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| author | Roger Frank <rfrank@pglaf.org> | 2025-10-14 18:17:26 -0700 |
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diff --git a/68403-0.txt b/68403-0.txt new file mode 100644 index 0000000..7f84ab6 --- /dev/null +++ b/68403-0.txt @@ -0,0 +1,19856 @@ +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 68403 *** + + Im Herzen von Asien. + + Zweiter Band. + + + + +[Illustration: „Einen Schritt weiter -- und es kostet euch den Kopf!“ +(S. 225.)] + + + + + Im Herzen von Asien. + + Zehntausend Kilometer + auf unbekannten Pfaden. + + Von + + Sven v. Hedin. + + Mit 341 einfarbigen und bunten Abbildungen und 5 Karten. + + Autorisierte Ausgabe. + + Vierte Auflage. + + =Zweiter Band.= + + [Illustration] + + Leipzig: + + F. A. Brockhaus. + + 1919. + + + + +Inhalt des zweiten Bandes. + + Seite + + +Erstes Kapitel.+ Nach dem Anambaruin-gol 1-13 + + +Zweites Kapitel.+ Bei den Särtängmongolen und durch die + Gobiwüste 14-24 + + +Drittes Kapitel.+ Durch unbekanntes Land auf der Suche + nach Wasser 25-36 + + +Viertes Kapitel.+ Die Ruinen am alten Lop-nor 37-50 + + +Fünftes Kapitel.+ Lôu-lan 51-61 + + +Sechstes Kapitel.+ Ein Nivellement durch die Lopwüste 62-76 + + +Siebentes Kapitel.+ Der wandernde See 77-86 + + +Achtes Kapitel.+ Islam Bais Schicksal 87-103 + + +Neuntes Kapitel.+ Über die nördlichen Randgebirge nach + dem Kum-köll 104-116 + + +Zehntes Kapitel.+ Die Zusammensetzung der Karawane 117-130 + + +Elftes Kapitel.+ Im Schneesturm über den Arka-tag 131-146 + + +Zwölftes Kapitel.+ Die ersten Tibeter 147-157 + + +Dreizehntes Kapitel.+ Das Hauptquartier 158-169 + + +Vierzehntes Kapitel.+ Aufbruch nach Lhasa 170-183 + + +Fünfzehntes Kapitel.+ Die ersten Nomaden 184-197 + + +Sechzehntes Kapitel.+ In kritischer Lage 198-209 + + +Siebzehntes Kapitel.+ In Gefangenschaft der Tibeter 210-227 + + +Achtzehntes Kapitel.+ Rückzug unter Bewachung 228-238 + + +Neunzehntes Kapitel.+ Die letzten Tagemärsche nach + dem Hauptquartier 239-248 + + +Zwanzigstes Kapitel.+ Der Zug nach Süden 249-261 + + +Einundzwanzigstes Kapitel.+ Tibetische Truppen versperren uns + wieder den Weg 262-279 + + +Zweiundzwanzigstes Kapitel.+ Der Nakktsong-tso 280-291 + + +Dreiundzwanzigstes Kapitel.+ Der Tschargut-tso 292-303 + + +Vierundzwanzigstes Kapitel.+ Die lange Reise nach Ladak 304-314 + + +Fünfundzwanzigstes Kapitel.+ Via dolorosa 315-326 + + +Sechsundzwanzigstes Kapitel.+ Der Tso-ngombo 327-339 + + +Siebenundzwanzigstes Kapitel.+ Vom Panggong-tso nach Leh 340-351 + + +Achtundzwanzigstes Kapitel.+ Ein Besuch in Indien 352-361 + + +Neunundzwanzigstes Kapitel.+ Über das Kloster Hemis + heimwärts 362-370 + + + +Register+ 371-390 + + + + +Abbildungen. + + + Seite + + „Einen Schritt weiter -- und es kostet euch den Kopf!“ (Titelbild) + + 168. Die beladenen Kamele. 169. Umladen. 170. Lager in + Nordtibet 8 + + 171. Das nach dem Passe des Akato-tag hinaufführende Tal. + 172. Bahnen eines Weges über den Paß. 173. Ein Tal mit + zwei Stockwerken 9 + + 174. Der Platz, an dem wir umkehrten 16 + + 175. Das Gewölbe im Tale. 176. Die Kamele werden einzeln nach + dem Hauptpasse hinaufgeführt. 177. Die Quelle am 22. Dezember + 1900 17 + + 178. Im Tale des Anambaruin-gol. Blick nach Nordwesten 28 + + 179. Blick nach Südosten vom Lager am Anambaruin-gol 29 + + 180. Im Tale des Anambaruin-gol aufwärtsführender Weg. 181. + Einer unserer mongolischen Führer. 182. Die nach Dschong-duntsa + hinunterführende Schlucht 32 + + 183. Mein mongolischer Führer 33 + + 184. An den Felsen von Dschong-duntsa 44 + + 185. Das Lager im Tale von Dschong-duntsa 45 + + 186. Unsere Kamele im Tale von Dschong-duntsa 48 + + 187. Das Lager in Lu-tschuentsa 49 + + 188. Die Karawane auf dem Eise des Lu-tschuentsa-Baches 56 + + 189. Sanddünen in der mittelsten Gobi. 190. Terrasse nördlich + von der Oase vom 1. Februar. 191. Tränkung der Kamele am + Brunnen im Lager Nr. 138 57 + + 192. Lager mitten in der Sandwüste 68 + + 193. Brunnen, in der letzten Oase gegraben 69 + + 194. Auf dem Wege nach Altimisch-bulak. 195. Das angeschossene + Kamelweibchen. 196. Reinigung des Kamelskeletts. 197. Aus der + Oase Altimisch-bulak 72 + + 198. Prüfung des Nivellierinstruments bei Altimisch-bulak 73 + + 199. Meine Jurte in Chodai Kullus Oase. 200. Chodai Kullu und + sein wildes Kamel. 201. Das geschossene Kamel 80 + + 202. Der erste Turm der untergegangenen Stadt 81 + + 203. Aussicht von dem Tora des Hauptquartiers. 204. Das Haus + beim Lager 88 + + 205. Der Lehmturm von der Südseite 89 + + 206. Der Turm von Nordost. 207. Abbruch eines Turmes. 208. Haus + mit stehengebliebenen Türen 96 + + 209. Ausgrabungen im Buddhatempel. 210. Schnitzereien in + Pappelholz 97 + + 211. Geschnitzte Holzstücke aus den Ruinen 104 + + 212. Schagdur mit einigen seiner Funde. 213. Das Haus, in + welchem die Manuskripte gefunden wurden. 214. Ausgrabungen + in Lôu-lan 105 + + 215. Ausgrabungen in einem der Häuser von Lôu-lan 112 + + 216. Die Nivellierungskarawane. 217. Lager am Wasserarm 113 + + 218. Ein Ausläufer des wandernden Sees. 219. Mein Hirsch im + Garten. 220. Sirkin und Tschernoff mit den beiden kleinsten + jungen Kamelen 120 + + 221. Im Schatten der Weiden am Seraiteich in Tscharchlik 121 + + 222. Ein Teil des Stallhofes unseres Serai 128 + + 223. Schereb Lama auf dem „Gelbohr“. 224. Der Tag vor dem + Aufbruch 129 + + 225. Unser Lager in Jiggdelik-tokai 136 + + 226. Der Tscharchlik-su bei der letzten, scharfen + Durchbruchsbiegung 137 + + 227. Unser Lager in Unkurluk. Blick auf das Nebental 144 + + 228. Die am Ufer des Kum-köll aufgestapelten Kamellasten. 229. + Ankauf von Schafen bei den Hirten von Unkurluk 145 + + 230. Die Kamele am Ufer des Kum-köll 152 + + 231. Turdu Bais Zelt 153 + + 232. Eine angeschossene Orongoantilope 160 + + 233. Erlegter tibetischer Bär 161 + + 234. Berg beim Lager Nr. 16. 235. Das Steinmal auf dem + Knotenpunkte bei Lager Nr. 24. 236. Weidende Kamele 168 + + 237. Sirkin mit meinem alten Reisekameraden von 1896. 238. + Endlich in einer Gegend mit gutem Wasser 169 + + 239. Eine magere Weide in dem großen Längentale. 240. Die + Kamele waten durch den Fluß. 241. Flußübergang 176 + + 242. Die beiden Eisbänder im Tal. 243. Bahnen eines Wegs 177 + + 244. Kosak Schagdur, der Verfasser und der Lama Schereb als + mongolische Pilger 184 + + 245. Der Verfasser als mongolischer Pilger verkleidet 185 + + 246. Ein nächtlicher Überfall 192 + + 247. Die drei Pilger beim Aufbruche aus dem Hauptquartier 193 + + 248. Lager der drei Pilger 200 + + 249. Auf dem Wege nach Lhasa in strömendem Regen 201 + + 250. Ein junger tibetischer Hirt. 251. Älterer Tibeter 208 + + 252. Eine Gruppe Tibeter. 253. Der Lama im Gespräche mit + Tibetern. 254. Die tibetischen Reiter 209 + + 255. Die Tibeter schwangen ihre Lanzen und heulten wie die + Wilden 216 + + 256. Zelte tibetischer Häuptlinge 217 + + 257. Tibetische Kavallerie 224 + + 258. Tibetische Soldaten 225 + + 259. Tibetische Soldaten. 260. Von Sirkin erlegter Kökkmek. + 261. Gefrorenes Wild 232 + + 262. Hirten von Dschansung im Gespräch mit dem Lama im Lager 233 + + 263. Der Lama als Gehilfe beim Photographieren der Hirten 240 + + 264. Die Nomadenzelte in der Bergschlucht. 265. Tibeterinnen. + 266. Unser Lager am Jaggju-rappga 241 + + 267. Das Lazarettzelt. 268. Kalpets Bett auf dem Kamel. 269. + Der Leichenzug 248 + + 270. Der tote Kalpet auf seinem lebenden Katafalk 249 + + 271. Kalpets Grab 256 + + 272. Hladsche Tsering, das Mitglied des Heiligen Rates, seine + Pfeife rauchend 257 + + 273. Die Gouverneure Hladsche Tsering und Junduk Tsering. 274. + Hladsche Tsering und Junduk Tsering 260 + + 275. Blick nach Westen am Strande des Tschargut-tso 261 + + +Bunte Tafel.+ „... und jagten dann im wilden Laufe vor, hinter + und durch die Zelte, als wollten sie uns niederreiten!“ Von + Langlet 265 + + 276. Die Garde der tibetischen Gesandten am Tschargut-tso 272 + + 277. Im Kampf mit Wogen und Wind auf dem Tschargut-tso 273 + + 278. Unser Lager auf der Insel. 279. Das südliche Felsufer + unseres Gefängnisses. 280. Die Zelte der Gouverneure 280 + + 281. Das Ufer des Boggtsang-sangpo 281 + + 282. Gebirge im Norden des Lagers Nr. 92 288 + + 283. Gebirge im Norden des Lagers Nr. 92 289 + + 284. Die Anführer unserer Leibwache 296 + + 285. Das Tal des Boggtsang-sangpo 297 + + 286. Das Fischen im Boggtsang-sangpo. 287. Die Yake werden + beladen. 288. Das Lager Nr. 103 am Quellbache 304 + + 289. Lager Nr. 109 im Westen des Lakkor-tso 305 + + 290. Das Gebirge auf der nördlichen Talseite bei Lager Nr. 114 312 + + 291. Das Gebirge auf der südlichen Talseite bei Lager Nr. 114 313 + + 292. Das Gebirge auf der südlichen Talseite bei Lager Nr. 114 320 + + 293. Das Nordufer des Tsolla-ring-tso. 294. Lager an einem + zugefrorenen Sumpfe 321 + + 295. Der Lama im Streit mit dem Anführer der Yakkarawane. 296. + Aussicht nach Südosten vom Lager Nr. 129. 297. Die Umgebung + des Lagers Nr. 133 324 + + 298. Offene Landschaft am Tsangar-schar. 299. Geröllterrassen. + 300. Unser erster Lagerplatz am Tso-ngombo 325 + + 301. Doppelte Geröllterrassen 328 + + 302. Das Tempeldorf Noh 329 + + 303. Eine schwierige Passage am Ufer des Tso-ngombo. 304. Blick + nach Süden auf den mittelsten Tso-ngombo. 305. Der mittelste + Teil des Tso-ngombo 332 + + 306. Beförderung des Gepäcks auf einem improvisierten Schlitten + über das Eis 333 + + 307. Das Boot als Schlitten auf dem Tso-ngombo. 308. Der + gefährliche Felsenpfad. 309. Am westlichen Tso-ngombo 336 + + 310. Am Panggong-tso 337 + + 311. Gulang Hiraman, der Gesandte des Statthalters von Ladak, + mit seinem Gefolge 340 + + 312. Gulang Hiraman auf seinem Pony 341 + + 313. Musikanten und Tänzer in Drugub. 314. Lager vom 16. + Dezember 344 + + 315. Kloster Dschova 345 + + 316. Tempelhof in Tikkse. 317. Lamas in Tikkse mit ihrem + Prior. 318. Aussicht vom Kloster in Tikkse 348 + + 319. Leh, die Hauptstadt von Ladak 349 + + 320. Se. Exzellenz George Nathanael Lord Curzon, Vizekönig + von Indien 352 + + 321. Ankunft der einzigen überlebenden Kamele in Leh 353 + + 322. Schneesturm auf dem Passe Sodschi-la 356 + + 323. Tempelhof in Hemis. 324. Portal von Doggtsang Raspas + Tempelsaal 357 + + 325. Doggtsang Raspa 360 + + 326. Lama in Maske. 327. Der Prior von Hemis. 328. Lama in + Festkleidung 361 + + 329. Aus der Klosterküche in Hemis 364 + + 330. Trompetende Lamas. 331. Posaunenblasende Lamas 365 + + 332. Lesender Lama. 333. Ein Lama mit Gebettrommel. 334. + Lama, Trommel und Becken schlagend 368 + + 335. Im Schejoktal. 336. Mein Reityak auf dem Wege nach dem + Kara-korum. 337. Der Kitschik-kumdan-Paß in der Nähe des + Kara-korum 369 + + +Karten. + + Mitteltibet. Maßstab 1 : 2000000. + + Übersichtskarte der Reise Sven v. Hedins, 1899-1902. Maßstab + 1 : 14000000. + + + + +Erstes Kapitel. + +Nach dem Anambaruin-gol. + + +Sechs Tage durfte ich mich im Hauptquartier in Temirlik ausruhen, wo +die Eisberge um die Quellen herum beständig größer wurden und die +Kälte bis auf -27 Grad sank. Von wirklicher Ruhe konnte freilich keine +Rede sein, denn ich hatte tausend Dinge zu besorgen. Noch einmal wurde +an diesem wichtigen Kontrollpunkte eine vollständige astronomische +Beobachtungsreihe ausgeführt, die zuletzt aufgenommenen Platten wurden +entwickelt, eine neue Post nach Kaschgar geordnet und alle Abrechnungen +für die Karawane, die Verproviantierung und die Lohnzahlungen besorgt. + +Ein Andischaner Kaufmann, der aus eigenem Antrieb in mein Lager +gekommen war, um dort Geschäfte zu machen, starb an der gewöhnlichen +schweren Bergkrankheit und wurde mit den üblichen Zeremonien begraben. +An einem sonnigen Tage wurde der kranke Togdasin ins Freie gebracht, +und alle Muselmänner sammelten sich um ihn, um durch allerlei +Gebetformeln sein Übel zu verjagen; dabei opferten sie Allah auch einen +Bock. + +Viele Zeit verschlangen alle die Vorbereitungen zur bevorstehenden +Expedition durch die östlichen Wüsten. Der Proviant, der nach meiner +Berechnung für eine Reise von gegen 2000 Kilometer nötig war, wurde +beiseite gestellt und in Kisten und Säcken auf den Sattelleitern der +Kamele festgebunden. Meine kleine Jurte wurde gründlich repariert, die +Kuppel mit rotem Filz und der Zylinder mit weißem bekleidet, so daß das +Ganze aus der Ferne wie eine dänische Flagge aussah. Tscherdon erhielt +gründlichen Unterricht in meteorologischer Beobachtungskunst, womit +er schon auf dem Ausfluge nach dem Kum-köll hatte beginnen müssen. +Er sollte während meiner Abwesenheit die Ablesungen besorgen und den +Barographen und Thermographen im Gang halten. + +Zurückgelassen wurden nur Tscherdon, Islam Bai, Turdu Bai und Ali +Ahun; aber fünf Mann von den Jägern und Goldgräbern wurden angestellt, +um ihnen bei dem Umzuge nach Tscharchlik zu helfen, wo der Amban und +seine eingeborenen Beke versprochen hatten, sich ihrer anzunehmen. +Dort hatten sie übrigens nichts weiter zu tun, als unsere Rückkehr +abzuwarten, meine kostbaren Kisten und Aufzeichnungen zu hüten und +die Tiere zu pflegen, damit diese in gutem Zustande wären, wenn ich +im Frühling wiederkam. Islam sollte auch dafür sorgen, daß von Abdall +aus zwei Kähne mit Rudern und Fischnetzen rechtzeitig nach dem zu den +Kara-koschun-Sümpfen gehörenden See Tschöll-köll gebracht würden. Da wo +sie untergebracht würden, sollte auf einer Düne ein weithin sichtbares +Nischan (Wahrzeichen) errichtet werden, damit wir die Kähne finden +könnten. Ich sah nämlich ein, daß es uns nicht möglich sein würde, jene +Gewässer noch vor dem Schmelzen des Eises zu erreichen. + +Die neue Expedition war folgendermaßen zusammengesetzt: der Kosak +Schagdur, die Muselmänner Faisullah (Karawan-baschi), Tokta Ahun und +Mollah aus Abdall (Führer nach Anambar-ula), Kutschuk, Chodai Kullu, +Chodai Värdi, Ahmed und der kürzlich ausfindig gemachte Jäger Tokta +Ahun, der, um Verwechslungen mit seinem Namensbruder vorzubeugen, Li +Loje genannt wurde; er sprach chinesisch und mongolisch, hatte in +Bokalik Pferde gestohlen und war ein bißchen verrückt. Elf Kamele +trugen das Gepäck, und elf Pferde wurden zum Reiten benutzt; wir hatten +also nur ein Reservepferd, beabsichtigten aber, falls es nötig sein +sollte, bei den Mongolen neue Pferde zu kaufen. Drei Hunde, Jolldasch, +Malenki und Maltschik, sollten uns begleiten. Da es meine Absicht war, +den Gas-See auszuloten, mußte Turdu Bai ein paar Tage mit dem Boote +mitkommen. Er wünschte die ganze Reise mitzumachen, bedurfte aber nach +den Mühen, die er ausgestanden hatte, der Ruhe. + +So brach denn der ersehnte Aufbruchstag, der 12. Dezember, an, und +wir sollten Temirlik endgültig verlassen. Ich wurde geweckt, als es +noch dunkel war; die Männer trieben die Pferde an, und die Kamele +standen gebunden neben den ihrer wartenden Lasten. Der Tag graute; +es wurde klar und hell, die Luft war still, der Himmel rein, und +richtiges Frühlingswetter herrschte, als wir aufbrachen. Alle Kamele +waren gleichmäßig beladen, aber die Lasten konnten mit Leichtigkeit so +verteilt werden, daß einige Tiere für den Eistransport frei blieben +(Abb. 168, 169). + +Alle machte die jetzt bevorstehende Reise froh und angeregt. Ich selbst +sehnte mich nach den Annehmlichkeiten des Wüstenlebens. Hagelstürme und +Schneetreiben hatten wir dort nicht zu fürchten. Kälte erwartete uns +freilich, da jetzt Mittwinter bevorstand, aber es würde eine trockene +Kälte sein, die sich mit Brennholz mildern läßt. Schön war es auch, +drei volle Wintermonate vor sich und demnach die Aussicht zu haben, daß +die meisten Probleme der Exkursion gelöst sein würden, wenn die warmen +Frühlingstage kamen. Wir waren aber auch darauf vorbereitet, daß sich +die Arbeiten noch auf die wärmere Jahreszeit erstrecken könnten, und +hatten deshalb leichte Sommerkleidung mitgenommen. Mein eigenes Gepäck +umfaßte drei große Kisten mit Instrumenten, Büchern, Karten, Platten, +Tage- und Marschroutenbüchern, Tabak, Kleidungsstücken, chinesischem +Silbergelde usw. + +Nach freundlichem Abschied von den Zurückbleibenden und dem +armen Togdasin kommandierte ich „Marsch“, und nun läuteten die +Karawanenglocken der langen, dunkeln Reihe der Kamele, die jetzt +in königlicher Haltung von +Sum-tun-buluk+ fortzogen, den „300 +Quellen“, wie Temirlik von den Mongolen mit zwei tibetischen und einem +mongolischen Worte genannt wird. Alle Kamele, sogar unser einziges +Dromedar, das ein boshaftes Vieh war, betrugen sich gut. Der Gischt +umgab die Lippen des Dromedars wie Seifenschaum und tropfte überall +auf seinem Wege in großen Flocken auf die Erde. Daß es sich im ganzen +dennoch manierlich betrug, war nicht sein eigenes Verdienst; hätte +es nur gekonnt, so würde es schon Unfug angestiftet haben. Sein +eines Vorderbein war am Packsattel festgebunden, so daß es, ohne im +geringsten im Gehen gehindert zu sein, doch nicht laufen konnte. Mit +dem unmittelbar vor ihm gehenden Kamel war es mittelst eines Strickes +und einer Kette verbunden und konnte seine Nachbarn nicht beunruhigen, +und sein Maul steckte in einer Halfter, die ihm nicht erlaubte, zu +beißen. Prächtig sah er aus, dieser Veteran von Kaschgar, mit seinen +funkelnden, wilden, kohlschwarzen Augen, die er, wenn er schlechter +Laune war, manchmal so verdrehte, daß nur das Weiße zu sehen war. + +Die Karawane als Ganzes betrachtet hatte sich gründlich ausgeruht +und war in bestem Zustand; einige Kamele hatten nicht einmal Lasten +getragen, seit sie vor mehr als einem Jahre nach Jangi-köll gekommen +waren. Jetzt steckten sie auch in ihren Winterpelzen, wahren Dickichten +von Wolle. Zwei der ruhigsten, größten Tiere trugen mein persönliches +Gepäck; im übrigen hatten Mehl, Reis, Mais und Talkan (geröstetes Mehl) +das größte Gewicht; aber die Vorräte verminderten sich täglich, und +wenn wir die Gegenden erreichten, wo Eis und Brennholz mitgenommen +werden mußten, würde schon Platz dafür frei sein. + +Von Faisullah geführt und von seiner Reiterwache eskortiert, schritten +die Kamele mit großen Schritten rüstig vorwärts. + +Das Programm für die Wanderung, die auf diese Weise begann, war +folgendes: Ich wollte über den Astin-tag und an ihm entlang ziehen, +um seine orographische Struktur klarzulegen. Der Weg führte also +nordostwärts nach einer Gegend, welche die Mongolen, die sich dort +aufzuhalten pflegen, +Anambar-ula+ (mit der Genetivendung Anambaruin), +die Muselmänner aber Chan-ambal nennen; das letztere Wort ist eine +Korruption des ersteren. Wir hatten 400 Kilometer dorthin, und von +dort sollte es erst nach Norden durch einen unbekannten Teil der +Gobiwüste und dann nach den nördlich davon gelegenen Bergketten +hinaufgehen. Darauf wollten wir nach Westen ziehen und versuchen, nach +der früher erwähnten Quelle Altimisch-bulak und den Ruinen in der +Wüste zu gelangen, und schließlich durch die Wüste nach Abdall und +Tscharchlik, dem nächsten großen Sammelplatz, wandern. + +Die Reise nach Anambar, die ich in Kürze beschreiben werde, erforderte +17 Marschtage. Die beiden ersten führten uns über steinhart gefrorene +Sümpfe mit knisterndem Salz und kantigen Lehmschollen nach einer +Quelle im Norden des +Gas-Sees+. Am 14. Dezember machte ich mit einer +ganz kleinen Karawane eine Exkursion nach dem See, dessen Tiefen ich +im Boote zu loten beabsichtigte. Mir war gesagt worden, er sei so +salzig, daß er nie zufriere. Ein Kulanpfad zeigte uns den besten Weg +nach dem Ufer, wo das Erdreich trotz der Kälte so weich war, daß die +Pferde bis an die Knie in den Schlamm einsanken. Hier und dort lagen +Eisschollen, die wir als Brücken benutzen konnten, doch oft waren sie +so dünn, daß die Pferde durch sie durchtraten und fielen. Es war keine +leichte Sache, diesen tückischen Strand zu erreichen; aber schließlich +gelang es uns und wir lagerten an dem Punkte, wo die in einem Bette +vereinigten Quellbäche des Tschimentales in den See münden. Hier gab +es süßes Wasser nebst Kamisch an den Ufern, und Feuerung hatten wir +selbst. In einiger Entfernung zeigten sich fünf Yake. Es sollte gerade +Jagd auf sie gemacht werden, als Tokta Ahun merkte, daß der eine +gefleckt war, es sich hier also um zahme Tiere handelte. Sie waren +wahrscheinlich aus dem nächsten Mongolenlager durchgebrannt. + +Aus der Seefahrt sollte jedoch nichts werden, denn soweit der Blick +reichte, war der Spiegel des Sees mit einer Eisdecke überzogen. Da +wir aber das Boot einmal mitgenommen hatten, sollte seine eine Hälfte +wenigstens als Schlitten dienen. Sein Holzrahmen gab vorzügliche +Kufen ab, und in dieser leichten Equipage wurde ich von Tokta Ahun +und Chodai Kullu schnell und vergnügt über den See gezogen. Das Eis +war ungleichmäßig, bald höckerig, bald mit einer dünnen Wasserschicht +bedeckt, bald von Rissen durchfurcht. Der Schlitten hüpfte über alle +Hindernisse hinweg, und ich glaubte, ich würde ein paar Lotungslinien +über den ganzen See bekommen. Doch auf einmal fing die Eisdecke an zu +knacken und in Wellenbewegung zu geraten. Tokta Ahun brach ein und +hätte ein Bad genommen, wenn er sich nicht noch rechtzeitig an dem +Boote gehalten hätte. + +Nach einer ruhigen Nacht am Ufer dieses seichten Salzsumpfes kehrten +wir am nächsten Tage wieder um und trafen die Karawane an den Quellen +von +Julgun-dung+ (Abb. 170). + +Während des Rasttages, den wir hier zubrachten, schickte ich Tokta Ahun +nach dem Akato-tag hinauf, um zu erforschen, ob das sich im Nordosten +unseres Lagers öffnende Tal von der Karawane passiert werden könne. +Er kam am Abend mit dem Bescheid zurück, daß das Tal nach einem Passe +hinaufgehe, von dem auf der Nordseite der Kette ein ebensolches Tal +nach den unmittelbar südlich vom Astin-tag liegenden Ebenen hinabführe, +daß dieser Weg also vorzüglich sei. + +So brauchten wir am 17. Dezember nur seiner Spur zu folgen. Die Nacht +war bis jetzt die kälteste in diesem Winter gewesen, -29,6 Grad kalt. +Turdu Bai kehrte mit dem Boote nach Temirlik zurück. + +Wir lassen diesen kümmerlichen Vegetationsgürtel, der der +„Tamariskenquelle“ (Julgun-dung) ihren Namen gegeben hat, hinter uns +zurück; der langsam nach dem Gebirge ansteigende Boden ist unfruchtbar +und mit Schutt bedeckt. Wieder treten wir in die stillen Bergsäle durch +ein 100 Meter breites Tor ein, wo eine 2 Meter tief eingeschnittene +Rinne das Wasser abfließen läßt, das gelegentlich einmal auf diese +trockenen Höhen herabregnet. Den ganzen Tag führte der Talgrund langsam +aufwärts; er war so eben wie eine Asphaltstraße, machte aber scharfe +Biegungen, in denen ich selten längere Peilungen als drei Minuten in +derselben Richtung machen konnte, bis ein neuer Vorsprung die Aussicht +auf die nächste Talbiegung verdeckte. + +Das Material, aus dem der Akato-tag in dieser Gegend aufgebaut ist, +besteht ausschließlich aus feinem gelbem Ton, der so locker ist, daß +man schon mit der Hand Stücke davon abbrechen kann. Das Regenwasser +hat also bei der Ausarbeitung des Terrains in wilde, phantastische +Formen keine Schwierigkeiten zu überwinden. Unzählige kleine Täler und +Hohlwege münden auf beiden Seiten mit dunkeln, oft nur meterbreiten +Toren und lotrechten Wänden in dieses Tal ein. Alles ist steril, kalt +und trocken. Auch das Haupttal (Abb. 171), dem wir folgen, ist manchmal +so eng, daß ein paar von den Männern sich an den vorspringenden +Ecken aufstellen müssen, damit die Kamele mit ihren Lasten nicht +dagegenprallen. + +Dann und wann öffnet sich der seltsame Hohlweg vor uns zu einer +phantastischen Perspektive mit lotrechten, ja bisweilen überhängenden +Kulissen. Heruntergestürzte Blöcke in jeder nur denkbaren Gestalt, +wie Würfel, Kugeln und Tetraeder, liegen als Warnungszeichen mitten +im Tale. Andere sind sichtlich auf dem Sprunge, herunterzufallen; +man begreift nicht, was sie noch festhält; ein Windstoß oder ein +leichter Regen würde genügen, um sie ins Rutschen zu bringen. Wir sind +ordentlich beruhigt, wenn der ganze Zug an derartigen gefährlichen +Stellen glücklich vorbeigekommen ist. Pyramiden, Mauern und Türme von +Ton, Terrassen, Korridore und Grotten folgen einander in endloser +Reihe. Die Karawane zieht mitten auf dem ebenen gelben Tonboden des +Tales, auf dem die Kamele, wenn er feucht wäre, wie auf Eis ausgleiten +würden, wo sie jetzt aber sicher gehen, ohne mit ihren weichen +Fußschwielen eine Spur zu hinterlassen. + +Allmählich nehmen die relativen Höhen ab, und das Tal verliert seinen +Hohlwegcharakter. Bis an den Paß kamen wir nicht, lagerten aber in +seiner Nähe. Überzeugt, daß wir nie im Leben hierher zurückkehren +würden, verließen wir am Morgen in aller Frühe diesen stillen öden +Lagerplatz. Tokta Ahun und noch einige waren vorausgegangen, um einen +steilen, mühsam zu erklimmenden Abhang an der eigentlichen Paßschwelle +mit Spaten zu bearbeiten (Abb. 172). Es wunderte mich, daß sie, statt +in dem nach Norden führenden Haupttale hinaufzugehen, nach Osten in +ein Seitental abgebogen waren, welches so schmal war, daß man an den +Kamelen, wenn sie in den Biegungen warteten, nicht vorbeikommen konnte. +Nun, der Führer würde wohl Bescheid wissen. Bald darauf befanden wir +uns unter dem steilen Abhange des Passes, der schwierig aussah und auf +dem die Spaten unter aufwirbelnden Staubwolken in voller Tätigkeit +waren. + +Jetzt mußte das erste Kamel heran, das sich mit einigen mühsamen Rucken +hinaufarbeitete. Alle Männer schoben von hinten nach und stützten +die Lasten. Einige Tiere fielen und mußten abgeladen werden, worauf +ihre Lasten hinaufgetragen wurden. Das Kamel, das den viel Platz +einnehmenden Holzvorrat trug, hatte es am schlimmsten, aber es machte +seine Sache bis auf einen kleinen Kniefall gut. + +Von dem Passe (3466 Meter) ging es nach Südosten, was mir sofort +verdächtig vorkam; aber der Weg war ja rekognosziert, und Tokta Ahun +stand dafür ein, daß das hinabgehende Tal, ebenfalls ein Hohlweg, bald +nach Osten und Nordosten umbiegen und auf offenes Terrain führen würde. +In den überraschendsten Zickzackbiegungen schlängelte es sich nach +tiefer liegenden Gegenden hinunter. + +Nur eine schwierige Passage erwarte uns noch, hieß es. Hier war das Tal +wirklich so tief und eng, daß kaum ein Fußgänger sich hindurchzwängen +konnte. Doch über die Halden auf der rechten Seite konnten wir die +Kamele vorbeiführen. + +Eine Strecke weiter machte jedoch der Zug Halt, und die Männer eilten +an die Spitze. Der Korridor war hier so schmal, daß die Lasten auf +beiden Seiten anstießen und die Kamele erst weiter konnten, nachdem +die Wände mit Äxten bearbeitet worden waren. Unterdessen ging ich +voraus und gelangte an eine Stelle, die noch schwieriger war. Der +Hohlweg hatte sich wie eine schmale Rinne unter den Tonwänden der +linken Talseite, die überhängende, gefährliche, zerrissene Gewölbe +bildeten, eingeschnitten. Oberhalb des tiefen Grundes der Rinne gab +es keinen Weg; wir mußten es dort unten versuchen. Doch gerade an +dem schmalsten Punkte hatte kürzlich ein Bergrutsch stattgefunden. +Gewaltige Blöcke und Tonstücke füllten die Passage aus und sperrten +den Weg. Einige von ihnen konnten wir mit vereinten Kräften unter +das Gewölbe rollen, und diejenigen, welche gar zu groß waren, wurden +mit Spaten und Beilen zerstückelt. Die Seitenwände wurden erweitert, +über die liegengebliebenen Bruchstücke bahnten die Pferde einen +Weg, und die Kamele wurden vorsichtig und einzeln durch dieses Loch +geführt, in welchem die Karawane im Falle eines neuen Bergrutsches +lebendig begraben worden wäre. Am schwersten hatte es wie gewöhnlich +das Brennholzkamel. Es blieb mitten im Loche stecken und machte eine +so verzweifelte Anstrengung loszukommen, daß die Holzlast unter Lärm +und Gepolter herunterfiel und ein paar Tonblöcke von den Wänden +herabstürzten. Es sah unheimlich aus, als die ganze Gesellschaft in +einer undurchdringlichen Staubwolke verschwand, und man konnte einen +verhängnisvollen Bergrutsch befürchten. + +Tokta Ahun machte ein klägliches Gesicht und gestand ein, daß er nicht +bis an das Ende dieses heimtückischen Hohlweges geritten sei. Er war +sehr niedergeschlagen, denn er pflegte darin sonst sehr gewissenhaft zu +sein und völlig korrekte Auskunft zu geben. + +Ich habe nie eine so eigentümliche Talform gesehen. Eigentlich sind es +zwei Täler oder ein Tal mit zwei Stockwerken (Abb. 173). Das untere +Stockwerk ist, von dem Boden des oberen gerechnet, 10 Meter tief und +lotrecht eingesägt. Hierdurch entstehen auf den Seiten des unteren Tals +Terrassen, die jedoch absolut unpassierbar sind. Auch das obere Tal +wird nachher so eng, daß beide in ein tief in das Tonlager eingesägtes +Tal verschmelzen, wo Dämmerung herrscht und man immerwährend in Gefahr +schwebt, durch abstürzende Blöcke von ungeheuren Dimensionen erschlagen +zu werden. + +Wir schreiten mit unaufhörlichen Unterbrechungen vorwärts; bald müssen +vorspringende Ecken weggehauen, bald hindernde Tonmassen aus dem Wege +geräumt werden. Noch einige Schritte, und die Karawane macht Halt. +Tokta Ahun meldet, daß das Tal gesperrt sei. Von den mehrere hundert +Meter hohen Bergen auf beiden Seiten hatte ein Rutsch stattgefunden, +der das Tal verstopfte. Doch temporäre Bächlein hatten sich unter +dem herabgestürzten Material einen Durchgang gegraben, der einem +Gletschertore glich; auf seiner Deckenwölbung würden wir wohl, falls +sie nicht unter dem Gewichte der Kamele einstürzte, weiterziehen können. + +Ich zog es jedoch vor, selbst zu rekognoszieren, bevor der Versuch +gewagt wurde. Unweit dieser gefährlichen Brücke verschmälerte sich das +Tal noch mehr und ging in eine zwei Fuß breite Spalte von 15 Meter +Tiefe über. Schließlich wurde diese dunkel; heruntergefallene Blöcke +bildeten ein Dach; der Abflußkanal des Wassers war hier unterirdisch +und ähnelte einem steilen, gewundenen Grottengange, in welchem kaum +eine Katze ihren Weg hätte finden können (Abb. 174, 175). + +Jetzt war es klar: wir +mußten+ umkehren. Die Karawane stand so +zwischen den Tonwänden des Korridors eingeklemmt, daß das letzte +Kamel rückwärtsgehen mußte, ehe Raum genug vorhanden war, daß es sich +umdrehen konnte; ebenso wurde der Reihe nach mit den anderen verfahren. +In der Dunkelheit ließen wir uns in einer kleinen Erweiterung nieder, +wo man nicht vor gefährlichen Bergstürzen Angst zu haben brauchte. Die +Tiere mußten fasten und dursten. Wie war diese seltsame Gegend finster, +unheimlich und still! Dann und wann erklingt das schrille Läuten der +Kamelglocken, wenn die Tiere den Kopf bewegen. Die Männer halten am +Feuer Rat, und das Echo vervielfältigt ihre Stimmen; es klingt, als +unterhalte man sich in einem Säulengange oder in einem Königssaale. + +Es ist nicht angenehm, auf demselben Wege zurückzukehren, am +allerwenigsten in einer Rinne, wo Tausende von Tonblöcken wie an +einem Haare über unseren Köpfen hängen und die Kamele wie Käfer zu +zerquetschen drohen. Hätte es in der Nacht einen größeren Bergsturz +gegeben, so waren wir wie in einer Mausefalle gefangen gewesen. + +Es kostete uns einen Tag, nach dem Punkte, wo das Tal sich geteilt +hatte, zurückzukehren. Tokta Ahun und Mollah ritten inzwischen das +Haupttal hinauf und kehrten abends mit der Nachricht zurück, daß +sie nun wirklich einen Ausgang aus den verwickelten Labyrinthen des +Akato-tag gefunden hätten. + +Am 20. Dezember wurde ich geweckt, als es noch stockfinster war. +Morgens wird jedoch weiter keine Beleuchtung spendiert als das +freundliche, gemütliche Licht, welches das Feuer des Ofens, dessen +Tür weit offen steht, ausströmt. Ein flackernder, roter Feuerschein +verbreitet sich über das Innere der Jurte. Ich kleide mich schnell an +und sehne mich bei der starken Kälte nach meinem heißen Tee. + +[Illustration: 171. Das nach dem Passe des Akato-tag hinaufführende +Tal. (S. 5.)] + +[Illustration: 172. Bahnen eines Weges über den Paß. (S. 6)] + +[Illustration: 173. Ein Tal mit zwei Stockwerken. (S. 7.)] + +[Illustration: 168. Die beladenen Kamele. (S. 2.)] + +[Illustration: 169. Umladen während des Marsches. (S. 2.)] + +[Illustration: 170. Lager in Nordtibet. (S. 4.)] + +Schon in dunkler Nacht waren einige der Leute voraus nach dem Passe +hinaufgeeilt, um dort einen Weg anzulegen. Jetzt folgten wir dem +rechten Tale, das wirklich zu einem Passe führte. Auch dieser war auf +der letzten Strecke greulich steil, und die Kamele konnten nur mit +Hilfe der Leute hinaufkommen (Abb. 176). Die umfangreiche Aussicht +zeigte sofort, daß wir uns auf dem Hauptkamme der Kette befanden (3698 +Meter). Im Norden zieht sich der endlose Rücken des Astin-tag hin, +im Süden der Tschimen-tag, im Südosten die Einöden von Zaidam, und +ostwärts erblickt man etwas, von dem man nicht sagen kann, ob es +ein Gebirge, Wolkengebilde, Nebel oder nur ein Wüstenreflex ist. Der ++Akato-tag+ ist anders als alle übrigen Bergsysteme in Tibet. Er ist +ein unentwirrbares Durcheinander von Hügeln und Tonkuppeln, die aufs +wildeste von unzähligen, tiefen und engen Schluchten durchsägt werden. +Es ist eine leblose, düstere Gegend. + +Als wir auf ebeneren Boden hinuntergelangt waren, fanden wir einen +Pfad, der von menschlichen Wanderern herrühren mußte. Der Sicherheit +halber hatte ich jedoch schon am Morgen einige Leute mit sechs Pferden +nach Julgun-dung zurückgeschickt, um mehr Eis zu holen, da unser +Eisvorrat zu sehr zusammengeschmolzen war. + +Tokta Ahun hatte von einem Passe, dem Kara-dawan, auf dem Wege nach +Anambar gesprochen. Als wir jetzt das breite, ebene Tal zwischen dem +Akato- und dem Astin-tag in nordöstlicher Richtung durchquerten, galt +es, den Weg nach diesem Passe ausfindig zu machen. + +Bald fanden wir den schon gestern gesehenen Pfad wieder, aber jetzt sah +er bedeutend breiter aus. Die durch Abnutzung verursachte Einsenkung +des Bodens war deutlich zu sehen, besonders da, wo das Erdreich hart +war, obwohl der Zahn der Zeit schon sehr an ihr genagt hatte. Auf +Hügeln und Vorsprüngen an den Seiten waren Iles (Wegzeichen) in Gestalt +kleiner Steinhaufen errichtet. Ohne Zweifel ist diese Straße von +mongolischen Lhasapilgern in Zeiten von Unruhe und Unsicherheit in den +sonst von ihnen durchreisten Gegenden benutzt worden. + +In einer Rinne, in welcher wir zwischen den Hügeln hinzogen, verloren +wir diesen Weg, und auch auf den Anhöhen waren keine Steinhaufen mehr +zu sehen. Wir zogen jedoch in dem Tale weiter, und freundliche Mächte +führten uns zu einer in dieser unendlich wüsten Gegend unerwarteten +Entdeckung, zu einer von vortrefflicher Weide umgebenen kleinen Quelle +(Abb. 177). + +Die Quelle ist salzig, aber die Eisschollen unterhalb derselben sind +süß. Sie erstrecken sich 150 Meter weit in das Tal hinein, wo mit ihnen +auch die Vegetation aufhört. + +Nachdem wir endlich auf ebenes Land geraten waren, gerieten wir dort in +ein Terrain, das viel schlimmer war als die labyrinthähnlichen Gänge +der Täler. Der Boden besteht aus salzhaltigem Tone, der Kammern, Rücken +und Schwellen bildet, welche so hart wie Ziegel sind und unsern nach +Nordosten laufenden Weg unter rechten Winkeln kreuzen. Man erhält den +Eindruck, daß die Oberschicht des Erdreiches sich ausgedehnt haben muß +und sich infolgedessen wie die Schale eines einschrumpfenden Apfels +in Runzeln gelegt hat. Die Rücken sind hohl, und alle Risse gähnen +schwarz. Ihre Höhe beträgt einen Meter, die Zwischenräume drei Meter. +Wir ziehen zwischen ihnen durch, zwei Männern folgend, die mit Spaten +vorausgehen. + +Auch an diesem Abend erreichten wir eine Quelle mit Weide. Hier ging +einsam ein wildes Kamel spazieren. Während wir im Kamischdickichte +lagerten, birschte sich Schagdur an das Tier heran. Der Schuß +widerhallte dumpf in der Dämmerung, und ich ritt nach dem Platze hin, +von dem der an einem Vorderbeine verwundete Einsiedler vergeblich zu +entfliehen suchte. Chodai Kullu machte ein Lasso und warf dem Kamel +die Schlinge um den Hals, worauf es zu Boden gerissen und geschlachtet +wurde. Jetzt hatten die Leute frisches Fleisch für mehrere Tage, und +das prächtige Fett in den Höckern wurde auch mitgenommen. Nach Spuren +und Dung zu urteilen, besuchen die wilden Kamele diese Quelle im Sommer +in großen Herden. + +Einen herrlicheren Weihnachtsabend konnte man sich in diesen kalten, +öden Gegenden kaum wünschen. Die Luft war ruhig, der Himmel klar und +blau. Nachdem Feuerung eingesammelt, ein paar Säcke mit Eis gefüllt und +das Kamelfell zu Kopfkissen zerschnitten worden war, brachen wir auf +und folgten den ganzen Tag dem alten Wege, dessen Steinhaufen wir bei +der Quelle wiedergefunden hatten. Der Weg wurde bisweilen von bis zu +zwanzig parallelen Pfaden bezeichnet, welche Zeugnis davon ablegten, +daß Karawanen mit Kamelen und Pferden hier in ganzen Reihen gezogen +sind. Vielleicht schrieb er sich aus einer Zeit her, als die weiter +östlich wohnenden Mongolen ihre Herden in Temirlik weiden ließen. Erst +in der Dämmerung gelangten wir an den Fuß des Astin-tag und schlugen +unsere Zelte in der Mündung eines zwei Ketten trennenden Tales auf. + +Als wir das Lager fertig hatten, wurde ein munter sprühendes +Weihnachtsfeuer angezündet, das einzige, was an das große Fest in der +Heimat erinnerte. Um mir die wehmütigen Gedanken, die an diesem Tage +stets auf mich einstürmen, zu verjagen, rief ich Schagdur und weihte +ihn in meinen Plan ein, den Versuch zu machen, nach Lhasa zu gelangen. +Er war Feuer und Flamme dafür und glaubte, es würde uns gelingen, +wenn wir uns vorschriftsmäßige Tracht und zuverlässige mongolische +Reisekameraden zu verschaffen wüßten. Von nun an unterhielten wir uns +oft abends über diese waghalsige Reise. Das Gespräch wurde russisch +geführt, damit die Muselmänner nicht merkten, wovon die Rede war. + +Während der letzten Tage des Jahrhunderts lenkten wir unsere Schritte +in den Tälern zwischen den parallelen Ketten des Astin-tag beständig +nach Nordosten. Die Kälte war scharf, und der Wind hielt noch immer +an und brachte manchmal Schnee, der jedoch nur in den schattigen +Schluchten liegen blieb. Die Berge glänzten mit ihrem weißen +Schneegewande zwischen den Wolken hervor. Das Terrain war günstig; +wir passierten eine Menge kleiner abflußloser Becken, deren Boden sich +nach Regen in bald verdunstende Miniaturseen verwandelten. Zerstreut +stehende Steppengrasbüschel, Teresken und Jappkak versahen uns mit +Brennmaterial. Von Wild sahen wir in diesen Tagen nur Kamelspuren und +einzelne Raben, die uns folgten. Tokta Ahun, der hier ein weniger guter +Führer war als in den Kara-koschun-Sümpfen, fand den Kara-dawan nicht, +ich kam aber ohne Hilfe durch das Gebirge. + +Als ich am 27. Dezember in dem fürchterlich kalten Wintermorgen aus +meiner Jurte schaute, fand ich den Boden mit einer ziemlich hohen +Schneeschicht bedeckt, und das Schneetreiben dauerte den ganzen +Tag an. Der Wind verfolgte uns ebenso eigensinnig wie im Sommer im +inneren Tibet. Am 29. Dezember schliefen wir bei Sturm ein, erwachten +am folgenden Morgen bei Sturm, ritten den ganzen Tag durch heulende +Sturmböen und lagerten am Abend im Sturme. Es weht und zieht in der +Jurte, die auf allen Seiten verankert werden muß, um nicht umzukippen, +in welchem Falle der erhitzte Ofen die Filzdecken in Brand setzen +und meine kostbaren Kartenblätter in alle Winde fliegen würden. Wir +sehnten uns nach der Wüste, wo die Luft, wenigstens während der kalten +Jahreszeit, nicht in beständigem Aufruhr ist, sondern wo gewissermaßen +Waffenstillstand herrscht. + +Einige der Quellen, an welchen wir lagerten, haben chinesische Namen: +Lap-schi-tschen, Ku-schu-cha und Ja-ma-tschan. An den letztgenannten +knüpft sich die Erinnerung an eine blutige Episode. Im Sommer 1896, +um die Zeit, als ich mich das vorige Mal in Nordtibet befand, kamen +die Reste der in der Gegend von Si-ning geschlagenen Armee der +aufrührerischen Dunganen an diese Quelle. Die Chinesen schickten ihnen +von Sa-tscheo ein Kriegsheer entgegen; es kam zum Kampfe, eine große +Zahl Dunganen wurden erschlagen, andere wieder als Gefangene nach +Sa-tscheo gebracht. Massen von menschlichen Skeletteilen lagen noch an +der Quelle. Fünfhundert Dunganen mit Frauen und Kindern entkamen. Sie +hatten eine Anzahl Kamele, Maulesel und Pferde bei sich, die sie aus +Mangel an Lebensmitteln verzehrten. Während dieser Unruhen wurde von +Abdall eine Gesandtschaft nach Sa-tscheo geschickt, bestehend aus einem +Chinesen, einem Dunganen und zwei Muselmännern, nämlich Islam Ahun, +einem Verwandten Tokta Ahuns, und Erke Dschan, dem älteren Bruder des +Nias Baki Bek, eines unserer Freunde in Kum-tschappgan. Als diese vier +Männer durch das Astin-tag-Gebiet zurückkehrten, trafen sie dort mit +den Dunganen zusammen und wurden von ihnen an der Ja-ma-tschan-Quelle +getötet. Die 500 Dunganen zogen nach Abdall, wo sie durch ein ihnen +entgegentretendes Heer gezwungen wurden, die Waffen zu strecken. Dann +wurden sie nach Kara-kum, einer neuangelegten Kolonie, gebracht, wo sie +noch heute in Frieden leben und den Beweis liefern, daß die Chinesen +gegen ihre rebellischen Untertanen nicht immer barbarisch sind. + +An der Ja-ma-tschan-Quelle steht eine 1½ Meter hohe Steinpyramide, +welche eine Tafel mit chinesischen Schriftzeichen trägt -- ob damit die +Erinnerung an den kläglichen Sieg über eine Handvoll ganz erschöpfter +Dunganen bewahrt oder ausgedrückt werden soll, daß diese arme Gegend +zum Reiche der Mitte gehört, ist mir unbekannt. + +Vor etwa 30 Jahren hielten sich in diesen Gebirgsgegenden oft +dunganische Jäger auf. Die einzigen Spuren, die sie hinterlassen haben, +waren einige Fuchsfallen, von den Muselmännern „Kasgak“ genannt. Diese +sehen genau aus wie Gräber oder längliche Steinhaufen und bilden +einen Tunnel; am inneren Ende hängt ein großer Stein so lose, daß er +herunterfällt und den Fuchs erschlägt, der in die Falle kriecht, um +sich ein in einer Schlinge hängendes Fleischstück zu holen. Durch +den Verkauf von Fuchsfellen hatten diese Jäger einen ziemlich guten +Verdienst. + +In der Nacht auf den 31. Dezember hielt der Sturm mit furchtbarer Wut +an. Die Stangen fielen von der Kuppel der Jurte herunter, und diese +mußte provisorisch mit Stricken festgebunden werden. Das Feuer muß +ausgehen, und man taut erst auf, wenn man in seinem warmen Pelzneste +liegt; dann aber kann es draußen toben, soviel es will. Es war morgens +trotz des klaren Himmels dunkel, und man hörte nur das Heulen des um +die Ecken pfeifenden Windes. Das Jahrhundert endete in diesen Gegenden +mit einem richtigen Säkularsturme. Das Reiten ist unter solchen +Umständen eine Tortur. Man kämpft vergebens mit der Kälte und kann +kaum die Lebensgeister wachhalten. Man wird schläfrig und betäubt, +die Glieder erstarren sozusagen in der Stellung, die man zu Pferde +einnimmt, und es bedarf einer Kraftanstrengung, um aus dem Sattel zu +kommen. Die Neujahrsnacht war sehr kalt und sternenklar, und der Mond +stand wie eine elektrische Bogenlampe am Himmel. Ich las die Bibeltexte +und die Psalmen, die am letzten Abende des Jahres in allen Kirchen +Schwedens gesungen werden, und wartete in meiner Einsamkeit die Wende +des Jahrhunderts ab. Es ist ein großer Anblick, wenn das Jahrhundert in +die Nacht der Zeiten hinabsinkt! Hier läuteten keine Kirchenglocken; +nur der Sturm, dem der Wechsel der Jahrhunderte nichts anhaben kann, +sang mit brausenden Orgeltönen seinen wehmütigen Trauermarsch. + +Am 1. Januar 1901 stürzten mit unverminderter Kraft unerschöpfliche +Kaskaden von Luft durch die Täler. Von einer kleinen Paßschwelle +erblickten wir das gewaltige Bergmassiv des +Anambaruin-ula+. +Der +Anambaruin-gol+ ist ein Fluß, der hier die Astin-tag-Kette +durchbricht, um in die Sandwüste hinauszugehen und dort zu sterben. +Die Gegend pflegt oft, besonders im Sommer, von Mongolen besucht zu +werden, und als wir nachher in einiger Entfernung ein grasendes Pferd +umherlaufen sahen, nahmen wir fest an, daß wir jetzt mit Mongolen +zusammentreffen würden. Das Tier betrachtete uns mit scheuen Blicken, +als wir unsere Zelte in der Talweitung am Flußufer aufschlugen. Doch +wie gründlich wir auch am nächsten Tage partienweise die Gegend +abstreiften, von Mongolen war keine Spur zu entdecken; sie waren +augenscheinlich schon lange fortgezogen. + +Für uns war es eine Enttäuschung, sie nicht zu finden und auf ihre +Auskunft über die Gegend verzichten zu müssen. Da wir jedoch Zeit +hatten, beschloß ich, die Mongolen um jeden Preis ausfindig zu machen. +Dieser Abstecher war auf 310 Kilometer zu veranschlagen; wir gingen +dabei um den Gebirgsstock des Anambaruin-ula herum. + +Um für die ersten Mongolen, die wir treffen würden, eine angenehme +Überraschung in Bereitschaft zu haben, wollten wir das entlaufene +Pferd mitnehmen. Es erwies sich aber als ganz unmöglich, das Tier +einzufangen; nicht einmal mit Lasso und Treibjagd ließ es sich +überrumpeln. Schließlich stürmte es talaufwärts davon. Es war in der +Einsamkeit verwildert und so scheu wie ein Kulan. + + + + +Zweites Kapitel. + +Bei den Särtängmongolen und durch die Gobiwüste. + + +Jetzt schritt unser Zug mehrere Tage lang gerade nach Osten. Den ersten +Tag ging es ein großartiges, zwischen wilden, nackten Felswänden +eingeschnittenes Tal hinauf, in welchem der Anambaruin-gol, mit +blauschimmerndem, glattem Eise bedeckt, im Winterschlafe lag (Abb. +178, 179, 180). Einige Steinhütten zeigten, daß Mongolen das Tal dann +und wann besuchten. Gerade unter dem Passe, der die östliche Grenze +des Tales bildet, ließen wir uns in der Kälte nieder. Eine Herde von +12 Archaris kletterte geschickt und mit affenartiger Sicherheit auf +einigen Felsvorsprüngen neben unserem Wege umher. Während sie die +Karawane betrachteten, schlich sich Schagdur unter ihren sicheren +Aussichtspunkt. Der Schuß rollte wie ein Echo zwischen den Bergwänden, +und ein kolossaler Widder taumelte haltlos aus einer Höhe von 50 Meter +herunter. Es wird von diesen wilden Schafen erzählt, daß sie, wenn sie +auf ihren Felsenpfaden stolpern und ausgleiten, immer auf die Hörner +fallen und dadurch die Wucht des Anpralls dämpfen. Schagdurs Opfer +gehorchte diesem Gesetze sogar im Tode, denn er schlug mit den Hörnern +polternd auf das Geröll auf. Unser Weg war lang gewesen, und im Lager +war viel zu tun. Erst um Mitternacht kamen die Leute mit dem Archari, +das sie auf ein Kamel geladen hatten, an. Es war mörderisch kalt in +dem Winde, -28,5 Grad. Man glaubte, die Kälte in der klaren Nachtluft +förmlich zittern zu sehen, und der Mond stand hoch und hell über den +Schneefeldern der Gebirge. + +Am folgenden Tag überschritten wir noch einen Paß und gelangten in die +Gegenden des Gebirges, aus denen die Sommerflüsse südwärts nach dem +Zaidambecken gehen. An einer Stelle sahen wir dessen Sandwüste zwischen +isolierten, mächtigen Bergkomplexen. + +So wanderten wir durch diese wilde Gebirgswelt nach Osten weiter. +Wir hatten unter der Kälte und dem Winde zu leiden, es fehlte an +Feuerungsmaterial, und ein paar Packleitern gingen darauf. Die Tiere +hatten es auch nicht besser, denn die Weideplätze waren ebenso selten +wie spärlich, und sogar die Quellen waren knapp. Den Kamelen macht es +nichts aus, ein paar Tage zu dursten, die Pferde aber kauten Schnee, +wenn sich ihnen weiter nichts bot. Im Norden erhebt sich das mächtige +Massiv des Anambaruin-ula, im Süden ein kleinerer Bergrücken. Als es +am 6. Januar Tag wurde, sahen wir offene Ebenen im Süden und Südosten +und vor uns hatten wir jetzt das Hochlandbecken, das +Särtäng+ heißt +und von Särtängmongolen bewohnt wird, die mit den Bewohnern von Zaidam +stammverwandt sind. + +Fern im Osten sieht man den +Bulungir-nor+ und die Wasserläufe, die +sich in diesen kleinen See ergießen. Die vortrefflichen Weiden, die uns +nach dem platten Lande zogen, waren jetzt freilich gelb, aber unsere +Tiere würden sich nichtsdestoweniger dort sattfressen können, und wir +wollten sie, obwohl es schon zu dämmern anfing, gern noch zum Abend +erreichen. Einige schwarze Punkte hier und dort hielten wir für Zelte +und Herden, aber die Entfernung war zu groß, um etwas deutlich erkennen +zu können, und nach einer Weile hüllte sich das Land in Dunkelheit. +Schagdur und Mollah sprengten voraus; eine Stunde später erhellte +ein Feuer die Nacht; sie hatten augenscheinlich den Rand der Steppe +erreicht und dort trockenes Gras und Gestrüpp in Brand gesteckt. Die +langsam gehende Karawane brauchte noch zwei Stunden, um dorthin zu +gelangen; als wir aber einmal da waren, durften die Tiere ungeknebelt +die ganze Nacht grasen. In solchen Gegenden laufen sie nicht fort. + +Als ich am folgenden Morgen geweckt wurde, hatten die Leute schon +weiter im Süden einige Zeltlager entdeckt, nach denen wir unsere +Schritte hinlenkten. Zuerst gelangten wir an drei Jurten, um welche +herum große Herden von Rindern, Pferden und Schafen weideten. Eine alte +Frau kam herausgelaufen und empfing uns ohne eine Spur von Furcht; +sie fuhr, während sie schwatzte, ganz ruhig mit ihrer Handarbeit -- +Schnurdrehen -- fort. Doch bat sie uns, ja nicht hier zu bleiben, denn +hier seien nur Frauen und Kinder zu Hause; wir zogen deshalb weiter, +bis wir drei andere Jurten erreichten, wo zwei Männer versicherten, daß +wir willkommen seien und unsere Zelte bei ihnen aufschlagen könnten. + +Wir hatten es gut bei diesen freundlichen, gastfreien Mongolen von ++Sando+, die uns verkauften, was wir an Proviant brauchten, aber keine +Karawanentiere abgeben konnten. Die Gegend war übrigens sehr spärlich +bevölkert; nur einige wenige Jurten waren auf der Ebene zu sehen. +Eine große Karawane war kürzlich nach dem Tempel von Kum-bum und eine +zweite nach Sa-tscheo aufgebrochen. Die Mongolen, die noch hier waren, +besuchten uns alle. Ich frischte bald das Mongolische, das ich auf +meiner früheren Reise gelernt hatte, wieder auf, und überdies war +Schagdur ein vorzüglicher Dolmetscher; es war ja seine Muttersprache, +die er hier zu seiner Freude wiederfand. + +Nach einigen angenehmen Rasttagen, während welcher die Kälte auf -32,5 +Grad hinunterging, traten wir den Rückweg nach dem Anambaruin-gol an, +diesmal aber auf der Nordseite des Gebirgsstockes gleichen Namens. +In vier Tagen zogen wir nach Norden über diese Kette, welche die +Fortsetzung des Astin-tag bildet. Wir lagerten zuerst am Bulungir-nor, +wo die Wölfe rings um unser Lager heulten, nachher in bergigen +Gegenden. Der Hauptpaß +Scho-ovo+ (der kleine Obo) ist eine scharf +ausgeprägte Schwelle, und besonders der Nordabhang ist ungeheuer +steil. Die Kamele mußten, um nicht kopfüber in den Abgrund zu stürzen, +einzeln geführt werden. Ein mächtiger Fluß rauscht im Sommer durch das +nördliche Quertal und hat nur zu deutliche Spuren seiner aushöhlenden, +einsägenden Tätigkeit hinterlassen. Rebhühner kamen in Menge vor, und +ich lebte während der ganzen Reise durch den Anambar-ula von nichts +anderem, obgleich wir Schaffleisch vollauf hatten. + +Von dem kleinen, am Nordfuße des Gebirges liegenden Aule +Scho-ovo+ +an ging unser Weg nach Westen. Wir waren hier von der Stadt Sa-tscheo +oder Tung-chuan (von den Muselmännern Dung-chan genannt) nur noch eine +Tagereise entfernt. Vielleicht war es ein Glück, daß wir diesen Ort +während der Unruhen in China, von denen wir allerdings nichts gehört +hatten, nicht besuchten. Unser Führer war ein netter alter Mongole +(Abb. 181, 183), der die Gegend ganz genau kannte, uns fünf Kamele +bis nach dem Anambaruin-gol vermietete und uns einen reichlichen +Vorrat von Gerste, soviel wir transportieren konnten, verkaufte. Der +Boden war jetzt überall mit Schnee bedeckt, aber nicht so hoch, daß +unsere Tiere sich nicht an den Lagerplätzen an Gras hätten sattfressen +können. Er war auch von unzähligen Schluchten durchsägt, die bis zu 10 +Meter tief waren und steile, schwer zu erklimmende Wände hatten. Der +nächste Lagerplatz hieß +Dawato+; dort tobte ein verwünschter Wind, der +vom Gebirge herabstürzte. Es scheint eine Art lokaler Föhn zu sein, +denn er hörte sofort auf, als wir am nächsten Tag einen kleinen Paß +überschritten hatten, und er erhöhte die Minimaltemperatur auf -16 Grad. + +[Illustration: 174. Der Platz, an dem wir umkehrten. (S. 8.)] + +[Illustration: 175. Das Gewölbe im Tale. (S. 8.)] + +[Illustration: 176. Die Kamele werden einzeln nach dem Hauptpasse +hinaufgeführt. (S. 8.)] + +[Illustration: 177. Die Quelle am 22. Dezember 1900. (S. 9.)] + +Am 18. Januar gelangten wir an das Tal von +Dschong-duntsa+, eine sehr +breite, 50 Meter tief in mächtige Geröllbette eingeschnittene Furche +(Abb. 182). Von dem Stocke des Anambaruin-ula gehen unzählige derartige +Täler nach Norden, vereinigen sich nach und nach zu Hauptbetten und +laufen in die Wüste hinaus, wo sie jedoch bald aufhören. Nur dadurch, +daß wir eine kleine Schlucht, die in das obengenannte Haupttal +ausmündet, hinuntergingen, konnten wir seinen Boden überhaupt erreichen +(Abb. 184, 185, 186). Sie schlängelt sich wie ein Korridor, in dem das +Echo hellklingt, zwischen lotrechten Geröllwänden hin. Sie hat ziemlich +steiles Gefälle und wird immer enger und dunkler. Doch nach einer +letzten Biegung wird es wieder hell, und das sonnenbeleuchtete Tal +mit seiner Vegetation und seinem eisbedeckten Flusse strahlt uns wie +durch eine geöffnete Pforte entgegen. Auf dem linken Ufer des Flusses +lagerten wir in einer großartigen, phantastischen Natur. + +Die Talmündungen, die vom Gebirgsstocke des Anambaruin-ula ausgehen, +sind wahrhaft großartige, entzückende Gegenden. In einer von ihnen, die ++Lu-tschuentsa+ heißt, lagen in einem Walde von kleinen Weiden mächtige +Eistafeln, an den Bachufern wuchs prachtvolles Gras, und Steinhütten +und Gerstenfelder verkündeten, daß sich hier vor noch gar nicht langer +Zeit Mongolen aufgehalten haben (Abb. 187, 188). Der Weg selbst ist +um so schlechter, mit Riesenschluchten bis ins Unendliche und mit +zahllosen kleinen Furchen dazwischen. Sie sind oft tief zwischen +lotrechten Wänden eingeschnitten; das Ganze ist ein Meer von Geröll, +malerisch, aber beschwerlich. Die Karawane verschwindet manchmal in +diesen Rinnen und taucht an einer weniger steilen Stelle wieder auf. + +Bei dem Lager am +Gaschun-gol+ schoß Schagdur ein wildes Kamel. Diese +Tiere kommen in der Gegend ziemlich häufig vor, bald nördlich von +unserem Wege auf den untersten Abhängen des Gebirges und am Rande +der Wüste, bald auch, merkwürdigerweise, in den südlichen Tälern, +wo es meiner Meinung nach nicht schwer sein müßte, ganze Herden in +Sackgassen, aus denen es keinen Ausweg gibt, hineinzutreiben. Wir sahen +sie oft in Herden von 15-20 Tieren. + +Am 24. Januar wurde die letzte Strecke bis +Chan-ambal+ zurückgelegt, +wo wir auf derselben Stelle wie vor drei Wochen lagerten. Nahe +dabei trafen wir die einzige Karawane, die wir auf dieser ganzen +viermonatigen Reise sahen, zwei Chinesen, die auf zehn Kamelen gedörrte +und gefrorene Fische nach Sa-tscheo brachten. Sie kamen, wie sie +sagten, aus Lovo-nur, d. h. Lop-nor. Ich wollte ein oder zwei Pakete +ihrer Fische erstehen, aber sie weigerten sich hartnäckig, uns etwas +zu verkaufen. Meine Leute schlugen vor, wir sollten uns ganz einfach +nehmen, was wir brauchten, aber ich bin nicht für Gewalt und zog es +vor, die Chinesen unbehelligt weiterziehen zu lassen. + +Mit der Rückkehr an diesen Lagerplatz, der von Abdall gerechnet Nr. +131 war, hatten wir den Anambaruin-ula umgangen, aber den eigentlichen +Zweck des ganzen Umweges, uns Kamele zu verschaffen, nicht erreicht. +Wir hatten nicht einmal ein Pferd kaufen können, und unsere Karawane +war durch den Umweg ermüdet worden. Die Kamele befanden sich noch +in guter Verfassung, aber mehrere Pferde zeigten schon Symptome der +Erschöpfung. Der Gewinn der Reise war, daß wir ein geographisch sehr +merkwürdiges Land kennengelernt hatten. + +Große Strecken unbekannten Landes lagen noch vor uns, und in der +Zusammensetzung der Karawane mußte eine Änderung vorgenommen werden. +Sechs Pferde, die nicht aussahen, als hätten sie noch Kräfte genug +für zweimonatige Strapazen, wurden ausgeschieden, und alles, was sich +entbehren ließ oder jetzt nicht notwendig war, von unserem Gepäck +abgesondert, besonders alle Gesteinproben und Skelette. Mit dieser +kleinen Karawane sollten Tokta Ahun und Ahmet nach Abdall zurückkehren. +Ersterer hatte außerdem folgende wichtige Aufträge auszuführen. Mit den +müden Pferden sollte er sich von Abdall nach Tscharchlik begeben und +dort von Tscherdon und Islam Bai allerlei später für uns notwendige +Proviantartikel erhalten, worüber ich ihm schriftlichen Befehl an die +beiden mitgab. Sodann hatte er wieder nach Abdall zurückzukehren, um +uns von dort aus entgegenzukommen, und den Postdschigiten, der der +Verabredung gemäß während meiner Abwesenheit vom Generalkonsul in +Kaschgar in Tscharchlik angelangt sein mußte, ebenfalls mitzunehmen. +Der Dschigit sollte hierbei noch immer dafür verantwortlich sein, +daß mir die Posttasche in unverletztem Zustande übergeben würde. Von +Kum-tschappgan sollte Tokta Ahun drei volle Tagereisen am Nordufer +des Kara-koschun entlangreiten, drei frische Pferde mitnehmen und in +einer geeigneten Gegend ein Standlager errichten. Zwei Kähne und einige +gut mit der Gegend bekannte einheimische Fischer hatte er ebenfalls +mitzubringen. + +Nachdem diese Hilfsexpedition einen guten, angenehmen Rastplatz +ausgesucht, sollte sie dort eine Hütte bauen, ihre Netze auslegen +und Enten fangen, damit wir, die aus der Wüste kommen würden, nach +den Anstrengungen Obdach und Verpflegung vorfänden. Auf einem nach +Norden weithin sichtbaren Hügel sollten sie zweimal täglich, um 12 +Uhr mittags und nach Einbruch der Dunkelheit, ein Feuer anzünden, +dessen Rauchwolken und Schein uns als Leuchtturm dienen könnten. An +dem verabredeten Vereinigungspunkte drei Tagereisen nordöstlich von +Kum-tschappgan mußten sie sich in spätestens 45 Tagen, vom 27. Januar +an gerechnet, einfinden und sofort mit dem Signalisieren beginnen, +sowie geduldig auf unsere Ankunft warten, falls wir aufgehalten werden +sollten. Tokta Ahun war betrübt, daß er sich von uns trennen sollte, +aber ich tröstete ihn damit, daß es sein Vorteil sein würde, wenn er +seinen Auftrag gut ausführe. + +So dezimiert, zogen wir am 27. Januar weiter, um die Wüste Gobi gerade +nach Norden zu durchwandern. Wir marschierten also durch das Tal +hinunter, das der Anambaruin-gol durch die Bergkette des Astin-tag +geschnitten hat. An einer Flußbiegung standen drei von Äckern umgebene +mongolische Steinhütten. Das Tal erweitert sich, die Berge auf seinen +Seiten bilden isolierte Partien, Hügel und wellenförmiges Land, das +schließlich in die Wüste übergeht. Auch der Fluß wird schwächer, seine +Uferterrassen werden immer niedriger, seine Eisschollen immer dünner, +und nur ein unbedeutendes Rinnsal rieselt noch unter ihnen. Der Schnee +wird immer seltener, und es war deutlich zu beobachten, daß er bald +ganz aufhören würde. + +An dem Punkte, wo die letzten Eisschollen im Tale lagen, machten wir +eine bedeutungsvolle Rast. Wo und wann würden wir das nächste Mal +Wasser finden? Darüber schwebten wir in gänzlicher Ungewißheit. Der +Sicherheit halber befahl ich, für 10 Tage Eis mitzunehmen. Die Eisdecke +des Bettes wurde aufgebrochen und fünf Säcke mit dicken Scheiben +gefüllt. Ein Sack reichte, unserer Ansicht nach, volle zwei Tage für +Leute und Tiere. + +Die schon vorher ansehnlichen Lasten der Kamele wurden hierdurch noch +vergrößert, aber das Terrain war gut, und es ging eben und langsam +bergab. Es ist herrlich, das Gebirge hinter sich lassen zu können und +erst in einer freundlicheren Jahreszeit dorthin zurückzukehren. + +Nur ich, Schagdur und Faisullah durften an diesem Tage reiten, doch +sobald die Zugordnung in Gang gekommen war, sollten wir die vier Pferde +abwechselnd benutzen. + +Je weiter wir uns von der Bergkette entfernen, desto mehr schmelzen +die Einzelheiten ihres Aufbaues zusammen; aber je weiter wir gelangen, +desto deutlicher zeichnen sich dafür ihre beiden Rücken ab. Der +hintere, den die Mongolen +Tsagan-ula+ (das weiße Gebirge) nennen, +erhebt sich hoch und dominierend mit seinem schön gezeichneten, +schneebedeckten Kamme; der vordere, nördliche, den der Fluß +durchbricht, steht schwarz da und hat gemäßigtere, sanftere Linien. + +Das Terrain und die Landschaft verändern sich vollständig; das +Geröll, das uns seit einem Monat zu schaffen machte, wird spärlicher +und hört ganz auf, der Boden wird weicher, und wir können zwischen +den Schneeflecken reiten, so daß die Pferde von den unangenehmen +Schneesohlen, die sich unter den Hufen bilden, verschont bleiben. +Hier und dort ist die aus Teresken und Tamarisken bestehende +Steppenvegetation recht üppig. Im Norden versperren niedrige, rötliche +Berge die Aussicht über das Wüstenmeer. Neben einem kleinen Hügel +fanden wir einen vortrefflichen Platz für das Lager. Dürre Büschel +versahen uns mit Kamelfutter und Feuerung, und in einer Spalte lag noch +eine letzte Schneewehe, so daß wir den Eisvorrat nicht anzubrechen +brauchten. Zwei wilde Kamele wurden von den Hunden in die Flucht +gejagt, liefen aber so schnell längs des Fußes der Hügel hin, daß +die Hunde, wie sehr sie sich auch anstrengten, so weit hinter ihnen +zurückblieben, daß an ein Einholen gar nicht zu denken war. + +Der nächste Tag brachte uns pfeifenden westlichen Sturm, der mit +aufgewirbeltem Staub und schweren, grauen Wolken gesättigt war. Für +die Pferde wurden einige Eimer Schnee über dem Feuer geschmolzen, die +Kamele aber und die Hunde konnten sich selbst von den Schneewehen +versehen. Wir näherten uns dem Fuße des Wüstengebirges. Die +Steppenvegetation ist oft außerordentlich üppig. Sie besteht aus +jenen holzigen, oft ziemlich hohen, Nadeln tragenden Sträuchern und +Büschen, welche die Muselmänner „Tschakkande“ und „Köuruk“ nennen +und die mit der gewöhnlichen Tamariske verwandt sind. Manchmal sind +sie vertrocknet, und dann liegen ganze Wagenladungen vortrefflichen +Brennmaterials bereit, so daß man oft in Versuchung gerät, nur um +ihretwillen zu lagern. + +Wir überschreiten ein sehr breites, aber wenig tief eingeschnittenes +Bett, dem alle Gewässer der Gegend zuströmen. Das Bett geht nach +Westnordwest, in der Richtung des Lop-nor-Beckens. Obwohl das Gefälle +auf der anderen Seite außerordentlich stark wurde, war es für uns +doch leicht, über den niedrigen Paß der Wüstenkette hinüberzukommen, +auf dessen anderer Seite die Zelte zwischen weichen, trockenen und +angenehmen Sanddünen aufgeschlagen wurden. Unterhalb des Passes begann +jetzt auch „Suk-suk“ (Saksaul, ~Anabasis ammodendron~) aufzutreten. + +Während des Marsches am 29. Januar verloren wir uns wieder in einem +Gewirr von nicht sehr hohen Bergen. Von neuem stießen wir auf einen +deutlichen Weg aus früheren Zeiten. Am Boden war keine Spur mehr davon +zu sehen; er war schon lange von der Zeit vertilgt worden, aber auf +allen Hügeln und Vorsprüngen standen kleine Steinmale oder Wegzeichen, +deren wir wohl 20 zählten. Gewöhnlich bestehen sie aus einer großen und +einer kleinen Steinplatte, die sich aneinanderlehnen, oder auch aus +einem würfelförmigen Steine, der zwei aufeinandergelegte runde Steine +trägt. Daß es sich hier nicht um einen zufälligen Jägerpfad handelt, +beweisen die Steinmale. Jäger finden sich überall zurecht und bleiben +nicht ausschließlich auf bekannten Wegen, Steinmale aber sind nur für +Reisende nötig, die sonst nicht wissen, wo der Weg geht. Wahrscheinlich +war es die Fortsetzung des Weges, den wir schon im Astin-tag gesehen +hatten, und ohne Zweifel ist er von Pilgern benutzt worden. Er wird +wohl ziemlich alt sein; die Steinmale kann nur die Verwitterung +vernichten, denn keine Stürme können sie hier mit Sand verschütten oder +umwerfen. + +Nachdem wir noch einen kleinen Paß überschritten hatten, lag das +gelbe Meer der Wüste vor uns. Seine Dünenwellen sahen unheimlich und +bizarr aus. In der letzten Talmündung wurde Rast gemacht. Man hat hier +das Gefühl, sich an der Küste des Wüstenmeers zu befinden. Auf einer +Anhöhe thronte ein letztes Steinmal. Saksaule wuchsen hier üppig und +erreichten eine Höhe von 3 Meter. + +Die letzten Ausläufer auf beiden Seiten dieser Talmündung sind zur +Hälfte versandet. Die Dünen klettern hoch an ihnen hinauf. Sie +versinken in die unbekannte Tiefe des Wüstenmeers. An Niederschlägen +fehlt es in diesen Wüstenbergen nicht. Von Zeit zu Zeit fällt hier +Regen, dessen Wasser sich zu einem Bach vereinigt, der, wenn auch +von kurzer Dauer, doch eine bedeutende Wassermenge führen zu können +scheint. Und daß er eine achtunggebietende Kraft besitzt, sehen wir an +seiner sich zwischen kolossalen Sanddünen hinschlängelnden Rinne. Bald +läuft diese nach Osten, biegt aber, wenn sie auf einen Sandberg stößt, +nordwärts ab, bald nach Westen, um, von einer anderen Düne abgedrängt, +wieder nach Norden zu gehen. Ohne einen solchen natürlichen Korridor +wäre es ziemlich schwer gewesen, sich einen Weg durch diesen gewaltigen +Flugsandgürtel zu bahnen, und man erstaunt, daß die Erosion stark genug +ist, den Sand zu bekämpfen. + +Den ganzen Tag ging ich zu Fuß voraus, um nicht in dem ewigen, eisigen +Winde zu erfrieren. Dann und wann guckt eine zur Hälfte begrabene +Saksaulpflanze aus dem Sande. Die gestern noch außerordentlich +zahlreichen Spuren von wilden Kamelen und Antilopen haben ganz +aufgehört; die scheuen Tiere wollen das Terrain überschauen und +hüten sich vor einer so schmalen, gefährlichen Passage. Noch mehrere +Kilometer vom Fuße des Gebirges entfernt liegen Granitstücke von +Kubikmetergröße auf dem Sande. Weshalb liegen sie da? Weshalb begräbt +sie der Triebsand nicht? Dies muß seinen Grund in den Bahnen haben, die +der Wind beschreibt und die keine Ablagerung in der Nähe eines solchen +Hindernisses zulassen. + +Allmählich wird das Bett weniger ausgeprägt, sein Boden ist oft +versandet, und die Dünen auf den Seiten erreichen nicht mehr +die himmelstürmende Höhe wie am Fuße des Gebirges. Die kleine +Wüstenkette, die wir in zwei Pässen überschritten haben, gleicht einem +Wellenbrecher, der die Ausbreitung des Flugsandes nach Süden unmöglich +macht. Sie schützt den nördlich vom Astin-tag liegenden Steppengürtel. + +Schließlich hörte das Bett zwischen den Dünen auf, bildete vorher aber +noch eine Erweiterung, die einem kleinen See glich, obwohl keine Spuren +von Wasser entdeckt werden konnten. Im Norden dieser Bodensenkung erhob +sich ein hoher Dünenwall, und von seinem Kamme erblickten wir das +eigentliche Wüstenmeer in seiner ganzen, großartigen Öde; es sah ebenso +aus wie in so vielen anderen Gegenden, in denen ich die Wüste Gobi +durchwandert hatte. Nicht die kleinste Pflanze überschritt die Grenze; +im Norden, Osten und Westen sah man nichts als Sand, Sand und wieder +Sand (Abb. 189, 192). + +Wie gewöhnlich in den Sandwüsten ging ich zu Fuß voraus, und nur +langsam konnte die Karawane meinen schnellen Schritten folgen. Ich +glaubte an mein altes Wüstenglück und war überzeugt, daß ich auch jetzt +die Meinen durch die Gefahren der Dünenberge lotsen würde. Ich hatte +das Fernglas bei mir, suchte die ebensten Flächen aus und freute mich +über die Einsamkeit und die große Stille. + +Das heutige Lager wurde mitten in der Sandwüste aufgeschlagen, wo +ringsherum nichts als Sand zu sehen war. + +Während des folgenden Tagemarsches wurden die Dünen immer niedriger +und gingen schließlich in den darunterliegenden Lehmboden über, der +in mehrere ungleiche Etagen von nach Norden abfallenden Terrassen +ausgearbeitet ist. Am 1. Februar wurde diese Landschaftsform noch +ausgeprägter (Abb. 190). Die Terrassen zeigen wie Finger nach +Nordnordost und sind oft 50 Meter hoch. Gegen Abend erreichten wir zu +unserer freudigen Überraschung wieder einen Steppengürtel, wo Kamisch +und Tamarisken üppig wucherten und Spuren von Wölfen, Antilopen und +Kamelen einander kreuzten. Ein Brunnen gab in einer Tiefe von 1,14 +Meter salzhaltiges aber trinkbares Wasser (Abb. 191). Es quoll jedoch +so langsam aus dem auf blauem Ton ruhenden Sandlager, daß es nur den +Appetit der Kamele nach „mehr“ reizte. + +Noch einen Tag erfreuten wir uns des Steppengürtels und folgten den +Pfaden der wilden Kamele nach Norden. Sogar eine Gruppe knorriger +Pappeln wurde passiert. Doch nur in einer von ihnen war noch ein +Fünkchen Leben; die übrigen waren lauter geschlagene Helden. + +Bei dem Lager, das hier aufgeschlagen wurde, es war Nr. 138, hatten +wir alles, dessen wir bedurften, und wir verbrachten hier zwei sehr +notwendige Ruhetage. Während ich eine Sonnenobservation machte, +buken die Männer Brot und hielten große Wäsche. Ein sehr ergiebiger +Brunnen spendete den Kamelen für lange Zeit Wasser. Sie tranken je +sieben Eimer. Das Wasser war fast ganz süß, und dadurch, daß wir es +in dem offenen Becken gefrieren ließen, konnten wir unseren Eisvorrat +vergrößern. + +Hinter diesem Punkte folgte wieder sterile Wüste, aus deren lockerem +Lehmboden vom Winde sehr eigentümliche, bis zu 8 Meter hohe Kegel und +Würfel geformt worden sind, die oft täuschende Ähnlichkeit mit Ruinen +von Häusern und Mauern haben. Am Abend wurde ein wichtiger Punkt +erreicht, und jetzt kam Mollahs Wegkenntnis zum erstenmal zur Geltung. +Er war mehrmals mit Karawanen von Abdall nach Sa-tscheo und zurück +geritten, hatte dabei stets den Astin-joll (den unteren Weg) durch die +Wüste benutzt und kannte dort alle Brunnen und ihre Namen. An einem der +letzteren, +Atschik-kuduk+ (der salzige Brunnen), schlugen wir jetzt +unsere Zelte auf. Er verdiente seinen Namen, denn das Wasser war selbst +für die Kamele absolut untrinkbar. Spuren in dem feuchten, salzhaltigen +Boden verrieten, daß vor gar nicht langer Zeit eine Karawane von Abdall +nach Sa-tscheo hier vorbeigezogen war und ohne Zweifel Fische, welche +die Chinesen sehr lieben, transportiert hatte. + +Dieser Wüstenweg ist schon von Kosloff, Bonin und möglicherweise auch +von Marco Polo bereist worden. Es war meine Absicht, ihn nur zu kreuzen +und direkt nach Norden weiterzuziehen, aber die Klugheit gebot uns +doch, uns nicht in unbekannte Wüstengegenden hineinzuwagen, ohne mit +einem genügenden Eisvorrat versehen zu sein. Der nächste Brunnen im +Westen war der +Tograk-kuduk+ (Pappelbrunnen); dort sollte das Wasser +nach Mollahs Versicherung gut sein. Wir begaben uns also dorthin und +ruhten einen Tag, an dem ein bedeutender Eisvorrat von dem Brunnen +geholt wurde (Abb. 193). Es war keine Kunst, die Säcke zu füllen, da +die Kälte noch -27,5 Grad betrug. Bei Tage war es allerdings nur ein +paar Grad kalt. + +Als wir uns am 8. Februar nordwärts auf eine lange, ziemlich waghalsige +Reise ohne Rasttage begaben, hatten wir also für Menschen und Tiere auf +mindestens zehn Tage Wasser. + +Durch dichtes Schilf, das von der Kälte gelb und dürr geworden ist und +knisternd bricht, wenn wir hindurchschreiten, geht es einem unbekannten +Lande entgegen, aus dem nie zuvor eine Kunde zur Kenntnis der Europäer +und ebensowenig der Asiaten gelangt ist. Ich ging, wie gewöhnlich, weit +voraus. Unzählige Spuren von wilden Kamelen und Antilopen zeigen sich +in allen Richtungen, Kulane aber gibt es in dieser Gegend nicht; die +Luft ist wohl zu dicht für ihren geräumigen Brustkorb. Auf einmal hört +der Vegetationsgürtel auf und endet mit einem Labyrinth von Lehmkegeln, +die tote Tamarisken tragen. In einer Bodensenkung, wo das Erdreich +feucht aussah, hielt ich es für der Mühe wert, noch einen Brunnen zu +graben. Im Norden erhob sich eine wohl 70 Meter hohe Terrasse. In eine +ihrer Talmündungen wollten wir hineinziehen. + +Die Karawanenglocken kommen immer näher. Die Weide war an dieser Stelle +gut, und die Kamele sollten noch einmal eine stärkende Mahlzeit haben. +Der Brunnen gab leidliches Wasser, und aus der Winterkälte machten wir +uns wenig; sie wurde durch prächtige Feuer gemildert. + +Ein passendes Tal lockte uns in seine Mündung hinein, und einen +ganzen Tag ritten wir durch seine Rinne nach Norden. Der Boden hebt +sich außerordentlich langsam, für das Auge geradezu unmerklich. +Nach vorhandenen Karten von Innerasien müßte hier eine gewaltige +Bergkette liegen, aber die Anhöhen, die wir jetzt auf allen Seiten +sahen, waren so unbedeutend, daß sie kaum den Namen Berge verdienten. +In einer kleinen Schlucht fand ich Stücke eines uralten Eisentopfes +von sphärischer Form und einen Dreifuß, der unten einen Ring hatte. +Offenbar waren hier in früheren Zeiten Chinesen oder Mongolen +vorbeigekommen. Waren wir hier vielleicht wieder auf die Fortsetzung +des Weges, den wir im Astin-tag gesehen hatten, gestoßen, oder war dies +ein alter Weg nach Chami? + +Daß wir uns in einer Gegend befanden, wo einstmals menschliche +Verbindungsstraßen gelegen haben mußten, wurde uns während der +folgenden Tagereise völlig klar. In dem breiten, offenen Tale, dem +wir nach Norden folgten, zeigten sich nämlich oft Steinmale und +Steinhaufen. Da, wo das Tal in flaches, wellenförmiges Terrain auslief, +teilte sich der alte Weg. Eine Reihe von Steinmalen erstreckte sich +nach Westsüdwesten, eine zweite nach Nordwesten. Der erste dieser +beiden Wege hat wahrscheinlich nach den Ruinen geführt, die wir +früher am Nordufer des Lop-nor gefunden hatten. Der zweite, den wir +einschlugen und der nach Turfan zu gehen schien, führte uns auf einen +niedrigen, rötlichschimmernden Kamm von ganz verwittertem Granit. +Fern im Norden wurde die Aussicht durch eine etwas höhere Kette +versperrt. Die Landschaft ist seltsam, öde, verlassen und stumm. Wie +die Menschenspuren uralt sind, ihre Bedeutung verloren haben und +nur noch in den Steinmalen als Erinnerungen aus vergangenen Zeiten +dastehen, so sind auch die Bergketten hier auf dem Wege, vom Erdboden +vertilgt worden. Wenn man an Tibet gewöhnt ist, kann man sich beinahe +nicht entschließen, diese kleinen Landrücken Berge zu nennen. Sie sind +zerfallende Ruinen von einstmals hohen Bergketten, welche jetzt durch +die Einwirkung der in der Atmosphäre wirkenden Kräfte Stück für Stück +zerstört werden. Doch denselben von Osten nach Westen gerichteten +Parallelismus wie in Tibet finden wir auch hier wieder. + +In einer geschützten Spalte auf der Nordseite des Kammes fanden wir +eine liegengebliebene Schneewehe, die den Kamelen sehr zupasse kam. +Vielleicht hat dieser Schnee sie vor dem Verdursten gerettet, denn zum +Wasser hatten wir noch sehr weit. + + + + +Drittes Kapitel. + +Durch unbekanntes Land auf der Suche nach Wasser. + + +Die ersten Anzeichen des Frühlings machten sich jetzt bemerklich, und +die Winde waren nicht mehr ganz so schneidend kalt wie bisher. Die +Minimaltemperatur stieg freilich selten über -20 Grad; aber unser +langer Winter näherte sich doch seinem Ende. Im Juli des vorigen Jahres +hatte er begonnen und ununterbrochen fortgedauert. + +Am 11. Februar überschritten wir eine Bergkette von unbedeutender +relativer Höhe. Wilde Kamele haben hier außerordentlich zahlreiche +Spuren hinterlassen. Sie schienen oft nach der obenerwähnten +Schneewehe, der keine weiteren folgten, zu gehen. Wahrscheinlich hat +die Erfahrung die Tiere gelehrt, daß die geringe Schneemenge, die +hier gelegentlich fällt, an jener Stelle die größte Aussicht hat, +liegenzubleiben. + +Am 12. gingen wir in einer fabelhaft öden Gegend, die nur selten durch +eine Kamelspur belebt wurde, nach Nordnordosten. In der Ferne sieht man +auf allen Seiten einzelne, niedrige Hügel, aber ziemlich lange Zeit +ist es unmöglich festzustellen, in welcher Richtung der Boden fällt. +Es gibt hier allerdings flache, gewundene Bachbetten, aber sie sind +trocken wie Zunder, und oft hat es den Anschein, als müßten Jahrzehnte +vergangen sein, seit sie zuletzt Wasser geführt haben. Der Blick reicht +unendlich weit nach allen Seiten hin. Da keine Veränderung eintrat +und keine Hoffnung vorhanden schien, daß wir hier Quellen oder Schnee +finden könnten, schwenkten wir nach Nordwesten und Westen ab. + +Die beiden folgenden Tagemärsche gingen nach Südwesten. Ich hielt mit +dem Kurse immerfort auf Altimisch-bulak zu, da wir ja einen Bogen nach +Nordosten gemacht hatten. Unsere Lage war kritisch; der noch vorhandene +Eisvorrat reichte freilich für uns und die Pferde noch mehrere Tage, +aber die Kamele konnten keinen Tropfen mehr bekommen, und unser ganzes +Streben war darauf gerichtet, diese unermüdlichen Veteranen um jeden +Preis zu retten. Die Spuren der wilden Kamele wurden nunmehr stets +auf der Karte verzeichnet. Ich glaubte, daß man aus ihren Richtungen +Schlüsse auf die Lage von Quellen und Weideplätzen würde ziehen können. +Die Spuren gingen meistens nach Nordwesten oder Südosten. Im Südosten +dehnen sich die Kamischsteppen am Astin-joll aus, die wir schon +durchquert hatten, und im Nordwesten gab es wahrscheinlich Quellen, +die nur den Kamelen bekannt waren. Ich ging meistens zu Fuß und ruhte +mich nur zeitweise im Sattel aus. Wenn es wirklich darauf ankam, eine +Situation zu retten, hatte ich keine Ruhe zum Reiten. Die Kamele sind +unerschütterlich ruhig und geduldig; nachts liegen sie geknebelt, +keinen Grashalm bietet ihnen diese wüste Gegend, aber noch haben wir +Vorrat von der Gerste der Mongolen. + +Am 16. Februar sah ich ein, daß wir, wenn wir eine Katastrophe +vermeiden wollten, direkt nach Süden gehen und versuchen müßten, den +Wüstenweg mit seinen salzigen Brunnen wieder zu erreichen. Vergeblich +spähten wir nach einer liegengebliebenen Schneewehe umher. Wir mußten +nach dem flachen Lande hinunter, wo wir wenigstens versuchen konnten, +einen Brunnen zu graben. Ich erstieg einen Paß in einer unbedeutenden +Kette. Die Aussicht war nichts weniger als ermutigend, denn auf allen +Seiten zeigten sich kleine Landrücken; es war dieselbe Mondlandschaft +wie immer, dieselben trockenen Hügel ohne eine Spur von Gras, aus dem +man auf eine gewisse Feuchtigkeit des Bodens hätte schließen können. + +In einem breiten Tale sahen wir 57 frische Kamelspuren. Sie sammelten +sich fächerförmig von allen Seiten und vereinigten sich zu einer +Heerstraße, die ohne Zweifel nach einer Quelle führte. Nachher sahen +wir noch 30 Spuren, die alle nach der großen Heerstraße gingen. Wir +machten einen Augenblick Halt und hielten Kriegsrat. Gewiß war es, +daß es hier nach einer Quelle ging, aber wie weit war es dorthin? +Vielleicht mehrere lange Tagemärsche. Würde es nicht besser sein, nach +Altimisch-bulak, das wir wenigstens kannten, zu ziehen? Wir folgten +diesen Spuren nicht, so verlockend sie auch waren. Ganz kürzlich +waren sie wie helle Stempel in den Boden gedrückt worden, aber +merkwürdigerweise ließen sich die Kamele selbst nicht sehen. Bis in die +unendliche Ferne lag das Land leer und schweigend da. Es war, als ob +unsichtbare Geister diese Spuren hervorgerufen hätten. Ganze Karawanen +von wilden Kamelen waren hier kürzlich gezogen, aber kein Tier war +zu erblicken. Die Spuren führten nach Norden, vielleicht nach der +Pawan-bulak, einer Quelle, von der Abdu Rehim, wie er mir im vorigen +Jahre mitgeteilt hatte, gehört, die er aber nicht besucht hatte. + +17. Februar. Unsere Lage fängt an, recht bedenklich zu werden. Die +Kamele haben seit zehn Tagen außer einigen Mundvoll Schnee, die wir vor +einer Woche fanden, nichts zum Löschen ihres Durstes bekommen. Ihre +Kräfte können nicht bis in alle Ewigkeit ausdauern. + +Während unseres heutigen Marsches ließen wir die kleinen Ketten, +die wir auf dem Zuge nach Norden überschritten hatten, der Reihe +nach hinter uns zurück. Sie laufen eine nach der anderen im Westen +aus und verschwinden dort spurlos; sie stehen also nicht einmal in +fortlaufender Verbindung mit dem Kurruk-tag, obgleich sie zu demselben +orographischen System gehören. Fern im Westen sahen wir die Ketten +des Kurruk-tag; sie waren höher und größer als die bisher von uns +überschrittenen. Da wir in ihrer Nähe größere Aussicht hatten Wasser zu +finden als in der Wüste, richteten wir den Kurs dorthin und zogen nach +Westen. + +Nachdem ich die äußersten Vorsprünge des Gebirges hinter mir gelassen +hatte, gelangte ich auf ganz ebenen salzhaltigen Boden hinunter, der +jedoch auch Höcker in Gestalt von höchstens 2 Meter hohen Rücken und +Anschwellungen hatte. Die Wüste erstreckt sich im Südwesten bis ins +Unendliche, und auch im Nordosten wird ihr Horizont durch keine Berge +verdunkelt. + +Nachdem ich fünf Stunden zu Fuß gegangen war, wartete ich auf die +Karawane. Das Terrain wurde nachher schlechter als die Sandwüste. Es +waren dieselben Jardang oder Lehmrücken, die wir von der Lopwüste her +kannten; hier aber waren sie bis zu 6 Meter hoch und 10 Meter breit. +Sie haben eine nordsüdliche Richtung und liegen in unzähligen Reihen. +Gäbe es nicht hie und da kleine Unterbrechungen durch Lücken, so wäre +das Terrain vollkommen unpassierbar, denn ihre Seiten sind senkrecht. +Wir müssen halbe, ja ganze Kilometer zwischen ihnen zurücklegen, ehe +die nächste Lücke uns erlaubt, einige zehn Meter in unserer Richtung +zu gehen. Hier nützt alle Geduld nichts; solch ein Terrain kann den +Menschen zur Verzweiflung bringen. + +Schließlich gelang es mir aber doch, uns aus diesem zeitraubenden +Labyrinth hinauszulotsen. Bei dem zwischen einigen Hügeln +aufgeschlagenen Lager war das organische Leben nicht einmal durch eine +vom Winde verschlagene Tamariskennadel vertreten. + +Todmüde krieche ich in meine Filzdecken und Pelze, habe aber noch lange +nicht ausgeschlafen, wenn der Kosak mich weckt. Schon bei Tagesgrauen +herrschte halber Nordsturm, der am Nachmittag in einen ohne Rast und +Ruh heulenden und pfeifenden Buran erster Ordnung ausartete, und +zwar in einen, der dicht am Erdboden hinfegt, Staub, Sand und kleine +Steine mitweht und uns eiskalt gerade in die Seite schlägt. Wie man +auch geht, immer wird man steif vor Kälte; die Hände schwellen auf und +verlieren das Gefühl. Dies ist eine neue Unannehmlichkeit, die sich zu +der Besorgnis um die Kamele und der Sehnsucht nach Wasser gesellt. Die +Drangsale sammeln sich bösen Geistern gleich um unsere Karawane. Das +Terrain ist abscheulich, unzählige Hügel müssen rechtwinklig gekreuzt +werden. + +Ich ging voraus und schleppte die Meinen 40 Kilometer weit mit. Unser +Feuerungsvorrat war längst zu Ende, und kein Span war zu entdecken. +Nichts weiter als Steine, Kies und Sand in dieser tückischen +Mausefalle, die uns festhalten will und vor deren teuflischen Absichten +wir unser Leben retten müssen. Die Kette, auf die mein Kurs gerichtet +ist und an deren Fuße wir eine Quelle zu finden hofften, scheint +zurückzurücken und vor uns zu fliehen. Sie verschwand jetzt vollständig +im Nebel der Staubwolken; gegen Abend erschien sie daher unerreichbarer +denn je. Die Kamele bewahrten trotz dieses forcierten Marsches ihre +aufrechte, königliche Haltung und, obwohl sie keinen Stengel zu +fressen, keinen Tropfen Wasser zu trinken bekamen, gingen sie doch mit +hocherhobenem Kopfe und großen, nie unsicheren Schritten vorwärts. + +Wir lagerten in der Dämmerung in einem offenen Tale, das keinen Schutz +vor dem Sturm gewährte. Die Jurte bekam drei Überzüge von Filzdecken, +aber der Ofen ließ sich aus Mangel an Brennholz nicht benutzen. Das +bißchen Wärme, welches ich selbst, mein treuer Reisekamerad Jolldasch +und das flackernde Licht verbreiten, wehen die Windstöße fort. Ein +Sandwall wird rings um den unteren Jurtenrand aufgeworfen, aber +trotzdem ist es drinnen so kalt wie in einem Keller. Von dem Eise sind +nur noch einige Stücke übrig. Meine armen Begleiter begnügten sich +mit einem Souper von einigen Stückchen Eis und Brot und krochen dann +so schnell wie möglich unter ihre Filzteppiche; eine Holzlatte, die +geopfert wurde, reichte nur zum Wärmen meines Tees. + +Während draußen der Sturm die ganze Nacht tobte, schlief ich gut und +ruhig in meinen Pelzen, fand es aber am Morgen des 19. Februars recht +kalt, als ich ohne das gewöhnliche Morgenfeuer aufstehen mußte. Sobald +ich nach einem Becher Tee und einem Stück Brot fertig war, eilte ich +zu Fuß voraus. Wasser, Wasser! Das war der einzige Gedanke, der alle +beherrschte; wir mußten um jeden Preis eine Quelle finden, denn die +Kamele hatten seit zwölf Tagen nichts getrunken. Unsere Lage war +wirklich kritisch; fanden wir kein Wasser, so würden die Kamele eines +nach dem anderen sterben, gerade wie in der Wüste Takla-makan. Hier +hatten wir jedoch den Vorteil, daß die Luft kalt und der Boden hart +und eben war und uns erlaubte, die Gegenden in langen Tagemärschen zu +durchmessen. + +[Illustration: 178. im Tale des Anambaruin-gol. Blick nach Nordwesten. +(S. 14.)] + +[Illustration: 179. Blick nach Südosten vom Lager am Anambaruin-gol. +(S. 14.)] + +Ich hielt noch immer auf die Quelle Altimisch-bulak zu, deren Lage +ich seit dem vorigen Jahre kannte. Doch nach Abdu Rehim sollte es +östlich von ihr noch drei Quellen geben, und diese waren es, auf die +ich jetzt hoffte und die ich suchte. Wie leicht aber konnten sie +hinter Bodenerhebungen verborgen, hinter kleinen Kämmen versteckt oder +tief in einer vom Wege aus unsichtbaren Bodensenke liegen. Wir konnten +ahnungslos an ihnen vorbeigehen und uns wieder in dieses Meer von +Einöden hineinverlieren. Sehr beeinträchtigt wurden wir auch durch den +Sturm, der uns nur die allernächsten Gegenstände unterscheiden ließ. +Entferntere Berge und Anhöhen verhüllte der Nebel; ich konnte mich +daher nicht der Karten vom Vorjahre zur Orientierung bedienen. In der +Takla-makan wußten wir wenigstens, daß wir stets an den Chotan-darja +gelangen würden, gleichviel auf welchem Wege wir nach Osten gingen, +und nach dem Zuge im Bett des Kerijaflusses mußten wir schließlich +den Tarim erreichen, wenn wir nur nördlichen Kurs einhielten. Dort +handelte es sich um Linien, hier aber um Punkte, an denen man in der +staubgesättigten Luft leicht vorübergehen konnte, und hätten wir dies +getan, so würden wir die Gegenden des Tarim nie wiedergesehen haben. + +Mit steigendem Interesse beobachteten wir die oft ziemlich frischen +Spuren der wilden Kamele, die nur im losen Sande vom Winde ausgelöscht, +sonst aber deutlich waren. Man weiß, daß die Tiere vom Wasser kommen +oder nach Wasser gehen und daß die Spur, ob man sie nach dieser oder +jener Richtung hin verfolgt, früher oder später an eine Quelle führen +muß. Aber es kann Tage und Wochen dauern. + +Ich fühlte mich stets versucht, den Kamelpfaden zu folgen, und tat es +mehrere Male. Sie sind sehr sonderbar. Ohne die geringste Veranlassung +machen sie scharfe Biegungen im rechten Winkel; wenn sie mich aber gar +zu sehr in die Irre führen, verlasse ich sie voller Ärger, aber nur, +um bald auf einen neuen Pfad zu geraten. Im großen und ganzen liefen +die Spuren von Norden nach Süden. Sah ich nach Norden, so erblickte +das Auge eine rotbraune, sterile Bergwand, während im Süden nur die +unabsehbare Wüste lag. Also war es am besten, westwärtszugehen und nach +Abdu Rehims drei Quellen zu suchen. + +Ich ging, als brennte es hinter mir, und ließ die Karawane weit hinter +mir zurück. Meine in Schweden gemachten Stiefel hingen nach den 300 zu +Fuß zurückgelegten Kilometern kaum noch in den Nähten zusammen, und +meine Füße waren voller Blasen und schmerzten mich sehr. Schagdur, +der mir sonst mein Reitpferd nachzubringen pflegte, ließ sich nicht +blicken. Ich hatte beschlossen, nicht eher Halt zu machen, als bis ich +Wasser gefunden hatte; ich wurde heute 36 Jahre alt und erwartete zum +Abend eine angenehme Überraschung. Die Kamelspuren wurden nach Westen +zu immer zahlreicher und bestärkten meine Hoffnung. Ich konnte jetzt +keine zwei Minuten gehen, ohne eine Spur zu kreuzen. + +Schließlich gelangte ich an einen niedrigen Bergrücken, der mich zwang, +eine südwestliche und südsüdwestliche Richtung einzuschlagen; ich ging +daher in ein ausgetrocknetes Bett hinunter, in dem kürzlich 30 Kamele +gewandert waren. Da ich hier eine Tamariske fand und Fährten von Hasen +und Antilopen erblickte, blieb ich eine Weile an einer geschützten +Stelle stehen. Diese Tiere können sich nicht sehr weit vom Wasser +entfernen. + +Jetzt kam Schagdur, und wir beratschlagten. Im Süden zeigten sich +mehrere Tamarisken; dorthin lenkten wir unsere Schritte. Der Boden war +hier stark feucht, aber auch mit einer dicken Salzkruste überzogen, und +der Brunnen, der gegraben wurde, als die Karawane dort angelangt war, +lieferte eine konzentrierte Salzlösung. Wir gingen daher nach Südwesten +weiter. Der Sturm schob von hinten nach. + +Ich eilte mit Schagdur vorwärts. Mein Schimmel folgte mir von selbst +wie ein Hund, und Jolldasch schnüffelte und suchte überall umher. +Nun folgten wir der Spur einer Herde von 20 Kamelen. So kamen wir +mitten vor einen Talschlund, der auf unserer rechten Seite zwischen +3 und 4 Meter hohen Terrassen gähnte. In dieser ziemlich breiten, +trompetenförmigen Mündung vereinigten sich alle Kamelspuren der Gegend +zu einem Bündel oder einer Heerstraße, die in das Tal hineinging. Ich +folgte ihr und war noch nicht zehn Minuten gegangen, +als ich Jolldasch +an einer weißglänzenden Eisscholle saugen sah+! + +Wir waren gerettet und hatten einen neuen Haltpunkt gewonnen, an dem +die Karawane sich für die nächste Wüstenstrecke kräftigen konnte! + +Die Quelle war wie gewöhnlich salzig, aber die Eisscholle, die nur +12 Meter Durchmesser hatte und 10 Zentimeter dick war, war ganz süß. +Merkwürdigerweise hatte die Quelle nicht mehr als zwei kleinen, auf +niedrigen Kegeln wachsenden Tamarisken Leben gegeben. + +Schagdur blieb erstaunt vor dem Eise stehen und glaubte fast, daß ich +auf irgendeine geheimnisvolle Weise von dieser im Tale versteckten +Quelle Kenntnis gehabt haben müsse, da ich direkt dorthingegangen war. + +Oben auf der linken Uferterrasse erhob sich eine kleine +halbmondförmige, einer Brustwehr oder einem Schirme gleichende Mauer, +hinter welcher entschieden Jäger auf die wilden Kamele, die an der +Quelle tranken, zu lauern pflegten. + +Nun ließen wir uns nieder und zündeten ein Feuer an. Die Karawanenleute +waren ebenfalls erstaunt und außerordentlich erfreut. Alle segneten +diese rettende Eisscholle, von der wir mit neuen Eisvorräten nach +Altimisch-bulak ziehen konnten. Erst aber bedurften wir einiger +Rasttage nach dem Eilmarsche, dessen Wirkungen alle in den Beinen +spürten. Faisullah und Li Loje gingen talaufwärts, um dort nach Weide +auszuschauen, und kamen mit einigen dürren Stauden wieder, welche +die Kamele sich gut schmecken ließen. Von dem Eise sollten sie erst +fressen, nachdem sie sich von dem Marsche ausgeruht hatten, aber die +Pferde durften sofort an seiner porösen Fläche knabbern. + +Es war recht lustig, die Kamele abends mit kleingehackten Eisstücken +zu füttern. Sie standen geduldig wartend im Kreise, und ein Stück nach +dem anderen wurde zwischen ihren Zähnen zermalmt. Sie knabberten das +Eis wie kleine Kinder Kandiszucker, und ihre Augen glänzten vor Freude +und Zufriedenheit. Für uns wurden einige Säcke mit großen Eisscheiben +gefüllt. Die Scholle war ergiebiger, als wir anfänglich geglaubt hatten +und genügte überreichlich für unsere Bedürfnisse; aber die wilden +Kamele, die sich während unseres Aufenthaltes der Quelle nahten, mußten +unverrichteter Sache wieder umkehren. + +Am 22. Februar legten wir nur 20 Kilometer zurück. Infolge des Nebels +täuscht man sich unaufhörlich in der Entfernung. Wir lagerten in einer +kleinen Oase von Tamarisken und Kamisch. Die Sträucher waren ziemlich +dicht, aber trocken und lieferten uns Material zu größeren Feuern, als +wir seit lange gehabt hatten. + +Die Landschaft verändert sich von einem Tage zum anderen nur wenig und +ist höchst einförmig. Alle Berge bleiben rechts liegen. Die Ausläufer +des Kurruk-tag zeigen sich als abgebrochene Ketten, und wir passieren +eine nach der anderen. Wir haben also gefunden, daß dieser Gebirgszug +nach Osten hin immer niedriger und unbedeutender wird, ebenso wie das +Land in jener Richtung steriler und die Quellen seltener und salziger +werden. + +Alles ist still und öde, nur der unermüdliche Wind fegt am Boden hin. +Ich wanderte gedankenvoll durch dieses unbekannte Land und folgte +mechanisch einer Ansammlung von Kamelspuren, die mich an eine neue +Quelle mit einer weithin glänzenden Eisscholle führte. Hier treffen +die Pfade der wilden Kamele gleich Radien aus allen Himmelsrichtungen +zusammen. Auch hier durften unsere Tiere eine Weile grasen; ich ging +unterdessen nach Südwesten weiter. + +Als ich zwischen niedrigen Hügeln talaufwärts ging, einem ziemlich tief +in den Boden eingetretenen Pfade folgend, erblickte ich ein großes, +schönes Kamel, das mich in dem Gegenwinde nicht witterte. Ich blieb +stehen und wartete auf die Karawane, um Schagdur Gelegenheit zu geben, +es zu schießen. Teils brauchten wir Fleisch, teils wollte ich ein +vollständiges Skelett und eine Haut haben. Doch die Hunde verjagten das +Tier, und so entging es der Gefahr. Schagdur war in der Hoffnung, dort +eine Beute erwischen zu können, an der Quelle geblieben. + +Wieder kreuzten wir eine inselähnliche kleine Oase, wo die Tiere +eine Stunde weiden durften, während ich meinen einsamen Spaziergang +fortsetzte. Im Süden schimmerte es gelb aus dem Nebel, offenbar eine +neue lockende Oase. In ihrem südlichen Teile erblickte ich 18 weidende +Kamele und blieb wieder stehen, um auf die Karawane zu warten. Die +wilden Kamele betrachteten die schwarze Reihe ihrer zahmen Verwandten +mit unablässiger Aufmerksamkeit. Li Loje wurde zurückgeschickt, um +Schagdur zu holen. Dieser kam atemlos an, war aber zu hitzig und schoß +zu früh. Die Tiere verschwanden mit Windeseile in westlicher Richtung, +und ich fürchtete, daß sie ihre Kameraden in Altimisch-bulak warnen +würden und ich auf das Skelett verzichten müßte. + +Wir lagerten an diesem herrlichen Platze, wo es Weide, Brennholz und +Wasser im Überfluß gab. Es war die dritte von Abdu Rehims Quellen. +Seine Angaben hatten sich als durchaus zuverlässig erwiesen. + +24. Februar. Nach meinem Besteck und meinen topographischen +Berechnungen müßte Altimisch-bulak in Westsüdwest 28 Kilometer von +dieser Oase liegen. Ich führte also den Zug in dieser Richtung +an, wurde aber von der nächsten, rechter Hand liegenden Bergkette +gezwungen, einen westlicheren Kurs einzuhalten. Dies mußte die Kette +sein, unterhalb welcher die Quelle von Altimisch-bulak liegt; hier +konnte von einem Irrtum keine Rede sein. Wäre das Wetter nur klar +gewesen, so hätten wir die Oase schon aus weiter Ferne erblicken +müssen, nun aber verschwand alles im Staubnebel. Man hätte an der Oase +vorbeigehen können, ohne sie zu sehen. + +Doch mein Glücksstern lenkte meine Schritte, und die gelbe Weide +schimmerte aus dem Nebel hervor (Abb. 194). Die Umrisse von fünf +Kamelen zeichneten sich über dem Schilfdickicht ab. Schagdur entledigte +sich seines Mantels und seiner Mütze und schlich sich dorthin. Mit dem +Fernglase beobachtete ich den Verlauf der Jagd. Als der Schuß krachte, +begann es sich im Schilfe zu regen, erst langsam, dann schneller, und +schwarze Schattenrisse huschten über das Kamisch und verschwanden +jenseits der Grenze der Oase. Es waren 14 Stück. Nach einem zweiten +Schuß kam Schagdur triumphierend zu mir, um zu melden, daß er zwei +Kamele erlegt habe. Das eine war ein junges Weibchen, das stehend +photographiert und dann getötet wurde (Abb. 195). Das zweite war ein +gewaltiges „Bughra“, das an dem Schusse sofort verendet war (Abb. 196). +Sein Skelett und seine Haut sollten nach Stockholm gebracht werden. + +[Illustration: 180. im Tale des Anambaruin-gol aufwärtsführender Weg. +(S. 14.)] + +[Illustration: 181. Einer unserer mongolischen Führer. (S. 16.)] + +[Illustration: 182. Die nach Deschong-duntsa hinunterführende Schlucht. +(S. 16.)] + +[Illustration: 183. Mein mongolischer Führer. (S. 16.)] + +Den Muselmännern imponierte es außerordentlich, daß es mir trotz des +Nebels gelungen war, Altimisch-bulak zu finden. Die zurückgelegte +Entfernung betrug den letzten Tag 31 Kilometer; ich hatte mich also +nur um 3 Kilometer verrechnet, was nicht viel ist, da die Länge +der berechneten Strecke 2000 Kilometer betrug. Hier knüpften sich +die astronomischen und topographischen Beobachtungsreihen an die des +vorigen Jahres an, und es konnte mit den vorhandenen Daten nicht schwer +sein, die Ruinen wiederzufinden. + +Meine Jurte wurde in demselben Dickicht von Tamarisken und Kamisch, +wo sie das Jahr vorher gestanden hatte, aufgeschlagen. Die Kamele und +Pferde durften grasen. Es war ein gesegneter, glücklicher Tag. + +Die noch übrigen Tage des Februars verbrachten wir in Ruhe an den +Quellen von Altimisch-bulak (Abb. 197). Daß beständig ein Wind ging +und das Land ewig in Nebel gehüllt war, störte uns wenig, denn wir +hatten alles, was wir brauchten, und unsere Zelte lagen vor dem Winde +geschützt. Der Brennholzreichtum war unerschöpflich, und das Feuer +in meinem Ofen erlosch erst spät in der Nacht, wurde aber schon +frühmorgens, ehe ich aufstand, wieder angezündet. Die Muselmänner +fanden das Fleisch des jungen Kamelweibchens vortrefflich, und unsere +Karawanentiere sah man in zerstreuten Gruppen behaglich weiden. + +Ein ganzer Tag wurde auf Generalrepetition mit den Nivellierinstrumenten +und den Männern, die bei dem Präzisionsnivellement durch die Wüste +meine Gehilfen sein sollten, verwendet (Abb. 198). Der Umfang der +Oase wurde mit Schritten ausgemessen; der vertikale Fehler auf +dieser Strecke von 2756 Meter betrug nur 1 Millimeter. Das Resultat +prophezeite also Gutes für das große Nivellement durch die Wüste auf +einer Linie von mehr als 80 Kilometer Länge. + +Eine kleine Episode mit Chodai Kullu, der bisher innerhalb der +Karawanengemeinschaft gerade keine hervorragende Rolle gespielt hatte, +muß der Vergessenheit entrissen werden. Der Mann galt für einen +geschickten Jäger und besaß eine eigene Flinte, aber in den 14 Monaten, +die er bei uns war, hatte keiner ihn auch nur einem Hasen etwas zuleide +tun sehen. Man glaubte nicht, daß er mit dem Gewehre umzugehen wußte, +und es erregte daher keine Verwunderung, als er es eines Tages um +einen Spottpreis an Li Loje verkaufte, in dessen Händen es ebenso +unschädlich blieb. Bei der Rückkehr nach Jangi-köll im vorigen Jahre +hatte er versichert, daß er in Altimisch-bulak ein Kamel erlegt habe, +und nun drangen seine Kameraden in ihn, er solle ihnen die Reste dieses +Tieres zeigen. Er machte Ausflüchte und beteuerte, die Tat bei einer +anderen Quelle in der Nachbarschaft verübt zu haben. Daran wollten die +anderen aber durchaus nicht glauben, da Chodai Kullu über die Lage +dieser Quelle keine Auskunft geben konnte. Sie machten sich immer über +ihn lustig. Er war ein verträglicher, phlegmatischer Mensch, linkisch +und jovial, und seine Gesichtszüge trugen einen vorwiegend komischen +Ausdruck. + +Eines Morgens verschwand er vor Sonnenaufgang aus dem Lager, und die +anderen, die den Tag über damit beschäftigt waren, das Skelett des +von Schagdur erlegten Kameles zu reinigen, hatten keine Ahnung, wo er +steckte. Sie vermuteten indessen, daß er auf die Jagd gegangen sei, +denn eine Flinte fehlte. + +In der Dämmerung fand er sich wieder ein und machte schon von weitem +den Eindruck eines Triumphators. Wer wolle, könne ihn nach der Quelle +begleiten und sich das Gerippe des im vorigen Jahre geschossenen Kamels +ansehen, erklärte er ruhig. Die Quelle sei freilich in diesem Jahre +ausgetrocknet, aber das Gerippe liege noch da, und was mehr sei, er +habe auf seinem Streifzuge noch eine Quelle mit reichlichem Eisvorrat +und Vegetation entdeckt. Dort habe er vier Kamele überrascht und ein +Bughra geschossen. Während Chodai Kullu schmunzelnd umherging, war er +in den Augen der anderen bedeutend gewachsen, und sie schämten sich +sichtlich ihres offen ausgesprochenen Mißtrauens. + +Nun wurde beschlossen, nach dieser Quelle zu ziehen, die ein +geeigneterer, näherer Stützpunkt für die bevorstehenden Operationen +gegen die Ruinen in der Wüste sein mußte. Sieben mit Eis gefüllte +Tagare wurden wieder geleert, um die Kamele mit unnötigen Lasten zu +verschonen. + +Am 1. März sollte also Chodai Kullu seinen Ehrentag haben und uns den +Weg nach der von ihm entdeckten Quelle zeigen. Er marschierte ganz +selbstbewußt an der Spitze der Karawane unter fröhlichem Singen und mit +einer so befriedigten Miene, als sei er Alleinherrscher über alle diese +Wüsten und Oasen und ihre Bewohner, die wilden Kamele. Wir folgten +seinen Schritten. + +Der Weg führte nach Südwesten und Süden. Rasch haben wir die Oase vor +uns (Abb. 199). Sie liegt so gut im Terrain versteckt, daß es unmöglich +sein würde, sie zu finden, wenn man sie nicht kennte oder wie Chodai +Kullu durch reinen Zufall dorthin geriet. + +Während wir auf die anderen warteten, nahmen wir das erlegte Kamel +genauer in Augenschein (Abb. 200, 201). Es lag in ganz natürlicher +Stellung an dem Punkte, bis zu dem es noch hatte fliehen können, +nachdem die heimtückische Kugel sein friedliches Weiden unterbrochen +hatte, etwa hundert Schritte jenseits der Kamischgrenze der Oase. Wie +verwundete und erschreckte Kamele zu tun pflegen, hatte es sein Heil +gerade nach Süden, der Wüste zu, gesucht. Es war ein fettes, schönes +Männchen. Eine Menge Zecken, die sich in seinem Pelze eingenistet +hatten, zogen sich, nachdem das Blut erstarrt war, ratlos von dem +Kadaver zurück. + +Als die Temperatur in der Mittagsstunde auf +15 Grad stieg, fingen +diese greulichen Milben wieder an, sich zwischen Büschen und +Grashalmen zu bewegen. Sie kriechen in großer Anzahl innerhalb der +Grenzen der kleinen Oasen umher, und man kann sich kaum vor ihnen +schützen. Sie werden von den wilden Kamelen von einer Oase nach der +anderen getragen und machen, in den Pelzen jener hängend, alle Reisen +kostenlos mit. + +Das Wasser der neuentdeckten Quelle, das in mehreren „Augen“ aus einem +ziemlich tiefen Bett sprudelte, hatte eine Temperatur von +1,7 Grad und +spezifisches Gewicht von 1,0232. Es ist so salzig, daß unsere zahmen +Kamele sich durchaus nicht bewegen ließen, es zu kosten, was auch +überflüssig war, da sich durch die Sonnenwärme kleine Süßwasserlachen +auf der Oberfläche der Eisscholle gebildet hatten. Doch die wilden +Kamele müssen im Sommer hiermit vorliebnehmen, ja vielleicht ziehen +diese Wüstentiere das salzige Wasser dem süßen geradezu vor. + +Das Eis war dick und rein, und neun Tagare wurden damit gefüllt. Die +Oase kam uns wirklich außerordentlich gut zustatten. Sie lag den Ruinen +12 Kilometer näher und lieferte gute Weide, so daß ich alle drei +Pferde und drei kränkliche Kamele unter Chodai Värdis Aufsicht hier +zurücklassen konnte, während wir nach Süden aufbrachen. + +Was die Verproviantierung des Mannes betraf, so erhielt er von unseren +außerordentlich knappen Vorräten nur -- eine Schachtel Zündhölzer, +einen kleinen Eisentopf und ein bißchen Tee. Wasser hatte er in +Überfluß, Fleisch konnte er von dem erlegten Kamel nehmen, mit den +Zündhölzern konnte er sich Feuer anmachen, um seinen Tee zu kochen und +seine Schnitzel zu braten. Nur ein kleines Mißgeschick traf ihn, wie er +später erzählte, in der Einsamkeit. Als er am ersten Morgen erwachte, +fehlten alle drei Pferde. Aus ihren Spuren sah er, daß sie sich auf +eigene Hand nach Altimisch-bulak zurückbegeben hatten, weil dort das +Gras noch besser war. Er mußte daher dorthin wandern und sie wieder +holen und sie nachher strenger bewachen. + +Am 2. März brach ich mit den sieben Kamelen auf und nahm das ganze +Gepäck und die neun Eissäcke mit. In gewisser Beziehung wäre es besser +gewesen, der Marschroute des vorigen Jahres von Altimisch-bulak nach +den Ruinen, die dann leichter zu finden gewesen wären, zu folgen; aber +auch auf diesem neuen Wege mußten wir sie finden können, obwohl man sie +nicht eher sieht, als bis man dicht vor ihnen ist. Drei alte Steinmale +zeigten, daß die Menschen, die einst die Ruinengegend bevölkerten, die +kleine Oase gekannt haben. Wahrscheinlich haben sich von hier aus Jäger +in den Kurruk-tag begeben. + +Es dauerte nicht lange, bis wir merkten, daß wir uns dem Nordufer des +ausgetrockneten Sees näherten. Erst verrieten zahlreiche Scherben von +Tongefäßen das ehemalige Vorhandensein von Menschen in diesem Lande, +darauf traten tote Tamarisken auf Kegeln und Hügeln auf, sodann +die borstenähnlichen Stoppeln alter Kamischfelder und schließlich +Schneckenschalen, letztere hier und dort in außerordentlicher Menge. + +So sind wir denn wieder in der von Stürmen durchfurchten Tonwüste. Ich +eilte zu Fuß weit voraus. Es war glühend heiß, und ich rastete eine +Stunde in dem Schatten der überhängenden Tonscheibe einer Jardang. Als +die Karawane mich eingeholt hatte, eilte ich weiter, bis ich einen +geeigneten Lagerplatz erreichte. Doch auch hier mußte ich so lange +warten, daß ich fürchtete, die Leute hätten meine Spur verloren. Toter +Wald war in Menge vorhanden, und ich unterhielt mich damit, einen +kolossalen Scheiterhaufen aufzustapeln, den ich dann anzündete. Von +der Rauchsäule geleitet, kam endlich die Karawane in guter Ordnung +herangezogen. + + + + +Viertes Kapitel. + +Die Ruinen am alten Lop-nor. + + +Am Morgen des 3. März war es ziemlich kalt. Nach dem Besteck mußten +wir von der Stelle, an welcher wir im vorigen Jahre auf die Ruinen +gestoßen waren, noch 14 Kilometer entfernt sein. Es handelte sich nun +um das Wiederfinden jener alten Häuser, in denen Menschen zu einer Zeit +gewohnt hatten, in der das Klima und die Natur dieser Gegend noch ganz +anders waren als jetzt und die Wüste keine Wüste, sondern ein reich +bewachsenes Gebiet am nördlichen Ufer des von den Wassermassen des +Kum-darja gebildeten Sees war. Wir schritten langsam vorwärts, nach +allen Seiten umherspähend, um nicht an dem wichtigen Punkte, der jetzt +Gegenstand einer gründlichen Untersuchung werden sollte, vorüberzugehen. + +Gleich links von unserem Wege fand Schagdur die Ruinen zweier Häuser. +Das östliche bildete ein Quadrat von 6,5 Meter Seiten, und seine 1 +Meter dicken Mauern waren aus gebrannten Ziegeln in quadratischen +Platten ausgeführt. Das aus Holz gebaute westliche Haus war schon sehr +mitgenommen, aber man konnte sehen, daß es 26 Meter lang und ebenso +breit wie das östliche gewesen war. In dem letzteren fanden wir eine +kleine Kanonenkugel, einen kupfernen Gegenstand, der genau die Form +einer Ruderklammer hatte, einige chinesische Münzen und zwei rote +irdene Tassen. + +Eine Strecke weiter, als wir uns nach meiner Karte in der unmittelbaren +Nachbarschaft des Fundortes vom vorigen Jahre befinden mußten, machten +Faisullah und ich mit den Kamelen Halt, während die anderen zur +Erkundung der Gegend ausgeschickt wurden. Sie blieben mehrere Stunden +fort, und da es kurz vor Sonnenuntergang war, beschloß ich, am Fuße +eines Lehmturmes, der sich eine Stunde östlich von unserem Rastplatze +erhob, zu lagern. In der Dämmerung langten wir dort an und befreiten zu +zweit die Kamele von ihren Lasten, worauf ich mit Hilfe eines Seiles +und einer Axt den Turm bestieg. Er war um ein Gerippe von Balken, +Reisig und Kamisch herumgebaut, so daß ich oben auf der Spitze ein +Signalfeuer anzünden konnte. + +Die Ausgeschickten kehrten jetzt gruppenweise zurück. Einige hatten ein +von mehreren Hausruinen umgebenes hohes „Tora“ (Lehmturm) gefunden und +empfahlen jenen Platz als Hauptquartier. Sie brachten als Beweis etwas +Schrot, eine verrostete eiserne Kette, eine kupferne Lampe, Münzen, +Scherben und einen Krug mit. + +Bei Sonnenaufgang lenkten wir unsere Schritte nach dem neuen „Tora“ +(Abb. 202) und lagerten unmittelbar im Südwesten davon, um Schutz +von ihm zu haben, wenn sich ein Sturm erheben sollte. Unter einer +nach Norden überhängenden Lehmterrasse wurden auf einigen Balken die +Eissäcke aufgestapelt; dort war unser „Gletscher“, unser Eiskeller. + +Nachdem die Kamele sich eine Weile ausgeruht hatten, sollten sie +zu ihren Kameraden nach der Quelle zurückgeführt werden. Dieses +verantwortungsvolle Geschäft wurde Li Loje anvertraut. Er sollte +über Nacht an dem Punkte bleiben, wo das Terrain nach dem Gebirge +anzusteigen beginnt. Soweit sollte der alte Faisullah mitgehen +und dafür sorgen, daß der Jüngling in unsere Spur kam, dann aber +schleunigst wieder zu uns zurückkehren. Li Loje hatte sich im übrigen +an folgenden Befehl zu halten: er sollte in zwei Tagen nach der Quelle +gehen, zwei Tage dort bleiben und schließlich mit der ganzen Karawane +und einem großen Eisvorrat in weiteren zwei Tagen zurückkehren. + +Als die Kamele zwischen den Jarterrassen verschwunden waren, war uns +jegliche Transportmöglichkeit abgeschnitten. Unser Lager mußten sie +jedoch leicht finden können. Der Turm war weithin sichtbar (Abb. +205), und am 9. März wollten wir auf seinen Zinnen ein Leuchtfeuer +unterhalten. Nach ihrer Ankunft mußten wir sofort nach Süden +weiterziehen, und es galt daher, die uns zur Verfügung stehenden +sechs Tage nach Möglichkeit auszunutzen. Den ersten Tag benutzte +ich zu einer astronomischen Bestimmung, während sämtliche Leute die +Nachbarschaft abstreiften und sich erst am Abend mit ihren Berichten +und Beobachtungen wieder einstellten. + +Ich kam nur noch dazu, von der Spitze des Turmes ein paar Aufnahmen +zu machen, die ich beigefügt habe (s. auch I, Abb. 86) und die einen +deutlicheren Begriff von der Gegend geben als alle Beschreibungen. Im +Vordergrund sieht man meine Jurte, die durch einige Balken vor dem +Umfallen geschützt ist (Abb. 203). Im Hintergrund leuchtet die Wüste +gelb und gleichförmig mit ihren scharfkantigen Tafeln und Jardangs von +Lehm. Hier und dort erhebt sich ein mehr oder weniger von der Zeit +zerstörtes Haus (Abb. 204); in seinem Inneren wohnen nur Stille und +Tod. Die einzigen lebenden Wesen, die sich in Sehweite befanden, waren +ich selbst und mein Hund Jolldasch. + +Es ist so still und feierlich wie auf einem Friedhof, der bis an den +Horizont reicht. Man fühlt, daß das Leben hier einst in frischen +Schlägen pulsiert hat, aber durch erbarmungslose Naturkräfte vernichtet +worden ist. Der frühere Wald hat den Stürmen freies Feld gelassen, und +die Sterne blicken auf Vergänglichkeit und Öde herab. + +Es war unser erster Tag in dieser Gegend, die ich noch nicht hatte +rekognoszieren können; ich wußte aber, daß ich vor einem großen, +herrlichen Probleme stand. Würde diese geizige Erde, die sicherlich +viele Geheimnisse zu verbergen hatte, mich etwas wissen lassen, das +keine anderen Menschen auf Erden wußten? Würde sie uns einige ihrer +Schätze schenken und mir auf die zahllosen Fragen, die gerade hier auf +mich einstürmten, Antwort geben? Nun gut, ich würde jedenfalls tun, was +ich konnte, um die schweigenden Ruinen zum Sprechen zu bringen, und +mit ganz leeren Händen würden wir wohl nicht abzuziehen brauchen, wenn +die Glocken das nächste Mal am Fuße des „Turmes der Stille“ läuteten. +Ich hatte meinen ganzen ursprünglichen Reiseplan geändert und war auf +Grund der von Ördek im vorigen Jahr gemachten wichtigen Entdeckung +hierher zurückgekehrt. Dieser große Zeitverlust würde doch wohl nicht +vergeblich gewesen sein? + +5. März. Nach einer langen, ruhigen Nacht in diesem eigentümlichen +Lager, das der frischen Quelle, die wir vor kurzem verlassen hatten, +so unähnlich war und in dem uns nur der Eisvorrat am Leben erhalten +konnte, machte ich einen Morgenspaziergang zwischen den Ruinen, während +meine Leute schon damit beschäftigt waren, aus allen Kräften zu graben. +Sie hatten das Eingeweide eines Hauses auf- und umgewühlt, aber nichts +weiter gefunden als das Rad einer Arba und einige hübsch gedrechselte +Pilaster. Im übrigen barg der Sand nur wertlose Dinge, die jedoch auch +nicht jeglicher Bedeutung ermangelten, da sie stets zur Erklärung +der Lebensweise der ehemaligen Bewohner beitrugen. Darunter waren +rote Zeugstücke von derselben Sorte, wie sie die mongolischen Lamas +noch heute tragen, Filzlappen, Büschel von braunen Menschenhaaren, +Skeletteile von Schafen und Rindern, chinesische Schuhsohlen, ein +Bleigefäß, merkwürdig gut erhaltene Stricke, Scherben von einfach +ornamentierten Tongefäßen, ein Ohrgehänge, chinesische Münzen usw. In +einem Hause, das wahrscheinlich als Stall gedient hatte, wurde ein +dickes Lager von Pferde-, Rinder-, Schaf- und Kameldung durchgraben. +Nur der Umstand, daß dieses Lager unter einer Schicht von Sand und +Staub gelegen hat, macht es erklärlich, daß es nicht pulverisiert +und vom Winde fortgetragen worden ist. Doch keine Schrift, nicht ein +Buchstabe, der uns das Rätsel hätte lösen können; nur ein kleiner +unbeschriebener, gelber Papierfetzen wurde gefunden. Ganz dicht beim +Lager erhoben sich die Balken eines Hauses, in dessen Innerem wir +jedoch nichts fanden. + +Die Verhältnisse sind in diesem alten Orte ganz anders als in den +Städten, die ich auf meiner vorigen Reise am Kerija-darja entdeckte. +Dort liegen die Ruinen durch Sand geschützt, hier aber ist das Erdreich +nackt. Was hier zurückgelassen oder vergessen worden ist, als die +Einwohner von hier fortzogen, hat unbedeckt auf der Oberfläche des +Bodens gelegen und ist vom Wetter und von den Winden angefressen und +zerstört worden. Nur im Schutze der kleinen, höchstens 3 Meter hohen +Lehmterrassen hat sich eine dünne Sandschicht angehäuft. + +Der Turm, die imponierendste Ruine des Ortes, lockte mich besonders an, +und ich ließ die Leute ihn in Angriff nehmen (Abb. 206). Er konnte ja, +gleich einem Hünengrab, ein Geheimnis in seinem Inneren bergen. Es war +jedoch gefährlich, an ihm zu rühren. Ein großes Stück seiner Spitze +mußte erst mit Stricken und Stangen abgerissen werden; es stürzte +herunter wie ein donnernder Wasserfall, ganze Wolken von braunem Staub +aufrührend, der von dem ziemlich starken Nordostwind über die Wüste +fortgewirbelt wurde (Abb. 207). + +Sodann wurde von oben ein senkrechtes Loch, einem Brunnen vergleichbar, +gegraben; einen Tunnel von der Seite zu machen, wäre ein zu großes +Wagestück gewesen, denn der Turm war voller gefährlicher Risse, und +sein trockenes, loses Material hätte leicht einstürzen können. Der 8,8 +Meter hohe Turm war jedoch massiv und wurde nur von horizontalen Balken +durchzogen, die den an der Sonne getrockneten Ziegeln Halt gaben. Nur +bis zu 3 Meter Höhe von der Basis haben diese eine rötliche Färbung, +als seien sie leichtem Feuer ausgesetzt gewesen. + +Unterdessen zeichnete ich einen genauen Plan von dem Dorfe, dessen +Häuser in einer Reihe liegen und stets von ungefähr Südosten nach +Nordwesten gerichtet sind. + +Einige Häuser sind ausschließlich aus Holz gebaut gewesen, und die +senkrechten Wandplanken sind in Balkenrahmen, die unmittelbar auf +dem Erdboden liegen, eingefügt gewesen. Bei anderen bestehen die +Wände aus Kamischgarben, die mit Weiden zwischen Stangen und Pfosten +eingeflochten sind. Schließlich sind noch ein paar Häuser von an der +Sonne getrocknetem Lehm vorhanden. + +Die meisten dieser alten Wohnungen sind eingestürzt, aber viele Balken +und Pfosten stehen noch aufrecht, obwohl ihnen Wind und Sand recht übel +mitgespielt haben (Abb. 208). Aus dem Aussehen des Bauholzes auf das +Alter zu schließen, ist unmöglich. Wohl sieht es sehr alt aus und ist +grau-weiß, rissig und zerbrechlich wie Glas, andererseits aber sollte +man meinen, daß Stürme, Flugsand und Unterschiede von 80-90 Grad +zwischen der niedrigsten Nachttemperatur des Winters und der höchsten +Tagestemperatur in der Sommersonne das Material in verhältnismäßig +kurzer Zeit ziemlich arg ruinieren können. + +Drei Türrahmen standen noch. In einem von ihnen war sogar noch die Tür +selbst an ihrem Platze, weit offen, wie sie der letzte Eigentümer beim +Aufbruch nach einem anderen Wohnorte gelassen hatte. Sie war bis zur +Hälfte in Sand und Staub gebettet. + +Sämtliche Gebäude erheben sich auf kleinen Hügeln; daß sie aber +ursprünglich auf ebenem Boden errichtet worden sind, davon ist man +schon beim ersten Anblick völlig überzeugt, denn die Plattform des +Hügels hat ganz dieselbe Fläche wie der Grundriß des Hauses. Die Teile +des Bodens ringsumher, die das Bauholz nicht schützte, sind vom Wind +ausgehöhlt worden und bildeten Einsenkungen. Da wohl 3 Meter von der +Oberschicht des Lehmbodens weggehobelt worden sind, kann man sich +denken, daß ziemlich lange Zeiträume verflossen sein müssen, seit das +Dorf verlassen worden ist. + +Um Faisullah den Weg nach dem Lager zu zeigen, zündeten wir am Abend +einen gewaltigen Scheiterhaufen an. An der Basis des Turmes lagen +Massen von Balken und Pfosten, die ihrerzeit einen Rundbau um ihn +herum gebildet zu haben scheinen. Aus ihnen wurde ein Scheiterhaufen +von riesenhaften Dimensionen aufgetürmt, und es war ein in hohem +Grade phantastischer, großartiger Anblick, den alten, grauen Turm in +feuerroter Beleuchtung, die die Wirkungen des Mondscheins beinahe ganz +aufhob, zu sehen. Einige Leute schürten das Feuer mit langen Stangen, +die anderen saßen niedergekauert am Fuße des Turmes. Dicke Rauchwolken +und ganze Feuerwerke von Funken flogen nach Südwesten. In einer klaren +Nacht mußte ein solches Feuer schon in einer Entfernung von mehreren +Tagereisen sichtbar sein. Faisullah wurde auch durch seinen Schein auf +den richtigen Weg geführt, nachdem er Li Loje geholfen hatte, die Spur +nach der Quelle zu finden. + +6. März. Als ich heute aufwachte, waren alle meine fünf Männer +verschwunden, und ich mußte sehen, wie ich mit dem Feueranmachen und +dem Essenkochen fertig wurde. Wir waren nämlich übereingekommen, daß +es am klügsten wäre, wenn wir den ganzen Tag zum Auskundschaften einer +besseren Stelle benutzten. + +Die Leute sollten radial, jeder in einer anderen Richtung, gehen. Es +wurde eine förmliche Treibjagd auf Ruinen, und die Leute interessierten +sich so sehr dafür, daß sie viel zu lange aufblieben und sich beim +Feuer darüber unterhielten. Sie hatten den ganzen Tag vor sich, und +wenn sie sich vor Dunkelwerden nicht wieder einstellten, sollte ich +sie mit einem Signalfeuer zurückrufen, dessen Holzstoß sie vor dem +Aufbrechen aufzuschichten hatten. Schagdur hatte ich eine detaillierte +Marschroute gegeben, die angab, wo der vorjährige Lagerplatz lag und wo +die von Ördek gefundenen Ruinen zu suchen sein mußten. + +Sonntagsruhe umgab mich auf allen Seiten, als ich erwachte; ich mußte +an das Leben in der Laubhütte am Chotan-darja, als die Hirten in den +Wald gegangen waren, denken. Ich photographierte mehrere Partien der +Dorfruinen, nahm eine Mittagshöhe, beendigte die Planaufnahme und +untersuchte die verschiedenen Schichten der Tonablagerungen. + +Es waren ihrer sechs von verschiedener Dicke. Auffallend ist, daß +einige Schneckenschalen und Pflanzenreste enthalten, andere aber +nicht, was verschiedene klimatische Verhältnisse während verschiedener +Perioden anzeigt. Vielleicht haben sich die von organischem Leben +freien Schichten in salzigem Wasser gebildet. Da sich im alten See +Lop-nor Sedimente von 9,6 Meter Dicke haben absetzen können, liegt die +Vermutung nahe, daß der Kara-koschun, auch wenn die Ablagerung dort +viel unbedeutender ist, eines Tages wird nach Norden zurückwandern +müssen. Noch immer ist es derselbe See, der in die Nivellierung des +Landes eingreift, aber er führt ein Nomadenleben; bald liegt er im +nördlichen, bald im südlichen Teile der Wüste. + +Mein Tag verlief in der Einsamkeit still und ruhig. Am Abend kamen die +Kundschafter, vom Feuerschein geführt, einer nach dem anderen wieder. +Schagdur traf erst um 9 Uhr ein; er war den ganzen Tag auf den Beinen +gewesen, die anderen hatten die heißen Stunden gewiß verschlafen. Die +Lehmterrassen hatten ihn in der Dunkelheit viele Purzelbäume machen +lassen. Die Rinnen zwischen ihnen sehen wie schwarze Gräben aus, man +kann ihre Tiefe nicht beurteilen und fällt infolgedessen oft wirklich +in den Graben. Schagdur hatte sich daher gerade hinlegen und die +Morgendämmerung abwarten wollen, als das Feuer aufgelodert war. Mein +prächtiger Kosak hatte so lange gesucht, bis er sowohl das Ruinenlager +vom vorigen Jahre wie Ördeks Fundort entdeckt hatte. + +Der 7. März sollte zur Untersuchung des letzteren benutzt werden. Um +8 Uhr setzte ich mich mit allen Männern, außer Kutschuk, der für das +Signalfeuer sorgen sollte, in Marsch. Schagdur war unser Führer. + +Der Weg ging genau südlich von dem Lagerturme vom 3. März, in dessen +Nähe wir eine tiefe Einsenkung kreuzten, die einem alten Kanale glich. +Ein neues „Tora“ wurde entdeckt. Beinahe in jedem Dorfe der Gegend +gibt es einen Lehmturm; hier und dort liegen Balken umher, die von dem +Vorhandensein ehemaliger Häuser Kunde geben. Ein solcher Balken hatte +7,8 Meter Länge und 35 × 17 Zentimeter Stärke. Hier sind also in +früheren Zeiten ebenso prächtige Pappeln gewachsen wie nur irgendwo in +den Urwäldern des Tarim. + +Das Terrain, auf welchem wir jetzt wanderten, ist sehr interessant +und verdient eine flüchtige Beschreibung. Wir gehen nach Westnordwest +und kreuzen alle Lehmterrassen auf und ab im Zickzack. In kleinen +Gruppen stehen uralte Pappeln; ihre Gruppierung ist genau dieselbe +wie am Kara-köll, am Tschiwillik-köll und an den unteren Armen und +Wasserläufen des Tarim. Manchmal stehen sie in Linien, manchmal in +Hainen. Wo sie fehlen, haben sichtlich Flußarme gelegen oder Seen sich +ausgedehnt, und ihre Gruppierung zeigt den Verlauf der Ufer an. Sonst +sind Kamischstoppeln außerordentlich häufig, aber nur 20 Zentimeter +hoch. Die Stengel sind so von Staub und Sand durchdrungen, daß sie +bei der Berührung wie Ton zerspringen, aber die Blätter, die jedoch +seltener noch vorhanden sind, lassen sich noch biegen. Auch das Bauholz +ist in dieser Gegend so voll Sand, daß es im Wasser untergeht. + +So erreichten wir das Lager vom vorigen Jahre, das an den Kohlenhaufen +von unseren Feuern leicht wieder zu erkennen war. Nach ein paar +weiteren Kilometern waren wir an Ördeks Fundort. Hier fanden wir 8 +Häuser, von denen nur drei so weit erhalten waren, daß ich von ihnen +einen Plan aufnehmen konnte. Sie waren angelegt wie ein chinesisches +Yamen (Amtslokal): ein Hauptgebäude und zwei große Flügelgebäude. +Zwischen ihnen liegt ein viereckiger Hof, den im Südosten ein +Plankenzaun mit einer Tür, deren Pfosten noch dalagen, einfriedigt. + +Das ziemlich kleine Hauptgebäude ist entschieden ein Buddhatempel +gewesen (Abb. 209). Hier war es, wo Ördek seinen Fund gemacht hatte; +die Spuren seines Pferdes waren noch in einer Vertiefung zu sehen. + +Die mitgenommenen Spaten wurden in den Sand gestochen, und nach einer +Weile tauchte Buddha selbst auf, obwohl in wenig schmucker Inkarnation. +Das Bild war von Holz und hatte noch Kopf und Arme. Ohne Zweifel war +es nur das Gerippe einer tönernen Statue, die in gewöhnlicher Weise +geschmückt und bemalt gewesen war. + +Die beigefügten Bilder (Abb. 210, 211) geben dem Leser einen klareren +Begriff von dem Aussehen der mitgebrachten Schnitzereien als alle +Beschreibungen. Auf einige von ihnen will ich jedoch besonders +aufmerksam machen. Auf einem Pfosten ist eine ganze Reihe stehender +Buddhabilder dargestellt, auf einem anderen eine Reihe sitzender; jedes +Bild hat über sich einen Heiligenschein, der einem Rundbogen gleicht. +In einem Ornamente kommt zwischen Blättern und Ranken ein Fisch vor; +seine Kiemendeckel und Schuppen sind vollkommen deutlich. Der Künstler +würde nie auf den Gedanken geraten sein, einen so wenig dekorativen +Gegenstand wie den Fisch in seinen Schnitzereien zu verwenden, wenn +dieses Tier nicht von besonderer Bedeutung für die Gegend gewesen wäre +und eines der wichtigsten Nahrungsmittel der Bevölkerung gebildet +hätte. Es wäre ja sonst höchst unmotiviert, statt der Vögel Fische +mit Girlanden und Blättern zu verflechten. Gäbe es nicht andere, +unwiderlegliche Beweise dafür, daß die Dörfer am Ufer eines Sees +gelegen haben, so könnte man eine dahinzielende Vermutung schon auf +Grund des Vorkommens des Fisches in der Ornamentik aufwerfen. So wie +das Land jetzt aussieht, wäre der Fisch das letzte Tier, an das man +denken würde. + +Die Lotosblume bildet in diesen Schnitzereien ebenfalls ein +hervortretendes, dankbares Motiv, sowohl in langen Reihen auf ziemlich +großen Planken wie auf Scheiben von 50 Quadratzentimeter, die zwischen +jene eingefügt gewesen sind. + +Noch ein Fund von großer Bedeutung wurde hier gemacht. Schagdur grub +mit seinem Spaten Erde auf und durchsuchte diese, wobei ein kleines +Holzbrett zum Vorschein kam, das mit Schriftzeichen beschrieben war, +die wir nicht lesen konnten. Er achtete nicht darauf, sondern warf das +Brettchen als wertlos beiseite, aber durch reinen Zufall nahm ich es +auf, weil mir das Holz unglaublich wohlerhalten vorkam. Jeder Buchstabe +war scharf und deutlich mit Tusche aufgetragen, aber die Schrift war +weder arabisch noch chinesisch, weder mongolisch noch tibetisch. Was +hatten diese geheimnisvollen Worte wohl mitzuteilen? Ich nahm das +Brettchen und bewahrte es so sorgfältig wie Gold. + +Die Belohnung von 10 Sär, die ich dem versprochen hatte, der zuerst +etwas Geschriebenes, gleichviel in welcher Gestalt, finden würde, +fiel also Schagdur zu (Abb. 212). Nachdem derselbe Preis für den +nächsten derartigen Fund versprochen worden war, gruben die Männer mit +verdoppeltem Eifer in dem friedlichen Innern des armen Tempels, siebten +den Sand durch die Finger und untersuchten jeden Span von beiden +Seiten, aber ohne Erfolg. Nur die Schnur eines Rosenkranzes, einige +chinesische Kupfermünzen und eine Menge flacher irdener Schalen, die +wohl mit Opfergaben vor die Götter gestellt worden waren, kamen zum +Vorschein. + +Wie anders ist dieses Land jetzt gegen früher! Kein vom Winde verwehtes +Blatt, nicht einmal eine Wüstenspinne ist zu sehen; die Skorpione, die +verdorrte Pappeln lieben, würden hier vergeblich Schlupfwinkel suchen. +Der Wind ist die einzige Kraft, die in diesem erstarrten, totenstillen +Reiche Geräusch und Bewegung verursacht. Man würde hier nicht eine +ganze Woche bleiben können, wenn man nicht, wie wir, Verbindung mit +einer Quelle hätte. + +[Illustration: 184. An den Felsen von Dschong-duntsa. (S. 17.)] + +[Illustration: 185. Das Lager im Tale von Dschong-duntsa. (S. 17.)] + +Daß der kleine Tempel ein vollendetes Kunstwerk gewesen, geht +aus all den kleinen und großen Schnitzereien, die wir ausgruben, +deutlich hervor. Zu einem Ganzen zusammengefügt, haben sie mit ihren +geschmackvoll und mühsam geschnitzten Ornamenten eine wahre Augenweide +gebildet. + +Und welch herrlicher Aufenthaltsort muß es gewesen sein, als der Tempel +noch mit seiner zierlichen, wahrscheinlich ebenfalls bemalten Fassade +prunkte und auf mehreren Seiten von dichtbelaubten Pappelhainen umgeben +war, die nur durch Seebuchten, Kamischfelder und von gewundenen Kanälen +bewässerte Äcker voneinander getrennt waren! Hier und dort lagen +Dörfer zerstreut, und ihre Lehmtürme oder „Pao-tai“ waren hoch genug, +um sich über den Wald zu erheben, damit sie mit ihren Signalfeuern in +Kriegsgefahr von den Nachbardörfern aus gesehen werden konnten und die +große Heerstraße, die hier vorbeiführte, anzeigten. Im Süden dehnte +sich der gewaltige blaugrüne Wasserspiegel des Lop-nor aus, umrahmt von +Hainen und mächtigen Schilf- und Binsenfeldern und reich an Fischen, +Wildenten und Gänsen. Im Hintergrunde, gegen Norden, zeichnete sich +wie jetzt bei klarem Wetter der Kurruk-tag ab, in welchem die hiesige +Bevölkerung alle Quellen und Oasen, durch die früher sicherlich ein Weg +nach Turfan führte, gekannt haben wird. + +Wir Pilger einer späteren Zeit fühlten sofort, daß wir uns in einer +Gegend befanden, die schöner und herrlicher als vielleicht irgendeine +in dem heutigen Ostturkestan gewesen war. So künstlerisch und +geschmackvoll verzierte Häuser gibt es jetzt in diesem Teile Asiens +nicht, und das dichte, leuchtende Grün ließ die Architektur noch +wirkungsvoller hervortreten. + +Und jetzt! Nur unzählige Grabmale nach all dieser Herrlichkeit! Und +warum? Weil der Fluß, der Tarim, sich ein anderes Bett grub und sein +Wasser nach Süden schickte, um neue Seen zu bilden. Der alte See +trocknete schnell aus, vielleicht schon in wenigen Jahren, der Wald und +das Schilf lebten noch ziemlich lange von der Feuchtigkeit des Bodens, +dann aber siechten auch sie allmählich dahin, wobei die Bäume, welche +die längsten Wurzeln hatten, am zähesten waren; aber schließlich waren +auch sie zum Tode verurteilt. Jetzt ist alles ein großer Friedhof, in +welchem man jedoch auf den Grabinschriften von einer früheren, üppigen +Vegetationsperiode liest. + +Als wir, mit der Ernte des Tages zufrieden, mit dem Graben aufhörten, +näherte sich die Sonne dem Horizont, und wir brachen auf. Der Wind +erhob sich, der östliche Horizont war grau und düster, der Nebel +verdichtete sich, ein heftiger Sturm schien im Anzug zu sein, und +wir beschleunigten unsere Schritte, um das Lager noch vor Dunkelheit +zu erreichen. Endlich tauchte der westliche Lagerturm auf, und nun +mußten wir unseren Weg im Staubnebel selbst finden können. Der Wind +fegte Sand- und Staubmassen durch die Rinnen; sie eilten vorwärts wie +Wasser in seinem Bette, man glaubte förmlich zu sehen, wie der Wind an +den Seiten und Rändern der Rinnen feilte, und man kann sich denken, +welch kräftigen Bundesgenossen er in dem Flugsande hat, der das leicht +zerstörbare Tonmaterial wie Sandpapier zerreibt. + +In der Dämmerung erblickten wir den Schein von Kutschuks Signalfeuer, +dessen Flammen immer höher aufloderten. Wir waren rechtzeitig zu Hause, +ziemlich ermüdet von einem Spaziergange von 28 Kilometer, doch weniger +von der Länge des Weges als von dem beschwerlichen Terrain. Wenn man +den ganzen Tag hat dursten müssen, schmeckt ein großer Becher auf Eis +gekühlten Wassers mit Zitronensäure und Zucker gar zu gut! + +Am 8. durften alle ausschlafen. Der Buran war stärker geworden, die +Luft war mit Staub gesättigt; heute wäre es unmöglich gewesen, die +Tempelruine zu finden. + +Durch die versprochenen Belohnungen angespornt, arbeiteten die Leute um +das Lager herum mit ihren Spaten aus Leibeskräften, und jetzt sollten +ihre Anstrengungen von einem Erfolg gekrönt werden, von dem ich kaum +zu träumen gewagt hätte. Vergeblich hatten sie den Sand in vielen +verlassenen Holzgebäuden untersucht, als sie ihre Aufmerksamkeit einem +aus an der Sonne getrockneten Lehmziegeln erbauten Hause zuwandten, +das einem Stalle mit drei Ständen glich (Abb. 213). Jedenfalls sah es +im ganzen Dorfe am wenigsten verheißungsvoll aus. Aber gerade hier, +in dem, von vorn gesehen, rechten Stande, fand Mollah einen kleinen +zerknitterten Papierfetzen mit mehreren ganz deutlichen chinesischen +Schriftzeichen. + +Es ist nicht zuviel gesagt, daß der Inhalt dieses Standes nun +buchstäblich durchgesiebt wurde. Zwei Fuß tief, unter Sand und Staub, +stießen wir auf etwas, das ich einfach einen Kehrichthaufen oder eine +Unratbucht nennen möchte, das aber diverse schöne Raritäten enthielt. +Dort fanden wir Lumpen von Teppichen und Schuhzeug, Schafknochen, +Körner und Stroh von Weizen und Reis, eine Menge Rückenwirbel +von Fischen und unter all diesem Trödel -- wohl ein paar hundert +beschriebene Papierstücke nebst 42 Holzstäben, die der Form nach +schmalen Linealen glichen und ebenfalls mit Schriftzeichen bedeckt +waren. + +Dieser Fund war ein Triumph. Sollte es übertrieben sein, ein so starkes +Wort da zu gebrauchen, wo es sich nur um alte Papierblätter handelt? +Nein, durchaus nicht! Ich sah voraus, daß diese Blätter ein kleines +Stück Weltgeschichte enthalten und mir den Schlüssel zur Lösung des +ganzen Lop-nor-Problems schenken würden. Die rein geographischen und +geologischen Untersuchungen enthüllten wohl deutlich genug Tatsachen; +sie zeigten, daß das Land früher so und so ausgesehen haben +muß+; +hier in der Wüste hatte ja ein großer See sein Bett gehabt, und hier +in den Ruinen hatten Menschen gewohnt. + +Doch die Bruchstücke der Dokumente würden meinen mühsamen +Untersuchungen Schwarz auf Weiß ihr Schlußzeugnis geben; sie würden +den Stempel auf diese ganze Arbeit drücken, die seit Jahren Gegenstand +meiner Arbeit und meiner Studien gewesen; sie würden erzählen, +wann+ +dieser See existierte und +welche+ Menschen hier wohnten, unter welchen +Verhältnissen sie lebten, mit welchen Teilen Innerasiens sie in +Verbindung standen, ja vielleicht sogar, welchen Namen ihr Land führte. +Dieses Land, das sozusagen vom Erdboden vertilgt worden ist, diese +Menschen, deren Geschichte längst der Vergessenheit anheimgefallen +und deren Geschicke vielleicht nicht einmal Annalen anvertraut worden +sind, alles dieses würde, so hoffte ich, jetzt wieder ans Tageslicht +gezogen werden. Ich stand vor einer Vergangenheit, die ich wieder ins +Leben rufen würde. Wäre es auch nur ein kleines Volk, ein unbedeutender +Staat gewesen, was machte das aus? Es war doch immer eine Lücke im +menschlichen Wissen, die jetzt ausgefüllt werden würde. + +Die Muselmänner hofften wie gewöhnlich Gold zu finden, aber ich hätte +die zerrissenen, schmutzigen Brieffragmente nicht gegen große Schätze +vertauscht. + +Daß dies wirklich ein Kehrichtloch gewesen, ging daraus hervor, daß +der Raum viel zu klein war, um als Zimmer habe dienen zu können, +und daß alle Papiere nur Bruchstücke waren; sie waren zerrissen und +fortgeworfen worden. Infolge dieses Umstandes hoffte ich auch, daß es +lauter Lokalbriefe gewesen, deren Inhalt sich ausschließlich um die an +diesem Orte herrschenden Verhältnisse drehen und für meine Studien von +viel größerem Interesse sein würde als Folianten, die aus einer anderen +Gegend stammten. -- + +Nach meiner Rückkehr nach Europa übergab ich dieses ganze Material dem +gelehrten Sinologen Karl Himly in Wiesbaden, der es jetzt in Arbeit +hat und seinerzeit eine besondere Abhandlung darüber veröffentlichen +wird. Er machte schon bei der ersten Durchsicht mehrere interessante +Entdeckungen und schrieb mir darüber unter anderem: + +„Die vorhandenen Zeitangaben bewegen sich zwischen der Mitte des +dritten und dem Anfange des vierten Jahrhunderts nach Christi Geburt. +Der Fundort scheint einem wohlhabenden chinesischen Kaufmanne gehört zu +haben, der allerlei Lieferungen besorgt, Wagen und Lasttiere vermietet +und die Beförderung von Briefen nach Tun-huang (Scha-tschôu) und +dergleichen übernommen hat. Zu den Reisen nach dieser Stadt wurden +Pferde, Wagen und Rinder benutzt. Einmal scheint von einem Feldzug +die Rede zu sein, doch ohne Angabe der Zeit. Unter den Ortsnamen +finden wir auch den, der das Land, um das es sich hier handelt, +bezeichnet hat: Lôu-lan. Die Bewohner müssen auch Ackerbau getrieben +haben, denn in den Briefen ist sehr oft die Rede von Getreidemaßen, +wobei auch zuweilen die Getreideart angegeben ist. Vielleicht hat an +der Stelle, wo die Schriftstücke ausgegraben worden sind, ein altes +Steuereinnehmerhaus oder eine Art Getreidebank, wo Korn aufgekauft +oder als Pfand angenommen worden ist, gestanden. Eigentümlich ist das +Papier, das manchmal auf beiden Seiten beschrieben ist, was jetzt in +China weder beim Schreiben noch im Druck üblich ist. + +„Jedenfalls ist die mitgebrachte Sammlung, die auch für die Chinesen +von großem Interesse ist, derart, daß sie noch lange das Interesse der +Männer der Wissenschaft in Anspruch nehmen wird. + +„Einige Blätter enthalten nur Schreibübungen, andere sind abgebrochene +Sätze, aber die Abweichungen von der jetzigen Schrift sind im ganzen +nicht groß. Die Stäbe haben den Vorteil vor den Papierblättern, daß sie +einen oder mehrere Sätze, die abgeschlossen sind, enthalten, z. B., daß +eine Antilope geliefert, so und soviel Korn abgegeben worden, so und +soviele Menschen für einen Monat oder länger mit Lebensmitteln versorgt +worden sind. + +„Der Beamte, der hier residiert hat, scheint eine nicht unbedeutende +Provinz verwaltet zu haben, was aus folgendem Satze zu schließen ist: +«Von dem angelangten Kriegsheere sind 40 Beamte an der Grenze (oder dem +Ufer?) zu empfangen, und die Höfe sind zahlreich.» Er scheint auch zwei +eingeborene Fürsten neben sich gehabt zu haben. + +„Die meisten Zeitangaben sind aus den Jahren 264-270 n. Chr. Im Jahre +265 starb Kaiser Yüan Ti aus dem Hause Wei, und im Norden folgte die +Tsin-Herrschaft unter Wu-Ti, der bis zum Jahre 290 regierte. + +„Von den leserlichen Kupfermünzen sind die meisten sogenannte +Wu-tschu-Stücke. Diese Prägung war während der Periode von 118 v. +Chr. bis 581 n. Chr. in Gebrauch. Ferner sind darunter zahlreiche +Huo-thsüan-Münzen, die auf Wang-Mang zurückgehen, der zwischen den +Jahren 9 und 23 n. Chr. die Macht in Händen hatte. Die Bezeichnungen +der gefundenen Münzen widersprechen also den Zeitangaben der +Papierfetzen und Stäbe nicht.