiges Kind“, sagte sie streng. Marie hörte dies -Wort zum erstenmal und vernahm es mit Interesse. In -der Tat: Warum haßte sie nichts so sehr auf der Welt als -den Schmerz? Warum ging sie stets mit abgewandtem -Gesicht den unteren Gang entlang, wo die Apostel der -Reihe nach in schlecht gemalten Bildern hingen, mit Kreuz, -Nägeln und Stricken, all den furchtbaren Zutaten ihres -<a id="page-46" class="pagenum" title="46"></a> -Sterbens? Warum erfaßte sie jede Freude mit so peinvoller -Hast und entbehrte sie mit solcher Heftigkeit? Und warum -waren selbst ihre schwärzesten Stimmungen so seicht wie -Wolken, die ein leichter Windstoß wieder zerreißt? -</p> - -<p> -Aber ihre Grübeleien brachten ihr nur Überdruß, und -sie war froh, sich ihrer zu entschlagen. So fing sie mit acht -Jahren an zu schwärmen, und wenn Orgelklänge und -Weihrauchdüfte die Kirche erfüllten, dachte sie nur mehr -an Rosa Flatz, Paula Baselli, Irene Angermaier und Livia -Gelmini. -</p> - -<p> -Es gibt Wesen, die in früher, unwahrscheinlicher Vollendung -ins Leben hineinleuchten, gleich jenen vereinzelten -Tagen inmitten langer Regenzeiten, an denen das Licht so -zärtlich, das Laub so golden, der feuchte Blick der Sonne -kristallen leuchtet! Aber tags darauf haben Regen und -Wind ihre trüben Lieder wieder aufgenommen ... Flatz -war von hohem Wuchs, hatte goldenes Haar und den -Kopf einer Sirene. Da sie fast schon erwachsen war, wagte -Marie nur im Winter, wenn die Zöglinge schweigend -spazierengehen mußten, sich zu ihr zu gesellen, ergriff ihre -Hand und sah stillbeglückt von der Seite zu ihr auf. Kein -Frost konnte die liebliche Röte dieser Wangen beeinträchtigen, -so schön und blühend war ihr Flaum. Aber sie blühte -so königlich! Wo sie ging, war kein Winter, heftige Rosensträuche -blühten an allen Wegen, und an den Frühling -gemahnte selbst ihr sicherer, zerstreuter Blick. -</p> - -<p> -Baselli hatte einen zu tiefen Teint und ungeschmeidiges -Haar. Aber der Schnitt war rein wie der eines Ägineten, -und ihr stolzer Blick flammte in unbewußter oder in Zaum -<a id="page-47" class="pagenum" title="47"></a> -gehaltener Trauer. Marie hielt sich gern in ihrem Umkreis, -um die edlen Augenhöhlen, die köstliche Zeichnung ihrer -Lippen in der Nähe zu sehen, und wie über einen heiligen -Wald schwärmte ihr inneres Auge über sie hin. -</p> - -<p> -Aber Irene Angermaier war die schönste! Mit braunem, -weichfließendem Haar, ruhig und müd wie eine Nymphea -im Mondlicht. Sie lehnte in ihrer harten Schulbank mit -jener überlegenen Grazie, welche die Menge anjubelt und -vor der die Maler knien. In prunkvoll ausgeschlagener -Gondel, in Palästen hätte sie ruhen sollen; ein Antlitz für -Perlen und unschätzbare Schleier, ein Wesen, zu schön, -um zu leben, zu leicht, um im Grabe zu ruhen. -</p> - -<p> -Gelmini war aus Salurn und melodisch wie ein Glockenspiel. -Ihre Achseln schienen wie mit Blütenfäden an ihren -Körper gefügt, und an der Art, wie sie den Arm nach der -Stiegenrampe ausstreckte, und an ihrem Gang konnte -Marie sich nimmer satt sehen. So schritt wohl Julia, als -Romeo sie zum erstenmal erblickte. Und wenn Livia: „<span class="antiqua">il -gallo, la primavera, la catena</span>“ sagte, dann schwärmte -Maries Herz wie ein bunter Schmetterling in der Sonne. -Mit Livien, die erst neun Jahre alt war, hätte sie verkehren -können, aber sie gefiel ihr zu gut, und wo sie bewunderte, -zerfloß sie in Verehrung. In Wirklichkeit wollte -sie weder von Puppen noch von Freundinnen etwas wissen, -und mit Vertraulichkeiten war ihr nicht gedient. Sondern -sie wollte höhere Wesen, die sie ihrer enthoben. Und angesichts -jener vier reizvollen Gestalten, die sie so früh verlieren -und sterben oder scheiden sehen mußte, war sie viel -mehr einem Zustand als Gefühlen hingegeben. Sie sprach -<a id="page-48" class="pagenum" title="48"></a> -nie mit ihnen und suchte nie von ihnen beachtet zu werden, -nur in der Nähe, im selben Zimmer mußten sie sein; sie -mußte sie alle vier sehen können, wenn sie den Kopf -wandte; dann nur war ihr Kloster ein schöner, gewählter -und träumerischer Ort. -</p> - -<p> -Mit ihnen schwand alle Poesie aus Maries klösterlichem -Leben; sie stak von neuem in Grübeleien, wie in -ödem, verwirrendem Sande, langweilte sich und sehnte sich -fort. Zudem wurden alle ihre Bücher, die sie gerne vorschriftswidrig -in ihrer Schublade aufgeschlagen hielt, der -Reihe nach konfisziert, und ehe sie sich versah, stand sie als -Verkörperung der Insubordination von allen Zöglingen -abseits. Alljährlich feierte man in ihrem Kloster das sogenannte -Königsfest, bei dem sich das ganze Pensionat in -einen Hofstaat umwandelte, und jeder Zögling, von der -Königin herab zu den Köchen und Kaminkehrern, je nach -Verdienst, seine Charge erhielt. Die ersten Jahre stand -Marie als Page, in Korkzieherlocken und Goldreif, einen -ganzen Tag hindurch stumm, doch voll Entzücken, in der -Königin Dienst. Es war Irene Angermaier, in Silbergaze -und königlicher Krone. Aber später wurde ihr dies reizende -Fest verleidet: In einem schief aufgesetzten, viel zu kleinen -Schäferinnenhut und einem zu engen grünen Tarlatankleid -(denn es hatte als ehemalige Balltoilette eine Taille, und -sie noch lange nicht) spazierte sie als „königliche Lectrice“ -mit einem Riesenbuch, allein und tödlich verlegen, hinter -den Landgräfinnen einher, und wenn im <span class="antiqua">cortège</span> die Reihe -an sie kam, tanzte der Hofnarr in seiner roten Schellenkappe -vor ihr her und verkündete ihre Streiche. Nun pflog -<a id="page-49" class="pagenum" title="49"></a> -sie zwar über die Weltordnung allerlei Separatanschauungen, -doch für das Maß ihrer eigenen Missetaten fehlte -ihr jedes persönliche Gutdünken, und sie schämte sich über -Gebühr. -</p> - -<p> -Aber dafür war die freie, herrliche Welt der Tummelplatz -aller Freiheiten, und ihr Herz schlug hoch, als die -schweren Klosterriegel auf immer hinter ihr zufielen. -</p> - -<p> -Das Leben präludiert meist anders, als es verläuft. In -der Tat: so unglaublich es ihr selber erschien: einen Monat -später durchschwärmte sie, frei wie ein Waldestier, eine -Mondnacht um die andere in den Bergen und kampierte -am offenen Feuer wie ein Zigeuner. Was hätte sie gesagt, -die würdige Mère Supérieure, die ihre Uhr nach den -Hühnern richtete? – Da hing Maries Disziplin am hohen -Klostergiebel, als leeres Fähnchen zurückgeblieben. -</p> - -<p> -Folgendes müssen wir ihren eigenen Aufzeichnungen entnehmen: -</p> - -<p> -Es war zur Sommerszeit in den bayrischen Bergen, -als uns vier Kinder die Wanderlust zum erstenmal ergriff. -Aber der Tag ließ uns nicht weit genug gelangen; so rüsteten -wir uns sorglich auf einen längeren Streifzug aus. Daß -uns gerade nur so viel Geld bewilligt wurde, um vierundzwanzig -Stunden fernzubleiben, kümmerte uns nicht. -</p> - -<p> -Erst als der späte Nachmittag verglühte, traten wir -vor. Bald rauschte dann im Mondlicht der Fluß uns zur -Seite, und schneeweiß zog sich die Straße den bewaldeten -Felsen entlang. Jeder Stein, der im Flusse die Wellen zurückwarf, -die Kiesel am Wegesrand, ja das zertretene -Gras am Ufer schienen verklärt. Und wenn sich in dem -<a id="page-50" class="pagenum" title="50"></a> -mondlichen Schweigen der Schrei eines Tieres entrang, -durchzitterte ein ewiges Glück die schimmernden Mulden. -</p> - -<p> -Immer leichter trugen uns unsere Schritte voran! Immer -eifriger berieten wir die Möglichkeiten einer einstigen großen -Erbschaft, und in der großen Bergesstille schallte unser -lautes Gelächter. -</p> - -<p> -Als die Lichter der „Fall“ vom anderen Ufer herüberleuchteten, -hielten wir Rat: denn aller Spaß wäre zu Ende -gewesen, hätte unserem Auftreten etwas von dem hohen -Ansehen gefehlt, von dem wir selbst so sehr überzeugt waren. -So betraten wir, stets fremde Sprachen untereinander -führend, das alte Gasthaus, bestellten ein wohl ausgeklügeltes, -sehr zimperliches, aber sehr billiges Essen, gaben -dann vor, einer Wette halber die Nacht in keinem Hause -verbringen zu dürfen, und griffen, mitten in der Nacht, mit -großer Eile nach unseren Stöcken. Der Eindruck war nach -Wunsch: die paar Reisenden und das Personal standen -neugierig an der Türe, eine alte Dame protegierte, die -Wirtin bewunderte uns, der Förster zog seine Pfeife weg -und wies uns den Weg, und von freundlichen Zurufen -verfolgt, von der alten Dame gewarnt, drangen wir in den -Wald, und weiter hinein in die „Riß“. Den Tag verschliefen -wir auf Almen oder Bergeskanten. Kamen Stürme, so -äfften wir sie. Von den Felsen geschützt, apostrophierten -wir das finster fliegende Gewölk und begrüßten die Donnerschläge -mit dröhnendem Gelächter. -</p> - -<p> -In der Folge dehnten wir unsere Touren immer stattlicher -aus. An einem Herbsttag kamen wir vom Achensee -und wollten über den Schildenstein zurück. Die Alm war -<a id="page-51" class="pagenum" title="51"></a> -geschlossen. Da liefen wir in der Dämmerung den Kanten -des Blauberges entlang, drangen durch das Fenster in eine -leere Hütte und machten uns Feuer. Aber draußen lockte -die Nacht, lockten die in Mond getauchten Tiefen des -Achentales und der silberne See. Unbeweglich wie Berggeister -saßen wir, in unsere Mäntel gehüllt, vor unserer -Alm. War es Ahnung oder Müdigkeit, die uns verstummen -ließ? Die Welt mit ihrem Spiel riesiger Schatten und frohlockender -Höhen atmete Gesang, aber die Leier unserer -Freuden schwebte zerrissen über uns. -</p> - -<p> -Bald standen wir wie ein Häuflein, das ohne den Führer -trübe zerfällt. Der große Zauber jener Wanderungen hing -an einem romantischen, 19jährigen, höchst merkwürdigen -Wesen, in dem kein Raum war für Pandorens Trug. -Reinste Vernunft gebot hier jeder Unruhe, und die Erkenntnis -überstrahlte den Wunsch. Aber nie vorher hatte sich so -hohe Weisheit mit solcher Grazie umkleidet und die Taue -eines so unschuldigen Lebens gelockert. In dieser fast morbiden -Erscheinung mit dem unbeschreiblichen Relief ihrer -bangen Umrisse blieb alle Schwäche ausgeschieden, war -alles Schönheitssinn und Stil. Zuletzt sind Linien, die uns -fesseln, solche, an die wir uns nicht gewöhnen, und stete -Neugier erregte diese schmale, ernste Stirne mit den hochgezogenen -Brauen, die fast leichtsinnige Anmut des kleinen -Ovals, das eitel gesteckte Gold der Haare, und dabei die -männliche Zurückhaltung in den durchdringenden Augen. -So glich die Mischung ihrer psychischen Elemente der Stimmung -eines herrlichen, aber zu zarten Instrumentes; und -so ließen sich ihre Anforderungen an ein Leben, an das sie -<a id="page-52" class="pagenum" title="52"></a> -nicht glaubte, nicht herabdrücken, und mit allen Fasern zog -sie sich von ihm zurück. -</p> - -<p> -„<span class="antiqua">La mort est bête</span>“, sagte Gambetta. „Aber der Tod -überblickt Zusammenhänge, und das Leben ist befangen. -In unserer Existenz wähnen wir unser Wesen erschöpft, -währenddem die Grundlagen neuer Individualitäten schon -in uns dämmern, neue Lebensformen unserer harren mögen. -Allein einzig ist der Mensch als Kunstwerk! Und mit -Grauen erfahren wir, daß es Wesen gibt, die, köstlichen -Schalen gleich, einmal zerschlagen, der Natur nicht wieder -gelingen.“ -</p> - -<div class="excerpt"> -<p class="noindent"> -Wie der Seekranke vom Schiff im ersten Morgengrauen -nach der Küste späht, so sehnt man sich oft nach -dem Tode – man weiß, daß man den Gang und die Richtung -seines Schiffes nicht verändern kann. -</p> - -<p class="attr"> -Nietzsche. Nachgelassene Werke. -</p> - -<p> -Ob wir wollen oder nicht, wir werden am Ende alle -katholisch. -</p> - -<p class="attr"> -Moltke. -</p> - -</div> - -<p class="noindent"> -Als Marie heranwuchs, wurde ihr der Ernst so widerwärtig -wie früher das Leiden. Von den beiden Philosophen, -von welchen der eine die Welt ewig weinenswert, der andere -sie ewig komisch fand, hatte nur der letztere ihren Beifall. -Denn wer sich über eine Welt, gegen die er nichts vermochte, -Sorgen machte, der war in ihren Augen ein Narr. Man -lebt nicht lange, also lebe man, ohne zu denken. Allein ihren -Theorien zum Trotz erhoben sich die Gedanken wie ein -brennender Wüstenwind in ihrem kindlichen Gehirn. Da -faßte sie eine tiefe Abneigung zu Menschen ihrer Art. Mädchen -ihres Alters umging sie in weitem Bogen, aber das -<a id="page-53" class="pagenum" title="53"></a> -Zusammensein mit schönen verwöhnten Frauen, im Kreise -weltgewandter Männer, wurde ihr Paradies. So geriet -sie sehr früh in eine Clique welterfahrener, mächtiger und -verfeinerter Leute, die sich täglich sahen, in deren Vertraulichkeit, -die keine war, das Herz fast keine Rolle spielte, sondern -mehr das Behagen, und deren Denkprozeß bei oft -interessanter Begabung ein geringer blieb. Aber gerade dies -fand sie bezaubernd. Das Leben war es wohl wert, zur Kunst -erhoben, erheitert zu werden, und die Sorglosen waren die -Lieblinge, die Nachdenklichen nur die Frondiener der Götter. -</p> - -<p> -<em>Jene</em> also waren die überlegenen und vollkommeneren -Menschen. Ach und das ferne, freundliche Mitgefühl, mit -dem sie eine eben ereignete große Katastrophe, einen Brand, -ein Eisenbahnunglück besprachen, vollends die Art, mit der -sie dann das Thema wieder fallen ließen, entzückte, ja betäubte -Marie. Und die Ironie, mit der sie gesprächsweise -die Erbärmlichkeiten des Lebens streiften, – nur streiften! -schien ihr das Nonplusultra seelischer Eleganz. -</p> - -<p> -Diese siegreichen Typen schieden in ihren Augen alle entwürdigenden -Grausamkeiten, alle Häßlichkeiten aus, alles, -was sie haßte, woran sie nicht erinnert werden wollte. -</p> - -<p> -Denn es lag ihr so sehr am Leben! Es schien ihr so kostbar, -so begehrenswert. Sie liebte, ja in dem höher potenzierten -Menschen vergötterte sie es; aber die <em>Freude</em> war -das Gesetz, nach dem er wandeln sollte. -</p> - -<p> -Aber ach! die Freunde ihrer Wahl, in deren Oberflächlichkeit -sie schwelgte, deren Lächeln sie beruhigte, an deren -Leichtsinn sie ihr Gemüt sonnte wie ein Kranker im Mittagsscheine, -sie hinderten ja nicht, daß ihre Gegensätze -<a id="page-54" class="pagenum" title="54"></a> -bestanden. Ihr Genuß löschte keine Qual, war nur ein Kontrast -– kein Ersatz – nur ein Widerspruch mehr! Empfindungen -von solcher Mannigfaltigkeit konnten sie da überwältigen, -und der Andrang ihrer Gedanken im Verhältnis -zu ihren noch kaum entwickelten Fähigkeiten sich so mächtig -steigern, daß vor innerer Erregung ihre Zähne zusammenschlugen -und ein lauerndes Angstgefühl sie immer deutlicher -beschlich. -</p> - -<p> -Zu ihren Freunden hatte sie indes eigentümlich Stellung -genommen: zu jung, um noch zu zählen, störte sie niemanden; -die Frauen litten sie gern, ja die schönste von ihnen zog sie -zu den Zusammenkünften, die täglich bei ihr stattfanden, -und hielt sie wie eine Art von Pagen. In der Tat hatte -Marie der Schönheit gegenüber eine huldigende Art, ein -Gefühl des Ausgefülltseins und Verlorengehens, ein Stillstehen -ihres Selbst zu einem Atom, das nicht Schwärmerei -war, sondern Glück. -</p> - -<p> -Eines Tages hatte sie sich verspätet, die Besucher waren -fort und ihre Freundin allein. -</p> - -<p> -Durch das alte, gemalte Scheibenfenster umwob sie der -goldene Staub der sinkenden Frühlingssonne. Sie lag, den -Kopf zurückgeworfen, ausgestreckt und rauchte eine Zigarette. -Nichts dächte man, was in diesem Anblick klassische -Erinnerungen weckte. Was hielt nun Marie vor einer der -schönsten Gestalten ihrer Zeit unbeweglich, wie geblendet, -an der Schwelle zurück? Sie sah Helden verbluten, Troja -im Schutt und Hektor erschlagen, und wie von einem plötzlichen -Schein entrückt, faßte sie das ewige Relief dieses -flüchtigen Lebens. -</p> - -<p> -<a id="page-55" class="pagenum" title="55"></a> -Aber der Mensch war ihr, was dem Künstler die Kunst, -und ihr Wohlgefallen war ein Meer der Ruhe. Und dieser -eine göttliche Funke in ihr schuf ihr Beziehungen, baute ihr -Brücken, die lustig funkelten wie Regenbogen. -</p> - -<p> -Allein nicht nur vergessen und sich verlieren wollte sie, -sondern die Art ihrer Salonolympier sich aneignen und -nachahmen. Stets schwärmend, haßte sie Exaltation, und -Kälte des Herzens war in ihren Augen Weisheit. -</p> - -<p> -Es ist ja eine Tatsache, daß nicht die Eigenschaften selbst, -sondern ihr Reflex es ist, der uns besticht, und nicht der -Wert, den man besitzt, sondern den man verausgabt. Hierin -beruht der Reiz gewisser typischer Genußmenschen. Sie erwecken -Illusionen, weil wir ihnen mehr zugute halten, als -sie veräußern, manchmal mit Recht, und manchmal nicht. -Es sind die Reichen, die kein dunkler Stachel der Entbehrung -hindert, ihre Empfindsamkeit ohne Rest auszuleben, -und von denen geschrieben steht, daß sie das Himmelreich -so schwer erlangen, denn es leidet Gewalt. -</p> - -<p> -Und doch konnte sie nicht umhin, das Leiden als einen -Mißstand, die Entsagung nicht als eine Bestimmung des -Menschen zu betrachten, und wenn sie glückliche Naturen -so sehr liebte, so war es, weil sie ihre Berechtigung anerkannte. -Dieser Glaube saß ihr im Blute, er wuchs und -lebte, er zehrte an ihr. In ihrer eigenen Zerrissenheit erblickte -sie einen untergeordneten Zustand, weil sie fühlte, -wie dies Übergreifen ihrer Individualität nichts anderes -aus ihr schuf, als einen heiseren Mißton, der jede Saite -erzittern ließ, der keinen Klang ausschied und keinen unvermischt -behielt. Die Röte stieg ihr dann wohl auf, wenn sie -<a id="page-56" class="pagenum" title="56"></a> -der eigenen Maßlosigkeit gedachte, ihres übertriebenen Gebarens, -noch vor einer Stunde, als sie in Voltaires Geschichte -Karls XII. von Peter dem Großen las, der seine -Kosaken so unentwegt, nach Tausenden rädern ließ. Gleich -einem scheugewordenen Tiere war sie da mit dem Kopf -gegen die Wand gestoßen, wie um eine solche Tatsache aus -ihrem Bewußtsein zu löschen. Denn aller Jammer, der -solche Greuel deckt, war da vor ihren Blicken aufgestiegen, -und ungestüme Todessehnsucht ergriff sie vor dem Bilde -einer so schmerzbefleckten Welt. -</p> - -<p> -Bei solcher Gemütsart mag es eigentümlich erscheinen, -daß sie die Religion so ganz abseits ließ. Allein sie war ihr -durch das Kloster zu sehr entfremdet worden. Das Breittreten -großer Mysterien hatte nur ihren Widerwillen, später -ihre Gleichgültigkeit hervorgerufen, und weiter ging das -Senkblei ihrer Messungen nicht. Es ging ihr wie so vielen. -Daß wir einem Glauben, in dessen tiefste Geheimnisse wir -als kleine Kinder eingeweiht werden, eines Tages ungeduldig -den Rücken kehren, ist ja ungefähr das Naheliegendste, -was es gibt und erfordert spottwenig Geist. Und -wie tief drang jener Rat Goethes in Wilhelm Meister, den -Knaben die Mysterien des Neuen Testaments bis zum -Jünglingsalter vorzuenthalten um der notwendigen Verstümmelung -ihrer Eindrücke vorzubeugen? Christus wählte -reife Männer zu seinen Zuhörern, und wie summarisch verstanden -ihn selbst die! -</p> - -<p> -Jene Verstümmelung ihrer Eindrücke nun hatte Marie -erfahren. Christus war ihr ein furchtbares Rätsel geworden, -eine unverständliche Gestalt, der Widersprüche voll, der -<a id="page-57" class="pagenum" title="57"></a> -Umrisse bar, zu der sie keine Fühlung gewinnen konnte und -die sie bedrückte. -</p> - -<p> -Und jene dunkle, unbestimmte Furcht umzingelte sie -immer näher mit unruhigen Schatten. Bald mied, bald -erforschte sie im Spiegel ihre scheuen, trostlosen Blicke. -In den Dissonanzen ihres Innern sah sie keine Lösung, keine -Lichtung für einen Strahl des Gleichgewichts, und wie -der Sturm auf schwarzem Geball, so jagte das Gespenst -des Wahnsinns auf dem Getürme ihrer Gedanken und Empfindungen, -die ungeschieden ineinander wogten; wie ein im -Stimmen begriffenes Orchester, in dem Violinen, Hörner -und Baßgeigen die unzusammenhängendsten Läufe und -Motive wirr ineinandertönen. Nur indem sie stets zu den -heiteren Seiten des Daseins flüchtete, glaubte sie Ruhe und -Rettung zu finden, und glich so einem in Brand Gesteckten, -der vor der Flamme davonläuft und sie dadurch nur entfacht. -Sie las grundsätzlich keine ernsten Bücher mehr und -ging nie in ein Konzert. Einzig französische Musik vermochte -sie zu zerstreuen. Ihr entströmten, wie Wohlgerüche -aus unnachahmlicher Phiole, die Kundgebungen nationalster -Grazie und Form, und sie schlürfte den Tau französischen -Geistes, wie durchsickert von seiner Vollendung. Denn -sie liebte feste Umrisse, und der Zauber einer Rasse lag -für sie in deren Geschlossenheit. Das Feine gewährte ihr -mehr Befriedigung als das Große, weil sich in ihm das -Wohlgefallen