“ + +Schon diese vorläufigen Mitteilungen zeigen, welch wichtige +Aufklärungen man von der von mir mitgebrachten Sammlung erwarten kann. +Sie bringen ein neues Licht in die politische und physische Geographie +des innersten Asien während der ersten Jahrhunderte nach Christi Geburt +und zeigen, welch ungeheure Veränderungen dieser Teil der Welt in 1600 +Jahren erlitten hat. + +[Illustration: 186. Unsere Kamele im Tale von Dschong-duntsa. (S. 17.)] + +[Illustration: 187. Das Lager in Lu-tschuentsa. (S. 17.)] + +Der Name Lôu-lan kommt bei dem im 12. Jahrhundert lebenden arabischen +Geographen Idrisi vor, und ein gelehrter Mandarin in Kaschgar, dem ich +die Manuskripte zeigte, sagte mir, daß das Land um das jetzige Pitschan +bei Turfan in alten Zeiten Lôu-lan geheißen habe. Im Verein mit den +physikalisch-geographischen Untersuchungen, die ich in bezug auf die +Wanderungen des Lop-nor-Sees ausführte, sind diese historischen Daten +von unschätzbarem Wert. Sie geben nicht nur über das Land Lôu-lan +am Nordufer des früheren Lopsees Auskunft, sondern verbreiten auch +Licht über viele andere ungelöste Probleme in dieser Gegend, die auf +halbem Wege zwischen China und dem Abendland liegt. Sie erzählen von +regelmäßiger Post zwischen dem Lop-nor und Scha-tschôu, also von einer +regelrechten Verbindungsstraße durch die Wüste Gobi. Der alte Weg von +Korla längs des Ufers des Kontsche-darja, wo ich das vorige Mal eine +ganze Reihe von Lehmtürmen (Pao-tai) und Festungen fand, erhält jetzt +eine ganz andere Beleuchtung. Ich habe im ersten Bande S. 205-207 von +den Ruinen in Jing-pen gesprochen -- auch sie waren ganz gewiß eine +wichtige Station auf dem alten Wege. + +Daß in Lôu-lan Ackerbau hat getrieben werden können, ist von großem +Interesse. Wie ist dies möglich gewesen? Vom Kurruk-tag kommt kein +Bach, vom Himmel kein Tropfen Wasser. Das Klima wird sich verändert +haben, sagt vielleicht jemand. Nein, durchaus nicht! Im Herzen eines +Kontinents pflegt das Klima in anderthalb Jahrtausenden nicht solch +kolossale Veränderungen zu erleiden. Kanäle müssen vom Flusse, dem +Tarim oder Kum-darja, abgeleitet worden sein, Bewässerungskanäle von +derselben Art wie überall in Ostturkestan. Getreidebanken gibt es noch +jetzt in allen Städten Ostturkestans; sie stehen unter der Kontrolle +der chinesischen Behörden und dienen zur gleichmäßigen Verteilung des +Brotes unter die Eingeborenen. Ich fand allerdings nur 4 Dörfer, von +denen das größte 19 Häuser hatte, aber es können noch mehr Ruinen in +der Wüste liegen. Und wenn von Kriegsheeren, 40 Beamten und zahlreichen +Höfen die Rede ist, hat man Grund, anzunehmen, daß Lôu-lan reich +bevölkert gewesen ist. Die von uns gefundenen Ruinen würden dann von +Amtslokalen und vornehmeren Wohnungen herrühren, und es ist ja auch +wahrscheinlich, daß diese bei den Türmen gelegen haben, während die +Hütten der Fischerbevölkerung an den Ufern lagen und natürlich in viel +kürzerer Zeit zerstört worden sind. + +9. März. Noch ein Tag blieb uns an diesem, ich hätte beinahe gesagt, +heiligen alten Orte -- jedenfalls einem Ort, an dem man von feierlicher +Schwermut über die Vergänglichkeit alles Irdischen erfüllt wird und vor +der Tatsache steht, daß Städte und Stämme von der Zeit wie Spreu vor +dem Winde vom Erdboden verweht werden. + +Als ich aufstand, waren die Leute schon ein paar Stunden bei der Arbeit +gewesen und brachten nun ihre Funde in meine Jurte (Abb. 214). Diese +bestanden wie gestern aus Papierfetzen und Holzstäben, alle aus dem +nordöstlichen Stande des Lehmhauses; in den beiden anderen wurde nichts +gefunden. Fischgräten, Skeletteile von Haustieren, unter anderen von +Schweinen, Lumpen, einige Pinselstiele, eine Peitsche, das Skelett +einer Ratte und diverse andere Raritäten kamen auch zum Vorschein. +Ein völlig unbeschädigter roter Tonkrug wurde ausgegraben (Abb. 215). +Er war 70 Zentimeter hoch und 65 Zentimeter breit und besaß keine +Henkel. Wahrscheinlich ist er in einem Weidenkorbe mit Henkel, der in +der Nähe lag, getragen worden. Scherben von derartigen Gefäßen sind +außerordentlich häufig. + +Nachmittags kam die Karawane von der Quelle. Die Pferde sahen +kümmerlich aus, aber die Kamele waren fett geworden. Sie trugen 10 +Tagare und 11 Tulume Eis, welcher Vorrat ziemlich lange reichen würde. + + + + +Fünftes Kapitel. + +Lôu-lan. + + +Da ich annehme, daß es meine Leser interessieren wird, einige Auskunft +über das Land, das obigen Namen trägt, zu erhalten und zu erfahren, +was bisher durch chinesische Quellen darüber bekannt war, so will ich +im Anschluß an meine Entdeckungen einige von fachkundigster Seite +herrührende Mitteilungen anführen. Es sind meine Freunde die Sinologen +Karl Himly in Wiesbaden und George Macartney in Kaschgar, die zu Worte +kommen, und zwar in den beiden vornehmsten geographischen Zeitschriften +der Welt. + +Himly hat in „Petermanns Mitteilungen“ (1902, Heft XII) +einen Aufsatz, betitelt „Sven Hedins Ausgrabungen am alten Lop-nur“ +veröffentlicht, worin er das von mir mitgebrachte Material vorläufig +analysiert und daraus mehrere interessante Schlüsse zieht. Er schreibt: + +„Der Name Lop-nur ist nicht von den jetzigen (türkischen) Bewohnern +erfunden, wie ja auch «nur» = See ein mongolisches Wort ist. Vor Mitte +des 18. Jahrhunderts verlief hier die Grenze der Khalkha- und der +Westmongolen oder Kalmücken. Von den Chinesen wird jetzt nach Hedins +Erkundung das Gebiet des neugegründeten Ortes Dural so genannt, wo +ein chinesischer «Amban» seinen Sitz hat. Nach den Ausführungen in +Petermanns Ergänzungsheft betrachtete Hedin den etwas weiter südöstlich +befindlichen Kara-köl als Überbleibsel des alten Sees. Dieser war +aber längst vor der Mongolenzeit den Chinesen bekannt gewesen und +hatte verschiedene teils chinesische, teils einheimische Namen: +Yen-tsö (chinesisch «Salzsee»), Puthschang-hai («hai» chinesisch = +Meer), Yao-tsö, Lôu-lan-hai usw.; Lôu-lan aber war der Name eines +Landes, welches trotz seiner Kleinheit wegen seiner Lage zwischen +dem nördlichen und dem südlichen Weg von China nach dem Westen schon +zur Zeit der Kämpfe zwischen den chinesischen Kaisern aus dem Haus +der Han und den Hiung-Nu seit dem zweiten Jahrhundert vor unserer +Zeitrechnung eine für dasselbe zuweilen verhängnisvolle Rolle gespielt +hat, indem es bald auf die eine, bald auf die andere Seite gedrängt +wurde. Der berühmte Wallfahrer Hüan-Tschuang berührte 645 das Land +auf seiner Rückreise aus Indien, nachdem er von Khoten aus die Wüste +mit ihren damals schon in Trümmern liegenden Städten durchzogen +hatte. Wenn schon die Wüste die Einwohner der Städte vertrieb und +ihre Häuser verschüttete, mußte eine Vereinigung der Staubstürme mit +den sich stauenden Gewässern die Gefahr noch vermehren. Nach dem +Schuêiking-tschu sammelten sich die Gewässer des Sees nordöstlich von +Schan-schan (Lôu-lan) und südwestlich von Lung-thschöng (Drachenstadt), +welches im Zeitraum Tschi-ta (1308-11) durch eine Sturmflut zerstört +wurde. Doch waren die Trümmer noch vorhanden. + +„Vielleicht ist es nun diese alte Trümmerstätte, welche Hedin während +seines letzten Aufenthalts in der Gegend des Lop-nur aufgefunden hat. +Er begab sich nämlich, von einigen einheimischen Türken -- Lopliks, +die jedoch noch nie dort gewesen waren -- und einem seiner Kosaken +begleitet, von der Quelle Altimisch-bulak nach Süden und traf nach +zwei kleinen Tagereisen in einer Entfernung von 81½ Kilometer vom +Kara-koschun auf die Trümmer einer alten Stadt. Während von den meisten +Häusern nur noch die Holzgerüste standen, war eines aus Lehm (oder +Luftsteinen?) gebaut mit dicken Außen- und zwei Innenwänden, welche +das Haus in drei Räume, einen breiteren mittleren und zwei kleinere an +den Seiten teilten. In einem der letzteren wurden eine Menge Stäbe aus +Tamariskenholz mit meist chinesischen Schriften und viele Papierfetzen, +letztere teilweise auf einer, teilweise entgegen der jetzigen Sitte +auf beiden Seiten beschrieben, unter einer Sand- (oder Löß-?)Schicht +von höchstens zwei Fuß Dicke aufgefunden. Es befanden sich darunter +auch kleine Klötzchen, welche gleichfalls beschrieben waren und meist +augenscheinlich zum Zubinden bestimmte Vertiefungen zeigten. Daß diese +Klötzchen als Deckel für darunter befindliche Briefschaften gedient +hatten, war teils aus der Aufschrift zu entnehmen, teils hatten +schon die im Januar 1901 von Stein am Niya-Flusse gemachten Funde +an Deutlichkeit nichts zu wünschen übriggelassen, wie man sich beim +ersten Blick auf Tafel IX in seinem «~Preliminary report on +a journey of archaeological and topographical exploration in Chinese +Turkestan~» überzeugen kann. Unweit dieser Fundstelle fanden sich +sehr wertvolle Holzschnitzereien mit geschmackvollen Verzierungen; die +darunter vorkommenden Buddhabilder lassen auf das Vorhandensein eines +Tempels schließen. In einem anderen Hause fanden sich Fischknochen in +großer Menge, und unzählige Schnecken (~Limnaea~) lagen umher. +Läßt dieser Umstand darauf schließen, daß hier das Ufer eines Sees +war, so zeugte ein riesengroßes, aus fünf dicken Brettern bestehendes +Rad vom Wagenverkehr zu Land. Die vier Türme aus Fachwerk, welche +sich in der Umgebung fanden, mögen teils zur Verteidigung, teils am +Weg als Feuer- oder Rauchtürme gedient haben, wie sie weit über das +chinesische Reich zerstreut lagen, um vor dem herannahenden Feind zu +warnen. Ein riesiger Wasserbehälter von rotem Ton, oben mit schmaler +Öffnung versehen, hatte sich vollkommen erhalten. + +„Unter den kleineren Fundstücken sind namentlich die Kupfermünzen +bemerkenswert, die, bis auf eine chinesischen Ursprungs, auf eine +bestimmte Reihe von Jahrhunderten hinweisen. Sie haben alle das +bekannte viereckige Loch in der Mitte, an dem sie, zu Hunderten +aufgereiht, an Stricken getragen zu werden pflegen. Die Bezeichnungen +einer bestimmten Reihe von Jahren, welche frühestens im Jahre 376 n. +Chr. begannen und vom Jahre 621 an nie mehr fehlten, finden sich auf +keiner der Münzen. Die häufigste Aufschrift ist Wu tschu (5 Tschu oder +5/24 Liang oder Unzen) in alter Siegelschrift, in der die 5 einer +römischen Zehn (X) ähnelt, und kommt von 118 v. Chr. bis 581 n. +Chr. vor. Zuweilen haben die Münzen die Bezeichnung Huo-thsüan (nach +Endlichers Übersetzung «Tauschmittel»), welche von 9-22 n. Chr. aus +der Zeit des Wang-Mang angeführt wird. Eine Münze, in der das Loch ein +längliches Viereck bildet, trägt die Aufschrift in Schriftzeichen, +deren Erklärung der Zukunft vorbehalten werden muß. + +Unter den anderen kleineren Gegenständen ist namentlich ein kleiner +geschnittener Stein bemerkenswert, welcher den in Hedins Werk «Durch +Asiens Wüsten» (erste Auflage, II, 33) abgebildeten «Gemmen aus +Borasan» an die Seite zu stellen ist. Es heißt dort (II, S. 35) +von der Fundstätte westlich von Khoten, die dortigen «Überreste +einer hochentwickelten Kunstindustrie» beständen aus «kleinen +Terracottagegenständen, Buddhabildern aus Bronze, +Gemmen+, Münzen +usw., für den Archäologen von größter Bedeutung, da sie bewiesen, +daß die durch griechischen Einfluß veredelte antike indische Kunst +bis ins Herz von Asien gedrungen wäre». Hier nun handelt es sich +augenscheinlich um einen Hermes, der als Gott der Wanderer seinen +Weg durch Baktrien nach dem Innern von Asien gemacht hat. Kunstvolle +dreikantige Pfeile oder flache kleinere, etwa für Geflügel bestimmte, +beide von Bronze, Wirtel, ein mit Perlen usw. geschmückter Ohrring, +Kupferdraht, eiserne Nägel, mit einem scharfen Gegenstand oben +geöffnete Kaurimuscheln, Schellen (für die Pferde?) von Kupfer- und +Messingblech, Bruchstücke von Glöckchen aus Bronze, Bernstein und +Perlen aus solchem, kupferne Ringe, allerlei Gerät oder Bruchstücke +davon aus verschiedenartigen Steinen oder Halbedelsteinen, worunter +Nierstein (Nephrit) und Alabaster, verziertem grünem Glas usw., geben +Kunde von der Bildungsstufe, auf welcher entweder der einheimische +Gewerbefleiß stand, oder von dem Sinn, welchen man für die Erzeugnisse +des fremden hatte. + +„Hinsichtlich der Frage, um welchen Zeitraum es sich bei der +Zerstörung des Ortes handeln dürfte und wie derselbe, d. h. die +Stadt oder das Land, geheißen haben, sprechen die aufgefundenen +Schriftstücke eine deutlichere Sprache. Sowohl auf den Stäben als auf +den alten Papierfetzen kommt der Name Lôulan vor und zwar in einem +Zusammenhang, der keinen Zweifel läßt, daß so der Ort der Bestimmung +oder Aufbewahrung hieß. So stehen auf dem oberen Teile eines der Stäbe +Angaben über nach Tun-Huang und Tsiu-Thsüan (Su-tschôu) abgesandte +Briefe; auf dem unteren Teile ist der 15. Tag des 3. Monats im 6. Jahre +des Zeitraums Thai-Schi, d. h. des 6. Jahres des Kaisers Tsin Wu Ti +(270 n. Chr.) angegeben als Tag der Ankunft eines Briefes in Lôulan. +Auf einem der Deckelklötzchen, welches die auf Tafel IX von +Steins «~Preliminary report~» angegebene Gestalt hat, nur viel +kleiner ist, finden sich der Fürst der See-Angelegenheiten und Frau +(Tien-schi Wang Hou) in Lôulan als Empfänger angegeben. Die erste +Zeitangabe ist vom Jahre 264, in welchem das Haus Wei das nördlichste +der «drei Reiche» noch unter seiner Herrschaft hatte. Sonst finden sich +noch die Jahre 266, 268, 269 und 270 angegeben, während sich unter +den meist anscheinend mit Willen zerfetzten Papieren der Name Lôulan +zweimal, wovon einmal aus einer geringfügigen Veranlassung des Inhalts, +daß ein gewisser Ma aus Lôulan am 6. des 6. Monats nicht vorzusprechen +brauche, und die Jahreszahl 310 in Verbindung mit der Stadt An-Si +finden. + +„Der Inhalt der verschiedenen schriftlichen Bemerkungen ist ein sehr +verschiedenartiger. Es ist darin sonst noch von Getreidelieferungen, +von Nachrichten aus Tun-Huang, Verkehr mit Kao-Tschang (dem alten +Turfan), von gerichtlichen Verhandlungen usw. die Rede. Die Stäbe +dienten augenscheinlich bald als Tagebücher, bald zu Mitteilungen oder +Weisungen an Untergebene. Letzterer Art scheint ein abgebrochener +kleinerer Stab gewesen zu sein mit der Mitteilung, daß von dem (pien? +am Rand, an der Grenze, am Ufer?) angelangten Heer vierzig am Deich +empfangene Anführer in den Gehöften Unterkunft finden könnten. + +„Ein kleines Brettchen hat eine nicht chinesische Aufschrift, deren +Schriftzeichen den Kharoshthi-Zeichen bei Stein (Taf. IX, X und XI bei +Stein a. a. O.) ähneln, wie auch das Brettchen von zwei Deckeln von der +auf Steins Tafel X veröffentlichten Art begleitet gewesen sein wird. + +„Es ist nach dem allem kaum zu bezweifeln, daß hier das alte Lôulan war +und am alten Lop-nur lag. Diese alte Stadt scheint Anfang des vierten +Jahrhunderts vom Wüstensturm oder von den Gewässern, bezw. durch beide +Gewalten zerstört worden zu sein. Man wird in der Nähe eine andere, die +sogenannte Drachenstadt, gebaut haben, welche dann ihrerseits in den +Jahren 1308-11 durch eine Sturmflut zugrunde ging.“ + +Mein alter Freund von all meinen Besuchen in Kaschgar, George +Macartney, der ebenfalls ein gründlicher Kenner der chinesischen +Sprache ist, hat in der Märznummer 1903 des „~Geographical +Journal~“ folgenden Aufsatz erscheinen lassen, den ich hier +mit seiner Erlaubnis ~in extenso~ mitteile. Einige der historischen +Ereignisse, deren Schauplatz Lôu-lan gewesen, passieren hier Revue +und zeigen, daß dieses Land einst eine gewisse Bedeutung gehabt hat. +Im Verein mit den von Himly gegebenen Mitteilungen und Übersetzungen +gibt uns Macartneys Aufsatz Gelegenheit, uns eine ziemlich deutliche +Vorstellung von diesem zweitausendjährigen Königreich zu machen. +Macartneys Artikel trägt den Titel. „~Notices, from Chinese sources, +on the ancient Kingdom of Lau-lan or Shen-shen~“ (Nachrichten aus +chinesischen Quellen über das alte Königreich Lôu-lan oder Schen-Schen) +und lautet folgendermaßen: + +„In dem Vortrag, den ~Dr.~ Sven Hedin in London am 8. Dezember +1902 vor der Königl. Geographischen Gesellschaft über seine +dreijährigen Forschungen in Zentralasien hielt, gab er uns eine +lebhafte Schilderung von den Ruinen einer alten Stadt am Ufer des alten +Lob-nor. Unter den Funden, die er von dieser Örtlichkeit mitgebracht +hat, finden wir eine Anzahl chinesischer Manuskripte, die als dem +zweiten und dritten Jahrhundert n. Chr. angehörend identifiziert worden +sind. Einige von diesen Manuskripten tragen nicht allein das Datum, +sondern auch den Namen des Ortes, an welchem sie geschrieben worden +sind. Dieser Name ist Lau-lan, und die Kenntnis dieser Tatsache ist +von besonderem Interesse. Der Name Lau-lan selbst ist den modernen +chinesischen Geographen wohlbekannt, aber bis jetzt sind offenbar weder +sie noch Gelehrte in Europa imstande gewesen, mit einiger Genauigkeit +die Lage des Landes, das einstmals diesen Namen getragen hat, zu +bestimmen. Herr A. Wylie, ein hervorragender Chinaforscher, hatte +diese Lage im Jahre 1880 seinen Berechnungen nach auf 39° 40′ nördl. +Breite und 94° 50′ östl. Länge angenommen. Dies würde einen Fehler +von ungefähr 250 engl. Meilen (etwa 420 Kilometer) bedeuten, wenn ich +recht verstanden habe, daß der Platz, wo ~Dr.~ Hedin die den Namen +Lau-lan tragenden chinesischen Manuskripte gefunden hat, ungefähr auf +40° 40′ nördl. Breite und 90° östl. Länge lag. [Diese Zahlen sind +beinahe richtig. Hedin.] Eine genauere Feststellung der Lage von +Lau-lan, die jetzt selbstverständlich möglich ist, kann, wie ich hoffe, +hinsichtlich anderer benachbarter Länder, deren alte Namen bekannt +sind, über deren Lage sich aber die heutigen Geographen noch die Köpfe +zerbrechen, zu wertvollen Ergebnissen führen. + +„Wenn wir die Geschichte der ersten Hankaiser, das Tsien-Han-shu [ich +lasse die englische Schreibweise der chinesischen Namen unverändert. +Hedin], und die Aufzeichnungen, welche Fa-Heen und Hsian-Tsang +hinterlassen haben, studieren, finden wir viele Orte mit Entfernungen +erwähnt, als deren Ausgangspunkt Lau-lan angegeben ist. + +„So erwähnt das Tsien-Han-shu (geschrieben, in runden Zahlen, +zwischen 100 v. Chr. und 50 n. Chr.) folgende Entfernungen: Von Wu-ni +(Hauptstadt von Lau-lan) nach Yang-kuan, dem «südlichen Sperrtor», +(augenscheinlich in der Richtung von Tun-huang) 1600 Li; nach Chang-an +6100 Li; nach dem Verwaltungssitze (der Name fehlt) des chinesischen +Gouverneurs 1785 Li; nach Si-an-fu 1365 Li; nach Keu-sze (Ouigour) in +nordwestlicher Richtung 1890 Li. + +„In der Beschreibung seiner Reisen gibt Fa-Heen (im fünften Jahrhundert +n. Chr.) folgende Entfernungen an: von Shen-shen oder Lau-lan nach +Tun-huang, etwa 17 Tagemärsche, 1500 Li; nach Wu-e (Uigur?) 15 +Tagereisen zu Fuß in nordwestlicher Richtung. + +„Von Hsian-Tsang erfahren wir, daß Lau-lan, das er auch Na-po-po nennt, +1000 Li nordöstlich von Chem-to-na oder Nimo liegt. + +„Aus dem Obigen ergibt sich auch, daß der Ort Lau-lan als Ausgangspunkt +für die Bestimmung der Lage mehrerer anderer Orte dienen kann. +Vielleicht können die obigen Angaben späteren archäologischen Forschern +von Nutzen sein. + +„Dies ist aber noch lange nicht alles, was wir aus chinesischen Quellen +über Lau-lan erfahren können. Das Tsien-Han-shu erzählt uns, daß China +mit diesem Lande unter der Regierung des Kaisers Wu-ti (140-87 v. Chr.) +in Verbindung zu treten begann, um welche Zeit sich die Westgrenze des +Reiches nicht über das Yang-kuan-Sperrtor (vielleicht bis Tun-Huang) +und das Yü-Tor (das moderne Chia Yu Kuan?) hinaus erstreckt zu haben +scheint. Das ausgedehnte Land, das hinter diesen Orten lag, wurde von +den damaligen chinesischen Geographen mit dem unbestimmten Namen Si-yu +(die Westregion) bezeichnet und soll nach ihnen in 36 verschiedene +Königreiche geteilt gewesen sein. Man erzählt, daß von China zwei +Wege nach dieser Gegend führten. «Der über Lau-lan, welcher längs +des Flusses Po (des unteren Tarim?) auf der Nordseite des südlichen +Gebirges (des Altyn Ustun Tagh?) hinläuft und westwärts nach Sa-sche +(Yarkand) führt, ist der südliche Weg. Der, welcher über den Palast des +Häuptlings in Keu-tse (im Ouigourreiche? 1890 Li von Lau-lan) führt und +den Fluß Po in der Richtung des nördlichen Gebirges (Tien Shan) bis +nach Su-leh (Kaschgar) begleitet, ist der nördliche Weg.» + +[Illustration: 188. Die Karawane auf dem Eise des Lu-tschuentsa-Baches. +(S. 17.)] + +[Illustration: 189. Sanddünen in der mittelsten Gobi. (S. 22.)] + +[Illustration: 190. Terrasse nördlich von der Oase vom 1. Februar. (S. +22.)] + +[Illustration: 191. Tränkung der Kamele am Brunnen im Lager Nr. 138. +(S. 22.)] + +„Das Wassersystem des Tarimbeckens wird mit folgenden Worten +beschrieben: «Der Fluß (Chotan-darja?) strömt nach Norden, bis er sich +mit einem Flusse vom Tsung-ling (Zwiebelkette in Sarikol) vereinigt, +und fließt dann nach Osten in den Pu-schang-hai (den Schilfsee), +der auch der Salzsumpf genannt wird. Dieser liegt über 300 Li von dem +Yü-Tore und dem Sperrtore Yang-kuan und ist 300 Li lang und breit. +Das Wasser ist stationär und nimmt weder im Winter noch im Sommer ab +oder zu. Der Fluß soll sodann unter der Erde weiterfließen und bei +Tseih-shih wieder zutage treten, von wo an er den Gelben Fluß Chinas +bildet.» + +„Das Folgende ist ein Auszug des Berichtes, den wir in dem +Tsien-Han-shu über die politischen Verhältnisse zwischen China und +Lau-lan während des ersten Jahrhunderts vor Christi Geburt finden. + +„Kaiser Wu-ti, heißt es, wünschte, mit Ta-wan und den umliegenden +Ländern Verbindung zu unterhalten, und schickte wiederholt Gesandte +dorthin. Der Weg derselben ging über Lau-lan, aber die Einwohner von +Lau-lan beunruhigten im Verein mit dem Ku-tse-Volke die Reise der +Beamten und griffen Wang-Kuei, einen der Gesandten, an und raubten ihn +aus. Doch nicht genug damit, die Bewohner von Lau-lan machten sich +den Chinesen auch dadurch verhaßt, daß sie den Heun-nu (Hunnen) als +Spione dienten und diesen wiederholt bei der Ausplünderung chinesischer +Reisender halfen. Dergleichen konnte nicht geduldet werden. Daher +rüstete Wu-ti eine Expedition gegen den feindlich gesinnten Staat +aus. Chao Po-nu wurde mit einem Heere von 10000 Mann ausgesandt, +um das Ku-tse-Volk zu strafen, während der Gesandte Wang-Kuei, der +wiederholt unter den Übergriffen der Lau-laner gelitten hatte, Befehl +erhielt, Chao Po-nu als Unterfeldherr zu begleiten. An der Spitze von +700 Mann leichter Kavallerie vorrückend, nahm dieser den König von +Lau-lan gefangen, eroberte Ku-tse und jagte, auf das Ansehen seines +Kriegsheeres vertrauend, auch den Staaten, die Vasallen von Wu-sun und +Ta-wan waren, Respekt ein. Die Lau-laner unterwarfen sich bald und +schickten Tribut an Kaiser Wu-ti. Doch ihre Unterwerfung erboste ihre +Bundesgenossen, die Hunnen, und es dauerte gar nicht lange, so wurden +sie von diesen angegriffen. Daher schickte der König von Lau-lan, um +seine beiden mächtigen Nachbarn zu besänftigen, einen seiner Söhne als +Geisel zu den Hunnen und einen zweiten dem Kaiser von China. So endete +die erste Episode der Beziehungen zwischen China und dem Königreiche +von Lau-lan. + +„Aber noch mehr Unruhen standen Lau-lan bevor. Kaiser Wu-ti mußte aus +irgendeinem Grunde noch eine Strafexpedition gegen Ta-wan und die +Hunnen schicken. Die Hunnen fanden das chinesische Heer so furchtbar, +daß sie es für das Klügste hielten, jeden direkten Zusammenstoß mit ihm +zu vermeiden, was sie aber nicht hinderte, in Lau-lan, dessen Bewohner +noch immer mit ihnen im Bunde standen, Truppen in Hinterhalte zu legen. +Diese Truppen beunruhigten Wu-tis Armee unaufhörlich. Die Chinesen +kamen bald dahinter, daß die Lau-laner im geheimen Bundesgenossen der +Hunnen waren, und infolgedessen wurde General Jen-wan ausgesandt, um +sie zu züchtigen. Jen-wan drang bis an das Stadttor vor, welches ihm +geöffnet wurde, und machte dem König Vorwürfe über seine Verräterei. +Der König antwortete entschuldigend: «Wenn ein kleiner Staat zwischen +zwei großen Reichen liegt, zwingt ihn die Notwendigkeit, mit beiden +im Bunde zu stehen, sonst hat er nie Frieden; jetzt aber wünsche ich, +mein Königreich den Grenzen des chinesischen Reiches einzuverleiben.» +Diesen Worten vertrauend, setzte ihn der Kaiser wieder auf den Thron +und beauftragte ihn, ein wachsames Auge auf die Bewegungen der Hunnen +zu haben. + +„Der König starb im Jahre 92 v. Chr. Eine Thronfolgefrage entstand. Man +wird sich erinnern, daß einer der Söhne des verstorbenen Königs sich +als Geisel am chinesischen Hofe befand. Nun schickten die Lau-laner +eine Petition an den Kaiser, er möge ihnen den als Geisel gesandten +Prinzen wiederschicken, damit dieser den ledigen Thron besteige. Der +Prinz hatte sich jedoch nicht der Gunst des Kaisers erfreut; er war +tatsächlich die ganze Zeit, die er in China weilte, im Palaste des +Seidenwurmhauses in einer seinem Range entsprechenden Haft gefangen +gehalten worden. Daher fand die Petition bei Wu-ti kein williges Ohr, +sondern er gab die diplomatische Antwort: «Ich liebe den Prinzen, +meinen Gast, sehr und bin nicht gesonnen, ihn von meiner Seite zu +lassen.» Der Kaiser schlug dann den Bittstellern vor, sie sollten den +nächsten Sohn des toten Königs mit der Königswürde bekleiden. + +„Das taten die Lau-laner auch. Aber der neue König regierte nur +kurze Zeit, und als er starb, wurde die Nachfolgerfrage wieder +brennend. Diesmal dachten die Hunnen, die, wie wir wissen, auch +einen Lau-lan-Prinzen als Geisel an ihrem Hofe hatten, daß dies +eine passende Gelegenheit sei, ihren verlorenen Einfluß auf diesen +Staat wiederzuerlangen. Deshalb schickten sie den Prinzen zurück und +setzten ihn auf den Thron. Dieser gelungene Handstreich beunruhigte +die Chinesen, die ihren Einfluß durch Bestechungen und Intrigen +wiederzugewinnen suchten. Sie machten keinen direkten Versuch, den +Schützling der Hunnen zu entthronen, schickten aber an ihn einen +Gesandten, der ihn aufforderte, dem chinesischen Hofe einen Besuch +abzustatten, wo ihm, wie der Gesandte sagte, der Kaiser reiche +Geschenke machen würde. Der Kaiser und der Gesandte konnten jedoch +nicht ahnen, daß sie hier auch mit der Verschlagenheit einer Frau zu +rechnen hatten. Die Stiefmutter des Königs war dort und riet ihm, indem +sie sagte: “«Dein königlicher Vorgänger sandte zwei Söhne als Geiseln +nach China; keiner von ihnen ist je zurückgekehrt; ist es da billig, +daß du gehen sollst?» Daher verabschiedete der König den Gesandten mit +dem Bescheid, daß «die Angelegenheiten des Reiches ihn, da er den Thron +erst eben bestiegen habe, noch derartig in Anspruch nähmen, daß er den +chinesischen Hof nicht eher als in zwei Jahren besuchen könne». + +„Obgleich das Verhältnis zwischen dem neuen König und dem Kaiser ohne +Zweifel gespannt war, war es noch nicht zu offenen Feindseligkeiten +zwischen ihnen gekommen. Nun aber kam das Ereignis, welches der +Unabhängigkeit des Staates Lau-lan ein Ende machen sollte. Am Ostrande +von Lau-lan, wo dieses Land an China grenzte, scheint eine Örtlichkeit, +der Peh-lung-Wall genannt, gelegen zu haben. Dieser Platz lag auf der +großen Heerstraße von China über Lau-lan nach den westlichen Ländern; +er litt an Dürre und hatte keine Weiden. Die Lau-laner wurden oft von +den Chinesen aufgefordert, Führer, Wasser und Proviant nach diesem +Platze zu schicken, wenn durchreisende Beamte dessen bedurften. +Hierbei wurden die Ortseinwohner oft von chinesischen Soldaten +brutal behandelt. Dadurch entstanden Reibungen; aber die Lage wurde +noch verschlimmert durch die Hunnen, welche die Lau-laner immer im +geheimen gegen die Chinesen aufhetzten. Schließlich beschlossen die +Lau-laner, alle freundschaftlichen Beziehungen zu Wu-ti abzubrechen, +und ermordeten einige seiner Gesandten, als diese durch das Gebiet von +Lau-lan reisten. Diese Verräterei wurde dem chinesischen Hofe durch Hui +Tu-chi, den jüngeren Bruder des Königs, hinterbracht, welcher, nachdem +er sich unter die Oberhoheit des Han-Kaisers gestellt hatte, mit dem +Plane umging, seinen älteren Bruder vom Throne zu stoßen. Infolgedessen +wurde im Jahre 77 v. Chr. der chinesische General Fu-keae-tsu +ausgeschickt, um dem König das Leben zu nehmen. Fu-keae-tsu wählte +sich schleunigst einige Begleiter aus und begab sich nach Lau-lan. Er +hatte vorher das Gerücht verbreiten lassen, daß er beauftragt sei, zu +freundschaftlichen Untersuchungen nach einem Nachbarstaate zu reisen, +und daß er dem König Geschenke zu überbringen habe. Fu-keae-tsu wurde +bei seiner Ankunft von dem König, der nichts Böses ahnte, zu einem +großartigen Feste eingeladen. Als der König betrunken war, gab Fu +seinen Begleitern ein Zeichen, und nun wurde der König von hinten +erstochen. Sein Kopf wurde vom Leibe getrennt und über dem Nordtore +der Stadt aufgehängt. Zur Belohnung für seinen Verrat wurde Hui Tu-chi +an Stelle seines Bruders zum König eingesetzt und das Königreich unter +dem neuen Namen Shen-Shen, auf den der Lehnsbrief ausgefertigt wurde, +wiederhergestellt. Damit dem Ansehen des neuen Regenten nichts mangeln +sollte, erhielt er eine Dame des kaiserlichen Hofes zur Gemahlin, und +als Hui Tu-chi die chinesische Hauptstadt verließ, um sich in sein +Reich zu begeben, wurden ihm beim Abschied reiche Ehrenbezeigungen +erwiesen. Auf diese Weise gelangte er auf den Thron. Doch er fühlte +sich in seiner neuen Stellung nicht sicher. Weil er ein chinesischer +Schützling war, betrachtete ihn das Volk, über welches er herrschen +sollte, mit Mißtrauen. Außerdem hatte der tote König einen Sohn +hinterlassen, und Hui Tu-chi lebte in beständiger Furcht, von diesem +ermordet zu werden. Daher forderte Hui Tu-chi den Kaiser auf, in +Lau-lan eine Militärkolonie zu errichten, und zwar in der Stadt E-tun, +wo das Land, wie er sagte, «reich war und guten Ertrag gab». Dies +geschah, und der Kaiser schickte einen Reiterobersten mit 40 Mann nach +E-tun, um «die Felder zu bestellen und das Volk zu beruhigen». So +gelang es dem großen Han-Monarchen, seine Macht über das Land Lau-lan +oder Shen-shen zu erstrecken. + +„Um die Zeit, als diese Chroniken geschrieben wurden, was +wahrscheinlich um Christi Geburt herum geschah, zählte, wie uns +berichtet wird, das Königreich Shen-shen 1570 Familien, was neben 2912 +Mann geübten Truppen eine Bevölkerung von 14100 Personen ausmachte. + +„Hinsichtlich der physischen Charakterzüge des Landes sagt das +Tsien-Han-shu (von Herrn A. Wylie ins Englische übersetzt): + +„«Das Land ist sandig und salzig, und es gibt dort wenig angebaute +Felder. In betreff des Getreides und der Ackerbauerzeugnisse ist die +Gegend auf die benachbarten Reiche angewiesen. Das Land bringt Nephrit, +Binsen in Menge, Tamarisken, ~Elaecocca vernicia~ und weißes Gras +hervor. Die Bevölkerung treibt ihr Vieh überall auf die Weide, wo es +genügend Wasser und Gras finden kann. Die Leute besitzen Esel, Pferde +und Kamele. Sie können für Kriegsbedarf dieselbe Art Waffen anfertigen +wie die Leute in Tso-kiang.» + +„Soweit gehen also die in dem Tsien-Han-shu enthaltenen Nachrichten. +Hören wir, was Fa-Heen von Lau-lan sagt, durch welches Land er im +fünften Jahrhundert n. Chr. reiste, als er sich von China nach Indien +begab, um sich die heiligen Bücher des Buddhismus zu verschaffen. Die +englische Übersetzung ist von ~Dr.~ J. Legge. + +„«Nachdem sie 17 Tage gereist waren, welche Entfernung wir auf etwa +1500 Li (von Tun-huang) schätzen können, erreichten die Pilger das +Königreich Shen-shen, ein kupiertes, hügeliges Land mit magerem, +unfruchtbarem Boden. Die Kleidungsstücke der gewöhnlichen Leute sind +einfach und gleichen den in unserem Lande Han gewebten; einige tragen +Filz und andere Serge oder härene Stoffe. Der König gehorchte unserem +Gesetze, und in dem Königreiche gibt es wohl mehr als 4000 Mönche, die +alle das Hinayana (das kleine Erlösungsmittel) studieren. Die breiteren +Schichten der Bevölkerung dieses und anderer Königreiche in dieser +Gegend, wie auch die Sramanen (Mönche) leben alle auf indische Weise, +diese jedoch strenger, jene etwas freier. Hier hielten sich die Pilger +ungefähr einen Monat auf und setzten dann ihre Reise fort, worauf sie +ein fünfzehntägiger Marsch nach Nordwesten nach dem Lande Wu-e führte. +Hier gab es über 4000 Mönche, die alle das Hinayana studierten.»“ + +„Hsian-Tsang (629-645 n. Chr.) passierte zweihundert Jahre nach Fa-Heen +auf der Rückreise von Indien Lau-lan, aber seine Nachrichten von dem +Lande sind außerordentlich dürftig. Wir erfahren nur, daß er, nachdem +er die mit Mauern umgebene, aber verlassene Stadt Tsche-mo-to-na oder +Nimo verlassen hatte, 1000 Li in nordöstlicher Richtung reiste und +Na-po-po erreichte, welches dasselbe ist wie Lau-lan.“ + +Aus diesen von Macartney zusammengestellten Angaben ersehen wir, daß +Lôu-lan seinerzeit eine gewisse Bedeutung hatte. Wahrscheinlich würde +man durch fortgesetzte Ausgrabungen noch reichere Funde machen können +als die, von denen ich kurz berichtet habe. + + + + +Sechstes Kapitel. + +Ein Nivellement durch die Lopwüste. + + +Am 10. März frühmorgens wurde es im Lager unruhig; wir wollten von +unserer festen Operationsbasis aufbrechen und die stille Stadt +wieder ihrer tausendjährigen Ruhe überlassen. Wird je wieder ein +abendländischer Pilger in den Mauern von Lôu-lan zu Gaste sein? + +Drei Eissäcke wurden den Kamelen geopfert, die kauen durften, soviel +sie wollten; die Last war auf jeden Fall zu schwer. Die eingeheimste +Ernte an Schnitzereien und anderen Dingen wurde zu Packen gebunden und +das Gepäck geordnet. Die Karawane sollte hier in zwei Partien geteilt +werden. Ich wollte südwärts gehen, um ein Präzisionsnivellement durch +die Wüste nach dem Kara-koschun auszuführen. Als Begleiter hatte ich +Schagdur, Kutschuk, Chodai Kullu und Chodai Värdi ausersehen. Wir +brauchten nur vier Kamele, eines für das Gepäck und drei für Eis (Abb. +216). Ich nahm nur das Unentbehrlichste an Proviant und Kleidern, +Instrumente, alles zum Nivellieren Nötige, die halbe Jurte und das +halbe Bett mit; die Leute konnten unter freiem Himmel schlafen. Die +Frühlingswärme war bereits so stark, daß der Ofen überflüssig war. Der +Proviant wog nicht viel. Das Wenige, was noch an Reis und Brot da war, +wurde in für acht Tage berechnete Rationen geteilt. + +Der übrige Teil der Karawane, Faisullah, Li Loje und Mollah, sechs +Kamele, drei Pferde, die drei Hunde und das ganze schwerere Gepäck +nebst Eis und Proviant für vier Tage sollten allein weiterziehen. + +Faisullah, der im vorigen Jahre die Wüstendurchquerung von +Altimisch-bulak an mitgemacht hatte, mußte nach Kum-tschappgan, wo +wir uns wieder treffen wollten, hinfinden können. Er hatte Befehl, +sich direkt dorthin zu begeben und dort auf unsere Ankunft zu warten. +Der Sicherheit halber erhielt er gründlichen Unterricht, wie er sich +vom Kompaß nach Südwesten führen lassen müsse. Ich war von Faisullahs +Klugheit und Vorsicht überzeugt, hielt es aber doch für besser, alle +Kartenblätter von dieser Reise, die Manuskripte und Stäbe aus Lôu-lan, +meine Notizbücher und die Beobachtungsjournale selbst mitzunehmen. +Obgleich Faisullah, wie wir noch hören werden, ein höchst unerwartetes +Abenteuer hatte, wären die kostbaren Papiere bei ihm doch sicherer +gewesen als bei mir, wie sich noch zeigen wird! + +Während die beiden Karawanen beladen wurden, brach ich auf. Faisullah +und seine beiden Kameraden halfen Chodai Värdi, der Befehl hatte, uns +mit unseren vier Kamelen nachzukommen und sich am Abend bereitzuhalten, +das Lager aufzuschlagen. + +Zum Ausgangspunkte des Nivellements wählte ich den Platz an der Basis +des Turmes, wo meine Jurte gestanden hatte. Hier wurde die 4 Meter hohe +Nivellierlatte zum ersten Male aufgerichtet. Sie wurde stets auf eine +Platte gestellt, um nicht einzusinken, wenn sie halb umgedreht wurde. +Schagdur handhabte sie während der ganzen Wanderung auf mustergültige +Weise. Das Fernrohr wurde 100 Meter südlich von ihr aufgestellt, und +ich machte meine erste Ablesung, worauf Schagdur am Fernrohr vorbeiging +und die Latte zum zweiten Male 100 Meter südlich davon aufstellte -- +und so weiter, Tag für Tag, bis an den Kara-koschun, wohin wir 81½ +Kilometer hatten! + +Der Abstand zwischen Fernrohr und Stange wurde von Kutschuk und +Chodai Kullu mit einem 50 Meter langen Bandmaße gemessen, das also +jedesmal zweimal auf der Erde abrollte. Das Fernrohr mit seinem Stativ +wurde beim Weitergehen von Kutschuk getragen. Ich selbst hatte die +Ablesungen, Kompaßpeilungen, Marschroute und Aufzeichnungen über den +Charakter des Terrains zu machen. + +Bevor die Leute an diese für sie neue Arbeit gewöhnt waren, kamen wir +nur langsam weiter; aber nicht lange dauerte es, so ging alles seinen +regelrechten Gang, und es gab keine unnötigen Verzögerungen mehr. + +In dieser Richtung, von Lôu-lan nach Süden, war es sehr deutlich zu +merken, daß wir die Uferlinie des früheren Sees passierten. Die toten +Bäume, Sträucher und Schilfstoppeln hörten mit einem Schlag auf, und +nun waren wir auf ödem, graugelbem Lehmboden ohne alle Vegetation, wo +wir uns ohne Zweifel auf einem alten Seeboden befanden. + +Einundneunzigmal waren die Stange und das Fernrohr vorgerückt, bevor +wir es, nach einem Marsche von 9140 Meter, an der Zeit hielten zu +lagern. Es fing an dämmerig zu werden. Aber Chodai Värdi mit den vier +Kamelen war nicht zu erblicken. Wir spähten von Hügeln und Kegeln nach +ihm aus, doch der Mann war spurlos verschwunden. Hatte er sich verirrt? +Hatte er mich mißverstanden und Faisullah begleitet oder war er bei den +Ruinen geblieben? + +An einem Punkte, wo wieder dürres Holz auftrat, zündeten wir auf +einem Hügel ein großes Signalfeuer an. Schagdur begab sich trotz der +Dunkelheit auf die Suche. Ich war in größter Unruhe. Wenn Chodai Värdi +sich verirrt hatte, war er verloren. Er war noch nie in der Gegend +gewesen und hatte keine Ahnung, wohin er gehen mußte, um nach dem +Kara-koschun zu gelangen. Und fanden wir ihn nicht wieder, so würde +natürlich auch unsere Lage -- ohne Wasser und ohne Nahrung -- kritisch +sein; es war bis an den See noch so weit, daß unsere Kräfte schwerlich +so weit reichen konnten, und nach der isolierten Quelle zurückzukehren, +wäre ebenso verzweifelt gewesen. Doch am meisten von allem quälte mich +der Gedanke: sollten alle Resultate einer viermonatigen Wanderung nur +durch die Dummheit eines Dieners verlorengehen? + +Wir zerbrachen uns den Kopf und lauschten und stapelten alles, was Holz +hieß, auf das Feuer, das hoch und wild in der sonst undurchdringlichen +Dunkelheit flammte. Kein Laut war zu hören. Die Wüste lag so tot und +öde da, als gehörte sie nicht einem von Menschen bewohnten Planeten an. +Statt uns nach der anstrengenden Arbeit und Fußwanderung des Tages an +Wasser laben können, hielt uns nun diese unheimliche, düstere Unruhe +gepackt. Es bedurfte jetzt nur noch eines Nebelsturmes -- dann wäre +alles verloren gewesen! + +So schlimm sollte es nicht werden. Im nächtlichen Dunkel ertönten +tappende Schritte: Chodai Värdi kam mit den Kamelen wohlbehalten an! +Ich war froh, nichts eingebüßt zu haben, so daß ich ganz vergaß, ihm +seine wohlverdiente Schelte zukommen zu lassen. Er erklärte, daß er +durch die Form der Lehmterrassen gezwungen worden sei, sich zu weit +nach rechts zu halten, und nachher weder uns noch eine Spur habe +wiederfinden können. Als er abends im Südwesten ein Feuer gesehen habe, +sei ihm endlich klar geworden, daß er sich auf Irrwegen befinde -- dies +war nämlich Faisullahs Feuer. Er sei also umgekehrt und habe schon aus +sehr weiter Ferne unser Feuer erblickt, auf das er nun losgesteuert +sei. Es war wirklich ein Wunder, daß keines der Kamele sich beim +Überschreiten dieser unzähligen, finsteren, gähnenden Gräben in der +Dunkelheit die Beine gebrochen hatte. + +In aller Eile wurde das Lager aufgeschlagen und der Kessel auf das +Feuer gesetzt. Schagdur war und blieb fort, und Chodai Kullu wurde +mit der Flinte ausgeschickt, um einige Signalschüsse abzufeuern. +Daß er weit ging, konnte man hören, da die Schüsse allmählich immer +schwächer wurden und schließlich in der Ferne erstarben. Doch er kam +unverrichteter Sache wieder, und wir gingen zur Ruhe. + +Daß dieses Abenteuer noch so ablief, war eine Fügung der Vorsehung; +aber daß ein Mensch wie Chodai Värdi, der sonst stets gesunden +Verstand gezeigt, so unglaublich dumm sein konnte, ist unerklärlich. +Er war 12 Stunden kreuz und quer in der Wüste umhergeirrt, während wir +nur 9,1 Kilometer zurückgelegt hatten. Vom Lager konnte man sogar noch +den Lehmturm von Lôu-lan sehen. Um Schagdur hatte ich nicht Angst. +Ich kannte ihn zur Genüge, um zu wissen, daß er sich allein nach dem +Kara-koschun durchschlagen würde. Er hatte stets einen Kompaß bei sich +und wußte auf meinen Karten gut Bescheid. + +Am folgenden Morgen erwachte ich bei einem vollen Sturm, der dicke +Sandwolken durch die Rinne trieb, in der wir lagerten; sie zogen in ihr +dahin wie Wasser in seinem Bette, und der Sand feilte die Seiten der +Lehmterrassen. Die öde Landschaft sah in dieser neuen Beleuchtung, die +der des gestrigen Feuers so unähnlich war, geradezu schauerlich fremd +aus. Nivellieren war ganz unmöglich; wir mußten liegenbleiben. Schagdur +fand sich nicht ein; er hatte in dem heimtückischen Sturme offenbar +unsere Spur verloren. + +Am Vormittag hielt ich mich meistens bei den Kamelen auf. Ich saß bei +ihnen, streichelte ihnen den Kopf und klopfte ihnen den Rücken. Wenn +sie nur geahnt hätten, wie ich sie schätzte, wie dankbar ich ihnen für +die Dienste war, die sie mir geleistet hatten, und wie leid es mir tat, +daß ich sie einem Führer anvertraut hatte, der sie nutzlos gequält und +ihre empfindlichen Fußschwielen unnötigerweise in der harten Lehmwüste +angestrengt hatte. Ruhig, zufrieden und würdig wie immer lagen sie da +und glaubten wohl, es sei notwendig gewesen, 40 Kilometer in der Wüste +umherzuirren. Ohne Rücksicht auf die Folgen ließ ich ihnen einen Sack +Kamisch und einen Sack Eis geben. Doch welch ein Lohn wartete ihrer +später! Alle, außer einem, starben in Tibet. + +Mein Erstaunen war grenzenlos, als um die Mittagszeit Schagdur mit +leichten, elastischen Schritten aus dem Staubnebel auftauchte! Der +prächtige Junge, der einen ganzen Stamm von Muselmännern aufwiegt, war, +seit er uns am vorigen Abend um 5 Uhr verlassen hatte, unausgesetzt +auf den Beinen gewesen. In der Nacht hatte er Faisullahs Feuer gesehen +und war dorthingeeilt. Ich hatte nämlich Faisullah befohlen, das Feuer +bis spät in die Nacht zu unterhalten, nur um der Kuriosität halber +feststellen zu können, ob es bei uns auf 20 Kilometer Abstand sichtbar +wäre. Von Faisullah hatte Schagdur einen kleinen Vorrat Reis und Eis +erhalten, denn, als sich jetzt der Sturm erhob, hatten sie gefürchtet, +daß er uns nicht wiederfinden würde. + +Er wollte es versuchen. Glücklicherweise hatte er auf dem Hinwege die +Kompaßpeilungen aufgezeichnet. Ein paarmal hatte er die Spur von Chodai +Värdis Kamelen gesehen, sie dann aber wieder verloren. + +Daß er uns fand, war ein Meisterstück sondergleichen. Nur ein Burjat, +der sein Leben unter freiem Himmel in der Wildnis zugebracht hat und +dazu Kosak ist, bringt derartiges fertig. Denn man muß bedenken, daß +die Lager 20 Kilometer voneinander entfernt lagen, der Boden eben wie +eine Wasserfläche war und man im Nebelsturme höchstens 50 Meter weit +vor sich sehen konnte und alle Spuren zugeweht waren. Wenn ein Mensch +solche Beweise von Tüchtigkeit, Klugheit und Treue gibt, kann man ihm +alles anvertrauen -- und das tat ich später auch ein paarmal. + +Es machte uns freilich einen Strich durch die Rechnung, daß wir einen +ganzen Tag verloren, doch was tat das, da der Himmel mir den schweren +Verlust, der mir drohte, erspart hatte? Wir versuchten unseren Weg +fortzusetzen, aber es ging nicht. Wenn der Wind 11 Meter in der Sekunde +macht, schwankt die Stange und kann abbrechen, und das Fernrohr zittert +auf seinem Stativ. Wir mußten uns gedulden und noch eine Nacht auf +diesem wüsten Platze zubringen. + +Am 12. März war ein herrlicher Tag, und wir begannen früh, arbeiteten +bis Sonnenuntergang und hielten nur um 1 Uhr zehn Minuten Rast zur +Ablesung der meteorologischen Instrumente. Jetzt führte Chodai Kullu +die Kamele, mußte aber ganz in unserer Nähe bleiben. Der Weg ging nach +Südsüdosten. Die Winderosionsfurchen ziehen sich nach Südwesten, und +wir mußten über die zwischen ihnen liegenden Rücken hinüber. Für uns +Fußgänger ging es wohl an, aber für die Kamele war es sehr ermüdend. +Sie mußten in weiten Umwegen geführt werden, während wir mit den +Instrumenten in geraden Linien vorrückten. + +Abwechslung bietet sich dem Auge nicht mehr, aber das kann man in einer +Wüste auch nicht verlangen. Ein Unterschied gegen die westlichere Linie +des vorigen Jahres war, daß wir hier weniger, ja fast gar keinen Sand +hatten. In den Rinnen ist der Boden oft mit einer fußdicken Schicht von +feinem Staub bedeckt, in den man einsinkt wie in Wasser. Meistens haben +wir jedoch harten Lehmboden, und bald schmerzen uns von dem ewigen +Springen die Füße. + +Gegen Sonnenuntergang mußte Chodai Kullu vorausgehen und das Lager +aufschlagen, so daß alles fertig war, als wir mit der Tagesarbeit +aufhörten. Der Fixpunkt, wo die Arbeit unterbrochen und am folgenden +Morgen wiederaufgenommen werden muß, wird so gewählt, daß irgendwelche +Verrückung während der Nacht ausgeschlossen ist. + +Mit wachsendem Interesse rechnete ich abends aus, was die Zahlenreihen +zu sagen hatten. Heute zeigten sie mir, daß wir auf 11201 Meter 2,466 +Meter gefallen waren. Ich würde diese ermüdende, die Geduld auf die +Probe stellende Arbeit nicht ausgehalten haben, wenn ich nicht eine +wichtige Entdeckung erwartet hätte. Die nivellierte Linie sollte das +entscheidende Urteil über das Lop-nor-Problem fällen. Ihr Profil würde +zeigen, ob es möglich oder unmöglich war, daß im nördlichen Teile der +Wüste Lop ein See gelegen hat. + +Frühauf und gleich an die Arbeit, ist jetzt morgens die Losung. + +Der Boden wurde heute günstiger. Die Jardang folgen nicht mehr so dicht +aufeinander und sind niedriger, wir brauchen nicht soviel zu klettern. +Aber Schneckenschalen sind allgemein, manchmal ist der Boden von ihnen +ganz weißgetüpfelt. Kleine Höcker auf der Oberfläche abgerechnet, ist +der Boden so eben wie ein Fußboden. + +War diese Gegend für das Auge trostlos und einförmig, so war sie für +das Nivellement um so bequemer. Keine Hindernisse stellten sich uns in +den Weg; wir gingen in gerader Linie, rasch und ohne Unterbrechung. +Wenn das Fernrohr mit der Wasserwage eingestellt ist und ich es um den +Horizont führe, liegt dieser überall in genau demselben Abstande von +den horizontalen Fäden des Fadenkreuzes. + +Fünf Scharen Enten streichen gen Norden. Kutschuk vermutete witzig, +daß unsere Entsatzexpedition unter Tokta Ahun sie vom Nordufer des +Kara-koschun vertrieben habe. Wahrscheinlich ist, daß die Enten sich +im Winter an diesem See und im Sommer am Bagrasch-köll aufhalten. +Eine Eintagsfliege machte eine Runde um uns und verschwand wie ein +funkelnder Smaragd in südlicher Richtung. + +Während dieses Tages stiegen wir 2,763 Meter und befanden uns 0,11 +Meter höher als im Ausgangspunkte in Lôu-lan. Wir waren mit anderen +Worten auf 32 Kilometer Wegstrecke 11 Zentimeter gestiegen! Schon +in diesem Lager hatte ich also den Schlüssel des Lop-nor-Problems +gefunden. Die beiden ersten Tage waren wir gefallen, den dritten +gestiegen; wir hatten also eine deutliche Depression überschritten, und +diese ist es, die das ehemalige Bett des Lop-nor repräsentiert. Das +Resultat der Arbeit der folgenden Tage würde auf diesen Schluß nicht +mehr einwirken. Wir waren durch ein Becken gegangen, gleichviel in +welchem Niveau sich der Kara-koschun im Verhältnis zum Ausgangspunkte +befinden mochte; und daß dieses Becken einst Wasser enthalten hatte, +wurde durch die Schneckenschalen und viele andere bereits erwähnte +Umstände bewiesen. + +Mit dem Schlage 7 Uhr ertönte ein pfeifendes Brausen im Nordosten, +und ein paar Minuten später fuhr der schwarze Sturm mit ungezügelter +Wut über den Boden, der ihm nicht das geringste Hindernis in den +Weg stellte. Die Sonne war in außergewöhnlicher Weise in dichten +Wolken untergegangen, und der Tag war drückend schwül gewesen. +Alle notwendigen Vorsichtsmaßregeln wurden getroffen, der Fixpunkt +festgeschlossen, die Jurte gründlich festgemacht, die Feuer ausgelöscht +und, nachdem die Kamele mit den Köpfen auf die vom Winde abgewandte +Seite gebracht worden waren, bereitete sich jeder auf das, was kommen +sollte, vor; es wurde still im Lager, und nur der Sturm heulte um +uns herum. Der Flugsand drang durch das Zelttuch; draußen war es +stockfinster, und keine Sterne waren zu sehen. + +Jeden Abend um 9 Uhr stellte Schagdur das Kochthermometer, das ich +stets selbst ablas. Als er von meiner Jurte nach seinem Schlafplatze +neben der Küchengeschirr enthaltenden Kiste zurückkehren wollte, fand +er sich, trotzdem es nur 15 Schritte waren, nicht zurecht und verirrte +sich. Eine halbe Stunde später hörte ich schwaches Rufen aus einer ganz +anderen Richtung. Ich rief aus vollem Halse, und Schagdur fand sich so +nach der Jurte zurück. Er war die ganze Zeit gekrochen, denn Stehen war +unmöglich, und pechfinster war es auf allen Seiten. Nur auf folgende +Weise konnte er seinen Platz finden; ich hielt eine kleine Spalte im +Zelttuche offen, und den Blick auf diese gerichtet, kroch er rückwärts, +bis er bei der Kiste anlangte. Wer nie einen solchen Sturm erlebt hat, +kann sich keinen Begriff davon machen. Man wird verdreht und will +nur gehen, immerzu gehen, weiß aber nicht, wohin der Weg führt; der +Ortssinn scheint gelähmt zu sein, man geht im Kreise, glaubt aber in +gerader Linie zu gehen. Es ist eine Art Wüstensturmkrankheit, die näher +mit der Platzkrankheit als mit See- und Bergkrankheit verwandt ist; sie +schlägt sich auf das Gehirn. Wäre Chodai Värdi von solch einem Sturme +überfallen worden, so wäre er verloren gewesen. + +Am folgenden Morgen waren die Folgen des schwarzen Sturmes deutlich +erkennbar. Um meine Jurte hatte der Sand eine Ringdüne gebildet, +und auch hinter den Köpfen der Kamele hatten sich große Sandhaufen +gebildet. Sobald sich ein Hindernis im Wege des Flugsandes erhebt, +entstehen Dünen; sonst treibt er nach Westen. + +Glücklicherweise hörte der Sturm um 11 Uhr auf, und wir konnten nach +Süden weiterziehen. + +Die Wüste ist trostlos einförmig; der Boden besteht aus einem Gemenge, +das die Eingeborenen „Schor“ nennen. Sand, Staub, Kalk und Salz, alles +erstarrt und zu einer ziegelharten Masse zusammengebacken. Das Salz ist +manchmal in dünnen Schollen abgesondert. Als das Wasser verschwunden +war, scheint diese Masse sich durch Austrocknen ausgedehnt zu haben, +denn sie ist zu unzähligen, nach allen möglichen Richtungen laufenden +Wülsten aufgesprungen; die Höhe dieser beträgt manchmal 75 Zentimeter. +Hier gibt es absolut keine Spur von vegetativem oder animalem +Leben, nicht einmal eine Schneckenschale. Es ist offenbar der Boden +eines Salzsees, und wir wissen auch, daß die Chinesen den Lop-nor +in alten Zeiten den „Salzsee“ genannt haben. Auch der Kara-koschun +hat abgeschnürte Teile, deren Wasser salzig ist, und im Süden dieses +Sees sieht der früher überschwemmte Boden genau so aus wie hier -- am +südlichen Ufergebiete des alten Lop-nor. + +[Illustration: 192. Lager mitten in der Sandwüste. (S. 22.)] + +[Illustration: 193. Brunnen, in der letzten Oase gegraben. (S. 23.)] + +Die Steigung fährt fort, obgleich nur mit 0,644 Meter auf 11250 Meter. +In dem heutigen Lager befanden wir uns also um 0,754 Meter über dem +Ausgangpunkte. Dies schien des Guten zuviel zu werden; der Kara-koschun +konnte doch nicht höher liegen als Lôu-lan! Alle meine Gedanken und +Grübeleien drehten sich um diese interessante Nivellierungslinie. Die +folgenden Tage, deren Verlauf ich mit Spannung entgegensah, würden +zeigen, ob wir nicht eine flache Protuberanz oder Wasserscheide +zwischen dem früheren und dem jetzigen Seebecken zu passieren hatten. + +15. März. Schor, den ganzen Tag Schor, tödlich einförmig! Kein +Gegenstand, auf den man das Fernrohr richten könnte, nichts, was lockt, +als die Sehnsucht, aus dieser langweiligen Wüste herauszukommen! + +Das Wetter jedoch war herrlich, und um 1 Uhr stieg die Temperatur nur +auf +11 Grad. Aber unsere Lage war insofern kritisch, als wir kaum +noch etwas zu essen hatten. Der Reisvorrat hatte ein Ende genommen, +nur ein kleiner Beutel mit geröstetem Mehle war noch da; die Männer +hatten Tee, ich Kaffee und Zucker, -- das war alles. Die Kamele +hielten sich vortrefflich; sie mußten die Polsterung ihrer Packsättel +auffressen. Trinkwasser war zur Genüge vorhanden, hatte aber von den +Ziegenlederschläuchen einen widerlichen Beigeschmack angenommen. Noch +schwammen einige Eisstücke darin, und nur diese waren genießbar. + +Vergeblich suchten wir am Horizont nach einer Rauchsäule von Tokta +Ahuns Signalfeuern. Schagdur spähte mit dem Feldstecher, ich mit dem +Fernrohr danach aus, aber nichts war zu sehen. Eine kleine Abwechslung +bot sich uns zu Ende des Marsches, indem wir an einigen, halb in den +Schorboden eingebetteten Pappelstämmen vorbeikamen. Es war Treibholz, +das einst, als das Land unter Wasser stand, hierher geschwemmt worden +war. + +Das heutige Nivellierungsresultat war 0,304 Meter Fall auf 16226 Meter. +Nach einer ebeneren Landschaft kann man auf der Oberfläche der Erde +lange suchen! 30 Zentimeter Gefälle auf 16 Kilometer! + +Wir hatten also die vermutete Protuberanz passiert, und aller +Wahrscheinlichkeit nach würde das Gelände nun nach dem südlichen +Seebecken fallen. + +Als wir am Morgen des 16. aufbrachen, mußten wir nach der vorjährigen +Marschroute nicht viel mehr als 20 Kilometer vom Kara-koschun entfernt +sein. Wir erhielten auch bald die ersten Anzeichen von „Land“; wir +begannen zu merken, daß wir uns dem Strande des Wüstenmeeres nahten. +Die äußersten „Schären“ bestanden aus ein paar toten oder sterbenden +Tamarisken. Diese traten nach und nach häufiger auf, und ihre treuen +Begleiter, eine kleine einen Meter hohe Sanddüne auf der vor dem Winde +geschützten Seite jedes Strauches, waren unseren schmerzenden Füßen +sehr willkommen. + +Enten streiften in Menge umher, aber ihre Bahnen waren merkwürdig +unregelmäßig. Bald flogen sie nach Süden, bald nach Norden, bald kamen +sie von Südwesten, um sich nach Südosten zu begeben, nachdem sie +über uns einen Kreis beschrieben, als machten sie nur einen Ausflug +oder eine Rekognoszierung. Was bezwecken sie damit? Sind sie Herolde +oder Kundschafter, die ausgeschickt werden, um zu sehen, ob sich im +Norden neue Seen gebildet haben? Ahnen sie am Ende, daß der Lop-nor im +Begriffe steht, sein Bett wieder zu verlegen? Sie haben sicher gemerkt, +daß es im Kara-koschun zu eng und die offenen Wasserflächen immer +seltener werden. + +Die Berechnung der heutigen Nivellierung ergab einen Fall von 2,172 +Meter auf eine Strecke von 16000 Meter. Wir hatten also offenbar +Fühlung mit dem Becken des Kara-koschun, der südlichen Depression der +Lopwüste. + +Der 17. März wurde für uns ein Freudentag. Die Entfernung bis nach dem +See konnte nicht mehr groß sein, erschien uns aber endlos, weil keine +Anzeichen seine Nähe verkündeten. Die Zahlenreihen vergrößerten sich +langsam, und wir alle waren müde, was kein Wunder ist, wenn man sich +nicht satt essen kann. + +Dann aber zeigten sich im Süden verschiedene Entenscharen, die zwischen +Osten und Westen kreisten, ja sogar einige Falken. Als die Latte zum +siebzehnten Male auf einer Sanddüne aufgerichtet wurde, blieben die +Männer stehen, zeigten nach Süden und riefen: „Wasser, Wasser auf allen +Seiten!“ Wir waren dem See so nahe, daß schon beim neunzehnten Male die +Latte unmittelbar am Wasserrande aufgestellt werden konnte. + +So standen wir denn schließlich, wie aus den Wolken gefallen, am +Endpunkte dieser ermüdenden, Geduld erfordernden, aber bedeutungsvollen +Nivellierarbeit. Es war ein unbeschreiblich schönes und herrliches +Gefühl, denn jetzt konnten wir ein neues Kapitel beginnen und neuen +Schicksalen entgegengehen! + +Wie war das Nordufer des Kara-koschun hier unähnlich dem Punkte, an dem +wir es im vorigen Jahre erreicht hatten. Der Strand war vollständig +kahl und öde und wurde von einem sehr unbedeutenden Sandgürtel +begleitet. Frei und offen lag der Wasserspiegel da. Das Wasser war +merklich salzhaltig, aber jedenfalls besser als die faulige Suppe, die +wir in unseren Ziegenschläuchen hatten. + +Das Lager wurde unmittelbar am Ufer aufgeschlagen. Die Kamele warfen +einen ruhigen, forschenden Blick auf das Wasser. Es war eine kalte öde +Landschaft, jedoch verglichen mit den sterilen Gegenden, die wir eben +durchzogen hatten, war sie ein Paradies. + +Sobald wir die Nivellierungsinstrumente aus der Hand gelegt hatten, +erhielt Chodai Kullu Befehl, nach Südwesten aufzubrechen und, ohne zu +rasten, Tag und Nacht zu gehen, bis er Tokta Ahuns Entsatzkarawane, +die nicht weit entfernt sein konnte, fände. Daß sie hier nicht hatte +vorbei- und nach Nordosten weitergezogen sein können, war ersichtlich, +da sich im Erdboden nicht die geringste menschliche Spur zeigte. Der +Kundschafter verschwand in dem dichten Nebel; er hatte keinen Proviant +mit, aber an Wasser brauchte er keinen Mangel zu leiden. Wir sollten +warten, wo wir waren. + +Jetzt begann wieder das Leben ~à la~ Robinson Crusoe. Unser +erster Gedanke war, uns etwas Eßbares zu verschaffen. Schagdur zog mit +der Schrotflinte aus und kam mit zwei fetten Enten wieder, die wir +brüderlich teilten. Kutschuk wollte nicht hinter ihm zurückstehen; +er wollte sein Glück im See versuchen. Ein improvisiertes Boot +wurde hergestellt, -- es war nicht das erstemal, daß ich mich als +Schiffsbaumeister versuchte. Den Hauptbestandteil bildete meine +wasserdichte Instrumentkiste. An ihren Langseiten wurden die Hälften +der jetzt überflüssig gewordenen Nivellierlatte und an diesen die +leeren Schläuche festgebunden. In diesem etwas unbequemen Fahrzeuge, +das mit einem Spaten gerudert wurde, navigierte Kutschuk auf den +flachen Sümpfen. Fische sah er jedoch nicht. Das Wasser war zu salzig, +und es fehlte dem See an Vegetation. + +Unterdessen rechnete ich das Resultat des Nivellements aus. Wir waren +noch 55 Zentimeter gefallen. Es stellte sich demnach heraus, daß das +Nordufer des Kara-koschun 2,272 Meter unter dem Ausgangspunkt in +Lôu-lan liegt; im ganzen hatte der Fall kaum 2⅓ Meter auf 81,6 +Kilometer betragen. Ich hatte nicht nur bewiesen, daß infolge des +Reliefs des Landes ein See im nördlichen Teile der Lopwüste existiert +haben +kann+, sondern auch, daß ein solcher dort tatsächlich sein Bett +gehabt hat. + +Hier ist nicht der Ort, diese merkwürdige Linie in ihren Einzelheiten +zu analysieren. Ich will nur daran erinnern, daß, obgleich der +Ausgangspunkt wie der Endpunkt willkürlich waren, die Linie selbst +doch ihre unanfechtbare Beweiskraft behält. Der Ausgangspunkt wurde +zufällig von unserem Lager in Lôu-lan gewählt, der Endpunkt am +Spiegel des Kara-koschun, der veränderlich ist; der See war in dieser +Jahreszeit ansehnlich gefallen. Wenn das Wasser der Eisschmelze +hierher gelangt, steigt er wieder und dann verringert sich der +Höhenunterschied noch mehr. Damit jedoch eine solche Linie vollen Wert +habe, ist erforderlich, daß man nach dem Ausgangspunkte zurückkehrt +und eine Kontrolle der Ablesungen erhält, deren Summe ±0 sein soll. +Entsteht ein Fehler, so kann er auf die ganze Linie verteilt werden. +Aber die Zeit erlaubte mir nicht umzukehren, und die Jahreszeit war +auch schon zu weit vorgeschritten. Ihren Hauptzweck hatte auch die +einfache Nivellierungslinie erfüllt, indem sie das Vorhandensein einer +Depression bewiesen hatte. + +Ganz passend für uns erhob sich der vierte Sandsturm des Frühlings am +Abend. Wäre er um die Mittagszeit gekommen, so wären wir gezwungen +gewesen, die Arbeit zu unterbrechen und in der Nähe des Sees zu bleiben +und zu warten -- und das wäre ein langes Warten geworden. Denn während +der beiden Tage und drei Nächte, die wir am Ufer lagerten, ging ein +heftiger Wind; die Luft war so dick wie trübes Wasser, und der Sand +regnete in meine Jurte. + +Es reute mich, daß ich Chodai Kullu hatte gehen lassen; wir vermuteten +aber, daß er die Nacht irgendwo untergekrochen sein würde. Das +Einzige, was er bei sich hatte, waren Streichhölzer zum Anzünden von +Signalfeuern, aber so wie das Wetter jetzt war, hätte man ein Feuer +keine 200 Meter weit sehen können. An einem Punkte am Strande, wo +altes, welkes Schilf von den Stürmen nach Südwesten niedergebrochen +war, steckten wir dieses in Brand. Der dicke Rauch würde vielleicht +nach dem Lager der Entsatzkarawane hintreiben und unsere Ankunft +signalisieren. + +Als Chodai Kullu auch am zweiten Tage nichts von sich hören ließ, +wurden wir unruhig. Hier war entschieden irgendetwas nicht in +Ordnung. Vergebens spähten wir am Strande umher; aber keine anderen +Erscheinungen als unsere eigenen Kamele tauchten aus dem Nebel auf. Wir +konnten nicht lange so untätig liegen bleiben. Glücklicherweise schoß +Schagdur fünf Enten, die sofort am Feuer gebraten und verzehrt wurden, +obwohl sie stark mit Flugsand gepfeffert waren. + +Am allermeisten plagte mich die Sehnsucht nach der Post, denn auch sie +mußte sich in Tokta Ahuns Lager befinden. Der Tag war endlos lang, und +kein Kundschafter ließ sich blicken. Die Lage wurde nicht angenehmer +durch den ewig umherwirbelnden Flugsand, der gegen die Jurte klatschte +wie feiner Staubregen gegen eine Kutsche. + +Auch am 19. März verhinderte mich der Sturm, eine wünschenswerte +Breitenbestimmung zu machen. Wie schon erwähnt, haben wir keinen Reis +mehr, und wir sind fürchterlich hungrig -- so schlecht hatte ich es +seit den Takla-makan-Tagen im Jahre 1895 nicht mehr gehabt. + +[Illustration: 194. Auf dem Wege nach Altimisch-bulak. (S. 32.)] + +[Illustration: 195. Das angeschossene Kamelweibchen. (S. 32.)] + +[Illustration: 196. Reinigung des Kamelskeletts im Lager in +Altimisch-bulak. (S. 32.)] + +[Illustration: 197. Aus der Oase Altimisch-bulak. (S. 33.)] + +[Illustration: 198. Prüfung des Nivellierinstruments bei +Altimisch-bulak. (S. 33.)] + +Schagdur machte auf einem Ausfluge eine unerwartete Entdeckung. Er +hatte weiter westlich einen See gefunden, der sich nach Nordwesten und +Norden erstreckte, und längs des Ufers hatte er Chodai Kullus Fußspuren +gesehen. Wir befanden uns augenscheinlich in einem Labyrinth von +verwickelten Wasserflächen. Vielleicht hatten sie auch Tokta Ahun den +Weg verlegt. Jetzt mußte ein Entschluß gefaßt werden. Wie wäre es, wenn +wir uns um die anderen gar nicht kümmerten und östlich und südlich um +den Kara-koschun herum auf eigene Hand nach Abdall zögen? Doch nein, +wir hatten keinen Proviant, und in wenigen Tagen würde unsere Lage +verzweifelt sein. Für alle Fälle mußte sich Kutschuk nach Osten begeben +und rekognoszieren. Er kam wieder, nachdem er 11 Kilometer zurückgelegt +hatte, hatte einige alte, längstverlassene Kamischhütten gefunden, +einen Hügel bestiegen und dort die offene Wasserfläche gar bald im +Nebel verschwinden sehen. + +Am Morgen des 20. war es klar, daß wir nicht länger auf Chodai Kullu +rechnen durften. Ohne Zweifel hatte er die anderen überhaupt nicht +gefunden, und es wäre ein Glück, wenn es ihm wenigstens gelungen wäre, +menschliche Wohnungen zu erreichen, bevor er vor Hunger zusammenbrach. + +Als wir von diesem unwirtlichen Strande, den wir zuerst mit so +hoffnungsvollen Gefühlen erblickt hatten, eilfertig aufbrachen, war der +Himmel noch grau und schwer. Am Ufer hatte sich ein schmaler Eisrand +von 2 Zentimeter Dicke gebildet, womit ein halber Sack gefüllt wurde, +und es war schön, daß man nicht mehr nötig hatte, sich das noch in den +Schläuchen vorhandene, fast untrinkbare Wasser hinunterzuquälen. + +Die Kamele waren ausgeruht und hatten leichte Lasten, so daß wir +schnell marschieren konnten. Wider Erwarten zwang uns das Seeufer +nach Nordwesten und Norden zu gehen. Links hatten wir die größten +Wasserflächen, die ich je im Kara-koschun gesehen habe, rechts die +Wüste. Diese Seen aber waren seicht; die Enten, die zu Tausenden +vorkamen, schnatterten und tauchten weit vom Strande. + +Nach mehrstündigem Marsch bestieg ich mein altes Reitkamel vom vorigen +Jahre. Ich beherrschte nun einen weiteren Horizont als die Fußgänger +und konnte sie rechtzeitig warnen, nicht gerade auf Sümpfe und Kanäle +loszugehen. + +Etwa 80 Meter vom jetzigen Seeufer erblickten wir in dem schmalen +Dünengürtel wieder Spuren von menschlichem Besuch. Es waren zwei +bis an den Dachfirst im Sande begrabene Kamischhütten. Gegen die +eine war ein Kahn gelehnt, dessen Vordersteven zwei Fuß weit aus dem +Sande hervorguckte. Der Fund war von Interesse. Die Hütten, das Boot, +die Hausgeräte, die wir fanden, zeigten, daß sich Fischerfamilien +wahrscheinlich noch vor wenigen Jahrzehnten in dieser Gegend +aufgehalten hatten. + +Mein erster Gedanke war, zu versuchen, ob sich nicht aus dem Kahne +Nutzen ziehen ließe. Die Leute machten sich sofort daran, ihn +auszugraben. Wäre er noch gut im Stande, so könnte man ihn zum +Rekognoszieren, Fischen und Tiefenloten gebrauchen. Sie hatten 2 Meter +von ihm freigelegt, als sich eine klaffende Spalte zeigte; er wurde +nun unbarmherzig der Vernichtung, die schon einen Teil seines Rumpfes +verzehrt hatte, wieder überlassen. + +Endlich bog das Seeufer gerade nach Westen ab, und wir machten es +ebenso. An seinem Rande stand das Schilf etwas dichter. Schagdur konnte +noch eine verlassene Hütte als Deckung benutzen, als er eine Schar +Enten beschlich. Er kehrte mit nicht weniger als sieben von ihnen +zurück und wurde mit Jubel empfangen -- wir konnten damit gut zwei Tage +lang die Lebensgeister aufrechterhalten. + +Unser See sah noch immer sehr umfangreich aus; sein Südufer war nicht +zu sehen, sondern verschwand im Nebel. + +Chodai Kullus Spur war fast den ganzen Tag deutlich zu erkennen. Doch +als der See auch in dieser Richtung aufhörte und wir über ödes Land +nach Südwesten zogen, zeigte es sich, daß der Mann nach Nordwesten +gegangen war. War er verrückt geworden? Hatte er wieder in die Wüste +hineingewollt? Jedenfalls mußten wir seine irrende, vergeblich suchende +Spur verlassen, um mit den Seen in Fühlung zu bleiben. An einigen +salzigen Tümpeln, wo die Kamelweide gut und Brennholz reichlich war, +lagerten wir und bedienten uns des am Morgen mitgenommenen Eisvorrates. + +Spät am Abend, als die Luft ein wenig klarer geworden war, zündeten +wir wieder große Feuer von dürren Tamarisken an. Doch sie loderten +auf, sprühten, glühten und verkohlten, ohne Antwort zu erhalten. Still +war die Nacht, kein verdächtiges Geräusch war zu hören, keine Reiter +kamen mit frohen Nachrichten ins Lager angesprengt, und keine Spur +von einem Kundschafter war zu entdecken. Meine Besorgnis und Ungeduld +wurden immer größer. Auf Chodai Kullu rechneten wir nicht mehr. +Faisullah mußte jetzt glücklich in Kum-tschappgan angekommen sein. +Warum ließ aber Tokta Ahun nichts von sich hören? Er hatte, als wir +uns am Anambaruin-gol trennten, Befehl erhalten, uns hier rechtzeitig +entgegenzukommen. Er mußte bereits seit mehreren Tagen am See sein. +Warum ließ er sich denn nicht blicken? Ich wußte, daß ich mich auf ihn +unbedingt verlassen konnte. War ihm auf der Rückreise nach Tscharchlik +ein Unglück zugestoßen und hatte er diesen Ort überhaupt nicht +erreicht? Oder hatte er sich nur durch diese seltsamen, wandernden +Seen, die sich von einem Jahr zum anderen bis zur Unkenntlichkeit +verändern, auf eine falsche Straße locken lassen? Wann würden wir +Antwort auf alle diese Fragen erhalten? Dunkel umhüllte uns die Nacht, +und die ersterbenden Feuer ließen nur noch schwache Rauchsäulen +aufsteigen. + +Am nächsten Tage ging es in derselben Richtung weiter, bald an See- +und Buchtufern entlang, bald über kahle Steppen. Schagdur kroch, +einer wilden Katze gleich, den Enten nach und erlegte wieder einige. +Ein wilder Eber rannte in so wildem Laufe durch das Schilf, daß der +Staub hoch aufwirbelte. Er war gar nicht scheu; es war ja auch nie ein +Flintenlauf auf ihn gerichtet gewesen, da er zu seinem eigenen Heil +nach dem Koran ein unreines Tier ist. + +So gelangten wir an einen neuen See, wo das Schilf dichter war als +bisher. Ich ritt auf meinem sicheren, wiegenden Kamele und nahm die +Umrisse dieser unbeständigen Seen auf einer Karte auf, wohl wissend, +daß die Verteilung von Wasser und Land hier in ein, zwei Jahren ganz +anders aussehen würde. + +Jetzt gebot uns ein schmaler Wasserarm Halt, der uns den ganzen Rest +des Tages völlig verdarb. Er war nur ein paar Meter breit und wenig +tief, aber sein Boden bestand aus so weichem, gefährlichem Schlamm, +daß wir nicht daran denken konnten, die Kamele hinüberzuführen. Wir +umgingen ihn südwärts und waren bald auf allen Seiten von Wasser +umgeben. Im Norden dehnten sich neue Seen aus. Als wir lagerten, +nachdem wir vergeblich nach einem Ausweg aus diesem Labyrinth gesucht +hatten, war das Land nur nach der Seite, von der wir gekommen waren, +hin offen, und obgleich wir nach Südwesten sollten, mußten wir am +Morgen doch nach Nordnordosten zurückgehen. + +Nie hat der Kara-koschun in so hohem Grade wie jetzt auf mich den +Eindruck eines Sumpfes gemacht. Er besteht hier nicht aus wirklichen +Seen, sondern nur aus seichten Überschwemmungen. + +Während der Nacht hatten sich neue Wasserarme gebildet, und wir mußten +früh aufbrechen, um nicht ganz auf einer Insel eingesperrt zu werden. +Wir selbst hätten wohl über das Wasser kommen können, aber die Kamele! +Dieser eigentümliche Schor-Boden, der ziegelhart wird, sobald er +trocknet, wird breiweich, sobald er überschwemmt wird. + +Es erfordert mehr als Geduld, in seinen eigenen Fußspuren wieder +zurückzugehen und statt Terrain zu gewinnen, schon gewonnenes wieder zu +verlieren. + +An einem breiten Wasserarme sahen wir wieder Chodai Kullus Spur. Er +war entschieden hinübergeschwommen, denn die Spur verschwand nachher. +Wo mochte der Arme geblieben sein? Jetzt waren es fünf Tage, seit ich +ihn fortgeschickt hatte. Daß er, wenn er überhaupt noch lebte, nicht +zurückkommen würde, war klar, denn ich hatte ihm gesagt, daß wir, +wenn er zu lange ausbleibe, östlich und südlich um den Kara-koschun +herumgehen würden. + +Am 23. März wanderten wir längst einer durch kleine Stromarme +miteinander verbundenen Seenkette nach Nordosten weiter. Ich ging weit +voraus. Die Gegend war unfruchtbar. Ich sah mit eigenen Augen, wie +der Kara-koschun nach Norden und Nordosten, nach dem alten Bette des +Lop-nor zurückgesogen wurde. Konnte ich wohl einen deutlicheren Beweis +dafür erhalten, daß meine Theorien von 1896 richtig waren? Es wurde mir +immer klarer, daß sowohl Tokta Ahun wie Chodai Kullu und möglicherweise +auch Faisullah sich bei den Veränderungen, die in diesem Jahre hier +vor sich gegangen waren, nicht hatten zurechtfinden können. Was sie +vorfanden, stimmte durchaus nicht überein mit den Beschreibungen, die +ich ihnen gemacht hatte. + +Müde und traurig machte ich an einem Punkte Halt, wo der Wasserarm +sich auf 7 Meter verengte, um sich bald darauf in einen See zu +ergießen (Abb. 217). Als die Karawane angelangt war, wurde die Stelle +untersucht. Der Boden trug uns, denn er bestand aus hartem, blauem Ton, +und an den feuchten Ufern sanken die Kamele nicht mehr als einen Fuß +tief ein. + +Um zu erfahren, wie das Land im Norden aussah, schickte ich Schagdur +auf Kundschaft aus. Nach einer guten Weile tauchte er am Ostufer des +unteren Sees auf und winkte uns wie toll, dorthin zu kommen. Ich zog es +jedoch vor, mündlichen Bescheid abzuwarten, weshalb Schagdur sich auf +die Beine machte. Als er atemlos in Hörweite gekommen war, deutete er +nach Südwesten und rief. „Reiter, Reiter!“ + +Richtig: in einer Staubwolke erschienen zwei Reiter, die sich uns so +schnell näherten, wie die Pferde nur zu laufen vermochten. Schagdur +erzählte, daß er an dem Punkte, wo er uns gewinkt hatte, ganz frische +Spuren von fünf Pferden gesehen und ein paar Minuten später die Reiter +erblickt habe. + +So hatte denn endlich die Stunde unserer Befreiung geschlagen! Mit +größter Spannung sahen wir diese willkommenen Boten über den Boden +sprengen und beobachteten sie mit dem Fernglase. Bald erkannten wir +Tschernoff und Tokta Ahun! + + + + +Siebentes Kapitel. + +Der wandernde See. + + +Nie bin ich mit einem alten treuen Diener mit größerer Wärme und Freude +wieder zusammengetroffen als in dieser Mittagsstunde! Tschernoff, mein +vortrefflicher Kosak, war auch so froh, daß er zitterte, und seine +Wangen glühten vor Eifer. Er brannte vor Begierde, mir alles erzählen +zu dürfen; er wußte, daß ich durch ihn den abgeschnittenen Faden +wiedererhalten und von neuem mit der Welt, von der ich über ein halbes +Jahr abgeschlossen gewesen war, in Berührung treten würde. + +Was jedoch im ersten Augenblick mein besonderes Interesse erregte, war, +daß er nach meinem Lager hatte zurückkehren können. Im vorigen Sommer +war uns mitgeteilt worden, daß alle semirjetschenskischen Kosaken +auf ihren Posten sein müßten, weil die politische Lage in Asien für +unruhig gelte. Doch der Kaiser hatte die unendliche Güte gehabt, mit +meinen beiden Kosaken Sirkin und Tschernoff eine Ausnahme zu machen. +Am letzten Juni 1900 hatten sie sich von mir getrennt und waren nach +Kaschgar geritten, wo sie jedoch erst einige Monate geweilt hatten, +als Generalkonsul Petrowskij aus Petersburg ein Telegramm mit dem +Befehl im Namen des Kaisers erhielt, daß die beiden Kosaken Sirkin und +Tschernoff sich augenblicklich nach meinem Lager zu begeben hätten, +wo ich mich auch befinden möge. Als dieser Befehl an einem Sonnabend +Nachmittag eingetroffen war, hatte der Konsul die Kosaken rufen lassen +und ihnen befohlen, Pferde zu kaufen und am nächsten Morgen abzureisen. +Sie hatten gefragt, ob sie nicht den Sonntag über noch dort bleiben +dürften, aber ein kaiserlicher Befehl duldet keinen Aufschub. + +So saßen sie denn am Sonntag Morgen im Sattel und nahmen meine +ganze große Post, 27 Jamben Silbergeld, einige Instrumente und +photographische Utensilien mit, und nun ging es über Aksu und Korla +nach Tscharchlik, das sie nach 48tägigem Ritt Ende Dezember erreichten. +Da sie mich dort nicht gefunden hatten, beschlossen sie meine +Rückkehr zu erwarten und benutzten die Zeit gut. Sirkin übernahm die +meteorologischen Ablesungen, Tschernoff begab sich nach dem Delta +des unteren Tarim, über dessen neueste Veränderungen er eine Reihe +wohlgelungener Kartenskizzen ausführte. Da er des Schreibens unkundig +war, nahm er einen Mirsa (Schreiber) mit, der alles notierte. Die ganze +Rekognoszierung brachte mir viel wichtige Aufklärung und wurde später +in Tibet in freien Stunden gründlich durchgegangen. + +Was Tokta Ahun anbetrifft, so hatte auch er seinen Auftrag wie ein +ganzer Mann ausgeführt. Er war vom Anambaruin-gol nach Tscharchlik +geritten, hatte nur eines der sechs schlechten Pferde unterwegs +verloren, Islam meine Post übergeben, sich von ihm mit Proviant und +ausgeruhten Pferden ausrüsten lassen und sich mit Tschernoff über +Abdall nach Kum-tschappgan begeben und war dann nach Nordosten am +Nordufer des Kara-koschun entlanggezogen. Nur in einem Punkte hatte +er meinen Befehlen nicht gehorchen können. Er hatte sich nur zwei, +statt drei Tagemärsche von Kum-tschappgan entfernt, aber er war völlig +entschuldigt, denn der neugebildete See, der uns so viel Abbruch getan +hatte, hatte auch ihm Halt geboten. + +Tschernoff und Tokta Ahun hatten ganz in der Nähe des Punktes, +wo wir im vorigen Jahre das Ufer erreicht hatten, ein Hauptlager +aufgeschlagen, eine Hütte erbaut, Massen von Enten in Schlingen und +Fische in ausgelegten Netzen gefangen und reichliche Vorräte an +Schafen, Hühnern, Eiern, Mehl, Brot und Mais mitgebracht. Aus einem +Fischerdorfe hatten sie zwei große und einen kleinen Kahn mitgenommen. + +Ein ganzes Landgut war in der Einöde entstanden. Jeden Abend, sobald +es dunkel war, hatten sie auf dem Hügel, von dem ich im Jahre 1900 die +gesegneten Wasserflächen des Kara-koschun zuerst erblickt hatte, ein +gewaltiges Feuer angezündet. Mehrere Fischer aus Kum-tschappgan waren +mitgekommen und trugen das Brennholz auf den Hügel, so daß Tschernoff +es abends nur anzuzünden brauchte. Wir hatten des Nebels wegen ihr +Feuer nicht gesehen, und sie hatten unsere Feuer nicht erblickt. Und +doch betrug die Entfernung zwischen ihrem Lager und dem Punkte, wo +uns zuerst der kleine Wasserarm den Weg abgeschnitten hatte, nur 3 +Kilometer! + +Inzwischen hatten sie in Erwartung unserer Ankunft 12 Tage lang ein +idyllisches Leben geführt, Fuß- und Rudertouren unternommen, gejagt und +gefischt, bis eines schönen Tages der gute Chodai Kullu aus der Wüste +aufgetaucht war und ihrem friedlichen Leben mit einem Male ein Ende +gemacht hatte. Sie hatten noch in derselben Stunde eingepackt und sich +mit Chodai Kullu als Führer eiligst aufgemacht, um uns zu suchen -- und +nun hatten sie uns endlich gefunden. Beim Aufbruch hatten sie sich auf +eine lange Reise vorbereitet, denn Chodai Kullu hatte richtig gemeldet, +daß ich mich schon mit dem Gedanken trüge, den See längs des Südufers +zu umgehen. + +Nachdem wir eine Weile geplaudert hatten und beiderseitig von allem +Geschehenen unterrichtet waren, brachen wir auf, um südwärts nach +einem Tümpel zu ziehen, der von unserem Lager am 20. März nicht weit +entfernt lag. Unterwegs fischten wir auch Chodai Kullu auf, der auf +einem Grasbüschel saß und bitterlich weinte, als er mich erblickte, +-- so überwältigte ihn jetzt die Erinnerung an die Schicksale, die +er während seines fünftägigen Suchens nach der Hilfsexpedition +durchgemacht hatte. Er war immerfort gegangen und schließlich voll +Verzweiflung über mehrere Seen geschwommen. Am dritten Tage saß er +müde und niedergeschlagen am Ufer eines derselben, als eine Schar +Enten über ihm hinwegsauste. Wie durch ein Wunder fiel eine von ihnen +mit gebrochenem oder gelähmtem Flügel gerade vor ihm nieder. Wie ein +Raubtier stürzte er sich auf sie und aß sie, roh wie sie war, ganz und +gar auf. Durch dieses Mahl gestärkt, hatte er noch zwei Tage gehen +können und schließlich diejenigen gefunden, die er suchte. + +An mehreren Stellen hatte er Spuren von Faisullahs Karawane gesehen +und daraus geschlossen, daß alle am Leben waren, auch die drei Pferde +und die drei Hunde, nach denen ich mich ganz besonders sehnte. Dann +aber hatte die Spur das Ufer verlassen und war wieder in die Wüste +hineingegangen, als ob der alte Führer Faisullah gar nicht mehr gewußt, +wohin er sollte. + +Sobald Tokta Ahun dies erfahren hatte, bot er Leute in zwei Partien, +eine aus Kum-tschappgan und eine aus Abdall, auf und schickte sie +nordwärts in die Wüste hinein, um die Verirrten zu suchen. Von +Faisullah wußten wir nichts und schwebten seinetwegen in größter +Unruhe. Seine Karawane hatte alles, was wir während der Reise erworben +hatten, außer den Karten bei sich: alle Sammlungen, photographischen +Platten, Schnitzereien und einen Teil der Manuskripte. Sollte dies +alles verloren sein? Tokta Ahun beruhigte mich jedoch und sagte, +daß die Entsatzexpeditionen Faisullah, der überdies ein kluger, +vorsichtiger Mensch sei, schon finden würden. + +Chodai Kullu erhielt für seinen bewiesenen Mut und seine +Entschlossenheit eine Extrabelohnung in Silbergeld. Er versicherte +ruhig, daß er die ganze Zeit über fest entschlossen gewesen sei, nicht +umzukehren, sondern zu versuchen, seinen Auftrag auszuführen, wenn es +auch das Leben kosten sollte. Schon seit er das wilde Kamel getötet +hatte, war sein Ansehen gestiegen; jetzt aber wurde er nie anders +als Batir, der Held, genannt. Solche Leute muß man haben; unter den +Muselmännern sind sie jedenfalls selten. + +Unsere lange Wanderung nahte sich ihrem Ende. Ihr letzter Abschnitt war +ein Durcheinander von verwickelten Verhältnissen gewesen. Doch was tat +das, da sich schließlich alles auf glückliche, wunderbare Weise löste! +Mein guter Stern hatte mich nicht verlassen, und all meine Unruhe um +die zersplitterten Teile der Karawane war unnötig gewesen. + +Wie süß und notwendig war die Ruhe an diesem tiefen, klaren +Süßwasserarme, wo stellenweise üppiges Schilf wucherte. Wir waren +hier zwei Tage in der Wildnis zu Gaste. Wir lebten flott, denn die +drei Proviantpferde der Entsatzexpedition hatten reichliche Vorräte +an Fleisch, Fischen, Reis, Brot, Mehl und Eiern, ja sogar Tee und +Tabak mitgebracht. Die Post von zu Hause war jedoch das Allerbeste; +sie fesselte mich an meine Jurte, und es bedurfte einer gewissen +Energie, um das Lesen zu unterbrechen und eine Breitenbestimmung +auszuführen. Alles war mir neu; merkwürdig aber war es, daß ich von dem +Boxeraufstande in China durch einen Brief aus -- Stockholm erfahren +sollte. Se. Exzellenz der Minister des Auswärtigen warnte mich davor, +und vielleicht war es ein Glück für uns, daß wir uns nicht nach +Sa-tscheo begeben hatten, obwohl wir ganz in der Nähe dieser Stadt +gewesen waren. + +Am 25. März begaben sich Chodai Kullu und Tokta Ahun vorweg nach +dem Standlager zurück. Merkwürdigerweise waren wir nur 3 Kilometer +voneinander entfernt gewesen, und doch hatte mein Kundschafter fünf +Tage gebraucht, um dorthin zu gelangen. Der Grund war der, daß +neugebildete, mächtige Wasserarme, die der Kara-koschun nach Norden +aussendet, unsere Lager trennten. Um nach ihrem Standlager zu gelangen, +mußte man entweder diese Seen umgehen oder die Flußarme überschreiten. +Jenes hatte die Hilfsexpedition getan, dieses wollten Tokta Ahun und +Chodai Kullu versuchen. Sie nahmen keinen Proviant mit, gingen zu Fuß +und schwammen schließlich, die Kleider in einem Bündel auf dem Kopfe, +über die breiten Ströme. Der Grund, warum sie nicht mit uns zu Lande +dorthin gingen, war, daß sie rechtzeitig wieder im Standlager sein +mußten, um die Fischer aus Kum-tschappgan dort zurückzuhalten. + +Am nächsten Tage hatte unsere süße Rast ein Ende. Dieser Lagerplatz, +Nr. 170 auf meiner Karte, war einer der besten auf der Reise, einer von +denjenigen, die ich nie vergesse. -- + +Am 26. März führte uns der ganze Tagemarsch nach Norden, und wir +folgten meistens den Spuren der rettenden Reiter, die jedoch hier und +da schon unter Wasser standen, so hastig drängt der neue See nach +Norden. + +[Illustration: 199. Meine Jurte in Chodai Kullus Oase. (S. 34.)] + +[Illustration: 200. Chodai Kullu und sein wildes Kamel. (S. 34.)] + +[Illustration: 201. Das geschossene Kamel. (S. 34)] + +[Illustration: 202. Der erste Turm der untergegangenen Stadt. (S. 38.)] + +Dieser eigentümliche nördliche Auswuchs des Kara-koschun kann zum Teil +auch auf den hydrographischen Verhältnissen im ganzen Tarimbecken +beruhen. Alle Flüsse Ostturkestans waren während des vorhergehenden +Sommers und Herbstes außergewöhnlich wasserreich, welcher Umstand +wahrscheinlich von dem größeren Schneeniederschlag in den Randgebirgen +herrührt. Dieser wieder würde sich nur aus größeren Gesichtspunkten, +wie der Verteilung des Luftdruckes, dem Vordringen der Winde und +besonders der Monsune, erklären lassen. Wenn der Zufluß reichlicher +ist, müssen auch die äußersten Seen des Tarimsystems zu größeren +Dimensionen als gewöhnlich anschwellen. + +Einige vereinzelte Tamarisken und ein paar dürre Pappeln mahnten uns, +an einem Punkte zu lagern, wo die Spuren von Faisullahs Karawane sehr +deutlich waren. Faisullah hatte sich, wie wir, in diese scheußliche +Mausefalle hineinlocken lassen und war umgekehrt, um den wandernden See +im Nordosten zu umgehen. + +Das Terrain war schwierig und wurde am folgenden Marschtage nicht +besser. Die Lehmrücken und die zwischen ihnen liegenden Rinnen sind +konsequent nach Nordosten gerichtet, und wir mußten sie in der +Quere überschreiten. Die Ausläufer des neuen Sees zeigen wie Finger +nach derselben Richtung. Wir gehen nach allen Himmelsrichtungen, um +ihnen auszuweichen, und erst, nachdem wir die äußersten hinter uns +zurückgelassen haben, können wir nach Westen und Südwesten ziehen. Da +aber hatten wir beinahe schon den halben Weg nach Lôu-lan zurücklegen +müssen. Hätte ich von der diesjährigen Wasserverteilung eine Ahnung +gehabt, so hätte das Nivellement auf die halbe Entfernung beschränkt +werden können. + +Ich wunderte mich, an einigen Stellen dieser Gegend alten Kamelmist, +der manchmal in ziemlich großer Menge vorkam, zu finden. Daß es sich +dabei nur um wilde Herden handeln konnte, ist sonnenklar. Sie kreuzen +also die Wüste und kennen die Existenz der im Süden liegenden Seen. Und +sie können ruhig hierherkommen, denn jetzt begeben sich Menschen nur +äußerst selten hierher. Die Entfernung ist für diese schnellfüßigen +Tiere nur eine Kleinigkeit. + +Die Reise nach Südwesten ging leichter, denn jetzt konnten wir uns +in den Windfurchen halten und ganze Strecken weit Faisullahs Spuren +folgen. Wenn wir bezweifelt hätten, daß es wirklich seine Karawane +gewesen, so hätte uns ein „lebender“ Beweis bald Gewißheit gegeben. +Dort lag ein totes Pferd, der Braune, den Schagdur geritten hatte. +Die Eingeweide waren weggeworfen und die weicheren und besseren +Fleischteile mitgenommen worden. Gewiß hatten sie keinen Proviant mehr +gehabt. + +Wir machten an dem unfruchtbaren Ufer eines Seearmes Halt. Recht +eigentümlich war es, zu sehen, wie das Wasser nach Nordosten strömte, +d. h. wie der Ausläufer sich immer mehr nach dieser Richtung hin +vergrößerte und immer neuen Zufluß von Südwesten erhielt. Hier +befanden wir uns sicherlich gerade vor der nördlichen Depression der +nivellierten Linie, und die schwache Erhebung zwischen dem nördlichen +und südlichen Becken der Wüste, die wir nivelliert hatten, fehlt hier +oder hat hier eine Lücke. + +Am 28. fuhren wir fort, den launenhaft gewundenen Ufern getreulich +zu folgen. Auch jetzt wurde eine interessante Beobachtung an einem +Tümpel gemacht, der sich gebildet hatte, seitdem Tschernoff vor sieben +Tagen eine Kartenskizze über die Gegend aufgenommen hatte (Abb. 218). +Er ist abgeschnürt und wird durch aus dem Boden hervorquellendes +Wasser gespeist. Seine Fläche (zirka 50000 Quadratmeter) gleicht der +Oberfläche eines kochenden Kessels, das Wasser sprudelt und wallt mit +einem singenden Tone. Das aufsteigende Quellwasser bringt Luftblasen +mit, die um jeden Herd Schaumblasen bilden. Manchmal wölbt sich das +Wasser dezimeterhoch, an einen Miniaturgeiser erinnernd, und es +plätschert im Tümpel, als ob große Fische mit dem Schwanze auf die +Wasserfläche schlügen. + +Das spezifische Gewicht war 1,0036, und das Wasser erschien uns, +die wir an größeren Salzgehalt gewöhnt waren, beinahe süß; ein paar +Kannen davon wurden zum Abend mitgenommen. Um es so frisch wie möglich +zu halten, sollte Kutschuk aus der Mitte des Tümpels schöpfen, aber +im selben Augenblick war er verschwunden. Er war auf eine tückisch +versteckte Jarkante gelangt und plötzlich von ihr in tiefes Wasser +geraten. Da er nun einmal naß war, mußte er über den Tümpel schwimmen +und mit einer Zeltstange loten. Die größte Tiefe betrug 2,22 Meter -- +und dieser kleine See hatte sich in einer Woche gebildet! + +Während der kurzen Zeit unseres Aufenthalts am Ufer konnten wir sehen, +wie das Wasser sich nach den Seiten hin ausbreitete; neue kleine Arme +drangen in die Rinnen ein, neue Bodensenkungen füllten sich allmählich. +Wie weit würden diese wandernden Seen in diesem Jahre gelangen? Würden +sie bis an das alte Becken des Lop-nor vordringen? Nur neue Besuche in +der Gegend konnten diese Fragen beantworten. + +Nun ging es weiter nach Westen, Südosten und Osten um die Seen herum, +wo der arme Chodai Kullu ohne Nahrung gewandert war. Wir fanden auch +den Punkt, wo Faisullah das Ufer verlassen und sich in die Sandwüste +hineinbegeben hatte. + +Dieses Unternehmen sah so bedenklich aus, daß ich Schagdur der Spur +folgen ließ, um zu sehen, wo sie blieb. Nach dem Kompaß nahm er sie +eine Strecke von 10 Kilometer weit auf und konnte mich damit beruhigen, +daß die Karawane nur einen Umweg gemacht und dann wieder nach +Südwesten gegangen war. Hätte sie das Ufer nicht verlassen, so würde +sie nach einer weiteren Tagereise das Standlager der Hilfskarawane +erreicht haben. + +Ein paar leere Konservenbüchsen verrieten den Punkt, an dem wir im +vorigen Jahr bei dem ersten Salztümpel das Lager aufschlugen, der, +wie wir damals meinten, vom Schirge-tschappgan herrührte. Der schmale +Arm, den wir damals mit Leichtigkeit durchwateten, war jetzt so +angeschwollen, daß man sowohl sich selbst wie die Kamele bequem darin +ertränken konnte. + +Unser letzter Tagemarsch um den zeitraubenden See führte uns südwärts +nach Tokta Ahuns Standlager, wo wir ihn und Chodai Kullu in schönster +Ruhe in der Hütte fanden. + +So hatten wir denn endlich nach dem anstrengenden, drückenden +Wüstenzuge diese heiß ersehnte Freistatt erreicht. Doch sie empfing +uns wenig gastfreundlich. Alle Leute aus Kum-tschappgan waren in dem +Glauben, daß wir südlich um den Kara-koschun herum kämen, nach Hause +gezogen. Indessen hatten sie zum Glück zwei Kähne hinterlassen, und +Proviant war reichlich vorhanden. Doch Tokta Ahun mußte sofort zu Pferd +nach Kum-tschappgan eilen, um frische Fische zu besorgen. + +Am 30. machte Sturm alle Arbeiten im Freien unmöglich. Ich unterhielt +mich daher mit den Kosaken und lag die übrige Zeit lesend auf meinem +Bette. + +Der Tag darauf war günstiger; es wehte wohl, aber jetzt konnten wir +die Wassermenge messen, die nordwärts nach dem alten Bette des Lop-nor +drängte. Die Wellenbewegung war für einen Kahn zu stark; wir banden +daher beide zusammen; Tschernoff und Chodai Kullu waren meine Ruderer. +Der Kosak wußte in diesen labyrinthähnlichen Schilfdickichten, die er +während der langen Wartezeit nach allen Richtungen hin durchkreuzt +hatte, außerordentlich gut Bescheid. + +Es wurde jedoch eine ziemlich schwierige Arbeit. Chodai Kullu und +Tokta Ahun waren vor sechs Tagen auf ihrem Wege nach der Hütte über +acht bedeutende Strömungen geschwommen, mir gelang es aber nur, sechs +zu messen, die vollkommen deutlich und abgegrenzt waren und zusammen +32 Kubikmeter Wasser in der Sekunde führten. Dieser Wert ist jedoch +sicherlich zu niedrig, denn viel fließendes Wasser ist in dem dichten +Schilfe verborgen. Jedenfalls fanden wir, daß jetzt kolossale Mengen +auf dem Wege nach Norden waren. Drei Millionen Kubikmeter Wasser +im Laufe eines Tages sind in Anbetracht der ungeheuren Flachheit +des Landes imstande, einen recht ansehnlichen See zu bilden. In dem +lebhaftesten Arme strömte es mit einer Geschwindigkeit von 0,55 Meter +in der Sekunde. + +Es mag merkwürdig erscheinen, daß das Wasser noch nicht weiter als +ein paar Tagereisen nach Nordosten vorgedrungen war; aber wir müssen +bedenken, daß der strohtrockene Boden ungeheure Mengen aufsaugt; er +muß erst durchfeuchtet werden, ehe das unruhige Element seinen Weg auf +sicherer Unterlage fortsetzen kann. + +Schön und frisch war es, in der sich jetzt klärenden Luft und dem +kühlenden Winde, der durch gelbe, dürre Schilfbestände sauste, wieder +einen ganzen Tag auf dem Wasser zuzubringen. Aber ich fühlte doch, +daß ich jetzt von diesen Sümpfen für einige Zeit genug hatte und das +Leben im Gebirge Abwechslungen ganz anderer Art und Erfahrungen von +wechselnderer, mannigfaltigerer Natur bietet. + +Ich konnte das Land der wandernden Seen auch mit großer Befriedigung +und Dankbarkeit verlassen, denn ich nahm reiches Material von dort +mit. Ich hatte Manuskripte und Ruinen von Dörfern am Ufer eines Sees +gefunden; ich hatte naturgeschichtliche Beweise für das frühere +Vorhandensein des Sees gefunden; die Nivellierung hatte ferner +bewiesen, daß eine Depression im nördlichen Teile der Wüste existierte, +und schließlich, als unbestreitbares Siegel der Richtigkeit des Ganzen, +war ich mit eigenen Augen Zeuge gewesen, wie sich der See nach seinem +alten Bette hinbewegte, und zwar so schnell, daß wir genau überlegen +mußten, wie weit vom Ufer wir unser Nachtlager aufschlagen konnten. + +Während der letzten Jahrzehnte oder seit Prschewalskijs Zeit hat der +Kara-koschun sichtliche Neigung zum Austrocknen gezeigt. Ich bin fest +davon überzeugt, daß wir nach Jahren den See wieder an der Stelle +finden werden, wo er nach chinesischen Angaben einst seinen Platz +gehabt haben soll und wo er, wie Richthofen in scharfsinniger Weise +theoretisch bewiesen hat, auch wirklich gelegen haben muß. + +Daß in der Wüste, die nach meinem Nivellement so gut wie ganz +horizontal ist, derartige Verhältnisse herrschen, ist durchaus +kein Wunder. Der See Kara-koschun, der jetzt lange genug in ihrem +südlichen Teile gelegen hat, verflacht durch Schlamm, Flugsand und +verfaulende Pflanzenstoffe, während die nördliche, vertrocknete +Fläche der Wüste von den Winden erodiert und angefressen und dadurch +immer tiefer ausgemeißelt wird. Für diese Niveauveränderungen, die +von rein mechanischen, lokal atmosphärischen Kraftgesetzen diktiert +werden, muß der See, der das Endreservoir des Tarimsystems bildet, +außerordentlich empfindlich sein. Aus physischen Notwendigkeitsgründen +muß es schließlich dazu kommen, daß das Wasser sozusagen überfließt +und relativ niedrigere Depressionen aufsucht. Die Vegetation und das +Tierleben, sowie die Fischerbevölkerung und ihre luftigen Hütten +ziehen mit an die neuen Ufer, und der alte See trocknet aus. In der +Zukunft wiederholt sich dasselbe Phänomen in umgekehrter Ordnung, +aber von denselben Gesetzen vorgeschrieben. Erst dann wird man, mit +reichhaltigerem Materiale, die Länge der Periode bestimmen können. Was +wir jetzt schon mit voller Sicherheit wissen, ist, daß im Jahre 265 n. +Chr., im letzten Regierungsjahre des Kaisers Yüan Ti, der Lop-nor im +nördlichen Teile der Wüste lag. + +Die Strecke, die wir am 1. April zurücklegten, kannte ich vom vorigen +Jahre, und es ist stets unangenehm, denselben Weg zweimal zu machen. +Etwas Abwechslung hatte ich jedoch dadurch, daß ich die neue Karte +mit der vorjährigen vergleichen und die großen Veränderungen, die +eingetreten waren, studieren mußte. + +Jetzt nahte sich die Jahreszeit, in welcher die Abendkühle ein +willkommener Freund ist, unter dessen Schutz man sich von den Mühen +des Tages erholt. Bis jetzt hatten wir freilich noch nicht über Hitze +zu klagen brauchen, aber unser acht Monate währender Winter hatte +uns gegen Wärme empfindlich gemacht. An diesem Abend schwebten weiße +Wölkchen über der Erde; die Luft war rein, und der Mond verbreitete +sein klares Licht über dem Lande des wandernden Sees. Dann und wann +durchschneiden sausende Flügelschläge die Luft, man hört Enten +schnattern und Wildgänse schreien und gelegentlich auch das in dieser +Jahreszeit schwere, ungeschickte Flügelklappen der Schwäne. + +Am 2. April ging es nach Südwesten weiter. Nias Baki Bek, Numet Bek +und unser alter Mollah kamen uns entgegen und meldeten, daß Faisullah +mit der ganzen ihm anvertrauten Karawane wohlbehalten in Abdall +eingetroffen sei. Am Ufer des Ak-köll machten wir Halt und warteten +beim Sonnenuntergang und frühzeitigen Mückentanz auf Boote. + +Nachdem wir uns des herrlichen, kühlen Abends ein paar Stunden +erfreut und im Freien zu Abend gegessen hatten, hörten wir endlich +das Geplauder der Seeleute und Rudergeplätscher, und dann glitt ein +Geschwader von fünf Kähnen an unser stilles Ufer heran. + +Sie führten uns und das Gepäck über den Ak-köll und ein Gewirr von +anderen Seen und zuletzt auf den Fluß hinaus, +Kona Abdall+, dem +alten Wohnorte Kuntschekkan Beks, wo ich 1896 gewohnt hatte, gerade +gegenüber. Starke Arme ruderten uns gegen die Strömung, den Tarim +aufwärts. Dank dem herrlichen Mondscheine konnte ich auch jetzt +die Route aufnehmen. Es war eine jener reizenden, unvergeßlichen +Mondscheinfahrten auf blankem Wasser, wie ich sie schon ein paarmal auf +diesen friedlichen Wasserwegen gemacht hatte. + +In später Nacht erreichte mein schnelles Fahrzeug unser früheres +astronomisches Lager, wo unsere Hunde uns mit heftigem Gebell +empfingen, das sich aber im nächsten Augenblick, als sie uns +wiedererkannten, in Freudengeheul verwandelte. + +Am folgenden Morgen maß ich die Wassermenge des Flusses, die jetzt +156,2 Kubikmeter in der Sekunde betrug und die größte war, die ich je +im Tarimbecken gefunden habe, aber zum Teil dem kalten, schneereichen +Winter und dem ungewöhnlich dicken, spät aufgetauten Eise zuzuschreiben +war. + +Faisullah mußte ausführlich über seine Schicksale und Erfahrungen +seit unserer Trennung bei den Ruinen von Lôu-lan berichten. Er war 17 +Tage unterwegs gewesen und hatte mehrere unerwartete hydrographische +Entdeckungen gemacht. + +Um 10 Uhr abends kam wie ein Donnerschlag der „schwarze Sturm“ und +fegte alles, was nicht sicher befestigt war, nach Westsüdwest. Die +ganze Gegend war in diesen dunkeln, pfeifenden Sturm gehüllt, und der +Mond, der eben noch so kalt und hell gestrahlt hatte, wurde bleich und +matt. Das Licht in meiner Jurte brannte erst dann, als neue Filzdecken +über ihre Wölbung gezogen und alle Löcher und Ritzen verstopft worden +waren. Die Kosaken, die mit einer Messung bei Kum-tschappgan beauftragt +gewesen, kehrten erst um Mitternacht zurück und waren von den +spritzenden Wellen ganz durchnäßt. + +Der nächste Tag ging verloren. Es war keine Möglichkeit, sich in diesem +undurchdringlichen Sturme auf den Weg zu machen. Ich hatte alle meine +Pläne im Tarim- und Lop-nor-Gebiete ausgeführt und von dem Leben in +den Kähnen Abschied genommen und sehnte mich nun nach Tibet. Aber +ich sollte Abdalls gastfreie Hütten nicht verlassen, ohne noch einen +Sturm erster Klasse als Abschiedsgruß zu bekommen. Und dieser war +eigensinnig; er dauerte 41 Stunden, und als er endlich aufhörte, war +die Luft mit feinem, dichtem Staube erfüllt. Das einzige Nützliche, was +wir tun konnten, war, drei vortreffliche Kamele zu kaufen; wir hatten +jetzt im ganzen 17 Stück. + +Drei langweilige Tagereisen, wieder bei Sturm, trennten uns von unserem +Hauptquartier in Tscharchlik, wo wir am Abend des 8. April von einer +ganzen Kavalkade von Reitern empfangen wurden, die uns zwischen den +einzeln liegenden Gärten durch nach unserem Serai geleiteten. + + + + +Achtes Kapitel. + +Islam Bais Schicksal. + + +Jetzt folgte eine ebenso herrliche wie notwendige Ruhezeit in der +kleinen Stadt am Rande der Wüste. Eigentlich aber kann ich es +kaum Ruhezeit nennen, denn ich arbeitete auch jetzt vom Morgen +bis zum Abend. Wir hatten unzählige Angelegenheiten zu ordnen und +vorzubereiten, denn jetzt stand die schwerste Aufgabe des ganzen +Reiseprogramms bevor: der letzte große Aufbruch nach Tibet. + +Wir bewohnten ein außerordentlich nettes Serai in der Nähe des +chinesischen Yamen. Von einer zwischen grauen Lehmmauern eingehegten +Straße trat der Besucher in einen Hof mit Stallungen für unsere Pferde +und Maulesel. Auf der entgegengesetzten Seite des Stallhofes führte +eine Pforte in das große Gemach, in dem die Muselmänner wohnten; von +hier ging ein Korridor nach der Wohnung der Kosaken. Eine kleine, neben +letzterer liegende Kammer hatte Sirkin bereits als photographische +Dunkelkammer eingerichtet. + +Hinter diesem Hause erstreckte sich ein ziemlich großer, ummauerter +Garten mit Maulbeerbäumen, Weiden und Pappeln, und hier wurde auf einem +schattigen Platze die große mongolische Jurte für mich aufgeschlagen. +An den Toren des Serai stellten wir nachts stets Wachen auf, und im +Garten ebenfalls. Als Gesellschaft in meiner friedlichen Wohnung, in +die keine neugierigen Blicke drangen, hatte ich Jolldasch und den +großen schwarzen, bösen Jollbars (Tiger), der einst in Jangi-köll von +einem wütenden wilden Eber so arg zugerichtet worden war. Er konnte +keine Fremden leiden, nur gegen mich war er fromm wie ein Lamm. + +Ein Hirsch, ein schönes, prächtiges Tier aus den Wäldern des +Tschertschen-darja, den mir Dschan Daloi, der Gouverneur des Ortes, +geschenkt hatte, war an einen Baum festgebunden; er war zahm wie ein +Hund und wurde von mir mit Brot gefüttert (Abb. 219). Ich konnte ihm +stundenlang Gesellschaft leisten, und wir wurden bald die besten +Freunde. Er war jung eingefangen worden, und seine großen, braunen +Augen suchten nicht mehr mit wehmütigen Blicken eine Gelegenheit, nach +den friedlichen Verstecken der Wälder zurückzufliehen. + +Nur die allerersten Tage ruhte ich wirklich in dem Lehnstuhle, den mir +Islam in den Grotten von Temirlik gezimmert hatte. Ich widmete diese +Zeit der gewaltigen Post, die mir der Dschigit Jakub kurz vorher aus +Kaschgar überbracht hatte; erst kamen natürlich die Briefe aus meinem +geliebten Elternhause, dann ganze Ballen von schwedischen Zeitungen und +zuletzt einige neue Bücher von meinen Lieblingsschriftstellern, Selma +Lagerlöf, Kipling und anderen. + +Die Abende wurden zum Entwickeln benutzt; alle Platten, die in den +letzten vier Monaten aufgenommen worden waren, wurden fertiggemacht +und gaben gute Bilder. Sirkin war mir hierbei eine unschätzbare Hilfe. +Er brachte die Dunkelkammer vor und nach ihrer Benutzung in Ordnung, +wußte genau mit den verschiedenen Chemikalien Bescheid, überwachte das +Trocknen und kopierte die Platten ~con amore~. Außerdem besorgte +er das meteorologische Observatorium, das seinen Platz auf dem Dache +hatte, wo es vor der Sonne gut geschützt war. Was seine Kameraden +betrifft, so hatte Tschernoff die Oberaufsicht über alles, was mit der +Karawane, unserer täglichen Kost und meiner Küche zu tun hatte; er war +mein Koch, während Tscherdon mein Kammerdiener war. + +Doch schon am 12. April erhielten die beiden burjatischen Kosaken +einen besonderen Auftrag auszuführen. Ein Punkt des Programms meiner +letzten großen Reise war der Versuch, wenn irgend möglich, als Mongole +verkleidet, nach Lhasa zu gelangen. Daher mußte eine vollständige +Ausrüstung an mongolischen Kleidern, Utensilien, Kisten, Geschirr usw. +angeschafft werden; mit einem Worte alles, was man bei den Mongolen, +die die Wallfahrt nach der heiligen Stadt machen, zu finden pflegt. +Alles dieses sollte Schagdur, der von allen Karawanenleuten allein in +meine Pläne eingeweiht war, bei einem Besuche in Kara-schahr einkaufen. +Damit er sich auf dieser langen Reise, zu der ihm ein Monat zur +Verfügung stand, nicht gar zu einsam zu fühlen brauchte, gab ich ihm +Tscherdon als Begleiter mit. Sie bekamen ausgeruhte Pferde, kannten +beide den Weg, waren schon in Korla und Kara-schahr gewesen und waren +alle beide so klug und zuverlässig, daß ich mich ihretwegen keinen +Augenblick zu beunruhigen brauchte. + +[Illustration: 203. Aussicht nach Südwesten von dem Tora des +Hauptquartiers. (S. 38.)] + +[Illustration: 204. Das Haus in der unmittelbaren Nähe des Lagers. (S. +38.)] + +[Illustration: 205. Der Lehmturm von der Südseite. (S. 38.)] + +Die Tage verrannen gar zu schnell, aber jeder Tag hatte seine Arbeit. +Ich tröstete mich damit, daß es für das Gebirge noch zu früh sei; +sogar hier unten fing das Grün jetzt erst an auszuschlagen, im +Hochgebirge würde es bis zum Aufsprießen des Grases wenigstens noch +sechs Wochen dauern. Unterdessen mußten unsere Tiere ruhen, fressen +und zu den ihnen bevorstehenden schweren Strapazen Kräfte sammeln. +Sie erhielten Kamisch und Mais in Menge und wurden von ihren Knechten +mustergültig gepflegt. Turdu Bai war der Herr der Kamele und stand für +ihr Wohlergehen ein. Die Kerntruppe der Karawane wurde mit zwanzig +neuen Kamelen, die Islam Bai in Tscharchlik kaufte, verstärkt. Als wir +schließlich aufbrachen, hatten wir nicht weniger als 39 Kamele, unter +denen jedoch drei Junge waren. Das letzte von diesen wurde am 6. Mai +geboren und beinahe unmittelbar darauf von uns in Augenschein genommen. +Das arme Kleine konnte kaum auf seinen langen, zitternden Beinen stehen +und betrachtete mit neugierigen, aufmerksamen Blicken die unruhige +Welt, die es umgab. Binnen weniger Tage sprang es jedoch ganz lustig +und heimisch auf dem Stallhofe umher und wurde bald der Liebling aller. +Es wurde mit besonderer Sorgfalt gepflegt und begleitete uns auf dem +größten Teile der Reise durch Tibet, und als es starb, hatte es seine +beiden Kameraden längst verloren (Abb. 220). + +Die Kamele wurden tagsüber auf die Weide, bei Sonnenuntergang aber nach +einem offenen Platze vor unserem Hofe geführt. Dort erhielten sie als +Abendfutter Mais, der ihnen sackweise auf Matten geschüttet wurde. + +Die Pferde und Maulesel fraßen im Stallhofe aus ihren Krippen. An +heißen Tagen nahmen sie ein Bad in einem großen Teiche, der inmitten +dichtbelaubter Weiden vor der Eingangspforte des Serai lag, und hier +versammelten sich stets Scharen von Reisenden und Neugierigen (Abb. +221). + +Der Unterhalt der immer größer werdenden Karawane wurde ziemlich teuer. +Alle die neuen Diener, die nach und nach in meine Karawanenliste +eingeschrieben wurden, sollten beköstigt werden und Lohnvorschuß +erhalten. Täglich wurde mindestens ein Schaf geschlachtet, und Massen +von Reis, Brot und Eiern wurden aufgegessen. Andererseits aber war es +ein großer Vorteil, daß alle, Menschen und Tiere, die jetzt ins Feuer +sollten, Kräfte für die schweren Tage sammelten. + +Schon bei unserer Rückkehr nach Tscharchlik hatte Islam Bai den +Proviant der ganzen Karawane für eine etwa zehnmonatige Reise +angeschafft. Er bestand aus Reis, Mehl und Talkan (geröstetes Mehl, +das, mit Wasser angerührt, als Suppe gegessen wird). Später sollte eine +ganze Schafherde gekauft werden; im übrigen würde der Ertrag der Jagd +so reich werden, daß es uns, auch abgesehen von den Schafen, nicht an +frischem Fleische zu fehlen brauchte. + +Für mich selbst hatte ich ein paar hundert Konservenbüchsen, die mir +Oberst Saizeff in Osch besorgt hatte; sie wurden mir jedoch bald +so zuwider, daß die Kosaken den größeren Teil davon nehmen mußten. +Eingemachte Früchte, Gemüse und Suppen blieben jedoch die ganze Zeit +genießbar. + +Für die Kamele und die Pferde wurde ein großer Vorrat Mais in Säcken +mitgenommen. Es handelte sich nur darum, wie diese schwere Last +transportiert werden sollte. Ich dachte daran, zu diesem Zwecke Esel zu +kaufen; ein Esel kostet in Tscharchlik nur 10 Sär (30 Mark). Aber eine +hinreichend große Eselkarawane erforderte mindestens ein halbes Dutzend +Treiber, und wenn dann die armen Tiere zusammengebrochen waren, würden +wir alle diese Männer nutzlos, aber zu großem Schaden für unseren +Proviant, auf dem Halse haben. Statt dessen beschloß ich, 70 Esel +auf zwei Monate zu mieten. Sie kosteten freilich je 5 Sär den Monat, +also ebensoviel, wie wenn wir sie gekauft hätten, aber wir hatten den +Vorteil, daß wir nun von allen Sorgen um den Transport befreit waren +und es Sache der Eseltreiber war, wie sie wieder nach Tscharchlik +zurückkamen. Das Geschäft wurde mit dem alten Dowlet Karawan-baschi aus +Buchara abgeschlossen, der sich vorzüglich bewährte, aber selbst wenig +Gewinn davon hatte, da beinahe alle seine Esel dabei draufgingen. + +Am 28. April traf mein alter Diener Mollah Schah aus Tschertschen ein. +Er sollte durchaus mit auf diese Reise, denn er hatte an Littledales +Zug nach dem Tengri-nor und Ladak teilgenommen und kannte daher die +Hilfsquellen des Landes genauer als alle anderen. + +Ich mußte unaufhörlich Besuche von Dienstsuchenden und anderen in +meinem Garten empfangen. Bald kam dieser, bald jener mit der Bitte, +mich begleiten zu dürfen. Aber mein Stab war schon ausgewählt, und +wir wollten nicht zuviele Leute haben. Wir waren sogar der Meinung, +daß einige der angestellten Männer vom Arka-tag, sobald alles in +Ordnung war und die Tiere sich an ihre Lasten und an die Marschordnung +gewöhnt hatten, zurückgeschickt werden könnten. Der Vater des toten +Aldat suchte mich auch auf und erhielt ein Geldgeschenk. Dschan Daloi, +der Amban von Tscharchlik, befand sich auf seiner Dienstreise nach +Kara-schahr; aber sein kleiner sechsjähriger Sohn besuchte mich oft in +meiner Jurte. Er zeigte stets in seiner Rede und seinem Benehmen den +feinen, eleganten Umgangston, der gebildete Chinesen kennzeichnet. Ich +schenkte dem Knaben Süßigkeiten, illustrierte Zeitungen und allerlei +Kleinigkeiten, die sein großes Entzücken erregten, und er versäumte +nie, mir zum Dank Obst mitzubringen oder meinen Pferden einige Bündel +frischen Klee zu senden. Anfang Mai starb er an den Blattern; der arme +Vater kam einen Tag zu spät heim, um in der Todesstunde bei ihm sein zu +können. + +Das Wetter war herrlich. Es stürmte beinahe unaufhörlich; dadurch +blieb die Luft frisch und kühl. Die Atmosphäre war voller Staub, der +die Sonne verhüllte. Abends war es manchmal so kalt, daß ich das +Innere der Jurte mit einem Kohlenbecken erwärmen mußte. Am Tage aber +war es mir ein Genuß, dem Heulen des Windes in den Maulbeer- und +Pflaumenbäumen zuzuhören; ich weiß nicht, wie es kam, aber es war mir +stets besonders behaglich zumute, wenn es recht toll stürmte. + +Anfang Mai wurde es jedoch fühlbar heiß. Am 1. Mai hatten wir +32,7 +Grad im Schatten; die Luft war klar und ruhig, und im Süden glänzten +die Firnfelder auf den höchsten Gipfeln des Astin-tag. Heimtückisch +lockten jene schönen Berge, die dem größeren Teile meiner Karawane das +Leben kosten sollten. + +Doch die Zeit verging, und der Tag des Aufbruchs nahte heran. Das ganze +Gepäck wurde in Säcken und Kisten untergebracht. Am 22. April standen +fünfzehn Kamellasten verschnürt und festgebunden auf ihren Saumleitern +und brauchten nur noch auf ihre Träger hinaufgehoben zu werden. Einige +Tage später war die ganze Last auf dem Seraihofe bereit (Abb. 222). +Da lagen sie in langen Reihen, diese schweren Ballen, die quer durch +Tibet getragen werden sollten. Bei ihrem Anblick war ich starr, aber +Turdu Bai versicherte, daß die Lasten durchaus nicht zu schwer seien +und überdies auch mit jedem Tage an Gewicht verlieren würden. Dort sah +man die fest auf ihre Leitern gebundenen Reissäcke, in einer anderen +Reihe stand der Mais, in einer dritten das gebrannte Mehl und mehrere +Lasten mit eigens für uns gebackenem Brote. Große Ballen enthielten +Pelze für die Leute und weißen Filz zu Mänteln für die Kamele. Lange +Reihen von Kisten bargen meine persönliche Habe, Reserveinstrumente, +Kleidungsstücke, Bücher, Konserven usw. + +Um jedoch die Last nicht schwerer zu machen, als sie notwendigerweise +sein mußte, hatte ich gleich nach meiner Ankunft im Hauptquartier alles +ausgesondert, was sich entbehren ließ, darunter auch die Sammlungen an +Gesteinproben, Skelette, Pflanzen und die archäologischen Funde aus +Lôu-lan. Von allem diesen, das acht tüchtige Kamellasten ausmachte, +wollten wir uns befreien. Es sollte nach Kaschgar geschickt werden und +bei Generalkonsul Petrowskij in Verwahrung bleiben. + +Doch wem sollte ich diese wichtige Sendung anvertrauen? Sollte ich +es von den Chinesen besorgen lassen? Nein, dies wagte ich nicht. Ich +wollte schon an Chalmet, den Aksakal von Korla, schreiben, als das +Rätsel eine sehr einfache, aber höchst unerwartete Lösung erhielt. +Islam Bai suchte mich eines Abends, als ich allein in meinem Zelte +war, auf und bat, die Sammlungen nach Kaschgar bringen zu dürfen. +Ich sprach meine Verwunderung aus, daß er mich gerade jetzt, da die +größten Schwierigkeiten und Gefahren begannen, verlassen wollte, doch +er antwortete ohne Bedenken „ja“. Er gab als Grund an, daß er sich +alt und müde fühle und fürchte, mir nicht von so großem Nutzen, wie +ich gedacht, sein zu können. Es tat mir freilich weh, mich von ihm zu +trennen, aber ich hatte gemerkt, daß er die Kosaken nicht ausstehen +konnte und die Muselmänner, unter denen er übrigens stets exemplarische +Disziplin gehalten hatte, sehr hart behandelte. Ich verdankte ihm viel +und wollte ihm auch jetzt einen Beweis meines Vertrauens geben. Daher +stellte ich für ihn folgendes Programm auf. Er sollte die Sammlungen +in zwei Monaten über Korla, Kutschar und Aksu nach Kaschgar führen, +bis Korla auf Kamelen, dann auf Arben, und für alle diese Städte gab +ich ihm Empfehlungsbriefe mit. Seinen rückständigen Lohn, 300 Rubel, +erhielt er in Gold, außerdem sollten ihm die Reisekosten für ihn selbst +und der Transport vergütet werden. + +Von Kaschgar sollte er nach Osch heimreisen und dort fünf Monate +bleiben, dann aber wieder nach Kaschgar zurückkehren und einen Auftrag +ausführen, über den ihm Herr Petrowskij genauere Auskunft erteilen +würde. Es handelte sich nämlich darum, mir eine größere Geldsumme und +meine dann ganz gewiß sehr große Post nach Ladak zu bringen. Dieses +Vertrauen schmeichelte ihm und versöhnte uns beide mit der Bitterkeit +der Trennung. + +Der alte Faisullah sollte ihn nach Kaschgar begleiten. Er war müde +und fürchtete die Gebirgsluft. Er hatte mir zwei Jahre treu und +mustergültig gedient und erhielt eine große Extrabelohnung in Silber +nebst einem Reitpferd. Die anderen versuchten vergeblich, ihn zu +überreden, uns zu begleiten, denn alle hielten viel von ihm, während +dagegen Islams Ausscheiden aus der Karawane nur Befriedigung erregte. + +Am 5. Mai zogen sie mit ihren acht Kamelen, drei Pferden und drei bis +Korla gemieteten Leuten ab. Es stürmte an jenem Tage außerordentlich +heftig, und schon da, wo das Gäßchen auf einen offenen Platz mündete, +verschwand die Karawane in dichten Staubwolken. Ich hatte während des +letzten Jahres nicht viel von Islam Bai gesehen, denn er war stets, +während ich mich auf Reisen befunden hatte, als mein Karawan-baschi im +Hauptquartier geblieben. Niemand hatte sich bei mir über ihn beklagt, +aber nun, da er fort war, merkte man bald den Unterschied. Die Stimmung +wurde heiter und gemütlich, alle waren vergnügt und zufrieden, und +jeder ging mit Freude an seine Arbeit. + +Islam Bai nahm eine gewaltige Post von mir mit. Ich hatte einen 216 +Seiten langen Brief -- ein ganzes Buch -- an meine Eltern und außerdem +noch ausführliche Briefe an König Oskar und den Kaiser von Rußland +geschrieben. Ich hatte auch an viele meiner Freunde in der Heimat +geschrieben, namentlich an Adolf Nordenskiöld. Er empfing meinen Brief +einige Tage vor seinem Tode. Er war einer von denjenigen Freunden, die +man nur durch den Tod verliert. + +Ein wichtiges Schreiben, das Mr. Macartney in Kaschgar befördern +sollte, war an Lord Curzon, den Vizekönig von Indien, adressiert. Ich +teilte ihm darin mit, daß ich zu Ende des Jahres wahrscheinlich in Leh +in Ladak einträfe, und bat ihn, in dieser Stadt eine Summe von 3000 +Rupien aufnehmen zu dürfen. Ich erwähnte auch die Möglichkeit eines +kurzen Besuches in Indien und bat, in diesem Falle einen der Kosaken +mitbringen zu dürfen. + +Der Weg, den ich wählte, um auf das tibetische Hochland +hinaufzugelangen, führt durch das enge Tal des Tscharchlik-su und +ist vor mir noch nie von einem Europäer versucht worden. Dieser Weg +ist aber für Kamele absolut unmöglich und selbst für Packpferde sehr +schwer. Wir mußten daher die Sache auf andere Weise einrichten. Die +große, schwerbeladene Karawane sollte von Tschernoff, Tscherdon und +Turdu Bai über Tattlik-bulak und Bag-tokai nach dem Westufer des +unteren Kum-köll geführt werden, wohin ich mich, nur von wenigen +Dienern begleitet, auf dem näheren, aber schwierigeren Wege durch das +Tal begeben wollte. + +Am 8. Mai waren wir reisefertig (Abb. 224). Alle Lasten, einige +achtzig, standen in der Gasse vor dem großen Tore aufgereiht und wurden +nun schnell auf die Rücken der wartenden Tiere gelegt. Es war eine +gewaltige Karawane, die größte, die ich je zuvor unbekannten Geschicken +entgegengeführt hatte, die größte, die je unter Führung eines Europäers +in das Innere von Tibet eingedrungen ist. Sie wurde in verschiedenen +Abteilungen abgeführt und nahm den ganzen Weg nach dem Yamen ein. +Zuerst schwankten meine Kisten im Sonnenbrande fort, dann die Sachen +der Leute, die Zelte und das Boot, und darauf die verschiedenen +Proviantkarawanen, jede Abteilung mit ihren besonderen Führern. + +Wieviel leichter ist es doch für einen Seefahrer oder eine Expedition, +die nicht weit bis zur Küste hat, mit großen Sammlungen heimzukehren! +Man braucht sie nur einzuschiffen. Im inneren Asien dagegen muß +jeder Gegenstand, den man zu Anfang der Fahrt erwirbt, Tausende von +Kilometern unter außerordentlich ungünstigen Verhältnissen auf Pferden +oder Kamelen mitgeschleppt werden. Die Lasten müssen jahrelang jeden +Morgen auf- und jeden Abend abgeladen werden. Ich verdanke es nur dem +Entgegenkommen des Dalai-Lama, daß die während dieser letzten Reise +in Tibet gemachten Sammlungen überhaupt aus dem Lande gebracht werden +konnten. + +Bisher hatte ich in der großen, geräumigen Mongolenjurte gewohnt, die +jetzt aber von der Karawane mitgenommen wurde, während ich in die +kleine, nur aus einem Holzringe, etwa zwanzig Stangen und einigen +weißen Filzdecken bestehende Jurte übersiedelte. Sie war bis Ladak +meine Wohnung. Als der Umzug vor sich ging, fanden wir einen großen, +abscheulichen, strohgelbgrauen Skorpion unter einer der Kisten; +er hatte mir gewiß die ganze Zeit über in der Jurte Gesellschaft +geleistet, mir aber merkwürdigerweise nichts zuleide getan. Einer der +Leute dagegen wurde, als er den Pferden Stroh gab, von einem Skorpion +gestochen. Er mußte ein paar Tage liegen, ehe der Schmerz aufhörte. -- + +So setzte sich denn die Karawane in Gang. Zwei von den jungen Kamelen +liefen ungebunden mit ihren Müttern, die ihre Kinder ängstlich im +Auge behielten. Das jüngste Füllen dagegen, das erst ein paar Tage +alt war, wurde sorgfältig in Filzdecken gepackt und zwischen zwei +Kisten auf mein altes Reitkamel gelegt. Die Mutter ging unmittelbar +hinter ihm; sie brüllte unruhig und suchte ihr Junges, bis sie es in +seinem Versteck ausfindig gemacht hatte. Die Pferde waren von Fett und +Wohlergehen halb wild geworden; sie machten draußen auf der Straße +einen entsetzlichen Spektakel, schüttelten die Lasten ab und liefen +wild durcheinander. Doch sie trugen nur Proviantsäcke, und diese +konnten eine solche Behandlungsweise vertragen. + +Es war ein großartiger Anblick, als dieser gewaltige Zug unter +Glockenklang, Geschrei, Rufen, Brüllen und Wiehern von unserem +ruhigen Serai und aus dem Schatten der Weiden fortzog. Nur wenige +Tiere sollten grüne Gärten wiedersehen und wieder im Stalle in ihren +Ständen Mais fressen. Wie fühlte ich mich jetzt reich als Besitzer all +dieser Herrlichkeit; wie mächtig erschien mir dieses Werkzeug, mit +welchem ich, wenn ich es richtig anwandte, große Teile von Tibet der +Wissenschaft würde erschließen können! Und doch überkam mich Wehmut, +als ich den bunten, gewaltigen, lebensfrohen Zug betrachtete. Nie haben +die Glocken der Kamele in so hohem Grade wie jetzt zum Begräbnis, +nein, zu einer ganzen Reihe von Begräbnissen geläutet! Ich ahnte, daß +dieser Weg für die meisten ein Todesweg werden würde, ein Weg, der +Tränen kostete, und daß die Route auf der Karte nicht zufällig mit Rot +eingetragen werden würde, -- sie kostete Blut! + +Wie elend und armselig sollte diese prächtige Karawane am Ende des +Jahres aussehen, wie verringert an Zahl und geschwächt an Kräften! Nur +ein Fünftel bestand die Probe. Sogar ein paar der Männer starben, und +alle anderen, ich nicht zum wenigsten, waren kraftlos und erschöpft, +als wir Tibet durchzogen hatten. Es wurde die anstrengendste, +schwerste Reise, die ich je gemacht habe. Bei mehr als einer +Gelegenheit war ich dem Tode näher als damals, als ich 1895 in der +Wüste Takla-makan vor Durst verschmachtete; damals aber, in der Wüste, +dauerte das Leiden nur ein paar Wochen; hier in Tibet aber gehörten +Leiden zur Tagesordnung, nachdem die wirklichen Schwierigkeiten einmal +angefangen hatten. Ich mache lieber noch zehn Reisen durch die Wüste +Takla-makan als noch einen solchen Zug durch Tibet! + +Tschernoff führte den Oberbefehl über die Pferde und hatte bestimmte +Befehle, wie er marschieren sollte. Turdu Bai war Chef der +Kamelkarawane. Sie sollten sich erst nach Abdall begeben und dann auf +dem bekannten Wege ins Gebirge hinaufziehen. In Abdall sollten sie 50 +Schafe kaufen und auf Tscherdon warten, der von Kara-schahr dorthin +unterwegs war. Sie nahmen den Hirsch mit; er folgte den Kamelen treu +wie ein Hund und wurde mit größter Fürsorge behandelt. Sieben Hunde, +unter ihnen Malenki und Maltschik, die eben mit in der Wüste Gobi +gewesen waren, gehörten mit zum Zuge. Alles ging gut, und der Leser +wird sie alle nach etwa einem Monat am Ufer des Kum-köll wiedertreffen. + +Jetzt lag unser Serai öde und still da; die Höfe standen leer, und wir +fühlten uns einsam und verlassen. Sirkin war jetzt mein Kammerdiener +und Li Loje mein Koch. Mollah Schah besorgte unsere Pferde. Nur diese +drei Leute hatte ich bei mir, nebst Jolldasch, der nie von meiner Jurte +wich. + +Jetzt mußte nur noch die Eselkarawane auf den Marsch gebracht werden, +die über Owras-sai und Kara-tschokka gehen und bei Bag-tokai mit der +großen Karawane zusammentreffen sollte. Am Morgen des 13. war der alte +Dowlet Karawan-baschi fertig und hatte seine 70 Esel mit Mais beladen +und seine zehn Untergebenen mit Proviant und Pelzen ausgerüstet. So zog +nun auch diese Abteilung der Karawane, der eigentliche „Train“, ins +Gebirge hinauf. + +Jetzt waren unsere Truppen geteilter als je zuvor. Ich selbst lag +in Tscharchlik, die Karawane war auf dem Wege nach Abdall, die Esel +zogen nach dem Aftin-tag, Schagdur war noch nicht aus Kara-schahr +zurückgekehrt, und Islam Bai würde mitten in der ärgsten Sommerhitze +mit meinen Sammlungen in Kaschgar eintreffen. Ich kam mir vor wie ein +Feldherr, der alle Fäden in seiner Hand halten muß. Es galt jetzt, so +mit den Truppen zu manövrieren, daß alles klappte und die Berechnungen +stimmten, wenn die rechte Zeit da war. + +Am 14. Mai traf um die Mittagzeit ein Mann aus dem Dorfe Lop ein und +brachte gute Nachrichten von Schagdur, der mir jedoch schrieb, daß +seine Pferde sehr abgehetzt seien, weshalb Sirkin sich rüstete, um +seinem Kameraden mit drei frischen Pferden entgegenzuziehen. Als er +gerade fortreiten wollte, ritt die kleine Karawane schon in den Hof +ein. Nun waren alle unsere Besorgnisse wegen der Burjaten mit einem +Schlage beendet. Tscherdon hatte meinen Befehl in Tscheggelik-ui +erhalten und sich schleunigst im Kahne nach Abdall begeben. + +Schagdur hatte seinen Auftrag natürlich in vortrefflicher Weise +ausgeführt. Er brachte die ganze mongolische Ausrüstung mit, deren wir +für unsere Pilgerfahrt bedurften, und obendrein noch einen wirklichen, +echten Lama, Schereb Lama, der 27 Jahre alt und aus Urga gebürtig war, +aber einem Tempel vor den Toren von Kara-schahr angehörte (Abb. 223). +Der Lama trug sein rotes Priestergewand, das eigentlich wie ein langer, +durch einen Gürtel zusammengehaltener Schlafrock aussah, und auf dem +Kopfe ein chinesisches rundes Käppchen. Ich kam ihm sehr freundlich +entgegen, damit er sich vom ersten Augenblick an bei uns heimisch +fühlen sollte, und begann sofort, meine eingerosteten Kenntnisse der +mongolischen Sprache wieder aufzufrischen. Es dauerte auch nicht viele +Wochen, bis ich mit dem Lama, wie wir ihn einfach nannten, ziemlich +fließend sprechen konnte. Er war die interessanteste Persönlichkeit +unserer reisenden Gesellschaft; der Leser wird bald seine Bekanntschaft +machen. Mit mir stand er schon nach wenigen Tagen auf sehr vertrautem +Fuße und kam stets zu mir, sobald er etwas auf dem Herzen hatte. Er war +bereit, sein Leben für mich zu lassen, und es ist wirklich ein Wunder, +daß er es um meinetwillen nicht verloren hat. + +Schagdur hatte noch zwei Reisegefährten, alte Bekannte von uns, +mitgebracht. Der eine war Ördek, der den Tempel in Lôu-lan entdeckt +hatte, der andere Chalmet Aksakal von Korla. Es war ein recht +eigentümliches, interessantes Quartett, das jetzt die Bevölkerung +unseres leeren Serai vergrößerte, und die Stimmung wurde wieder heiter. +Jeder von den vier Gästen mußte vorbringen, was er auf dem Herzen +hatte. Zuerst berichtete Schagdur über seine Mission, zeigte seine +Abrechnung und lieferte den Rest der erhaltenen Summe wieder ab. Er +brachte ungefähr die Hälfte wieder, -- ein anderer Asiat hätte dieses +Geld natürlich in seine eigene Tasche gesteckt, aber Schagdur war ein +ehrlicher, redlich denkender Mensch. Schon der Gedanke zu stehlen wäre +ihm ganz absurd vorgekommen. + +[Illustration: 206. Der Turm von Nordost. (S. 40.)] + +[Illustration: 207. Abbruch eines Turmes. (S. 40.)] + +[Illustration: 208. Haus mit stehengebliebenen Türen. (S. 40.)] + +[Illustration: 209. Ausgrabungen im Buddhatempel. (S. 43.)] + +[Illustration: 210. Schnitzereien in Pappelholz. (S. 43.) + +Rechts ein Buddhabild, unter diesem ein Fisch. + +Das Maß zur Linken ist 1 Meter.] + +Ördek war gesund und munter und bat aufs flehentlichste, mitkommen +zu dürfen, gleichviel wohin und unter welchen Bedingungen. Als +er im vorigen Jahre um seine Entlassung bat, hatte er als Grund +eine bösartige Krankheit angegeben. Jetzt versicherte er, dies sei +gelogen und der wahre Grund der gewesen, daß Islam ihn mit dem Tode +bedroht habe, wenn er es wagen würde, sich in Temirlik sehen zu lassen. + +Jetzt, da Islam uns verlassen hatte, zog sich ein Unwetter über ihm +zusammen. Ördek aber wurde unter denselben Bedingungen wie früher fest +angestellt, mußte sich alles Nötige besorgen und erhielt den Befehl, +den Eseln nachzueilen und mit ihnen nach dem Kum-köll zu ziehen. + +Der Lama war im vorigen Winter von einer Pilgerfahrt nach Lhasa +zurückgekehrt, wo er eine Zeitlang in einigen Tempeln die heiligen +Bücher studiert hatte. Auf der Rückreise hatte er einen anderen Lama +aus Kara-schahr als Genossen gehabt und dabei in Zaidam Kosloffs +Expedition gesehen. Dies war das einzige Mal auf der ganzen Reise, daß +ich etwas von meinem russischen Freunde hörte. + +Schereb Lama war sofort außerordentlich geneigt gewesen, die +burjatischen Kosaken nach Lhasa zu begleiten, und hatte ihnen so +viel von den Herrlichkeiten dieser Stadt erzählt, daß Schagdur vor +Sehnsucht brannte, dorthin zu kommen. Der Lama war aber mißtrauisch +gewesen und hatte gefragt, ob auch ein „Russe“ mitwolle, denn dann +könne er sich mit der Sache nicht befassen, -- das würde ihm das Leben +kosten. Schagdur hatte beteuert, daß kein Russe mitgenommen würde. Der +Lama erklärte mir nun, daß er mich gern überallhin begleiten wolle, +-- nur nicht nach Lhasa, und daß er mit einem Lohne von zwei Jamben +für die ganze Zeit zufrieden sei. Er erzählte dann allerlei von der +heiligen Stadt und der Wallfahrt und sagte, daß Lhasa schon in einer +Entfernung von zehn Tagereisen von Reitern und Grenzaufsehern umgeben +sei, die jede ankommende Karawane, ja jeden einzelnen Reiter gründlich +untersuchten. Alle würden auf diese Weise angehalten, und erst nachdem +ihre Pässe in Lhasa geprüft und von dort Bescheid gekommen sei, dürften +sie frei passieren. Die große Mongolenkarawane, die voriges Jahr an +unserem Lager in Temirlik vorbeigezogen war, sei zehn Tage aufgehalten +worden, weil man in Erfahrung gebracht, daß unsere Karawane an der +Grenze des Landes der Zaidammongolen lagere, und man wahrscheinlich +befürchtet habe, daß sich irgendein Unbefugter mit ihr einschleichen +wolle. + +Darauf kam die Reihe an Chalmet Aksakal. Zuerst fragte ich ihn, ob +er mir einen großen Dienst erweisen wolle, was er selbstverständlich +bejahte. Er solle mir zehn Jamben Silber leihen, nach damaligem +Silberwert etwa 2000 Mark. Bald darauf reihte er die Silberbarren +in meinem Zelte auf. Ohne diese Verstärkung meiner Kasse würde ich +in Südtibet in eine äußerst unangenehme Lage geraten sein. Nach +meinem Diktat schrieb er einen Brief in türkischer Sprache an Herrn +Petrowskij, welches Schreiben von mir unterzeichnet wurde und als +Wechsel für besagte Summe galt, der auch rechtzeitig eingelöst wurde. + +Nun war also endlich alles klipp und klar, und wir konnten am nächsten +Morgen, 15. Mai, aufbrechen. Daraus sollte jedoch nichts werden. +Um 5 Uhr fing es in außergewöhnlicher Weise an zu gießen, und der +Donner rollte dumpf in den Bergen -- ein passender Hintergrund zu der +traurigen Überraschung, die mir an diesem Abend bevorstand. Neue Wolken +ballten sich über dem armen Islam Bai zusammen! + +Chalmet Aksakal beklagte sich darüber, daß Islam in Korla 27 Sär von +ihm entliehen und ihn, als er das Geld zurückgefordert, beschimpft und +verhöhnt habe. Jetzt behauptete er auch, wohlbegründete Veranlassung zu +der Vermutung zu haben, daß auch ich bestohlen worden sei. Ich begriff +gar nicht, was er meinte. Islam Bai? Nein, das war nicht möglich! Er, +der fünf Jahre lang mein Geschick geteilt hatte, mit mir in der Wüste +beinahe umgekommen war und so viele Beweise meines Vertrauens und +meiner Zuneigung erhalten hatte, er, der so viele Geschenke bekommen +hatte und höheren Lohn erhielt als alle anderen und der die goldene +Medaille für Treue und Redlichkeit trug! + +Doch schon bei der ersten vorsichtigen Untersuchung in Tscharchlik +kam allerlei an den Tag. Schagdur hatte Islam Bai in Temirlik für 165 +Sär Gold von Goldgräbern aus Bokalik kaufen sehen, sich aber keine +Einmischung erlaubt, weil er überzeugt war, daß es auf meinen Befehl +geschehen sei. Sirkin und Ördek hatte Islam um 16 und 10 Sär betrogen, +sie hatten mir aber nicht durch Klagen lästig fallen wollen. Man könnte +sagen, daß die Wahrheit durch reinen Zufall ans Licht gekommen sei, +wenn man nicht darin vielmehr die Strafe der himmlischen Gerechtigkeit +sehen müßte. Chalmet Aksakal war brieflich beauftragt worden, Zucker +u. dgl. zu kaufen und uns zu schicken. Als ich in das Hauptquartier +zurückkam und die Rechnung sah, fand ich sie sehr hoch. Islam verstand +es damals, mir zu beweisen, daß sie um 23 Sär zu hoch war. Ich hatte +mir darauf Chalmet Aksakals Bruder, einen Tscharchliker Kaufmann +namens Osman Bai, kommen lassen, hielt ihm eine niederschmetternde +Rede und sagte, daß sein Bruder sich als unredlicher Mensch bewiesen +habe. Osman verteidigte ihn und bat mich himmelhoch, doch nicht der +Verleumdung Glauben zu schenken. Da ich mich nicht überzeugen ließ, +hatte Osman einen Eilboten nach Korla geschickt und seinem Bruder +geraten, unverzüglich zu kommen, da hier Böses gegen ihn im Werke sei. +Er kam nun auch mit Schagdur. Als sie Islam bei Tikkenlik begegneten, +war er sichtlich unangenehm berührt gewesen und hatte gesagt, er sei +beauftragt, den Kosaken mitzuteilen, daß ich meinen Plan geändert hätte +und sie über Abdall und Tschimen reiten müßten, wenn sie mich finden +wollten. Hätten sie ihm geglaubt, so würde ich sie erst Anfang Juni +am Kum-köll getroffen haben. Doch Islams Plan, der darauf angelegt +war, ihm bis Kaschgar Vorsprung zu verschaffen, scheiterte an der +Pflichttreue der Burjaten. Sie wußten, daß sie sich ausschließlich +nach meinen eigenen schriftlichen oder mündlichen Befehlen zu richten +hatten, und da ich glücklicherweise ein paar Tage vorher mit der +chinesischen Post einen Brief an Schagdur geschickt hatte, kehrte sich +dieser nicht an Islams intrigante Reden und begab sich direkt nach +Tscharchlik. + +Infolge der vorläufigen Untersuchung, die jetzt angestellt wurde, +verzögerte sich unsere Abreise um ein paar Tage. Als wir endlich +aufbrechen konnten, begleitete uns der Aksakal noch auf der ersten +Tagereise. Als er nach Korla zurückkehrte, nahm er ein Schreiben an den +Generalkonsul mit, der Islam Bai, welcher russischer Untertan war, auf +mein Ersuchen gleich bei seiner Ankunft in Kaschgar verhaften und alle +seine Effekten untersuchen lassen sollte. Alles darunter befindliche +chinesische Silbergeld und das rohe Gold sollten mit Beschlag belegt +werden. + +Doch ehe ich erzähle, wie es Islam in Kaschgar ging, will ich zeigen, +daß er das Schicksal, das ihn traf, in jeder Hinsicht verdient hatte. +Als wir in Kum-köll mit der Karawane zusammentrafen, wurden alle meine +Diener einzeln verhört. Jeden hatte er um größere oder kleinere Summen +betrogen; nur Tschernoff hatte sich nicht überlisten lassen. Im ganzen +ließen sich etwa 12 Jamben nachweisen, die er den Eingeborenen nach +und nach in größeren oder kleineren Beträgen abgenommen hatte, und mir +hatte er durch gewisse Geschäftspraktiken 9 Jamben veruntreut, einen +großen Teil davon bei den letzten Kamelankäufen. + +Schon in Jangi-köll hatte ich einen großen Vorrat von Tschapanen, +Pelzen und Stiefeln kaufen müssen, die unseren Dienern geschenkt werden +sollten. Die Sachen waren allerdings unter sie verteilt worden, aber +Islam hatte sich dafür bezahlen lassen und den Gewinn in seine Tasche +gesteckt. + +Es ist seltsam, daß ich nie gemerkt hatte, wie ich täglich so gemein +bestohlen wurde; aber es war doch auch wieder erklärlich. Erstens +wurden alle Auszahlungen aus meinen Geldkisten ordnungsmäßig gebucht, +und direkter Kassendiebstahl war nie vorgekommen; dazu war Islam viel +zu klug. Da aber alle größeren Beträge für den Ankauf von Proviant, +Kamelen und Pferden und die Löhne der Leute durch Islams Hände gingen, +hatte er Gelegenheit, den Lieferanten weniger zu geben, als sie zu +fordern berechtigt waren. Die guten Eingeborenen waren in weit höherem +Grade als ich die Geschädigten gewesen, daher fehlte auch nie etwas +in meiner Reisekasse; ich wußte stets, wieviel ausgegeben wurde und +wieviel noch da war. + +Dann findet man es wohl unbegreiflich, daß sich keiner der Betrogenen +bei mir beklagt hat, und auch ich wundere mich noch heute darüber, daß +dies nicht geschehen ist. Aber Islam war ein großer starker Kerl, der +es verstanden hatte, sich bei den Muselmännern in großen Respekt zu +setzen. Sie fürchteten ihn wie einen asiatischen Despoten, wagten nicht +zu murren, schwiegen und nahmen, was er ihnen gab, um so mehr, als er, +wie ich am Kum-köll erfuhr, drohte, dem, der bei mir zu klagen wagte, +den Schädel einzuschlagen. Deshalb nahmen sie sich hübsch davor in acht +und fanden sich still und ergeben in ihre ungerechtfertigten Verluste. +Er hielt sie durch seine bloße Gegenwart in hypnotischer Angst, und +erst jetzt, da er fort war, kam die Wahrheit zum Vorschein. Ja, jetzt +kam alles an den Tag! „O Gott, wie viele haben seinetwegen weinen +müssen“, hieß es. + +Auf der Fähre und in der Tschertschenwüste, den einzigen Reisen, auf +denen ich ihn unter meiner eigenen Kontrolle hatte, war er derselbe +wie früher, derselbe ruhige, besonnene, treue Diener wie auf der +Reise durch Asien in den Jahren 1893-97. Nachher nahm ich ihn nicht +mit auf große Exkursionen, weil ich glaubte, beruhigt sein zu können, +wenn er die Aufsicht über das Hauptquartier führte. Und wenn ich von +den verschiedenen Touren dorthin zurückkehrte, beklagte sich keiner; +die beste Ordnung herrschte überall. Gerade dieser Umstand, daß wir +meistens an verschiedenen Orten waren, macht es zum großen Teile +erklärlich, daß ich von den Unredlichkeiten nichts merken konnte, und +es würde mir überdies auch nie eingefallen sein, Islam Bai in Verdacht +zu haben. Dazu hegte ich viel zu großes Vertrauen zu ihm; von diesem +Gesichtspunkt aus war ich in nicht geringem Maße an seinem Unglück +schuld. + +Psychologisch war mir die Ursache seines Falles bald verständlich. +Während der Reise nach Peking war er in meiner Karawane drei Jahre lang +stets der Erste gewesen. Vom einfachen Arbeiter bei den Pferdekarawanen +zwischen Osch und Kaschgar hatte ich ihn zum Führer und Karawan-baschi +erhoben, und er hatte sich aus reiner Anhänglichkeit aufs glänzendste +bewährt. Auch jetzt hatte er mir anfänglich am nächsten gestanden. +Doch mit der Ankunft der Kosaken trat eine andere Ordnung ein. Ich +schätzte sie mehr, und ihre Gesellschaft war mir lieber als die +Islams. Alle Beschäftigungen in meiner unmittelbaren Nähe wurden den +Kosaken übertragen, während Islam nur mit den Muselmännern und den +gröberen Karawanenarbeiten zu tun hatte. Es verdroß ihn, sich von den +Ungläubigen verdrängt zu sehen, und in seinem Herzen stieg der Gedanke +auf: „Soll ich ihnen weichen, so will ich wenigstens Ersatz dafür +haben“, und nun begannen die Diebstähle in Jangi-köll und wurden die +ganze Zeit bis zu seiner Abreise von Tscharchlik fortgesetzt. + +Der Arme tat mir leid, und ich nahm mir vor zu versuchen, seine Strafe +nach Möglichkeit zu mildern, um so mehr, als die Muselmänner ihre +Beschuldigungen gewöhnlich sehr übertreiben. Doch wenn auch nur die +Hälfte davon wahr war, waren die Diebstähle schon groß genug, um ihn +nach Sibirien zu bringen. Aber in der Wüste Takla-makan hatte er mir +23 Jamben gerettet und mir bei unzähligen Gelegenheiten unschätzbare +Dienste geleistet. + +Es tauchten aber noch allerlei andere häßliche Geschichten auf, die +mich gegen sein Schicksal total gleichgültig machten. In Jangi-köll +hatte er sich drei, sage drei, junge „Frauen“ genommen, von denen ihn +eine 100 Sär gekostet hatte, und damals waren ihm erst 30 Sär von +seinem Lohne ausbezahlt worden. Während der zwölf Tage, die er in +Tschertschen zubrachte, hatte er sich ebenfalls „verheiratet“, und +in Tscharchlik hatte er sich zum Schlusse auch noch eine „Gattin“ +zugelegt. Je nachdem das Hauptquartier verlegt wurde, wurden die Damen +der Reihe nach abgedankt, und als er endgültig nach Kaschgar reiste, +ließ er sie alle miteinander sitzen. Bei all diesen leichtsinnigen +Streichen hatte er obendrein in Osch seine rechtmäßige Frau mit fünf +Kindern! + +Auf die Länge wird es kostspielig, sich fünf Frauen zu halten. Erst +muß die Auserwählte gekauft und bar bezahlt werden, dann wird sie +eingekleidet und dabei sind ihre Neigungen für chinesische Stoffe +u. dgl. zu befriedigen, und schließlich ist sie, vielleicht auch noch +ihr Papa und ihre Mama, zu beköstigen. Letzteres ließ sich ja aus +unseren eigenen Vorräten leicht bewerkstelligen, und ich werde es also +wohl gewesen sein, auf dessen Kosten geschmaust worden ist. + +Der letzte Abschnitt der Geschichte Islams nahm folgenden Verlauf. +Bei der Ankunft in Kaschgar ließ der Konsul seine Sachen durchsuchen. +Bares Geld wurde nicht mehr viel gefunden, aber das gefundene, +soweit es reichte, den Benachteiligten zugestellt. Seine Freiheit +durfte er behalten, doch nur bis zu einer gewissen Grenze, denn es +wurde ihm verboten, Kaschgar zu verlassen. Als ich Anfang Mai 1902 +wieder dorthin kam, hatte er infolgedessen noch keine Beschäftigung +gefunden. Er suchte mich im Dorfe Japptschan auf, und er tat mir sehr +leid, als er sich laut weinend mir zu Füßen warf. Ich ermahnte ihn +aufs eindringlichste, sich bei dem Verhör in Kaschgar streng an die +Wahrheit zu halten. Ich versicherte ihm, daß ich ihn, wenn er löge, +ohne Erbarmen der Gerechtigkeit des russischen Gesetzes überlassen, +wenn er aber die Wahrheit spräche, dafür sorgen würde, daß er straflos +ausginge. Er versprach, meinem Rate zu folgen. Er war kalt, finster, +bleich und abgezehrt und sah ein, daß er sein Leben ruiniert hatte. +Hätte er sich so gut geführt wie das vorige Mal, so wäre er in seinem +Heimatorte ein angesehener Mann geworden. Sein Name war schon jetzt in +ganz Innerasien bekannt, aber welche traurige Berühmtheit sollte er +künftig erlangen! + +Als aber das Verhör vor sich ging, alle Anklageakten vorgelegt und alle +Zeugen zur Stelle waren, leugnete er hartnäckig bei jedem einzelnen +Punkt. Man konnte ihn nicht dazu bringen, die Richtigkeit auch nur +der greifbarsten Beschuldigungen anzuerkennen; er erklärte alles für +boshafte Verleumdung. Ich erinnerte ihn wieder daran, daß es in seinem +eigenen Interesse liege, zu gestehen, aber nichts half. Keine Stimme +erhob sich zu seiner Verteidigung. Er erhielt jetzt vom Konsul Befehl, +sich bei dem Distriktschef, Oberst Saizeff, in Osch einzustellen, in +welcher Stadt nach russischem Gesetz das Urteil über ihn gefällt werden +mußte und wo er bald nach mir eintraf. Auch hier leugnete er alles. +Da er sich durch die Veruntreuungen gegen das russische Gesetz und +durch seinen Lebenswandel gegen das Scheriet (religiöse Gesetz) der +Muhammedaner vergangen hatte, wurde er für Sibirien reif erklärt, die +Strafe aber auf drei Monate Gefängnis ermäßigt; auf meine besondere +Bitte wurde die Strafe nachher auf vierzehn Tage ermäßigt, aber ganz +straflos durfte er schon seiner Landsleute wegen nicht ausgehen. + +Ich sah ihn in Osch nicht wieder und wollte ihn auch nicht mehr sehen. +Er, der in meiner Karawane eine so hervorragende, ehrenvolle Rolle +gespielt hatte, war von nun an für mich tot. Durch seine grenzenlose +Dummheit und Gedankenlosigkeit und durch eine Art Größenwahn hatte er +sich in das schimpflichste Elend gestürzt, er, der in seiner Heimat +einen Ehrenposten hätte erhalten können und dem die russischen Behörden +als Anerkennung der von ihm geleisteten Dienste einen goldgestickten +Samtchalat versprochen hatten. Damit war seine Geschichte zu Ende. Nach +den Verhören am Kum-köll wurde sein Name in der Karawane nicht mehr +genannt. + +Die Moral der Geschichte ist: „Traue nie einem Muselmann!“ Man sollte +glauben, daß, wenn man einen Diener so viele Jahre gehabt und mit Güte +überhäuft und er selbst nur Vorteil von seinem guten Betragen hat, man +sich schließlich auf ihn wie auf sich selbst müßte verlassen können. So +aber sind die Muhammedaner nicht. Sie vergessen nie, daß sie bei einem +Ungläubigen in Diensten stehen. In moralischer Hinsicht ist diese Rasse +schlecht, aber man muß sie nicht zu streng verurteilen, denn sie lebt +wirklich in harten Verhältnissen. Die Mongolen sind unvergleichlich +viel besser, und ist man wie ich so glücklich, eine Eskorte von Kosaken +zu besitzen, so dürfen die Muhammedaner nur zu den gröberen Arbeiten +benutzt werden. Mehrere von meinen muhammedanischen Dienern, Turdu Bai, +Kutschuk, Chodai Kullu und Ördek, waren allerdings außergewöhnlich +prächtige Menschen, aber sie hatten auch nie Gelegenheit, in allzu +große Versuchung zu geraten. + + + + +Neuntes Kapitel. + +Über die nördlichen Randgebirge nach dem Kum-köll. + + +Als ich am 17. Mai endlich in den Sattel steigen konnte, geschah es, +um noch einem Jahre voller Irrfahrten in Asiens großem, ödem Inneren +entgegenzugehen. Mit großer Spannung und frischem Mut wurde diese +letzte denkwürdige Reise angetreten, die mich mit den am schwersten +zugänglichen Teilen des Kontinents bekannt machen sollte. Gelang sie, +so würden, im großen gesehen, nicht viele Teile Asiens übrig sein, die +ich noch nicht besucht hatte. Ich hoffte gar viel von dieser letzten +Reise, wußte aber auch, daß ich jetzt das Schwerste vor mir hatte. +Doch die Schwierigkeiten reizen am meisten, und inmitten der ernsten, +eifrigen Arbeit, die täglich vorwärtsschritt, freute ich mich in +Gedanken auf all die wilden Abenteuer, die meiner „jenseits der hohen +Berge“ warteten. + +Eine unangenehme Überraschung stand uns jedoch noch bevor, ehe wir +die kleine, gastfreie Stadt am Rande der Wüste verließen. Am Abend +des 16. Mai traf eine Karawane von zehn mongolischen Pilgern aus +Tarbagatai mit elf Pferden und zwölf Kamelen ein. Sie ließen sich in +einem Haine unweit des Basars nieder. Schagdur und der Lama hatten sie +in Kara-schahr getroffen und wußten, daß sie auf dem Wege nach Lhasa +war. Natürlich wußten die Mongolen, von denen einige türkisch sprachen, +daß sich eine große Karawane in der Gegend aufhielt. Wir konnten nicht +aufbrechen, ohne daß sie uns sahen. Als Sirkin mit den Packpferden an +ihrem Lager vorbeiritt, hatten sie auch gefragt, wohin es gehe, und +er hatte geantwortet, daß er nach Ladak und Kaschgar wolle. Schagdur +und der Lama ritten frühmorgens aus der Stadt und machten einen +großen Bogen nach Westen, um nicht gesehen zu werden. Ich ritt den +mittleren Weg im Flußbett mit Chalmet Aksakal und dem alten Togdasin +Bek aus Tscharchlik, der uns damals durch das Bett des Ettek-tarim +begleitet hatte. Erst als die Gärten der Oase unter dem Horizont +verschwunden waren, vereinigten wir uns wieder zu einer Gesellschaft; +mich wenigstens hatten die Mongolen nicht gesehen; sie würden mich +nicht identifizieren können, wenn wir uns später unter kritischen +Verhältnissen treffen sollten. + +[Illustration: 211. Geschnitzte Holzstücke aus den Ruinen. (S. 43.)] + +[Illustration: 212. Schagdur mit einigen seiner Funde. (S. 44.)] + +[Illustration: 213. Das Haus, in welchem die Manuskripte gefunden +wurden. (S. 46.)] + +[Illustration: 214. Links der Tonkrug. in der Mitte ein Rad, rechts das +Manuskripthaus und ganz hinten der Lagerturm. (S. 50.)] + +Doch warum all diese Vorsichtsmaßregeln gegen eine Gesellschaft +friedlicher Mongolen, die keiner Katze etwas zuleide tun? Darum, weil +sie vor uns nach Lhasa kommen und ohne Zweifel von unserem Herannahen +erzählen würden. Dann aber würde das Land im Norden des „heiligen +Gebietes“ streng bewacht und wir nimmermehr durchgelassen werden. +Die Kamele der Mongolen waren freilich in schlechtem Zustand, und +sie würden lange Zeit brauchen, um Zaidam zu erreichen, wo sie wie +gewöhnlich jene gegen Pferde vertauschen wollten. Aber dennoch würden +sie uns bald einen Vorsprung abgewinnen und schneller und leichter +vordringen als wir, die wir die schlimmsten Teile von Tibet aufsuchten. +Meine Befürchtungen trafen später in der Tat zu, obwohl gewiß auch +andere Umstände in noch höherem Grade bei der Durchkreuzung unserer +Pläne mitwirkten. + +Die Karawane, mit der ich jetzt die nördlichsten Bergketten des +Kwen-lun-Systems überschritt, war folgendermaßen zusammengesetzt: +Schagdur, Sirkin, Mollah Schah und Li Loje, der Lama und ein Führer, +12 Pferde und Jolldasch. Das Hochgebirge erhob sich in überwältigender +Majestät vor uns. Im Südosten erschien die Talmündung, welcher der +Tscharchlik-su entströmt, und im Süden lagen der Kurruk-sai und +Korumluk-sai, nach denen unser Weg führte. Das Tal, in welchem der +Fluß die nördlichste Kette des Astin-tag durchbricht, ist zu wild +und tief, um passiert werden zu können. Die Sonne brannte heiß, und +die Mücken waren hungrig, verschwanden aber gleich, sobald wir in +öde, unfruchtbare, langsam ansteigende Gegenden gelangten. Zur Linken +erschienen einige einsame Reiter; es waren Mongolen, die uns von weitem +beobachteten. + ++Jiggdelik-tokai+, der erste Lagerplatz, liegt am linken Ufer des +Tscharchlikflusses (Abb. 225). Das Wasser rauschte in einem 40 Meter +tief eingeschnittenen Bette zwischen senkrechten Geröllwänden (Abb. +226). Ein halsbrecherischer Pfad führte nach dem Ufer hinunter, wo +einige wenige Büsche unseren Pferden kärgliche Weide boten. Der Aksakal +und Togdasin Bek, die uns den ganzen Weg begleitet hatten, kehrten +jetzt um, trotz des heftigen Sturmes, der sich am Nachmittag erhob und +der die Temperatur sehr bedeutend heruntergehen ließ. + +Der Morgen war frisch und kühl und machte wärmere Kleidung notwendig. +Bald reiten wir in die mächtigen, widerhallenden Säle des „Steinigen +Tales“ ein, wo die Wände von rotgeflammtem oder schwarzgestreiftem +Granit und dunkeln, harten Schiefern aufgemauert sind. Die nackten, +zackigen, kahlen Felsen versperren meistens die Aussicht, manchmal +aber öffnet sich in einem Seitentale eine großartige Fernsicht in +eine Welt von immer höher und gewaltiger werdenden Bergen, ein Chaos +von Ketten und Gipfeln, die hier und da mit malerischen Schneeflecken +gekrönt sind. Der Talgrund ist voller Geröllblöcke und Granitstücke von +verschiedener Größe, zwischen denen es sich ziemlich mühsam reitet. +Tamarisken und wilde Rosen sind häufig. Wir freuen uns nach dem langen +Winter in einförmigen Wüsten wieder in die ständig wechselnde Welt der +Felsen einzutreten, unsere Stimmen von den Felswänden widerhallen zu +hören und zu fühlen, wie unsere Lungen sich mit frischer, reiner, sand- +und staubfreier Luft füllen. + +Manchmal ist das Tal so eng, daß wir auf Seitenvorsprünge und Pässe +hinaufgehen müssen. Es zieht sich jetzt nach Osten, und nach einer +letzten Schwelle entrollt sich vor uns das Haupttal des Tscharchlik-su, +nach welchem wir wieder zurückkehren. Der Fluß ist nach dem letzten +Regen gewaltig angeschwollen. In der Talweitung, wo wir uns bei einer +Pappel einen Lagerplatz wählten, macht er eine scharfe Biegung. + +Ich hatte zehn Esel gemietet, die uns mit Mais für die Pferde nach dem +Kum-köll begleiten sollten. Ihr Ausbleiben zwang uns, einen Tag am +Flusse zu warten, aber keiner hatte etwas dagegen, in dieser schönen +Gegend zu rasten. Überdies hatten wir keine Eile, denn, wie langsam wir +auch zogen, wir würden doch vor den schwerfälligen Kamelen am Kum-köll +anlangen. Im Laufe des Tages trafen die Esel wohlbehalten ein, und nun +konnten wir uns wieder in Bewegung setzen. + +Eine schwere Tagereise stand uns bevor. Der Weg führt aufwärts durch +das tief in grauen Granit eingesägte Tal des Flusses, wo die von den +brausenden Wassermassen unterminierten Felsen manchmal gewölbeartig +überhängen. Wir wußten, daß wir den Tscharchlik-su sechzehnmal zu +überschreiten hatten und daß es galt, sich gut vorzusehen. Ein Hirt, +dem wir begegneten, konnte uns keine ermutigenden Mitteilungen machen. +Sein Pferd war mitten im Flusse gestürzt, und die ganze, aus Brot, +Mais und Kleidungsstücken bestehende Last war verlorengegangen. Der +Fluß, dessen Wassermenge jetzt etwa 9 Kubikmeter in der Sekunde betrug, +bildete Stromschnellen und rauschte donnernd zwischen rundgeschliffenen +Blöcken hin. + +Anstrengend und spannend ist diese kurze Tagereise, und man wird +erst ruhig, wenn man nach der letzten Furt die Instrumentkisten +wohlbehalten auf dem Trockenen sieht. Die Muselmänner untersuchten, +halb entkleidet, jede Furt, und die Pferde, welche die wertvollsten +Lasten trugen, wurden langsam einzeln hinübergeführt. Wir hatten auch +ein paar Maulesel; einer von diesen hatte es sich bei einer Furt in +den Kopf gesetzt, nicht denselben Übergang zu benutzen wie die anderen +Tiere. Er versuchte es mehr nach der Seite hin, wo die Hauptmasse des +Wassers in einer tiefen Rinne strömte, glitt hier aber aus, wurde von +der Strömung fortgerissen und eine weite Strecke unterhalb der Schwelle +auf eine Kiesbank geschleudert. Die Kosaken stürzten sich angekleidet +in den Fluß und richteten das Tier wieder auf, aber die ganze Last, die +glücklicherweise nur aus Mehl und Brot bestand, war verlorengegangen. + +Leider war die Gegend in dichten Nebel gehüllt, und die Kämme des +Gebirges verschwanden wie ein Tempelgewölbe in Abenddämmerung und +Weihrauchwolken. Der Lagerplatz trug den Namen +Mestschit-sai+ +(Moscheetal). + +Die vierte Tagereise führte uns ein Seitental hinauf. Dieses neue Tal +ist schmäler und wilder als die vorhergehenden und steigt schließlich +so steil an, daß man vorzieht zu Fuß zu gehen, ja bisweilen sogar +klettern und sich mit den Händen festhalten muß. Es ist ziemlich +schwierig, beladene Pferde solch abschüssige Wege hinaufzuführen; die +Lasten rutschen nach der Schwanzwurzel oder schlagen über und müssen +beständig zurechtgerückt werden. Auf diesem schuttbedeckten Felsboden +ist selten ein Pferd sichtbar, und solche sollen hier auch nicht oft +benutzt werden. + ++Jaman-dawan+ (der schlechte Paß) ist ein passender Name für die +ungeheuer scharfe, schwer passierbare Schwelle, die wir endlich +erreichten. Nur ein Pferd hat dort oben Platz. Auf beiden Seiten dieses +Sattels erheben sich gewaltige, wilde Felsen, die zu dem Kamme gehören, +in welchem der Jaman-dawan eine recht tiefe Einsenkung ist. Östlich +vom Passe ist das Gefälle viel weniger steil und der Boden mit Erde +bedeckt und mit Gras bewachsen. Die Luft war jetzt wieder klar, und die +Aussicht großartig. Über Hitze konnten wir uns nicht beklagen, denn auf +dem Passe hatten wir nur +2,6 Grad. + +Von dem Lagerplatze, der keinen Namen hatte, zogen wir nach Osten, +indem wir jetzt ein neues Tal hinaufstiegen. Anfangs war es ziemlich +eng und schwer passierbar, ja an einem Punkte, wo der Hohlweg ganz mit +herabgestürzten Granitblöcken angefüllt war, mußten die Tiere abgeladen +und mit vereinten Kräften eine 4 Meter hohe Stufe hinaufgewunden +werden. Oberhalb dieser Stelle erweitert sich das Terrain und wird +bequemer. Nur hin und wieder sieht man Rebhühner und kleine, niedliche +Bergschwalben, sonst kein Wild. Einige unserer Pferde und ein Maulesel +sind von dem vielen Schutt steifbeinig geworden und hinken; sie werden +daher nach Möglichkeit geschont. In der Nacht ging die Temperatur +auf -6 Grad herunter; mitten im Sommer ritten wir wieder dem Winter +entgegen. Dieses Jahr war mein Sommer wirklich nicht viel länger als +sechs Wochen gewesen! + +Eine lange, ermüdende Tagereise führte uns am 23. Mai auf offeneres, +plateauartiges Terrain, eine Hochlandsteppe, die stellenweise von +dem stehengebliebenen Grase des vorigen Jahres gelb schimmerte. Hier +sahen wir die ersten Kulane. Jetzt befanden wir uns auf alle Fälle +auf dem tibetischen Hochplateau und hatten das bizarre Randgebirge +überschritten. Schwere, dunkle Wolken begrüßten uns bei unserer +Ankunft und schütteten von Zeit zu Zeit ihren Inhalt in Form von +Regen und Schnee über uns aus. Während wir ein etwas ausgeprägteres +Tal hinunterritten, sahen wir abends bei Hascheklik unseren alten +Tscharchlik-su wieder; er war hier weniger wasserreich, und das Wasser +hatte eine eigentümliche, beinahe milchweiße Farbe, die gewiß von einer +verwitternden weißen Gesteinart herrührte. + +Schereb Lama in seinem roten Gewande mit dem gelben Gürtel und der +blauen Mütze, die nur bei Regenwetter von einem mongolischen Baschlik +geschützt wurde, war das malerischste Mitglied unserer kleinen +Karawane. Mit mir und Schagdur stand er schon auf dem vertrautesten +Fuße, aber die anderen kannte er wenig, denn er konnte nur ein +paar Worte Türkisch, doch war er sehr gelehrig und bereicherte +allmählich seine Kenntnisse. Was er während der langen Marschtage +dachte, weiß ich nicht, aber daß er viel grübelte, konnte ich sehen; +er mochte sich wohl den Kopf darüber zerbrechen, was das Schicksal +mit seiner priesterlichen Würde vorhatte. Er fand die Gesellschaft, +in die er geraten war, gewiß sehr merkwürdig, und es machte mir +unglaubliche Mühe, ihm den Nutzen der astronomischen Beobachtungen +und des Kartenzeichnens klar zu machen. Ich war in seinen Augen ein +recht sonderbarer Mensch, aber mit rührender Anhänglichkeit und +unerschütterlichem Vertrauen schloß er sich an uns an und begriff sehr +wohl, daß wir Fremdlinge es wirklich gut mit ihm meinten. + +Jeden Abend gab er mir Unterricht im Mongolischen. Ich schrieb alle +neuen Worte und Ausdrücke auf und mußte sie bis zum nächsten Abend +gelernt haben. Selten habe ich einen so angenehmen Lehrer gehabt. Er +wollte, daß ich seine Sprache bald so weit beherrschen sollte, daß er +sich mit mir über Dinge, die ihn selbst interessierten, unterhalten +konnte. + +Schnee und Hagel und naßkaltes Winterwetter herrschten an dem Tage, den +wir unseren Pferden zur Rast auf den Wiesen von +Hascheklik+ schenkten. +Im Freien zu arbeiten war unmöglich, und ich beschloß daher, mit dem +Lama zu sprechen. Wie unsere Pläne künftig auch ausschlagen mochten, +ich wollte nicht, daß der Lama je glauben oder auch nur denken sollte, +ich hätte ihn hinterlistigerweise in wahnsinnige Abenteuer verstrickt. +Ich wollte ihm die Möglichkeit offen lassen, beizeiten mit geretteter +Ehre in sein Land zurückzukehren. Deshalb erfuhr er schon jetzt, daß +ich die Absicht hatte, als Mongole verkleidet ihn und Schagdur nach +Lhasa zu begleiten. + +Er war sehr verdutzt und suchte mich zu überzeugen, daß dies unmöglich +sei. Mich und Schagdur würde niemand anzurühren wagen, ihm aber in +seiner Eigenschaft als Lama würde es den Kopf kosten. Er hegte keine +Furcht vor dem Dalai-Lama, den mongolischen Pilgern und den Chinesen +in der Stadt, sondern nur vor den Tibetern, die die dorthin führenden +Wege bewachen. „Töten sie mich nicht,“ sagte er, „so machen sie mich +doch als Lama für immer unmöglich; ich werde als Abtrünniger, als +Verräter, der einen Europäer nach Lhasa geführt hat, angesehen!“ Doch +schon jetzt war er in seiner Entschlossenheit wankend geworden, denn er +schlug vor, die ganze Karawane sollte geraden Weges nach der heiligen +Stadt ziehen, -- das Schlimmste, was uns dann passieren könne, sei, daß +wir höflich, aber bestimmt zurückgewiesen würden. Er selbst könne sich +dann als Türke verkleiden, und keiner seiner Freunde in Lhasa würde +eine Ahnung davon haben, daß er bei der Sache beteiligt sei. Als ich +jedoch an meinem Plane festhielt, schlug er vor, ich sollte mich lieber +für einen „Urancha“ ausgeben; es ist dies ein Stamm aus dem Altai, der +dem Lamaismus anhängt, aber einen türkischen Dialekt spricht, der dem +Dschaggataitürkischen, das mir recht geläufig war, sehr ähnelt. + +So sprachen wir den ganzen Tag miteinander, und schließlich war der +Lama wirklich erregt. Nach dem Kum-köll mußte er uns jedenfalls +begleiten, und ich versprach ihm, daß er von dort, falls er es +wünschte, heimkehren dürfte. An diesem See wollten wir ein paar +überflüssige Eseltreiber verabschieden, und mit ihnen konnte er sich +nach Tscharchlik begeben. Er fürchtete sich jedoch vor dem Sommer +dort und wollte lieber nach Tschimen reiten; ich ahnte sofort, daß er +mit der Mongolenkarawane nach Lhasa zu ziehen plante, und sagte mir, +daß er ihnen dann, in einem unbewachten Augenblick, meine Absichten +anvertrauen könnte. Eine solche Möglichkeit mußte um jeden Preis +verhindert werden. + +Das Wichtigste, mochte nun aus der Reise nach Lhasa etwas werden oder +nicht, war, daß wir unter allen Umständen in Tibet eines Dolmetschers +bedurften; dies war so wichtig, daß diese ganze lange Reise durch Tibet +bedeutend an Wert verlieren mußte, wenn wir uns mit den Einwohnern +nicht verständigen konnten. Ich erklärte dies dem Lama, und er sah ein, +daß ich vollständig recht hatte. Ich machte ihm sogar den Vorschlag, +daß er bei der Karawane im Hauptquartier bleiben könne, während ich und +die Burjaten nach Lhasa gingen. Dieser Ausweg hatte jedoch für seinen +Ehrgeiz nichts Verlockendes; er war kein Feigling und gab später bei +vielen Gelegenheiten Beweise von wirklichem Mut. + +Stumm und niedergeschlagen saß er die folgenden Tage im Sattel und +fand sicherlich, daß die Gesellschaft, in die er geraten, noch viel +sonderbarer sei, als er anfänglich gedacht. Mit Schagdur verkehrte er +nie wieder freundschaftlich; er fand mit Recht, daß dieser ihn schon +in Kara-schahr in den ganzen Plan hätte einweihen müssen. Ich erklärte +ihm, daß Schagdur auf meinen bestimmten Befehl so gehandelt habe und +daß, wenn er davon gesprochen hätte, daß ein Europäer verkleidet mit +nach Lhasa wolle, kein einziger Lama in der ganzen Mongolei sich, +um welchen Preis es auch sei, bei uns hätte anwerben lassen. Kein +Tagemarsch ging von nun an durch die Täler, kein Abend dämmerte, ohne +daß wir Rat hielten und über unsere Lhasapläne sprachen. Schereb Lama +machte hierbei wirkliche Seelenkämpfe durch. Ich war aber froh über +seine Gesellschaft; er war einer der besten Menschen, mit denen ich +zu tun gehabt hatte. In der Folge wird der Leser mit seinen weiteren +Schicksalen Bekanntschaft machen. Jetzt wurde also für den Anfang +vereinbart, daß er uns bis an den Kum-köll begleitete; dort sollte er +seine endgültige Entscheidung treffen, dort sollte er wie Herkules am +Scheidewege stehen und zwischen seiner sicheren Zelle im Kloster zu +Kara-schahr auf der einen und ungewissen Schicksalen und unter allen +Umständen merkwürdigen Abenteuern auf der anderen Seite wählen. + +Während der folgenden Tage kreuzten wir mehrere Nebenflüsse, die nach +Nordwesten strömen und dem Tscharchlik-su ihren Tribut bringen. In dem +großen, offenen Kesseltale +Unkurluk+ (Tal der Erdhütten), das wir +in dichtem Schneegestöber erreichten, sahen wir an mehreren Stellen +Schafherden, aber keine Menschen. Die Kosaken suchten die Gegend ab, +ohne daß es ihnen gelang, jemand zu treffen. Ein wenig höher oben +blieben wir in der Mündung eines kleinen Seitentales, wo es gute Weide, +aber kein Wasser gab (Abb. 227). + +Als die Luft sich ein wenig geklärt hatte, sahen wir zwei Zelte und +etwa zehn Leute. Die Kosaken ritten dorthin, um mit den Bergbewohnern +zu unterhandeln und Brennmaterial, Milch und ein Dutzend Schafe, die +wir mitzunehmen beabsichtigten, zu kaufen. + +Die 18 Hirten, die sich in +Unkurluk+ aufhalten, wohnen hier beständig +und hüten Schafe und Pferde aus Tschertschen. Den Winter verbringen +sie in erbärmlichen kleinen Erdhütten. Die Gegend ist reich an Wild; +Archari (wilde Schafe), Steinböcke, Yake, Bären und Wölfe kommen vor. +Seit dem Herbst hatten sich jedoch keine Yake gezeigt; sie begeben sich +im Sommer in höhere Regionen hinauf. Rebhühner hörte man hier und da +in den Bergen rufen. Der Schnee fiel abends außerordentlich dicht, und +wir waren wieder von vollständigem Winter umgeben. + +Als wir am 27. bei kaltem, windigem Wetter das „Tal der Erdhütten“ +verließen, nahmen wir zwölf ziemlich magere Schafe ohne Fettschwanz und +drei Hirten mit statt unserer Tscharchliker Führer und der fünf Esel, +deren Maislast bereits verzehrt war (Abb. 229). + +Jetzt befanden wir uns richtig im Gebirge und auf bedeutender Höhe +(3797 Meter). Das merkte man beim Atmen; man kletterte nun nicht mehr +unnötig steile Abhänge hinauf. Von Bergkrankheit zeigte sich jedoch +noch keine Spur, im Gegenteil, es ging uns allen vortrefflich. + +Der folgende Tagemarsch führte uns über vier leichte Pässe zweiter +Ordnung und über schneebedecktes, wellenförmiges Terrain nach dem Tale ++Kar-jaggdi+, wo es etwas Weide gab. Im Süden und Südosten erheben sich +mächtige, schneebedeckte Berge. Der Weg war leicht und angenehm, als +wir dieses Tal hinaufzogen, in dessen Mitte sich ein mehrarmiger Bach +schlängelte, der von dem frischgefallenen, schmelzenden Schnee gespeist +wurde und dessen Wasser von verwitterndem Sandstein, der in der Gegend +vorherrschte, rot gefärbt war. Auch jetzt galt es, einen Paß zu +überschreiten, der zwar leicht und bequem ist, aber große geographische +Bedeutung besitzt, denn er bildet die Wasserscheide zwischen +Ostturkestan und dem Tschimentale. Die Höhe beträgt 4079 Meter, und der +Schnee lag hier ziemlich hoch. + +Wir folgten dem nächsten abwärtsgehenden Tale nach Südosten, wo die +beschneite Kette des +Piaslik+ ein herrliches Panorama bildete, und +gelangten so in das breite +Tschimental+ hinunter, das wir von so +vielen früheren Exkursionen her kannten. Jetzt sah es noch winterlicher +und kälter aus als im Oktober vorigen Jahres; alle Berge waren mit +Schnee bedeckt, von dem aber nur die allerhöchsten Partien den Sommer +über liegenbleiben. Wir lagerten am Ufer eines Flusses, der sich weiter +abwärts mit dem Togri-sai vereinigt. + +In diesem Lager erkrankte Schagdur ziemlich heftig; sein Puls stieg auf +134 und seine Temperatur auf 38,6 Grad (meine Körpertemperatur stieg in +4000 Meter Höhe und darüber selten über 36 Grad). Wir mußten einen Tag +liegenbleiben und ihn pflegen, so gut wir konnten. Sirkin ging auf die +Jagd und kam mit zwei Orongoantilopen (~Pantholops hodgsonii~) wieder; +wir konnten daher ein paar Tage unsere Schafe sparen. Die Antilopen +sind in dieser Jahreszeit ziemlich mager, da sie auf das neue Gras +warten. Im Herbst sind sie fetter und besser. + +Am 30. war Schagdur besser und bestand fest darauf, daß wir +weiterzögen. Unser Weg führte jetzt nach Südosten über den ziemlich +großen +Togri-sai-Fluß+ und dann aufwärts in dem Quertal, das östlich +vom Durchbruchstal Togri-sai die Piaslikkette durchschneidet. + +Als wir schon eine ziemliche Strecke im Tale zurückgelegt hatten, +stellte sich heraus, daß der Patient und der Lama nicht mitgekommen +waren. Ich kommandierte daher an einem Rinnsale, wo Jappkakpflanzen +uns notdürftig mit Feuerung versahen, Halt und schickte Li Loje +zurück, um zu erfahren, welchen Grund das Ausbleiben der beiden hatte. +Nach einer Weile kamen sie alle drei; Schagdur war matt, schwindlig +und beinahe außerstande, sich im Sattel zu halten. Er bekam einen +tüchtigen Spiritusgrog, wurde in Filzdecken gewickelt und kam ins +Schwitzen. Gegen Abend ging es ihm entschieden besser; er hatte 37,2 +Grad Temperatur und 112 Pulsschläge. Der Spiritus wurde aus einer +der Flaschen für die zoologischen Sammlungen genommen. Sonst gab es +keine Spirituosen in der Karawane, und zur Ehre der Kosaken muß ich +sagen, daß keiner von ihnen, und von den anderen ebenfalls keiner, +sie entbehrten. Alkoholische Getränke sind ein böses Ding in einer +Karawane; sie machen Kräfte und Disziplin schlaff. + +Auch hier blieben wir einen Tag liegen, damit sich der Kranke +ordentlich ausruhte. Nach einer ruhigen Nacht legte er am 1. Juni die +Tagereise wirklich gut zurück. Freilich war er noch ein wenig matt und +mußte auf dem langen Wege ein paarmal rasten, aber er war doch ziemlich +munter, als er am Ufer des +Kum-köll+ ankam, wo er sich mehrere Tage +der Ruhe und Pflege erfreuen sollte. + +Am 1. Juni erreichten wir das Ufer dieses großen Salzsees. Wir +ritten auf vorzüglichem Boden nach Südosten. In der Ferne dehnt sich +die ungeheure, schön marineblaue Fläche des Sees aus. Nach Osten +hin erstreckt sich die +Kalta-alagan-Kette+, die wir in Verkürzung +in endloser, aber zusammengedrängter Perspektive sehen; ihr Kamm +glänzt matt-weiß. Kulane und Orongoantilopen kamen in Menge vor. Am +Ufer suchten wir lange vergeblich nach Wasser, bis endlich einer +der Hirten uns eine Stelle zeigte, wo sich seiner Meinung nach ein +Süßwasserbrunnen würde graben lassen, und richtig, seine feine Spürnase +hatte ihn nicht betrogen. Brennstoff war vorhanden; die Weide war +jämmerlich, aber in dieser Jahreszeit konnten wir nichts Besseres +erwarten. Die Zelte und die Lasten wurden dicht am Strande so praktisch +wie möglich aufgereiht (Abb. 228), und wir hatten jetzt weiter nichts +zu tun, als die Ankunft der Karawane zu erwarten. + +[Illustration: 215. Ausgrabungen in einem der Häuser von Lôu-lan. (S. +50.) + +Rechts im Vordergrund der große Tonkrug.] + +[Illustration: 216. Die Nivellierungskarawane. (S. 62.)] + +[Illustration: 217. Lager am Wasserarm. (S. 76.)] + +Wir warteten am 2. Juni, wir warteten am 3., aber keine Karawane +kam. Scharfer, östlicher Wind peitschte die Wellen des Kum-köll +zu bedeutender Höhe auf, und ihr eintöniges Rauschen gegen das +Ufer war das einzige, was das Schweigen der Wildnis unterbrach. +Bisweilen herrschte Nebel; doch auch wenn die Luft klar war, sah man +auf der Ostseite des Sees kein Land, und der Wind erfrischte wie eine +Meerbrise; ja, manchmal, wenn er Schauer von Hagel oder Schnee brachte, +kühlte er nur zu fühlbar ab. Die Hirten, die ihren Auftrag ausgeführt +hatten, brannten vor Ungeduld, wieder nach ihren Hütten zurückkehren zu +können; die noch vorhandenen drei Esellasten Mais wurden im Zelte der +Kosaken verwahrt, dann entließen wir die ganze Gesellschaft. Erst aber +mußten sie uns noch von den nächsten Schneewehen einige Säcke Schnee +zu süßem Wasser holen. Ich kann mir nichts Langweiligeres denken, als +jahraus, jahrein in diesem Gebirge zu hausen und anderer Leute Schafe +zu hüten! Und doch machten die Hirten einen heiteren, zufriedenen +Eindruck, und es war ein billiges Geschäft, sie überglücklich zu +machen. Für mich war es eine richtige Geduldprobe, hier stillzuliegen +und mir den Kopf darüber zu zerbrechen, weshalb die Karawane noch +nicht kam und ob ihr unterwegs etwas zugestoßen sein könnte. Doch der +Gedanke, sie in Tschernoffs, Tscherdons und Turdu Bais zuverlässigen +Händen zu wissen, beruhigte mich. + +Vergebens suchten unsere Blicke im Norden längs des Fußes des Gebirges +die lange, schwarze Linie, die das Herannahen der Unseren verkünden +würde. Manchmal konnten wir des Nebels wegen gar nichts unterscheiden; +wenn aber die Luft klar war, hielten die Kosaken mit dem Fernglase +eifrig Ausschau. Unterdessen ging es uns hier ganz gut. Proviant, +besonders Schafe, hatten wir noch hinreichend, und es konnte nicht +schaden, daß wir uns langsam und allmählich an die Luftverdünnung +gewöhnten. Schagdur wurde mit Massage und kalten Umschlägen behandelt +und erholte sich allmählich. Sirkin wurde beauftragt, nach unserem +vorjährigen Lagerplatz am Nordwestufer zu reiten und unterwegs eine +Marschroute aufzunehmen, die, wie sich bei der Kontrolle ergab, recht +gut ausfiel. Für den Fall, daß sich die Karawane dort niederlassen +sollte, machte er einen Wegweiser aus einem kleinen Brett mit einer +darauf gezeichneten Hand, die westwärts, nach unserem jetzigen Lager +zeigte. + +Der 4. Juni war ein schöner, herrlicher Tag. Die ganz klare Luft +erlaubte dem Blicke, dem Kalta-alagan-Gebirge bis in endlose Fernen zu +folgen, wo sein Kamm undeutlich wurde und wie in einer nadelscharfen +Spitze verschwand. Der See zeigte sich in einem neuen Farbenspiel: +hellgrün mit weißen Wellenschaumstreifen. Die Pferde weideten weit vom +Lager, die meisten Leute schliefen, nur der Lama spähte fleißig nach +Norden; das scharfe Zeißsche Fernglas war ihm sehr interessant, und er +benutzte es oft. Ich arbeitete in meiner Jurte, als er mir meldete, daß +er die Karawane zu sehen glaube. Ich nahm das Fernglas, und richtig, +längs des Fußes des Gebirges wurde der gewaltige Zug sichtbar, der in +sechs Abteilungen marschierte, voran eine lange, schwarze Linie und +dann mehrere kleinere Gruppen; nur mit Hilfe des Fernglases konnte ich +diese schwarzen Linien und Punkte unterscheiden. + +An diesem Tag wurde nichts mehr getan. Mit gespanntem Interesse +beobachteten wir den Gang des Zuges. Jetzt würden wir uns wieder +vereinigen und den Marsch nach Süden im Ernst antreten. Die Entfernung +war indessen noch zu groß, als daß die Karawane unsere Zelte hätte +sehen können. Sie ging noch immer nach Osten, statt gerade auf unser +Lager loszusteuern. + +Nun sahen wir zu unserem Erstaunen, daß Halt gemacht, die Lasten +abgeladen und die Kamele auf die Weide geschickt wurden. Ich sandte +daher Mollah Schah dorthin. Je weiter er sich auf dem weitgedehnten +Terrain von uns entfernte, desto schwerer wurde es uns seinen Weg zu +verfolgen. Schließlich kam ihm ein Reiter von der Karawane entgegen, +und beide gingen in das andere Lager. Dort wurden die Kamele von allen +Seiten wieder herbeigeholt, und der Zug setzte sich von neuem in +Bewegung, indem er umschwenkte wie ein Eisenbahnzug in einer Kurve, +den man schließlich in Verkürzung vor sich sieht. Darauf tauchte bei +dem östlich von uns liegenden, isolierten kleinen Berge ein einzelner +Reiter auf, der sich uns in starkem Trabe näherte. + +Es war Kutschuk. Er war vor ein paar Tagen von dem Karawanenführer +Tschernoff vorausgeschickt worden, um uns rechtzeitig Nachricht zu +bringen. Auf dem alten Lagerplatze am Nordufer hatte er Sirkins +Wegweiser gefunden und die Bedeutung der nach Westen zeigenden Hand +sofort verstanden. Er ritt mein altes Kaschgarpferd, das älteste in der +Karawane, und brachte uns nur gute Nachrichten. + +Mittlerweile näherte sich die Karawane in guter Ordnung; die beiden +Kosaken ritten in gestrecktem Galopp zu mir und meldeten militärisch, +daß alles gut stehe; Leute wie Tiere seien in vorzüglichem Zustand, nur +ein Maulesel sei als untauglich in Bag-tokai zurückgelassen; einige von +den heimkehrenden Dienern sollten ihn behalten, wenn sie ihn wieder ins +Leben rufen könnten. + +Jetzt kam die Eselkarawane mit Dowlet Karawan-baschi an der +Spitze angezogen; hinter dieser bunten Gesellschaft erschien ein +aufgescheuchter Kulan, der in einer Wolke von Staub gerade auf das +Lager zurannte, bis er die Gefahr erkannte und sich nach Westen rettete. + +Darauf erschien Turdu Bai an der Spitze seiner prächtigen, fetten +Kamele (Abb. 230). Sie waren munter und sichtlich zufrieden, daß sie +sich in der frischen, kühlen Bergluft befanden und die schwüle Hitze +und die stechenden Insekten der Tiefebene hinter sich hatten. Während +der Ruhetage, die sie unterwegs gehabt, hatten die Männer Tschapane +für alle Kamele genäht, um sie gegen den heftigen Temperaturwechsel zu +schützen. Die drei Jungen, die den älteren wie Hunde nachliefen, sahen +in ihren weißen Mänteln gar zu komisch aus. Sogar das jüngste Kleine +sprang umher, ohne eine Spur von Ermüdung zu zeigen. Es war erst wenige +Tage alt, als es schon mit der dünnen Luft Bekanntschaft machte, und +seine Lungen paßten sich ihr früh an. Ganz sicher trug dieser Umstand +dazu bei, es widerstandsfähiger zu machen als seine beiden Kameraden, +die es lange überlebte. Sogar dem Hirsche, der mit den Kamelen zu gehen +pflegte, ging es gut; er hatte nur den großen Fehler, uns zuviel Mais +wegzufressen, denn das gelbe Gebirgsgras verschmähte er verächtlich. + +Die letzten im Zuge waren die Pferde mit ihren Lasten und Treibern. +Jede Abteilung passierte das Hauptquartier, wo ich inmitten der Kosaken +stand, und alle Leute grüßten der Reihe nach höflich. Es dauerte +eine ziemliche Weile, bis die ganze Gesellschaft vorbeigezogen war, +um unmittelbar südlich vom Hauptquartier die Zelte aufzuschlagen und +das Gepäck aufzustapeln. Die Lasten wurden so gestellt, daß sie ein +Gehege für die Schafe bildeten, von denen wir jetzt eine ganze Herde +hatten, die Wanka, dem Leithammel aus Kutschar, auf den Märschen +gehorsam folgten. Wanka begleitete die Karawane schon seit dem Herbst +1899 und war das einzige von allen zu Beginn der Reise mitgenommenen +Karawanentieren, das wir im Jahre 1902 wieder mit nach Kaschgar +brachten. + +Für mich wurde eine ganz neue Jurte aufgeschlagen, welche die Kosaken +in Tscharchlik angefertigt hatten. Als das ganze Lager fertig war, +glich das Ufer des Salzsees einem lebhaft besuchten Korso mit Gruppen +von Leuten, die um rauchende Feuer saßen und plauderten. Die Tiere +zerstreuten sich auf der kargen Steppe, um sich ihre knappe Nahrung +zu suchen. Unterdessen tobte die Brandung am Ufer, und ein Sturm +wühlte den See auf. Dicht und kalt schlug der Regen uns entgegen und +durchnäßte unsere Ansiedlung. + +Zur Erledigung verschiedener Arbeiten war ein Ruhetag am Kum-köll +erforderlich. Ich packte alle meine Kisten gründlich um, damit ich die +Sachen und Instrumente, die täglich gebraucht wurden, in den beiden, +stets in meiner Jurte stehenden Kisten immer gleich bei der Hand +hatte. Das meteorologische Observatorium, das unter Sirkins Aufsicht +stand, wurde bei ihm in einer besonderen Kiste verwahrt, und die +Thermometer wurden auf jedem Lagerplatz in einem kleinen geschützten +Schuppen aufgestellt. Diejenigen der Konserven, die in der nächsten +Zeit gebraucht werden sollten, wurden ausgepackt. Eine Anzahl wenig +tauglicher Esel mußte, da ihre Lasten verzehrt worden waren, mit +einigen Eseltreibern wieder umkehren. + +Hier sollte sich auch der Lama endgültig entschließen, ob er mitkommen +oder umkehren wollte. Er hatte sich die Sache entschieden überlegt +und mit Li Loje eine kleine Intrige angezettelt. Letzterer, der jetzt +fast ein Jahr lang tadellos seinen Dienst verrichtet hatte, bat um +seine Entlassung und gab als Grund an, er habe erfahren, daß sein +alter Vater in Kerija gestorben sei, und müsse deshalb unverzüglich +dorthin, um seine Interessen wahrzunehmen. Dies wurde ihm natürlich +nicht geglaubt, denn dieselbe Geschichte hatte er uns schon bei ein +paar Gelegenheiten mitten in der Wüste einreden wollen. Das Schlimmste +aber war, daß er seinen Lohn in Tscharchlik für ein halbes Jahr voraus +bekommen hatte. Es war eigentlich recht eigentümlich, daß er nicht +einfach durchbrannte, da er ja sein eigenes Pferd, eines der besten der +ganzen Truppe, hatte. Von nun an ließ ich ihn eine Zeitlang bewachen, +damit er nicht in einer Gegend, wo wir ihn nicht mehr einholen könnten, +verduftete. Der Lama hatte beschlossen, Li Loje zu begleiten, um die +Mongolenkarawane dann in Tschimen oder Zaidam aufzusuchen. Als er aber +sah, daß der Mann doch bei uns bleiben mußte, wurde auch er anderen +Sinnes, suchte mich in meiner Jurte auf und erklärte, daß er mir +bis ans Ende der Welt folgen werde, was auch daraus entstehen möge. +Das einzige, was er erbat, war, nicht verlassen zu werden, falls er +erkranken sollte; er sah selbst bald ein, daß er in dieser Beziehung +nichts zu fürchten hatte, da nicht einmal eines der Tiere ohne weiteres +verlassen wurde. So ordnete sich diese Sache im Handumdrehen. Ohne +den Lama hätten wir in den bewohnten Gegenden Tibets kaum fertig +werden können, und Li Loje (alias Tokta Ahun) war, obwohl ein bißchen +verrückt, bei allen beliebt. Er erzählte lustige und grauliche +Geschichten und führte sich bis Ladak ausgezeichnet. + +Schließlich wurden alle Muselmänner zusammengerufen und Turdu Bai +feierlich zum Tugatschi-baschi (Kamelobersten) ernannt. Hamra Kul, ein +großer, kräftiger Mann aus Tscharchlik, der seinen sechzehnjährigen +Sohn Turdu Ahun bei sich hatte, wurde Att-baschi (Pferdeoberst); die +anderen hatten diesen beiden in allem, was mit der Wartung der Tiere +zusammenhing, unbedingt zu gehorchen. Mollah Schah erhielt keinen +Befehlshaberposten, weil er, dessen Aufgabe es gewesen war, die Pferde +am Kum-köll zu bewachen, gar nicht gemerkt hatte, daß ihm die ganze +Herde fortgelaufen war. Er fing die meisten allerdings noch vor Abend +wieder ein, aber fünf wurden erst am nächsten Morgen wiedergefunden. +Natürlich hatten die Kosaken einen höheren Rang als die Muselmänner, +und jeder von ihnen hatte seine bestimmte Beschäftigung und überwachte +das Ganze. + + + + +Zehntes Kapitel. + +Die Zusammensetzung der Karawane. + + +So brach denn der erste Tag auf dieser Reise im innersten Asien an, +an welchem ich die ganze Karawane auf +einer+ Stelle versammelt hatte +und vom Rücken meines prächtigen, weißen Reitpferdes mein wanderndes +Eigentum mustern konnte. Wir ließen jetzt keine Abteilung hinter uns +zurück; das Hauptquartier selbst war auf dem Marsche, und wir brauchten +uns nicht um Abwesende zu beunruhigen. Mit dem Abbrechen des Lagers und +dem Beladen der Tiere ging es ziemlich schnell; denn jeder der Leute +hatte seine bestimmte Arbeit. Während einige die Zelte abnahmen und die +Kisten packten, hoben andere die Proviantlasten auf Kamele und Pferde, +und sobald eine Abteilung fertig war, brach sie auf. + +Voran marschierten die Kamele in fünf verschiedenen Gruppen, jede +mit einem Führer; die erste führte Turdi Bai selbst. Wie unter +den Männern, so waren auch unter den Tieren einige, die besondere +Beachtung verdienten, z. B. die drei Kamelfüllen, die ihren Müttern +treu folgten und sich bei diesen dann und wann einen Schluck Milch +holten. Sogar das jetzt 33 Tage alte Junge legte seine 38 Kilometer +mit Leichtigkeit zurück. Unter den älteren Kamelen zeichnete sich +namentlich der große, schöne „Bughra“ (Hengst) aus, der mir 1896 durch +die Kerijawüste und nach dem Lop-nor geholfen und den wir jetzt in +Tscharchlik wiedergekauft hatten. Sein Gang war ruhig und majestätisch, +und mit Resignation betrachtete er die öden Gebirge, die ihm bald +sein Leben kosten sollten. Nahr, der Dromedarhengst, war noch immer +gehalftert, um nicht um sich beißen zu können; er hatte uns durch die +Gobi bis Lôu-lan begleitet. Die beiden „Artan“ (Wallachs), die alle +drei Wüstenreisen mitgemacht hatten und von denen ich das eine geritten +hatte, trugen jetzt, weil sie völlig leidenschaftslos und ruhig waren, +meine Instrumentkisten. Mein altes Reitkamel war eines der neun, die +schließlich Ladak erreichten. + +Auch Pferde und Maulesel, 45 an der Zahl, wurden in getrennten +Gruppen geführt, respektive getrieben und von Fußgängern begleitet, +die aufpaßten, daß die Lasten auf beiden Seiten gleiches Gewicht +hatten und nicht herunterglitten. Die Schafe folgten Wanka, und man +brauchte sich nur von Zeit zu Zeit nach ihnen umzusehen. Unsere acht +Hunde liefen in munterem Spiel nebenher und waren sichtlich von dem +ganzen Unternehmen sehr erbaut. Der Hirsch wurde auf dieser Tagereise +sehr krank oder erschöpft und ließ sich nicht länger zum Maisfressen +bewegen. Er blieb unaufhörlich zurück, und da ich sah, daß er nicht die +Kraft hatte, mit uns Schritt zu halten, ließ ich ihn blutenden Herzens +schlachten. Das Knochengerüst wurde der Skelettsammlung beigefügt. + +Zuletzt wurden die Esel fertig, und wir verloren sie bald aus den +Augen. Sie gelangten abends nicht einmal bis an das Lager. Von ihnen +werden bestenfalls nur einige wenige diese Reise überleben. Jetzt waren +ihrer etwa 60. + +Diese lange Karawane von Tieren, die mit Kisten, Zelten, Jurten, +Ballen und Säcken beladen waren, gewährte in der öden Landschaft +einen ebenso großartigen wie malerischen Anblick. Es war eine bunte +Truppe, die langsam und schwer an dem blaugrünen See entlangzog. Die +ungleichartigen Trachten und Typen trugen zur Abwechslung bei: die +Kosaken, Russen und Burjaten, mit ihren abgetragenen Uniformen und den +hinter dem Sattel mit Riemen festgeschnallten Pelzen, die Muhammedaner +mit ihren Tschapanen und Fellmützen, Eseltreiber, die große Ähnlichkeit +mit einer Rotte von Lumpen und Landstreichern haben; der Lama in +seinem roten Gewande taucht wie das gutmütige Heinzelmännchen der +Karawane bald hier, bald dort auf. Das Ganze erinnerte an ein Heer +auf Kriegsfuß, das auszieht, um neue Länder zu erobern. Es war auch +wirklich so; aber die Eroberung war friedlicher Art, da sie nur den +Zweck hatte, dem menschlichen Wissen bisher unbekannte Länder zu +unterwerfen. Noch sah die Karawane stark und lebenskräftig aus, aber +man brauchte nur einen Blick um sich zu werfen, um zu ahnen, daß +sie von dem Augenblicke an zum Untergange verurteilt war, als sie +ihre Schiffe hinter sich verbrannt hatte und südwärts über die öden +Hochebenen des nördlichen Tibet zog. Jetzt freilich befanden sich +ihre Mitglieder in vorzüglicher Verfassung, aber wie lange würde es +so bleiben? Dort dehnte sich wohl ein See aus, aber sein Wasser war +salzig, und nicht einmal die Wildgänse rasteten an seinen Ufern; hier +gab es wohl eine Steppe, aber ihr Graswuchs war verdorrt, erfroren und +hart, und die Berge, nach denen wir unsere Schritte lenkten, zeigten +ihre grauschillernden, verwitterten, felsigen Abhänge, auf denen nicht +ein einziger grüner Fleck zum Grasen war. Daß es nur eine Frage der +Zeit war, wie lange wir aushalten konnten, wußte ich aus Erfahrung; +ohne Opfer würde die Fortsetzung der Reise nach Süden nie möglich +sein. Die Karawane mußte von Tag zu Tag kleiner werden, und nur ein +Fünftel davon sollte dieses unheimliche, mörderische Land verlassen! +Dreißig Kamele sollten hier umkommen, und von den Pferden sollte nur +ein einziges nach Ladak gelangen. Ich hatte 30 Leute; viele von ihnen +sollten aber am Arka-tag wieder umkehren, namentlich alle die, welche +mit dem Eseltransporte zu tun hatten. Von den übrigen, die für die +ganze Reise gedungen waren, sollten auch nicht alle mit dem Leben +davonkommen! + +Ich selbst ritt bald an der Spitze, bald am Ende des Zuges, mit +meinen gewöhnlichen Arbeiten beschäftigt, von denen die Aufnahme der +Marschroute die meiste Zeit in Anspruch nahm. + +Anfangs gehen wir längs des Ufers nach Süden, müssen es aber +tückischer Moräste und Sümpfe wegen bald verlassen. Die Richtung ist +dann südöstlich, und zu unserer Linken liegt eine große Lagune mit +sehr salzigem Wasser. Die Hügel, die wir auf einem kleinen Passe +überschreiten, bestehen aus weichem, lockerem Material, auf dem die +ziemlich schwerbeladenen Kamele nur schwer und mühsam gehen können. Auf +der anderen Seite ging es beinahe senkrecht nach einem Flusse hinunter, +der ein wahres Höllenloch mit ziegelrotem Schlammboden durchströmte, +in welchem man ertrinken konnte, wenn man nicht mitten im Flußbette +blieb. Sogar dieses lebhaft fließende Wasser hatte einen bitteren +Salzgeschmack. Die Kamele gleiten aus und sinken oft bis an die Knie +ein. Im ersten besten Nebentale suchen wir Erlösung von diesem Elend, +überschreiten noch einen Paß und noch ein Tal und gehen ein drittes, +nach Süden führendes hinauf. Auch dieses lag zwischen jähen Wänden +von lockerem, rotbraunem Material. Die phantastischsten Türme und +Festungsmauern sind hier ausgemeißelt, und man glaubt, durch die Ruinen +einer alten Stadt zu reiten. + +Jetzt galt es nur, einen einigermaßen brauchbaren Lagerplatz zu finden; +als aber unsere Bemühungen auch beim Einbruch der Dämmerung nicht mit +Erfolg gekrönt waren, wurde das Lager Nr. 12 in der ödesten Gegend, die +man sich denken kann, aufgeschlagen. Weide und Brennstoff zu finden +hatten wir gar nicht erwartet, aber hier fehlte es sogar an Wasser. +Glücklicherweise fing es um 9 Uhr ziemlich heftig zu schneien an; alle +Gefäße wurden ins Freie gestellt, und wir bekamen so viel Schnee, daß +das Wasser daraus zu einigen Schlucken Tee für jeden reichte. Den +Tieren wurde so viel Mais gegeben, wie sie haben wollten; die Esel +würden doch nicht mehr sehr lange mitkommen können, und dann war es +besser, uns ihrer Lasten auf diese Weise zu entledigen, als sie im +Stiche zu lassen. + +Nachdem das Schneien aufgehört hatte und der gefallene Schnee +verdunstet oder aufgetaut war, begannen wir spät abends einen Brunnen +zu graben, der noch in 99 Zentimeter Tiefe kein Wasser gab und deshalb +nicht weitergegraben wurde. Doch am nächsten Morgen hatte sich in ihm +eine nicht unbedeutende Wassermenge angesammelt, die für alle Mann +reichte; ja, selbst die Hunde bekamen etwas davon ab. Dowlet holte uns +mit der halben Eselkarawane ein; damit sich auch die andere Hälfte mit +uns vereinigte, wurde nur ein kurzer Tagemarsch gemacht. + +Tschernoff hatte die Gegend rekognosziert und führte uns nach Südwesten +über ebenes, hartes Erdreich, das dünn mit Jappkakpflanzen bestanden +war und nach allen Richtungen hin von Kulanpfaden durchkreuzt wurde. +Noch sah man im Norden die Kalta-alagan-Kette, aber der See, der +diesseits derselben liegt, wurde von den Hügeln, die wir gestern +überschritten hatten, verdeckt. An das charakteristische tibetische +Wetter waren wir schon gewöhnt: heftige Hagelschauer, denen +Sonnenschein auf dem Fuße folgt, oder auch klare Luft über unserer +Gegend, aber schwarze, freigebige Wolken ringsumher. + +Wie auf dem Marsche innerhalb der Karawane eine bestimmte Ordnung +herrscht, so entsteht auch das Lagerdorf nicht aufs Geratewohl. +Derselbe Plan wiederholt sich allabendlich, nur mit unbedeutenden, +durch die Gestalt des Bodens bedingten Abänderungen. An dem einen +Ende der Lastenstapelreihen hat Turdu Bai sein Zelt (Abb. 231), wo +auch Hamra Kul, Mollah Schah und Rosi Mollah wohnen. Letzterer, der +muhammedanische Priester der Karawane, ist ein vierzigjähriger, des +Schreibens kundiger, sehr netter und zuverlässiger Mann. Er brachte wie +Li Loje sein eigenes Pferd mit und erhielt gleich den meisten anderen +Muselmännern monatlich 8 Sär. + +Das zweite Zelt, von Turdu Bais Flügel gerechnet, beherbergt meine +Küche und die der Kosaken; dort residiert Kutschuk allein. Er ist +Tscherdons Gehilfe, welch letzterer für die nächste Zeit zu meinem +Haushofmeister ernannt worden ist. Tschernoff ist der Koch der Kosaken. +Unsere Küche ist also von derjenigen der Muselmänner getrennt, da diese +nicht gern mit Ungläubigen speisen und religiöse Furcht vor Töpfen +hegen, in die sich möglicherweise einmal ein Stück Schweinefleisch +hatte hineinverirren können. Die Kosaken wollen ebensowenig ihre Töpfe +mit Kulanfleisch beflecken, welches die Muselmänner wiederum sehr gern +essen. + +[Illustration: 218. Ein Ausläufer des wandernden Sees. (S. 82.)] + +[Illustration: 219. Mein Hirsch im Garten. (S. 87.) + +Links ein Chinese, Tschernoff und Turdu Bai, rechts Islam Bai.] + +[Illustration: 220. Sirkin und Tschernoff mit den beiden kleinsten +jungen Kamelen. (S. 89.)] + +[Illustration: 221. Im Schatten der Weiden am Seraiteich in +Tscharchlik. (S. 98.)] + +Die dritte in der Reihe ist die große, von Sirkin, Schagdur und +dem Lama bewohnte Jurte. Jeder von ihnen hat sein Bett, das aus +Filzdecken, Pelzen und einem Kopfkissen besteht, und eine Kiste für +seine Sachen. Die Habseligkeiten der Eingeborenen nehmen dagegen wenig +Raum ein und haben meistens in einer Kurtschin (lederne Doppeltasche) +Platz. Schagdur ist jetzt nach seiner Krankheit jede Arbeit streng +verboten. Es dauerte jedoch nicht lange, so hatte er seine frühere +Kraft wiedererlangt und hob Kisten und Lasten mit demselben festen +Griffe wie vor der Krankheit. Dem Lama hatte ich ein für allemal +erklärt, daß er als „Doktor der Theologie“ nichts mit den gröberen +Karawanenarbeiten zu tun habe, da diese von den Muselmännern besorgt +würden. Ich sagte ihm, seine einzigen Pflichten seien, mir wie bisher +Unterricht im Mongolischen zu geben und späterhin unser Dolmetscher +für das Tibetische zu sein, unser „Tangut kälä“, wie es auf mongolisch +heißt. Doch wie oft ich ihm dies auch wiederholte, er kehrte sich +nicht daran. Es gab keine Arbeit, die dem Lama für seine an heilige +Folianten gewöhnten weichen Hände zu grob erschien. Er hob schwere +Kisten auf die Kamele und von den Kamelen herunter, und Turdu Bai sagte +lachend, er habe an ihm einen ausgezeichneten Handlanger. Hierdurch +gewann der Lama eine gewisse Popularität bei den Karawanenleuten +und stachelte den Ehrgeiz der Muhammedaner an; ein Rechtgläubiger +durfte ja nicht schlechter sein, als ein „Kaper“, ein Heide, der +Schweinefleisch ißt. Der Lama besaß eine scharfe Beobachtungsgabe +und große Menschenkenntnis. Es währte gar nicht lange, so hatte er +die Muhammedaner sowohl nach ihrem Werte als Menschen wie nach ihrer +Arbeitstüchtigkeit in eine Rangordnung gebracht. + +Darauf folgt Tschernoffs und Tscherdons kleine Jurte. Tschernoff +überwacht alle gröberen Arbeiten in der Karawane und ist dafür +verantwortlich, daß jeder seine Pflicht tut, und Tscherdon ist, wie +gesagt, mein „Leibdiener“ und Koch. + +Zu äußerst auf dem entgegengesetzten Flügel steht meine Jurte, bewacht +von Jolldasch und Jollbars, die manchmal gar zu eifrig auf eingebildete +Feinde losfahren, nämlich auf unsere eigenen Pferde und Kamele, die +friedlich in der Gegend umherstreifen oder, wenn sie vergebens nach +Gras gesucht hatten, nach Turdu Bais Zelt zu gehen pflegen, um sich +dort Mais zu holen. + +Die übrigen Karawanenleute müssen sich mit etwas provisorischeren +„Zelten“ begnügen. Sie breiten Filzteppiche über die Kamellasten +und finden darunter eine Lagerstatt. Ihr Essen kochen sie an den +verschiedenen Feuern, die mitten auf den Straßen und dem Markte der +Lagerstadt brennen. Einige von ihnen müssen jedoch die ganze Nacht +unsere Tiere hüten und dafür sorgen, daß diese sich nicht zu weit +entfernen. In dieser schweren Arbeit lösen sie jedoch einander ab, +und Tschernoff paßt auf, daß hierbei keine Ungerechtigkeit vorkommt. +Manchmal reitet er mitten in der Nacht zu den Herden, um sich zu +überzeugen, daß die Hirten nicht schlafen. Was die Schafe betrifft, so +wird für sie stets von den Lasten eine Hürde zurechtgemacht, denn in +dieser Gegend ist man vor Wölfen nicht sicher. + +Sobald die Ansiedlung für eine Nacht fertig dasteht, herrscht zwischen +ihren luftigen Hütten eine gute Weile Leben und Bewegung. Dann +schwirren drei Sprachen durcheinander, Dschaggataitürkisch, Russisch +und Mongolisch. Allmählich verstummt jedoch die Unterhaltung, Turdu +Bai führt die Kamele auf die Weide, wenn es in der Gegend solche gibt, +Hamra Kul macht es mit den Pferden ebenso, und beide erteilen ihre +Befehle hinsichtlich der Behandlung und Bewachung der Tiere. Wenn an +einem Packsattel ein Saum aufgegangen ist, wird er wieder zugenäht, +und wenn ein Kamel oder Pferd hinkt oder kränklich ist, wird es im +Lager zurückbehalten und mit besonderer Fürsorge gepflegt. Hier +werden die Feuer angezündet, die wir jetzt beinahe ausschließlich +mit trockenem Miste von Kulanen oder wilden Yaken unterhalten. Einen +kostbaren Reservevorrat von Brennholz haben wir an den starken Leitern, +an denen der Proviant festgebunden ist. In dem Maße, wie dieser +zusammenschrumpft, werden die Leitern überflüssig; sie werden aber nur +im äußersten Notfall als Feuerung verwendet, anfangs nur, um den oft +noch feuchten Dung zum Glühen zu bringen. Sobald er in Glut ist, werden +die Töpfe aufgesetzt und das Essenkochen beginnt. Um die Feuer herum +sieht man Gruppen von Männern, die sich eifrig miteinander unterhalten +und sich der Ruhe freuen. Wenn der gewöhnliche Weststurm mit tüchtigem +Schneetreiben anhebt und, wie heute, die Gegend in wenigen Minuten +kreideweiß und winterlich macht, decken sie sich einfach mit einer +Filzmatte zu und fahren in größter Ruhe mit der Speisenbereitung +fort. Meine Jurte ist in einer Viertelstunde fertig. Die Filzdecken +und Pelze, aus denen mein Bett besteht, liegen wie die der anderen +unmittelbar auf der Erde. Ich lasse mich auf dem Bette nieder und +trage die Beobachtungen des Tages in die Tagebücher ein. Nach dem +Abend- oder Mittagsessen, wie man diese Mahlzeit nennen will, wird +das am Tage entworfene Kartenblatt ausgearbeitet, die Kompaßpeilungen +und die Entfernungen ausgerechnet und der neue Lagerplatz auf einem +Übersichtsblatte angegeben. Ich weiß also stets, wo wir uns befinden, +kann mich davor hüten, mich den westlich von uns liegenden Routen +Littledales und Dutreuil de Rhins und den östlich von uns befindlichen +Wegen des Prinzen von Orléans und Bonvalots zu sehr zu nähern, und bin +auch imstande, die Richtung nach Lhasa einzuhalten. + +Das Lager der Eselkarawane befindet sich ganz in der Nähe des +unsrigen. Einstweilen sind dort nur 30 Esel; die anderen sind noch +nicht erschienen. Am folgenden Morgen, 8. Juni, mußte der alte Dowlet +umkehren, um sie zu suchen. + +Wir dagegen zogen südwärts durch ein ausgetrocknetes Tal. Kärgliche +Weide gibt es hier überall, aber keine anderen Tiere als Hasen. Der +Himmel bleibt immer noch bewölkt. Nach und nach wird das Terrain +beschwerlich. Hunderte von kleinen, wasserlosen Bachrinnen ziehen +sich nach einem nach Norden gerichteten Tale, das zu unserer Linken +liegt. In dieses gehen wir hinunter und folgen ihm dann aufwärts. Es +ist ziemlich tief in die Hügel eingeschnitten, und der Bach, der hier +seinen Abfluß gehabt hat, hat den Talboden derartig aufgelockert +und weichgemacht, daß die Kamele einsinken. Es klatscht nach jedem +Schritte, den die schweren Kolosse in dem Moraste zurücklegen. +Der lange, schwarze Zug folgt jedoch getreulich den Windungen des +Korridors, aber der greuliche Hohlweg wird immer nasser und enger. +Unaufhörlich erschallen eifrige Mahnrufe. Ein Kamel ist ausgeglitten +und gefallen, ein Pferd hat sich seine Last abgeschüttelt, und ein +Maulesel sitzt ganz im Schlamme fest. + +Selbst die boshafteste Phantasie kann keinen scheußlicheren, die Geduld +mehr auf die Probe stellenden Boden erdenken. Der Abstand zwischen +den tief ausgemeißelten Erosionsfurchen beträgt oft nur einen Fuß; +Millionen solcher kleiner Rinnen vereinigen sich zu größeren, diese +wieder zu noch kräftigeren, die schließlich in das nach dem Kum-köll +führende Haupttal münden. Die Abhänge fallen überall sehr steil nach +diesen Rinnen ab, und auf dem Schlammboden des Haupttales geht es sich, +als hätte man Bleisohlen an den Stiefeln oder schwere Gewichte an den +Beinen. Alle gehen natürlich zu Fuß. In einer Lache blieb mein einer +Stiefel stecken, und ich fuhr mit dem Strumpfe bis ans Knie in den +Morast. Die Wege, die zu Dantes Hölle führen, können nicht scheußlicher +sein, als diese siebenmal verwünschte Schlammstraße, die an den Kräften +der Karawane unnötigerweise zehrte. Zwei Kamele wurden so matt und +unbrauchbar, daß sie von ihren Lasten befreit werden mußten. Aus der +Ferne hatten diese Höhen so sanft und niedrig ausgesehen, daß die +Männer uns fast ebenes Terrain prophezeit hatten. + +Schließlich wurde es gar zu toll, und wir konnten keinen Schritt mehr +vorwärts; wir mußten aus diesem Loche heraus, gleichviel wohin, denn +schlimmer konnte es nicht werden. Turdu Bai wollte mit der Karawane auf +die zu unserer Linken liegenden Höhen hinaufflüchten und stellte ein +Dutzend Leute an, die mit Spaten einen steilen Weg gruben. Unterdessen +ritt Tschernoff weiter und kehrte bald mit der Nachricht zurück, daß in +dieser Richtung nicht einmal ein Fußgänger weiter vordringen könne. + +Nun befahl ich kehrtzumachen, und mit großer Schwierigkeit kehrte der +lange, schwerbeladene Zug in seinen eigenen Spuren um. Es war so wenig +Platz vorhanden, daß jedes Tier auf dem Flecke, wo es sich befand, +wenden mußte. Das Zurückgehen war noch fürchterlicher, denn der Boden +war jetzt noch mehr aufgeweicht. Nach unzähligen Mißgeschicken kamen +wir aus der verwünschten Falle endlich wieder heraus. + +Sirkin rekognoszierte jetzt ein anderes Tal, das von einem kleinen +Passe im Westen kam. Dieses ritten wir hinauf. In der Mitte des Tales +war ein jetzt ausgetrocknetes Flußbett mit senkrechten Uferwänden. Ein +paarmal mußten wir es überschreiten, und wieder wurden alle Spaten +in Tätigkeit gesetzt, um Wege in die wie Mehl stäubende rote Erde zu +graben. + +Verzweifelt langsam bewegte sich die erschöpfte Karawane vorwärts. +Ich saß auf dem kleinen Passe und ließ sie vorbeidefilieren. Endlich +hatte ich sie alle nach der anderen Seite, wo das Terrain offener war, +hinuntergehen sehen. Nur eines der beiden schwachen Kamele war mit Mühe +hinüberzubringen. Fünf Mann mußten es buchstäblich hinaufschieben. Es +wird gewiß das nächste Tier sein, welches daraufgeht. + +Wir rasteten auf einer kleinen Wiese an einem Quellbache. Diesmal +beschlossen wir aus vier verschiedenen Gründen liegenzubleiben. Erstens +war die Weide hier außergewöhnlich gut, viel besser als am Kum-köll, +zweitens waren die Tiere abgehetzt, drittens mußten wir auf die Esel +warten, die wir ganz aus den Augen verloren hatten und die sich bisher +als ganz marschunfähig erwiesen hatten, -- während der beiden letzten +Tagereisen waren viele von ihnen zusammengebrochen. Und schließlich war +es notwendig, Kundschafter südwärts zu schicken, um einen gangbaren Weg +zu suchen, denn es ist verkehrt, in unbekanntem Lande mit der ganzen +Karawane einfach draufloszugehen. Die Rekognoszierung wurde Mollah +Schah und Li Loje anvertraut, die nicht eher wiederkommen sollten, als +bis sie einen gangbaren Weg gefunden hätten. + +Um 3 Uhr herrschte ein Sturm aus Westen mit Schnee und um 9 Uhr ein +Sturm aus Osten. Halb über ein Kohlenbecken gebeugt, sitze ich im +Pelz bei meiner Arbeit, und dabei befinden wir uns im Hochsommer, 24 +Breitengrade südlich von Stockholm! Dafür beträgt die absolute Höhe +aber auch über 4000 Meter! Die Kamele sind zu bedauern, daß sie gerade, +nachdem sie ihre Wolle verloren haben, ganz nackt in ein so kaltes Land +haben hinaufziehen müssen; sie werden daher, so gut es geht, in die +enganschließenden dicken Filzmäntel gehüllt. + +Der Rasttag fing mit wirbelndem Schneesturme an. Um die Mittagszeit +klärte es sich jedoch auf, so daß ich eine Breitenbestimmung ausführen +konnte, und dann taute der Schnee wieder auf. Abends kehrten die +Kundschafter zurück und erklärten den Weg nach Süden hin für gangbar; +es wurde beschlossen, früh aufzubrechen, die Esel im nächsten Lager +zu erwarten und für den nächsten Tagemarsch wieder Kundschafter +auszuschicken. Es ist nicht so leicht, durch Tibet zu reisen, wie +mancher vielleicht glaubt; es erfordert im Gegenteil außerordentlich +große Umsicht. Die Nachtkälte sank auf -13 Grad, und bei Tag stieg das +Quecksilber nicht viel über Null. + +Den Fußspuren der Kundschafter folgend, zogen wir jetzt gen Süden. Das +schwächste Kamel durfte unbeladen gehen, blieb aber nichtsdestoweniger +schon zu Anfang des Marsches zurück und mußte mit einem Manne unterwegs +liegengelassen werden. Ein anderes, das alles, was Paßübergang hieß, +verabscheute, machte uns viele Beschwerde. Sobald es fand, daß es zu +steil bergan ging, blieb es einfach stehen, und ein Pferd mußte seine +Last übernehmen. Bergab ging es gut, doch unweit des Lagers weigerte es +sich, wieder aufzustehen und wurde mit einem Wächter zurückgelassen. + +Das Terrain war hier günstig; nur ein Tal zwang uns, eine lange Strecke +ostwärts zu gehen. Über unzählige Bachbetten und die zwischen ihnen +liegenden Erhöhungen hinweg schlagen wir dann wieder eine südliche +Richtung ein und gelangen an das linke Ufer des größten Flusses, den +wir seit langer Zeit gesehen haben. Er ist wasserreich, und große +Eisschollen glänzen in seinem Bette. Auf einer Anhöhe, wo das erste +junge Gras dieses Jahres sproßte, wurde Halt kommandiert. Ich ging +bis an den Rand des Ufers und befand mich da über einem gähnenden +Abgrund mit meist völlig senkrechten Geröllwänden von 23,1 Meter Höhe. +Eine solche Stelle ist für die wenig überlegenden Kamele gefährlich. +Das lose Erdreich am Rande kann unter ihrem Gewichte nachgeben, und +die Tiere können dabei in die Tiefe stürzen. Sie wurden deshalb nach +einem sichereren Tale zurückgeführt. Turdu Bai bugsierte das zuletzt +zurückgelassene Kamel in das Lager. Am Abend stellte sich Dowlet mit 30 +Eseln ein. + +Auf diesem in jeder Beziehung für uns geeigneten Lagerplatze brachten +wir drei Tage zu. Sie waren sehr notwendig, um Ordnung in die Karawane +zu bringen. Noch sechs Esel gesellten sich mit ihren Lasten zu den +bereits eingetroffenen. Da die übrigen gar nichts von sich hören +ließen, sandte ich Tscherdon mit einigen Mauleseln und Pferden zurück, +um sich nach ihnen umzusehen und ihnen zu helfen; er kam erst am +dritten Tage mit dem Gepäck wieder. Von den Eseln waren an dem einen +Tage neun, am anderen dreizehn zusammengebrochen; nur ein paar waren +noch am Leben, aber auch nicht mehr brauchbar. + +Die Kosaken beschäftigten sich mit Jagd, denn auch in dieser Beziehung +war die Gegend besonders günstig. Sie erlegten mehrere Orongoantilopen +und Gänse, welch letztere sich auf ihrer Rückreise nach Norden hier +ausruhten. + +Sirkin und Mollah Schah sollten jetzt für die Führung einstehen und +nahmen für den Fall, daß sie auf dem nächsten Lagerplatze noch nicht +wieder zu uns stoßen würden, Pelze und Proviant mit. An diesem Tage, +14. Juni, war jedoch das Terrain gut; wir ritten das große, offene Tal, +das nur geringe Steigung hatte, hinauf. Nur ab und zu, im eigentlichen +Talgrunde, war der Boden gefährlich, und man mußte erst untersuchen, ob +er trug. Tschernoff war einmal drauf und dran zu versinken und konnte +sein Pferd nur mit Mühe retten. Wildgänse sind überall zu sehen. Die +Leute glaubten bestimmt zu wissen, daß es die Art war, die nicht weiter +als bis an den oberen Kum-köll geht. + +Einer der Kosaken schoß ein paar von ihnen. Wir befanden uns da noch +oben auf der Terrasse, und die verwundeten Gänse flatterten unten +auf dem Boden des Tales. Ördek stürzte sich mit bewunderungswürdiger +Gewandtheit den Abhang hinunter und bemächtigte sich ihrer. Er hatte +sich dabei jedoch zuviel zugemutet und wurde hinterdrein vor Atemnot +und Herzklopfen beinahe ohnmächtig. Nachdem er die Gänse getötet hatte, +blieb er eine Zeitlang auf dem Rücken liegen; ich schickte einige Leute +zu ihm hinunter. Nach einer Stunde war er jedoch wieder ebenso munter +wie vorher. Schagdur schoß drei Rebhühner, und eine Strecke weiter +wurde eine Orongoantilope entdeckt, die Sirkin im Vorbeireiten erlegt +hatte (Abb. 232.) Auf diese Weise vergrößerte sich der Proviantvorrat. +Kulane waren besonders zahlreich vertreten und zeigten sich in Herden +von etwa 20 Tieren. Von wilden Yaken sahen wir nur Fährten und Dung, +aber auch letzterer war wertvoll, und auf jedem Marsche wurden ein paar +große Säcke damit gefüllt, um unseren Brennstoffvorrat zu vermehren. + +Beim dumpfen Geläute der großen Glocken schreitet die Karawane in der +gewöhnlichen Zugordnung langsam vorwärts. Vor uns erhebt sich eine +mächtige Bergkette; wir schlagen den Weg nach einer ihrer Talmündungen +ein. Hier wuchs niedriges, dichtes Gras, und eine große, dicke Eistafel +füllte das Bergtor aus. Der Platz eignete sich viel zu gut für das +Lager, als daß wir daran hätten vorbeigehen können (Abb. 234). + +Die Zelte waren kaum aufgeschlagen, als sich eine unerwartete Episode +zutrug. Wir hatten die große Eismasse dicht neben uns; jenseits +derselben sah man einen schwarzen Gegenstand, den die Männer für einen +Stein hielten. Als er aber anfing sich zu bewegen, meinten sie, es sei +ein im Stiche gelassener Yak. Ich hörte, daß in der Jurte der Kosaken +eifrig leise gesprochen wurde, und dann kam Tschernoff mit dem Fernglas +zu mir geschlichen und flüsterte, vor Aufregung und Jagdeifer glühend: +„Ein Bär geht gerade auf das Lager los!“ Und richtig, ohne von den +Zelten und den dicht dabei weidenden Kamelen die geringste Notiz zu +nehmen, spazierte der Petz weiter, als gehöre er zur Gesellschaft. +Schnell wurden alle Hunde gekoppelt und hinter einen Hügel gebracht, +damit sie die Jagd nicht störten. Die Kosaken wollten sogleich zu Pferd +steigen und den ungebetenen Gast empfangen, denn sie glaubten, daß er +uns bald wittern und dann die Flucht ergreifen würde, aber ich riet +ihnen nur ruhig zu warten; es machte mir zuviel Spaß, die Bewegungen +des Tiers durch das Fernglas zu beobachten. + +Der zottige Einsiedler muß blind und taub gewesen sein, denn er +trottete ruhig weiter. Jetzt war er an der Eistafel, kaum 200 +Schritt von uns; er betrat sie und überschritt sie diagonal, immer +gerade auf unser Lager zu. Sein Gang war außerordentlich langsam, +er war entschieden müde. Manchmal blieb er stehen, um das Eis zu +beschnüffeln, und den Kopf hielt er die ganze Zeit gesenkt. Dann +verschwand er in einer Vertiefung des Eises, wo er sich eine Weile +aufhielt, um zu saufen. Jetzt riet ich den Schützen, sich nach dem +Eisrande zu schleichen und ihn dort mit gespanntem Hahne zu erwarten. + +Darauf ging er seinen ruhigen Gang weiter, gerade in den Rachen des +Todes hinein. Die drei Schüsse krachten so gleichzeitig, daß sie wie +ein einziger klangen. Der Petz drehte sich nicht um, sondern eilte im +Galopp am Lager vorbei und den nächsten Abhang hinauf. Pferde standen +schon bereit, im Nu waren die Schützen im Sattel und hinter drein, +eine neue Salve ertönte, und wie ein Ball rollte die Bestie den Abhang +herunter. + +Ich begab mich mit dem großen photographischen Apparate dorthin und +machte ein paar Aufnahmen von dem Eremiten der öden Gebirge, dem +tibetischen Bären (Abb. 233). Dann wurde er abgehäutet, das Fell und +das Knochengerüst sollten aufgehoben werden. Sein Inneres war von den +Kugeln ganz zerrissen. Es war ein uraltes Männchen; in den Zähnen, die +es noch besaß, gähnten große Löcher; der arme Petz muß entsetzlich +an Zahnweh gelitten haben, bis er auf diese radikale Weise kuriert +wurde. Der Magen enthielt ein kürzlich verzehrtes Murmeltier und +einige Kräuter. Ersteres hatte der Bär mit Haut und Haar verzehrt, die +Knochen hatte er aber mit seinen schlechten Zähnen nicht durchzubeißen +vermocht. Er hatte es jedoch recht pfiffig angefangen, um das Gericht +so schmackhaft wie nur möglich zu machen. Er hatte nämlich das +Murmeltier erst bis auf die Zehenspitzen abgezogen, dann das Fell mit +den Haaren nach innen in einen Ball zusammengerollt und darauf diese +Kugel ganz hinuntergeschluckt. Der Arme! Seine einsame Wanderung nahm +ein Ende mit Schrecken. Aber warum mußte er sich auch gerade nach dem +einzigen Fleckchen innerhalb eines Umkreises von Hunderten von Meilen +begeben, wo Menschen mit ihren Flinten auf ihn lauerten? + +Am nächsten Tage kamen Sirkin und Mollah Schah wieder und sagten für +zwei weitere Tagemärsche gut. Am 16. Juni wären wir aufgebrochen, wenn +ich nicht mit der Nachricht geweckt worden wäre, daß ein sehr heftiger +Schneesturm herrsche; es hatte die ganze Nacht geschneit, und der +Schnee lag 10 Zentimeter hoch. Wir warteten daher besseres Wetter ab, +und da das Schneetreiben den ganzen Tag anhielt, blieben wir noch eine +Nacht hier. Förmliche Schneewehen häuften sich um die Zelte an, und von +den Filzdecken tropfte es in meine Jurte, denn die Temperatur blieb ein +wenig über Null, und die Jurte wurde durch das Kohlenbecken nur schwach +erwärmt. + +Der 17. Juni brachte uns um so schöneres Wetter; der Himmel war rein, +und die Sonne bereitete der Schneedecke bald ein Ende. Es ging durch +ein ziemlich breites, wasserloses Tal immer höher nach dem Arka-tag +hinauf. Sirkin diente jetzt als Wegweiser. Als wir endlich an eine +kleine Quelle gelangten, mußten wir rasten, um Wasser zum Abend +zu haben. Der Graswuchs hatte aufgehört, nur hier und da wucherte +saftiges, grünes Moos. Abends erhob sich ein heftiges Schneegestöber +mit Nordnordwestwind; alle Jurten bedeckten sich mit weißen Kuppeln, +die dazu beitrugen, das Innere nachts warm zu halten, und der Schnee +knirschte unter den Fußschwielen der Kamele. + +Noch waren wir nicht bis zu dem Punkte gelangt, bis zu welchem +Sirkin rekognosziert hatte, und wir konnten also am nächsten Morgen +weiterziehen, ohne unpassierbares Terrain befürchten zu müssen. Nach +einer guten Weile erreichten wir endlich auf einem bequemen, flachen +Passe den Kamm der Kette, die uns in den letzten Tagen die freie +Aussicht nach Süden versperrt hatte. Von hier aus zeigte sich auf +einmal die Möglichkeit für eine gute Tagereise nach Süden. Im Südwesten +aber erhob sich eine vom Scheitel bis zur Sohle in Schnee gehüllte +Bergkette, die nur unser alter Feind, der Arka-tag, sein konnte. +Zwischen den beiden Bergketten, aber der, auf welcher wir uns befanden, +näher liegend, dehnte sich ein abflußloses Becken aus, dessen Mitte +ein kleiner, vollständig zugefrorener Süßwassersee bildete. Die Weide +an seinen Ufern lud um so mehr zum Rasten ein, als wir jetzt wieder +Kundschafter ausschicken mußten. Am nächsten Morgen in aller Frühe +sollten drei Mann sich aufmachen. Entdeckten sie nach einem Ritte von +10 Kilometer Gras, so sollten sie alle zurückkehren, fanden sie aber +keines, so sollte einer von ihnen uns Bescheid bringen und die anderen +weiterreiten. Einer der Kundschafter kam mittags wieder, aber auf die +beiden anderen mußten wir zwei volle Tage warten, worauf sie endlich +mit der Nachricht heimkehrten, daß sie einen Paß entdeckt hätten, der +allerdings nicht allzu bequem sei. + +[Illustration: 222. Ein Teil des Stallhofes unseres Serai. (S. 91.) + +Links Sirkin auf den Reissäcken, Turdu Bai vor dem Dromedar.] + +[Illustration: 223. Schereb Lama auf dem „Gelbohr“ mit dem „Tiger“ an +der Leine. (S. 96.)] + +[Illustration: 224. Der Tag vor dem Aufbruch aus Tscharchlik. (S. 93.)] + +In diesem Lager, Nr. 18 (4733 Meter), wurde ein bedeutendes Kontingent +unserer Gesellschaft entlassen. Die noch lebenden Esel waren in so +jämmerlicher Verfassung, daß es barbarisch gewesen wäre, sie mit +über den Arka-tag zu nehmen. Dowlet Karawan-baschi erhielt daher die +Erlaubnis, zu retten, was sich noch retten ließe, und mit seinen +fünf Eseltreibern wieder nach Norden zu ziehen. Im besten Falle wird +eine geringe Zahl der Esel die Heimreise überlebt haben, aber der +Alte hatte auch einige Pferde, die noch in gutem Zustande waren. Die +Skelette und die Felle des Hirsches und des Bären wurden eingepackt, +und Dowlet erhielt den Auftrag, sie mitzunehmen und nach Kaschgar +zu schicken, wo ich sie ein Jahr später unversehrt vorfand. Ein +gutes Geschäft machte er bei seinem Eseltransporte nicht, aber die +Miete für die einzelnen Esel war so reichlich bemessen, daß er +wenigstens den Wert der Tiere wiederbekam. Desgleichen wurden drei von +unseren in Tscharchlik angestellten Dienern, Nias, Kader und Kurban, +verabschiedet. Umkehren wollte keiner, aber da wir drei Männer gut +entbehren konnten, wurden diejenigen ausgesucht, die sich bisher als +die am wenigsten tüchtigen erwiesen hatten. + +So dezimiert, setzten wir am 21. Juni die Reise nach Südsüdwesten +fort, immer höher werdenden Regionen entgegen, auf vortrefflichem, +langsam aufsteigendem Terrain von ungefähr der richtigen Härte und +mit spärlichem Graswuchs. Wenn ich von Gras rede, darf sich der Leser +keinen übertriebenen Hoffnungen für die Tiere hingeben. Die Gegend +ist für gewöhnlich absolut steril, und wenn man gelegentlich kleine +Flecke mit strohgelben, harten, scharfen, wenige Zentimeter hohen +Halmen findet, nennt man dies Gras. Man tut gut, sich nicht allzuleicht +bekleidet auf einem Hügel, wo solches „Gras“ wächst, auszuruhen, denn +es ist hart wie Knochen und sticht wie scharfe Nadeln sogar durch +ziemlich dicke Stoffe. So ist es mit der einzigen Nahrung bestellt, die +sich unseren Tieren in diesem unwirtlichen Lande darbietet! + +Der Zug schreitet ein ziemlich großes, breites Flußtal hinauf, das +von den Schneebergen des Arka-tag, die sich uns als hindernde Mauer +in den Weg stellen, herabführt. Wieder galt es, diese mörderischen +Verschanzungen zu erstürmen; der Sturm gelingt, aber nicht ohne +Verluste. + +Zwei Antilopen fielen unter Schagdurs und Sirkins Kugeln. Als +letzterer in vollem Galopp zu seiner Beute ritt, stürzte sein Pferd +und überschlug sich; der Reiter wurde über den Kopf weggeschleudert +und rollte auf dem Boden, das Pferd aber blieb tot liegen, sei es, daß +es das Genick gebrochen hatte oder daß es vom Schlage gerührt worden +war. Sirkin kam zu Fuß nach und besorgte sich bald ein neues, obwohl +schlechteres Pferd; das tote, ein sehr schönes, kräftiges Tier, war +sein besonderer Liebling gewesen. + +Das Kamel, das die Paßerkletterungen verabscheute, kam auch heute nicht +mit. Turdu Bai blieb bei ihm, traf aber abends allein im Lager ein. Am +Morgen gingen ein paar Männer zu dem Kamele zurück, mit dem Auftrag, +es totzustechen, wenn es ihnen nicht folgen wolle. Erst jenseits des +Arka-tag erfuhr ich, daß sie es nicht hatten übers Herz bringen können, +das Tier zu töten; es sei ganz gesund gewesen und werde sich sicher +in der Spur der Karawane in seine Heimat zurückzufinden wissen. Nur +zum Hinaufziehen nach noch viel höher gelegenen Gegenden habe es sich +durchaus nicht bewegen lassen wollen! + +Mein altes Reitkamel, Tschong Artan, wurde im Lager Nr. 19 von einem +sonderbaren Übel ergriffen. Seine Hinterbeine waren wie gelähmt, und +es konnte nur gehen, wenn ihm zwei Männer je eines der Beine aufhoben. +Es tat mir stets weh, die Veteranen, die mich von Anfang an begleitet +hatten, verlieren zu müssen, und sie wurden daher ganz besonders +sorgfältig gepflegt. Schon jetzt hatten wir neun Kamele, die deutliche +Anzeichen von Erschöpfung zeigten. Jedes von ihnen erhielt allabendlich +ein großes rundes Weizenbrot. Mit diesem wichtigen Proviantartikel +gingen wir eine Zeitlang sehr wenig haushälterisch um, und der auf neun +Monate berechnete Vorrat reichte kaum für sechs aus. Aber die Last +war für die jetzt schon zusammengeschrumpfte Karawane viel zu schwer +und mußte um jeden Preis erleichtert werden. Lieber fütterten wir die +Kamele tüchtig, als daß wir etwas unterwegs im Stiche gelassen hätten. + +Der neue Patient wurde massiert und auf dem Marsche über den Arka-tag +von seiner Last befreit. Das Tier erholte sich erstaunlich gut und war, +wie ich schon erwähnt habe, eines der neun überlebenden Kamele, die +Ladak erreichten. Es ging stets an der Spitze der Karawane und trug +eine große Glocke. + +Auf dem Tagemarsche nach dem neunzehnten Lagerplatze -- von Tscharchlik +gerechnet -- hatten wir 32,3 Kilometer zurückgelegt. Es sollte lange +dauern, ehe wir wieder imstande waren, einen so langen Weg ohne +Unterbrechung zu machen. + + + + +Elftes Kapitel. + +In Schneesturm über den Arka-tag. + + +Am 22. Juni wurde ich in aller Frühe geweckt. Obwohl der Morgen kalt +und unfreundlich und die Jurte nur schwach erwärmt war, ging es +mit dem Ankleiden gut, und es dauerte nicht länger als gewöhnlich, +bis die Karawane marschfertig war. Heute, da das Erstürmen der +Höhen des Arka-tag versucht werden mußte, sollte die ganze Karawane +beisammenbleiben. Der Himmel sah nicht sehr verheißungsvoll aus, als +der lange Zug sich langsam nach dem Passe hinauf zu bewegen begann. + +Kaum einen Steinwurf vom Lager entfernt, legte sich eines der schwachen +Kamele nieder. Die Last wurde ihm abgenommen, es stand auf und ging +noch eine Strecke weit, sank dann aber kraftlos an einem Abhange nieder +und war offenbar verloren. Mit einem Schnitte öffnete das Messer den +Abfluß für einen schwarzen dicken Blutstrahl, der allmählich ein höchst +eigentümliches Aussehen annahm. Stoßweise kam aus der Wunde weißer, +Schlagsahne gleichender Schaum, unter diesem aber bildete das Blut ein +Bächlein. Das Kamel lag ganz still und schien sich über die Erlösung zu +freuen. -- + +Weiter ging es, das ziemlich wasserreiche Tal hinauf. Jetzt brach eines +der fürchterlichsten Unwetter los, das ich je in Tibet erlebt habe. +Es kam mit nordwestlichem Winde heran und schüttete Massen von Schnee +und Hagel über uns aus. Der Schnee taute auf den Kleidern auf, und +man wurde durch und durch naß; man wurde steif vor Kälte und suchte +sich vergebens gegen den schneidenden Wind zu schützen. Die Steigung +war unbedeutend, aber auf dieser Höhe und bei diesem Wetter dennoch +vernichtend. Ein Kamel nach dem anderen blieb erschöpft stehen und +wollte keinen Schritt weiter; sie wurden abgekoppelt und mit einem +Wächter zurückgelassen. Zwei ließen wir mit ihren Lasten liegen, um sie +später zu holen, den anderen mußten die Pferde tragen helfen. + +Bei dem undurchdringlichen Schneegestöber sieht man von der Gegend +keine Spur. Als die Sonne auf ihrer Mittagshöhe stand, herrschte +Halbdunkel, und es schneite ununterbrochen. Der Schnee deckt alles zu, +nur der Fluß bildet ein dunkles, gewundenes Band, und sein Rauschen +klingt metallisch in der verdünnten Luft. Ich beuge mich vornüber im +Sattel, um mein Kartenblatt, das schon durchnäßt ist, zu retten. Wohin +es geht und wie es geht, weiß ich nicht; ich folge nur der nächsten +Karawanenglocke. Langsam wie Schnecken kriechen wir nach diesem +unheimlichen Passe hinauf, während der Weg allmählich immer steiler +wird. Von Zeit zu Zeit durchschneidet ein Brüllen die Luft, und es +erschallt der Ruf: „Tuga kalldi“ (ein Kamel ist stehengeblieben). Ein +Mann erbarmt sich des müden Tiers und führt es langsam den anderen +nach; bald ist er uns aus den Augen entschwunden. + +Die Schneedecke wurde immer höher. Ich ritt mit dem Lama voran, um +zu sehen, ob der Paß überhaupt den Übergang gestattete. An und für +sich war er nicht schwer zu überschreiten; aber die große absolute +Höhe und der Schnee! In unsere Mäntel gehüllt, saßen wir, auf die +anderen wartend, auf dem Passe und suchten den Schutz, den uns die +Pferde gewähren konnten. Der Sturm schlägt uns mit seinen feinen, +scharfen Schneenadeln ins Gesicht; man zittert vor Kälte und ringt +nach Luft auf dieser Höhe von 5189 Meter! Wir hörten das schwermütige +Läuten der Glocken und das Rufen der Leute durch das hier oben mit +verdoppelter Kraft rasende Unwetter, aber es dauerte lange, bis die +ersten Ankommenden, Gespenstern gleich, zwischen wahren Wolkensäulen +von wirbelndem Schnee erschienen. + +Gott sei Dank, dachte ich, als ich wenigstens 30 von den 34 Kamelen, +die es nach meiner Rechnung sein mußten, gezählt hatte. Zwei waren +nicht mehr bis an den letzten Paßabhang gekommen, zwei waren dicht +vor dem Passe zusammengebrochen. Unter den fehlenden waren auch das +älteste Junge und seine Mutter; immerhin war es noch ein Glück, daß +sie miteinander in den Tod gingen. Die Pferde bestanden die Probe ohne +Schwierigkeit, und den Mauleseln machte es gar nichts aus. Sogar die +Schafe fanden sich gut damit ab. + +Die Südseite des Arka-tag dachte sich sehr allmählich ab, und wir +durchschritten hier einen großen, offenen Kessel, der auf allen Seiten +von verhältnismäßig niedrigen Bergen umgeben war. Das Erdreich aber war +abscheulich. Der frischgefallene Schnee hatte sich in Schneeschlamm +verwandelt, der bei jedem Schritt klatschte und den Fuß förmlich +festsog. Große Umwege wurden gemacht, um die tückischsten Stellen zu +umgehen. Es ist gar nicht daran zu denken, in solch einer Suppe zu +lagern; Kamele und Kisten würden einsinken und so fest im Schlamme +stecken, daß man sie überhaupt nicht wieder herausbekäme. + +Noch als die Dämmerung schon einbrach, waren diese unheimlichen +weißgekleideten Bergrücken Zeugen unseres mühevollen Zuges. Wir suchten +jetzt nur nach einem trockenen Flecke, auf dem unser Lager Platz finden +konnte; an Weide und Brennholz dachte keiner, das wäre zuviel verlangt +gewesen. Endlich erreichten wir einen Kiesabhang, der die Nässe +einsickern ließ; hier wurde gelagert. + +Turdu Bai und mehrere der Leute fehlten noch und kamen erst gegen 10 +Uhr an, nachdem sie die vier Kamele im Stiche gelassen hatten. Doch +am 23. Juni kehrten sie bei Tagesanbruch mit einigen Pferden wieder +zu ihnen zurück, um zu versuchen, ob sie sich nicht retten ließen, +oder um wenigstens ihre Lasten und das Stroh der Packsättel zu bergen. +Leider war es mit dieser Hoffnung nichts; die Tiere waren nicht mehr +zu retten und mußten getötet werden. Wir verlassen sie nie, bevor es +ganz feststeht, daß es mit ihnen zu Ende geht, und dann befreit sie +das Messer von ihren Leiden. Ein warmer Blutstrahl schmilzt den Schnee +zwischen den Steinen, auf denen ihr Gebein bleichen wird. Eines der +Kamele war schon verendet und lag kalt und steif im Tale. + +An diesem einen Tage hatten wir also fünf Kamele verloren, der größte +Verlust an Tieren, den ich je erlitten habe, nicht einmal die Wüste +Takla-makan ausgenommen! Die Kerntruppe der Karawane hatte sich um ein +Siebentel verkleinert, und die Lasten werden jetzt den überlebenden +Tieren zu schwer werden. Ich ließ diese Mehl und Mais fressen, soviel +sie nur konnten, und auch die Pferde durften nach Herzenslust fressen. +Wir legten nur noch 11 Kilometer zurück. Die Hauptsache war jetzt, +einen leidlichen Lagerplatz zu finden, wo wir die Tiere nach ihren +Strapazen aufatmen lassen konnten. Als wir daher über eine kleine +Wasserscheide mit zwei zugefrorenen kleinen Seen gegangen waren und +südlich davon am Ufer eines Baches einige kümmerliche Grasbüschel +fanden, machten wir Halt. Einer von den übrigen Todeskandidaten +unter unseren Kamelen kam nur noch mit Mühe bis an diesen Platz. +Eins der Pferde, das fett und gesund aussah, starb ganz plötzlich +im Lager. Jetzt begann der Abschnitt der Reise, währenddessen kaum +ein Tag verging, ohne daß wir ein Grab hinter uns zurückließen. Von +den Skeletten geführt, könnte man dem Wege der Karawane folgen; ein +trauriger Weg, dessen Meilensteine Gerippe sind! Die Kamele pflegen, +wie ich oft gesehen habe, zu weinen, wenn sie den Tod herannahen fühlen +und das Blut in ihren Adern zu erstarren beginnt. + +Jetzt durften wir uns endlich guten Wetters erfreuen. Die Sonne schien +ordentlich warm, und alles trocknete von der Nässe auf dem Arka-tag. +Hierdurch verringert sich das Gewicht der Lasten nicht wenig. Der +Morgen des Johannistages war klar, aber vollständig winterlich. +Sobald ich mein Frühstück und meinen heißen Tee erhalten hatte, +inspizierte ich die Karawane. Heute wurde gemeldet, daß Hamra Kul, +der Pferdeaufseher, ernstlich erkrankt sei. Er saß in seinem Zelte, +sah elend aus und hatte überall Schmerzen; er erhielt Chinin und ein +Reitpferd. Den Tag vorher hatten nämlich alle Muselmänner zu Fuß gehen +müssen, weil die Pferde für die Lasten der gefallenen Kamele gebraucht +wurden. + +Dann ging es zu meinem prächtigen Reitpferd, das kaum auf seinen +zitternden Beinen stehen konnte. Der Lama, der neben seiner +Priesterwürde auch Arzt von Beruf war und eine ganze Kiste mehr oder +weniger wirksamer Drogen aus Lhasa bei sich hatte, nahm sich seiner an +und wollte dafür einstehen, daß er wieder Leben in das Tier bringen +würde. Er öffnete ihm an beiden Vorderfüßen die Adern, so daß das +dunkle Blut herausströmte. Dann verband er die Wunden, und das Pferd +folgte uns mit stolpernden Schritten und erreichte abends das Lager. +Mehrere Kamele waren elend, alle waren erschöpft, und einige gingen +ohne Lasten. Man fühlt, daß der Tod die Karawane begleitet, sich seine +Opfer auswählt und sie niederstreckt, und man fragt sich nur, an wen +das nächste Mal die Reihe kommen wird. Die Hoffnung, in einigen Wochen +wieder in günstigere, wärmere, grasreichere Gegenden zu gelangen, hielt +uns jedoch aufrecht. + +Der Johannistag verlief übrigens noch glücklich genug. Das Terrain +legte uns keine Hindernisse in den Weg, und wir marschierten südwärts +in einer Zickzacklinie, um die zahllosen kleinen Süßwasserseen und +Tümpel, die das Hügelland kennzeichnen, zu umgehen. Die Seen sind +gewöhnlich zugefroren. Dann aber erhob sich vor uns wieder eine nicht +unbedeutende Kette, die bisher von den Hügeln verdeckt worden war. +Turdu Bai, der stets an der Spitze ritt, wollte sie auf dem ersten +besten Passe überschreiten, ich zog es aber vor, nach Westnordwesten in +ein mächtiges Tal hineinzugehen, das sich in dieser Richtung hinzog. +Beim ersten Weideplatz schlugen wir unser Quartier für die Nacht auf +und wurden dabei mit einem schmetternden Hagelschauer traktiert. + +Die erste Sorge im Lager ist das Untersuchen und Gruppieren der Tiere. +Die gesunden dürfen frei umherlaufen, die schwachen müssen bei den +Zelten bleiben. Der Lama ließ meinem Reitpferd noch einmal zur Ader +und gab ihm darauf ein langdauerndes, eiskaltes Fußbad im nächsten +Bache. Diese „Pferdekur“ muß doch heilsam gewesen sein, denn das +Tier wurde sichtlich besser, graste eine Weile mit gutem Appetit und +knabberte dann seine Maiskörner, wobei ihm die Augen vor Freude und +Wohlbehagen leuchteten. Da wir sechs ganze Kamellasten Reis hatten, +wurde beschlossen, unter den Mais für die Tiere künftig auch Reis zu +mengen, um ihre Kräfte dadurch zu stärken und aufrechtzuerhalten, bis +wir Gegenden mit frischem grünem Grase erreichten, und auch um die +Lasten zu erleichtern. So verging dieser Johannistag glücklich und gut +und ohne Verlust eines einzigen Lebens. + +Ich war jetzt gerade zwei Jahre unterwegs und konnte dankbar und +befriedigt auf die ausgeführte Arbeit zurückblicken. + +25. Juni. Jetzt haben wir lange kein Brennmaterial gefunden, und die +Saumleitern sind in demselben Verhältnis draufgegangen wie die Kamele. +Ohne ein kleines Kohlenbecken in meinem Zelte kann ich nicht arbeiten. +Die Morgen sind recht kalt, und die Nachttemperatur sinkt gewöhnlich +unter Null herab, so daß die Erde ein paar Stunden gefroren bleibt, +dann taut sie wieder auf. + +Unsere Richtung führt jetzt fast ganz nach Westen, denn wir folgen noch +immer dem Längentale, das mit dem Südfuße des Arka-tag parallel läuft. +Wir legten nur 19,1 Kilometer zurück. Mein erstes Ziel ist der See, an +dem wir am 28. und 29. September 1900 gelagert und bei dem ich damals +eine astronomische Ortsbestimmung gemacht hatte, an die ich jetzt die +neue Observationskette anknüpfen wollte. + +Der Marsch war einförmig, wie er es in diesen breiten, leblosen, +sterilen Haupttälern zu sein pflegt, wo eine Tierfährte eine +außerordentliche Seltenheit ist. Es erweckte förmliches Aufsehen, als +wir einmal entdeckten, daß eine Orongoantilope quer durch das Tal +gelaufen war. Das Terrain ist stark wellenförmig, und die Aussicht nach +vornhin erstreckt sich nicht sehr weit. Man geht einem die Aussicht +versperrenden Landrücken entgegen, auf welchem der Führer und sein +Pferd sich wie ein scharfer Schattenriß vom Himmel abheben, und man +glaubt und hofft, daß der Mann dort ein endloses Panorama überblicken +könne; doch man irrt sich, denn von dem Hügel sieht man nur ganz in der +Nähe wieder einen solchen Landrücken. So geht es den ganzen Tag, bis +wir endlich an einem ganz kleinen See rasten. Seine Fläche ist mit Eis +bedeckt, an den Ufern aber ist offenes Wasser. + +In der Dämmerung inspiziere ich wieder das Lager. Jetzt kommt es nie +mehr vor, daß sich alle wohl fühlen. Hamra Kul ist wieder gesund, dafür +aber hat jetzt Rosi Mollah, der Priester, Rachenkatarrh, und der alte +Kameltreiber Muhammed Turdu klagt über Brustschmerzen. Beide bekommen +Medizin, die dank ihrer eigenen Einbildungskraft auch hilft, und sind +von allen Arbeiten befreit, bis sie wieder gesund sind. Mehrere von den +anderen klagen über Kopfweh, weshalb sie je ein Antipyrinpulver nehmen +müssen und damit getröstet werden, daß in diesen höheren Regionen +niemand einem Anfalle von Bergkrankheit (Tutek) entgehen könne; ich +selbst fühle jedoch keine Spur davon. + +Mein Pferd ist entschieden außer jeder Gefahr, wird aber bis auf +weiteres noch nicht zur Arbeit benutzt. Mehrere Kamele sind jämmerlich +mager. Die zwei kleinen Füllen saugen und zerren an den Eutern ihrer +Mütter, werden aber bei weitem nicht satt. Darum haben sie Weizensemmel +fressen lernen müssen, die sie delikat finden und hinunterschlucken, +aber man muß sie ihnen auch ins Maul stecken! + +26. Juni. Heute herrschte ein höchst eigentümliches Wetter. Der Morgen +war strahlend schön und die Luft sommerlich warm, aber schon früh +erhob sich ein so außerordentlich heftiger Westwind, daß wir, die wir +ihm gerade entgegenritten, nach Atem rangen und uns möglichst hinter +denjenigen Kamelen hielten, die die höchsten Lasten trugen. Sich durch +einen solchen Sturm durchzuarbeiten, strengt die Tiere, die es in +der verdünnten Luft schon ohnehin schwer genug haben, noch mehr an. +Man kann hier von einem Westpassate reden, so beständig scheint die +Windrichtung zu sein. Als wir endlich unser Lager Nr. 61 vom vorigen +Herbste erreichten, herrschte dort derselbe heftige Wind wie damals; +Sand und Staub wirbelten in der Luft, und Zelte und Jurten drohten, +zerfetzt und von den unglaublich gewaltsamen Windstößen fortgeweht zu +werden. + +Das heutige Lager, Nr. 24, fällt mit Nr. 61 vom vorigen Jahre +zusammen, und ich gewann einen unschätzbaren Kontrollpunkt für die +Karte. Von unserem früheren Besuche zeugten nur noch von den Feuern +übriggebliebene Kohlen- und Aschespuren. Wir lagerten auf derselben +Stelle am linken Ufer des kleinen Baches. + +Der größere Teil des Sees war noch mit einer porösen Eisschicht +bedeckt. Erst Mitte Juli wird der See wieder offen sein, aber nur, +um Anfang November von neuem zuzufrieren. Die Eisverhältnisse sind +natürlich bei den verschiedenen Seen sehr verschieden und richten sich +nach dem Salzgehalt, der Größe und der mehr oder weniger geschützten +Lage der Seen. Die kleinen Süßwassertümpel in der Nähe des Arka-tag +sind den größten Teil des Jahres über zugefroren. + +Heute herrschte jedoch Sommerwetter, und um 1 Uhr stieg die Temperatur +trotz des heftigen Windes beinahe auf +20°. Es war ein warmer +Luftstrom, ein richtiger Föhn, der über diese kalten, hohen Regionen +hinfuhr; ein Sommerwind über einen zugefrorenen See. + +[Illustration: 225. Unser Lager in Jiggdelik-tokai. (S. 105.)] + +[Illustration: 226. Der Tscharchlik-su bei der letzten, scharfen +Durchbruchsbiegung. (S. 105.)] + +Während des Rasttages, den wir hier verlebten, hatte ich +glücklicherweise Gelegenheit, eine Ortsbestimmung zu machen. Sirkin +und Turdu Bai rekognoszierten das Land nach Westen hin und fanden dort +keine Hindernisse auf unserem Wege. Um diesen wichtigen Knotenpunkt +zu fixieren und deutlich zu bezeichnen, errichteten die Kosaken +einen doppelten Steinhaufen von Schieferplatten, in welche Sirkin +und Schagdur ihren Namen einmeißelten, während der Lama sein ewiges +„Om mani padme hum“ in eine große Scheibe einritzte (Abb. 235). +Dieser Obo steht auf einem Hügel am rechten Ufer und ist leicht zu +finden, wenn später einmal ein Reisender seine Schritte nach dieser +Gegend lenken sollte. Meine Karte ist überdies so detailliert, daß man +mit ihrer Hilfe auf unseren Lagerplatz direkt wird zugehen können. +Die Muselmänner wollten auch nicht zurückstehen und errichteten ihre +eigene Steinpyramide; ein gewisser Ehrgeiz trieb sie an, diese höher +aufzutürmen, als der „heidnische“ Obo war. + +Am 28. Juni zogen wir längs des Ufers weiter. Es war wirklich +herzerquickend, daß man heute nicht nötig hatte, die Kamele steile +Abhänge hinaufkeuchen zu sehen; sie gingen ruhig auf dem festen ebenen +Kiesufer. Im Südwesten kamen wir an noch einen See, dessen Ostufer uns +zwang, nach Südosten abzubiegen. Meine Absicht war jetzt, noch eine +Zeitlang möglichst nach Südwesten zu ziehen, um die schwer passierbaren +Berggegenden, die wir von der vorjährigen Reise her kannten, zu +vermeiden. + +Der neue See, an dessen Ufer das Lager Nr. 25 aufgeschlagen wurde, war +ebenfalls mit ziemlich dickem Eise bedeckt. + +Am 29. Juni marschierten wir ganze 27 Kilometer. Anfangs ging es nach +einem niedrigen Passe hinauf, der, wie die ganze Gegend, schneefrei +war. Von hier hatten wir nach Süden hin die herrlichste Aussicht über +ein neues, breites und flaches Längental, das sich in ostwestlicher +Richtung hinzog und reich an Seen war. Der größte von diesen lag im +Südwesten; daß er salzig war, konnten wir daraus schließen, daß er +völlig eisfrei war. Auf seinem Südufer erhoben sich feuerrote, weich +abgerundete Hügel, deren grelle Farbe sich ebenso scharf von der sonst +einförmig grauen Landschaft abhob wie der herrliche, rein marineblaue +Wasserspiegel des Sees. Im Südosten und Süden zeigten sich drei +dominierende Schneegipfel. + +Jetzt handelte es sich nur darum, Wasser zu finden. In dem nach dem +See hinunterführenden Tale floß ein Bach, der aber salzig war, und +auf dem Westufer des Sees gab es keine Quellen. Eine Strecke weiter +entdeckte Schagdur, der vorausritt, einen Fluß, an dem wir inmitten +kärglicher Weide rasteten. Wie meistens in den offenen Tälern machte +sich der Westpassat mit aller Kraft geltend. Ein Blatt aus meinem +Notizbuche löste sich und flatterte im Winde dem nahegelegenen See zu, +aber der Lama setzte sein Pferd in scharfen Trab und fing das Blatt im +letzten Augenblicke noch glücklich auf. Bei Sonnenuntergang herrschte +vollkommene Windstille; aber um 8 Uhr tobte ein Nordsturm von 17 Meter +Geschwindigkeit in der Sekunde! Sein klagendes Geheul übertönte alle +anderen Laute und wurde nur gelegentlich von dem Geschrei der Männer +durchdrungen, wenn sich etwas gelöst hatte und fortfliegen wollte. + +Erst gegen Morgen legte sich der Sturm, und der neue Tag brach klar und +schön an, obwohl der Passat noch ununterbrochen aus Südwest wehte. Ohne +allzu große Anstrengungen überwanden wir die Höhen, die sich auf der +Südseite des Sees hinziehen, und ich brauchte kein schwarzes Kreuz in +den Kalender zu zeichnen. Der Marsch war freilich recht beschwerlich, +denn wir mußten über drei Pässe, ehe wir wieder an fließendes Wasser +gelangten, in dem wir rasch den Oberlauf desselben Flusses, an welchem +wir zuletzt gerastet hatten, erkannten. Hätten wir hiervon eine Ahnung +gehabt, so hätten wir uns natürlich die Pässe geschenkt und wären in +dem harten Bette, in dem es sich vorzüglich marschierte, weitergezogen. +Doch es sind ja unbekannte Teile der Erdrinde, die wir durchziehen, und +dies ist gerade das Einzigschöne an der ganzen Reise. + +Am 1. Juli gingen wir 27½Kilometer nach Süden. Ich hatte allen +Grund zu vermuten, daß, wie unser Schicksal sich auch gestalten würde, +mit diesem Tage ein ereignisreiches Halbjahr beginnen werde. Auf +unserem Wege erhob sich eine gewaltige Bergkette, deren höchste Partie, +die mit einer ewigen, eisartig glänzenden Schneehaube bedeckt war, auf +einer von beiden Seiten umgangen werden mußte. Tschernoff, der die +westliche untersucht hatte, kam uns auf halbem Wege mit der Nachricht +entgegen, daß dieser Weg für die Kamele unmöglich sei. Tscherdon und +der Lama hatten auf der Ostseite mehr Glück gehabt, bereiteten uns aber +auf einen schweren Übergang vor. + +In langsamem Tempo schritt die Karawane nach der schwindelnden Höhe +hinauf. Die Steigung nimmt zu, der Fluß wird immer wasserreicher, +je mehr wir uns dem ewigen Schnee nähern, von dessen schmelzenden +Zungen in den Klüften eine ganze Reihe kleiner Bäche in Schuttbetten +herunterrieseln. Im Hauptbett ist das Wasser ganz rot und dick und +wälzt sich dumpf und schwer talabwärts. Jegliche Vegetation hat +aufgehört, nicht einmal ein Moosfleckchen kann in dem Schutte wurzeln +und gedeihen. Endlich haben wir den letzten steilen Abhang besiegt. Die +Kamele atmen laut und schwer, die Leute, von denen viele haben zu Fuß +gehen müssen, um die Lasten zu überwachen, sinken kraftlos zu Boden, da +es ihnen schwarz vor den Augen wird. Ganz oben auf dem Passe erwartet +uns der Lama; sein rotes Gewand macht sich weniger als gewöhnlich +geltend, denn die Gesteinart ist rotes Konglomerat, und die ganze +Landschaft schillert in roten Schattierungen. + +Obwohl fünf Kamele schwach waren und drei ohne Last gingen, erreichten +sie alle diesen 5337 Meter hohen Paß, der also bedeutend höher als der +Arka-tag, aber schneefrei ist. Ein Glück war, daß wir diesmal von einem +Schneesturm verschont blieben. Der Südabhang dieses dominierenden +Gebirgsstockes war dagegen fast ganz schneefrei. Doch sammelte sich +auch hier ein ziemlich bedeutender Fluß, der nach Südosten abbog und +zwischen einem Gewirr von Bergen verschwand. Wie schon so oft, konnten +wir nicht feststellen, wo er blieb. Wahrscheinlich ergießt er sich +in irgendeinen versteckt liegenden See. An seinem rechten Ufer wurde +das Lager Nr. 28 aufgeschlagen. Von Weide und Brennmaterial konnte an +diesem wüsten Orte nicht die Rede sein. + +Es ist jetzt eine ausgemachte Sache, daß die Medizinkiste in jedem +Lager herhalten muß. Tschernoff hatte wütende Kopfschmerzen, Turdu Bai +klagte über Stechen in dem einen Auge und wurde mit Kokain behandelt, +dessen Wirkung ihm ungeheuer imponierte. Hamra Kul ging es am Tage +vorher ebenso, als ich ihm sein Zahnweh mit Zahntropfen stillte. Es war +wohl mehr der Neugierde zuzuschreiben, daß heute wieder drei Patienten, +besonders Islam Ahun aus Tscharchlik, über Zahnschmerzen klagten. +Sie wollten wahrscheinlich ausprobieren, ob Hamra Kuls lebhafte +Beschreibung von der Kraft des Heilmittels mit der Wirklichkeit +übereinstimmte. Am schlimmsten steht es mit Muhammed Tokta, der über +sein Herz klagt und an Schlaflosigkeit leidet. Er ist schon lange von +aller Arbeit entbunden und sollte sie nie wieder aufnehmen können. Von +Zeit zu Zeit gab ich ihm Morphium zum Schlafen. + +Die Medizinkiste wurde als ein wundertuender Talisman betrachtet. +Sobald sie hervorgeholt wurde, versammelten sich alle, die gerade +nichts zu tun hatten, vor meinem Zelte. Viele bittende Blicke wurden +während der monatelangen Reise auf den Blechdeckel der Kiste gerichtet. +Ich selbst war so glücklich, von ihrem Inhalt nie Gebrauch machen zu +müssen. + +Auch am 2. Juli wurde ein schöner Marsch von 26½ Kilometer gemacht, +der uns durch eine Landschaft aus rotem Sandstein führte. Von dem +schlechten Grase wenig gesättigt, müssen die Kamele täglich ihre +schwere Lasten geduldig weiter über die Berge schleppen. Das Schlimmste +ist, daß sie selbst leichter werden und von ihrem eigenen Fette zehren, +das nicht ersetzt werden kann, weil sie keine genügende Nahrung +erhalten. Von dem Mais sind jetzt nur noch drei große Säcke übrig. +Werden wir Gegenden mit besserer Weide erreichen, ehe es zu spät ist? + +Eine recht ansehnliche Bergkette zwingt uns, nach Südwesten zu gehen. +Mehrere Tümpel und kleine Seen glitzern im Sonnenschein. Hier wanderte +eine nichts Böses ahnende Orongohindin mit ihrem wenige Tage alten +Jungen, das von Jolldasch gejagt, eingeholt und sofort totgebissen +wurde. Ich bat Schagdur, die Mutter zu verfolgen, um ihrem Gram ein +Ende zu machen, aber sie entkam, und ich habe es nicht verhindern +können, daß sie noch lange voller Kummer ihr Kind suchen wird. + +Endlich finden wir ein nach Süden hinabführendes Flußtal. Nach und +nach wurde es weniger bequem, als wir gehofft hatten, denn es drängte +sich zu einem scheußlichen gewundenen Korridor zusammen, und der Boden +desselben war mit Sandsteinplatten bedeckt, an denen die Kamele sich +die Füße verletzten. Wir verlassen daher das Tal und ziehen über einen +niedrigen, hügeligen Paß, auf dem Sirkin eine viel zu wenig scheue +Antilope erlegte. Jolldasch stürmte blindlings auf das verwundete +Tier los, wurde aber sehr kleinlaut, als sich ihm zwei spitze Hörner +entgegenstreckten. Fleisch hatten wir stets in genügender Menge. +Den Hunden ging es von der ganzen Gesellschaft am besten. Auch wenn +die Jagd schlecht gewesen wäre, hätten sie doch an dem Fleische der +gefallenen Karawanentiere übergenug gehabt. Jagd durfte nie als Sport +betrieben werden, sondern nur wenn wir Fleisch brauchten. Wir mußten +auch an die Munition denken. Augenblicklich hatte noch jeder Kosak +142 Patronen, welcher Vorrat allerdings völlig ausreichend war, wenn +vernünftig damit umgegangen wurde; aber man konnte nicht wissen, was +die Zukunft in ihrem Schoße barg, und daher mußten wir damit sparsam +sein. + +Von einer letzten, schwachen Schwelle erblickten wir wieder einen +kleinen See. Sein südliches Ufer glänzte grün, und nach einer Weile +befanden wir uns auf Gras, das freilich außerordentlich dünn und +niedrig stand, aber doch besser war als seit langer Zeit, denn es war +von diesem Sommer und weich. Kulanmist zur Feuerung war gesammelt +worden, es blieb nur noch das Wasser zu versuchen. Tschernoff fand es +schlecht, Tscherdon meinte, es sei ganz süß; Schagdur wollte es auch +probieren und fand es mäßig. Es half schließlich nichts, ich mußte +selbst absteigen, um zu kosten, und ich war der Ansicht, daß wir damit +zufrieden sein könnten. + +Ein charakteristischer Zug der Windverhältnisse dieser Gegenden, den +ich seit mehreren Tagen beobachtet hatte, war folgender. Der Passatwind +endet mit Sonnenuntergang; in der Dämmerung ist es so windstill, daß +ich bei freibrennendem Licht und offener Tür Mittag esse. Gleich nach 8 +Uhr erhebt sich ein nördlicher Sturm und bringt das Lager in Aufregung +Alle müssen sich beeilen, ihre Zeltleinen straffzuspannen, die Zelte +zu verankern und alle zufällig noch draußen umherliegenden Sachen in +Sicherheit zu bringen. Die Funken stieben so dicht wie Kometenschweife +um die Feuer, und es heißt aufpassen, daß sich auf der Seite, nach der +der Wind weht, nichts Entzündbares befindet. Der Sturm hält wenigstens +so lange an, als ich wach bin, d. h. bis Mitternacht, doch wenn ich +morgens geweckt werde, also kurz vor 7 Uhr, ist die Atmosphäre wieder +im Gleichgewicht. Hier gibt es also zwei herrschende Winde, einen +westlichen und einen nördlichen, einen bei Tage und einen nachts +wehenden. + +Vor dem Sturme gewährten unser Lager und seine Umgebungen an diesem +Abend einen wirklich idyllischen Anblick, wenn man sich eines solchen +Ausdruckes zur Bezeichnung einer tibetischen Landschaft bedienen +darf. Die Sonne war untergegangen, aber im Westen sah man noch ihren +Purpurschein. Im Osten stieg am dunkelblauen Horizont blaßgelb und kalt +der Vollmond auf, dessen Licht durch einen dünnen leichten Abendnebel +noch mehr gedämpft wurde. + +Die auf den Hügeln zerstreuten Tiere weiden gierig (Abb. 236). Die +Todeskandidaten unter den Kamelen liegen dicht aneinandergedrängt unter +ihren weißen Filzmänteln neben Turdu Bais Zelt. Auch die beiden Jungen +und ihre Mutter werden mit besonderer Sorgfalt gepflegt und bringen die +ganze Nacht in liegender Stellung zu. Die kleinen Tiere werden stets +zwischen zwei große Kamele gelegt, von denen eines die Mutter ist. Alle +anderen Tiere weiden draußen im Mondschein, von ihren Wächtern und den +Hunden vor den Wölfen geschützt, von denen wir in den letzten Tagen in +der Gegend mehrfach Spuren gesehen haben. + +Wir rasteten hier noch einen Tag. Ein Pferd, das gestern zurückgelassen +worden war, kam heute an. Die gewöhnlichen Windgesetze gelangten auch +heute zur Geltung, obwohl der Nordsturm früher als sonst einsetzte. +Nachdem er über die Erde hingefahren ist, sieht diese merkwürdig +reingefegt aus. + +Nach meiner Ortsbestimmung mußte dieses Längental dasselbe sein, in +welchem wir im vorigen Herbst Aldat begraben hatten. 