ohne Stachel erschöpfte. So abhold sie jedoch -dem Leben gegenüber jeder Gründlichkeit war, in der -Kunst verletzte sie die Oberflächlichkeit, ja sie erschien ihr -gemein. Und hierin allein mochte sie es nicht mit ihren -<a id="page-58" class="pagenum" title="58"></a> -Freunden halten, deren Stellungnahme gewissen Dingen -gegenüber sie verdroß. Denn sie fühlte die gänzliche Bezugslosigkeit -der Frivolität zu allen höheren Gebieten. Aber -hier wie da gelangten nur flüchtige und heftige Stimmungen -bei ihr zu Atem, und es lag etwas Chaotisches in der -Gleichzeitigkeit ihrer oft ganz entgegengesetzten Empfindungen. -</p> - -<p> -Übrigens mußte sie doch bald einsehen, daß ihr alles -nichts half. Sie mochte ihre Freunde noch so sehr bewundern, -die Ansichten des einen, den Tonfall und das blasierte -Lachen eines anderen, die Persiflage eines dritten nachahmen, -schwärmen und kopieren, kopieren und schwärmen, -sie wurde ihnen nicht ähnlich. Zwar wollte auch sie zu -denen gehören, welche ihre Herzen abrichten, ihre Eindrücke -assimilieren, nicht ihnen nachhängen – ja, aber sie stürmte -nicht, wie ihre Freunde, in die weite Welt! Für sie segelte -kein Schiff auf die herrlich freien, hohen Wogen des Lebens, -sie stand am Gestade, und der Gedanke an ein ruhiges, -gleichförmiges Dasein erfüllte sie mit Verzweiflung. -</p> - -<p> -Denn das Element, die Atmosphäre, in der ihre Seele -lebte, war die Welt der Eindrücke; wo diese fehlten, stagnierte -ihr Inneres wie ein Sumpf, und ihre Züge wurden -stumpf und leblos vor den Augen derer, die entweder kein -Gefühl oder kein Interesse in ihr erweckten. -</p> - -<p> -Ein einziger in jener Gesellschaft, die ihr Eldorado -war, hatte sie durchschaut. – Er trug seiner romantischen -Erscheinung halber den Spitznamen Alfred de Musset. -Sein Gesicht war <span class="antiqua">en face</span> gesehen schön und zauberhaft -jung, das Profil niederträchtig, die Gestalt bei äußerlicher -<a id="page-59" class="pagenum" title="59"></a> -Eleganz von schlechter Rasse, die Hände unsympathisch. -Seine Begabung, in ihrer Art ungewöhnlich, war <span class="antiqua">à fleur -de peau</span>. Dabei gehörte er zu jenen Menschen, welche den -Geist der anderen auf das lebhafteste anregen und in -Schwung versetzen. In seiner Gegenwart beherrschte sich -die schüchterne Marie vollkommen. Sie drückte sich frei -und unbefangen aus, und die Worte standen ihr für alle -ihre Einfälle zu Gebot. Dies erhöhte nur ihre Gereiztheit, -denn genau so, wie sie sich im Zwiegespräch mit ihm zeigte, -wäre sie gern vor ihren anderen Freunden erschienen, die -nur beiläufig auf sie achteten und die ihr so gut gefielen. -Sie glaubte sich an ihm rächen zu müssen, indem sie es -ihm ins Gesicht sagte, und ihm alles vorwarf, was ihr -an ihm mißfiel: von seinem Profil bis zu seinem dekadenten, -mehr in die Tiefe als in die Breite gehenden Verstand. Er -ließ sie reden – ihr aber schien ihr eigenes, merkwürdiges -Verfahren höchst angebracht und loyal, und indem sie ihm -ihre Abneigung gestand, ja klagte, glaubte sie den so anregenden -Verkehr mit ihm aufrechthalten und nach Wunsch -gestalten zu können. -</p> - -<p> -Aber die Nachwirkung blieb stets dieselbe, die Abneigung -für ihn steigerte sich ins Unerträgliche, und genau so ehrlich, -so akut, wie sich sehr junge Leute verlieben, war sie in -ihn verhaßt. -</p> - -<p> -Eines Tages brachte er ihr die frühen, verträumten -Lieder Debussys auf Gedichte Baudelaires, und von der -schwülen Atmosphäre dieser Musik halb gehoben, halb -betäubt, sprach sie sich da so manche Last so leicht vom -Herzen: ihre Scheu vor tiefen Problemen und die heimliche -<a id="page-60" class="pagenum" title="60"></a> -Qual großer Musik. Und wie von fernem Ufer sah sie -ihn da aus der Tiefe ihrer Verlassenheit an und lächelte -ihm zu, weil er ihr vom Hauche des Frühlings umweht -erschien wie ein blühender Zweig. -</p> - -<p> -Er aber sagte ihr tröstliche, schmeichelhafte Dinge, für -welche sie, aufatmend, naiv genug war, ihm zu danken; -denn er wollte einen Einfluß über sie gewinnen, nicht aber -sie erfreuen. In demselben Tone weiterredend, änderte er -da auf der Stelle seine Taktik; ohne daß sie seine Absicht -merkte, entstellte, verzerrte er das Bild, das er noch eben -von ihr malte. Sie horchte entsetzt und sah nicht, daß er -es war, der sich nun rächte. Ihr war als stürzten die -Balken eines Gerüstes über sie zusammen, als hörte sie -den endlichen Schlag einer lang lauernden, elenden Stunde, -den Weckruf finsterer Vögel. -</p> - -<p> -„Den Wahnsinn, dem Sie verfallen sind, ahnen Sie -ja längst“, sagte er. – Aber ein mutigeres, stärkeres -Wesen schien da plötzlich in ihr zu erstarken, sie von seinen -Drohungen freizusprechen, zu beschützen. Dieselbe Fähigkeit, -aus dem Stegreif zu erfassen, zu überblicken, sich auszudrücken, -verlieh er ihr auch jetzt; doch als er lächelnd, -mit begütigenden Worten, Abschied von ihr nehmen wollte, -hielt sie ihn schnell zurück: „Dies Haus gaben Sie mir ein -Recht, Ihnen zu verbieten“, flüsterte sie, und wie Liebende -in ihrer ersten Umarmung, so war sie durch die endgültige -Trennung von ihm an das Ziel ihrer Wünsche gelangt, -und Haß und Widerwille waren erloschen. -</p> - -<p> -Es gibt Momente, in welchen der Mensch den Charakter -seines Lebenslaufes so klar und nüchtern erschaut, -<a id="page-61" class="pagenum" title="61"></a> -daß, Maeterlincks kühner Hypothese gemäß, die Zukunft -mit der Klarheit der Vergangenheit an ihn herantritt. -Warum erkannte da Marie gerade jetzt, als sie dem Manne -nachblickte, daß auf Jahre hinaus alles, was sich ihr bieten, -sich verkehrt zu ihr stellen mußte, und daß sie alle Früchte -verdorren sehen oder zur Unzeit brechen würde? -</p> - -<p> -Indessen stand das Haus, in dem alle Freuden ihres -Lebens blühten, unversehens leer, ihre Freunde zogen fort, -und ihr Zaubergarten versank. Ach, auf so winzige Veranlassungen -hin konnte dort die Schale ihres Glückes überströmen, -denn mächtiger als in allen Mandelblüten des -Südens, als in allen Fliederbüschen des Nordens rauschte -der Frühling in ihrem Herzen. Sie sah nun zu den verödeten -Fenstern empor, und litt um so mehr, als sie nicht -leiden wollte, nicht fliehen, an toter Stätte nicht vergessen -konnte. -</p> - -<p> -Daß unser Leben zwar lange nicht so spannend, aber -in seinem eigentümlichen Verlauf unwahrscheinlicher ist -als der kühnste Roman, diese Bemerkung ist ja nicht mehr -neu. Aber was uns in unsere Bahn lenkt, tritt in der Regel -nicht ominös, sondern leicht und mit nichtssagender Miene -in unseren Weg. Die Wendepunkte des Lebens liegen im -Tal, im aussichtslosen Dickicht und Gestrüpp. Marie erhielt -Besuch aus Neuyork in Gestalt eines jungen, reichen -und verwöhnten Mädchens. Es war eine jener zu rasch -erfolgten, atemlosen und überhitzten Kulturen, ohne Verweilen, -ohne Gemütlichkeit und ohne Humor. Ihr Geist -war stärker als ihre Persönlichkeit. Sie kampierte auf einer -weißen, großartigen Wolke und schien mit ihrem stets in -<a id="page-62" class="pagenum" title="62"></a> -die Ferne gerichteten Blicke über ideelle und allgemeine -Interessen das Einzelne und Persönliche aus den Augen -verloren zu haben. Dabei aber war dieser „spiralähnlichen“ -Begabung ein ausgesprochener Stich ins Erhabene zu -eigen. Und wie sich sehr hervorragende psychische Veranlagungen -oder Eigenschaften häufig in einer körperlichen -Linie widerspiegeln und nach sichtbarer Gestaltung -drängen, so verriet sich die hohe Unterscheidungsgabe dieses -zu farblosen und abstrakten Geistes in einer eigentümlichen -Hoheit der Haltung und der Gestalt, in einer unvergleichlich -edlen Kurve ihrer Achseln, und – man lache nicht – -in dem idealen Glanz ihrer träumerischen Flechten. Äußerlichkeiten -waren es denn auch, die Marie mit ihr versöhnten. -</p> - -<p> -„In jeder Menschenseele wohnt das Bedürfnis, sich -groß zu machen, und auch das Bedürfnis, sich klein zu -machen.“ Marie, welche Verherrlichungen ihrer eigenen -Person mit fast kindlicher Freude entgegennahm, trieb eine -gewisse Bescheidenheit wiederum so weit, daß es ihr unmöglich -wurde, ein ihr dargebrachtes Gefühl sich wirklich -vorzustellen, noch zu begreifen. Entweder suchte sie den -Grund dafür in irgendeiner Lücke, einer untergeordneten -Beschaffenheit des Betreffenden, oder sie fand überhaupt -nicht den Mut, daran zu glauben. So verwirrte sie jetzt -die entschiedene Gunst, die ihr von der jungen Fremden -zuteil wurde, um so mehr, als sie viel zu unerfahren -war, um sie richtig zu taxieren. Die wenigen Tage ihres -Aufenthaltes gestalteten sich übrigens auf die denkbar -angenehmste Weise. Marie kam zum erstenmal mit den -<a id="page-63" class="pagenum" title="63"></a> -berühmtesten Leuten ihrer Zeit zusammen und saß stumm, -doch hoch erregt, mittags mit ihnen zu Gaste und abends im -Theater. Zwischendrin allerdings wurde sie von Honorien, -ihrer neuen Freundin, in Zwiegespräche hineingezogen, die -ihr gar nicht entsprachen. Hohen, übersichtlichen Besprechungen -war Marie nicht gewachsen, und selbst wo -sie diese zu verfolgen vermochte, geschah es mit Widerstreben. -Denn philosophische und künstlerische Probleme -schienen ihr zu so gewohnheitsmäßiger Erörterung nicht -geeignet, Honoria aber besprach nie Alltägliches, selten -und nur von ferne Personalien. Bei aller Herzlichkeit lag -etwas so Unnahbares, Unpersönliches in ihrem Wesen, -etwas so Indirektes und Ferngerücktes in ihrem Blick, -daß Marie immer den Eindruck hatte, als sähe sie jene -nicht selbst, sondern statt ihrer ein Schemen, das ihr gefiel. -</p> - -<p> -Am Morgen der Abreise ging Marie zu ihr. Es war -ein lauer Sommertag. Honoria empfing sie mit offenen -Armen und schickte den Wagen fort, um die Strecke zur -Bahn zu Fuß mit ihr zurückzulegen. Alsbald war denn -auch eines jener Gespräche im Gange, die Marie so sehr -langweilten. Sie seufzte und sah zerstreut auf die staubigen -Bäume, zum weichen, herbstlichen Himmel empor. -„Gott sei Dank,“ dachte sie, „sie geht.“ -</p> - -<p> -Aber schon am folgenden Morgen kam ein fingerdicker, -in der Eisenbahn geschriebener, französischer Brief, der -nichts weniger enthielt, als die Fortsetzung der allzu umfassenden -Philosopheme, welche Honoria auf dem Weg -zur Bahn entworfen hatte. Nicht einen Augenblick länger -wollte jedoch Marie eine solche Komödie aufrechthalten. -<a id="page-64" class="pagenum" title="64"></a> -Das „Du“ ignorierend, das in jenem Briefe geführt wurde, -schilderte sie sich selbst so, wie sie war, mit ihrem wirklichen, -mit ihrem grundsätzlichen Mangel an Interessen, und die -gänzlich verschiedene Richtung, welcher sie ihrer Natur -nach angehörte. Somit galt ihr diese Episode als beendet, -und sie war nicht wenig überrascht, als Honoria, welche -die Dinge von oben nahm, sie in einem noch dickeren Briefe -eine Spartanerin nannte und nunmehr den Verkehr so -rege gestaltete, als lebten die beiden Mädchen in benachbarten -Städten, nicht in getrennten Erdteilen. Marie wurde -der Gegenstand fortwährender Sendungen und Geschenke. -Bald kamen persische Lieder in köstlichem Pergamenteinband, -mystische und philosophische Werke, eingerahmte -Gravüren in hohen Kisten, und sie hatte vollauf zu tun, -um nur die Zeitschriften durchzusehen, auf die sie sich mit -einemmal abonniert sah, und sich von all den Büchern in -Kenntnis zu setzen, die ihr bald direkt, bald durch Buchhandlungen -zukamen. – Sie tat es denn auch mehr aus -Erkenntlichkeit, denn aus Neigung. -</p> - -<p> -So verging ein Jahr. Da erhielt sie in den letzten -Septembertagen unerwartet einen Brief mit dem Homburger -Stempel. Honoria war infolge einer durch Überanstrengung -erfolgten Krankheit zur Erholung dorthin befohlen -worden und sollte nach beendeter Kur schleunigst -nach dem Süden. Da ihr der Umweg zu ihr nicht gestattet -war, bat sie nun dringend um ihren Besuch. Marie -sah diesem Wiedersehen mit Interesse entgegen; besonders -freute sie sich auf das Treiben eines so berühmten Kurortes -und ließ sich durch die Jahreszeit in ihren Erwartungen -<a id="page-65" class="pagenum" title="65"></a> -nicht beeinträchtigen, denn in Homburg, wollte sie wissen, -gab es das ganze Jahr hindurch schöne und interessante Leute. -</p> - -<p> -Honoria, die ihr einige Tage später auf dem Frankfurter -Bahnsteig entgegeneilte, erschien ihr noch höheren, -noch edleren Wuchses als vordem. Trotz der Modernität -ihrer Kleidung war die Zeichnung ihres Kopfes, die Linien -ihrer Gestalt erhebend wie ein antiker Fries. Ihr Anblick -rührte die leichtbewegte Marie. Sie freute sich, den -heißen, staubigen Zug zu verlassen und die letzte Strecke -in dem offenen Wagen zurückzulegen, der vor dem Bahnhof -in der Sonne wartete, durch Frankfurt, das sie nicht -kannte und in der frischen, schimmernden Luft nach Homburg -zu fahren, und sie freute sich, daß sie gekommen war. -Allein schon unterwegs empfand sie die alte Ungemütlichkeit, -die alten Strapazen dieses Verkehrs. Honoria schien -in ihrem Element, wenn ihre Gedanken gleichsam in der -Luft hingen; Marie hingegen war gänzlich real, und ihr -Idealismus galt dem Leben. Oh, wie erschrak sie über den -Anblick, den ihr Homburg gewährte! Von Massen welkenden -Laubes bedrückt, starrten die leeren Alleen, starrten -verödete Gärten und Villen. Honoria rühmte ihr die große, -wohltuende Stille des sonst so geräuschvollen Ortes. Die -Villa, welche sie ganz allein mit ihrer Gesellschafterin und -einer Kammerfrau bewohnte, war die Dependance des -einzigen Hotels, das, wahrscheinlich ihr zu Ehren, noch -nicht geschlossen war. Marie erbleichte. Ihr Herz sank. -Sie haßte das ausschließliche Zusammensein mit Damen! -Sie sah keine Anregung, keinen Sinn in einem einschichtigen -Verkehr, und er langweilte sie auf die Dauer zu Tränen. -<a id="page-66" class="pagenum" title="66"></a> -Ein Leben, das auf ein Weilchen das Ideal eines geistig -und gesellig überanstrengten Menschen sein mochte, war -nur ein Alp für das zerstreuungssüchtige Mädchen. -</p> - -<p> -Honoria lag des Morgens meist mit schon ganz erschöpften -Zügen zu Bett; hatte vor Tagesanbruch ihre -Korrespondenz erledigt und Emersons Essays oder die -Briefe des hl. Paulus gelesen. Sobald sie aufgestanden -war, drang Stunden hindurch der hartnäckige Lärm der -Schreibmaschine durch die stillen Zimmer. Vor dem öden -Klippklapp floh Marie ins Freie und strich durch die -toten Straßen Homburgs, oder verlor sich in einer Anwandlung -von Schwermut in den großen Park. Früh -am Nachmittag harrte dann die leichtgeschirrte Viktoria, -und Marie freute sich der langen Fahrten durch den goldenen -Taunus. Aber als der Oktober seinem Ende zuneigte, -litt sie bei dem Anblick des sterbenden Laubes, der -finster welkenden Natur. Ihr war, als fielen ihr die gelben -Blätter aufs Herz, und ihr Auge lechzte nach einem grünen -Zweig, nach einem blühenden Fleck inmitten des ungeheuren -Grabes, das sich bereitete. Sie begriff die Schönheit des -Herbstes, Honoriens Freude daran nicht. Was der Augenblick -verhieß, nicht was er bot, nicht der Sonne zärtliches -Verweilen, ihren Scheidegruß vernahm sie allein. Und -wenn der Wagen in der Dämmerung durch einen Dom -welker, seufzender Bäume fuhr, so umlauerten sie, wie einst -die Elfen des Erlkönigs Sohn, des Verfalles grausame -Schatten und entwanden ihr das Herz. -</p> - -<p> -Zu Hause kam dann der lange Abend mit Shakespeares -und Brownings Gedichten; aber sie fing an, alle Bücher -<a id="page-67" class="pagenum" title="67"></a> -zu hassen. Wohl konnte sich ihr Blick flüchtig beleben, wenn -Honoria duftend und geschmückt, gleich einer hellen Wolke, -ihrem Zimmer entschwebte, sonst aber saß sie oft stundenlang -mit ihrer Stickerei still am Fenster, und nach den einfältigsten -Bemerkungen mußte die sonst so Gesprächige -ringen. Gern folgte sie Honoriens Aufforderung, zu musizieren. -Allein die Töne brachten das Echo ihrer Langeweile -mit quälender Steigerung zu ihrem Bewußtsein, und schlaff -und zerstreut endete ihr Spiel. -</p> - -<p> -In dieser Zeit hörte Marie, die sonst alle Wagner-Opern -kannte, in Frankfurt zum erstenmal den Rienzi, und obwohl -Aufführung wie Besetzung zu den minderen gehörten, -so war sie von dem Drang, dem titanischen Gären, -ja gerade von dem Unvermögen dieses Werkes heftig ergriffen. -Hier war Ikarus, dessen ewiger Mut sich über -Welten hin Flügel, die nicht brachen, schmieden sollte. -</p> - -<p> -Mächtig angeregt fuhr sie im offenen Wagen durch -das mondumhauchte Land und weiße Dörfer nach Homburg -zurück, und Wagners Schaffen als eines Wunders -gedenkend, lehnte sie den Kopf weit im Wagen zurück und -verlor sich in der stillen, bethlehemischen Pracht. Vergessen -und verweht schien ihre Schwermut, die doch schon tags -darauf, gleich einem Nebel, ihr Gemüt von neuem umschleierte. -Besonders auf die Schreibmaschine wurde sie -zuletzt erbittert, und als diese eines Morgens wieder so -geschäftig das stille Stockwerk durchdrang, fing Marie in -einem Paroxysmus von Langeweile in ihrem Zimmer -stürmisch zu weinen an. Das Leben war so reich, so mannigfach -und schön! Es gingen auf der Welt so reizende -<a id="page-68" class="pagenum" title="68"></a> -Menschen einher! Ach! Warum lebte sie von ihnen getrennt! -Wer war für des Lebens Genüsse königlicher geartet? -Mochte sie zeitlebens entbehren, bis in alle Fibern blieb sie -verwöhnt. -</p> - -<p> -Und obwohl nur mehr drei Tage ihres Bleibens waren, -schien ihr gerade der heutige nicht mehr erträglich. Rasch -zu Honoria tretend: „Ich kann heute keine gelben Bäume -sehen und fahre nach Frankfurt“, sagte sie lachend und -drückte ihr den Arm. Sie sah noch Honoriens überraschten, -aber so freundlichen Blick, dann stürmte sie die Treppe -hinab und zur Bahn, der Schreibmaschine und Homburg -davon! -</p> - -<p> -Wie ein Füllen, das sich auf freiem Rasen tummelt, so -behaglich war es Marie am selben Nachmittag auf der -bewegten, im lieblichsten Lichte getauchten Zeil. Die üppigen -Töchter der Stadt, die mit ihren Müttern erwartungsvoll -einherzogen, die eiligen Geschäftsleute, die Müßigen und -die Lebensfrohen, die gemeinen, die aufgeputzten, oder die -sympathischen Leute, alle schufen ihr Kurzweil, und wie -ein Kind in Bilderbücher, war sie ganz in den Anblick der -vielen Spaziergänger versunken; überall von dem Zauberkreis -eines selben Lebens gebannt, ruhte, sich selber verlierend, -ihre gehaltlose Seele, die dem Mann ohne Schatten -glich, von der Einsamkeit aus. -</p> - -<p> -Sie hatte die Stadt der Kreuz und Quere nach durchstreift, -an Brücken, stillen Plätzen und verlorenen Straßen -geweilt, und schon erblaßte der Himmel. Gänzlich ihrer -Stimmung hingegeben, war ihr Bewußtsein wie umflort, -von der Atmosphäre des alten und des neuen Frankfurt -<a id="page-69" class="pagenum" title="69"></a> -durchdrungen, und von der sterbenslauen Luft, in der ein -Klang lag ewiger Ermattung, von ewiger Vergänglichkeit. -</p> - -<p> -In einer kleinen verträumten Sackgasse machte sie halt, -um ihren Weg zur Bahn zu erfragen; und von einem entstellten -Profil Richard Wagners, das dort in der Auslage -eines Musikladens prangte, wandte Marie, die ungern -Häßliches sah, im Vorübereilen den Blick. -</p> - -<p> -Den Abend verbrachte sie mit Honorien in aufgeräumtester -Laune, erzählte, was sie gesehen, gehört, gegessen -hatte, und unterbrach die Browningsche Lektüre mit allerlei -Späßen. -</p> - -<p> -Dies war ihre vorletzte Nacht in Homburg, und entmutigt -schlief sie ein. Wann endlich würde sich ihr Leben -bewegter gestalten? – Sie gedachte der vergnügten kleinen -Konditorsfrau in Frankfurt, an die sie heute so viele Fragen -gestellt, die über ihren schmucken Laden nicht hinausdachte -und inmitten ihrer Glasglocken, ihrer Schokoladekrapfen -und Schaumrollen ein Dasein lebte, vor welchem Marie -erschauerte. -</p> - -<p> -Aber was hatte sie denn selbst von ihrem klein bißchen -Bildung, als daß sie für die Alltäglichkeit auf immer verdorben, -auf immer beunruhigt blieb. Heiß schoß ihr das -Blut zu Kopfe: was wußte sie denn – und was sollte -sie von Honorien halten, die über ihre Theorien zu leben -verlernte? -</p> - -<p> -Es war finster und still in ihrem Zimmer, als Marie -erwachte. Sie besann sich nicht sogleich, was dies wilde -Klopfen ihres Herzens verursacht, was sie geweckt, was -sie gesehen hatte. Dann stürzte sie ans Fenster und riß es -<a id="page-70" class="pagenum" title="70"></a> -auf. Östlich dämmerte ein heller Streifen durch die Nacht, -allein den Tag in ihrem Herzen begrüßte sie mit einer Flut -immer neu hervorbrechender Tränen, daß ihr Gesicht erblindete -wie eine Scheibe unter dem Regen. -</p> - -<p> -Jenes selbe Profil, von welchem sie gestern im Vorübereilen -den Blick abwandte, hatte sie, verherrlicht, zwei -Schritte vor sich, mit unbewegtem, gerade ausschauendem -Auge gesehen. Aber es war ein vergöttlichtes Auge, -weltenstrahlend, weltenspiegelnd und von unvergeßlicher -Größe; ein individuelles und doch gänzlich entrücktes -Auge. Kein Auge, mit dessen Blick der ihre sich hätte -kreuzen können. Es waren die ewigen Augen Wagnerschen -Geistes. -</p> - -<p> -Wie ein Erdboden durch plötzliche Erschütterung, so -hatte ihre Gesinnung durch ein so ungeahntes Bild eine -Umgestaltung erfahren. Es war seltsam, es war spaßhaft -genug, und sie wußte, welchen Hohn die Tatsache gerade -in ihrem Herzen finden, sie verfolgen würde! Hier war sie: -ein junges, bis ins Mark vergnügungssüchtiges Mädchen, -das nichts mehr zur Ruhe bringen, in dem nichts den einen -brennenden Wunsch mehr betäuben konnte: die Wahrheit -zu suchen. -</p> - -<p> -Denn sie wußte in dieser stillsten Stunde ihres Lebens, -daß Unwissenheit es war, die jenen Gram in ihr erzeugte, -weil <em>Gedanken</em> hinter jenen unruhigen Schatten ruhten, -die sie schreckten, und daß nichts sie retten konnte, als ein -hellerer Kreis des Wissens, der sie schützend umschloß, als -ein Glaube, um den sie selber rang. -</p> - -<p> -Tags darauf verließ sie Homburg. -</p> - -<p> -<a id="page-71" class="pagenum" title="71"></a> -Golden flogen im Nachmittagscheine Brücken, Felder -und Wiesen vor ihrem Zug vorbei, aber vor dem Glanz -dieser sonnenerfüllten Welt schloß sie bekümmert die Augen; -denn immer schwerer wurde da wieder, auf der langen -Fahrt, ihr einsam entschlossenes Herz. Sie sah sich wie vor -einem Berg, den nur Geübte und Wetterkundige mit einem -Arsenal von Werkzeugen wohlausgerüstet zu besteigen -wagen und denen sie nun barfuß und allein folgen wollte. -Was sie erstrebte, war ja zu schwer: Nichts was Gleichgewicht -und Disziplin des Geistes betraf, lag in ihr vorbereitet -noch vererbt, und zu einem systematischen Denken -war sie weder veranlagt noch geschult. Kein Pegasus, die -traurigste aller Rosinanten stand ihr zu Gebote. Aber -weniger glücklich als der an Illusionen reichste Don -Quichote, verglich sie unerbittlichen, fast feindlichen Auges -ihre Unzulänglichkeit mit ihrem Wagnis. – Was hatte ihr -stumpfes, kindisches Gehirn mit jenen Rätseln zu schaffen, -die es von jeher mühten? Nun war sie erwacht. Mit weitgeöffneten -Augen, die nicht sahen. -</p> - -<p> -Als sie bei ihrer Ankunft in München Glucks Oper -„Iphigenie in Tauris“ auf dem Zettel sah, ging sie noch -selben Abends hinein. Es war eine der letzten Vorstellungen, -die unter Levis eminenter Leitung und einer Besetzung -alternder aber trefflicher Leute dort stattfanden, und sie -atmete auf in der Atmosphäre dieses edlen Werks. -</p> - -<div class="poem-container"> - <div class="poem"> - <div class="stanza"> - <p class="verse">„Die Ruhe kehret mir zurück.