30 Kilometer +weiter östlich würde ein Wanderer zu seinem Erstaunen das einsame, +verlassene, mit einem flatternden Yakschwanze geschmückte Grab des +Jägers finden. + +Am 4. Juli ging es beinahe direkt nach Süden über schwach +wellenförmiges Land mit dünnem Graswuchs, zahlreichen Salztümpeln und +ziemlich vielem Wild, besonders Kulanen und Antilopen. Yakdung ist sehr +häufig und obendrein alt und trocken, so daß wir genügend Brennmaterial +einsammeln konnten. Auch der Boden ist im allgemeinen merkwürdig +trocken, ganz anders als im vorigen Herbst, wo wir hier beinahe im +Schlamm ertranken. Es ist jetzt aber auch lange her, seit Niederschläge +gefallen sind. Jetzt wirbelt der Staub im Winde hinter der Karawane auf. + +Vor uns erhebt sich drohend ein neuer Paß. In einem mit Schutt +bedeckten, ziemlich stark ansteigenden Tale gehen wir langsam nach dem +Kamme hinauf, dessen Höhe 5210 Meter beträgt. Ein unbeladenes Kamel +kann nicht mitkommen und wird mit einem Wärter zurückgelassen. Droben +auf der Höhe gibt es keine andere Vegetation als Yakmoos. Die Aussicht +nach Süden ist umfangreich; wir sehen nach dieser Richtung hin wohl +vier Tagereisen weit, und keine unüberwindlichen Hindernisse drohen +uns. Anders sieht die Landschaft im Norden aus, woher wir gekommen +sind, denn dort türmen sich eine Menge Ketten und Kämme über- und +durcheinander, und der Horizont wird von der Kette mit dem unterhalb +des ewigen Schnees liegenden Passe abgeschlossen. + +Die Landschaft schillert in blassen Farbenschattierungen, in denen Rot +in verschiedener Stärke vorherrscht. Nur schwache Anflüge von Gelb und +Grün deuten die Weideplätze an, die wir eben verlassen haben. Das Land +erinnert an ein Wüstenbild. Hier und dort glänzen Schneestreifen, und +über dem Ganzen wölbt sich der türkisblaue Himmelsdom. + +Der vom Passe hinabführende Abhang, auf dem die Gesetze der Schwere +den Kamelen wieder zu Hilfe kommen, wird von uns als eine Erholung +betrachtet. An dem ersten Punkte, wo es wieder Gras gab, schlugen +wir unsere luftigen provisorischen Hütten auf (5054 Meter). In einem +trockenen Bette wurde ein Brunnen gegraben, der bald gutes Wasser gab, +und am folgenden Morgen wurde eine Quelle entdeckt, an welcher Sirkin +und Tscherdon zwölf Rebhühner schossen. Zwei Yake mußten ins Gras +beißen. Wir haben es freilich gut, aber die Kamele, die aufs Weiden +angewiesen sind, sehen mager und elend aus. Die Pferde sind nicht viel +besser daran. Eines muß in diesem Lager Nr. 30 geschlachtet und den +anderen muß ein Ruhetag gegönnt werden. + +An den Rasttagen sind Schagdur und der Lama mit der Herstellung +meines Mongolengewandes beschäftigt. Mit dem Lama ist eine merkliche +Veränderung vorgegangen; sein Mut ist gewachsen, und er sehnt sich +nach Süden und nach Lhasa zurück. Der mongolische Unterricht geht +ununterbrochen weiter, und der Lama zeichnet für mich Pläne der +heiligen Stadt, ihrer Tempel und ihrer freien Plätze. Er sieht die +ganze Reise jetzt in hellerem Lichte an als früher und pflegt seine +Ansicht darüber in folgender, außergewöhnlich intelligenter Redensart +auszudrücken: „Mo bollne ikke mo bollne gué, sän bollne ikke sän +bollne“ („Geht es uns schlecht, so geht es uns nicht +sehr+ schlecht, +geht es aber gut, so geht es uns +sehr+ gut“). + +Jeden Abend Schlag 9 Uhr mache ich eine Visite in der großen Jurte, +die von Schagdur, Sirkin und dem Lama bewohnt wird. Es gilt, das +meteorologische Journal für den Tag zu kontrollieren und das +Thermohypsometer abzulesen, was ich stets selbst tue. Dann bleibe +ich bei ihnen sitzen und plaudere eine Weile mit ihnen über unsere +Zukunftsaussichten, und Turdu Bai und Hamra Kul müssen mir über das +Befinden der Tiere Bericht erstatten. Wenn ich es für nötig halte, +instruiere ich dann auch den oder die Männer, welche am folgenden +Morgen rekognoszieren sollen. Heute Abend wurde mir mitgeteilt, daß +kaum noch ein Sack Mais übrig sei und wir, wie es uns auch ginge, den +Tieren so viel Reis und Mehl wie nur irgend möglich abtreten müßten. +Turdu Bai hielt es für durchaus notwendig, nach Gegenden mit Weide +zu eilen und dort die Kamele sich mindestens einen Monat lang wieder +kräftigen zu lassen. Ja, sie sollten sich nachher auch ausruhen, wenn +ich nach Lhasa ritt. + +Eine zweite wenig erfreuliche Nachricht war, daß noch alle vorhandenen +Schafe im Laufe des Tages durchgebrannt seien. Die meisten Muselmänner +waren schon auf der Suche. Erst in der Dämmerung hatte man die Tiere +vermißt. Tschernoff hatte sich zu Pferd aufgemacht und einige Hunde +mitgenommen. Ich fürchtete, daß es den Schafen am Ende ebenso gegangen +sein würde, wie wir es im vorigen Jahre schon einmal erlebt hatten, und +mir graute vor der Strafpredigt, auf die ich mich vorbereiten mußte. +Tatsächlich war das Kommando über die Herde viel zu sehr dem Leithammel +Wanka überlassen worden, der indessen dieses Amt mindestens ebenso gut +ausgeübt hatte wie ein Muselmann. Müde kamen die Suchenden gegen 9 +Uhr zurück und wollten noch eine Stunde warten, bis der Mond aufging +und ihnen erlaubte, der Spur der Herde zu folgen. Erst um Mitternacht +wurde es im Lager lebendig, denn da brachte die ganze Gesellschaft die +unversehrten Schafe vollzählig wieder heim. Die Tiere waren ein Tal +hinaufgegangen und hatten sich in ein tiefes Flußbett gelegt. + +6. Juli. Die Marschgeschwindigkeit nimmt in demselben Maße ab, wie +die Kräfte der Tiere sinken. Selten sind wir imstande, mehr als 20 +Kilometer zurückzulegen. Ich ziehe es dann vor, auf meinem jetzt ganz +wiederhergestellten Pferde mit dem Lama vorauszureiten, und, wenn wir +die Karawane aus den Augen verloren haben, auf einem Passe zu rasten. +Die Kamele waren heute schlaffer als gewöhnlich, und es dauerte daher +lange, bis das Glockengeläute näherkam. + +Still und feierlich wie ein Friedhof dehnt sich dieses öde Gebirgsland +vor uns aus, in das bisher noch nie ein Mensch seinen Fuß gesetzt hat. +Auf allen Seiten umgibt uns die ursprünglichste und ganz unberührte +Natur. Wir durchziehen sie seit Wochen und Monaten und sind stets die +einzigen Menschen, die diesen Teil der Erde bevölkern. + +Noch immer herrscht derselbe Parallelismus wie in den Gegenden, die +wir im vorigen Jahre durchreisten; alle Ketten und Kämme und alle +Längentäler haben eine westöstliche Richtung, und wenn man, wie wir, +nach Süden zieht, muß man sie alle in der Quere überschreiten. Kaum +eine Tagereise geht zu Ende, ohne daß wir einen Paß überschritten +haben, und gewöhnlich haben wir mit dem Tagemarsch zugleich auch ein +paar Pässe hinter uns. + +Auch heute hatten wir einen recht fühlbaren Paß, der sich nicht umgehen +ließ. Merkwürdigerweise ist jedoch anstehendes Gestein eigentlich +eine Seltenheit. Sowohl diesen wie den folgenden Tag wanderten wir +über ganz weichen Boden, wo man nur auf dem Grunde der Täler Schutt +findet. Später wurde der Boden sandig und infolgedessen trocken und +tragfähig; auch das Gras wurde ein bißchen besser, als es bisher +gewesen war. Wir lagerten an einer kleinen Quellader. Ein paar Kamele +waren zurückgelassen worden, wurden aber abends geholt. Eines von +ihnen war mein alter Reisekamerad von 1896; er blickte mit seinen +glänzenden, rabenschwarzen Augen auf dieses Land, das ihm bald das +Leben kosten sollte, und ging auf zitternden Beinen, als Sirkin ihn vor +den photographischen Apparat führte (Abb. 237). Ich wollte mir sein +Bild zur Erinnerung an die Dienste, die er mir geleistet, aufheben. +Daß er bald sterben würde, war klar. Noch hielt er sich jedoch tapfer +und schien beschlossen zu haben, seine Gebeine nicht eher der Erde zu +schenken, als bis er keinen Schritt mehr gehen konnte. Hocherhobenen +Kopfes stand er mit dem Packsattel in seinem weißen Mantel da und +ahnte vielleicht, daß er bald von uns scheiden würde. Er hatte schon +angefangen zu weinen, was die Leute für ein untrügliches Zeichen +halten. Jetzt bekam er ein großes Weizenbrot und sollte keine Last mehr +zu tragen brauchen. + +Am 7. Juli begünstigte uns das Terrain in hohem Grade. Im Süden +zeigte sich wieder ein See, nach dessen Ostufer wir hinsteuerten. +Es kostete uns den ganzen Tag, nach seinem Südufer zu gelangen. Das +Tal, dessen Mitte dieser mittelgroße See einnimmt, ist kesselförmig, +flach und offen, und auch der See ist beinahe rund und tritt durch +seine starken, frischen Farben sehr hervor. Das Wasser ist rein und +grellblau und ist mit einem ziemlich breiten Gürtel von blendendweißen +Salzkristallisationen umgeben, die von fern wie Eis oder Schnee +glänzen. Am Westufer erheben sich ziegelrote Höhen. + +Es war lebensgefährlich, sich dem feuchten eigentlichen Uferstreifen zu +nahen, denn er bestand ausschließlich aus salzhaltigem Schlamm, und es +war nicht leicht, eine Kanne Wasser zum Untersuchen herbeizuschaffen. +Kutschuk mußte sich eine Art improvisierter Schneeschuhe an die Füße +binden, um an den Rand des Sees gelangen zu können. Das Wasser war +derartig mit Salz gesättigt, daß das Aräometer halb über der Oberfläche +schwamm; die Skala genügte natürlich nicht entfernt, sondern es mußte +eine besondere Marke in das Glas geritzt werden. + +Dieser heimtückische Schlammstreifen war durch eine ausgeprägte Wulst +scharf von den Abhängen getrennt, die noch etwas Gras trugen und auf +denen wir ohne Gefahr hinziehen konnten. Im Südosten drohte uns der +nächste Paß; wir wollten in der Mündung des zu ihm hinaufführenden +Tales lagern. Es handelte sich nur darum, Wasser zu finden, das +es hier nicht in solchem Überflusse gab wie im Arka-tag. Der +Niederschlag war zu unserem Glück in der letzten Zeit unbedeutend +gewesen; morastiger Boden hätte unsere erschöpften Kamele umgebracht. + +[Illustration: 227. Unser Lager in Unkurluk. Blick auf das Nebental. +(S. 110.)] + +[Illustration: 228. Die am Ufer des Kum-köll aufgestapelten +Kamellasten. (S. 112.)] + +[Illustration: 229. Ankauf von Schafen bei den Hirten von Unkurluk. (S. +111.)] + +Ich ritt voraus die Talmündung hinauf; sie war ganz trocken. Auf ihrer +anderen Seite fand ich doch noch ein paar kleine Tümpel mit schwach +salzhaltigem Wasser, mit welchem die Hunde vorliebnahmen. Im Talgrunde +aber griffen die Männer zu den Spaten; es wurde ein Brunnen gegraben, +der in einer Tiefe von 56 Zentimeter kaltes süßes Wasser gab. + +Obwohl wir am 8. Juli nur 14 Kilometer marschierten, konnten nur +27 Kamele das Lager Nr. 33 (5041 Meter) erreichen. Sie waren jetzt +so erschöpft, daß wir aus Furcht, eines oder mehrere der Tiere zu +verlieren, an und für sich unbedeutende Pässe umgehen mußten. + +Der heutige Paß (5059 Meter) ließ sich jedoch nicht umgehen, und der +Lama, der ihn rekognosziert hatte, versicherte, daß er nicht schwer +sei. Die Steigung war auch unbedeutend, aber für die kraftlosen Tiere +trotzdem mühselig. In der Nähe des Kammes grasten 8 Yake; einer +von ihnen, ein alter Stier, war recht dreist, durfte aber nicht +unnötigerweise geschossen werden; das Fleisch war vermutlich zäh und +schlecht. Ein einzelner Kulan umkreiste uns in den tollsten Kurven und +erregte durch seine urkomischen Manöver große Heiterkeit. + +Auf der Südseite des Passes war das Relief der Landschaft verwickelter +und ungünstiger. Mehrere Kämme zeigten sich, die überschritten werden +mußten. + +Jetzt ritt Schagdur voraus und meldete, er glaube kaum, daß die Kamele +imstande sein würden, die nächste Schwelle zu überschreiten, da diese +zu hoch für sie sei. Schon waren drei zurückgeblieben, auf die wir je +eher, desto besser warten mußten, unter ihnen mein großer Veteran. +Daher machten wir bei einem Tümpel Halt, obwohl die Weide dort schlecht +war. Den Tag darauf schleppten sich zwei von den drei zurückgelassenen +Kamelen noch nach dem Lager hin, das dritte lag kalt und steif auf dem +Flecke, wo wir es verlassen hatten. + +Daß es so nicht weitergehen konnte, war klar. Eine Veränderung +mußte in der Marschordnung vorgenommen, alle schwachen Tiere mußten +ausgeschieden werden, mit dem Reste würde ich dann in längeren +Tagemärschen nach Süden ziehen. Zunächst mußte die Gegend rekognosziert +werden, denn jetzt hatten wir das Gefühl, in einem Sacke zu stecken, +aus dem wir irgendwo heraus mußten. Tschernoff ritt nach Osten und +fand das Terrain dort ganz unmöglich und von steilen Bergen versperrt. +Mollah Schah, der es nach Süden hin versucht hatte, erklärte, er sei +dort über einige kleinere Pässe geritten, die nicht besonders schwierig +seien. + +Dann wurde die Auslese vorgenommen. Elf Kamele, von denen fünf die +letzten Tage schon keine Last mehr getragen hatten, und sechs Pferde +sollten hier zurückgelassen werden, um sich einige Tage auszuruhen +und dann unserer Spur in kurzen Tagemärschen nachgeführt zu werden. +Dieser wichtige Auftrag wurde Tschernoff anvertraut; er wurde Chef der +Nachhut, die außerdem noch aus Rosi Mollah, Mollah Schah, Kutschuk, +Chodai Kullu und Almas, einem Tscharchliker, dessen hochtönender Name +„das Juwel“ bedeutet, bestehen sollte. Die vier Hunde Maltschik, Hamra, +Kalmak und Kara-Itt gehörten auch zur Gesellschaft, ebenso ungefähr die +Hälfte des noch vorhandenen Dutzends der Schafe. + +Die Auslese der untauglichen Kamele wurde von Turdu Bai und den Kosaken +sorgfältig gemacht. Es waren ihrer zehn, aber beim Aufbruch wurde noch +eines zurückgestellt. Acht Kamellasten, die beinahe ausschließlich aus +Proviant bestanden, sollten von der Nachhut übernommen und auf die elf +Kamele verteilt werden. Alle Instrumente und wichtigeren Dinge nahmen +wir mit. + +Ganz richtig war es wohl nicht, die Karawane gerade jetzt zu teilen, da +wir uns bewohnten Gegenden näherten und vielleicht nötig haben konnten, +in voller Stärke aufzutreten. Doch es blieb uns keine Wahl, und auch +die Nachhut war mit zwei Gewehren und mehreren Revolvern bewaffnet. + +Tschernoff hatte Befehl, noch zwei oder drei Tage im Lager Nr. 33 zu +bleiben und dann unseren Spuren zu folgen, die in dem Boden ziemlich +lange erkennbar sein mußten. An Stellen, wo man ein schnelles +Verschwinden der Spuren befürchten konnte, wie in Talfurchen oder +auf festgepacktem Schutt, wollten wir kleine Steinmale errichten. Wo +ich mit der Hauptkarawane bleiben würde, wußte ich selbst nicht; es +würde von Umständen, die uns unbekannt waren, und besonders von dem +Vorkommen von Weide und menschlichen Spuren abhängen. Doch das spielte +keine Rolle, denn selbst wenn Tschernoff einen ganzen Monat unterwegs +sein sollte, hatte er ja nur der Spur zu folgen, bis er ins große +Hauptquartier gelangte. + + + + +Zwölftes Kapitel. + +Die ersten Tibeter. + + +Während des Rasttages im Lager Nr. 33 trat ein Umschlag im Wetter ein. +Der Morgen war herrlich und klar, aber um die Mittagszeit schmetterte +eine heftige Hagelbö auf uns herab, und bald folgte ihr eine zweite. +Nachher sprühregnete es den ganzen Tag, und abends stürzte ein +anhaltender Gußregen auf unsere Zelte nieder. Das eintönige Rauschen +des Regens ist kein Vergnügen, wenn man weiß, daß alle Lasten dadurch +an Gewicht zunehmen, Zelte und Jurten schwer und naß werden und das +Erdreich aufweicht und sumpfig wird. Heute brauchte man nur ein paar +Schritte ins Freie zu tun, um sich an den Stiefeln zolldicke Sohlen von +Erde und Schlamm zu holen. + +Am 10. Juli nahmen wir von den Leuten der Nachhut Abschied. +Tschernoff hatte erkannt, daß es ihm als großes Verdienst angerechnet +werden würde, wenn er möglichst viele von den elf Kamelen mit ins +Hauptquartier brächte. + +Nachdem es die Nacht tüchtig geschneit hatte, lag das Land wieder +kreideweiß und winterlich da; der Boden war glatt und schlüpfrig, und +dunkle Wolken segelten in rastloser Jagd nach Osten. In den trostlosen +Umgebungen nahm sich die zurückbleibende Karawane noch erbärmlicher als +gewöhnlich aus. Von den Tieren fanden es nur einige wenige der Mühe +wert, in dem Schneeschlamme zu waten. Die anderen lagen und ruhten sich +aus. Das Lager selbst sah trostlos elend aus, aber die Muselmänner +wünschten uns glückliche Reise, und ich drückte Tschernoff zum Abschied +die Hand; ich würde meinen tüchtigen, zuverlässigen Kosaken ja erst +nach meiner Rückkehr von der Pilgerfahrt wiedersehen -- wenn ich mit +dem Leben davonkam. + +Den ganzen Tag über war das Wetter unfreundlich. Ein anhaltender +Hagelschauer war so heftig, daß wir halten und, in unsere Mäntel +gehüllt, warten mußten, bis er vorüber war. Die Sonne, die sich darauf +eine Weile zeigte, trocknete unsere Kleider, bis die nächste Bö uns +wieder durchnäßte. Ich ritt mit dem Lama voraus und suchte nach einem +Marsche von 23½ Kilometer den Lagerplatz aus. Obwohl die Karawane +jetzt, da wir alle erschöpften Tiere zurückgelassen hatten, besser +und schneller als gewöhnlich marschierte, mußten wir doch eine gute +Weile auf sie warten, welche Gelegenheit der Himmel benutzte, um uns +noch eine gründliche Dusche zu geben. Der Lama saß geduldig still, +betete mit philosophischer Ruhe sein „Om mani padme hum“ und ließ dabei +die 108 Perlen seines Rosenkranzes durch die Finger gleiten, während +ich mich in eine Filzdecke hüllte, die stets auf meinen ungarischen +Feldsattel geschnallt war. + +Die Tagereise bot im großen und ganzen ziemlich vorteilhaftes Terrain, +besonders nachdem wir zwei kleinere Pässe überschritten hatten. +So weit zogen wir alle miteinander. Auf dem Südabhange des Passes +grasten sechs Yake, und da die Jagd seit einigen Tagen keinen rechten +Ertrag geliefert hatte, sollten jetzt Sirkin und Schagdur unseren +Fleischvorrat verstärken. Nur ungern bequemen wir uns dazu, die Schafe +zu schlachten, denn wir betrachten sie immer mehr als Kameraden, und +überdies ist ihr Fleisch wenig wohlschmeckend, da die Tiere beständig +in Bewegung sind und sich nicht satt fressen können. Die Kosaken +erlegten je einen Yak, und Turdu Bai und Ördek begaben sich mit Messern +und Beilen nach der Walstatt, um die besten Stücke für uns mitzunehmen. + +Auf dem Passe (5186 Meter) wurde uns ein erfreulicher Anblick zuteil: +wir sahen gleichmäßig offenes Land für ein paar Tagereisen. Aber in die +Freude mischte sich auch Wehmut, denn im Südosten, Süden und Südwesten +glänzte eine Kette mit gewaltigen Schneefeldern, die wir nicht würden +umgehen können. In dem breiten Längentale, das sich wie gewöhnlich +von Osten nach Westen bis ins Unendliche erstreckt, war die Weide +knapp und bestand meistens aus Moos und wildem Lauch. Den letztern +haben alle gern. Er wird in meine Suppen geschnitten; die Muselmänner +kauen ihn roh und sagen, daß er gegen Bergkrankheit wirke, die Kamele +fressen ihn mit wahrer Gier und ziehen ihn allem anderen vor. Wenn auf +den Lagerplätzen weiter nichts zu tun ist, läßt Turdu Bai alle Mann +Lauch pflücken, und auch während des Marsches macht er an Stellen, wo +der Lauch dichter steht, einige Minuten Halt, um den Kamelen Zeit zum +Abreißen der saftigen, wohlschmeckenden Stengel zu geben. + +Wir befanden uns hier im Lager auf einer Höhe von 4982 Meter. Der 11. +Juli war der Jahrestag zweier Ereignisse, die auch mit hohen absoluten +Zahlen zu tun hatten und zu denen ich jetzt mit meinen Gedanken +lebhaft zurückkehrte. Heute sind es vier Jahre, seit Andrée seinen +kühnen, in jeder Beziehung glänzenden Ballonaufstieg von Spitzbergen +machte und die Reise antrat, von der er nicht zurückkehren sollte. Ich +sage absichtlich „glänzenden“, denn der Plan selbst war so kühn und +großartig, daß keine andere Nation ein Gegenstück dazu aufweisen kann! +Und die drei Märtyrer der Wissenschaft, die wir da verloren, hatten +gezeigt, daß es noch tüchtige Männer im Schwedenlande gibt. + +Am 11. Juli sind auch elf Jahre vergangen, seit ich den Gipfel des +Demawend bestiegen hatte. Auch damals hatte ich einen saueren Tag, um +meine 5715 Meter zu erreichen, aber damals handelte es sich um eine +einzige, von freundlichen, lachenden Tälern umgebene Bergspitze, jetzt +dagegen um endlose Räume, in denen wir uns mit schweren Schritten +fortschleppten. -- + +Unsere Tagereise ging ungehindert nach Ostsüdost, aber ohne daß wir uns +darum der hinter schwarzen Vorbergen versteckten Schneekette merklich +näherten. Die Niederschläge waren reichlich, die Erde trocknete nicht +mehr zwischen den Schauern, die alles in Schlamm verwandeln und die +Kamele zum Ausgleiten bringen. Der Lama sagte, daß jetzt die Regenzeit +ihren Einzug halte und zwei Monate dauern werde; „so ist es wenigstens +in Lhasa“, fügte er hinzu. + +Man erkennt die rücksichtslosen Regenböen schon von weitem; sie rollen +einher wie blauschwarze Rauchmassen mit scharf abgegrenzter Front, vor +welcher der blaue Himmel mit seinen weißer Watte ähnlichen Wölkchen +zusammenschrumpft und verschwindet; hinter ihnen aber sieht es aus, als +sei die Nacht selbst im Anzuge. Und man ist ihnen preisgegeben, kann +nicht entrinnen; das Unwetter zieht herauf, Blitz und Donner kommen +immer näher, die Schläge durchschneiden mit ohrenbetäubendem Krachen +die Luft, die ersten schweren Tropfen und Hagelkörner fallen auf die +Erde, und im Nu hat man die Bö über sich. Die Pferde werden unruhig und +scheu, die Kamele versuchen sich jedes auf die geschützte Seite des +anderen zu drängen, was die Lasten in Unordnung bringt. Man wird durch +und durch naß, es rieselt und tropft von Mütze und Ärmeln, die Zügel +liegen kalt und schmutzig in der Hand, die Filzstiefel saugen sich +voll, und die ganze Annehmlichkeit des Rittes durch ein unbekanntes +Land ist verschwunden. Wenn der Sturm über uns weggezogen ist, muß die +Karawane wieder in Ordnung gebracht werden. Die Bergrücken scheinen mit +der blendendsten weißen Farbe angestrichen zu sein. + +Es gibt nichts Gemeineres als solch ein Wetter. Die Wanderung wird +schwer und mühsam, das auf dem Erdboden ausgebreitete Bett ist feucht, +und die Jurte verbreitet einen unangenehmen Geruch. Nur selten bietet +sich eine Gelegenheit, die astronomischen und photographischen +Instrumente zu benutzen, und das in Arbeit befindliche Kartenblatt ist +nach einer Weile naß und knitterig. + +Während einer halben Tagereise folgten wir dem Flusse, an dessen Ufer +wir gelagert hatten, nach Osten, nachher aber zogen wir auf leicht +kupiertem Boden nach Südosten. Schließlich gelangten wir noch an +einen Tümpel, wo wir für den Tag Halt machten. Die Zelte waren schon +aufgeschlagen, als sich herausstellte, daß das Wasser salzig war. +Ebenso ging es uns mit dem Brunnen, der gegraben wurde. Schagdur +verschwand zu Pferd mit zwei kupfernen Kannen, und nach einer Stunde +sahen wir ihn in vollem Galopp auf das Lager zureiten. Wir wunderten +uns, daß er es so schrecklich eilig hatte, aber er erzählte sehr +aufgeregt, daß er beinahe von einem Wolfe, den er jetzt für seine +Frechheit bezahlen werde, überfallen worden sei. Der Wolf war ihm +zweimal direkt zu Leibe gegangen, und er hatte zur Verteidigung nichts +weiter gehabt als die kupfernen Kannen. Damit hatte er nach dem +Wolfe geworfen und sich dann zu Pferd davongemacht. Wir konnten die +große, beinahe weiße Bestie, welche die Verfolgung bis an das Lager +fortgesetzt hatte, mit dem Fernglas beobachten. Doch als Schagdur +und Sirkin mit ihren Flinten hinausritten, hielt es der Isegrimm für +geraten, sein Heil in der Flucht zu suchen. Die Schafe wurden sicherer +als gewöhnlich eingepfercht und die Pferde und Maulesel bewacht. Die +Kamele hielten es nicht für der Mühe wert, sich nach den spärlichen +Halmen zu bücken, die um diesen schlechten Lagerplatz herum in dem +Schutte wuchsen, sondern kamen freiwillig nach Hause und legten sich +neben ihre Plagegeister -- die Lasten. + +Nun mußte Ördek nach dem Flusse zurückreiten; es war schon stockdunkle +Nacht, als er mit den gefüllten Kannen zurückkehrte. + +Die ganze Nacht schneite es, und am folgenden Morgen verließ man mit +Widerwillen die Jurte, um sich wieder in die Nässe hinauszubegeben. Es +ist gerade wie beim Baden; wie man es auch anstellt, ohne Naßwerden +geht es nicht ab. + +In derselben Richtung (Südosten) durchzogen wir eine an Salztümpeln +reiche Landschaft von lauter Hügeln und Landrücken und gingen über +sechs kleine Pässe, bis wir einen bedeutenden Fluß erreichten, der in +einen langgestreckten Salzsee mit weißen Salzkristallisationen an den +Ufern mündete. Endlich sollten die Pferde getränkt werden. Der Fluß +strömte außerordentlich langsam, kaum merkbar für das Auge. Sei es, +daß er aus mit Salz gesättigten Gegenden kommt oder daß das Wasser des +Sees bei Wind in den Fluß hinaufgeht, genug, um den ersehnten Labetrunk +wurden wir schmählich betrogen, denn das Wasser war grimmig salzig. +Bald darauf fanden wir indessen einen kleinen Tümpel mit süßem Wasser, +und hier tranken alle Tiere nach Herzenslust (Abb. 238). + +Auf dem zu unserer Rechten befindlichen Abhange weidete einsam ein +großer schwarzer Yakstier. Da wir es für unnötig hielten, ihm das Leben +zu nehmen, hetzten die Kosaken Scherzes halber die Hunde auf ihn. Diese +umringten ihn mit wildem Geheul, hüteten sich aber wohl zu beißen. +Jolldasch, der Spitzbube, zupfte ihn nur an den Seitenfransen. Der Yak +drehte sich nach jedem Angreifer um, keuchte und schnaubte, richtete +den Schwanz hoch auf und hielt die Hörner bereit. Dann und wann +fuhr er schnell auf einen der Aufdringlichen los. Er war hiermit so +beschäftigt, daß wir mit dem großen photographischen Apparate ganz nahe +herankommen konnten; die Bilder wurden aber doch recht klein. Ich hielt +das Tier fast für einen zahmen, Tibetern entlaufenen Yak, so ungeniert +war es. + +Nun kam Turdu Bai mit dem Todesurteil. Wir brauchten mehr Fleisch, +sagte er. Die Hunde wurden fortgelockt, zwei Schüsse krachten +gleichzeitig. Dem Yak schien weder der Knall noch die Kugeln das +Geringste auszumachen. Seitdem die Hunde sich entfernt hatten, stand +er regungslos da. Als sie aber wieder angriffen, geriet er in Wut und +jagte sie den Abhang hinunter, stürzte dabei zu Boden und war schon +tot, als wir herankamen. + +Es war ein großer, schöner Stier, dessen Hörner infolge von früheren +Kämpfen mit Nebenbuhlern an der Spitze ganz zersplittert waren. Fleisch +und Fett wurden mitgenommen, der Rest blieb liegen, wahrscheinlich zum +Frommen für Schagdurs Freund, den Wolf. + +Es ist eigentümlich, zwei ganze Tagereisen zurückzulegen, ohne Wasser +zu finden, und dabei sieht man überall Lachen, denn die Regenzeit ist +da. Dennoch marschierten wir 20 Kilometer, ohne Trinkwasser zu finden. +Als sich schließlich ein Kamel weigerte, uns über noch eine übrigens +ganz unbedeutende Paßschwelle zu folgen, lagerten wir. Schagdur machte +weiter oben eine Quelle ausfindig. + +„Wo ist das gute Gras? Wo werden wir das Hauptquartier aufschlagen?“ +fragen wir uns jetzt täglich. Wir müssen noch 383 Kilometer von dem +nordwestlichen Ende des großen Sees Tengri-nor entfernt sein. Wir +können aber kaum erwarten, Spuren von Menschen zu finden, bevor wir +jenseits der mächtigen Kette angelangt sind, deren Schneegipfel +heute ein paarmal zwischen den Hügeln auftauchten. Der wilde Yak +hatte entschieden nie Menschen gesehen, sonst hätte er sich auf +das Photographiertwerden, das ihm das Leben kostete, gewiß nicht +eingelassen. Merkwürdigerweise ist gerade diese Gegend sehr reich an +Schädeln und Gerippen von Kulanen und Orongoantilopen. Doch stammen +diese Skelette nur von verendeten Tieren her, denn wenigstens die +Kulane werden von den Tibetern nie getötet. + +Am 13. Juli zogen wir in dem offenen Längentale (Abb. 239) weiter +und brauchten die Kamele nicht mit Pässen zu quälen. Das Gras ist +schlecht; eine neue Art davon tritt auf, die der Lama „Buka-schirik“ +oder Yakgras nennt und die auf der Pilgerstraße der Mongolen nach Lhasa +und in der Umgegend dieser Stadt allgemein vorkommen soll. Wild ist in +diesen Gegenden häufig; wir sehen Yake, Kulane, Orongoantilopen, Hasen +und Rebhühner. An einem großen Flusse hielten wir es für das Klügste, +das Lager aufzuschlagen, da wir so lange kein gutes Wasser mehr gehabt +hatten. + +Am 15. Juli stieg die Temperatur auf +11,1 Grad, nachdem sie nachts +auf -3,4 Grad heruntergegangen war. Wir marschierten noch immer nach +Südosten, um nach einer Einsenkung in dem gewaltigen Kamme, der uns im +Süden von den Geheimnissen des heiligen Landes trennte, umherzuspähen. +Hatten wir erst diesen Wall, der möglicherweise auch klimatische +Bedeutung besaß, überwunden, so würden wir sicher in wärmere Gegenden +gelangen, die eine bessere Weide boten und vielleicht von Tibetern +bewohnt waren. Noch hatten wir aber keine Spur von Menschen gesehen. + +In der Mitte des heutigen Marsches überschritten wir einen sehr großen +Fluß, den größten, den wir seit dem Tarim gesehen hatten (Abb. 240, +241). Er strömte nach Südwesten, einem großen See zu, den wir nur +aus der Ferne zwischen Hügeln und Bergen hatten hervorglänzen sehen. +Die Wassermenge, die sich auf etwa zwanzig große und ebensoviele +kleine Arme verteilte, betrug wohl 23 Kubikmeter in der Sekunde, die +Stromgeschwindigkeit 1 Meter in der Sekunde und die größte Tiefe 60 +Zentimeter. Hätte der Fluß nur eine einzige Rinne gehabt, so wären wir +ohne die Hilfe des Bootes nicht hinübergekommen. Es erforderte mehr als +eine halbe Stunde, um das andere Ufer dieses großen Wasserlaufes, der +von den Schneebergen im Süden kommt, zu erreichen. + +Die Hügel des linken Ufers waren von einer aus 75 Tieren bestehenden +Yakherde geradezu schwarzgetüpfelt. Sie halten sich im Winter unten in +den großen Längentälern auf, aber ihre Sommerfrischen liegen auf den +mit Yakmoos bewachsenen Halden in der Nähe des ewigen Schnees. + +Gerade vor uns, höher oben in dem breiten, offenen Talgrunde, +zeigte sich etwas, das wir für einen Menschen hielten, der uns +hochaufgerichtet mit steifer Haltung entgegenkam, aber infolge der +Entfernung und der zitternden Luft nur undeutlich zu unterscheiden war. +Sirkin, der Lama und Turdu Bai untersuchten den Gegenstand mit dem +Fernglas und erklärten bestimmt, es sei ein Mann; der Lama fügte hinzu, +der Mann sammle Yakmist und hinter ihm seien zwei schwarze Zelte zu +sehen. Also schon jetzt Tibeter mit großen Yakherden? Es wäre fatal, +mitten auf dem Marsche von Tibetern überrascht zu werden; nun würde die +burjatische Verkleidung umsonst sein und durch alle unsere Pläne ein +Strich gemacht werden! + +[Illustration: 230. Die Kamele am Ufer des Kum-köll. (S. 114.)] + +[Illustration: 231. Turdu Bais Zelt. (S. 120.)] + +Auch ich sah mir diesen rätselhaften Wanderer lange an. Wir warteten +eine ganze Weile, um ihn näherkommen zu lassen. Doch mit der Zeit +verwandelte sich unser Mann in einen Kulan, den wir in Verkürzung +gesehen hatten; die schwarzen Zelte waren einfach die Schatten einer +Erosionsterrasse, und die Herde bestand aus wilden Yaken, die, sobald +sie unsere Karawane witterten, angefangen hatten, sich talaufwärts zu +entfernen. + +Bald darauf scheuchte Jollbars einen jungen Hasen auf, dem es sicher +schlecht gegangen wäre, wenn er den Hund nicht durch seine schnellen +Seitensprünge ermüdet und sich dann in eine kleine Erdhöhle geflüchtet +hätte. Hier war er jedoch auch nicht sicher, denn Schagdur holte ihn +mit der Hand heraus, band ihn und streichelte das erschreckte Tierchen. +Als die Karawane und alle Hunde vorbeigezogen waren, löste ich seine +Bande, um ihm die Freiheit wiederzuschenken. Er hüpfte mit leichten +Sprüngen vergnügt fort und schien ganz erstaunt, daß er aus einem +solchen Abenteuer mit heiler Haut davongekommen war; aber noch war er +nicht weit gelangt, als ein Falke, den wir nicht bemerkt hatten, auf +ihn herabstieß. Schagdur eilte hinzu, kam aber zu spät. Der Falke ließ +seine Beute mit ausgehackten Augen in Todeszuckungen liegen. + +Derartige Ereignisse sind die einzigen Unterbrechungen der langen, +einförmigen Ritte. Ich reite stets neben dem Lama, um mich im +Mongolischen zu üben, und allmählich nehmen unsere Pläne nach Lhasa +eine immer deutlichere Gestalt an. + +Am linken Ufer eines neuen Flusses, der sich weiter abwärts mit dem +großen vereinigt, war die Weide besser als seit langem und überall so +viel Yakdung vorhanden, daß wir dort das Lager aufschlagen konnten. +Das Wetter war strahlend hell, in der Luft summten sogar Fliegen. Ein +wenig weiter oben zeichneten sich die schwarzen Umrisse von 20 Yaken +ab, und Kulane wie Antilopen waren zahlreich vertreten. Ein Kulan +spazierte ganz in unserer Nähe auf dem gegenüberliegenden Ufer umher. +Zwei Hunde schwammen über den Fluß und jagten ihn eine Strecke weit, er +blieb aber sehr ruhig, graste weiter und ließ die Hunde bellen, soviel +sie wollten. Nicht einmal Rebhühner und Wildgänse mit ganz kleinen +Jungen fehlten in dieser Gegend, die uns außergewöhnlich gastfreundlich +aufnahm. + +Am 16. Juli blieben wir im Lager Nr. 38. Turdu Bai und Hamra Kul wurden +in das gewaltige Tal hinaufgeschickt, in dem ich es nicht gleich mit +der ganzen Karawane versuchen wollte; konnte es doch so schwer zu +erklimmen sein, daß wir hätten wieder umkehren müssen. + +Gerade als ich das Universalinstrument zum Observieren aufgestellt +hatte, brach ein heftiger Hagelschauer los. Der Himmel wurde im Westen +schwarz, der Donnergott rollte mit seinem schweren Wagen durch die +Wolken, und die Schläge folgten so dicht aufeinander, daß die Erde +unter ihnen bebte. Ich mußte hübsch wieder unter Dach kriechen. Die +Hagelkörner schmetterten auf die Filzdecken meiner Jurte und tanzten +wie Zuckerkügelchen auf dem Erdboden, der bald weiß wurde. + +Nun ertönte Geschrei und Rufen. Tscherdon, der die Wache hatte, +meldete, daß die anderen beiden Kosaken einen großen Bären aufgetrieben +hätten, der in scharfem Galopp nach dem Lager eilte, aber rechtzeitig +nach Osten abschwenkte, mit raschen Schlägen über den Fluß schwamm, die +gegenüberliegende Uferterrasse hinaufkletterte und, die beiden Reiter +hinter sich, die Flucht fortsetzte. + +Kaum war die wilde Jagd an uns vorübergesaust, als von Tscherdons Zelt +ein Schuß krachte. Ein großer, alter, weißgrauer Wolf war vor dem Lager +umhergeschlichen und mußte ins Gras beißen. + +Nach einer guten Stunde kehrten die Kosaken in scharfem Trab zurück +und sprengten gerade auf mich los; es war ihnen anzusehen, daß sie +mir etwas Wichtiges mitzuteilen hatten. Der Bär war ihnen nach einem +letzten Schusse freilich entkommen, +dafür aber waren die Jäger, +geradewegs in ein tibetisches Lager hineingeritten+! Ein mit einer +Flinte bewaffneter Mann war bei ihrem Herannahen hinter einem Hügel +verschwunden, einige Pferde weideten in der Nähe, und die 20 Yake, die +wir gestern gesehen hatten, waren also doch zahme Tiere. + +Nun waren die Kosaken, die sich mit dem Manne nicht hatten verständigen +können, schleunigst umgekehrt, um mir von dem Geschehenen Mitteilung zu +machen. + +Der Lama war sehr verdutzt, als ihm die gefährliche Wirklichkeit auf +den Leib rückte. Solange wir keine Spur von Menschen gesehen hatten, +war ihm mein Plan als etwas Unbestimmtes, noch in weiter Ferne +Schwebendes erschienen, aber jetzt standen wir an dem Punkte, wo die +ersten Eingeborenen auftauchten und von welchem wir daher aufbrechen +mußten. Wir fingen an zu glauben, daß der Kulan, den wir gestern +gesehen hatten, doch am Ende wirklich ein Mann, jedenfalls aber ein +Omen gewesen sein müsse, ein Vorzeichen, daß menschliche Wohnungen +nicht mehr weit entfernt seien. + +Wir berieten uns eine Weile über die Sachlage. Es war keine Zeit zu +verlieren, denn auf die Kosaken hatte es den Eindruck gemacht, als +hätten die Tibeter ihre Yake und Pferde nach dem Lager geholt, um bald +aufzubrechen. Wir mußten sie festhalten, denn teils konnten sie uns +wichtige Aufklärungen über Wege und andere Verhältnisse geben, teils +würde es besser sein, wenn wir versuchten, ihr Vertrauen zu gewinnen +und mit ihnen zusammenzureisen, um sie so zu verhindern, unsere Ankunft +zu verkünden, welche Nachricht andernfalls wahrscheinlich wie ein +Lauffeuer von Mund zu Mund bis nach Lhasa dringen würde. + +Ihr Lager war, nach Sirkin, nicht mehr als drei Kilometer von uns +entfernt. Sie mußten uns auf jeden Fall gesehen haben, als wir +gestern ankamen; man konnte sich jedoch nicht wundern, wenn sie +sich absichtlich abseits hielten. Waren es tibetische Nomaden oder +tangutische Räuber? Oder am Ende nur friedliche Yakjäger, die Fleisch +und Felle auf zahmen Yaken nach Süden transportierten? So früh hatte +ich nicht erwartet, Menschen zu treffen. Merkwürdig ist es auch, daß +wir bisher noch keine Spur von alten Feuerstellen gesehen hatten. + +Einstweilen beauftragte ich den Lama und Schagdur, sofort dorthin zu +reiten und mit ihnen zu reden. Auch der Kosak kleidete sich in ein +mongolisches Gewand und sah, dank seiner Rasse, wie ein echter Mongole +aus, der er in Wirklichkeit ja auch war. Ich gab ihm Silbergeld mit für +den Fall, daß die Tibeter geneigt wären, uns einige von ihren Pferden, +sowie Tee und Tabak zu verkaufen, und damit sie sehen sollten, daß sie +es mit ganz freundschaftlich gesinnten, ehrlichen Leuten zu tun hatten. + +Die beiden Männer sprengten wieder durch den tiefen Fluß und +verschwanden in der Dämmerung. + +Gerade jener Augenblick, den ich gern solange wie möglich +hinausgeschoben gesehen hätte, war jetzt ganz unerwartet eingetreten. +Es ist klar, daß es für uns wallfahrende Pilger vorteilhaft gewesen +wäre, wenn das starke Hauptquartier möglichst weit nach Süden +hätte vorgeschoben werden können, so daß wir nicht zu weit von ihm +abgeschnitten waren. Wir hatten verabredet, vorsichtig vorzudringen +und Halt zu machen, sobald wir Menschenspuren entdeckten. Ja, wenn +wir während des Marsches in der Ferne Herden oder Zelte erblickten, +wollten wir sofort anhalten, so daß wir Pilger wenigstens Zeit hätten, +uns „umzukleiden“, damit wir später, wenn wir zurückritten und uns dem +heiligen Lande auf einem anderen Wege näherten, nicht dem Verdachte +ausgesetzt wären, zu der großen europäischen Karawane zu gehören. + +Nach ein paar Stunden kamen die Reiter in dunkler Nacht unverrichteter +Sache wieder. Die Tibeter waren aufgebrochen; ihre Spur ging nach +Osten. Ihr Feuer aus Argol (Yakdung) glühte und rauchte noch. Schagdur +glaubte, daß sie erst nach dem Schusse der Bärenjäger auf uns +aufmerksam geworden seien und sofort eingepackt hätten. Nach Ansicht +des Lamas waren es drei Yakjäger gewesen; zwei Yakschädel und einige +Hufe lagen auf der Erde verstreut. Wir überlegten, ob wir es versuchen +sollten, die Tibeter einzuholen; aber da sie sicher beabsichtigten, die +ganze Nacht und den ganzen nächsten Tag zu marschieren, mußten wir aus +Rücksicht auf den Zustand unserer Pferde auf die Verfolgung verzichten. + +Mit dem Frieden war es von diesem Tage an in unserem Lager vorbei. +Nachts wurden Wachen aufgestellt, und die Karawanentiere durften nicht +aus den Augen gelassen werden. Wir fingen an, halb auf Kriegsfuß zu +leben, und mir stieg der Gedanke auf, daß es am Ende gefährlich sei, +die Karawane zu verlassen; sie konnte leicht überfallen werden, da es +jetzt ohne Zweifel als bekannt gelten durfte, daß eine Karawane im +Anzuge war. Deshalb beschloß ich nach Beratung mit Schagdur zunächst, +daß Tscherdon im Hauptquartier zurückbleiben müsse, um die Zahl der +Verteidiger für den Fall eines Angriffes zu vergrößern. Später würde +sich dann auch noch Tschernoff mit der Nachhut zu ihnen gesellen. + +Dagegen hielten wir es für unnötig, das Hauptquartier schon hier +anzulegen, denn es war keine Aussicht vorhanden, daß wir mit unseren +schlechten Pferden die heilige Stadt eher erreichen würden als die +vergrößerten, übertriebenen Gerüchte, die bald in Umlauf sein würden. +Von hier aus hätten wir 1100 Kilometer hin und zurück gehabt, mehr, +als unsere Tiere aushalten konnten, besonders da es sich um einen +forcierten Ritt handeln würde. + +Da Turdu Bai und Hamra Kul nichts von sich hören ließen, mußten wir +noch einen Tag im Lager Nr. 38 bleiben. Während desselben wurde unsere +ganze mongolische Ausstattung in Ordnung gebracht, so daß für den Fall +einer plötzlichen Trennung von der Karawane alles in Bereitschaft war. +Auf der inneren Seite meines einen mongolischen Stiefels wurde eine +lederne Hülse für ein Thermometer angebracht; für Uhr, Aneroid und +Notizbuch wurden Taschen in meinen Pelz genäht. + +In der Dämmerung zeichneten sich die Schattenrisse unserer beiden +Kundschafter ab. Beide meldeten, daß so weit, wie sie talaufwärts +vorgedrungen seien, keine Hindernisse vorlägen. Sie hatten an ein paar +Stellen alte Feuerspuren gesehen, die zeigten, daß die Gegend ihres +Yakreichtums wegen bekannt war. + +Am 18. Juli gingen wir südostwärts bis an den Punkt, wo das letzte +Gras wuchs. Dreimal mußten wir über den Fluß hinüber. Eines der +Kamele konnte kaum den Lagerplatz noch erreichen; es war jedoch +bedeutend fetter als die anderen und schien ganz gesund zu sein. Es +war entschieden nur faul; aber als es sich auch am folgenden Morgen +nicht bewegen ließ, die Wanderschaft bergauf fortzusetzen, wurde es +zurückgelassen. Die Nachhut würde auf jeden Fall hier vorbeikommen +und es mitnehmen. Langweilen würde sich das arme Tier hier in der +Einsamkeit schon, aber von Wölfen würde es nichts zu fürchten haben; +diese greifen nie ein Kamel an, das einen Packsattel trägt, behaupten +die Muselmänner. + +Auf einem kleinen Hügel neben dem Lager wurde eine Jurtenstange +aufgepflanzt und an ihrer Spitze eine Konservendose festgebunden, in +der ein Zettel lag, auf den ich in türkischer Sprache geschrieben +hatte: „Wir haben hier ein Kamel zurückgelassen; wenn es nicht hier +ist, so folgt seinen Spuren, bis ihr es findet!“ Es war möglich, daß +das Tier, wenn es sich erholt hatte, auf die Idee verfiel, seine +Kameraden zu suchen. + +Wir hatten also eines der achtzehn verloren. Fragend folgte es uns +mit den Blicken, als wir unbarmherzig weiterzogen. Darauf beugte es +den Hals, um zu grasen, und wir sahen es nie wieder. Denn gerade hier +machte die Nachhut, die nicht immer an derselben Stelle lagerte wie +wir, einen Umweg. Sie sahen das verlassene Kamel nicht mehr; es war das +einzige Tier, das ohne Hoffnung auf Rettung lebendig zurückblieb und +von dessen weiteren Schicksalen wir nie etwas erfahren sollten. + +Unser Zug geht auf unfruchtbarem Boden nach Südosten weiter; Schnee +und Hagel lassen uns wenig von den Umgebungen sehen -- heute haben wir +vollständigen Winter nach der gestrigen Sommerwärme. Auf dem linken +Ufer des Flusses geht es immer höher hinauf. Yakdung lag überall, aber +Herden sahen wir merkwürdigerweise nicht; wir hatten den Eindruck, daß +sie kürzlich verscheucht sein müßten. Als Zeichen von Jägerbesuchen +fanden wir an drei Stellen Feuerherde, von denen einer zehn Tage alt +sein konnte und aus einigen kreisförmig aufgestellten Steinen bestand, +in deren Mitte Asche lag. Ein schlanker Tonkrug war hier in Scherben +gegangen; der Hals lag noch da. + + + + +Dreizehntes Kapitel. + +Das Hauptquartier. + + +Noch einen Tag sollten wir uns nach immer höheren Regionen +hinaufarbeiten, und es galt jetzt, die gewaltige Schneekette, die wir +solange zur Rechten gehabt hatten, zu übersteigen. + +Die Kamele halten sich tapfer, aber ihre Kräfte sind im Schwinden. Das +Dromedar scheint der nächste Todeskandidat zu sein; es ist nur noch +Haut und Knochen und weint abends schmerzlich. Trotzdem spannte es +seine Kräfte aufs äußerste an und legte ehrenvoll die 19,1 Kilometer +zurück. Als Abendmahlzeit hatte es ein paar gewaltige Weizenbrote, Heu +aus einem Packsattel und ein paar Klumpen rohes Schaffett bekommen, das +an stärkenden Eigenschaften alles übertreffen solle. + +Die Sonne und die Hochalpenlandschaft wurden bald von undurchdringlichen +Wolken verdeckt. Unsere Straße ging nach Südsüdwest, und das Unwetter +kam uns gerade entgegen. Was nützt einem bei solchem Wetter ein +Pelzbaschlik? Hagel und Schnee schlagen mir wagerecht ins Gesicht, +bleiben im Pelz sitzen, schmelzen und rinnen mir am Halse hinunter. +Manchmal muß man stehenbleiben und dem Unwetter den Rücken kehren, um +Atem zu schöpfen. Die Gegend ist verborgen unter diesen scheußlichen +Wolkenvorhängen, durch deren Hagelschauer wir reiten müssen. Es ist +nicht leicht, unter solchen Umständen zu zeichnen und zu schreiben! +Wenn es sich für eine Weile aufklärt, wundern wir uns, daß wir dem +gewaltigen Gletschermassiv zur Rechten nicht sichtlich nähergekommen +sind. Wir schreiten freilich ununterbrochen nach dem Passe hinauf, aber +ganz unglaublich langsam. + +Auf beiden Seiten des Passes laufen mehrere Gletscherzungen aus; sie +sind vollständig überschneit, und jede von ihnen entsendet einen Bach. +Am Rande der Gletscher sehen wir große Yakherden; wir zählen über +300 Tiere, darunter einige ganz kleine Kälber. Tscherdon schoß eines +der letzteren für unseren Proviantvorrat. In dem Maße, wie wir uns +näherten, zogen sie sich über den Paß nach der Südseite hinüber. Die +Abhänge, auf denen sie im Moose weideten, sahen von ihren dichten +Reihen wie schwarzgestreift aus. + +Mitten in dem flachen Tale, in dem wir nach der Paßschwelle +hinaufziehen, rieselte ein Bach, der nur ein oder zwei Meter breit, +aber oft einen Meter tief ist. Büschel von feuchtem, dichtem Yakgras +bildeten seine Ufer. Daß sich der tibetische Ochs hier sehr wohl fühle, +bewiesen die reichlichen Dungmassen, die umherlagen. In dem Bache leben +kleine Fische, die sich besonders in den ruhigeren Becken aufhalten. +Fische 5000 Meter über dem Meere! Wie gewöhnlich wurden Exemplare in +Spiritus mitgenommen. + +Schließlich hören Bäche und Gletscherabflüsse auf, die Steigung +nimmt zu, und ich gelangte mit dem Lama auf diesen himmelstürmenden +Paß, dessen Höhe 5462 Meter betrug. Die Karawane mühte sich noch auf +dem Abhange ab. Ein großer Yak, der böse und herausfordernd aussah, +versperrte den Weg nach Süden. Er wedelte mit dem Schwanze in der Luft, +senkte die Hörner und machte gar keine Miene zu entfliehen. Wir hielten +es für geraten, die Ankunft der Schützen abzuwarten; doch sobald die +ersten Kamele auf dem Kamme auftauchten, trottete der Yak ab. + +Inzwischen wurde das uns im Süden erwartende Land mit dem Fernglas +gemustert. Vor uns breitete sich ein Gewirr von Bergen und Ketten, +ein Labyrinth von Tälern aus. Ein bedeutender Fluß sammelte sich am +Südabhange; wir folgten ihm abwärts. Hier hielten sich sieben alte Yake +auf, die von den Hunden mit Todesverachtung angegriffen wurden. Vier +suchten sofort ihr Heil in der Flucht, drei hielten eine Weile stand. +Als aber die Angreifer ihre Attacke auf einen Yak konzentrierten, +machten sich die beiden anderen ebenfalls aus dem Staube. Der letzte +hatte verzweifelte Mühe, sich die Hunde vom Leibe zu halten. Er +entschloß sich schließlich für die schlaue Taktik, sich mitten in den +Fluß zu stellen, wo das Wasser um ihn schäumte und die Hunde scheu +machte. Nach einer Weile kamen zwei Kameraden zurück, um sich nach ihm +umzusehen, aber die Hunde waren des Spieles schon beinahe überdrüssig, +hatten sich hingesetzt und schauten ihr Opfer nur noch an. + +An dem Punkte des Tales, wo den Kamelen die Lasten für die Nacht +abgenommen wurden, war das Gras bedenklich mager. Mitten auf ebenem +Boden lag ganz regungslos, den Blick auf uns gerichtet, ein Rebhuhn, +auf das einer der Kosaken schoß. Es taumelte im Todeskampfe auf; dabei +stellte sich heraus, daß es auf drei kleinen Küken gelegen hatte, die +unverletzt piepend um die Mutter herumliefen. Wenn man sich nicht zum +Troste sagen könnte, daß man in diesen unwirtlichen Gegenden jedes +Wild, das einem in den Weg kommt, zu erlegen berechtigt ist, weil man +sein eigenes Leben damit fristen muß, so würde man sich wie ein Räuber +und Schurke vorkommen, wenn man ein so idyllisches Familienleben +gewaltsam zerstört und solch ein bescheidenes Glück von der Erde +vertrieben hat. Es dauerte lange, bis ich die Erinnerung an diesen +feigen Schuß los wurde. Ich suchte mich damit zu trösten, daß die Hunde +das Rebhuhn, das mit seinen drei Küken abends in die Bratpfanne kam, +doch totgebissen haben würden. + +Die Kamele müssen lange rupfend umhergehen, ehe sie so viel Gras im +Maule haben, daß es sich des Kauens und Schluckens verlohnt. Das Gras +ist zäh und hart, und die Wurzeln bleiben beim Rupfen daran sitzen, +denn der Erdboden ist von den Niederschlägen aufgelöst. + +Der Lama, der ein kluger Mensch ist, bemerkte ganz richtig, daß diese +gigantische Bergkette für die Tibeter dieselbe Rolle spiele wie der +Arka-tag für die Bewohner von Ostturkestan; sie ist eine Grenzmauer +gegen das unbekannte, unbewohnbare Land, eine Grenze, die selten +überschritten wird, und dann nur von Yakjägern. Zwischen dieser Kette +und dem Arka-tag liegen die höchsten und unfruchtbarsten, daher auch +am schwersten zugänglichen Teile von Tibet. Jetzt hatten wir noch +280 Kilometer bis nach dem Nordufer des Tengri-nor, und die ersten +Lagerplätze der Nomaden konnten nicht mehr sehr weit sein. + +Am Morgen des 21. Juli erwachte ich bei Schneetreiben. Kompakte, +beinahe schwarze Wolkenmassen hängen längs des Kammes der ewigen +Schneekette. Diese wird ganz von ihnen eingehüllt, und man würde von +ihrem Dasein keine Ahnung haben, wenn nicht zwei Gletscherzungen, +den Tatzen eines ungeheueren Eisbären vergleichbar, unter dem Saume +des Wolkenmantels herunterhingen. Die Schneegrenze dürfte sich hier +etwa 100 Meter über der Paßhöhe befinden. Trotz dieser bedeutenden +absoluten Höhe kamen keine nennenswerte Fälle von Bergkrankheit vor. +Nur Tscherdon, der Yaken nachgelaufen war, hatte Kopfweh. + +Durch eine Hagelbö nach der anderen reiten wir zum Passe hinauf. Auf +der rechten Seite mündet hier ein Nebental, und der vereinigte Fluß, +der nun die Richtung nach Südost einschlägt, mußte uns den Weg nach +tieferliegenden Gegenden mit Weideland zeigen. Wir beschlossen, ihm zu +folgen, soweit er ging. + +Gerade in dem Talknie lagen zwei gewaltige Eistafeln, in denen hier und +dort Waken gähnten, unter denen man das Wasser des Flusses strömen sah. +Manchmal muß man sich darüber wundern, daß die ziemlich gebrechlichen +Eisbrücken nicht unter den Kamelen einstürzen. Bald wird das Eis +zusammenhängender und dicker. Der Fluß strömt frei in der Mitte des +Talbodens, und auf jeder Seite begleitet ihn ein ununterbrochenes +dickes Eisband mit senkrechten oder überhängenden Wänden (Abb. 242). + +[Illustration: 232. Eine angeschossene Orongoantilope. (S. 126.)] + +[Illustration: 233. Erlegter tibetischer Bär. (S. 127.)] + +Die Karawane ging auf der rechten Eisscholle, die bei einer Biegung +des Flusses unterbrochen war, so daß wir auf den Schuttboden hinunter +mußten. Die Eistafel war jedoch lotrecht und 1,97 Meter hoch, so daß +alle Äxte, Stangen und Spaten in Tätigkeit gesetzt werden mußten, +um einen Weg zu bahnen (Abb. 243). Diese Arbeit dauerte eine gute +Stunde, während welcher Schagdur weiterritt. Mir sah diese Straße +höchst bedenklich aus, denn das Tal verschmälerte sich immer mehr; +wahrscheinlich war es ein tief eingeschnittenes Durchbruchstal, das uns +nicht mehr herauslassen würde. + +Der Eisabhang wurde mit Sand bestreut; dann führten wir alle Tiere +vorsichtig hinunter, um in der 20-40 Meter breiten Rinne zwischen +den Eisbändern weiterzuziehen, wobei wir meistens im Flusse selbst +gingen. Auf dem Talboden war es tüchtig naß; es spritzte und patschte +um die Kamele. Von den Eisrändern tropfte und rieselte es im Regen, +umsomehr als sich die Temperatur den ganzen Tag einige Grade über dem +Gefrierpunkte hielt. + +Wir waren schon eine Strecke weit in der Nässe gewatet, als wir +Schagdur trafen. Fünf, sechs Kilometer könnten wir noch marschieren, +sagte er, weiter aber nicht. Dort hörten die Eisbänder auf und ein +Hohlweg beginne, in dem der Fluß zu einem tiefen, unpassierbaren Strom +zusammengedrängt werde. Schagdur war mit seinem Pferde noch in ein +Meter tiefem Wasser geritten, dann aber umgekehrt. + +Da dazu kam, daß sich die Wassermenge des Flusses bis zum späten Abend +stündlich vergrößern mußte, beschloß ich umzukehren. Man konnte ja +in einer solchen Falle in eine, gelinde ausgedrückt, ungemütliche +Lage geraten und von oben und unten abgeschnitten werden. Das Wasser +würde nachdrängen und das Tal so füllen, daß wir auch nicht wieder +zurückkönnten. Und Talerweiterungen, wo man die Kamele nach den Seiten +hätte führen können, hatte der Späher nicht gesehen. + +Also das Ganze kehrt gemacht und wieder zurück durch diese angenehme +Passage mit ihren unzähligen Furten, Waken und Tümpeln. Jetzt war alles +noch mehr durchweicht, und in den Spuren der Kamele hatte sich Wasser +angesammelt. Überall rieselt und sprudelt es, und das Eis knackt und +kracht. Es füllt im Winter ohne Zweifel das ganze Tal aus, wird aber +von dem von den Gletschern gespeisten Flusse im Frühling schließlich +durchbrochen. Es mag eigentümlich erscheinen, daß solche Eismassen bis +Mitte Juli liegenbleiben können; doch dies hat seinen Grund teils in +der absoluten Höhe, teils in der hohen, schützenden Bergwand, die sich +auf der Südseite des Tales erhebt. + +Da, wo die Richtung des Tales nach Südosten überging, verließen wir +unsere Spur und gingen am Ufer des von rechts kommenden Nebenflusses +hinauf. Damit der Nachhut unsere vergebliche, anstrengende +Eiswanderung erspart bliebe, wurde in der Talbiegung ein Steinmal +errichtet und davor an der Erde aus Steinstücken eine Pfeilspitze +angebracht, die nach Südwesten zeigte. + +Statt, wie wir gehofft, die Reise nach Süden und wärmeren Gegenden +hinunter fortsetzen zu können, mußten wir wieder ein völlig +unfruchtbares Tal hinaufziehen. Der Hagel schlug heftiger als je +nieder. Es war ziemlich gleichgültig, wie die Gegend aussah, denn heute +konnten wir nicht mehr weiter, und da es sich hier um einen neuen Paß +handelte, war auch keine Hoffnung vorhanden, daß wir eher Weide finden +würden als auf seiner anderen Seite. + +Gegen Abend klärte sich der Himmel auf; ich lag auf meinem Bett, +rauchte meine Pfeife und betrachtete die Kamele, die mit Engelsgeduld +nach Gras suchten. Die Sonne sinkt, die Wolken färben sich rotbraun, +und als es dämmerig wird, schmettern wieder schwere Regentropfen auf +die schon feuchten Filzdecken der Jurte. Nun wird das Licht angezündet, +die Arbeit geht weiter, und der Abend verfließt in gewöhnlicher Ruhe. +Wir plaudern eine Weile in Sirkins Zelt und tauschen unsere Meinungen +darüber aus, wie Tschernoff mit den erschöpften Kamelen der Nachhut +hier durchkommen wird. Wir beraten auch über die Reise nach Lhasa. +Sollten wir nicht einige Platz erfordernde Sachen, wie Stearinkerzen +und den kleinen photographischen Apparat in dem Packsattel eines +Maulesels durchschmuggeln können? „Nein“, erklärte der Lama, +„hierzulande ist man nie sicher; sie stehlen uns vielleicht das ganze +Tier mit Sattel und allem.“ + +Der nächste Tag brachte uns hinsichtlich der Terrainverhältnisse keine +Änderung zum Bessern. Nachdem wir noch ein Steinmal errichtet hatten, +schritten wir zu dem Passe hinauf, der von fern sehr leicht aussah, in +Wirklichkeit aber schwerer zu übersteigen war als der vorige. + +Ich ritt mit dem Lama in dem Flußbette aufwärts, das der einzige Weg +mit festem Boden war; denn entfernt man sich nur ein wenig von ihm, +so sinkt das Pferd in den Morast ein, und man muß schnell abspringen +und versuchen, wieder auf tragfähigen Boden zu gelangen. Die Abhänge +bestehen nach dem Flußbette zu aus einer breiähnlichen Schlammmasse, +die, nach den oft vorkommenden Quer- und Randspalten zu urteilen, sich +in wenn auch unmerklich gleitender Bewegung befindet. Die absolute +Höhe, die recht fühlbare Steigung und der lose Boden könnten vereint +auch die beste Karawane vernichten. + +Zwei Stunden brauchten wir zum Hinaufreiten; nachher mußten wir dort +zwei Stunden auf die anderen warten. Ein rasender Hagelsturm tat das +Seine, den Boden noch mehr aufzuweichen. Es ist qualvoll anzusehen, wie +die Kamele, wenn sie in den Brei einsinken, sich abmühen und abquälen, +um sich wieder herauszuarbeiten. Nur fünfzehn erreichten den Paß, zwei +waren mit je einem Manne zurückgelassen worden. Ihre Lasten übernahmen +Pferde, deren Reiter zu Fuß gehen mußten. + +Der Südabhang war zehnmal schlimmer; dort war es weder möglich, festen +Boden zu finden, noch zu Pferd zu sitzen. Ein Mann geht voraus, um +das Erdreich zu prüfen, ihm folgt Turdu Bai mit den Kamelen. Er eilt +so schnell, wie er nur kann, vorwärts, damit die Kamele nicht zu tief +in den Schlamm einsinken können. Das nützt ihm jedoch wenig. Gebrüll +ertönt; ein Seil hat sich gespannt und ist gerissen, ein Kamel ist im +Versinken begriffen. Alle Mann müssen ihm heraushelfen, nachdem ihm die +Last abgenommen worden ist; dann schreitet der Zug weiter. Es ist ein +Wunder, daß es gelingt, denn das Kamel sinkt bis an die Knie in den +Schlamm ein, der jetzt so dünnflüssig ist, daß sich die Gruben sofort +wieder schließen. Der Regen gießt herab, und die dämmerungsdunkeln +Wolken lassen nirgends ein Aufhellen ahnen. Ein Maulesel bleibt in +einem Sumpfloche stecken und kann nur mit Mühe gerettet werden. Von +Menschen und Tieren rieselt und tropft das Wasser herunter, und alle +atmen mühsam und schwer. Ein hoffnungsloses Land! Nicht genug damit, +daß uns hier die Menschen den Zutritt verweigern, auch die Elemente +und die Erde verschwören sich, um uns totzuquälen, bevor wir die +erfrischenden Weidegründe und die belebende Ruhe erreicht haben, von +denen wir nachts träumen! Wie würde es Tschernoffs elf schlechten +Kamelen hier ergehen? Ich machte mich mit dem Gedanken vertraut, daß +kein einziges von ihnen die beiden Pässe und den Morast, der mit jedem +Regentage immer schlimmer wurde, überleben würde. + +Endlich erreichten wir einen größeren Fluß. Woher er kam und wohin er +strömte, konnten wir bei dem jetzt herrschenden, ungeheuer dichten +Schneeregen nicht sehen. Was wir aber mit Befriedigung fühlten, war, +daß sein Kiesboden wenigstens nicht nachgab und uns nicht, wie eben +noch die Erde, zu verschlingen drohte. Alles war schon so durchnäßt, +daß es nichts mehr machte, wenn wir auch noch in diesem Flusse +plätscherten. Ein wenig weiter abwärts entdeckte ich auf dem rechten +Ufer Gras und Schagdur einen großen Tonkrug. Der Lama war der Ansicht, +daß seine Größe darauf schließen lasse, daß keine Nomaden in der Gegend +wohnten, denn im anderen Falle würden sie sich nicht mit einem solchen +Dinge geschleppt haben. Jäger, die auf ihren Gebirgswanderungen eines +festen Lagerpunktes zum Ausruhen bedürfen, hätten den Krug hier ein für +allemal zurückgelassen. + +Wir waren eben mit dem Aufschlagen der Zelte fertig, als sich auch +schon die nächste Regenbö einstellte. Arme Karawanentiere! Sie mußten +die eiskalte Dusche über sich ergehen lassen. + +Von den zurückgelassenen Kamelen konnte nur eines noch das Lager +erreichen. Das andere war unmittelbar unter dem Schlammpasse geblieben, +wo Hamra Kul die Nacht bei ihm zubringen wollte. Das Kamel steckte +dort buchstäblich im Schlamm, und alle Versuche, ihm herauszuhelfen, +waren fruchtlos geblieben. Es hatte seine Kräfte in der Verzweiflung +aufs äußerste angespannt, war aber nur immer tiefer in den Morast +geraten, der es nun festhielt. Hamra Kul ließ mich hiervon durch einen +Kameraden benachrichtigen und mich zugleich fragen, was er tun sollte. +Ich schickte zwei Männer mit Proviant und etwas Feuerung zu ihm. Sie +sollten alle drei die Nacht bei dem verunglückten Kamele zubringen; +am Morgen, wenn die obere Schicht des Bodens ein wenig erstarrt +war, so daß man wie auf Eis an das Kamel herangehen konnte, sollten +sie versuchen, ob sie es nicht mit Hilfe von Spaten und Filzdecken +herauszuziehen vermöchten. Alle übrigen Leute sollten ihnen zu Hilfe +kommen, da wir auf jeden Fall einen Tag liegenzubleiben beabsichtigten. +Li Loje hatte nämlich nur einen Kilometer weiter flußabwärts viel +bessere Weide gefunden, wohin die Tiere schon am Abend geführt wurden. + +Alle Versuche, dieses an und für sich gesunde, fehlerfreie Tier +zu retten, mißlangen. Es sank während der Nacht immer tiefer ein +und wurde, wie die Leute meldeten, am Morgen, halb in diesem +heimtückischen, verfluchten Boden festgefroren, tot gefunden. Nur +einmal war es mir bisher passiert, daß uns ein Kamel in einem Sumpfe +erstickt war, sonst war es uns stets geglückt, die Tiere noch zu +retten. Der Leser kann sich einen Begriff von den Schwierigkeiten +machen, die mit der Reise durch ein Land verbunden sind, in welchem +sich die Erde auftut, um die Karawanentiere zu verschlingen! Mit jedem +Tage wunderte ich mich immer mehr, daß die Kamele sich unter diesen +fürchterlichen Strapazen noch so gut hielten. + +Während des Ruhetages im Lager Nr. 43 gingen Sirkin und Schagdur auf +die Jagd. Nachher berichteten sie, daß sie in einer Entfernung von nur +3 -- 4 Kilometer talabwärts Hügel gefunden, die mit vortrefflichem +Grase, besserem, als wir je gehabt hätten, bewachsen seien. Turdu +Bai hielt sich fast den ganzen Tag draußen bei den Kamelen auf; er +hatte sich den Genuß, sie wieder zu sehen, nicht verkürzen wollen. +Er erklärte, daß die Weide hier in der Gegend für einen vollen Monat +ausreiche und nur ein längerer Aufenthalt die Karawane retten könne. +In aller Eile beschloß ich, am folgenden Tage, 24. Juli, nach den +Weideplätzen, welche die Kosaken entdeckt hatten, aufzubrechen und dort +das große Hauptquartier anzulegen. Dort sollte das Lager befestigt, +eine astronomische Ortsbestimmung ausgeführt und die letzte Hand an +unsere mongolische Ausrüstung gelegt werden, und von dort wollten +wir in der Richtung nach Lhasa aufbrechen. Es war hohe Zeit! Einige +Muselmänner hatten auf ihren Streifzügen nach Brennmaterial einen +Flintenschuß gehört. Wir hatten vielleicht Nachbarn in der Gegend, und +jetzt hieß es aufpassen. + +Anfangs war es meine Absicht gewesen, auf dem Ritte nach Süden die +beiden burjatischen Kosaken und den Lama mitzunehmen. Da jedoch unsere +Ankunft von den Yakjägern, auf die wir so unerwartet gestoßen waren, +ganz gewiß schon erzählt worden, wagte ich nicht, nur +einen+ Kosaken +im Hauptquartier zurückzulassen. Wenn es auch nicht wahrscheinlich war, +daß die Tibeter unseren Rückzugspunkt angreifen würden, so erforderte +es doch die Klugheit, auf jede Möglichkeit vorbereitet zu sein. Es +konnte noch lange dauern, bis Tschernoff mit den Trümmern der Nachhut +anlangte. Daher beschloß ich, auch Tscherdon zurückzulassen, der mit +seinem Magazingewehre zur Sicherheit des Lagers beitragen würde. Es +tat mir sehr leid, ihm dies mitteilen zu müssen, und ich hatte es +möglichst lange hinausgeschoben. Ich wußte, daß es für ihn eine sehr +große Enttäuschung sein würde, denn die Wallfahrt nach Dscho (Lhasa) +ist in der lamaistischen Welt ebenso verdienstvoll wie der Titel eines +Hadschi, eines Mekkapilgers, bei den Muselmännern. Doch ich tröstete +ihn damit, daß es wenig wahrscheinlich sei, daß es uns gelänge, die +Wachsamkeit, mit der die Tibeter jetzt ohne Zweifel ihre Stadt hüteten, +zu täuschen, und versprach ihm, daß er vor dem Ende dieser Reise ebenso +wie die anderen Gelegenheit haben sollte, einen Tempel zu besuchen. + +Ein Kosak zeigt übrigens nicht, was er empfindet oder denkt, er +antwortet nur: „Wie der Herr befehlen!“; der Wille des Vorgesetzten ist +für ihn Gesetz. Doch ich wußte nur zu gut, daß diese Wendung der Dinge +den guten Tscherdon sehr betrübte. + +Für uns drei Pilger wurde die Sachlage dadurch ebenfalls anders -- +unsere Truppe verkleinerte sich um ein Viertel. Das Unternehmen war +jedoch in jedem Falle so gewagt, daß es keine Rolle spielte, ob wir +drei waren oder vier. + +Viele Fragen stürmten auf mich ein, als wir am 24. Juli aufbrachen. War +es das letztemal, daß ich in Gesellschaft meiner Karawane marschierte? +Würde ich sie wiedersehen und würde dann im Lager alles ruhig sein? + +Es wurde ein kurzer Marsch, kaum drei Kilometer; das Tal fällt ziemlich +rasch ab, und der Fluß bildet schäumende Stromschnellen. Er wird +unaufhörlich überschritten. Auf den Uferhügeln wird die Weide immer +besser, sie ist jedoch nicht gleichmäßig verteilt, sondern bildet +besonders da, wo die Abhänge der Südsonne ausgesetzt und vor den kalten +Nordwinden geschützt liegen, kleine Rasenflecke von üppigem, saftigem +Grase. + +Auf dem flachen Gipfel eines Hügels am linken Ufer des Flusses wurde +der wichtige Lagerplatz in 5127 Meter Höhe ausgewählt, wo wir uns +unter so eigentümlichen Verhältnissen trennen sollten. Die Weide war +hier gut genug, aber vom strategischen Gesichtspunkte aus war die +Lage unvorteilhaft. Die Aussicht wurde auf allen Seiten von Hügeln +versperrt, die den Lagerplatz beherrschten, und wenn irgendein +räuberischer Tangutenstamm auf den Gedanken verfiele, feindselig +vorzugehen, würde sich hier ein Überfall mit größter Leichtigkeit +ausführen lassen. + +Während der beiden Tage, die ich noch im Lager Nr. 44 weilte, wurden +die letzten Vorbereitungen zur Abreise getroffen. Die Tiere, die uns +begleiten sollten, fünf Maulesel und vier Pferde, wurden mit besonderer +Sorgfalt gepflegt und durften die letzten Reste des noch vorhandenen +Maises verzehren. Ihre Hufe wurden neu beschlagen, ihre Sättel und +Decken ausgebessert. + +Alles Gepäck, das wir mitnehmen wollten, wurde in zwei mongolischen +Kisten untergebracht. Von den Instrumenten waren es nur 3 Kompasse, +2 Uhren, 1 Aneroid, 2 Thermometer, 3 Paar Schneebrillen und die +Veraskopkamera mit 8 Dutzend Platten. Ferner folgende absolut +notwendige Dinge: das Blatt Lhasa der asiatischen Karte des russischen +Generalstabs, Notiz- und Marschroutenbücher in Miniaturausgaben, +sowie Tinte, Papier und Federn, Zirkel, Rasiermesser und Seife, denn +jetzt galt es, daß der ganze Kopf stets frisch rasiert blieb; andere +Waschutensilien waren nicht nötig, im Gegenteil war es wünschenswert, +möglichst schmutzig zu werden, um dadurch eine echtere mongolische +Farbe zu erhalten. Eine Schere, eine Laterne, ein Beil, ein Dutzend +Stearinlichter und einige Schachteln Zündhölzer, einige Medikamente, +10 Jamben in Silber, Pfeifen und Tabak gehörten zum Unentbehrlichen. +Der Proviant bestand aus Mehl, Reis, Talkan und Fleisch. Zehn +Konservendosen wurden für die ersten Reisetage mitgenommen; jede +geleerte Dose sollte in Seen oder Flüssen versenkt werden, um, falls +man uns beobachtete, nicht Verdacht zu erregen. Die Bewaffnung +bildete ein russisches Magazingewehr, ein Berdangewehr und ein +schwedischer Offiziersrevolver nebst 50 Patronen für jede Waffe. Einige +Kleinigkeiten, welche die Mongolen ständig bei sich tragen, fehlten uns +auch nicht. Auch ich trug einen Rosenkranz, ein Gavo (Amulettfutteral) +mit Götzenbild um den Hals, ein am Gürtel hängendes Messer in Scheide, +chinesische Elfenbeinstäbchen zum Essen, einen ledernen Tabakbeutel, +ein Feuerzeug mit Stein und Zunder und die lange Pfeife (Abb. 244). +An Kleidern, Stiefeln und Mützen hatte jeder von uns eine doppelte +Ausrüstung, denn wir hatten alle Aussicht, bald durchnäßt zu werden. +Alles, was Gefäß hieß, wie Kochtöpfe, Kannen, Tassen, war echt +mongolisch. Das kleinste und leichteste Zelt wurde unsere Wohnung. Für +die Nachtwache nähte der Lama einen prächtigen Mantel aus dickem weißem +Filz, der sich später als sehr praktisch erwies. + +Alle diejenigen Sachen, die bei den Tibetern sofort Verdacht erregt +hätten, wurden in der einen Kiste unter dem Proviant verborgen. Vieles +davon konnte ohne Bedauern ins Wasser geworfen werden, falls unsere +Lage kritisch wurde. Dagegen müßte es uns schon sehr schlecht gehen, +ehe ich mich von den Instrumenten und den gemachten Aufzeichnungen +trennen würde. Für Uhr, Aneroid, Kompaß und Thermometer hatte ich +besondere Taschen im Futter, die so gut versteckt waren, daß nur ein +sehr dreister Untersucher imstande sein würde, sie zu entdecken. + +Als alles bereit und die astronomische Beobachtung ausgeführt war, +wurde die Abreise auf den 27. Juli festgesetzt. + +Am letzten Abend verschloß ich meine kostbaren Kisten, außer +derjenigen, in der die Chronometer in ihren Futteralen in Watte +eingebettet lagen. Sirkin hatte lernen müssen, sie mit größter Vorsicht +aufzuziehen, um sie bis zu meiner Rückkehr in Gang zu halten. Ja, +vorsichtig war er, ganz übertrieben vorsichtig! Schon am ersten Abend +nach unserer Abreise blieb der eine Chronometer stehen, weil Sirkin +nicht gewagt hatte, ihn ganz aufzuziehen, aus Furcht, die Feder +könnte springen. Dasselbe passierte am Tage darauf mit dem zweiten +Chronometer. Es schadete jedoch nicht viel, denn durch Wiederholung der +Beobachtungen im Lager Nr. 44 erhielt ich die Zeit später wieder. + +Wie gewöhnlich, sollte das meteorologische Observatorium die ganze +Zeit über von Sirkin besorgt werden, der zu diesem Zweck einen +eingefriedigten Schuppen baute, in dem die Instrumente geschützt +standen. + +In Gegenwart aller wurde Sirkin feierlich zum Führer und Chef des +Hauptquartiers ernannt; seinen Befehlen sollte geradeso gehorcht +werden, als ob ich sie selbst erteilt hätte. Doch stand Turdu Bai als +Sachverständigem das Recht zu, Vorschläge zum Aufbruche nach einem +Punkte in der Nachbarschaft zu machen, sobald das Land um das Lager +herum nahezu abgeweidet war. Er hielt es für angemessen, den ersten +kurzen Umzug nach etwa zehn Tagen vorzunehmen; sie hatten überreichlich +Zeit, sich die allerbesten Weideplätze in der Gegend auszusuchen. +Infolgedessen würde das Lager Nr. 44 keine bleibende Statt haben. Damit +wir Pilger bei unserer Rückkehr die Unserigen wiederfinden könnten, +sollte auf dem ursprünglichen Lagerplatze ein Dokument mit Auskunft +über das neue Lager, seine Richtung und seine Entfernung von ersterem, +niedergelegt werden. Zogen sie wieder um, so sollte ein neues Dokument +deponiert werden. + +Ich redete mit jedem der Männer besonders und ermahnte sie, ihre +Pflicht zu tun. Li Loje hatte jedoch seine eigenen Pläne. Nachdem +er gebeten hatte, mich nach Lhasa begleiten zu dürfen, und dies ihm +bestimmt abgeschlagen worden war, bat er, auf demselben Wege, den wir +gekommen, über das Gebirge nach Tscharchlik zurückkehren zu dürfen, +-- 950 Kilometer! Mollah Schah und Hamra Kul wollten ihn begleiten. +Da die Sache ein Stück aus dem Narrenhause war, erklärte ich ruhig, +es stehe ihnen frei zu gehen, doch könnten wir unter den jetzigen +Verhältnissen keine Pferde entbehren; nur Li Loje, der sein eigenes +Pferd mitgebracht, könne also reiten. Proviant wolle ich ihnen geben, +und Li Loje habe ja auch seine eigene Flinte. + +Ich holte die von mir nach und nach zusammengestellte Übersichtskarte +herbei und rief ihnen jeden Lagerplatz, auf dem wir seit Tscharchlik +gerastet, ins Gedächtnis. Dann prophezeite ich ihnen, wie ihre +verrückte Wanderung ablaufen würde. Zuerst würde Mollah Schah, der ein +alter Mann sei, zusammenbrechen und zurückgelassen werden, denn er +werde doch wohl nicht glauben, daß die beiden anderen einen Kranken +auf dem Pferde mitschleppen würden. Dann werde die Reihe an Li Loje +kommen, der nicht übertrieben kräftig sei. Hamra Kul würde freilich, +sagte ich, da es das Leben gelte und er ein starker, kräftiger Mann +sei, Tscharchlik erreichen können. Erreichen aber werde er es nie, denn +er werde vorher im Arka-tag von Wölfen überfallen und zerrissen werden. +Ich wünschte ihnen jedoch eine glückliche Reise und sagte, ich wollte +hoffen, daß Allah seine schützende Hand über ihnen halte. + +Sei es, daß diese Schilderung tiefen Eindruck auf sie machte oder daß +sie von selbst wieder zur Vernunft kamen, genug, abends erschienen sie +als Büßer in meinem Zelte, fielen vor mir auf die Knie und flehten +mich an, sie um Gotteswillen hierzubehalten, was ihnen auch in Gnade +bewilligt wurde. Ich bin mir nie darüber klar geworden, was für ein +böser Geist eigentlich in sie gefahren war, und ich war zu sehr mit +meinem eigenen gewagten Plane beschäftigt, um zu versuchen, den +Grund zu erforschen. Sie selbst versicherten, die Veranlassung sei +nur Heimweh und nicht Furcht vor den Tibetern gewesen, aber Sirkin +hatte am selben Tage in einem hinter dem Lager befindlichen Tale +die frischen Spuren eines Mannes gesehen, der teils gegangen, teils +geritten war, und die Hunde hatten die letzten Nächte wütend gebellt. +Es wurde schon im Lager geflüstert, daß wir von Tibetern beobachtet +und bewacht würden. Ich glaubte indessen nicht daran, denn Kulane +zeigten sich oft bald auf dem einen, bald auf dem anderen Hügel, und +die beobachteten Spuren konnten recht gut von ihnen herrühren. Etwa +zwanzig Raben kreisten wie schwarze Furien über dem Lager. Unter den +ernsten Verhältnissen, in denen wir jetzt lebten, erschienen sie uns +abscheulicher als sonst. + +[Illustration: 234. Berg beim Lager Nr. 16. (S. 126.)] + +[Illustration: 235. Das Steinmal auf dem Knotenpunkte bei Lager Nr. 24. +(S. 137.)] + +[Illustration: 236. Weidende Kamele. (S. 141.)] + +[Illustration: 237. Sirkin mit meinem alten Reisekameraden von 1896. +(S. 144.)] + +[Illustration: 238. Endlich in einer Gegend mit gutem Wasser. (S. 150.)] + +Schließlich sprach ich mit Sirkin allein und erklärte ihm die ganze +Tragweite des Wagnisses, in das wir uns stürzten. Er hörte schweigend +zu, schüttelte aber langsam den Kopf. + +„Wenn wir in dritthalb Monaten nicht wieder hier sind“, sagte ich, „so +müßt ihr aufbrechen und nordwärts nach Tscharchlik ziehen, von dort +aber nach Kaschgar zurückkehren.“ + +Ich glaubte allerdings nicht, daß man uns totschlagen würde, aber +jedenfalls mußte ich mich auf alle Möglichkeiten vorbereiten und solche +Anstalten treffen, daß meine Karten und Aufzeichnungen um jeden Preis +gerettet würden. Sirkin erhielt den Schlüssel zur Silberkiste, damit +er in Tscharchlik eine neue Karawane ausrüsten konnte. Er bekam die +Übersichtskarte über den von uns zurückgelegten Weg, und im übrigen +würde ihr Ortssinn die Leute nicht im Stiche lassen; sie würden sich +ohne Schwierigkeit zurückfinden. Es war freilich wenig wahrscheinlich, +daß ein einziges Kamel noch eine solche Reise überleben würde, aber +einige der Pferde sollten sie doch wohl aushalten können, und Sirkin +wußte, welche Kisten um jeden Preis gerettet werden mußten. Wie lange +sie auch im Lager Nr. 44 bleiben würden, stets sollte Tag und Nacht +strenge Wache gehalten werden. Besonders da, wo die Tiere weideten, +sollten sich stets einige bewaffnete Leute mit ein paar Hunden befinden. + +Dann ging ich zum letztenmal unter „zivilisierten“ Verhältnissen zu +Bett, schlief sofort ein und erwachte nicht eher, als bis Schagdur kam, +um mich zu dem verhängnisvollen Aufbruch zu wecken. + + + + +Vierzehntes Kapitel. + +Aufbruch nach Lhasa. + + +Eiligst kleidete ich mich in den mongolischen Anzug und wurde vom +Scheitel bis zur Sohle ein Mongole (Abb. 245). Die während des +Rittes zu gebrauchenden Instrumente, sowie Tabak und Fernglas wurden +in ihren Verstecken untergebracht. Schon vom ersten Augenblick an +fühlte ich mich in meinem mongolischen Rocke sehr gemütlich; er +saß weich und gut, und das einzige, was ich entbehrte, waren die +vielen Taschen, die ich in meinem Ulster hatte. Der Kompaß und das +Marschroutenbuch wurden einfach vorn in den Rock gesteckt und von der +gelben Leibbinde festgehalten. Auf dem Kopfe trug ich eine gelbe Mütze +mit aufgekrempeltem Vorderrand. Die dicken, plumpen Mongolenstiefeln, +mit denen ich schon lange gegangen war, damit sie genügend getragen +und abgenutzt aussähen, paßten mir vortrefflich und waren infolge +ihrer dicken Sohlen und aufwärtsgekehrten Spitzen auf feuchtem Terrain +außerordentlich praktisch. Der Rock selbst hatte eine tiefdunkelrote +Farbe. Der gelbe Pelz war heute morgen nicht nötig, da die Sonne sehr +freundlich schien und Fliegen und Schmetterlinge die Luft erfüllten. + +Ich sollte meinen Schimmel reiten, der jetzt schon lange +wiederhergestellt war, und war gerade dabei, meinen weichen, bequemen +Mongolensattel zurechtzurücken, als Sirkin von hinten kam und mich +auf Mongolisch anredete. Er stockte jedoch sofort in seiner Rede und +war ganz verdutzt, als er sah, daß ich es war; er hatte geglaubt, es +sei der Lama. Ich fühlte mich durch diesen Irrtum außerordentlich +geschmeichelt; meine Verkleidung konnte also entschieden für genügend +gelten. + +Jetzt wurden alle Hunde angebunden, außer Malenki und Jollbars, die uns +freiwillig folgten. Unsere kleine Karawane wurde beladen, wir stiegen +zu Pferd und ritten ab. Der Abschied rief viele Tränen hervor; Sirkin +wandte sich ab, um seine Rührung zu verbergen, Hamra Kul aber weinte +laut wie ein Kind und begleitete uns noch etwas zu Fuß, mit seinen +großen Stiefeln ganz unbekümmert durch den Fluß watend. + +Das Lager Nr. 44 verschwand hinter den Hügeln, und wir trabten schnell +talabwärts. Würden wir diesen friedlichen Ort je wiedersehen? Ich +zweifelte nicht an der mächtigen Hand, die bisher stets meine Schritte, +durch Wüsten und über Berge, gelenkt hatte. Schagdur schwelgte förmlich +in dem Gedanken an das beginnende Abenteuer. Der Lama war ruhig wie +ein Stoiker, und als ich ihn der am Kum-köll getroffenen Verabredung +gemäß fragte, ob er im Lager zu bleiben wünsche, wollte er nichts davon +hören; jetzt wolle er mich nicht verlassen, sondern mit mir ziehen, +wenn es ihm auch das Leben kosten sollte. + +Schagdur ritt einen Falben, der Lama den kleinen, dreisten Maulesel, +der im vorigen Jahr, bei dem See, wo die Leute die beiden Denkmale +errichteten, beinahe verlorengegangen wäre. Meine beiden Reisegefährten +führten die Lasttiere, und Ordek, der eines der Pferde ritt, hatte +ein Auge auf die Lasten. Er sollte uns die beiden ersten Tagereisen +begleiten, um nachts die Tiere zu bewachen. Noch drei Nächte würden wir +drei Pilger also ordentlich ausschlafen können, ehe die Aufgabe, unsere +Tragtiere zu bewachen, uns selbst zufiel. + +Ein paar Stunden weit begleiteten uns Turdu Bai und Tscherdon. Dann +kehrten auch sie nach einem letzten Lebewohl um. -- + +Das Flußtal ist eng und zwischen steilen Hügeln eingeschlossen. Den +Fluß überschritten wir schon zu Anfang neunmal. Die ganze Landschaft +leuchtet rot, denn hier haben wir roten Sandstein, der derartig +verwittert ist, daß man ihn selten als anstehendes Gestein antrifft. +Grus und Blöcke sind dafür um so häufiger. + +Am rechten Ufer, wo eine gute Furt durch zwei kleine Steinmale +bezeichnet war, sah man Spuren eines Jägerlagers. Drei rußige Steine +bildeten eine Unterlage für einen Kochtopf. Auch ein noch nicht +lange erlegter, aber jetzt ganz zusammengetrockneter Yak legte von +menschlichen Besuchen Zeugnis ab. Ein Bär war gestern oder heute hier +gewesen und hatte den Kadaver umgedreht. + +Nachdem wir den Fluß noch ein paarmal gekreuzt haben, mündet unser Tal +in weites, offenes, nur in der Ferne von Bergen begrenztes Terrain +aus. Der Fluß durchzieht diese Ebene nach Nordosten, während wir +den Weg nach Südosten einschlagen. Im Norden steht die vor kurzem +überschrittene, so schwer zugängliche Bergkette mit zwei Pässen. + +An Wild sahen wir zahlreiche Kulane, Hasen und Murmeltiere, sowie einen +Wolf; später machten die Hunde noch einen Rundtanz mit einem alten +Yak, den sie aufgespürt hatten. An einem offenen Quellbecken (Namaga), +wo das Gras üppig stand, schlugen wir Lager, denn einer der Maulesel +begann bedenklich zu hinken. Ich zündete Feuer an, indes die Männer +die gröberen Arbeiten besorgten; Pferde und Maulesel wurden mit einem +Stricke zwischen Vorder- und Hinterbein geknebelt, was sie verhindern +sollte, sich allzuweit zu entfernen. + +Darauf wurde das einfache Mahl von gebratenem Fleisch, Reis, Brot +und Tee zubereitet; beim Essen bedienten wir uns der Hände, der +chinesischen Stäbchen und einer kleinen mongolischen Holztasse -- +Luxusartikel, wie Gabeln und Löffel, enthielten unsere Kisten nicht. +Nur der Lama hatte keinen Appetit; er litt an heftigen Kopfschmerzen +und befand sich wirklich schlecht. Es wäre doch hart, wenn er jetzt, +da wir ihn so weit gebracht hatten, nicht imstande sein würde, die +Reise mitzumachen; es stand aber zu befürchten, daß er mit Ördek würde +umkehren müssen. + +Ich lag noch eine Weile auf der Erde und ließ mich von der Abendsonne +bescheinen, doch um 8 Uhr gingen wir zur Ruhe, weil wir nichts weiter +zu tun hatten. Ördek hütete die Tiere, aber die drei Pilger schliefen +zum ersten Male brüderlich zusammen in ihrem Wallfahrtszelte. Der Mond +schien über der stillen Gegend; es war ein Segen, daß wir während +dieser Nächte sein Licht hatten. + +In diesem Lager wurde beschlossen, daß Ördek uns noch einen Tag +begleiten sollte, denn dem Lama ging es sehr schlecht; er schwankte im +Sattel und mußte oft absteigen, um eine Weile auf der Erde zu liegen. + +Das Terrain ist in dieser Gegend vorzüglich, und wir legten auf dem +festen Boden mit größter Leichtigkeit beinahe 40 Kilometer zurück. Die +Hügel und Täler, die wir hierbei passieren, sind arm an Gras, aber +desto reicher an Kulanen und Yaken, die bei verschiedenen Gelegenheiten +zu Hunderten auftraten. Sie nehmen aber auch mit Moosen und Kräutern +vorlieb, die unsere zahmen Tiere nicht fressen würden. Spuren von +Menschen fehlen noch. Von Zeit zu Zeit reitet einer von uns auf den +nächsten beherrschenden Hügel hinauf, um Umschau zu halten. Jetzt +würden wir freilich, wenn wir Reiter oder ein Nomadenlager sähen, als +ehrliche Pilger direkt dorthin reiten, aber wir mußten doch Ördek +Gelegenheit geben, vorher unbemerkt zu verschwinden und nach dem Lager +Nr. 44 zurückzureiten. + +Die Richtung ist Ostsüdost. Im Osten erhebt sich ein gewaltiges +Schneemassiv, und diesseits desselben liegt ein See von reinblauer +Farbe. Am Seeufer, längs dessen wir nach Südosten hatten ziehen +wollen, stiegen senkrechte, wie immer ziegelrote Sandsteinfelsen, das +gewöhnliche Kennzeichen der tibetischen Landschaft, unmittelbar aus +dem Wasser empor. Sie zwangen uns zu einem verdrießlichen Umwege nach +Südwesten über beschwerliche Hügel, hinter denen wir wieder ans Ufer +gelangen und an ihm auf viel bequemerem Terrain weiterziehen konnten. +Konzentrisch längs des Ufers geordnete Absätze und Wälle lassen auf +den ersten Blick erkennen, daß dieser Salzsee im Austrocknen begriffen +ist. + +Allzuweit konnten wir nicht reiten, um unsere schon angegriffenen Tiere +nicht zu ermüden, und es wurde Zeit, ans Lagerschlagen zu denken. +Trinkwasser schien es in der Nähe dieses Salzsees nicht zu geben. Wir +folgten einem Kulanpfade zwischen zwei Uferwällen in der Hoffnung, daß +er uns zu einer Quelle führen würde. + +Im Süden des größeren Sees schimmerte jetzt der Spiegel eines kleineren +Gewässers, das merkwürdigerweise süß war, obgleich seine Ufer ebenso +flach und kahl aussahen. Obschon es hier sowohl mit der Weide wie mit +der Feuerung schlecht bestellt war, wählten wir hier doch einen Platz +für das zweite Nachtlager aus. + +Der Lama fühlte sich besser, und die Stimmung war sehr gut. Wir saßen +plaudernd um das Feuer und entwarfen unsere Pläne für die Weiterreise +nach der heiligen Stadt. Ich berechnete die Marschroute des Tages und +teilte den anderen mit, wie lang unser Weg noch sei. Der Lama erzählte +von der Strenge, mit der die Tibeter in Nakktschu alle Pilger, die aus +der Mongolei kommen, untersuchen. Wir hielten es daher für das Klügste, +diesen Ort zu vermeiden und uns auf gebahnten oder ungebahnten Wegen +nach dem Ostende des Tengri-nor zu begeben, um von dort nach dem Passe +Lani-la zu gehen. Wir würden auf diese Weise die großen Pilgerstraßen +zwischen Nakktschu und Lhasa erreichen und unter den übrigen Pilgern +verschwinden. + +Darauf folgte eine komische Szene. Mein Kopf sollte rasiert werden. +Ich setzte mich neben dem Feuer auf die Erde, und Schagdur hauste +mit der Schere wie ein Vandale in meinen Haaren. Nachdem ich auf +diese Weise geschoren war, wurde mein Kopf eingeseift. Ördek kam +mit dem Rasiermesser, und nach einer Weile glänzte mein Schädel wie +eine Billardkugel. Schagdur und der Lama schauten zu und fanden +die Situation höchst interessant. Schließlich nahm ich selbst den +Schnurrbart vor, der ebenfalls ohne Erbarmen entfernt wurde, obgleich +ich es eigentlich für jammerschade hielt, mein sonst ganz vorteilhaftes +Aussehen auf solche Weise zu verschimpfieren. Ich tröstete mich damit, +daß ich die Brauen und Wimpern behalten durfte. + +Nachdem die Verwüstung so über mein Haupt hingegangen war, sah ich +gräßlich aus. Doch hier war ja niemand, mit dem ich zu kokettieren +brauchte, und es war schließlich einerlei, wie man in diesen ebenso +glattrasierten Gebirgsgegenden aussah. + +Meine Behandlung war jedoch noch nicht fertig. Wie ein alter, geübter +Quacksalber begann der Lama mit sachverständiger Miene unter seinen +Papieren, Beuteln und Medikamenten umherzusuchen und schmierte mir +dann das Gesicht mit Fett, Ruß und brauner Farbe ein. Bald war das +Werk getan, und nun glänzte ich wie eine Kanonenkugel in der Sonne. +Ein kleiner Handspiegel überzeugte mich, daß ich wirklich schön echt +aussah. Mir konnte vor mir selbst Angst werden, und ich mußte eine +gute Weile in das Glas starren, ehe ich völlig davon überzeugt war, +daß dieser mongolische Pavian wirklich mit meiner eigenen Person +identisch war. Als die Salbe trocken war, nahm meine Haut eine mehr +grauschmutzige Schattierung an. + +Unser Lagerplatz lag offen auf der schmalen Landenge zwischen den +beiden Seen; nur im Südwesten erhoben sich einige niedrige Hügel. +Die Gegend konnte für vollkommen sicher gelten, denn weder alte +noch frische Menschenspuren waren irgendwo zu sehen, und die Hunde +verhielten sich ruhig. Gegen 5 Uhr erhob sich ein Nordsturm, der +Wolken von Sand und Staub über den Salzsee und unser Lager jagte. Wir +nahmen unsere Zuflucht zu der Jurte, und bereits um 8 Uhr fanden wir, +daß es Schlafenszeit sei, und krochen auf dem Filzteppiche des Zeltes +in unsere Pelze. Ördek bewachte die Pferde und Maulesel ungefähr 200 +Schritte vom Lager entfernt. Er sollte die ganze Nacht wachbleiben, +damit wir noch einmal gründlich ausschlafen könnten; am Morgen sollte +er dann auf einem der vier Pferde nach dem Lager Nr. 44 zurückreiten. + +Um Mitternacht wurde das Zelttuch auseinandergeschlagen. Ördek +steckte den Kopf herein und flüsterte mit angsterfüllter Stimme: „Bir +adam kelldi“ -- ein Mann ist gekommen! Seine Worte wirkten wie ein +Donnerschlag. Alle drei stürmten wir mit den Flinten und dem Revolver +in die Nacht hinaus (Abb. 246). Der Sturm tobte noch immer, und der +Mond schien bleich durch zerrissene, schnell hinjagende Wolken. Ördek +zeigte uns den Weg und berichtete, daß er zwischen den am entferntesten +weidenden Pferden eine dunkle Gestalt habe umherhuschen sehen. Dies +hatte ihn so erschreckt, daß er nach dem Zelte gelaufen war, anstatt +Alarm zu schlagen. + +Die Folge davon war natürlich, daß wir zu spät kamen. In dem matten +Lichte des verschleierten Mondes sahen wir gerade noch, wie einige +dunkle berittene Gestalten davonsprengten und zwei Pferde vor sich +herjagten. Einen Augenblick darauf verschwanden sie hinter den Hügeln. +Eine ihnen von Schagdur nachgeschickte Kugel richtete keinen Schaden +an. Er, der Lama und Ördek verfolgten die Spur, während ich im Lager +blieb, das vielleicht von einer ganzen Bande umringt war. Nach einer +Stunde kehrten sie zurück, ohne etwas Weiteres gehört oder gesehen zu +haben. + +Jetzt berieten wir uns sofort über die Sachlage. Zunächst zählten wir +unsere Tiere; alle Maulesel und die beiden schlechtesten Pferde waren +noch da und weideten in größter Ruhe. Aber die beiden besten Pferde, +mein lieber Schimmel und Schagdurs Falbe, waren fort. Aus den Spuren +ergab sich, daß die Räuber drei berittene Männer gewesen waren, die +sich, direkt gegen den Wind, an das Lager herangeschlichen hatten. Sie +waren zu Fuß gegangen und hatten ihre Pferde in einer gut versteckten +Bodensenkung geführt, in der zuzeiten Wasser nach dem großen See +strömt. Von dort war einer der Männer allein auf allen vieren weiter +gekrochen, bis er sich ganz in der Nähe der hintersten Pferde befand. +Er hatte sie durch sein Aufspringen scheu gemacht und nach dem Ufer +hinabgejagt, wo ihm die beiden anderen Männer mit den tibetischen +Pferden entgegengekommen waren. Alle waren im Handumdrehen aufgesessen +und dann über die Hügel gejagt, bei denen sie schon angekommen waren, +als wir, noch ganz schlaftrunken, aus dem Zelte stürzten. + +Ich glaube nicht, daß ich mich in meinem ganzen Leben je so geärgert +habe wie diesmal. Sich seine Pferde vor der Nase der Nachtwache +fortstehlen zu lassen, wenn man obendrein noch zwei große, bissige +Hunde hat! In der ersten Wut wollte ich die ganze Reise nach Lhasa bis +auf weiteres aufschieben und die Diebe ihren Streich teuer bezahlen +lassen. Ich wollte sie wochenlang verfolgen, bis wir sie in Sicht +hätten, und sie dann ebenso überfallen. Den einfältigen Ördek, der +früher stets so tüchtig gewesen war, auszuzanken, vergaß ich dabei +vollständig. Aber sein Mut beschränkte sich auf die Wüsten und andere +unbewohnte Gegenden, und er mochte gewissermaßen recht darin haben, daß ++Menschen+ von allem, womit man zu tun haben kann, das Schlimmste sind, +viel schlimmer als Tiger und Sandstürme. + +Nach und nach bekämpfte ich meinen Verdruß und erwog mit +wiedergewonnener Ruhe unsere Lage. Wir folgten der Spur noch einmal bis +auf die Höhen der Hügel, wo sie im harten Gruse verschwand. Schagdur +wollte sich durchaus auf die Verfolgung machen, das Magazingewehr +brannte ihm in den Händen. Er wollte sein Pferd, das er die ganze +Zeit wie sein Kind gepflegt hatte, unter keiner Bedingung einbüßen. +Doch auch er beruhigte sich, als ich ihn daran erinnerte, daß diese +Männer, waren sie nun gewerbsmäßige Räuber oder nur Yakjäger, die sich +die Gelegenheit nicht hätten entschlüpfen lassen wollen, ganz gewiß +nicht vor dem nächsten Abend Halt machen würden. Wir hatten gar keine +Aussicht, sie mit unseren müden Tieren einzuholen; sie hatten unsere +besten Pferde, die ledig liefen, genommen, und ihre eigenen waren ganz +gewiß kräftig und an die Bergluft gewöhnt. + +Ferner kannten sie das Terrain, wir aber nicht. Sie konnten den +Flußlauf und Schuttbetten, wo sich keine Spur verfolgen ließ, benutzen +und uns auf diese Weise leicht irreführen. + +Und schließlich, wenn zwei von uns die Verfolgung aufnahmen und zwei +zurückblieben, so zersplitterte sich unsere kleine, an und für sich +zu schwache Truppe, und die Klugheit verbot uns entschieden, einen so +abenteuerlichen Plan auszuführen. Wir mußten froh sein, daß die Diebe +sich mit zwei von unseren Tieren begnügt hatten, und ich tröstete +Schagdur mit der Bemerkung, daß ich, wenn ich einer der Tibeter gewesen +wäre, +alle+ unsere Tiere gestohlen hätte, um uns jegliche Verfolgung +ganz unmöglich zu machen. + +Wir hatten eine nützliche Lehre und eine Warnung bekommen! Aus dem +Scherz war auf einmal Ernst geworden; hier galt es mehr als je die +Augen offenzuhalten! Mitten zwischen diesen öden, stillen Bergen war +eine Räuberbande, wie Gespenster in der Nacht, aus dem Schutze der +Erde aufgetaucht; nicht einmal die Hunde hatten etwas gemerkt. Mit den +Yakjägern vom Lager Nr. 38 hatten die Diebe vermutlich nichts gemein, +dagegen ist es wahrscheinlich, daß die von Sirkin in unserem Tale +gesehene Spur und der von den Muselmännern gehörte Schuß auf irgendeine +Weise mit unseren nächtlichen Gästen in Zusammenhang standen. Sie +hatten uns gewiß keinen Augenblick aus den Augen verloren, sie hatten +sich vor der großen Karawane nicht sehen lassen wollen und hatten in +irgendeinem versteckten Tale gelagert, aber stets auf eine Gelegenheit +zum Überfall gelauert, die sich ihnen früher oder später darbieten +mußte. Sodann hatten sie unsere kleine Pilgerschar beobachtet, waren +uns von fern, durch Hügel verdeckt, gefolgt, hatten uns wie Wölfe +umlauert und waren jetzt vom Sturm unterstützt worden. + +Sicher war diese Erfahrung für uns nützlich. Mit einem Schlag waren +wir uns über unsere Lage klar und erkannten, daß wir künftig auf dem +Kriegsfuß leben und jeden Augenblick auf einen Überfall gefaßt sein +mußten. + +Ein kleines Feuer wurde vor dem Zelte angezündet; dort ließen wir uns +nieder. An Schlaf war diese Nacht nicht mehr zu denken. Die Pfeifen +wurden hervorgeholt, wir hüllten uns in unsere Pelze und plauderten, +während der Mond von Zeit zu Zeit zwischen unheildrohenden Wolken +hervorguckte. Dann wurde Tee gekocht, der nebst Reis und Brot unser +Frühstück bildete. Beim ersten Tagesgrauen erhoben wir uns und rüsteten +uns zum Aufbruch. Ich nahm den zweiten großen Schimmel, Schagdur Ördeks +Pferd; der Lama hatte seinen Maulesel behalten. + +Als die Sonne aufging, saß der arme Ördek weinend am Feuer. Er war ganz +außer sich vor Angst, jetzt allein und unbewaffnet die 70 Kilometer +nach dem Lager Nr. 44 zu Fuß zurücklegen zu müssen. Er bat und +flehte, uns begleiten zu dürfen, und versprach, ein andermal besser +aufzupassen; als ich aber unbeweglich blieb, bat er um den Revolver. +Doch das nächtliche Abenteuer hatte uns gelehrt, daß es nicht ratsam +war, in diesem Land ohne Waffen zu reisen. + +[Illustration: 239. Eine magere Weide in dem großen Längentale. (S. +151)] + +[Illustration: 240. Die Kamele waten durch den Fluß. (S. 152.)] + +[Illustration: 241. Flußübergang. (S. 152.)] + +[Illustration: 242. Die beiden Eisbänder im Tal. (S. 160.)] + +[Illustration: 243. Bahnen eines Wegs von der Eisscholle hinunter. (S. +161.)] + +In aller Eile schrieb ich auf ein ausgerissenes Tagebuchblatt einen +Brief an Sirkin. Ich beschrieb kurz, was geschehen war, und ermahnte +ihn, auf seiner Hut zu sein. Räuber streiften in der Gegend umher, und +da sie offenbar mit unseren Verhältnissen völlig vertraut seien, müsse +Tag und Nacht die strengste Wachsamkeit beobachtet werden. Vor allem +hätten die im Lager Zurückgebliebenen darauf zu achten, daß nicht noch +mehr Karawanentiere gestohlen würden. Ferner befahl ich ihm, die Diebe +durch Tscherdon, Li Loje und noch einen Mann verfolgen zu lassen; mehr +als eine Woche dürfe aber diesem Versuche nicht geopfert werden. Alle +weitere Auskunft werde Ördek erteilen, der auch die Stelle kenne, von +welcher die Spur ausgehe. + +Von der durchwachten Nacht schmerzten mir die Augen, als die Sonne +aufging. Ördek steckte den Brief in den Gürtel und erhielt noch eine +Schachtel Zündhölzer, damit er sich bei seinem Nachtlager Feuer +anzünden konnte. Als wir uns trennten, sah er aus wie ein zum Tode +Verurteilter, der zum Richtplatze geht. Kaum aber waren wir zu Pferd +gestiegen, so sahen wir ihn halb laufend längs des Ufers verschwinden. +Er glaubte natürlich, es werde den ganzen Tag Räuber regnen und jeden +Augenblick könne eine Flintenkugel durch die Luft pfeifen. -- + +Später, als alle unsere Sorgen um Lhasa glücklich überstanden waren, +erzählte er selbst, wie sein Rückzug abgelaufen war. Am 29. Juli +hatte er den ganzen Tag nicht eine Minute Halt gemacht. Er hatte es +nicht gewagt, auf freiem Felde unseren Spuren nachzugehen, sondern +sich wie eine wilde Katze in trockenen Bachbetten und Rinnen, sie +mochten gerade oder krumm sein, weitergeschlichen. Den ganzen Tag über +hatte er sich nach der Dämmerung und der Dunkelheit gesehnt. Doch als +diese eingetreten war und der Regen schnurgerade herniederströmte, +erschreckte ihn auch das nächtliche Dunkel, und er glaubte, überall +Räuber zu sehen. Ein paarmal hatten ihn friedliche Kulane beinahe +um den Verstand gebracht und ihn veranlaßt, sich wie ein Igel +zusammenzurollen. + +Endlich erreichte er in pechfinsterer Nacht den Eingang unseres Tales +und beschleunigte seine Schritte noch mehr. Der Fluß rauschte laut in +seinem Bette und übertönte jeden anderen Laut. Unaufhörlich glaubte +Ördek jemand hinter sich herschleichen zu hören. Jeder Stein war ein +lauernder Schurke, der nach seinem Herzen zielte. Wie er im Regen +und in der Dunkelheit über die steilen Hügel gekommen war, wußte er +selbst nicht; er war nur immer vorwärtsgeeilt, gestolpert, gefallen, +wiederaufgestanden und unzähligemal durch den Fluß, dessen Wasser ihm +bis zu den Hüften ging, gewatet. + +Als er schließlich das Lager erreichte, wäre er von der Wache, die +Lärm schlug, beinahe erschossen worden. Er hatte den Mann jedoch +noch rechtzeitig angerufen, wurde erkannt und von seinen erstaunten +Kameraden sogleich mit Fragen bestürmt. Eine gute Weile konnte er +nicht antworten. Vor Müdigkeit erschöpft, brach er nach Atem ringend +zusammen. Den Brotfladen, den er als Proviant mitbekommen, hatte er +nicht angerührt, und sein Appetit kam erst wieder, nachdem er den +ganzen nächsten Tag geschlafen hatte. + +Ördeks Bericht und mein Brief erschreckten natürlich die +Daheimgebliebenen, die das Schlimmste befürchteten, da es schon die +zweite Nacht war, daß unser Lager einem Attentate ausgesetzt gewesen +war. Indessen hatte die Nachricht das Gute, die Wachsamkeit aufs +äußerste zu schärfen, und hätten sich ungebetene Gäste dort in der Nähe +sehen lassen, so wären sie mit scharfen Patronen empfangen worden. + +Gleich am Morgen rüstete sich Tscherdon, um unsere Diebe zu verfolgen. +Er nahm Turdu Bai und Li Loje mit; Ördek konnte nicht mitgehen. Trotz +des Regens war unsere Spur auf dem ganzen Wege deutlich erkennbar +gewesen, und auch die Spur der Diebe wurde gefunden. Sie hatten am +Morgen in einer Entfernung von 30-40 Kilometer vom Salzsee gerastet +und waren dort von mehreren der Ihren mit 15 Yaken erwartet worden. +Dann hatten sie den Ritt eine so lange Strecke auf Grus und im Wasser +fortgesetzt, daß die Spur völlig verschwand und nicht wiederzufinden +war. -- + +Doch kehren wir zu unserer Pilgerfahrt zurück. Nachdem wir von Ördek +Abschied genommen hatten, zogen wir nach Südosten und Ostsüdosten und +legten auch an diesem Tage beinahe 40 Kilometer zurück (Abb. 247). Die +Maulesel hätten noch weitermarschieren können, aber wir mußten die +Pferde schonen. Zwischen dem Lagertümpel und einem anderen Gewässer, +an dessen Ufern wir ziemlich frische Spuren von Schafherden sahen, +zogen wir ein breites, grasreiches Tal hinauf. Rechts von unserem Wege +ließen wir eine kleine hügelige Paßschwelle liegen, deren Ecke von ein +paar Hundert Yaken rabenschwarz erschien. Wir musterten sie mit dem +Fernglase und erwarteten ihren Wächter zu sehen, denn die Tiere machten +keine Miene zu entfliehen. Vielleicht waren sie zahm. Doch als wir uns +der Herde näherten, ergriff sie die Flucht, und Menschen zeigten sich +nicht. Demnach konnten wir darauf rechnen, noch ein paar Tage lang +keine Nomaden zu treffen, denn die wilden Yake halten sich nicht in der +Nähe menschlicher Wohnungen auf. + +In offenem Terrain mit freier Aussicht nach allen Seiten schlugen wir +das Lager an einem kleinen Bache auf, an dem es gutes Gras und Yakdung +zum Feuern in Fülle gab. Jetzt waren wir nur noch drei, und ich mußte +beim Abladen, Zeltaufschlagen und allerlei gröberen Arbeiten helfen, +was ich sonst nie nötig gehabt hatte, außer im Jahre 1886, als ich +zweimal fast allein durch Persien gereist war. + +Während Schagdur und der Lama die Tiere besorgten und sie auf der +besten in der Gegend aufzufindenden Weide zur Hälfte, d. h. mit einem +Stricke zwischen dem rechten Vorder- und dem linken Hinterbeine, +fesselten, sammelte ich in meinem weiten Mantel trockenen Yakdung, +welche Beschäftigung mir höchst interessant erschien. Die beiden +anderen Pilger sprachen ihre Verwunderung darüber aus, daß es +mir gelungen war, in kurzer Zeit einen so ansehnlichen Haufen +zusammenzubringen. + +Jetzt hieß es nicht mehr „Eure Exzellenz“, denn ich hatte Schagdur und +dem Lama strengstens verboten, mir die geringste Spur von Ehrerbietung +zu erweisen. Sie sollten mich im Gegenteil wie einen Stallknecht +behandeln. Schagdur sollte als der Vornehmste von uns angesehen werden +und hatte auf den Lagerplätzen seine Befehle zu erteilen. Ebenso streng +war es verboten, russisch zu sprechen; von nun an durfte nur noch +Mongolisch über unsere Lippen kommen. Schagdur spielte seine Rolle +ausgezeichnet, und dasselbe dürfte ich auch von mir sagen können. +Anfangs wurde es meinem Kosaken schwer, mich zu kommandieren, nach ein +paar Tagen ging es aber ausgezeichnet! + +Der Lama brauchte nicht als Schauspieler aufzutreten; er war, der er +war, und so sollte es sein. Am schlimmsten war es für mich, der ich in +zwei Rollen zugleich auftreten mußte, als Mongole und als Handlanger. +Nachdem ich jedoch mit dem Dungsammeln zur Zufriedenheit meiner Herren +fertig geworden war, aß ich zu Mittag, trank Tee, rauchte eine Pfeife, +ging ins Zelt, legte mich nieder und schlief wie ein Stock bis 8 Uhr. +Ich war da allein, die anderen trieben die Tiere zur Nacht ein. Noch +eine Stunde durften diese in unserer unmittelbaren Nachbarschaft +grasen. Schagdur und der Lama waren an diesem Abend weniger heiter als +sonst. Sie hatten, während ich schlief, drei Tibeter zu Pferde gesehen, +die von einem Passe im Osten kamen und nach Nordwesten ritten, wobei +sie unserem Lager die Flanke zukehrten, so daß man nur ein paarmal +hatte sehen können, daß es ihrer drei waren. An einem Punkte hatten sie +gehalten, wie um sich zu beraten, worauf sie sich dem Lager genähert +hatten, dann aber waren sie hinter einem Hügel verschwunden, um sich +nicht wieder zu zeigen. Sie erwarteten wohl die Nacht, und ihr Benehmen +kam uns höchst verdächtig vor. Es war uns jetzt klar, daß wir von +Spionen und reitenden Späherpatrouillen umgeben waren; ob uns diese +Reiter aus eigenem Antrieb oder auf Befehl beobachteten, konnten wir +natürlich nicht wissen. + +Um 8½ Uhr wurden die Tiere an ein längs der Erde zwischen zwei +Pflöcken straffgespanntes Seil gebunden, und jetzt und in Zukunft +folgender Lagerplan beobachtet. Der eine Eingang des prismatischen +Zeltes war vom Winde abgekehrt und stand weit offen; unmittelbar +davor waren die Tiere angebunden. Nächtliche Besuche kommen, aller +Wahrscheinlichkeit nach gegen den Wind, besonders da, wo sie Hunde +vorfinden. + +Sobald es dunkelte, ließen wir das Feuer ausgehen und trugen die +draußen noch umherliegenden Sachen, wie Kisten, Küchengeräte und +Sättel, in das Zelt. Der große, schwarze Jollbars wurde vor den Pferden +und Mauleseln angebunden. Von ihm konnte man das erste Warnungssignal +erwarten. Malenki, ein bissiger, schwarz und weiß gefleckter +Karawanenhund, war auf der Windseite hinter dem geschlossenen schmalen +Ende des Zeltes angebunden. + +Die Nacht wurde in drei Wachen, 9-12, 12-3 und 3-6 Uhr geteilt; +gewöhnlich übernahm ich die erste, der Lama die letzte. + +Jetzt hatte ich meine erste Nachtwache. Es war keine Kunst wach +zu bleiben, denn teils hatte ich schon, während es noch hell war, +ausgeschlafen, teils konnte man sich jeden Augenblick auf einen +Überfall gefaßt machen. Schon vor 9 Uhr schliefen meine von den +Anstrengungen der vorigen Nacht ermüdeten Kameraden und schnarchten +laut. + +Ich begann meinen Wachdienst, bald dicht bei dem Zelte, bald weit +von ihm entfernt umherschlendernd. O diese finsteren Nächte, diese +endlosen Stunden! Nie werde ich meine müden Schritte zwischen Malenki +und Jollbars hin und zurück bis ins Unendliche vergessen! Die Minuten +vergingen so langsam! Ich zählte zehn, zwanzig solche Promenaden, aber +nur einige Minuten, höchstens eine Viertelstunde hatten sie in Anspruch +genommen. Ich spielte mit Jollbars, der vor Freude heulte, wenn ich +ihn besuchte, ich klopfte den Pferden und den Mauleseln den Rücken und +ging dann weiter, um Malenki, der ganz allein hinter dem Zelte lag, zu +streicheln. + +Der Morgen war warm gewesen, und von Zeit zu Zeit hatte es tüchtig +geregnet, der Abend aber war einigermaßen klar. Um 9½ Uhr brach ein +Höllenwetter los. Der Himmel überzog sich mit rabenschwarzen Wolken, +die von innen heraus durch zuckende Blitze erhellt wurden, und der +Donner rollte mit infernalischer Kraft ringsumher in den Bergen und +über unserem einsamen Lager. + +Das Allerschlimmste aber war der Regen, der die Erde peitschte und +wolkenbruchartig herniederströmte. Nie ist mir ein so entsetzlicher +Regen vorgekommen. Er schmetterte und prasselte auf das Zelt, das +einzufallen drohte und durch dessen Tuch ein feiner Staubregen in +das Innere sprühte und sich dabei verteilte wie die Dusche einer +Spritzflasche Eau de Cologne. Alles wurde durchnäßt, aber die +Schlafenden kümmerten sich nicht um den Regen, sondern krochen +nur tiefer unter ihre Pelze und fuhren fort Bretter zu sägen. Die +Regentropfen trommelten lustig auf die mongolische Kasserolle und +ihren Deckel, die wir beim Feuer hatten stehenlassen. Ich setze den +schlüpfrigen Spaziergang zwischen den Hunden noch eine Weile fort, +suche dann aber, naß wie eine ersäufte Katze, in der Zelttür Schutz. +Von dem Mondschein hatte ich keinen Nutzen, denn die Wolken waren +trostlos kompakt, und es sah aus, als wollte der Regen überhaupt nicht +aufhören. Ganz undurchdringlich bleibt jedoch das Dunkel nicht; der +Mond liefert wenigstens eine sehr schwache, diffuse Helle, in der sich +die Umrisse der Karawanentiere ein wenig schwärzer als die Nacht um sie +her abzeichnen, so daß ich von Zeit zu Zeit ihre Rücken zählen kann. + +Ich zünde eine Pfeife und einen Lichtstumpf an, den ich in eine kleine +Holzschachtel stelle; bei seinem Schein schreibe ich meine nächtlichen +Betrachtungen nieder. Immer nur einen Satz, dann wieder eine Runde +um das Lager. Es trieft mir von den Ärmeln, und die Mütze sitzt wie +festgekleistert auf meinem kahlen Schädel. Nach den Abspülungen +erinnerte mein geschminktes Antlitz sehr an das Fell eines Zebras. Die +Temperatur sank nicht unter +4°, und von Kälte war daher keine Rede. + +Der Regen strömt ohne Unterbrechung nieder, und sein eintöniges +Plätschern übertönt alle anderen Geräusche. Doch was war das? Ein +klagender Ton in der Ferne! Sollten die Tibeter gerade so ein +Hyänenkonzert anstimmen wie 1896 die Tanguten bei Karascharuin-kubb? +Nein, bewahre, es war Jollbars, der vor Ärger heulte, weil er draußen +liegen und sich vollregnen lassen mußte. Und was war dies wieder für +ein Lärm? Nur ein entfernter Donnerschlag. Der Donner und der Regen +täuschen mich unaufhörlich. Ich eile mit dem Revolver unter dem Mantel +ins Freie, stehe und warte dort eine Weile in der Nässe, horche +angestrengt nach allen Seiten, da aber „im Schipkapasse alles ruhig“ +ist, kehre ich zu meinem Lichtstumpfe zurück; die Pfeife will nicht +mehr brennen, alles ist naß. + +Die Stunden vergehen immer langsamer, und der Regen läßt nicht nach. +„Das wird morgen ein schöner Ritt werden!“ dachte ich. Das einförmige +Atmen der halbschlafenden Maulesel wirkt einschläfernd, und die Lider +fangen an mir schwer zu werden. Es passierte mir aber nie, daß ich auch +nur fünf Minuten einschlummerte. Sollten wir noch einmal überlistet +werden, so sollte es wenigstens nicht während meiner Wache geschehen; +ich hätte mich vor meinen Kameraden wie ein Hund geschämt und mich +selbst verachtet. + +Dann und wann schlagen die Tiere mit den Schwänzen, wenn der Regen +ihre Seiten kitzelt. Die Hunde knurren bisweilen dumpf, und ich +mache dann sofort die Runde um das Lager. Um 11½ Uhr streifte +ich in der Dunkelheit umher, fest entschlossen, nicht eher ins Zelt +zurückzukehren, als bis die Mitternachtsstunde geschlagen hätte und +damit die Stunde meiner Befreiung gekommen wäre. + +Es war denn auch 12 Uhr vorbei, als ich mich wieder bei meinem +Lichtstumpfe niederließ. Jetzt rieselte es vom Pelze herunter, und +die Stiefeln waren klatschnaß. Schagdur schlief so fest, daß es mir +widerstrebte, ihn zu wecken, und ich hatte mich selbst überredet, +seine Wache um eine halbe Stunde abzukürzen, als beide Hunde auf +einmal wütend zu bellen begannen. Der Lama erwachte und eilte mit +seiner Flinte hinaus, ich folgte ihm mit dem Revolver, das Licht wurde +ausgelöscht, und wir schlichen uns gegen den Wind nach der verdächtigen +Stelle hin. Dort hörte man deutlich Pferdegetrappel, und in einer +anderen Richtung glaubte der Lama Hundegebell zu vernehmen. Er wollte +schießen, aber ich wollte unter keinen Umständen derjenige sein, der +anfing; gefiel es den Tibetern, uns den Krieg zu erklären, dann sollte +ihnen freilich mit gleicher Münze heimgezahlt werden! + +Daß sich einige hundert Meter von uns Reiter aufhielten, unterlag +keinem Zweifel. Ich ließ den Lama beim Zelte bleiben, weckte Schagdur +und ging mit ihm leise und vorsichtig in der Windrichtung, dann und +wann lauschend. Da hörten wir, wie sich das Pferdegetrappel hastig +entfernte; darauf wurde alles ruhig, und die Hunde stellten ihr Gebell +allmählich ein. + +Jetzt war die Reihe an Schagdur. Ich hörte seine Schritte draußen in +dem Schmutz, als ich unter meinen feuchten Pelz kroch. Solche Nächte +bringen mehr Spannung als Ruhe und sind mehr interessant als gemütlich. +Aber man gewöhnt sich wohl daran, dachte ich, und nach einer Weile +schlief ich gut und fest. + +Schon um 5 Uhr weckte uns der Lama, der die letzte Wache hatte und es +wohl für besser hielt, weiterzureiten als in den Tag hineinzustarren. +Behaglich und vergnügt ist einem nach einer solchen Nacht gerade +nicht zumute, nein, ungemütlich, steif, naß und frostig! Alles riecht +schlecht und sauer; aber das gehört natürlich zur Sache und trägt +dazu bei, den Eindruck der Echtheit zu erhöhen. Von wohlriechenden +Lhasapilgern hat man noch nie reden hören! Und was mich betrifft, so +fand ich, daß das Ganze sich gut anließ. Unter Verhältnissen wie den +unsrigen wird die Stimmung außerordentlich von der Sonne beeinflußt. +Man sehnt sich danach, sich umsehen zu können; die Nacht mit ihren +heimtückischen Schatten ist auch dem unangenehm, der sich im Dunkeln +nicht fürchtet. + +Meine Muselmänner hatten mich entschieden für unzurechnungsfähig +gehalten, als ich auf dieses wahnsinnige Unternehmen auszog. Es war in +der Tat wahnsinnig, das läßt sich nicht leugnen, so viel zu wagen, ja +das Leben zu riskieren, nur aus Lust, Lhasa zu sehen, das in seiner +Topographie und seinem Aussehen durch Beschreibungen, Karten und +Photographien von Punditen und Burjaten weit besser bekannt ist als +die meisten Städte des innersten Asien. Doch ich muß ehrlich gestehen, +daß ich mich nach den zwei Jahren ruhiger, friedvoller Wanderungen +durch unbewohnte Teile des Kontinents und nach all meiner strebsamen +Arbeit nun einmal nach einem wirklich haarsträubenden Abenteuer sehnte. +Ich fühlte das unwiderstehliche Bedürfnis, meine Person in eine Lage +zu bringen, in der das Leben auf dem Spiele stand, eine Situation, +die Geschicklichkeit und Umsicht erforderte, wenn sie nicht zu einer +Niederlage werden sollte, und in die wir uns so tief verwickeln würden, +daß es noch schwerer wäre, sich mit heiler Haut wieder herauszuwickeln. +Tatsächlich sehnte ich mich mehr nach dem Abenteuer als gerade nach +Lhasa. Der Lama hatte mir die Stadt so gründlich beschrieben, daß ich +sie schon satt bekommen hatte. Ich wollte die Tibeter sehen, mit ihnen +reden und ausfindig machen, weshalb sie die Europäer so verabscheuen. +Ein unkritischer junger Mann hat vor einigen Jahren erzählt, daß er in +Tibet gefoltert worden sei, aber seine haarsträubenden Beschreibungen +schreckten mich nicht ab -- aus dem einfachen Grunde, weil ich ihnen +keinen Glauben schenke. Es wäre wirklich ein großer Gewinn für die +Menschheit, wenn Personen, denen es schwer wird, bei der Wahrheit zu +bleiben, das Bücherschreiben bleiben lassen wollten! + + + + +Fünfzehntes Kapitel. + +Die ersten Nomaden. + + +Der Appetit ist so früh am Morgen schlecht. Das Frühstück besteht nur +aus Brot und Tee (Abb. 248); doch sobald die Pfeife angezündet ist +und man im Sattel sitzt, geht der Tag seinen ebenen Gang, obwohl das +Zeichnen der Marschroute die Geduld auf die Probe stellt, wenn man ein +Pferd hat, das sich wie eine alte abgenutzte Dreschmaschine bewegt. + +Der Tag war ebenso trübe und düster wie die Nacht. Die Sonne läßt sich +überhaupt nicht blicken; schwere, schwarze Wolken hängen überall, +Vorhängen vergleichbar, und sie sehen so schwer aus, daß man meint, sie +müßten herunterfallen und zerreißen. + +Der Lama glaubte am Morgen, im Südwesten ein schwarzes Zelt zu sehen, +und stimmte dafür, daß wir dorthin reiten und Erkundigungen einziehen +sollten; ich zog es jedoch vor, geraden Weges auf den nächsten Paß in +den südlichen Bergen, die jetzt von Hagel und Schnee kreideweiß waren, +loszugehen. + +Sobald wir in das Tal, in welchem ein Bach strömte, eintraten, nahm die +Steigung zu und wurde bald steil. Wir verließen das Tal und ritten über +Hügel von rotem, pulverisiertem Sandstein im Zickzack zum Passe hinauf. +Von dort kamen wir einen steilen Abhang hinunter in ein ziemlich +breites, südostwärts führendes Tal. + +In einer Talweitung lag der Kadaver eines Schafes mit seiner Last, die +aus Salz in einem zweiteiligen Beutel bestand. Wahrscheinlich hatte +eine tibetische Schafkarawane unsere kleinen Räuberseen besucht, wo +das Salz an einigen Stellen offenliegt und leicht erreichbar ist und +wo wir auch Spuren einer Herde gesehen hatten. Feuerstätten werden +immer häufiger; von tibetischen Mahlzeiten übriggebliebene Knochen und +Schädel liegen umher. + +[Illustration: Kosak Schagdur, der Verfasser und der Lama Schereb als +mongolische Pilger.] + +[Illustration: Der Verfasser als mongolischer Pilger verkleidet.] + +Als unser Tal nach Südwesten abschwenkte, verließen wir es und +ritten über die nächste Bergkette, wo Schagdur bald einen ziemlich +stark benutzten Weg entdeckte. Von dem Passe hatten wir wieder eine +umfangreiche, obgleich wenig aufmunternde Aussicht: Berge und Kämme +überall, soweit der Blick nach Süden und Südosten reichte. Kein Mensch, +kein schwarzes Zelt in Sehweite! Wir hatten also noch eine Frist vor +neugierigen Blicken; aber wir ahnten doch, daß verborgene, schleichende +Späher uns nicht aus den Augen ließen. + +Der Himmel ist bleischwer und düster, und die Stunden vergehen langsam +und ermüdend. Auch der Tag hat seine Spannung; wir wissen nichts von +diesem Lande und seinen Verhältnissen, aber wir sind überzeugt, daß +früher oder später etwas Außergewöhnliches eintreten wird. Wir müssen +jede Minute auf unserer Hut sein, sonst wird uns ein Streich gespielt, +wenn wir es am wenigsten erwarten. + +Von dem Passe folgten wir einem deutlich ausgetretenen Wege, der in +ein an Sümpfen, Tümpeln, Quellen, Bächen und üppiger Weide reiches +Tal hinunterführte. Der in Hülle und Fülle vorhandene Yakdung war +hier umgedreht worden, um besser zu trocknen; man beabsichtigte also, +wiederzukommen und ihn zu holen. Überall waren Spuren von Nomadenlagern +sichtbar. + +Weiter abwärts schien die Weide abzunehmen. Als wir einen strategisch +geeigneten Platz fanden, beschlossen wir daher, für die Nacht hier zu +bleiben. Auf der 70 Meter breiten Landenge zwischen zwei kleinen Seen +wurde unser nasses Zelt aufgeschlagen. Wir sehen der bevorstehenden +Nacht mit einem gewissen Unbehagen entgegen und fragen uns, was sie +wohl bringen werde. + +Schon um 8 Uhr wurden die Tiere in gewöhnlicher Weise gebunden. Die +Luft war ruhig, aber alle Himmelsrichtungen konnten als gleich unsicher +gelten. Diese Nacht war noch ärger als die vorige; es war, als ob +Tausende von Dachrinnen ihren Inhalt über unser Lager ausschütteten. +Aber die hierzulande vorgeschriebene Regenzeit war da, und wir hatten +kein Recht, uns zu beklagen. Wenn man, wie ich diesmal, vier Stunden +Wache hält und bis auf die Haut naß wird, so weiß man ganz genau, wie +ein richtiger, ehrlicher Regen beschaffen sein muß. + +Von Zeit zu Zeit saß ich, einigermaßen geschützt, in der Zelttür. Es +klatscht in den Packsätteln der Maulesel, von deren Ecken das Wasser in +dicken Strahlen rinnt, wie in einer Waschmaschine. Die Tiere schütteln +sich, daß die Tropfen nach allen Seiten spritzen. Bisweilen spitzen sie +die Ohren, und die Hunde knurren dumpf. Malenki darf frei umherlaufen +und schnüffelt auf einem alten Lagerplatze nach Knochen, denn er und +Jollbars haben seit ein paar Tagen nichts als Brot bekommen. + +Auf einmal fing der eine zu bellen an, und der andere stimmte bald ein. +Es war nur ein Schreckschuß, denn nur einer der Maulesel hatte sich +losgemacht und spazierte einen Abhang hinauf. Mir blieb nichts übrig, +als ihn wieder einzufangen; aber dies war leichter gesagt als getan. +Er war munter und lebhaft und sprang umher, und es dauerte lange, ehe +ich ihn bei der Halfter packen konnte. Sein Betragen demoralisierte +einen seiner Kameraden, der das Manöver wiederholte und gleichfalls mit +großer Mühe eingefangen wurde. + +31. Juli. Als ich nach mehrstündigem Schlafe geweckt wurde, um beim +Einpacken und Beladen zu helfen, stürzte der Regen noch ebenso lustig +nieder wie bisher, aber hier gab es keine Gnade: hinauf in den Sattel, +sobald der Tag anbrach, und fort nach Südosten über beschwerliches, +stark kupiertes Terrain. Jetzt hatte unsere kleine Gesellschaft keinen +trockenen Faden mehr an sich, so daß uns der Regen eigentlich wenig +genierte; aber wir sehnten uns danach, daß die Sonne sich einmal über +uns erbarmte und uns trocknete. + +Als ich mich auf meinen weichen, gepolsterten Sattel setzte, tropfte +das Wasser aus ihm; nachher erhielt ich vom Regen eine so gründliche +Dusche, daß das Wasser von meinen Kleidern in die Stiefel rann, in +denen es bei der geringsten Bewegung plätscherte. Erhob ich meinen Arm, +so klang es ungefähr, als ob ein Spüllappen ausgerungen werde. Das +Ganze war recht betrübend; wenn es doch lieber geschneit hätte! + +Der Weg, dem wir noch immer folgten -- schon jetzt war deutlich zu +erkennen, daß er nach Lhasa führte --, ging über fünf Pässe, von denen +jedoch die beiden letzten nur in kleineren Abzweigungen zwischen Tälern +lagen, deren Bäche einem Haupttale zuströmten. Im Osten sah man den +sich schlängelnden Fluß. + +Unser Weg vereinigt sich mit einem anderen, von links kommenden. Er ist +deutlich ausgeprägt, weil eine große Yakherde ihn benutzt hat. Infolge +des heftigen Regens, der alle Spuren bald vertilgen mußte, konnten wir +annehmen, daß die Tiere hier ganz kürzlich, vielleicht erst am Morgen, +vorbeigezogen waren, und wenn wir uns beeilten, mußten wir die Karawane +noch einholen können. + +Es dauerte auch nicht lange, so unterschieden wir ganz fern im Südosten +eine Menge schwarzer Punkte; es waren Yake, und später trat auch eine +Schafherde aus dem Halbdunkel hervor. Ein Zelt, das bisher verdeckt +gewesen war, tauchte am Ufer eines Baches auf. Schagdur und ich +ritten weiter, während sich der Lama dorthin begab. Wir nahmen als +selbstverständlich an, daß die Besitzer des Zeltes mongolische Pilger +seien, und hatten beabsichtigt, uns ihnen anzuschließen; es stellte +sich jedoch heraus, daß es Tanguten waren, die nach dem berühmten +„Tempel der zehntausend Bilder“ in Kum-bum pilgerten. Sie blieben auf +jedem Lagerplatze einen oder mehrere Tage, reisten sehr langsam und +waren, ihrer Meinung nach, noch eine Monatsreise von Lhasa entfernt. +Sie zeigten bedenklich viel Interesse für uns und wollten alles wissen, +wer und wie viele wir seien, woher wir kämen, wohin wir zögen usw. Sie +hatten 50 Yake, einige Pferde und drei Hunde, die von Jollbars und +Malenki greulich zerzaust wurden. + +Die Schafherde zählte nicht weniger als 700 Tiere und wurde von einer +alten Frau gehütet, die augenscheinlich an Pilger gewöhnt war, denn +sie zeigte keine Furcht. Nach all dem Regen, Schmutz und Dreck sahen +wir wie leibhaftige Vagabunden aus, und kein Ritter von der Landstraße +brauchte sich mehr vor uns zu schämen. Die Eleganz war gewissenhaft +abgespült worden. + +Die Alte teilte uns mit, daß wir im nächsten Tal ein schwarzes Zelt +finden würden, wo man uns alles, dessen wir bedurften, vor allem +Auskunft über den Weg nach Lhasa geben könne. + +Einen Kilometer von dem Zelte, das sich richtig an der angegebenen +Stelle befand, lagerten wir, der Vorsicht halber noch immer auf freiem +Felde. + +Der Lama begab sich sofort zu den Tibetern und kehrte sehr befriedigt +zurück. In dem Zelte, das von Hunden bewacht war, hatte er einen +jungen Mann und zwei Frauen angetroffen, die sich entschuldigten, uns +heute Schafe, Milch, Fett und Tsamba nicht verkaufen zu können, da es +Feiertag sei; wenn wir uns aber bis morgen geduldeten, so sollten wir +erhalten, was sie abgeben könnten. Womit sie uns aber gleich versehen +könnten -- weil wir friedliche Mongolen seien --, sei trockener +Yakdung. Der Lama brachte einen ganzen Sack voll mit; es war zu schön, +denn sonst wäre es uns in der ewigen Nässe kaum möglich gewesen, ein +Feuer anzumachen. Auf die Frage, ob sie uns zwei Pferde verkaufen +würden, hatte er die Antwort erhalten, daß darauf nur der Hausherr, der +ausgegangen sei, Bescheid geben könne. + +Der Lama hatte kaum über seine Mission Bericht erstatten können, als +auch schon der in Frage stehende Mann in eigener hoher Person auf +einem Hügel erschien, wo er in gebührender Entfernung stehenblieb und +uns betrachtete. Ohne Ziererei oder Furcht kam er mit, als der auf +ihn zugehende Lama ihn zu uns einlud, und setzte sich vor der offenen +Zelttür auf den nassen Boden. + +Dieser unser erster Tibeter mochte ein Mann von 40 Jahren sein; +sein Name war Sampo Singi. Ein mehr schwarzes als sonnverbranntes, +bartloses, runzeliges Gesicht; rabenschwarzes, schmutziges Haar in +zottigen Strähnen, aus denen das Regenwasser auf den zerlumpten, +sackähnlichen Mantel niedertropfte, Stiefel von grobem, ursprünglich +weißem Filz, eine Leibbinde mit daranhängendem Tabaksbeutel und einer +Pfeife, alles greulich schmutzig; dies war seine äußere Erscheinung. +Sampo Singi war barhäuptig und, bis auf die Stiefel, barbeinig; mit +anderen Worten, er hatte keine Hosen an. Es muß erfrischend sein, unter +solchen Umständen bei Regenwetter zu reiten! + +Unaufhörlich schneuzte er sich mit den Fingern mit einer +bewundernswerten Energie; der Sicherheit halber machten wir es ebenso, +da man ja nicht genau wissen konnte, ob die tibetische Etikette +derartige demonstrative Handgreiflichkeiten in Gegenwart von Fremden +nicht geradezu vorschrieb. Das Bild, das wir bei dem Regenwetter boten, +muß ein Anblick für Götter gewesen sein; schade, daß es weiter niemand +sehen konnte. + +Sampo Singi untersuchte ganz ungeniert unsere Effekten -- Instrumente +und Tagebuch hatte ich rechtzeitig eingesteckt. Unsere oben engen, nach +unten weiter werdenden Holznäpfe gefielen ihm besonders, und er machte +die sachverständige Bemerkung, daß die Mongolen stets derartige Gefäße +hätten. Mir gegenüber zeigte er kein Mißtrauen, war ich doch beinahe +ebenso schmutzig wie er selber. + +Nachdem die Bekanntschaft gemacht war und die Vertraulichkeit zugenommen +hatte, gelang es dem Lama, aus Sampo Singi herauszuquetschen, daß unser +gestriger Lagerplatz zwischen den beiden kleinen Seen +Merik+ hieß. +Den Fluß, den wir heute im Osten gesehen und ziemlich nahe zur Linken +gehabt hatten, nannte er +Gartschu-sängi+. Der heutige Lagerplatz trug +den Namen +Gom-dschima+, und der nächste Gebirgskamm im Südwesten hieß ++Haramuk-lurumak+. Er teilte uns auch mit, daß wir während zweier +weiterer Tagemärsche kaum Aussicht hätten, Nomaden zu treffen, auf +dem dritten aber würden wir auf viele Zelte stoßen. Wenn wir kurze, +langsame Tagereisen machten, würden wir bis Lhasa 12 Tage brauchen, +marschierten wir aber so tüchtig wie heute (42,2 Kilometer), so würden +wir die Stadt in 8 Tagen erreichen. Der Weg, auf dem wir uns jetzt +befanden, führte richtig nach dem Passe +Lani-la+. + +Schagdur und der Lama pflegten zu schnupfen, und Sampo Singi nahm sich +auch eine gehörige Prise. Das hätte er jedoch lieber nicht tun sollen, +denn er geriet in ein verzweifeltes Niesen, das gar kein Ende nehmen +wollte. Er nahm es aber nicht übel, daß wir über ihn lachten. Ganz +unschuldig fragte er, ob wir unseren Schnupftabak zu pfeffern pflegten, +und ließ sich nicht in Versuchung führen, als ihm noch eine Prise +angeboten wurde. + +Jetzt besann sich Schagdur auf seine Würde und brüllte mich an: „Geh +und treibe die Pferde ein, Bursche! Was hast du hier zu gaffen?“ Man +konnte nicht wissen, ob Sampo Singi Mongolisch verstand, jedenfalls +sah er nicht im mindesten erstaunt aus, als ich sofort nach den Hügeln +lief und unsere Tiere nach dem Zelte zu treiben begann. Bevor ich +weit mit ihnen gekommen war, hatte sich der Alte zum Glück entfernt, +sonst würde seine Intelligenz mehr als ausreichend gewesen sein für +die Überlegung: „Der Bursche da hat noch in seinem ganzen Leben keine +Maulesel eingetrieben!“ Hatte ich sie endlich alle auf einem Haufen, +so gefiel es dem Sarik Kullak oder „Gelbohr“, nach dem vortrefflichen +Grase, von dem ich ihn eben fortgejagt hatte, zurückzugaloppieren. Ich +mußte umkehren und das Vieh von neuem holen; aber wenn ich zum Haufen +zurückkam, hatte sich dieser zerstreut, und mit der Disziplin war es +vorbei. Schließlich erwischte ich drei Maulesel und ließ sie nicht eher +wieder los, als bis sie festgebunden waren. + +Unter dem Zelttuche der schweren Wolkenmassen warf die Sonne noch beim +Untergehen einen Abschiedsblick hervor, der einige Minuten über die +Weidegründe der ersten Nomaden hinstrahlte, und gegen 9 Uhr machte uns +auch der Mond einen flüchtigen Besuch. Aber schon gleich nach 10 Uhr +erhob sich der Weststurm, und ich, der ich die Wache hatte, mußte das +Zelt, so gut es gehen wollte, festmachen. Eines der im Laufe des Tages +gezeichneten Kartenblätter flog in die Nacht hinaus, wurde aber noch +eingeholt und gerettet. Dann strömte der Platzregen wieder taktfest +und trostlos von dem gleichmäßig schwarzen Himmel herab; nur mit Mühe +konnte ich sehen, wo die Tiere standen. + +In dieser Nacht fühlten wir uns bedeutend ruhiger als gewöhnlich. +Seit dem unerwarteten Zusammentreffen mit den Yakjägern hatten wir +keine Eingeborenen getroffen, wohl aber hatten wir sie wie böse +Geister um uns herumspuken gefühlt, ja sie hatten uns sogar einmal +überrumpelt. Jetzt dagegen, da wir friedliche Nomaden als nächste +Nachbarn hatten, brauchten wir kaum nächtliche Besuche zu fürchten, und +Sampo Singi hatte uns versichert, daß hier in der Gegend keine Räuber +umherstreiften. Doch für alle Fälle wurde der Nachtdienst auf dieselbe +Weise wie gewöhnlich verrichtet. Der einzige Unterschied war, daß ich +im Zelte ein kleines Feuer unterhielt, das noch mehr dazu beitrug, +unsere bereits genügend eingeschmutzten Sachen zu schwärzen. + +1. August. Als ich mit den Worten: „Drei Tibeter kommen auf Besuch“ +geweckt wurde, regnete es merkwürdigerweise nicht. Ich sprang auf und +versteckte die Kleinigkeiten, die einen geheimnisvollen Fremdling +hätten verraten können. Zwei Männer und eine Frau erschienen; daß +sie in friedlicher Absicht kamen, sah man schon von weitem, denn sie +führten ein Schaf am Strick und trugen verschiedene Sachen. + +Sampo Singi führte wieder das Wort und reihte seine Delikatessen an +unserem Feuer auf. Ach, was für schöne Sachen; jetzt würden wir nach +der knappen Kost der letzten Tage wie Fürsten tafeln! Ein großes Stück +Fett (Mar), einen Napf saure Milch (Scho), eine hölzerne Schale mit +Käsepulver (Tschorá), eine Kanne Milch (Oma) und einen Klumpen Sahne +(Bema): konnten wir uns ein lukullischeres Frühstück wünschen? + +Alles war Primaware, außer der Sahne, die beinahe an einen Bund +aufeinandergelegter, bedenklich rußiger und haariger Hautlappen +erinnerte. Das Käsepulver ist eines der Ingredienzien der „Tsamba“, +die im übrigen aus Mehl, Tee, Fett- oder Butterstücken, was man gerade +hat, alles in einer Schüssel verrührt, zu bestehen pflegt. Ich muß +gestehen, daß es mir nie gelungen ist, mich an diese von den Mongolen +hochgepriesene Delikatesse zu gewöhnen. + +Um so besser wußte ich die sauere Milch zu würdigen. Sie übertraf +alles, was ich mir hatte denken können, und hätte mir ein höheres +Wesen, als sie verzehrt war, unter allen Delikatessen der Erde freie +Wahl gelassen, so würde ich ohne Zögern um noch etwas sauere Milch +gebeten haben! Sie war dick, weiß und säuerlich; in der ganzen Welt hat +die „Scho“ der Tibeter nicht ihresgleichen! + +Alles dieses sowie das Schaf sollten nun bezahlt werden, und Schagdur +zog einige chinesische Silberstücke hervor. Sampo Singi wog sie +und fand sie gut, erklärte aber, nur Silbergeld von Lhasa annehmen +zu können. Da wir solches nicht besaßen, prüften wir ihn auf seine +Empfänglichkeit für blauen chinesischen Stoff, und das wirkte. Mit +wahrem Genusse strich er darüber hin und ließ ihn zwischen den Fingern +rauschen; er besah ihn in der Nähe und aus der Ferne, mit einem Worte: +er hatte angebissen. Die Schweinsaugen seiner edeln Gattin glänzten +vor Begierde. Wir hatten von diesem Zeuge zwei Pakete zu Tauschzwecken +mitgenommen, und Sampo Singi wollte das eine haben. Das asiatische +Parlamentieren und Feilschen begann, und schließlich mußte er sich mit +12 Ellen, dem dritten Teile eines Paketes, begnügen. Pferde konnte er +jedoch nicht entbehren, so sehr wir ihn auch in Versuchung führten. +Als der Handel abgeschlossen war, hielt jede Partei die andere für +übervorteilt. + +Nun baten wir Sampo Singi, das Schaf zu schlachten und zu zerlegen, +dann sollte er als Lohn für seine Gastfreiheit und für die uns +erwiesene Freundlichkeit das Fell behalten dürfen; hiermit war er sehr +zufrieden. Ich beobachtete mit diplomatischer Gleichgültigkeit, wie +er dabei vorging. Er legte das Tier auf die linke Seite und band ihm +drei Beine zusammen, das linke Vorderbein aber ließ er frei. Dann +schnürte er ihm einen dünnen, weichen Lederriemen mehreremal sehr fest +um das Maul. Darauf legte er den Kopf des Schafes so, daß die beiden +wagerechten, Korkzieher ähnlichen Hörner den Boden berührten, und +stellte sich auf sie. Das Schaf lag jetzt wie in einem Schraubstock +mit seinem Kopfe am Boden festgenagelt. Als Sampo Singi so weit war, +steckte er Daumen und Zeigefinger der rechten Hand in die Nasenlöcher +des gefangenen Schafes, um es durch Ersticken zu töten. Ich sah +heimlich nach der Uhr, wieviel Minuten hierzu erforderlich sein würden, +vergaß nachher aber, das Resultat aufzuschreiben; doch erinnere ich +mich, daß es eine geraume Zeit dauerte und für mich eine entsetzliche +Pein war, das arme Tier zappeln und zucken zu sehen, während seine +Augen immer weiter aus ihren Höhlen traten. Die ganze Zeit über betete +der Alte mit verzweifelter Zungengeläufigkeit „Om mani padme hum“, was +mich an die Art der Muselmänner, Schafe zu töten, erinnerte. Wie um ihr +eigenes Gewissen zu beruhigen und dem Schöpfer zu schmeicheln, plappern +auch sie Gebete zum Lobe des Ewigen her, während sich der kalte Stahl +von unschuldigem Blute rötet. + +Endlich wurde das Schaf still, seine Beine fielen schlaff nieder, +und Sampo Singi richtete sich auf. Es war hart, diese Tierquälerei +mitanzusehen, ohne sie verhindern zu dürfen. Ich hütete mich aber +wohl, mich und meine Gefühle zu verraten, und im übrigen ist auch jede +Einmischung in alte, feststehende Gebräuche völlig nutzlos. + +Sodann frühstückten wir miteinander von den gekauften Milchspeisen, +und die Hunde erhielten zum Lohn für ihren tadellosen Wachtdienst +eine tüchtige Portion Fleisch. Die Frau war von ihrem Zeuge derart +entzückt, daß sie ganz den Appetit verloren hatte und nur bald diesem, +bald jenem von uns freundlich zunickte. Ihre Kleidung war die der +Männer; das struppige schwarze Haar war in zwei Zöpfe geteilt, stand +aber eigentlich in rattenschwanzähnlichen Büscheln nach allen Ecken +und Enden. Sie trug Filzstiefel mit einfacher Buntstickerei, die einst +recht hübsch gewesen war. Wie sie es angefangen hatte, so fabelhaft +schmutzig zu werden, wie sie war, begriff ich nicht, beneidete sie aber +aufrichtig darum. Meine vermutlich feinere Haut wurde unaufhörlich vom +Regen „rein“ gewaschen, auf ihrer Haut aber saß die Schmutzschicht +so dick und kompakt, daß sie mit Aussicht auf Erfolg als Treibbeet +für Frühkartoffeln hätte benutzt werden können. Die Poren in der +Gesichtshaut der Tibeter müssen verschwunden sein; jedenfalls ist es +sicher, daß ihre Öffnungen beständig verstopft bleiben. + +Sampo Singi half uns bereitwillig beim Beladen unserer Tiere. Das Zelt +war von all den Regenschauern, die es eingesogen hatte, doppelt so +schwer geworden. + +Der ehrliche Nomade wünschte uns glückliche Reise nach Lhasa und +angenehmen Aufenthalt in dieser Stadt, und der Lama versicherte, er +habe dies in so manierlicher Weise getan, daß ihm die lamaistischen +Finessen sichtlich nicht fremd seien. Es war ihm augenscheinlich nicht +darum zu tun, uns noch hier zu behalten; sonst hätte er uns gewiß vor +dem bevorstehenden Tagemarsche gewarnt. Er sagte nur, daß wir einen Paß +zu überschreiten hätten und daß der Weg nach Lhasa überall deutlich +erkennbar sei, weiter nichts. Wir versprachen, ihn auf dem Rückwege +wieder aufzusuchen. Wir taten dies auch, aber ohne Erfolg, denn er +hatte seine Penaten bereits nach anderen Weideplätzen geflüchtet. + +In halber Dämmerung brachen wir um 9 Uhr auf; der Himmel verhieß uns +wenig Gutes, und bleischwer hingen die Wolken über der Erde. Über Hügel +und Bergausläufer näherten wir uns dem Flusse +Gartschu-sängi+, der +bei näherer Besichtigung nichts weniger als einladend aussah. Sein Tal +drängt sich zusammen, und die schwere Wassermasse rauscht dumpf unten +zwischen den Felsen, während wir oben dem oft ziemlich beschwerlichen +und gefährlichen Wege über Pässe und Höhen folgen. Murmeltiere und +Hasen kommen hier besonders häufig vor, und die Hunde machen sich mit +ihrer Verfolgung viele unnötige Mühe. + +Fünf Minuten, nachdem wir Gom-dschima verlassen hatten, brach die +heutige Regenflut los, und peitschte die Erde wie mit Ruten; bald waren +wir wieder pudelnaß (Abb. 249). + +Nachdem wir über einen letzten kleinen Paß und einen steilen Abhang +hinuntergegangen waren, erweiterte sich die Landschaft, und vor uns +dehnte sich ein ebener Talgrund aus, der im Süden, soweit man vor dem +Regen sehen konnte, nicht von Bergen begrenzt wurde. Den Gartschu-sängi +verloren wir auf der linken Seite aus den Augen. + +In zähem Schlamme geht es nach Südosten weiter, und wir hüten uns, den +Weg aus dem Auge zu verlieren. Der Regen spült über die Erde, unsere +Sättel rutschen in der Nässe hin und her, unsere förmlich am Leibe +klebenden Anzüge glänzen von Wasser, und aus den Mähnen der Pferde +rieselt es. Wenn die Hunde stehenbleiben, um sich zu schütteln, sind +sie von einer Wolke sprühender Tropfen umgeben. + +Eine Strecke weit ist das Terrain wieder etwas kupiert, das Gras ist +gut, und man sieht oft verlassene Lagerplätze. + +Jetzt führte der Weg gerade nach dem rechten Ufer eines so breiten, +gewaltigen Flusses, daß wir ihn von fern für einen See hielten, dessen +gegenüberliegendes Ufer vom Regen verschleiert wurde. Doch das laute +Aufschlagen der Regentropfen auf der Wasserfläche wurde bald durch ein +dumpferes Getöse wie vom Heranwälzen großer Wassermassen übertönt. +Auch die gelbe, trübe Farbe verriet einen Fluß, und als wir am Ufer +standen und die Wellen nach Westsüdwesten rollen sahen, war unser +Schicksal deutlich besiegelt, denn hinüber mußten wir um jeden Preis. + +[Illustration: 246. Ein nächtlicher Überfall. (S. 174.)] + +[Illustration: 247. Die drei Pilger. (S. 178.)] + +Der Fluß, der kein anderer war als der +Satschu-sangpo+, den schon +Bonvalot, Prinz Heinrich von Orleans und Rockhill vor mir in derselben +Gegend überschritten hatten, war infolge des ewigen Regens zu +ungeheuren Dimensionen angeschwollen und teilte sich in seinem breiten +Bette in 20 Arme, von denen jeder an und für sich schon einen ziemlich +großen Fluß bildete. Vier Arme waren kolossal, und es erschien mir fast +unmöglich, sie zu durchwaten. Doch ohne einen Augenblick zu zögern und +ohne die Furt erst genauer zu untersuchen, ging der Lama, der stets +voranritt, gerade in das Wasser hinein, und die beiden anderen Pilger +folgten ihm. Es lief noch glücklich ab, und nur ein paarmal betrug die +Tiefe mehr als einen Meter. Ich erwartete immer, den Lama, der den +kleinsten Maulesel ritt, in den trüben Wellen verschwinden zu sehen. +Von der Tiefe kann man sich bei so trübem Wasser vorher natürlich +keinen Begriff machen. + +Wir hatten uns über die halbe Anzahl von Armen hinübergearbeitet und +rasteten einige Minuten auf einer Schlammbank mit kaum fußtiefem, +langsam fließendem Wasser. Man atmet von seiner Angst um die kleine +Gesellschaft auf und freut sich, so weit gekommen zu sein. Die +Annehmlichkeit der Lage ist jedoch zweifelhaft. Hinter uns der halbe +Fluß, vor uns die andere Hälfte, und wir stehen mitten in dieser +rauschenden, tosenden Wassermasse, die vom Tale herunter auf uns +losstürmt und die Absicht zu haben scheint, uns zu überwältigen und +mitzureißen. Es schwindelt einem vor den Augen; die ganze ausgedehnte +Wasserfläche ist auf allen Seiten in Bewegung, doch uns kommt es vor, +als wären wir es, die durch das Tal jagen. Die Ufer sind vor dem +Regen, der die Wasserfläche peitscht, nicht zu sehen; jeder Bach, jede +Rinne in der Nachbarschaft trägt zum Anschwellen des Flusses bei, +jeder Tropfen liefert seinen Tribut zum unwiderstehlichen, gewaltsamen +Vorwärtsstürmen der Wassermasse. + +Der Lama stemmte seinem Maulesel die Fersen in die Seite und begab +sich wieder in tiefes Wasser hinein. Er hatte noch nicht zehn Schritt +zurückgelegt, als es dem Maulesel schon bis an die Schwanzwurzel +ging und der Reiter die Knie hochziehen mußte, um wenigstens die +Stiefelschäfte über dem Wasser zu haben. Der Maulesel, der unsere +beiden mit Leder überzogenen Kisten trug, geriet in eine höchst +bedenkliche Lage. Die Kisten wirkten, bevor das Wasser in sie hatte +eindringen können, wie Korkkissen, und das Tier verlor infolgedessen +den Boden unter den Füßen, beschrieb dabei einen halben Bogen und wurde +mit unwiderstehlicher Kraft von der Strömung ergriffen. Der Strudel +riß das Tier natürlich in den schnellsten Strömungslauf, wo nur +noch sein Kopf und die beiden Kisten über dem Wasser sichtbar waren. +Ich gab es verloren, aber es zog sich auf bewunderungswürdige Weise +aus der Geschichte. Beim Herumtasten im Flusse stieß es schließlich +wieder auf festen Grund und es war gerade so dicht an das linke Ufer +getrieben worden, daß es selbst hinaufkletterte, wobei es die jetzt +halb mit Wasser gefüllten Kisten noch immer im Gleichgewichte auf dem +Rücken hatte. Die Strömung hatte das Tier aber schon so weit abwärts +getrieben, daß es ziemlich lange Zeit erforderte, um es wieder zu holen. + +Sobald wir das Manöver des Maulesels gewahrten, schrien wir dem Lama +verzweifelt zu, er solle umkehren; er hörte aber keinen Ton. Das Wasser +wirbelte und schäumte um ihn herum wie unterhalb eines Mühlrades, er +setzte sich aber nur höher in den Sattel und trieb seinen Maulesel an, +der immer tiefer sank. Seine Todesverachtung war bei dieser Gelegenheit +großartig, wenn man bedenkt, daß er, wie wir, mit einem schweren, +tropfnassen Schafpelze bekleidet war und obendrein überhaupt nicht +schwimmen konnte. Ich hatte die Leibbinde abgenommen und den Pelz +aufgeknöpft, damit ich ihn jeden Augenblick abwerfen konnte, und ich +war vollständig auf ein Bad vorbereitet, obgleich ich durchaus keine +Sehnsucht danach verspürte. Man wird in der nebelkalten Luft steif und +unlustig, und das Wasser ist zu kalt, um einladend zu sein, wozu noch +kommt, daß jetzt alles, was Waschen und Reinlichkeit heißt, unseren +mongolischen Prinzipien widerstreitet. + +Das Glück steht jedoch dem Kühnen bei. Bald sahen wir den Maulesel sich +höher aus dem Wasser erheben, und der Lama konnte die Stiefel wieder +in die Steigbügel stecken. Für uns, die wir auf unseren hohen Pferden +saßen, war der Übergang weniger gefährlich. + +Der Satschu-sangpo hatte jedoch beschlossen, mich zur Strafe für unser +dreistes Unterfangen nicht ohne eine kleine Taufe zu entlassen. „Wagst +du es zu versuchen, nach dem Allerheiligsten von Tibet vorzudringen, so +sollst du wenigstens nicht vergessen, daß du dem Hindernisse, das ich +dir in den Weg gelegt habe, Trotz geboten hast.“ + +Der letzte Arm, einer der vier größten, war nur 30 Meter breit, aber +tief, schäumend und reißend. Ich war ein wenig zurückgeblieben und +hatte nicht gesehen, wo die anderen, die sich bereits am Ufer befanden, +hinübergewatet waren. Daher ritt ich gerade auf ihren Landungsplatz +zu. Das Wasser stieg um mich herum immer höher, und der Schimmel +sank immer tiefer. Mir wurde schwindlig, als das Wasser mir über die +Stiefelschäfte ging, dann aber stieg es über die Knie, über den Sattel, +und bald guckten nur noch Hals und Kopf des Pferdes aus den um mich +herumschäumenden Wellen hervor. Der Lama und Schagdur standen am Ufer, +brüllten mir etwas zu und zeigten, wo die Furt ging; ich aber hörte +nichts als das Tosen der Wassermassen. Nun ging mir das Wasser schon +bis an die Rippen, und es wurde Zeit, das Pferd seinem Schicksal zu +überlassen. Doch gerade in diesem Augenblick verlor es den festen +Boden unter den Füßen und begann zu schwimmen, und ich hielt mich +unwillkürlich an seiner Mähne fest. Dies war klug, denn bald hatte das +Pferd wieder Grund gefaßt und erkletterte schließlich mit verzweifelter +Anstrengung das steile Ufer, wo das Wasser von Roß und Reiter nur so +herabströmte. Mein Bad hatte ich bekommen, und zwar gründlich, und vor +Aufregung zitterten mir noch eine ganze Weile die Knie. + +An und für sich hatte die Taufe wenig zu sagen, denn wir waren schon +vom Regen durchnäßt, aber letzteren ziehe ich doch dem direkten +Untergetauchtwerden vor. Alle unsere Sachen, Zelt, Kisten, Kleider und +Proviant, waren ebenso übel daran. Waren die Lasten an diesem Tage +schon von oben herab angefeuchtet worden, so wurden sie durch die +Berührung mit dem Flusse auch noch von unten gründlich eingeweicht. +Nach dieser Wasserprobe sah unsere kleine Schar am Ufer noch +jammervoller aus als je zuvor. Wir waren aber doch froh, den Übergang +bewerkstelligt zu haben, denn keiner konnte wissen, wie lange es noch +zu regnen fortfahren würde, und vor Beendigung der Regenzeit würde der +Fluß sicherlich nicht fallen. + +Es hatte uns 26 Minuten gekostet, über das ganze Flußbett +hinüberzugelangen, aber es war auch langsam gegangen, und zwischen +den Armen war das Bett teilweise wasserfrei. Mein Pferd machte, wenn +ich nur die wasserführenden Teile der gigantischen Rinne rechne, 716 +Schritte, also ungefähr 500 Meter. An eine Berechnung der Wassermenge +ist bei einem so zersplitterten Flusse und unter so schwierigen +Verhältnissen nicht zu denken, und ich hatte auch -- im Pilgergewande +-- wenig Ruhe und Lust dazu. Ich taxiere sie jedoch annähernd auf +200-250 Kubikmeter in der Sekunde. Nur während der Regenzeit, und auch +dann nur selten, steigt der Satschu-sangpo zu so kolossalen Dimensionen +an. Er ist jedenfalls einer der größten Flüsse im inneren Tibet. +Ich spreche dabei natürlich nicht von denjenigen, die sich ins Meer +ergießen, sondern nur von denen, die von der Quelle bis zur Mündung +innerhalb des Landes bleiben und ihr Wasser in abflußlose Salzseen +entleeren. Ich sollte später Gelegenheit erhalten, den untersten Teil +des Laufes dieses Flusses genauer kennen zu lernen. + +Grau, kalt und wüst sah die Landschaft in Westsüdwest aus, wo das Tal +im Regennebel verschwand, und triefend ließen wir den Satschu-sangpo +mit Freuden hinter uns zurück. Meine Stiefel waren bedenklich mit +Wasser gefüllt, und ich fand bald, daß es unnötig sei, ihren Inhalt +mitzuschleppen, obgleich es nicht das erstemal war, daß ich in den +Stiefeln Wasser trug. Doch als dies 1895 in der Wüste Takla-makan +geschah, sollte ich damit einem Menschen das Leben retten, während wir +jetzt durchaus keine Veranlassung hatten, über Wassermangel zu klagen. +Ich hielt daher, leerte die Stiefel aus, band sie hinten an den Sattel +und ritt barfuß weiter. Die Kisten waren weniger dichte Wasserbehälter; +als wir lagerten, war die ganze Flüssigkeit aus ihren unteren Ecken +herausgetropft. + +Es dauerte nicht besonders lange, bis wir lagerten, denn für heute +hatten wir genug. Wir blieben an einem kleinen Bache auf einem +grasreichen Hügel, wo der Regen ohne Schlammbildung in den Boden +eingesickert war. Der Bach schwoll vor Einbruch der Dunkelheit wohl +dreimal so hoch an, wie er ursprünglich war, und ich seufzte bei dem +Gedanken an das jetzige Aussehen des Flusses erleichtert auf; jetzt +wäre es absolut unmöglich gewesen, ihn zu überschreiten. Sampo Singi +hatte uns gewiß mit Fleiß nicht gewarnt, weil er vielleicht gefürchtet +hatte, daß wir in solchem Falle zu lange auf seinen Weideplätzen +bleiben würden, oder er mochte auch keine Lust gehabt haben, uns zu +begleiten und uns die beste Furt zu zeigen. + +Unser Lager mußte sich diesen Abend mit einer Zahl, Nr. 50, begnügen, +denn wir wußten nicht, wie die Gegend hieß. Es war ein recht angenehmes +Lager! All unser Gepäck war durch und durch naß und verschiedene Sachen +ruiniert. Der Lama war hauptsächlich über seine Apotheke, d. h. seine +in Papieren und Beuteln verwahrten Medikamente und heilbringenden +Samen, betrübt. + +Wie sollte es unter diesen Umständen mit dem Feueranmachen gehen? +Yakdung lag zur Genüge umher, aber er war ebenfalls naß. Nach +mehreren ebenso energischen wie vergeblichen Versuchen glückte es uns +schließlich doch. Der Dung wurde von seiner feuchtesten Oberschicht +befreit, und mit Aufopferung einiger Papierstücke brachte ich ihn +zum Brennen. Unsere Tiere liefen, solange es hell war, frei auf der +Weide umher; wir selbst hatten alle Hände voll damit zu tun, unsere +Kleidungsstücke wenigstens von der Hauptmasse des Wassers zu befreien. +Ich zog mich aus und kauerte vor der nichts weniger als aromatisch +duftenden Argolglut, an der ich meine Kleider trocknete, nachdem ich so +viel Wasser wie nur irgend möglich aus ihnen herausgerungen hatte. + +Wir wechselten einander als Blasebalg beim Feuer ab, sonst wäre es bald +erloschen. Es ist eine wenig dankbare Aufgabe, bei Regenwetter Kleider +zu trocknen, aber auf die Gefahr hin, sie anzusengen, gelang es uns +doch, die Feuchtigkeit einigermaßen aus ihnen herauszubringen. + +Erbarmungslos und grausam senkte sich die Nacht über die Erde herab, +und der Mond fand keine Gelegenheit, auch nur den allerflüchtigsten +Blick auf Tibets naß geregnete Gebirge zu werfen. Ich war nach vier +Stunden mit der gewissenhaften Verrichtung meines verantwortungsvollen +Nachtdienstes fertig. Kalt und düster, windig und dunkel war es, +und es regnete immerzu. Das Zelttuch flattert und schlägt wie ein +im Winde schwellendes Segel; ich glaube schleichende Schritte +oder herangaloppierende Reiter zu hören. Von zwei verschiedenen +Seiten schallen Rufe durch die Nacht. Vielleicht nähern sich die +Kum-bum-Pilger; aber nein, diese waren gewiß nicht so verrückt wie wir, +jetzt über den Satschu-sangpo zu reiten. + +Man wird nervös von der Nachtwache und dadurch, daß der Tag ebenso +reich an Spannung ist wie die Nacht. Jetzt ist es kein Geheimnis mehr, +daß wir unterwegs sind; wir sind bereits mit den ersten Tibetern +zusammengetroffen. Unsere Lage wird mit jedem Tage kritischer; unter +wechselnden Geschicken und ungewissen Schicksalen entgegen geht unser +Weg immer tiefer in dieses geheimnisvolle Land hinein. Wir nähern +uns langsam und sicher dem Ziele, aber müde sind wir; ich sehne mich +beinahe danach, irgendwie festzusitzen, damit wir ausschlafen können. + +Ich glaubte freilich, daß jetzt, nachdem wir zwei schwere Proben, den +Räuberüberfall und den Satschu-sangpo, überstanden hatten, das Glück +unsere Reise begünstigen und uns Lhasa erreichen lassen müßte. Es war +wie in einem Märchen, wo der Held erst durch Feuer und Wasser gehen +muß, ehe er den Preis gewinnt und das erträumte Ziel erreicht. + +Auch in dieser Nacht rissen sich einige Tiere während meiner Wache los, +und es dauerte ziemlich lange, bis sie wieder eingetrieben waren. Meine +beiden Reisegefährten lagen in schwerem Schlaf in unserer nassen Höhle. +Der Lama ist jedoch guten Mutes und sieht unsere Aussichten in hellem +Lichte, was man ihm, der anfangs durchaus nicht mitwollte, wirklich +nicht hätte zutrauen können. Schagdur ist ruhig und ernst. Beide sind +prächtige Menschen, gerade solche Leute, wie man sie um sich haben muß, +um sich sicher zu fühlen, und deren man bedarf, wenn ein derartiges +Abenteuer nicht ein Ende mit Schrecken nehmen soll. + +In dieser Mitternachtstunde wartete ich keine Minute über 12 Uhr mit +dem Wecken, sondern rüttelte Schagdur unbarmherzig wach; er kroch in +das Regenwetter hinaus, nachdem er seine Flinte untersucht hatte, +während ich in unser klägliches Nest schlüpfte. Er war zu schlaftrunken +und ich zu schläfrig, um zu reden; ohne ein Wort auszutauschen, +wechselten wir den Platz. + + + + +Sechzehntes Kapitel. + +In kritischer Lage. + + +Der Lama benutzte am 2. August seine Nachtwache, um aus einer +Konservendose eine „Lampe“ herzustellen; den Docht drehte er aus +einem Seilende, und die Flamme wurde mit Schaffett genährt. Anderes +Feuer spendierten wir uns an diesem Morgen nicht. Heute blieben wir +merkwürdigerweise während des Marsches vom Regen verschont; der Himmel +sah allerdings drohend aus, klärte sich aber gegen Abend auf und ließ +die ersehnten Strahlen der Sonne durch. + +Unsere armen Tiere sind zu erschöpft, um mehr als 25 Kilometer +zurücklegen zu können. Die beiden Pferde sind ganz zu Ende, und zwei +Maulesel haben wundgescheuerte Stellen auf dem Rücken. + +Die Landschaft war wenig abwechselnd. Wir steigen durch das Tal des +Lagerbaches zu einem kleinen Passe hinauf. Rechts von unserem Wege +erscheint in einer Entfernung von einigen Kilometern ein schwarzes +Zelt, um welches herum etwa 20 Yake und 400 Schafe weiden. Über ein +Gewirr von Hügeln gelangen wir wieder auf offenes Terrain, das recht +bequem zu überschreiten gewesen wäre, wenn nicht der Regen das Erdreich +so aufgeweicht gehabt hätte. Hohe Bergrücken sieht man gar nicht, aber +man kann sich darin auch täuschen, weil dunkle Wolken über allen Kämmen +schweben. + +Vor uns im Südosten unterscheiden wir ganz in der Ferne etwas +Schwarzes, dem wir uns langsam nähern. Es stellt sich heraus, daß es +eine Yakherde ist, deren Spur wir eine gute Weile gefolgt sind. Als +wir näherkamen, fanden wir, daß sie zu einer Karawane gehörte, die auf +einem Hügelabhange neben dem Wege lagerte. Um eine unterhalb desselben +rieselnde Quelle herum war das Gras gut, und hier hatten sich die 300 +Lastyake zerstreut. + +Die Männer, 25 an der Zahl, saßen unter freiem Himmel um ihr Feuer +herum; Zelte hatten sie nicht. Die Last war in einem Dutzend +Haufen aufgestapelt und bestand aus in Sackleinwand eingenähten +Ziegelteestücken, die aus der Gegend von Kum-bum nach Taschi-lumpo am +Brahmaputra befördert werden sollten. Die Karawane wollte daher bald +nach rechts, d. h. nach Süden, von der Straße nach Lhasa, die andauernd +die Richtung nach Südosten beibehält, abbiegen. Sie marschiert nur +nachts, bei Tag liegt sie still, um die Tiere weiden zu lassen. Das ist +gewiß eine ausgezeichnete Art zu reisen, wenn man den Weg kennt und +keine Karte zu zeichnen braucht! Eine Schar bissiger Hunde, die uns +anfiel, wurde von Jollbars und Malenki auf eine Weise empfangen, die +sogar den Besitzern Respekt einflößte. Als wir in größter Ruhe an ihren +Teestapeln vorbeiritten, kamen mehrere Leute nach der Straße herunter, +um uns genauer zu betrachten, und da hielten wir. Bei allen war der +braungebrannte Oberkörper völlig nackt, und der von der Leibbinde +festgehaltene Pelz hing vom Rücken herunter. Ihre erste Frage war: „Wie +viele seid ihr?“, als wollten sie sich vor allem vergewissern, wer im +Falle eines Handgemenges die größte Aussicht hätte, Sieger zu bleiben. +Dann fragen sie, ob man Waren zu verkaufen habe, woher man komme, wie +lange man unterwegs sei und wohin man wolle, und als sie erfahren, daß +wir nach Lhasa gehen, finden sie es ganz natürlich, daß wir nach dem +heiligen Orte pilgern. Ich hörte jedoch einen Mann, der seinen nächsten +Nachbarn anstieß und dabei auf mich zeigte, das Wort „Peling“ sagen, +welches Europäer bedeutet. + +Sie sahen wie leibhaftige Strolche aus, und einige von ihnen waren +geradezu abschreckende Erscheinungen (Abb. 250, 251, 252). Infolge der +schmutzigbraunen Hautfarbe und des üppigen, schwarzen, oft in zwei +Flechten herabhängenden Haares erinnern sie an Indianer. Einer von +ihnen verstand etwas Mongolisch und fragte gemütlich: „Ämur sän bane?“ +(Ist eure Gesundheit gut?). Die meisten blieben bei den Feuern, wo sie, +ohne uns die geringste Beachtung zu schenken, als hätten sie schon oft +Pilger vorbeiziehen sehen, Tee aus Holzschalen tranken und ihre Pfeife +rauchten. Zwei von den anderen forderten uns auf, hierzubleiben und uns +zu ihnen zu gesellen. Es war uns aber nicht um solche Nachbarschaft zu +tun, und nachdem wir uns einige Minuten mit ihnen unterhalten hatten, +ritten wir weiter. + +Mein Pferd war jedoch so schlecht, daß es mit den Mauleseln nicht +Schritt halten konnte, und nach nur wenigen Kilometern mußten wir +daher an einer Quelle auf freiem Feld etwa einen Steinwurf südlich +vom Wege Halt machen. Der Weg hatte sich während dieser Tagereise zu +einer großen Landstraße entwickelt, deren schlechter Zustand von recht +lebhaftem Verkehre zeugte. + +Der Abend war herrlich. Die Sonne schien ordentlich heiß, und wir +breiteten alle unsere Kleidungsstücke, Pelze und anderen Sachen zum +Trocknen aus, wobei eine leichte Süstostbrise half. Das Zelt trocknete +am besten in aufgeschlagenem Zustande; die Sattelkissen wurden bald mit +der einen, bald mit der anderen Seite in die Sonne gelegt. + +Der Lama brachte seine Patentlampe, auf der das Abendessen gekocht +werden sollte, in Ordnung. Lange hatten wir jedoch noch nicht gesessen, +als wieder ein Gewitter mit betäubenden Donnerschlägen heraufzog, +und ein ungeheuer heftiger Hagelschauer das Zelt beinahe zu Boden +schlug. Die meisten Donnerschläge riefen einen eigentümlichen, +metallischklingenden Ton hervor, der langsam in der Ferne erstarb und +dem Klange einer Kirchenglocke glich. Ich habe dergleichen noch nie +gehört. + +Wir blieben an diesem Abend noch lange auf, plauderten und berieten +uns über unsere Lage. Wenn wir nur Gelegenheit hätten, unsere Tiere +durch einen ehrlichen Tausch loszuwerden, dann würden wir mit den neuen +wieder lange Tagemärsche machen können. Ja, es wäre sogar noch besser, +Yake zu haben als unsere erschöpften Maulesel und Pferde, und wir +beschlossen, uns bei der nächsten Gelegenheit Yake zu verschaffen. + +Während der letzten Tage war in unserer Nähe nichts Verdächtiges +vorgefallen, aber der Lama glaubte, daß die Yakjäger den Gouverneur von +Nakktschu benachrichtigt hätten, der in diesem Falle sogleich Eilboten +in alle Teile seiner Provinz mit dem Befehle schicken würde, daß auf +allen nach Lhasa führenden Wegen Ausguck zu halten sei. Kämen wir nur +erst in die dichter bewohnten Gegenden, wo die Leute an Pilger gewöhnt +seien, so würden wir nicht länger besondere Aufmerksamkeit erregen. + +Nachts wurde strenge Wache gehalten, denn die mit mindestens zehn +Flinten bewaffnete Eskorte der Teekarawane sah nichts weniger als +vertrauenerweckend aus. Hätten sie es gewollt, so hätten sie uns in +der Dunkelheit überrumpeln können, und wir wären in verzweifelter Lage +gewesen. + +Obwohl es im höchsten Grade wünschenswert war, daß wir uns so sehr +wie nur irgend möglich beeilten, ehe unser schleichender Zug auffiel, +beschlossen wir dennoch, am 3. August in dieser Gegend, welche die +Tanguten +Amdo-motschu+ nannten, zu bleiben. Ihrer Meinung nach hatte +eine Yakkarawane von hier noch fünf Tagereisen bis Nakktschu und sieben +bis Lani-la. + +Nach einer ruhigen Nacht wurde ich von meinen Reisegefährten um 9 Uhr +geweckt, -- es war zu herrlich, einmal wirklich ausschlafen zu dürfen! +Sie sagten, die Teekarawane ziehe heran und sei wirklich sehenswert. + +[Illustration: 248. Lager der drei Pilger. (S. 184.)] + +[Illustration: 249. Auf dem Wege nach Lhasa in strömendem Regen. (S. +192.)] + +Es war auch in der Tat ein höchst origineller, malerischer Anblick. +Die Karawane zog in militärischer Ordnung vorbei, und es dauerte eine +geraume Zeit, bis die letzten unser Zelt hinter sich hatten. Sie +marschierten in verschiedenen Abteilungen von je 30 oder 40 Yaken, und +jede solche Gruppe wurde von ein paar Leuten getrieben. Die Yake +gingen langsam, mit kleinen, trippelnden Schritten, beobachteten aber +eine vorzügliche Ordnung und machten den Leuten, die sie durch scharfe +Pfiffe und kurze, abgerissene, gellende Rufe antrieben, nicht allzuviel +Mühe. Wenn ein Yak sich von dem Haufen trennte, so brauchte einer der +Treiber nur mit dem Arme nach derselben Richtung zu schlagen und einen +gellenden Pfiff auszustoßen, um das Tier zu veranlassen, sofort nach +seinem Platze im Gliede zurückzukehren. + +Im Verhältnis zur Stärke der Tiere waren die Lasten leicht. Alle Männer +gingen zu Fuß, und zehn von ihnen trugen Flinten auf der Schulter. Sie +waren nicht im geringsten zudringlich. Obwohl sie dicht an unserem +Zelte vorbeizogen, guckte doch keiner von ihnen hinein; sie waren +ausschließlich damit beschäftigt, die Karawane in Ordnung zu halten. + +Der Lama sprach mit einigen von ihnen. Der Abwechslung halber hatten +sie auch in der Nacht geruht und sagten, daß nun, da sie Gegenden +mit besserem, üppigerem Grase erreicht hätten, die Yake auch nachts +weiden könnten, besonders wenn Mondschein herrschte. Sie baten wieder, +wir möchten uns doch fertigmachen und mit ihnen nach ihrem nächsten +Lagerplatze ziehen. + +Es war wirklich interessant, diese wandernde Gesellschaft aus Kum-bum +zu sehen, diese Tanguten, die mit den Tibetern eines Stammes sind und +auch dieselbe Sprache sprechen. Die ganze Gesellschaft war kohlschwarz, +die Yake, die Männer, ihre Kleider, ihre Flinten, ihre Hunde, und sie +warfen sogar schwarze Schatten, denn jetzt stand die Sonne am Himmel +und beleuchtete den Zug. Ein Schattenspiel, ein Karneval von Dämonen -- +ihnen stand der Weg offen nach Taschi-lumpos heiligen Tempeln und den +Basaren von Schigatse, wo der Tee verkauft werden sollte. + +Wir hatten den ganzen Tag vor uns und sollten uns gründlich ausruhen, +aber ich konnte nicht mehr schlafen, ich hatte das Bedürfnis, die Sonne +zu sehen und mich an der lachenden Landschaft zu erfreuen. Ich saß mehr +als leicht gekleidet da und ließ mich vom Sonnenschein trocknen; um 1 +Uhr hatten wir +14,6 Grad im Schatten, und die Wärme war fühlbar. Jetzt +hatten wir endlich Gelegenheit, alle unsere Habseligkeiten wirklich +trocknen zu lassen. Kleinere Sachen wurden auf Pelzen und Mänteln +ausgebreitet. Der Lama beschäftigte sich mit seinen Medikamentbeuteln, +und es stellte sich heraus, daß er der glückliche Besitzer eines +ziemlich großen Beutels mit Rosinen war, den er von Tscharchlik +mitgenommen hatte und der erst jetzt zum Vorschein kam. Die Packsättel +wurden fleißig umgedreht und trockneten im Laufe des Tages. Die Stiefel +wurden mit trockenem, warmem Sand gefüllt, der sie ausspannte und ihnen +ihre richtige Form wiedergab. + +Zweimal hatte ich das unbeschreibliche Vergnügen, uns Mittag kochen zu +müssen, was ~con amore~ geschah; die frischen Fleischstücke wurden +in dünne Scheiben geschnitten, die ich in Butter briet, die uns Sampa +Singi geliefert hatte, und das mit Käsepulver und Salz gewürzte Gericht +schmeckte delikat. Die sauere Milch war leider zu Ende, aber wir +hatten zum Nachtisch Tee und Rosinen. Eine Pfeife Virginia schmeckte +hinterdrein vorzüglich, und dann streckte man sich wieder in der Sonne +aus, den Sattel als Kopfkissen benutzend. Selten bin ich so faul +gewesen wie an jenem 3. August 1901. + +Schagdur und der Lama schliefen dann und wann. Unsere Tiere grasten so +nahe, daß wir sie jeden Augenblick zählen konnten, und wir verloren sie +nicht aus den Augen. + +Als Kunstkenner bemalte mir der Lama wieder den Kopf vorn und hinten, +den ganzen Hals und die Ohren außen und innen. Ich hatte eine +kleine Dose mit brauner Farbe, einen Wattebausch und als Spiegel +meine Uhrkapsel, so daß ich, wenn es nötig war, den Anstrich selbst +auffrischen konnte. Es ist nur ärgerlich, daß, sobald die Haut +abblättert, augenblicklich eine rosa Stelle inmitten des orthodoxen +Farbentones erscheint, ungefähr als wenn ein Flicken von dem Kleide +einer Balldame auf der Nase eines Schornsteinfegers haften geblieben +wäre! + +Kein Wort Russisch durfte über Schagdurs oder meine Lippen kommen, nur +Mongolisch ertönte in unserem Lager, und wir bereiteten uns jetzt auf +die Antworten vor, die wir auf eventuelle inquisitorische Fragen geben +wollten. Wir waren alle Burjaten aus Sachir und hatten das Land der +Chalchamongolen und Zaidam durchreist. Der Lama wollte unter keiner +Bedingung für einen Mongolen gelten; er war ein Burjate, und, um nicht +von denen, die er früher in Lhasa getroffen hatte, wiedererkannt zu +werden, trug er gleich mir eine schwarze Schneebrille und wollte im +übrigen allen seinen Bekannten aus dem Wege gehen. Besondere Angst +hatte er vor dem Oberlama des Tempels, in welchem er seine Studien +betrieben hatte. Würde er erkannt, so glaubte er, daß die Folgen für +ihn verhängnisvoll sein würden. Man würde uns umkehren lassen, ihn aber +unter dem Vorwand, er sei ein Lama von Lhasa, zurückbehalten und dann +als Verräter, der Spione in das verbotene Land geführt habe, bestrafen. +Während all der Tage, gleichviel ob wir stillagen oder über unbekannte +Berge ritten, plapperte er seine Gebete an die ewigen Götter und +unterhandelte mit seinem Gewissen. + +Er hegte großes Interesse für das Christentum und bat mich oft, ihm +meinen Glauben auseinanderzusetzen; nach seiner Ansicht hatten wir so +viele Berührungspunkte, daß ich eigentlich ebenso berechtigt war wie +irgendein Buddhist, die Wallfahrt zu machen. Er selbst kannte nichts +weiter als die heiligen Bücher Tibets und der Mongolei, und da er mich +während unserer Reise mit so vielen Arbeiten, von denen er früher +keine Ahnung gehabt hatte, beschäftigt gesehen und beobachtet hatte, +wie ich an der Erforschung der Erdrinde arbeitete, die Himmelskörper +beobachtete und abends in Büchern las, war er zu dem Schlusse gekommen, +daß ich mindestens ebenso gut sei wie ein Lama und daß sie sich in +Lhasa freuen könnten, wenn ich sie besuchte. Der Dalai-Lama war +allwissend. Er wußte, wer wir waren, mit was für Absichten wir kamen, +ja, er wußte, was wir jeden Tag miteinander redeten. Und er würde +nicht zulassen, daß mir etwas Böses widerfahre; wie er sich aber zu +dem Lama selbst stellen würde, war eine andere Frage. Wenn ich einen +allmächtigen Gott hätte, sollte ich ihn doch bitten, daß er, der Lama, +Leib und Leben behalten dürfe, da er doch nur meinetwegen mit auf +dieses Abenteuer ausgezogen sei. Ich versicherte dem Lama, daß er ganz +ruhig sein könne, wir würden zusammenhalten, wohin es auch ginge, und +würden ihn nicht im Stiche lassen. + +Eine Stunde lang war es finster wie in einem Sacke gewesen, als der +Mond aufging und still und freundlich wie ein Engel an dem mit Sternen +übersäten Himmelsgewölbe stand. Ich hatte die Wache von 8-11 Uhr, und +um 5 Uhr wollten wir aufbrechen. Schweigend und friedlich lag die +Gegend da, nah und fern störte kein Laut die Stille. Nur ein paarmal +knurrten die Hunde. Der Lama und Schagdur schliefen der Abwechslung +halber vor dem Zelte. Je mehr wir uns dem Ziele unserer Reise näherten, +desto ruhiger war mir zumute. Es ist leichter, mitten in der Gefahr zu +leben, als ihr Eintreten abzuwarten. + +Eine Menge kleinerer Bäche in ziemlich offener Gegend überschreitend, +zogen wir am 4. August nach Südsüdost weiter. An einem Punkte, wo der +Weg sich teilte, blieben wir ratlos stehen, kamen aber bald zu dem +Schlusse, daß der linke Weg nach Lhasa, der rechte nach Taschi-lumpo +führen müsse. Nachdem wir jedoch eine Strecke auf dem ersteren +zurückgelegt hatten, fanden wir, daß er viel zu gerade nach Osten +abbog, weshalb wir vermuteten, daß er nach Nakktschu Fuhre und die +wahrscheinliche Straße nach Lhasa wieder aufsuchten. + +Hier erhielten wir bald die Bestätigung für die Richtigkeit unseres +Schlusses. Eine Karawane von 100 Yaken mit leichten Lasten kam, von +einem halben Dutzend berittener und bewaffneter Männer getrieben, von +Lhasa zurück. Die Männer trugen große, hohe, gelbe Hüte und hatten +einige Ziegen und Hunde bei sich. Sie schienen sich vor uns zu fürchten +und zogen möglichst schnell an uns vorbei. + +Unsere Maulesel, die sich infolge der guten Weide und des Ruhetages +sehr erholt hatten, fanden die Yake entweder so nett oder so komisch, +daß sie ihre Gesellschaft der unseren vorzogen; sie machten kehrt und +gesellten sich zu der Karawane. Die Yake dagegen waren anderer Meinung. +Vermutlich hatten sie noch nie mit Mauleseln Bekanntschaft gemacht; +genug, sie galoppierten davon, und ihre Besitzer sowie die Maulesel +folgten ihnen auf den Fersen. Auf diese Weise kamen sie vom Wege ab und +auf das freie Feld hinaus. Die Tibeter pfiffen, wir schrien und riefen, +die Hunde hatten sich in aller Geschwindigkeit in eine heftige Beißerei +eingelassen, und die größte Unordnung herrschte auf dem so plötzlich +zur Walstatt gewordenen Grasboden. Endlich gelang es uns, die Tiere zu +bemeistern und in guter Ordnung zu trennen. + +Irgendein böser Geist mußte an diesem Tag in einen unserer +Maulesel gefahren sein, der der „Dungane“ hieß, weil er von einem +muhammedanischen Chinesen gekauft war. Ohne sich irgendwie von den +Yaken stören zu lassen, lief er draußen auf der Ebene im Kreise umher, +bis alles, was er trug, am Boden verstreut lag und sein Packsattel +hinter ihm her schlenkerte. Die Sachen wurden gesammelt, und er +wurde wieder beladen; als sich aber dasselbe Manöver noch zweimal +wiederholte, mußte das muntere Tier am Stricke geführt werden. Nach +der Ruhe hatte auch mein Reitpferd sich erholt und legte seine 34½ +Kilometer gut zurück. Der Lama saß schläfrig im Sattel und machte die +komischsten Verbeugungen; ich erwartete jeden Augenblick, ihn auf der +Erde liegen zu sehen, aber er verlor das Gleichgewicht nicht. + +Das Wetter ist wunderschön, und nach zweitägigem Sonnenbrand ist die +Erde wieder trocken und unser Gepäck bedeutend leichter geworden. + +Der Weg führt jetzt zu einem niedrigen, bequemen Passe hinauf, der +sich durch ein Steinmal (Obo) aus Sandsteinplatten mit der Inschrift +„Om mani padme hum“ auszeichnet. Der Boden ist überall unterhöhlt von +den Löchern und Gängen kleiner Feldmäuse, wodurch das Reiten erschwert +wird und die Pferde leicht stolpern. Man verabscheut diese verwünschten +Tierchen, die ihr dreistes Untergraben der Straße manchmal mit dem +Leben bezahlen müssen. Die Hunde jagen sie unverdrossen. Malenki frißt +sie mit Haut und Haar, während sich Jollbars damit begnügt, sie im +Genick zu packen und hoch in die Luft zu schleudern. + +Auf beiden Seiten des Passes ritten wir an mehreren, von Yak- und +Schafherden umgebenen schwarzen Zelten vorbei. Da sich jedoch keine +Menschen zeigten, hielten wir uns nicht weiter auf. Wir erreichten ein +offenes, in ziemlich weiter Ferne von Bergen umschlossenes Kesseltal. +Aus einem der dort stehenden Zelte kam ein alter Mann heraus; mit ihm +verhandelte der Lama eine Weile. Verkaufen oder Vermieten von Pferden +kam überhaupt nicht in Frage, der Geizhals wollte uns nicht einmal +Milch überlassen. Er habe allerdings sehr viel davon, erklärte er, aber +verkäuflich sei sie nicht, er brauche sie selbst. + +Der Weg wird immer breiter und kräftiger ausgeprägt. Aber es ist +merkwürdig, daß wir nie einzelnen Wanderern oder Reitern begegnen. Man +scheint hierzulande nur in großen, hinreichend starken Gesellschaften +zu reisen. Das Gras ist vortrefflich, und man sieht jetzt auf allen +Seiten Yake, Schafe und Pferde in zerstreuten Herden, die von ihren +Hirten bewacht werden. + +Die Zelte wurden immer zahlreicher und sahen aus der Ferne wie schwarze +Punkte aus; an einer Stelle lagen vierzehn beisammen. Vor jedem Zelte +sieht man gewöhnlich einen großen Haufen Yakdung zur Feuerung für den +Winter; manchmal ist er auch schichtweise ausgebreitet, um ordentlich +zu trocknen. + +Links lassen wir einen ganz kleinen See liegen, an dessen Ufer sich +die große Teekarawane von gestern niedergelassen hat. Die Männer waren +nicht zu sehen; sie hatten sich wahrscheinlich nach den Zelten der +Nomaden begeben, um zu plaudern, zu rauchen und Tee zu trinken. + +Um nicht zu sehr von Neugierigen überlaufen zu werden, setzten wir +unseren Weg noch eine Stunde fort und ließen uns dann in der Nähe eines +aus vier Zelten bestehenden Dorfes nieder. + +Nach einem der Zelte lenkte der Lama seine Schritte und kam mit +einem Stücke Fett und einem „Domba“ (mongolischer Napf) voll sauerer +Milch wieder, wofür er eine chinesische Porzellantasse gegeben +hatte. Unterdessen hatten wir Besuch von einem jungen Tibeter, der +außerordentlich freundlich und mitteilsam war und ununterbrochen +schwatzte, obwohl wir kein Wort verstanden. + +Der Lama mußte als Dolmetscher dienen. Unser ungebetener Gast gab sich +als ein Bewohner von Amdo zu erkennen, und sein Dialekt unterschied +sich wesentlich von der Sprache von Lhasa. Er nannte uns die Namen der +nächsten Berge, aber ich möchte nicht für die Zuverlässigkeit seiner +Angaben einstehen. Einen See, der sich im Südosten zeigte, nannte +er Tso-nekk, den „schwarzen See“, was uns wenigstens wahrscheinlich +erschien, denn dieser Name kommt in ganz Innerasien häufig vor, z. +B. in den Formen Kara-köll, Chara-nur usw. Der Weg, dem wir gefolgt +waren, teilte sich gerade hier in die Straßen nach Lhasa und nach +Taschi-lumpo. Ein anderer, östlicherer Weg vereinigte sich mit der +großen Pilgerstraße nach Lhasa. + +Wir sehnten uns danach, den Fremdling loszuwerden, da wir ihn für einen +Spion hielten, der beauftragt war, uns in der Nähe zu beobachten. Als +uns dies nicht gelang, mußte der Lama ihn unterhalten, während Schagdur +und ich das Zelt zumachten und zu Mittag aßen. Erst in der Dämmerung +konnte er sich entschließen zu gehen. Er hatte sein Pferd grasen lassen +und mußte es jetzt wieder einfangen, aber das wollte ihm durchaus nicht +gelingen. Soweit wir mit dem Fernglase sehen konnten, lief das Pferd +nach Süden weiter, und der Mann trabte unverdrossen hinterdrein. Auf +unsere Frage, ob hier in der Gegend Räuber hausten, antwortete er: „Für +uns Tibeter gibt es keine, aber für euch, die ihr so weit her seid, ist +keine Sicherheit.“ + +Die Nachtluft war so still, daß ich während meiner Wache das Licht in +der Zelttür brennen lassen konnte. Von den nächsten Zeltdörfern ertönte +Hundegebell. Der Himmel war halbklar, und der Mond schien teilweise. + +Am Montag, 5. August, ritten wir 34 Kilometer nach dem Lager Nr. 53. Es +ging nach Südsüdost, und bald kamen wir an das Westufer des +Tso-nekk+, +wo hier und dort mehrere schwarze Zelte und große Viehherden zu sehen +waren. Der Weg ging über drei Pässe. + +Auf einer ziemlich ausgedehnten, überall von Bergen, die namentlich +im Süden und Südosten ziemlich hoch waren, umgebenen Ebene, auf der +wir zwölf schwarze Zelte zählen konnten, machten wir Halt. +Bis +hierher sollten wir gelangen, aber nicht weiter!+ Wir waren gerade +270 Kilometer vom Hauptquartier entfernt, wo die Unseren mittlerweile +wahrscheinlich in größter Unruhe über unser Schicksal schwebten. + +Auf dem Ritte hatten wir uns darüber gewundert, daß unser Vorbeiziehen +nirgends Aufmerksamkeit erregt und niemand sich uns genährt und uns +angeredet hatte. Vor mehreren Zelten saßen Tibeter am Feuer, und Kinder +spielten mit Lämmern und jungen Hunden. Auch hier an dem kleinen Bache, +wo das Zelt aufgeschlagen wurde, zeigten sich keine Neugierigen. Wir +fühlten uns völlig ungeniert, und es war uns natürlich viel lieber, von +prüfenden Blicken und beobachtenden Besuchen verschont zu bleiben. Ich +selbst hätte allerdings unsere Nachbarn gern in ihren Zelten besucht, +hielt es aber für klüger, dies zu unterlassen. + +Nach gründlichem Rasieren, Einfetten und Schminken und nach +eingenommenem Mittagsessen legte ich mich schlafen. Bei Einbruch der +Dunkelheit kam Schagdur, weckte mich und teilte mir mit, daß sich drei +Tibeter im Zwielicht unserem Lager näherten. Der Lama und er gingen +ihnen entgegen, während ich zurückblieb. Es war ganz dunkel geworden, +ein leichter Sprühregen fiel, und der Himmel war bewölkt, ich konnte +beim besten Willen weder unsere Tiere noch die Männer unterscheiden. + +Meine Begleiter blieben lange fort, und ich fing beinahe schon an, mich +ihretwegen zu beunruhigen, als Schagdur endlich zurückkehrte. Er war +ruhig wie immer, aber schon, daß er mich auf russisch anredete, zeigte, +daß er der Überbringer ernster Nachrichten war. + +„+Es sieht schlimm für uns aus!+“ sagte er. „Ich verstand kein +Wort von dem, was geredet wurde, hörte aber unaufhörlich die Worte +Schwed-peling, Tschanto (Muselmann), Burjate und Lhasa durcheinander. +Sie sitzen jetzt und reden, der Lama weint beinahe, ist außerordentlich +demütig und verbeugt sich unausgesetzt.“ + +Dann eilte der Lama, aufgeregt und erschüttert, zu uns. Er mußte sich +erst eine Weile beruhigen, ehe er sprechen konnte, und dann kam es +stoßweise heraus, in zitterndem Ton und in abgebrochenen Sätzen. + +Einer der drei Männer war, nach der Kopfbedeckung zu urteilen, ein +„Noijin“ (Häuptling, Offizier). Er war höflich aufgetreten und +recht liebenswürdig gewesen, hatte aber doch in streng befehlendem, +bestimmtem Tone, der keinen Widerspruch duldete, gesprochen. Sein Blick +aber war, wie der Lama sagte, tückisch gewesen. + +Der Häuptling hatte berichtet, es sei vor drei Tagen bekannt geworden, +daß ein „schwedischer Europäer“ (Schwed-peling) nach Lhasa unterwegs +sei, und einige Yakjäger, die kürzlich in Nakktschu eingetroffen seien, +hätten erzählt, daß eine Menge stark bewaffneter Europäer, Besitzer +einer großen Karawane, von Norden über die Gebirge zögen. + +Nun waren dem Lama tausend Fragen um die Ohren gehagelt. Ob er etwas +von diesen Europäern wisse, ob einer von ihnen unter uns sei, wieviele +wir selbst seien, wieviele Tiere wir hätten, ob wir Waffen besäßen; +woher wir seien, wohin wir gingen, weshalb wir diesen versteckten Weg +gewählt hätten, der von Mongolen sonst nie eingeschlagen werde. „Rede +nur die Wahrheit“, hatte es geheißen, und „Wie kannst du, ein Lama, +diese unbekannten Fremdlinge begleiten?“ + +Darauf hatte der Lama erwidert, der Amban von Kara-schahr habe +ihm befohlen, der europäischen Karawane bis Ladak als Dolmetscher +zu dienen. Die Karawane sei neun Tagereisen von hier im Gebirge +liegengeblieben, und wir drei Pilger hätten die Erlaubnis erhalten, +während die Tiere sich kräftigten, Lhasa zu besuchen. + +Der Häuptling hatte in betreff des Hauptquartiers sehr genaue Fragen +gestellt, und der Lama hatte korrekte Auskunft erteilt, da er es für +möglich gehalten, daß bereits alles ausspioniert sei. Er hatte erzählt, +wieviele Lasttiere wir hatten und daß uns dort drei Europäer und +vierzehn Muselmänner erwarteten. + +Der Beschluß des Häuptlings hatte gelautet: „Ihr bleibt morgen hier! +Ich komme dann in euer Zelt, und wir werden miteinander reden. Ich +werde für einen mongolischen Dolmetscher sorgen, der mit den beiden +anderen sprechen kann. Braucht ihr Lebensmittel oder Pferde und Yake, +so werden wir das morgen besprechen.“ + +Es war schon spät, und wir saßen, nachdem wir unsere Pferde und +Maulesel wie gewöhnlich festgebunden hatten, noch lange in eifrigem +Gespräch an dem im Zelte brennenden Feuer. Zunächst bereiteten wir +uns auf das uns morgen bevorstehende Verhör vor; Schagdur bestand mit +großer Energie darauf, daß der Lama dann nur als Dolmetscher sprechen +solle. + +Was mich am meisten interessierte, war, zu erfahren, woher sie das +Wort „Schwed-peling“ hatten. Es war denkbar, daß durch die englischen +Zeitungen in Indien irgendein Gerücht nach Tibet gedrungen sein +konnte. Aber „Schwed“ konnte nichts anderes sein als das russische +„Schwed“, Schwede. Sollte die große mongolische Pilgerkarawane, die +im Herbst 1900 unser Hauptquartier in Temirlik passierte, dieses Wort +aufgeschnappt haben? Damals hatte nicht einmal einer der Kosaken eine +Ahnung von meinen Plänen gehabt, und es ist sehr wahrscheinlich, daß +die Mongolen, die mit Schagdur und Tscherdon in ihrer eigenen Sprache +gesprochen, sich erkundigt hatten, ob ich ein Russe oder ein Engländer +sei, und die Antwort erhalten hatten, ich sei ein „Schwed“, welches +Wort sich nicht ins Mongolische übersetzen ließ. Diese Pilger haben +alles, was sie erfahren hatten, in Lhasa gemeldet, wohlwissend, daß +ihnen jede Warnung vor ungebetenen Gästen zum Verdienst gereichen +würde. Die Yakjäger, die wir beim Lager Nr. 38 getroffen, hatten die +Meldung von dem Vorhandensein und Herannahen der europäischen Karawane +bestätigt. + +Eine dritte Möglichkeit ist, daß der Lama während des abendlichen +Gesprächs mit dem Häuptling derjenige gewesen sein kann, der sich +zuerst dieser Bezeichnung bedient hat, -- es war das erste und sicher +auch das letzte Mal in meinem Leben, daß ich nicht stolz darauf +gewesen bin, ein Schwede zu heißen! In solchem Falle war der Lama ein +Verräter, und Schagdur sagte mir auch, daß er unter keiner Bedingung +auf ihn bauen würde. Sein Benehmen während der Unterredung sei ihm zu +sonderbar vorgekommen, und seine Reden hätten die ganze Zeit über einen +zustimmenden Eindruck gemacht. + +Allerdings war das Ganze eine mysteriöse Sache. Gewiß ist, daß ihnen +das Wort „Schwed“ auf irgendeine Weise zu Ohren gekommen war, aber +ohne daß sie wußten, was es bedeutete. Es wurde jedoch durch das +Wort „Peling“ verdeutlicht, welches Europäer heißt und wohl von dem +persischen „Fereng“ oder „Ferengi“ ins Tibetische übergegangen sein mag. + +[Illustration: 250. Ein junger tibetischer Hirt. (S. 199.)] + +[Illustration: 251. Älterer Tibeter. (S. 199.)] + +[Illustration: 252. Eine Gruppe Tibeter. (S. 199.)] + +[Illustration: 253. Der Lama im Gespräch mit Tibetern. (S. 210.)] + +[Illustration: 254. Die tibetischen Reiter. (S. 212.)] + +Ich konnte mit dem besten Willen nicht die Überzeugung gewinnen, daß +der Lama ein Verräter sei. Ich konnte es weder damals noch später. +Der kleine Schein von Verdacht, der einen Augenblick auf ihn fiel, +verschwand bald, und ich ließ ihn nie auch nur mit einem Worte +ahnen, daß von solchem Verdacht überhaupt die Rede gewesen war. +Vielleicht bewies er mir dafür während der langen Reise bis Astrachan +eine Anhänglichkeit und Treue, die danach strebte, einen Augenblick der +Schwäche abzubüßen und die Erinnerung an eine Feigheit auszulöschen, +die mich bloßgestellt hatte, ihm aber einen Rückzug sicherte? + ++Eine+ Sache sprach durchaus zu seinen Gunsten, und das war, daß es +ebensosehr in seinem eigenen wie in unserem Interesse lag, die Kette +von Wachtposten und Spähern, die alle von Norden nach Lhasa führenden +Wege bewachte, ~incognito~ zu durchbrechen. Denn wurden wir entdeckt +und festgenommen, so war seine Lage viel schlimmer als die unserige. +Hielt ich es für geraten, die Maske zu lüften und mich als Europäer zu +erkennen zu geben, so würde keiner es wagen, mich auch nur anzurühren, +aber der Lama, der wissentlich einen verkleideten Europäer begleitet +hatte, würde hierfür zur Verantwortung gezogen und vielleicht zu Tode +gemartert werden. Daher glaube ich nicht, daß er uns den Tibetern +preisgegeben hat. + +Daß man uns vor dem Abend des 5. August schon erwartete, ist höchst +wahrscheinlich. Bei einem Zelte hatte ein Mann gefragt, ob wir +unterwegs Europäer gesehen hätten, und einer von den Leuten der +Teekarawane hatte mich ja einfach „Peling“ genannt. + +Die Stunden vergingen, und meine Nachtwache schrumpfte zu kurzer Zeit +zusammen. Ich freute mich wirklich, daß ich einen Ruhetag vor mir +hatte und daß unsere unsichere Lage jetzt ein Ende nehmen würde. Daß +uns etwas bevorstand, war klar; aber was? Wenn je, so waren wir jetzt +mitten in einem Abenteuer, und jetzt sollten wir unser Urteil hören. + +Da wir auf allen Seiten so viele Nachbarn hatten, meinten wir, uns +einigermaßen gegen einen Überfall gesichert fühlen zu können, aber -- +keiner konnte wissen, was das für Leute waren, und einstweilen war es +noch das Klügste, die Augen offenzuhalten. Die Tiere blieben daher +festgebunden, und der Wachtdienst wurde gewissenhaft verrichtet. + +Die ganze Nacht bellten die Hunde in den Nomadenlagern ringsumher. Der +Lama glaubte, daß die Nomaden von Zelt zu Zelt gingen, von uns und +unserer Ankunft sprachen und sich auf etwas vorbereiteten. An mehreren +Stellen sah man Feuer durch das nächtliche Dunkel lodern. + + + + +Siebzehntes Kapitel. + +In Gefangenschaft der Tibeter. + + +Am 6. August sollte sich unser Schicksal entscheiden. Schon gleich nach +Sonnenaufgang besuchten uns drei Tibeter, aber andere als die gestrigen +Inquisitoren. In gebührender Entfernung banden sie ihre Pferde, indem +sie ihnen mit einem Stricke die Vorderbeine zusammenschnürten, nahmen +dann am Feuer Platz und stopften ihre Pfeifen mit hellem, trockenem, +feinkörnigem Tabak von wenig aromatischem Duft. Ihr eigentliches +Anliegen schien Untersuchung meiner Augen zu sein, denn sobald ich +mich zwischen zweien von ihnen niedergelassen hatte, baten sie mich, +meine schwarze Brille abzunehmen. Nun hatten sie wohl gedacht, daß alle +Europäer blond sein und blaue Augen haben müßten, denn sie konnten +ihre Verwunderung darüber, daß meine Augen ebenso rabenschwarz waren +wie ihre eigenen, nicht unterdrücken. Sie waren sichtlich „betroffen“, +nickten mir freundlich zu und sprachen schnell und eifrig miteinander. + +Ihre Bitte, unser Arsenal sehen zu dürfen, wurde mit dem größten +Vergnügen bewilligt, da unsere Waffen ihnen ohne Zweifel imponieren +würden. Schagdur beschrieb sein Magazingewehr, und ich den +Offizierrevolver. Als wir ihnen zeigten, wie die Patronen eingeschoben +wurden, schüttelten sie den Kopf und baten uns, unsere Mordwaffen +wegzulegen. + +Bald darauf hielten sie es für das Sicherste, sich zurückzuziehen. +Doch teilten sie uns vorher noch mit, daß es von hier bis Lhasa eine +Reise von drei Monaten sei, -- um uns gründlich vom Weiterziehen +abzuschrecken, möglicherweise aber auch in der Hoffnung, daß wir +dadurch bewogen würden, freiwillig umzukehren. Ich bat den Lama, ihnen +zu sagen, daß es uns nicht eingefallen sei, uns darüber Auskunft zu +erbitten, da wir im Lande reichlich so gut Bescheid wüßten wie nur +einer von ihnen (Abb. 253). Sie gingen langsam, vorsichtig und -- +rückwärts zu ihren Pferden und führten diese, bis sie sich außer +Schußweite glaubten; anscheinend waren sie der Meinung, daß wir unsere +Flinten an ihnen erproben würden. + +Dann wurden wir eine halbe Stunde in Ruhe gelassen. Hierauf erschienen +vier Männer, die sich unserem Zelte zu Fuß näherten. Drei von ihnen +hatten langes schwarzes Haar, sahen schmutzig aus und waren mit +Säbeln und Pfeifen versehen, der vierte aber war ein hochgewachsener, +kurzgeschorener, grauhaariger Lama in rotem Gewande mit gelber Mütze. +Er machte den Eindruck eines wackeren Mannes; eines solchen bedurften +wir gerade unter den jetzigen mißlichen Verhältnissen zur Verhandlung. +Er musterte mich durchaus nicht mit indiskreten Blicken und erlaubte +sich keine dreisten Fragen. Das einzige, was er wissen wollte, war die +Stärke unseres Hauptquartiers, und darüber wurde ohne Umschweif Bericht +erstattet. + +Der alte Mann, der ein erfahrenes, respektables Aussehen hatte, +erklärte mit verblüffender Sicherheit: + +„Ihr müßt drei oder höchstens fünf Tage hierbleiben. Heute früh haben +wir Kuriere an den Gouverneur von Nakktschu geschickt und angefragt, +ob ihr weiterreisen dürft oder nicht. Als Antwort auf unser Schreiben +trifft entweder ein Brief mit Verhaltungsbefehlen ein oder Kamba Bombo, +der Gouverneur, kommt selbst, und bis dahin seid ihr in jedem Falle +unsere Gefangenen. Es würde uns das Leben kosten, wenn wir euch hier +durchließen und es sich nachher herausstellte, daß ihr Leute seid, +die zu der Reise nach Lhasa nicht berechtigt sind. Der Gouverneur von +Nakktschu ist unser nächster Vorgesetzter, dem wir zu gehorchen haben, +und wir müssen seine Befehle einholen.“ + +Mein Vorschlag, durch einen besonderen Kurier in Lhasa anfragen zu +lassen, wurde verworfen, da es einen Monat dauern könne, bis die +Antwort käme. Ebensowenig Lust hatten sie, auf meinen Vorschlag, daß +wir selbst nach Nakktschu reiten könnten, einzugehen. Wahrscheinlich +sagten sie sich, daß wir, einmal in Freiheit, Nakktschu vermeiden und +nach Lhasa weiterreiten würden. Alle Unterhandlungen waren unnötig; sie +wußten, was ihnen zu tun oblag, und wir waren in ihrer Gewalt. + +Daß wir zu der großen Karawane, die von Norden gekommen war, gehörten, +war ihnen klar, ebenso erkannten wir deutlich, daß sie damit bereits +vertraut waren und uns nur auf die Glaubwürdigkeit unserer Aussagen +prüfen wollten. + +Inzwischen kaufte uns der Alte eine Teetasse ab und teilte uns mit, daß +uns alles, dessen wir bedürften, zur Verfügung gestellt werden würde. + +Im Laufe des Gesprächs erwähnte der Greis seinen Rang als Lama, was +unserem guten Schereb Lama sichtlich außerordentlich imponierte, +denn er erhob sich, drückte seine Handflächen gegeneinander und +berührte die Stirn des Alten mit der seinen. Von beiden Seiten +wurden die gebräuchlichen Höflichkeitsbezeigungen beobachtet und mit +Versicherungen von Freundschaft und Achtung nicht gegeizt. Nach einer +Weile entfernten sich auch diese Gäste. + +Jetzt glaubten wir, daß man uns für heute in Frieden lassen werde; +doch schon nach ein paar Minuten ereignete sich etwas, das uns mit der +größten Unruhe erfüllte. Von allen Seiten versammelten sich bei dem +kleinen Zeltlager, das einen Kilometer von dem unsrigen aufgeschlagen +war, kleine Gruppen von Reitern, die bis an die Zähne mit Spießen, +Lanzen, Säbeln und langen, schwarzen Gabelflinten bewaffnet waren (Abb. +254). Einige trugen hohe, weiße Filzhüte mit Krempen, andere dunkle +Binden, und alle waren sie in Mäntel gehüllt, die braun, rot, schwarz +oder grau waren. Sie sahen wie richtige Banditen aus, waren aber +entschieden Soldaten, die mobilgemacht wurden, um das südliche Tibet +gegen unseren drohenden Einfall zu verteidigen. Woher kamen sie, wie +hatten sie so schnell bereit sein können? Sie schienen wie Pilze aus +der Erde zu schießen; es wurde ganz schwarz um die Zelte herum, und wir +konnten eine Kavallerietruppe von 53 Mann zählen. Sie berieten sich +unter lebhaften Gesten, saßen ab, schlugen ein großes, weißes Zelt auf +und ließen sich in einzelnen Gruppen an den Feuern nieder, uns drei +arme Pilger schienen sie aber nicht weiter zu beachten. + +Mit der größten Spannung beobachteten wir sie durch das Fernglas. Der +Lama war sehr niedergeschlagen und glaubte, man habe die Absicht, uns +umzubringen. Freilich kamen wir uns einer solchen Übermacht gegenüber +begreiflicherweise alle drei recht ohnmächtig vor, aber ich glaubte +doch, daß es, falls wirklich die Absicht uns zu töten vorlag, hierzu +nicht eines so großen Truppenaufwandes bedürfte und es sich überdies +auch viel besser durch einen nächtlichen Überfall bewerkstelligen ließe. + +Der Tag war regnerisch und rauh, und manchmal verhüllten Nebel und +Regen die Aussicht. Wir wunderten uns und besprachen uns über die +Bedeutung der Maßnahmen der Tibeter. Wie als Antwort auf unsere +Fragen führten sie jetzt eine Bewegung aus, die nicht geeignet war, +uns zu beruhigen. Nachdem sieben Reiter in schnellem Trab nach Osten, +wahrscheinlich nach Nakktschu, und zwei nach der Seite von Lhasa +fortgeritten waren, sprengten die übrigen in dichtem Haufen über die +Ebene des Kesseltales gerade auf unser Zelt los. Einen Augenblick +sah ich unsere Lage wirklich für mehr als kritisch an. Wir hielten +daher unsere Waffen bereit und saßen oder standen am Eingange unseres +Zeltes. Die Tibeter schwangen ihre Lanzen und Speere über dem Kopfe +und heulten wie die Wilden (Abb. 255); sie stürmten einher wie zu +einem Reiterangriff, die Hufe der Pferde klappten auf dem durchnäßten +Boden, und der Schmutz spritzte von der rasenden Bewegung nach allen +Seiten. Einige Männer schwangen ihre Säbel und schienen Kommandorufe +auszuteilen. + +Die Schar war nicht mehr weit vom Zelt entfernt, als die Reiter ihre +Pferde herumwarfen, teils nach rechts, teils nach links, um in zwei +Gruppen nach dem Ausgangspunkt zurückzukehren. Dasselbe Manöver wurde +ein paarmal wiederholt, und einige kleinere Gruppen umkreisten unseren +Lagerplatz. Es lag entschieden die Absicht vor, uns gebührenden Respekt +einzujagen, was uns um so klarer wurde, als sie wieder absaßen und +mit ihren langen schwarzen Gabelflinten nach der Scheibe zu schießen +begannen. + +Um 2 Uhr wurde uns noch eine Vorstellung gegeben. Die Tibeter saßen +wieder auf, wickelten sich in ihre Mäntel und ritten, während der +Regen in dicken Strahlen auf die Erde fiel, nach Nordwesten, d. h. +nach der Seite, von der sie gekommen waren. Jetzt wurde ich wirklich +unruhig und fürchtete, daß sie beabsichtigten, das Hauptquartier zu +überfallen, während wir von ihm abgeschnitten waren, und ich empfand +große Sehnsucht, zu den Unsrigen zurückzukehren. + +Nachdem das Feld geräumt war und wir wenigstens in unserer +unmittelbaren Nähe wieder Ruhe hatten, tauchten zwei Nomaden auf, die +uns vom nächsten Zeltdorfe Fett und saure Milch brachten und erklärten, +daß ihr Häuptling ihnen verboten habe, sich dafür bezahlen zu lassen. +Als wir ihnen eine Porzellantasse schenken wollten, sagten sie, daß +sie das Geschenk ohne Erlaubnis des Häuptlings nicht annehmen könnten, +kamen aber später mit dem Bescheid wieder, daß ihm der Tausch recht sei. + +Auf diese Weise sorgten unsere Nachbarn den ganzen Tag für unsere +Unterhaltung. Die letzten und ausdauerndsten waren jedoch vier Männer, +die uns gegen 3 Uhr besuchten. Einer von ihnen war ziemlich frech +und untersuchte alle umherliegenden Sachen. Dabei kam ein Kompaß zum +Vorschein, der bei ihm großes Interesse erregte. Er fragte, was das +sei, und erhielt eine genaue Beschreibung, wobei er sagte: + +„Freilich, freilich, solche haben die Chinesen auch.“ + +Ein paarmal zeigte er auf mich und erklärte: + +„Der da ist kein Burjate.“ + +Er war außergewöhnlich zudringlich und fragte, wie es komme, daß wir +diese kleine Seitenstraße eingeschlagen hätten, statt dem großen +Pilgerwege zu folgen. + +„Wißt ihr nicht, daß es euch den Kopf kosten kann, daß ihr diesen Weg +gegangen seid? Alle, die auf diesem Wege nach Lhasa gehen, werden +hingerichtet.“ + +Der Lama versuchte die Situation zu retten, indem er erklärte, daß +wir die große Karawane vom Lop-nor an begleitet hätten und es unsere +Absicht sei, von hier nach Lhasa zu gehen. Der Mann erwiderte darauf, +daß nur der Gouverneur von Nakktschu die Erlaubnis dazu erteilen könne. + +Im übrigen waren sie freundlich und ungezwungen und versprachen uns +morgen allerlei Lebensmittel zu schenken. Als wir diese lästigen +Spione gar nicht loswerden konnten, gingen wir ins Zelt und legten uns +schlafen. Aber nicht einmal das half. Der Himmel war wieder dunkel +und die Wolkendecke dichter geworden, und als wieder ein Platzregen +herabströmte, krochen sie alle vier in das Zelt, wo wir es selbst unter +gewöhnlichen Verhältnissen ziemlich eng hatten. Erst in der Dämmerung +gingen sie ihrer Wege. + +Der Regen stürzte hernieder, mit Hagel und Schnee untermischt. Der +Boden war da, wo das Zelt stand, ein wenig abschüssig, und ein kleiner +Bach bildete sich zwischen den Zeltstangen längs der Filzdecke, auf der +ich lag. Wir mußten in die Nässe hinaus und Kanäle graben, um nicht +ganz überschwemmt zu werden. + +Wir saßen dann noch bis 10 Uhr plaudernd und rauchend bei unseren +Holznäpfen mit saurer Milch. Ein kleines Talgflämmchen verbreitete +ein schwaches Licht in unserer ungemütlichen Wohnung. Eintönig schlug +der Regen auf das Zelttuch. Draußen war es so finster wie in einem +Sack, und die Hunde waren verdrießlich über das schlechte Regenwetter. +Infolge der Versicherungen des alten Lamas ließen wir unsere Tiere +diese Nacht ohne Aufsicht draußen umherlaufen. Ich sagte mir, daß +keiner Lust haben würde, uns der Möglichkeit zu berauben, das Land zu +verlassen; es lag ja in ihrem eigenen Interesse, uns möglichst schnell +loszuwerden. Doch als er uns angeboten hatte, vier Wächter vor unser +Zelt zu stellen, hatten wir uns für solche Auskundschafterei bedankt. +In weiterer Entfernung wurden wir jedoch von -- wie wir später hörten +-- 37 Wachtposten bewacht! Nachts sah man, besonders auf dem Wege nach +Lhasa, die Lagerfeuer derselben schwach durch den Regennebel leuchten. + +Jetzt schliefen wir alle drei gleichzeitig, ohne uns um die Tiere oder +den Regen zu kümmern. Die Müdigkeit infolge des forcierten Rittes +machte sich geltend. Ich wurde bei Tagesanbruch durch das Stimmengewirr +der ersten heute zu Besuch kommenden Tibeter geweckt. Im Laufe des +Tages (7. August) kamen sie gruppenweise, so daß wir kaum eine halbe +Stunde allein sein konnten. Beständig tauchen neue Gesichter auf, +und selten kommt derselbe Mann zweimal. Es ist, als würde die Wache +beständig abgelöst. Nur der Dreiste von gestern machte uns auch heute +einen Besuch und schenkte uns einen Napf voll saurer Milch, einen Sack +voll trocknen, vortrefflichen Argols und einen Blasebalg, der uns +besonders nötig war. + +Ein anderer Tibeter blieb volle drei Stunden bei uns, trank Tee und aß +Tsamba mit uns, rauchte und tat, als sei er hier zu Hause. Sein Gesicht +war von einem förmlichen Urwalde schwarzer, zottiger Haarsträhnen ohne +eine Spur von Ordnung umgeben. Die „Locken“, die die Augen verdecken, +sind gestutzt und tragen keineswegs zur Verschönerung des Ganzen +bei; ein Teil des Nackenhaares ist jedoch in einen Zopf geflochten. +Dieser ist unten mit einem mit Perlen oder gefärbten Steinen besetzten +Bande zusammengebunden und mit einem oder mehreren „Gavo“ oder +Götzenbilderfutteralen geschmückt. Beim Reiten wird der Zopf um den +Kopf oder Hut gewunden. + +Dieser Mann, der nicht wieder gehen wollte, verriet uns zu deutlich, +daß er ein Spion war, der den Auftrag erhalten hatte, uns in der Nähe +zu beobachten. Er war aufrichtig genug, uns zu bitten, über Nacht +nicht durchzubrennen, da es ihm sonst das Leben kosten würde. Nach +Lhasa seien es noch fünf Tagereisen, sagte er. Doch gibt es dorthin +entschieden auch eine organisierte reitende Post mit Pferdewechsel, +denn wir machten später ausfindig, daß ein dorthin gesandter Eilbote +in zwei Tagen Antwort brachte, also einen Tag bis Lhasa und einen Tag +von Lhasa gebraucht hatte. Das Tal, in dem wir uns befanden, hieß ++Dschallokk+ und der uns im Westen zunächstliegende Berg +Bontsa+. + +Als der lästige Gast uns endlich verlassen hatte, um nach seinem +Zeltdorfe zurückzukehren, begegnete er drei Reitern, die sich wohl eine +halbe Stunde mit ihm unterhielten. Sie fragten ihn sicher darüber aus, +was für Beobachtungen er habe machen können und was für Fragen wir an +ihn gerichtet hätten. Sie machten sich daher nicht mehr die Mühe, uns +ebenfalls zu besuchen, sondern kehrten wieder um, nachdem sie unsere +Maulesel und Pferde nach einem anderen Weideplatze getrieben hatten. +Frühmorgens konnten wir unsere Tiere nicht finden, aber vormittags +kamen sie wieder ins Lager, wahrscheinlich von irgendeinem entfernteren +Platze, wohin man sie für die Nacht gebracht hatte. Vermutlich sollte +uns dadurch, daß man die Tiere nachts von uns entfernt hielt, jegliche +Möglichkeit zum Entfliehen genommen werden. + +Unter den heutigen Gästen war ein langhaariger Greis, dem die anderen +mit einer gewissen Achtung begegneten. Er redete viel und gern und +wurde mit der größten Aufmerksamkeit angehört. Der Lama fing einiges +von seinen zur Hälfte geflüsterten Reden auf. + +„Diese drei Männer“, sagte er, „sind nicht von der allerbesten Sorte; +nach Lhasa dürfen sie natürlich nicht. Kamba Bombo kommt in zwei, drei +Tagen, und dann wird man ja sehen. Inzwischen müssen wir dafür sorgen, +daß es ihnen an nichts fehlt; alles, was sie brauchen, soll ihnen +geschenkt werden, und keiner darf Bezahlung annehmen. Wenn sie zu +entfliehen suchen, sei es bei Tag oder bei Nacht, sollen die Wächter +es mir sofort melden. Amgon Lama hat die heiligen Bücher befragt und +gefunden, daß diese Männer zweideutige Persönlichkeiten sind, die nicht +nach Lhasa dürfen. Der Jäger Ondschi hat sie vor langer Zeit im Gebirge +in der Gegend von Merik-dschandsem gesehen und gesagt, die Karawane sei +bedenklich groß. Nachricht hiervon wurde sogleich nach Lhasa geschickt.“ + +„Glaubte Amgon Lama, daß der da ein Burjate ist?“ fragte einer, auf +mich zeigend. + +„Er sagte, daß er dies nicht feststellen könne“, antwortete der Alte. + +Jede Auskunft von seinen Lippen beantworteten die anderen mit „Lakso, +lakso“, welches Wort Ehrfurcht, Gehorsam und Folgsamkeit ausdrückt. +Unser armer Lama Schereb gebraucht es unausgesetzt, wenn er mit den +Tibetern redet, vor denen er fast zittert und mit denen er in einem +weinerlichen, unterwürfigen Tone spricht. Er sieht unser Schicksal in +den allerschwärzesten Farben und befürchtet das Schlimmste. + +Auch heute streiften Reiter in der Gegend umher. Bald kamen sie an, +bald ritten sie fort. Die größte Schar zählte 10 Mann. Es hatte +entschieden eine vollständige Mobilmachung stattgefunden. Einer unserer +Gäste gestand aufrichtig ein, daß sie gegen unser großes Lager im +Gebirge gerichtet sei. Ein anderer sagte, es seien nur Patrouillen und +Kundschafter, die das Land zu bewachen und aufzupassen hätten, daß sich +keine Feinde einschlichen. Um uns selbst war ich nicht im geringsten +in Sorge, wohl aber des Hauptquartieres wegen. Wären wir nicht die +Gefangenen der Tibeter gewesen, so hätte ich dorthin zurückkehren +mögen, um eventuell zu seiner Verteidigung beizutragen. + +8. August. Die ganze Nacht regnete es in Strömen. Ich erwachte halb +erstickt von dem gräßlichen Rauche, der das Zelt füllte, durch dessen +Tuch die Regentropfen wie feiner Sprühregen drangen. Der Morgen war +naßkalt und die Luft wie in einem Keller. Und dabei sollte noch Brot +gebacken werden! Fort mit dem Zelttuch und frische Luft hereingelassen, +wenn es auch noch so sehr regnet! Recht bequem ist es, daß man sich +bloß aufzurichten braucht, um gleich fertig zu sein; ein weiteres +Toilettemachen kommt überhaupt nicht in Frage. Eine dicke Rußschicht +hat sich auf dem Fette, mit dem mein Gesicht zuletzt eingerieben worden +ist, abgelagert. + +[Illustration: 255. „Die Tibeter schwangen ihre Lanzen und Speere über +dem Kopfe und heulten wie die Wilden.“ (S. 212.)] + +[Illustration: 256. Zelte tibetischer Häuptlinge. (S. 221.)] + +Die Visiten wurden in gewohnter Weise fortgesetzt und stellten unsere +Geduld auf die Probe. Zuerst erschienen fünf Leute mit einem Schafe +und fragten, ob wir sonst noch etwas wünschten. Wir bestellten Fett, +Butter, süße und sauere Milch und erhielten sofort alles in viel +größeren Mengen, als wir bewältigen konnten, selbst wenn wir uns von +den Hunden helfen ließen. Sie fragten uns, ob unser großes Lager +auch nahe genug bei einem Nomadenlager liege, so daß die Unseren +alles, was sie an Proviant brauchten, erhalten könnten. Dies klang +wenigstens beruhigend, und ich begann wieder daran zu zweifeln, daß +die Mobilmachung unserem Hauptquartier gelte. Ferner war die Nachricht +gekommen, daß Kamba Bombo von Nakktschu und Nanso Lama unterwegs seien +und morgen hier eintreffen würden. + +Darauf begann das Kreuzverhör von neuem, aber jetzt erklärte ich rund +heraus, daß sie sich gefälligst gedulden möchten, bis Kamba Bombo +angelangt sei; er solle alles erfahren, was er zu wissen brauche, +sie jedoch gehe es gar nichts an, wer wir seien. Wenn sie nicht +aufhörten, uns tagtäglich mit denselben dummen, zudringlichen Fragen zu +überhäufen, würden wir sie künftig nicht mehr ins Zelt hineinlassen. +Da verbeugten sie sich ganz verdutzt, murmelten ihr höfliches „Lakso“ +und schwiegen. Der Lama erklärte, daß sie fürchterlichen Respekt vor +mir hätten. Ich kam mir ungefähr vor wie Karl XII. in der Türkei. Wir +waren in ein fremdes Land eingedrungen, ein lächerlich kleiner Haufe +gegen eine erdrückende Übermacht. Die Tibeter verhinderten uns, dorthin +zu gehen, wohin wir wollten, zugleich aber war es ihnen darum zu tun, +uns möglichst schnell wieder loszuwerden. Wir waren gleichzeitig ihre +Gäste und ihre Gefangenen, und sichtlich war höheren Ortes Befehl +erteilt worden, daß wir mit größter Rücksicht behandelt werden sollten +und uns kein Leid zugefügt werden dürfe. Nur der Lama war düster und +schwermütig. Er erinnerte sich ganz genau Kamba Bombos von Nakktschu, +der die mongolische Pilgerkarawane, mit welcher der Lama nach Lhasa +gereist war, so gründlich untersucht hatte. Wenn Kamba Bombo ihn +wiedererkennen sollte, sei er verloren, und auch im entgegengesetzten +Falle sei sein Schicksal mehr als ungewiß. Er erzählte von einem +mongolischen Lama, der durch irgendein Vergehen sein Recht, die +heilige Stadt zu besuchen, verwirkt habe und der, um sein Vergehen +abzubüßen, von Da-kuren (Urga) nach Lhasa -- in Gebetstellung, d. h. +auf den Knien, gerutscht sei. Er habe sich mit den Händen auf die Erde +gestützt, die Knie nachgezogen, die Hände weiter gesetzt, und so habe +er die ganze lange Reise gemacht, zu der er sechs Jahre gebraucht habe! +Und als er nur noch eine Tagereise vom Stadttore entfernt gewesen +sei, habe ihm der Dalai-Lama das Betreten der Stadt untersagt, und +unverrichteter Dinge habe er wieder umkehren müssen. Der Lama sagte +noch, daß der Mann seinen Bußgang auf den Knien, die schließlich hart +und hornig wie die Liegeschwielen der Kamele geworden seien, noch +zweimal wiederholt habe, aber das Herz des Dalai-Lama doch nicht +erweicht worden sei. + +„Und wie“, fügte er hinzu, „wird es mir jetzt ergehen, da ich mich +versündigt habe, indem ich mit euch hierhergekommen bin? Wenn sie mich +auch am Leben lassen, so ist doch meine Laufbahn zu Ende, und ich darf +Lhasa nie wiedersehen.“ + +Ein paar hundert Meter südlich von uns wurde heute ein Zelt +aufgeschlagen, in welchem der Spion von gestern, Ben Nursu, wie er uns +selbst offenherzig mitgeteilt hatte, künftig residieren sollte, um uns +unter Augen zu haben. + +Um die Mittagszeit sahen wir 15 Reiter nach Süden sprengen; wir nahmen +an, daß sie dem Kamba Bombo, der wahrscheinlich nicht mehr sehr weit +entfernt sein konnte, entgegenritten. + +Nach Tisch schliefen wir ein paar Stunden und wurden wenigstens da in +Ruhe gelassen. Schlafen, Essenkochen, Speisen und Milchtrinken sind +eigentlich das einzige, womit wir während unserer unfreiwilligen, die +Geduld auf die Probe stellenden Gefangenschaft die Zeit totschlagen +können. Wir liegen, dehnen uns und schlummern, wir entfernen uns keine +50 Schritt vom Zelte, wir sitzen stundenlang vor der Zeltöffnung und +beobachten die Tibeter, ihr Tun und Lassen, ihre schwarzen Zeltdörfer +und ihre Herden. Wir sehnen uns danach, daß die Zeit vergehe und Kamba +Bombo komme, aber eigentlich ist es ein Trost, daß wir nicht in diesem +ewigen Regen zu reiten brauchen, wo es überall kalt, rauh, grau, naß +und dunkel ist. + +Beständig tauchen neue, unbekannte, neugierige Gesichter um uns herum +auf. Der einzige wirkliche Stammgast in unserem Zelte ist Ben Nursu, +der beinahe bei uns wohnt und mit uns ißt. Dafür muß er sich aber +auch nützlich machen; er muß Leben ins Feuer blasen, wenn es regnet. +Es kommt beinahe nie vor, daß uns jemand besucht, ohne etwas Eßbares +mitzubringen. Sie nehmen sich unserer mit rührender Fürsorge an. Wie +man sagt, geschieht dies auf besonderen Befehl des Dalai-Lama. Die +Behörden in Lhasa erhalten ganz gewiß täglich Bericht aus unserem +Lager. Die Reiter, die aus jener Richtung kommen und dorthin reiten, +sind Kuriere und Eilboten. Wir erfuhren auch, daß die Lebensmittel, die +wir von den Nomaden erhalten, ihnen später aus Lhasa ersetzt werden. +Auf dieselbe Weise wird bei einer Mobilmachung verfahren. Die Soldaten +sind berechtigt, sich alles, was sie wollen, von den Nomaden zu nehmen, +und diese erhalten dafür Entschädigung aus der Hauptstadt. Wir hatten +also durch unseren friedlichen Zug den Tibetern entsetzlich viel Mühe +gemacht, und Dschallokk war gewissermaßen ein militärischer Knotenpunkt +geworden. Es wimmelte hier von Stafetten, Spionen, Kundschaftern +und Kurieren. Das Land erhob sich wie zur Verteidigung gegen einen +feindlichen Einfall. Man würde uns nicht geglaubt haben, wenn man +erfahren hätte, wie unschädlich wir selbst und wie wenig böse unsere +Absichten waren. + +Gegen 2 Uhr guckte die Sonne eine Weile hervor und warf ihren grauen +Schleier ab, der übrigens zu der Situation gut paßte. Sieben Tibeter +leisteten uns am Feuer im Freien Gesellschaft. Während wir in +eifrigster Unterhaltung waren, erschien im Südosten eine Reiterschar. +Sie ritt schnell gerade auf das Zelt los. + +„Ha“, riefen die Männer, „da haben wir den Bombo von Nakktschu!“ + +Wir erhoben uns und erwarteten die Fremden; als sie jedoch näherkamen, +sahen unsere Gäste, daß es nicht der Gouverneur selbst war, sondern nur +sein mongolischer Dolmetscher in Begleitung von vier Häuptlingen aus +der Nachbarschaft mit ihrem Gefolge. + +Der Dolmetscher war ein geborener Tibeter, und sein Mongolisch war +bedeutend schlechter als meines, aber er war ein angenehmer, heiterer +Mensch und nicht im geringsten zudringlich. Er erzählte, daß, sobald +die Nachricht von unserer Ankunft nach Nakktschu gelangt sei, Kamba +Bombo ihm befohlen habe, hierher vorauszureiten, der Gouverneur selbst +werde aber so schnell wie möglich nachkommen. Im Nu saß der arme +Dolmetscher im Sattel und ritt mit seinen Begleitern Tag und Nacht in +strömendem Regen nach Dschallokk. Hier rasteten sie nicht einmal bei +den Zelten der Tibeter, sondern begaben sich direkt zu uns. + +Jetzt begann das Verhör wieder, und zum zwanzigsten Male mußten wir das +Hauptquartier und seine Besatzung ausführlich beschreiben. Trotzdem +sie ohne Zweifel durch Spione über die Karawane unterrichtet waren, +war es schwer, die Neuangekommenen dahin zu bringen, daß sie unseren +Worten glaubten. Sie bildeten sich ein, daß unser Hauptquartier +nicht unsere ganze Stärke ausmache, sondern nur der Vortrab sei, dem +Tausende von Soldaten folgen würden. Diese Furcht verdrängte alle +kritischen Spekulationen in betreff meiner wirklichen Nationalität. Der +Dolmetscher sagte, es spiele gar keine Rolle, woher und von welchem +Stamme wir seien; nach Lhasa dürften wir unter keinen Umständen +reisen, sondern müßten von hier nach unserem Hauptquartiere im Gebirge +zurückkehren. Zuleide werde uns jedoch nichts getan werden, denn in +dieser Beziehung habe der Dalai-Lama seine Befehle gegeben. + +Jetzt begannen Schagdur und ich auf Mongolisch derart zu predigen, daß +dem armen Dolmetscher die Ohren gellten. Wir sagten, der Dalai-Lama +habe Burjaten, die auf russischem Gebiete wohnen, nie verboten, die +Wallfahrt nach Lhasa zu machen. Es könne Kamba Bombo den Kopf kosten, +wenn er sich unterstehe, uns an der Weiterreise zu verhindern. Ihn +holen zu lassen, sei ganz unnötig, da wir auf jeden Fall nur mit einem +hohen Beamten aus Lhasa verhandeln würden. + +Alles, was wir sagten, übersetzte der Dolmetscher seinen Kameraden, +die mit ernster Miene zuhörten. Von Rußland und Indien hatten sie sehr +dunkle Begriffe, und was von der Macht und Größe dieser Reiche gesagt +wurde, imponierte ihnen nicht im geringsten. + +Schließlich gingen wir darauf ein, daß ein Kurier an Kamba Bombo +geschickt werde, um ihn zu ersuchen, sich zu beeilen, -- aber nur +unter der Bedingung, daß gleichzeitig ein Eilbote nach Lhasa abgehe. +Der Dolmetscher war in jeder Beziehung ein Gentleman, nur darin nicht, +daß er unaufhörlich um Branntwein bat, eine Ware, die unsere Kisten +nicht enthielten. Wir sagten ihm, wir seien hier in ein merkwürdiges +Land geraten, wo friedliche Reisende nicht einmal vor Räuberüberfällen +sicher seien. Er schien von dem Pferdediebstahl zu wissen und +versicherte, der Wert der Tiere werde uns zu unserer völligen +Zufriedenheit ersetzt werden und wir hätten nur zu befehlen, falls wir +etwas wünschten. Wir hätten gesagt, daß zwei Europäerhäuptlinge in +unserem Hauptquartier seien, und er bitte um ihre Namen. „Sirkin und +Tschernoff“, antworteten wir; die Namen wurden aufgeschrieben. Als er +aber nach unseren Namen fragte, wurde ihm der Bescheid, daß ihn dies +gar nichts angehe und wir nur mit vornehmeren Herren verhandeln würden. + +Nachdem sie uns endlich verlassen hatten, blieben wir wie gewöhnlich +noch lange sitzen und sprachen über die Tageserlebnisse und die +Aussichten für die nächste Zukunft, die für den Lama nicht besonders +gut waren. Um unsere Tiere bekümmerten wir uns nicht mehr. Sie waren +bei den Tibetern gewissermaßen in Pension, und wir sahen sie gar nicht. + +Am 9. August herrschte wieder Leben und Bewegung in unserem offenen +Kesseltale. Eine Menge Reiter und Patrouillen zogen nach Südwesten +die nächsten Berghöhen hinauf und trieben die Herden dorthin. Von +allen Seiten ertönte Geschrei und Pferdegetrappel, das Blöken der +Schafe und das verdrießliche Grunzen der Yake. Von den Zelten unserer +Nachbarn ritten kleine Reiterscharen nach Nakktschu und nach Lhasa. Es +gelang uns nicht zu ergründen, was alles dieses bedeutete; es hatte +den Anschein, als beabsichtigten die Nomaden, ihre Wohnsitze nach +anderen Weidegründen zu verlegen, aber Schereb Lama, der hier alles +in schwarzem Lichte sah, glaubte, daß sie das Feld räumten, um freien +Spielraum zu haben, wenn der große, vernichtende Reitersturm gegen +unser Zelt gerichtet würde. + +Um 10 Uhr erschien unser Freund, der Dolmetscher, von drei anderen +Männern begleitet. Wir baten ihn, diese fortzuschicken, um mit ihm über +verschiedene wichtige Angelegenheiten verhandeln zu können. Hiergegen +protestierte er aber auf das Bestimmteste; es war ihm wohl unheimlich, +mit so zweideutigen Personen allein zu sein. Er hatte übrigens, wie er +sagte, einen besonderen Auftrag auszurichten und würde uns, sobald dies +geschehen, verlassen. Er teilte uns mit, daß Kamba Bombo von Nakktschu +mit großem Gefolge angekommen sei und uns zu sehen wünsche. + +Ein ganzes Zeltdorf erhob sich ein paar Kilometer von uns entfernt auf +der Straße nach Lhasa (Abb. 256). Eines der Zelte hatte bedeutende +Dimensionen; es war glänzend weiß und oben blaugestreift; die anderen, +die es umgaben, waren kleiner, und von mehreren von ihnen stiegen +Rauchsäulen auf. Um das „Dorf“ herum schwärmten Massen von Reitern. +Der Lama konnte das Fernglas nicht von seinen Augen nehmen und sich +nicht von diesem großartigen Anblicke losreißen; unablässig starrte +er dorthin und war augenscheinlich eine Beute immer größer werdender +Unruhe. + +Der Auftrag des Dolmetschers bestand darin, uns in Kamba Bombos Namen +einzuladen, uns mit Sack und Pack in seiner unmittelbaren Nachbarschaft +anzusiedeln und heute bei dem mächtigen Gouverneur ein Gastmahl +einzunehmen. In einem der Zelte tische man bereits die Gerichte auf. +In der Mitte stehe ein ganzes gebratenes Schaf, umgeben von Schalen +für Tee und Tsamba, und bei unserer Ankunft würden wir jeder mit einer +„Haddik“ beehrt werden, mit einer dünnen, hellen Binde, welche Mongolen +und Tibeter vornehmen Gästen als Ehrfurchtsbezeugung überreichen. + +Auf diese Einladung antwortete ich, ohne mich einen Augenblick zu +bedenken, daß wenn Kamba Bombo eine Spur von Manier besitze, es seine +Pflicht sei, uns erst einen Besuch zu machen, bevor er uns zum Gastmahl +einlade; überdies hätten wir noch nie von ihm gehört und wüßten gar +nicht, ob er überhaupt das Recht habe, uns gegenüber als zuständige +Behörde aufzutreten. Er werde sich wohl nicht einbilden, daß wir seiner +Aufforderung, unseren Lagerplatz zu wechseln, gehorchten; wenn ihm +daran liege, uns als Nachbarn zu haben, so stehe es ihm frei, seine +Zelte in unserer Nachbarschaft aufzuschlagen. Wir wollten nichts von +ihm und hätten nicht nach ihm geschickt; wünsche er uns zu sehen und +mit uns zu sprechen, so sei es ihm unbenommen, jederzeit unser Zelt zu +besuchen. Während der Tage, die wir in Dschallokk zugebracht, hätten +wir hinsichtlich der Dreistigkeit der Tibeter viel zu gründliche +Erfahrungen gemacht, um uns freiwillig zu Nachbarn von Kamba Bombo +und seinem Gefolge zu machen. Wir seien friedliche Fremdlinge aus +dem Norden, die das Recht hätten, die Wallfahrt zu machen, und jetzt +wünschten wir nur zu erfahren, ob uns der Weg nach Lhasa offenstehe +oder nicht; wenn nicht, würden wir sofort nach unserem Hauptquartier +zurückkehren, und Kamba Bombo selbst habe die Verantwortung für die +Folgen zu tragen. + +Mit allem diesen und noch mehrerem wurde der arme Dolmetscher +traktiert, der in seiner unangenehmen Unterhändlerstellung, die er +bekleidete, sich wie ein Wurm wand. Er bat und flehte und bediente +sich seiner ganzen Überredungskunst, aber wir blieben unbeweglich. +„Das Gastmahl ist bereitet, und man erwartet euch; wenn ihr nicht +kommt, trage ich die Schuld, falle in Ungnade und werde verabschiedet.“ +Er bestürmte uns über zwei Stunden; als ich jedoch meinen Entschluß +nicht änderte, erhob er sich, um aufs Pferd zu steigen. Noch im Sattel +bat er, wir möchten uns doch besinnen, und versicherte, daß uns kein +Leid widerfahren werde. Ich antwortete ihm nur, es sei uns vollkommen +gleichgültig, welchen Bescheid er dem Bombo zu bringen gedenke, aber +zum Gastmahl kämen wir nicht, und beliebe es dem Gouverneur nicht, uns +eine Visite zu machen, so werde er keinen Schimmer von uns zu sehen +bekommen. Da grüßte der Dolmetscher zum Abschied und ritt zu den Zelten +zurück. + +Es mag den Anschein haben, als sei diese Antwort auf eine freundliche +Einladung ebenso arrogant wie unhöflich und als hätten drei arme Pilger +sich einem so mächtigen, vornehmen Gouverneur gegenüber einen solchen +Ton nicht erlauben dürfen. Denn er war es, der in Nakktschu (auch +Nagtschu; der Ort liegt am Flusse gleichen Namens, der mit dem oberen +Saluen gleichbedeutend ist) residierte und dessen Pflicht es war, alle +Karawanen zu untersuchen und alle Reisenden, Pilger und Wanderer, die +sich Lhasa auf der großen Straße von Zaidam und über Tang-la nähern, +zu visitieren. Jetzt, da wirklich Gefahr im Anzug zu sein schien und +eine große europäische Karawane sich näherte, mußte er, um nicht +sein Amt und vielleicht auch das Leben zu verlieren, seine Autorität +nachdrücklich wahren. Ganz gewiß hatte er auch durch besondere Kuriere +von Lhasa Befehl erhalten, seinen Posten auf einige Tage zu verlassen +und sich nach Dschallokk zu begeben, um dort die Sachlage genau zu +untersuchen. + +Tatsächlich war es auch nicht reiner Oppositionsgeist, der unsere +Antwort so unfreundlich ausfallen ließ. Aber ringsumher hatte die +ganze Zeit über Kriegsstimmung geherrscht, die Tibeter waren mobil +gemacht und hatten ihre Streitkräfte gesammelt, und ich meinerseits +würde ihnen verziehen haben, wenn sie über unser Unterfangen, das +ja darauf ausging, sie zu überlisten, böse geworden wären. Keiner +hätte es ihnen verdenken können, wenn sie erklärt hätten: „Hier ist +ein Europäer, der sich als Burjate verkleidet hat, um nach Lhasa zu +gelangen, und hier ist ein Lama, der seine Studien in Lhasa gemacht hat +und jetzt als Führer des ersteren auftritt; laßt uns ein für allemal +ein Exempel statuieren und den beiden zeigen, daß solche Versuche +übel ablaufen!“ Noch am 9. August ahnten wir nichts von unserem +Schicksal; das einzige, was man uns mit absoluter Sicherheit gesagt +hatte, war, daß man uns unter keinen Umständen erlauben würde, uns +nach der Hauptstadt zu begeben. Jetzt grübelten wir auch darüber nach, +ob die heutigen Vorbereitungen und die Unruhe, die unter den Tibetern +geherrscht hatte, etwas Besonderes zu bedeuten hätten. War die +Einladung ein Versuch, uns in eine Falle zu locken? Zu einem Gastmahl +geht man unbewaffnet; sollten die Tibeter nur einen Vorwand suchen, +um uns von unseren Waffen, vor denen sie gehörigen Respekt hatten, zu +trennen? +Wenn+ es wirklich ihre Absicht war, uns nicht lebendig aus +der Gefangenschaft kommen zu lassen, so wollten wir wenigstens erst +die fünfzig scharfen Patronen, die wir bei uns hatten, benutzen. Es +waren schon Europäer in Tibet verschwunden -- zuletzt Dutreuil de Rhins +und Rijnhard -- wenn auch nicht so nahe bei Lhasa, wie wir uns jetzt +befanden. Ein verkleideter Europäer mußte noch viel größeren Gefahren +ausgesetzt sein; denn sollten die Tibeter hinterher je zur Rechenschaft +gezogen werden, so konnten sie mit vollem Recht sagen. „Wir haben nicht +gewußt, daß er ein Europäer war; er sagte selbst, er sei ein Burjate.“ + +Von diesem Gesichtspunkte aus hielt ich unsere Lage für ziemlich +unsicher, obgleich mehrere unserer neuen Freunde uns versichert hatten, +daß wir für Leib und Leben nichts zu fürchten hätten. Da ich mich aber +keinen Augenblick bedacht hatte, mein Leben einer so großen Gefahr +inmitten eines den Europäern feindlich gesinnten Volkes auszusetzen, +da ich das Abenteuer bis auf die Spitze getrieben hatte und so weit +gegangen war, wie es überhaupt möglich war, wollte ich das Spiel auch +auf ehrenvolle Weise beenden! + +Unseren eigenen Betrachtungen überlassen, saßen wir ein paar Stunden +am Feuer und tauschten unsere Ansichten über die kritische Lage aus. +Keine Menschen zeigten sich in unserer Nähe, nur in dem Zeltdorfe des +Gouverneurs herrschte Leben und Bewegung; dort wurde augenscheinlich +über uns Rat gehalten. Aber was sagte man, in welcher Richtung gingen +die Beschlüsse? Wir ahnten, daß eine Entscheidung nahe bevorstand. +Vielleicht hatte unsere unhöfliche Antwort Kamba Bombo beleidigt, und +er schickte sich jetzt an, uns eine ordentliche Lektion zu geben. Es +war ein entsetzlich unbehagliches Warten; ich erinnere mich dieser +langen Stunden, als wäre es gestern gewesen. + +Zwei volle Stunden waren vergangen, als es um die weißen Zelte wieder +lebendiger wurde; es gab ein Laufen und Hinundherreiten, die Tibeter +bewaffneten sich und stiegen zu Pferd. Ein ganzer Wald von Reitern +sprengte in einer schwarzen Linie auf uns los (Abb. 257). Es regnete +nicht, und wir konnten dieses in Wahrheit prächtige Schauspiel +ungestört genießen. Sie näherten sich in schnellem Tempo, die Pferde +liefen in starkem Galopp. Ein undeutliches Sausen ertönt, bald +unterscheidet man das schnelle Aufschlagen der Pferdehufe. Wir hatten +das Gefühl, als stürze eine Lawine auf uns herab, um uns im nächsten +Augenblick zu begraben. Die Gewehre und der Revolver lagen geladen +bereit, wir aber standen vor dem Zelt, und keiner sollte die Unruhe +ahnen, die sich unserer bemächtigt hatte. + +Die Tibeter ritten in einer Linie heran. In der Mitte ritt der +Gouverneur auf einem großen, schönen Maulesel; sonst ritten alle +Pferde. Er war von seinem Stabe begleitet, der aus Militär-, Zivil- +und geistlichen Beamten in prachtvollen Festgewändern bestand. Die +Flügel bildeten Soldaten, die bis an die Zähne mit Gewehren, Säbeln und +Lanzen bewaffnet waren, als handle es sich um einen Feldzug gegen einen +feindlichen Stamm. Wir konnten 67 Mann zählen. + +Jetzt trennten sich einige Reiter von der Schar, erhöhten die +Geschwindigkeit und gewannen einen Vorsprung von einigen Minuten, +dann saßen sie ab und grüßten. Einer von ihnen war unser Freund, der +Dolmetscher, der nur anmeldete, daß Kamba Bombo uns in höchsteigener +Person mit einem Besuche beehre. Als dieser in der Nähe des Zeltes +anhielt, sprangen einige des Gefolges aus dem Sattel und breiteten auf +der Erde einen Teppich aus, auf dem der Gouverneur abstieg. Dann nahm +er auf gleichfalls bereitgehaltenen Kissen und Decken Platz, und Nanso +Lama, ein vornehmer Priester aus Nakktschu, setzte sich neben ihn. + +Jetzt ging ich ruhig zu ihm heran und bat ihn, ins Zelt zu treten, +wohin er sich sofort begab und wo er nach einigem Zieren den Ehrenplatz +-- auf einem nassen Maissack -- unter unseren übelriechenden, beinahe +schimmeligen Effekten annahm. Er sah listig und schelmisch aus, +blinzelte mit den Augen und lächelte oft. Er mochte 40 Jahre alt sein, +war klein und bleich, sah abgezehrt und müde, aber doch entzückt aus, +daß er uns jetzt endlich in der Falle hatte; er wußte ganz genau, +daß er in Lhasa großen Ruhm ernten würde, wenn er seinen geschickten +Schachzug dorthin berichtete. + +Sein Anzug war geschmackvoll und elegant; er hatte ihn entschieden +eigens für die Visite angelegt, denn er war ganz neu und fleckenlos. +Die Überkleider, einen großen roten Radmantel und ein rotes Baschlik, +nahmen ihm die Diener ab. Nachdem dies geschehen war, präsentierte +er sich in einem kleinen blauen chinesischen Käppchen und in einem +weitärmeligen Gewande von schwerer gelber Seide; er trug grüne +mongolische Samtstiefel und war mit einem Wort wie zu einem Feste +geschmückt. + +[Illustration: 257. Tibetische Kavallerie. (S. 223.)] + +[Illustration: 258. Tibetische Soldaten. (S. 231.)] + +Nun wurde dem Kamba Bombo ein Tintenfaß, Feder und Papier gebracht, +worauf das Verhör begann. Für uns interessierte er sich weniger als +für das Hauptquartier und die Stärke der Karawane. Alle Antworten +notierte er selbst, denn er sollte einen ausführlichen Bericht nach +Lhasa schicken. Dann wurden unsere Habseligkeiten untersucht, aber +merkwürdigerweise sprach er nicht einmal den Wunsch aus, unsere +Kisten besichtigen zu dürfen. Die Mitteilung, daß sie Proviant +enthielten, genügte ihm vollständig. Über mich schien er ganz im +reinen zu sein und er hielt es sogar für überflüssig, mir persönliche +Fragen vorzulegen. Schagdur gebärdete sich, als er gefragt wurde, wie +ein Feldmarschall; er sei russischer Untertan, aber auch Burjate und +berechtigt, nach Lhasa zu reisen. Die russischen Behörden würden es als +eine Beleidigung betrachten, wenn man uns friedliche Pilger hindere, +die Wallfahrt zu machen; niemand, wer es auch sei, dürfe uns antasten. +Doch Kamba Bombo erwiderte lachend: + +„Du glaubst, mir Furcht einjagen zu können; ich tue meine Pflicht, +gerade hinsichtlich eurer habe ich meine Befehle vom Dalai-Lama +erhalten und weiß selbst am besten, was ich zu tun habe. Nach Lhasa +dürft ihr nicht reisen, nicht einen Tag mehr in dieser Richtung, nein! +Einen Schritt weiter, -- und es kostet euch den Kopf!“ (Titelbild zum +2. Band.) Und dabei fuhr er mit der flachen Hand, die er wie eine +Klinge hielt, um den Hals herum. Und er fügte hinzu, daß es ihm selbst +ebenfalls ans Leben gehen würde, wenn er uns durchließe: + +„Es ist ganz einerlei, wer ihr seid und woher ihr kommt, aber ihr +seid im höchsten Grade verdächtig; ihr seid auf einem Schleichweg +hierhergekommen und ihr sollt nach eurem Hauptlager zurückkehren.“ + +Wir sahen ein, daß hiergegen nichts zu machen war. Schagdur erzählte +nun von dem Pferdediebstahl. Anfangs machte Kamba Bombo Ausflüchte +und sagte, er sei für das, was außerhalb der Grenzen seiner Provinz +passiere, nicht verantwortlich. Schagdur erwiderte: + +„So, dies ist also nicht euer Land; ist es denn vielleicht russisches +Gebiet?“ Da wurde aber Kamba Bombo ärgerlich und erklärte, daß das +ganze Land dem Dalai-Lama gehöre. Schagdur war nachher sehr stolz auf +seine Erwiderung. Nun erhob sich der Gouverneur, nahm Schagdur mit +und setzte sich draußen auf den Kissen nieder; nach einer Weile wurde +ich zu ihm gerufen. Er sei bereit, sagte er, uns zwei neue Pferde +zu besorgen, eines davon müsse ich aber bezahlen. Ich lachte ihm +gerade ins Gesicht und ging wieder ins Zelt hinein, nachdem ich ihm +geantwortet hatte, daß wir derartige Geschenke nicht annähmen: entweder +zwei Pferde oder gar keins. Da versprach der Bombo, daß er uns am +folgenden Morgen zwei Pferde für die gestohlenen schenken würde. + +Schließlich erklärte Kamba Bombo, daß wir aufbrechen könnten, wann wir +wollten, daß er jedoch Dschallokk nicht eher zu verlassen gedenke, als +bis wir fort seien. Um keine Zeit zu verlieren, beschlossen wir, den +Rückweg schon am folgenden Morgen anzutreten. Eine besondere Eskorte +sollte uns bis zur Grenze am Satschu-sangpo begleiten, und als wir, +um nicht der Tiere wegen nachts Wache halten zu müssen, darum baten, +von der Eskorte bis ins Hauptquartier gebracht zu werden, versprach +er uns dies. Während der Reise sollte uns alles, was wir an Proviant +brauchten, kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Auch jetzt schenkte +uns Kamba Bombo eine ganze Menge nützliche Eßwaren. + +Im großen ganzen war er sehr freundlich und artig und gar nicht +ärgerlich darüber, daß er durch uns Arbeit und Mühe gehabt und +selbst hatte hierherreiten müssen. Er war ein rechtlich denkender +und handelnder Mensch und wußte genau, was er wollte. Wer ich war, +ist ihm wohl nie völlig klar geworden; doch muß er wohl geglaubt +haben, daß hinter meiner abgetragenen mongolischen Tracht etwas +Außergewöhnliches verborgen sei, sonst wäre er schwerlich mit solchem +Pompe und Hofstaate angezogen gekommen. Mit China stehen die Tibeter +beständig in Berührung; ihr Land ist nominell ein Vasallenstaat jener +Macht, die in Lhasa einen Vertreter und ein „Yamen“ hat, welches in der +Nähe von Potala, dem Tempelpalaste des Dalai-Lama, liegt. Ohne Zweifel +hatten die Behörden in Lhasa Kenntnis von allem, was kürzlich in China +geschehen war, und wußten, wie schwer der Mord des deutschen Gesandten +von Ketteler in Peking bestraft worden war. Sie mochten sich daher +sagen, daß es klüger sei, sich nicht an einem Europäer zu vergreifen. + +Während der Unterhaltung drängten sich die anderen Tibeter um uns und +machten ihre Bemerkungen und Beobachtungen. Sie trugen Säbel in reich +mit Silber beschlagenen Scheiden, die mit Korallen und Türkisen besetzt +waren, Gavo (Amulettfutterale) von Silber, Armbänder, Rosenkränze, +bunte Schmucksachen in ihren langen Zöpfen und waren entschieden mit +dem Feinsten, was sie anzuziehen hatten, ausstaffiert. Die Vornehmeren +trugen große, weiße Hüte mit Federn, andere Binden um den Kopf, die +gemeinen Soldaten gingen barhäuptig. + +Schereb Lama war von all dieser Pracht ganz überwältigt. Er lag +vornübergebeugt auf den Knien, starrte auf die Erde und konnte sich +nicht entschließen, dem Blicke Kamba Bombos zu begegnen, als dieser +ihn scharf verhörte. Er gab kurze, hastige Antworten, als ob er kein +Geheimnis mehr zu wahren hätte. Was er sagte, verstanden wir nicht, +denn sie sprachen tibetisch. Nachher sagte er uns, daß der Bombo ihm +schwere Vorwürfe darüber gemacht habe, daß er uns begleitet habe, da er +doch habe wissen müssen, daß Europäer in Lhasa nicht geduldet würden. +Sein Name sei in die Tempelbücher eingetragen, und er werde nie wieder +die Erlaubnis erhalten, das Gebiet der heiligen Stadt zu betreten! +Versuche er, sich dort mit einer Pilgerkarawane einzuschleichen, so +werde es ihm schlimm ergehen. Er sei seiner Priesterwürde untreu +geworden und sei ein Verräter! + +Zuletzt schlug ich Kamba Bombo noch vor, ich wolle selbst mit Hilfe des +Lamas und des Dolmetschers einen Brief an den Dalai-Lama aufsetzen, +der uns, wenn er erfahre, wer wir seien, gewiß mit Vergnügen empfangen +würde; der Bombo aber antwortete, dies sei ganz unnötig, da er ja +seine Befehle über unsere Behandlung täglich direkt von Lhasa erhalte; +auch könne er sich in seiner Stellung nicht erlauben, dem Dalai-Lama +Ratschläge zu geben; dies würde ihm im besten Falle sein Amt kosten. + +Darauf sagte er artig Lebewohl, schwang sich in seinen reichgeschmückten +Sattel und ritt, von seinem großen Stabe gefolgt, schnell davon. Die +Dämmerung hatte sich schon auf die Gegend herabgesenkt, die Reiterschar +entschwand bald unseren Blicken und mit ihr meine Hoffnung, das Mekka +des Lamaismus zu schauen! Hell glänzten die Sterne über Lhasa, kein +Lüftchen regte sich an diesem stillen Abend, nur dann und wann hörte +man in der Ferne einen Hund bellen. + + + + +Achtzehntes Kapitel. + +Rückzug unter Bewachung. + + +An diesem Abend saßen wir noch lange plaudernd in unserem Zelt. Der +Lama war wortkarg und niedergeschlagen, aber Schagdur und ich waren +vergnügt. Allerdings war uns unser Versuch, Lhasa zu erreichen, +mißlungen, aber wir hatten doch immerhin die Befriedigung, das +Abenteuer bis auf seine äußerste Spitze getrieben zu haben. Wenn man +auf unüberwindliche Hindernisse stößt, ist es Zeit, umzukehren, und +man kann dies mit gutem Gewissen tun. Seltsam war es aber, daß uns die +Tibeter ohne ein unfreundliches Wort aus der Gefangenschaft freigaben. + +Am Morgen des 10. August befahlen wir unseren nächsten Wächtern, unsere +zwei Pferde und fünf Maulesel nach dem Zelte zu treiben, denn wir +hatten beschlossen, den Rückzug diesen Morgen anzutreten. Ohne Abschied +konnten wir uns nicht auf den Weg machen, aber von Kamba Bombos Zelten +kamen keine Boten. So beschloß ich denn, allein dorthin zu reiten, +obwohl Schagdur und der Lama mich warnten und meinten, wir müßten wie +bisher beisammenbleiben. + +Ich ritt also in langsamem Trab zwischen den Sümpfen hindurch nach +Kamba Bombos weißblauem Zeltdorfe. Als ich den halben Weg zurückgelegt +hatte, wurde ich von einer aus etwa zwanzig Mann bestehenden Schar bis +an die Zähne bewaffneter Reiter umringt. Sie sagten kein Wort, sondern +ritten schweigend vor und hinter mir. Ungefähr einen Kilometer vor den +Zelten machten sie Halt und bildeten einen Ring um mich, dann saßen sie +ab und gaben mir zu verstehen, daß ich dasselbe tun solle. + +Kaum eine Viertelstunde brauchten wir zu warten, bis sich dieselbe +große Reiterschar wie gestern vom Zeltplatze aus in Bewegung setzte +und sich uns im Galopp näherte. In der Mitte ritt wieder Kamba Bombo +in seinem gelben Gewande. Ein Teppich und Kissen wurden auf der Erde +ausgebreitet, und er lud mich ein, neben ihm Platz zu nehmen. Der +Dolmetscher war zugegen, und nun unterhielten wir uns eine gute Weile. + +Diese Art, mich nicht in seinem Zelte, sondern auf neutralem Gebiete +zu empfangen, war ein Zug von Etikette, der vollkommen berechtigt und +taktvoll war. Ich hatte mich ja gestern geweigert, seiner Einladung +zu folgen, und nun dachte er wohl: „Ich will ihm zeigen, daß er sich +mit Visitenmachen nicht anzustrengen braucht.“ Er hatte auch gesagt: +„Keinen Schritt weiter in der Richtung nach Lhasa“ und wollte mich +daher auch jetzt zurückhalten. + +Alle Überredungskunst von meiner Seite war gerade so vergeblich wie das +erstemal. + +„Ich habe keine Lust, euretwegen den Kopf zu verlieren“, sagte er. „Mir +persönlich ist es einerlei, ob ihr nach Lhasa reiset oder nicht, aber +den Befehlen, die ich von dort erhalten habe, muß ich gehorchen.“ + +Zum Scherz sagte ich ihm, wir beide könnten ja auf ein paar Tage allein +dorthin reiten, niemand werde eine Ahnung davon haben; doch er lachte +nur darüber und schüttelte den Kopf. + +„Zurück, zurück, nach Norden!“ + +Auf einmal blinzelte er mit den Augen, zeigte auf mich, sagte das eine +Wort „Sahib“ (so werden in Indien die Engländer und die Europäer im +allgemeinen genannt) und zeigte dann nach Süden in der Richtung des +Himalajagebirges. + +Auch ohne Hilfe des Dolmetschers verstand ich, daß er sagen wollte: +„Ihr seid ein Engländer aus Indien“. Trotz allen Hinundherredens war +ihm diese Überzeugung nicht aus dem Kopfe zu bringen. Ich nahm die +Maske ganz und gar ab und sagte ihm, daß ich allerdings ein Europäer, +aber kein Engländer sei und aus einem Lande im Norden weit hinter +Rußland komme; er lächelte jedoch und wiederholte sein „Sahib, Sahib“. +Nun erzählte ich ihm, daß ich zwei burjatische und zwei russische +Kosaken bei mir habe, die mir vom russischen Kaiser zur Verfügung +gestellt worden seien, und fragte ihn, ob er denn glaube, daß Engländer +mit russischen Kosaken reisten, und ob er es für wahrscheinlich halte, +daß Engländer von Norden kämen, da ihr indisches Reich ja südlich von +Tibet liege. Diese Einwendung begegnete demselben Zweifel; er sagte +nur: „Ihr seid alle Sahibs; ist es euch gelungen, einen mongolischen +Lama mit euch zu bekommen, so könnt ihr auch einen Burjaten dazu +bewegen.“ + +Jetzt wurden zwei Pferde, ein Falbe und ein Schimmel, vorgeführt, die +mir Kamba Bombo, wie er sagte, schenken wolle. + +„Laßt zwei eurer Leute aufsitzen und im Galopp vor uns im Kreise +reiten“, sagte ich. Dies geschah; aber die Pferde, die recht mager +waren, stolperten und sahen wenig nach Vollblut aus. Ich wandte mich +an Kamba Bombo und fragte ihn, wie er, ein so reicher und vornehmer +Mann, mir, der ich mindestens ebenso vornehm sei, zwei so elende Gäule +schenken könne; ich wolle sie nicht haben, sondern sie ihm für seine +eigene Kavallerie lassen. + +Anstatt diese offenherzige Kritik übelzunehmen, ließ er sofort +zwei andere Pferde holen, die gut und wohlgenährt waren und nach +abgehaltener Prüfung angenommen wurden. + +Darauf ritten wir alle nach meinem Zelte, und hier blieb Kamba Bombo +wieder eine gute Weile sitzen. Er aß Rosinen, wie ein Pferd Hafer +frißt, und wurde mit Tee, Tsamba und Tabak bewirtet. Der ganze Stab +umgab uns. Die Sonne beleuchtete dieses farbenreiche Bild. Die +Tibeter sahen vorzüglich aus in ihren phantastischen Trachten mit +Kopfbedeckungen wie Damenhüte mit Federn, mit kriegerischen Lanzen und +Schwertern in brüderlichem Vereine. Alle lachten pflichtschuldigst über +die Witze des Gouverneurs. + +Nun wechselten wir uns tibetisches Silbergeld gegen chinesische Jamben +ein, die der Bombo sorgfältig auf seiner mitgebrachten Wage wog; dann +zeigten wir ihm unsere Waffen, die sichtlich tiefen Eindruck auf ihn +machten. Ich sagte ihm, daß das Zusammentrommeln so vieler Soldaten, +wie es hier geschehen sei, gar nichts nütze; mit ihren erbärmlichen +Vorderladegewehren schreckten sie uns nicht ein bißchen. Wollten sie +Krieg anfangen, so möchten sie erst bedenken, daß wir 36 von ihnen +niederschießen könnten, ehe sie überhaupt mit dem Laden fertig würden. +Er versicherte, es sei durchaus nicht seine Absicht, Krieg anzufangen, +sondern nur, die Grenzen gegen unzulässige Fremdlinge zu bewachen. + +Nun fragte ich ihn geradezu, weshalb er nicht wage, in mein Zelt zu +kommen, ohne sich von einer 67 Mann starken Eskorte begleiten zu +lassen; ob er wirklich so entsetzliche Angst vor mir habe. + +„Nein“, antwortete er, „aber ich weiß, daß ihr ein vornehmer +Sahib seid, und ich habe Befehl von Lhasa erhalten, euch dieselbe +Ehrerbietung zu bezeigen, die die höchsten Beamten unseres eigenen +Landes beanspruchen können!“ + +Nachdem ich lange genug vergeblich auf den Engel gewartet hatte, der +vom Himmel herabsteigen und uns mit einem feurigen Schwerte den Weg +bahnen würde, erhob ich mich und gab Befehl zum Beladen der Tiere. Mit +Hilfe der Tibeter war dies im Handumdrehen getan. Kamba Bombo stellte +mir eine Eskorte von drei Offizieren und zwanzig Mann vor, die uns +nordwärts bis über die Grenze der Provinz Nakktschu bringen sollte. Er +versicherte, daß wir uns so lange, wie wir uns in Begleitung dieser +Eskorte befänden, um gar nichts zu kümmern brauchten; sie würde für +unsere Tiere einstehen und uns mit allem nötigen Proviant versehen, +wofür wir nichts zu bezahlen hätten. Er schenkte mir 6 Schafe und eine +Menge Lebensmittel in Näpfen und Schüsseln. + +So nahmen wir denn Abschied von diesem hochgestellten Beamten, +der so freundlich und so ungastfreundlich gewesen war und uns so +unerschütterlich den Weg versperrt hatte, und ritten in der Richtung +zurück, aus der wir gekommen waren. + +„Ja, lieber Schagdur“, sagte ich zu meinem prächtigen Kosaken, dessen +Mut und Treue nicht einen Augenblick gewankt hatte, „Lhasa zu sehen, +war uns nicht beschieden, aber am Leben sind wir noch, und wir haben +allen Grund, dafür dankbar zu sein!“ + +In einiger Entfernung wandte ich mich im Sattel um und sah Kamba Bombo +und seine Leute wie Mäuse auf dem Platze, wo unser Zelt gestanden +hatte, umherschnuppern. Einige Stearinlichtstücke und Zigarettenstummel +werden sie gewiß in der Überzeugung, daß sie es mit Europäern zu tun +gehabt, noch bestärkt haben. Erst nachdem wir eine gute Stunde geritten +waren, konnten wir die Lage überblicken und sehen, wie viele zu unserer +Eskorte gehörten, denn bis dahin war bald der eine, bald der andere +wieder umgekehrt, zuletzt unser Freund, der Dolmetscher, der die ganze +Zeit über um Branntwein gebettelt hatte. + +Unser Gefolge bestand aus zwei Offizieren, Solang Undü und Anna +Tsering, einem Unteroffizier und 14 Soldaten mit Säbeln, Piken und +Flinten (Abb. 258). Außerdem waren sechs Männer dabei, die keine +Soldaten waren; sie hatten die Aufgabe, die Proviantpferde der Truppe +zu führen und eine Herde von 10 Schafen zu treiben. Wir ritten ziemlich +schnell und es war lustig, die Marschordnung der Tibeter zu beobachten. +Sie ritten vor, hinter und neben uns und ließen uns keinen Augenblick +aus den Augen; hätten sie es gekonnt, so wären sie auch wohl über und +unter uns geritten, um uns zu verhindern, in den Himmel zu steigen oder +in die Unterwelt zu fliehen! + +Es war schon spät geworden, denn wir waren erst um 2 Uhr aufgebrochen. +Wiederholt hielten die Tibeter an und schlugen vor, daß wir lagern +sollten; sie beabsichtigten wahrscheinlich nicht, sich sehr zu beeilen. +Doch jetzt war ich derjenige, welcher zu befehlen hatte, und ich ritt, +ohne mich um unsere Lasttiere zu bekümmern, mit dem Lama und Schagdur +bis in die Nähe des Sees Tso-nekk. Für unsere Habe hatten ja die +Tibeter einzustehen versprochen, und sie ritten auch artig mit, ohne zu +murren. In der Dämmerung lagerten wir. Sie hatten zwei schwarze Zelte, +die sie auf jeder Seite des unserigen und ganz dicht neben diesem +aufschlugen. Sobald das Lager in Ordnung war, wurden alle Tiere auf +die Weide getrieben und dort von einigen Tibetern bewacht. Ich ging zu +Solang Undü und Anna Tsering und aß mit ihnen zu Abend. Letzterer war +ein außergewöhnlich liebenswürdiger, sympathisch aussehender junger +Mann. Beide waren wie die meisten Tibeter bartlos, und Anna Tsering +glich einem jungen Mädchen mit langherabhängenden schwarzen Haaren. + +Abends ertönte eine Weile ein summendes, murmelndes Geräusch aus +ihren Zelten; sie sprachen ihr Abendgebet. Der Lama erinnerte sich +melancholisch desselben, wenn auch unendlich viel kräftigeren Summens +von Lhasa her, wo in allen Tempeln stetig Gebete gesprochen werden und +wo es wie in einem riesenhaften Bienenkorbe summt. Er würde es wohl nie +wieder hören! + +Die ganze Nacht goß es, wir aber schliefen ruhig und ungestört. Am +Morgen standen alle Tiere, von ihren Wächtern dorthin gebracht, +festgebunden an ihrem Platze. Doch alles war schwer und durchnäßt, +und der Erdboden schlüpfrig und glatt. Während des Tages (11. August) +regnete es jedoch nicht, obwohl der Himmel drohend aussah. Wenn die +Sonne scheint, ist es beinahe drückend heiß, so daß es durch meine +dünne Chinesenmütze brennt. Die meisten unserer Wächter tragen nur ein +grobes Hemd, einen Schaffellpelz und Stiefel. Wenn die Sonne scheint, +lassen sie Pelz und Hemd von dem rechten Arme und dem Oberkörper, die +dann nackt bleiben, herabgleiten, sobald es aber kalt wird, schlüpfen +sie wieder hinein. Das ist sehr bequem und praktisch. + +Ihre kleinen, langhaarigen, feisten Pferde laufen ziemlich schnell und +machen kleine, trippelnde Schritte. Sie sind jedoch oft ungeberdig, +werfen ihre Lasten ab und gehen damit durch, bis diese an der Erde +schleppen. Die Männer bringen jedoch bald alles wieder ins rechte +Geleise, sind aufgeweckt und achtsam und, wie man sich denken kann, an +Karawanenreisen gewöhnt. + +Einer der Offiziere hatte einen gelben, langhaarigen, mit blauen +Bändern und Schellen geschmückten Windhund mitgenommen. Ich riet ihm +schon beim Aufbruch, das Tier lieber zu Hause zu lassen; er wollte aber +den Hund durchaus mithaben. Wir waren auch noch nicht weit gekommen, +als Jollbars sich über den Ärmsten hermachte und ihn schrecklich +zurichtete. Blutend, hinkend und heulend, mußte der Hund von einem +Reiter zurückgebracht werden. Vor unseren beiden Hunden hatten unsere +Reisegefährten ganz gewaltigen Respekt. Sogar, wenn sie zu Pferde +saßen, ritten sie sofort beiseite, wenn Jollbars in ihre Nähe kam, und +auf den Lagerplätzen wagten sie nicht eher abzusteigen, als bis die +Hunde angebunden waren. + +[Illustration: 259. Tibetische Soldaten. (S. 233.)] + +[Illustration: 260. Von Sirkin erlegter Kökkmek. (S. 252.)] + +[Illustration: 261. Gefrorenes Wild. (S. 252.)] + +[Illustration: 262. Hirten von Dschansung im Gespräch mit dem Lama im +Lager. (S. 254.)] + +Es war zum Sterben langweilig, denselben Weg wieder zurückzureiten, +aber ich sehnte mich doch nach dem Hauptquartier zurück, um mit +der ganzen Karawanenmannschaft neuen Erfahrungen entgegenzugehen. +Ich zählte die Stunden und bezeichnete auf meinen schon fertigen +Kartenblättern die Strecken, die wir an jedem Tage zurücklegten. Die +tibetische Eskorte sorgte inzwischen für unsere Zerstreuung. Man kann +sich nicht satt sehen an diesen Wilden, ihren malerischen Trachten +und ihrer Art zu reisen, zu reiten, mit den Pferden umzugehen, zu +rasten, zu lagern, Feuer anzumachen und Essen zu kochen. Abgesehen von +den Offizieren sehen die anderen wie Straßenräuber aus (Abb. 259). +Unterwegs haben mehrere ihre Zöpfe zusammengerollt unter die hohen, +breitrandigen Hüte gesteckt. Ein paar Greise, Lamas, tragen das Haar +kurzgeschoren; diese drehen während des Reitens unausgesetzt ihre +Korle (Gebetmühlen) und murmeln unermüdlich in anschwellenden und +abnehmenden, monoton singenden, einschläfernden Tönen ihr „Om mani +padme hum“. Wir sind schon ganz intim mit ihnen, und die Bewachung ist +weniger streng. Alle plaudern und lärmen und freuen sich sichtlich über +die kleine Vergnügungsreise, die ihnen zuteil geworden ist. Schagdur +ist von einer Gruppe Soldaten umgeben, mit denen er lustig scherzt. Sie +lachen bis zum Ersticken über seine Versuche, die fremden Ausdrücke zu +lernen und anzuwenden. + +Solang Undü trägt über der Achsel ein rotes Zeugband, auf dessen +Rückseite vier große silberne Gavo festgenäht sind, und am Gürtel +Säbel, Messer, Feuerzeug, Tabaksbeutel, Pfeife und verschiedene andere +Kleinigkeiten, die um ihn herumbaumeln und klappern. Unter diesen +Utensilien befindet sich eine kleine Zange, mit der er sich wiederholt +Barthaare, die sich zeigen, ausreißt; er ist auch völlig bartlos und +sieht infolge der Runzeln, die sein Gesicht durchfurchen, wie ein altes +Weib aus. Seinen Zopf hat er sorgfältig in ein rotes Tuch gewickelt und +um den Kopf gewunden. Obendrauf thront der Filzhut mit einer großen +Feder. + +Nach dreieinhalbstündigem Ritt hielten die Tibeter an und fragten, +ob wir etwas gegen eine Rast zum Teetrinken hätten. Meine beiden +Reisegefährten stimmten für Weiterreiten, ich zog es aber vor, den +Tibetern den Willen zu lassen, um ihre Reisegewohnheiten zu studieren. +Sie sagten, sie hätten am Morgen noch kein Frühstück essen können, und +der Appetit, mit dem sie die Speisen vertilgten, bestätigte ihre Worte. + +Mit ihren Säbeln schnitten sie gruppenweise drei Erdschollen aus dem +weichen Rasen; zwischen diese wurden die Töpfe gestellt, in denen +das Teewasser gekocht wird. Trockenen Argol hatten sie bei sich, und +bald brannten die Feuer. Aus Zeugstücken wurden Brocken von gekochtem +Schaffleische ausgewickelt, und die Tsamba mit diesen, Fett, Butter und +Tee bereitet. Wir begnügten uns mit sauerer Milch. + +Während des Frühstücks wurde uns mitgeteilt, daß die Eskorte uns nur +bis an die Grenze des Bombo von Nakktschu am Flusse Gartschu-sängi +begleiten werde; wo wir dann blieben, schien sie nicht das geringste +zu kümmern. Wir baten sie, bis ans Hauptquartier mitzukommen, dazu +hatten sie aber durchaus keine Lust; sie hatten nur ihren Befehlen zu +gehorchen und hegten überdies sichtlich einen gewissen Respekt vor +unserer Karawane und der uns dort erwartenden Mannschaft. Gerade auf +der Strecke des Weges, die ich die Räuberzone nennen möchte, sollten +wir also für uns selbst sorgen. Wir sehnten uns nicht danach, da uns +jetzt nachts undurchdringliches Dunkel umgab, während wir auf der +Hinreise Hilfe vom Monde gehabt hatten. + +Der Boden ist hier von all dem Regen womöglich noch nasser, als er es +schon war, wie wir zuerst über ihn hinwegritten. Die Pferde sinken und +stolpern bei jedem Schritt. Bei den Zeltdörfern zeigen sich selten +Menschen, und unsere Begleiter scheinen ihnen beinahe auszuweichen. +Wir lagern nicht in ihrer unmittelbaren Nähe, sondern immer in einiger +Entfernung. Der nötige Proviant wird im Vorbeireiten von dem einen oder +anderen Reiter geholt. + +Auf dem heutigen Lagerplatze hatten sie sich noch zwei Zelte besorgt, +und die Eskorte war durch sechs Mann verstärkt worden. Der Abend war +schön und windstill, die Sterne glänzten wie durch einen leichten +Wolkenschleier. Die Dungfeuer flammen unter dem abgemessenen, schweren +Hauche der Blasebälge auf wie das Drehfeuer eines Leuchtturmes. Auch +in den Zelten sind Feuer, deren Rauch durch eine längliche Ritze in +der Zeltdecke entweicht. Das Lager ist selbst am Abend malerisch +und lebhaft, und auf allen Seiten hört man die Tibeter scherzen und +plaudern. Der lebende Proviant besteht aus 14 Schafen, die nachts +zwischen zwei Zelten angebunden werden, weil die Gegend reich an Wölfen +sein soll. + +Kamba Bombo sollte jetzt Wasser auf seine Mühle bekommen, denn die +Tibeter sahen mich Uhr und Kompaß studieren. Sie konnten das Ticken +der Uhr gar nicht begreifen und baten unausgesetzt, horchen zu dürfen. +Ich sagte, es sei ein Gavo mit einem lebendigen kleinen Burchan +(Götzenbild). Die kleine Veraskopkamera konnte ich ungeniert benutzen, +nachdem ihnen klar geworden war, daß in ihr kein Revolver oder sonst +eine unbegreifliche Höllenmaschine stecke. Der Lagerplatz hieß ++Säri-kari+. + +12. August. Sie wecken uns früh, machen aber kurze Tagereisen, um die +Annehmlichkeiten des Lagerlebens so lange wie möglich genießen zu +können. Unsere Wächter lassen uns immer mehr Freiheit, je mehr wir uns +der Grenze der Provinz nähern. Wir dürfen jetzt oft eine ganze Strecke +hinter der Haupttruppe allein reiten und glauben uns unbewacht, merken +aber bald, daß sich hinter uns stets noch einige Reiter befinden. + +Heute ging es über das große, offene Tal, in dem wir die Teekarawane +zuerst gesehen hatten. Es regnete nicht, und der Boden trug unsere +Pferde. Als wir ganz in der Nähe unseres ehemaligen Lagerplatzes Nr. 51 +waren, bogen die Tibeter rechts in eine kleine Talmündung namens +Digo+ +ein und machten dort Halt in hohem, üppigem, duftendem Grase, das für +unsere mageren Tiere ein leckeres Fressen war. + +Wir waren nur 4½ Stunden geritten, und ich glaubte, daß es sich nur +um eine Teerast handle. Es wurden aber die Zelte aufgeschlagen und, an +die Karawanentiere denkend, machte ich keine Einwendungen. Es ist ein +eigentümliches ruhiges Gefühl, nicht seine Freiheit zu haben und nicht +über seinen Weg und seine Zeit bestimmen zu können; man muß ruhen, und +für müde Pilger ist es schön, ausschlafen zu dürfen. Solange wir die +Eskorte hatten, konnten wir die Sache ruhig mit ansehen, nachher aber, +wenn wir wieder unserer eigenen Wachsamkeit überlassen waren, würden +wir wieder lange Tagemärsche machen müssen. + +Man wird während des Rittes fast schläfrig, wenn man von allen diesen +Soldaten umgeben ist, deren Pferde Schellenringe um den Hals tragen. Es +ist ein ewiges, eintöniges Glockengeläute, das in den Ohren widerhallt +und an eine große Schlittenpartie an einem nordischen Wintertage +erinnert. Malerisch ist diese Gesellschaft, die so schnell in unserem +friedlichen Gebirge aufgetaucht ist und uns umringt hat, wir mochten es +wollen oder nicht. Heute waren keine Zelte zu sehen, so daß wir unseren +Milchvorrat nicht verstärken konnten. + +Der Tag war, wie der Lagerplatz, herrlich. Wir ließen unser Zelt nach +Norden offen, um die leichten Winde hineinzulassen, die von dorther +kamen. Im Süden brannte die Sonne gar zu fühlbar; auf dieser Seite war +das Zelt geschlossen, aber durch die Ritzen des Zelttuches stahlen sich +Sonnenstrahlen herein und ließen meinen Rosenkranz funkeln, als ich mit +den heiligen Gebetkugeln, die in so heidnische Hände geraten waren, +spielte. Die Temperatur stieg auf +19,1 Grad. Sehr leicht gekleidet, +schlummerte ich ins süßeste Vergessen hinüber und verschlief Schagdurs +Teefrühstück. Es war friedvoll und sommerlich, der letzte Sommertag, +den wir genießen konnten. Ein kleiner Bach begleitete mit seinem +munteren Rauschen das Lachen und Plaudern der Tibeter. + +Sie verstehen es, sich es auch auf Reisen angenehm und gemütlich zu +machen. Wenn wir lagern, haben die Offiziere eine Schar Diener, die +ihnen im Handumdrehen die Zelte aufschlagen. Rings um diese werden +Sattel, Riemenzeug, Beutel und Gepäck hingeworfen und die Flinten auf +ihre Gabeln gestellt, um nicht mit dem feuchten Boden in Berührung +zu kommen. Bei so schönem Wetter sitzen alle im Freien und widmen +sich mit Kennermiene dem Essenkochen, der liebsten Beschäftigung des +Asiaten. Sie sind Meister im Feueranmachen und richten mit Hilfe des +Blasebalges einen lodernden Feuerstrahl gegen die Seite des Teekessels, +so daß das Wasser in erstaunlich kurzer Zeit ins Kochen gerät. Die +Tsamba wurde in kleinen Holzschalen, die unseren mongolischen glichen, +angerührt. Einige von ihnen kneten das Gericht mit der rechten Hand und +vermischen es mit Käse. Wenn sie Fleisch essen, halten sie das Stück +in der Linken und schneiden mit einem Messer kleine Bissen davon ab. +Anna Tsering benutzte hierzu ein englisches Taschenmesser („~Made in +Germany~“), das aus Ladak stammen sollte. + +Unter ihren Habseligkeiten waren viele verlockende Dinge, die jedoch +nicht in unseren Besitz übergehen konnten, weil dafür unerhörte Preise +gefordert wurden. Für einen Säbel, dessen Scheide mit Silber beschlagen +und mit Korallen und Türkisen besetzt war, forderten sie 50 Liang +(etwa 170 Mark), obwohl er nicht mehr als 11 Liang wert war. Eine +Gebetmühle sollte 100 Liang kosten. Die Gewehre und ein großer Teil +der Lanzen gehörten, wie sie sagten, dem Staate und durften überhaupt +nicht verkauft werden. Wir saßen stundenlang bei ihnen in ihrem Zelte, +sie aber kamen nie zu uns; wahrscheinlich hatte Kamba Bombo es ihnen +verboten, weil ich gesagt hatte, ich wollte gern möglichst ungestört +bleiben. + +Noch um 9 Uhr abends betrug die Temperatur +9,1 Grad, und um 7 Uhr am +folgenden Morgen hatten wir +7,8 Grad. + +Am 13. August sahen wir weiter keine Menschen als acht Soldaten, +die zu Pferd von Norden, wahrscheinlich von einer Rekognoszierung, +kamen. Sie hatten eine lange Beratung mit unseren Offizieren, ehe sie +weiterritten. Nun ritten wir über den Satschu-sangpo, der auf den +vierten Teil seiner Größe zusammengeschrumpft war. Das Überschreiten +lief ohne das geringste Mißgeschick ab, da die Tibeter die Furtschwelle +kannten. Jedoch ging in den tiefen Armen das Wasser den kleinen Pferden +noch bis über den Bauch. Ehe die Reiter sich in den Fluß begaben, +entledigten sie sich ihrer Stiefel; am anderen Ufer wurde eine kurze +Rast gemacht, um sie wieder anzuziehen. + +Eine Strecke vom rechten Ufer entfernt wurde in einer Gegend mit +frischen Quellen und gutem Grase, die auf der Hinreise unseren Blicken +entgangen war, für die Nacht Halt gemacht. Bis hierher hatten wir drei +von unseren neun Tagereisen zurückgelegt, obwohl hierzu jetzt vier Tage +erforderlich gewesen waren. Morgen würden die Tibeter uns also unserem +Schicksale überlassen. Uns aber wurde es wirklich schwer, von ihnen zu +scheiden; wir waren auf so freundschaftlichen Fuß mit ihnen gekommen, +daß wir uns mit dem Gedanken, ihre Gesellschaft entbehren zu müssen, +nicht recht aussöhnen konnten. Sie ließen sich jedoch nicht überreden, +uns noch weiter zu begleiten; sie hatten ihre Pflicht getan und +konnten gehen. Ich drohte ihnen damit, daß ich, nachdem sie abgezogen, +noch eine Zeitlang am Satschu-sangpo bleiben und dann doch nach Lhasa +gehen würde. + +„Bitte sehr“, antworteten sie, „wir sollten euch nur an die Grenze +bringen, und das haben wir getan.“ + +Abends besuchte uns Solang Undü, Anna Tsering und Dakksche zum +erstenmal in unserem Zelte; sie wurden mit Tee und Rosinen bewirtet. +Da sie sich jetzt jenseits der Grenze befanden, glaubten sie wohl, +sich gewisse Freiheiten nehmen zu können. Dakksche war der Greis, +der einmal während unserer Gefangenschaft so gebieterisch in unserem +Zelte gepredigt hatte. Er ist eine gottvolle Erscheinung mit seinem +runzeligen, bronzebraunen, schmutzigen, bartlosen Gesichte und +seinem langen, dichten unbedeckten Haare. Er könnte gut für einen +heruntergekommenen Schauspieler aus Europa gelten. Sobald er mich +erblickt, streckt er die Zunge so weit heraus, wie er nur kann, und +hält die Daumen in die Luft, eine Höflichkeit, die ich auf dieselbe +Weise und mit solchem Nachdruck beantworte, daß Schagdur sich beinahe +totlacht. + +Jetzt erst glückte es uns, auch einige Kleinigkeiten erstehen zu +können, wie einen Dolch, zwei kupferne Armbänder, einen Ring, einen +Löffel, eine Pulvertasche und eine Flöte, alles für ein paar Meter +Zeug, das neben chinesischen Porzellantassen und Messern das beste +Tauschmittel ist. + +Die folgende Nacht schliefen wir fest, um uns ordentlich auszuruhen, +ehe die Nachtwachen wieder anfingen. Ich schlief dreizehn Stunden! Als +ich aufstand, fragten sie, ob wir hierbleiben würden oder nicht, und +da ich mit Bleiben drohte, erboten sie sich, uns zu begleiten, bis wir +Menschen träfen und uns mit neuen Vorräten für die Rückreise versehen +könnten. Wir ritten also bis in die Nachbarschaft von Sampo Singis +Lager, wo die Gegend +Gong-gakk+ und ihr Häuptling Dschangdang heißt. + +Hinsichtlich der politischen und der administrativen Verhältnisse +erhielten wir recht unsichere Aufklärungen; es ist wohl wahrscheinlich, +daß die Sache tatsächlich auch nicht ganz klar liegt. Es wurde +behauptet, daß der Satschu-sangpo die Grenze zwischen dem Lande des +Dalai-Lama im Süden und dem im Norden liegenden Reiche des chinesischen +Kaisers sei, der Häuptling Dschangdang aber von beiden Staaten +unabhängig sei. Daß der Satschu-sangpo als Grenze von Bedeutung ist, +ging schon daraus hervor, daß die Tibeter uns nur bis dorthin brachten +und sich nicht darum bekümmerten, wohin wir uns von dort begaben, sowie +auch daraus, daß Kamba Bombo gesagt hatte, für nördlich von diesem +Flusse begangene Diebstähle sei er nicht verantwortlich. Im übrigen +wußten sie von Tibets Grenzen, daß diese im Westen mit denen von +Ladak zusammenfielen, im Osten seien es acht Tagereisen bis an die +chinesische Grenze, und nach Süden sollte eine Reise von drei Monaten +(!) erforderlich sein, um nach Indien oder, wie sie sich ausdrückten, +Hindi zu gelangen. Tsamur und Amdo sind dichtbevölkerte Gebiete im +Osten, im Westen heißt das Land Namru. + +Sobald wir gelagert hatten, wurden einige Reiter nach Westen geschickt, +wie es hieß, nach den ersten Dörfern in Namru, und am Abend kamen sie +mit zwei großen Schüsseln voll süßer und saurer Milch wieder, die für +den größten Teil der noch übrigen Reisetage reichte. Dagegen nahmen wir +nur zwei Schafe mit, obschon uns alle noch lebenden angeboten wurden +-- sie wären uns während der forcierten Märsche, die uns bevorstanden, +nur hinderlich gewesen. Auf jedem Lagerplatz werden Kundschafter in die +Gegend ausgeschickt. Sie statten bei ihrer Rückkehr Solang Undü Bericht +ab. Wahrscheinlich hat man befürchtet, daß unsere ganze Karawane nach +Süden vorgerückt sei, und man will nun vorsichtig sein und aufpassen, +daß wir uns nicht mit den Unsrigen zu einem gemeinschaftlichen Angriffe +auf die Eskorte vereinigen, um uns dann nach Lhasa durchzuschlagen. + +Eine große Yakkarawane lagerte in der Nachbarschaft. Sie war aus +Nakktschu, hatte Salz geholt und befand sich jetzt auf dem Heimweg. + +Der 15. August war der Tag der Trennung. Unsere Freunde versuchten +uns zu überreden, noch einen Tag zu bleiben, und gaben uns die +sehr verlockende Versicherung, daß am Abend einige Leute aus Namru +anlangen würden. Diese würden uns gewiß gern nach dem Hauptquartier +begleiten und uns nachts unsere Tiere hüten. Wir zogen es jedoch vor, +aufzubrechen. Solang Undü und Anna Tsering rieten uns, Räuber, die sich +nachts unserem Zelte näherten, einfach niederzuschießen. Sie steckten +augenscheinlich nicht mit Pferdedieben unter einer Decke, denn sie +hatten unheimlichen Respekt vor der Wirkung unserer Schußwaffen. + +Als wir Abschied nahmen, erbot sich Solang Undü, uns mit vier Mann nach +Sampo Singis Zelt zu begleiten; mit ihnen zogen wir das Tal hinauf, +dessen Fluß jetzt bedeutend zusammengeschrumpft war. Einige Reiter, +denen wir begegneten, kehrten um und kamen mit. Auch diese waren +entschieden Spione, welche die Unseren beobachtet hatten und jetzt mit +den lebhaftesten Gesten berichteten, was sie gesehen hatten. + +Sampo Singi war nicht zu Hause, aber sein Zelt stand noch da. Hier +machten unsere Begleiter Halt, ließen sich an einem Hügel häuslich +nieder und baten uns, die Nacht über noch hierzubleiben; wir wollten +aber jetzt Zeit gewinnen. Sie sahen uns über den ersten Paß im +Nordwesten unseres alten Lagers verschwinden und sind dann wohl, wie +ich vermute, zu Kamba Bombo zurückgekehrt. + + + + +Neunzehntes Kapitel. + +Die letzten Tagemärsche nach dem Hauptquartier. + + +Einsam und schweigend ritten wir nach Nordwesten weiter; wir sahen +keine anderen Geschöpfe als einige Schafherden und Yake auf den +nächsten Hügeln. Unsere Tiere waren kraftlos, aber gemächlich ritten +wir drauf los. Bevor es dämmerig wurde, mußten wir Halt machen, damit +sie noch eine Weile weiden konnten. Dies geschah an einer kleinen +Süßwasserquelle auf einer Wiese, wo Argol in genügender Menge umherlag. + +Auf einmal veränderte der Himmel, der uns bisher hold gewesen war, +sein Aussehen. Es wurde im Südosten dunkel. Eigentümliche, unheimliche +Wolken stiegen über den Bergen auf; sie waren brandgelb und dick, wie +beim Ausbruche eines Sandsturmes in der Wüste. Das wird ein nettes +Wetter werden, dachten wir. Der Wind kam immer näher, sauste und pfiff, +und dann prasselte der erste Hagelschauer auf uns herab, und es wurde +pechfinster wie in einem Sacke. + +Mittlerweile waren die Tiere vor dem Zelte fest angebunden worden. +Hier mußte strenge Wache gehalten werden. Durch dieses Wetter wurde +die Nacht ein paar Stunden länger als gewöhnlich, und vielleicht +betrachteten uns die Tibeter nun, da sie uns über die Grenze gebracht +hatten, nicht länger als Gäste, sondern als vogelfreie Eindringlinge, +die man ungestraft plündern durfte. Ein unangenehmeres Wetter ließ +sich nicht denken; um 8 Uhr ging der Hagel in Regen über, der wie aus +Mulden herabgoß. Man hört nichts weiter als den Regen, der, vom Winde +getrieben, gegen das Zelt und auf die Erde schlägt und das Stampfen +der Tiere und die einschläfernden Schritte der Nachtwache übertönt. +Man sieht die Hand vor den Augen nicht, kein dunkler Umriß gibt den +Platz an, wo unsere Tiere zwei Meter vor der Zeltöffnung stehen. Es +ist unmöglich, eine Kerze zum Brennen zu bringen; es regnet ins Zelt, +es weht, heult und pfeift, und die Zündhölzer sind feucht. Man sitzt +zusammengekauert in seinem Pelze, der Oberkörper schwankt hin und her, +und vergeblich sehnt man sich nach dem Tageslichte, das jedoch auf sich +warten läßt. Alle Waffen sind geladen und liegen zum Gebrauch bereit, +und die Hunde sind bei den Pferden angebunden. Von hier war es ein +fünfstündiger Ritt nach unserem früheren Lager Nr. 48, von dort sieben +Stunden nach dem Lager Nr. 47. Erst im Lager Nr. 44 waren wir zu Hause! +Der Weg dorthin erschien uns sowieso unendlich lang, und nun mußte der +Regen den Boden noch mehr verderben. Wir entbehrten die Tibeter sehr; +es war so ruhig und friedlich, solange wir sie bei uns hatten. + +Gegen 11 Uhr ließ der Regen ein wenig nach, und ich ging hinaus, um +mich nach Schagdur umzusehen, der mitten zwischen den Pferden und den +Mauleseln unter seiner Filzdecke kauerte und bis auf die Haut durchnäßt +war. Er war jetzt gerade sehr aufgeregt und bat mich, zu horchen, denn +unten am Quellbache klinge es wie menschliche Schritte. Ich hörte auch +wirklich schleichende Fußtritte; Schagdur nahm an, daß es ein Kulan +sein könne, ich aber glaubte nicht, daß solche sich so nahe bei den +Herden der Tibeter aufhielten. Als die leisen, schleichenden Schritte +näherkamen und Schagdur das Gewehr bereithielt, stellte sich heraus, +daß es unser Hund Malenki war, der unten an der Quelle getrunken hatte. +Ich hielt die Lage für ungefährlich, ging wieder ins Zelt, legte mich +hin und schlief wie ein Stock bis 5 Uhr, dann wurde ich geweckt und +half bei herrlichem Wetter beim Beladen. + +Anfangs zogen wir östlich von unserer alten Route, und die Kartenarbeit +wurde wieder aufgenommen. Das Terrain war hier viel bequemer, und wir +konnten einen deutlichen Weg links vom Gartschu-sängi einschlagen. +Lange folgten wir hier der Spur eines Reiters, der mit zwei Hunden erst +kürzlich diese Straße gezogen sein mußte, weil die Spur noch nicht +verregnet war. Wer mochte er sein, und wohin hatte er seine Schritte +gelenkt? War er Mitglied einer Räuberbande, die ihren Sammelplatz +droben im Gebirge hatte? Wurden wir vielleicht schon verfolgt, und +warteten sie am Ende nur eine günstige Gelegenheit ab? + +Wir verloren jedoch die Spur und schlugen einen westlicheren Kurs +ein, weil in der bisher eingehaltenen Richtung drohende Berge den Weg +zu versperren schienen. Die Richtung wird nordwestlich, das Terrain +hebt sich, Kulane und Orongoantilopen, die wenig scheu sind, treten +wieder auf, wir ziehen sie dem Anblick bis an die Zähne bewaffneter +tibetischer Reiter vor. + +Als das Gras immer spärlicher wurde, machten wir nach einem Marsche von +34,5 Kilometer an einem Flusse Halt. Es war weniger, als wir hätten +zurücklegen müssen, wenn wir das Hauptquartier in vier Tagen erreichen +wollten, aber unsere Tiere waren erschöpft und auch zu müde, um +umzukehren und die üppigen Weiden, die wir hinter uns zurückgelassen +hatten, wieder aufzusuchen. Nur die beiden neuen tibetischen Pferde +sind munter und müssen besonders festgebunden werden, damit sie nicht +wieder zu ihren Kameraden zurücklaufen. + +[Illustration: 263. Der Lama als Gehilfe beim Photographieren der +Hirten. (S. 254.)] + +[Illustration: 264. Tibeterinnen. (S. 255.)] + +[Illustration: 265. Die Nomadenzelte in der Bergschlucht. (S. 255.)] + +[Illustration: 266. Unser Lager am Jaggju-rappga. (S. 264.) + +Vor den Leuten Wanka, der Leithammel, Jollbars, Maltschik und Hamra.] + +Der Tag war schön gewesen, nur mittags und während der nächstfolgenden +Stunden zogen dicke Wolkenmassen von Süden herauf. Die Gegenden, denen +wir uns nahten, werden immer kälter und karger; hier sind keine anderen +Menschen als höchstens Yakjäger und Straßenräuber zu erwarten. + +Die dem Aufschlagen des Lagers folgenden Stunden sind die angenehmsten +des ganzen Tages; man ist ruhig, kann sich bequem ausstrecken, Mittag +essen, plaudern und rauchen. Aber die Dämmerung kommt nur zu schnell, +und je dunkler es wird, desto schärfer heißt es aufpassen. + +Die Nacht war ganz klar und windstill. Fern im Westen zuckte über dem +Horizonte unausgesetzt ein Wetterleuchten, Donner war aber nicht zu +hören. Die Nacht ist so still, daß man sich vor dieser Grabesstille +fast fürchten möchte. Selbst aus ziemlich weiter Ferne würde man auch +das geringste Geräusch hören können. In einiger Entfernung ertönt das +dumpfe Gemurmel eines Bächleins, sonst vernehme ich nur die Atemzüge +der Tiere und meiner beiden Reisegefährten. Der Lama spricht oft im +Schlafe und ruft bisweilen mit klagender Stimme Sirkins Namen, als +brauche und erwarte er Hilfe. + +17. August. Alle Hügel und Berge der Gegend sind ziegelrot, denn die +vorherrschende Gesteinsart ist roter Sandstein. + +Sobald der Tag graut, dürfen die Tiere frei umherlaufen, können sich +aber auf unseren Lagerplätzen in der kurzen Zeit durchaus nicht +sattfressen. Sie grasen nur abends ein paar Stunden, nachdem wir +gelagert haben, und in aller Morgenfrühe. Wir lassen sie daher noch +draußen, bis es stockfinster ist, bleiben dann aber bei ihnen. Sie sind +den ganzen Tag hungrig und versuchen unterwegs Grashalme abzurupfen; +leicht ist es nicht, sie beisammenzuhalten, und ihre kleinen +Seitenabstecher verursachen uns Zeitverlust. + +Heute ritten wir 9 Stunden und legten 40 Kilometer zurück, -- es +geht nicht schnell. Etwas westlich von dem alten Wege kamen wir +durch ein Tal langsam nach einem Passe hinauf. Vom Passe geht es +langsam durch ein anderes Tal hinunter, das sich nach Westen zieht +und von senkrechten Wänden eingefaßt wird. Es zwingt uns, viel zu +weit westwärts zu gehen, aber wir können nicht aus ihm herauskommen. +Hier und dort zeigen sich Yake; es sind entschieden wilde, obwohl es +merkwürdig ist, daß sie sich in eine solche Mausefalle hineinwagen. +Wir stellten diesen Abend das Zelt auf einen von Schluchten umgebenen +Bergvorsprung, wo ein Überfall für den Angreifer sehr gefährlich hätte +werden können. Jetzt konnten wir nicht viel mehr als 70 Kilometer von +den Unsrigen entfernt sein, und jeder Tag, der verging, vergrößerte +unsere Sicherheit; nur der Lama war der Meinung, es würde vielleicht +noch schlimmer werden, denn das Hauptlager sei möglicherweise von den +Tibetern umzingelt. + +Der 18. August war für uns ein schwerer, anstrengender Tag. Es kostete +uns verzweifelte Mühe, über eine Bergkette hinüberzukommen, die wir auf +der Hinreise ohne Schwierigkeit überschritten hatten. + +Wir gehen über einen neuen Paß und haben linker Hand einen See, der +in einer Bodensenke liegt. Unsere Tiere sinken tief in den aus rotem +Material bestehenden Boden ein; man zieht sozusagen über lauernde +Fallgruben und Fallen hin, seit Jahrtausenden scheint Schmutz und +Schlamm von den angrenzenden Höhen in dieses heimtückische Loch +hinuntergeschwemmt worden zu sein. Anstehendes Gestein ist nirgends zu +sehen, alles ist weiches Verwitterungsmaterial. Glücklicherweise war +das Wetter jetzt gut; bei Regen wäre hier nicht durchzukommen gewesen. + +Unser Räubersee lag jetzt eine ziemliche Strecke rechts von unserem +Wege. Einige Maulesel waren vollständig erschöpft, und zwischen 2 und +4 Uhr mußten wir auf einer dünn mit Gras bewachsenen Halde rasten, um +sie ausruhen zu lassen. Unterdessen schlummerten und rauchten wir im +Sonnenbrande. Die Luft war ruhig, und das Thermometer zeigte +19,6 Grad +im Schatten; bei dieser Temperatur ist es hier oben so heiß, daß man +fürchtet, einen Sonnenstich zu bekommen. Bald darauf kam eine Hagelbö, +und wir waren wieder mitten im Winter. Es ging langsamer und schwerer +als je, nach dieser Rast wieder in Gang zu kommen. Man ist ganz +erschöpft von den verwünschten Nachtwachen und den beständigen Märschen. + +Einmal, als wir langsam nach dem Gipfel eines Hügels hinaufritten, +stürmte Malenki seitwärts nach einer anderen Anhöhe und erhob ein +wütendes Gebell. Wir glaubten, er habe Menschen gesehen, und ich ritt +ihm schleunigst nach und geriet dabei einem Bären, der eifrig an einer +Murmeltierhöhle kratzte, beinahe auf den Leib. Als der Petz mich +erblickte, sprang er auf und lief, von den Hunden verfolgt, im Galopp +davon. Die Hunde holten ihn bald ein, doch jetzt machte der Bär Front +und schickte sich an, Malenki eins auf die Schnauze zu geben. Der Hund +kehrte nun ebenfalls um und kam zu uns zurück, aber Jollbars hatte noch +einen langen Tanz mit dem Petz, der auf so unverschämte Weise in seiner +erwarteten Abendmahlzeit gestört worden war. + +Jetzt ging es verwünscht langsam vorwärts; es war nutzlos, den Weg +fortzusetzen, wir rasteten auf der ersten besten Weide. Der Himmel sah +noch immer unheildrohend aus, und die Wolken hatten dieselbe rote oder +brandgelbe Farbe wie das Erdreich. + +Wieder folgte eine finstere, endlose Nacht, denn vor Tibetern und +Bären mußten wir auf der Hut sein. Die Sprache der Nacht ist erhaben, +nur nicht in Tibet, wenn man Pferde hüten muß. Von nun an werde ich +ein gewisses Mitleid mit unseren Pferdewärtern haben. Wir sehnten uns +nach dem Hauptlager wie zu einem großen Feste, schon allein deshalb, +weil wir dort nachts würden ausschlafen können. Jeder von uns hat beim +Wachehalten seine besonderen Gewohnheiten. Ich schreibe, sitze in der +Zelttür und mache von Zeit zu Zeit eine Runde um das Lager. Schagdur +sitzt in seinen Pelz gehüllt mitten unter den Tieren und raucht seine +Pfeife. Der Lama wieder streift umher und murmelt mit singender Stimme +Gebete. Jetzt fehlten uns zwar nur noch 35 Kilometer, aber unsere +Tiere hatten, vom Hauptlager an gerechnet, bereits 500 Kilometer +zurückgelegt, und es war wenig Aussicht vorhanden, daß wir dieses in +einem Tage erreichen würden. Nun wohl, jedenfalls mußten wir so nahe +an den Umkreis, innerhalb dessen die Unsrigen die Gegend bewachten, +herankommen, daß wir uns für ziemlich sicher halten konnten. + +Wir schliefen am Morgen gründlich aus, um die Tiere möglichst lange +weiden zu lassen. Sodann ging es zu einem Passe hinauf, von dem wir +das weite, offene Tal, in welchem wir die erste Nacht geruht hatten, +zu sehen hofften. Doch jenseits des Passes war nur ein Gewirr von +Hügeln zu erblicken. Es war wunderbar, daß unsere Tiere mit dem +Nordabhange fertig wurden, der da, wo die Sonne nicht eingewirkt hatte, +aus lauter Schlamm bestand. Wir müssen zu Fuß gehen und auf flachen +Sandsteinplatten und Moosrasen balancieren, sonst sinken wir knietief +ein. Die Karawane sieht höchst sonderbar aus, denn die Tiere waten so +tief im Morast, daß sie mit dem Bauche den Boden berühren; es ist, +als durchwateten sie einen Fluß. Wir steuern nach allen Flecken, die +trocken scheinen, mühsam und sehnsüchtig hin, um uns dort eine Weile +zu verschnaufen und die Lasten wieder zurechtzurücken. Die Hoffnung +täuschte uns; noch zwei ebenso greuliche Pässe waren uns beschieden. +Hätte ich hiervon eine Ahnung gehabt, so würde ich natürlich unseren +alten Weg gegangen sein, der wie eine Brücke durch ein Moor, in dessen +böse Sümpfe wir hilflos hineingeraten waren, zu führen schien. + +Endlich erreichten wir mit erschöpften Kräften ein kleines Tal, das +nach unserem offenen Tale führte, dessen wohlbekanntes Panorama ein +erfreulicher, belebender Anblick war. Jetzt merkten wir, daß wir beim +Waten im Moraste den Spaten verloren hatten. Der Lama ging zurück, ohne +ihn zu finden, stieß dafür aber auf eine alte tibetische Zeltstange, +die uns abends beim Feueranzünden gut zustatten kam. Rebhühner, Hasen +und Kulane zeigen sich überall, und, wie gewöhnlich, sind die Raben in +diesem unwirtlichen Gebirge heimisch. + +Es war herrlich, wieder auf tragfähigem Boden zu reiten. Neun Kulane +leisteten uns eine Zeitlang Gesellschaft. Auf einer Anhöhe rasteten +wir einige Minuten, um die Gegend zu überschauen. Keine Spur, keine +schwarzen Punkte, die unsere weidenden Tiere sein konnten, kein Rauch +war zu sehen! Die Gegend lag ebenso still und öde da, wie wir sie +zuletzt gesehen hatten, und absolut nichts deutete darauf hin, daß sich +Menschen in der Nachbarschaft befanden. + +Obwohl die Sonne schon tief stand, schienen meine Kameraden doch zu +glauben, daß wir noch zu den Unsrigen gelangen würden, denn sie ritten +immer schneller. Die Tiere, die sonst gewöhnlich in einem Haufen +getrieben wurden, mußten hier in einer Reihe hintereinander und mit +Stricken verbunden marschieren, da das Gras sie zu sehr in Versuchung +führte. Schagdur leitete drei, ebenso der Lama, und ich ritt als +Treiber hinterdrein. Schagdur hatte einen bedeutenden Vorsprung. Mein +Reitschimmel, der mir den gestohlenen ersetzt hatte und der, nachdem er +kraftlos geworden, durch eines der tibetischen Pferde ersetzt worden +war, brach plötzlich zusammen und blieb auf der Erde liegen. Man mußte +glauben, daß seine letzte Stunde gekommen sei; wie es schien, fing er +schon an zu erkalten. Der Lama schmierte ihm die Nüstern innen mit +Butter ein und zwang ihn, Lauch zu kauen. Große Tränen rollten aus den +Augen des Pferdes, und Schagdur sagte, es weine darüber, daß es jetzt, +nachdem es so ehrenvoll alle unsere Anstrengungen geteilt, nicht zu +seinen alten Kameraden zurückkehren könne. Inzwischen schlugen wir +Lager, und die Tiere wurden auf die nächste Weide geführt. + +Die Nacht verlief ruhig unter frischem, nördlichem Winde. Die Hunde +knurrten nicht einmal, und keine Feuer waren sichtbar. + +Als wir am 20. August aufbrachen, strömte der Regen nieder, was uns +jedoch wenig störte, weil der Boden jetzt beinahe überall fest und +tragfähig war. Sogar der Schimmel hinkte mit. Als wir die roten +Hügel in der Nähe unseres ersten Lagerplatzes, auf dem Hinwege, +passiert hatten, ertönten zwei Flintenschüsse und eine Weile darauf +ein dritter. Ein Yak stürmte nach den Hügeln hinauf. Wir richteten +unseren Kurs sofort dorthin und bemerkten bald zwei Punkte, die sich +im Fernglase nach und nach zu zwei Reitern entwickelten. Waren es +tibetische Yakjäger? Nein, denn es zeigte sich bald, daß sie gerade +auf uns zu ritten. Als sie nähergekommen waren, erkannten wir in +ihnen Sirkin und Turdu Bai. Wir saßen ab und warteten, bis sie vor +Freude weinend heransprengten, ganz entzückt von der heutigen Jagd, +-- eine solche Beute hatten sie sich nicht träumen lassen, als sie am +Morgen ausgeritten waren, um sich Fleisch zu verschaffen! Sie hatten +nämlich nur noch drei Schafe. Für uns war es ein besonderes Glück, +so unerwartet in der Einöde mit ihnen zusammenzutreffen; es wäre uns +jetzt, da der Regen alle Spuren ausgelöscht hatte, wohl recht schwer +geworden, das Lager zu finden. + +Das Lager war vor einiger Zeit nach einem Seitentale südlich von der +Flußmündung verlegt worden und war dort so im Terrain versteckt, daß +wir es ohne Hilfe kaum hätten entdecken können. Wir ritten sämtlich +dorthin. Kutschuk, Ördek und Chodai Kullu kamen uns entgegengelaufen; +auch sie weinten und riefen: + +„Chodai sakkladi, Chodai schukkur (Gott hat euch beschützt, Gott sei +gelobt), wir sind wie vaterlos gewesen, während ihr fort waret!