</p> - <p class="verse">So sollte meine Qual Euch, Ihr Götter, ermüden.“</p> - </div> - </div> -</div> - -<p class="noindent"> -Es war Orestens Lied, und in prachtvoller Wiedergabe -die eherne Begleitung des Orchesters. -</p> - -<p> -<a id="page-72" class="pagenum" title="72"></a> -In diesem Augenblick kulminierte das musikalische Vermögen, -die Genialität des Dirigenten. Nicht so sehr „gestaltend“ -stand er dem Meisterwerke gegenüber, als daß -seinem unvergleichlich künstlerischen Impuls, seiner in -höchster Passivität so wundervollen Ergriffenheit die tief -umhülltesten Regionen sich erschlossen. So stand er unbeweglich, -mit gesenktem Stabe, nur verklärten Auges sein -Orchester bannend. Aber der Hauch von Ewigkeit, der -über den friedensvollen Fall der Baßtöne gebreitet liegt, -riß Marie mit fort. Kein anderes Kunstwerk sollte je -wieder jene selbe überwältigende Wirkung in ihr hervorrufen, -zu der sie jetzt ihr abnorm gesteigerter Gemütszustand -befähigte. Sie verlor das Gesicht. Der Wunsch, -den sie so früh gehegt, er war ihr erfüllt, die Müdigkeit, -die sie so früh empfunden, sie war von ihr genommen, und -sich selbst, der eigenen Dürftigkeit, der eigenen Torheit, -allen Schranken des Persönlichen weit enthoben, behielt -sie nur das Bewußtsein eines strömenden Glücks. -</p> - -<p> -So waren denn die Würfel gefallen. Ihr Drang nach -Erkenntnis war stärker als ihr Sträuben, ihre Trägheit -und ihr Unvermögen. -</p> - -<p> -Stundenlang saß sie nun, meist ganz vergebens, über -einer einzigen Seite Kants. Aber gerade bei ihm, dem sie -ein so lückenhaftes Verständnis entgegenbrachte, durfte sie, -zum Atome sich erkennend, ruhn, wenn sie die Schwingen -ewiger Begriffe auf Augenblicke streiften. Denn Marie -hatte Geist, doch keine Geisteskraft, niemanden, der ihr -half, noch sie belehrte! Nur einem Menschen, dessen Überlegenheit -ihr nach allen Seiten hin entsprach, hätte sie sich -<a id="page-73" class="pagenum" title="73"></a> -ohne Reue anvertrauen können, und einen solchen Freund -zu haben war ihr nicht vergönnt. So mußten denn die -Bücher ihre Freunde, ihre Lehrer werden. Und schon hatte -sie erkannt, daß hervorragende Anlagen nur eine gefährliche -Mitgift sind, wenn gerade sie einen versöhnenden -Ausgleich innerer und äußerer Widersprüche erschweren. -Sie hatte erkannt, daß nicht das Leben, für welches wir -geschaffen wären, in die Wage fällt, daß nicht wir selbst, -sondern unser Geschick das Gegebene ist, und daß sie nicht -dem Knechte gleichen durfte, der mit seinem einen Talent -verzagte und es vergrub. Am schwersten ließ sie sich’s mit -Schopenhauer werden, der den jugendlichen Leser terrorisiert. -Und wer war sie, daß sie es wagte, ohnmächtig, verzweifelnd, -so lange gegen ihn anzustürmen, bis ihre innerste -Überzeugung sich wieder von ihm losriß, von seinem großartigen -Gedankenring gefördert und belehrt, ihm nicht -länger unterworfen war? -</p> - -<p> -Einen heißen, einsamen Sommer verbrachte sie mit -Platos Büchern, und unter Tränen las sie das Symposion. -Hier war ein Ziel und göttliches Verweilen, der Harmonien -seliger Hauch, und wie vom hohen Berg herab lag -da die Welt – beschaulich, unbegehrt – zu ihren Füßen. -</p> - -<p> -Aber sie war schön, diese Welt! Feierlich und groß! – -Und alles in ihr erhielt Sinn, Leben und Bestand durch -Bezüge. Und in Bezügen lag ein Schwerpunkt selbst der -größten Geister. -</p> - -<p> -Der Erwerb des einen wird da dem anderen Besitz; -Steigbügel für den Kommenden. Allein die Schranke war -die Bedingung des menschlichen Gehirns, und die Grenze -<a id="page-74" class="pagenum" title="74"></a> -des intellektuellen Vermögens durch die menschliche Natur -scharf abgesteckt. -</p> - -<p> -Marie versank in immer tieferes Nachdenken. -</p> - -<p> -Nein: Allumfassende Vollkommenheit war nirgends. – -</p> - -<p> -Da erstand vor ihrem inneren Auge, wie im Morgengrauen -deutlich erkennbar, die universellste, übergreifendste -Gestalt, die keine Irrtümer und keine Lücken in sich aufwies! -Vielmehr auf unnennbar geheimnisvolle Weise alle -Widersprüche in sich aufhob, weil ihr nichts fremd war -und nichts entzogen, was tausendfach die Menschen scheidet -und vereinsamt. Ja, es war ein Mensch. Aber Himmel -und Erde waren der Schlüssel zu ihm, und er erfüllte die -Welt. Allumfassendes, schweigendes Begreifen entströmte -seinem Auge. Ja, es war ein Gott. Seine Züge aber! Die -größten Denker und Meister aller Zeiten hatten sie ihr entschleiert, -weil alle menschlichen Heroen zu seinen Kommentaren -wurden, und ihre unbeschreibliche Bewandtnis zur -Erläuterung! – Keine Philosophie, keine Äußerung auf -dem Gebiete des menschlichen Geistes, ja des Geistreichen, -des Witzigen, des Profanen – keine Kunst, die nicht zu -ihm gravitierte. Der Gedanke war so groß, daß sie erschauerte. -Und von der überschwenglichen Tragweite jenes -schlichttönenden Ausspruches: „In meines Vaters Haus -sind viele Wohnungen“ wurde sie wie von unendlichen -Schallwellen fortgerissen und durchleuchtet. -</p> - -<p> -Nur eines trennte ihn von uns – das Übel, das allen -Gram erzeugt. Eines mußte er uns entnehmen. Eines -war göttergleich im Prinzip von ihm ausgeschieden: die -Qual. -</p> - -<p> -<a id="page-75" class="pagenum" title="75"></a> -Marie mochte ihre Gedanken nicht länger ertragen. Sie -ging hinab in die Straße, die starren Häuserreihen entlang, -der heißen, verödeten Stadt. Aber das Licht, der Anblick -des leeren, weißlichen Himmels erweckte Erinnerungen und -Leid. Zum Stachel war ihr da der taube Glanz des Tages, -und jene „Geister der Luft“, die den Menschen jagen und -ihm das Himmelslicht versteinern. Atemringend muß er es -ertragen. -</p> - -<p> -Nicht daß es sie jetzt nach Mitteilsamkeit drängte, nein, -auszuruhen, zu vergessen, sich zu freuen. Schönheit, Gebärde, -Sprache, die Form eines Auges, die Bewegung -eines Armes, dies alles war ein Organismus, der sie umfriedete. -Dann wurde es still in der dumpfen Werkstatt, -und Gedanken feierten. Der Reiz der Nähe löste den gezogenen -Blick von ihren Augen, und ihr Geist erkannte -rastend seine Heimat. -</p> - -<p> -Denn es war ihr Geist, der in der Welt der Körper, der -in dieser Welt sein Element erkannte! -</p> - -<p> -Allein in der Einsamkeit, die sie also bedräute, umschloß -sie jetzt, deutlich wie Felsenzacken gegen das Sonnenlicht, -der Ring ihrer Gedanken. -</p> - -<p> -Nicht länger von der Welt barer Vorkommnisse aus -den Fugen gerissen, erkannte sie die tröstliche Bedingtheit -alles Elends. Erkenntnis sollte <em>nicht</em> den Pflock des Leidens -tiefer in uns treiben! Alles war Folge, und selbst Geschehnisse -nicht unentrinnbar. -</p> - -<p> -So weit, so anders erblickte sie die verlorenen Tore ihres -Glaubens wieder. Was immer das Dogma vom Geiste -löste, erschien ihr da als ungeheuerster Verrat. Nicht als -<a id="page-76" class="pagenum" title="76"></a> -Dualität, als Organismus erfaßte sie den Menschen und -seine Apotheose, nicht seine Trennung als sein Endziel. -Ihrem weltabgewandten und entsagungsvollen, aber stets -verheißungsvollen Bildern zugekehrtem Auge wollte die unendliche -Elastizität jenes Glaubens als sein tiefinnerstes -Geheimnis sich erschließen; des Paradoxalsten, eingedenk -und psychologisch tiefst Begründeten, was der Mensch zutage -förderte: als das „Maß aller Dinge“ stellt er den -Abstand zwischen ihm und der Gottheit, Prometheus, die -seligen Götter und den allgewaltigen Zeus. Quellen und -Haine belebt er mit übermenschlichen Wesen, scheu verehrend, -was er selber schuf. Ahnung war es, die ihn die -eigenen Ideale, das eigene Ziel so fern erkennen und den -Olymp erträumen ließ! Solche Träume, mußten sie nicht -das Sehnen eines Gottes nötigen, zu tausendfacher Befreiung -den Menschen zu erlösen? -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter u" id="chapter-0-5"> -<a id="page-77" class="pagenum" title="77"></a> -Geraldine<br /> -oder<br /> -die Geschichte einer Operation -</h2> - -</div> - -<p class="ded"> -<a id="page-78" class="pagenum" title="78"></a> -Für Professor Franz Keysser (Berlin) -</p> - -<h3 class="section pbb" id="subchap-0-5-1"> -<a id="page-79" class="pagenum" title="79"></a> -I -</h3> - -<p class="first"> -<span class="firstchar">G</span><span class="postfirstchar">eraldine,</span> aus dem Häuflein derer, mußte im Spätfrühling -des Jahres 1923 in die chirurgische Klinik -einer süddeutschen Stadt. Freunde begleiteten sie. Den Abend -durfte sie noch mit ihnen verbringen. Sie war guter Dinge -und trank auf ihr eigenes Wohl. Dann nahm ein helles -Zimmer, das ins Grüne sah, sie auf. Die Schwestern, in der -Umrahmung ihrer gesteiften weißen Flügelhauben, besonders -aber deren breite und bejahrte Vorsteherin, erweckten -ihre Zuversicht. Spät trat sie noch bei Geraldinen ein, um -nach der Neuangekommenen zu schauen, und bei ihrem Anblick -streckte die Kranke ihre Füße länger aus, einer Müdigkeit -hingegeben, die sie plötzlich wie von weither überkam. -So schutzverheißend war die erstarkte Weisheit dieser Augen, -so geborgen fühlte sich Geraldine, als sie in diese mächtigen -Pupillen sah. Sie wußte, wie wenig ein Beruf zur Sache -tat, wie leicht gerade die tugendhaftesten zur Klippe werden. -Inbegriffen, ganz unausgesprochen aber war hier alles -Fromme, und daß die Pflegerinnen dieses Hauses wie die -Blumen eines gehegten Gartens standen, Unkraut nicht -wuchern konnte, lag an dieser Vorgesetzten. Denn es ist -immer das Wichtigste, wer regiert. Wie eine Mutter, nicht -nur der Patienten, sondern irgendwie auch dieser Ärzte, -Geheimräte und Professoren, wie eine Mutter aller -<a id="page-80" class="pagenum" title="80"></a> -Menschen schritt sie durch die Gänge, homerisch in der -Unbeirrbarkeit ihres Waltens, ehrwürdig wie ein Stück -Natur. Und sie hieß Guido, wie ein Mann. -</p> - -<p> -Aber auch Geraldine kannte die Welt. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Lesend verbrachte sie den nächsten Morgen; am frühen -Nachmittag wurde ihr Morphium gegeben und später noch -einmal. Da tönte sich der Widerschein der grünen Bäume -in ihrem Zimmer sanft und immer sanfter ab, und als -eine Bahre hereingezogen kam, bestieg sie sie eilends wie -im Traum. Nach einer kurzen Fahrt befand sie sich zwei -Schwestern gegenüber, und diese trugen ihre weißen Ordensschleier -nicht abstehend und gesteift, sondern gar kleidsam -in den Nacken zurückgerafft, und sie fragte die Schönste -um ihren Namen: Ermentrudis. „Meine Zunge ist schwer, -sie ist trocken, sie ist voll Mohn, ich spreche so mühsam“, -sagte Geraldine, und überließ sich ihnen. Ihr war, als würde -sie von Engeln bedient. Da lag sie schon auf einer Bahre, -und rechts von ihr gab sich ein Arzt mit ihr zu tun. Aber -seine Gegenwart war ohne Resonanz. Nur Ermentrudis -erfüllte den Raum. Vielleicht ist sie nicht so schön als ich -sie sehe, dachte Geraldine, deren Augen zugefallen waren, -vielleicht ist es Täuschung, wie der Geschmack von Mohn -in meinem Munde. Wie ist sie schön! – Da war sie weg, -und Geraldine wieder in der Fahrt. Nur bis zum nächsten -Zimmer dieses Mal. Es dünkte sie aus Glas, und ein anderer -Arzt saß jetzt rechts von ihr, als hätte er auf sie gewartet. -Sein Gesicht schien ihr nicht sein eigenes zu sein, sondern -<a id="page-81" class="pagenum" title="81"></a> -ganz in der Anspannung seiner Züge statt in seinen Zügen -zu beruhen, aber sie streifte es nur mit einem Blick, dann -fielen ihre mohnbeschwerten Augen wieder zu. Doch alsbald -hörte sie sich stöhnen. Und warum riß er ihre Adern -so unbarmherzig auf? Sie fühlte, wie er sich durch nichts -beirren ließ, und sie blieb unbeweglich, aber sie hielt ihm -vor, daß er sie peinige. Fort und fort, wie lange noch? – -Da merkte sie plötzlich, daß er nicht länger rechts, sondern -ihr jetzt links zur Seite stand, indes ein anderer Mann in -Szene trat, als wäre dies eine Bühne. Ja, genau so, war -jetzt eine mächtige Form herangetreten, wie ein Dirigent -sein Pult einnimmt, und als schwänge er einen Stab mit -den Worten: „<span class="antiqua">Alla breve</span> meine Herren!“ so sagte er: -„Klagen Sie nicht!“ und fing an zu schneiden. Geraldine -aber griff da zum Schweigen, wie ein Geiger in sein Instrument. -Sie streckte nur ihre linke Hand schutzflehend ins -Leere. Aber schon war sie von einer andern sanft geborgen -und vertröstet, und sie umklammernd, führte Geraldine ihren -stummen Pakt den ersten Stößen gegenüber aus. Sie wähnte -jetzt, es sei Nacht. Doch statt erhöhter Schmerzen wurden -sie mit jeder Sekunde dumpfer. Und war sie denn selbst ein -besaitetes Holz geworden? Sie spürte nur ein virtuoses -Kneten, wie rasche Fingersätze eines Pianisten in ihrem -unempfindlichen Fleisch. <span class="antiqua">Allegro, vivace, accellerando, -presto, tempestuoso</span> fuhren die Griffe wie auf Tasten -dahin. Geraldine hatte den Eindruck von <em>Kunst</em>. Wie -aber? Wie konnte dies sein? Und doch, welch deutliche, -welch aufregende Beziehung, welch unerhörte Analogie, -welch spannende und unvermutete Sensation! Für einen -<a id="page-82" class="pagenum" title="82"></a> -Augenblick war alles rege in ihr, und sie hätte sich gern -aufgerichtet, um hinzusehen, ihr Kopf aber leistete Widerstand; -er war zu schwer. „Es wird schon genäht, es wird -schon verbunden“, drang es von links, wie aus einem -Souffleurkasten zu ihr. -</p> - -<p> -Und schon wurde sie wieder fortgetragen. Unklar diesmal -die Fahrt durch den Gang in ihr Zimmer zurück. -</p> - -<p> -Die Nacht war nicht mehr fern. In ihrem Bette aufgerichtet, -ohne eine Spur von Schmerzen, ließ sie sich ein -Buch herüberreichen, wähnend, das Lesen würde ihr leichter -fallen als das Sprechen. Die Vorhänge bauschten sich sachte -in der Frühlingsluft, im Scheine eines blauen Seidenschirmes -lag sie und sann. -</p> - -<p> -Welch freundlicher Dämon hatte die Tafel ihrer Erinnerungen -gelöscht, daß ihre Gelassenheit sich immer mehr -vertiefte? -</p> - -<p> -Da, mitten in der Nacht – als klingle es von allen -Seiten zugleich – schlugen die Wunden Alarm. Weggefegt -das letzte Stäubchen Morphium; das ganze Bein entfacht. -Schlimmer noch die hohe Stachelkrause, die vom Knie aufwärts -loderte. Aus purer Sympathie erglühten Fuß und -Ferse, von heißer, imaginärer Asche versengt. Geraldine, in -den Tumult verstrickt, hörte ihre eigenen Seufzer nicht. -</p> - -<p> -Am Morgen klirrte der Wagen mit den Verbandwerkzeugen -durch den Gang. Guido war bei Geraldinen. Da -öffnete sich die Türe, als sei ihr Zimmer eine Freistatt. Der -Chefarzt trat als erster herein, nach den Schmerzen dieser -Nacht zu fragen. Und es erfolgten sehr genaue Weisungen, -um einem neuen Ansturm vorzubeugen. Da wunderte sich -<a id="page-83" class="pagenum" title="83"></a> -Geraldine zum ersten Male, ohne sich entsinnen zu können -weshalb. Sie grüßte nach rechts und links die beiden anderen -Ärzte von gestern; dann war sie wieder allein. -</p> - -<h3 class="section" id="subchap-0-5-2"> -II -</h3> - -<p class="noindent"> -Seltsame Schwingen, neue Rhythmen trugen ihre Tage -jetzt dahin, ihre Stille so manches Mal durch nichts als -den Besuch der Ärzte unterbrochen. Blumen umgaben sie. -Der über ihr Bett geschobene Krankentisch bot ein reiches -Feld der Beschäftigung, und ein Zufall wollte, daß Leute, -mit welchen sie lange nicht mehr in Kontakt war, plötzlich -in der Ferne an sie dachten und ihr schrieben. Eines Morgens -kam ein Stoß der neuesten französischen Bücher für -sie an; sie lagen in großer Evidenz auf Tisch und Decke gebreitet. -Jedoch der Zeitungsmann durfte nicht zu ihr herein. -In Tönen der Angst bat sie die Schwester, ihn von ihr -fernzuhalten, und schon früh am Nachmittag sehnte sie sich -nach Morphium. Fing aber der Rollwagen mit dem Verbandzeug, -den Alkohol und Jodoformflaschen durch den -Gang zu klirren an, so mußte sie lachen; denn es ging dann -so fühlbar von Zimmer zu Zimmer eine Spannung, es entstand -eine Aufregung, wie wenn Hennen gefüttert werden. -„Jetzt werden die Hennen gefüttert“, sagte sie jedesmal -zu Guido, die immer der Karosserie voranschritt. -</p> - -<p> -Eines Tages fragte sie den Arzt, der sie in ihrer Lektüre -unterbrach: „Würde dieses Buch Sie interessieren, wenn -ich fertig damit bin?“ -</p> - -<p> -<a id="page-84" class="pagenum" title="84"></a> -Er warf einen Blick auf den Umschlag und zögerte: -„Von Franzosen höre ich lieber nichts“, sagte er dann. -</p> - -<p> -Da schwieg Geraldine. -</p> - -<p> -Das Buch, das er abgelehnt hatte zu lesen, <span class="antiqua">Siegfried -et le Limousin</span>, von Jean Giraudoux, war nicht vollkommen. -O nein, es hatte seine Fehler. Man durfte es ein -wenig inkoherent nennen sogar. Aber jede Seite rührte -und entzückte Geraldine. Denn regenbogenartig schlug hier -eine Brücke auf, bebend schwang sie herüber, pulsierte, -vibrierte, wie ein Regenbogen ephemär. So gehörte auch -dies Buch einer anderen Wirklichkeit als die der Ereignisse -an; und sie mißachtend, sie verachtend, irisierte über sie hin -die Fülle des sich entziehenden, ach! des werbenden Auges ... -</p> - -<p> -Allein es war umsonst geschrieben, da niemand es in -Deutschland las. Auch die anderen neuen Bücher enthielten -kein gehässiges Wort mehr über „<span class="antiqua">les Allemands</span>“, aber -sie waren umsonst geschrieben, da niemand sie in Deutschland -las. Geraldine entsann sich der skeptischem aber so -aufhorchenden, so gespannten Mienen ihrer Freunde in -Paris, als sie ihnen von „jenen anderen Deutschen“ erzählte, -von welchen nichts mehr bis zu ihnen gedrungen -war. Ob auch einige wie mit Engelszungen hinüberriefen, -man stellte sich ihnen taub, wenigstens solange sie lebten. -Heute war es umgekehrt. -</p> - -<p> -Geraldine schlief mit dem Kopf auf dem offenen Buche -ein, aber nicht lange; ihre Aufregung scheuchte sie auf, und -sie las im Scheine ihrer blauen Lampe weiter. -</p> - -<p> -Als am nächsten Morgen der Chefarzt bei ihr eintrat, -warf er einen Blick auf die Tabelle und ließ Sandsäcke -<a id="page-85" class="pagenum" title="85"></a> -herbeischaffen, in welchen Geraldines Bein wie in einen -Schacht eingedämmt werden sollte, damit es sich nicht -mehr bewege. Man schleppte sie wie etwas gar Wichtiges -herbei. „Hier stimmt etwas nicht!