“ + +Es war wirklich rührend, ihre Freude zu sehen. -- + +Bald darauf saß ich wieder in meiner bequemen Jurte und hatte meine +Kisten um mich, und mein schönes, warmes Bett war in Ordnung. Wenn +man es einen ganzen Monat recht schlecht gehabt hat, weiß man es erst +zu schätzen, wenn man sich wieder in „zivilisierten Verhältnissen“ +befindet. Sirkin berichtete, daß ein Pferd verendet sei und die anderen +sich noch nicht erholt hätten, daß die Kamele aber bedeutend kräftiger +geworden seien. Die Chronometer waren stehengeblieben, weil Sirkin es +aus Furcht, daß die Federn springen könnten, nicht gewagt hatte, sie +ganz aufzuziehen. Die Folge dieser übertriebenen Vorsicht war, daß wir +nun nach dem naheliegenden Lager Nr. 44, unserem Hauptquartiere, von +dem die Reise nach Lhasa ausgegangen war und in welchem ich damals eine +astronomische Ortsbestimmung gemacht hatte, zurückkehren mußten. Ein +Zeitverlust von mehreren Tagen würde dadurch allerdings entstehen, aber +die Tiere, die wir mitgehabt hatten, bedurften nur zu sehr aller Ruhe, +die sie haben konnten. Es hatte in der Gegend unaufhörlich geregnet; +bisweilen waren jedoch kleine Ausflüge gemacht und dabei einige Kulane +erlegt worden. + +Tschernoff hatte die Nachhut so gut geführt, daß er bei seiner Ankunft +am 2. August noch neun Kamele mitgebracht hatte; nur zwei Kamele und +zwei Pferde waren verendet; unter den ersteren war mein Veteran von der +Kerijareise im Jahre 1896. + +Alle Leute waren gesund, und helle Freude herrschte an diesem Abend. +Sie gestanden, daß sie nach Ördeks Rückkehr für uns das Schlimmste +befürchtet hätten und kaum von uns hätten sprechen mögen, sondern +gewartet und gewartet hätten. Jolldasch heulte vor Freude und nahm +sofort seinen bequemen Platz neben meinem Bette wieder ein. + +Nachdem ich das Lager inspiziert und alles in bester Ordnung +vorgefunden hatte, mußte Tscherdon mir ein Bad zurechtmachen. Der +größte Kübel, den wir hatten, wurde mit heißem Wasser gefüllt und in +meine Jurte gebracht. Nie ist ein gründliches Abseifen notwendiger +gewesen als jetzt, und das Wasser mußte mehreremal erneuert werden, +hatte ich mich doch 25 Tage lang nicht gewaschen! Und wie schön war +es, nachher vom Scheitel bis zur Sohle wieder in reinen europäischen +Kleidungsstücken zu stecken und den mongolischen Lumpen auf ewig +Lebewohl sagen zu können! + +Nach einem wohlschmeckenden Mittagsessen und Aufzeichnung der heutigen +Erlebnisse ging ich mit gutem Gewissen zu Bett und genoß in vollen +Zügen die Ruhe und den Komfort, die mich umgaben. Das Bewußtsein, daß +ich den forcierten Ritt nach Lhasa ohne Zögern gewagt hatte, war mir +eine große Befriedigung. Daß wir diese Stadt nicht hatten sehen können, +betrachtete ich weder jetzt noch später als eine Enttäuschung; gibt es +doch unüberwindliche Hindernisse, die alle menschlichen Pläne kreuzen. +Aber es freute mich, daß ich nicht einen Augenblick gezaudert hatte, +einen Plan auszuführen, der kritischer und gefährlicher war als eine +Wüstenwanderung, und es ist ein Vergnügen, gelegentlich den eigenen +Mut auf die Feuerprobe zu stellen und die Ausdauer bei Strapazen zu +erproben. Mein Leben während der nächstfolgenden Zeit erschien mir +im Vergleich mit dem eben Erlebten wie eine Ruhezeit. Was uns auch +beschieden sein mochte, -- solche Strapazen wie auf der Lhasareise +würden wir schwerlich wieder erleben. Mir war zumute, als sei ich schon +halb wieder zu Hause, und ich ahnte nichts von den ungeheuren Mühsalen, +die uns noch von Ladak trennten. + +Alles erschien mir jetzt leicht und lustig, sogar der Regen schmetterte +freundlich auf die Kuppel der Jurte, und der eintönige Sang der +Nachtwache lullte mich bald in den Schlaf. Ich war froh, daß ich nicht +mehr hinauszugehen und die Pferde zu bewachen brauchte, und ich freute +mich, Schagdur und den Lama, halbtot vor Müdigkeit, in ihren Zelten +schnarchen zu hören. + +Am folgenden Morgen konnte es keiner übers Herz bringen, mich zu +wecken; wir kamen daher erst mittags fort. Wir ritten auf den Hügeln +am rechten Ufer des Flusses. Die Wassermenge war jetzt ziemlich +ansehnlich. Auf dominierenden Höhen hatten meine Leute Steinpyramiden +errichtet, die von fern Tibetern glichen. Der Zweck der Steinmale war, +uns bei der Rückkehr den Weg vom Lager Nr. 44 nach dem neuen zu zeigen. +Wenn die Tibeter die Pyramiden erblickten, würden sie gewiß glauben, +daß wir eine Heerstraße für einen Einfall bezeichnet hätten und daß +bald eine ganze Armee unserer Spur folgen würde. In einem Nebentale +verriet ein großer Obo, daß die Gegend nicht selten besucht wurde; wie +gewöhnlich, war er aus einer Menge Sandsteinplatten errichtet, in die +die Formel „Om mani padme hum“ eingemeißelt war. + +Wir ließen uns jetzt an derselben Stelle wie damals häuslich nieder. +Das Gerippe des hier gefallenen Pferdes war von Wölfen vollständig +reingefressen. Hasen und Raben kommen in der Gegend besonders häufig +vor. Eines der letzten Schafe wurde geschlachtet. -- + +Die Reise nach Lhasa erscheint mir jetzt wie ein Traum; hier sitze ich +unter denselben Verhältnissen wie vor einem Monat, die Jurte steht +auf demselben Erdringe, die Beine des Theodolitenstativs in denselben +Löchern, der Fluß rauscht wie damals; es ist, als könnten nur ein, +zwei Tage vergangen sein. Alle jene langen, unter Wachen und Sorge +zugebrachten Nächte sind vergessen; es war nur eine flüchtige Episode, +eine Parenthese im Verlaufe der Reise! -- + +Jetzt folgten einige Tage der Ruhe, in denen meine Geduld jedoch sehr +auf die Probe gestellt wurde. Es regnete und schneite unaufhörlich, und +ich hatte keine Gelegenheit, alle die astronomischen Beobachtungen, +die ich gern machen wollte, vorzunehmen. Und dann sehnte ich mich +auch danach, wieder nach Süden aufzubrechen und bewohnte Gegenden +aufzusuchen, wo wir die uns nötige Hilfe erhalten konnten, denn es war +schon jetzt ersichtlich, daß unsere Tiere nicht mehr weit kommen würden. + +In der Nähe des Lagers wurde mir ein Platz gezeigt, wo Turdu Bai und +Tscherdon am Tage unserer Abreise eine Gesellschaft tibetischer Jäger +überrascht hatten. Diese Helden waren so fassungslos gewesen, daß sie +Hals über Kopf Reißaus genommen und siebzehn Packsättel, ein Zelt und +den ganzen Fleischvorrat, aus dem ihre Jagdbeute bestand, im Stiche +gelassen hatten. Alles lag noch da, bis auf das Fleisch, das sich Wölfe +und Raben zu Gemüte geführt hatten. Man kann sich die tollen Gerüchte +denken, die in Umlauf gesetzt werden, wenn solche Flüchtlinge wieder +bewohnte Gegenden im Süden erreichen. Sie übertreiben natürlich ihre +Beschreibungen und behaupten, daß eine ganze Armee von Europäern ins +Land gedrungen sei. Das hatten wir in Dschallokk ja selbst gehört. + +Während meiner Abwesenheit war gute Disziplin gehalten worden, aber +nach meiner Rückkehr wurde sie noch mehr verschärft. Alle unsere +Tiere hatten ihre Weideplätze in einem Tale, das einige Kilometer +vom Lager entfernt war. Tschernoff ritt einmal nachts dorthin und +fand die Wächter schlafend. Er gab einen Flintenschuß ab, durch den +alle aufs fürchterlichste erschreckt wurden. Die Schläfer wurden +gebührend heruntergemacht und beklagten sich am folgenden Morgen bei +mir, doch statt daß ich mich auf ihre Seite stellte, bekamen sie ein +neues Gesetz zu hören, das ich im Handumdrehen erließ: „Wer künftig +auf seinem Posten schlafend angetroffen wird, wird mit einem Eimer +kalten Wassers aufgeweckt!“ Jede Nacht sollten sechs Muselmänner, je +zwei gleichzeitig, abwechselnd Wache halten, und die Ablösung sollte +unter Kontrolle des diensthabenden Kosaken vor sich gehen. Die vier +Kosaken waren also der Reihe nach für den Nachtdienst verantwortlich. +Die Muselmänner hatten über die Tiere zu wachen und die Kosaken +dafür zu sorgen, daß die Muselmänner ihre Pflicht taten. Infolge der +letzten Abkanzelung wollten Mollah Schah und Hamra Kul wieder einmal +nach Tscharchlik zurückkehren, beruhigten sich aber, nachdem sie den +Wahnsinn eines solchen Unternehmens eingesehen hatten. Derartige +Reibereien sind in einer großen Karawane, in der Geschmack und Meinung +nach den christlichen, muselmännischen oder mongolischen Anschauungen +und Lebensgewohnheiten der Betreffenden wechseln, nicht zu vermeiden. + +Tscherdon wurde zu meinem Leibkoch ernannt, Schagdur sollte sich eine +Zeitlang ausruhen; der Lama war niedergeschlagen und nachdenklich und +wurde von jeder Dienstleistung dispensiert, bis wir wieder auf Menschen +stießen. Dem alten Muhammed Tokta, der schon lange kränklich gewesen +war, ging es seit einer Woche schlechter; er klagte über Herzschmerzen. +Es wurde ihm geraten, sich ganz ruhig zu halten. Im übrigen herrscht im +Lager die beste Stimmung, und die Kosaken sind besonders zufrieden. Sie +haben eine Balalaika, eine dreisaitige Zither, gemacht, und mit dieser, +einer tibetischen Flöte, einer Tempelglocke, improvisierten Trommeln, +der Spieldose und Gesang wurde am letzten Abend unter strömendem Regen +ein wenig harmonisches Konzert aufgeführt, das jedoch großen Beifall +fand. + +[Illustration: 267. Das Lazarettzelt. (S. 269.)] + +[Illustration: 268. Kalpets Bett auf dem Kamelrücken. (S. 269.)] + +[Illustration: 269. Der Leichenzug. (S. 271.)] + +[Illustration: 270. Der tote Kalpet auf seinem lebenden Katafalk. (S. +271.)] + + + + +Zwanzigstes Kapitel. + +Der Zug nach Süden. + + +Am 25. August sollten wir endlich das Lager Nr. 44 endgültig verlassen +und neuen Schicksalen und Erfahrungen entgegengehen. Ladak war +jetzt unser Ziel; aber ich hatte mir fest vorgenommen, nicht eher +die Richtung nach Westen einzuschlagen, als bis wir weiter südlich +wieder auf unüberwindliche Hindernisse stießen. Die Tibeter waren +jetzt wachsam, das ganze Land war wie im Belagerungszustand, eine +Mobilmachung hatte bereits stattgefunden, das wußten wir, und wir +konnten uns sehr leicht ausrechnen, daß wir früher oder später wieder +tibetischen Truppen von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen würden. +Für den Anfang zogen wir jetzt also nach Süden. + +Merkwürdigerweise erkrankten über Nacht drei von unseren Pferden, aber +nicht von denen, die die Reise nach Lhasa mitgemacht hatten. Das eine +taumelte und fiel unaufhörlich, das andere verendete schon im Lager, +und das dritte kam nur noch über den ersten Paß des Tagemarsches, ehe +es stürzte, um sich nie wieder zu erheben. Es war ein trauriger Anfang +und zeigte deutlich, daß wir früher oder später auf die Hilfe der +Tibeter angewiesen sein würden. + +Als ich geweckt wurde, schneite es stark, und als wir aufbrachen, goß +es wie mit Scheffeln. Die ganze Gegend sieht aus wie mit Straßenkot +begossen, in den man einsinkt, ohne festen Fuß fassen zu können. Zuerst +wurde der Fluß überschritten, dann zogen wir durch den Schlamm nach +einem kleinen Passe hinauf. Mehrere Reiter mußten nach verschiedenen +Richtungen ausgesandt werden, um zu untersuchen, ob der Boden trug. +Über einen neuen Fluß schreiten wir unglaublich langsam nach einem +höheren Passe hinauf. Hier müssen alle zu Fuß gehen, auf die Gefahr +hin, daß ihre Stiefeln im Morast steckenbleiben. Die armen Kamele +zerreißen, da sie fest einsinken und der Karawane nicht folgen können, +unaufhörlich ihre Nasenstricke. Wären unserer nicht soviele gewesen, so +hätten wir diejenigen Kamele, die bis zur Hälfte in dem losen nassen +Tonschlamme, der sie zäh festhielt, eingesunken waren, ganz einfach +im Stiche lassen müssen. Die Last muß ihnen sofort abgenommen und +auf einigermaßen festen Boden gestellt werden, damit nicht auch sie +verschwindet. Der Tonschlamm wird mit Spaten abgegraben, das Kamel +auf die Seite gelegt, seine Beine mit Seilen herausgewunden und eine +mehrfach übereinandergelegte Filzdecke unter das Tier gebreitet, damit +seine Füße festen Halt finden, wenn es sich endlich selbst aufzustehen +bemüht. Sonst sind die Kamele verloren, denn sie bleiben ruhig liegen, +bis man sie herauszieht. Währenddessen gießt es, daß es auf der Erde +klatscht. Alles wird aufgeweicht und durch und durch naß, als sollten +diese Höhen fortgespült werden. + +Jenseits des Passes wurde das Terrain ein wenig besser; die Südabhänge +sind infolge der Einwirkung der hier jedoch äußerst selten auftretenden +Sonne gewöhnlich vorteilhafter für uns. Am rechten Ufer eines Flusses +hatte die Karawane während unserer Abwesenheit einige Tage zugebracht, +und da dort noch ein großer Argolhaufen lag, machten wir an dieser +Stelle Halt. + +Am folgenden Tag waren sowohl das Wetter wie auch die Wegverhältnisse +günstiger, aber das Land ist fast unfruchtbar und arm an Wild. Nur ein +einsamer Kulan zeigte sich und wurde von Sirkin erlegt. Gewöhnlich +schreibt die Gestalt des Bodens uns die Richtung unseres Weges vor, +und da jener nach Südsüdwesten hin am ebensten aussah, zogen wir nach +dieser Seite. Ungefähr 40 Kilometer westlich von unserer Route erhob +sich ein kleines Schneemassiv mit rudimentären Gletschern; es setzte +sich im Süden in einer merkwürdigerweise meridionalen Bergkette mit +vereinzelten Schneegipfeln fort. + +Tschernoff hatte vor einiger Zeit die Gegend rekognosziert und teilte +mir jetzt mit, daß er an einer etwas weiter südlich gelegenen Quelle +deutliche Kamelspuren gesehen habe. Als wir am 27. August dort +vorbeizogen, zeigte er mir den Platz, und richtig hatten dort Kamele in +großer Zahl geweidet. Woher sie gekommen waren und was für Menschen sie +gehört hatten, war und blieb uns ein Rätsel. Sollten sie am Ende einer +mongolischen Pilgerkarawane, die sich von Nordosten hierher verirrt +hatte, gehört haben? + +Denselben Tag mußten wir auch Bowers Route gekreuzt haben, obwohl es +nicht möglich war, die Stelle, wo dies geschah, zu identifizieren. +Im Süden erhob sich vor uns eine neue Bergkette, aber wir waren +nur imstande, bis an ihren Fuß zu gelangen, wo das Lager Nr. 67 +aufgeschlagen wurde. Der Herbst hatte seinen Einzug gehalten, das +Minimumthermometer zeigte -5,1 Grad, und am Tage hatten wir nicht mehr +als +7,9 Grad. + +Als ich am 28. aufstand und mit dem Beladen der Tiere schon angefangen +war, wurde mir gemeldet, daß Kalpet, ein Mann aus Kerija, fehle. Ich +verhörte die Leute, die aussagten, daß er gestern über Brustschmerzen +geklagt habe und auf dem Marsche zurückgeblieben sei. Sie seien +jedoch der Meinung gewesen, daß er langsam unseren Spuren folge und +in der Dunkelheit, ohne daß jemand darauf geachtet habe, im Lager +angekommen sein werde. Nun fehle er aber noch immer. Ich ließ die Tiere +weitergrasen und schickte Tschernoff und Turdu Bai zu Pferd mit einem +Maulesel ab, um den Mann lebendig oder tot herbeizuschaffen, -- er +konnte ja unterwegs plötzlich erkrankt sein und mußte sich jedenfalls +in einer schlimmen Lage befinden, da er uns nicht nachgekommen war und +einen ganzen Tag nichts zu essen bekommen hatte. Nach einigen Stunden +kamen sie mit dem armen Menschen an, der aufs beste verpflegt wurde und +auf einem Maulesel reiten durfte, als wir endlich, bedeutend verspätet, +aufbrachen. + +Obgleich der Boden tragfähig war, wurde der Tagemarsch doch ziemlich +anstrengend, denn wir mußten über eine ganze Reihe von Pässen und +Kämmen. + +Mit zwei Kamelen geht es jetzt zu Ende; sie können nicht mehr +mitkommen; sie müssen später geholt werden und sind natürlich stets +unbeladen. Große Ordnung herrscht in der Karawane. Der diensttuende +Kosak bringt die Nacht auf dem Platze zu, wo die Tiere unter Aufsicht +ihrer Wächter, die man aus der Ferne singen hört, grasen. Heute abend +begab sich Schagdur dorthin, nachdem er in der Jurte der Kosaken zu +Abend gegessen hatte, und die Töne der Balalaika verhallten am Fuße +der Hügel. Die drei übrigen Kosaken, die den Erzählungen Schagdurs +und des Lamas mit gespanntem Interesse gelauscht hatten, sehnten sich +jetzt danach, mit den Tibetern in Berührung zu treten. Sie sahen mich +verwundert und fragend an, als ich ihnen sagte, daß unsere Karawane +früher oder später in ihrem Marsche von einer unüberwindlichen +Heerschar aufgehalten werden würde. + +Dieser Lagerplatz, Nr. 68, befand sich in einer Höhe von 5068 Meter. +Schon um 9 Uhr abends war die Temperatur auf -1,9 Grad gesunken und +hielt sich während der Nacht auf -6,2 Grad. Auch diese Tagereise führte +über drei kleine, aber recht beschwerliche Pässe; die Bergketten +erstrecken sich jetzt wieder von Westen nach Osten, und alle Täler +fallen nach Süden ab. Eine vierte Kette brauchten wir nicht zu +übersteigen, da sie von einem Flusse durchbrochen wurde, dem wir +folgten. + +Alte Lagerplätze sind jetzt ziemlich häufig und lassen sich teils an +den gewöhnlichen drei Steinen, auf die der Kochtopf gestellt wird, +teils an Schädeln von erlegten Yaken und Archaris erkennen. Bei +einem solchen Platze lud die Weide zu einem Extrarasttage ein. Eine +Herde von 50 Kulanen zog sich bei unserem Herannahen zurück. Yake und +Wildschafe sind gleichfalls zahlreich vertreten, ebenso Hasen. Ein +Lampe wurde eifrig von allen sieben Hunden verfolgt und von Jolldasch +gefangen. Jollbars strengt sich nicht weiter an, bevor die Beute nicht +eingefangen ist; dann erst tritt er auf und hält einen gehörigen +Schmaus. + +Der Rasttag war in jeder Beziehung herrlich, das Wetter gut; der +Rauch stieg manchmal senkrecht von den Lagerfeuern auf, und unsere +erschöpften Tiere schwelgten in dem guten Grase. In der Nähe fanden +wir noch mehrere alte Lagerplätze, und aus dem Schafmiste ließ sich +schließen, daß die Gegend nicht nur von Jägern, sondern auch von +Nomaden aufgesucht wird. Wir konnten also jeden Augenblick auf Menschen +stoßen, und bei denen, die noch keine Tibeter gesehen hatten, wurde die +Neugier immer größer. + +Schagdur und Turdu Bai rekognoszierten in östlicher Richtung und +fanden dort eine ganze Reihe „Iles“ oder Male, die aus Steinen, +oder wo Gestein fehlte, aus Erdschollen errichtet waren. Die Reihe +erstreckte sich weit nach Süden, und die Male standen so dicht, daß +sie, nach Schagdurs Annahme, wahrscheinlich die Grenzlinie einer +Provinz bezeichneten, um so mehr, als von einem Wege dort keine Spur zu +entdecken war. Sirkin schoß einen „Kökkmek“-Bock, der photographiert +wurde (Abb. 260). Schagdur ebenfalls einen. Letzterer und eine hübsche +kleine „Jure“ (~Antilope Cuvieri~) wurden von den Kosaken abends +vermittelst einiger Pflöcke und Schnüre in der natürlichen Stellung, +die sie während des Laufens einnehmen, aufgestellt. Am Morgen waren sie +steif gefroren und konnten allein stehen wie Turnpferde. Es geschah, +damit ich die Tiere photographieren konnte (Abb. 261). + +31. August. Es ist nicht angenehm, aus seinem süßesten Morgenschlafe +aufgeweckt zu werden; doch ist man erst angekleidet und in Ordnung, +so geht alles seinen ruhigen Gang, und der Tag verläuft ebenso wie +seine Vorgänger. Wir hatten jetzt ein viel gastfreundlicheres Land als +bisher erreicht; der Boden ist fest, das Terrain senkt sich, und wir +brauchten keine Pässe zu forcieren. Auch der Himmel war uns hold, die +Temperatur stieg auf +18,2 Grad. Südwestlich von unserem Wege zeigte +sich ein kleiner Salzsee, der der Sammelplatz aller Wasserläufe der +Gegend war. Am Ufer saßen einige gewaltige Adler. Ihre Jungen, die eben +flügge waren, wurden von den Hunden angegriffen, verteidigten sich aber +so tapfer mit Schnabel und Krallen, daß die Angreifer sich zurückziehen +mußten. + +Am 1. September überschritten wir in einem 4855 Meter hohen Passe +die nächste Kette, die ganz und gar aus weichem Material bestand +und abgerundete Formen hatte. Vom Passe hatte man nach Süden eine +außerordentlich weite Aussicht. In der Ferne ließ allerdings ein +schwaches Dunkel einen Kamm ahnen, sonst aber schienen wir ein paar +gute Tagereisen ebenen Terrains vor uns zu haben. Der Boden schimmerte +stärker grün als bisher, dessenungeachtet waren aber keine Nomaden zu +sehen; die Lagerstellen, an denen wir vorbeikamen, waren alle ziemlich +alt. Obgleich wir nur 20 Kilometer zurückgelegt hatten, blieben wir +daher bei dem ersten Bette, welches Wasser führte. + +Gegen 4 Uhr gab es im Lager eine Aufregung. Ein Haufe schwarzer +Punkte, die für weiter südlich weidende wilde Yake gehalten worden +waren, wurden durch das Fernglas als Pferde erkannt. Der Lama und die +Kosaken, außer dem diensthabenden, ritten dorthin. Ersterer kam jedoch +bald wieder und führte sein Pferd, das krank geworden war, am Zügel. +Die Pferde waren fett und kräftig, aber scheu gewesen. Wächter hatten +sich nicht gezeigt, und nichts deutete an, daß solche beim Herannahen +der Reiter entflohen sein könnten. Für die Besitzer selbst schien die +Gegend sicher zu sein, während es für uns nicht angegangen wäre, die +Tiere ohne Aufsicht zu lassen. Der Ausflug hatte das Gute, daß noch +besseres Weideland entdeckt wurde, wohin wir unsere Tiere trieben und +wo wir ihnen um so eher einen Ruhetag gönnen konnten, als Almas mit den +beiden kranken Kamelen noch nichts von sich hatte hören lassen. + +Frühmorgens machten sich der Lama, Schagdur und Sirkin auf die Suche +nach Tibetern, und wir konnten voraussehen, daß sie Erfolg haben +würden, denn auf den Hügeln im Süden zeigten sich wohl 1000 Schafe und +eine Yakherde. + +Gegen Abend kam der Lama mit einer Domba Milch zurück, und in der +Ferne erschienen die Kosaken, drei Tibeter, die ihre Pferde und ein +Schaf führten, buchstäblich vor sich hintreibend. Sie hatten ein Zelt +mit 13 Bewohnern gefunden. Beim Herannahen der Reiter war die ganze +Gesellschaft nach verschiedenen Seiten hin entflohen; da ihre Pferde +jedoch nicht bei der Hand gewesen waren, hatten unsere Leute sie +leicht einholen und nach dem Zelte zurücktreiben können. Erschreckt +wie sie waren, waren sie wenig mitteilsam, und die Auskünfte, die sie +erteilten, waren nicht viel wert. + +Sie sagten, daß die Gegend +Dschansung+ heiße und ihr „Bombo“, der an +dem großen See Selling-tso wohne, ihnen den Hals abschneiden würde, +wenn sie uns Lebensmittel verkauften. Sie weigerten sich auch ganz +bestimmt, dies zu tun. Nachdem aber Schagdur, der die Tibeter haßte, +seitdem sie uns den Weg nach Lhasa versperrt hatten, einen der Männer +mit seiner Reitpeitsche traktiert hatte, ließen sie mit sich reden und +gaben eine Schüssel Milch und ein Schaf her. Sie hatten sich erst ganz +kürzlich in der Gegend niedergelassen, so daß sie noch keine Zeit zur +Bereitung saurer Milch gehabt hatten; das noch frische, unberührte Gras +um ihr Zelt herum sprach für die Wahrheit dieser Aussage. + +„Wohin reist ihr denn?“ fragte einer von ihnen. + +„Nach Ladak“, antwortete der Lama. + +„Dann seid ihr auf ganz verkehrtem Wege; nach Süden hin könnt ihr +nur noch eine Tagereise weit kommen, denn dort wird der Weg vom +Selling-tso, wo die Bevölkerung zahlreich ist, versperrt.“ + +Sie selbst waren Bantsching Bogdo in Taschi-lumpo untertan, wußten aber +nicht, wie viele Tagereisen es bis zu ihrem Tempel sei. Im Südosten +regiere der Dalai-Lama über das Gebiet von Lhasa, im Osten Kamba Bombo +über das von Nakktschu. + +Mit sichtbarer Furcht näherten sie sich unserem Lager und wurden +aufgefordert, sich vor der einen Jurte auf einen Teppich zu setzen +(Abb. 262). Tee und Brot wurden ihnen vorgesetzt; nach einigem Zögern +langten sie tüchtig zu. Für das Schaf, das sofort unter muselmännischen +Zeremonien geschlachtet wurde, bezahlten wir sie mit Lhasageld, für +die Milch erhielten sie eine Porzellantasse. Pferde konnten sie nicht +verkaufen, weil die Herde ihnen nicht gehörte. Sie saßen die ganze +Zeit wie auf Kohlen, obwohl der Lama sie zu beruhigen suchte und +versicherte, daß ihnen kein Leid geschehen solle. + +Als wir genug von ihnen hatten, ließen wir sie gehen, und sie schwangen +sich sofort in den Sattel. Inzwischen war der photographische Apparat +aufgestellt worden, und der Lama hielt sie, den Zügel des einen Pferdes +ergreifend, diplomatisch mit einer letzten Frage fest, so daß ich diese +drei halbwilden, barhäuptigen, mit Säbeln bewaffneten Reiter noch +abknipsen konnte, die nun auf der Abbildung 263 verewigt sind. + +Sobald er aber den Zügel losgelassen hatte, schwenkten sie herum und +jagten spornstreichs davon, wobei sie sich umsahen, als glaubten sie, +daß ihnen eine Flintenkugel folgen würde. Als sie außer Schußweite +waren, ritten sie langsamer und sprachen eifrig miteinander; gewiß +fragten sie sich, was wir wohl für seltsame Menschen sein könnten, da +wir ihnen gegenüber so anständig gewesen seien. + +Am 3. September legten wir 29 Kilometer in südsüdwestlicher Richtung +zurück, auf flachem, offenem, gleichmäßig ebenem Lande, das reich an +Tümpeln und kleinen Seen war und oft ganz vorzügliches Gras aufzuweisen +hatte. Keine Hindernisse stellten sich uns in den Weg, und ich nahm +als selbstverständlich an, daß der Selling-tso jetzt zwischen uns und +den niedrigen Bergen, die sich im Süden nur undeutlich erkennen ließen, +liegen müsse. Wir blieben beisammen, und die kranken Kamele folgten +standhaft der Karawane. Hier und dort sahen wir große Schafherden mit +ihren Wächtern, aber ohne Hunde. Letztere gab es nur bei den Zelten. +Aus einem Zelte holten der Lama und Schagdur eine Domba sauere Milch. +Nach und nach werden die schwarzen Nomadenzelte immer zahlreicher (Abb. +265) und bilden bisweilen sogar Dörfer. In einem solchen Dorfe machten +die Kosaken einen Besuch, und als sie es verließen, folgte ihnen ein +Pferd, das besonders munter erschien. Sein Besitzer, ein anderer Mann, +ein altes Weib, zwei junge Mädchen und ein Junge liefen mit einem +Stricke hinterdrein, um es einzufangen. Doch der Gaul zog es vor, sich +ganz zu uns zu gesellen, und wir mußten den Tibetern schließlich wieder +zu ihrem Eigentum verhelfen. + +Die jungen Mädchen hatten ihr Haar in zahllose kleine Zöpfe geflochten, +die vom Scheitel wie Radien auf den Rücken und nach den Seiten +herunterhingen und unten der Reihe nach an einen Streifen roten, mit +allerlei Zierraten besetzten Zeuges befestigt waren (Abb. 264). Von +der Mitte dieses Streifens hing ein breites, buntes, gesticktes Band +den Rücken herab. Im übrigen waren sie barhäuptig und trugen gleich +den Männern Pelze und Stiefeln. Wo die natürlichen Rosen der Wangen +ihren Platz hätten haben müssen, hatten sie die Haut mit irgendeiner +rotbraunen Farbe eingeschmiert und hierdurch ein Paar glänzender, +dicker Firniskrusten zustande gebracht. Einigen von ihren schwarzen +Yaken wurde von unseren Hunden sehr zugesetzt. Die Tiere waren jedoch +so klug, sich in die Mitte eines Tümpels zu flüchten, und blieben erst +stehen, als ihnen das Wasser bis an den Unterkiefer ging, während die +Hunde sie schwimmend umschwärmten. Nun hatten die Yake nur den Kopf zu +verteidigen, und an diesem saßen die achtunggebietenden Hörner. Diese +improvisierte Wasserpantomime rief in der Karawane große Heiterkeit +hervor. + +Schon frühmorgens waren sechs Soldaten mit weißen Hüten und Gewehren +wie aus dem Erdboden aufgetaucht und uns auf unserer linken Seite, aber +in gebührender Entfernung gefolgt. Jetzt zeigte sich rechts von uns +eine neue Schar von sieben Mann. Die erste Truppe ritt auf einem großen +Umwege weit hinter uns zu der letzteren hinüber, und nun umkreisten +sie die Karawane, bald vorn, bald hinten, bald rechts, bald links, +zuweilen langsam, zuweilen im Galopp, und führten eine Art Kampfübungen +auf, die, wie ich vermute, uns Schrecken einjagen sollten. Da es ihnen +nicht gelang, uns zu imponieren, und wir ruhig unseren Weg nach Süden +fortsetzten, näherten sie sich von hinten bis auf ein paar hundert +Meter Entfernung und redeten unter lebhaftem Gestikulieren mit dem Lama +und Schagdur, die zurückgeblieben waren. Bei einem der Zelte saßen sie +ab und gingen hinein. + +Inzwischen gelangten wir an das Ufer eines gewaltigen Flusses, der von +Osten kommt und in dem ich bald den +Satschu-sangpo+ wiedererkannte. +Jetzt war die Frage, ob es uns gelingen würde, dieses gewaltige Bett zu +passieren. Die Kosaken sollten, während wir am Ufer warteten, eine Furt +suchen. Da, wo wir Halt gemacht hatten, teilte eine Schlamminsel den +Fluß in zwei Arme; hier probierte es Ördek nackt mit dem Durchwaten. In +dem ersten Arme stieg ihm das Wasser bis an den Hals, in dem zweiten +nur bis an die Achselhöhlen. Als er umkehrte, versuchte er es an einer +anderen Stelle, wo er aber schwimmen mußte. Hier war das Überführen +der Kamele also unmöglich, um so mehr, als der Boden aus tückischem +Schlamme bestand. + +Unterdessen waren die Tibeter auch angelangt und auf einen Hügel am +Ufer geritten, wo sie mit lautem Geschrei einen Obo begrüßten und von +wo aus sie unsere verzweifelten Versuche, hinüberzukommen, mit größtem +Interesse beobachteten. Es lag natürlich nicht in ihrem Interesse, uns +Auskunft zu erteilen, und wir fragten sie auch nicht um Rat. + +Nach einem kurzen Marsche flußabwärts kommandierte ich Halt und ließ +das Lager aufschlagen. Das Boot wurde zusammengesetzt, und mit Ördek +als Ruderer maß ich die Tiefen. An einer geeigneten Stelle wollten wir +am folgenden Morgen hinübergehen. Die Kamele sollten unbeladen und ohne +Packsättel hinüberwaten und sämtliches Gepäck mit dem Boote befördert +werden. Ein mehrfaches Seil wurde quer über den Fluß gespannt. Die +Tibeter saßen jetzt unterhalb des Lagers, waren mäuschenstill und +augenscheinlich über das Rätsel betroffen, wie wir ein ganzes Boot +hatten hervorzaubern können. Wir beabsichtigten anfangs, den Übergang +in stiller, dunkler Nacht zu bewerkstelligen und am nächsten Morgen +verschwunden zu sein, doch daraus wurde nichts, weil wir fürchteten, +daß die Kamele sich erkälten könnten. Am Abend beschloß ich, überhaupt +nicht über den Fluß zu gehen, sondern seinem rechten Ufer bis zu seiner +Mündung in den Selling-tso zu folgen und darauf am Westufer des Sees +entlang zu ziehen, weil Littledale schon längs des östlichen gegangen +war. + +Der Abend war still und klar, und die Stille wurde nur durch das +Rauschen des Flusses, die Töne der Balalaika und das Bellen der Hunde +in den Zelthöfen der Tibeter unterbrochen. + +Die ganze Nacht blieben die Tibeter auf einem Hügel nordöstlich vom +Lager liegen, wo auch ihr Wachtfeuer brannte. + +[Illustration: 271. Kalpets Grab. (S. 271.)] + +[Illustration: 272. Hladsche Tsering, das Mitglied des Heiligen Rates, +seine Pfeife rauchend. (S. 278.)] + +Während wir am Morgen darauf mit einer Flußmessung beschäftigt +waren, die 68 Kubikmeter in der Sekunde ergab, langte der Häuptling +der Gegend mit einigen Soldaten an, ließ sich bei dem Lama nieder +und betrachtete unser Tun mit grenzenloser Verwunderung. Er bat +um genaue Auskunft über unsere Absichten und erklärte, falls wir +geraden Weges nach Ladak ziehen wollten, werde er uns Führer für zehn +Tagereisen besorgen und uns Pferde, Schafe und alles, was wir sonst +noch brauchten, verkaufen; sei es aber unsere Absicht, nach Lhasa zu +gehen, so müsse er erst einen Kurier dorthin senden und wir hätten die +Antwort abzuwarten, die vielleicht erst in einem Monat käme. Gingen +wir ohne weiteres nach Lhasa, so werde er den Nomaden in der Gegend +verbieten, uns überhaupt etwas zu verkaufen, und er werde mit seinen +Soldaten alles tun, um unser Vordringen zu hindern. Täte er dies nicht, +so würden sowohl er wie seine Leute den Kopf verlieren. Als ich sagte, +da würde ihnen recht geschehen, bemerkte er lachend, für uns wäre das +freilich vorteilhaft, für sie selbst aber sehr unangenehm. Schließlich +teilte ich ihm mit, daß wir weder ihn noch seinen Führer brauchten, da +wir selbst wüßten, wohin wir zu ziehen gedächten. + +„Ja“, antwortete er unerschrocken, „ihr könnt uns das Leben nehmen, +aber solange wir es noch besitzen, werden wir versuchen, euer +Vordringen nach Süden zu verhindern.“ + +Die Kamele wurden eingetrieben, und die Karawane hatte Befehl, so +nahe wie möglich längs des rechten Flußufers zu marschieren, während +ich und Ördek das Boot bestiegen, um uns von der Strömung nach Westen +treiben zu lassen. Mein Sitzplatz war außerordentlich bequem von Kissen +und Decken hergestellt, und der Sicherheit halber hatten wir Proviant +mitgenommen. Es wurde eine jener unvergeßlichen, herrlichen Fahrten wie +vor zwei Jahren auf der Fähre; ich saß in schönster Ruhe und ließ die +Landschaft an mir vorüberziehen. + +Gerade unterhalb des Lagers machte der Fluß eine scharfe Biegung, so +daß wir eine Weile sogar nach Ostnordost trieben. Der Wachthügel der +Tibeter bestand aus Konglomerat und rotem und grünem Sandstein und +fiel gerade in der Biegung, wo der Fluß schmal war, steil ins Wasser +hinunter. Die Strömung war dort ziemlich stark, und als das Boot +unmittelbar unter der steilen Wand hinstrich, stimmten die Tibeter ein +wildes Geheul an; man konnte befürchten, daß sie uns mit einem Regen +von Sandsteinblöcken bombardieren würden. Wir atmeten daher erleichtert +auf, als wir unverletzt an ihnen vorbeigekommen waren. + +Nachher geht der Fluß nirgends durch anstehendes Gestein und wird +ziemlich gerade. Er wird von 4-5 Meter hohen Uferterrassen von Lehm +eingefaßt, und das Land wird immer flacher und öder. Das Bett +verbreitert sich immer mehr und wird immer reicher an Schlamminseln, +die die Wassermasse in mehrere Arme teilen. Ördek half mit dem Ruder, +und wir trieben in schwindelnder Fahrt den Satschu-sangpo hinunter; +es war herrlich, aber wie selten kommt es vor, daß ein großer Fluß so +liebenswürdig ist, gerade in der Richtung unseres Weges zu strömen! + +Seine trübe Flut schwenkt dann nach Südwesten ab. Rechts haben wir eine +kleinere Bergkette, in deren Tälern mehrere von Schaf- und Yakherden +umgebene Zelte liegen. Der hohe Uferwall entzog die Karawane unseren +Blicken, aber Tschernoff, der uns zu Pferde begleitete, hielt die +Verbindung zwischen uns und ihr aufrecht. Am Nachmittag wurde das +Wetter ungünstig, denn es erhob sich ein so starker Südwestwind, daß +der Fluß Wellen schlug und die Fahrt gehindert wurde. Ganze Wolken von +Sand und Staub wehten uns entgegen. Wir hatten jedoch einen so großen +Vorsprung, daß wir ein paarmal auf die Karawane, die noch immer von den +Tibetern verfolgt wurde, warten mußten. An dem letzten Punkte, wo Gras +zu sehen war, machten wir am rechten Ufer Halt, und hier ließen sich +auch die Tibeter nieder. + +Jetzt, da sie nicht über Pässe zu gehen brauchten, hielten sich die +kranken Kamele noch immer aufrecht. Muhammed Tokta war erschöpft und +schien ein Herzleiden zu haben. Mit Kalpet war es noch ebenso, er war +still und wortkarg und hatte keine Freunde unter den anderen, die auch +behaupteten, daß er gar nicht krank sei, sondern sich nur verstelle, +damit er immer reiten dürfe und nicht zu arbeiten brauche. Einer der +Kameraden schlug ihn sogar deshalb, weil die anderen nun die Arbeit +übernehmen sollten, die er bisher getan hatte. Ich wußte nicht, was ich +glauben sollte, aber merkwürdig kam mir die Sache vor, denn der Mann +hatte einen riesigen Appetit. Glücklicherweise machte ich ihm keine +Vorwürfe, sondern bat nur Tschernoff, ihn zu beobachten. Ich würde es +später sehr bereut haben, wenn ich unfreundlich gegen ihn gewesen wäre, +denn er war wirklich krank, und unter den anderen war keiner, der seine +Partei nahm. + +Am Morgen des 5. September sah es drohend aus, aber der Tag wurde klar; +leider hatten wir schon von Mittag an starken Gegenwind, doch die Luft +wurde immer reiner, und man konnte merken, daß der Wind über einen +gewaltigen See hingestrichen war und nicht aus der Steppe stammte. +Über mehreren Sandsteinschwellen bildeten sich Stromschnellen, die wir +jedoch mit Leichtigkeit passieren konnten. Der Satschu-sangpo ist hier +eng und eingeklemmt. Zahllose Schluchten münden wie enge Korridore und +Gänge auf beiden Seiten des Flusses. Man merkt deutlich, daß der See +einst viel größer gewesen sein muß und daß der Fluß jetzt die alten +Sedimente des Sees durchfließt. Die Höhe der Uferterrassen beträgt 6,7 +Meter, und sie sind oft senkrecht. + +Nach einer scharfen, zeitraubenden Biegung nach Nordosten strömt der +Fluß beinahe schnurgerade nach Süden. Nur ein paar Schlammhalbinseln +sind vorhanden. Die Terrassen sind bis 8 Meter hoch, werden aber in +demselben Verhältnisse niedriger, wie sich die Breite des Bettes von +100 Meter auf 400 Meter vergrößert. Der Wind weht gerade in diesen +eigentümlichen Abflußkanal hinein. Die Jolle stampft fühlbar, und die +Fahrgeschwindigkeit ist unbedeutend, obgleich Ördek mit dem Ruder +unverdrossen arbeitet. Fern im Süden verschwinden die markierten Linien +der Terrassen, eine grenzenlose Perspektive öffnet sich großartig und +bezaubernd. Die Breite beträgt jetzt wohl 500 Meter und die Tiefe +ziemlich gleichmäßig etwa 1 Meter; die Terrassen werden noch niedriger +und sind schließlich nur 1 Meter und noch weniger hoch. Weit konnte es +nach dem Selling-tso nicht mehr sein, wie weit aber, war unmöglich zu +bestimmen, denn die Luftspiegelung über den Wasserflächen erlaubte uns +kein Urteil. Nur die am Ostufer des Sees liegende Bergkette zeichnete +sich deutlich ab, aber sie schien über dem Boden zu schweben und +auf einer Luftschicht zu ruhen, die auf verwirrende Art spielte und +zitterte. Ebenso ist es mit den Kamelen, die zwei Kilometer westlich +von uns marschieren; sie scheinen auf langen, schmalen Stelzen zu +gehen, und die ganze Karawane schwebt gleichsam in der Luft. + +Nun aber öffnet sich der Fluß trompetenförmig zu einem großartigen +Ästuarium; die Breite vergrößert sich auf 1 und 2 Kilometer, +schließlich verschwinden auf beiden Seiten die Ufer, und vor uns +dehnt sich die gewaltige, blaugrüne Fläche des +Selling-tso+ aus. Die +Flußterrasse hatte ebenfalls von 1 Meter bis 10 Zentimeter an Höhe +abgenommen, und schließlich lag der Schlamm mit dem Wasserspiegel in +gleicher Höhe. Noch fuhren wir jedoch auf Flußwasser, das im Gegensatz +zu dem herrlichen, frischen und sicherlich salzigen Wasser dort draußen +grau und trübe aussah. Zunächst war der See so flach, daß wir einen +weiten Umweg machen mußten, um an das nordwestliche Ufer gelangen zu +können, wo einige der Unseren mit Pferden warteten, um uns und das +Boot nach dem Lager zu befördern. Der Südwind war jetzt so frisch, +daß der See sich mit Schaumköpfen bedeckte, und wir hielten es für +geraten, Schuhe und Strümpfe auszuziehen und das Boot in eine Bucht +hineinzuschleppen. Eine Stunde später waren wir wohlbehalten in dem +neuen Lager, in dessen Nähe drei tibetische Zelte aufgeschlagen waren. + +Die Karawane hatte ebenfalls einen guten Tag gehabt, obwohl die Tibeter +sich mausig gemacht hatten. Bei zwei Gelegenheiten waren die Kosaken +nach in der Nähe liegenden Zelten geritten, um Proviant zu kaufen, +sofort aber waren die Späher ihnen zuvorgekommen und hatten jeglichen +Handel untersagt. Die Kosaken waren einer Karawane von 200 Schafen +mit Salzlasten begegnet und hatten auch mit den Besitzern verhandelt. +Sogleich war der Anführer erschienen und hatte in gebieterischem Ton +mit seinen Landsleuten gesprochen, was zur Folge hatte, daß diese +durchaus nicht zu bewegen gewesen waren, etwas zu verkaufen. Die +Kosaken, die von Natur hitziger waren als ich, ließen darauf den +Tibetern durch den Lama sagen, daß sie sich, wenn sie uns nur folgten, +um uns am Kaufen von Lebensmitteln zu verhindern, künftig gefälligst +außer Schußweite halten möchten, denn sonst würden sie augenblicklich +niedergeschossen werden. Da verschwanden sie denn auch spurlos für den +Rest des Tages. Dank diesem Manöver konnte die Karawane ungehindert +nach den drei Zelten gelangen, wo sie freundlich von den zwölf +Bewohnern empfangen wurde, welche sehr entgegenkommend waren und gern +ein Schaf, Milch, Butter und Fett verkauften. Sie hatten noch keinen +Befehl von dem hartherzigen Häuptlinge erhalten, der uns aus dem Lande +hinaushungern zu können glaubte. Als sie uns nachher besuchten, wurden +sie mit Tee, Brot und Tabak bewirtet, erhielten kleine Geschenke, wie +einige Messer, einen Kompaß und ein paar Stücke Zeug, und sie waren +über die Maßen entzückt. Ihre Gegend nannten sie +Schannig-nagbo+ (die +schwarze Mütze). + +Während des Rasttages herrschte heftiger Wind, Gewitter und Hagel. +Ich hielt es für klug, nun, da sich die Gelegenheit bot, noch einige +Schafe zu kaufen und den Proviant zu vermehren. Dies geschah noch im +letzten Augenblick, denn schon um 9 Uhr langte eine Reiterschar von +etwas über 50 Mann an; sie schlugen ein paar Kilometer von uns zwei +Zelte mit blauweißen Dächern auf. Erst gegen 1 Uhr ließen sie etwas von +sich hören und unterhandelten auf neutralem Gebiete zwischen beiden +Lagern mit dem Lama. Auf ihre Botschaft ließ ich antworten, daß ich, +wenn es ihrem vornehmsten Anführer nicht beliebe, sich persönlich +bei mir einzustellen, überhaupt nicht mit ihnen unterhandeln würde. +Er kam auch, von zehn mit Säbeln bewaffneten Leuten begleitet. Nur +mit Schwierigkeit konnten wir sie dazu bewegen, in das Küchenzelt +einzutreten, wo auf einem Sessel Tee, Brot und Tabak aufgetragen waren, +doch sie rührten die Bewirtung nicht an, -- sie dachten wohl, daß sie +von Menschen, die ohne Erlaubnis im Lande umherzogen, schicklicherweise +nichts annehmen dürften. + +[Illustration: 273. Die Gouverneure Hladsche Tsering und Junduk +Tsering. (S. 279.)] + +[Illustration: 274. Hladsche Tsering und Junduk Tsering. (S. 279.)] + +[Illustration: 275. Blick nach Westen am Strande des Tschargut-tso. (S. +289.)] + +Nun entspann sich die gewöhnliche zwecklose Unterhandlung. Der alte +Häuptling, der übrigens ein sehr netter, liebenswürdiger Herr von +angenehmem Äußern und aufrichtig in seiner Rede war, bat, als alles +nichts half, wir möchten doch wenigstens noch vier Tage hierbleiben, +während er Kuriere nach Lhasa senden und die Antwort des Dewaschung +oder „Heiligen Rates“ in jener Stadt erwarten wolle. Ich sagte ihm, wir +hätten keine Zeit dazu und gedächten morgen südwärts weiterzuziehen. + +„Dann folgen wir euch, und wir werden euch schon daran verhindern, nach +Lhasa zu gehen; wir erhalten bald Verstärkung.“ + +„Wenn ihr uns daran verhindern wollt“, antwortete ich, „so müßt ihr +schießen, bedenkt aber, daß auch wir Gewehre haben.“ + +Da schüttelte der alte Mann den Kopf und versicherte, daß sie nie +daran gedacht hätten, zu schießen, und fügte hinzu, daß so harte Worte +zwischen uns nicht gewechselt zu werden brauchten. Ein paar Geschenke, +die ihm angeboten wurden, schlug er aus, fügte aber hinzu: + +„Wenn ihr hier vier Tage wartet, werde ich eure Gaben mit Vergnügen +annehmen und erwidern, außerdem sollt ihr alles haben, was ihr für die +Reise nach Ladak an Proviant und Karawanentieren braucht.“ -- + +Am Abend kam Kalpet in mein Zelt und beklagte sich schluchzend, daß +einer der Leute ihn geschlagen habe. Ich hielt ein Verhör ab und +ermahnte alle, freundlich gegen ihn zu sein, und Tschernoff, welcher +der Oberaufseher der Karawane war, erhielt noch speziell den Auftrag, +ihn zu pflegen. Der Mann tat mir schrecklich leid, denn er war eine +Verkörperung der trostlosesten Verlassenheit, und nie werde ich den +kummervollen Blick vergessen, der in seinem Auge lag und der sich in +unendliche Dankbarkeit verwandelte, als ich seine Partei nahm und ihn +mit den geeignetsten Drogen der Arzneikiste behandelte. Als ich ihn +später besuchte, aß er mit gutem Appetit Reispudding, und ich glaubte, +daß er an vorübergehender Bergkrankheit leide. + + + + +Einundzwanzigstes Kapitel. + +Tibetische Truppen versperren uns wieder den Weg. + + +Einer der Kamelveteranen von Kaschgar, der mehrere unserer Wüstenreisen +mitgemacht hatte, war nicht mehr imstande, sich zu erheben, als wir +am 7. September vom Lager 75 und den Steppen der „schwarzen Mütze“ +fortzogen. Er wurde daher getötet; sein Skelett sollte als Andenken an +unseren Besuch liegenbleiben. + +Als die Karawane beladen wurde, kam der Bombo und machte einen letzten +verzweifelten Versuch, uns zum Bleiben zu bewegen. Ich erklärte ihm +rund heraus, daß unser Weg nach Süden führe. Da schwieg er und ging +seiner Wege. + +Wir folgten nun auf hartem, ebenem, vortrefflichem Boden dem Seeufer +nach Westsüdwest. Rechts von unserem Wege erhebt sich ein jäh +abfallender Landrücken, an dessen Fuß die Tibeter entlangreiten, +-- sie sind jetzt 63 Mann stark. An einem Punkte, wo der See nach +dieser Richtung hin ein Ende zu haben schien, zeigte die Weide ganz +vortreffliches, dichtes, üppiges Gras; daher rasteten wir dort der +Tiere wegen eine Weile. Nun kamen die Tibeter ebenfalls herangesprengt, +schlugen in unserer Nähe ihre Zelte auf, sattelten ihre Pferde ab +und ließen sie grasen. Sie nahmen wohl fest an, daß auch wir hier +lagern würden. Bald darauf zeigten ihre Feuer, daß sie zu frühstücken +beabsichtigten. + +Unsere verdutzten Späher zurücklassend, steuern wir nach Südwesten, +während das Seeufer nach Süden und Osten umbiegt. Wir gingen über +vier alte Uferlinien, die außerordentlich deutlich von mächtigen +Kieswällen markiert wurden, deren letzter und höchster sich wohl 50 +Meter über den jetzigen Spiegel des Sees erhob. Von dem Walle hatten +wir eine prächtige Aussicht über die blaue, klare Wasserfläche des ++Selling-tso+. Dieser scharfsalzige See ist also in energischem +Abnehmen begriffen; er schrumpft periodenweise zusammen und hinterläßt +die Wälle als unverkennbare Wahrzeichen seiner früheren Ausdehnung. + +Das vor uns liegende Terrain ist jetzt ziemlich eben, bis wir einen +neuen Wall erreichen, der nach Nordwesten abfällt, wo sich wieder +ein See zeigt. Darauf stehen wir am Rande einer außerordentlich +eigentümlichen Bodensenkung, einer eiförmigen Arena, in deren Mitte +einige Süßwassertümpel liegen. Unmittelbar südlich erhebt sich ein +Bergrücken, der sich in westöstlicher Richtung hinzieht und dessen +senkrechte Seitenwände einige hundert Meter hoch sind. Wir zogen nach +seinem westlichen Ende. Jetzt tauchten auf einem Hügel acht Tibeter auf +und beobachteten uns von dort. Als sie bald darauf wieder verschwanden, +ahnte ich, daß wir uns auf einer Halbinsel befanden und daß sie +glaubten, uns vorläufig wie in einem Sacke gefangen zu haben. + +Sirkin und Schagdur wurden daher vorausgeschickt, um zu rekognoszieren, +indes wir langsam weiterzogen. An dem Punkte, wo die Felswand jäh in +das Wasser fällt, kamen sie uns entgegen und erklärten, es sei noch +derselbe See. Wir waren also auf einer Halbinsel gewandert, die ihre +felsgekrönte Front nach Süden kehrt. Es war immerhin den Umweg wert, +daß ich die Karte auch an diesem Punkte vervollständigen konnte. In +schönster Ruhe wandten wir uns um nach Nordnordosten und entfernten uns +ein wenig vom Ufer des Selling-tso. + +In einer Felsschlucht „fand“ Tscherdon zehn mit Fett gefüllte +Schafmagen und nahm vier davon mit. Ganz dicht bei einem am Ufer +liegenden kleinen Zeltdorfe lagerten wir. Die Gegend hieß +Tang-le+; +die Bewohner waren nette Leute, weigerten sich aber ganz entschieden, +etwas zu verkaufen. Ich zeigte ihnen die Fettmagen und fragte, was sie +kosteten. Drei Tsos (die landesübliche Silbermünze in Lhasa, zirka 60 +Pfennig) das Stück, antworteten sie; da mir aber der Preis viel zu hoch +war, gab ich ihnen ihr Fett wieder und ließ sie gehen, nachdem sie die +Bemerkung des Lama, daß, wenn wir nicht so gute Menschen gewesen wären, +wie wir nun einmal seien, wir alle zehn Magen einfach hätten behalten +können, gleichgültig angehört hatten, ohne ein Wort zu sagen. + +Die Tibeter lagerten ein paar Kilometer von uns, außer fünfzehn Mann, +die ihr Zeltdorf bei unserem Lager aufschlugen. Im Laufe des Abends +führten sie verschiedene Manöver und Kampfspiele aus und schossen +nach der Scheibe. Beinahe den ganzen Tag fiel dichter Regen, und ein +paarmal fuhren heftige Windstöße mit solcher Gewalt über das Land +hin, daß wir Halt machen und warten mußten. Mit Kalpet wurde es immer +schlechter, er mußte auf seinem Reitpferde festgebunden werden, um +nicht herabzufallen. Tschernoff war sein Krankenpfleger und ritt neben +ihm. Am nächsten Morgen bat der Kranke, zurückgelassen zu werden, +welche Bitte natürlich nicht gewährt wurde. Statt dessen wurde er so +bequem wie möglich zwischen zwei Zeltballen auf ein Kamel gebettet. + +Wenn nicht so frischer Wind gegangen wäre, würde ich den Weg über +den See eingeschlagen haben, nun aber mußte ich mit der Karawane +am Nordufer, das sich ziemlich gerade nach Westen hinzieht, +entlangmarschieren. Sobald wir anfingen zu beladen, machten sich auch +die Tibeter bereit, und nach einem Marsche von einigen Kilometern ritt +unser alter Bombo mit zwölf Mann an uns heran und machte einen letzten +verzweifelten Versuch, uns zu bewegen, geraden Weges nach Ladak zu +ziehen. Als ich ihm jedoch sagte, ich ginge, wohin es mir passe, und +er würde uns keine Furcht einjagen können, wenn er auch zehntausend +Mann aufböte, sah er sehr niedergeschlagen aus und teilte mir mit, +er werde uns jetzt unserem Schicksal überlassen und nach seinen +Zelten im Nordwesten zurückreiten, worauf ich ihm glückliche Reise +wünschte. Die Schar verschwand denn auch in jener Richtung, und es war +wirklich schön, im Laufe des Tages unbelästigt zu bleiben. Erst gegen +Abend tauchten in der Ferne zwei Reiter auf, offenbar Kundschafter, +verschwanden aber wieder zwischen den nördlich von unserem Wege +liegenden Hügeln. + +Auch hier sind alte Uferwälle deutlich ausgeprägt, manchmal kann man +auf einem solchen stundenlang wie auf einer Straße reiten. Nach Süden +hin erstreckt der See seinen gewaltigen, blau und grün schillernden +Spiegel bis in die weite Ferne. + +Schließlich biegt das Seeufer nach Südwesten und Südsüdwesten ab. +Zwischen einem Gewirr von Schlamminseln war das Wasser süß, hier +mußte also ein Fluß münden. In kurzem gelangten wir an sein Ufer, und +Schagdur machte bald eine vortreffliche Furt mit hartem Kiesboden +ausfindig. Das Wasser war kristallklar, der Fluß mußte also von einem +weiter aufwärts im Tale gelegenen See kommen. Beim Rekognoszieren hatte +Schagdur einige Wildenten gesehen und vier geschossen, die flußabwärts +trieben und von uns aufgefischt wurden. Zwei anderen, die nur verwundet +waren, gelang es, an uns vorbei nach der Mündung zu kommen. Tscherdon +ritt jedoch kühn mitten in den Fluß hinein und köpfte die eine mit +seinem Säbel. Die andere verschwand zwischen den unzähligen Möwen, die +sich in dem Mündungsgebiet aufhielten und das Wasser weißgetüpfelt +erscheinen ließen. Ihre Anwesenheit schien auf das Vorkommen von +Fischen in diesem Flusse hinzudeuten. Der Platz war viel zu einladend, +als daß wir daran hätten vorbeigehen können; wir lagerten auf dem +Gipfel der rechten Uferterrasse. + +[Illustration: „... und jagten dann in wildem Laufe vor, hinter und +durch die Zelte, als wollten sie uns niederreiten!“] + +Kaum war das Lager errichtet (Abb. 266), so sahen wir schwarze Linien +im Nordwesten und Nordosten. Es waren unsere zudringlichen Wachen; von +Nordwesten kamen 53, von Nordosten 13, sie hatten jetzt eine nicht +geringe Anzahl Packpferde bei sich. Sie waren augenscheinlich nur +fortgewesen, um sich zu verproviantieren und sich für einen längeren +Feldzug zu rüsten. Sie gingen an derselben Stelle wie wir über den +Fluß und jagten dann in wildem Laufe vor, hinter und durch die Zelte, +als wollten sie uns niederreiten! (S. bunte Tafel.) Doch, während sie +heulten und ihre Lanzen über dem Kopfe schwangen, schienen sie uns +nicht zu bemerken; sie streiften uns mit keinem Blicke, sondern ritten +nur vorbei wie ein Wirbelwind, wie eine rollende Lawine. Die Schar sah +malerisch aus in ihren bunten Gewändern und oft recht schönen Säbeln, +ihren an den Gabelenden der Flinten befestigten weißen und roten +Fähnchen und den Schwertern in silbernen Scheiden. + +Im Südwesten von uns machten sie zu einer längeren Beratung Halt. Drei +Männer traten vor, und die anderen sammelten sich in drei verschiedene +Gruppen um sie, wie es schien, um zu lernen, wie mit Flinten umgegangen +wird, denn diese waren die ganze Zeit über Anschauungsmaterial. Von +Zeit zu Zeit stießen alle auf einmal ein seltsames Geheul aus. Dann +wurden die Zelte aufgeschlagen, und die Männer ließen sich an ihren +Feuern nieder. + +Das Lager der Tibeter war auf einer unbedeutenden Anhöhe, die unsere +Zelte beherrschte, aufgeschlagen, und die Kosaken hatten beobachtet, +daß alle Flinten in eine Reihe mit der Mündung nach unserem Lager +gelegt worden waren. Sie meinten, es sehe aus wie eine Schützenlinie +und es sei nicht unmöglich, daß wir über Nacht einem mörderischen +Feuer ausgesetzt werden sollten. Daher begab ich mich, als es dunkel +geworden war, mit dem Lama und Schagdur nach dem Lager der Tibeter +und ging in das Zelt des Bombo, wo ich höflich bewillkommnet und mir +Tee und Tsamba vorgesetzt wurden. Innerhalb einer Minute war das +Zelt vollgepfropft von Tibetern. Ich weigerte mich, an der Mahlzeit +teilzunehmen, weil, wie ich sagte, der Bombo nicht angerührt habe, was +ihm bei uns angeboten worden sei. „Re, re, re“, rief er („Wahr, wahr, +wahr“). Er fragte nach meinem Namen, und ich erwiderte ihm, daß er ihn +erfahren solle, wenn er mir sage, wie der Fluß heiße; er hatte aber +keine Lust, auf den Tausch einzugehen. Später erfuhren wir jedoch, daß +der Fluß +Jaggju-rappga+ hieß. Auf meine Frage, ob es im Flusse Fische +gebe, wurde mir geantwortet. „Ja, in großer Menge.“ Ich versprach, +den nächsten Tag hierzubleiben, aber nur unter der Bedingung, daß sie +mir, um die Wahrheit ihrer Worte zu beweisen, bei Sonnenaufgang einen +mittelgroßen Fisch in mein Zelt brächten. Sie versprachen, ihr Bestes +zu tun, und erhielten leihweise ein Netz, von dem sie aber gar nicht +wußten, wie sie es benutzen sollten. + +Am frühen Morgen erschienen vor meinem Zelt einige Tibeter mit +dem Netze, in dessen Maschen ein kleiner Fisch gefangen war. Sie +waren mit ihrer Beute sehr zufrieden und versicherten, daß sie +bei dem Fange beinahe umgekommen seien. Unsere Wachtposten hatten +indessen beobachtet, daß einige Tibeter sich mit Tagesgrauen nach +der Flußmündung begeben und dort eine Möwe belauert hatten, als sie +gerade einen Fisch gefangen hatte. Diese hatten sie durch Steinwürfe +gezwungen, ihre Beute an einer leicht erreichbaren Stelle fallen zu +lassen. Unserem Versprechen gemäß blieben wir auf alle Fälle hier, um +zu fischen. + +Tscherdon und alle Muselmänner, außer unseren erfahrenen Lopfischern +Kutschuk und Ördek, sollten das Lager bewachen; die drei übrigen +Kosaken durften mitkommen. Von einer Masse von Tibetern gefolgt und +von einem Kamele, welches das Boot trug, begleitet, ritten wir am +rechten Ufer aufwärts, bis wir an eine Biegung gelangten, wo der Fluß +zwei kleine Wasserfälle bildet, von denen der obere meterhoch ist, der +untere aber nur 30 Zentimeter Fallhöhe hat. Hier donnert und kocht +die Wassermasse in fest verkitteten Geröll- und Tonschlammschwellen. +Das Bett ist eng und so tief, daß das Wasser blauschwarz aussieht. +Unterhalb des unteren Wasserfalles bildet sich ein langsamer Wirbel, +in den das Netz vom Ufer aus spiralförmig hinabgesenkt wurde. Dadurch, +daß wir in einer Kurve ruderten, mit den Rudern schlugen, schrien und +lärmten, jagten wir die Fische in das Netz hinein und fingen jedesmal +zwei bis drei von ihnen. Nachdem ich 28 Stück gefangen hatte, ließ +ich die anderen weiterfischen. Die Kosaken angelten vom Ufer aus +und hatten auch guten Fang. Tschernoff schoß einige Wildenten, die +wir mit dem Boote auffingen. Kurz, wir hatten einen entzückenden, +erfrischenden Tag und eine angenehme Abwechslung nach den langen, +anstrengenden Karawanenmärschen. Daß der Hagel alle Augenblicke auf +uns niederprasselte, störte uns wenig; die Tibeter saßen auf der +Uferterrasse und glichen, schwarz wie sie waren, einer Reihe Krähen auf +einem Dachfirst. + +Vom Fischereiplatze trieb ich mit schwindelnder Fahrt nach dem Lager +zurück. Eine Schar Wildenten flog eilig vor uns her; wir fuhren weiter +bis an die Stelle, wo sich der Fluß in den Selling-tso ergießt, und +von dort ging ich nach Hause, während Ördek die Jolle nach dem Lager +zurückrudern und stoßen mußte. Der Fluß sollte nämlich gemessen werden, +und dabei ergab sich, daß er 34,6 Kubikmeter Wasser in der Sekunde +führte. + +Dreißig Tibeter mit dem Bombo an der Spitze besuchten mich am +Abend. Sie waren so freundlich, mir zwei Schafe und drei Kübel voll +prächtiger Milch zu schenken, wahrscheinlich als Belohnung dafür, daß +wir, wie sie uns gebeten hatten, einen Tag hiergeblieben waren. Sie +durften jetzt den Tönen der Spieldose lauschen und mehrere unserer +Sehenswürdigkeiten betrachten, und der Bombo nahm die Geschenke an, +die ihm angeboten wurden. + +Die Kosaken sahen dem Scheibenschießen der Tibeter zu. Der Abstand +betrug nur 40 Meter, und ein kleines Holzbrett an einer Stange diente +als Scheibe. Von dreißig Schützen vermochten nur drei das Brett zu +treffen -- ein mehr als klägliches Resultat. Die Kosaken baten, auch +einen Versuch machen zu dürfen, aber darauf wollten sich die Schützen +durchaus nicht einlassen; sie fürchteten wohl, übertroffen zu werden. + +Als ich am nächsten Morgen geweckt wurde, waren die Lopleute schon eine +gute Weile beim Fischen gewesen, und ich wies daher den Entenbraten, +der sonst hätte mein Frühstück bilden sollen, zurück. + +Der Morgen versprach mehr, als der Tag halten konnte. Er war schön +und sonnig, aber kaum waren wir in Gang gekommen, so zogen die +schwarzblauen Wolkenwände, die am Horizonte lauerten, herauf und +entluden ihren Inhalt. Die Folge davon waren Hagel, Sturm, nasser +Schnee und Platzregen, so daß der Boden wieder naß und schlüpfrig +wurde. Der Tagemarsch war demnach in mehrerer Beziehung düster. Die +Tibeter ermüdeten uns mit ihrem ewigen Quälen, daß wir umkehren +sollten, und mit unseren beiden Kranken sah es auch schlecht aus; +besonders Kalpets Zustand hatte sich sehr verschlimmert. + +Durch das natürliche, imposante Felsentor, das durch eine Unterbrechung +der im Süden des Jaggju-rappga-Tales liegenden Kette gebildet wird, +ziehen wir nach Südosten. Über den Klüften und Vorsprüngen zur Rechten +kreist ein Königsadler, wahrscheinlich derselbe, den wir gestern den +Wildenten hatten auflauern sehen. Die Felstauben, die zierlich und +elegant auf dem Boden trippelten, schienen vor dem Adler nicht den +geringsten Respekt zu haben. Kulane und Orongoantilopen zeigen sich +überall; sie, wie die Fische, scheinen gewohnt zu sein, daß sie von den +Menschen in Frieden gelassen werden. Auf Delikatessen verstehen sich +die Tibeter nicht. „Ebenso gut, wie man Fische ißt“, sagen sie, „könnte +man ja Schlangen und Eidechsen verzehren; das ist genau dasselbe.“ + +Die Bergkette zieht sich wie eine Halbinsel in den See hinein. +Auf ihrer Südseite reiten wir durch einen bedeutenden Fluß namens ++Alla-sangpo+, und zu unserer Linken dehnt sich wieder der marineblaue +Spiegel des Selling-tso aus. Hier und dort steht am Ufer ein Zelt. +Im Südwesten zeigt sich bisweilen eine verwirrende Welt von Bergen, +meistens aber verhüllen Regengüsse und Hagelschauer die Landschaft, +so daß Dämmerung herrscht und ich ausschließlich nach dem Kompaß +marschieren muß. Der Erdboden war ein einziger Sumpf. Die Tibeter +ritten einen anderen Weg, und wir zogen es schließlich vor, ihnen zu +folgen; doch jetzt machten sie Halt und meinten, daß wir uns selbst +helfen könnten! Am Ufer zeigten sich Massen von Wildgänsen, die noch +rechtzeitig vor unseren Gewehren flüchteten. Einen Augenblick klärte +es sich über dem ausgedehnten See auf, und wir konnten leicht mehrere +Stellen wiedererkennen, die wir am anderen Ufer passiert hatten, +besonders die kleine Bergkette auf der Halbinsel, auf der wir hatten +umkehren müssen. + +Links lassen wir auch an unserem Ufer eine derartige kleinere Kette +hinter uns zurück. Wir beabsichtigten gerade, zu einer Schwelle +in Südsüdosten hinaufzuziehen, als Kutschuk und Chodai Kullu +heransprengten und atemlos verkündeten, daß es Kalpet sehr schlecht +gehe. Ich eilte dorthin und fand ihn mehr tot als lebendig inmitten +der anderen auf einer Decke am Boden liegen. Er bat um Wasser; da es +dieses in der Nähe nicht gab, durfte er so viel Milch trinken, als er +konnte. Seine Augen hatten einen strahlenden, intensiven, aber glasigen +Ausdruck; seine Gesichtsfarbe war gelb, die Lippen weiß. + +An einem großen Tümpel mit Regenwasser lagerten wir bei strömendem +Regen. Eines der Zelte wurde als Lazarett eingerichtet, und hier fand +Kalpet Schutz vor der Witterung. Er lag ganz still und schien keine +Schmerzen zu fühlen. Eine leichte Dosis Morphium verhalf ihm zum +Schlaf. Der alte Muhammed Tokta, der auch ins Lazarett gebracht wurde, +hatte eine schauerliche Krankheit. Sein ganzer Leib war geschwollen und +sein Gesicht eine einzige Geschwulst; es war nicht gut für ihn, seinen +Unglücksgefährten mit dem Tode ringen zu sehen. + +Auch heute Abend kam unser Bombo auf Besuch, und als wir ihn baten, +uns Milch aus dem nächsten Zeltdorfe zu besorgen, sagte er, daß die +Pocken dort grassierten; falls wir dorthin gehen wollten, könnten wir +es tun; er seinerseits danke dafür. Er brachte drei neue Gesichter +mit, darunter einen alten, sehr netten Lama. Sie erklärten, direkt +von den Gesandten zu kommen, die der Dalai-Lama ausgeschickt habe, um +uns zu verhindern, nach Lhasa zu gehen. Dann folgten die gewöhnlichen +Unterhandlungen und Bitten, daß wir doch um Himmels willen bleiben +möchten, wo wir seien, damit wir nicht nur uns, sondern auch sie nicht +ins Unglück stürzten. Die Gesandten von Lhasa seien nicht mehr weit +und würden in zwei Tagen hier eintreffen. Ich blieb unbeweglich und +sagte ihnen, es sei eine Schande, friedliche Gäste auf diese Weise +zu behandeln und uns mit Hunderten von bis an die Zähne bewaffneten +Spionen zu umgeben. Wir beabsichtigten nicht, Krieg zu führen, und +hätten alles, was wir gekauft, ehrlich bezahlt. Über unsere Pläne würde +ich nicht eher Auskunft geben, als bis die Gesandten angelangt seien. +Sie waren verblüfft und sahen sehr sorgenvoll aus. + +Um 7 Uhr erhob sich ein so heftiger Sturm, daß das ganze Lager +fortzufliegen drohte und die Zelte von der Wucht des Hagels und Regens +beinahe zu Boden gedrückt wurden. Nach einem letzten Besuche im +Lazarettzelte (Abb. 267), wo Kalpet ruhig schlief und Muhammed Tokta +über sein Herz klagte, gingen wir zur Ruhe, um die Sorgen des Tages in +den Armen des Schlafes zu vergessen. + +Sobald ich am 11. September aufgestanden war, besuchte ich die Kranken. +Muhammed Tokta war unverändert; er war bei klarem Bewußtsein und +scherzte sogar, hatte aber gemerkt, daß er allmählich das Gefühl in +den Fingern verlor. Schlimmer war es mit Kalpet. Er rang mühsam nach +Atem, seine Wangen waren eingefallen, aber die Augen hatten ihren +Glanz beibehalten. Es schien mit ihm zu Ende zu gehen, aber er sprach +vernünftig und sagte, er habe eine „kattik kessel“ (schwere Krankheit) +und sei noch kränker davon geworden, daß einer seiner Kameraden ihn +vor einigen Tagen geschlagen habe. In Wirklichkeit war es damit, wie +sich herausstellte, nicht so schlimm gewesen, aber die Erinnerung daran +erfüllte den Sterbenden ganz und gar, und er wußte von nichts anderem +zu reden. Der arme Kerl, der dies auf seinem Gewissen hatte, würde +jetzt viel darum gegeben haben, wenn er die Sache hätte ungeschehen +machen können. + +Allmählich schwand das Bewußtsein; er sprach nicht mehr, war total +geistesabwesend und starrte in unbekannte Fernen, vielleicht nach dem +Paradiese, das der Prophet ihm versprochen hatte. Ich wollte den Tag +über hierbleiben, aber die Gegend war so erbärmlich, daß alle für das +Übersiedeln nach einem besseren Platze stimmten. Kalpet wurde daher +bequem und weich auf sein Kamel gebettet (Abb. 268), und der Zug setzte +sich wieder in Bewegung. Wir alle fühlten, daß heute der Tod mit der +Karawane zog, und die Stimmung war daher gedrückt und düster. + +Es ging nach Südosten. Von der ersten kleinen Paßschwelle sahen +wir wieder einen außerordentlich schönen, von niedrigen Bergketten +eingefaßten See mit bizarren Ufern vor uns liegen. Das Wasser war +kristallhell; daß es diesmal nicht wieder der Selling-tso sein konnte, +merkte man bald, denn hier sah man sowohl Wasserpflanzen als auch +Fische, und das Wasser war so süß, wie das eines Flusses. + +Das linke Seeufer sah bedenklich aus, denn steile Felsen fielen hier +jäh ins Wasser hinunter, und ich hielt es daher für das Klügste, Sirkin +und Schagdur auf Rekognoszierung auszuschicken. Inzwischen überfiel +uns ein gewaltiger Hagelsturm, und Kalpet wurde mit einem Filzteppiche +zugedeckt. Die drei neu angekommenen Tibeter ritten an mich heran, um +mir zu erklären, daß es auf dem Westufer keinen Durchgang gebe, doch +führe auf dem Nordufer ein Weg nach Osten, den wir benutzen könnten, +wenn wir durchaus weiter wollten. Ich ahnte sofort, daß etwas dahinter +liegen müsse; es blieb mir aber keine Wahl, um so mehr, als nachher die +Kosaken die Aussage der Tibeter bestätigten. + +Wir zogen also längs des nördlichen Ufers weiter; es wurde eine +Wanderung in den schönsten Schlangenlinien. Ein gerade nach Osten +gehender Weg führte über die Hügel, aber die Tibeter hielten sich +hinter uns und hüteten sich wohl, ihn uns zu zeigen. Wir gingen +also am Strande entlang und nahmen so alle Buchten, Landzungen und +Halbinseln mit, ohne zu wissen, nach welcher Seite der See ausbog. Wenn +wir infolgedessen auch viele unnötige Schritte machten, so erhielt +ich doch wenigstens eine getreue Karte des launenhaften Sees, und +eine herrlichere Landschaft als diese hatten wir in Tibet noch nicht +gesehen. Nach allen Seiten hin öffneten sich großartige Perspektiven +in Buchten und Fjorde hinein, die zwischen malerischen, dekorativen +kleinen Bergketten mit steil nach dem See abfallenden Abhängen tief +in das Land einschnitten. Hier und dort tauchten kleine Inseln auf, +gewölbt wie Delphinrücken. Alte Uferlinien waren hier nicht zu sehen, +und das süße Wasser sprach dafür, daß der See, der +Nakktsong-tso+ +heißt, Abfluß nach einem weiter südlich liegenden Salzsee hat. + +Nachdem wir einige Stunden in allen möglichen Richtungen gewandert +waren, überraschten wir die Tibeter, die ihre Zelte am Ufer +aufgeschlagen hatten und ihre gewöhnliche Teerast hielten. Sie hatten +dadurch Zeit gewonnen, daß sie einen Richtweg hinter den Uferfelsen +benutzt hatten. Wir zogen an ihnen vorbei, bis der See definitiv +nach Südosten abzubiegen schien. Hier traten die Berge vom Ufer +zurück, das eben und mit festem Kiese bedeckt war und den Kamelen ein +vortreffliches Terrain bot. Am östlichen Ende des Sees lagerten wir bei +einem Zeltdorfe. Die Späher waren uns auch diesmal zuvorgekommen und +hatten schon ihre Zelte aufgeschlagen. + +Kalpet hatte oft gesprochen und besonders Rosi Mollah, seinen Kerijaer +Landsmann, gerufen; er hatte um Wasser gebeten und darum, daß seine +Lage auf dem Kamele verändert werden möchte, wenn er sich auf einer +Seite müde gelegen hatte; manchmal rief er laut und deutlich, das Kamel +gehe zu schnell. Als er jedoch in der Nähe des Lagers längere Zeit +still gewesen war, hielt die Ambulanz, welche die Nachhut der Karawane +bildete, und Mollah horchte. Er holte mich sofort, und es war nicht +schwer zu konstatieren, daß mein armer Diener verschieden war. Sein +Ausdruck war ruhig und verklärt, aber die Augen hatten ihren Glanz +verloren. Er war schon kalt, obwohl es kaum eine Stunde her war, seit +er zuletzt um Wasser gebeten hatte. Mollah drückte ihm für immer die +Augen zu, und dann setzte die jetzt in einen Leichenzug verwandelte +Karawane ihren Weg fort. Die Muselmänner hatten, wie gewöhnlich, +gesungen, um sich den Marsch weniger langweilig zu machen; jetzt +aber wurde es still wie in einem Grabe, und nur die Tritte der Tiere +auf dem Sande und Kiese des Ufers und das keuchende Atmen der Kamele +unterbrachen das Schweigen. Wir standen wieder vor dem furchtbaren, +erbarmungslosen Ernste des Todes, und wieder führten wir einen Toten +auf einem lebendigen Katafalke mit uns (Abb. 270). + +Als wir an den Zelten der Tibeter vorbeizogen, kamen diese uns +entgegen, um uns zu sagen, daß es bis zur nächsten Stelle mit Weide +noch weit sei. Ich teilte ihnen mit, daß wir einen Toten bei uns +hätten, der begraben werden müsse, was sie sehr ruhig anhörten, uns +dann aber einen Platz anwiesen, wo dies am besten geschehen könne. + +Sobald das Lager fertig war, sprach ich mit Mollah und Turdu Bai +über die Beerdigung; sie schlugen vor, sie bis zum nächsten Morgen +aufzuschieben und dann mit den üblichen Zeremonien vorzunehmen. Die +Leiche wurde für die Nacht in das eine weiße Zelt gelegt und sollte von +einem Wächter vor den Hunden geschützt werden. + +Kalpets Beerdigungstag, der 12. September, brach strahlend hell und +klar an; nur dann und wann segelte in der frischen Seebrise, welche +die Wellen ans Ufer rauschen ließ, ein kreideweißes Wölkchen über den +Himmel. Das Grab war schon fertig, und im Todeszelte waren Hamra Kul, +Mollah Schah und Turdu Bai damit beschäftigt, die Leiche in ein Laken +zu hüllen, nachdem sie vorschriftsmäßig gewaschen worden war. Dabei +hatten sie sich das Gesicht außer den Augen mit weißen Binden umwunden, +um nicht die Leichenluft einatmen zu müssen. Vor dem Zelte saß Rosi +Mollah und las laut aus einem Gebetbuche. Das Grab war nicht viel mehr +als einen Meter tief, und seine eine Längsseite bildete eine Höhlung, +in welche die Leiche hineingeschoben werden sollte. Hierher lenkte der +Leichenzug seine Schritte. In eine weiße Filzdecke gewickelt, lag der +Tote lang, mager und kalt auf einer Kamelleiter und wurde von Mollah +Schah, Islam, Li Loje, Chodai Kullu, Ördek, Hamra Kul und Kutschuk +getragen (Abb. 269). Die improvisierte Bahre wurde auf den Rand des +Grabes gestellt und Kalpet dann vorsichtig in seine letzte Ruhestätte +hinabgelassen (Abb. 271), wobei Mollah Schah und der Mollah mit +hinabstiegen, um ihn unter den Vorsprung, der sich über der Aushöhlung +in der Seite des Grabes wölbte, zu legen. Der Mollah setzte sich dann +und hielt folgende Rede an den Verstorbenen: + +„Du bist ein rechtschaffener, rechtgläubiger Muselmann gewesen, du hast +niemals einem von uns etwas zuleide getan, du läßt eine Lücke zurück, +und wir beweinen dein Hinscheiden, du hast dem Tura gut und redlich +gedient.“ + +Nachdem die beiden Männer aus dem Grabe gestiegen waren, wurde die +Kamelleiter quer über die Öffnung gelegt und das Ganze mit einem +Filzteppiche bedeckt, dessen Kanten mit Erdschollen beschwert wurden; +darauf wurde der Grabhügel über dem Teppiche aufgeworfen, welch +letzterer dieses Gewicht natürlich nicht sehr lange würde aushalten +können, -- es bedurfte nur eines Regens oder des Darüberlaufens +umherstreifender Yake, um das Ganze zum Einstürzen zu bringen. Als der +Hügel fertig und am Kopfende mit einem ebenso vergänglichen Denkmale +aus Erdschollen und einigen dar aufgestellten Steinen verziert war, +warfen sich die Muselmänner um das Grab herum auf die Knie, hielten +sich die Handflächen vor das Gesicht und murmelten leise Gebete, die +nur dann und wann von den Gebetformeln des Mollah unterbrochen wurden. + +Und dann war der feierliche Akt vorbei und Kalpet der Erde +wiedergegeben. Wir kehren, wie aus einer Kirche, aus einer +Sonntagsstimmung in der Wildnis, zu den Sorgen des Alltagslebens +zurück. Wir packen unsere Habseligkeiten ein, brechen unsere Zelte +ab, beladen unsere geduldigen Kamele, steigen zu Pferd und ziehen von +diesem dritten Todeslager fort. Alles erscheint so eitel und zwecklos, +wenn man eben am Rande eines Grabes gestanden hat, wo man sich von +dem erhabenen Ernste des Lebens und des Todes durchdrungen gefühlt +und das Stundenglas ablaufen gesehen hat. Und dann kommt man zu den +unbedeutenden kleinen Sorgen eines neuen Tages zurück und setzt seine +endlose Wanderung über die Gebirge ohne Rast und Ruhe fort! Auf der +Karte steht neben diesem Lagerplatz ein schwarzes Kreuz. Heute ist das +Grab sicherlich schon verschwunden. Die Nomaden treiben ihre Herden +darüber hin, und ringsumher in den Bergen heulen in den Winternächten +die Wölfe. Und sollte das Grab wirklich noch nicht verschwunden sein, +so weiß doch keiner, wer der Tote war. Der Rechtgläubige ruht in +heidnischer Erde, aber seine Ruhestätte ist doch mit Gebeten aus dem +Koran geweiht worden. + +Nach der Beerdigung kam Rosi Mollah mit folgendem Anliegen zu mir: +„Ehe wir uns nach Beendigung dieser Reise trennen, gebt mir, bitte, +ein schriftliches Zeugnis, daß Kalpet eines natürlichen, ehrlichen +Todes gestorben ist, damit seine Brüder in Kerija nicht glauben, er sei +von mir oder irgendeinem anderen von uns totgeschlagen worden.“ Dies +versprach ich, und es geschah auch, worauf das Zeugnis nebst Kalpets +Lohn an seine Brüder geschickt wurde. + +[Illustration: 276. Die Garde der tibetischen Gesandten am +Tschargut-tso. (S. 291.)] + +[Illustration: 277. Im Kampf mit Wogen und Wind auf dem Tschargut-tso. +(S. 294.)] + +Die Tibeter, die dem Begräbnisse zusahen, erlaubten sich die Bemerkung, +daß wir uns viel zu viel Mühe damit machten. „Werft den Toten den +Raben und den Wölfen hin!“ sagten sie. Dies tun sie selbst, wie wir bei +einer spätern Gelegenheit mit eigenen Augen sahen. + +Die Muselmänner verbrannten das Zelt, in welchem Kalpet aufgebahrt +gestanden, seine Kleider und seine Stiefel. Bei der heutigen +Gelegenheit waren alle üblichen Zeremonien beobachtet worden; als Aldat +starb, war er wie er ging und starb begraben worden. + +Heiterlächelnd verjagte der Tag die traurige Erinnerung des Morgens, +und wieder entrollte die Erde, auf deren Oberfläche wir ein so +flüchtiges, unsicheres Dasein führen, vor uns eine ihrer schönsten +Landschaften. Auch jetzt gingen wir durch ein Felsentor im Südosten. +Links zeigte sich noch einmal ein Teil des Selling-tso. Von einer +niedrigen Paßschwelle erblickten wir nach Süden hin eine offene, +weite Ebene, die ganz hinten vom Gebirge begrenzt wurde. Die Tibeter +waren uns auf den Fersen. Links von uns lagen einige schwarze und +zwei blauweiße Zelte, wohin sie sich begaben. Als wir dicht bei +diesem Zeltdorfe waren, sprengte eine Reiterschar an mich heran und +überbrachte mir die Nachricht, daß zwei hohe Herren aus Lhasa angelangt +seien, weshalb sie uns bitten müßten, der Verhandlungen wegen in ihrer +Nähe zu lagern. Anfangs weigerte ich mich und sagte, wir hätten mit +diesen Leuten nichts zu schaffen, sondern würden weiterziehen. Doch +als es nachher um ihr Lager herum von Soldaten zu wimmeln begann und +mir gesagt wurde, daß sie mir Botschaft direkt aus Lhasa brächten, +hielt ich es für das Klügste, wenigstens zu hören, was sie eigentlich +wollten, und bat die Tibeter, ihren hohen Herren zu sagen, daß ich mit +ihnen sprechen würde, wenn sie zu mir kämen. + +Jetzt zeigten sich zwei ältere Männer in roten Gewändern. Sie saßen +zu Pferd. Vier Fußgänger hielten jedes Pferd am Zügel und führten +die hohen Herren zu mir, der ich im Sattel sitzen blieb. Sie grüßten +höflich und sahen freundlich und gutherzig aus: die Berichte, die +sie während der letzten Tage über uns erhalten hatten, waren sicher +zu unserem Vorteil ausgefallen. Sie hatten mir, wie sie sagten, so +wichtige Mitteilungen zu machen, daß ich unbedingt bei ihnen lagern +müsse; nach vielem Wenn und Aber ging ich schließlich darauf ein. + +Doch als wir unser Lager aufgeschlagen hatten, verging eine lange Zeit, +ohne daß die Gesandten etwas von sich hören ließen. Ich schickte nun +den Lama mit dem Bescheid dorthin, daß +sie+ uns gebeten hätten zu +bleiben und sich nun gefälligst sputen möchten, wenn sie mir etwas so +Wichtiges zu sagen hätten, da wir sonst wieder aufbrechen würden. Dies +half. In ihrem Lager wurde es lebendig. Die beiden Gesandten kamen +schleunigst aus dem Zelte und ritten zu uns; die Entfernung betrug kaum +150 Schritt. Der Sicherheit halber umgaben sie sich mit einer starken +Eskorte, die jedoch nicht mit Feuerwaffen, sondern nur mit Schwertern +bewaffnet war. Sie saßen ab und traten mit artigem Gruße in das +Küchenzelt ein, das für Audienzen gewöhnlich ausgeräumt und mit einem +bunten Chotaner Teppich geschmückt wurde. Auf diesem Teppich nahmen +wir Platz, während draußen ein dichter Kreis von Kosaken, Tibetern und +Muhammedanern um das Zelt herum stand. Der Lama, mein Dolmetscher, +mußte zwischen uns sitzen. + +Sie stellten sich als Mitglieder des „Dewaschung“, des Heiligen Rates +in Lhasa, vor, denen der Auftrag geworden sei, mich zu verhindern, nach +dieser Stadt zu reisen. Sie wußten, daß ich schon auf einem anderen +Wege mit nur zwei Begleitern nach Lhasa zu reiten versucht hatte, +aber aufgehalten und von Kamba Bombos Leuten über die Grenze gebracht +worden sei. Nun hieß es wieder wie damals: „Nach Süden dürft ihr keinen +Schritt weiter“, und dieses Thema wurde drei Stunden lang in allen +möglichen Variationen wiederholt. + +„Wir haben Millionen Soldaten, und wir werden euch daran verhindern!“ + +Als ich fragte, was sie wohl machen wollten, wenn wir doch nach Süden +gingen, antworteten sie, das würde entweder ihnen oder uns den Kopf +kosten. + +„In unserer Order steht, daß wir enthauptet werden, wenn wir euch hier +durchlassen, und dann können wir lieber erst mit euch kämpfen; das +ganze Land ist voller Soldaten.“ + +Ich bat sie, sich unserer Köpfe wegen ja nicht aufzuregen, da sie an +diese doch nicht herankönnten, denn teils hätten wir Beistand von +höheren Mächten, teils besäßen wir fürchterliche Waffen. + +Beide Gesandten wurden außerordentlich aufgeregt, schrien, schwitzten +und gestikulierten, und als ich trotzdem ruhig blieb und ihre Drohungen +mit trocknem Lachen erwiderte, platzten sie beinahe vor Ärger. + +„Kari-sari? (was sagt er)“, fragten sie unaufhörlich. + +„Er sagt, daß er nach Süden weiterziehen will.“ + +„Mig jori (wenn er Augen hat), wird er morgen sehen, wie wir eure +Karawane zurücktreiben“, riefen sie; unaufhörlich schrien sie „mig +jori, mig jori!“ + +Ich lachte nur und erwiderte schließlich: + +„Mig jori, wenn ihr Augen habt, so paßt morgen auf, wenn wir südwärts +ziehen; haltet aber eure Flinten bereit, denn es wird euch heiß um die +Ohren werden!“ + +Da schlugen sie einen anderen Ton an und baten flehentlich, wir möchten +doch endlich die Reise nach Süden aufgeben. Wenn wir auf demselben +Wege, den wir gekommen, wieder umkehren wollten, sollten wir Führer +und Proviant und alles, was wir nur brauchten, haben, ja, dann würde +alles in jeder Hinsicht gut werden. + +Ich hatte gar nicht die Absicht, noch weiter „wider den Stachel zu +löcken“; tatsächlich hatte ich für diesmal genug von Tibet und sehnte +mich nach Ladak und noch mehr nach Hause, nach meiner schwedischen +Heimat. Spaßeshalber aber sagte ich noch einmal, daß alle ihre Versuche +vergeblich seien. + +„So“, antworteten sie, „nun gut, wir werden nicht auf euch und eure +Leute schießen, aber wir werden eure Reise unmöglich machen!“ + +„Wie soll das geschehen?“ + +„Zehn, zwanzig von unseren Soldaten werden je einen eurer Reiter +festhalten, und ebenso viele jedes Kamel, wir werden eure Tiere +festhalten, bis sie nicht mehr stehen können und stürzen.“ + +„Wenn wir dann aber auf euch schießen?“ + +„Das macht nichts; wir werden auf jeden Fall getötet, wenn wir euch +durchlassen. Wir haben bestimmte Befehle aus Lhasa erhalten.“ + +„Zeigt mir sie, dann werde ich nicht weiter nach Süden gehen“, +antwortete ich. + +„Sehr gern“, sagten sie und ließen das Papier aus dem Zelte der +Gouverneure holen. Es wurde von dem jüngeren Gesandten vorgelesen und +war ein recht merkwürdiges Aktenstück. Schereb Lama las mit und konnte +kontrollieren. Nach einer ersten Vorlesung und Übersetzung nahmen +wir es langsam Punkt für Punkt noch einmal durch, so daß ich es in +mongolischer Sprache mit lateinischen Buchstaben abschreiben konnte. +Später übersetzte ich es ins Schwedische. + +Es lautete, wie folgt. Zuerst die Adresse auf der Außenseite des +zusammengefalteten Papieres: + +„Im Jahre der eisernen Kuh, den sechsten Monat, am 21. Tage. Dieses +Schreiben soll den beiden Gouverneuren von Nakktsong zu Händen kommen. +Es ist vom Dewaschung und wird mit der Post befördert. Im siebenten +Monate, am 22. Tage muß es angelangt sein.“ + +Und dann das Schreiben selbst: + +„Im Jahre der eisernen Kuh, im sechsten Monate, am 19. Tage ist +hier von dem Gouverneur von Nakktschu ein Schreiben angekommen, daß +der Sekretär der Mongolen Tsange Chutuktu, der Lama Sandsche, nebst +mehreren Pilgern die Wallfahrt nach Dscho-mitsing in Hamdung gemacht +hat und er sowohl wie Tugden Dardsche dem Gouverneur von Nakktschu +(also Kamba Bombo) gewisse Mitteilungen gemacht haben. + +„Der Gouverneur von Nakktschu hat (seinerseits) dem Dewaschung +(folgende) Mitteilungen gemacht. Tsanges Sekretär hatte gesagt, daß +er um die Zeit, als er sich auf den Weg gemacht, europäische Männer +gesehen habe und eine Strecke weit in ihrer Gesellschaft gereist +sei. Nachdem sie eine Menge Kleidungsstücke gekauft, seien sie +weitergezogen. Im Basare habe er zwei Russen gesehen. «Wohin reist +ihr», habe er gefragt, «seid ihr Lamas?» «Wir sind Lamas», hätten +sie geantwortet. Der Arzt Schereb Lama, ein Chalchamongole, sei mit +ihnen zusammengereist und ihr Führer gewesen. Unterwegs habe er sechs +russische Leute marschieren sehen. Eine Menge Kamele und Leute seien im +Anzuge. + +„Nach Namru und Nakktsong sollen schleunigst Schreiben abgesandt +werden, so daß es überall bekannt wird, daß von Nakktschu an und +landeinwärts, soweit mein (d. h. des Dalai-Lama) Reich reicht, +russische (europäische) Männer keine Erlaubnis erhalten, nach Süden +zu ziehen. An alle Häuptlinge sollen Schreiben erlassen werden. +Bewacht die Grenzen von Nakktsong; es ist notwendig, das Land Stück +für Stück streng zu bewachen. (Diese Stelle lautet auf Mongolisch. +“Nakktsäng-tsonguin tsachar hara, gadser gadser sän harreha kerekté„. +Die Provinz wird hier also «Nakktsäng-tsong» genannt, aber sonst +hörten wir sie stets kurzweg «Nakktsong» nennen, wie auch der See +Nakktsong-tso hieß.) Es ist absolut unnötig, daß europäische Männer +in das Land der heiligen Bücher kommen, um sich dort umzusehen. In +der Provinz, die euch beiden untertan ist, haben sie durchaus nichts +zu suchen. Wenn sie sagen, daß es notwendig sei (so wisset), daß +diese beiden Anführer nicht nach Süden reisen dürfen. Sollten sie +dennoch ihre Reise fortsetzen, so verliert ihr euren Kopf. Zwingt +sie, umzukehren und den Weg, auf dem sie gekommen sind, wieder +zurückzugehen.“ + +Durch dieses Schreiben kam für uns Licht in verschiedene Punkte, die +uns bisher dunkel geblieben waren. Lama Sandsche und Tugden Dardsche +gehörten zu der Karawane von mongolischen Pilgern, die im Mai 1900 +Tscharchlik passiert hatte. Schon in Korla und Kara-schahr waren sie +mit meinen burjatischen Kosaken und mit dem Lama zusammengetroffen, und +die Mitteilungen, die sie hierüber gemacht hatten und die hier in dem +Dokumente angeführt waren, entsprachen in der Hauptsache der Wahrheit. +„Eine Menge Kamele und Leute“, bezieht sich auf die große Karawane +unter Tschernoff und Turdu Bai. + +Sobald sie in Nakktschu angelangt waren, hatten sie Kamba Bombo über +alles Geschehene Bericht erstattet, und dieser hatte sofort einen +Kurier nach Lhasa an den Dewaschung gesandt. Der Kurier langte am 19. +des 6. Monats in Lhasa an, und schon am 21. wurde das ganze Land im +Norden und Westen der Hauptstadt, besonders die Provinzen Namru und +Nakktsong, benachrichtigt, daß scharf aufgepaßt und das Eindringen +von Europäern in das Land verhindert werden müsse. Der Ausdruck „die +Provinz, welche euch beiden untertan ist“ beweist, daß das Schreiben, +welches mir jetzt vorgelesen wurde, besonders an die beiden Gesandten, +die uns hier am Nakktsong-tso den Weg versperrten, gerichtet war. +Der ältere hieß Hladsche Tsering, der jüngere Junduk Tsering. Sie +sind also die Gouverneure von Namru und Nakktsong. Doch nach anderen +Aufklärungen, die wir erhielten, scheint es, als hätten sie sich zur +Zeit von Kamba Bombos Schreiben zufällig in Lhasa aufgehalten und dort +die eben angeführte Order persönlich in Empfang genommen. Ihnen waren +auch eine Menge Einzelheiten von meinem ersten Vordringen nach Lhasa +und von Kamba Bombos Art und Weise, uns festzunehmen, bekannt. Mit +„diese beiden Anführer“ sind sicherlich Tschernoff und Sirkin gemeint, +denn wir hatten, als Kamba Bombos Leute uns festnahmen, erklärt, daß +im Hauptquartiere zwei Europäer seien, die Rache nehmen würden, wenn +uns ein Leid widerführe. Wie wir gefürchtet, hatten die mongolischen +(tangutischen) Pilger uns einen bösen Streich gespielt! Doch auch ohne +ihre Angeberei hätten wir bald festgesessen, denn sowohl Kamba Bombo +wie jetzt Hladsche Tsering erzählten, daß Yakjäger, die uns gesehen, +sofort Bericht darüber erstattet hätten. + +Ich konnte darauf nichts weiter erwidern, als daß alles in Ordnung und +sie völlig in ihrem Rechte seien, uns den Weg zu versperren, und ich +sagte ihnen ehrlich, daß die von ihnen beobachtete Absperrungspolitik +die einzige sei, die ihr Land vor dem Untergange bewahren könne. + +„Rund um Tibet herum, im Norden, im Süden und im Westen haben die +Europäer entweder die Länder eurer Nachbarn erobert oder sie von sich +abhängig gemacht; jetzt geht auch China allmählich unter, euer Land ist +in Asien das einzige, das noch unberührt ist.“ + +„Re, re“, antworteten sie, „so wollen wir es haben! Es tut uns +euretwegen sehr leid, daß ihr nicht nach Lhasa reisen könnt, aber wir +müssen unseren Befehlen gehorchen. Für uns wäre es viel angenehmer +gewesen, wenn wir Befehl erhalten hätten, euch nach Lhasa zu führen und +euch alles zu zeigen.“ + +Um eine Aufklärung zu erzwingen, fragte ich, ob sie etwas dagegen +hätten, meinen chinesischen Paß nach Lhasa zu schicken, während welcher +Zeit wir ja die Antwort zusammen erwarten könnten. + +„Unter keiner Bedingung, und zwar aus zwei Gründen. Erstens hat der +Kaiser von China hier bei uns überhaupt nichts zu sagen, und zweitens +würden wir dann beim Dewaschung in den Verdacht geraten, in eurem +Interesse tätig zu sein, und im günstigsten Falle abgesetzt werden.“ + +Schereb Lamas Name kam in dem Dokumente vor. Hier hatten sie ihn +leibhaftig vor sich. Sie sagten ihm, daß, wenn es nicht meinetwegen +wäre, sie ihn eigentlich mitnehmen und an die Behörden von Lhasa +ausliefern müßten, von denen er seine wohlverdiente Strafe erhalten +würde, weil er einen Europäer nach Lhasa habe führen wollen. Sein +Name sei jetzt in dieser Stadt bekannt und stehe schon im Buche der +Verdächtigen. Es sei für ihn selbst das Beste, sich in der heiligen +Stadt nie wieder sehen zu lassen. Sie hielten unserem armen Lama eine +donnernde Strafpredigt. Aber jetzt, da sein Spiel doch verloren war, +nahm auch er kein Blatt mehr vor den Mund; er legte ordentlich los, +machte die beiden Gesandten schonungslos herunter und fragte, mit +welchem Rechte sie einen Lama züchtigen wollten, der kein tibetischer +Untertan sei; er habe von dem chinesischen Gouverneur in Kara-schahr +Erlaubnis erhalten, mit mir zu reisen; der Prior seines dortigen +Klosters habe gleichfalls seine Einwilligung dazu gegeben, und er +werde bei seiner Rückkehr berichten, wie die tibetischen Behörden sich +betragen hätten. Da ich fürchtete, daß der Zank in Handgreiflichkeiten +übergehen würde, holte ich die große Spieldose, deren Musik wie Öl auf +die Wogen wirkte. + +Hladsche Tsering war übrigens der Typus eines tibetischen Gentleman, +ein wirklich netter, gemütlicher alter Onkel, von dem schließlich +alle Mitglieder unserer Karawane, sogar der Lama, entzückt waren +(Abb. 272). Niemand wird mir widersprechen, wenn ich sage, daß er +viel mehr Ähnlichkeit mit einem runzeligen, alten Mütterchen als mit +einem gebieterischen Statthalter hatte. Man betrachte nur das Bild, +das ich von ihm zeichnete. Sein völlig bartloses Gesicht, die Art, +wie er sein Haar trug, der Zopf, die Mütze mit dem Amtsknopfe, die +Ohrringe, alles trug dazu bei, ihm einen so stark femininen Anstrich +zu geben, daß ich ihn in vollem Ernst fragte, ob er am Ende nicht doch +ein altes Weib sei. Diese Aufrichtigkeit, die manches andere männliche +Individuum sehr übel genommen haben würde, machte auf Hladsche Tsering +einen ganz guten Eindruck; er lächelte freundlich, nickte und verzog +sein Pergamentgesicht zu den muntersten Grimassen, hielt sich die Hand +vor die Augen, lachte schließlich derart, daß ihm die Tränen über die +Wangen liefen, und versicherte, er sei wirklich ein Mann. + +Um 7 Uhr abends ging ich mit Schagdur und dem Lama nach seinem Zelte +und kam erst um Mitternacht wieder nach Hause. Jetzt wurde von unseren +Plänen kein Wort mehr gesprochen, wir amüsierten uns nur und scherzten +miteinander wie zwei junge Studenten. Jeder prahlte mit seinen Waffen. +Daher schlug ich vor, Schagdurs Säbel gegen ein tibetisches Schwert zu +probieren. Nach der Probe sah dieses wie eine Säge aus, aber später +sahen wir auch mehrere von ziemlich gutem Stahl. Hladsche Tsering +zeigte uns, daß er auch einige recht brauchbare Revolver hatte. + +Sein weißes Zelt mit blauen Streifen und Bändern war sauber und hübsch +eingerichtet. An der hinteren Querwand stand eine Art niedrigen Diwans +aus Polstern und Kissen und davor ein ebenfalls niedriger Tisch, auf +welchem uns Tee, sauere Milch und Tsamba angeboten wurden. Auf der +rechten Seite des Diwans (d. h. wenn man darauf saß) stand ein kleiner +tragbarer Tempel mit verschiedenen Burchanen (Götterbildern), die +vergoldet und zum Teil in „Haddik“ gewickelt waren; unter anderen +sah man dort auch den Burchan des Dalai-Lama. Vor ihnen brannten +einige Öllampen, und in kleinen Messingschalen waren, wie es auch +in den großen Tempeln Brauch ist, den Götterbildern allerlei leicht +verdauliche Speisen hingestellt. Sobald man einen Schluck von seinem +Tee trank, war sofort ein Diener da und goß die Tasse wieder bis oben +voll, selbst wenn dazu nur fünfzehn Tropfen gehörten. Ein eigener +Pfeifenreiniger bediente Hladsche Tsering, der aus seiner langen +chinesischen Pfeife rauchte und sehr von meinem Tabak entzückt war, +weshalb ich ihm eine ganze Blechschachtel davon schenkte. + +Der ungefähr 45 Jahr alte Junduk Tsering war weniger intelligent und +glaubte, uns durch große Worte schrecken zu können. Er war es, der bei +jeder Gelegenheit unübersehbare Heerscharen ins Treffen führte und +seine Soldaten nach Millionen rechnete. Ich klärte ihn darüber auf, +daß ich seine Krieger selbst gezählt und nur 120 Mann gefunden hätte. +Diese Zahl wuchs indessen unaufhörlich, bis sie schließlich beinahe +fünfmal so groß war! Ich hatte nicht die geringste Lust, mit ihnen +Krieg anzufangen, denn ich hatte ja nur vier Kosaken und überdies, wie +jedermann begreifen wird, weder das Recht noch den Wunsch, Gewalt zu +brauchen. Wenn wir trotzdem einen ebenso wahnsinnigen wie verwerflichen +Schritt getan hätten, wäre es den Tibetern mit ihrer Übermacht eine +Kleinigkeit gewesen, uns in irgendeinem Passe den Weg zu versperren. +Aber der russische Kaiser hatte mir die Eskorte nicht gegeben, um in +Tibet Streit anzufangen, sondern nur als Sicherheitswache für meine +Person. Es war für mich also eine Ehrensache, die Kosaken unverletzt +wieder zurückzubringen, und ich hatte daher Rücksicht auf sie zu nehmen. + +Der gutmütige, ein wenig beleibte und aufgeschwemmte Junduk Tsering +war also nur schwach begabt. Unaufhörlich fuhr er sich bei unserem +Wortwechsel mit der flachen Hand um den Hals, um zu veranschaulichen, +wie wir um einen Kopf kürzer gemacht werden würden, wenn wir weiter +nach Süden zögen. Ich sagte ihm gerade heraus, daß er von allen Herren, +die ich bisher kennen gelernt, einer der dümmsten sei, und fragte ihn, +ob es viele zweibeinige Esel in Lhasa gebe. + +Beide Gesandten waren elegant und sauber gekleidet und hatten +verschiedene Anzüge, Alltags- und Paradekostüme, warme und leichte, +mitgebracht. Sie waren nach chinesischer Mode gekleidet, denn sie +trugen Kleiderröcke und Jacken oder Westen von seidenen und wollenen +Stoffen. Auf den beigefügten Bildern sind sie im Paradeanzug (Abb. 273, +274). + + + + +Zweiundzwanzigstes Kapitel. + +Der Nakktsong-tso. + + +Am 14. September verließ ich das Lager, um eine der herrlichsten +Seefahrten anzutreten. Ich ritt mit Kutschuk westwärts nach dem +naheliegenden Ufer des Nakktsong-tso; das Boot wurde auf einem Kamele +hinbefördert. Die Tibeter ließen mich merkwürdigerweise in Ruhe, aber +ich hatte ihnen ja auch gesagt, daß ich nur fischen wolle. Die Karawane +hatte Befehl, noch einen Tag hier liegenzubleiben, dann aber nach dem +Westufer des Sees zu ziehen und mich an dem Punkte, wo wir vor einigen +Tagen hatten umkehren müssen, zu erwarten. Wir nahmen Proviant für drei +Tage und warme Kleidung für die Nächte mit. + +In Südwesten erhob sich aus der blauschillernden Wasserfläche eine +kleine Felseninsel, nach der wir steuerten. Es dauerte mehrere Stunden, +ehe wir sie erreichten. Der See scheint sich sehr weit nach Westen +zu erstrecken. Ich freute mich über die herrliche Aussicht, das +schöne Wetter, das Rauschen der kristallklaren Wellen um die Jolle, +den warmen, heiteren Tag mit 14,2 Grad Wärme und schwelgte in dem +Bewußtsein, von der liebenswürdigen Aufdringlichkeit der Tibeter und +ihren rührenden Besorgnissen um unseren Weg befreit zu sein. Die größte +Tiefe auf diesem Weg betrug 12,70 Meter. + +Die kleine Felseninsel überragt den Spiegel des Sees um etwa 50 Meter. +Auf ihrem westlichen Vorsprung ist eine Steinplatte errichtet, die +sicherlich zur Bezeichnung eines Winterweges, der über das Eis führt, +dient. Ein kleiner Streifen von dichtem, üppigem Grase kann jetzt +ungestört wachsen, da die Tibeter keine Boote besitzen; aber Yakdung +und Schafmist verrieten gelegentliche Winterbesuche, um welche Zeit die +Insel dank der Eisdecke mit dem Ufer in Verbindung steht. Im übrigen +fallen die Kalksteinfelsen nach allen Seiten steil ab. Vom Gipfel aus +bot sich uns eine prächtige Aussicht über die südlichen Partien des +Sees, und ich zeichnete eine Kartenskizze dieses ganzen Gebiets, zu +dessen genauer Untersuchung es uns an Zeit gebrach. + +[Illustration: 278. Unser Lager auf der Insel. (S. 294.)] + +[Illustration: 279. Das südliche Ufer unseres Gefängnisses. (S. 298.)] + +[Illustration: 280. Die Zelte der Gouverneure. (S. 302.)] + +[Illustration: 281. Das Ufer des Boggtsang-sangpo. (S. 304.)] + +Während des Marsches nach der „Kalpetbucht“ war es uns vorgekommen, als +dehne sich der Nakktsong-tso sehr weit nach Süden aus und erstrecke +sich bis an den Bergrücken, der nach dieser Seite hin die Aussicht +begrenzte. Nun aber stellte sich heraus, daß nur ein paar Kilometer +die Insel vom Südufer trennten. Die Gesichtstäuschung beruht auf der +Luftspiegelung, in welcher die außerordentlich tiefliegende Ufersteppe, +die sich zwischen dem Seeufer und dem Fuße des Gebirges ausdehnt, +verschwindet. Die Steppe glänzte grün von vorzüglicher Weide; schwarze +Punkte zeichneten sich dort ab: Yake, Pferde und Schafe, sowie acht +schwarze Zelte, auch einige kleine Steinhäuser, möglicherweise Tempel, +waren zu sehen. + +Westlich von der Insel erheben sich drei wilde, bizarre Bergkämme, die +sich auf einer größeren Insel zu erheben schienen oder die vielleicht +-- ja, wie es sich mit dieser Sache verhielt, wollten wir jetzt +gerade feststellen. Nachdem wir eine niedrige Landspitze am Ostende +der südlichsten Kette umrudert hatten, steuerten wir nach West zu +Süd, welche Richtung wir bis zum Nachtlager beibehielten. Nun haben +wir den südlichen Bergast gleich linker Hand. Er gleicht einer aus +gewaltigen, rauhen Blöcken aufgetürmten Riesenmauer; hier und dort +fällt er senkrecht in das Wasser hinunter, das überall seicht und +selten mehr als 2 Meter tief ist. Westwärts rückt das Land zusammen; +vielleicht würden wir hier in eine Sackgasse geraten. Der See wird +immer enger; wir passieren das westliche Ende der ersten Kette, dann +das der zweiten, die in einem zerrissenen Gipfel kulminiert. Jetzt +ist es nur noch ein Kilometer bis an das Südufer. Ist das rechts von +uns eine Insel oder nicht? Das ist die Frage, die wir uns bei jedem +Ruderschlage vorlegen. Wir rudern immer weiter in diese rätselhafte +Bucht hinein. Die untergehende Sonne streut Gold und Purpur über die +rauhen Felsvorsprünge, die sich in der ruhigen Wasserfläche spiegeln, +durch deren glashelle Decke Algen und Wasserpflanzen schimmern. + +Wir folgen dem nach Nordwesten abbiegenden Ufer. Der Graswall sah ganz +unberührt aus, und wieder hofften wir, daß es eine Insel wäre, auf +der wir eine friedliche Nacht ohne alle tibetischen Besuche würden +zubringen können. In der westlichen Verlängerung des zweiten Bergarmes +erhebt sich jenseits des Wassers ein imposanter Gebirgsstock. An seinem +Südfuße, nur ein paar hundert Meter von uns entfernt, taucht eine +steinerne Hütte auf, von welcher Rauch aufsteigt und vor welcher ein +einsamer Hund wütend bellt. + +In der Dämmerung rudern wir in die stille Bucht hinein; das Hundegebell +verstummt hinter uns, Felsen erheben sich senkrecht auf beiden Seiten +und werfen ein helles Echo der Ruderschläge zurück; jeder Laut zittert +zwischen den Bergwänden, und wir treten wie in einen Tempelsaal in +Gottes freier, erhabener Natur ein. Einige Königsadler kreisen mit +regungslosen Flügeln in diesem großartigen Engpasse. + +Auf einmal schien die Bucht ein Ende zu nehmen; doch nein, es war nur +eine niedrige Landzunge, die den schmalen Sund fast ganz sperrte; +jenseits derselben ging der Weg nach Nordwesten weiter, aber vor +Felsen sah man nicht weit. Die Dunkelheit verhüllte auch bald diese +entzückende Gegend unseren Blicken, und wir mußten für die Nacht +landen. Dicht bei unbekannten Menschenwohnungen im Freien zu liegen, +war gerade nicht angenehm, aber ich hatte den Revolver bei mir. +Sobald das Boot aufs Land gezogen war, wurden die nächsten Umgebungen +untersucht, und nun fanden wir zu unserer Freude, daß die Landzunge +einen 30 Meter breiten Sund neben der südlichen Bergwand offen ließ, so +daß wir am nächsten Morgen unsere Entdeckungsreise fortsetzen konnten +und von den Eingeborenen getrennt blieben, die aus Mangel an Booten +nicht imstande sein würden, uns zu belästigen. Prächtiger, trockner +Argol war in Menge vorhanden, und bald brannte ein gemütliches Feuer +mit heller blauer Flamme, lautlos wie ein Elmsfeuer; der Argol knistert +nicht wie Holz. Die Nacht war klar und windstill und verfloß für uns, +die wir in unseren Pelzen zusammengekauert lagen, in aller Ruhe. + +Sobald die Sonne die Felsenspitzen auf der Westseite des Sundes +vergoldete, erhoben wir uns, machten Feuer an und setzten das Teewasser +auf. Tscherdon hatte uns einen vortrefflichen Proviant mitgegeben, eine +gebratene Gans und einige Fladen Brot, und es war nicht das erstemal, +daß Kutschuk und ich zusammen kampierten. + +Es währte nicht lange, so tauchte Kutschuk wieder sein Ruder in das +klare Wasser, und das Boot glitt schnell zwischen den Felsen hin +nach Nordwesten. Ich kann mich kaum erinnern, je eine so großartige, +hinreißende Natur gesehen zu haben, wie hier dem Auge begegnete: ein +venezianischer Kanal mit alten Zyklopenpalästen. Von Zeit zu Zeit +springt vom Ufer eine Landspitze vor, welche die Aussicht versperrt, +und wir glauben den Punkt erreicht zu haben, wo wir umkehren müssen; +aber der Engpaß geht weiter, der natürliche Kanal öffnet vor uns +eine neue Perspektive. Die Richtung Nordwesten ist für uns besonders +vorteilhaft, denn gerade nach dieser Seite hin liegt unser Sammelplatz. +Die Tiefe übersteigt 3½ Meter nicht, und die Breite dieses schmalen +Wasserweges beträgt im allgemeinen nicht über ein paar hundert Meter. + +Wir waren sehr erstaunt, auf dem rechten Ufer hinter einem +Felsvorsprunge eine Anzahl kleine Yake und Pferde zu sehen. Als das +Boot an der Landspitze vorbeiglitt, stürmten drei Männer ans Ufer und +trieben unter Geschrei und Steinwürfen ihre Tiere landeinwärts. Am +Fuße des nächsten Vorgebirges auf der rechten Seite zeigten sich zwei +schwarze Zelte; hier begafften uns ein Mann, eine Frau und ein Junge, +die das größte Erstaunen über einen solchen Besuch in ihrer Gegend +verrieten. Wenn überhaupt irgendwo, so mußte man hier vor Besuchen +sicher sein, war doch ihr Wohnsitz mit einem wassergefüllten Graben +umfriedigt. Das Auftreten von Nomaden ließ uns als gewiß erscheinen, +daß das Land eine Halbinsel war und wir bald den ganzen Weg würden +zurückmachen müssen. Wir bildeten uns beinahe ein zu bemerken, wie +sich die Tibeter bei dem Gedanken, daß wir immer tiefer in den Sack +hineinkröchen, über uns lustig machten. Einer von ihnen lief nach dem +nächsten Bergkamme hinauf, wohl um zu sehen, was wir für verdutzte +Gesichter machen würden, wenn wir nicht weiterkommen könnten. + +Dann aber erweiterte sich der Fjord, und eine neue Perspektive +entrollte sich im Nordwesten. Das Boot war leck und mußte ausgeschöpft +werden; unterdessen schneite es eine Zeitlang, doch dann hatten wir +wieder Sonnenschein. Die Tiefen nahmen schnell zu und betrugen hier bis +zu 11,68 Meter. Da sich die Landschaft jetzt bis in die Ferne öffnete, +hofften wir, daß wir auf diesem Wege wieder auf den See hinaus gelangen +könnten, ließen aber den Mut sinken, als der Fjord plötzlich zu Ende +war und flaches Land sich vor uns ausdehnte. Auf außerordentlich +seichtem Wasser zogen wir das Boot, soweit wir kommen konnten, in eine +keilförmige Bucht hinein, und dort saßen wir hilflos fest. + +Der Strand, an dem wir zu Gaste waren, bestand aus lockerem, weichem +Schlamm, in den man fußtief einsank. Kutschuk mußte sich Schuhe und +Strümpfe ausziehen und durch den Morast nach dem nächsten Bergrücken +waten, um zu rekognoszieren. Hierbei fand er, daß ein von Süden +kommender Fluß in einen kleinen See mündete, der mit dem Nakktsong-tso +zusammenzuhängen schien. Wir zogen daher das Boot ganz aufs Land, +nahmen es auseinander und trugen es nebst dem ganzen Gepäck in mehreren +Partien gute 500 Meter weit von der Bucht nach dem Flußarme. Das +Vergnügen kostete uns drei Stunden, was jedoch noch immer besser war, +als den ganzen Weg wieder zurückzumachen. Der Fluß hat zwei Arme, und +vor seiner Mündung ist der See voller Schlammbänke, auf denen sich +Hunderte von Möwen aufhielten. Jetzt konnten wir nach Nordosten rudern. + +Auf einem molenförmigen Sandvorsprunge saßen in der untergehenden +Sonne etwa zwanzig Möwen, die sich blendendweiß von einem für uns +besonders erfreulichen Hintergrund, der weiten, dunkelblauen Fläche +des Nakktsong-tso, abhoben. Es war uns also geglückt. Streng genommen +war es doch eine Halbinsel, die wir umrudert hatten, und wir hatten +das Boot nur über eine 500 Meter breite Landenge zu schleppen gehabt; +letztere aber bestand sichtlich aus alluvialem Schlamme, der diesen +Teil des Fjords verstopft hatte; sonst wäre das Land der Nomaden eine +vollständige Insel gewesen. Der Nakktsong-tso, der auf den Karten +entweder gar nicht oder bestenfalls außerordentlich entstellt angegeben +ist, besaß, wie sich herausstellte, eine höchst sonderbare Gestalt. Er +bildet einen Wasserring, der nur in seinem nördlichen Teile ziemlich +weit, in dem südlichen dagegen schmal wie ein Fjord ist. Eine ähnliche +Form hat der südlich von Lhasa liegende See Jamdok-tso. + +Hinter der Sandmole nahmen die Tiefen schnell zu, von 3 Meter bis +zu 22,20 Meter. Wir ruderten nach Ostnordost, nach welcher Richtung +der Ring jetzt umbog. Als die Sonne am Horizont hinter uns stand, +nahm das bisher dunkelblaue Wasser bei 3 Meter Tiefe einen intensiv +grünen Farbenton an, und die Wasserpflanzen traten, wie durch +Spiegelglas gesehen, klar hervor. Eine Landspitze am nördlichen Ufer +war unser Ziel; von dort mußten wir das Signalfeuer der Unsrigen +sehen können. Aber die Spitze lag mitten im Winde, und wir mußten +in der Dämmerung den ersten besten Strand suchen. Der Himmel war +außergewöhnlich klar, und die Deutlichkeit, mit welcher der Mond sich +abzeichnete, war für eine Beobachtung verlockend. Es ging immer noch +ein kalter, unfreundlicher Wind, doch das machte uns nichts mehr aus, +nachdem wir in unsere schönen Pelze wie Murmeltiere gekrochen waren. +Glücklicherweise regnete es während dieser beiden Nächte, die wir +im Freien zubrachten, nicht; nur das Wiegenlied der Wellen lullte +die müden Pilger in den Schlaf. Es ist schön, in Tibets sternklaren, +stillen Nächten und in der klaren, dünnen, reinen Hochgebirgsluft den +Himmel als Dach zu haben. + +Die Nachtkälte ging auf kaum 2 Grad herunter. Wir brachen in aller +Frühe auf. Jetzt ist es kalt und unfreundlich. Der Seegang ist so +stark, daß wir uns ganz in der Nähe des Landes halten müssen. Nachdem +wir fünf Minuten unterwegs waren, brach ein abscheuliches Unwetter los. +Der Hagel stürzte in solcher Menge nieder, daß das Innere des Bootes +mit Eisschlamm erfüllt war. Gleichzeitig aber wurde die Heftigkeit des +Wellenganges und auch der Wind gedämpft. Der Sturm schien über uns +stehenzubleiben und setzte seine Dusche über zwei Stunden lang fort. +Hier herrschte halbe Dämmerung, doch im Osten badete sich das Land in +Sonnenschein; hinter uns war der Himmel schwarz und das Gebirge in +Weiß gehüllt, wir sind auf dem Wege von dem Sitze des Winters nach der +Wohnstätte des Sommers. Der Hagel ging allmählich in Schnee über, der +sich weich wie Baumwolle in das Boot legte. + +Das Wasser hat die wunderbarste blaugrüne Farbe, ein leicht erregtes, +flüchtiges Element, das den Blick nicht an der Erforschung der +Geheimnisse des Seebodens hindert. + +Eine gute Weile mußten wir auf einer Landzunge rasten. Ich erstieg +eine Anhöhe, um mich zu orientieren. Am Nordufer erschien jetzt gerade +wie gerufen die Karawane mit ihrer Kosakenbedeckung; ihr folgten auf +den Fersen die Tibeter in dichten, schwarzen Schwärmen. Rechts haben +wir eine ziemlich große Insel, auf der 20 Pferde grasen. Von dieser +Insel springt eine Landzunge vor, der eine ebensolche vom Festlande +entgegenkommt. Sie zeigen aufeinander hin wie die Kohlenspitzen in +einer elektrischen Lampe, und der schmale Sund zwischen ihnen ist so +seicht, daß die Jolle gegen den Grund schrammt. Über diese Landzungen +geht die nach der Insel führende Furt. + +Eine Stunde später hatten wir das ganze Lager auf dem verabredeten +Platze vor uns. Es breitete sich in seiner ganzen Herrlichkeit am Ufer +aus; Massen von Leuten und Pferden waren auf allen Hügeln. Hier und +dort zerteilte der Wind eine Rauchsäule; wir haben 5, die Tibeter 19 +Zelte, aber die meisten von ihnen kampieren doch am Feuer unter freiem +Himmel. Alle die Unseren standen am Ufer, und die Kosaken machten +wie gewöhnlich Honneur. Jeden Morgen muß ich meine Leute in drei +verschiedenen Sprachen begrüßen: mit „Sdrasdwijte“, „Salam aleikum“ und +„Ämur sän bane“. + +Als ich zwei Nächte ausblieb, waren die Gesandten sehr ängstlich +geworden und hatten das Lager unter besondere Bewachung gestellt. +Den ersten Abend hatte Hladsche Tsering die Kosaken gefragt, die, +ohne eine Miene zu verziehen, geantwortet hatten, ich sei nach dem +Südufer gerudert, um mich von dort nach Lhasa zu begeben, und sie +hätten Befehl, meine Rückkehr abzuwarten. Dies hatte die Gesandten +sehr verstimmt, und sie hatten nach allen Richtungen, namentlich +nach Süden, Patrouillen ausgeschickt. Unzweifelhaft waren sie jedoch +schon im Laufe des zweiten Tages dahintergekommen, daß wir uns auf +dem See aufhielten, hatten aber den auf dem Südufer wohnenden Nomaden +verboten, uns irgendwie zu helfen. Während des Marsches hatten sie +dann wiederholt meine Leute gezählt und gefunden, daß noch immer zwei +fehlten. Sie konnten den Zusammenhang nicht recht begreifen, fürchteten +aber, daß einer meiner Leute zwei Pferde nach dem Südufer geführt habe, +auf denen ich mit irgendeinem Begleiter nach Lhasa zu reiten gedächte. +Ihr Auftreten gegen die Karawane wurde daher strenger; es wurde ihr +kein Proviant mehr geliefert, und das Lager wurde nachts mit starken +Wachtposten umgeben. Ihre Unruhe legte sich auch nicht eher, als bis +sie das Boot zwischen den Wellen heranstampfen sahen. Jetzt bestanden +ihre Truppen aus 194 Mann, obgleich mehrere Patrouillen noch nicht +zurückgekehrt waren; wir waren 18, d. h. einer gegen 10, nein, -- einer +gegen 50, wenn ich nur die Kosaken rechne! + +Die Tibeter müssen von uns Europäern eine jämmerliche Meinung haben; +die meisten von uns sind, wenn sie bis in die „heilige Sphäre“ +gelangten, so von allem entblößt und in so erbärmlichem Zustande +gewesen, daß sie der Hilfe und Unterstützung der Tibeter bedurften, um +überhaupt nur wieder aus dem Lande herauskommen zu können. Sie haben +nie eine ordentliche Truppe in guter Verfassung gesehen, die nicht +danach fragte, ob ihr der Durchzug erlaubt sei. Es war allerdings eine +starke Versuchung für mich gewesen, den Tibetern mit Hilfe des Sees +und des Bootes ein Schnippchen zu schlagen, und zwei Pferde hätte man +mitten am Tage von einem Weideplatze nach dem Südufer bringen können. +Ich hätte aber dadurch nicht viel gewonnen, vielleicht nur wenige +Tagemärsche. + +Das „Land der Burchane“, das Land der heiligen Bücher im Süden -- +dorthin darf kein Europäer ziehen; es ist das Erbland des Dalai-Lama, +ein heiliges Land, sein Eigentum. Schwerlich sind seine Lamas jetzt +fanatischer als in jener Zeit, da die Jesuitenmissionare gastfreundlich +von ihnen aufgenommen wurden, und sicherlich sind sie heutzutage +auch nicht weniger tolerant als im Jahre 1845, da die Missionare Huc +und Gabet sich einige Monate in Lhasa aufhielten. Nein, ihre strenge +Isolierung während der letzten Jahrzehnte hat politische Gründe. Ihre +friedliche, aber wirksame Taktik geht darauf aus, die Grenzen gegen +Europäer zu bewachen und die ungebetenen Gäste höflich und freundlich, +aber bestimmt aus dem Lande hinauszutreiben. Dennoch wird auch an +Tibet einst die Reihe kommen. Solange die Tibeter auf derselben Erde +wohnen wie wir, müssen sie es sich gefallen lassen, daß wir den Wunsch +haben, sie kennen zu lernen, ihre Religion und heiligen Schriften, ihre +Tempel, Sitten und Gebräuche zu studieren, ihr Land und seine Mittel zu +erforschen, Karten von ihren majestätischen Gebirgen aufzunehmen und +ihre launenhaften Seen zu sondieren. Noch haben sie sich allerdings +nicht durch Vorspiegelungen von dem Aufschwunge des Handels und der +Einfuhr von Tabak, Spirituosen, Opium und Feuerwaffen locken lassen; +nein, „fort mit allen euren Genußmitteln, eurem Stahle, Golde und +Silber, und laßt uns nur in unsrem eigenen Lande in Frieden!“ + +Wenn ich sage: „Ich will den südlichen Weg nach Ladak gehen“, so +antworten sie mir: „Dort gibt es keinen Weg.“ Wenn ich ihnen den Weg +auf der Karte zeige und einige Namen nenne, so wenden sie ein: + +„Nun wohl, es gibt dort einen Weg; er ist aber nur für uns, ihr dürft +nicht durch das Land der Burchane gehen.“ + +Und wenn ich sage: „Ihr seid nicht gastfrei; wenn ihr in mein Land +kommt, werdet ihr freundlich aufgenommen und dürft alles sehen“, so +beeilen sie sich zu antworten: „Euer Land gehört euch, dort haben wir +nichts zu tun, aber unser Land gehört uns; ihr müßt es daher verlassen +und wieder heimreisen.“ + +Recht kostspielig muß es sein, eine Truppe von 200 Mann so lange unter +Waffen zu halten, ganz abgesehen davon, daß die Leute ihr Heim und +ihre Herden haben verlassen müssen. Doch es mag kosten, was es will, +wenn nur keine Fremdlinge über die Grenze kommen. Es war für sie +eine ungeheure Plackerei, trotzdem waren sie aber stets höflich und +freundlich. Ihre Scheu vor Fremden wendet sich nur gegen die Europäer; +Chinesen und Leute aus Ladak haben freien Zutritt, andere benachbarte +asiatische Völker ebenfalls. Hladsche Tserings Koch war ein Dungane, +der ein wenig „Tschanto“ (Türkisch) verstand und in Ostturkestan +gewesen war. Die Muhammedaner nennen alle, die sich nicht zum Islam +bekennen, Heiden (Kaper), einerlei, ob diese Asiaten oder Europäer +sind. Die Tibeter verschließen ihr Land +nur+ den Europäern; ihre +Isolierung ist also politisch, nicht religiös. Ein Chinese, ein Japaner +oder ein Burjate, ein Pundit, wie Nain Singh oder Krishna, ein Kaufmann +aus Leh, alle können sich ohne Schwierigkeit nach Lhasa begeben. Und +ist solch ein Asiate nur entsprechend instruiert worden, so kann er +nachher über alles, was er gesehen hat, genaue Auskunft geben. Wir +kennen, wie ich bereits erwähnt habe, Lhasa besser als sonst eine Stadt +in Innerasien, Kaschgar, Kuldscha und Urumtschi vielleicht ausgenommen. +Wer Lamas in Urga, Kum-bum, in Hemis oder in anderen Tempeln in +Ladak besucht hat, kann bezeugen, daß er überall mit der größten +Gastfreundschaft aufgenommen worden ist und keine Spur von Intoleranz +gefunden hat. -- + +Nach einem ruhigen, klaren Abend fuhr um 10 Uhr wieder ein Hagelsturm +über die Erde hin. Dann schneite es die ganze Nacht, und es war recht +ungewöhnlich, die Schritte der Nachtwache im Schnee knarren zu hören. +Am 17. September blieb der Schnee auf den nördlichen Abhängen den +ganzen Tag liegen, auf den südlichen dagegen verschwand er bald im +Sonnenbrand. Fern im Süden überragte alle anderen Gebirge in der Gegend +ein großartiger, kegelförmiger Gipfel, der blendend weiß glänzte und +mit seiner regelmäßigen Gestalt einem erloschenen Vulkane glich. + +Die Karawane erhielt Befehl, nach der Mündung des Jaggju-rappga zu +ziehen. Das Kamel, auf dessen Rücken Kalpet verschieden war, erkrankte +jetzt, und Turdu Bai, der sich auf Kamele verstand, erklärte, daß es +bald sterben würde, weil es einen Toten getragen habe. Das schöne +Wetter lockte mich wieder auf den See hinaus; ich hatte auch keine +Lust, einen ganzen Tag auf dem mir schon bekannten Wege nach dem +Jaggju-rappga zu reiten. Ördek war mein Ruderer. Das Boot und das +Gepäck wurden auf Pferde geladen; wir ritten nordwärts über die schmale +Landenge zwischen Nakktsong-tso und Selling-tso. + +Die Schwelle zwischen den Seen ist höchst eigentümlich. Unmittelbar +nördlich vom Ufer des Nakktsong-tso gelangen wir auf ihren Kamm, der +höchstens 10 Meter über dem See liegt; von dort aus aber müssen wir +eine ziemliche Strecke weit abwärtsreiten und können dabei ein Gefälle +von wohl 50 Meter konstatieren, ehe wir den Selling-tso erreichen, +der also ungefähr 40 Meter tiefer liegt als sein Nachbarsee. Ich bin +fest davon überzeugt, daß der Nakktsong-tso einen Abfluß hat, habe +aber vergeblich danach gesucht. Möglicherweise ergießt er sich durch +unterirdische Abflüsse in den Selling-tso. Am Nordabhange der Landenge +passieren wir dieselben deutlichen Uferlinien, die wir schon früher +an den Ufern des letztern Sees gesehen haben und die anzeigen, daß er +fällt. + +Das tiefliegende, morastige Ufer zwang uns, eine Strecke weit barfuß zu +gehen, ehe wir das Boot ins Wasser setzen und dann nach Nordnordwest +steuern konnten. Die Tiefen sind unbedeutend und betragen selten +mehr als 3 Meter; der Boden besteht aus graublauem Ton ohne Spur von +Vegetation, das Wasser hat eine leicht maigrüne Farbe, und darüber +wölbt der Himmel seinen klaren, sonnigen Dom. Nur der Kamm der breiten +Halbinsel, wo wir vor einigen Tagen umkehren mußten, zeichnet sich +scharf ab und wird noch eine Strecke nach Osten hin durch eine Reihe +kleinerer Felsenzähne, die über dem Wasser zu schweben scheinen, +fortgesetzt. Auf der linken Seite sieht man durch das Fernglas die +Karawane mit ihrem Gefolge von Tibetern, deren Zahl sich heute +beinahe verdoppelt hat, da sich noch einige kleine Reiterscharen zur +Haupttruppe gesellt haben. Eine schwarze Hagelwolke schwebte hartnäckig +über ihnen und duschte sie unaufhörlich, was man deutlich an den hellen +und dunkeln Streifen sehen konnte, die sich von der Wolke auf die Erde +erstreckten. Wir dagegen bekamen nichts davon ab. + +Nachdem wir die Landspitze an der Mündung des Alla-sangpo umschifft +haben, steuern wir westwärts gerade auf die Gabel der Kette zu, die das +Tal des Jaggju-rappga im Süden begrenzt. Wir sahen sie in Verkürzung; +hinter ihr stand die Sonne, und daher trat sie wie eine intensiv +schwarze Silhouette hervor. Es war bereits stockdunkel, als wir das +große Lager erreichten, dessen Feuer wie die Laternen in einer kleinen +Stadt strahlten. + +[Illustration: 282. Gebirge im Norden des Lagers Nr. 92. (S. 305.)] + +[Illustration: 283. Gebirge im Norden des Lagers Nr. 92. (Fortsetzung +nach rechts des Bildes Nr. 282.) (S. 305.)] + +Frühmorgens am 18. September gab ich Befehl zum Aufbruch. Während wir +die Tiere beluden, erschienen einige Tibeter, die uns baten, noch +einen Tag hierzubleiben, weil Hladsche Tsering und Junduk Tsering +umkehren müßten und es in unserem eigenen Interesse liege, den Ankauf +von Pferden und das Mieten von Yaken während ihrer Anwesenheit zu +besorgen. Ich ließ antworten, es sei uns gleichgültig, wo sie blieben, +wir würden heute auf jeden Fall reisen. + +„Wohin denn?“ fragten sie. Ich zeigte westwärts nach dem Tale des +Jaggju-rappga. + +„Dort kommt ihr nicht durch“, behaupteten sie, „ihr müßt nach +Nordwesten gehen.“ + +Ohne weiteres Parlamentieren ritten wir jedoch auf dem linken, +nördlichen Ufer flußabwarts. Von einem Hügel entwickelte sich bald nach +Westen hin eine entzückende Aussicht über einen neuen, ansehnlichen +See, der reich an Felseninseln, Vorgebirgen und Buchten war und beinahe +ebenso unentwirrbar aussah wie der Nakktsong-tso. + +Sehr weit waren wir noch nicht gelangt, als uns schon die Tibeter +in schwarzen Haufen von je 15 oder 20 Mann überholten; wir waren +vollständig umschwärmt von diesen Reitern, deren rote Fähnchen an den +Flintengabeln flatterten, wohin man nur das Auge wandte. + +Als wir uns in der Nähe des Seeufers befanden, stellte es sich heraus, +daß der Felsenarm, den wir rechter Hand hatten, in den See vorsprang +und eine Halbinsel mit steilen Seiten bildete. Umgehen ließ sie sich +nicht. Die Tibeter zeigten uns jedoch einen recht schwierigen Paß. +Einige Stellen waren so steil, daß ein hier stürzendes Kamel unten als +gehacktes Beefsteak angekommen wäre. Von der Paßschwelle entrollte +sich eine neue herrliche Aussicht nach Nordwesten über einen anderen +Teil des Sees mit neuen pittoresken Halbinseln und Felseneilanden. Die +schwarzen Haufen der Tibeter rollten in Staubwolken wie Lawinen die +Abhänge hinunter. Ehe wir noch hinuntergelangten und uns neben ihrem +Hauptquartier niederließen, rauchte es schon aus allen ihren Zelten. + +Dieser Lagerplatz. Nr. 84, am Ostufer des +Tschargut-tso+ (4613 +Meter) war einer der besten und angenehmsten, die ich je gehabt habe. +Alles, was man sah, war schön, entzückte das Auge und machte den Sinn +fröhlich. Westwärts sieht man tief in die Fjorde des Sees hinein wie +in einen Steinwald (Abb. 275). Je entfernter sie liegen, in desto +leichteren Nuancen treten Inseln und Vorgebirge hervor, aber alles +ist von der Sonne überflutet. Die Tibeter passen gut in diese wilde +Landschaft hinein, von der ihre malerische Tracht und kriegerische +Ausrüstung durchaus nicht unangenehm absticht. + +Der Strand, ein natürlicher Korso, bietet dem Auge ein sehr lebhaftes, +farbenreiches Bild dar. Außer unseren Zelten kann man noch 25 zählen, +und doch kampieren die meisten Soldaten an offenen Feuern. Der Strand +wimmelt von Menschen und Pferden. Dabei vermehrt sich die Zahl unserer +Wächter, die jetzt 500 Mann betrug, noch immer. + +In der Dämmerung kam Almas allein an. Kalpets Kamel, der „Katafalk“, +war nicht mehr am Leben; Turdu Bai hatte recht gehabt. Was denkt das +Kamel, wenn es weint und den Tod im Herzen fühlt? Kein Philosoph auf +Erden kann es uns sagen; man weiß ja nicht einmal, was der Mensch +träumt, wenn die Flügelschläge des Todesengels eiskalt durch seinen +Körper gehen. + +Wir waren uns über die Absichten der Tibeter nicht ganz klar. Wozu +brauchten sie jetzt, da wir auf dem Wege nach Ladak waren, so viele +Truppen zusammenzuziehen? Sie verstärkten die Nachtwachen und hielten +ihr Arsenal in steter Bereitschaft. Sollten sie einen nächtlichen +Überfall beabsichtigen? + +Ich träumte in der Nacht etwas derartiges und wachte um 1 Uhr auf. Ich +hatte auf dem rechten Arme gelegen, und die Hand, die auf der Erde +lag und vollständig eingeschlafen war, war eiskalt und gefühllos. +Zufälligerweise berührte ich mit der linken Hand die rechte, und dabei +fuhr mir, schlaftrunken wie ich war, der Gedanke durch den Kopf, daß +die Tibeter mir eine Leiche ins Zelt geworfen hätten. Ich sprang auf, +machte Licht, fand das Zelt leer und verstand nun erst, sobald die +Gedanken wieder klar wurden, den Zusammenhang. + +Zwei Tage blieben wir an diesem schönen Strande. Nur zu schnell verging +die Zeit unter Visiten, Gastmählern und neuen Überlegungen über +den Weg nach Ladak. Ich erklärte offen, daß ich +den+ Weg zu gehen +gedächte, der +mir+ behage, und daß ich mir darin keine Vorschriften +machen ließe. Eine Eskorte sollten wir aber auf jeden Fall haben, +und alles, was wir brauchten, sollte während der Reise angeschafft +werden. Hladsche Tsering schenkte mir zwei Pferde, wie Kamba Bombo +es getan hatte, und daneben sollten uns, da unsere Karawane jetzt in +besorgniserregender Weise zusammengeschmolzen war, auf besonderen +Befehl des Dalai-Lama stets 40 Yake zur Verfügung stehen. Es ist +eigentlich seltsam, daß die Tibeter so artig und freundlich sein +können, hatte ich doch die erste Warnung nicht beherzigt und zum +zweitenmal versucht, in das verbotene Land einzudringen! Viele andere +asiatische Völker hätten in solchem Falle ein Exempel statuiert, +aber die Tibeter sind viel zu gutmütig und weichherzig, um Blut zu +vergießen, und begnügen sich mit Waffengeklirr und Drohungen. + +Ein wahrhaft großartiges Schauspiel boten sie uns am Mittag des 19. +September. Ich hatte Hladsche Tsering mitgeteilt, daß ich ihn selbst +und seinen Kollegen und dann seine große Kavallerie photographieren +wolle. Meine Bitte wurde mit dem größten Vergnügen gewährt, und sofort +wurden einige Hundert Reiter aufgeboten (Abb. 276). Sie wurden in +Gliedern geordnet; aber es war nicht leicht -- nicht einmal für die +Häuptlinge, -- sie dazu zu bringen, daß sie sich einen Augenblick ruhig +verhielten. Als ich bat, sie möchten ihre Schwerter und Lanzen in die +Luft strecken, und dies geschah, erwachten sofort ihre kriegerischen +Instinkte; die Pferde wurden unruhig, und die ganze Schar sprengte +unter wildem Kriegsgeschrei wie zum Angriff vor! Als diese zügellose +Horde über die Steppe hinsauste und die klirrenden Waffen in der +Sonne blitzten, konnte man den Blick nicht davon losreißen. Der +photographische Apparat mußte ruhen, bis sich der kriegerische Sinn +der Leute wieder beruhigt und sie begriffen hatten, daß man beim +Photographieren nicht so schrecklich zu lärmen und zu toben brauche. + + + + +Dreiundzwanzigstes Kapitel. + +Der Tschargut-tso. + + +Wir hätten eigentlich heute (am 20. September) nach dem fernen Ladak +aufbrechen sollen; aber die Gesandten baten uns zu bleiben, weil sie +noch einige Tagereisen weit mit uns ziehen wollten. Heute hatten sie +jedoch einen großen Festtag und wollten sich still verhalten, und +ich ging mit um so größerem Vergnügen auf den Vorschlag ein, als der +Tschargut-tso mich auf seine schönen, aber falschen Wogen hinauslockte. + +Chodai Kullu wurde zum Ruderer ernannt. Wir hielten Kurs auf die +äußerste Spitze der bergigen Halbinsel, die unsere Bucht im Süden +begrenzte. Von dort gingen wir weiter auf den See hinaus, als auf +einmal der Himmel im Westen schwarz wurde und der Sturm mit seinem +gewöhnlichen Getöse angezogen kam. Wir wendeten sofort und landeten +an dem steilen Ufer der Landspitze, wo indessen herabgefallene, +scharfkantige Felsstücke das Boot zu zerschneiden drohten, denn die +Wellen gingen bald hoch und preßten es gerade gegen das Ufer. Ich +beschloß, quer über die heftig aufgeregte Bucht gerade nach unserem +Lager hinzusteuern. Es knackte in dem Holzrahmen des Bootes, und der +Sturm war zum Orkan geworden. Mit sausender Fahrt trieben wir nach dem +Strande hin, wo sich die Tibeter in dichtgedrängten Haufen versammelt +hatten, um Zeugen unseres Schiffbruchs zu werden. Bald entschwand +die Jolle in einem Wellentale ihren Blicken, bald erschien sie auf +einem Kamme, auf dessen Rücken sie stampfte und bebte. Für uns sah +es unheimlich aus. Wir nähern uns dem Strande mit beängstigender +Geschwindigkeit; im nächsten Augenblick muß das Boot von einer Welle +auf den Sand geschleudert, im andern aber, wenn sie sich zurückzieht, +wieder ins Wasser gezogen werden. Stumm vor Staunen, mit verhaltenem +Atem standen die Tibeter und waren entschieden überzeugt, daß wir in +der Brandung zerschellen würden. In dem Augenblick, als die Welle +das Boot auf den Strand schleuderte, sprang Chodai Kullu ins Wasser, +und alle vier Kosaken sprangen herzu, faßten die Relinge des Bootes +und trugen mich wie auf einer Bahre aufs Trockne. Das Ganze ging +blitzschnell vor sich, und die Tibeter eilten herbei, um sich zu +überzeugen, ob ich wirklich noch lebe. + +Erst nachdem der Sturm sich gelegt hatte, konnten wir uns wieder +hinausbegeben, worauf wir einige Lotungen mit gutem Gelingen ausführten +und erst in der Dämmerung zurückkehrten. Es war ganz dunkel, als +wir noch draußen auf dem See plätscherten, und die Arbeit wurde +bei Laternenschein ausgeführt. Als wir uns spät abends dem Strande +näherten, war der Anblick der Lagerstadt nicht weniger großartig +als bei Tag. Alle Feuer leuchteten in einer langen Reihe längs des +Ufers der Bucht, das beinahe wie ein illuminierter Hafenkai aussah. +Der Rauch der Feuer wurde von der schwachen östlichen Brise über +den See getrieben und lag wie ein graublauer Schleier über dem +jetzt wieder ruhigen Wasser. Der Mond überflutete mit seinem Lichte +diese außerordentlich schöne Landschaft und warf einen zitternden, +silberglänzenden Streifen über den See. Bald schlägt das Lachen und +Plaudern aus den Zelten und von den Soldatengruppen an unser Ohr. Die +Leute trinken Tee, rauchen und sind mit Würfelspiel beschäftigt. + +Als ich am Morgen des 21. September geweckt wurde, stand die +Quecksilbersäule auf dem Gefrierpunkte. Der See lag spiegelblank da, +und seine weit hinten im fernen Westen verschwindende Perspektive +mit den kulissenartig vorspringenden Gebirgspartien glich einem +gigantischen Flußtale. An diesem hellen, schönen Herbstmorgen war ich +fröhlich gestimmt und fühlte mich zu einer längeren Seefahrt um so +mehr aufgelegt, als ich das Alleinsein im Boote dem Waffengeklirr und +Pferdegetrappel der 500 Tibeter vorzog. + +Mit Proviant für drei Tage, warmen Kleidern und den nötigen +Instrumenten versehen, steuerten Kutschuk und ich über den See. Bald +darauf brach auch die Karawane auf; die Tibeter umschwärmten die Unsern +in einzelnen Haufen, und ehe wir noch aus der Bucht auf den offenen +See hinaustraten, war der eben noch so lebhafte Strand von Zelten +und Menschen reingefegt, und das Schweigen der Wildnis legte sich +wieder über die entzückende Gegend. Statt dessen zeichneten sich die +Reisenden wie lange schwarze Linien, Gruppen und Punkte auf den Ebenen +des Nordufers ab, wo sie westwärts zogen und bald hinter den Bergen +verschwanden. Sie hatten Befehl, irgendwo in der Nähe des Westufers, wo +es gutes Gras gab, zu rasten und uns dort zu erwarten. Die Gesandten +waren ganz aufgeregt über die neue Seefahrt gewesen und hatten gefragt, +was dies wieder heißen solle. + +Wir waren kaum eine Viertelstunde unterwegs, so war es mit der Stille +für heute vorbei. Eine frische Westbrise erhob sich, und der Spiegel +der Bucht wurde matt, seine Bilder wurden von einer leichten Kräuselung +zerstört, die bald zu Wellen und Wogen anschwoll. Jenseits des +südlichen Felsenvorsprungs wurde der Wind stärker und kam uns gerade +entgegen. Er schwoll zu einem halben Sturme an, der See ging hoch, das +Loten mußte unterbleiben, und es galt wieder, uns selbst und unser +Gepäck zu retten. Zum Umkehren war es zu spät, und jetzt war niemand +mehr an dem Strande, auf den uns der Sturm widerstandslos geschleudert +haben würde. Wir versuchten vergebens, irgendeine freundliche +Landspitze zu erreichen, hinter der wir hätten Schutz finden können, +aber es blieb uns nichts weiter übrig, als draufloszurudern und uns +nach der vor dem Wind geschützten Seite der nächsten Felseninsel im +Westen hinzuarbeiten. Unter diesen Umständen konnten natürlich nur +wenige Lotungen gemacht werden; als größte Tiefe wurden 42 Meter +festgestellt. + +Wir arbeiteten jetzt wie Galeerensklaven gegen Wind und Wellen an +(Abb. 277). Mit jeder Schlagwelle erhielt ich eine kalte Dusche und +wurde bis auf die Haut durchnäßt. Es leckte und tropfte von meiner +Mütze, und meine Brille leistete mir schlechte Dienste. Notizbücher, +Decken und sonstige Sachen waren wie ins Wasser getaucht. Endlich aber +erreichten wir doch die Insel; hier war der Wellenschlag geringer. +Noch unmittelbar am Ufer betrug die Tiefe 34 Meter. Ganz erschöpft +von der Anstrengung vertäuten wir das Boot. Es wurde ganz aufs Ufer +hinaufgezogen, damit es uns nicht forttriebe, in welchem Falle unsere +Lage höchst bedenklich gewesen wäre. + +Die kleine Insel hat die Gestalt eines Sattels; sie besteht aus +zwei Bergkuppen mit einer flachen Einsenkung in der Mitte, einer +Landenge, die nur 300 Meter breit ist. Ich ging über die Enge nach dem +Westufer, gegen welches die Wellen mit erschreckender Wut anstürmten. +Welche Freude haben wir jetzt an der Sonne, die uns von dem glänzend +türkisblauen Himmel herab mit ihrem goldenen Lichte überflutet, während +der Wind über den launenhaften See hinfährt und die Wellen zum wilden +Tanze auffordert. + +Nachdem wir uns mit unserem unfreiwilligen Gefängnisse bekannt +gemacht hatten, wurde das Lager aufgeschlagen (Abb. 278); wir +breiteten mein provisorisches Bett am Ufer aus, das Boot schützte +einigermaßen gegen den Wind, eine Filzdecke diente als Sonnendach. +Infolge einer glücklichen Eingebung hatte ich Lektüre mitgenommen. +Kutschuk schnarchte schon. Der Wind heulte in den Felsen; ich sehnte +mich danach, ihn schwächer werden und verstummen zu hören. Um 3 Uhr +wußten wir nichts Besseres anzufangen, als Feuer anzumachen und Tee zu +bereiten. Jappkak und Argol waren in Menge vorhanden. Kutschuk ging +von Zeit zu Zeit über die Enge, um sich nach dem Sturme umzusehen, kam +aber stets mit dem Bescheide wieder, daß es undenkbar sei, bei solchem +Wetter mit dem Boote hinauszugehen. Mit Hilfe des Fernglases sehen wir +auf dem nördlichen Seeufer mehrere große Herden und Zelte. + +Es ging gegen Abend. Der Wind flaute nicht ab; immer noch hörte man +den See gegen das Westufer der Insel branden, wo die Wellen unter der +Peitsche des Sturmes ihre Sklavenarbeit ausführen. Sie haben das Recht, +soviel sie wollen gegen diese heiligen Ufer zu schlagen, an denen wir +nur wie Zugvögel vorbeistreichen dürfen. Als wir nach Süden gingen, +hinderten uns die Tibeter, jetzt, da wir uns nach Westen wenden, +hindert uns der Sturm. Ich hatte unserem lärmenden Gefolge entgehen und +mich in Einsamkeit der Stille der Natur erfreuen wollen; jetzt wollte +ich viel lieber zu ihm zurückkehren, als auf dieser kleinen Felseninsel +gefesselt sein. Es gehörte die Geduld eines Engels dazu, hier untätig +und gebunden zu liegen, während das Tagesgestirn seinen Lauf nach +Westen fortsetzte. Wie mir zum Hohne ging die Sonne klar unter, tiefe +Schatten senkten sich auf das Lager herab, während das Ostufer noch in +Licht getränkt lag. Doch bald kletterten die Schatten auch die Berge +hinauf, deren Gipfel eine Weile scharlachrot leuchteten. Als auch ihre +Glut erloschen war, stieg die Nacht blaukalt und rein aus dem Osten +auf. Wie gern hätten wir heute so wie gestern die Uferfeuer lodern +sehen, doch heute Abend war es dunkel und still, und nirgends war ein +Feuer zu erblicken. Der Halbmond war die einzige Laterne, die uns in +unserem Gefängnisse gewährt wurde, das wir so gern verlassen hätten, +das aber trotzdem in seiner Weise friedlich und reizend war. + +Vielleicht legte sich der Sturm über Nacht. Wir legten uns früh +schlafen, und Kutschuk hatte Befehl, mich ein paar Stunden nach +Mitternacht zu wecken. Um 4 Uhr rüttelte er mich wach. Die Sterne +funkelten hell, aber der Wind war noch ebenso heftig. Trotzdem standen +wir auf. Bald flammte das Feuer und erhellte das steinige Ufer. Es +waren beinahe -5 Grad, und der heiße Tee schmeckte gut. Oft pflegte +der Morgen ganz windstill zu sein. Unser Plan war jetzt, nach dem +Südufer hinüberzurudern, wo wir unter den Felsen leidlichen Schutz +finden mußten und uns schlimmstenfalls von einer Landspitze zur anderen +schieben konnten. Wir hatten genug von dieser Robinsonade und sehnten +uns nach der Sonne. Stumm und nachdenklich saßen wir während des +Wartens am Ufer. Endlich graute im Osten der Tag, und die Bergkämme +hoben sich schwarz auf dem immer helleren Hintergrunde ab. Auf einmal +ging die Sonne wie eine blendende Feuerkugel auf. + +Statt abzunehmen, nahm der Sturm an Heftigkeit noch zu. O welch +himmlischer Geduld bedurften wir jetzt, wenn auch dieser Tag verloren +gehen sollte, während die Karawane ihren Weg nach dem unbekannten +Westen fortsetzte! Ein richtiger Passatwind wehte gleichmäßig und +stark, ohne einen Augenblick schwächer zu werden, und leichte, weiße +Wölkchen segelten zeitweise über den See hin. Der Tschargut-tso zieht +sich langgestreckt von Osten nach Westen. Ich beschäftigte mich, +nachdem ich mit der mitgebrachten Lektüre fertig war, damit, eine +Karte des Sees zu zeichnen und darüber nachzudenken, wie günstig oder +ungünstig die verschiedenen Windrichtungen für uns gewesen wären. +Neun verschiedene Fälle waren denkbar. Am besten wäre östlicher Wind +gewesen, doch auch solcher aus Nordosten und Südosten hätte uns +geholfen. Windstille wäre beinahe ebensogut gewesen. Hätte Südwind +oder Südwestwind geherrscht, so hätte das Südufer uns Deckung geboten, +bei Nord oder Nordwest hätten wir unter dem Nordufer Schutz gefunden. +Aber von allen diesen Fällen war natürlich keiner eingetreten, nur der +neunte, westlicher Wind, für uns der direkte Gegenwind und die einzige +Richtung, die uns das Aufbrechen unmöglich machte. + +Auch dieser Tag war verloren. Wir verträumten die Zeit an unserem Ufer; +von dem anderen her ertönte es wie das Donnern eines riesenhaften +Wasserfalles, die Wellen gingen meterhoch, wir waren an unseren Felsen +festgeschmiedet. Ich machte eine Kartenaufnahme von der Insel, während +Kutschuk ganze Haufen Brennmaterial einsammelte; es war das einzige, +womit er sich die Zeit vertreiben konnte. Nachher „versammelten wir +uns zum Mittagessen“; mein Schutzzelt mußte mit Steinen verankert +werden, damit es nicht fortflog. Dann gehe ich nach dem Südwestufer, +wo die Felsen steil in den See hinabstürzen. Dort sitze ich und höre +mit Genuß dem lärmenden Spiele der Wellen zu; ich schließe die Augen, +um besser träumen zu können, aber in jedem Wellenschlage liegt wie +ein Hohngelächter die Frage: „Was hast du in diesem heiligen Lande zu +suchen?!