“ dachte sie gequält. Die -Ärzte umstanden sie ja, als ob ihre Gesundung eine wichtige -Sache sei. Und das Stück von der gesitteten Weltordnung -wurde hier gespielt, als wisse man nicht, wie es -draußen zugeht. Aber sie selbst, spielte sie nicht mit? Ließ -sie nicht alle fünf gerade sein? Nicht einmal nach dem -Wetter mochte sie fragen, als ginge sie das alles nichts -mehr an, als sei alles eins. Und nun? Und wie lange durfte -sie noch ihrer beginnenden Unruhe, ihrer wachsenden Verwirrung -wehren? Die Wirklichkeit. Ja sie war das entfallene -Wort, der Faden, der gerissen war, an dem sie -wieder anknüpfen mußte. -</p> - -<p> -In der Nacht fuhr sie an die Klingel, und die Stimme, -mit der sie die herbeieilende Schwester unter Ächzen anflehte, -sie aus dem eingestürzten Tunnel vorzuziehen, war -wie ein heiserer Bariton. Es hatten sich aber nur die -Sandsäcke verschoben, und mit ihrem Gewicht die Wunden -beschwert. Vielleicht auch hatte sie nur geträumt. Allein -die Schwester beruhigte sie, räumte die Säcke aus dem Weg, -brachte ihr eisgekühltes Zitronenwasser und reichte ihr Morphium. -Sie war mürbe und trug sich zart wie eine schwanke -Wicke im Sommerwind, die ihren letzten Duft, ihre letzte -Süße veratmet. „Welch ein Frühbeet von Schwestern!“ -dachte Geraldine. Und Guido die große Gärtnerin. -</p> - -<p> -Es gäbe vielleicht keine Ärzte in der Welt, wenn nicht so -ziemlich jedermann seinen eigenen Arzt in seinem Innern -<a id="page-86" class="pagenum" title="86"></a> -hätte. Geraldinen war es am folgenden Morgen klar, daß -es nur mehr wenig Tage bis zu ihrer Herstellung bedurfte. -Bei ihrem Einzug in die Klinik richtete sie fürs erste an alle -die Frage, wann sie wieder herauskommen würde, und -gleich und auf die Stunde verlangte sie es zu wissen. Nun -sie fast keine Schmerzen mehr hatte, erkannte sie mit einem -Male, welche Ablenkung sie für sie gewesen waren, und sie -vermißte sie; denn diese an sich waren ja auch eine Betäubung -gewesen. Und ihr geschah wie dem flüggen Vogel, -der wohl am liebsten noch einmal in seine Geborgenheit -zurückkröche, bevor er den ersten Flug unternimmt. Draußen -wartet seiner die Welt. Das Nest dagegen war ihr entzogen. -So dieses Haus. Wie eine Arche zog es über die -finsteren Wasser dahin und beruhte in sich. Bald mußte -nun Geraldine aus seinem Schutze wieder hervor. Und sie -verzagte. Sie bangte nach den wolkenlosen Tagen der Vergessenheit, -der Palliative. Sie waren vorbei. Andere Wunden -waren nunmehr wieder erwacht, unheilbare, die niemand -verband, um derentwillen niemand sie bemitleidete, -noch eine Blume schenkte oder sie umgab. Wie ein Himmel, -der sich ganz verhängt, und von dem es dann unablässig -niederrauscht, umzog sich Geraldinens Gemüt, und erst -stoßweise, dann unaufhaltsam flossen ihre Tränen. Zwar -konnte sie jederzeit innehalten, und wenn jemand bei ihr -eintrat, ganz vernünftig schwätzen. Aber sobald sie allein -war, setzte der Landregen wieder ein. Der Geruch der -Speisen widerte sie mit jedem Tage stärker an, und sie -weinte vor Ekel bei ihrem Anblick, ob sie auch hungrig -zu sein vermeinte, bevor man sie ihr brachte. „Kaputt ist -<a id="page-87" class="pagenum" title="87"></a> -kaputt!“ sagte sie zur Schwester, die sich über ihre kaputten -Nerven ausließ. Aber vor den alles sehenden Pupillen -Guidos redete sie sich auf eine beunruhigende Äußerung -heraus, die bei der Morgenvisite zwischen den Ärzten gefallen -sei; sie habe sie deutlich gehört. Und sie rückte beiseite, -damit Guido sich zu ihr setze, denn sie erbettelte jede -Minute ihres Verweilens. -</p> - -<p> -Der Tag verebbte an den weißen Wänden ihres Zimmers, -sie standen im Widerschein des umgoldeten Laubes, dann -erbleichten sie wieder. Geraldine war schon für die Nacht -gerichtet, hielt ihr heiles Knie umklammert und weinte. -Die blaue Lampe warf ihren Schein. Niemand störte sie -mehr. Da klopfte es an ihre Türe und Guido in Begleitung -des Arztes trat herein. Er kam sie zu beruhigen: -es handle sich nur um eine vorübergehende Phase und sie -würde die Klinik bald verlassen können. Er erinnerte sie nicht -daran, daß Schwerkranke in den angrenzenden Zimmern -lagen, ohne Aussicht auf Genesung. Ein schwedischer Student -war in der Nacht gestorben. Sie aber mußte noch so -spät getröstet werden. Ihr Schuldbewußtsein machte sie -befangen, sie wußte nicht, was sagen. Die französischen -Neuerscheinungen lagen auf ihrer Decke gebreitet. Es war -aber derselbe Arzt, der es abgelehnt hatte, sie zu lesen. Scharmante -Bücher, bemerkte sie, doch ohne sie ihm noch einmal -anzubieten. Doch als er sich jetzt anschickte zu gehen, bat sie -mit einer winzigen Stimme um Morphium. Es wirkte nur -langsam bei ihr, und bis dahin konnte sie bequem schluchzen. -</p> - -<p> -Fürwahr, sie hatte es gut. Selbst in der Nacht war -dieses Zimmer freundlich: der weiße Tisch mit den lichten -<a id="page-88" class="pagenum" title="88"></a> -Messinghähnen für warm und kalt, wie sie es liebte; der -magisch sanfte Schein des Seidenschirmes, wie blasser -Rittersporn so blau. Die Birne war schwach, aber sie genügte -gerade. -</p> - -<p> -Sie dachte an ermordete Freunde, an die grenzenlose -Abgeschiedenheit ihrer letzten Augenblicke. Ja, das war die -Wirklichkeit! Feige, feige Geraldine! Freunde, besser als sie, -waren gegangen, früher als sie, und hatten ihr Tagewerk -vollendet. Ihr war noch eine Frist gegeben. Nichts anderes -als eine Frist bedeutete ihr Genesung. -</p> - -<p> -Geraldine hörte der Posaunen viele. -</p> - -<p> -Und dann genoß sie doch wieder die tröstliche, verbrecherische -Schale der Vergessenheit, und es war alles eins. -</p> - -<p> -Jedoch derselbe Arzt kam tags darauf selbst auf das -Thema zurück, und bevor sie ihrerseits sich dazu äußerte, -überschlug sie im stillen, wie oft sie schon dasselbe gesagt -hatte, sich, und gewiß auch andern zum Überdruß. Innerlich -seufzend legte sie über „jene anderen Franzosen“ los, wie -sie es drüben über „jene anderen Deutschen“ getan hatte. -Es ist nicht mehr zum Anhören, dachte sie dabei. Denn -das Wahre, das Rechte, das Richtige, es verträgt nicht unbeschadet -die Geistlosigkeit ständiger Wiederholung. Diese -schlägt vielmehr den widerlegbaren, den falschen Argumenten -vortrefflich an, und entkräftet sie nie; ja sie ist das Geheimnis -ihrer Wirkung: immerzu laut ausgerufen schlagen sie ein, -und wuchern wie jedes andere Unkraut. Indessen sprach -Geraldine von dem versöhnlichen Geist der Intellektuellen, -den man unbeachtet ließ; wie unglücklich sind wir über so -vieles gewesen, schloß sie mit schier lahmer Zunge, was -<a id="page-89" class="pagenum" title="89"></a> -unter unserem Namen geschah, und heute stellen wir uns -unseren Gleichgesinnten gegenüber taub. -</p> - -<p> -„O wirklich?“ sagte er. -</p> - -<p> -Es war aber so ganz und gar derselbe aufhorchende Ausdruck, -dieselbe Skepsis, dieselbe sensible Spannung im Auge, -mit welcher auch ihre Pariser Freunde „<span class="antiqua">oh vraiment?</span>“ erwidert -hatten, daß sie fürwahr nicht nur ein ähnliches, -nein! ein identisches Gesicht vor sich sah. Und es war undenkbar, -daß mit demselben verschütteten Gefühl, derselben -verdrängten Schmerzlichkeit das „<span class="antiqua">oh really?</span>“ eines Engländers, -auch des „deutschfreundlichsten“ gefallen wäre. -Denn nicht Sympathie oder Abneigung sind hier, wie zwischen -andern Völkern, das Hin und Her. Sondern Erotik -oder der Haß der Geschlechter, die beseligende Flamme, oder -der Atem des Teufels, der über sie hinbläst. -</p> - -<p> -Seit ihrer Krankheit wechselten ihre Anwandlungen -schneller als das Licht. Was ließ sie jetzt in einer blauen, -spiegelklaren Stimmung untergehen? -</p> - -<p> -Sie hatte unter ihren mitgenommenen Büchern die von -Hofmannsthal Anno 1913 so schön und ahnungsvoll eingeleiteten -Bände des „Deutschen Erzählers“. Ein paar -Generationen alt und schon antik! Verwunschen, unerschöpflich, -losgelöst! – Und aus ihrer Welt heraus, ebenso -zeitfremd wie sie, war hier ein Deutscher, der Sache so -ganz ihrer selbst willen ergeben, daß eine fühlbare Stille -ihn umgab, die ihn allem Getriebe entzog. Schlecht oder -recht dachte Geraldine, wie ist doch der Deutsche so gründlich! -Er ist schlecht fast bis zur Pedanterie, seine Güte ist -unwahrscheinlich. Dieser hier stand an der Spitze einer -<a id="page-90" class="pagenum" title="90"></a> -nunmehr so weit gediehenen Forschung, daß sicheren Todeskandidaten -eine Anwartschaft, statt auf Rückfälle, auf -ein neues Leben verliehen wurde. Da entsann sich Geraldine, -was sie sich vorgenommen hatte, ihm zu sagen. -„Mich faßt eine wilde Freude,“ sagte sie, „wenn ich an -solche Verwirklichungen denke. Denn ein Deutschland als -Wohltäter der Menschheit, welch ein Triumph wäre dies! -Welch stolze Absage an seine Schuldigen! Welche Ehrung -seiner Schuldlosen und seiner Geopferten! Welch einzig -würdige Art, der Welt seine Leiden heimzuzahlen!“ -</p> - -<p> -Utopien, dachte sie, als er draußen war, Utopien, und -weinte in Strömen. -</p> - -<p> -Aber wie eine Bravourarie ging tags darauf das Ausziehen -der Fäden vor sich. Rhythmisch flog die Schere durch -die Luft und schoß wieder herab. Geraldine gab keinen Laut -und staunte. -</p> - -<p> -Eine Woche später packte sie ihre Siebensachen mit -Hilfe der Schwester, die französischen Neuerscheinungen -obenauf. Dann besann sie sich auf Zahnschmerzen und bat -um Morphium für die letzte Nacht. Im Schein der blauen -Lampe war sie des Augenblicks gewärtig, wo sie sich entfliehen, -noch einmal Urlaub von sich nehmen durfte. Wie -ein alter Zwilchrock, der müde vom Nagel hängt, so harrte -ja ihr abgelegtes Sein, daß sie es wieder überzog. Nur einmal -noch wollte sie das Fest der Trennung von ihm feiern. -Als Kind hatte sie sich an Erwachsene geklammert mit der -Frage, ob man denn sein ganzes Leben sich selber bleiben -müsse, ohne jemals von sich fort zu können, ohne je -andere sein zu dürfen. Ihr früher Wunsch war wohl ein -<a id="page-91" class="pagenum" title="91"></a> -Vorgefühl, in welche Zeit ihr Ich hineinwachsen, welche Last -es ihr aufbürden würde. Allein die Möglichkeit, die damals -verneinte, die gab es dennoch. Schon rauschten ihr -die Fittiche entgegen; das Leben war eine holde Landschaft, -von verlockenden Linien; Fernen, sie nicht mehr betreffend, -nahmen die beiden Länder ihres Herzens auf, deren Not -war an Ereignisse gebunden, vergänglich wie sie selbst. In -ihrer Wonne ließ sie sich gleiten. Sie sah Gras wachsen -über ihr eigenes Grab, und es war alles eins. -</p> - -<p> -Aber dein Kopf liegt in den Kissen schwer zurückgeworfen, -Geraldine, und dein Gesicht ist fahl, derweil du dir enteilst, -melodischen Ufern entlang, geäugt von Vögeln, deren -Staunen Schleier der Lust in deine erinnerungslosen Augen -treibt. Sie sind nicht dein! Und dies ist nicht das Leben, -sondern dein Erwachen, und dein Wissen um die Außenwelt. -</p> - -<p> -Und tags darauf nahm sie Abschied. Und Guido geleitete -sie hinab zu dem offenen Tor, durch das ein Stück -Himmel hereinsah. Und wie die Taube, der Arche entsandt, -die vergebens spähte, ob die Wasser noch nicht fielen, und -die nicht wiederkehrte, so flog sie aus. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-6"> -<a id="page-93" class="pagenum" title="93"></a> -Der Geiz -</h2> - -</div> - -<p class="pbb first"> -<a id="page-95" class="pagenum" title="95"></a> -<span class="antiqua"><span class="firstchar">A</span><span class="postfirstchar">vec</span> la richesse commence l’avarice</span>, sagt Balzac -in seinen <span class="antiqua">Illusions perdues</span>. -</p> - -<p> -Der Geiz scheint jedoch nicht zur Beobachtung zu reizen, -und außer Molière und Schopenhauer haben sich nur die -allerwenigsten mit diesem hochinteressanten Laster eingehend -befaßt. Auch soll hier keineswegs von seinen ungeheuerlichen -Auswüchsen die Rede sein, sondern vom Geiz -in seinem normalen Verlauf, wie die Ärzte sagen. -</p> - -<p> -Vor allen Dingen glaube man nicht, das Geld sei etwas -Totes. Es ist ganz Wahlverwandtschaft, ganz Antipathie, -ganz Selbsterhaltungstrieb, ganz „Seele“ (auf seine Art). -Ja, dem Gelde entströmen atmosphärische Schichten, die -sich in feine, aber undurchsichtige Schleier zerteilen, um sich -über das Gemüt des Reichen zu lagern. Es ist, als schöbe -sich ein Milchglas trennend zwischen ihn und seine Welt. -Mag der Trinker vom Weine noch so sehr umnebelt sein: -daß er ein Trinker ist, darüber ist er sich klar. Der Lügner -weiß von seiner Verlogenheit, der Zornige von seinem Haß. -Aber der Geiz spinnt so feine und undeutliche Fäden, daß -der von ihm Betroffene ganz im unklaren über sich selbst -verbleiben darf. Dem Geizigen steht überdies ein Überfluß -an Mänteln und Mäntelchen zu Gebote, die ihm sein -Spiegelbild bis zur Unkenntlichkeit maskieren, wobei immer -nur er selbst, niemals die anderen über seine wahren Züge -mystifiziert werden. Man denke sich die Freudsche Methode, -<a id="page-96" class="pagenum" title="96"></a> -die meist einer sinnwidrigen Anwendung verfällt, einmal -auf verhärtete Geizhälse angewandt. Einer psychoanalytischen -Behandlung unterzogen, würden diese Patienten am -Ende gar kuriert vor Schreck über die Entdeckungen, welche -sie an sich selber zu machen hätten. -</p> - -<p> -Ein Grund ihres Selbstbetruges liegt darin, daß sie nicht -selten mit Vorliebe geben; ja Geschenke zu machen – freilich -niemals entsprechende – kann bei dem Geizigen fast zur -Marotte werden. Denn er weiß so gut wie ein anderer, -daß Geben seliger ist als Nehmen, und er hat es so gut -wie der Freigebige an sich erfahren. Und weil er auch – -denn er will alles haben – des Gebens froh werden will, -gibt er nochmal aus seinem Geiz und seiner Habgier heraus. -Und darum schenkt auch er. Aber dabei rächt sich alsbald -sein Laster an ihm und bindet seine Hände, daß er nicht -freigebig, d. h. nicht frei wird zu geben wie er möchte, -und schließt ihn wie mit eisernen Fäden in immer engere -Gefangenschaft, bis seine Miene den inneren Bann, dem -er verfiel, auch äußerlich verrät. -</p> - -<p> -Wer wollte denn auch leugnen, daß geizige Leute häufig -zu bedauern sind, und zwar je mehr sie sich bereichern, da -ein Zuwachs ihrer Habe eine Verhärtung ihres Geizes unerbittlich -zur Folge hat. Wobei ihm die fremde Schlechtigkeit -vielfach Grund für sein Verhalten zu bieten scheint. -Denn ein sehr reicher Mensch ist ja schlechten Erfahrungen -in schlimmster Weise ausgesetzt. Die anständigen Leute -werden es nicht sein, die sich an ihn herandrängen – -seine guten Erfahrungen bleiben somit negativ –, während -er die miserabelste Sorte aus nächster Nähe kennenlernt. -<a id="page-97" class="pagenum" title="97"></a> -Kein Wunder, daß manch vertrauendes und großmütiges -Herz karg und mißtrauisch wurde. Es kommt unversehens. -Der Geiz hat eine unheimlich schnelle Reife. Dann aber -läßt er seine Opfer nicht mehr los. Er hat nur eine aufsteigende -Linie. Er kennt keinen Verfall und er kann nicht -sterben. -</p> - -<p> -Das Trübseligste erlebte ich einmal auf der Reise von -seiten einer alten, kinderlosen Dame, deren Nichte mich gebeten -hatte, ihr Nachricht zukommen zu lassen, denn die -Greisin schien sich um ihre sämtliche Verwandtschaft nicht -mehr viel zu kümmern. Sie lebte fern von ihr in einer -fremden Stadt, und hatte es glücklich auf sechsundachtzig -Jahre und fünfzig Millionen gebracht. Ich traf sie in ihrem -wundervollen Haus, umgeben von Bildern und Schätzen. -– In ihrem Lehnstuhl vergraben, klagte sie, daß ihr das -Schreiben schwer fiele und erkundigte sich alsbald mit -wärmster Anteilnahme nach der Schar ihrer Nichten, -Groß- und Urgroßnichten, insbesondere nach einer gewissen -„Hertha“, ihrem Patchen, das sie am innigsten -liebte. Um die handelte es sich eben. Ich malte also die -blasse Schönheit dieser Hertha in den leuchtendsten Farben -hin und erzählte sodann, daß die Ärzte einen längeren -Aufenthalt in Ägypten sehr ratsam für sie hielten. -</p> - -<p> -„Ja mein Gott,“ forschte sie ganz bestürzt und voll aufrichtiger -Besorgnis, „wird sich denn das pekuniär machen -lassen?“ -</p> - -<p> -„Schwer“, erwiderte ich. -</p> - -<p> -Mehr zu sagen stand mir natürlich nicht zu. Derselbe -Gedanke war zwar gleichzeitig in uns aufgestiegen; aber -<a id="page-98" class="pagenum" title="98"></a> -nichts von Unentschlossenheit malte sich in dem Gesicht -der Greisin – viele Jahre früher hätte sie wohl gezaudert -–, doch nur Schatten des Grams breiteten sich über -ihr melancholisches Gesicht. -</p> - -<p> -Seufzend sprach sie jetzt von ihrem nahen Tode, von -der Verlassenheit und den Enttäuschungen eines zu langen -Lebens. Während wir uns unterhielten, trat die Jungfer -ein und fragte leise, ob sie das Töchterchen des Kutschers, -das heute das Haus verließ und in die Lehre zog, einen -Augenblick einlassen dürfe. Die alte Dame empfing das -Kind voll Güte und Wohlwollen, und als es dann schied, -hielt sie es noch einmal zurück. Schränke, Kisten und -Truhen wurden nun durchgesehen, aufgeschlossen und -dann wieder abgesperrt. Ein Heer weißer Schachteln in -Seidenpapier, umwickelte Päckchen und Pakete kamen -dabei zum Vorschein. Aber sie zog bald diese, bald jene -Schieblade zu Rat, ohne sich entscheiden zu können. Die -Kleine stand indes mitten im Zimmer und wartete, wie -man es ihr gesagt hatte. Plötzlich flog ein Schein, eine -schnelle Röte über ihr Gesicht. Gleich darauf wandte sie -erblassend den Blick nach der anderen Seite hin. Aber ich -war ihm schon gefolgt und gewahrte ein schwarzes Ledertäschchen, -das die Greisin gerade in Händen hielt, öffnete -und untersuchte. Innen mit dunkelroter Seide ausstaffiert -und mit Nähutensilien angefüllt, zugleich verschiedene -Fächer enthaltend, war es wohl der kühnste Traum von -einem Täschchen für eine kleine Nähmamsell; im übrigen -nichts Kostbares, sondern ein schöner Dutzendartikel aus -einem Warenhaus. Aber nicht lange, und die Besitzerin -<a id="page-99" class="pagenum" title="99"></a> -hüllte es wieder ein. Ihre Hände waren gebunden, und -sie konnte das Täschchen, das um eine Idee zu schön für -die Kleine war, nicht spenden. Diese stand unbeweglich -mitten im Zimmer, aber der Strahl in ihren Augen war -erloschen. Die Alte kramte indes in einem anderen Fach -und zog ein silbernes Armband hervor, auf dem „Gott -mit dir“ in schwarzen Lettern eingetragen war, und damit -entließ sie das enttäuschte Kind. -</p> - -<p> -Die Geberin saß nun wieder in ihrem Lehnstuhl zusammengesunken -und schaute mit einem blassen, vergrämten -Gesicht vor sich hin. Ein Fest war ja der kleine Zwischenfall -mit dem häßlichen Armband, darauf „Gott mit dir“ -in schwarzen Lettern prangte, für niemanden gewesen, und -ein gesteigertes Bewußtsein hatte sich der Spenderin unmöglich -mitteilen können, vielmehr die Öde des Ereignislosen. -Es hatte sich nichts ereignet. Die Kleine war nur um eine -gewaltige Freude betrogen worden, und die Alte, die gern -Freude bereitete, wußte es genau; und wußte ebensowohl, -daß sie niemals anders verfahren würde, selbst wenn sie -das Kind noch einmal zurückriefe. Nebenan hub jetzt ein -Papagei, von der kleinen Passantin aufgeschreckt, zu -schreien und über die Unerfreulichkeit der Welt zu schimpfen -an. Schräge Strahlen ergossen sich durch die weit geöffneten -Fenster (die größten der Stadt) und über die -prachtvoll weichen Farben der Teppiche, die Leuchter aus -altem Kristall, die goldumränderten Schalen und silbernen -Dosen. Dennoch lag etwas Drückendes, in seiner Öde unerträglich -Akzentuiertes, ja Unheimliches in der Atmosphäre -dieses Raumes. Und plötzlich war mir, als befände -<a id="page-100" class="pagenum" title="100"></a> -ich mich ganz allein, als sei die halb erloschene Frau vor -mir schon verblichen und nur mehr ein Schemen. Es fehlte -so wenig! All die Päckchen und Pakete, die sich in tadelloser -Ordnung in ihren Kästen und Truhen häuften, waren -schon fast herrenlos. Und nicht die kleine Nähmamsell, -nicht einmal die Nichte Hertha schien mir mit einem Male -beklagenswert, sondern die sonst so kluge, ja sympathische, -die unbegreifliche alte Dame, die rettungslos in die Falle -geraten war, welche der Geiz den Besitzenden stellt. -</p> - -<p> -Sie starb bald darauf. Und da ihr Geiz eine lange Geschichte -hatte, ragte er denn auch weit über ihr Leben hinaus. -Sie hinterließ ihr Vermögen ihren <em>reichen</em> Verwandten, -den weniger bemittelten, der Großnichte Hertha, -die ihrem Herzen so nahe stand, unbedeutende Legate. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-7"> -<a id="page-101" class="pagenum" title="101"></a> -Schiffahrt und Eisenbahn -</h2> - -</div> - -<p class="pbb first"> -<a id="page-103" class="pagenum" title="103"></a> -<span class="firstchar">W</span><span class="postfirstchar">ie</span> behaglich, wie menschenwürdig hat sich unsere -Schiffahrt ausgebildet; wie stolz setzen wir über -das Meer, aber wie barbarisch fahren wir noch Eisenbahn. -Unser größter Wohltäter wäre der, welcher frei -nach Pullman einen neuen Typ unserer Eisenbahnwagen -einführte. Aber würden die zuständigen Generaldirektionen -die leiseste Notiz davon nehmen? – Hat je -vor mir einer den Plan eines Generalstreikes der Eisenbahnpassagiere -gefaßt? Nein. Wir lassen uns in den -stets überfüllten Zügen wahllos wie Herdentiere zusammendrängen -und zahlen und überzahlen die unverschämte -Tortur. -</p> - -<p> -Oder sitzen wir etwa <em>nicht</em> wie Böcke und Schafe -stunden- und tagelang in einer verrußten, vergifteten -Luft – mit einer Platzkarte gezeichnet, wie Hammel mit -einem Kreuz? Nur die rachsüchtige Hoffnung im Herzen, -unsere Leidensgefährten (welche die Eckplätze innehaben) -möchten doch so töricht oder so unerfahren sein, sich in jene -andere Vorhölle: den Speisewagen, zu begeben, woselbst -ein wüster Dunst, übel wie eine Seekrankheit, regiert. Und -sind wir endlich allein, so stürzen wir ans Fenster, um Luft, -und wäre sie noch so eisig, hereinzulassen. Aber wir bringen -es nicht auf. Wir rufen den Gefängniswärter: er bringt -es auch nicht auf. Das Holz sei aufgequollen, bemerkt er -und geht. Nicht lange, und die anderen Sträflinge kehren -<a id="page-104" class="pagenum" title="104"></a> -zurück. Man nimmt also wieder mit stechendem Kopfweh -seinen Rückplatz ein und hat bald darauf die unmittelbare -Aussicht auf zwei vom Schlaf überwältigte ältere -Herren. -</p> - -<p> -Sie sind nicht schön. -</p> - -<p> -Endlich – ich spezialisiere schon; ach es liegt so nahe! – -ist das Licht dieses mühseligen Tages gesunken. Aber der -Lampenschein ist nur ein trübes Geblinzel in dieser Luft! -Und noch fünf Stunden. Das heißt, man wird nie ankommen. -Man wird es nicht erleben. Hannover! – Die -schlummernden Gebrüder fahren auf, greifen nach ihren -Taschen und fort! – Oh! – Ich bin allein mit einem -jungen und scharmanten Mädchen. Wir wissen nichts voneinander, -aber die gemeinsame Plage hat uns längst zu -Verbündeten gemacht. Sie erzählt mir, daß sie soeben einen -Krankenkursus absolviert. Sie hat einen Apfel, ich gebe ihr -ein Messer; sie reicht mir ein Aspirin. „Aber Sie müssen -sich hinlegen,“ sagt sie, „sonst wirkt es nicht.“ Sie reißt -die oberen Klappen auf und verhängt das Licht, und wir -strecken uns der Länge nach aus. „O Gott, Schwester,“ -rufe ich aus, „dies ist viel zu schön. Es kann nicht dauern!“ -Aber sie tröstet mich, daß der Zug vor Hamburg nicht -mehr hält. Da wird – bang! – die Tür aufgerissen -und eine Blendlaterne grell vor unsere Augen gehalten. -Es ist der Kerkermeister, der sich umsieht wie einer, der -hier zu Hause ist, dann die Tür zuschlägt und wieder -verschwindet. -</p> - -<p> -Dem ist etwas nicht recht, meinten wir bescheiden und -einigten uns über ein Trinkgeld, falls er wiederkäme. -<a id="page-105" class="pagenum" title="105"></a> -Wir fingen schon an, unsere Ruhe und das Dunkel wieder -zu genießen, als die Tür lärmend aufgerissen wurde und -Kerkermeister und Laterne uns von neuem aufschreckten. -Gebieterisch verlangte er (wie oft denn noch) nach unseren -Billetten. Ich reichte ihm das meinige zugleich mit einem -Zweimarkstück entgegen. „Wieso? Was soll dieses Geld?“ -herrschte er. „Daß Sie uns nicht immer stören sollen, weil -wir müde sind.“ „Sie haben ja“ – tat er sehr überrascht – -„ein Billett zweiter Klasse und sind hier in der ersten.“ „Das -wissen Sie so gut wie ich. Ich wurde hierher verwiesen, -weil alles überfüllt ist.“ „Das gilt nur, solange wirklich -kein Platz ist“, bestimmte er. „In Hannover sind mehrere -Personen ausgestiegen. Ich werde gleich nachsehen, ob -etwas frei geworden ist. Dann müssen Sie hinüber.“ Er -schlug die Tür zu und ging. „Gibt es Worte!“ rief die -Schwester empört. „Wir sind hier im Lande der häßlichen -Briefmarken“, sagte ich, vor Wut zitternd. „Paßt so viel -Gemeinheit nicht wundervoll zur Schreibweise der Worte -‚Soße‘ und ‚Büro‘?“ Dabei stand der Laternenkerl schon -wieder unter der Tür. „So,“ meinte er im Tone des Vorgesetzten, -„drüben ist Platz“, und machte sich anheischig, -nach meinem Gepäck zu greifen. „Zurück!“ schrie ich wie -eine Wilde. „Dann zahlen Sie die erste Klasse nach“, -sagte er erschrocken. „Nein, keinen Pfennig!“ schrie ich, -denn mein Zorn kochte jetzt wie auf einem Schnellsieder. -„Aber morgen“, schrie ich, „steht diese Geschichte in allen -Blättern; es stehen mir alle Blätter,“ log ich schreiend, -„alle Blätter Deutschlands stehen mir zu Gebote.“ Ich -fand eine sehr dramatische Geste, und der Mann fuhr vor -<a id="page-106" class="pagenum" title="106"></a> -meinen Megärenaugen betreten zurück. „Ach was, meinetwegen -bleiben Sie, wo Sie wollen“, sagte er. „Jawohl!“ -schrie ich, und meine Börse öffnend, warf ich das ihm zugedachte -Geldstück ostentativ wieder hinein. Dies imponierte -ihm vollends. Er schlug zwar die Tür noch einmal -zu (dies war seine Natur), jedoch blicken ließ er sich nicht -mehr. -</p> - -<p> -„Sind Sie Schauspielerin?“ fragte mich meine Gefährtin -voll Bewunderung. -</p> - -<p> -Aber ich sank erschöpft zurück. -</p> - -<p> -Diese eine gröbliche Geschichte greife ich nur deshalb -mit Vorliebe heraus, weil ich merkwürdigerweise nicht den -Kürzeren dabei zog. Die anderen Geschichten erzähle ich -nur auf speziellen Wunsch, weil ich mich zu sehr dabei aufrege. -Und wer sie auch für erdichtet hielte, würde sie doch -nie für übertrieben erklären. Wir fahren heute lieber auf -dem längsten Seeweg nach England, lieber vierundzwanzig -Stunden lang die ganze Küste entlang zu Schiff, um der -möglichen Drangsal einer zehnstündigen Bahnfahrt zu -entgehen; und wer all die Eventualitäten des Winter- und -Sommerfahrplans auf der Strecke München-Ostende oder -Vlissingen erprobte, der zieht es vor, sich allen Meeresstürmen -und dem dichtesten Nebel auszusetzen und einen -ganzen Tag und eine Nacht länger unterwegs zu sein. Daß -die Schiffahrtsgesellschaften bei täglich wachsender Konkurrenz -so emporblühen und ihre Bureaux (ich schreibe es -so) in allen Städten aufschlagen und daß der Zulauf sich -immer steigert, geschieht nicht nur, weil die Schiffe so -prächtig geworden sind, sondern weil das Eisenbahnfahren -<a id="page-107" class="pagenum" title="107"></a> -mit jedem Jahr unerfreulicher und mühsamer wird und -hier statt des Fortschritts eine immer größere Nachlässigkeit -waltet. Nur die Preise sind gestiegen. Aber es ist, als -führe man geschenkt. Die armen Ausflügler, die an Feiertagen -zu ihren unzureichenden Zügen strömen, angebrüllt, -zurück- und zurechtgewiesen werden, sind ein Kapitel für -sich. Sich darüber zu beschweren, überlasse ich denen, welche -noch den Mut besitzen, Sonntag über Land zu fahren und -durch Lösung einer Fahrkarte das Recht auf anständige -Behandlung einzubüßen. Natürlich gibt es viele Schaffner, -die höflich und gefällig sind. Unwürdig ist nur die Tatsache, -daß Wohl und Wehe des Reisenden von der Gemütsverfassung, -der Laune und dem Naturell der Diensthabenden -abhängig sind. Sinnen und Trachten unserer Generaldirektionen -gehen dahin, möglichst große, umständliche, -protzige und unnötige Bahnhöfe (die Bahnzüge sind ihnen -egal!) zu errichten. <em>Unnötig</em>: Diese Behauptung ist mitnichten -so unverständig, wie die Herren Bahninspektoren -und Oberbauräte es möchten. Wenn sie notwendig sind, -warum stehen sie nirgends in dem praktischen England? -Warum stehen sie nicht in Paris? Warum bleiben sie in -London auf ihre einfachste Form erhalten? Warum sind -sie dort nur weite Hallen, die nur von einem ewigen Kommen -und Gehen atmen – nur praktisch – nur zweckmäßig -und trotzdem und gerade deshalb von einer starken, beschwingten -Atmosphäre von klassischer Einfachheit, und -deshalb schön. -</p> - -<p> -Kürzlich mußte ich in Leipzig den Nachtzug nehmen. -Der Bahnhof – der Stolz des Sachsenlandes – ist groß -<a id="page-108" class="pagenum" title="108"></a> -wie ein Marktflecken, und ich könnte mir so gut vorstellen, -wie hier ein Massenkostümfest veranstaltet würde, nicht -aus den besten Kreisen, aber üppig, mit großen Palmenarrangements. -Ich bitte Sie, all die Treppen, das schöne -Auf und Ab, wie geeignet! Nun – ich warte also auf -Bahnsteig vier auf den Berliner Zug. Er lief verspätet in -die großartige Halle ein, und war vollkommen überfüllt. -Wir standen geduldig und übernächtig auf der Plattform -wie ein Rudel Landstreicher, die zu warten haben, -bis man sie abschiebt. Plötzlich, wie von hoher Brücke -herab, der stolze Kommandoruf: Wagen werden keine angehängt! -Es herrschte der gewöhnliche Kriegszustand. Ich -wurde in einem Halbcoupé einem alten Sachsen zugesellt. -Als nach einer Weile der Schaffner erschien und ich ihn -fragte, ob denn nirgends Platz sei, schlug er die Tür zu, -ohne mich einer Antwort zu würdigen. „Von dem erwarten -Sie ja nichts!“ rief der alte Herr. „Das Subjekt kenne -ich. Er war eine Zeitlang in meinem Geschäft angestellt, -aber ich mußte ihn schleunigst entlassen.“ -</p> - -<p> -Es gelang uns mit vereinten Kräften, das Fenster zu -öffnen, aber vor dem Ruß, der uns entgegenflog, zogen -wir es alsbald wieder in die Höhe. Wir stellten die Heizung -auf kalt, wobei es immer wärmer wurde. „Ich bin schon -alt“, sagte er plötzlich, „und werde nicht mehr viel Eisenbahn -fahren. Das ist aber auch das letzte, worum ich die -Lebendigen beneiden werde.“ -</p> - -<p> -Nun – eine solche zehnstündige Fahrt, um die kein -Toter mich beneidet hätte, lag unmittelbar hinter mir, als -ich in Cuxhaven, unter einem flockigen Himmel, von Möwen -<a id="page-109" class="pagenum" title="109"></a> -umkreist, die hohe Brücke eines Dampfers bestieg. Der -Kontrast zwischen dem Aufschwung unseres Schiffsbaus -und der Rückständigkeit unserer Eisenbahnen hat etwas -Überwältigendes; man ist auf den Eindruck nicht vorbereitet. -Es ist ja nicht der Luxus, der uns erstaunt. Mein -Gott, den findet man heute mehr oder minder in jedem -Hotel, und er hat den Reiz der Neuheit schon so sehr verloren, -daß ich mich fragte, ob er sich in der gegenwärtigen -Form noch lange halten wird. Und da ich mir nun schon -einmal das Kapitel der Anregungen gestatte: Wäre es -nicht schön, den ganzen Aufwand neuen Bahnen zuzuleiten -und einmal ein wirklich gutes Orchester und große -Musik auf einem so würdigen Boden, wie den eines großen -Dampfers zu lancieren? Das Meer ist eine unvergleichliche -Konzerthalle! -</p> - -<p> -Nicht die kostbare Ausstattung des Schiffes, sondern -daß wir stimmungsvolle, lauschige Zimmer statt der engen -Kabine beziehen, sondern daß wir einen Kilometer zurückgelegt -haben, wenn wir dreimal das Deck umgehen, der -Luxus des <em>Raums</em>, das ist es, was uns hier ergreift. -Jeder Fußbreit mehr, der sich hier dem Element widersetzt, -das ist es, was imponiert! Drinnen im Binnenlande begreift -man nicht recht, bevor man es erfuhr, warum ein -Schiff so groß sein soll. Erst wenn man darauf hinzog, -versteht man den Sinn dieser großen, immer größeren -Häuser, in welchen man des Schiffes immerzu vergißt. -Wir ahnen nicht vorher, mit welcher Rührung wir uns -besinnen werden, wenn uns in mitternächtlicher Stille -ein dumpfes, kaum wahrnehmbares, wie unterirdisch -<a id="page-110" class="pagenum" title="110"></a> -wachsames Treiben die Augen aufschlagen läßt, und ein -Ruck, ein sanft harmonisches Rauschen uns daran erinnert, -daß nicht Straßen noch Plätze, nicht Gras noch Baum vor -dem Fenster im Winde stehen, sondern das nasse, leere Feld -des furchtbaren, feindseligen Gottes, auf welchem dies ungeheure, -beladene Schiff zur winzigen Nußschale schwindet. -Aber eine Nußschale, die uns das Gefühl höchster Geborgenheit -mitzuteilen weiß, und an welcher Menschenhände so -lange und so kundig bildeten, bis sie, allen Stürmen gewachsen, -endlich den Begriff des Schiffes selber überwand. -So ist hier der Zauber aus dem Kontrast von Größe und -Kleinheit gewoben, und mit innerem Jubel kreisen wir -immer wieder um das weite Deck dieser schwimmenden -Arche, des Spiels nicht müde, so groß ist die Romantik -dieser kleinen, armseligen, rastlos dahingemähten, dieser so -kühnen, prometheischen Menschheit, und so stark sind hier -die Perspektiven, daß wir plötzlich, wie selbst aus ihr hinausgerückt, -von Bewunderung hingerissen vor ihr stehen. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Da wir von Perspektive und von Romantik sprechen, -treten wir doch bitte einen Schritt zurück, kneifen wir ein -Auge zu, und sehen wir ins Leere, in die Ferne; dorthin, -wo sich über den Fluß die massive Brücke schwingt. Denn -nicht lange, und der Schnellzug saust plötzlich darüberhin, -aus dem Hals der Lokomotive windet sich ein brauner -Rauch zur krausen Barocksäule empor, und die locker aneinandergeschmiedeten -Wagen rollen fröhlich mit lautem, -schnell verhallendem Geräusch und wie ein gefährliches -<a id="page-111" class="pagenum" title="111"></a> -Spielzeug vorbei. Ein kurzer Pfiff, wie ein Angstschrei, und -nichts ist mehr, als die schwarze Wölbung eines Tunnels, -durch die sie geradewegs ins Innere des Felsens drangen. -Und nun meine Zeitgenossen, bitte ich Sie: Ist die Ritterburg, -deren efeuumrankter Turm vom Berge niederschaut, -suggestiver? Kann sie unserer Phantasie die Seele -eines Zeitalters mächtiger, unmittelbarer entgegenhalten, -wie der soeben vorübergerauschte Zug, dessen Fenster wir -einen Augenblick in der Sonne flimmern sahen? Fühlen -wir uns da nicht blitzschnell den vielfachen Existenzen ein, -die er dahinträgt, reißt er da nicht unsere Teilnahme zu -Schemen des Lebens hin, vertraut und unbekannt – verklungen -schon, wie angesichts des verwitterten Burgtores -das Bild des Jagdtrosses, der über die Zugbrücke lärmte; -melancholischer auch in der zerrinnenden Vielfältigkeit seiner -steigenden und fallenden Linien. Denn wie Lose in einer -Urne sind unsere Leben in jener kleinen Eisenbahn zusammengeworfen. -Wieviel vergrämte, bekümmerte und -schwere Herzen trug sie nicht schon dahin! Wieviel Verliebte -starrten schon durch ihre Scheiben in die fliehende -Gegend hinaus und erfaßten mit magischer Schärfe den -Baum, den zuckenden Steg, Dörflein und Wald, während -sie doch nur das Bild der Kreatur, an die sie dachten, vor -Augen hatten! Verträumte Flammen des Hoffens, der -Illusion, von der Bewegung gefächelt, wie Blumen, die -im Zephir stehen. Es ist eine Zeit, es ist ihr bewegter, ruheloser -Schild, der nachts als funkelnde Schlange mit runden, -feurigen Drachenaugen seinen Weg erkannt und viel -Romantik in sich verdichtet. Und es ist, als sei nichts klein, -<a id="page-112" class="pagenum" title="112"></a> -als sei alles interessant an den Wesen und ihren Schicksalen, -solange die Bahn sie hinträgt und gleichsam dem -Alltag entreißt. Nur daß sie noch nicht, wie die viel besungene -Burg, ihren Dichter gefunden hat, die eilige Besiegerin -der Fernen, die, rastlos, immer auf der Flucht, -unsere Epoche gestaltet, deren Schienen unsere Welt aufackerten -und uns erst zu eigen machten. -</p> - -<p> -Und ein Ding, so verlockend anzusehen, unterhält so -wüste Möglichkeiten; einer so glorreichen Erfindung sollte -jener Fortschritt verwehrt bleiben, der sich heute auf allen -Gebieten des äußeren Lebens – von dem fabelhaften Aufschwung -unseres Schiffahrtwesens nicht zu reden – so -glücklich geltend macht. Man fährt schon in Rußland -und auf der transsibirischen Eisenbahn sehr angenehm – -es ist also möglich. Warum sollten wir hier nicht auch -wie in so vielem Vorbildliches stellen? Wie schön, -welche Freude wären die Eisenbahnwagen, die einmal -ein Künstler wie Adolf Hildebrand entwarf. – Wo -sind sie? -</p> - -<p> -„Aber“, sagte mir kopfschüttelnd, mit erhobenem Finger, -ein mehrfacher Aufsichtsrat, „sehen Sie denn nicht ein, daß -die kolossalen Anstrengungen, welche von seiten der Schiffsagenturen -zur Hebung desselben geschehen sind, absolut -notwendig waren, um das Verkehrsmittel überhaupt in -Schwung zu bringen, und daß es ohne die rücksichtsvolle -Behandlung der Passagiere, welche Sie so sehr rühmen, -niemals florieren könnte, während unsere Eisenbahnen – -ob nun etwas für sie geschieht oder nicht, und mögen sie -noch so rückständig bleiben, ja noch unerträglicher werden – -<a id="page-113" class="pagenum" title="113"></a> -einen stets wachsenden Zudrang erfahren werden, da es -kein anderes großes Verkehrsmittel <em>gibt</em> – es sei denn -das Auto oder der Luxuszug, der ja auch“, schloß er zutreffend -und mit einem süffisanten Lächeln, „mehr oder -minder nur für Autobesitzer (er war selbst einer) in Betracht -kommt.“ -</p> - -<p> -Nun möchte ich nur, wiewohl vergebens, unsere Herren -Eisenbahnminister fragen, ob dies ein anständiges Argument -war. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-8"> -<a id="page-115" class="pagenum" title="115"></a> -Donaueschingen -im Sommer 1923 -</h2> - -</div> - -<h3 class="section pbb" id="subchap-0-8-1"> -<a id="page-117" class="pagenum" title="117"></a> -I -</h3> - -<p class="first"> -<span class="firstchar">I</span><span class="postfirstchar">ch</span> glaubte es meinem Interesse für die Musik schuldig -zu sein, daß ich nach Donaueschingen fuhr. Die Hitze -war mörderisch, die Züge so überfüllt, wie sie nur hart vor -einer Tariferhöhung zu sein pflegten. Der Rauch billiger -Zigarren mischte sich in den herrschenden Dunst. Tief verdrossen -saß ich in der Dichterklasse. Wo sonst? Zum Lesen -war es zu dunkel in der einbrechenden Nacht, die Beleuchtung -spärlich wie für Sträflinge, und alles winterlich -trübe bis auf die Hitze. -</p> - -<p> -In Titisee wurde die Tür aufgerissen, und es quetschten -sich noch zwei junge Leute herein: der eine war blaß und -mickerig: erster Handlungsgehilfe, letzter Bankbeamter, -man wußte nicht recht. Auch beim andern nicht, dessen -hübsches, rundes und zierliches Gesicht bunt war wie eine -Forelle. -</p> - -<p> -„Sie Lümmel!“ sagte er plötzlich zu dem bläßlichen -Handlungsgehilfen oder Schaltervolontär. „Sie Lümmel! -So ein Lümmel!“ Man horchte auf. Denn welch ein überraschender -Wohlklang, welch bezauberndes Organ! War -er wenigstens ein kommender Bühnenstar, wartete seiner -wenigstens ein Ruf aus der Großstadt? Er sprach das -reizendste und geschmeidigste Deutsch, aber so blitzschnell, -daß vieles, was er sagte, im Geräusch des Wagens und -<a id="page-118" class="pagenum" title="118"></a> -des Gelächters unterging. Wir vernahmen jetzt etwas von -einem Onkel, der dem „Lümmel“ einen Dollar schenkte, -worauf vier Kellner ausgesandt wurden, um nach den -Kursen zu schauen. Hitze, Rauch, billige Zigarren, alles -war vergessen: wir saßen im Parkett. Chaplin war nicht -anmutiger. Donaueschingen kam nur zu bald. Die anderen -lachten vielleicht noch bis Mainz, den ganzen Rhein entlang. -Wohin fuhr der junge Mann? Was war er? Vielleicht -verkaufte er Handschuhe und Krawatten die Woche -über. Seine übersensible Lustigkeit rührte geradezu. Ein -Künstler unleugbar, aber der arme Kerl ahnte es vielleicht -nicht. Die Laufbahn kam wohl nicht in Frage für ihn. Ja, -ja, ein neuer Typ! -</p> - -<p> -Ich dachte noch an ihn, als ich auf dem Bahnhof stand. -Donaueschingen lag in tiefster Schwärze. Die drei Personen, -die sich eingefunden hatten, mich abzuholen, versicherten -mir alle zugleich, sie seien drauf und dran gewesen, -im Hotel ein Zimmer für mich zu finden. So war es auch -mit jener Dame, die immer so lange Geschichten erzählte, -deren Pointe immer war, daß sie fast ertrunken, eigentlich -nur durch ein Wunder nicht abgestürzt, bei zweiundvierzig -Grad Fieber um ein Haar gestorben wäre usw. Kurz gesagt: -das Wort „Privatquartier“ schlug jetzt an mein -Ohr, und ich mußte nehmen, was sich mir bot, oder die -Krönungsmesse des schon nahenden Morgens versäumen. -Um neun Uhr früh, bequem an einen Pfeiler lehnend, -freute ich mich zum erstenmal, daß ich gekommen war. -Ein feines Städtchen dieses Donaueschingen. Die Solisten -sangen so schön und stilvoll, daß ich schon Berühmtheiten -<a id="page-119" class="pagenum" title="119"></a> -in ihnen vermutete, statt dessen waren es Einheimische, -deren Namen niemand kannte. -</p> - -<p> -Von der Kirche weg ging alles im Oberammergauer -Passionsschritt auf eine stimmungslose Turnhalle zu, in -welcher die Konzerte abgehalten wurden. Die des ersten -Tages habe ich vergessen. Was den Durchschnitt der Aufführungen -überragte, überragte ihn so bestimmt, daß die -Besprechungen vermutlich recht gleichförmig ausgefallen -sind. So wird jeder Kritiker Hába hervorgehoben haben, -aber nicht die überraschende Sinnfälligkeit seines Quartetts -im Vierteltonsystem. Durch seine innere Notwendigkeit -leuchtete es ebensosehr wie durch seine meisterliche Kürze -ein. Denn keine Musik verträgt Längen schlechter als die -neue. Wohl haben wir die der nachwagnerischen Programmusik -noch voll im Gedächtnis. Aber bei ihnen konnte -man einschlafen, seine eigenen Gedanken spinnen. Wir kennen -die Klippe der tonalen Kompositionen; die der atonalen heißt -Katzenmusik. Mit halbem Hinhören wird man sie nicht los. -Mit Snobismen führe hier die ganze Hölle auf. Zwar keimen -sie bereits, jedoch – gottlob! – sie wucherten noch nicht. Die -Atmosphäre Donaueschingens war noch sehr sympathisch. -Der Dollarstand war fern, von Nationalismen keine Rede. -Es drehte sich wirklich alles nur um die Sache. Diese Jugend, -ganz sich selbst überlassen, war ganz sich selbst. Viel eher -schien sie sich der kontemplativen Landschaft anzupassen, so -daß ein fast zeitloses Stimmungsbild entstand. Einem jungen -Belgier wurde zugejubelt, als gäbe es nur <em>eine</em> Kameradschaft -auf der Welt, und als Sieger des musikalischen Turniers -ging der Tscheche Hába und der Spanier Jarnach hervor. -</p> - -<h3 class="section" id="subchap-0-8-2"> -<a id="page-120" class="pagenum" title="120"></a> -II -</h3> - -<p class="noindent"> -Ich suchte, außer um mich umzuziehen, tagsüber mein -„Privatquartier“ nicht auf. Im „Lamm“ war ein leerer -Saal. Dort saß ich am zweiten Nachmittag, als aus einem -Nebenraum Musik ertönte. Alt oder neu? Beides, oder -weder dies noch das, aber so reich, so ergreifend, daß ich -zur Tür ging und sie öffnete: um ein Pianino saß eine -kleine Schar, und man probte die Oper eines Komponisten, -dessen Namen ich zum ersten Male hörte: Rudi -Stephan. Im Kriege gefallen. Natürlich. -</p> - -<h3 class="section" id="subchap-0-8-3"> -III -</h3> - -<p class="noindent"> -Daß Jarnachs Quartett den Glanzpunkt des letzten -Tages bildete, auch dieses werden sehr viele geschrieben -haben, denn es konnte kein Zweifel darüber bestehen. Zu -wenige aber bemerkten vielleicht, daß hier ein wahrer -Schüler Busonis die Probe seines Talentes gab. Der -wahre Schüler ist immer nur der, welchem sein Lehrer -Wegweiser, aber nicht Gängelführer bleibt. Wie es des -wahren Schülers ist, seine eigenen Wege auf der ihm gewiesenen -Bahn weiter zu verfolgen, so des wahren Meisters, -jene Bahn zu brechen. Mit dem so viel gebrauchten -Worte „Anreger“ scheint mir bei Busoni entschieden zu -wenig gesagt. Man mag sich zu ihm stellen wie man will, -<a id="page-121" class="pagenum" title="121"></a> -heute schon gebietet sein Werk vor allem Distanz; diese -aber, finde ich, wird nur von den paar ganz erlesenen -Kennern eingehalten. Bei den anderen vermisse ich sie. -Distanz schließt die Kritik nicht aus, ist aber immer eingedenk. -Busonis Tragik liegt darin, daß er sich wieder an -den Anfang aller Dinge stellte, keiner in unseren Tagen -machte es sich so schwer. Vielleicht ist es schon für Jarnach -eine Lust zu komponieren: seinem edlen Kolorit, seiner bedeutenden -Sprache ist die Arena geöffnet. Armer Busoni! -Wie rührend ist er, wenn er feiert! Die Schauer der Angelangtheit, -jener Orgel-Tokkata, „Bach-Busoni“ überschrieben, -weihevoll wie ein erhobener Kelch, die göttliche -Melancholie, der er in seiner Tokkata frönt, und sein -Perpetuum mobile, in welchem Seite achtunddreißig mit -einem Male die Flöte Pans einsetzt – wie selten sind die -Feste, die er sich gewährt. Seine wahren Schüler haben -es schon leichter. Gerodet liegt das unbetretene Land vor -ihnen, die Ufer von Gestrüpp frei. -</p> - -<h3 class="section" id="subchap-0-8-4"> -IV -</h3> - -<p class="noindent"> -Es dalberte der Satrap von Donaueschingen – laßt -ihn uns so nennen – im Grase seines Gartens mit den -Musikern herum. Er hatte sich aus Zeitungspapier einen -Helm gedreht, und den Musikern desgleichen. Dann hieß -es: Augen links und stramm gestanden unter dem Papierhut, -und so wurde die Parade abgenommen. Ja, und so -lobe ich mir das Militär. -</p> - -<h3 class="section" id="subchap-0-8-5"> -<a id="page-122" class="pagenum" title="122"></a> -V -</h3> - -<p class="noindent"> -Aber es kam noch viel schöner. Am letzten Abend, als alle -Konzerte glücklich hinter uns lagen, standen im Kurhaus -noch einige Gelegenheits-Kompositionen Paul Hindemiths -in Aussicht. Man saß bei Wein oder Tee und Kuchen, als -das Amarquartett mit der bescheidenen Bitte aufzog, man -möge eine Weile nicht servieren; sie gedachten noch einiges -zum besten zu geben. -</p> - -<p> -„Es darf nicht serviert werden!“ rief in unbändiger -Fröhlichkeit der Satrap durch den Saal. Und nun ertönte -als erstes ein Militärmarsch, ein Militärmärschlein sage -ich, ein goldiges Militärmärschli, dessen geringelte Ritornelle, -dessen Ringelschwänzchen von einer Ritornelle die -ulkigste, witzigste, übermütigste und zugleich saftigste Verhöhnung -war, welche militaristischer Dünkel und Stupidität -jemals erfuhren. Der Komponist spielte in sich hinein, -machte seinen runden, lustigen Kopf, und sooft die Ritornelle -seinem Bogen entquirlte, ging unwiderstehliches Gelächter -durch den ganzen Saal. Oh! Hätte man solchen -Rattenfängern von Hameln eher gelauscht! -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-9"> -<a id="page-123" class="pagenum" title="123"></a> -Marseille -</h2> - -</div> - -<div class="epi-container pbb"> -<a id="page-125" class="pagenum" title="125"></a> - <div class="epi"> -<p class="noindent"> -La patrie c’est la terre, c’est l’Univers, ce sont -les étoiles, c’est l’air, c’est la pensée elle-même. -</p> - -<p class="attr"> -<em>Flaubert</em><br /> -Correspondence -</p> - - </div> -</div> - -<h3 class="section" id="subchap-0-9-1"> -I -</h3> - -<p class="date"> -Dezember 1923 -</p> - -<p class="first"> -<span class="firstchar">I</span><span class="postfirstchar">ch</span> habe von der Vogelperspektive aus noch keine -schönere Stadt gesehen als Marseille. Die sehr nennenswerte -Kälte und ein strömender Regen beeinträchtigten den -Eindruck nicht. Freilich, das Meer war tonlos bis in alle -Fernen. Doch um so berückender leuchteten inmitten des -Dunstes die Dächer und die schmalen Fronten der Häuser. -Eines stand ganz allein für sich in seiner Feinheit, von einem -rührenden Garten umzogen, der ein flaches Viereck bildete. -Sonst nirgends ein grüner Fleck. Aber durch geheimnisvolle -Vorgänge der Sonne und der Luft war hier im Laufe der -Zeiten ein Werk von Menschenhänden selber zur Natur -geworden. Diese Dächer, diese Steine überboten die Natur. -</p> - -<p> -Als wir zu Tale fuhren, dem alten Hafen zu, blieben -wir in dessen handbreiten Gassen natürlich hängen. Es -dunkelte. Schon brannten die Lichter überall. Ich sprang -aus dem Wagen hinter einem grauen Kater her und erhaschte -ihn. Doch ich war der französischen Katzensprache -nicht mehr mächtig, und er riß mir aus. Trotz des Regens -setzte ich mich zum Chauffeur. Wir blieben lange festgefahren. -Ein wunderhübsches junges Mädchen schlug im -<a id="page-126" class="pagenum" title="126"></a> -Vorübergehen leise auf seine Hand, sah sich dann um und -lächelte. Auf der andern Seite schwang sich ein kleiner -Junge herauf, starrte mich an und wartete, daß ich lachte -über seinen Spaß. Dann erst sprang er wieder ab. Diese -schwarzäugigen, grauäugigen Gesichter unter dem nächtlichen -Haar waren alle auf der Lauer. Auf ein Lächeln, ein -lustiges Wort des Nächsten lauerten diese dunkeln und verspielten -Gesichter. Im Restaurant, in dem wir aßen, servierte -nicht, es zelebrierte der Kellner. -</p> - -<p> -Ich fuhr am nächsten Morgen wieder auf den Berg, -um die Stadt noch einmal von der Höhe aus zu sehen. -Aber die Dächer lagen wie entkräftet im Sonnenlicht. Dafür -schlug das Meer tiefblaue Pulse zu ihm auf. In den -Gassen des alten Hafens baumelten bis zu den obersten -Mansarden hinauf farbenfrohe Kleider übereinander und -wehten bunte Schürzen hin und her. -</p> - -<p> -Fasse dich, Leser, Geduld. Ich komme bald zu dem, was -ich sagen will. Sieh, schon verlasse ich Marseille. -</p> - -<p> -Paris-Lyon-Méditerranée hieß mein Zug. Im Mittagglanze -dampfte er los. -</p> - -<p> -Wieviel Inspiration niedrigen Bergen innewohnen -kann, ahnte ich nicht, bevor das weiße, lebhafte Arles vor -mir aufblitzte, bevor ich die niedrigen Berge um Arles, -die einfachen Terrainwellen der schaukelnden Erde um -Tarascon, die unaufdringliche und wunderbare Schönheit -der Provence gewahrte. -</p> - -<p> -Freunde. Eure Hände. Wie oft schwur ich mir, keine -Betrachtungen mehr über Frankreich anzustellen. Denn es -ist mir nicht gegeben, sie anders als auf Deutschland zu -<a id="page-127" class="pagenum" title="127"></a> -beziehen. Aber heute ist man verwachsen mit seinem Kreuz. -Und die Unkenntnis wahrzunehmen, die ein Stockwerk um -das andere dem Turm Babel anreiht, zwingt uns immer -wieder, unsere nie vernommenen Stimmen zu erheben. -</p> - -<p> -Laßt uns ganz unsentimental sein. Auch ohne Liebhaberei -müßte uns der Anblick Frankreichs die Worte: „Es lebe -Frankreich!“ entreißen. Denn Frankreich mit seinem rar gewordenen -Blute ist unser Wein. Sein Leben ist der Welt -notwendig. Deutschland – denn immer nur um diese beiden -geht es –, Deutschland wäre aller Brot, wenn es doch endlich -die Dinge gehen ließe. Die Stärke seiner geistigen Existenz -ist eine Großmacht geblieben, intangibel und der Welt -notwendig. -</p> - -<h3 class="section" id="subchap-0-9-2"> -II -</h3> - -<p class="noindent"> -Nicht wie eine Dichterin, wie eine Schwerkapitalistin, -in einem Coupé erster Klasse, durchfuhr ich Frankreich der -ganzen Länge nach. So etwas will ausgekostet werden. -Allein, ich war zu krank. Und welche Not, Arles mit seinen -kleinen Bergen vor sich zu sehen, ohne auszusteigen. Denn -die mir zuerteilte Jungfer kam aus ihrem Abteil hervor -und parlamentierte so eindringlich dagegen, daß ich im -Zuge blieb. Aber in Avignon sprang ich doch heraus und -ließ meine Suite vorausreisen. -</p> - -<p> -Ich fuhr – denn sobald ich zu Fuße ging, neigten sich -die Häuser höflich vornüber und der Boden beschrieb unsichere -Kurven –, ich fuhr also die lange Straße, die zum -Palast der Päpste führt. Er war geschlossen. Was blieb -<a id="page-128" class="pagenum" title="128"></a> -mir da, als die Zeit mit einer Rundfahrt auszufüllen in -dieser gewesenen Stadt mit ihrem Vorgeschmack des Nordens, -ihrer herbstlichen Sonne, ihrer kälteren Luft und ihrer -Schwermut? Wie eine Orgel nach allen Richtungen braust, -so erfüllte der Palast der Päpste überallhin den Raum. -Als ich mit dem nächsten Zuge weiterfuhr, glühte er feenhaft -im Abendschein in seiner Weitläufigkeit wie zum Tanze -geschlossen, gebot er über die Rhone, die breiten Laufes sich -dem Meer entgegenwand. Der Gang, von dem aus ich zu -ihm hinüberschaute, war leer. Auch kein Schaffner zeigte -sich, und die Bangigkeit des Abends umspann mich ganz. -Mein einziger Reisegefährte war ein Herr, der sehr viel -Zeitungen mit sich führte. Aber die Dämmerung kam schnell, -das Licht war zu trübe, um dabei zu lesen, und so gerieten -wir in ein Gespräch. Langsam und beschaulich war manch -ein Wort gefallen, als in Valence eine fremdsprachige -Familie, mit starken Nüstern, hereinbrach. Ein ungebärdiges, -der hintersten kleinen Entente entstammendes Französisch -um sich werfend, zog sie gleich darauf wieder ab, größere -Ausbreitungsmöglichkeiten zu suchen. -</p> - -<p> -„<span class="antiqua">Que de mines étrangères quand on traverse la -France, nous ne sommes plus chez nous.</span>“ -</p> - -<p> -Ich war es, die so gesprochen hatte, und ob ich auch -alsbald über meine Worte sehr erschrak, so war es doch -zu spät, um sie zurückzunehmen. Dieser Tag, bisher so -stumm verbracht, hatte mich in seine Falten eingeschlagen, -bis ich, voll eines sanften Übermutes, heimisch in ihm wurde, -geborgen und betäubt. Nun war er zu Ende. Es war -Nacht. Der Fluß zog im Dunkeln hart an uns vorbei. Das -<a id="page-129" class="pagenum" title="129"></a> -Rauschen des Zuges glich einem Monolog, wir aber waren -eines Sinnes, und mit sepulchraler Melancholie unterhielten -wir uns über Frankreich. Beide, weit zurückgelehnt, sahen -wir einander nicht. Ich sehnte Lyon herbei, denn eine grauenvolle -Erschöpfung kam jetzt zu ihrem Recht. Der Wagen -schien mir hin und her gestoßen wie ein Schiff, das im -Sturm auf Grund gerät. Wir sprachen von der Notwendigkeit, -sich zu vertragen, und daß wir alle nur eine einzige -Aufgabe hätten, einen neuen Krieg zu verhindern. Alles -andere sei unwichtig. Wann aber kam Lyon? Wenn ich -bewußtlos wurde, bevor wir es erreichten, was dann? Als -erstes würde man suchen, mich zu identifizieren. Gleich -zuoberst in meinem Täschchen aber lag mein Paß. So -so; ei ei. Ich rieb mir die Schläfen mit Kölnischem -Wasser, saß jetzt mit gefalteten Händen und schwieg. -Wann kam Lyon? Hinter meiner Lehne verschanzt, sprach -ich mir Mut zu. Endlich gab ich es auf und bat ihn, -das Fenster zu öffnen. Nebel und Kälte strömten herein. -„<span class="antiqua">Nous voilà</span>“, sagte er, und kramte seine Zeitungen zusammen. -Wir waren in Lyon. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Auch in England, daß ich es nur gestehe, habe ich mich -vor dem Kriege manchmal heimisch gefühlt. Wer jedoch die -Geschicke dieses Kontinents mit starker Anteilnahme verfolgt, -der kann heute kein Herz fassen zu England. Auch -durchschauen die Besten dort wohl, und weisen die Heuchelei -eines Axioms zurück, das sich als eine „Parteinahme des -Schwächeren“ formuliert, in Wirklichkeit aber nur den -<a id="page-130" class="pagenum" title="130"></a> -Hader auf diesem Erdteil zu perpetuieren beabsichtigt. Der -falsche Bruder hatte vor dem rabiaten Gegner ohne weiteres -den Vorzug für die leichtgläubigen Deutschen. Der Politik -Frankreichs zuzusehen, ist ja ein Alpdruck für sich, aber -Englands Rolle in diesen Tagen war viel finsterer. Die -Besten dort erkennen wohl, daß es sich in seiner Rechenkunst -überschlug; denn der Rest wäre zu trübe, um darin -fischen zu können; so daß letzten Endes es nicht mehr in -Englands eigenstem Interesse läge, seinen säkularen, aber -nicht ehrwürdigen Kurs in Europa beizubehalten. Die -Besten dort wissen es wohl. -</p> - -<h3 class="section" id="subchap-0-9-3"> -III -</h3> - -<p class="noindent"> -Der Schnellzug nach Straßburg verließ Lyon frühmorgens. -Auf dem andern Geleise lief einer, auf den ich -hatte verzichten müssen, um die gleiche Stunde nach Paris. -Lyon trug sich in Nebeln, vielfach noch in Lichtern. Es gab -viel Reisende, und bei mir zog gleich eine ganze Gesellschaft -ein: zwei ältere Herren, der eine sehr schön gewesen, der -andere sehr lustig geblieben, ein Herr von vierzig Jahren -und eine noch wunderhübsche Dame mit einem schon siebzehnjährigen -Söhnchen, der in einem großen, weiten Eisbärpelz -schier zerging. Sie waren guter Dinge, und kurzweilig -kündete sich meine Fahrt. Der lustig Gebliebene lachte -über eine Komödie aus der „<span class="antiqua">Illustration</span>“, und die Weise, -in welcher der schöne Nestor der Dame aus ihrer Jacke -half, sprach Bände für seine Vergangenheit. Als sie das -<a id="page-131" class="pagenum" title="131"></a> -erste Mittagessen wählten, wählte ich auch das erste Mittagessen, -und im Speisewagen behielt ich sie erst recht im Auge. -Die Dame trug eine Bluse aus weißer Chinaseide zu einem -grauen Rock. Ihre schlanken Füße in den hellen Strümpfen -und den offenen Schuhen hatten eine feste Art aufzutreten. -Munter speiste sie, trank munter Wein, derweil sie munter -sprach, und blieb zart und blaß dabei wie eine Narzisse. -Das Reizendste vielleicht war doch ihr Mund, der, ein bißchen -schief gezogen, ein bißchen schmerzlich, eben diese -Schmerzlichkeit jener leisen Verzogenheit verdankte. Es -war ein schwärmerischer, bitterer, glückseliger Mund, man -wußte nicht recht, wie er sich zu ihrem lebhaften und -sicheren Wesen verhielt. Aber sie war sich bewußt, glücklich -zu sein. -</p> - -<p> -Vor den breiten Scheiben floh eine Landschaft dahin, -die mich nicht fesselte. Hin und wieder Hügel, von Schnee -gestreift: der Winter, mir von jeher verhaßt, der von der -Erde Besitz ergriff, und ein toter, mißgelaunter Himmel. -Lieber sah ich zu jenem Tische hin. Als sie dort Kaffee -nahmen, nahm ich auch Kaffee, denn ich wollte erst aufbrechen, -wenn sie aufbrechen würden. Mein Eckplatz befand -sich an der Seite des Ganges. Dort pflanzten sie sich -bei ihrer Rückkehr auf; sie setzten sich nicht gleich herein, -aber sie blieben bei mir, und ich hörte alles, was sie sagten. -In aufgeregtester Debatte standen sie beisammen: denn -das Essen hatte nichts getaugt. Dieses <span class="antiqua">Fricandeau</span>, was -das wohl hatte bedeuten sollen? Gab es Worte für so unzulängliche -Kartoffeln und eine so nichtssagende <span class="antiqua">Omelette</span>? -„<span class="antiqua">Cependant les petits pois</span>“, sagte der Mann von vierzig -<a id="page-132" class="pagenum" title="132"></a> -Jahren ... „<span class="antiqua">Les petits pois étaient bons</span>“, sagte die -hochstielige Narzisse. „<span class="antiqua">C’étaient ma foi d’excellents petits -pois</span>“, sagte Nestor. „<span class="antiqua">Ils étaient même étonnants</span>“, -sagte mit großem Ernst der lustig Gebliebene. Das Söhnchen -hatte im Speisewagen sein Zigarettenetui vergessen, -kam jetzt herzu und sagte lebhaft: „<span class="antiqua">Il n’y avait de bon -que les petits pois</span>.“ Und nun wurde noch eine ganze Weile -intensiv, wie in den Wandelgängen der Kammer, über -die, wie mir dabei kund wurde, keineswegs leichte Kunst -der Erbsenzubereitung verhandelt. Von den Erbsen kam -man auf die Wicken, von den Wicken auf die Gewinnung des -Lavendels. Der echte ist sehr schwer vom wilden zu unterscheiden. -Nestor, müde vom Stehen, nahm als erster wieder -Platz. Er fragte mich, ob mich der Rauch nicht störe, und -mein „<span class="antiqua">oh non</span>“, die einzigen Worte, die ich an diesem -Tage sprach, wollte sagen: „Kommt alle herein, setzt -euch. Ich bin entzückt.“ -</p> - -<p> -Das Geheimnis der Franzosen, was ist es, wenn nicht, -daß sie bei so starker Animalität so wenig materiell sind. -Hier ist der Schlüssel zu ihrem Wesen wie zu ihrer Kunst. -Es ist der Augenblick, der, wenn auch nicht verweilen, sich -voll auslösen darf, weil er nie vorgreift, auch wo er überfließt, -und weil sein Rhythmus sich genügt. Unüberlegtes -Volk, tragisch in seiner Kindlichkeit. Wem würde es einfallen, -die Deutschen Kinder zu nennen? Frankreich ist der -Wein der Welt, Deutschland wäre aller Brot, wenn es doch -endlich die Dinge treiben ließe. -</p> - -<p> -Ich kann freilich nicht verlangen, daß ein Militarist von -dem, was hier gemeint ist, auch nur ein Wort versteht. -<a id="page-133" class="pagenum" title="133"></a> -Denn Militaristen sind Geschöpfe ohne Hirn, an sich also -nur grotesk. Allein, solche Wesen ohne Kopf durften sich zu -Herren der Welt erheben, und streben vollen Ernstes, es -noch einmal zu werden. Auf die Weise zwingen sie denkende -Kreaturen, im Harnisch zu bleiben und weiterhin zu buchstabieren. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-10"> -<a id="page-135" class="pagenum" title="135"></a> -Venedig 1922 -</h2> - -</div> - -<p class="pbb first"> -<a id="page-137" class="pagenum" title="137"></a> -<span class="firstchar">I</span><span class="postfirstchar">ch</span> traf es unvergleichlich, um über den Gotthardt zu -fahren. Er stand in Verzückung, und die Seen lösten -sich als himmlische Dekorationen ab. Dennoch ist es nicht -nur die Schönheit – die Welt ist in Europa fast überall -schön –, sondern der seltene Vorzug der Schweiz ist ihre -heutige Leere. Man kehrt in leeren Gasthöfen ein, speist -in leeren Lokalen, kein Zug ist überfüllt. Wohin du siehst, -brauchst du nicht über eine Unzahl Köpfe hinüberzublicken: -die Dinge sind dein. Der hohe Kurs hält nicht nur den -Andrang der Reisenden ab, auch von den eigenen Landeskindern -sind viele ausgeflogen. Schon in Como sitzt man -wieder gedrängt. Und angesichts des immer voll besetzten -Vaporettos, der zum Lido fährt, steigt der Gedanke auf, -daß wir zu zahlreich geworden sind, Atem holen, eine -Orgelpause ansetzen, auch in geistiger Hinsicht aufräumen, -und uns besinnen sollten, bevor wir weitergehen. Wir erleben -eine Zeit, die sich nicht mehr überblicken läßt. Vorigen -Herbst kam ich in einem sehr östlichen Lande beim Umsteigen -hinter einer dichten Menschenmenge durch die Untergründe -eines Bahnhofs zu gehen, von welchen zwei Treppen -zur Oberfläche zurückführten. Von unten gesehen schienen -die langsam nach oben vorschiebenden Köpfe alle konisch -auszulaufen, und also gestaut, und in solcher Massenauflage -kaum noch auf ein persönliches Schicksal hinzudeuten. -Entsetzlich zu sagen: wie Sardinenpackungen -nahmen sie sich aus. -</p> - -<p> -<a id="page-138" class="pagenum" title="138"></a> -Die Allgemeinheit ist heute jener Wald geworden, den -man vor Bäumen nicht mehr sieht. Sie stiebt hin und her, -und nicht mehr dem Führer, sondern den mannigfachen -Verführern eröffnet sich heute ein dankbares Feld. Es -wird immerzu von der Masse gesprochen, nie von der -Menge, nie von der <span class="antiqua">pacotille humaine</span>, welche, lediglich -weil sie aus allen Ständen zusammengesetzt und zahlkräftig -ist, zum Machtfaktor erhoben wurde. Die stets lenksame -Herde ist es, der man sich unterwirft. Und diese so unnötige -Diktatur der Menge, sie, deren Exponent der -Ramschladen ist, sie ist es, die unserem Gemeinschaftsleben -den gewöhnlichen Stempel aufdrückt. -</p> - -<p> -Ich schreibe diese Zeilen in Venedig, es ist wahr, aber -Leute wie ich haben ja nur für ein paar Gedanken Raum, -und alle Wege führen zu ihnen wie nach Rom. Sie bezahlen -ihren partiellen Scharfsinn mit Unzulänglichkeiten -aller Art. -</p> - -<p> -Auf meiner Fahrt hierher stellte ich des öfteren fest, in -wie hohem Grade die Masse sowohl heranzubilden wie zu -korrumpieren ist. Ich war bereit, in Mailand dieselbe angenehme -Enttäuschung zu erleben wie bei meiner ersten -Reise nach Italien, vor welcher ich manches von dem „erledigten -und geschmacklosen Rafael“ gehört hatte und -seine Stanzen und Deckengemälde mir dann vor Bewunderung -den Atem raubten. -</p> - -<p> -Vielleicht würde es mir mit dem Mailänder Dom ähnlich -ergehen. -</p> - -<p> -Allein ich kam über den Krankheitsherd seiner Fassade -nicht hinaus; die schönen Paläste, die sich auch hier vorfinden, -<a id="page-139" class="pagenum" title="139"></a> -kommen dagegen nicht an. Die in Triangelform ausgehauene -Schweizer Stickerei, welche sie überragt, schlug eine Dominante -für Mailand an. Sie ist heute noch verantwortlich -für gewisse Hüte, Kleiderarrangements, Farbenzusammenstellungen, -Loggien und Neubauten, denen man anderorts -nicht begegnet, denn sie hat fortwirkend das Auge der Mailänder -so sicher gefälscht, wie sich das der Venezianer bildete. -Die ärmste Frau aus dem Volke hüllt dort bis an das Ende -der Zeiten ihre ungefähre Kleidung in das Dekorum eines -schwarzen Schals, zum Zeichen, daß sie einen höheren -Rang einnimmt als die Kollegin, welche in Schürze und -Kittel zwischen scheußlichen Mietskasernen ihre Sohlen -schief tritt, während die Elektrische hinter ihr daherpoltert. -Ihr Bewußtsein ist ein Reflex der Wundergassen, durch die -sie wandelt. Er leuchtet von den beseelten Stirnen der venezianischen -Kinder. Laut sind nur die melodischen Rufe der -Gondoliere. Man erschrickt hier vor groben Stimmen, oder -sie wirken komisch. -</p> - -<p> -Für den Militarismus freilich war diese Stadt wie jede -andere lediglich eine Zielscheibe für erfolgreiche Bombenwürfe, -und nichts könnte ihn besser kennzeichnen, als seine -Kanonenauffahrt gegen ihre Fragilität. Von seinen Bekennern -sagte ich ja schon, daß ihre Nasen stumpf ausliefen, -wie die Nasen der Hunde, ebenso unfähig wie Hunde, -den geistigen Gang der Dinge zu spüren. -</p> - -<p> -Ich schreibe diesen Brief im Abendwinde der Piazzetta, -nach einem ersten flüchtigen Rundgang in den <span class="antiqua">giardini -publici</span>. Dort stehen ein halb Dutzend Gebäude oder mehr -den Bildern aller Länder gastlich, allzu gastlich offen. Die -<a id="page-140" class="pagenum" title="140"></a> -schon geäußerten Erwägungen drängen sich von neuem -auf: Überschüssiges, Ausschußware, als eine Folge der -Quantität, die sich auf Kosten der Qualität behauptet, -infolgedessen höherer, nicht zu vermeidender Ramsch auch -hier. Die guten Bilder, oder wenigstens die guten Künstler, -auch die guten Plastiker kannte man. -</p> - -<p> -Überall läuteten schon die Wächter den Schluß der Ausstellung -ein, sehr verfrüht, wie mir schien, aber sie waren -es wohl müde, vor so viel Bildern herumzustehen. Gott, -o Gott! Was sollte ich über diese Ausstellung schreiben? -„Ich komme schon!“ rief ich, England durchrasend, -dem Türhüter zu. Nach Holland fliehend, läutete mich -schon wieder einer hinaus. Aber ein erster Rundgang -sollte es ja sein. Also rasch nach Ungarn, dazu reichte -es noch. – -</p> - -<p> -Seid mir gegrüßt, ihr Glocken! -</p> - -<p> -Ich stand wieder auf dem Vaporetto; konnte es etwas -Überwundeneres geben, etwas, das sich in dem Maße überlebt -hatte, etwas den Bildern selbst Unzuträglicheres, wie -solche Massendarbietungen? Nur Separatausstellungen -haben noch einen Sinn. Der Eindruck einer Überzahl von -Bildern verschiedensten Ursprungs hingegen ist dem eines -großen Geschreies vergleichbar. Wir möchten uns die Ohren -zuhalten: sie reden alle zugleich und fallen einander ins -Wort, wobei die Unwichtigsten, wie das so geht, am lautesten -sind. Welch eine stillere Kunst fürwahr ist die Musik! -Und wäre es nicht an der Zeit, solche Bilderparlamente -ein für allemal zu schließen? Hier geht es doch wirklich -nicht um Demokratie. Lohnt es sich, so weise man diesen -<a id="page-141" class="pagenum" title="141"></a> -und jenen Malern einen Raum. Wenn nicht, so mögen -sie erst ausreifen, sofern sie das Malen nicht aufstecken; -jedenfalls verschone man uns mit ihrem Lärm. Auch -dem Nichtssagenden, wie allem, was es gibt, hat der -Weltkrieg neue Lichter aufgesteckt. Vor Leuten, von welchen -sich einer acht Jahre früher anöden ließ, ergreift er heute -erschrocken die Flucht, und die Menschengruppen sondern -sich heute reinlicher ab, es ist wahr. -</p> - -<p class="date"> -Montag, 26. Juni -</p> - -<p class="noindent"> -Wieder auf dem Vaporetto. Nur für Stehplätze an der -Sonne ist noch Raum, einer Julisonne kann man wohl -sagen, und es ist Mittag. Mein Sonnenschirm ist an der -Grenze geblieben, und mein Fächer im Hotel. Es fällt mir -plötzlich ein, daß man damals, als es sich noch ausbreiten -konnte in der ganzen Welt, und seine Schiffe in allen -Häfen einliefen, so oft sagen hörte: Deutschland müsse -seinen Platz an der Sonne haben und er sei ihm verwehrt. -Barmherziger Gott! Wie ist es heute zusammengepfercht! -Warum ich gerade heute so viel hinüberdenke? Ist es das -überfüllte Boot? -</p> - -<p> -Es glitt den <span class="antiqua">Canal Grande</span> entlang, und das Auge -stillte sich an den unsterblichen Palästen, den gewaltigen -wie den schmächtigen, der Musik ihrer Formen, dem Zusammenklang -ihrer Farben; denn sie sprachen zu ihm. Ja, -es fühlte sich angerufen von diesen geschwungenen Brücken, -sie fingen an, ihm die intimste aller Gefolgschaften zu bilden; -diese Gassen, in den Gewässern aufgetan, die Stufen, die -hinab in ihre Stille führten, und ihre Pforten, so traumhaft -<a id="page-142" class="pagenum" title="142"></a> -umspült, sie zogen alle mit ihm; und die Gärten, die -Mauern, tief von den Ästen überhangen, und jene Kinder -dort, zwischen den Säulen der Terrasse, so schlank, so zart -gekleidet, und die so still hielten ... Und die berückende -Dame, die uns in ihrer Gondel kreuzte, deren Rosenherz -vorfrüh gebrochen ist, und lange vor Sommers Ende den -Herbst erlebte. Welcher Stoß hat es getroffen, und wird -es sich erholen? Sie gibt die schweren Kelche ihrer Augen, -die von der Süße und Qual der Rosen beladenen, dem -Lichte preis, fesselnder in ihrem unverminderten, doch schon -verfallenen Zauber, wie alle Jugend. Sie ist vorbeigezogen. -</p> - -<p> -Am Rialto gab es ein Gedränge. Doch jetzt saß ich am -äußersten Ende des Bootes. Das Glück stieg und schwellte -in mir empor, und ich gewährte ihm ganz. Wir hatten -im Schatten angelegt, und vor mir war ein schwerer Palast, -die rostbraunen Gardinen herabgelassen. Aber ein Luftzug -bewegte sie; sie blähten sich wie Segel, bereit, dem Winde -zu folgen. Warum erhöhte sich da meine Lust? – Die -Welt ist nie so heimatlos, Venedig noch nie so kostbar gewesen. -</p> - -<p> -Ich hatte beim Einsteigen den <span class="antiqua">Corriere della Sera</span> erstanden, -aber vergessen, ihn zu lesen. Er glitt jetzt von -meinen Knien zu Boden, und ich hob ihn auf. Zuoberst -auf der ersten Seite standen die Worte: <span class="antiqua">Rathenau assassinato</span>. -Sie setzten das Auge unverzüglich außer Spiel und -schalteten es aus. Von all den Palästen sah es keinen einzigen -mehr. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -<a id="page-143" class="pagenum" title="143"></a> -Fürwahr, ihr Freunde, ein wunderbarer Richter ist der -Tod. Mit zeitloser Geschwindigkeit hat er die Maske von -uns gerissen, die Schale zerbrochen und den tauben oder -süßen Kern in uns geprüft und kundgetan. Da sind -„gute Bekannte“, von deren Sterben man Notiz nahm, -ohne mit der Wimper zu zucken; da ist ein anderer, scheinbar -Fernerstehender, dem wir durch die Umstände oder -durch gewisse Eigenschaften, die uns in Schach hielten, -nie wirklich nähertraten. Und da trifft uns sein Tod wie -der eines nahen Freundes, als hätten wir ihn immer geliebt. -Es zeigt sich, daß alle seine Schuldscheine zerrissen, -jeder Schatten durch starke Wesenheiten überboten sind, -und es will plötzlich nicht mehr gelingen, uns seiner Fehler -auch nur zu entsinnen. Was ist geschehen? Es gibt Fehler, -die nichts Inherierendes sind. -</p> - -<p> -Rathenau gehörte, wie der während des Krieges verstorbene -Robby Mendelsohn, zu den ganz wenigen feudalen -Juden, die in Deutschland zu finden sind. Hier ist -der Punkt, wo jeder Mensch von Ressentiment (sei es aus -Rasse oder sonstigen Gründen) ihn mißverstehen mußte. -Undenkbar – denn es war nichts Kleinliches in ihm, nicht -einmal in seiner Eitelkeit –, daß er den Nekrolog geschrieben -hätte, der ihm von Harden zuteil wurde. Selbst was er -Richtiges enthält, ist daneben. Rathenaus Ehrgeiz war -ohne eine Spur von Subalternität. Als er zur Regierung -gelangte, zeigte es sich, daß er nicht nur seinem Talent, -sondern auch seiner Natur nach dazu berufen war. Dies -gab seiner Gestalt das ungemeine Relief: mochte er diesen -oder jenen Fehler begehen, er war an seinem richtigen -<a id="page-144" class="pagenum" title="144"></a> -Platz. Und die antike Glorie seines Todes entsprach ihm -wirklich. -</p> - -<p> -Daß er übrigens bis in das Jahr neunzehnhundertundachtzehn -an den Sieg Deutschlands glaubte, habe ich -von ihm selbst anders gehört. Im Frühjahr neunzehnhundertundsechzehn -besuchte er mich einmal in München, -im Herbst desselben Jahres fuhren wir die Strecke Romanshorn-Buchloe -zusammen, im Januar neunzehnhundertundsiebzehn -sah ich ihn zum letzten Male in Berlin. -Es war hier und dort fast dasselbe Gespräch: -</p> - -<p> -„Lassen Sie heute die Hände“, sagte er, „von der -Politik. Sie ist des Teufels Kessel. Sie wissen nicht, was -vorgeht, und Sie können nicht dagegen an.“ -</p> - -<p> -„Warum tun <em>Sie</em> nichts?“ -</p> - -<p> -„Weil nichts zu machen ist, die Dinge müssen ihren -Lauf nehmen. Erwarten Sie immer das Ärgste, und Sie -werden es noch übertroffen sehen. Es gibt keine Dummheit, -die man unterlassen wird. Den Unterseebootkrieg? -Ja, der kommt auch,“ fuhr er in seiner gleichmäßigen -Stimme fort, „und dann der Krieg mit Amerika. Und zuletzt -wird man ihn verlieren. Auch das.“ -</p> - -<p> -„Das sagen Sie,“ rief ich, „und sehen zu?“ -</p> - -<p> -„Weil alles vergebens ist. Später, viel später erst, werde -ich vielleicht eingreifen können. Ich warne Sie“, fing er -wieder an – und nahm seine Belehrungen wieder auf. -</p> - -<p> -Seine Worte, meine Unfähigkeit, die Lage zu übersehen, -bedrückten mich schwer. Doch ich hielt an meiner Hoffnung -an ein baldiges Ende fest. Dieser Allesbesserwisser! Gottlob, -daß er nicht recht zu haben brauchte. -</p> - -<h3 class="section" id="subchap-0-10-1"> -<a id="page-145" class="pagenum" title="145"></a> -Den Hakenkreuzlern ins Stammbuch -</h3> - -<p class="noindent"> -Kein Glaube hat sich als so ominös erwiesen, als wie -der Glaube, das auserwählte Volk zu sein. Ihm wurde -auf Jahrhunderte der Fluch des Ghettos zuteil, der auf -den größten aller Morde zurückführt. Seht ihr nicht, wie -sich für eure Verblendung und eure Missetaten über eure -Köpfe hin das Ghetto profiliert, das euch abseits stellt? – -Kein Mord bleibt ungesühnt, auch wenn der Täter entwischt. -<em>Haken</em>-Kreuzler in der Tat! -</p> - -<h3 class="section" id="subchap-0-10-2"> -Zum Wandel der Zeiten -</h3> - -<p class="noindent"> -Das jüdische Problem ist reich an Geheimnissen. Auf -vielfache Weisen, auch auf Weisen, die wir vielfach übersehen, -tritt es immer stärker in den Vordergrund. Vielleicht -sind gewisse typische Christusmenschen jüdischer Abkunft -das Unverjudetste, was es gibt. Ihrer wurden in -Deutschland während der letzten Jahre eine Anzahl um -die Ecke gebracht. Ist da nicht der Moment gekommen, -uns über die Juden zu äußern, statt diese ausschließlich -von sich reden zu lassen? Man gestatte es uns ganz ohne -Empfindelei: es ist immer so langweilig, was ein Volk -über sich selber sagt. Räumen wir auch mit allen gefälligen -Fiktionen auf, als sei der Haß der Juden für uns in Frage. -Vielmehr bildet die Attraktion, welche unsere Typen, je -ausgesprochener sie sind, auf sie ausüben – das Wort ist -heraußen –, einen Bestandteil des Rätsels, dessen endliche -Lösung mit unserer endlichen Erlösung insgeheim verwoben -<a id="page-146" class="pagenum" title="146"></a> -ist. Aber die Judenfrage ist eine Christenfrage. Das Wort -ist nicht von mir. -</p> - -<p> -Man mißverstehe nicht absichtlich folgende einfache Bemerkungen -zum schwierigsten aller Themen: Wie jeder -hochgezüchtete Deutsche das lebendige Gegenteil ist von -einem Boche, also ein Anti-Boche, so ist nicht nur der -Unterschied, sondern der Gegensatz zwischen dem losgelösten -und dem, was wir den stofflichen Juden nennen wollen, -so groß, daß wir in jenem den eigentlichen Anti-Semiten -erkennen dürften. Freilich nicht nach Art der Haken-Kreuzler, -die das Verjudetste sind, was es heute gibt. Man kann es -ihnen nicht oft genug wiederholen, auch wenn sie einen -dafür auf ihre Liste setzen. -</p> - -<p class="date"> -Tags zuvor 25. Juni, Sonntag -</p> - -<p class="noindent"> -So schön sah ich Venedig noch nie! Es schimmerte -von weitem, das Schiff hatte eben vom Lido abgestoßen, -und der Himmel verdunkelte sich, aber ein magischer Umsturz -aller Farben – dem Fabelreiche entnommen – setzte -sich in Szene. Einer Laune folgend, schien die Sonne ins -Meer hinabzufahren, um aus den Tiefen zu dieser Stadt -emporzuleuchten, daß sie in pfirsichgelbem, in grünstem -Gold erglühte, ermattete. Ein zartes Rosa schlug melodisch -an, eine Kuppel trug sich, Feuer fangend, wie ein Edelstein, -und vor den toll erblauenden Lagunen fuhren Türme -leidenschaftlich auf. Venedig zuckte, flammte und erlosch, -von einer schwarzen See verschlungen. Das Vaporetto, -allen Ufern entzogen, vom Sturme eingehüllt, wurde der -Schauplatz eines Wolkenbruches und war so dicht besetzt, -<a id="page-147" class="pagenum" title="147"></a> -daß keiner von seinem Heringsplatz wegrücken konnte. -Ströme liefen den Längsseiten entlang und gurgelten in die -Schuhe. An der Peripherie stehend und vom Wind halb -erstickt, erhaschte ich gerade noch meinen Hut, als er über -Bord fliegen wollte. Von allen Köpfen rann das Wasser. -Da schlug ein Blitz wie ein Riesenschwert hart am Schiffe -vorbei in die Wellen, und im selben Augenblick setzten Rufe -und Wehklagen von Frauen und Kindern ein, das merkwürdigste -Lamento, einem Sirenengeheul nicht unähnlich. -Was jetzt vor sich ging, war die regelrechte Generalprobe -einer großen Panik; denn das Schiff hatte keinen Schaden -erlitten. Es schien zu stoppen, legte aber langsam die gewohnte -Straße zurück, und nur der <em>Gedanke</em> an den -Untergang löste also diese Angst und dies rührende Flehen -der Kinder aus, die, an ihre Mütter gepreßt, unausgesetzt -nach ihnen riefen. Väter waren plötzlich etwas Unvorhandenes -in der Welt. Aber dieser Präventivjammer, war -er nicht seltsam angesichts der Tatsache, daß wir in einer -viertel Stunde landen würden, während Schiffe, die solche -Klagetöne entsandten, zu Tausenden untergegangen waren -mit Menschen, welche auch vermeinten, ihnen könne und -dürfe dies nicht widerfahren, und mit demselben starken -Willen wie hier sich an das Leben klammerten, bevor sie -ertranken. Und waren wir darum weniger Kandidaten des -Todes, weil jetzt das Schiff ohne Havarie das Ufer erreichte, -der seltsame Choral verstummte und Gelächter sich -vernehmen ließ, als sei alles gewonnen? Dem Wolkenbruch -war ein heftiger Regen gefolgt. Meinen Hut, der einer -ersäuften Ratte glich, in der Hand haltend, stürzte ich -<a id="page-148" class="pagenum" title="148"></a> -blindlings auf einen offenen Eingang los. Es war die dem -Landungsplatz gerade gegenüberliegende Pforte des Hotels -Danieli. Ein großer, breitschulteriger Herr starrte mich an, -als sei der Genius des Regens durch den Schornstein zu -ihm hereingefahren. Dann aber geleitete er mich, ohne eine -Frage zu stellen, die Treppe hinauf, schloß eine Tür auf, -läutete einer Cameriera, die alle meine Sachen mit fortnahm, -und ich war allein in einem großen Doppelzimmer, -das plötzlich stockfinster wurde, weil jetzt der Blitz irgendeine -Leitung beschädigte, so daß alle Klingeln und alles -Licht im Hotel versagte. Nun war ich bis zu diesem Tage -mit meinem Italienisch pompös ausgekommen. Vergessene -Worte aus meiner Kindheit waren mir in Scharen wieder -zugeflogen. Und ich fing sie ein, wie sie gerade kamen, -duzte groß und klein, weil mir die Verben nur <span class="antiqua">en gros</span> -einfielen, spickte sie dafür mit <span class="antiqua">magaris</span> und <span class="antiqua">c’è casos</span> und -<span class="antiqua">ma comes</span> und <span class="antiqua">ma ches</span>, alles in rüstiger Bearbeitung, -wie frische Salatblätter, und mit einer so draufgängerischen -Volubilität, als müßte mir doch endlich jemand sagen: -„Nein, wie <em>Sie</em> gut italienisch reden!“ Allein, das neueröffnete -Konto meines Wortschatzes hatte angesichts des -Bewußtseins als Dachrinne, statt, wie es in meinem -<span class="antiqua">Biglietto gratuito</span> stand, als „<span class="antiqua">critica del Berliner Tageblatt</span>“ -<span class="antiqua">in questo albergo</span> aufzutreten, eine plötzliche Sperre -erlitten. Während ich zähneklappernd durch die strahlende -Halle vorüberströmte, hatte mir zwar meine rinnende Stirn -noch einige Kontenance gegeben. Als ich aber zwei Stunden -später, nach Verbrauch vieler Handtücher, in getrockneten -und heiß gebügelten Kleidern und mit einem menschlichen -<a id="page-149" class="pagenum" title="149"></a> -Angesicht im Bureau des Hotels bei dem breitschulterigen -Herrn vorsprach, da war mein Italienisch, wie der Federkranz -auf meinem Hute, von mir weggeweht, und gefaßt, -aber in einem fürchterlichen Kauderwelsch erkundigte ich -mich nach dem Preis. <span class="antiqua">Ma niente!</span> sagte er, ganz Kaufmann -von Venedig und mit einer Geste, welche diese ganze -Stadt zum Hintergrunde hatte. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Mit der Hitze ist es übrigens, wie ich vermutet habe. -Heiß ist heiß und kalt ist kalt. Mehr als heiß kann es nicht -geben, und ein Eisenbahnwagen in der Sommersglut -zwischen Offenburg und Frankfurt bietet nicht die Spur -größerer Kühle als Verona um dieselbe Jahreszeit. -</p> - -<p class="date"> -27. Juni, Dienstag -</p> - -<p class="noindent"> -Was die Ausstellung betrifft, so mußte es bei jenem -ersten flüchtigen Rundgang bleiben. – Als ich heute morgen -Lire kaufen wollte, war die Mark derart zusammengebrochen, -daß man in den Wechselstuben Miene machte, -sie überhaupt nicht mehr zu nehmen. Als sei mit Rathenau -ein letzter tragender Pfeiler niedergerissen, und jener -drohende Ruin, gegen welchen dieser Sohn seines Landes -alle seine Kräfte angespannt hatte, vollzöge nunmehr ungehindert -seinen verheerenden Marsch. Fluchtartig verließ -ich Venedig. -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-11"> -<a id="page-151" class="pagenum" title="151"></a> -Abschied von Venedig 1924 -</h2> - -</div> - -<p class="pbb first"> -<a id="page-153" class="pagenum" title="153"></a> -<span class="firstchar">V</span><span class="postfirstchar">on</span> der Einnahme Venedigs durch die Deutschen in -der Osterwoche 1924 werden die Annalen dieser Stadt -vermutlich nichts berichten. Wer hätte es auch gedacht? -So schnell, nicht wahr? Ohne Schwertstreich. Infolge der -schönen Verordnung, daß ihnen bei der Ausreise eine hohe -Summe abzufordern sei, sprangen, kletterten, überrannten, -stürmten sie in ihrer Torschlußpanik scharenweise die Grenzpfähle -– und waren da. Man sah mit einem Male auf unbemittelte -Deutsche, welchen man die Spuren der letzten -zehn Jahre anmerkte, und die billigen Alberghi waren nicht -minder angefüllt als wie Danieli, Grünwald usw. – Bleibt -es bei jener Verordnung, dann werden – ausgerechnet – -nur mehr jene Typen, welche uns dies Frühjahr so blamierten -und durch ihren Aufwand so viele Spenden an -ihre notleidenden Landsleute rückgängig machten, sie allein -werden dieselben fürderhin vor dem Auslande repräsentieren. -</p> - -<p> -In jener Osterwoche jedoch sah man, wie gesagt, so -manch sympathisches Gesicht mit dem Gepräge einer geistigen -Existenz. Wie eine Springflut stürzte auch die heute so zurückgedämmte -Sprache über ganz Venezien hin, und deutsche -Speisekarten lagen in allen Ristorante auf. Mehrfach habe -ich „Wurstl mit Cren“ gelesen; hyperdeutsch; nur Münchner -mochten auf den ersten Blick erfassen, daß hiermit kein -Hanswurst gemeint ist, kein Wurstl, sondern Wurst mit -Meerrettig. -</p> - -<p> -<a id="page-154" class="pagenum" title="154"></a> -Die Osterglocken läuten über den Markusplatz, die Sonne -leuchtet und lockt ans Meer; es gurren die Tauben im verstärkten -Chor, und nie war die Welt so gemein. Restbestände -aus der Arche Noah sind natürlich überall noch anzutreffen, -aber mehr als „Souvenirs“, nicht daß sie ins Gewicht -fallen; bewahre! Ausschlaggebend ist durchaus die dicke -Krämerin aus dem Grand Hotel, die an einer Porphyrsäule -der Markuskirche lehnt und behufs photographischer -Aufnahme mit ihrem Mispelgesicht zu einer Taube wie -eine Mispel niederlächelt, wenn eine Mispel lächeln könnte. -</p> - -<h3 class="section" id="subchap-0-11-1"> -Wunschtraum -</h3> - -<p class="noindent"> -Wenn ich ein Vöglein wäre, flöge ich natürlich dieser -Welt davon. Hätte ich aber in ihr etwas zu sagen, so -führe dieser Tage ein strammer und himmellanger Besen -in den Markusplatz hinein. Die an der Porphyrsäule -Lehnende würde in eine Calle hinter einen Ladentisch -mit Mortadella zurückgefegt. Sodann müßten mir die -Konzertprogramme bei Quadri, Olympia, Florian und -Lavena unterbreitet werden. Denn bei schwerer Geldstrafe -dürfte keine Bumsmusik auf der Piazza hin- und herüber -tönen. Ich erlebte folgendes: Eine der dortigen Kapellen – -sie bestand aus Deutschen, Südtirolern und einem Italiener -– gab als schüchterne Konzession an den Karfreitag -Paraphrasen aus dem Parsifal. Zum Schluß rief jemand -Bis. Daraufhin entspann sich zwischen den Musikern und -mir folgender Dialog: „Spielen Sie das doch noch einmal.“ -– „Wir können nicht.“ – „Man hat doch Bis -<a id="page-155" class="pagenum" title="155"></a> -gerufen.“ – „Es war ja nur Hohn.“ „<span class="antiqua">Non li piace</span>,“ sagte -der Cellist, „<span class="antiqua">piace a noi, ma non a loro</span>.“ Ich würde mir -aber das Publikum schon ziehen. -</p> - -<p> -Haben wir, die wir uns in der Welt nicht mehr recht zu -Hause fühlen, am Ende ehrlichere Gesichter von unserem -Unbehagen weg? – Ich erstand ein Fernglas, hatte aber -nicht genügend Geld bei mir und ersuchte die Verkäuferin, -es mir zurückzulegen. Da trat aus dem Schatten die Padrona -hervor, bat mich um Namen und Adresse und -händigte mir das Fernglas ein. -</p> - -<p> -Und doch bin ich finsterer denn je entschlossen, den nächsten -Fund, den ich mache, zu behalten. Aber ach! Die Menschen -teilen sich in Finder und in Verlierer ein und mir sind -die Finder immer an den Fersen. – -</p> - -<h3 class="section" id="subchap-0-11-2"> -<span class="antiqua">La valigia</span> -</h3> - -<p class="noindent"> -Die Nacht war längst angebrochen, als der Zug, mit -dem ich fuhr, sich Venedig näherte. In meinem Abteil saßen -mir zwei Herren gegenüber, auf meiner Seite niemand. Ich -streckte mich also der Länge nach aus und merkte nicht einmal, -daß einer meiner Reisegefährten in Vicenza ausstieg, -der andere in Mestre. In Venedig angekommen, merkte -ich aber, daß an Stelle meiner Handtasche eine viel kürzere, -die ihr außer in der Farbe gar nicht glich, zurückgeblieben -war. Die meinige war offen gewesen. Kofferschlüssel führe -ich prinzipiell schon lange keine mehr mit mir. Wozu auch? -Es mußte regelmäßig der Schlosser gerufen werden, der -neue Schlüssel aber war es, der als erster abhanden ging, -<a id="page-156" class="pagenum" title="156"></a> -während der alte wieder zum Vorschein zu kommen pflegte, -zum geänderten Schlosse aber nicht mehr paßte. Außerdem: -was nützen Schlüssel? – Fuhrwerke etwa ich in Koffern -herum, die andern gehören? Wäre ich aber ein Dieb, würde -das bißchen Schloß mich daran hindern? Also. -</p> - -<p> -Übergehen wir aber, ehrlicher und teilnehmender Leser, -meine Fassungslosigkeit, als über das Fehlen meiner Tasche -kein Zweifel mehr bestand. Nichts von angelsächsischer -Selbstbeherrschung legte ich an den Tag; nichts von Stoik. -Ungeheuchelt brach sich mein Furor Bahn. Zwar hatte -schon ein Herr aus Vicenza wegen eines Gepäckstückes telephoniert; -aber böse Ahnungen zogen im Sturme in mir -auf; den Bettelstab sah ich grünen in meiner Hand. Denn -auch meine Manuskripte, die Arbeit von Jahren, steckten -wohlverschnürt in einer Seitentasche und sollten in Venedig -ihre letzte Reife erfahren. Und nicht nur sie, sondern mein -jüngstes Produkt, mein Benjamin, welcher den Titel führte: -veder <span class="antiqua">Napoli e partire</span>. Er war nicht gegen Napoli, nur -gegen das schlechte Wetter gemünzt, das ich dort angetroffen -hatte. Wer aber bürgte mir, daß mein <span class="antiqua">mal’ occhio</span> -weiter als diesen Titel lesen und in nationalistischer Entrüstung -den ganzen Bündel nicht ins Feuer werfen würde. -Hatte man nicht wegen Palermo den Maeterlinck gefordert? -– -</p> - -<p> -Um zwei Uhr morgens war ich in meinem Hotelzimmer, -um neun Uhr schon wieder auf dem Weg zur Bahn. Über -meine Tasche lagen nur höchst undeutliche Meldungen vor, -die des Vicentiners hatte man ihm zurückgeschickt. Ich begab -mich zum <span class="antiqua">capo di stazione</span>. Wert im Rate der Zehn -<a id="page-157" class="pagenum" title="157"></a> -zu sitzen, höchst ritterlich, und noch dazu auffallend schön, -nahm er sich, über jeden <span class="antiqua">sacro egoismo</span> erhaben, sofort -meiner an und telephonierte nach Vicenza. Es sei eine -Tasche da, jawohl. Ich wurde gefragt, was alles drin sei, -und ich nannte ein paar Dinge, die mir gerade einfielen. -„Toilettengegenstände, eine Reiseuhr, ein Arbeitssack, <span class="antiqua">Delle -lettere</span>“, sagte ich; <span class="antiqua">scritture</span>. Der <span class="antiqua">capo di stazione</span> notierte -alles und gab seine Orders. Mit dem Sieben-Uhr-Abendzug -würde die Tasche ankommen, wenn ich also um dieselbe Zeit -mich einfinden wollte? ... Doch ach, nur ich traf -ein zu diesem Abendzug. Der <span class="antiqua">capo di stazione</span> begab sich -in den Gepäckraum; errötend gab er mir das negative Ergebnis -mit. Er telephonierte und telegraphierte von neuem. -</p> - -<p> -Am nächsten Morgen war die Tasche da. -</p> - -<p class="tb"> - -</p> - -<p class="noindent"> -Verschnürt und plombiert harrte sie meiner im Lagerraum, -und ich wurde aufgefordert, sie zu öffnen und festzustellen, -ob nichts fehle. Ich zerschnitt die Schnüre, sie -sprang auf. Ein Griff nach rechts, ein Befühlen der Rolle, -meine Werkstatt war unversehrt. Da genügte ein flüchtiger -Blick auf alles übrige. „<span class="antiqua">C’è tutto!</span>“ sagte ich, zog ab mit -meiner Tasche, nahm eine Gondel für die Tasche und mich -und blickte triumphierend den <span class="antiqua">Canal Grande</span> hinab. Die -Tasche und ich, wir fuhren dann ein in die stilleren Seitengewässer -und die nur aus ihrer Stille vernehmbare Musik -Venedigs, von den Steinen und den Pforten angestimmt, -ob sie eintauchen in die Flut oder bemoost sie überragen, -wie süß drang sie zu mir. -</p> - -<p> -<a id="page-158" class="pagenum" title="158"></a> -Erst beim Auspacken trat zutage, was alles fehlte: von -drei Scheren zwei, von zwei Bürsten die zusammenlegbare -in einem Etui, der Sack Pralinés aus Nizza. Allein solche -Verluste nimmt man leicht. Als ich jedoch den Arbeitsbeutel -öffnete, wehe! Da fehlte der wertvollste und teuerste -jener Gegenstände, die ich immer mit mir führe: eine -schmale, silberne, einfache, aber wirklich vollkommen schöne -Empire-Nadelbüchse, einzig in ihrer Art, die alle kennen, die -meine Sachen kennen. Sie fehlte. Sie war gestohlen. Der -naheliegende Gedanke, daß man so grausam sein würde, -sie mir zu rauben, war mir nie gekommen. Eine Welt von -Erinnerungen umschloß für mich ihr schmaler, schreinartiger -Hals. Nie öffnete ich sie mit gleichgültiger Hand. Ich hing -an ihr über mein Leben hinaus, ich träume von ihr. -</p> - -<p> -Mit welchem Fuge aber hätte ich den Weg zur Bahn -von neuem eingeschlagen, nachdem ich doch ausgerufen -hatte: „<span class="antiqua">C’è tutto!</span>“ -</p> - -<p> -Ihr Herren Eisenbahner aus Vicenza, lohnt mir so nicht -mein Vertrauen. Gebt mir meine Nadelbüchse wieder! -Was ist sie für ein verschwindend Ding inmitten der Pracht, -die euch umgibt. -</p> - -<p> -Oder sollten Sie mein Herr, der Sie meine Tasche verwechselten -– Ihr Name wurde ja auf Protokoll genommen -–, sollten Sie ein Antiquar sein und der Versuchung -nicht haben widerstehen können, so schicken Sie mir die kleine -Nadelbüchse wieder. Wer sie mir findet und zurückschickt, -dem werde ich ihren vollen Wert zurückerstatten, wer -immer es sei. Dem Dieb, der sie behält, wird sie Unglück -bringen, denn sie gehört zu niemandem als zu mir. -</p> - -<p> -<a id="page-159" class="pagenum" title="159"></a> -Seltsame Stadt, schwebend gleichsam, nein, wie in sich -selbst versunken, und dem Tode stärker als dem Leben zugewandt. -Wie behält sie jedes Echo! Was läutet sie? – -Noch vibrieren heimliche Reflexe jenes Februartages, an -dem der junge d’Annunzio den Sarg des „<span class="antiqua">Grande Barbaro</span>“ -auf seine Schultern hob und mit seinen Freunden -die Stufen des Palazzo Vendramins hinabtrug. Noch -lauern Schatten jener Gondel, die Wagners Leiche zog, -noch weht am <span class="antiqua">Canal Grande</span> ein Hauch der Stunde, zu -der er starb. -</p> - -<p> -Schöner, tiefer, stiller war Venedig vor zwei Jahren -inmitten seiner Junihitze und seiner Leere. Damals klang -die trübe Nachricht vom Mord an Rathenau herüber; -dieses Mal der Tod der Duse, und gleich darauf in seiner -schauderhaften Schrille das Ende Helfferichs. Wer hat den -Tod mit einer Geige abgebildet? Wie verschieden moduliert -er seine Weisen! Mit welcher Pracht umleuchtete und -steigerte er weithin das Sterben der Duse. O heilige -Kunst! – -</p> - -<div class="chapter"> - -<h2 class="chapter" id="chapter-0-12"> -<a id="page-161" class="pagenum" title="161"></a> -Molières Tod -</h2> - -</div> - -<p class="pbb first"> -<a id="page-163" class="pagenum" title="163"></a> -<span class="firstchar">E</span><span class="postfirstchar">s</span> ist die Liebenswürdigkeit Molières, welche wir bei -aller sonstigen und eingebürgerten Würdigung seines -Genies übersehen. Geistige Verwandtschaften konstruieren -sich ebenso bestimmt wie die Ausläufer und Nebenlinien -eines Stammbaumes. Es gibt Familien hier wie dort. -</p> - -<p> -Ich kann mir nicht helfen, aber ich sehe – ganz unswedenborgisch -natürlich – ich sehe immer Pascal mit -Hebbel und Brahms eingehängt daherkommen, und ich -sehe, wie Molière und Mozart „<span class="antiqua">mon cousin</span>“ zueinander -sagen und ein Lächeln an sich tragen wie Brüder; eines -selben Hauses und von selbem Adel: zwei lichte Gestalten -auf dunklem Grund. -</p> - -<p> -Molières ausgelassene Augen haben sehr melancholische -Wimpern. Es verhält sich ähnlich mit Mozarts vielgerühmter -und doch so beschatteter Heiterkeit, seinem beiläufigen, -aber grandiosen Ernst. Sie sind beide zu scharfblickend, -um sich mit dem leichtsinnigen Rossini oder dem trotz -chronisch unglücklichen Verliebtseins bei Gelegenheit so -fidelen Schubert zu verzweigen. Molière und Mozart haben -die ähnlichen Nerven, den ähnlichen geistigen Charme und -jene charakteristischen Merkmale, welche nur den Lieblingen -der Götter eigen sind: selbst der unheilbar erkrankte -Molière, der, in der Sänfte getragen, seinen hohen Gönnerinnen -Besuch abstattet, ist noch von Jugend umweht. -Selbst der sterbende Molière ist unvorstellbar als ein Gealterter. -</p> - -<p> -<a id="page-164" class="pagenum" title="164"></a> -Sie haben eine ähnliche Haltung ihrer Zeit gegenüber, -die ihnen teils eine bevorzugte Stellung einräumt und sie -kajoliert, teils mit letzter Roheit ihre Vorurteile ihnen -gegenüber aufrecht hält. -</p> - -<p> -So trägt Mozart den berühmten Fußtritt jenes Grafen -davon, an dessen Wappen er dann haftenblieb, und -Molières Leiche wird einer Bestattung in geweihter Erde -nicht für würdig erachtet. -</p> - -<p> -Sollte man da nicht doch versucht sein, an einen Fortschritt -zu glauben? Aber nichts beleuchtet ihn besser als die -unbestreitbare Tatsache, daß in unserer Zeit Molière und -Mozart auf ihre Felddiensttauglichkeit geprüft worden -wären. – Wolfgang Amadäus Mozart im Schützengraben! -Molière als Poilu! – Es ist also schon besser, -nicht wahr, sie lebten im <span class="antiqua">Dix-septième</span> und <span class="antiqua">Dix-huitième</span>. -</p> - -<p class="vspace"> - -</p> - -<div class="ads chapter"> -<p class="u adh"> -Die<br /> -nachfolgenden Seiten<br /> -werden<br /> -der Beachtung<br /> -empfohlen -</p> - -</div> - -<div class="ads chapter"> -<p class="h2 adh"> -DAS KLEINE PROPYLÄEN-BUCH -</p> - -<p class="adb"> -<span class="line1">MAURICE BARING, MINIATURDRAMEN</span><br /> -<span class="line2">Deutsch von Ella Bacharach-Friedmann</span> -</p> - -<p class="adb"> -<span class="line1">BEETHOVEN, BRIEFE, GESPRÄCHE, ERINNERUNGEN</span><br /> -<span class="line2">Ausgewählt und eingeleitet von Paul Wiegler</span> -</p> - -<p class="adb"> -<span class="line1">CAZOTTE, BIONDETTA, DER VERLIEBTE TEUFEL</span><br /> -<span class="line2">Deutsch von Franz Blei</span> -</p> - -<p class="adb"> -<span class="line1">CERVANTES, DER EIFERSÜCHTIGE ESTREMADURER</span><br /> -<span class="line2">Drei Novellen</span> -</p> - -<p class="adb"> -<span class="line1">DENIS DIDEROT, DER NEFFE DES RAMEAU</span><br /> -<span class="line2">Deutsch von Otto von Gemmingen</span> -</p> - -<p class="adb"> -<span class="line1">JOSEPH VON EICHENDORFF, AUS DEM LEBEN EINES TAUGENICHTS</span> -</p> - -<p class="adb"> -<span class="line1">ANSELM FEUERBACH, EIN VERMÄCHTNIS</span><br /> -<span class="line2">Mit einer Einleitung von Wilhelm Weigand</span> -</p> - -<p class="adb"> -<span class="line1">ANDRÉ GIDE, DIE PASTORAL-SYMPHONIE</span><br /> -<span class="line2">Deutsch von Bernard Guillemin</span> -</p> - -<p class="adb"> -<span class="line1">GOGOL, PHANTASTISCHE GESCHICHTEN</span><br /> -<span class="line2">Herausgegeben von Otto Buek</span> -</p> - -<p class="adb"> -<span class="line1">OTTILIE VON GOETHE, EIN PORTRÄT</span><br /> -<span class="line2">Aus Dokumenten ausgewählt und eingeleitet von Ilse Linden</span> -</p> - -<p class="adb"> -<span class="line1">STEFAN GROSSMANN, LENCHEN DEMUTH</span><br /> -<span class="line2">und andere Novellen</span> -</p> - -<p class="adb"> -<span class="line1">HEINRICH HEINE, DIE BÄDER VON LUCCA</span> -</p> - -<p class="adb"> -<span class="line1">HEINRICH HEINE, EIN LIEBESSPIEGEL</span><br /> -<span class="line2">Aus seinen Liedern ausgewählt und eingeleitet von Herbert Eulenberg</span> -</p> - -<p class="adb"> -<span class="line1">J. K. HUYSMANS, STROMABWÄRTS</span><br /> -<span class="line2">Novellen. Deutsch von Else Otten.</span> -</p> - -<p class="adb"> -<span class="line1">ANNETTE KOLB, WERA NJEDIN</span><br /> -<span class="line2">Erzählungen und Skizzen</span> -</p> - -<p class="adb"> -<span class="line1">LUKIAN, GÖTTER-, TOTEN- UND HETÄRENGESPRÄCHE</span><br /> -<span class="line2">Nach Wielands Übersetzung</span> -</p> - -<p class="adb"> -<span class="line1">HEINRICH MANN, ABRECHNUNGEN</span><br /> -<span class="line2">Sieben Novellen</span> -</p> - -<p class="adb"> -<span class="line1">GEORGE MEREDITH, CHLOES GESCHICHTE</span><br /> -<span class="line2">Deutsch von Franz Blei</span> -</p> - -<p class="adb"> -<span class="line1">WILLY SEIDEL, DIE EWIGE WIEDERKUNFT</span><br /> -<span class="line2">Novellen</span> -</p> - -<p class="adb"> -<span class="line1">VERSE DER LEBENDEN, DEUTSCHE LYRIK SEIT 1910</span><br /> -<span class="line2">Herausgegeben von Heinrich Eduard Jacob</span> -</p> - -<p class="u s c"> -Die Sammlung wird fortgesetzt!<br /> -Jeder Band in Leinen M. 2.50, in Satin M. 3.20 -</p> - -<p class="ade"> -IM PROPYLÄEN-VERLAG / BERLIN -</p> - -</div> - -<div class="trnote chapter"> -<p class="transnote"> -Anmerkungen zur Transkription -</p> - -<p> -Offensichtliche Druckfehler wurden stillschweigend korrigiert. -Weitere Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher): -</p> - - - -<ul> - -<li> -... Es <span class="underline">was</span> ihr Eigentum wie dieses ganze Haus. ...<br /> -... Es <a href="#corr-0"><span class="underline">war</span></a> ihr Eigentum wie dieses ganze Haus. ...<br /> -</li> - -<li> -... <span class="underline">lökte</span> sie den blinden Drang, nur ja zu leben, nur ja nicht ...<br /> -... <a href="#corr-1"><span class="underline">löste</span></a> sie den blinden Drang, nur ja zu leben, nur ja nicht ...<br /> -</li> -</ul> -</div> - - -<div lang='en' xml:lang='en'> -<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK <span lang='de' xml:lang='de'>WERA NJEDIN</span> ***</div> -<div style='text-align:left'> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Updated editions will replace the previous one—the old editions will -be renamed. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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Redistribution is subject to the trademark -license, especially commercial redistribution. -</div> - -<div style='margin-top:1em; font-size:1.1em; text-align:center'>START: FULL LICENSE</div> -<div style='text-align:center;font-size:0.9em'>THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE</div> -<div style='text-align:center;font-size:0.9em'>PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free -distribution of electronic works, by using or distributing this work -(or any other work associated in any way with the phrase “Project -Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full -Project Gutenberg™ License available with this file or online at -www.gutenberg.org/license. -</div> - -<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'> -Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ -electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to -and accept all the terms of this license and intellectual property -(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all -the terms of this agreement, you must cease using and return or -destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your -possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a -Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound -by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person -or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. 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