“ Ich gehe dann nach dem nördlichen Berge, um Abschied von +der Sonne zu nehmen. Als die neue Nacht hereinbricht, lassen wir uns +an einem gewaltigen Lagerfeuer nieder und setzen unser ~dolce far +niente~ fort. + +Um 6½ Uhr schien die Heftigkeit des Windes abzunehmen, und die +Hoffnung erwachte wieder. Um 7 Uhr ließ sich deutlich erkennen, daß +die Windgeschwindigkeit abgenommen hatte, aber die dichter gewordenen +Wolken schwebten mit derselben gräßlichen Eile unter dem Monde durch, +der gleich einer silbernen Muschel über ihnen segelte. + +[Illustration: 284. Die Anführer unserer Leibwache. (S. 306.) + +Links Lama Schereb, rechts Jamdu Tsering und Tsering Daschi.] + +[Illustration: 285. Das Tal des Boggtsang-sangpo. (S. 306.)] + +Mit steigender Spannung beobachteten wir die Himmelszeichen und gingen +wieder nach dem Westufer, aber der See sah noch immer ebenso aufgeregt +aus, und wir mußten weiter warten. Direkt nach Westen hatte ich die +Richtung nach der nächsten kleinen Felseninsel eingepeilt, und wir +hofften noch vor Monduntergang dorthin zu gelangen; später würde es +pechfinster werden. Nach und nach flaute der Wind ab, und wir packten +unsere Sachen zusammen. Als wir im Begriff waren, das Boot ins Wasser +zu setzen, schmerzte es mich beinahe, diese kleine Insel, die uns eine +Freistatt gegeben und auf der ich zwei friedvolle Tage zugebracht +hatte, auf ewig verlassen zu müssen. + +Wir schieben unser Fahrzeug in die Nacht hinaus und streichen vor dem +Winde gedeckt am Ostufer entlang. Die südliche Klippe der Insel ragt +wie ein rabenschwarzes Gespenst aus den Wellen empor; ihre Wände sind +von dem bleichen Mondlichte schwach beleuchtet. Als wir die Spitze +umschifft hatten, kam uns der Wellengang direkt entgegen; aber jetzt +war er nicht gefährlich, und die Jolle schaukelte sanft und leicht. Von +der nächstgelegenen kleinen Felseninsel, unserem nächsten Ziele, war +keine Spur zu erblicken; sie verschwamm mit den Gebirgen im Westen, +aber ich wußte, daß sie von uns in West zu Süd lag, und gab Kutschuk +dementsprechende Anweisungen beim Rudern. Selbst wenn das Wetter so +ruhig und gut ist wie jetzt, ist es nicht gerade gemütlich, mitten in +der Nacht auf einem unbekannten See zu schaukeln. Alles ist schwarz und +undeutlich, man erhält keinen Begriff von den Umrissen der Ufer; nur +die zurückgelegte Linie, ihre Zeiten, Tiefen und Geschwindigkeiten sind +ebenso sicher zu bestimmen wie bei Tageslicht. Das Wasser ist schwarz +wie Tinte, nur das Silber der Mondstraße tanzt auf den sich zur Ruhe +legenden Wellen; der Himmel ist dunkelblau, die Wolken segeln stumm +und düster wie Schatten und eilfertig wie Pilger nach Osten, doch am +schwärzesten ist der Gebirgsrahmen ringsumher. + +Das Boot war schwer belastet und ging tief, denn wir hatten so viel +Brennmaterial mitgenommen, wie wir nur hatten unterbringen können. +In meiner vorderen Boothälfte, wo ich weich und warm saß, hatte ich +es ausgezeichnet. Die Lotleine mit ihren Fünfmeterknoten lag auf +der Backbordreling bereit. Die Laterne beleuchtete Uhr, Kompaß, +Geschwindigkeitsmesser und Marschroute, ich rauche und führe meine +Beobachtungen in schönster Ruhe aus. Die größte Tiefe beträgt 37,5 +Meter; sie liegt dicht bei der ersten Insel, dann hebt sich der +Seeboden langsam nach der zweiten. Die wichtigsten Vorgebirge auf +beiden Seiten waren passiert; es konnte nicht mehr weit nach der +kleinen Insel sein. Stundenlang glitten wir weiter, ohne daß sie sich +zeigte; doch es war kaum möglich, daß wir an ihr vorbeikommen konnten, +ohne sie zu sehen. Erst als wir nur noch eine Minute vom Ufer entfernt +waren, tauchte sie aus der Dunkelheit auf. Ich glaubte, wir näherten +uns einem Gipfel, der zu dem westlich vom See liegenden Berge gehörte; +aber der Gipfel wuchs in wenigen Minuten, und das Boot schrammte gegen +das Ufer. So täuscht man sich beim Rudern im Dunkeln, selbst wenn +Mondschein herrscht. Das Schifflein wurde an Land gezogen, und wir +gingen sofort zur Ruhe. + +Wir hatten die Absicht, bei Tagesanbruch gleich weiterzufahren; doch +schon vorher teilte mir Kutschuk mit, es gehe wieder ein so heftiger +Wind, daß an ein Weiterrudern nicht zu denken sei. Mir blieb nichts +weiter übrig, als die Insel gründlicher in Augenschein zu nehmen. Sie +bildet beinahe ein rechtwinkeliges Dreieck mit der Hypotenuse nach +Nordwesten; das längste Ufer ist nur 330 Meter lang. Der südliche +Teil der Insel wird von einer roten Konglomeratschicht gebildet, und +die Ufer sind mit Blöcken von demselben Materiale dicht bedeckt. Die +größte Höhe beträgt nicht mehr als 15 Meter; einige Steinmale sind dort +errichtet (Abb. 279). + +Um 12½ Uhr war es völlig windstill, aber im Westen stiegen schwarze +Wolken mit Regendraperien auf. Ein neuer Sturm war im Anzug. Wir hatten +das schwierigste Becken des Sees vor uns. Was gebot uns die Klugheit +zu tun? Der Proviant ging zu Ende. Ich hatte stundenlang am Strande +gesessen und mir, wie ein Kind, den Sand durch die Finger gleiten +lassen. Auf den im Wasser liegenden, von tausendjährigen, unermüdlichen +Wellen glattgeschliffenen Blöcken hatte ich Sandfestungen erbaut, um zu +sehen, wie lange sie den Überschwemmungen der Wellen würden widerstehen +können. Nie habe ich eine Seefahrt unter so ungünstigen Verhältnissen +gemacht wie diesmal. Alle Unwetter des ganzen Landes schienen unbedingt +erst über den Tschargut-tso ziehen zu müssen, oder das Tal, in dem der +See liegt, mußte eine Abflußrinne für alles derartige Teufelszeug sein! + +Um 2 Uhr hatten wir alles eingepackt, da aber brach der Sturm los, +und es war nur gut, daß wir die Insel noch nicht verlassen hatten. Es +regnete eine Weile, und die Wellen rauschten gegen die kleine Klippe. +Im Süden ging eine zweite Bö über das Land und färbte alle Berge weiß. +Nachdem wir eine Stunde gewartet hatten, hörte der Sturm auf einmal +auf, und der Seegang legte sich schnell, nur weich abgerundete Dünungen +krümmten seine Oberfläche, die Sonne näherte sich dem Horizont, und der +Tschargut-tso gewährte einen herrlichen Anblick. Bei solchem Wetter +konnte kein Risiko dabei sein, quer über den offenen See zu steuern; +aber wir hielten doch Ausguck auf einige Landspitzen im Süden, die uns +im Notfall hätten als Schutz dienen können. Kutschuk ruderte scharf, +und ich peilte von Zeit zu Zeit. Die größte Tiefe betrug fast 48 Meter. + +Die schützenden Landspitzen hatten wir hinter uns zurückgelassen, als +es wieder im Westen dunkel zu werden begann; der Donner grollte dumpf +über den südlichen Bergen, wo es in Strömen regnete oder schneite, +und über das nördliche Ufer, das jetzt in weiter Ferne lag, zog +ebenfalls ein Unwetter hin. Über dem See herrschte einstweilen noch +klares Wetter, und die Sonne ging in leichten Wolken unter. Doch über +den senkrecht abstürzenden Felsen des südlichen Ufers, nach denen wir +jetzt hinsteuern, erhebt sich eine stahlblaue, drohende Wolkenwand. +Indessen ist es andauernd ruhig, und die Wolke scheint stillzustehen +und sich ihres Inhalts nur auf einer Stelle zu entladen. So gut sollte +es uns aber nicht werden. Unter den Wolken werden die unzweideutigen +Anzeichen eines herannahenden Sturmes sichtbar. Die Wolken werden auf +der unteren Seite hell brandgelb, als würden sie von einer Feuersbrunst +beleuchtet, und wenn man diesen Farbenton sieht, weiß man sofort, was +es zu bedeuten hat. Ich suchte mit dem Fernglase die Ufer ab, aber +jetzt gab es innerhalb Sehweite keine rettende Bucht. Am klügsten wäre +es gewesen, wenn wir uns von dem Sturme nach der kleinen Felseninsel +hätten zurücktreiben lassen, denn +mit+ dem Wellengange kann die Jolle +die höchsten Wogen vertragen. Aber unser Proviant war beinahe zu Ende, +und es galt, ein Ufer zu erreichen, von dem aus wir die Karawane +aufsuchen konnten. Es blieb uns also nichts weiter übrig, als gegen den +Wind aufzuhalten und zu versuchen, unter den Felsen des südlichen Ufers +in Schutz zu kommen. + +Zuerst sausten einige kalte Windstöße über den See, und dann brauste +der Sturm herab wie der Habicht auf eine wehrlose Taube. Vorbei ist +es mit Lotungen und Peilungen! Faßt die Ruder fester, jetzt gilt es +das Leben! Es knackt und knarrt in dem Boote, und dieses klatscht mit +dem Boden auf die ihm entgegenkommenden Wellen, die wie Kobolde zum +Angriffe stürmen. Im nächsten Augenblick kann sein Rumpf mit einem +Knalle zerspringen. Doch es gibt ein Maximum für die Wellenhöhe in +Seen von dieser Größe, und dieses Maximum hat die Jolle bisher immer +aushalten können. Nie habe ich so verzweifelt gearbeitet wie jetzt; wir +ruderten mit langsamen, gleichmäßigen Schlägen und gewannen jedesmal +ein paar Zentimeter; ich hatte mehrere Tage nachher noch große Blasen +an den Händen. Der Sturm wurde zwischen den Felsen der Ufer eingepreßt +und nahm an Heftigkeit zu. Drauflos, Kutschuk! Das Ufer kommt uns +näher, es ist gar nicht gefährlich! Da schlägt ein Wellenkamm über die +Steuerbordreling in das Boot, und das Wasser plätschert und rauscht von +dem Rollen, eine neue Welle schlägt hinein, wir bekommen recht kalte +Duschen von dem Spritzwasser, wir rudern mit so festen Griffen, daß uns +die Knöchel weiß werden, wir tragen das Boot auf den Ruderblättern +durch die Wellen! Lange kann es auf diese Weise nicht mehr fortgehen, +das Boot ist halb voll Wasser, und die Wellen brechen noch immer über +den Vordersteven herein -- bald müssen wir sinken! + +„Halte deine Rettungsboje bereit, Kutschuk, ich habe die meine!“ -- + +„Nein, wir +können+ noch nach jenem Vorgebirge hingelangen, ja +Allah!“ -- + +Und wir arbeiteten uns dorthin! Es war ein Wunder, daß wir nicht +Schiffbruch litten; auf keiner von allen meinen Seefahrten in Asien bin +ich einer Katastrophe so nahe gewesen! + +Sobald wir unter dem Vorgebirge vor dem Winde geschützt waren, wurden +die Wellen niedriger, und wir beruhigten uns und erreichten im letzten +Augenblick am dunkeln Abend das Ufer. Ja, hat man nur ein sicheres +Boot, so ist es keine Kunst, im Dunkeln über einen stürmischen See zu +kommen, aber mit einer Zeugjolle ist es etwas anderes, und die Fahrt +wird nicht gemütlicher, wenn der Wind die Sturmwolken zerreißt und +der Mond den Wellenschaum versilbert, der weiß und kristallhell über +unerforschten Tiefen glänzt, die bereit sind, uns in ihre kalten Arme +zu schließen. + +Sobald wir gelandet waren, hörte der Wind auf. Statt dessen fing es +an stark zu regnen, und es regnete die ganze Nacht. Wir richteten das +Boot wie ein Kutschenverdeck auf, zündeten Feuer an, trockneten unsere +Kleider und schliefen dann gut, da wir von der sowohl körperlich wie +seelisch kolossalen Anstrengung sehr ermüdet waren. + +Am Morgen des 24. September hatten wir nur noch ein Stückchen Brot +zum Frühstück. Bei gutem Wetter ruderten wir westwärts über den See +weiter, der bald schmäler wurde und ein Ende nahm. Wir fuhren in eine +trompetenförmige Flußmündung hinein, und nach knapp einem Kilometer +befanden wir uns wieder auf einem gewaltigen See. Die Gesandten hatten +ihn +Addan-tso+ genannt, aber die Nomaden, die wir am Ufer trafen, +sagten +Nagma-tso+. Fern im Norden zeigten sich einige Reiter. Wir +hofften, daß es unsere Späher sein würden, aber sie verschwanden +bald wieder und hatten das Boot augenscheinlich nicht gesehen. +Wir beabsichtigten jedoch, schräg über den See nach dem ziemlich +naheliegenden Nordufer zu fahren. + +Ich habe soviel von unseren abenteuerlichen Seefahrten gesprochen, +daß ich nur noch hinzufügen will, daß der dritte Sturm uns auf +dem Addan-tso überfiel und uns buchstäblich gegen das nächste +Land schleuderte, wobei sich das Boot mit Wasser füllte, so daß +wir ins Wasser springen und retten mußten, was sich retten ließ. +Glücklicherweise regnete es nicht. Wir breiteten unsere Sachen in +dem starken Wind auf der Erde zum Trocknen aus, zogen die Kleider aus +und hielten sie in den Wind, nachdem wir sie erst tüchtig ausgerungen +hatten, dann lagen wir dort mehrere Stunden still. Schließlich wurde +ich so hungrig, daß ich nach dem nächsten schwarzen Nomadenzelte ging; +ich war aber noch nicht weit gekommen, als Kutschuk mich zurückrief +und auf den kurzen Flußarm, den wir heraufgefahren waren, zeigte. Dort +erschienen zwei Reiter mit drei Packpferden. Sie hatten uns gesehen und +ritten gerade auf uns zu. Es waren Tscherdon und Ördek, die uns seit +zwei Tagen längs des Ufers des Addan-tso suchten und gleich den anderen +in größter Unruhe geschwebt hatten. Nach einer Weile kamen Tschernoff +und der Lama, die uns an den Ufern des Tschargut-tso hatten suchen +wollen. Sirkin war schon gestern dort gewesen und hatte in dem alten +Lager am Ostufer des Sees Umschau gehalten. Sie hatten das Schlimmste +befürchtet und bereits überlegt, was sie tun sollten, wenn ich nicht +wiederkäme. Einige Bootstrümmer und unsere Sachen wollten sie jedoch +erst finden, ehe sie die Gegend ohne ihren Chef verließen. + +Tscherdon hatte mehrere Abenteuer gehabt. Mehreremal schienen +uns Reiterpatrouillen zu suchen, und an einer Stelle standen 8 +Soldatenzelte, um den Weg nach Lhasa zu sperren. + +Wir ritten über einen Paß nach dem großen Lager; mehrere Reiterhaufen +begegneten mir und geleiteten mich dorthin, artig grüßend, indem sie +die Zunge herausstreckten. Das Lager lag in einem Längentale, durch +welches wahrscheinlich auch Littledale gezogen war; ich wollte künftig +seine Route nach Möglichkeit vermeiden. Alles war ruhig, aber dem +alten Muhammed Tokta ging es schlechter. Ein Kamel war tot. Einer der +Tibeter war gestorben. Wir ritten an der Leiche vorbei, die auf die +Erde geworfen worden und von Geiern und Raben entsetzlich zugerichtet +war; viel mehr als das Gerippe war nicht mehr davon übrig. Hladsche +Tsering lud mich in sein Zelt ein und empfing mich wie einen Sieger. +Unter der blauen Decke glänzten die Götterbilder matt durch einen +Weihrauchschleier, und wieder gab es ein üppiges Gastmahl. + +Diese Seefahrt war die letzte, die ich in Tibet machte, und das +Boot sollte nachher nur noch auf einigen Flüssen benutzt werden. +Ich bewahre den Tagen, die ich auf dem Selling-tso, Nakktsong-tso, +Tschargut-tso und Addan-tso verlebte, ein ganz besonderes Andenken, +denn sie waren für mich eine unvergeßliche Unterbrechung der langen, +einförmigen Karawanenmärsche. Die Untersuchungen können nur als +vorläufig betrachtet werden, aber sie gaben mir doch einen sehr +wertvollen Überblick über die Hydrographie dieser wunderbar schönen +Seeregion. Wenn die Wasserspiegel hier um etwa 50 Meter gehoben würden, +so würde eine echte, an Norwegens und Schottlands Küsten erinnernde +Fjordlandschaft entstehen. Wahrscheinlich ist auch dieses Land einst +mit Eis bedeckt gewesen, obgleich man vergebens nach Gletscherspuren, +Schrammen, Moränen oder erratischen Blöcken sucht. Die Gesteine sind +verwittert, und alle Spuren fortgetragen, vernichtet. Der Addan-tso +ist der höchste und größte See dieses Gebietes. Mehrere Flüsse von +den angrenzenden Gebirgen, besonders von den hohen Schneeketten, die +im Süden sichtbar sind, ergießen sich in ihn. Der Addan-tso entleert +sein überflüssiges Wasser in den Tschargut-tso, und dieser hat in dem +Jaggju-rappga-Flusse einen Abfluß nach dem Selling-tso. Weiter kommt +das Wasser nicht; es bleibt im Selling-tso, wo es verdunstet, und daher +ist auch nur dieser See salzig. In welchem Verhältnis der Nakktsong-tso +zum Selling-tso steht, ist mir nicht ganz klar geworden. Möglicherweise +existiert ein unterirdischer Abfluß, vielleicht aber ergießt er sich +auch in einen weiter südlich liegenden See, den zu sehen uns nicht +vergönnt war. + +Am 25. September sollten wir uns von unseren Freunden Hladsche Tsering +und Junduk Tsering, mit denen wir seit dem 12. zusammengewesen waren, +trennen. Sie schickten mir jeder eine Haddik und ließen mir dabei eine +gute und glückliche Reise wünschen. Dann erschienen sie selbst und +versicherten, daß alles, was wir an Proviant, Führern und Lasttieren +brauchten, uns dem Befehle des Dalai-Lama gemäß zur Verfügung gestellt +werden würde. Als die Karawane marschfertig war, machte ich ihnen +schnell einen Abschiedsbesuch und überreichte ihnen verschiedene +Geschenke, wie Revolver, Messer, Kompasse und Zeugstoffe. Ich +versicherte, daß ich nicht versuchen würde, nach Lhasa vorzudringen, +und bat sie, den Dalai-Lama von mir zu grüßen; aber ich erklärte auch, +daß ich dem Wege, den die Eskorte einschlage, nicht folgen würde. Ich +sagte ihnen ein für allemal, daß die beiden Offiziere, die unsere +künftige Eskorte auf dem Wege nach Westen anführen sollten, sich zu +hüten hätten, mir gegenüber den Herrn spielen zu wollen, sondern mich +jeden Morgen zu fragen hätten, wohin ich zu gehen wünschte. Andernfalls +würden wir sie in zwei von unseren Kisten sperren und sie auf diese +Weise mit in unsere Heimat nehmen. + +Hladsche Tsering erwiderte, daß er und sein Amtsbruder Junduk Tsering +mit einigen hundert Mann Kavallerie noch 20 Tage an dem Orte, wo wir +uns trennten, zu bleiben gedächten (Abb. 280). Ich sah sehr wohl ein, +daß dies nur eine List war, um uns davon abzuschrecken, schnell wieder +umzukehren, sobald die beiden abgezogen waren, und antwortete daher, +daß ich die Absicht habe, nur einige Tagereisen westwärts bis an den +nächsten Süßwassersee zu gehen und dort zu bleiben, bis er vollständig +zugefroren sei. Er klärte mich darüber auf, daß sie ohne Ungelegenheit +ein ganzes Jahr in der Gegend lagern könnten. Als ich ihm vorschlug, +daß wir, da wir ja beiderseits so viel Zeit hätten, einander denn +doch lieber Gesellschaft leisten könnten, löste sich das Übertrumpfen +in allgemeine Heiterkeit auf. Hladsche Tsering saß in seinem Zelte und +aß Klops. Junduk Tsering war in dem seinen von Sekretären und ganzen +Haufen von Papieren umgeben. Er verfaßte einen ausführlichen Bericht an +den Dewaschung in Lhasa und schickte Briefe an die Häuptlinge im Westen +auf dem ganzen Wege bis nach Ladak. + +Unser Weg lief nach Westen durch ein 30 Kilometer breites Längental, +das sowohl im Süden wie im Norden von ansehnlichen Bergketten begrenzt +ward. Das Wetter war unfreundlich, kalt und windig, die Weide schlecht; +trotzdem zählten wir 32 schwarze Zelte oder ungefähr 150 Einwohner auf +27 Kilometer. Sicherlich sind die Täler im Süden dichter, die nordwärts +gelegenen spärlicher bevölkert; in der letzteren Richtung hört das +Land überdies bald auf, bewohnbar zu sein. Mit uns ritten jetzt nur +22 Mann unter einem Anführer namens Jamdu Tsering, der bald mein ganz +besonderer Freund wurde. Den Platz, an dem wir uns im Lager Nr. 89 +niederließen, nannte er +Schalung+, und einen See, der sich im Westen +zeigte, +Daggtse-tso+; ein Fluß, der sich in den westlichen Teil dieses +Sees ergießt, heißt +Boggtsang-sangpo+. Da letzterer Name auf Nain +Singhs und Littledales Karten vorkommt, kann man annehmen, daß auch die +übrigen richtig sind. Sonst habe ich nur eine äußerst geringe Anzahl +der Namen, die Littledale anführt, wiederfinden können. + + + + +Vierundzwanzigstes Kapitel. + +Die lange Reise nach Ladak. + + +Am 26. September ritten wir nach der Stelle, wo sich der +Boggtsang-sangpo in den See ergießt. Der Fluß teilt sich in mehrere +Arme, und an den Ufern ist die Weide so reichlich, daß wir hier einen +Tag rasten müssen. Wir hatten jetzt nur noch 22 Kamele, die alle sehr +erschöpft waren. Die Pferde sind in schlechtem Zustand. Jetzt sahen wir +nur 16 Zelte auf 28½ Kilometer, aber ziemlich große Schafherden. Die +Gegend ist ziemlich reich an Kulanen, Antilopen, Rebhühnern, Hasen und +Gänsen, und die Jäger versahen uns mit Fleisch in Menge. Der See ist +viel kleiner als die vorhergehenden, aber stark salzig. Ringförmige +Wälle an den Ufern verkünden, daß auch der Daggtse-tso im Austrocknen +begriffen ist. An einer Stelle standen sieben solcher alten Uferwälle +deutlich ausgeprägt übereinander. + +[Illustration: 286. Fischen im Boggtsang-sangpo. (S. 305.)] + +[Illustration: 287. Die Yake werden beladen. (S. 310.)] + +[Illustration: 288. Das Lager Nr. 103 am Quellbache. (S. 312.)] + +[Illustration: 289. Lager Nr. 109 im Westen des Lakkor-tso. (S. 316.) + +Auf den Bergen im Hintergrund einige Uferlinien.] + +Während der folgenden Tagemärsche hielten wir uns in der unmittelbaren +Nähe des Boggtsang-sangpo (Abb. 281). An einem Punkte, wo wir den +Fluß kreuzten, hatte ihn auch Littledale überschritten. Captain +Bowers Route, die wir am Nakktsong-tso und Tschargut-tso gestreift +hatten, liegt nun eine ziemliche Strecke nördlich von unserem Wege, +und wir berühren sie nicht mehr. Nain Singhs Weg läuft einstweilen +noch südlich von unserer Straße. Dadurch, daß ich jetzt dem Laufe +dieses Flusses folgte, konnte ich die Routen der drei Reisenden, die +vor mir diese Teile von Tibet besucht hatten, vermeiden. Es würde +unsere Landeskenntnis vermehren, wenn ich andere Gegenden aufsuchte. +Oft war es jedoch unmöglich zu entscheiden, ob ich mit Littledales +Weg in Kollision war oder nicht. Die Karte dieses ausgezeichneten, +unermüdlichen Reisenden ist leider in zu kleinem Maßstabe ausgeführt, +als daß man sich mit ihrer Hilfe in dem Terrain zurechtfinden könnte. +Bei den Anforderungen, die ich an meine Karte stellte, betrachtete ich +die Landesteile, die meine Vorgänger durchreist hatten und in denen +ich es nicht vermeiden konnte, ihre Routen zu kreuzen oder sogar auf +kurzen Strecken ebenfalls zu benutzen, als unerforschtes Land. Auf +Littledales Karte findet man z. B. weder den Nakktsong-tso noch +den Tschargut-tso, auf der von Bower allerdings diese beiden Seen, +aber nicht den Selling-tso. Bower reiste zwischen dem Nakktsong-tso +und dem Tschargut-tso durch, aber er erforschte nicht das Verhältnis, +in welchem die verschiedenen Seen zueinander stehen; der Addan-tso +ist auf seiner Karte gar nicht angegeben, ebensowenig ein Abfluß des +Tschargut-tso. Er hat geglaubt, daß der Jaggju-rappga ein Fluß sei, der +sich +in+ den Tschargut-tso ergießt, obwohl das Wasser +aus+ dem See +strömt. Es ist weder meine Aufgabe noch meine Absicht, das vorhandene +Kartenmaterial über Innerasien in dieser Arbeit zu kritisieren, ich +will nur erklären, weshalb ich Grund hatte, manchen Landesteil, den +auf der Karte eine rote Linie durchzieht, als eine ~terra incognita~ +zu betrachten. Der Zweck einer Reise durch unbekanntes Land ist doch, +daß man vor allem eine Karte desselben vorzeigen kann, und eine solche +ist zwecklos, wenn sie nicht vollkommen zuverlässig ist. Was haben die +großen Strapazen und Kosten, die mit einer solchen Reise verbunden +sind, sonst für einen Nutzen? Littledales und Bowers Reisen sind +übrigens bewundernswerte Beweise von Kraft und Ausdauer. Von den drei +Karten aber ist Nain Singhs die beste, obwohl sie einer Revision sehr +bedarf. -- + +Die erste Tagereise längs des Boggtsang-sangpo ging durch ziemlich +gutes Weideland; hier und dort zeigten sich Nomadenlager. Das Wetter +war herrlich, obgleich die Nachtkälte bis auf -8 Grad fiel. Es war +ganz windstill, keine Wolke sichtbar; solches Wetter würde uns auf dem +Tschargut-tso gefallen haben. Wenn man, wie wir, nach Westen reitet, +wird die linke Seite des Gesichtes so von der Sonne angegriffen, daß +die Haut stückweise abblättert, während die andere eisig kalt ist. +Der linke Fuß hat es schön warm, indes der rechte im Schatten beinahe +erfriert. + +Am 29. September legten wir 29 Kilometer zurück und lagerten am Ufer +des Flusses im Lager Nr. 92 unmittelbar neben seinen brausenden Wirbeln +(Abb. 282, 283). In der Dämmerung langten die Tibeter an und schlugen +ihre Zelte uns gerade gegenüber am rechten Ufer auf. + +Am folgenden Tag marschierten wir auf dem südlichen Ufer. Der Fluß +macht viele Krümmungen und hat ein scharf ausgeprägtes Bett. Das +südlich von seinem Tale liegende Gebirge heißt +Nangra+. Schagdur +hatte sich ein paar Stunden lang nicht sehen lassen; als er uns aber +einholte, schwenkte er triumphierend ein Bündel prächtiger Fische in +der Luft. Sobald wir das Lager aufgeschlagen hatten, wurde das Boot +zusammengesetzt, und die Lopmänner fischten mit dem Schleppnetz in den +Flußbiegungen (Abb. 286). Die Angler hatten jedoch mehr Glück. + +Drei Tage Marsch und den vierten Rast ist jetzt unter gewöhnlichen +Verhältnissen die Regel. Infolgedessen war der 1. Oktober ein Rasttag; +er wurde von den meisten zum Fischfang benutzt. Schagdur hat das größte +Fischglück; er angelte 18 Stück und schoß außerdem zur Abwechslung +eine Antilope. Turdu Bai steht den ganzen Tag wie ein alter, in der +Sommerfrische befindlicher Onkel mit seiner Angelrute in der Hand am +Ufer und hat dabei die unerschütterliche Geduld des echten Anglers. Er +schmunzelte ordentlich, als er mir seinen Fang zeigte. Der Lama las +heilige Schriften. Jamdu Tsering und Tsering Daschi (Abb. 284), die +Anführer unserer Leibwache, baten mich, ihnen eines unserer Schafe +zu überlassen, da sie nichts mehr zu essen hätten, beim nächsten +Zeltlager sollten wir Ersatz dafür erhalten. Ihre Bitte wurde ihnen +mit um so größerer Bereitwilligkeit gewährt, als sie uns schon viele +Freundlichkeiten erwiesen hatten. + +2. Oktober. In der Nacht hatten wir -11 Grad; der Winter naht sich, wir +müssen uns beeilen, nach Ladak zu kommen. Der Tagemarsch führte nach +Westsüdwest, auf dem Südufer des Boggtsang-sangpo, und zum vierten Male +lagerten wir an diesem Flusse (Abb. 285). Die Breite betrug hier nur 6 +Meter, aber die Tiefe war groß. Die Zelte sind kaum aufgeschlagen, als +die Angelruten schon wieder in voller Tätigkeit sind. Während dieser +Tage lebten wir hauptsächlich von Fischen, ich fast ausschließlich. + +Am 3. Oktober folgten wir dem Flusse zum letzten Male und ließen ihn +nachher links liegen. Ich hätte gar zu gern einen südlicheren Weg +eingeschlagen, aber das Land war zu gebirgig für die Kamele. Heute +tröstete ich mich überdies mit der Aussicht, den Berg kennenzulernen, +den Littledale den „Vulkan Tongo“ nennt, von dem mir aber gesagt +wurde, daß er +Erenak-tschimmo+ heiße. Von unserem Lager Nr. 95 aus +gesehen, glich er an Gestalt einem regelrechten Vulkankegel; aber von +dem heutigen Passe sah man, daß er, wie alle anderen Kämme hier in +der Gegend, eine nicht unbedeutende Ausdehnung nach Westen hatte. Die +Karawane mußte ihre eigene Straße mit den Tibetern ziehen, während wir, +nämlich ich, der Lama und Tschernoff, nach dem Berge hinaufritten. +Über einige Konglomeratplatten gelangen wir an einen Bach am Fuße des +Berges, wo ein einsames Nomadenzelt aufgeschlagen war. Wir ritten +so hoch hinauf, als unsere Pferde es aushalten konnten, und gingen +dann zu Fuß weiter. Bald hatten wir jedoch genug vom Klettern und +rasteten eine gute Weile. An einigen Stellen trat anstehendes Gestein +zutage, das aus Granit, kristallinischem Schiefer und Porphyr bestand, +während verschiedene andere Gesteinarten durch lose Stücke vertreten +waren. Ein Vulkan ist dieser Berg nicht und ist es auch nie gewesen; +er ist nur ein Glied in den parallelen Ketten, die, von dem hohen +Aussichtspunkte betrachtet, die ganze Landschaft als ein unentwirrbares +Durcheinander von Kämmen und Rücken erscheinen lassen, in welchem wir +nur die dominierenden Schneegipfel und die Täler, durch welche wir vom +Daggtse-tso an gezogen sind, wiedererkennen. Herrlich und friedvoll war +es dort oben mitten in den Wolken und Winden, fern von der Karawane und +ihren kleinen Intrigen; ich wäre gern ein paar Tage dort geblieben. + +Im östlichen Giebel des dritten der kleinen krenelierten Kämme gibt es +eine runde Grotte mit einem äußeren und einem inneren Raume, die eine +Mauer aus Steinplatten trennt. Der Eingang der Grotte ist ungefähr 3 +Meter hoch. Nach der dicken Rußschicht an der Decke zu urteilen, ist +die Grotte lange Zeit bewohnt gewesen; der Felsboden in ihrem Inneren +ist mit Schafmist bedeckt. Wir saßen eine Weile in der Grotte und +genossen die malerische Aussicht durch ihre Öffnung -- das ganze Tal +glänzte im Sonnenschein, während wir uns bei Windstille im kühlen +Schatten befanden. Auf verschiedenen Steinplatten sind die Worte „Om +mani padme hum“ eingehauen. Vielleicht hat ein Eremit, der sein Leben +den Göttern des Berges geweiht, hier seinen Wohnsitz gehabt. + +Dann ritten wir weiter nach einem ziemlich bequemen Passe hinauf. +Unterwegs fanden wir Hamra Kul in einer Rinne. Er hätte tot sein +können, so regungslos lag er auf der Seite. Ich trat an ihn heran und +betrachtete ihn; er jammerte und versicherte, keinen Schritt mehr gehen +zu können. Er wurde einstweilen liegengelassen, denn ich wußte ganz +genau, wo ihn der Schuh drückte. Gestern war er nämlich von seinem +Posten als Führer der Pferdekarawane abgesetzt worden, weil er sich +wiederholt hatte Nachlässigkeiten zuschulden kommen lassen, und Mollah +Schah war zu seinem Nachfolger ernannt worden. + +Jenseits des Passes (5014 Meter) hatten sich die Tibeter +niedergelassen, die nun kamen, um mir ihr Bedauern darüber +auszudrücken, daß wir nicht auf sie hätten hören wollen, als sie +gesagt, weiter fort gebe es keine Weide. Ich konnte es nicht ändern +und ritt in der Dunkelheit nach dem Lager, das in einer Gegend +namens +Tschuring+ aufgeschlagen war. Hier wußte Mollah Schah, der +in Littledales Diensten gewesen war, Bescheid, und zu noch größerer +Gewißheit fanden wir ein Eselhufeisen, das von keiner anderen als des +Engländers Karawane stammen konnte. + +Der 5. Oktober, an dem wir 24 Kilometer nach Westen ritten, war einer +der schlimmsten Tage, deren ich mich erinnern kann. Nachts hatten wir +-13,7 Grad gehabt, und der Bach am Lager war zugefroren, so daß ich +wiederholt durch das helle Krachen der Eisscheiben geweckt wurde. Bei +dem Kohlenbecken in der Jurte spürt man die Kälte nicht, aber bei +direktem Gegenwind und halbem Sturm war es grimmig kalt auf dem Ritte. +Man erlahmt, wird durchkältet und ist schließlich arbeitsunfähig. Die +Sonne stand fast den ganzen Tag am Himmel, aber der Wind neutralisiert +ihre Wirkung. Sowohl die Unseren wie die Tibeter gingen meistens +zu Fuß, um nicht zu erfrieren. Mir war es eine außerordentliche +Anstrengung, in einer solchen Höhe gegen solchen Wind zu Fuß zu gehen. +Wenn ich das Gefühl in den Händen verliere, raste ich daher eine Weile +in der Schlucht mit dem Rücken gegen den Wind und rauche eine Pfeife. +Einigermaßen aufgetaut, hole ich die Karawane zu Pferde ein, bin +dann aber schon wieder für eine neue Rast reif. Das wird ein netter +Winter werden, dachten wir, wenn schon der Herbst so eisig kalt ist! +Am traurigsten ist es jedoch, daß es mit allen unseren Kamelen und +Pferden beinahe gleichzeitig zu Ende geht. Eines der jungen Kamele +aus Tscharchlik blieb heute schon zu Anfang des Marsches zurück. Ich +wollte es töten lassen; aber nachdem es uns gelungen war, es wieder +auf die Beine zu bringen, führte ich es selbst, bis es sich wieder +hinlegte. Der Packsattel wurde ihm abgenommen und aufgetrennt, und es +fraß das Strohpolster mit gutem Appetit. Sein ganzer Körper gewährte +einen traurigen Anblick, nur Haut und Knochen, und doch will man die +Tiere nicht eher opfern, als bis man sie nicht mehr dazu bewegen kann, +auch nur einen Fuß vorzusetzen. Man hofft stets, an einen Weideplatz +zu gelangen, wo die Müden ihre erschöpften Kräfte wiedergewinnen +können. Nachdem ich einen Mann bei ihm zurückgelassen hatte, ritt ich +weiter, doch nur, um bald zwei Kamele zu überholen, die ebenfalls mit +ihren Führern zurückgeblieben waren. Eines von ihnen hatte die dumme +Gewohnheit, bei jedem Schritt mit dem linken Vorderfuße gegen den +rechten zu schlagen, wodurch eine Wunde entstanden war, die nie ruhig +heilen konnte, sondern beständig blutete. Die Wunde mußte täglich +nachgesehen, ausgewaschen und verbunden werden. + +Später überholten wir zwei zurückgebliebene Pferde, die Kutschuk +führte. Das eine von ihnen war dasjenige, welches ich geritten hatte, +als ich vor mehr als zwei Jahren Kaschgar verließ, also der älteste +Veteran unter den Pferden. Das andere war einer von Kamba Bombos +Schimmeln. Mein Reitpferd, auf dem ich von Tscharchlik aufgebrochen war +und das wir schon ein paarmal für verloren gehalten hatten, kam noch +immer mit, wenn auch mit Mühe und Not. + +Die Krankenliste ist gegenwärtig größer als je. Hamra Kul, der gestern +zurückblieb, wurde von einigen freundlichen Tibetern geholt. Mit +Muhammed Tokta geht es in alter Weise, d. h. er muß auf seinem Pferde +angebunden werden und lehnt dort vornüber gebeugt, still und geduldig, +gegen ein Kissen. Almas hat Augenschmerzen und behauptet, fast blind +zu sein; nachdem er aber ein wenig Kokain und eine dunkle Brille +bekommen, ist er bedeutend munterer. Bei solchem Wind muß man indessen +ganz besonders eingerichtete Augen haben, wenn sie einem nicht wehtun +sollen. Nach dem heutigen Tagemarsche braucht man eine gute Stunde, +ehe man wieder arbeitsfähig ist. Ich glaube nicht, daß das Erfrieren +so schlimm ist; man erstarrt zur Gefühllosigkeit ohne nennenswerte +Schmerzen. Am Abend wurde auch Chodai Kullu krank gemeldet; er hatte +Fieberschauer und Kopfschmerzen, weshalb er Chinin bekam. Bald steht +die halbe Karawane auf der Krankenliste. + +Ich ließ mir Jamdu Tsering rufen und sagte ihm, es werde jetzt wirklich +Zeit, daß er uns die vom Dalai-Lama zugesagten Yake besorge; er +versprach, die Sache bald ins Reine zu bringen. + +Im Laufe des Tages ritten wir an dem Flusse hinauf, der sich weiter +östlich in den Boggtsang-sangpo ergießt. Hier und dort sehen wir +Schafhürden, die einfach aus einer halbkreisförmigen Steinmauer +bestehen, deren höchster Teil dem hier vorherrschenden Westwinde +zugekehrt ist. Die grauen Mauern stechen scharf ab gegen den Boden im +Innern, der mit Mist bedeckt ist. + +In der Gegend von +Setscha+ (5048 Meter) mußten wir an einem nicht +unbedeutenden Flusse Halt machen; Ahmed, Islam, Hamra Kul, der Mollah, +Tschernoff, drei Kamele und zwei Pferde waren zurückgeblieben. Sie +langten erst lange nach Dunkelwerden an. Das erste Kamel hatte getötet +werden müssen, das zweite sollte morgen geholt werden, nur das dritte +war noch mitgekommen. Ein Pferd war gestorben, das Kaschgarpferd lag am +folgenden Morgen, 6. Oktober, tot beim Lager, ein drittes brach auf dem +Wege nach dem nächsten Rastorte zusammen. Die Karawane verkleinert sich +nur allzu schnell! + +Die Nachtkälte sank auf -14,9 Grad, und das Eis des Flusses trug. Ein +ganz kurzer Tagemarsch wurde gemacht, um einen Platz mit besserer, +wenn auch erbärmlicher Weide zu erreichen. Wenn wir so langsam +vorwärtsschreiten, können wir kaum hoffen, vor Weihnachten nach Ladak +zu gelangen. In dem Lager Nr. 98, wo wir Yake erhalten sollten, wurden +im Laufe des Tages alle unsere Sachen umgepackt. Alle Lasten wurden +auseinandergenommen und zu kleineren Ballen verschnürt, denn der Yak +ist einer Kamellast nicht gewachsen. + +Schon um 9 Uhr abends hatten wir -10,6 Grad und nachts -17,9 Grad. Der +Winter hatte schon seinen Einzug gehalten, und sein Regiment würde nun +volle sieben Monate dauern! + +Unter dem Vorwand, nach Weide zu suchen, eigentlich aber um nicht +denselben Weg wie Littledale gehen zu müssen, brach ich am Morgen des +7. Oktober nach einer südlicheren Richtung auf und nahm Tschernoff, +Li Loje, den Lama und Kutschuk, 4 Maulesel, 5 Pferde und Proviant +mit. Über Nacht waren 18 vortreffliche Yake angelangt; sie mußten die +Lasten übernehmen (Abb. 287), und die meisten unserer Tiere, vor +allem die erschöpften, wurden mit Arbeit verschont. Schagdur wurde zum +Befehlshaber ernannt und hatte das Recht, überall, wo gute Weide war, +einige Tage zu bleiben. Die Kranken waren in Besserung; nur für die +Genesung des alten Muhammed Tokta war nicht viel Hoffnung vorhanden, er +blieb aber in bewundernswerter Weise guten Mutes. + +Als wir uns in Gang setzen wollten, stürmten eine Menge Tibeter herbei +und ergriffen unsere Pferde und Lasttiere bei den Zügeln und Halftern; +sie könnten uns unter keiner Bedingung nach Süden reiten lassen, denn +dann würden sie alle geköpft werden. Ich ließ ihnen durch den Lama +sagen, wenn sie die Tiere nicht sofort losließen, würden wir zu den +Revolvern greifen, was für sie entschieden sehr unangenehme Folgen +haben könnte. Sie zogen sich zurück, folgten uns aber noch eine Strecke +weit zu Fuß und versicherten, daß es hierzulande nach Süden hin +weder Weide noch gangbare Wege gebe. Als wir schließlich nicht mehr +antworteten, kehrten sie um. + +Über einen nicht sehr hohen Paß in der nächsten Kette gelangten wir an +den Oberlauf des +Tschuring+. Der Fluß war hier teilweise zugefroren. +Tschernoff stach fünf mittelgroße Fische mit seinem Säbel, fiel jedoch +in seinem Eifer dabei ins Wasser. Auf dem Passe erschien jetzt eine +Schar von 12 Tibetern, die den steilen Abhang hinunterjagten, uns bald +einholten und uns mit ihrem ewigen Schellengeklingel und Waffengerassel +folgten. Tsering Daschi führte die Schar; die übrige Mannschaft blieb +unter Jamdu Tsering bei der Karawane. Wir ritten an einigen Zelten +vorbei, deren Bewohner bestürzt herauseilten, um diese außergewöhnliche +Gesellschaft zu betrachten. Tsering Daschi zeigte nach einem Passe +im Nordwesten, dem „einzig möglichen“, aber wir ließen uns nichts +weismachen, sondern gingen flußaufwärts weiter. Ein Schimmel, der schon +müde war, zwang uns Lager zu schlagen, und wir beschäftigten uns dann +mit ergiebigem Fischfang. Abends traf noch eine Reiterschar ein, und +wir hörten, wie sich die Männer eifrig miteinander berieten. + +Bei Tagesanbruch erhielt unser Gefolge wieder Verstärkung, und jetzt +erschien auch der alte Jamdu Tsering. Die Tibeter hatten keine Zelte +mitgenommen und hockten frierend unter freiem Himmel. Der alte Herr +sah bedauernswert aus; er war die Nacht durch geritten und war +durchgefroren, niedergeschlagen und betrübt über die Sorgen, die wir +ihm machten. Er bat mich, doch um Gottes willen wieder zu der Karawane +zurückzukehren, und sagte, als nichts half, er habe seine Soldaten die +Lasten von den Yaken nehmen lassen -- sie dürften uns nicht helfen, +wenn wir uns ihrem Willen nicht fügten. Dies war entschieden gelogen, +andernfalls hätte mir Schagdur einen Kurier geschickt. + +Als wir talaufwärts nach Süden weiterritten, erklärte Jamdu Tsering, +daß er jetzt wirklich zurückreiten und uns die Yake nehmen werde. „Tut +das“, sagte ich, „nehmt euch aber vor den Kosaken in acht!“ Es wimmelte +um uns her wieder von Soldaten und Reitern; eine neue Mobilmachung +war in Szene gesetzt worden. Der gute Jamdu Tsering hatte so viel zu +bedenken, daß er gar nicht wußte, wo ihm der Kopf stand. + +Während des Rittes sahen wir noch mehrere Nomadenzelte im Tale. Sind +die Bewohner gar zu zudringlich, so braucht nur ein Soldat eine +Handbewegung zu machen, und sie verschwinden. Merkwürdig, wie dies +halbwilde Volk zusammenhält! Eine Art Freimaurerei scheint unter +ihnen zu herrschen; sie sind den Göttern und der Obrigkeit in blindem +Gehorsam untertan und würden sich durch kein Gold erkaufen lassen. Es +würde uns nicht gelingen, jemand zu überreden, uns einen Weg nach Süden +zu zeigen. Man denke, ein Land, in dem es keinen einzigen Verräter gibt! + +Am Ufer des +Dschandin-tso+, des Quellsees des Tschuring, wurde das +Lager Nr. 100 aufgeschlagen. Der See war leicht überfroren, aber der +Wind zertrümmerte nachher den Eisspiegel. + +Am 9. Oktober lag der See nach einer kalten Nacht wieder eisbedeckt da. +Nur sechs Tibeter waren noch bei uns geblieben. Sie erkundigten sich +höflich nach unseren Absichten, und ich deutete nach Westsüdwest, wo +sich ein Tal öffnete. Die Tagereise führte uns durch dieses, und sobald +wir jene Richtung eingeschlagen hatten, verschwanden drei Reiter, um +Jamdu Tsering Bescheid zu bringen. Der Paß, der jetzt überschritten +wurde, hatte eine bedeutende Höhe, und von seinem Kamme hat man +die großartigste Aussicht über diese gigantischen, majestätischen +Gebirgsgegenden. Gerade im Westen erhebt sich, ganz mit ewigem Schnee +bedeckt, der gewaltige Gebirgsstock +Schah-gandschum+. Er bildet drei +Dome, von denen der mittelste der höchste ist, und hatte in der völlig +klaren, reinen Luft eine herrliche Wirkung; man sehnt sich förmlich +nach seiner friedlichen Freistatt. + +In der Gegend +Amrik-wa+ ließen wir uns zwischen den Höhlen der +Murmeltiere nieder. Der Wind heulte um das Zelt, es war so kalt, wie in +dem ärgsten Eiskeller, man ist wie zerschlagen von der Kälte. + +Der folgende Tag war von demselben trostlosen Pfeifen und Stöhnen +des Windes begleitet. Der Himmel ist leuchtend blau wie der edelste +Türkis; aber dennoch hält der unermüdliche Passatwind an, der von allem +Ungemach hier im Lande das ärgste ist. Unser Weg geht zwischen dunkeln +wilden Felsen über mehrere unbedeutende Pässe nach Westnordwesten. Hier +gibt es viele Kulane, Antilopen und Wölfe. Das Tal wird schließlich +offener, und der Boden senkt sich langsam nach Nordwesten. Auf der +linken Seite zeigen sich fünf Zelte. Wir rasten unter einem einzelnen +Berge, um geschützt zu sein, aber über seinem Gipfel toben und brausen +die Windstöße wie wirbelnde Wasserfälle. Einige Ketten sind mit +Schnee bedeckt, und der Wind bläst den Schnee von ihren Kämmen, daß +er weißen Puderwolken oder in der Sonne blendend weiß erscheinenden +Kometenschweifen gleicht. + +11. Oktober. Der Zustand der Pferde erlaubte keine weiteren Abstecher +nach Süden. Wir waren in viel zu hohe Regionen geraten und mußten +uns wieder mit den Unsrigen vereinen. Wir ritten daher über ein +sehr offenes, weites Tal nach Nordwesten, wobei der herrliche +Schah-gandschum links von unserem Wege in unserer unmittelbaren Nähe +sich frei erhob. Der Koloß gewährte mit seinem ewigen Schnee und seinen +vier rudimentären Gletschern einen wundervollen Anblick. Littledale +nennt ihn Shakkanjorm; er ging hier durch ein nördlicheres Tal. + +Auf halbem Wege trafen wir Jamdu Tsering, der uns durch seine Kuriere +die ganze Zeit über im Auge behalten hatte. So seltsam es auch klingen +mag, wir freuten uns beide aufrichtig, einander wiederzusehen, und +begrüßten uns auf das freundlichste. Er könne nun selbst sehen, sagte +ich, daß ich mit meiner Reise nach Süden keine bösen Absichten gehabt +habe, wogegen er beteuerte, es habe ihm nur leid getan, daß ich +unnötigerweise über eine ganze Reihe von Pässen klettern sollte, und er +sei ganz entsetzlich besorgt gewesen, daß dies mich angreifen würde! + +In einem Quertale ritten wir nach Nordwesten weiter. Der Lagerplatz der +großen Karawane lag an einem Quellbache, der klein, aber tief, klar +und fischreich war, so daß ich zum Mittagsessen wieder Fische erhielt +(Abb. 288). Alle befanden sich gut, außer unserem Alten, dessen ganzer +Körper aufgedunsen war. Ich versuchte, ihn auf die zweckmäßigste Weise +zu behandeln; er erklärte jedoch, er wolle gar nicht geheilt werden, er +habe nur den Wunsch gehabt, mich noch einmal wiederzusehen und dann zu +sterben! Armer Mann! + +In diesem Lager, Nr. 103 (4860 Meter), trennten wir uns am 13. von +Jamdu Tsering und Tsering Daschi, die nur beauftragt waren, uns bis +hierher an die Grenze zu bringen, und nun baten, ihnen zu bescheinigen, +daß sie ihren Dienst gut verrichtet hätten und ich mit ihnen zufrieden +gewesen sei. Man sieht daraus, daß sie Befehl erhalten hatten, +höflich zu sein. Der Lama mußte das Zeugnis aufsetzen. Hier in der +Gegend soll die Grenze zwischen Nakktsong und der nächsten Provinz +sein, deren Name, Bomba, auch auf Littledales Karte angegeben ist. +Ein neuer Häuptling, Jarwo Tsering, sollte von nun an für unsere +Weiterbeförderung sorgen. + +[Illustration: 290. Das Gebirge auf der nördlichen Talseite bei Lager +Nr. 114. (S. 321.)] + +[Illustration: 291. Das Gebirge auf der südlichen Talseite bei Lager +Nr. 114. (S. 321.)] + +Jamdu und sein Kamerad ließen sich nicht mehr sehen, weshalb ich +die Revolver und Messer, die ich ihnen zu schenken gedacht hatte, +behalten konnte. Die alten Yakbesitzer waren abgelohnt worden und +mit ihren Tieren abgezogen, aber es waren uns neue versprochen worden. +Anfangs mußten wir jedoch allein für unser Gepäck sorgen. In dem +reizenden Tale +Ramlung+ stellten sich die neuen Yake ein, begleitet +von ihren Besitzern und unseren beiden alten Reisegefährten, die +augenscheinlich nicht um ihre Geschenke kommen wollten. Nach Osten hat +man von hier eine weite Aussicht; bei Sonnenuntergang waren die in der +Ferne verschwimmenden Kämme wie von einem Steppenbrande beleuchtet. +Scharf gezeichnet stehen die schwarzen und weißblauen Zelte der Tibeter +im Vordergrund zwischen dem hohen, harten, gelben Grase, in dem die +Männer ihre Pferde von Zeit zu Zeit nach einer anderen Stelle führen. +Im Zenith ist der Himmel rosig, am östlichen Horizont dunkelblau; +letzteres ist der Widerschein von den Gegenden, in denen schon Nacht +herrscht. Wir hatten nicht mehr als 16 Kilometer zurückgelegt; es +kam sehr selten vor, daß wir unter solchen Verhältnissen mehr als 20 +Kilometer marschieren konnten. + +Am 14. Oktober zogen wir mit 30 neuen Begleitern und 22 Yaken ab, die +für ein Tsos täglich pro Yak gemietet waren. 8 Tsos wurden uns hier für +1 Liang chinesischen Silbers gegeben, wobei wir natürlich übervorteilt +wurden. Die Tibeter versuchten sichtlich, die Länge der Tagereisen +möglichst abzukürzen, aber es gelang ihnen nicht, ich bestimmte +stets die Lagerplätze. Das Wasser fängt jedoch an, immer seltener zu +werden, und manchmal war es unmöglich, ohne die Hilfe der Tibeter +Quellen zu finden. Schagdur, der stets fürsorglich war, verschaffte +uns sowohl süße wie sauere Milch aus einem Zelte, das er in einer +Schlucht entdeckte. Das Terrain senkt sich langsam nach Norden, und +manchmal kann man in dieser Richtung bis zu sechs parallele Bergketten +hintereinander zählen. Wir zogen hier auf einem südlicheren Wege als +Littledale. An der +Scholungquelle+ erwartete uns am Abend des 15. eine +neue Reihe von Yaken, und auch am folgenden Tage wuchsen neue Trabanten +wie mit einem Zauberschlage aus der Erde. Die bisherigen Yakleute +machten Schwierigkeiten und wollten durchaus mit Tsos von Lhasa bezahlt +werden, denn chinesisches Silbergeld war ihnen fremd. Als ich ihnen +jedoch erklärte, daß sie in solchem Falle gar nichts bekämen, wurden +sie fügsamer. + +Tscherdons Pferd starb, und von den anderen können nur noch wenige +ihre Reiter tragen. Vier Mann reiten Maulesel, die viel zäher +und ausdauernder sind als Pferde. Muhammed Toktas Füße waren so +geschwollen, daß die Stiefel heruntergeschnitten und die Füße mit Filz +umwickelt werden mußten. Auf der ganzen Tagereise sahen wir keinen +Tropfen Wasser; das Gras ist erbärmlich, und das Land immer spärlicher +bewohnt. Doch werden stets so viele Schafe, als wir brauchen, für uns +bereitgehalten. + +Am 18. Oktober machten wir eine interessante, 20 Kilometer lange +Reise nach Südwesten. Vom Lager ritten wir nach dem Abhang der Kette, +die unser Längental im Süden begrenzte, hinauf. Die Tibeter nahmen +mit allen Yaken und unserem Gepäck den Weg durch eine Schlucht und +erklärten, daß wir über einen leichten Paß müßten. Ja, für die Yake +mochte er nicht schwer sein, aber für die Kamele war er sicherlich +mörderisch. Wir zogen daher längs des Fußes des Gebirges über zahllose +Rinnen weiter. Von dem Vorsprunge, wo wir nach Süden abbiegen, wird +jetzt in unserer Nähe der Salzsee +Lakkor-tso+ sichtbar. Littledale +zog in ziemlicher Entfernung nach Norden hin an diesem See vorüber; er +machte die sehr richtige Beobachtung, daß die meisten der tibetischen +Salzseen im Austrocknen begriffen sind. Dies fällt bei dem Lakkor-tso +besonders auf. Längs seiner Ufer erstrecken sich alte Uferlinien, die +sich zu bedeutender Höhe über den Seespiegel erheben. An flachen, +langsam abfallenden Uferstrecken bilden sie Wälle, hinter denen oft +Lagunen stehen. Die Ufer sind kreideweiß von Salz, das, trocken +und pulverisiert, vom Winde in weiße Wolken aufgewirbelt wird, die +Wasserdampf oder stäubendem Mehle gleichen. Während des weiteren +Marsches nach Süden nach dem heutigen Lager am Flusse +Somme-sangpo+, +der westwärts dem See zuströmt, gingen wir oft über Buchten, die +jetzt ausgetrocknet, aber von mächtigen Wällen eingefaßt und mit +Pyramiden und Kegeln angefüllt waren, die aus entschieden vom Winde +ausgemeißelten Salzablagerungen bestanden. + +Bei dem Lager war die Weide gut. Im Süden zieht sich noch immer eine +wilde, gewaltige Bergkette hin, die uns, soweit wir sehen können, noch +mehrere Tage den Übergang mit Kamelen schwerlich erlauben wird. + +Der Hund Hamra mußte erschossen werden, weil er uns nachts nie ruhig +schlafen ließ. Hatte er keine Tibeter anzubellen, so bellte er unsere +eigenen Nachtwachen und die Karawanentiere an. Zwei Pferde starben; +seltsamerweise gebaren in derselben Nacht zwei Kamelweibchen zu früh +Füllen. Turdu Bai glaubte, dies sei der Kälte, -15,4 Grad, und dem +Umstande zuzuschreiben, daß sie außer der Zeit kaltes Wasser getrunken +hatten. Die Mütter befanden sich jedoch vorzüglich und durften am +19. ausruhen. Auch an diesem Lagerplatze erhielten wir neue Wächter +und 40 Yake. Schon um 9 Uhr waren es fast -10 Grad; man konnte den +Fluß zufrieren hören, denn es klang und knallte in den neugebildeten +Eisscheiben. + + + + +Fünfundzwanzigstes Kapitel. + +Via dolorosa. + + +Am 20. Oktober begann der Passatwind um 9½ Uhr. Ich nenne diesen Wind +mit Vorliebe so, denn er weht mit staunenerregender Regelmäßigkeit. +Nach Mittag schwoll er zum Sturme, einem vollständigen Wüstensturme, +an und jagte so dichte Wolken von Sand, Staub und Salz vor sich her, +daß die Landschaft oft völlig verschwand. Dennoch war es ein prächtiger +Anblick, wie diese kreideweißen Wolken von dem Westufer des Lakkor-tso +über den See und von dem östlichen Ufer landeinwärts wirbelten, während +die ebenso weißen Wogen gegen den Strand tosten. Als wir an diesem +entlangzogen und der Wind mit besonderem Nachdruck uns von der Seite +packte, schwankten die Kamele wie Trunkene, und die Reiter hatten Mühe, +sich im Sattel zu halten. Zwei wichtige klimatische Charakterzüge +haben wir gefunden: die Regenzeit tritt im Spätsommer ein und dauert +den Vorherbst hindurch, und ihr folgt, nach einem kurzen Zwischenraum +von schönen Tagen, eine Periode mit vorherrschendem Westwind, die den +Spätherbst und Winter charakterisiert. + +Dann und wann fliegt eine Filzdecke, ein Sack oder sonst ein Gegenstand +von einem Kamele und muß wieder festgebunden werden. Ich muß den Deckel +meines Marschroutenbuchs gegen den Wind halten, damit mir die Blätter +nicht zerrissen werden, und wie gewöhnlich ist man von der Kälte +durchfroren. Heute blieb eines der Pferde aus Lhasa liegen und mußte +getötet werden. Der Schimmel aber, den wir auf dem Rückzuge nach dem +Hauptquartier für verloren hielten, kommt noch immer mit. Die übrigen +Tiere hielten sich aufrecht, obwohl es mehrere Todeskandidaten unter +ihnen gab. + +Wir gehen flußabwärts nach Westen und haben auf beiden Seiten sehr hohe +Bergketten. Am Endpunkt der rechten Kette schwenkt der Fluß nach Norden +ab und ergießt sich in den See, an dem hier ein Salzfeld mit gewaltigen +Hügeln weiß wie Mehl glänzt. Bald darauf befinden wir uns unten auf +dem ziemlich steilen Ufer und halten uns auf einer hohen Terrasse, +bis wir an einen neuen Fluß gelangen, der von Südsüdosten kommt und +sich ebenfalls in den See ergießt. An seinem linken Ufer wurde Halt +gemacht (Abb. 289). Alle Berge in der Nähe waren scharf gezeichnet mit +horizontalen Linien, die bei gewissen Beleuchtungen wie schwarze Bänder +aussahen. Ich beschloß, am nächsten Morgen zu messen, wie hoch die +oberste Wasserlinie über dem jetzigen Seespiegel lag. + +Während des Marsches ereignete sich ein eigentümliches Abenteuer. +Der alte Muhammed Tokta blieb zurück, aber niemand achtete darauf. +Hamra Kul, der mit einigen müden Pferden langsam hinter der Karawane +herzog, fand ihn in einer Grube, wo sich der Alte, wie er ganz vergnügt +erklärte, des Reitens müde, hatte vom Pferde fallen lassen, welches +sicherlich nichts dagegen gehabt und sich nachher zu der Karawane +gesellt hatte. Hamra Kul nahm den Alten auf einem seiner Pferde +mit, und im Lager wurde er wie gewöhnlich weich in Decken und Pelze +gebettet. Abends machte ich ihm meinen gewöhnlichen Krankenbesuch, um +mich nach seinem Befinden zu erkundigen und mich zu überzeugen, daß es +ihm an nichts fehle. Manchmal pflegte er eine kleine Dosis Sulfonal +zu erhalten, um schlafen zu können. Diesmal sollte er jedoch einen +langen, tiefen Schlaf tun, ohne vorher ein Schlafmittel einzunehmen. +Er antwortete auf alle Fragen und wollte am liebsten Milch haben, +weshalb ich den anderen sagte, sie sollten ihm alle noch vorhandene +Milch bringen, von der er auch eine große Schale voll austrank. Als +ich ihn nach seinem Befinden fragte, lächelte er freundlich. Die Sonne +war jedoch noch nicht wieder aufgegangen, als er schon steif und +kalt war. Keiner hatte gemerkt, wann sein letzter Lebensfunke in der +Morgenkälte erlosch. Mollah Schah, der die letzte Nachtwache hatte, +war fortgegangen, um Brennmaterial zu sammeln. Der Tod hatte den alten +Kameltreiber im Schlafe überrascht; seine Augen waren fest geschlossen, +und er lag noch ganz in derselben Lage wie am Abend vorher. + +Dieser Todesfall brachte für die Übrigen ein Gefühl der Erleichterung +mit sich, denn auf Besserung hatte keiner mehr gehofft, seitdem der +Körper des Kranken angeschwollen war und eine häßliche, dunkle Farbe +angenommen hatte. Ihm selbst war das Leben während seiner viermonatigen +Krankheit nur eine drückende Last gewesen, und der Tod war hier als +Erlöser erschienen. Er war ein redlicher, ehrlicher Mensch, und ich +hörte nie, daß jemand unfreundlich gegen ihn war, obgleich er wider +seinen Willen seinen Kameraden zur Last war; alle hatten ihn gern, weil +er selbst freundlich und stets guter Laune war und von seiner Krankheit +nie viel Aufhebens machte. Noch die letzten Abende hatte er trotz +aller Verbote versucht, sich aufzurichten und zu grüßen, wenn ich ihn +besuchte. + +Die übrigen Muselmänner trafen sofort Anstalten zur Beerdigung, und +noch ehe ich mit der Todesnachricht geweckt wurde, gähnte schon finster +und unheimlich das Grab, das ihn in seine kalten Arme schließen sollte. +Aus den Boothälften wurde ein provisorisches Zelt errichtet, in dem die +Leiche gewaschen wurde. Sodann wurden ihr die Kleider und der Pelz des +Alten wieder angelegt und sie auf einer Kamelleiter zu Grabe getragen, +wo dieselbe Zeremonie wie bei Kalpets Leichenbegängnis stattfand. +Muhammed Tokta war der vierte, der auf dieser anstrengenden Reise im +innersten Asien und Tibet zugrunde ging; es war ein großer Verlust! + +Die beiden Kranken, die jetzt auf der Liste standen, Almas und Ahmed, +fühlten sich nach diesem neuen Begräbnisse durchaus nicht besser; dem +ersteren war das ganze Gesicht geschwollen, und ich war seinetwegen +lange in Unruhe, ehe er sich wieder erholte. + +Diese unheimliche Krankheit, die bei den drei in Tibet gestorbenen +Männern mit ungefähr gleichen Symptomen auftrat, hat ihre Ursache +nicht in falscher Ernährung. Wir hatten Nahrung vollauf, und kräftige +obendrein. An frischem Fleisch litten wir in Tibet nie Mangel, +besonders seitdem wir bewohnte Gegenden erreicht hatten, wo wir von +den Einwohnern stets Schafe und Fett erhielten. Daß die Jagd auf Yake, +Kulane und Antilopen immer guten Ertrag gab, habe ich bereits erwähnt. +Dazu hatten wir jetzt auch angenehme Abwechslung durch süße und saure +Milch, Butter und Fische, und von dem aus Tscharchlik mitgenommenen +Proviant von Reis, Mehl und Talkan war noch im Überfluß da; er war auf +zehn Monate berechnet, und wir waren erst 5½ unterwegs. Der Vorrat +mußte bis Ladak reichen; daß er nicht 10 Monate reichen konnte, beruhte +darauf, daß wir die Kamele, wenn sie anfingen hinzuschwinden, mit Brot +und Reis zu retten suchten, was auch den Vorteil hatte, daß die Lasten +kleiner wurden und die Karawane sich leichter bewegen konnte. Bevor +wir durch die Yake Entsatz erhielten, war es sogar notwendig gewesen, +möglichst viel vom Proviant zu verzehren; denn wir hätten ihn sonst, +wenn uns ein Tier nach dem andern starb, schließlich wegwerfen müssen. + +Diese Krankheit rührt von der Luftverdünnung her. Die Atmosphäre hat +hier nur die halbe Dichte wie am Meer, und das Blut saugt nicht die +genügende Menge Sauerstoff ein, um das Leben aufrechtzuerhalten. Wir +leben unter abnormen Verhältnissen. Unser Körper und seine Atmungs- und +Kreislauforgane sind nicht für sie gebaut. In den Funktionen dieser +Organe treten Störungen ein, und der, welcher schon an und für sich +nicht gesund und kräftig ist, hat natürlich noch größere Aussicht +zugrunde zu gehen. Das Herz arbeitet hier unter Hochdruck, und wenn +seine Muskeln und Gewebe nicht hinreichend stark sind, vermag es nicht, +das Blut in die peripherischen Teile zu treiben. Ein hervorragender +schwedischer Arzt hat mir erklärt, daß dies die Ursache ist, weshalb +die Füße und Beine bei meinen Leuten buchstäblich hinschwanden, und +er war der Ansicht, daß die Kranken sich vielleicht hätten retten +lassen, wenn es möglich gewesen wäre, sie beständig in horizontaler +Lage, die Füße sogar etwas höher als den Kopf, zu halten. Auf einer +Karawanenreise ist es natürlich sehr schwer, die Kranken genügend zu +pflegen; man müßte vor allem an einem Orte bleiben, bis sie völlig +wiederhergestellt wären. Doch in einem Lande wie Tibet ist dies sehr +oft unmöglich, wenn nicht die ganze Karawane in Gefahr geraten soll. Es +bleibt einem keine andere Wahl, als die Kranken mitzuschleppen, und es +ist klar, daß eine solche Anstrengung und Unruhe für ihre absterbenden +Kräfte zu groß ist. + +Die Yake waren schon früh aufgebrochen, von ihren zu Fuß gehenden, +pfeifenden Treibern und einem Kosaken eskortiert. Darauf folgten, von +einigen Muselmännern geführt, die kranken Kamele und Pferde, alle +ohne irgendeine Last. Nachdem die Beerdigung vorüber war, verließen +die übrigen das düstere Lager und nahmen, wie gewöhnlich, meine +Instrumentkisten auf einigen noch tüchtigen Kamelen mit. Besonders +weit war es nicht mehr bis Ladak, gegen 800 Kilometer, aber bei den +Tagemärschen, die wir machten, erschien die Entfernung endlos. Insofern +war allerdings das langsame Tempo vorteilhaft, als ich Zeit hatte, +das durchreiste Land gründlicher zu erforschen, mehrere astronomische +Punkte festzustellen und mit dem Kochthermometer öfter die Höhe zu +bestimmen. + +Ich brach mit Schagdur und Sirkin nach dem Abhange des im Westen des +Lagers liegenden Berge auf. Die Höhe der alten Uferlinien über dem +jetzigen See sollte mit dem Nivellierspiegel gemessen werden. Die Höhe +des Spiegels über dem Boden betrug 1,5 Meter, und die Entfernungen +zwischen den gemessenen Punkten verkürzten sich beinahe beständig, so +daß die Linie, auf deren Einzelheiten ich jetzt nicht eingehen kann, +eine Parabel bildete. + +Während des heutigen Tagemarsches sowohl wie später bei mehreren andern +Gelegenheiten konnte ich feststellen, daß die nach Westen abfallenden +Bergseiten stets energischer entwickelte Uferlinien haben als die nach +Osten abfallenden, auf denen die Linien sehr oft sogar ganz fehlen. Auf +den Nord- und Südabhängen sind sie einigermaßen deutlich. Da dies die +Regel ist, fragt man sich: was war die Ursache? Natürlich dasselbe, was +noch heute die Ursache ist, der Westpassat. Dieser treibt die Wogen +nach den Ostufern, wo der Wellenschlag eine sehr kräftige Brandung +erzeugt, während die Westufer vor dem Winde geschützt liegen. + +Das Resultat der Nivellierung ergab, daß die höchste Uferlinie nicht +weniger als 133 Meter über dem jetzigen Seespiegel lag, dieser +also um diesen ungeheuren Betrag gesunken war. Sein Areal hat sich +dementsprechend verkleinert, und wir ritten mehrere Tagereisen weit +auf einstigem Seeboden. + +Über einen kleinen, weichen Paß gelangten wir an noch einen Salzsee, +der genau dieselben Eigenschaften wie der Lakkor-tso, ebenso grünes +Wasser und ebenso weiße Ufer hat, aber bedeutend kleiner ist. +Sein ganzer westlicher Teil ist trocken gelegt, und dort glänzen +außerordentlich umfangreiche Salzablagerungen weiß wie Schnee. Wir +gingen am Ufer entlang, mußten aber bald wieder über einen Paß. + +Unter dem Passe rastete Hamra Kul mit zwei verendeten Pferden; mit +dem einen kam er abends noch ins Lager, aber das zweite, einen +Apfelschimmel aus Korla, ließ ich sofort töten, denn es konnte nicht +mehr auf den Beinen stehen. Es hatte einen seltsamen Blick, als es +seinen langwierigen, harten Dienst beendete. Es schloß nach dem +tiefen Stiche in den Hals die Augen und lag ganz still. Als aber der +Blutstrahl versiegte und die Mattigkeit und Ruhe des Todes folgte, +öffnete es wieder die Augen, wie um zum letzten Male von diesem elenden +Leben und seinen mageren Weiden Abschied zu nehmen. Dabei blickte +das linke Auge gerade in die Sonne, die sich darin widerspiegelte, +so daß es wie der klarste Edelstein glänzte. Es hatte den Anschein, +als existierten wir, seine Henker, nicht mehr für das sterbende Tier, +sondern nur noch die Sonne. Man fühlt in solchen Augenblicken eine +drückende Beklemmung, und ich hatte unsägliches Mitleid mit diesen +geduldigen, wehrlosen Tieren, die ich nur mitgeschleppt hatte, um meine +unbezwingliche Sehnsucht, das Unbekannte zu erforschen, zu befriedigen. +Man stellt maßlose Anforderungen an diese armen Tiere. Und was gibt man +ihnen dafür? Nichts; nicht einmal das, was sie als treue Diener des +Menschen entschieden mit Recht beanspruchen können: genügende Kost, +d. h. Futter, Weide und Wasser, gut und reichlich bemessen. Man lockt +sie gleichsam mit falschen Vorspiegelungen: „Eilt fort von diesen +unerträglichen, blutdürstigen Bremsen und Mücken, von der Hitze und den +Sandstürmen in der Wüste, kommt mit nach den hohen, frischen Bergen, +nach ihren Gletscherflüssen, frischen Quellen und saftigen Weiden!“ Und +sie kommen, aber was finden sie? Eine Einöde ohne Gras, eine Luft, die +für ihre Lungen nicht ausreicht, und ein Land, für dessen Natur nur +Yake, Kulane und Antilopen geschaffen sind. Eine Reise durch Tibet ist +eine Kette von Leiden für Menschen und Tiere. Jeden Tag umgeben uns +Leiden und Jammer, und wir können uns nicht froh fühlen. Man möchte +weinen, wenn man all dieses Elend sieht, aber man stumpft auch dagegen +ab. Wie gern würde man, wenn man es nur könnte, diesen unglücklichen, +unschuldigen, unterdrückten Sklaven die Freiheit wiedergeben, sie nach +ewig grünenden Weideplätzen und sprudelnden Quellen führen und sie +das Leben genießen lassen, das für sie jetzt nur -- eine mörderische +Plage ist und klaffende Wunden hinterläßt, Wunden, die nicht geheilt +werden können. Nach all der Sterblichkeit in der Karawane, deren Zeuge +ich gewesen war, hoffte ich jetzt, daß wenigstens einige unserer Tiere +Ladak erreichen würden, damit ich sie dort mit Fürsorge überhäufen, die +Pferde wiehern hören und die Augen der Kamele vor Freude glänzen sehen +könnte. Von den 45 Pferden und Mauleseln waren jetzt nur noch 11 übrig! + +Die Abende werden kalt. Kutschuk, der im Küchenzelt residiert, nimmt an +Popularität zu, wenn er ein gewaltiges Argolfeuer unterhält, denn jeder +holt sich bei ihm Kohlen für sein Zelt. Hoch stand der glänzende Mond +am Himmel, schwarz und düster lagen die Berge im Schatten, kreideweiß +breitete sich der verschwimmende See in der Nacht aus; ein Fremdling, +der um diese Stunde an das Seeufer kommen würde, würde darauf schwören +können, daß die Salzfelder Eis und Schnee seien. + +22. Oktober. Es ist vorteilhaft, kurze Tagereisen zu machen, aber so +kurz wie heute brauchten sie doch nicht zu sein! Wir hatten kaum 5 +Kilometer zurückgelegt, als die Führer an einer Stelle mit gutem Grase +Halt machten und uns rieten, ja hierzubleiben, da wir während der +nächsten drei Tagemärsche überhaupt keine Weide finden würden. Ferner +würden im Laufe des Tages oder der Nacht die von ihnen ausgeschickten +Reiter mit einer neuen Eskorte von Yaken und Schafen ankommen. Alle +diese Gründe waren so stichhaltig, daß wir blieben; ich ließ ihnen aber +sagen, sie sollten sich nicht einbilden, daß bei der Abrechnung über +die Yakmiete der heutige Marsch für eine ganze Tagereise gerechnet +werde. Sie waren so liebenswürdig zu antworten, daß sie dies meinem +Gutdünken überließen. + +Der Weg führte über die weißen Felder mit ihren 3 Meter hohen +Pyramiden und Tischen. Selbst sehr gute Augen konnten hier die Reflexe +ohne dunkle Brille nicht ertragen. Das Gebirge im Südwesten heißt ++Marmi-gotsong+, hinter ihm liegt ein Kloster, +Marmi-gombo+. Von Zeit +zu Zeit hörten wir langgezogene Trompetenstöße von dort. + +Ein voller Sturm herrschte an diesem und am nächsten Tage. Mein Pferd +arbeitet und müht sich ab, um diese dünne Luft zu durchdringen, die +dennoch so ungeheuren Widerstand leistet. In der Jurte stellte ich +stets meine Kisten an die Windseite, um die Zugluft abzuschwächen, +aber ganze Haufen von Staub und Abfällen wehten durch die Zeltöffnung +herein. Unsere Straße führte nach Nordwesten, aber noch befanden wir +uns südlich von Littledales Route. Auch im Lager Nr. 112, am Flusse ++Schaggué-tschu+, hörten wir von Süden her Posaunenstöße, den Tönen +eines Nebelhorns vergleichbar. Ich hätte zu gern die Tempel besucht, +aber die Tibeter wollten nichts davon hören, und die Pässe im Süden +waren für unsere Tiere auch zu schwierig. + +[Illustration: 292. Das Gebirge auf der südlichen Talseite bei Lager +Nr. 114. (S. 321.)] + +[Illustration: 293. Das Nordufer des Tsolla-ring-tso. (S. 324.)] + +[Illustration: 294. Lager an einem zugefrorenen Sumpfe. (S. 324.)] + +Am 24. hatten wir auf beiden Seiten wilde, felsige Bergketten mit +großartigen, phantastischen Perspektiven. Gleich hinter einem flachen +Passe (4820 Meter) lagerten wir an einem kleinen Tümpel namens ++Oman-tso+. Wir sind hier in der Provinz +Sagget-sang+, die von dem +Senkorstamme bewohnt wird, ein Name, den wir auch bei Littledale +finden. Von den drei heute zurückgebliebenen Kamelen erreichte eines +noch spät das Lager, das zweite blieb auf dem Passe liegen, und das +dritte starb. + +Die Kälte ging bis auf -18,8 Grad herunter. Schon beim Aufbruch (am +25.) mußte ein Pferd totgestochen werden. Sechs Kamele sind kränklich +und ziehen mit der Yakkarawane. Almas, dem es noch immer schlecht +ging, ritt auf dem ersten von ihnen. Wir holten sie bald ein und +sahen, wie eines streikte und mit zwei Männern zurückgelassen wurde; +sie versuchten, es zum Weitergehen zu bewegen. Als es sich aber in +der Lage ausstreckte, die die Kamele beim Sterben einnehmen, wurde es +mit dem Messer getötet. Noch eines blieb mit einem Wärter zurück, und +dann wieder eines. Später wurde das Dromedar auf einem Platze, wo Gras +wuchs, zurückgelassen, damit die Nachzügler es mitnehmen könnten. Almas +führte schließlich nur noch ein Kamel, die Mutter des kleinen Füllens, +das in Tscharchlik geboren war. Die Liebe zu ihrem Jungen scheint ihre +Kräfte aufrechtzuhalten. Das Junge gehört zu den Allergesundesten, +weil es mit Brot gefüttert wird; es saugt jetzt nur noch selten an dem +versiegenden Euter der Mutter. Wir haben jetzt nur noch 18 Kamele, 21 +liegen tot auf unserer Straße. Alle vier Kosaken reiten auf Mauleseln, +auf Pferden nur ich, Turdu Bai, Mollah Schah, Li Loje und Turdu Ahun, +Hamra Kuls sechzehnjähriger Sohn, welcher der Diener der Muhammedaner +ist. Die übrigen Leute reiten gelegentlich auf Kamelen, sonst gehen sie +zu Fuß. + +Diese so geschwächte Karawane zog zwischen den gigantischen Felsen +weiter, die versteinerten, verzauberten Ritterburgen glichen. Alle +Ketten biegen nach Nordwesten ab, ganz wie der Himalaja und der +Kwen-lun auf denselben Meridianen. Auch heute lagerten wir im Lager +Nr. 104 unter einem Passe an einem zugefrorenen kleinen See, dem ++Bondschin-tso+ (Abb. 290, 291, 292). Der Anführer unserer jetzigen +Trabanten, Dawo Tsering, ist ein sehr netter, lustiger alter Herr, der +nicht begreifen konnte, was er für Nutzen davon haben würde, wenn er +uns hinters Licht führte. + +Der Tod setzt seine Verheerungen in der Karawane fort. Ein Kamel wurde +am Morgen geopfert, drei andere blieben während des Marsches zurück. +Turdu Bai blieb bis 10 Uhr abends bei ihnen und sollte sich am +nächsten Morgen nach ihnen umsehen; konnten sie dann nicht mitkommen, +so hatte er Befehl, sie zu töten; den einen Trost haben wir wenigstens, +daß wir ihnen ihr Grab in einer großartigen Natur bereiten. + +Am 26. ritten also Turdu Bai und Sirkin zu den Kamelen zurück. Als wir +die beiden Reiter im nächsten Lager ankommen sahen, wußten wir sofort, +wie es stand. Das Dromedar hatte noch an der Stelle gelegen, wo es +abends zurückgelassen worden war; es hatte auch nicht den geringsten +Versuch gemacht, sich zu erheben. Es hatte geweint, und lange Eiszapfen +hingen ihm unter den Augen. Sowohl dieses wie die beiden anderen Kamele +mußten getötet werden. + +27. Oktober. Das Wetter ist immerfort klar, und der Westwind dauert an, +wenn auch bisweilen mit etwas abgeschwächter Kraft. Das Terrain war +gut und eben; alle Kamele konnten den Marsch machen, ein paar Pferde +aber nur mit Mühe und Not. Einige von den Kamelen haben wunde Füße und +tragen Strümpfe von Kulanleder. Das Land öffnet sich wieder, dann und +wann stoßen wir auf Nomaden. Dawo Tsering reitet neben mir und erteilt +mir mit größter Offenheit Auskunft. Manchmal sagt er mit geradezu +schulmeisterlicher Würde: „Schreibt jetzt auf, daß der Berg da so +heißt.“ Er hat den Lama heimlich gefragt, was ich von ihm halte. + +Nachdem wir auf einer kürzeren Strecke mit Littledales Route in +Berührung gewesen waren, verließen wir sie jetzt wieder. Der englische +Reisende ging von hier auf einem südlicheren Wege nach Rudok und dann +längs des Südufers des Panggong-tso nach Leh. Im Nordwesten zeigt +sich der See +Daddap-tso+. Das Lager Nr. 106 wurde am Westufer des +zugefrorenen Süßwassersees +Oman-tso+ aufgeschlagen. + +Am 28. Oktober ging es den ganzen Tag in einem Längentale bergauf und +bergab, bis wir schließlich einen Paß erreichten, von dem die Aussicht +nach Westen hin prachtvoll war; eine ganz neue Welt breitete sich in +dieser Richtung aus, alles Alte lag wie ein zugeschlagenes Buch hinter +uns. + +Die Landschaft wird besonders von dem runden See +Perutse-tso+ oder ++Jim-tso+ beherrscht. Die Karawane ist so weit vor mir, daß sie +nicht mehr zu sehen ist; ich bin, durch meine Arbeit aufgehalten, +wie gewöhnlich der letzte. Wir reiten durch einen Gürtel von +Balgunsträuchern auf meterhohen Kegeln -- hier würden wir in der Kälte +wenigstens ordentliche Feuer haben können. + +Unser Lager am Perutse-tso war das beste, das wir seit dem Lager am +Tscharchlik-su, beim Antritt unserer Reise durch Tibet, gehabt hatten. +Das Gras war hoch, weich und üppig, obwohl gefroren, und vorzügliches +Brennholz und Wasser gab es in Menge. Große lodernde Lagerfeuer machten +den Platz hell, gemütlich und warm; es war auch nötig, denn in dieser +Nacht sank die Temperatur auf -20,1 Grad. Alle Kamele, außer der jungen +Mutter, erreichten das Lager. Diese wurde am Ufer zurückgelassen, +nachdem ich eine ganze Weile versucht hatte, sie wieder auf die Beine +zu bringen, und sie das Strohpolster ihres Packsattels hatte fressen +lassen. Schon am selben Abend, als sie abgeholt werden sollte, war sie +tot und steifgefroren. Jetzt hatten wir nur noch 14 Kamele! Im Lager +starb ein Pferd; es hatte beinahe den Anschein, als habe sein leerer +Magen das gute Gras nicht vertragen können. Dawo Tsering nahm hier +Abschied und erklärte, es sei ihm nicht erlaubt, Geschenke anzunehmen. + +Wir waren jetzt neun Tage marschiert, ohne einen Tag zu rasten -- die +Weide war zu schlecht dazu gewesen; hier aber blieben wir dafür in Wind +und Kälte vier Tage liegen, während derer sich die Tiere schließlich +erholten. Meine Zeit wurde von verschiedenen Nacharbeiten in Anspruch +genommen. Unsere neuen Begleiter verkauften uns für 4 Liang drei kleine +Beutel Gerste aus Ladak, natürlich viel zu teuer; aber unsere Tiere +bedurften des Korns, und in einer Stunde war es verzehrt. Der neue +Anführer erzählte uns, daß er Tadschinurmongole und einige Tagereisen +südlich vom Kukku-nor geboren, aber von seinen Eltern auf der Wallfahrt +nach Lhasa an ein kinderloses tangutisches Ehepaar verkauft worden sei. +Wieviel sie für ihn bekommen hatten, wußte er nicht, aber der Lama +sagte uns, daß 20 Liang der stehende Preis und ein derartiger Handel +nichts Ungewöhnliches sei. Es kommt auch vor, daß die Tanguten Kinder +an die Mongolen verkaufen. Unser Begleiter war, als er verkauft wurde, +fünf Jahr alt gewesen und natürlich ein echter Tibeter geworden; er +erinnerte sich auch nicht eines einzigen mongolischen Wortes mehr. Die +Tanguten gehören zu demselben Stamme wie die Tibeter und haben dieselbe +Sprache wie diese. + +Nach der Rast waren wir imstande, auf gutem, ebenem Boden 25,8 +Kilometer zurückzulegen. Dennoch waren wir noch nicht weit gekommen, +als ein Pferd stürzte und getötet werden mußte. + +Es herrscht eine schneidende Kälte, und im Sattel, wo man dem längs +des Bodens hinstreichenden Winde ausgesetzt ist, erstarrt man beinahe. +Alle Muselmänner reiten jetzt auf Kamelen, alle Lasten, außer den +Instrumentkisten, werden von Yaken getragen. Ich bin der einzige, der +ein Pferd reitet, aber dieses wird auch besonders mit Brot und Reis +gefüttert. Die übrigen Pferde werden ohne Sattel hinter der Karawane +hergeführt. + +Der Fluß +Ombo-sangpo+ war ganz zugefroren, aber das Eis hielt nicht; +nachdem einige von den Pferden und Yaken der Tibeter auf der Eisdecke +ausgeglitten und gestolpert waren, brachen die übrigen ein, und es +mußte ein Kanal für die Kamele ausgehauen werden. + +Die Nacht im Lager Nr. 108 war sternenklar und windstill (-15,4 Grad). +Sogar Sterne fünfter Größe waren am Horizont noch deutlich erkennbar, +während diejenigen erster Größe wie Fackeln glänzten. Manchmal hört man +die vermutlich hungernden und frierenden Wölfe heulen. + +Am Morgen des 3. November stellte es sich heraus, daß alle Kamele +bis auf zwei nach den üppigen Weiden des Perutse-tso zurückgekehrt +waren; ihr Einfangen verursachte großen Zeitverlust. Sodann zogen wir +nach Westen über sehr deutliche, schöne Uferterrassen, welche die +frühere Ausdehnung des Sees +Luma-ring-tso+ zeigen. Über umfangreiche +Salzfelder erreichen wir endlich den See, einen unbedeutenden kleinen +Salztümpel, dessen Nordufer wir folgen. Hinter einer schmalen Landenge +taucht noch ein See auf, der +Tsolla-ring-tso+ (Abb. 293), an dessen +Ufer wir lagern. Im allgemeinen sind die Ufer sumpfig (Abb. 294) und +selbst bei der jetzt herrschenden Kälte tückisch. Der Luma-ring-tso ist +auf Nain Singhs Karte ganz verkehrt gezeichnet; letzterer gibt ihm eine +Länge von 55 Kilometer statt der tatsächlichen 5½, aber er hat den +See nicht gesehen, denn sein Weg liegt weit nördlich davon, und es ist +nicht wahrscheinlich, daß der Luma-ring-tso seit 1873, in welchem Jahr +der berühmte Pundit seine denkwürdige, verdienstvolle Reise machte, so +bedeutend eingeschrumpft ist. Auf dem gefährlichen Sumpfufer wurden die +Kamele nachts angebunden. Ein paar Pferde sanken nachts ein, und als +wir sie am Morgen mit knapper Not wieder herausgezogen hatten, sahen +sie wie Lehmstatuen aus. Trotz der ihnen neulich vergönnten Ruhetage +stand es mit vielen von den letzten Pferden schlecht. Der Schimmel, der +den Marsch gegen Lhasa mitgemacht hatte und der am 19. August schon +aufgegeben gewesen war, aber trotzdem bis jetzt ausgehalten hatte, +stürzte heute. Ich wollte ihn gerade töten lassen, als der tibetische +Häuptling herbeieilte und ihn sich, so wie er war, ausbat, wozu ich +gern meine Zustimmung gab. + +[Illustration: 295. Der Lama im Streite mit dem Anführer der +Yakkarawane. (S. 327.)] + +[Illustration: 296. Aussicht nach Südosten vom Lager Nr. 129. (S. 329.)] + +[Illustration: 297. Die Umgebung des Lagers Nr. 133. (S. 330.)] + +[Illustration: 298. Offene Landschaft beim Tsangar-schar. (S. 330.)] + +[Illustration: 299. Geröllterrassen. (S. 330.)] + +[Illustration: 300. Unser erster Lagerplatz am Tso-ngombo. (S. 333.)] + +Wir wußten, daß wir heute die Grenze von Rudok erreichen würden. +Am Westende des Sees standen bereits 7 Zelte, und eine Menge Leute +war dort zu sehen. Ein dreister alter Mann kündigte uns an, daß wir +hierzubleiben hätten. In einem benachbarten Tale sei das Gras gut, +und dort weideten auch ihre eigenen Pferde und Yake. Wir lagerten in +der Nähe der Tibeter, und der Lama begab sich sofort zu ihnen, um +Erkundigungen einzuziehen. Als er zurückkam, war er ganz aufgeregt; +der Gouverneur von Rudok war ein rechter Grobian gewesen und hatte +erklärt, daß er uns ohne Paß vom Dalai-Lama nimmermehr durch sein +Gebiet ziehen lassen werde. Ich schickte zu diesem Bombo, der beim +Dewaschung besonders gut angeschrieben sein soll und Oberaufseher +des Tschokk-dschalung war, wo er im Sommer residierte; im Winter wohnte +er in der Stadt Rudok. Tschokk-dschalung ist ein Goldfeld, das einige +Tagereisen südwestlich der Gegend liegt, in der wir uns befanden. Im +Winter sollen sich dort nur einige zwanzig Menschen aufhalten, im +Sommer aber 300 und darüber, die von allen Seiten, sogar von Lhasa, +dorthinkommen, um Gold zu suchen. Tschokk-dschalung gilt für den +höchstgelegenen ständig bewohnten Ort der Erde. + +Mit großem Gefolge und arroganter Sicherheit in seinem Auftreten kam er +in seinem schönsten Paradeanzug, sobald er meine Aufforderung erhalten +hatte; ich bat ihn, auf einer Filzmatte vor meinem Zelte Platz zu +nehmen. Ich selbst blieb drinnen neben meinem Kohlenbecken sitzen. +Der Bombo schien zuerst unschlüssig, wie er sich zu der zweideutigen +Artigkeit verhalten sollte, setzte sich aber schließlich doch und +forderte mir den Paß vom Dalai-Lama ab. Ich antwortete ihm, daß wir +diesen Herrn nie gesehen hätten und folglich auch keinen Paß von ihm +haben könnten. + +„Ich habe nichts von euch gehört“, entgegnete er, „weiß nicht, wer +ihr seid, habe kein Schreiben aus Lhasa erhalten, bin nie beauftragt +worden, euch mit Yaken zu versorgen, aber ich weiß, daß es Europäern +ein für allemal verboten ist, durch Rudok zu reisen.“ + +„Wenn ihr ein hoher Beamter seid, müßt ihr wissen, daß ihr verpflichtet +seid, uns für die Reise nach Ladak zur Verfügung zu stehen.“ + +„Verdächtigen Personen gegenüber, die keinen Paß haben, bin ich zu +gar nichts verpflichtet; doch wenn ihr wollt, werde ich nach Lhasa +schreiben, und ihr müßt hier 2½ Monate warten, bis die Antwort da ist.“ + +„Das paßt uns außerordentlich gut“, erwiderte ich, „unsere Tiere sind +erschöpft und bedürfen der Ruhe. Schreibt nur nach Lhasa, wir haben +Zeit zu warten.“ + +„Gut, ihr begreift, daß ich den Kopf verliere, wenn ich euch durch +meine Provinz ziehen lasse.“ + +Er war außerordentlich bestimmt, ruhig und würdevoll in seinem +Auftreten, obgleich etwas unverschämt, wenn man ihn mit unseren +Freunden in der Nähe von Lhasa vergleicht. Die Kosaken waren so außer +sich, daß sie vor Wut schäumten, -- fast alle sehnten sich jetzt nach +Hause oder wenigstens von diesen kalten winterlichen Bergen fort. Ich +beruhigte jedoch ihre aufgeregten Gemüter, denn ich sah nur zu wohl +ein, daß ich nicht das geringste Recht hatte, Rudok den Fehdehandschuh +hinzuwerfen. Es waren schon wieder über hundert gut bewaffnete Krieger +versammelt. Der Zustand unserer Karawane erlaubte auch keine Umgehung +der Provinz auf einem nördlichen Wege, und mir war dies auch ganz +lieb, da ich nicht Nain Singhs, Bowers und Deasys Routen oder die +noch nördlicher liegenden Wege Malcolms und Wellbys berühren wollte. +Ebensowenig hatte ich Lust, den größeren Teil des Gepäckes, der Zelte, +des Proviants und das Boot zu verbrennen, wie Captain Deasy es einmal +in einer schwierigen Lage tun mußte. + +Dagegen sprach mich die Wartezeit von zweieinhalb Monaten sehr +an. Ich war müde und matt von Arbeit und Weststürmen und bedurfte +der Ruhe. Ich hielt mit den Kosaken Kriegsrat und entwarf einen +ganzen Überwinterungsplan. Wir wollten nach ein paar Tagen nach den +üppigeren Weiden des Perutse-tso zurückkehren und dort ein befestigtes +Lager anlegen. Mir würde es in der interessanten Gegend nicht an +Beschäftigung fehlen, und meine Leute sollten sich im Anfang die Zeit +damit vertreiben, daß sie aus Erdschollen eine hohe Mauer rings um das +Zeltlager und das Gepäck errichteten. Von demselben Material wollten +wir einen Aussichtsturm bauen, und die Festung sollte mit einem Graben +umgeben werden. Nachher wollten wir ruhen, jagen, Ausflüge machen, +unsere Tiere pflegen, um im Frühling direkt nach Süden zu ziehen. Ich +segnete den Bombo, der mich zu einer neuen Kraftanstrengung in Tibet +beinahe zwang, obwohl ich im Grunde von diesem schwer zugänglichen +Lande mehr als genug hatte. + +Am folgenden Morgen kündigte ich dem Gouverneur an, daß wir wieder +ostwärts ziehen würden; er hatte nichts dagegen einzuwenden. Doch +der Tadschinurmann erklärte, er habe Befehl, uns bis an die Grenze +von Rudok zu bringen, aber nicht, uns wieder zurückzuführen. Die +Sache würde sich jedoch leicht arrangieren lassen; waren wir erst am +Perutse-tso angelangt, so konnten wir sowohl die Yake wie die Pferde +mit Beschlag belegen und die Männer gefangenhalten. Mit frischen +Pferden würden wir leicht und bequem operieren können. + +Der Bombo kam jedoch auf andere Gedanken und teilte uns mit, daß er uns +Yake und Proviant besorgen werde, wenn wir versprächen, nicht nach der +Stadt Rudok zu gehen, was zu tun gar nicht in meiner Absicht lag, da +Littledale diesen südlicheren Weg gegangen war. + +So wurde der ganze Festungsplan hinfällig, und wir durften uns dem Ende +unserer Mühsale wieder nähern. + + + + +Sechsundzwanzigstes Kapitel. + +Der Tso-ngombo. + + +Nachdem alles Entbehrliche ausgesondert worden und den Tibetern +geschenkt war, zogen wir am 6. November nördlich um einen Paß (4858 +Meter) herum, auf dessen anderer Seite uns Quellen und Weiden zum +Lagern einluden. Das kleine Kamelfüllen, unser aller Liebling, schwand +seit dem Tode der Mutter hin, kam aber doch bis ins Lager mit, wo es +sich an Brot und Teig sattfressen und Milch trinken durfte. Es wurde +nachts gut eingewickelt neben das Feuer gelegt und marschierte den +ganzen Tag gut. + +Am 7. war das Wetter herrlich, und der ewige Wind war in seiner Höhle +im fernen Westen geblieben. Statt seiner bereiteten uns die Tibeter +Verdruß und schalten den Lama einen Heidenhund, der mit „solchen +Russen“ umherstreife. Der Lama war so erbittert, daß er sie rechts und +links mit der Peitsche traktierte, und ich ließ ihnen sagen, daß wir +sie, wenn sie sich noch einmal mausig machten, auf die Kamele binden +würden, bis sie seekrank und höflich würden (Abb. 295). + +Den ganzen Tag sahen wir keinen Tropfen Wasser, keine Menschen, +höchstens Spuren von alten Lagerplätzen. Endlich erreichten wir jedoch +die Quelle +Tsebu+, wo wir Halt machten. Tiefes Schweigen herrschte +in dieser Nacht, und die Luft war so ruhig, daß man einen schwach +siedenden Laut von der Nachtkälte, die sich in der Erde festbohrt, zu +vernehmen glaubte. Nur einige Wölfe störten mit ihrem langgezogenen, +melancholischen Klagegeheul den Frieden. Die Tritte der Nachtwache +hallten auf dem steinharten Erdboden wieder. + +Während der nächsten beiden Tage ritten wir an dem See vorbei, an +dessen Ufern sich überall Gänse und Enten aufhielten, über einen +kleineren Paß nach dem tief in das Geröllbett eingeschnittenen Flusse ++Rawur-sangpo+, der von Quellen gespeist wird und in dem großen +Längentale, das wir jetzt vor uns hatten, verschwindet. Unser Anführer +erzählte, daß beim Aru-tso, der zirka vier Tagereisen nach Norden liegt +und von Bowers Reise her bekannt ist, Räuber aus Amdo, Nakktschu und +Nakktsong umherzustreifen pflegten. Eine Bande von fünf Personen sei im +vorigen Jahre am Rawur-sangpo ergriffen und auf Befehl des Gouverneurs +von Rudok getötet worden. Andere Bewohner gebe es in jener Richtung +nicht. Der Berichterstatter war ein lustiger alter Herr, der singend +neben mir zu reiten pflegte und oft zum großen Vergnügen der Unsrigen +das Gurgeln der Kamele nachahmte. + +10. November. Das Thermometer zeigt -26,5 Grad. Man wacht bisweilen +auf, deckt sich fester zu und rollt sich wieder wie ein Knäuel +zusammen. Ich pflege nachts einen eisernen Becher mit Tee neben mir +stehen zu haben, kann ihn aber jetzt nicht benutzen, denn der Inhalt +ist bis auf den Grund gefroren. Das Tintenfaß muß jedesmal, wenn es +gebraucht werden soll, erst am Feuer aufgetaut werden. + +32,2 Kilometer! Das war eine Kraftprobe, die wir sehr lange nicht +fertig gebracht haben! Schon nach 10 Kilometern wollten die Tibeter +rasten, weil wir gerade neue Leute und neue Yake trafen; man kann es +ihnen nicht verdenken, daß sie möglichst schnell nach ihren warmen +Zelten zurückkehren wollten -- sie trugen ja keine Hosen! Doch +wir ritten weiter, indem wir Tscherdon, drei Muselmänner und alle +Tibeter bis auf vier zur Bedeckung der Yakkarawane zurückließen. Wir +durchschritten ein ebenes Tal; der Tag verging, es dämmerte und wurde +dunkel; Wasser sahen wir nicht. Schließlich begegnete uns Schagdur, +der zum Rekognoszieren vorausgeritten war, mit einem kleinen Sacke +voller Eisstücke. Er hatte einen zugefrorenen Bach gefunden, nach +welchem wir uns jetzt begaben. Am 12. ritten wir an einem kleinen, +mit dickem Eise bedeckten See vorbei, an dessen westlichem Ende die +Tibeter ihre Zelte aufschlugen, weil nach Westen hin zwei Tagereisen +weit kein Wasser zu finden sei. Wir füllten daher vier Säcke mit klarem +Eise und zogen dann trotz ihrer lebhaften Proteste weiter. An einer +Bergreihe einige Kilometer nördlich vom See zeigten sich einige Pferde +und ihre Besitzer, die sich in einer Schlucht versteckten, als wir am +Ufer vorbeizogen. Die Tibeter behaupteten, es seien Räuber, und rieten +uns, auf sie zu schießen. Eine Weile darauf sahen wir zwei von ihnen +an einem Feuer sitzen; es waren friedfertige, gutmütige Yakjäger, die +eine Orongoantilope geschossen hatten. Eine Stunde, nachdem wir das +Lager aufgeschlagen hatten, kam die Yakkarawane mit ihrem pfeifenden +und singenden Gefolge nebst Schagdur, der in lebhafter, scherzender +Unterhaltung mit den Tibetern war. In überraschend kurzer Zeit hatte +dieser tüchtige Kosak ziemlich fließend tibetisch sprechen gelernt. Als +wir am Tage darauf am Ufer eines laut rauschenden Flusses lagerten, +hatten wir richtig zwei Tage lang kein Wasser gesehen. Oft genug +hätten wir ohne die Anweisungen der Tibeter hinsichtlich dieses +unentbehrlichen Stoffes in Verlegenheit geraten können. + +[Illustration: 301. Doppelte Geröllterrassen. (S. 330.)] + +[Illustration: 302. Das Tempeldorf Noh. (S. 333.)] + +Während der Nacht knackte es angenehm im Eisrande, und der rieselnde +Ton des Wassers war für unsere Ohren ein nachgerade ungewohntes +Geräusch. Welch ein Unterschied gegen die Gegend um Lhasa während der +Regenzeit; dort waren wir eigentlich immerfort durch Sümpfe geritten, +hier mußte man erst lange nach Wasser suchen. + +Nachdem wir am 14. den +Raga-sangpo+ hinaufgeritten waren und ihn +schließlich linker Hand hatten liegen lassen, wollten die Tibeter wie +gewöhnlich nach einem kurzen Tagemarsch Halt machen; es würde ihnen +den Kopf kosten, wenn sie weiter gingen, als ihnen befohlen sei, und +hier sollten neue Yake anlangen. Ich ließ die Kosaken die Yakkarawane +übernehmen und die Tiere mit uns nach dem heutigen Lagerplatze, der +in einer Talmündung lag, treiben. Die Männer kamen ganz artig mit +und schlugen ihre Zelte in unserer Nähe auf. In der Gegend lagerten +Nomaden, und während der zwei Ruhetage, die wir uns hier gönnten, +hatten wir Gelegenheit, unseren Proviant durch Schafe und Milch zu +verstärken. + +Am 17. ging es nach Nordwesten in dem Tale aufwärts; es verengte sich +zu einem schmalen, malerischen Gange und führte schließlich auf einen +Paß mit einem gefrorenen Tümpel (Abb. 296). Schon um 9 Uhr hatten wir +im Lager Nr. 129 -18,6 Grad und nachts -24,4 Grad. Es war bitterkalt +und unwirtlich in diesem öden Gebirge! + +Das kleine Kameljunge erreichte das Lager Nr. 130 (5060 Meter) nicht +mehr, es brach unterwegs zusammen und mußte getötet werden. Seit seine +Mutter gestorben war, gedieh es nicht mehr; es fehlte uns allen. Zu +den widerstandsfähigsten Tieren gehören die beiden Schafe. Wanka, +der Leithammel, der uns seit mehr als zwei Jahren begleitet, und ein +weißes Schaf aus Abdall. Niemand wäre imstande, sie zu schlachten; die +Muselmänner, die sie als Reisegefährten betrachten, würden, glaube ich, +lieber verhungern. + +Bei dem Lager +Jam-garawo+ wuchsen vortreffliche, dürre Jappkakpflanzen, +die uns bei der Kälte sehr willkommen waren. In der Nacht ging die +Temperatur auf -26,5 Grad herunter! Am meisten sind die Nachtwachen, +welche die weidenden Tiere bewachen, zu bedauern; ihre Pelze genügen +bei solcher Kälte nicht. Hier konnte man wenigstens die ganze Nacht +ein Feuer im Freien unterhalten. Während des ganzen Tags weht ein +mörderischer Wind, der durch Mark und Bein dringt, denn -4 Grad ist +die größte Wärme. Man muß unbedingt dann und wann eine Strecke zu Fuß +gehen, obgleich Herz und Lungen dieser Anstrengung nur gewachsen sind, +wenn es bergab geht. Ein Pferd blieb im Lager zurück, die übrigen +leisten jetzt nichts mehr und sind nur eine Last, aber man hofft immer +noch, sie retten zu können. + +Welch ein Gewirr von Bergen! Im Süden haben wir noch immer die +mächtige Kette, die uns vom Nakktsong-tso an treu begleitet und uns +die Aussicht auf das verbotene Land der heiligen Bücher versperrt hat. +Ringsumher breitet sich eine Welt von großartigen Bergketten aus, große +Schneefelder sind aber ziemlich selten, und vom Himmel fällt nicht +eine einzige Flocke. Wir sehnen uns förmlich nach einem ehrlichen +Schneefall; wir sind des ewigen Windes und des beständig klaren +Himmels gründlich überdrüssig. Wir hatten bis Leh noch 400 Kilometer. +Alle sehnten sich dorthin, besonders ich, denn ich hoffte, noch vor +Weihnachten ein Telegramm nach Stockholm senden zu können. + +In der Nacht auf den 21. November sank die Kälte auf -28,2 Grad. Wir +marschierten 28,1 Kilometer nach einer Gegend, die reich an herrlichem +Brennmaterial, aber wasserlos war. Daher mußte mit Yaken aus einiger +Entfernung Eis geholt werden, das über dem Feuer geschmolzen wurde. In +der Nacht heulten ein Dutzend Wölfe um unser Lager Nr. 133 (Abb. 297), +und die Hunde stimmten mit ein; es war ein ohrenzerreißendes Konzert. + +23. November. Wieder blieb ein Kamel liegen; nur 13 sind noch übrig, +ein Drittel der Zahl, die wir aus Tscharchlik mitnahmen. Es war einer +der Veteranen von Kaschgar und hatte mich durch die Tschertschenwüste +und beide Male nach Altimisch-bulak begleitet. Unser Weg läuft zwischen +Nain Sings und Bowers Routen. Bei +Tsangar-schar+ öffnet sich das +Tal, dem wir gefolgt sind; an mehreren Stellen erblicken wir Zelte +und Herden, und eine neue Eskorte und neue Yake sollten uns von hier +weitergeleiten. Der Anführer war ein alter braver Mann. Er versprach +uns nach dem Panggong-tso und dann an dessen Nordufer entlangzuführen, +und ich stellte ihm einen Revolver in Aussicht, wenn er möglichst wenig +lüge. + +„Ich bin ein viel zu alter Mann, um zu lügen“, sagte er. + +Die folgenden Tage zogen wir an dem fischreichen +Tsangar-schar-Flusse+ +abwärts. Schagdur und Tschernoff zeichneten sich besonders beim +Fischfang aus und überraschten mich alle Augenblicke mit ganzen Bündeln +von großen, prachtvollen, steinhart gefrorenen Fischen. Das Tal ist +anfänglich ziemlich offen (Abb. 298), verengt sich aber allmählich +zwischen malerischen Felsen und mächtigen Geröllterrassen (Abb. 299, +301). Der Fluß ist meistens mit dickem Eise bedeckt. An einer Stelle +erweitert er sich zu einem See, der das Tal füllt und nur auf der +Nordseite einen Uferstreifen freiläßt, der für die Kamele gerade breit +genug ist. Gleich unterhalb des Sees war der Fluß wieder eisfrei. Hier +rasteten wir am 26. November in einer an prächtiger Strauchvegetation +reichen Gegend; andere Weide als die dürren Zweige gab es nicht. Mein +Zelt stand unmittelbar an dem rauschenden Strome; ich liebe es, dem +klangvollen, munteren Rauschen des fließenden Wassers zu lauschen. + +Ein schönes Bild bot sich uns am Abend gerade im Süden dar, wo der hoch +und klar am Himmel stehende Mond den mächtigen Bergast beleuchtete, +dessen Einzelheiten wir bei Tage infolge blendenden Sonnenscheins +und intensiver Schatten nur undeutlich hatten unterscheiden können. +Jetzt glänzten seine kleinen, unten spitz zulaufenden dreieckigen +Schneefelder kreideweiß, und das kühne, imposante Relief der Felsen +trat klar und scharf hervor. + +Eines von Kamba Bombos Pferden war so ungeschickt, in den Fluß zu +stürzen, und konnte nur mit Mühe wieder herausgezogen werden. Ich ließ +es an einem großen Feuer trocknen und dann in Decken wickeln, aber ein +paar Stunden darauf lag es tot am Feuer. + +Am folgenden Morgen wurde mir gemeldet, Li Lojes Pferd sei über Nacht +gestorben. Steinhart und angeschwollen lag es zwischen den Zelten. Wir +hatten geglaubt, daß, wenn überhaupt eines der Pferde Leh erreichen +würde, es dieses sei, obgleich sein Besitzer, wie er mir jetzt im +Vertrauen mitteilte, es nicht bezahlt hatte. Nun ging es wieder weiter, +immerfort flußabwärts. Unweit des nächsten Lagerplatzes stürzte Turdu +Bais alter Rappe; eine gelbe Flüssigkeit strömte ihm aus den Nüstern, +und nach einer Weile war er tot. Während des Marsches verschied auch +das letzte unserer tibetischen Pferde, ohne daß es totgestochen zu +werden brauchte. Vier Pferde auf einmal! Jetzt ist sowohl von allen +unseren Tscharchlikpferden wie auch von denjenigen, die wir unterwegs +geschenkt erhalten oder gekauft haben, nur ein einziges übrig, der +große Schimmel, den ich noch reite. + +Es ist eine recht ernste Sache, eine große Karawane in Tibet +zusammenzuhalten; es ist nicht ganz so leicht, wie man glaubt, in +diesem Lande zu reisen, und ein Vergnügen ist es auch nicht. Man +erkauft die Tage und Meilen mit dem Leben von Menschen, Pferden +und Kamelen, und es hat auch eine symbolische Bedeutung, daß der +zurückgelegte Weg auf der Karte rot punktiert ist: er hat Blut +gekostet. Wie viele Tränen und Blutströme hatte dieser karge Boden +aufgesogen, und wie viele Seufzer und Jammerrufe waren von unserer +Karawane ausgestoßen worden, ohne von diesen kalten, kahlen Felswänden +ein Echo als Antwort zu erhalten. Ein rotes Kreuz an jedem Punkte, +wo in unserer Karawane ein Leben erloschen war, würde zum Verfolgen +unserer Wanderung durch Asien genügen. + +Ihr, die ihr mit eurer großen Weisheit und eurem unerprobten Mute -- +jenem Mute, der vor dem Kaminfeuer in einem zugfreien, warmen Zimmer +glänzt -- eine solche Reise und ihre Resultate beurteilt, ihr mögt es +selbst einmal versuchen! Ihr braucht dazu gar nicht erst nach Tibet zu +gehen; nein, geht nur im Winter bei eurem eigenen Gute einige Meilen +auf ungebahnten Wegen, schlaft bei 30 Grad Kälte in einem erbärmlichen +Zelte und hört dabei die Wölfe in der Wildnis um euch herum heulen. +Das ist freilich noch nicht dasselbe wie Tibet und ein Leben, wie ich +es zweieinhalb Jahre geführt habe, aber ihr werdet auch dadurch schon +vorsichtiger in eurem Urteil werden. Ich gehe lieber zehnmal durch +die Gobiwüste als einmal zur Winterszeit durch Tibet. Man kann sich +keinen Begriff davon machen, was dies kostet; es ist eine wahre „~via +dolorosa~“! + +Im Vergleich mit diesen großen Schwierigkeiten sind die kleinen +Ärgernisse, die in einer aus so verschiedenen Elementen +zusammengesetzten Karawane nicht ausbleiben können, reine Bagatellen. +Daß Muselmänner, Tibeter, Mongolen, Burjaten und Christen während einer +so langen Zeit stets in schönster Eintracht leben, ist ein Ding der +Unmöglichkeit. Hier geschah es zum Beispiel, daß Li Loje und Ördek +in einer Nacht, als sie die Wache hatten, in das Zelt der Tibeter +gegangen waren, um dort Opium zu rauchen. Am Morgen beschwerten sich +die Tibeter, daß ihnen nach dem Fortgehen der beiden eine Stange +Opium im Werte von 10 Liang gefehlt habe und Ördek und Li Loje sie +ihnen gestohlen hätten. Der Lama sträubte sich lange, mich mit dieser +Klatscherei zu belästigen, tat es aber schließlich, da ihm keine +Ruhe gelassen wurde. Ich ließ die Kleider und Sachen der beiden +Verdächtigten sofort von Tschernoff und Schagdur untersuchen, aber +Opium fand sich bei ihnen nicht, und die Kläger wurden als Lügner zur +Tür hinausgeworfen. Nun aber waren Ördek und Li Loje wütend auf den +Lama, der ihrer Meinung nach geklatscht hatte, und wollten sich an ihm +rächen. Dies geschah dadurch, daß sie Sirkin einredeten, der Lama habe +sie dazu bestechen und überreden wollen, mir vorzulügen, daß Sirkin +durch Mißhandlungen Kalpets Tod hervorgerufen habe. Sirkin war über +diese ungerechte Beschuldigung ganz außer sich und teilte mir sofort +mit, was er gehört hatte. Eine solche verwickelte Geschichte mit Ruhe +und Selbstbeherrschung zu untersuchen und dann das Urteil zu fällen, +wenn einem in der Morgenkälte die Zähne klappern, ist weder leicht noch +angenehm. In den meisten Fällen ist natürlich einer unzufrieden. Jetzt, +da alles glücklich überstanden ist, wundere ich mich beinahe selbst +darüber, daß es mir gelang, alle diese Schwierigkeiten zu besiegen und +die Trümmer der Karawane wie nach einem großen Siege aus dem Lande +unserer Sorgen herauszuführen und in die Gegenden zu bringen, deren +Gewässer nach den warmen Küsten des Indischen Ozeans strömen. -- + +[Illustration: 303. Eine schwierige Passage am Ufer des Tso-ngombo. (S. +334.)] + +[Illustration: 304. Blick nach Süden auf den mittelsten Tso-ngombo. (S. +334.)] + +[Illustration: 305. Der mittelste Teil des Tso-ngombo. (S. 334.)] + +[Illustration: 306. Beförderung des Gepäcks auf einem improvisierten +Schlitten über das Eis. (S. 338.)] + +Am 27. (4379 Meter) und 28. hatten wir, als wir dem Laufe des +Tsangar-schar abwärts folgten, immerfort das schöne Gefühl, uns +tieferliegenden Gegenden zu nähern. Während des Marsches wird Fischfang +getrieben, und Tschernoff und Schagdur wollen es einander darin +zuvortun. Sie bedienen sich ihrer Säbel sowie tibetischer Speere und +harpunieren ihre Opfer. Einmal nahm Schagdur ein gründliches Bad in +dem eiskalten Wasser; er wagte sich im Eifer zu weit hinaus, und sein +Maulesel stürzte. Ich war glücklicherweise in der Nähe und zündete ein +loderndes Feuer in dem Gesträuche an, woran er sich wärmen und seine +Kleider trocknen mußte; sonst wäre er, kühn und abgehärtet wie er war, +einfach weitergeritten, als sei nichts vorgefallen. + +Die Felsenmauer, die wir bisher auf unserer linken Seite gehabt haben, +hört schließlich auf, und der Fluß macht einen scharfen Bogen nach +Süden. Gerade hier liegt auf dem linken Ufer das Tempeldorf +Noh+, +auch +Odschang+ genannt (Abb. 302). Dort erhebt sich ein malerischer +kleiner Tempel in Rot und Weiß, mit zwiebelförmigen Kuppeln, Flaggen, +vergoldeten Spitzen und anderen Zieraten. Die viereckigen Häuser mit +flachen Dächern sind wie gewöhnlich von weißgetünchten Mauern umgeben, +die oben eine rote Kante haben; auch sie sind mit Fahnenstangen und +Wimpeln geschmückt. Die Fußböden sind mit Filzteppichen belegt, in der +Decke ist ein Loch zum Entweichen des Rauches, große Holzvorräte aus +dem Gesträuchwalde liegen für den Winter bereit. Unsere Tibeter hatten +uns schon unterwegs mitgeteilt, daß man hier kein Holz anrühren dürfe, +da es dem Lama gehöre. Jetzt lag Noh vom Sonnenscheine überflutet vor +uns und gewährte, mit der mächtigen Bergwand als Hintergrund, einen +ungewöhnlich malerischen Anblick. + +Auf dem rechten Ufer treten Geröllterrassen dicht an den Fluß heran. +Nicht ohne Schwierigkeit lotsen wir die Kamele über sie hinüber, damit +die Tiere nicht in das kalte, tiefe Wasser zu tauchen brauchen. Unsere +Richtung führt nach Westen an der Basis der Felsen entlang, wo Quellen +von +15,9 Grad entspringen. Nachdem wir einen kleineren Paß mit einer +fahnengeschmückten Steinpyramide passiert haben, öffnet sich nach Süden +und Westen eine großartige Aussicht über den See +Tso-ngombo+ (blauer +See). Im Süden glänzen mehrere pyramidenförmige Schneegipfel, und nach +Westen dehnt sich der bizarre See mit seinen Buchten, Landspitzen, +Inseln und steil abfallenden felsigen Ufern aus. Die Breite beträgt +nur wenige Kilometer. Auf einem ganz ebenen Uferstreifen mit etwas +Weide schlugen wir das Lager Nr. 138 (Abb. 300) auf. Kaum einen +Kilometer vom Ufer liegt eine kleine Felseninsel, die reich an gutem +Brennholz ist; ganze Stapel davon wurden über das Eis nach unserem +Lager geschleppt. Die Tibeter verbrachten die Nacht auf der Insel, +wo sie Schutz und Wärme hatten, und ihre großen Feuer warfen abends +rotglänzende Reflexe über das spiegelblanke Eis. In diesem verursachte +die Spannung unaufhörliche Knalle und Pfiffe; es klang wie ein sich im +Kreise drehendes Nebelhorn. + +Während des folgenden Tages, der der Ruhe gewidmet wurde, maß ich +die Tiefen zwischen dem Ufer und der Insel, wobei sich ergab, daß +die größte 6,35 Meter betrug. Unser Offizier teilte mir mit, daß er +beauftragt sei, von hier einen Kurier nach Leh zu senden, damit wir +an der Grenze von Tibet und Kaschmir vorfänden, was wir brauchten. +Ich nahm die Gelegenheit wahr, einen Brief an den englischen „Joint +Commissioner“ für Ladak mitzuschicken, in welchem ich um Entsatz an +Yaken, Pferden und Proviant bat. Der arme Reiter verschwand auf seinem +langhaarigen Pferdchen in der Nacht; als wir nachher den Weg sahen, den +er in der Dunkelheit geritten war, tat er mir doppelt leid. + +Am Todestage Karls XII. machten wir einen interessanten Marsch am +Nordufer des Tso-ngombo entlang. Hinter der Insel hat der See ein +Ende und geht in einen ganz kurzen Fluß mit offenem Wasser über, der +sich bald in ein neues zugefrorenes Becken ergießt; es dauert nicht +lange, so nimmt auch dieser zweite See ein Ende, und wir reiten wieder +an einem Flusse entlang. Dieser ist so gerade und regelmäßig wie ein +gegrabener Kanal, zirka 12 Meter breit und höchstens 3 Meter tief. +Das Wasser fließt außerordentlich langsam, ist klar wie Kristall +und schillert grün wie Smaragd. Auf dem Grunde gedeihen üppige +Wasserpflanzen, und in Vertiefungen zeigen sich ganze Scharen von +schwarzrückigen Fischen, die, den Kopf nach der Strömung gerichtet, +regungslos und faul im Wasser schweben und zu grübeln scheinen. Das +Ganze war ein großartiges Schauspiel; die Kosaken waren sofort wieder +mit ihren Angelruten bei der Hand. + +Nachdem der Fluß durch ein mittelgroßes und ein sehr kleines +Becken geströmt ist, ergießt er sich schließlich in einen vierten +See, der größer als die anderen ist und sich weit nach Westen und +Nordwesten erstreckt; er war völlig eisfrei und vom Winde aufgeregt. +Wahrscheinlich liegt es an seiner Tiefe, daß er trotz der windstillen, +kalten Nächte noch nicht zugefroren ist. Das Ufer ist dicht mit Blöcken +und steilen Schuttkegeln bedeckt und sehr beschwerlich für die Kamele +(Abb. 303). Auf der Ebene Bal, wo wir in der Nähe einer tiefen Schlucht +lagerten, gab es jetzt kein Gras, aber wir hatten Stroh und Gerste +von den Tibetern gekauft, und die Tiere waren gut versorgt (Abb. 304, +305). Von Roh bis Bal waren wir dieselbe Straße gezogen wie Nain Singh; +hier aber trennten sich unsere Wege wieder. Unterwegs waren wir einer +Karawane von 200 mit Getreide aus Ladak beladenen Schafen begegnet. Es +machte Spaß zu sehen, wie ordentlich sie marschieren und wie leicht +sie zu regieren sind; sie kommen an den steilsten Felswänden vorwärts, +trotzdem sie ziemlich schwere Lasten tragen. An der Grenze wird eine +Art Tauschhandel betrieben; für 100 mit Salz beladene Schafe erhalten +die Tibeter 80 Schafslasten Gerste. + +Die Kälte sank auf -20,9 Grad, und in der Nacht überfiel uns ein +sehr heftiger Nordsturm. Der Rest des Strohvorrats wurde rettungslos +fortgeweht. + +1. Dezember. Heute mußte ein Kamel getötet werden; es ist um so +bitterer, jetzt von den letzten Veteranen scheiden zu müssen, da +ihre Rettung so nahe ist. Wir folgen über oft sehr beschwerliche +Schutterrassen treu allen Biegungen und Buchten des Ufers. Der See +ist lang und schmal und gleicht einem norwegischen Fjord; beständig +entrollen sich neue, bewunderungswürdige Perspektiven vor uns, die +Landschaft glänzt in großartiger Schönheit, es ist ein zwischen oft +jähen, stets malerisch gestalteten Felsmassen eingeschlossener Fluß. +Hier und dort erhebt sich ein dominierender Schneegipfel. Einige von +unseren Leuten gehen voraus, um scharfkantige Steine zu entfernen +und Gruben auszufüllen. Wildenten leben hier in ungeheurer Menge; es +klingt wie das Brausen eines herannahenden Sturmwindes, wenn ihre +Scharen, sobald wir uns nähern, seewärts fliegen und mit solcher Wucht +auf das Wasser niederschlagen, daß weißer Schaum hoch aufspritzt. Der +See ist überall offen; nur in geschützten Buchten liegt hier und da +ein kleines Band von zertrümmertem, vom Winde hierhergetriebenem und +wieder zusammengefrorenem Eise mit dünnen, höchstens eine Nacht alten +Eishäuten zwischen den Schollen. + +Nun zeigt sich ein ebener Uferstreifen von weichem Erdreich, und die +Berge treten zurück. Ein hier stehendes, einsames Zelt dürfte für +längere Zeit aufgeschlagen sein, denn es ist mit großen Holzstapeln +umzäunt. Bald darauf stehen wir an einem Felsvorsprung, der direkt in +den See hinunterfällt und die erste schwere Stelle bildet, vor der man +uns gewarnt hat. Wir lagerten daher unmittelbar an der Felswand, und +die Kamele wurden nach der Weide zurückgeführt. Schon am Abend wurde +das Gepäck von unseren Leuten über die Spitze gebracht und am folgenden +Morgen die Tiere an ihr vorbeigeführt. Unterhalb der Spitze liegt ein +meterbreiter Sandstreifen im Wasser. Wenn hier ein Kamel fallen sollte, +so konnte es zwar in die Tiefe hinabgleiten, brauchte aber darum noch +nicht verloren zu sein. An der Felsbasis haben die Uferwellen einen +Eisrand gebildet, der erst weggehauen wurde; dann wurden die Maulesel, +die Pferde und Kamele glücklich an der Landspitze vorbeigeführt und auf +der anderen Seite in gewöhnlicher Ordnung beladen. Die Yake zogen es +vor, über die gefährlichen Felsplatten zu klettern. Zwei kranke Kamele +blieben auf der Weide zurück. Islam und Li Loje hatten Befehl, mit +ihnen wenn irgend möglich unserer Spur zu folgen, andernfalls sollten +sie sie töten. + +Am Morgen unmittelbar vor Sonnenaufgang zeigte sich am +gegenüberliegenden Strande im Südosten ein eigentümliches Phänomen. Der +See „rauchte“; kreideweiße, dichte Wolken von Wasserdampf breiteten +sich wie ein Schleier über die Wasserfläche. Entweder hat dies seinen +Grund in heißen Quellen, oder es beruht darauf, daß der See mehr +erwärmt ist als die Luft. Die Kälte war auf -18,3 Grad gesunken, und +die Temperatur des Wassers war ein paar Grad über Null. Gleich nach +Sonnenaufgang zerstreute sich der Nebel. + +Die Breite des Tso-ngombo wechselt natürlich je nach der Konfiguration +der ihn umgebenden Bergketten. Wo zwei gegenüberliegende Felsvorsprünge +sich einander nähern, ist er am schmalsten. Auf einem steilabfallenden +Geröllkegel hatten wir viel Mühe, weil die Instrumentkisten zwischen +den Blöcken nicht durchkonnten, sondern abgeladen und getragen werden +mußten. Die Kamele wurden einzeln geführt und von allen Leuten +gestützt; gähnende Gruben waren ausgefüllt und hinderliche Felsblöcke +mit vereinten Kräften in den See gewälzt worden. + +Das Lager Nr. 141 schlugen wir neben einem Karawanenlager auf, das aus +zwei schwarzen, mit den Schaflasten und Holzstapeln umgebenen Zelten +bestand. Ich maß hier die Höhe zweier alter Uferlinien; die höhere lag +19,5 Meter, die tiefere 6,5 Meter über dem gegenwärtigen Wasserspiegel. + +Am 3. Dezember wurde Tschernoff beauftragt, die Tiefen einer von +mir vorher festgestellten Linie quer über den See zu loten. Die +Tiefe betrug genau 30 Meter. Ich selbst ritt mit Tscherdon am Ufer, +während die Karawane nach Westen weiterzog. Nun aber gebot ein 500 +Meter breiter, zugefrorener Sund dem Boote Halt; hier erwartete ich +Tschernoff. Man hatte uns gesagt, daß der Karawane heute ein absolut +unüberwindliches Hindernis in den Weg treten werde, eine glatte, sehr +steile Felswand, die jäh ins Wasser abstürze. Als wir daher jetzt den +kleinen Sund zugefroren fanden, hofften wir nach dem Südufer des Sees +hinübergelangen und so das Hindernis umgehen zu können. Wir gingen +hinüber und schlugen Waken in das Eis, teils um seine Dicke (13,4-15,2 +Zentimeter) zu messen, teils um die Tiefen zu loten (Maximaltiefe +29,36 Meter). Wir setzten unsere Untersuchungen auf dem Südufer fort, +ohne auf ein Hindernis zu stoßen, aber der Sicherheit halber schickte +ich Ördek weiter. Mittlerweile hatte die Karawane Halt machen müssen. +Ördek hatte Befehl erhalten, ein Feuer anzuzünden, sobald er an eine +Stelle gelangte, wo ein Vordringen der Kamele unmöglich war. Als wir +nachher zur Karawane zurückritten, sahen wir nicht weniger als drei +Feuer am Südufer, das letzte dem neuen Lager gerade gegenüber. Es blieb +also nur das Nordufer. Ördek wurde mit dem Boote von Tschernoff geholt, +der eine neue Lotungslinie (Maximum 29,70 Meter) machte, die zeigte, +daß der See auf seiner ganzen Länge in der Mitte eine zirka 30 Meter +tiefe Rinne hat. + +[Illustration: 307. Das Boot als Schlitten auf dem Tso-ngombo. (S. +338.)] + +[Illustration: 308. Der gefährliche Felsenpfad. (S. 338.) + +(Die Yake gehen teils auf, teils über dem Wege)] + +[Illustration: 309. Am westlichen Tso-ngombo. (S. 339.)] + +[Illustration: 310. Am Panggong-tso. (S. 341.)] + +Die unpassierbare Stelle wurde von Turdu Bai untersucht, der keine +Möglichkeit sah, die Kamele mit heilen Knochen hinüberzubringen. Da +aber die ganze Gegend außerordentlich reich an festem, dürrem Gesträuch +und Buschholz war, beschloß ich, die schwere Passage mittelst einer +durch unsere Kamelleitern und Zeltstangen zusammengehaltenen und mit +Seilen umwundenen Fähre zu passieren. Sie würde stark genug sein, um +ein Kamel zu befördern. Es +mußte+ gelingen, denn ich hatte keine Lust +nach Bal zurückzukehren und von dort in Nain Singhs Spur nach Niagsu +zu gehen. Es war doch zu ärgerlich, daß der See gerade um dieses +Vorgebirge herum nicht zugefroren war. Turdu Bai erklärte, daß das +Wasser offen sei. + +Nachts hörte man förmlich, wie sich bei -20 Grad Eis bildete, und am +nächsten Morgen waren große Flächen, die gestern noch offen gewesen, +mit einer feinen Eisschicht bedeckt. So viele Leute, als sich entbehren +ließen, mußten vorausgehen und Material zu der Fähre sammeln. Ein +gewaltiger Stapel lag bereit, als wir am Anfang des Bergpfades +anlangten. Auch hier hatte sich jetzt eine 3 Zentimeter dicke Eisbrücke +über die Tiefen gespannt, und der See war querüber bis an das rechte +Ufer überfroren. Sobald das Lager aufgeschlagen war, gingen Sirkin und +zwei von den anderen hinauf, um sich den schwierigen Weg anzusehen. +Ihre Meinungen waren geteilt, aber Sirkin war der Ansicht, daß es mit +großer Vorsicht gehen müsse, die Kamele einzeln hinüberzubringen. +Ich mußte mich selbst überzeugen und fand den Pfad einfach +lebensgefährlich. Der schwarze Schiefer fällt hier mit glatten Platten +43 Grad steil nach Westsüdwest zum See ab. Ein Riß in der Bergwand gibt +aber eine Stütze für die Schieferplatten, die hier hingelegt worden +sind, damit die Tiere nicht abrutschen. Auf der äußeren Seite wurden +diese Platten von oft 2 Meter hohen Stämmen und Säulen gestützt, die +mir jedoch nicht danach aussahen, das Gewicht eines Kamels tragen zu +können. Manchmal geht es im Zickzack halsbrecherische Stufen hinab. +Vielleicht hätten einige unserer müden Kamele dieses Akrobatenstück +fertig gebracht, die meisten aber wären sicherlich vom Schwindel +ergriffen worden und in den Abgrund gestürzt. + +Nein, entweder mußten wir eine Fähre bauen und das dünne Eis +aufbrechen, oder wir mußten warten, bis das Eis uns trug. Da wir +noch um 1 Uhr -4,5 Grad hatten, hoffte ich auf den letzteren Ausweg. +Um 6 Uhr war das Eis schon 5,2 Zentimeter dick. Die Kosaken bauten +einen improvisierten Schlitten aus Kamelleitern, Zeltstangen, Holz +und Tauen und bedeckten das Ganze mit Filzdecken. Es war Schagdurs +kluger Vorschlag, die Kamele auf dieser Vorrichtung an dem Felsen +vorbeizuziehen, wenn das Eis nicht stark genug sein sollte, daß sie +darauf gehen könnten. + +Der Sturm heulte an den Wänden und durch die Büsche und sauste wie in +einem nordischen Walde. Das Eis nahm an Stärke zu; auf einer Stelle, +die man vormittags nur mit großer Vorsicht hatte passieren können, +standen jetzt drei Mann nebeneinander. Jetzt sollte auch die Fähre +probiert werden. Sie wurde mit so vielen Männern, als dem Gewichte +eines Kamels entsprachen, belastet und von einigen um das Vorgebirge +herumgezogen (Abb. 306). Sobald es anfing zu knacken, sprang der +Lama ab, dann ich, darauf Tokta Ahun, je nachdem das Eis schwächer +wurde. Jeder neue Deserteur rief unter den sitzenbleibenden Helden +die größte Heiterkeit hervor. Das Eis ist kristallhell, ohne eine +Blase. Man scheint über einer stillen Wasserfläche zu schweben, und +durch die Eisdecke sieht man Fische zwischen den Wasserpflanzen hin +und her huschen. Manchmal klingt es, als würden auf dem Eise Schüsse +abgefeuert, und man glaubt, die Kugeln pfeifen und den immer schwächer +werdenden, ersterbenden Schall in der Ferne verhallen zu hören. + +Wir mußten noch den folgenden Tag warten, um dem Eise Zeit zum +Stärkerwerden zu lassen. Mit großem Interesse wurde das Thermometer +beobachtet. Nachts zeigte es -19,1 Grad, am 5. morgens um 7 Uhr -11,1 +Grad, um 1 Uhr -5,1 Grad, um 9 Uhr -8,9 Grad und in der nächsten Nacht +-20,9 Grad. Ich stand eine Stunde vor Sonnenaufgang auf, um eine +astronomische Ortsbestimmung zu machen. Sodann wurde unser ganzes +Gepäck, außer meinen Sachen und der Küche, auf dem Schlitten nach dem +jenseits des hinderlichen Vorgebirges liegenden Ufer gebracht (Abb. +307). Das Eis war 2 Zentimeter dicker geworden. Auch die Tibeter +siedelten dorthin über, zogen jedoch den gefährlichen Felsenpfad +vor, wo sie indessen die Yake vorsichtig treiben mußten, damit +diese einander nicht in den Abgrund drängten. Diese Tiere gehen mit +unglaublicher Sicherheit; sie können wohl ausgleiten, verlieren aber +nie den Boden unter den Füßen (Abb. 308). + +Währenddessen lotete Tschernoff im See, und mit Benutzung seiner Waken +maß ich nachher die in verschiedenen Tiefen herrschenden Temperaturen. +Die Untersuchung ergab, daß in der Nähe des Südufers warme Quellen +vom Seegrunde aufsteigen müssen. Die größte Tiefe war 21,55 Meter. Die +Exkursion wurde in einer Boothälfte gemacht, die Ördek und Chodai Kullu +zogen. Letzterer brach schließlich ein, hielt sich aber noch im letzten +Augenblick am Bootrande fest. + +Noch ein Kamel blieb am 6. Dezember am Ufer des „Blauen Sees“ liegen. +Wir hatten jetzt nur noch zehn. Alle Muselmänner müssen zu Fuß gehen, +aber die Tagemärsche sind auch nur kurz. + +Auf dem Eise um das hinderliche Vorgebirge herum wurden 28 Säcke Sand +ausgestreut, um für die Kamele einen Fußweg zu bilden. Ihre Überführung +fand vor Sonnenaufgang statt, damit nicht unter der Einwirkung der +Sonne das jetzt 9,9 Zentimeter dicke Eis schwächer würde. Alles +ging glücklich, nur aus einigen Rissen quoll Wasser heraus. Das +zurückgebliebene Gepäck wurde auf den Schlitten genommen; dann zogen +wir nach Westen weiter, um gefährliche Landspitzen herum, über +kleine Flugsandfelder hinweg und an regelmäßig abgerundeten Buchten +entlang. Ich ging den ganzen Tag zu Fuß, denn mein Pferd war jetzt +auch schwach geworden. Der See ist hier vollständig eisfrei; er friert +augenscheinlich von Osten nach Westen zu (Abb. 309). + +Jetzt verschmälerte sich der Tso-ngombo wieder und ging schließlich +in den Fluß +Adschi-tsonjak+ über, der das süße Wasser des ersteren +dem salzigen Panggong-tso zuführt. Wir lagerten am Anfange des +Flusses, und zwar auf seinem rechten, nördlichen Ufer. Wir hatten +den großen, außerordentlich fesselnden See mit seinen hinreißenden +Perspektiven hinter uns. Besonders an windstillen Tagen und Abenden +bietet die großartige Natur mit ihren gigantischen Dimensionen und +ihrer vollendeten, fast märchenhaften Schönheit ein unvergeßliches +Schauspiel. Die steilen Felsen treten wie Kulissen aus dem Ufer +heraus, und die gewaltigen Berggestalten spiegeln sich in der blanken +Wasserfläche oder dem ebenso reinen, blendenden, glitzernden Eise. + + + + +Siebenundzwanzigstes Kapitel. + +Vom Panggong-tso nach Leh. + + +Dem Lager Nr. 144, das gerade hundert Tagereisen vom großen +Hauptquartier lag, fehlte es ebenfalls nicht an Bedeutung. Hier sollten +wir, wie man uns gesagt hatte, neue Yake aus Ladak bekommen; da diese +aber noch nicht da waren und die Tibeter nach Hause zurückkehren +wollten, mußten wir aufpassen, daß sie uns nicht durchbrannten. Drei +Rasttage zwischen den beiden Seen sollten den Kamelen wohltun und auch +meinen Arbeiten förderlich sein. + +Am 7. Dezember tobte ein grauenhafter Sturm, und Wolken von Sand +regneten auf uns herab. Tschernoff, der den westlichen Teil des Sees +auf vier Linien lotete (Maximaltiefe 31,76 Meter), konnte sich kaum ans +Land retten. Am 9. sollten wir aufbrechen, aber es stellte sich heraus, +daß alle Yake durchgebrannt waren und ein neuer Sturm alle ihre Spuren +im Sande verwischt hatte. Nach vielem Suchen fanden wir sie schließlich +wieder, doch erst, als der Tag zur Neige ging. Ihr Führer, Loppsen, +erklärte sich bereit, mit uns längs des Nordufers des +Panggong-tso+ +weiterzuziehen und bei uns zu bleiben, bis wir aus Ladak Entsatz +erhielten. Es war hohe Zeit, daß wir Verstärkung bekamen; unsere +Vorräte an Reis, Mehl und Talkan waren seit mehreren Tagen zu Ende, und +wir lebten ausschließlich von Fleisch. In einem benachbarten Zeltdorfe +erstanden wir sieben Schafe. Dort waren einige Hunde, mit denen sich +Jolldasch sehr anfreundete. Daß er Prügel bekam, wenn er auskniff, +machte ihm jetzt keinen Eindruck mehr; wenn er nicht fortlaufen sollte, +mußte er angebunden werden. Bei dem Lager wurde die höchste noch +sichtbare Terrasse gemessen; sie lag 54 Meter über dem Flusse! Die +beiden Seen haben einstmals entschieden zusammengehangen und befinden +sich, gleich allen anderen Seen Tibets, im Zustande der Austrocknung. + +[Illustration: 311. Gulang Hiraman, der Gesandte des Statthalters von +Ladak, mit seinem Gefolge. (S. 344.)] + +[Illustration: 312. Gulang Hiraman auf seinem Pony. (S. 344.) + +Rechts Chodai Kullu mit Malenki und Maltschik.] + +Am 10. Dezember zog die Karawane am nördlichen Ufer des Panggong-tso +weiter, während ich mit Ördek den Flußarm hinabruderte. Die +Temperatur war auf -25,7 Grad heruntergegangen; es mußte an warmen +Quellen liegen, daß das Wasser nicht gefroren war. Der Fluß erweitert +sich nach unten; in einer Biegung lag eine Nacht altes Eis, dünn wie +Papier, aber trotzdem hinderlich für das Boot. Weiter abwärts war +der Eisgürtel so stark, daß er, als wir ihn zur Abkürzung des Weges +benutzten, sowohl uns wie das Boot trug. Doch schließlich legte uns +das Eis ein unüberwindliches Hindernis in den Weg; wir schleppten das +Boot nach der weiten trompetenförmigen Mündung, die an den Ausfluß des +Satschu-sangpo in den Selling-tso erinnert. Hier erwartete man uns mit +einem Kamele, auf welches das Boot geladen wurde. + +Wir begaben uns nach dem Gebirge im Norden, das aus grünem Schiefer +besteht und an dessen Basis mehrere Quellen entspringen. Der See liegt +offen vor uns, nur in ruhigen Buchten schaukelt auf der Dünung eine +dünne Eisschicht. Die Gestalt des Ufers ist genau dieselbe wie beim +Tso-ngombo; es ist noch immer dasselbe Längental, in dem wir ziehen, +und wir marschieren immer noch auf derselben absoluten Höhe, oder, wie +das langsame Strömen des Flusses zeigt, nur eine Kleinigkeit tiefer. +Dieselben Bergarme laufen in Vorgebirge aus, und zwischen diesen liegen +dieselben kleinen, dreieckigen oder halbmondförmigen Talflächen, auf +denen die Buschvegetation immer mehr abnimmt. Überall, wo Schuttkegel +steil in den See fallen, sind die aus dem Wasser schauenden Steine +mit einer Kruste von weißem, blasigem Eise überzogen. Der See ist +aufgeregt, die Wogen schlagen gegen das Ufer, und das Spritzwasser +gefriert sofort auf den vom Nachtfrost durchkälteten Steinblöcken. Auf +einer flachen Halbinsel namens +Siriap+, wo das Gebüsch noch in Menge +wuchs, fanden wir die Unsrigen im besten Wohlsein vor (Abb. 310). + +11. Dezember. Das Wetter war heute so schön und windstill, daß ich +meinen beiden besten Seeleuten, Tschernoff und Ördek, den Auftrag +geben konnte, über den Panggong-tso nach einem Vorgebirge im Südwesten +zu rudern, um die Tiefen zu messen. Sie nahmen für den Fall, daß sie +das nächste Lager vor Eintritt der Dunkelheit nicht mehr erreichten, +Proviant für einen Tag mit. Wir zogen längs dieser eigentümlichen, +girlandenförmigen Uferlinie, welche die Länge des Weges beinahe +verdoppelt, nach Westen weiter. Bei jedem Ausläufer von dem Hauptkamme +der nördlichen Kette entsteht eine in den See vorspringende Halbinsel +oder ein Vorgebirge. Auf der Ostseite gehen wir nach Süden, auf der +Westseite nach Norden, ja, manchmal müssen wir sogar nach Nordost +und Südost marschieren. Einige Stellen sind für die Kamele sehr +beschwerlich und müssen erst mit Spaten und Brechstangen bearbeitet +werden. An einer Stelle ist der Weg auf der Uferterrasse so schmal, daß +nur Schafe dort durchkommen können; glücklicherweise war der See hier +nicht zu tief, so daß die Kamele im Wasser gehen konnten. + +Bei dem heutigen Lagerplatze gab es nur einen Brunnen, dessen Wasser +nicht viel besser als dasjenige des Sees war, weshalb wir es vorzogen, +Eisschollen von den Ufersteinen loszubrechen. In der Dämmerung stellte +sich heraus, daß die Kamele zurückgelaufen waren. Auf der schmalen +Uferterrasse waren sie aber stehengeblieben; sie mußten ganz vergessen +haben, daß sie hier eine Strecke im Wasser gegangen waren. Sie sehnten +sich nach den schönen Weideplätzen am Tso-ngombo zurück. Nachher wurden +sie festgebunden und mit Gerste traktiert, die wir in reichlicher Menge +mit hatten und die von den Yaken getragen wurde. Im Süden war auf dem +andern Ufer Tschernoffs Feuer zu sehen. Ein Felsen gewährte uns Schutz, +aber man hörte an dem Rauschen des Sees, daß ein heftiger Wind ging; +die Wellen schlugen mit solchem Getöse an das Ufer, daß die Kosaken +mich nicht hörten, als ich sie rief. + +Am 12. Dezember lag die ganze Gegend in undurchdringlichen Schneesturm +gehüllt da, und vom Südufer war keine Spur zu sehen. Die Temperatur war +nicht unter -7,5 Grad heruntergegangen. Starker Seegang herrschte, denn +in diesem Längentale wird der Wind wie in eine Rinne eingepreßt und +fegt ungehindert über den See hin. Im Laufe des Tages sahen wir jedoch +zu unserer Freude, daß die Jolle noch auf derselben Stelle lag und die +Ruderer sich nicht auf waghalsige Abenteuer begeben hatten. + +Unser Tagemarsch war nicht lang, aber beschwerlicher als alle andern, +die wir bisher am Nordufer dieses endlosen Seenzwillingspaares +zurückgelegt hatten. Ein mächtiger, nach Süden zeigender Felsausläufer +fällt mit senkrechten Wänden in den See; über seinen Kamm führt ein +Pfad, der von den Karawanen benutzt wird. Aber für Kamele ist er +nicht bestimmt. Eine Weile rasteten wir am Fuße des Berges, während +Sirkin das Ufer, das zu überschreiten sogar für Menschen, auch wenn +sie kletterten, unmöglich war, untersuchte und Schagdur nach dem Kamme +hinaufritt. Er erklärte ihn für grauenhaft, aber vielleicht passierbar. +Die Yakkarawane kletterte mit großer Sicherheit hinauf. Als sie den +Kamm erreicht hatte, wurden fünfzehn Yake abgeladen, die meine Kisten, +alle Zelte und allerlei sonstige Sachen holen mußten, womit sie den Weg +nach dem Lager auf der andern Seite fortsetzten, während sie den Rest +nachts abholten. + +Unterdessen stellten wir mit Spaten und Brechstangen einen Zickzackweg +für die Kamele her, die außerordentlich langsam einzeln hinaufgeführt +und geschoben wurden; es dauerte stundenlang, obgleich die relative +Höhe keine 200 Meter betrug. Von dem Passe, auf dem eine kleine, mit +Fähnchen geschmückte Steinpyramide steht, haben wir eine entzückende +Aussicht über den ganzen Panggong-tso und im Süden auf die +schneebedeckte Welt von Bergen, die eine Grenzmauer bilden, hinter +welcher das Flußgebiet des Indus liegt. Doch wir blieben keine Minute +länger droben, als unumgänglich nötig war. Ein durch Mark und Bein +dringender Westwind sauste über den Paß hin. Man mußte breitbeinig +stehen, wenn man nicht umgeweht werden wollte, und wenn man seine +Aufzeichnungen macht, muß man dem Winde den Rücken kehren und sich +sputen, damit man fertig wird, ehe einem die Hände vor Kälte steif +sind. Dann eilt man abwärts in der Hoffnung, hinter einem Vorsprunge +Schutz zu finden, sieht sich aber enttäuscht, denn der ganze Westabhang +ist dem Sturme ausgesetzt. Und was für ein Abstieg! Manchmal muß ich +kriechen und mich mit den Händen halten, um nicht in den Abgrund zu +stürzen. Turdu Bai war mit zwei Kamelen vorausgegangen. Ich begegnete +ihm jetzt; ganz ratlos war er umgekehrt. Nach langem Suchen fanden wir +jedoch eine Stelle, wo man einen Weg herstellen konnte. Dies erforderte +aber lange Zeit und ließ sich heute nicht mehr fertigbringen. Es +dämmerte schon, und Turdu Bai und einige der andern mußten die Nacht +über mit allen Kamelen auf halber Höhe des Berges bleiben. Im Lager war +jedoch alles in Ordnung, und früh am nächsten Morgen trafen auch die +Kamele dort ein. + +Am folgenden Tag ging es an diesem endlosen Ufer weiter. Die Yake +waren weit voraus, sie sehnten sich nach Gras. Die Ruderer konnten +nicht wieder nach unserem Ufer zurückkehren, aber wir sahen sie durch +das Fernglas und brauchten ihretwegen nicht besorgt zu sein. In dem +Lager +Serdse+, das auf der Grenze zwischen Tibet und Kaschmir liegt, +erwartete uns eine große, freudige Überraschung. Hier trafen wir die +Entsatzkarawane, die uns auf Befehl des Wesir Wesarat, des Statthalters +des Maharadscha von Kaschmir in Ladak, entgegengeschickt worden war. +Sie war zuerst nach +Mann+ gegangen, einem Dorfe auf dem Südufer +des Sees, Serdse gegenüber. Als wir dort nicht erschienen waren, +war sie umgekehrt, um uns auf dem Nordufer zu suchen. Unsere Lage +veränderte sich mit einem Schlage; 12 Pferde und 30 Yake standen uns +zur Verfügung; Schafe, Mehl, Reis, Dörrobst, Milch, Zucker, Gerste für +unsere Tiere; konnte man mehr verlangen? Meine Karawane, mit der es +Matthäi am letzten war, wurde auf einmal restauriert. Wir brauchten uns +nicht länger Entbehrungen aufzuerlegen, die lange Leidenszeit war jetzt +vorbei, und ich selbst empfand die Unterstützung wie einen warmen Hauch +von Indien, wie einen Gruß aus gastfreundlichen Gegenden, ja, wie eine +Umarmung von meinem eigenen Heim. + +Führer dieser neuen Karawane waren zwei Männer aus Ladak: Anmar Dschu, +der fließend Persisch sprach und mit dem ich mich daher unterhalten +konnte, und Gulang Hiraman, ein klassischer, gemütlicher Herr, der vor +eitel Wohlwollen glänzte; die übrigen Leute waren ebenfalls Ladakis, +nur einer war ein Hindu (Abb. 311, 312). Die letzten Tibeter erhielten +jetzt ihren Abschied und gute Bezahlung, sowie alles, was wir an „altem +Gerümpel“, Kasserollen, Tassen, Kannen und Kleidern entbehren konnten, +ja sogar einen Revolver. Nicht ohne Wehmut sah ich sie fortziehen, +denn sie hatten uns auf vortreffliche Weise gedient, waren ehrlich +und freundlich gewesen und hatten unsertwegen viel Arbeit und Mühe +gehabt. Jetzt sollte die Schlinge, die mich so lange an Tibet gefesselt +hatte, zerrissen werden. Alle unsere Erinnerungen an seine unwirtlichen +Täler, alle unsere Verluste und Leiden würden künftig in versöhnendem +Lichte vor unserem geistigen Auge stehen. Die harten Schicksale und +Schwierigkeiten, die wir zu bekämpfen und zu besiegen gehabt hatten, +würden wir mit der Zeit vergessen. Die Erinnerung haftet mit Vorliebe +an den fröhlichen Ereignissen, und das Böse, das uns trifft, erscheint +nicht mehr so schlimm, wenn die zeitliche und räumliche Entfernung +zunimmt. Als die Sonne an diesem Abend unterging und die dunkle Nacht +im Osten heraufzog, schien sie mir das Land des Dalai-Lama mit all +seinen Geheimnissen und seinen noch ungelösten Rätseln verschlungen +zu haben. Doch in meinen Brieftaschen und Tagebüchern barg ich einen +Schatz, der die Bitterkeit des Abschieds milderte und der über bisher +noch völlig unbekannte Gegenden Tibets Licht verbreiten sollte. + +Die Führer der Entsatzkarawane überraschten mich dadurch, daß sie +mir jeder eine Silberrupie schenkten. Trotz der etwas lächerlichen +Situation begriff ich, daß das Geschenk freundlich gemeint war, und +steckte das Geld in die Tasche -- in der Absicht, es mit Zinsen +zurückzugeben. + +Wir lagerten zusammen an der Quelle, die unmittelbar am Ufer Blasen +werfend aus der Erde sprudelte und +16,2 Grad Temperatur bei -6 Grad +Lufttemperatur hatte; das Wasser dampfte und fühlte sich lauwarm an. +Tausend Fragen über die Verhältnisse in Ladak, Kaschmir und Indien +kreuzten einander, und es wurde spät, ehe wir uns schlafen legten. +Auf einer vorspringenden Landspitze wurde als Signal für Tschernoff +ein gewaltiges Feuer unterhalten. Am folgenden Tage kam er gesund und +munter an, nachdem er zwei Linien gelotet und eine Maximaltiefe von +47,5 Meter gefunden hatte. Nach Leh, wohin wir noch acht Tagereisen +haben sollten, schickte ich Briefe durch einen besonderen Kurier. + +[Illustration: 313. Musikanten und Tänzer in Drugub. (S. 346.)] + +[Illustration: 314. Lager vom 16. Dezember. (S. 346.)] + +[Illustration: 315. Kloster Dschowa. (S. 346.)] + +Bevor ich jetzt zum 15. Dezember übergehe, muß ich erzählen, was aus +Jolldasch wurde, meinem Hunde aus Osch, der die ganze Zeit über mein +Zeltkamerad gewesen war. Er brachte die Nacht wie gewöhnlich auf den +Filzdecken zu meinen Füßen zu; bei Sonnenaufgang sprang er auf, +schüttelte sich und lief hinaus. Er pflegte bis zum Aufbrechen der +Karawane vor dem Zelte in der Sonne zu liegen. Diesmal aber lief er +über die Berge nach Osten und kam nicht wieder. Chodai Kullu sah ihn +in rasender Eile längs der gestrigen Spur zurücklaufen, als sei er von +der Sonne hypnotisiert oder habe alle Mächte der Finsternis hinter +sich. Daß er in dem Zeltdorfe zwischen den Seen intime Bekanntschaften +gemacht hatte, wußten wir, und es mußte ihm dort wohl besser gefallen +haben als in unserer Gesellschaft. Ich hatte ihn während zweier +Tagereisen angebunden, dann aber durfte er wieder frei im Lager +umherlaufen und während des Ruhetages in Serdse spielte er seine Rolle +vorzüglich. Er dachte gewiß: „Ich werde nicht eher durchbrennen, als +bis die Entfernung so groß ist, daß sie es nicht der Mühe wert halten, +mich zurückzuholen.“ Er hatte 50 Kilometer am Ufer des Panggong-tso +zurückzulegen, um zu seiner Liebsten zu gelangen. Es wäre interessant +zu wissen, wie es ihm auf der Flucht ergangen und ob er den Wölfen, +die sicherlich unsere toten Kamele besucht hatten, glücklich entronnen +ist. Ja, es wäre mir eine Freude zu wissen, wie es meinem alten +Reisegefährten jetzt geht. Er ist natürlich ein Vollbluttibeter +geworden; er konnte sich von diesem Lande nicht losreißen, sondern +kehrte gerade an der Grenze wieder um. Ich möchte wohl wissen, ob +er mich und all die Liebe, mit der ich ihn zwei und ein halbes Jahr +behandelt habe, ganz vergessen hat? Mir fehlte er überall, aber in der +Karawane war er Gegenstand allgemeiner Verachtung; alle fanden, daß er +ein feiger, undankbarer Überläufer sei. + +Die Karawane ging jetzt einen nördlicheren Weg, während ich mit Anmar +Dschu, Tschernoff und dem Lama auf einem halsbrecherischen Pfade mit +mehreren schwierigen Pässen am See entlang nach der nächsten Quelle +zog. Als die anderen schließlich auch dort ankamen, brachten sie nur +neun Kamele mit; welch ein Jammer, daß jetzt noch ein letztes sterben +mußte, da wir nun Stroh und Gerste in Menge hatten und die lange Ruhe +an gefüllten Krippen so bald zu erwarten war! + +Nachts schneite es endlich tüchtig, und am 16. ritten wir durch eine +blendend weiße Winterlandschaft. Von dem Passe oberhalb des Lagers lag +der See unter uns wie in einer tiefen Grube, wie ein Graben zwischen +schneebedeckten Bergen. Ich machte einige photographische Aufnahmen, +aber es war hübsch kalt für die Finger, bei -10 Grad und Wind mit der +Kamera zu hantieren; es mußte ein kleines Feuer angezündet werden, +damit ich mich ab und zu wärmen konnte. Und nun verlassen wir den +Panggong-tso, diesen großartigen, reizenden See, reiten über seine +westliche, dünenreiche Sandsteppe, ziehen langsam ein im Südwesten +mündendes Tal hinauf und gelangen auf eine kleine Schwelle, die mit +zwei Steinkisten von prächtigen „Mani“-Platten mit flatternden Wimpeln +geschmückt ist. Diese kleine Schwelle lag in einer Höhe von wenig mehr +als 20 Meter, also nur 2 Millimeter Luftdruckunterschied, über dem See. +Von dort ging es ein energisch ausgemeißeltes, mit Schutt und Blöcken +angefülltes Tal hinab, wo wir am Ufer eines kleinen zugefrorenen Sees, +zirka 60 Meter unter dem Spiegel des Sees, lagerten (Abb. 314). Wir +hatten das Flußgebiet des Indus erreicht, und die Wassertropfen, die +diesem Tale entsprangen, werden sich dereinst nach tausend Kämpfen +in dem Indischen Ozean verlieren. Zweieinhalb Jahre hatten wir uns +in abflußlosen Zentralbecken im innersten Asien bewegt, jetzt waren +wir wieder in Gegenden, die Abfluß nach dem Meere besaßen. Es war ein +befreiendes, erquickendes Gefühl, dies zu wissen; wir entfernen uns +jetzt allmählich von dem höchsten Gebirgslande der Erde. + +Die erwähnte Schwelle ist von großem Interesse, wenn man sie mit +den alten Uferlinien vergleicht, die 54 Meter über dem Panggong-tso +liegen. Der See hat einst einen Abfluß nach dem Indus gehabt, ist +aber später, aus klimatischen Veranlassungen, von diesem Flußgebiete +abgeschnürt worden. Infolgedessen ist er salzig geworden, und die +Süßwassermollusken sind ausgestorben. + +Am 17. nahm ich Abschied von der Karawane, um nach Leh vorauszueilen. +Es war noch stockfinster, als wir aufstanden, aber die munteren +Ladakpferde waren bereits gesattelt. Anmar Dschu, Tschernoff und +Tscherdon begleiteten mich; das Gepäck trugen drei Pferde, die von +einigen Fußgängern getrieben wurden. So sprengten wir in raschem Tempo +fort. Wir mußten ungefähr 40 Kilometer täglich zurücklegen, um in 4 +Tagen Leh zu erreichen, damit ich noch ein Telegramm zum heiligen +Abend nach Hause senden konnte. Es ging jetzt schnell talabwärts. +Gehöfte und bebaute Felder begannen aufzutreten. Bei +Tanksi+, wo wir +andere Pferde erhielten, erhebt sich malerisch auf einem isolierten +Felsen das Kloster +Dschowa+ (Abb. 315). Nachdem es von der Ebene +aus photographiert worden war, ritten wir weiter nach +Drugub+ (3919 +Meter), dem ersten Nachtlager, wo eine ganze Musikantentruppe mit +Trommeln und Flöten und vorgebundenen Masken zu unserer Ehre auf dem +Hofe tanzte (Abb. 313). Es kam mir ganz eigentümlich vor, wieder in +einem Hause zu schlafen! + +Die nächste Tagereise führte bergauf nach immer höherwerdenden +Regionen, denn wir mußten über den schwierigen Paß +Tschang-la+, der +sonst um diese Jahreszeit durch Schnee versperrt ist, in diesem Jahre +aber passierbar war. Der Anstieg ist schwer, alles grau in grau, Block +neben Block. Es dauerte mehrere Stunden, bis wir den Kamm erreichten, +auf dem wir uns wieder in einer Höhe von 5386 Meter befanden. Der +Abstieg ist noch viel steiler. Zwischen Millionen von Granitblöcken +zieht sich der abschüssige Zickzackpfad ins Tal hinunter, und es +war schon pechschwarze Nacht, als wir die Steinhütten von +Taggar+ +erreichten. + +Wie seltsam und merkwürdig war es für uns, wieder überall Menschen +zu treffen, Dorf auf Dorf hinter uns verschwinden und die mit +Steinmauern umfriedigten Ackerfelder immer größer und zahlreicher +werden zu sehen. Tempel thronen auf den Felsen, und der Wind flüstert +in Pappeln und Weiden. Die Kosaken betrachteten mich jetzt mit einer +gewissen Bewunderung; es imponierte ihnen sichtlich, daß ich den Weg +hierher gefunden hatte und von diesen Eingeborenen, von deren Dasein +sie bisher noch nie Kunde erhalten hatten, so freundlich aufgenommen +wurden. Und immerfort ging es hinunter in tieferliegende Gegenden, +in dichtere Luftschichten, mildere Temperatur. Die Steinkisten, jene +seltsamen Opferaltäre, gegen welche die Obo der Mongolen Kleinigkeiten +sind, nahmen an Zahl und Größe zu. Eine solche, die 1½ Meter hoch +und 3 Meter breit war, maß in der Länge nicht weniger als 260 Meter, +und ihre ganze, auf beiden Seiten von einem Erdrücken abfallende +Fläche war voller Steinplatten, in welche „Om mani padme hum“ mit +unglaublicher Mühe eingehauen war. Es muß eine lange Zeit dauern, ehe +ein solches Werk zur Ehre der Götter fertig wird. Die Lamas, die den +ewigen Denkspruch mit unerschütterlicher Geduld in den Stein graben, +trösten sich wohl mit dem Gedanken: wenn wir verstummt sind, werden +die Steine reden. Das Tempelkloster +Dschimre+ liegt wundervoll auf +einem Felsen, und das Dorf am Fuße desselben ist groß und reich. Nach +einer weiteren Reihe von Dörfern gelangen wir an den +Indus+, der in +einem tief eingeschnittenen, gewundenen Bette fließt. Sein klares, +grünes, Stromschnellen bildendes Wasser rauscht wie in einem 50 Meter +tiefen Graben dahin. An der Flußbiegung läuft eine 3 Meter hohe, 9 +Meter breite und 416 Meter, also fast einen halben Kilometer lange +„Mani“-Kiste entlang; verrückte Menschen, welch nutzlose Arbeit! Man +erstaunt immer mehr, je größer die Kisten werden; in einer Reihe +aufgestellt, würden sie eine kleine chinesische Mauer geben. + +Hier an der Flußbiegung kam mir Mirsa Muhammed entgegen, der Naib oder +Sekretär des Täsildars (eingeborener Distriktschef) von Leh. Er war +ein sehr liebenswürdiger, angenehmer Mensch, der fließend Persisch +sprach und mir später viele unschätzbare Dienste leisten sollte. Wir +ritten auf dem rechten Indusufer durch das breite, gewaltige Tal +westwärts nach der Posthalterei von +Tikkse+, wo es in einem Zimmer +einen eisernen Ofen gab. Über dem Dorfe thront erhaben über allen +Erdenlärm das Kloster +Tikkse-gompa+ (Abb. 316, 317). Die Mönche, 40-50 +an der Zahl, hatten die Freundlichkeit, fragen zu lassen, ob ich nicht +lieber bei ihnen wohnen wolle; aber wir hatten es dort unten gut, +und erst am nächsten Morgen machte ich ihnen einen Besuch. Von den +Terrassen und Altanen ihrer für den Pinsel eines Malers so verlockenden +Freistatt hatte man eine entzückende, überwältigende Aussicht über das +gigantische Industal (Abb. 318). + +Während des Rittes nach Tikkse waren uns drei Boten entgegengekommen; +einer von ihnen war eine Frau. Sie trugen ihre Botschaft um das Ende +eines Stöckchens gewickelt. Der eine brachte mir ein Telegramm von +dem jetzt in Sialkut wohnenden englischen Residenten von Kaschmir: +„~Warmest congratulations on safe arrival, message sent to His +Excellency Viceroy, trust arrangements made satisfactory~“. +(Wärmste Glückwünsche zur glücklichen Ankunft; habe Se. Exzellenz +den Vizekönig benachrichtigt; hoffe, daß die getroffenen Anordnungen +zufriedenstellend sind.) + +Von dem Augenblick an, da ich den Fuß auf britisches Gebiet setzte, +wurde ich täglich mit Gastfreundschaft und Artigkeit überhäuft. Als +wir am 20. Dezember müde und bestaubt in +Leh+, der 4000 Einwohner +zählenden Hauptstadt von Ladak (Abb. 319), eintrafen, kam mir ihr +Täsildar entgegen, ein fließend Englisch sprechender, bis auf den +hohen, faltigen, weißen Turban europäisch gekleideter, ungewöhnlich +distinguiert aussehender Hindu namens Jettumal. Er hieß mich auf dem +Gebiete des Maharadscha willkommen und überreichte mir ein artiges +Telegramm vom Wesir Wesarat. Wir ritten zuerst nach dem „Dak-bungalow“ +(Gasthaus, Hotel), das die in Leh weilenden Engländer zu besuchen +pflegen. Dieses Haus war in jeder Beziehung elegant und gemütlich; +dennoch zog ich es vor, in Mirsa Muhammeds Hause zu wohnen, das früher +Missionar Webers Kirche gewesen war, in welchem auch die Kosaken zwei +Zimmer bekommen konnten und wo die Karawane auf einem großen Hofe +reichlich Platz für Menschen und Tiere fand. Hier wurde für mich ein +vortreffliches Zimmer mit Ofen, Teppich, Bett, Tisch und Stühlen +eingerichtet, und hierher brachte Jettumal meine gewaltige Post. Seit +elf Monaten hatte ich kein Wort von Europa gehört und wußte nicht, wie +es zu Hause stand; man kann sich also denken, mit welcher Unruhe ich +die Post mit allen ihren Neuigkeiten öffnete. Ich erbrach zuerst die +letzten Briefe, und nachdem ich mich überzeugt hatte, daß alle meine +Angehörigen noch lebten und gesund waren, konnte ich die Briefe mit +Ruhe in chronologischer Reihenfolge durchgehen. Ich legte mich auf das +schöne Bett und las die ganze Nacht hindurch, und die Sonne stand am +21. schon hoch am Himmel, als ich zur Ruhe ging. Tief schmerzte mich +die Nachricht von Nordenskiölds Tod. + +Schon bei meiner Ankunft hatte Jettumal von „King Edward“ gesprochen. +Ich war erstaunt, hatte ich doch den Namen nie gehört; ich wußte nicht, +daß Königin Viktoria vor beinahe einem Jahre gestorben war! + +[Illustration: 316. Tempelhof in Tikkse. (S. 347.)] + +[Illustration: 317. Lamas in Tikkse mit ihrem Prior (rechts). (S. 347.)] + +[Illustration: 318. Aussicht vom Kloster in Tikkse. (S. 348.)] + +[Illustration: 319. Leh, die Hauptstadt von Ladak. (S. 348.)] + +Das erste aber, was ich tat, als ich nun nach allen Stürmen in Leh +einen Hafen gefunden hatte, war, an König Oskar, an Lord Curzon, den +Vizekönig von Indien, und an meine Eltern zu telegraphieren. Die +freundlichen, aufmunternden Antworten trafen gerade rechtzeitig als +Weihnachtsgaben für mich ein. Das Telegramm des Königs von Schweden +lautete: „Vielen Dank für Ihr Telegramm und die bereits erhaltenen +interessanten Briefe! Ich freue mich herzlich über Ihre glückliche +Ankunft auf britischem Gebiete und hoffe, daß Sie bald heimkehren. Ich +und die Meinen sind gesund. Sie herzlich grüßend, König Oskar.“ + +Von Tscharchlik hatte ich, via Kaschgar, an Lord Curzon geschrieben +und ihn gebeten, bei der Ankunft in Leh eine Anleihe von 3000 Rupien +aufnehmen zu dürfen; diese Summe lag jetzt bereit und wartete auf mich. +Ich hatte auch von der Möglichkeit eines kurzen Besuchs in Indien +gesprochen, und jetzt erhielt ich einen langen, liebenswürdigen Brief +des Vizekönigs, der mit den Worten schloß: + +„Ich habe Ihnen nur einen Vorschlag zu machen, und der ist, daß Sie +nach Kalkutta kommen, wo ich mich vom Januar bis Ende März aufhalte, +und mir das Vergnügen machen, Sie als meinen Gast im Government House +zu begrüßen und aus Ihrem eignen Munde zu hören, was Sie alles gesehen +und ausgeführt haben.“ + +Nachdem ich geantwortet und diese liebenswürdige Einladung dankbar +angenommen hatte, telegraphierte Lord Curzon: + +„~Congratulate you upon your safe arrival after most arduous journey +and great discoveries. Am delighted that we shall see you here. +Viceroy.~“ (Gratuliere Ihnen zu ihrer glücklichen Ankunft nach der +sehr anstrengenden Reise und den großen Entdeckungen. Bin entzückt, daß +wir Sie hier sehen werden. Vizekönig.) + +Ich sollte also einen kurzen Besuch in Indien machen und Lord Curzon +(Abb. 320) wiedersehen, den ich seit mehreren Jahren kannte und der +auch zugegen gewesen war, als ich in London im Dezember 1897 in der +~Royal Geographical Society~ einen Vortrag über meine vorige +Reise hielt. Da es sich aber um einen Ritt von 400 Kilometern nach +Srinagar, der Hauptstadt von Kaschmir, handelte, glaubte ich mir eine +zehntägige Ruhe gönnen zu dürfen, ehe ich nach der Sommerhitze im +Märchenlande aufbrach. Die Tage verrannen nur zu schnell. Ich wurde +von den in Leh ansässigen Missionaren Ribbach und Hettasch und ihren +Frauen mit Freundschaftsbeweisen und Gastfreundschaft überhäuft, +ebenso von Miß Baß und dem Missionsarzt E. Shawe, der sich der +Kranken in meiner Karawane mit unendlicher Freundlichkeit annahm. +Täglich besuchte ich die Missionare und ich habe selten eine Station +gesehen, die so musterhaft geleitet wird und so vielversprechende +Früchte gezeitigt hat. In dem netten kleinen Kirchensaale feierten wir +zusammen Weihnachten. Der Saal strahlte hell im Kerzenscheine, und der +Weihnachtsbaum mit seinen zahllosen kleinen Wachslichtern gemahnte +mich an viele unvergeßliche liebe Kindheitserinnerungen aus meiner +nordischen Heimat. Ribbach predigte in der Ladakisprache, und beim +Gesang stimmte die andächtig lauschende, festlich gekleidete Schar +ein, die das kleine Gotteshaus dicht gedrängt füllte. Ich bin selten +bei einem so ergreifenden, feierlichen Gottesdienst zugegen gewesen, +obwohl ich von dem, was Ribbach sagte, nicht ein Wort verstand. Der +freundliche Glanz der Christbaumlichter nahm meine Sinne gefangen, die +weichen Orgelklänge berauschten mich, -- ich hatte ja so unendlichen +Grund zur Dankbarkeit, jetzt da alle unsere Mühseligkeiten zu Ende +waren und ich mich wieder unter Europäern befand! + +Am ersten Weihnachtstage langte meine Karawane an. Die letzten neun +Kamele hatten den Paß Tschang-la glücklich überwunden. Jetzt sollten +sie sich ausruhen und herrlichen frischen Klee zu fressen erhalten; +ihre Krippen sollten beständig davon duften, sie sollten wie unsere +eigenen Kinder gepflegt und für alles, was sie durchgemacht hatten, +belohnt werden. Sie sahen ängstlich und erstaunt aus, als sie durch den +Straßenlärm zogen (Abb. 321); aber auf unserem stillen Hofe fühlten sie +sich bald heimisch, und ich sah ihre Augen vor Freude glänzen, als sie +den Duft des reichlichen, saftigen Futters verspürten. Die Bewohner der +kleinen Stadt, die wohl noch nie Kamele gesehen hatten, kletterten auf +die Mauern des Hofes und betrachteten diese seltsamen, langhalsigen, +buckligen Tiere mit größtem Erstaunen. + +Jetzt wurde folgender Entschluß gefaßt. Während meiner Reise nach +Indien sollte sich die Karawane ausruhen. Dazu brauchte ich nur drei +von den Muselmännern zu behalten, und es paßte daher gut, daß die +übrigen baten, sofort über das Kara-korum-Gebirge und Jarkent nach +Hause zurückkehren zu dürfen. Sie erhielten ihren Lohn mit großer +Zulage und außerdem Kleider, Proviant und je ein Reitpferd als +Geschenk. Ich mietete für sie einen Mann aus Jarkent als Karakesch, +der es übernahm, sie für eine bestimmte Summe nach Jarkent zu bringen. +Als Sirkin, der sich nach Frau und Kindern sehnte, fragte, ob er sie +begleiten dürfe, erlaubte ich ihm dies um so lieber, als er dann Briefe +an Generalkonsul Petrowskij, bei dem sich meine früher gemachten +Sammlungen befanden, überbringen konnte. Hier verließen uns also Mollah +Schah, Hamra Kul, Turdu Ahun, Rosi Mollah, Li Loje, Almas, Islam, Ahmed +und Ördek, der den besonderen Auftrag hatte, Sirkins Diener zu sein. +Mit ihren Packpferden, dem Führer und seinen beiden Dienern bildeten +sie eine recht ansehnliche Karawane, als sie am 29. Dezember von Leh +fortritten. Trotzdem Sirkin sich aufrichtig nach Hause sehnte, vergoß +er doch bittere Tränen, als ich ihm zu einem langen Lebewohl die Hand +reichte und ihm für alle die Dienste dankte, die er mir während dieser +Jahre geleistet hatte. + +Schließlich wurde alles zum Aufbruch bereit gemacht. Tschernoff wurde +Chef des Winterquartiers in Leh, Tscherdon Meteorologe, Turdu Bai, +Kutschuk und Chodai Kullu, die besten der Muselmänner, sollten die +Kamele, die Maulesel und mein altes Reitpferd pflegen. Sie erhielten +eine reichliche Geldsumme zur Bestreitung der Haushaltkosten, und +Jettumal versprach, dafür zu sorgen, daß es ihnen an nichts fehle. +Auch ~Dr.~ Shawe und die übrigen Missionare wollten sich während +meiner Abwesenheit meiner Leute annehmen. Der Lama, der ebenfalls dort +blieb, stand bald auf vertrautem Fuße mit Herrn Ribbach, der sich für +den jungen Priester sehr interessierte. Schagdur nahm ich, nachdem +ich vom Vizekönig die Erlaubnis dazu erhalten hatte, mit nach Indien. +Ich versprach mir ein ganz besonderes Vergnügen davon, Zeuge der +Verwunderung des braven Kosaken zu sein über alles, was er in jenem +wunderbaren Lande erblicken würde. + + + + +Achtundzwanzigstes Kapitel. + +Ein Besuch in Indien. + + +Ich würde nun meinen Bericht schließen können, da wir alte, +wohlbekannte Gegenden erreicht haben, die schon vor mir und besser von +vielen Reisenden mit klassischen Namen beschrieben worden sind. Wenn +ich dennoch einige Schlußworte hinzufüge, geschieht es, damit der Leser +meine Spur nicht vollständig verliere und gänzlich im Stiche gelassen +werde, während wir noch im Inneren des großen Kontinents sind, welches +durch den „Wohnsitz des Winters“, den Himalaja, von dem warmen Meere +getrennt wird. Es soll jedoch schnell gehen; vermutlich sehnt sich der +Leser ebenso aufrichtig wie ich danach, dieses Reisewerk hinter sich zu +haben. + +Am Morgen des 1. Januar 1902 stampften vier kleine, muntere Ladakpferde +vor meiner Tür. Ich und Schagdur bestiegen zwei von ihnen, die anderen +trugen unser Gepäck und wurden von Fußgängern getrieben; Mirsa Muhammed +war von Jettumal beauftragt worden, mich zu begleiten. + +Wie wunderlich und ungewiß ist doch das Leben, wie viel rätselhafter +der Tod! Ich sollte keine Gelegenheit haben, dem Täsildar Jettumal für +die vielen Dienste, die er uns leistete, zu danken, denn bei meiner +Rückkehr nach Leh war er schon tot und verbrannt und seine Asche in die +heiligen Wellen des Ganges gestreut! + +[Illustration: 320. Se. Exzellenz George Nathanael Lord Curzon, +Vizekönig von Indien. (S. 349.)] + +[Illustration: 321. Ankunft der einzigen überlebenden Kamele in Leh. +(S. 350.)] + +Wir hatten bis +Srinagar+, der Hauptstadt und Sommerresidenz des +Maharadscha, 400 Kilometer in 16 Stationen zurückzulegen. Auf jeder +Station (Bungalow, Pangla) werden die Pferde gewechselt, manchmal +noch öfter; man kann daher so schnell reisen, wie man will. Was mich +betrifft, so war ich zu müde, um draufloszustürmen, und legte selten +mehr als eine Station pro Tag zurück, so daß wir nach elf Tagen in +Srinagar ankamen. Zuerst reiten wir nach +Niemo+ hinunter, dann geht +es durch die an Apfel- und Aprikosenbäumen reichen Felder und Gärten +von +Saspul+. Der Indus ist zwischen gewaltigen, wohl 500 Meter hohen +Terrassen eingeschlossen, der Weg läuft auf dem rechten Ufer, und +die Bilder, die sich nacheinander entrollen, sind großartig; es ist +ein wahrer Kunstgenuß, die Meisterwerke zu betrachten, die die +Erosionskraft des Wassers hervorgebracht hat. Bald fließt der Indus +langsam und ruhig und ist dann breit und tief, bald verengt sich das +Bett, und der Fluß bildet schäumende Stromschnellen und wälzt sich mit +betäubendem Getöse über abgestürzte Steinblöcke. Gelegentlich ist der +Fluß auch zugefroren, und die natürlichen Brücken werden dann von den +Eingeborenen benutzt. Schwindelnd hoch und schmal schlängelt sich der +Pfad an dem launenhaften Relief der Bergseite hin; ja bisweilen ist er +so schmal, daß man einem Entgegenkommenden nicht ohne Gefahr ausweichen +könnte; unsere Kulis eilen dann bis zur nächsten Biegung und stoßen +durchdringende Rufe aus, um den Weg freizuhalten. + +Bei +Kalatschi+ lassen wir das Industal rechts von uns liegen. Wir +dringen gleichsam in die dunkeln Säle des Gebirges ein. Der Pfad ist +oft gefährlich, zieht sich bald auf der einen, bald auf der anderen +Talseite hin und geht auf kleinen, schwankenden Holzbrücken über einen +Fluß. + +Hinter der Brücke von +Sampa-nesrak+ entspringt eine Quellader aus +der Felswand, und das von ihr gebildete Eis bedeckte den Weg wie eine +flache Glocke. Hier glitt das eine Packpferd aus und wäre den Berg +hinuntergerollt, wenn ich es nicht in demselben Moment, als es über den +Wegrand rutschte, am Schwanze gepackt und festgehalten hätte, bis die +anderen zu Hilfe kamen. + +Das Lamakloster +Lamajuru+ hat eine höchst eigentümliche, malerische +Lage; es ist auf dem Gipfel einer von tiefen Furchen durchschnittenen +Geröllterrasse erbaut; es kann nur eine Frage der Zeit sein, wann es +in die Tiefe stürzen wird, wo, wie stets in Tempelnähe, eine unzählige +Menge Votivdenkmäler (Tschorten) errichtet sind. + +Am 4. Januar hatten wir über die beiden Pässe +Fotu-la+ (4100 Meter) +und +Namika-la+ (3965 Meter) zu reiten, ehe wir in dunkler Nacht Dorf +und Bungalow +Mullbeh+ erreichten. Unser Einzug in diesen kleinen Ort +war ziemlich phantastisch. Eine ganze Reihe von Fackelträgern zog +vor uns her, und von ihren brennenden Fackeln sprühten die Funken +kometenschweifartig, und die Aprikosenbäume streckten ihre feuerroten +Zweige zum pechschwarzen Himmel auf. + +In +Kargil+, wo wir es mit einem neuen liebenswürdigen, freundlichen +Täsildar zu tun hatten, war ich erstaunt, von etwa vierzig festlich +gekleideten jungen Mädchen bewillkommnet zu werden. Jede trug eine +Schüssel mit etwas Eßbarem; es ist dortzulande Brauch, daß der +Fremdling jede Schüssel anrührt -- und dabei, wenn er will, einige +Silberannas in das Essen legt. Durch ein Telegramm erfuhren wir, daß +der Paß Sodschi-la jetzt nicht für gefährlich galt. In Leh hatte man +mir gesagt, daß er den Winter hindurch beinahe stets unpassierbar +sei und ich wahrscheinlich davor würde umkehren müssen. Diesen Winter +aber war der Schneeniedergang außergewöhnlich gering, und durch den +Telegraphendraht, der über den Paß läuft, konnten wir an mehreren +Punkten Auskunft erhalten. Von Kargil nahmen wir einen Ladaki namens +Abdullah mit, der die Turki- oder, wie man hier sagt, Jarkendisprache +beherrschte und ein außerordentlich zuverlässiger Führer war. In +dem Dorfe +Dras+ bekamen wir etwa fünfzig Kulis, die den schmalen, +eisbedeckten Weg mit Brechstangen und Spaten verbessern sollten. Das +Stationshaus +Mattschui+ liegt ganz in der Nähe des Passes, -- ein +Segen für diejenigen, die eingeschneit werden. Dies passierte vor +einigen Jahren, als das Haus noch nicht erbaut war, dem früheren Wesir +Wesarat von Ladak. Er mußte mit einer großen Anzahl Kulis zwei Monate +dort bleiben und wäre vor Hunger beinahe umgekommen. Er hatte sich +durch Erpressungen verhaßt gemacht, und die Bevölkerung auf beiden +Seiten des Passes freute sich darüber, daß er für eine Weile festsaß. + +Am 9. Januar gingen wir über den +Sodschi-la+, den schlimmsten Paß, +den ich je kennen gelernt habe, obgleich seine Höhe nur 3500 Meter +beträgt, er also 2000 Meter niedriger ist als die tibetischen Pässe, +mit denen wir zu tun gehabt haben. In Mattschui ließen wir unsere +Pferde zurück und gingen zu Fuß in dem Schnee, der nach der -22 Grad +kalten Nacht munter knarrte. Die Ladakis banden uns eine Art weicher +Schneeschuhe an die Stiefel, damit wir nicht ausgleiten sollten. +So stapften wir in ihren Spuren nach der außerordentlich flachen, +beinahe unmerklichen Paßschwelle. Nicht weit hinter dieser geht es +jedoch kopfüber einen jähen Abhang in Hunderten von Zickzackbiegungen +nach dem Stationshause +Baltal+ hinunter. Da heißt es aufpassen und +nicht das Gleichgewicht verlieren, -- ein einziger Fehltritt, und man +würde in die Tiefe stürzen und dort zerschmettert werden. Der Schnee +ist in der Sonne aufgetaut und dann wieder gefroren, so daß er eine +gefährliche Eisstraße bildete, in die unsere Kulis Kerben schlugen. +Der Paß Sodschi-la ist eine wichtige orographische und klimatische +Grenzschranke zwischen Tibet und Kaschmir. Steht man auf seiner +Schwelle, so hat man das Tal von Baltal unter sich und freut sich, den +dunkeln Nadelholzwald zu sehen und sein geheimnisvolles, nordisches +Rauschen zu hören. + +Ich werde nicht versuchen, die hinreißende Landschaft zu beschreiben, +die wir in den beiden letzten Tagen durchritten: dunkelgrüne +Wälder, malerische Dörfer, schäumende Flüsse, pittoreske Brücken, +ein Hintergrund von blendenden Schneebergen und über dem Ganzen +ein türkisblauer Himmel. Die Beschreibungen, die ich von Kaschmirs +schönen Tälern gelesen habe, erschienen mir matt, als ich sie mit der +Wirklichkeit vergleichen konnte. + +In +Srinagar+ wurde ich mit echt englischer Gastfreundschaft von +Captain E. Le Mesurier und seiner liebenswürdigen Gattin aufgenommen +und verbrachte bei ihnen zwei unvergeßliche Tage. Am 14. Januar +stand die erste Tonga, ein zweiräderiger Wagen, auf dem Hofe bereit. +In Srinagar waren wir in 1600 Meter Höhe; jetzt sollten wir über +zwei kleinere Pässe immer tiefere Gegenden und schließlich Indiens +sommerheiße Ebenen erreichen. Der Weg führt zuerst durch das Jelumtal, +dann über den Murreepaß und darauf nach Rawal-pindi. Er ist ein +Meisterstück der Wegebaukunst. + +Es ist ein raffiniertes, beinahe wildes Vergnügen, diese tausend +Krümmungen in schwindelnder Fahrt zurückzulegen. Die Tonga wird von +zwei mittelgroßen Rädern getragen und ist mit Dach und Seitenvorhängen +versehen. In der Mitte sind zwei Sitze mit gemeinsamer Rücklehne. Auf +dem vorderen saßen der Kutscher und ich, auf dem hinteren Schagdur mit +dem Gepäck. Die starke, ein wenig aufwärtsgebogene Deichsel trägt an +ihrem äußersten Ende ein Querholz, das mit Riemen an den Sattelkissen +der Pferde befestigt wird. Dank dieser praktischen Einrichtung geht +der Pferdewechsel in zwei, drei Minuten vor sich. Die Entfernung +zwischen zwei Stationen beträgt selten mehr als eine halbe Stunde. Ein +paar Minuten vor der Station bläst der Kutscher auf seinem Horn ein +kurzes, angenehm klingendes Signal, und wenn wir dann vor das Haus +sprengen, steht das neue Pferdepaar schon bereit. Das Querholz wird den +schnaubenden, dampfenden Pferden abgenommen, die neuen werden unter +die Enden der Querdeichsel gestellt, die Riemen werden geschnürt, und +dann eilen die lebhaften, halbwilden Tiere davon. Sie stürmen mit so +wahnsinniger Geschwindigkeit vorwärts, daß man unwillkürlich das Gefühl +hat, es könne jeden Augenblick eine Katastrophe eintreten. Gewöhnlich +muß der Kutscher sich viel mehr bemühen, die Pferde zurückzuhalten, +als daß er nötig hätte, sie anzutreiben, und ich bin mir nicht immer +darüber klar, ob sie durchgehen oder ob alles Absicht ist. Solange +wir von Srinagar nach Baramullah durch offene Felder fuhren, war es +nicht gefährlich, doch als sich der Weg nachher auf den Gehängen des +Jelumtales hinschlängelte, hatte man Gelegenheit, schwindelig zu +werden, wenn man dazu neigt. Die Pferde rasen vorwärts; rechts von uns +geht es senkrecht nach dem in der Tiefe rauschenden Flusse hinunter, +nur eine zwei Fuß hohe Brustwehr trennt uns von dem jähen Abgrund; vor +uns scheint der Weg auf einmal ein Ende zu nehmen, doch dies kommt +davon, daß er in scharfem Winkel nach links abbiegt. Man meint, der +Kutscher müsse verrückt sein, daß er die Pferde nicht zügelt und +langsamer fährt; die wilde Jagd geht gerade nach dem Abgrunde hin, und +wenn auch die Pferde allenfalls noch um die Ecke zu schwenken vermögen, +so muß doch der Wagen umkippen und über die niedrige Brustwehr +geschleudert werden. Im letzten Augenblick vermindert sich indessen die +Geschwindigkeit, es geht ganz glatt um die Ecke, und man ist erstaunt, +daß man lebendig an ihr hat vorbeikommen können. Vor solchen Ecken +ertönen stets die hellen Klänge des Jagdhorns als Warnungssignal, falls +von der anderen Seite eine Tonga mit ebenso wütender Fahrt auf die Ecke +losstürmen sollte. + +In der Nähe des +Murreepasses+ war der Nadelholzwald dicht, wodurch +das Großartige dieser Fahrt, die unter seinem prachtvollen, schattigen +Gewölbe hinstürmte, noch erhöht wurde. Vom Passe ahnen wir im Süden die +Ebenen des Pendschab; mit gleicher schwindelnder Fahrt eilten wir nach +immer tieferen Gegenden hinab, immer dichter werden die Luftschichten, +immer linder die milden Windhauche, die bei Sonnenuntergang die Hügel +umspielen. Es war schon dunkel, als das letzte Pferdepaar unsere +Tonga durch die langen, geraden Straßen von +Rawal-pindi+ führte. Wir +fuhren direkt nach der Eisenbahnstation, denn es fehlte nur noch eine +Stunde bis zum Abgang des Zuges. Es klingt seltsam, wenn man wieder +die schrillen Pfiffe der Lokomotive hört, nachdem man jahrelang an den +Frieden und die Stille der Einöden gewöhnt gewesen ist! + +In +Lahore+ blieb ich drei Tage -- inkognito, denn ich hatte in meinem +ganzen Gepäck nicht einmal einen Strumpf, mit dem ich mich vor den +Leuten hätte sehen lassen können. Hier kleidete ich mich vom Scheitel +bis zur Sohle neu ein und war im Handumdrehen wieder ein vollkommener, +wenn auch ein wenig wettergebräunter, sonnverbrannter Gentleman! Jetzt +war kein Inkognito mehr nötig; den letzten Abend war ich zu einem +glänzenden Diner bei Sir W. Mackworth Young, dem Vizegouverneur des +Pendschab, und mir war zumute, als sei ich mein ganzes Leben lang nie +etwas anderes gewesen als ein Salonlöwe! + +[Illustration: 322. Schneesturm auf dem Passe Sodschi-la. (S. 363.)] + +[Illustration: 323. Tempelhof in Hemis. (S. 365.)] + +[Illustration: 324. Portal von Doggtsang Raspas Tempelsaal. (S. 366.)] + +Was soll ich von +Lahore+, +Dehli+, +Agra+, +Lucknow+ und +Benares+ +sagen? Nichts! Ich überlasse es denjenigen, die zum Studium dieser +märchenhaft wunderbaren Städte Zeit gehabt haben, über jede von +ihnen Bände voll zu schreiben. Ich passierte sie wie ein Zugvogel +und blieb in jeder nur einen oder ein paar Tage. Ich flog wie eine +Wildente über den Tadsch Mahal, fand aber auf der Durchreise noch +Zeit, diese Grabmoschee Schah Dschahans als das schönste Kunstwerk, +das ich je erblickt habe, anzustaunen und zu bewundern. Alles, was +ich in Konstantinopel, Ispahan, Mesched und Samarkand gesehen habe, +verschwindet und verbleicht dagegen. Es ist ein Sommertraum in weißem +Marmor, eine Luftspiegelung von versteinerten Wolken. Und Benares! +Nie vergesse ich die Bootfahrten, die ich längs seiner Kais und Treppen +machte, jener Treppen, wo Tausende von Pilgern jeden Morgen bei +Sonnenaufgang baden, um Gesundheit und Kräfte wiederzugewinnen, und die +Brahminen, die dem Flusse huldigen und hier ihre Gebete verrichten, und +die Greise, die hierherreisen, um an dem heiligen Ganges zu sterben. +Nichts läßt sich mit einer Ruderfahrt im Mondschein auf dem Ganges +vergleichen; tausend Phantasien und Träume aus der Märchenwelt von +Benares bestürmen den Fremdling in der Stille der Nacht. + +Schagdurs immer größer werdendes Staunen war für mich eine Quelle +großen Vergnügens. Einem burjatischen Kosaken aus Sibirien muß +alles, was er in den alten Residenzen des Großmoguls, unter Palmen, +in Pagoden, sowie in den von einer bunten, lärmenden Menschenmenge +erfüllten Basaren erblickt, im höchsten Grade imponieren. Er +befragte mich über alles, was er sah, teilte mir seine Gedanken und +Beobachtungen mit und konnte keine Worte finden, um sein Erstaunen +und seine Bewunderung auszudrücken. Als wir in +Lucknow+ einem Zuge +Elefanten begegneten, wollte er kaum seinen Augen trauen und fragte +mich, ob diese Kolosse wirklich lebendige Tiere oder nicht vielmehr +eine besonders konstruierte Art von Lokomotiven seien. Um ihn zu +überzeugen, ließ ich eines der Tiere stehenbleiben, kaufte in einer +Basarbude in der Nachbarschaft ein Bündel Zuckerrohr und fütterte +das Vieh. Als dieses erst jedes Rohr mit dem Rüssel reinigte und +die weniger gutschmeckenden Teile abbrach, um dann den Rest mit +virtuosenhafter Eleganz zu verzehren, sah Schagdur ein, daß der Elefant +ein wirkliches, lebendiges Tier war. + +Am 25. Januar kam ich frühmorgens in +Kalkutta+ an und wurde in einer +vizeköniglichen Equipage mit vier Lakaien in rotgoldener Uniform +und hohen weißen Turbanen vom Bahnhof abgeholt. Ein zweites Gefährt +beförderte Schagdur und das Gepäck. Wir fuhren direkt nach dem +Government House, wo mir meine Wohnung angewiesen wurde. Niemals habe +ich so vornehm residiert wie in der Residenz des Vizekönigs von Indien. +Die Salons sind mit wertvollen Kunstgegenständen geschmückt, man geht +auf weichen indischen Teppichen, die Wände verschwinden unter großen +Ölbildern von Großbritanniens Monarchen, indischen Maharadschas und +persischen Schahen, alles prunkt in einem Meere von elektrischem Licht. +Mein riesiges Schlafzimmer hatte seinen eigenen Balkon, der unter +einer mächtigen Markise in kühlem Schatten schwebte. Berauscht vom +Palmendufte des Parkes konnte ich mich an der großartigen Aussicht über +Kalkutta erfreuen und den Blick weithin bis an das Dschungel des Hugli +schweifen lassen. + +Der Tag meiner Ankunft war ein Sonntag, und mir wurde sofort von +einem Adjutanten mitgeteilt, daß „~His Excellency, the Viceroy~“ mich +auf +Schloß Barrakpore+, zwei Stunden flußaufwärts, erwarte. Bei +schönem Sommerwetter und einer leichten, erfrischenden Brise fuhr ich +nach dem Frühstück mit einer Dampfbarkasse hin und hatte dort die +liebenswürdigste Gesellschaft, die man sich nur wünschen kann. + +Eingebettet in einen tropisch schönen Park und geschmückt mit englisch +vornehmer und geschmackvoller Pracht öffnete Barrakpore den anlangenden +Gästen die Tore der Gastfreundschaft. Die Wirte erwarteten uns mit +ihren beiden kleinen reizenden Töchtern und ihrem Gefolge in dem kühlen +Schatten einer gewaltigen Laube, und Lord Curzon begrüßte mich so +liebenswürdig und warm wie ein alter Freund; er stellte mich seiner +charmanten Gemahlin vor, der schönsten und sympathischsten Dame, +die ich je kennengelernt habe. Beim Lunch brachte er in schäumendem +Champagner ein Hoch auf mich aus und gratulierte mir zu den gewonnenen +Resultaten und den glücklich überstandenen Mühen. Nachdem wir einige +Stunden über geographische Fragen gesprochen hatten, wurde ich von Lady +Curzon zu einer Spazierfahrt in die Umgegend aufgefordert, und meine +Wirtin führte dabei die Zügel mit ebensoviel Grazie wie Sicherheit. + +Die zehn Tage, die ich in Lord und Lady Curzons Hause Gast zu sein die +Ehre hatte, gehören zu meinen liebsten und schönsten Erinnerungen. +Nicht allein, daß ich täglich mit Freundschaft und Gastfreundschaft +überhäuft wurde, nein, ich fand auch in meinem Wirte, der einer der +ersten jetzt lebenden Kenner der Geographie Asiens ist, einen Mann, +der meine Reise mit dem sachverständigsten und lebhaftesten Interesse +erfaßte. + +In Europa macht man sich kaum einen Begriff davon, was es heißen +will, Vizekönig von Indien zu sein und beinahe souveräne Macht über +dreihundert Millionen Untertanen zu besitzen, also fast ebenso viele, +wie allen Monarchen Europas zusammengenommen gehorchen. Es ist eine +glänzende, eigenartige Stellung, und man bewundert ein Reich, das +seinen Söhnen Gelegenheit geben kann, nach solchen Posten zu streben. + +Lord Curzon fühlt die auf ihm lastende Verantwortung und faßt +seinen Beruf mit tiefem Ernste auf, er opfert ihm alle seine Zeit +und Kräfte. Er gönnte sich keine Ruhe, er war wie festgenagelt an +seinen Schreibtisch und machte nur bei den Mahlzeiten eine kleine +Arbeitspause. Mit Sport und eiteln Vergnügungen verlor er keine Stunde, +-- als wir einmal zusammen das Theater besuchten, wo der Vizekönig mit +der Nationalhymne begrüßt wurde, verschwand er noch vor Schluß des +ersten Aktes, um in sein Arbeitskabinett zurückzukehren. Wir nahmen +einmal alle Kartenblätter, wohl hundert, die ich von Ladak mitgebracht +hatte, durch; jedes Blatt wurde besonders geprüft, und Lord Curzons +Urteil konnte mir nur in höchstem Grade schmeichelhaft und erfreulich +sein. + +Während meines Aufenthalts wurden ein paar Festdiners und große Bälle +im Government House gegeben, das in blendender Pracht strahlte; es ging +bei dieser Gelegenheit ebenso glänzend her wie an einem europäischen +Fürstenhofe. Eines Tags kamen ein deutsches und ein österreichisches +Kriegsschiff den Hugli herauf, was Veranlassung zu einem Frühstück +für die Offiziere im Government House gab, dem mehrere Feste auf den +Schiffen und im deutschen Klub folgten. + +Wohl hatte ich während meiner neunjährigen Wanderungen in Asien +mancherlei erlebt, aber noch keinen solchen Kontrast, wie ich ihn +jetzt durchmachte. Zweieinhalb Jahre lang hatte ich, von der Welt +abgeschnitten, in den Wüsten und Gebirgen des innersten Asiens gelebt +und Strapazen und Entbehrungen jeglicher Art ertragen müssen, und jetzt +befand ich mich inmitten der verfeinertsten Zivilisation, die man sich +denken kann. Nach Jahren der Einsamkeit wurden jetzt bei jedem Schritt +neue Bekanntschaften gemacht. Eben noch wanderte ich bei 30 Grad Kälte +über 5000 Meter hohe Gebirge, wo nur das Archari und der wilde Yak ihre +Nahrung finden, und jetzt wandelte ich in lauter Wärme und Licht unter +den Palmen an der Küste des Indischen Ozeans. Eben noch hatten wir die +schmutzigen, rauchigen Zelte der Tibeter besucht, jetzt entzückten +mich in englischen Salons der Duft schwellender Rosen, liebenswürdige +Damen und Musik. Die Tibeter hatten mich wie ein verdächtiges, +gefährliches Individuum behandelt, in Indien ertrank ich beinahe in +Gastfreundschaft; jedesmal, wenn ich einen Ort verließ, mußte ich mich +aus freundlichen Armen losreißen, um am nächsten wieder mit offenen +Armen aufgenommen zu werden. Überall fühlte ich mich „~at home~“, +und es wurde mir stets schwer, meine neuen Freunde zu verlassen; dieses +ewige Abreisen und Abschiednehmen breitete einen Wehmutsschleier über +eine sonst so angenehme, erinnerungsreiche Reise. + +Die indische Presse hatte mir so viel liebenswürdige Aufmerksamkeit +geschenkt, daß ich mit Einladungen buchstäblich überhäuft wurde -- nach +Dardschiling, Ceylon, Mysore, Peschawar, zu meinem alten Freunde von +Kaschgar (1890) Major Younghusband, nach schwedischen Missionsstationen +usw. Doch ich durfte meine Karawane und die Kosaken, die mich in Leh +erwarteten, nicht vergessen. Einigen Einladungen konnte ich allerdings +nicht widerstehen, und mein Aufenthalt in Indien wurde dadurch etwas +verlängert. Leider war mein prächtiger treuer Kosak Schagdur am +Fieber erkrankt und während des ganzen Aufenthalts in Kalkutta sehr +schwach. Er lag im Parke in einem geräumigen, eleganten Zelte -- mit +Bretterfußboden, Badezimmer und elektrischem Licht -- und wurde vom +Leibarzt des Vizekönigs, Oberst Fenn, selbst und dem Assistenzarzte +Emir Baksch behandelt. In ihrer Pflege mußte ich Schagdur zurücklassen, +als ich südwärts reiste. Wir wollten uns in Rawal-pindi wiedertreffen. + +Nach herzlichem Abschied von Lord und Lady Curzon verließ ich am 5. +Februar Kalkutta und reiste nach +Secundrabad+ bei Hyderabad. Ich hatte +eine Einladung meines vortrefflichen ritterlichen Freundes von der +Pamirgrenzkommission im Jahre 1895, Oberst McSwiney, angenommen. Er war +jetzt nach dem Militärlager +Belarum+ im Gebiet des Nizam, wo ungefähr +8000 Mann englische Truppen stehen, versetzt worden. Es waren drei +angenehme Tage, die ich in McSwineys Hause verlebte. + +In +Bombay+ war ich eingeladen worden, bei dem Gouverneur Lord +Northcote und seiner Gattin zu wohnen. Auch die vier in ihrem Heim +verbrachten Tage gehören zu meinen angenehmsten Erinnerungen. Meine +Wohnung lag auf der äußersten Spitze von Malabar Point; ringsumher +hatte ich den unendlichen Ozean. Es war mir, als sei ich an Bord eines +Schiffes -- ein seltsames Bild für den, der jahrelang im Inneren +des großen Asien gelebt hat. Ich wurde nicht müde, dem rauschenden +Sange der Wellen am Fuße des felsigen Vorgebirges zuzuhören. Wie gern +hätte ich mich von ihnen über die Meere nach meiner alten Heimat +tragen lassen, statt, wie jetzt, noch einmal durch den Kontinent zu +ziehen und nach den schweigenden, unwirtlichen Gebirgen in Westtibet +zurückzukehren! Die Postdampfer fuhren von Zeit zu Zeit unmittelbar +unter dem Vorgebirge vorbei; sie gingen direkt nach Europa, und auf +ihrem Deck konnte ich geraden Weges dorthin gelangen. Ich hatte von +Asien genug und es graute mir davor, wieder quer durch die alte Welt +ziehen zu müssen -- auf dem Landwege von Bombay nach Petersburg und +Stockholm! Es erforderte eine gute Portion Energie, um der Versuchung +nicht nachzugeben. Aber ich konnte die Kosaken und die Karawane nicht +verlassen und das Resultat meiner Reise nicht allen Winden preisgeben, +sondern mußte alles in Sicherheit bringen, ehe ich mich ruhig fühlen +durfte. Ich nahm also Abschied von Lord und Lady Northcote und kehrte +nach Dehli zurück. + +Die Reise nach Rawal-pindi machte ich mit nur zwei kurzen +Unterbrechungen. In +Dschaipur+ holte mich die Equipage des Maharadscha +ab, und ich machte auf einem seiner prachtvoll geschmückten Elefanten +einen herrlichen Ausflug nach den Ruinen von +Amber+. In Dschaipur sind +alle Häuser rosenrot, alle Einwohner rot oder rosa gekleidet, -- man +muß an das Morgenrot in einem Rosengarten denken. + +[Illustration: 325. Doggtsang Raspa. (S. 366.)] + +[Illustration: 326. Lama in Maske. (S. 367.)] + +[Illustration: 327. Der Prior von Hemis. (S. 365.)] + +[Illustration: 328. Lama in Festkleidung. (S. 367.)] + +Der Maharadscha von Kapurtala hatte mich telegraphisch nach seinem +Schlosse in +Kartarpur+ eingeladen, wo ich zwei schöne Tage verlebte +und in Gesellschaft Seiner Hoheit Ausflüge zu Wagen, Boot und +Elefant machte. Ganz im selben Stile feierte er meinen Geburtstag +auf seinem Schlosse mit Tafelmusik und schäumendem Champagner. Der +Aufenthalt in Kartarpur erinnerte lebhaft an Tausendundeine Nacht. + +In +Rawal-pindi+ fand ich meinen armen Schagdur wieder, der infolge +seiner Krankheit nicht soviel Vergnügen von der Indienreise gehabt, wie +ich gehofft hatte. Oberst Fenn war so freundlich gewesen, ihn mit einem +eingeborenen Assistenzarzte von Kalkutta nach Rawal-pindi zu schicken, +wo Hauptmann Waller und Major Medley, der bekannte Asienreisende, ihn +mit großer Freundlichkeit aufnahmen und ihm alle die Pflege, deren er +bedurfte, zuteil werden ließen. Schagdur war entzückt von Medley, der +sich mit ihm täglich lange russisch unterhalten hatte. Der Arzt, Major +Marshall, der ihn behandelte, riet mir, ihn so schnell wie möglich ins +Gebirge zu bringen. Bei meiner Ankunft war dies jedoch unmöglich, denn +er war so schwach, daß er sich nicht auf der Tonga festhalten konnte. +Ich mußte daher geduldig warten. Ich selbst hatte es sehr gut; die +Offiziere wetteiferten förmlich, mir Gastfreundschaft zu erzeigen. +Leider wurde mir nicht die Freude zuteil, Herrn ~Dr.~ Stein, der sein +Hauptquartier in Rawal-pindi hat, zu treffen. Er war kürzlich von +seiner erfolgreichen, bedeutungsvollen Forschungsreise in Ostturkestan +zurückgekehrt. Ich konnte aber seine Bekanntschaft wenigstens brieflich +machen und traf ihn später, ehe noch das Jahr 1902 zu Ende gegangen +war, persönlich in London. + +Endlich war Schagdur soweit hergestellt, daß wir aufbrechen konnten. +Wir fuhren auf dieselbe Weise wie vor zwei Monaten nach Srinagar. + +Dank der großartigen Gastfreundschaft des Herrn Le Mesurier und +seiner Gattin konnte Schagdur hier in der frischen, kühlen Luft von +Kaschmir, die ihm bald seine Gesundheit wiederschenkte, noch fünf +Tage ausruhen. Hauptmann und Frau Le Mesurier waren neben ~Dr.~ +Shawe die ersten und die letzten Engländer, die ich während dieses +hastigen, aber langen Abstechers nach Indien traf. Der erste Eindruck, +den ich von der herrschenden Rasse in Indien erhielt, war daher warm +und sympathisch, und als ich sie wieder verlassen sollte, nahm ich mit +aufrichtigem Bedauern Abschied. Sie waren grenzenlos freundlich und +liebenswürdig gegen mich und meinen Kosaken gewesen. Der Hauptmann, der +„Joint Commissioner“ für Ladak ist, telegraphierte nach allen Stationen +auf dem Wege nach Leh, damit alles zu unserer Reise in Ordnung wäre, +und ordnete an, daß auf dem Sodschi-la besondere Vorsichtsmaßregeln +getroffen würden. + + + + +Neunundzwanzigstes Kapitel. + +Über das Kloster Hemis heimwärts. + + +Am 6. März ging es wieder nach Leh hinauf. Ich mietete zwei Tragstühle +mit je acht Trägern und benutzte den meinen, solange es möglich war; +aber Schagdur hatte, obwohl Rekonvaleszent, einen ausgesprochenen +Widerwillen gegen dieses Beförderungsmittel und zog es vor zu reiten. + +In +Sonamarg+ erhielt ich Warnungstelegramme von Le Mesurier, dem +Wesir Wesarat, aus Kargil und aus Leh, ja nicht über den Sodschi-la +zu gehen, da jetzt sehr viel Schnee gefallen sei. Le Mesurier war so +liebenswürdig, mich zu bitten, nach Srinagar zurückzukehren. Doch ich ++mußte+ um jeden Preis über den Paß. Er ist von der indischen Seite +viel schwieriger, da man die unheimlichen Abhänge zu Fuß erklimmen +muß. Jetzt konnten wir auch nicht, wie auf der Hinreise, den Sommerweg +benutzen, sondern mußten in der tiefen Kluft gehen, in welche die +Lawinen jeden Winter von den Felswänden stürzen und wo alljährlich so +viele Unglückliche begraben werden. Große Vorsicht ist stets nötig; man +muß sich frühmorgens auf den Weg machen, wenn die Schneemassen noch +gefroren sind; nachmittags stürzen sie, von der Sonne aufgeweicht, +herunter. Bei Schneewetter darf man unter keiner Bedingung nach dem +Passe hinaufgehen, denn dann hat man große Aussicht, unter den Lawinen +begraben zu werden. An den gefährlichsten Stellen dieses Hohlweges muß +man möglichst schnell vorbeieilen. + +Am 10. standen wir in aller Frühe auf, als es noch stockdunkel, rauh +und kalt war. Die Sterne glänzen hell an dem stahlblauen, kalten +Himmel, die Berge mit ihren Schneemassen zeichnen sich in schwachen +Umrissen ab. Völlige Ruhe herrscht, einige Fackeln auf dem Balkon +flackern nicht einmal, der Rauch meiner Zigarre steigt lotrecht in die +Luft. Im Handumdrehen sind wir reisefertig; 63 Träger und Wegemacher +gehen in langem Gänsemarsch voran, dann werden einige Pferde, die den +Proviant der Leute tragen, geführt, und hinterdrein reiten wir, von +dem Naib-i-täfildar von Ganderbal und seinem nächsten Untergebenen +begleitet. Allmählich wird es heller; die weißen Schneefelder treten +immer schärfer hervor, und die Tannen stechen dunkel gegen sie ab. +Dann und wann purzelt einer in den Schnee; Schritt für Schritt geht es +vorwärts und aufwärts durch immer tiefer werdende Schneewehen. Noch war +die Kruste der Schneefelder stark genug, um die Fußgänger zu tragen, +doch schon am Vormittag brachen diese ein. Da, wo die Pferde keinen +Grund fanden, sondern wie Delphine im Schnee hüpften, gingen wir zu +Fuß. In Baltal kam uns Abdullah mit 23 sicheren Leuten entgegen. + +Am folgenden Tag gingen wir durch den Hohlweg hinauf, der jetzt gar +nicht wiederzuerkennen war. Die Massen von Blöcken, die in der Schlucht +umherliegen, waren vollständig verschwunden unter herabgestürzten +Lawinen, die, wie man mir sagte, den engen Gang mit einer 150 Meter +hohen Schneeschicht angefüllt hatten. Solange es Winter ist, kann man +oben auf den abgestürzten Schneemassen gehen, im Sommer aber ist dieser +Weg unpassierbar. Ich und Schagdur wurden nach dem Passe hinaufgezogen +und geschoben. Ein unangenehmer Wind strich wie ein Wasserfall durch +den Hohlweg herunter und wirbelte Wolken von feinem Schnee auf (Abb. +322). Nachdem wir die gefährlichen Stellen glücklich passiert hatten, +konnten wir uns gänzlich unbesorgt fühlen; aber hier war der tiefe +Schnee nicht so festgepackt wie im Hohlwege. Nach jedem Schneefall +wird ein Pfad ausgetreten, der aus einer unzähligen Anzahl tiefer +Gruben besteht. Kann man balancieren, ohne auszugleiten, so ist es am +vorteilhaftesten, auf den zwischen ihnen liegenden Erhöhungen zu gehen, +gewöhnlich aber nimmt man gern mit den Gruben vorlieb. + +Vier Tage lang trabten wir auf diese Weise über den Paß und seine +beiderseitigen Umgebungen. Schließlich konnten wir Yake benutzen und +zuletzt uns wieder der Pferde bedienen. In Kargil schneiten wir ein und +mußten dort drei Tage bleiben. Man versuchte, uns durch Tänzerinnen +und rauschende Musik zu erfreuen. Am 25. März trafen wir wieder in +Leh ein, wo wir alles gut und gesund vorfanden. Von Sirkin und Ördek +wußte man nichts, aber alle anderen, die an Weihnachten ihren Abschied +erhalten hatten, waren wiedergekommen, weil, wie sie sagten, die Pässe +verschneit waren. Die beiden erstgenannten gelangten jedoch schließlich +gesund und glücklich nach Kaschgar. + +Es war meine Absicht, nur ein paar Tage auszuruhen und dann über den +Kara-korum-Paß nach Norden zu eilen. Doch böse Mächte hielten uns in +Leh zurück. Schagdur bekam einen sehr schweren Rückfall; ~Dr.~ +Shawe hielt es für Typhus. Der Kranke würde noch ein paar Monate unter +keinen Umständen reisen dürfen. Er war entsetzlich abgemagert und matt +und phantasierte mehrere Nächte lang. Wir wurden infolgedessen von +einem Tage zum andern aufgehalten; daß wir ihn nicht mitnehmen konnten, +war klar, aber ich wollte nicht eher reisen, als bis ~Dr.~ Shawe +ihn außer Gefahr hielt. Einige Tage hindurch hatten wir beinahe die +Hoffnung aufgegeben, daß er überhaupt genesen würde. Doch Anfang April +fing er an, sich zu erholen; die Krisis war vorüber, und um vollständig +wiederhergestellt zu werden, bedurfte er nur noch einige Monate der +Ruhe und Pflege in dem Missionskrankenhause, wo ~Dr.~ Shawe ihn +unter seiner persönlichen Aufsicht hatte. Alles wurde für den Kranken +so gut wie möglich eingerichtet. Li Loje erhielt Befehl, bei ihm zu +bleiben und sein Leibdiener zu sein; führe er seinen Auftrag gut +aus, so solle er in Kaschgar eine Extrabelohnung erhalten. Im Sommer +sollten die beiden sich einer nach Jarkent ziehenden Handelskarawane +anschließen und sich von dort nach Kaschgar begeben. Schagdur erhielt +200 Rupien zur Bestreitung der Kosten. + +Es tat mir bitter weh, Schagdur zu verlassen, als wir am 5. April 1902 +aufbrachen. Die Sonne schien so freundlich und warm in sein Zimmer +hinein, als ich ihn zum letztenmal sah. Er war allerdings betrübt, daß +er uns nicht bis ans Ende der Reise begleiten konnte, aber er sah ein, +daß er sich jetzt ruhig verhalten müsse, bis er ganz wiederhergestellt +sei. Ich beruhigte ihn und versuchte, ihm alles in hellem Lichte zu +zeigen, auch gab ich ihm das Versprechen, ihn, soweit es von mir +abhinge, auf meiner nächsten Reise ebenfalls mitzunehmen. Diese +Hoffnung hatte ihn stets erfreut; er träumte davon wie von der größten +Ehre und Freude, die ihm im Leben zuteil werden könne. Schließlich +drückte ich ihm die Hand zum Abschied und befahl ihn in Gottes Schutz; +da brach seine Fassung zusammen, er wandte sich ab und weinte. Ich +eilte hinaus, um ihn nicht sehen zu lassen, daß auch meine Augen feucht +glänzten und wie tief und schmerzlich mir diese lange Trennung zu +Herzen ging. Auch von den Familien Ribbach, Hettasch und von ~Dr.~ +Shawe schied ich mit aufrichtigem Bedauern. Sie hatten mir in so vieler +Weise genützt und geholfen, und ich hatte in ihrer Missionsstation das +Ideal einer solchen Anstalt kennengelernt. + +Leicht war es auch nicht, unseren alten, treuen Veteranen Lebewohl +zu sagen, den letzten neun Kamelen, die allein noch imstande gewesen +waren, Leh zu erreichen, und die sich während der drei Wintermonate so +von ihren Anstrengungen erholt hatten, daß sie jetzt dick, fett und +vergnügt vor ihren Krippen standen. Aber es mußte sein; sie konnten im +Winter nicht über den Kara-korum gehen. Ich verkaufte sie für einen +Spottpreis an einen Kaufmann aus Jarkent, wohin sie im nächsten Sommer +gebracht werden sollten. + +[Illustration: 329. Aus der Klosterküche in Hemis. (S. 367.)] + +[Illustration: 330. Trompetende Lamas. (S. 367.)] + +[Illustration: 331. Posaunenblasende Lamas. (S. 367.)] + +War es ein großer Kontrast gewesen, von einem tibetischen Winter +in 5000 Meter Höhe in den Sommer Indiens am Meer zu gehen, so war +der Übergang nicht weniger schroff, als er jetzt in umgekehrter +Weise stattfand. Eigentlich war es wunderbar, daß ich von jeder Spur +von Fieber verschont blieb, aber ich war dafür sehr müde und sehnte +mich nach meiner friedlichen Studierstube in Stockholm. Ich beschloß +daher, mich jetzt, solange es anging, d. h. bis an den Fuß des +Tschang-la-Passes, wieder des Tragstuhls zu bedienen. Von vier starken +Männern getragen, schaukelte ich von Leh ab. Der Palast der früheren +Könige auf seinem Felsen und die kleine malerische Stadt verschwanden +bald hinter den Hügeln, als sich die Männer, einen charakteristischen +Wechselgesang singend, mit raschen Schritten dem Indus näherten. Der +Führer singt eine kurze Strophe, und die anderen fallen mit einem +eintönigen, einschläfernden Kehrreime ein, aber der Gesang treibt sie +und hilft ihnen, im Takt zu gehen. + +Am 6. gingen wir am linken Indusufer aufwärts. Als Begleiter hatte ich +nur den Lama und Kutschuk; die Karawane mit ihren gemieteten Pferden +marschierte auf der großen Heerstraße nach dem Tschang-la und folgte +dem rechten Flußufer. + +Schließlich verlassen wir den Indus, ziehen nach Süden und Südwesten +den Geröllkegel der südlichen Bergkette hinauf und treten in die +Mündung des +Hemistales+ ein. Wir passieren eine Menge malerisch +ornamentierter Tschorten und ganze Reihen von runden und länglichen +Steinkisten. Das Tal wird immer enger und die Richtung beinahe +westlich; zwischen den grauen Felswänden wirken einzelne Pappelgruppen +sehr hübsch, und im Hintergrund zeigt sich das schneebedeckte +Hochgebirge. + +Jetzt wird der berühmte Tempel +Hemis+ unseren Blicken sichtbar; er ist +am besten mit einer Masse zusammengedrängter amphitheatralisch gebauter +Häuser, die wie Schwalbennester an dem Abhange kleben, zu vergleichen. +Durch Höfe, Gänge und über gewundene Steige mit Geländern gelangen wir +an eine kleine Pforte in der Mauer; hier heißt uns der Prior von Hemis +freundlich willkommen. Es war ein alter Mann mit dünnem, grauem Bart +und großer, dicker Nase (Abb. 327); sein Lächeln war ebenso heiter wie +gütig. Sein Name und Titel war Ngawand Tschö Tsang, Hemi Tschaggtsot. + +Nun beginnt die Runde in diesem Klosterlabyrinth von dunkeln +Löchern und Kammern, Höfen und Gängen, Korridoren und steilen, +engen Steintreppen, die von einer Tempelterrasse zur anderen führen +(Abb. 323). Es wäre schwer, eine auch nur annähernd orientierende +Beschreibung von dem eigentümlichen Gebäudekomplex zu geben. Eine +bestimmte Ordnung herrscht in der Architektur nicht; die verschiedenen +würfelförmigen Häuser scheinen nach und nach überall, wo nur der +kleinste Platz dazu war, hingebaut worden zu sein. Man wird +aufgefordert, durch eine Pforte zu treten, und es geht einen schmalen +Weg bergauf, der, zwischen Mauern eingeschlossen und mit Steinplatten +gepflastert, um eine Ecke biegt und sich in einen wagerechten dunkeln +Gang verliert, der seinerseits auf eine Reihe kleiner Höfe ausmündet. +Man steigt eine sehr steile Treppe hinauf, wirft einen Blick in einen +Tempelsaal hinein, wo die vergoldeten Götterbilder matt im Halbdunkel +glänzen; man wird auf eine Terrasse hinausgeführt, ist von der +herrlichen Aussicht hingerissen und meint, es sei ein Wunder, daß noch +kein Bergrutsch von der hinter dem Tempel liegenden Felswand die ganze +Tempelstadt in Trümmer gelegt hat, dann wird man wieder eine Treppe +hinaufgeführt, durch neue Gänge und Winkel bis in die Unendlichkeit, +bis einem der Kopf schwindelt. Man muß sich wie in einem Irrgarten oder +einer verzauberten Höhle verlieren. Es war leichter, sich im Government +House zu Kalkutta zurechtzufinden, obgleich es einige Zeit dauerte, +bis ich dort Bescheid wußte. Hier in Hemis aber können sich nur Mönche +auskennen. + +In dem ersten Saale, der mir gezeigt wurde und dessen Decke malerische +Säulen trugen, thronte der Gott Dollma, mit großen, stechenden Augen. +Vor dem Gotte, der 300 Jahre alt sein soll, standen auf Tischen ganze +Batterien von Messingschalen mit Wasser, Reis, Gerste, Mehl, Fett und +Butter. Von dem zweiten Saale machte ich in aller Hast eine Zeichnung, +die hier wiedergegeben ist. Er soll der vornehmste in Hemis sein; +zwei Lamas knieten vor Doggtsang Raspas vergoldetem, mit einem Mantel +bekleideten Bilde (Abb. 324, 325). Rechts von ihm sitzt der Lama +Jalsras, links Sandschas Schaggdscha Toba. Die Tempelsäle, sieben an +der Zahl, heißen „Dengkang“ (mongolisch Doggung) und die Kammern, wo +die Mönche ihre „Nom“ (heiligen Schriften) studieren, werden „Tsokkang“ +(mongolisch Sume) genannt. + +In einem gewaltigen, becherförmigen Messinggefäß, „Lotschott“, brennt +in einer Vertiefung in gelbem Fett eine kleine Flamme, die ein Jahr +lang nicht erlischt. Fahnenähnliche, religiöse Gemälde schmücken oft in +mehreren Schichten die Wände, und von den Decken hängen „Tschutschepp“ +genannte Draperien; an den Säulen flattern lange, in drei Zungen +auslaufende, als „Pann“ bezeichnete Bänder, und über den Götterbildern +schweben sonnenschirmartige Thronhimmel. Trommeln, Glocken, Götter, +Messingbecken und lange Blashörner gehören zur Ausstattung; man +wandelt gleichsam in einem Museum umher, das man aus dieser im Gebirge +versteckten Krypte entführen und mit nach Hause nehmen möchte. Die +Büchergestelle biegen sich unter Bänden der „Nom“. In gleicher Weise +sind die übrigen Säle mit Götterbildern und „Tschurden“ von Silber +mit Rubinen, Türkisen und Gold bevölkert. Durch eine Falltür im +Fußboden des einen Saales konnte man in das „Bakkang“, das Zeughaus +oder die Rüstkammer, hinabsteigen, wo alle Gewänder, Masken, Hüte, +Speere, Trommeln, Posaunen und Blashörner, die man zu den Anfang Juli +stattfindenden Festtänzen brauchte, aufbewahrt wurden. Einige Lamas +kleideten sich in ihre Festgewänder und standen mir freundlich Modell, +während ich sie abzeichnete (Abb. 326, 328). Während des Sommerfestes +wird das „Tabbtsang“ oder Küchenhaus benutzt, wo fünf kolossale und +mehrere kleine Kessel in einen Herd eingemauert sind (Abb. 329). + +Es wimmelte während der Runde um uns her von rotgekleideten Lamas, +aber der Prior zeigte uns alles selbst und benahm sich dabei mit +imponierender Würde. Sodann führte er uns nach unseren Gastzimmern +in einem kleinen, eleganten und behaglichen Pavillon unterhalb des +Klosters. Abends besuchte ich ihn in seiner Zelle und wurde zu diesem +Zweck von einigen dienenden Brüdern abgeholt. Bei dem Scheine der +gelbroten Flammen der Fackeln glichen die engen Korridore und Grotten +jetzt noch mehr Krypten und Höhlen in einem Berge. + +Der Greis erzählte, daß +Hemi-gompa+, wie er sein Kloster nannte, +vor 300 Jahren von Doggtsang Raspa erbaut worden sei, einem Lama, +der wie der Dalai-Lama durch alle Zeiten weiterlebe. Der jetzige +Doggtsang Raspa sei 19 Jahre alt und lebe seit drei Jahren als Eremit +ganz allein in einem kleinen „Gompa“ im Gebirge, nicht sehr hoch oben +in der Talschlucht, wo die Gegend Gotsang heiße. Er müsse dort noch +drei Jahre leben. Sechs Jahre lang dürfe er keinen Menschen sehen +und sein Gefängnis überhaupt nicht verlassen. Er müsse die Zeit mit +dem Studium der heiligen Schriften und mit Meditation zubringen. In +der Nachbarschaft wohne ein dienender Lama, der ihm Nahrung bringe. +Diese werde ihm täglich in eine runde Maueröffnung hineingeschoben, +aber die Blicke der beiden Männer dürfen sich dabei nie begegnen, und +sie dürfen nie miteinander reden; falls es sich um eine besonders +wichtige Angelegenheit handle, dürfe ein beschriebener Zettel in die +Maueröffnung gelegt werden. Wasser liefere eine kleine Quellader neben +dem Tempel. Ich fragte, was er denn anfange, wenn er erkranke, und +erhielt die Antwort, er sei so heilig, daß er überhaupt nicht krank +werde, und überdies kenne er die Heilmittel für alle Krankheiten der +Welt. Alle Doggtsang Raspa hätten sich dieser Läuterung unterzogen. +Wenn die sechs Jahre zu Ende seien, komme der Doggtsang Raspa nach +Hemis herunter, und wenn er sterbe, gehe sein Geist in einen neuen +Doggtsang Raspa über. Es muß schauerlich sein, sechs lange Winter ganz +allein in dem stillen Tale zu verleben. + +Dreihundert Lamas gehören zum Kloster; den Winter bringen die meisten +in anderen Gompa und in Leh zu (Abb. 330, 331, 332, 333, 334). Das +Kloster, welches reich ist und viel anbaufähiges Land besitzt, sorgt +für ihren Unterhalt. Ein russischer Reisender, der vor einigen Jahren +die Welt durch die behauptete „Entdeckung“ eines Manuskriptes über Jesu +Leben, das er in Hemis gefunden haben wollte, in Erstaunen setzte, +wurde schon damals so gründlich entlarvt, daß ich mich bei ihm nicht +weiter aufzuhalten brauche. + +Als ich am folgenden Nachmittag den Tempel verließ, erhielt ich +allerlei Proviant und ein Schaf, wofür ich unter keiner Bedingung +bezahlen durfte. Der Prior begleitete uns zu Pferd bis an die +Indusbrücke; in +Taggar+ vereinigten wir uns wieder mit den Unsrigen. -- + +Die Rückreise durch Asien und Europa könnte Stoff zu noch einer +Reisebeschreibung geben, aber ich muß jetzt den Bericht über meine +Schicksale schließen; nur ein paar Episoden darf ich nicht übergehen. + +Nachdem wir durch das +Schejoktal+ (Abb. 335) auf Yaken den ++Kara-korum-Paß+ (5658 Meter) (Abb. 336, 337) erreicht hatten und auf +Pferden weitergeritten waren, den +Sugett-dawan+ und den +Sandschupaß+ +überschritten hatten und, um uns auszuruhen, ein paar Tage in ++Kargalik+ und +Jarkent+ geblieben waren, langten wir am 14. Mai 1902 +endlich in +Kaschgar+ an. + +Der Frühling prangte in seiner ganzen Schönheit, als ich mit meinem +alten Freunde Generalkonsul Petrowskij wieder in wohlbekannten +Laubgängen wandelte, ihm von meinen Erfahrungen und Erinnerungen aus +dem Herzen von Asien erzählte und ihm für die unschätzbaren Dienste +dankte, die er mir während der vergangenen Jahre bei so vielen +Gelegenheiten geleistet hatte. Auch Macartney und Pater Hendriks +zeigten lebhaftes Interesse für meine Erfahrungen, und ich freute +mich ebenso sehr, sie wieder zu sehen, wie die Bekanntschaft der +neuangekommenen Missionare Andersson und Bäcklund zu machen, die +sich der schwedischen Missionsstation ernstlich annahmen und Grund +hatten, mit den Früchten ihrer mühevollen, menschenfreundlichen Arbeit +zufrieden zu sein. + +Aber ich hatte keine Zeit, mich dort länger aufzuhalten, ich mußte +ihnen bald die Hand zum Abschied drücken und westwärts über die Berge +eilen. Kutschuk und Chodai Kullu kehrten wieder nach ihren Hütten am +Lop zurück und erhielten reichen Lohn für ihre treugeleisteten Dienste. + +In +Osch+ verließ ich den alten redlichen Turdu Bai und empfahl ihn +aufs wärmste an Oberst Saizeff, in dessen Hause ich wieder einmal eine +freundliche Freistatt fand. + +Sehr schwer wurde es mir, von Malenki und Maltschik zu scheiden. Ich +küßte sie auf die Schnauze und streichelte sie, die angebunden auf dem +Hofe standen, als wir in +Andischan+ nach dem Bahnhofe fuhren. Sie +sahen mir mit nachdenklichen, fragenden Blicken nach, als hätten sie +verstanden, daß ich sie in diesem Augenblick für immer verließ. + +[Illustration: 332. Lesender Lama. (S. 367.)] + +[Illustration: 333. Ein Lama mit Gebettrommel. (S. 367.)] + +[Illustration: 334. Lama, Trommel und Becken schlagend. (S. 367.)] + +[Illustration: 335. im Schejoktal. (S. 368.)] + +[Illustration: 336. Mein Reityak auf dem Wege nach dem Kara-korum. (S. +368.)] + +[Illustration: 337. Der Kitschik-kumdan-Paß in der Nähe des Kara-korum. +(S. 368.)] + +In Tschernajewa nahm ich herzlichen Abschied von dem prächtigen +Tschernoff, der sich über Taschkent nach Wernoje begab. Tscherdon +und der Lama begleiteten mich über das Kaspische Meer. Der gute Lama +staunte, als er sah, wie die Räder des großen Dampfers uns auf den See +hinausbrachten. Beide sollten von Petrowsk nach Astrachan weiterfahren, +wo der Lama sich für die Zukunft in einem Kalmückenkloster +niederzulassen beabsichtigte. Petrowskij und ich hatten ihn dem +Gouverneur aufs beste empfohlen. In Kara-schahr wagte er nicht mehr +sich sehen zu lassen, und das Betreten des Gebietes von Lhasa war ihm +vom Kamba Bombo für immer untersagt worden; deshalb wurde er russischer +Untertan. Tscherdon fuhr mit der sibirischen Eisenbahn wieder nach +seiner transbaikalischen Heimat. + +Ja, es war schmerzlich, von ihnen allen zu scheiden; hatte ich doch +lange Jahre mit diesen Männern durchlebt! Ihre Tränen bewiesen, daß +auch sie mit Bedauern und Zuneigung Abschied von mir nahmen. Von +einigen von ihnen habe ich später Nachricht erhalten, und ich weiß +zu meiner großen Freude, daß Schagdur wenigstens schon innerhalb +der Grenzen Rußlands ist und sich bereits in Osch befindet. General +Sacharoff in Petersburg hat bei mehreren Gelegenheiten die große +Freundlichkeit gehabt, mich von den weiteren Schicksalen meiner lieben +Kosaken in Kenntnis zu setzen. Kürzlich erhielt ich einen Brief von +Oberst Saizeff, den ich nicht ohne Rührung las. Er enthielt eine +Beschreibung davon, wie Schagdur über seine Eindrücke von der ganzen +Reise, besonders aber unsern Ritt nach Lhasa und die Reise nach Indien +berichtet hatte; es freute mich zu hören, daß er mir ein gutes, +liebevolles Andenken bewahrte. + +Alle vier Kosaken wurden von König Oskar mit eigens geprägten +Goldmedaillen ausgezeichnet, welche zu tragen der Zar ihnen +erlaubte. Von ihrem eignen Kaiser wurden sie mit dem Ehrenzeichen +des Sankt-Annenordens und je 250 Rubel bedacht. Auch Turdu Bai und +Chalmet Aksakal erhielten vom König goldene und Faisullah eine silberne +Medaille für treuen, redlichen Dienst. Bei einer Audienz in Peterhof +freute sich Kaiser Nikolaus herzlich, als er hörte, wie zufrieden ich +mit den Kosaken gewesen, deren Betragen vom ersten bis zum letzten +Tage über jedes Lob erhaben gewesen war. An den Kriegsminister General +Kuropatkin sandte ich darüber einen offiziellen Bericht. + +Ich werde nicht versuchen, die Gefühle zu schildern, die auf mich +einstürmten, als ich am 27. Juni 1902 mit dem Dampfer v. Döbeln in die +schwedischen Schären einfuhr. Wie manchesmal hatte ich Veranlassung +gehabt, mich zu fragen, ob ich diese lieben, alten Felsenklippen, die +wie Außenwerke um die Heiligtümer meiner Kindheitserinnerungen stehen, +wohl je wiedersehen würde! Drei Jahre und drei Tage, mehr als 1001 +Nacht waren vergangen, seit ich von meinen Eltern und Geschwistern +Abschied genommen hatte. Wie bitter war +jener+ Junitag gewesen gegen +diesen, an dem ich sie alle gesund und über meine Heimkehr beglückt +wiedersah. Sie erwarteten mich auf demselben Kai, auf dem wir einander +Lebewohl gesagt hatten. Jetzt prangte ein neuer Sommer in seiner +größten Schönheit, und die Fliederbüsche blühten gerade wie damals. Die +langen Jahre, die inzwischen vergangen waren, erschienen mir wie ein +Traum; es war mir, als sei ich nur ein paar Tage fortgewesen, alles war +unverändert. + +Schon am folgenden Tage durfte ich dem König, der stets mit so warmem, +erlauchtem Interesse, so großartiger Freigebigkeit und väterlicher Huld +meine Pläne beschützt, ihre Ausführung gefördert und mich persönlich +ausgezeichnet hatte, über das Ergebnis der jetzt beendeten Reise +Bericht erstatten. Ein neuer Stein war dem Bau hinzugefügt worden, der, +wie ich hoffe, noch lange nicht fertig ist. + +Doch das Beste von allem war, wieder zu Hause zu sein und das innerste +Asien und Tibet, die meine Gedanken so lange beschäftigt hatten, für +einige Zeit vergessen zu dürfen. Je größere Kreise man um die Erde +zieht, desto heißer wird die Liebe zum Vaterland, besonders wenn +dieses, wie das meine, so reich an Ehre und glorreichen Erinnerungen +ist. Wenn alle gutgesinnten Bewohner des Reiches es verständen, auf +den schon in der Wiege ihnen gewordenen Ehrentitel stolz zu sein, +nämlich darauf, daß sie einer Nation angehören, deren Geschichte zu +einem großen Teil eine Heldengeschichte ist, so würden keine äußeren +Gefahren je unsere Freiheit bedrohen können. Unsere Kraft wächst, +und unsere Lage ist jetzt unendlich viel besser, als sie es während +mancher kritischen Augenblicke in vergangenen Zeiten war. Doch die +Vaterlandsliebe ist unser hauptsächlichster Schutz. Sie muß im +Elternhause und in der Schule eingeprägt, in den Kirchen gepredigt und +in den Kasernen entflammt werden; sie muß das ganze Volk durchdringen, +ihm Kraft und Eintracht schenken und jeden einsehen lehren, daß das +Vaterland allen anderen irdischen Interessen vorgeht. Wenn alle an +demselben großen Ziele arbeiten, wenn eigennützige Bestrebungen in den +Hintergrund treten, dann können wir mit frohen Hoffnungen einer neuen +Größezeit innerhalb unserer eigenen Grenzen entgegensehen. + +Wenn man, wie ich, in vielen Ländern gesehen und erfahren hat, wie +andere Menschen leben müssen, muß man sich beglückwünschen, einem Volke +anzugehören, dem ein so glückliches Los zugefallen ist wie dem unsrigen. + +Ohne eigne Vergleiche ist es jedoch vielleicht schwer, diese +Überzeugung zu gewinnen. Glaubt daher meinen Worten, wenn ich mit +diesen wenigen Zeilen meine Erfahrungen andeute! + +Und hiermit sage ich dem geduldigen Leser für diesmal Lebewohl! + + + + +Register. + + + Abdall I, 242. 250. 257. 275. 278. 289. 322. 393; II, 4. 11. 17. 18. + 23. 73. 78. 79. 86. 95. 96. + + Abdu Rehim I, 193. 201. 202. 207. 211. 212. 213. 214. 216. 217. 218. + 219. 221. 222. 223. 224. 225. 226. 229; II, 26. 28. 29. 32; Familie + I, 216. 217. + + Addan-tso II, 300. 301. 302. 305. + + Adler I, 51. 259. 348. 351; II, 252. 267. 282. + + Adschi-tsonjak II, 339. + + Agil (Hürde) I, 13. + + Agra II, 356. + + Ajag-argan I, 269. + + Ajag-kum-köll I, 313. 383. 384. 385. 390. + + Ajik-köll I, 299. + + Äilämä I, 14. + + Airilgan I, 192. + + Akato-tag I, 294. 295. 298. 299. 303. 327. 382. 383. 390. 391. 394; + II, 5. 9. + + Ak-bai I, 175. + + Ak-baital I, 10. + + Ak-gumbes I, 14. + + Ak-ilek-lenger I, 185. + + Ak-köll I, 272; II, 85. + + Ak-kum I, 24. 51. + + Ak-kumning-jugan-köll I, 105. + + Aksakale (Konsularagenten) I, 31. + + Aksak-maral I, 48; + Bek I, 43. 46. 48. + + Ak-sattma I, 72. + + Aksu I, 19. 31. 59. 76. 85. 125; II, 77. 92; + Amban I, 200. + + Aksu-darja I, 47. 52. 74. 79. 83. 125. + + Ak-tschokka-aituse I, 305. + + Ala-aigir I, 44. + + Alai I, 6. 13. + + Alaital I, 10. 13. + + Ala Kunglei Busrugvar I, 92. + + Aldat I, 296-297. 305. 308. 309. 314. 318. 320. 330. 332. 338. 341. + 350. 351. 352. 353. 354. 355. 356. 357. 358. 361. 363. 378. 388; II, + 141. 273; + Begräbnis I, 364; + Bruder I, 296. 378; + Krankheit I, 354. 355. 356; + Tod I, 363; + Vater I, 364; II, 90. + + Algen II, 281. + + Ali Ahun I, 197. 300. 301. 379. 387; II, 1. + + Al-kattik-tschekke I, 116. + + Alkoholische Getränke II, 112. + + Alla-sangpo II, 267. 288. + + Altai II, 109. + + Altimisch-bulak I, 194. 216. 221. 222. 224. 225. 226. 227. 229; + II, 4. 25. 26. 28. 32. 33. 52. 62. 330. + + Altyn Ustun Tagh II, 56. + + Amban (Distriktsvorsteher) I, 60. + + Amber II, 360. + + Amdo II, 205. 238. 328. + + Amdo-motschu II, 200. + + Amrik-wa II, 311. + + Amu-darja, Fluß I, 6. 14. + + -- Station I, 6. + + ~Anabasis ammodendron~ II, 20. + + Anambar II, 4. 9. + + Anambaruin II, 3. + + Anambaruin-gol II, 13. 14. 16. 19. 74. 78. + + Anambaruin-ula II, 12. 15. 16. 17. + + Anambar-ula II, 2. 3. + + Andere I, 172. 179. + + Andere-terem I, 172. 178. + + Andersson II, 368. + + Andischan I, 6. 7. + + Andrée II, 148. + + Anmar Dschu II, 343. 345. 346. + + Anna Tsering II, 231. 232. 236. 237. 238. + + Ansasch-kum I, 119. + + ~Antilope Cuvieri~ II, 252. + + Antilopen I, 41. 203. 321. 377; II, 21. 22. 23. 30. 129. 140. 141. + 153. 252. 304. 311. + + Arabatschi (Kutscher) I, 13. + + Aral I, 14. 38. + + Araltschi I, 37. 38. 187. + + Ara-tag I, 304. 305. + + Arba (Wagen) I, 7. + + Archari I, 203. 356; II, 14. 110. 252. + + ~Arctomys bobac~ I, 14. + + Arelisch I, 115. 129. 193. + + Argan I, 31. 138. 192. 257. 274. + + Argol (Yakdung) I, 393; II, 282. + + Argussun I, 393. + + Arka-köll I, 247. + + Arka-tag I, 315. 317. 318. 319. 365. 367; II, 90. 119. 128. 129. 130. + 131. 132. 133. 135. 136. 138. 160. 168. + + Artan (Wallach) II, 117. + + Artillma I, 251. + + Artscha (Wacholder) I, 10. + + Aru-tso II, 327. + + Asch (Reispudding) I, 100. + + Aschabad I, 5. + + ~Asclepias~, Faserpflanze I, 193. + + Asmane, Fische I, 61. + + Astin-joll I, 174; + II, 23. 26. + + Astin-tag I, 144. 221. 293. 294. 295. 393; II, 3. 5. 8. 9. 10. 13. + 16. 18. 20. 21. 24. 91. 95. 105. + + Astrachan II, 369. + + Ataman Nikolajewska I, 199. + + Atschal I, 105. + + Atschik I, 212. + + Atschik-köll I, 368. + + Att-attgan I, 383. + + Att-baschi II, 116. + + Attikusch Padischah I, 136. + + Att-pangsa I, 44. + + Awraspaß I, 307. + + Awullu-köll I, 219. 220. 249. + + Awwat I, 55. 78. 81; + Bek I, 82. + + + Baba-köll I, 179. + + Baba Tarim I, 269. + + Bäcklund II, 368. + + Bagrasch-köll I, 138. 264; II, 67. + + Bag-tokai I, 379; II, 93. 95. 114. + + Bajir I, 136. 140. 141. 149. 150. 151. 152. 153. 154. 156. 158. 159. + 160. 161. 162. 163. 164. 190. 227. + + Bakkang II, 367. + + Bal II, 334. 337. + + Balalaika II, 248. + + Balgun-Sträucher II, 322. + + Balik-ölldi I, 91. + + Baltal II, 354. 363. + + Bantsching Bogdo II, 254. + + Baramullah II, 355. + + Bären I, 299. 359. 362. 387; II, 110. 126. 127. 154. 171. 242. + + Barrakpore II, 358. + + Basch-agis I, 189. + + Basch-argan I, 191. + + Basch-balgun I, 298. + + Basch-joll I, 293. + + Basch-köll I, 136. 139. 141. 142. 152. + + Basch-kurgan I, 292. 293. + + Basch-tograk I, 202. + + Baß, Miß II, 349. + + Beglik-köll I, 262-264. + + Bel I, 14. + + Belarum II, 360. + + Bema II, 190. + + Benares II, 356. 357. + + Ben Nursu II, 218. + + Bergkrankheit I, 13. 319. 388; II, 1. 111. 135. 148. 160. 261. 316. + 317. 318. + + Bergschwalben II, 107. + + Besch-köll I, 40. + + Bifurkation von Lop-Seen I, 246. + + Bikar-darja I, 40. + + Bir-bulak I, 9. + + Blauer See s. Tso-ngombo. + + Boggtsang-sangpo II, 303. 304. 305. 306. 309. + + Boghana-Strauch I, 299. + + Bokalik, Goldgruben I, 295. 379. 382; + II, 98. + + Boldschemal (Altwasser) I, 76. + + Bolta I, 258. + + Bomba II, 312. + + Bombay II, 360. + + Bombo II, 211. 218. 253. 262. 264. 265. 267. 268. 324. 325. 326. + + Bondschin-tso II, 321. + + Bonin I, 137. 144. 145. 292; II, 23. + + Bontsa II, 215. + + Bonvalot I, 34. 144. 320; II, 122. 193. + + Bordoba I, 10. + + Bor-teppe I, 10. + + Bostan I, 95. + + Bostan-tograk I, 178. 179. + + Bosuga I, 12. + + Bower II, 250. 304. 305. 326. 327. 330. + + Boxeraufstand II, 80. + + Brahmaputra II, 199. + + Bremsen I, 261. 275. 277. 289. 299. 310. 319. 393; + s. a. Mückenplage. + + Bücher, Land der heiligen II, 286. 330. + + Buddha II, 43. + + Budschentu-bulak I, 205. + + Bughra, Kamelhengst I, 218. 224; II, 32. 117. + + Buguluk I, 185. + + Buja-köll I, 108. + + Buka-schirik II, 152. + + Bulak-baschi I, 310. + + Bulung (Flußkrümmung) I, 43. 56. + + Bulungir-nor II, 15. 16. + + Bulut (Nebelwand) I, 138. + + Bungalow II, 352. + + Burchane II, 234. 279. 286; Land der II, 286. + + Burjaten II, 66. 99. 183. 202. 219. + + + Carey I, 34. + + Chade-dung I, 102. + + Chalchamongole II, 51. 202. + + Chalil Bai I, 96. + + Chalmet Aksakal I, 124. 132. 252. 255. 260; II, 91. 96. 97. 98. 99. + 104. 105. 369. + + Chami II, 24. 207. + + Chan-ambal II, 3. 17. + + Chan-arik I, 22. 23. + + Chan Dao Tai I, 20. + + Chaneka I, 78. 205. + + Chan-tengri I, 96. + + Chara-nur II, 205. + + Chem-to-na II, 56. + + Chia Yu Kuan II, 56. + + China I, 14. 15. 285; II, 226. + + Chinesen I, 20. 106. 129. 137; II, 11. 12. 23. 24. 51. 69. 90. 286. + 287; + Beamte I, 260; + Karten I, 226. + + Chodai Kullu I, 301; II, 2. 4. 10. 33. 34. 62. 64. 66. 71. 72. 73. + 74. 75. 76. 78. 79. 80. 82. 83. 103. 146. 189. 190. 194. 203. 208. + 220. 245. 247. 268. 271. 292. 309. 339. 345. 351. 368. + + Chodai Värdi I, 146. 154. 296. 301. 378. 382. 392; II, 2. 35. 62. 63. + 64. 65. + + Chorem I, 55. + + Chotan I, 85. 172. 188. 287. + + Chotan-darja I, 79. 124. 150. 156; II, 51; + Mündung I, 85. + + Curzon, Lord II, 93. 349. 358. 359. + + + Daddap-tso II, 322. + + Daggtse-tso II, 303. 304. 307. + + Dak-bungalow II, 348. + + Dakksche II, 237. + + Da-kuren II, 217. + + Dalai-Lama I, 394. 395; II, 93, 109, 203. 217. 218. 219. 225. 226. + 227. 237. 254. 268. 276. 279. 286. 290. 302. 309. 324. 325. 344. 367. + + Dalgleish I, 34. + + Dao Tai I, 25. 31. + + Daschi-köll I, 124. 129. + + Dastarchan (Imbiß) I, 8. 23. + + Dawagan (Murmeltier) I, 302. 361. 362. + + Dawan I, 204. 293. + + Dawato II, 16. + + Dawo Tsering II, 321. 323. + + Deasy II, 326. + + Dehli II, 356. 360. + + Demawend II, 149. + + Dengkang II, 366. + + Dewaschung II, 261. 274. 275. 277. 303. 324. + + Diabas I, 212. + + Digo II, 235. + + Dillgi I, 250. + + Dillpar I, 201. 202. + + Diorit I, 204. 317. + + Doggtsang Raspa II, 366. 367. + + Doggung II, 366. + + Dollma II, 366. + + Domba II, 205. + + Dowlet I, 9. 12. 43. 71. 97. 146. 172. + -- Karawan-baschi II, 90. 95. 114. 120. 125. 128. + + Dras II, 354. + + Dromedar II, 3. 158. + + Drugub II, 346. + + Dschaggataitürkisch II, 109. + + Dschaipur II, 360. + + Dschallokk II, 215. 218. 219. 221. 222. 225. 247. + + Dschan Daloi, Amban von Tscharchlik I, 250. 284. 285. 286; II, 87. 90; + Sohn II, 90. + + Dschandin-tso II, 311. + + Dschangdang II, 237. + + Dschan-kuli I, 144, 197. + + Dschansung II, 253. + + Dschigiten I, 9. 11. 20. 97; II, 18. + + Dschimre II, 247. + + Dscho II, 165. + + Dscho-mitsing II, 275. + + Dschong-duntsa II, 16. + + Dschowa II, 346. + + Dschurchak I, 300. + + Dua, Gebet, I, 364. + + Duga-dschaji-masar I, 74. + + Dundu-namuk I, 299. + + Dünen I, 108. 109. 115. 116. 121. 127. 140. 159. 167. 258. 322. + + Dunganen II, 12. 287; Aufruhr II, 11. + + Dung-chan I, 137. 206. 230; II, 16. + + Dung-kotan I, 103. + + Dunglik I, 289. + + Dural I, 76. 193. 260; II, 51; + Amban I, 193. + + Dutar, Gitarre I, 30. + + Dutreuil de Rhins I, 144; II, 122. 223. + + + Eiszeit II, 302. + + ~Elaeagnus hortensis~ I, 190. 211. 257. 258. + + ~Elaecocca vernicia~ II, 60. + + Elefanten II, 357. + + Endlicher II, 53. + + Enten I, 65. 140. 197. 207. 313. 373; II, 67. 70. 79. 327. + + Erenak-tschimmo II, 306. + + Esel II, 90. 95. 125. 128. 129; + wilde s. Kulan. + + Eski-darja I, 37. 40. + + Ettek-tarim I, 138. 186. 188. 190. 191. 192; II, 104. + + + Fa-Heen II, 56. 60. + + Fähre I, 26. 27. 28-30. 31. 32. 252. 253. 274. 275; + auf Grund gestoßen I, 38; + Besatzung I, 32; + Fährleute I, 31. 32. 132. + + Faisullah I, 19. 23. 47. 129. 132. 139. 146. 154. 195. 196. 201. 202. + 217. 229. 235. 240. 241. 243. 246. 249. 250. 299. 301. 379; II, 2. 3. + 19. 30. 37. 38. 41. 62. 63. 64. 65. 74. 76. 79. 81. 82. 85. 86. 92. + + Falken II, 70. 153. + + Falkenjagd I, 132. + + Fasanen I, 41. 42. 120. 197. + + Fauna, am Jaggju-rappga II, 267; + am Jarkent-darja I, 41. 51; + am Kara-koschun I, 238; + im Kurruk-tag I, 203; + in Nordtibet I, 348; II, 110. 126; + am Tarim I, 259; + in Tattlik-bulak I, 292. + + Feldmäuse I, 164. 348. 359; II, 204. + + Felstauben II, 267. + + Fenn, Oberst II, 360. + + Fereng II. 208. + + Ferganaberge I, 14. + + Ferganatal I, 6. + + Fettmagen II, 263. + + Fische I, 61. 128. 142. 240. 269; II, 23. 159. 305. 306. 334. 338. + + Fischfang I, 61. 93. 106. 112. 116. 259; II, 265. 266. 330. 333. + + Flüchtlinge, russische I, 184. + + Fotu-la II, 353. + + Frühlingsflut I, 187. + + Füchse I, 41. 85. 165. 238. 313. + + Fuchsfallen II, 12. + + Fu Tai I, 106. + + + Gabet II, 286. + + Gädschis I, 96. + + Ganges II, 352. 357. + + Gartschu-sängi II, 188. 192. 233. 240. + + Gasanglik I, 37. + + Gaschun-gol II, 17. + + Gas-nor (See) I, 298. 299; II, 2. 4. + + Gavo (Amulettfutteral) II, 166. 215. 226. 233. 234. + + Gebetmühlen II, 233. + + Geier I, 94. + + Geld, chinesisches I, 18. + + Gemmen II, 53. + + Geröllterrassen II, 330. 333. + + Gestein I, 13. 204. 212. 291. 292. 299. 315. 317. 320. 325. 330. 354. + 360. 366. 370. 373. 383. 384. 390. 391; II, 21. 24. 105. 106. 107. + 108. 111. 138. 139. 171. 172. 184. 241. 242. 257. 258. 280. 298. 306. + 337. 341. 347. + + Getreidearten II, 48. 49. + + Ghas I, 393. + + Gletscher I, 320. 322. 330. 332. 333; II, 158. 159. 160. 250. + + Gobi, Wüste I, 386; II, 4. 22. + + Goldfeld I, 370. 371; II, 325. + + Goldgräber I, 295. 301. 315. 370. 371. 382. 388; II, 98. + + Göllme-ketti I, 255. + + Gom-dschima II, 188. 192. + + Gompa II, 367. + + Gong-gakk II, 237. + + Gopur-alik I, 391. + + Gotsang II, 367. + + Gräber I, 183. 184. + + Granit I, 291. 299. 302. 315. 370. 383. 384. 390. 391; II, 21. 24. + 105. 106. 107. 306. 347. + + Gras, in Tibet II, 129. + + Grombtschewskij I, 13. + + Gulang Hiraman II, 344. + + Gultscha I, 10. + + Gultscha-darja I, 10. + + Gumbes (Grabmal) I, 59. 70. 183. 205. + + Guristan (Begräbnisplatz) I, 59. 205. + + + Haddik II, 221. + + Hamdung II, 275. + + Hamra, Hund I, 82. 83. 85; II, 314. + + Hamra Kul II, 116. 120. 121. 134. 135. 139. 153. 156. 164. 168. 178. + 248. 307. 308. 309. 316. 319. 321. 350. + + Han-Dynastie II, 55. + + Haramuk-lurumak II, 188. + + Hascheklik II, 108. + + Hasen I, 41. 203. 238. 308. 348; II, 30. 152. 153. 171. 192. 244. + 247. 252. 304. + + Hasrett Ali Masar I, 59. + + Hasrett Ali Masar-Gebirge s. Masar-tag. + + Hässemet-tokai I, 94. + + Hedin, auf dem Addan-tso II, 300. 301; + auf dem Ajag-kum-köll I, 384-388; + Reise nach Andere I, 172. 174-180; + in Altimisch-bulak I, 225; II. 30; + Aufzeichnungen I, 87; + Ausrüstung I, 1-4. 19. 139. 147; II, 166. 167; + auf dem Beglik-köll I, 262-264; + Bergkrankheit I, 388; + Besuch Bonins I, 144. 145; + Briefe an I, 283-285; + Fähre I, 26. 27. 29. 30. 31. 37. 40. 249. 253, + Ende I, 110. 275, + auf Grund I, 48. 49, + im Wasserfall I, 46, + neue Fähre I, 274, + Leben auf der Fähre I, 33. 34. 35. 38. 50. 72-73. 98. 99. 100. + 120. 259. 266. 267. 270. 275. 276; + Fährleute I, 47. 132; + Antritt der Flußreise I, 31; + Verhandlungen I, 26; + Geschwindigkeitsmessung I, 31; + Reise durch die Wüste Gobi II, 2. 18 fg.; + Hauptquartier I, 195. 300. 378-380. 382. 394; II, 165. 166. 167. + 168. 169. 171. 178. 244. 245; + in Hemis II, 365-368; + Heimkehr II, 364-370; + Jagd II, 140; + am Jaggju-rappga II, 264-267; + in Indien II, 348-361; + Instrumente I, 1. 2; II, 167; + Jurte II, 94. 115. 121; + Besuch des Kamba Bombo II, 224. 228. 229. 230. 231; + Karawane I, 8. 9. 10. 18. 31. 124. 127. 130. 132. 139. 146. 196. + 250. 254. 287. 292. 293. 294. 299. 301. 314; II, 105. 114. 115. + 117. 118. 119. 145. 146. 147. 166. 259. 260. 285. 309. 310. 318. + 321. 325. 326. 331. 332. 343. 350. 351. 363, + Abschied II, 346, + Auflösung II, 350. 351. 368. 369, + Entsatzkarawane II, 343. 344; + Reise nach Kaschgar I, 9-17. 18-20; + Abreise I, 20-22; + Rückkehr II, 368; + Übergang über den Kisil-su I, 15-17; + Kranke in der Karawane II, 317; + Fahrt auf dem Kum-köll I, 312; + Reise in den Kurruk-tag I, 201; + Kosaken I, 19. 20. 198; II, 77. 115; + Abschied I, 286. 287; + in Ladak II, 343; + Lager I, 43. 155. 162. 356. 357. 389; II, 120-122. 142. 171. 172. + 178. 179. 180. 181. 182. 183. 185. 189. 196. 197. 201. 202. 203. + 243. 247. 248. 251. 252. 293. 322. 323. 326; + Nr. 24 I, 323; + Nr. 25 I, 325; + Nr. 30 I, 332; + Nr. 36 I, 344; + Nr. 42 I, 348; + Nr. 43 I, 351; + Nr. 44 I, 352; + Nr. 48 I, 355; + Nr. 54 I, 361; + Nr. 55 I, 361; + Nr. 61 I, 366; II, 136; + Nr. 65 I, 368; + Nr. 131 II, 17; + Nr. 138 II, 22; + Nr. 170 II, 80; + Nr. 12 II, 119; + Nr. 18 II, 128; + Nr. 19 II, 130; + Nr. 24 (alte Nr. 61) II, 136; + Nr. 25 II, 137; + Nr. 28 II, 139; + Nr. 30 II, 142; + Nr. 33 II, 145. 146. 147; + Nr. 38 II, 153. 156. 176. 208; + Nr. 43 II, 164; + Nr. 44 II, 166. 167. 169. 171. 172. 174. 176. 240. 245. 246. 249; + Nr. 47 II, 240; + Nr. 48 II, 240; + Nr. 50 II, 196; + Nr. 53 II, 206; + Nr. 51 II, 235; + Nr. 67 II, 250; + Nr. 68 II, 251; + Nr. 75 II, 262; + Nr. 84 II, 289; + Nr. 95 II, 306; + Nr. 98 II, 309; + Nr. 100 II, 311; + Nr. 103 II, 312; + Nr. 112 II, 320; + Nr. 116 II, 322; + Nr. 118 II, 324; + Nr. 130 II, 329; + Nr. 141 II, 336; + Nr. 144 II, 340; + in Leh II, 348. 363; + Aufbruch nach Lhasa II, 166; + Gesandte aus Lhasa II, 273. 274. 275. 277; + Plan der Reise nach Lhasa II, 10. 108. 109. 154. 162. 165. 169. 173. + 178. 183. 184. 246. 247; + Rückkehr von der Reise nach Lhasa II, 231-247; + Abschied vom Lop-nor II, 86; + bei Lord Curzon II, 357. 358; + Ausgrabungen in Lou-lan II, 37-50; + in Mandarlik I, 378; + Mannschaft I, 7. 8. 19. 23. 32. 201. 202. 296-298. 301. 351. 382; + II, 1. 2. 88. 95. 99. 102. 103. 116. 120. 128. 129. 307; + Medizinkiste II, 139; + Munition II, 140; + auf dem Nakktsong-tso II, 280-285; + Neujahr I, 162. 163; II, 12; + Nivellement II, 33. 63-76; Post I, 20. 76. 97. 173. 267. 378. 381; + II, 1. 18. 88. 92. 93. 348. 349; + Proviant I, 19; II, 89. 90. 166. 317; + Reisekasse I, 5. 18. 19. 381. 382; II, 93. 97. 349; + Reiseplan I, 19. 33. 34. 136. 137. 226. 232. 236. 252. 382. 393. + 395. 396; II, 3. 4. 88. 93; + als Richter I, 260; + beim Gouverneur von Rudok II, 324-326; + Fahrt durch Rußland I, 5; + Sammlungen II, 91. 92. 93. 350; + Abschied von Schagdur II, 364; + Unterhandlung mit Schereb Lama II, 108. 109. 110; + Übergang über den Satschu-sangpo II, 192-196. 236. 256-259; + Übergang über den Sodschi-la II, 353. 354. 362-364; + Karte des Tarim I, 34. 52. 56. 57. 104; + Reise an den Tarim I, 20-24; + letzte Fahrt auf dem Tarim I, 275; + in Temirlik I, 295. 381; II, 1; + Abschied von dem tibetischen Gouverneur II, 302. 303; + Abschied von den tibetischen Offizieren II, 312; + Abschied von Tibet II, 344; + Begegnung mit den ersten Menschen in Tibet I, 373. 374; II, 199; + die ersten Tibeter II, 154; + Gefangener der Tibeter II, 210-217. 228; + in kritischer Lage in Tibet II, 197; + in Verhandlungen mit Tibetern II. 257. 260. 261. 262. 264. 265; + Überfall II, 174. 175. 176; + Umkehr in Tibet II, 206. 207. 208; + in Tscharchlik II, 86; + Aufbruch von Tscharchlik II, 104; + auf dem Tschargut-tso II, 292-300; + Reise in den Tschimen-tag und Akato-tag I, 394; + Wanderung über den Tschokka-tag I, 66-69; + Fahrt durch Transkaspien I, 5-7; + Übergang über den Tso-ngombo II, 336. 337. 338. 339; + in Tura-sallgan-ui I, 135. 136. 251; + Verkleidung II, 88. 96. 142. 155. 156. 166. 167. 170. 173. 174. 179. + 201. 202; + Waffen II, 166; + Weihnachten I, 155; II, 10. 349. 350; + Werft I, 27-29; + Winterquartier I, 131. 133. 137. 143. 146; + Aufgabe des Winterquartiers I, 252. 255; + Reise durch die Tschertschenwüste I, 136. 143-170. + + Heiliger Rat II, 261. 274. + + Hemi-gompa II, 367. + + Hemis II, 287. 365; + Geschichte II, 367; + Prior II, 365. 367; + Tempel II, 365. + + Hendriks, Pater I, 20; II, 368. + + Hettasch II, 349. 364. + + Heun-nu II, 57. + + Himalaja II, 321. 352. + + Himly, Karl II, 47. 51-54. + + Hindi II, 238. + + Hirsche I, 41. 57; + zahmer II, 87. 95. 115. 118. + + Hladsche Tsering II, 277. 278. 285. 287. 289. 290. 302. 303. + + Högberg, Missionar I, 20. + + Hsian-Tsang II, 56. 61. + + Hüan-Tschuang II, 51. + + Huc II, 286. + + Hummeln I, 319. + + Hunde I, 9. 11. 12. 43. 51. 82. 85. 94. 97. 133. 196. 254. 255. 260. + 269. 276. 287. 290. 291. 298. 300. 301. 304. 316; II, 2. 87. 96. + 118. 140. 146. 159. 170. + + Hung-lugu I, 291. + + Hunnen II, 57. 58. 59. + + Huo-thsüan-Münzen II, 48. 53. + + Hyderabad II, 360. + + + Jaggju-rappga II, 265. 266. 267. 287. 288. 289. 305. + + Jakub Bek I, 162. 188. 249. 272. + + Jallgus-jiggde I. 54. + + Jaman-dawan II, 107. + + Ja-ma-tschan II, 11. + + Jamba I, 18. 19. + + Jamdok-tso II, 284. + + Jamdu-Tsering II, 303. 306. 309. 310. 311. 312. 313. + + Jam-garawo II, 329. + + Jangi-darja I, 45. 46. 92. 93. 108. + + Jangi-jer I, 340. + + Jangi-köll I, 127. 130. 134. 139. 140. 141. 142. 143. 146. 152. 173. + 193. 240. 250. 252. 257; II, 33. 99; + Bek I, 134. + + Jangi-köll-ui I, 136. + + Jang-tse-kiang, Quellen I, 347. + + Jantak-kuduk I, 175. 179. + + Japaner II, 287. + + Jappkak I, 317. 332. 336. 375. 385; II, 11. 112. 120. 294. 329. + + Jappkaklik-sai I, 303. + + Japptschan II, 101. + + Jar (Uferterrasse) I, 38. + + Jardang, Lehmterrassen I, 210. 220. 221. 227. 230; II, 27. 67. + + Jardang-bulak I, 212. 213. 216. + + Jarkendi-Sprache II, 354. + + Jarkent I, 34. 38. 125. 287; II, 350. 364. 368. + + Jarkent-darja I, 15. 19. 24. 27. 45. 51. 63. 66. 87. 119. 124; + Abdämmen I, 60; + Boden des Ufers I, 66; + Krümmungen I, 54. 56. 74. 75. 76; + Stromschnellen I, 48; + Ufervegetation I, 52. 53. 54. 57; + Wasserstand I, 29; + Zusammenfluß mit Aksu-darja I, 83; + s. a. Tarim. + + Jarkent-darjaning-kuilüschi I, 84. + + Jarwo Tsering II, 312. + + Jas-kitschik I, 16. + + Idrisi II, 49. + + Jegintal I, 15. + + Jeilau (Weideplatz) I, 11. + + Jekkenlik I, 262. 266. + + Jekkenlik-köll I, 78. 262. 265. 266. + + Jekken-öi I, 245. 246. + + Jelumtal II, 355. + + Jer-baghri, Pflanze I, 329. + + Jesuitenmissionare II, 286. + + Jettumal II, 348. 351. 352. + + Igel I, 239. + + Jiggde s. Elaeagnus. + + Jiggdelik I, 75. + + Jiggdelik-agil I, 188. + + Jiggdelik-tokai II, 105. + + Jilga (Erosionstal) I, 68. + + Jim-tso II, 322. + + Jing-pen I, 138. 201. 202. 205. 206. 207. 211. 216; II, 49; + Ruinen I, 205. 206. + + Ila I, 310. + + Ile II, 9. 252. + + Ilek I, 123. 138. 247. 248. 249. + + Ile-su I, 10. + + Illwe-tschimen I, 294. 374. 391. 392. + + Impfung I, 129. + + Indien II, 238. + + Indischer Ozean II, 346. + + Indus II, 343. 346. 347. 348. 352. 353. 365. 368. + + Initschke I, 94. + + Intschikke-darja I, 98. + + Joint Commissioner II, 334. 361. + + Joll-arelisch I, 286. + + Jollbars I, 103. 134. 254; II, 87. 121. 153. 170. 180. 181. 185. 187. + 199. 204. 232. 252. + + Joll-begi, Weginspektor I, 81. 85. 90. 93. + + Jolldasch I, 9. 12. 43. 71. 83. 94. 134. 146. 172. 180. 209. 243. 248. + 254. 290. 301. 304. 316. 318. 319. 331. 345. 348. 354. 356. 362. 369; + II, 2. 28. 30. 87. 95. 121. 139. 140. 151. 245. 252. 340. 344. 345. + + Irkeschtam I, 14. 15. + + Islam Bai, Karawan-baschi I, 7. 8. 9. 16. 19. 23. 25. 26. 32. 42. 44. + 50. 64. 66. 69. 96. 98. 127. 132. 143. 146. 147. 150. 155. 157. 160. + 161. 163. 164. 168. 172. 194. 198. 251. 254. 299. 301. 374. 375. 377. + 378. 381. 382. 384. 389. 390; II, 1. 18. 91. 92. 95. 97. 98. 99. 100. + 101. 102. 103; + Verurteilung II, 103. + + Jugan-balik I, 63. + + Jugan-balik-köll I, 62. + + Julgun I, 211. + + Julgun-dung II, 5. 9. + + Julgunluk-köll I, 190. + + Jumalak-darja I, 105. 108. + + Junduk Tsering II, 277. 279. 289. 302. 303. + + Junus Bek I, 107. + + Jupoga I, 23. + + Jure II, 252. + + Jurte I, 9. + + + Kade (Treibeis) I, 117. 119. 121. + + Kader I, 19. 23. 32. 78. + + Kader Ahun, Dschigit I, 9. 11. 16. + + Kadike I, 249. + + Kagas-kemi I, 118. + + Kähne I, 96. 98. + + Kajir I, 304. + + Kaiser von Rußland I, 2. 4. 199; II, 77. 92. 93. 279. 369. + + Kakir I, 295. + + Kakkmar I, 258. + + Kakte I, 107. + + Kalatschi II, 353. + + Kalla-köll I, 294. + + Källälik I, 102. + + Kallaste I, 174. 184. + + Kalkstein II, 280. + + Kalkutta II, 349. 357. + + Kalmak-jilgasi I, 36. 37. + + Kalmak-kum I, 79. + + Kalmak-ottogo I, 250. + + Kalmücken II, 51. + + Kalpet II, 251. 258. 261. 263. 267. 268. 269. 287. 290. 332; Tod II, + 269. 270; + Begräbnis II, 271-273. + + Kalpetbucht II, 281. + + Kalta I, 17. + + Kalta-alagan I, 305. 306. 308. 312. 314. 381. 383. 390; II, 112. 113. + 120. + + Kama I, 138. + + Kamba Bombo II, 211. 215. 217. 218. 219. 220. 221. 222. 223. 224. 225. + 227. 228. 233. 234. 237. 238. 254. 274. 275. 276. 277. 290. 308. 331. + 369; + Besuch bei Hedin II, 224-227. 229-231. + + Kamele, wilde, I, 92. 119. 138. 152. 212. 213. 214-216. 217-219. 220. + 222. 223. 224. 292. 293; II, 10. 11. 17. 20. 21. 22. 23. 25. 27. 30. + 31. 32. 34. 35. 81. + + Kamele, zahme I, 12. 19. 22. 23. 31. 137. 148. 149. 150. 153. 156. + 157. 158. 160. 166. 171. 189. 194. 195. 196. 213. 254. 276. 277. 286. + 287. 300. 316. 317. 318. 319. 323. 324. 327. 329. 331. 334. 335. 340. + 357. 359. 366. 369. 370. 372. 392. 393; II, 3. 15. 18. 28. 29. 31. + 65. 89. 93. 94. 115. 117. 118. 119. 124. 125. 130. 132. 133. 134. + 136. 141. 142. 150; + Fleisch I, 225; + Lasten I, 20; + Mäntel II, 115; + Ortssinn I, 224; + die letzten überlebenden II, 130. 350. 364. + + Kamisch (Schilf) I, 53. + + Kamschuk-tüschken-tograk I, 268. + + Kanat-baglagan-köll I, 240. + + Kandschugan I, 17. + + Kaper II, 287. + + Kappgan (Tigerfalle) I, 103. + + Kapurtala II, 360. + + Kara-buran I, 189. 190. 192. 199. 210. 221. 275. + + -- (schwarzer Sturm) I, 262; II, 67-69. + + Kara-daschi I, 95. 96. + + Kara-dawan II, 9. 11. + + Karakesch (Pferdewärter) I, 9. + + Kara-köll I, 138. 248. 249; II, 43. 205. + + Kara-korum-Gebirge II, 350. 368. + + Kara-korum-Paß II, 363. + + Kara-koschun I, 138. 207. 210. 213. 215. 221. 226. 230. 231. 233. 235. + 238. 240. 241. 242. 247. 248. 259. 275. 278. 334. 386; II, 2. 18. 42. + 52. 62. 64. 67. 69. 70. 71. 73. 75. 76. 78. 80. 83. 84. + + Kara-kul I, 10. 306. + + Kara-kum I, 24; II, 12. + + Kara-muran I, 164. 175. 176. + + Kara-schahr I, 260. 392; II, 88. 95. 96. 104. 110. 207. 276. 278. 369; + Amban I, 137. + + Kara-tograk I, 88. + + Kara-tschokka II, 95. + + Kara-tschumak I, 106. + + Karaul I, 34. 44. 107. 125. 126. 127. + + Karaul-dung I, 48. + + Karaultschi (Dorfwächter) I, 216. + + Kargalik II, 368. + + Kargil II, 353. 362. 363. + + Kar-jaggdi II, 111. + + Kar-jakkak I, 302. + + Kartarpur II, 360. + + Karten von Tibet II, 304. 305. + + Karunalik-köll I, 257. 258. + + Kasch (Uferterrasse) I, 38. + + Kaschgar I, 17-20. 38. 97. 287. 367; II, 56. 92. 95. 169. 287. 308. + 349. 363. 364. 368; + Missionsstation II, 368. + + Kaschgar-darja I, 87. + + Kaschmir II, 334. 343. 344. 349. 354. 355. 361; + englischer Resident II, 348; + Maharadscha II, 343. 348. + + Kasgak II, 12. + + Kasim, Fährmann I, 36. 47. + + Katta-sarik-tasch I, 13. + + Kattik-arik I, 262. + + Kemitschi (Fährleute) I, 25. 38. + + Keng-laika I, 171. 181. 185. 187. + + Keppek-ui I, 261. + + Kerija I, 370; II, 117. + + Kerija-darja I, 159. 214; II, 29. + + Ketmen (Spaten) I, 185. + + Ketschik I, 107. + + Ketteler, von II, 226. + + Kettme I, 174. + + Keu-tse II, 56. + + Kharoshthi-Zeichen II, 54. + + Kigis (Filzmatten) I, 37. + + Kijik-tele-tschöll I, 56. + + Kinder, Verkauf II, 323. + + Kirgisen I, 9. 11. + + Kirgui Pavan I, 193. 213. 249. 260. 262. 263. 264. 267. 270. 273. 274. + + Kisil-art I, 10. + + Kisil-beles I, 12. + + Kisil-kurgan I, 10. + + Kisil-su I, 13. 14. 15. 20. 87. 125; + Übergang I, 15-17. + + Kitschik-darja I, 39. + + Kodai-darja I, 59. 76. + + Kok-ala I, 193. 246. + + Kökkmek II, 252. + + Kökkön (Bremsen) I, 261. + + Koko-schili I, 323. + + Kok-su I, 14. + + Köll I, 37. 40. 55. 76. + + -- See in Tibet I, 295. + + Kömul (Treibeis) I, 116. 118. + + Kömur-salldi-joll I, 202. 229. + + Kona Abdall II, 85. + + Kona-darja I, 40. 45. 46. 49. 50. 91. 93. 182. + + Kona-schahr I, 178. 185. 205. + + König-Oskar-Gebirge I, 359. + + Kontsche-darja I, 140. 192. 201. 202. 203; II, 49. + + Kopa I, 287. + + Koral-dung I, 105. + + Koral-dungning-köll I, 105. + + Korla I, 20. 31. 124. 126. 130. 132. 188. 202. 206. 229. 270; II, 49. + 77. 88. 91. 92. 99. 276; + Aksakal I, 126. + + Korle II, 233. + + Korolkoff, Gouverneur I, 13. + + Korumluk-sai II, 105. + + Kosaken I, 2. 19. 23. 32. 40. 96. 124. 130. 132. 135. 137. 139. 140. + 147. 163. 195. 197. 198. 199. 201. 251. 252. 253. 260. 266. 267. + 269. 270. 274. 278. 300. 382; II, 66. 86. 99. 100. 112. 116. 118. + 120. 125. 136. 164. 165. 248. 251. 253. 260. 276. 279. 285. 292. 321. + 325. 328. 334. 337. 347. 348. 369. + + Koschmet-kölli I, 189. + + Kosloff I, 135. 194. 206; II, 23. 97. + + Kötteklik I, 45. + + Kötteklik-ajagi I, 46. + + Köuruk, Strauch I, 386; II, 20. + + Krähen I, 240. + + Krasnowodsk I, 5. + + Krishna II, 287. + + Kuiluschning-baschi I, 75. + + Küjüsch I, 270. + + Kukku-nor II, 323. + + Kulaktscha I, 247. + + Kulane (wilde Esel) I, 298. 305. 308-310. 311. 321. 338. 345. 348. + 352. 362. 364. 369. 373. 383; II, 23. 108. 112. 114. 122. 126. 141. + 151. 153. 168. 171. 172. 240. 244. 250. 252. 267. 304. 311; + Fleisch I, 309. + + Kuldscha II, 287. + + Kulenke-tokai I, 11. + + Kum-atschal I, 49. + + Kum-bulak I, 390. + + Kum-bum II, 187. 199. 201. 287. + + Kum-darja I, 138. 193. 206; II, 37. 49. + + Kum-därwase I, 20. + + Kum-köll I, 240. 307. 310. 312. 313. 314. 322. 381; II, 1. 93. 95. 97. + 99. 102. 106. 109. 110. 112. 115. 116. 124. 125. 171. + + Kum-tag I, 215. + + Kum-tschappgan I, 238. 239. 241. 242. 287; II, 18. 62. 74. 78. 79. 83. + 86. + + Kum-tschekke I, 247. + + Kumutluk I, 298. + + Kungartschak-bel I, 96. + + Kuntschekkan Bek I, 278. 279; II, 85. + + Kuntschekkisch-Tarim I, 135. 192. 193. 249. + + Kurban I, 132. 146. 154. 155. 160. 161. 168. 172. 179. 186. 200. + + Kurban-dschajiri I, 261. + + Kurbantschik I, 204. + + Kurgan (Festung) I, 15. + + Kuropatkin, General I, 5; II, 369. + + Kurruk-asste I, 59. 60. + + Kurruk-darja I, 206. 210. 211. 216. 219. + + Kurruk-sai II, 105. + + Kurruk-tag I, 138. 193. 203. 210. 212. 214. 216. 221. 224. 226; II, + 27. 31. 35. 45. 49. + + Kurschab-darja I, 10. + + Kurtschin (Ledertasche) II, 120. + + Kuschk I, 6. + + Ku-schu-cha II, 11. + + Kutschar I, 44. 96. 102. 105. 195; II, 92. + + Kutschuk I, 250. 287. 294. 298. 301. 307. 312. 314. 316. 332. 335. + 336. 337. 338. 339. 341. 344. 346. 349. 350. 355. 367. 368. 382. 391; + II, 2. 63. 67. 71. 73. 82. 103. 114. 120. 146. 245. 266. 268. 271. + 282. 283. 293. 294. 295. 296. 298. 300. 301. 308. 309. 320. 351. 365. + 368. + + Kwen-lun I, 168. 290. 302; II, 105. 321. + + + Ladak I, 107. 331. 367; II, 90. 93. 104. 119. 207. 237. 249. 254. 257. + 261. 286. 287. 290. 303. 306. 317. 318. 320. 323. 325. 335. 340. 343. + 344. 354; + Hauptstadt II, 348, s. a. Leh; + Mönche II, 347; + Tempel II, 347, s. a. Hemis. + + Ladakis II, 344. + + Lahore II, 356. + + Lailik I, 19. 26. 28. 30. 119. 125. + + Lailik-darja I, 246. + + Lakkor-tso II, 314. 315. 319. + + Lama II, 142. 347. 366. 367. 368. + + Lamajuru II, 353. + + Lämpa-akin I, 105. + + Lani-la II, 173. 188. 200. + + Lap-tschi-tschen II, 11. + + Lauch, wilder I, 331. 332; II, 148. 241. + + Lau-lan (Lôu-lan) II, 55. + + Legge, ~Dr.~ II, 60. + + Leh II, 93. 322. 330. 334. 344. 346. 347. 348. 349. 351. 353. 359. + 361. 362. 363. 365; + Mission II, 349. + + Le Mesurier II, 355. 361. 362. + + Lenger I, 24. 176. + + Leschlik I, 88. + + Lhasa I, 134. 367. 392. 393. 395. 396; II, 10. 97. 104. 105. 109. 110. + 134. 142. 152. 153. 162. 165. 168. 183. 186. 187. 188. 192. 202. 203. + 205. 207. 208. 210. 211. 212. 214. 215. 217. 218. 219. 220. 222. 223. + 224. 226. 227. 228. 229. 230. 232. 238. 245. 246. 247. 249. 254. 257. + 261. 268. 273. 274. 275. 276. 277. 279. 284. 285. 287. 301. 302. 303. + 313. 323. 325. 329. 369; + Bewachung II, 97. 105. 109. 200; + Geld II, 190; + Gesandte II, 268. 272-275; + Heiliger Rat II, 274; + Kuriere II, 215; + Pilger I, 395. 396; II, 9; + Straße nach I, 272; II, 187. 199. 214; + Wallfahrt I, 393. + + Li (Wegmaß) I, 18. 206. + + Liebigs Fleischextrakt I, 4. 332. + + Li Loje II, 2. 30. 32. 33. 38. 41. 62. 95. 105. 112. 116. 120. 124. + 164. 168. 177. 178. 271. 309. 321. 331. 332. 336. 350. 364. + + Limnaea I, 219; II, 52. + + Littledale I, 34. 172; II, 90. 122. 256. 301. 303. 304. 305. 306. 307. + 309. 312. 313. 314. 320. 321. 322. 326. + + Lop I, 105. 138; + Eingeborene I, 105; + Fischfang I, 106. 112; + Kähne I, 96. 98. + + Lop-kölli I, 189. + + Loplik I, 133; + s. a. Lop, Eingeborene. + + Lop-nor I, 14. 27. 105. 106. 110. 144. 178. 190. 226. 228. 229. 236. + 247. 373; II, 17. 20. 24. 42. 45. 51. 67. 69. 70; + alter I, 230; II, 42. 49. 67; + Namen II, 51; + Neubildung I, 234. 235; II, 75. 76. 78. 80. 81. 82. 83. 84; + Veränderungen I, 45. 107. 108. 240. 242; II, 84. + + Lop-nor-Straße I, 206. + + Loppsen II, 340. + + Lopwüste I, 233. + + Lößterrasse I, 380. + + Lottschott II, 366. + + Lôu-lan II, 48. 49. 51-55. 63. 65. 71. 86. 91. 96; + Geschichte II, 55-61. + + Lôu-lan-hai II, 51. + + Lovo-nur II, 17. + + Luchse I, 41. 238. + + Lucknow II, 356. 357. + + Luktschin I, 224. + + Luma-ring-tso II, 324. + + Lung-thschöng II, 52. + + Lu-tschuensa II, 17. + + + Macartney, George I, 20; II, 51. 55. 61. 93. 368. + + Mackworth Young II, 356. + + Madi I, 8. 9. + + Malcolm I, 331. 364; II, 326. + + Malenki I, 196. 254; II, 2. 95. 170. 180. 185. 187. 199. 204. 240. + 242. 368. + + Malgunsträucher I, 376. + + Maltschik I, 196. 254. 301. 304. 316; II, + 2. 95. 146. 368. + + Mandarlik I, 298. 299. 300. 301. + + Manikisten II, 347. + + Mann II, 343. + + Mar II, 190. + + Maral-baschi I, 19. 27. 30. 34. 40. 45. 50. 60. 61. + + Marco Polo I, 221; II, 23. + + Marmi-gombo II, 320. + + Marmi-gotsong II, 320. + + Masar (Heiligengrab) I, 17. 75. 92. + + Masar-alldi I, 55. 62. + + Masar Chodscham I, 78. + + Masar-tag I, 57. 59. 60. 150. + + Mäschallä I, 13. + + Maschka I, 133. 139. 209. 246. 254. 290. + + Mäschrab-dawan I, 16. + + Mattan I, 82. + + Mattschui II, 354. + + Maulesel I, 391; II, 132. 313. 320; + burjatische Kurmethode I, 366. 367. + + McSwiney, Oberst I, 20; II, 360. + + Medley II, 361. + + Meereshöhen I, 289. 291. 295. 298. 299. 302. 304. 305. 306. 307. 312. + 316. 317. 318. 320. 323. 325. 327. 328. 336. 345. 352. 353. 354. 355. + 356. 358. 361. 365. 366. 367. 368. 371. 377. 392; II, 6. 8. 111. 124. + 132. 138. 141. 142. 145. 148. 149. 159. 166. 251. 253. 289. 307. 309. + 321. 327. 329. 333. 346. 347. 353. 354. 355. 368. + + Meinet I, 40. + + Merdek-köll I, 247. 248. + + Merdek-schahr I, 206. + + Merdektik I, 246. + + Merik II, 188. + + Merik-dschandsen II, 216. + + Merket I, 25. 26. 28. 30; + Bek I, 27. 28. 30. + + Merw I, 6. + + Mesdschid I, 205. + + Mestschit-sai II, 107. + + Mian I, 239. 243. 301. + + Milben II, 34. + + Min-baschi I, 8. + + Min-joll I, 17. + + Mirsa Muhammed II, 347. 348. 352. + + Miskal I, 18. + + Missionare, schwedische I, 20; II, 368. + + Modschuk I, 258. + + Mollah I, 70. 72. 74. 76. 77. 78. 83. + + -- I, 298. 381; II, 2. 8. 15. 23. 62. 85. + + Mollah Faisullah I, 93. 95. + + Mollah Schah I, 172. 181. 250. 276. 287. 291. 294. 298. 301. 307. 311. + 314. 316. 318. 319. 322. 332. 341. 344. 348. 350. 351. 357. 358. 364. + 367. 373. 374. 377; II, 90. 95. 105. 114. 116. 120. 124. 125. 127. + 145. 146. 168. 248. 271. 307. 316. 321. 350. + + Mollah Toktamet Bek I, 171. + + Mölldschah I, 176. + + Mölle-koigan I, 383. + + Momuni-ottogo I, 124. 125. + + Mongolen I, 380. 393; II, 3. 10. 13. 14. 17. 19. 24. 105. 208. 250. + 347; + Proviant I, 393; + Wallfahrt nach Lhasa I, 393. 394; II, 104. + + More I, 71. 72. + + Moskau I, 5. + + Möwen I, 348; II, 264. 283. + + Mücken I, 43. 49. 51. 54. 248. 269. 295. 308; II, 105. + + Mückenplage I, 261. 269. 319. + + Muhammed Ahun I, 50. 54. + + Muhammed Ili-lenger I, 37. + + Muhammed Tokta II, 139. 248. 258. 268. 269. 301. 308. 310. 313. 316; + Tod II, 316. 317. + + Muhammed Turdu II, 135. + + Mullbeh II, 353. + + Münzen II, 53. + + Murgab I, 10. + + Murmeltiere I, 302. 308. 348. 358. 359. 361. 362. 383. 387; II, 127. + 171. 192. 242. + + Murreepaß 11, 355. 356. + + Musa, Dschigit I, 9. 23. 172. 173. 201. 202. 207. 250. 267. 301. 307. + 314. 378. 381. + + Musa Ahun I, 132. + + Mus-art I, 96. + + Muselmänner I, 131. 223. 267. 358; II, 80. 101. 102. 103. 118. 120. + 121. 165. 191. 248. 271. 272. 273. 287. 311. 316. 329. 350. + + Mus-suji, Frühlingsflut I, 145. 187. + + Musulman-natschuk I, 22. + + + Nagara (Trommel) I, 30. + + Nagara-tschalldi I, 15. + + Nagma-tso II, 300. + + Nagtschu II, 222. + + Naib (Sekretär) II, 347. + + Nain Singh II, 287. 303. 304. 305. 324. 326. 330. 334. 337. + + Nakktsäng-tsong II, 276. + + Nakktschu I, 395; II, 173. 200. 203. 207. 211. 212. 214. 217. 218. + 219. 220. 221. 222. 224. 233. 238. 254. 275. 276. 328. + + Nakktsong II, 275. 276. 277. 312. 328. + + Nakktsong-tso II, 270. 276. 277. 280-285. 287. 288. 289. 301. 304. + 305. 330. + + Namaga II, 171. + + Namika-la II, 353. + + Namru II, 238. 276. 277. + + Nangra II, 305. + + Nanso, Lama II, 217. 224. + + Na-po-po II, 56. 61. + + Nas (Schnupftabak) I, 72. + + Naser Bek I, 137. 138. 250. 260. 264. 266. 284. + + Nephrit II, 53. 60. + + Niagsu II, 337. + + Nias I, 301. 303. 314. 316. 344. 351. 358. 364. 368. 375. 382; II, + 129. + + Nias Hadschi I, 19. 23. 31. 44. 96. 124. 129. 131. + + Nias Hakim I, 188. + + Nias-köll I, 246. + + Niemo II, 352. + + Nija I, 151. 174. + + Nimo II, 56. 61. + + Nischan (Wahrzeichen) I, 185. + + Nivellement durch die Wüste II, 33. 62-76. + + Nizam II, 360. + + Noh II, 333. 334. + + Noijin II, 207. + + Nom II, 366. + + Nordenskiöld, Professor Freiherr A. von I, 5; II, 93; + Tod II, 348. + + Northcote, Lord und Lady II, 360. + + Numet Bek I, 239. 275. 291; II, 85. + + Nura-Fluß I, 14. + + + Obo I, 373; II, 137. 204. 246. 256. 347. + + Odschang II, 333. + + Ögen I, 98. + + Ogri-joll (Diebsweg) I, 188. + + Oi-köbruk I, 211. + + Ölweide s. ~Elaeagnus~. + + Oma II, 190. + + Oman-tso II, 321. 322. + + Ombo-sangpo II, 323. + + Om mani padme hum I, 373; II, 136. + + On-baschi I, 27. + + Opium II, 332. + + Ördek I, 133. 139. 143. 146. 155. 161. 166. 171. 172. 201. 202. 217. + 219. 220. 228. 229. 231. 232. 233. 237. 239. 243. 246. 255. 260. 267; + II, 42. 43. 96. 97. 98. 103. 126. 148. 150. 171. 172. 173. 174. 175. + 176. 177. 178. 245. 256. 257. 258. 259. 266. 271. 288. 301. 332. 336. + 337. 339. 340. 341. 350. 363. + + Orongoantilopen I, 310. 315. 317. 318. 320. 330. 332. 348. 350. 361. + 369. 373; II, 111. 112. 125. 126. 135. 139. 151. 152. 240. 267. 328. + + Örtäng (Posthalterei) I, 144. 230. + + Örtängtschi (Gastwirt) I, 27. + + Osch I, 7. 9; II, 344. 368. + + Oskar, König von Schweden I, 7; II, 92. 349. 369. + + Osman Bai-kuduk I, 175. + + Otter I, 138; Felle I, 138. 249. + + Ouigour II, 56. + + Ova, Steinpyramide I, 226. + + Owras-fai II, 95. + + + Pakka-kuduk I, 176. + + Palta, Fährmann I, 38. 40. 44. 66. 70. 90. 115. + + Pamir I, 8. 10. 15. + + Pamirskij Post I, 10. + + ~Pantholops Hodgsoni~ II, 111. + + Pao-tai I, 206; II, 45. 49. + + Pappeln I, 21. 22. 24. 44. 52. 53. 83. 94. 116. 169. 182. 183. 211. + 219. 247. 291; II, 43. + + Parpi Bai I, 44. 124. 126. 132. 143. 144. 146. 149. 151. 154. 163. + 195. 197. 201. 202. 254; + Tod I, 249. + + Partscha-darja I, 39. + + Pavan (Jäger) I, 50. + + Pavan Aksakal I, 139. 141. + + Pawan-bulak II, 26. + + Peh-lung-Wall II, 59. + + Peking I, 206. 229. + + Peling II, 208. + + Petrowsk I, 5; II, 369. + + Petrowskij, Generalkonsul I, 17. 18. 19. 31. 198. 200. 271. 381; II, + 77. 91. 92. 98. 99. 102. 350. 368. 369. + + Pettelik-darja I, 314. + + Pferde I, 9. 340. 393; II, 17. 18. 93. 94. 119. 132. 133. 134. 249. + 308. 309. 319. 320. 322. 324. 329. 331; + Kur I, 322. + + Photographische Ausrüstung I, 3. 28. 29. + + Piaslik I, 374; II, 111. 112. + + Pjewzoff I, 34. 127. 174. + + Pik Kauffmann I, 13. + + Po II, 56. + + Pocken I, 128. 139; II, 268. + + Poesie in Innerasien I, 278-285. + + Porphyr I, 317; II, 306. + + Potai (Wegmaß) I, 72. + + Potala II, 226. + + Prinz Heinrich von Orléans I, 34. 144; II, 122. 193. + + Prschewalskij I, 34. 131. 215. 241; II, 84. + + Pschui, Häuptling I, 378. + + Pul I, 18. + + Punditen II, 183. 287. + + Pung I, 18. + + Pu-schang-hai II, 57. + + Pustun (Schafpelz) I, 37. + + Puth-schang-hai II, 51. + + + Raben I, 51. 120. 364. 382; II, 168. 244. 247. + + Raga-sangpo II, 329. + + Ramlung II, 313. + + Raskolniken I, 183. 184. 268. + + Raubtierfalle I, 79. + + Rawal-pindi II, 355. 356. 360. 361. + + Rawur-sangpo II, 327. + + Rebhühner I, 10. 207. 302; II, 16. 107. 110. 126. 142. 152. 153. 159. + 160. 244. 304. + + Rehe I, 51. 71. 238. 259. + + Reispudding I, 149. + + Ribbach II, 349. 350. 351. 364. + + Richthofen, Freiherr von, Professor I, 226; II, 84. + + Rijnhard II, 223. + + Roborowskij I, 157. 174. 180. 181. 186. + + Rockhill I, 320; II, 192. + + Rosen, wilde II, 106. + + Rosi Mollah II, 120. 135. 146. 270. 271. 272. 309. 350. + + Rostow I, 5. + + Roter Fluß s. Kisil-su. + + Rubine I, 75. + + Rudok II, 322. 324. 325. 326; + Gouverneur II, 324. 325. 326. 328. + + Ruinen I, 178. 228-229. 230-232; II, 4. 37-50. + + + Sacharoff II, 369. + + Sachir II, 202. + + Sadak-köll I, 246. + + Sagen, Zollvorsteher I, 14. + + Sagget-sang II, 321. + + Säghisghan I, 164. + + Sahib II, 229. + + Sai I, 202. 203. 204. 289. 295. + + Sai-tag I, 68. 70. + + Sai-tschekke I, 206. + + Saizeff, Oberst I, 8. 145. 381; II, 89. 102. 368. 369. + + Saksaul II, 20. 21. + + Saldam (Anstand für Jäger) I, 109. + + Saluen II, 222. + + Salz I, 333. 334; II, 184. 238. 260. 314. 315. 319. + + Salzsee (Lop-nor) II, 69. + + Samarkand I, 6. + + Sampa-nesrak II, 353. + + Sampo Singi II, 187. 188. 189. 190. 191. 192. 237. + + Sando II, 15. + + Sandschu-Paß II, 368. + + Sandstein I, 366; II, 111. 139. 171. 172. 184. 241. 243. 257. 258. + + Sapp (Gerte) I, 61. + + Sär I, 18. 132. + + Sarik-buja I, 103. + + Sarik-buran (gelber Sturm) I, 41. 63. + + Säri-kari II, 234. + + Sarikol II, 56. + + Sarik-tasch I, 13. + + Särtäng II, 15. + + Särtäng-Mongolen II, 15. 16. + + Sarten I, 7. 8. + + Saspul II, 352. + + Sate-köll I, 242. 288. + + Sa-tscheo I, 137. 144. 206. 229. 230. 242. 286; II, 11. 15. 16. 17. + 23. 80. + + Satschkak I, 61. + + Satschu-sangpo II, 193. 194. 195. 196. 197. 225. 236. 237. 256-259. + 341; + Übergang II, 193-195; + Wassermasse II, 195. + + Sattma (Hirtenhütte) I., 61. + + Sattowaldi-köll I, 268. + + Schafe I, 176. 303. 304. 305. 311. 319. 330. 493; II, 111. 115. 118. + 121. 132. 187. 329. 335; + Fett II, 158; + Lasten II, 184. 260. 335; + Tötung II, 190; + wilde II, 252. + + Schagdur I, 198. 199. 257. 260. 262. 264. 266. 267. 271. 272. 274. + 287. 288. 290. 291. 293. 294. 297. 300. 301. 379. 382. 394. 395. 396; + II, 10. 14. 15. 16. 17. 19. 29. 30. 31. 32. 37. 42. 44. 62. 64. 65. + 68. 69. 71. 72. 73. 74. 75. 76. 82. 88. 89. 95. 96. 97. 98. 104. 105. + 108. 109. 110. 111-113. 120. 121. 126. 129. 137. 139. 140. 142. 145. + 148. 150. 153. 155. 161. 164. 169. 171. 173. 174. 175. 176. 179. 182. + 184. 185. 186. 188. 189. 190. 195. 197. 202. 203. 206. 207. 208. 210. + 219. 225. 228. 231. 233. 237. 240. 243. 244. 246. 247. 248. 251. 252. + 253. 255. 256. 263. 264. 265. 269. 278. 305. 310. 313. 318. 328. 330. + 332. 333. 338. 342. 351. 352. 357. 359. 361. 362. 363. 364. 369. + + Schaggué-tschu II, 320. + + Schah Dschahan II, 356. + + Schah-gandschum II, 311. 312. + + Schah-jar I, 34. 72. 79. 96. 101; + Bek I, 97. + + Schah-jar-darja I, 96. + + Schahr-i-Kettek-kum I, 136. + + Scha-kurun I, 46. + + Schalung II, 303. + + Schalwa I, 13. + + Schang-ja I, 115. + + Schannig-nagbo II, 260. 262. + + Schan-schan II, 52. + + Schäschkak I, 41. + + Scha-tschôu II, 47. 49, s. Sa-tscheo. + + Scheitlar I, 193. 248. + + Scheitlik I, 43. + + Schejoktal II, 368. + + Schereb, Lama II, 96. 97. 104. 105. 108. 109. 110. 112. 113. 116. 118. + 120. 121. 132. 134. 136. 137. 138. 148. 149. 152. 153. 154. 155. 159. + 160. 162. 163. 165. 167. 170. 171. 172. 173. 174. 179. 180. 182. 183. + 184. 186. 187. 188. 192. 193. 194. 195. 196. 197. 198. 200. 201. 202. + 203. 205. 206. 207. 208. 209. 210. 211. 215. 216. 217. 220. 221. 222. + 226. 227. 228. 231. 232. 241. 242. 243. 244. 246. 251. 253. 254. 255. + 256. 257. 260. 263. 265. 273. 275. 276. 277. 278. 301. 306. 309. 310. + 323. 327. 332. 338. 345. 352. 365. 369. + + Schiefer I, 291. 292. 317. 320. 324. 325. 354. 366. 373; II, 105. 306. + 337. 341. + + Schigatse II, 201. + + Schilf I, 53. + + Schinalga I, 195. 196. + + Schirge-tschappgan I, 234. 241. 243. 245. 246. 257. 272; II, 83. + + Schneckenschalen I, 219. 220. 221. 227. 231. 238; II, 42. 67. + + Scho II. 190. + + Scholung II, 313. + + Scho-ovo II, 16. + + Schor I, 66. 151. + + Schor-Boden II, 68. 75. + + Schor-köll I, 61. 182. + + Schueiking-tschu II, 52. + + Schwäne I, 65. 140. 166. 235. 238. 240. 241; II, 85. + + Schwed-peling II, 207. 208. + + Schweinfurth I, 134. + + Secundrabad II, 360. + + Seeboden, alter I, 151. 152. 219; II. 35. + + Seenregion in Tibet II, 301. 305. 340. + + Seeschwalben I, 259. + + Seit-köll I, 128. 129. 143. 154. + + Selling-tso II, 253. 254. 255. 256. 258. 259. 262-264. 266. 267. 269. + 273. 288. 301. 341. + + Semillaku-köll I, 273. 275. + + Semis-chatun I, 15. + + Sendschkak I, 138. + + Senkor-Stamm II, 321. + + Serdse II, 343. 345. + + Setscha II, 309. + + Shakkanjorm II, 312. + + Shawe, ~Dr.~ II, 349. 351. 361. 363. 364. + + Shen-shen II, 56. 59. 60. + + Sialkut II, 348. + + Si-an-fu II. 56. + + Si-gu II, 56. + + Sim I, 249. + + Singer I, 194. 216. 217. 226. + + Si-ning II, 11. + + Sir-darja I, 14. + + Siriap II, 341. + + Sirkin I, 19. 25. 26. 29. 31. 44. 131. 133. 140. 146. 194. 195. 198. + 200. 251. 253. 255. 259. 262. 264. 267. 269. 270. 271. 273. 277; II, + 77. 88. 95. 96. 98. 104. 105. 111. 113. 114. 115. 120. 123. 125. 126. + 127. 128. 129. 136. 140. 142. 148. 150. 152. 155. 162. 164. 167. 168. + 169. 170. 220. 263. 269. 277. 318. 322. 332. 337. 342. 350. 351. 363. + + Siwa I, 118. + + Skorpione I, 38; II, 44. 94. + + Sodschi-la II, 353. 354. 361. 362. + + Solang Undü II, 231. 237. 238. + + Somme-sangpo II, 314. + + Sonamarg II, 362. + + Sor I, 14. + + Söre (Hirtenhütten) I, 52. + + Sorun I, 63. + + Sorun-köll I, 65. + + Sourgak I, 287. + + Splingaert I, 292. + + Srinagar II, 349. 352. 355. 361. + + Städte, alte I, 136. 172. 177; II, 40; s. a. Andere-terem, Jing-pen, + Lôu-lan. + + Stationsgebäude, russische I. 10. + + Stein, ~Dr.~ I, 178; II, 52. 54. 361. + + Steinböcke II, 110. + + Steinkisten II, 345. 347. 365, s. a. Mani. + + Steinpyramiden I, 289; II, 20. 35. 333. 342, s. a. Obo. + + Steinsalz I, 62. + + Steppenmurmeltiere I, 14. + + Straße, alte I, 144. 226; II, 10. 20. 24. + + Straße, strategische I, 10. + + St. Yves I, 20. + + Sufi-kurgan I, 12. + + Sugett-bulak I, 203. + + Sugett-dawan II, 368. + + Suji-sarik-köll I, 248. + + Suk-suk II, 20. + + Su-leh II, 56. + + Sume II, 366. + + Sum-tun-buluk II, 3. + + Su-ößgen I, 182. + + Supa-alik I, 374. + + Süssük-köll I, 261. + + Sutschi (Wassermänner) I, 32. + + Svinhufvud, Oberst I, 5. + + + Tabakpfeife I, 179. + + Tabbtsang II, 367. + + Tadschinurmongole II, 323. + + Tadsch Mahal II, 356. + + Tagar I, 226. 227. + + Taggar II, 347. 368. + + Tag-kum I, 190. 191. + + Taigun I, 133. 139. + + Tailak-tuttgan I, 175. + + Tajek-köll I, 248. + + Takla-makan I, 60. 141. 156. 164. 216. 221. 306. 327; II, 28. 29. 95. + 133. 196. + + Talldik-Bach I, 13. + + Talldik-Paß I, 13. 14. + + Talkan (geröstetes Mehl) I, 147; II, 3. 89. + + Tamarisken I, 24. 83. 109. 121. 160. 161. 162. 169. 175. 211. 258. + 291. 292; II, 19. 20. 23. 30. 60. 70. 106; + Holz II, 52. + + Tamascha (Vorstellung) I, 82. + + Tana-bagladi I, 143. 146. 148. 151. 170. 191. + + Tang-la-Kette I, 355; II, 222. + + Tang-le II, 263. + + Tanguten II, 166. 181. 187. 201. 323; + Kauf und Verkauf von Kindern II, 323. + + Tanksi II, 346. + + Tänzerinnen I, 30. + + Tarbagatai II, 104. + + Tarim I, 19. 31. 34. 36. 47. 48. 52. 53. 83. 98. 107. 110. 126. 141. + 145. 148. 152. 171. 188. 191. 192. 197. 239. 241. 242. 246. 249. 266. + 269. 275. 278. 288; II, 29. 43. 45. 49. 56. 85. 86; + Dörfer I, 128; + Fähre I, 84; + Flußteile I, 37. 39. 45; + Laufänderungen I, 37. 93. 94. 107. 207; + Namen I, 98. 105. 108. 269; + Treibeis I, 117; + Ufer I, 38. 88. 91. 92; + Uferseen I, 105. 128. 259; + Wasserfall I, 45; + Wasserstand I, 124; + Zufrieren I, 41. + + Tärim I, 108. + + Tarimbecken I, 180. + + Taschi-lumpo II, 199. 201. 203. 205. 254. + + Taschkent I, 6; II, 369. + + Täsildar II, 347. 348. 352. + + Tatran I, 150. 152. 163. 170. 171. + + Tattlik-bulak I, 290. 292. 293; II, 93. + + Ta-wan II, 57. + + Telepathie I, 377. 379. + + Tellpel I, 93. + + Temirlik I, 295. 298. 361. 363. 370. 374. 378. 379. 380. 382. 383. + 389. 393. 394; II, 1. 2. 3. 5. 10. 88. 97. 98. 208; + Amban I, 378. + + Temperaturen I, 12. 24. 33. 41. 72. 81. 88. 97. 98. 99. 110. 118. 140. + 152. 157. 159. 166. 167. 168. 171. 174. 175. 179. 181. 185. 186. 187. + 189. 193. 199. 203. 207. 210. 211. 226. 233. 245. 246. 262. 269. 273. + 274. 291. 292. 293. 294. 303. 308. 310. 317. 328. 329. 335. 345. 354. + 357. 360. 370. 372. 374. 386. 387. 389. 390. 391. 392. 394; II, 1. 5. + 14. 16. 23. 25. 34. 35. 91. 107. 135. 136. 152. 181. 201. 235. 236. + 242. 250. 251. 252. 280. 295. 305. 306. 307. 309. 314. 321. 324. 328. + 329. 330. 333. 335. 336. 337. 338. 311. 342. 344. 345. 354. + + Tenge I, 18. 132. + + Tengri-nor II, 90. 151. 160. 173. + + Teppe-teschdi I, 103. + + Terek (Pappel) I, 10. + + Terek-dawan I, 12. + + Terektal I, 12. + + Terem I, 23. + + Teres I, 96. + + Teresken I, 303. 308; II, 11. 19. + + Tibet I, 144. 172. 198. 320. 322. 395; II, 93. 94. 95. 318. 319. 331. + 332. 343. 344. 354, + Bevölkerungsdichte I, 361; II, 303. 304; + Bewachung der Nordgrenze I, 395; + Erschließung II, 286; + Flüsse II, 195. 196; + Geld II, 230. 313; + Grenzen II, 160. 237. 238. 252. 312. + Klima I, 294. 295. 302. 358. 383; II, 107. 120. 185. 199. 200. 315; + Seen I, 310. 356; + Schwierigkeiten der Reise II. 94. 95. + + Tibeter II, 154. 155. 167. 168. 173. 176. 179. 181. 182. 183. 204. + 206. 210. 211. 215. 216..217. 218. 220. 221. 228. 233. 235. 236. 239. + 240. 249. 252. 256. 257. 258. 259. 260. 262. 263. 265. 266. 267. 269. + 270. 271. 279. 280. 282. 283. 285. 286. 288. 289. 290. 292. 293. 300. + 305. 307. 308. 310. 311. 313. 314. 317. 320. 321. 323. 327. 328. 329. + 332. 333. 338. 344; + Abschließungspolitik II, 277. 286. 287; + Äußeres II, 199. 215. 232; + Begräbnis II, 272. 301; + Dolmetscher II, 219. 220. 221. 222. 224. 228. 229; + Dörfer II, 205; + Frauen II, 191; + Gehorsam gegen Obrigkeit II, 311; + Gesandte II, 292. 293; + Gouverneure II, 200. 211. 224. 278. 297; + Gruß II, 237. 301; + Häuptling II, 207. 257. 260; + Hirten II, 186. 187; Hunde II, 232; + Jäger II, 163. 164. 171. 207. 208. 247. 277; + Kleidung II, 191. 203. 232. 233; + Lager II, 233-236. 251. 252; + Lamas II, 210. 211. 233; + Mädchen II, 255; + Nahrung II, 190. 235. 236. 266. 267; + Nomaden II, 163. 186. 187. 188. 189. 198. 204. 205. 213. 218. 253. + 254. 255; + Pferde II, 232. 233; + Postkuriere II, 215; + Räuber II, 238. 240. 241. 328; + Schafhürden II, 309; + Soldaten II, 212. 213. 214. 218. 219. 223. 224. 226. 228. 229. 230. + 231. 233. 235. 236. 255. 260. 263. 264. 265. 273. 285. 287. 289. + 290. 291. 301; + Tauschhandel II, 335; + Tauschmittel II, 237; + Teekarawane II, 198. 200. 201; + Tempel II, 279. 333; + Tötung eines Schafes II, 190; + Verhältnis zu China II, 226; + Bestrafung von Verrätern II, 202. 218; + Wachsamkeit II, 165; + Waffen II, 278. + + Tien Shan II, 56. + + Tiger I, 41. 63. 76. 86. 103. 104. 106. 110. 184. 196. 220. 373; + Jagd I, 103-104. + + Tikkenlik I, 137, 193. 250; II, 98. + + Tikkse II, 347. 348. + + Tikkse-gompa II, 347. + + Többwe I, 204. + + Togdasin I, 374. 377. 381. 382. 383. 384. 388. 389. 391. 394; II, 1. + 3. + + Togdasin Bek I, 188. 192; II, 104. 105. + + Togluk I, 44. + + Tograk (Pappel) I, 24. 211. + + Tograk-bulak I, 204. + + Tograk-kuduk II, 23. + + Tograk-mähälläh I, 106. + + Togri-sai I, 370. 372. 374; II, 112. + + Tojagun I, 240. + + Tokkus-attam I, 275. + + Tokkus-dawan I, 168. + + Tokkus-kum I, 115. + + Tokkus-tarim I, 244. + + Tokta Ahun I, 239. 243. 275. 287. 288. 290. 294. 298. 301. 305. 306. + 307. 309. 311. 314. 378. 381. 382. 385. 386. 387. 392; II, 2. 4. 5. + 6. 7. 8. 9. 18. 67. 69. 71. 72. 73. 76. 78. 79. 80. 83. 338. + + Toktamet Bek I, 185. + + Toktekk I, 175. + + Tonga II, 355; Fahrt in II, 355. 356. + + Tong-burun I, 13. 14. + + Tongo, Vulkan II, 306. + + Tonkuslik I, 37. + + Tonschluchten II, 5-8. 9-10. + + Tor (Raubtierfalle) I, 79. + + Tora I, 202. 205. 206. 229; II, 38. 42. 52. + + Torpag-bel I, 15. + + Tosak (Tigerfalle) I, 103. 104. + + Tosgak-tschantschdi I, 247. + + Transalai I, 13. 14. + + Treibeis I, 117. 118. 119. 121. 123. 127. + + Treibholz I, 95. + + Troizkosawsk I, 199. + + Tsagan Chan I, 395. + + Tsagan-ula II, 19. + + Tsamba I, 393; II, 190. 236. + + Tsamur II, 238. + + Tsangar-schar II, 330. 333. + + Tschahrbag I, 27. + + Tschakkande, Strauch II, 20. + + Tschaltschik I, 176. + + Tschang-la II, 346. 365. + + Tschanto II, 207. 287. + + Tschappgan I, 242. + + Tscharchlik I, 132. 137. 260. 270. 287. 364. 394; II, 1. 4. 18. 77. + 78. 86. 87. 98. 99. 109. 115. 117. 168. 169. 248. 308. 330. 349; + Amban I, 250. 284; II, 1. 90. + + Tscharchlik-su II, 93. 105. 106. 108. 110. 322. + + Tschardschui I, 6. + + Tschargut-tso II, 289. 292. 293. 296. 298. 301. 302. 304. 305. + + Tscharwak I, 62. + + Tscheggelik-ui I, 245. 272. 273. 275; II, 96. + + Tsche-mo-to-na II, 61. + + Tscherdon I, 249. 250. 299. 300. 301. 303. 305. 306. 308. 309. 311. + 314. 316. 317. 318. 319. 320. 322. 325. 328. 333. 338. 340. 341. 344. + 345. 349. 350. 351. 352. 353. 354. 355. 356. 358. 361. 366. 367. 369. + 373. 377. 382. 384. 389. 392; II, 1. 18. 88. 93. 95. 96. 113. 120. + 121. 125. 138. 140. 142. 154. 156. 158. 160. 165. 171. 177. 178. 208. + 246. 247. 248. 263. 264. 266. 282. 301. 313. 328. 336. 346. 351. 369. + + Tschernajewa I, 6; II, 369. + + Tschernoff I, 19. 31. 129. 143. 195. 198. 201. 202. 203. 205. 212. + 213. 216. 217. 218. 219. 222. 227. 228. 229. 230. 235. 237. 239. 240. + 243. 247. 249. 254. 271. 276. 277; II, 76. 77. 78. 82. 83. 88. 93. + 95. 99. 113. 114. 120. 121. 123. 125. 126. 138. 140. 145. 146. 147. + 162. 163. 165. 220. 245. 247. 250. 251. 258. 261. 263. 266. 276. 277. + 302. 306. 309. 310. 330. 332. 333. 336. 337. 338. 340. 341. 342. 344. + 345. 346. 351. + + Tschertschen I, 146. 147. 150. 151. 170. 171. 172. 173. 174. 175. 176. + 179. 370; II, 110. + + Tschertschen-darja I, 150. 156. 157. 158. 164. 169. 170. 171. 182. + 184. 185. 186. 187. 188. 189. + + Tschertschenwüste I, 138. 170. 233; II, 330. + + Tschidschegan (totes Schilf) I, 219. + + Tschigertschig I, 9. + + Tschiggan-tschöll I, 72. + + Tschigge (Binse) I, 161. 193. + + Tschiggelik I, 299. + + Tschimen I, 97. 182. 183; II, 109. 116. + + Tschimengebirge I, 368. + + Tschimen-tag I, 275. 286. 299. 300. 303. 304. 374. 382. 383. 390; II, + 8. + + Tschimental I, 299. 309. 374. 383. 391; II, 4. 111. + + Tschitschek 1, 128. + + Tschiwiklik-köll I, 138. 193. 249. 250. 269; II, 43. + + Tschokka-tag I, 62. 63. 66. + + Tschokk-dschalung II, 325. + + Tschöll-köll I, 65; II, 2. + + Tschong-ak-kum I, 108. + + Tschong-aral I, 96. + + Tschong-darja I, 108. + + Tschong-köll I, 246. + + Tschong-kum I, 136. + + Tschong-schipang I, 182. + + Tschong-tarim I, 188. + + Tschong-tograk I, 115. + + Tschorá II, 190. + + Tschorten II, 353. 365. + + Tschugulup (Flußarm) I, 72. + + Tschugun (Kupferkanne) I, 185. + + Tschurden II, 366. + + Tschuring II, 307. 310. 311. + + Tschutschepp II, 366. + + Tsebu II, 327. + + Tsen Daloi I, 20. + + Tsering Daschi II, 306. 310. + + Tsien-Han-shu II, 55. 56. 57. 60. + + Tsin-Dynastie II, 48. + + Tso-Daloi I, 20. + + Tsokkang II, 366. + + Tsolla-ring-tso II, 324. + + Tso-nekk II, 205. 206. 231. + + Tso-ngombo II, 333. 334. 336. 339. 341. 342. + + Tsos, tibetische Münze II, 263. 313. + + Tsung-ling II, 56. + + Tuff I, 330, 360. + + Tuga-ölldi I, 272. + + Tugatschi-baschi II, 116. + + Tugh I, 364. + + Tulume (Ziegenlederschläuche) I, 147. + + Tumschuk I, 39. 60. + + Tung-chuan II, 16. + + Tun-huang II, 56. 60. + + Tura-sallgan-ui I, 135. 136. 141. 143. 144. 146. 173. 195. 197. 199. + 240. 249. 250. 255. 260. 382. + + Turdu Bai I, 19. 23. 132. 146. 155. 158. 160. 161. 163. 166. 168. 172. + 196. 252. 254. 276. 287. 291. 294. 297. 301. 307. 314. 318. 319. 322. + 324. 326. 328. 340. 344. 347. 348. 350. 351. 352. 355. 363. 368. 372. + 382. 384. 392; II, 1. 5. 89. 91. 93. 95. 103. 113. 114. 116. 117. + 120. 121. 123. 125. 129. 133. 134. 136. 139. 141. 146. 148. 151. 152. + 153. 156. 163. 164. 167. 171. 178. 244. 247. 251. 252. 271. 276. 287. + 290. 306. 314. 321. 322. 331. 337. 342. 359. 368. 369. + + Turduning-söresi I, 193. + + Turfan I, 138. 206. 216. 249; II, 30. 52. 53. 65. + + Tursan-köbruk I, 138. 249. + + Turguten I, 395. + + Turkestan I, 6. + + Tus-algutsch-köll I, 128. + + Tusluk-kusch I, 55. + + Tusluk-tag I, 62. 63. 66. 68. + + Tusun-tschappgan I, 138. 239. 240. + + Tutek (Bergkrankheit) I, 13. 388; II, 135. + + Tuwaduku-köll I, 261. + + + Ufer, konkaves I, 38. 44; + konvexes I, 38. + + Uferlinien II, 270. 288. 304. 314. 316. 324. 336. 340. 346. + + Ugen I, 98. + + Ugen-darja I, 122. 126. + + Ujäsdnij natschalnik (Distriktschef) I, 8. + + Ullug-köll I, 258. + + Ullug-tschat I, 15. + + Unkurluk II, 110. + + Urancha II, 109. + + Urga II, 96. 287. + + Urumtschi I, 106. 126. 144. 199. 285; II, 287. + + Urus-sallgan-sal I, 135. + + Uspenskij I, 199. + + Usun-jar I, 298. + + Usun-schor I, 294. 394. + + + Vizekönig von Indien II, 357, + s. Curzon, Lord. + + + Wacholder I, 13. 14. + + Waller II, 361. + + Wang-Mang II, 48. 53. + + Wanka II, 115. 118. 329. + + Wasch-schahri I, 138. 186. + + Wasser, Messung der Durchsichtigkeit I, 56. + + Wassermessungen I, 10. 15. 30. 31. 40. 41. 43. 44. 46. 52. 55. 56. 58. + 60. 63. 64. 65. 71. 73. 74. 80. 82. 94. 96. 111. 116. 118. 126. 127. + 241. 242. 244. 245. 247. 250. 257. 258. 269. 272. 278. 314. 317. 325. + 330. 340; II, 83. 86. 106. 152. 195. 256. 266. + + Weber, Missionar II, 348. + + „Weißer Zar“ I, 395. + + Wellby I, 320. 331. 364; II, 326. + + Wesir Wesarat II, 343. 348. 354. 362. + + Westpassat II, 136. 137. 138. + + Wildenten I, 42. 120. 308; II, 264. 267. 335. + + Wildgänse I, 44. 84. 95. 101. 120. 196. 207. 313. 348. 373; II, 153. + 268. 304. 327. + + Wildschweine I, 37. 41. 51. 72. 197. 238. 259; II, 75. + + Wind, in Tibet II, 136. 140. 141. 149. 311. 312. 315. 318. + + Wladikawkas I, 5. + + Wölfe I, 41. 161. 175. 184. 185. 303. 304. 311. 312. 327. 331. 332. + 348. 352. 358. 373; II, 22. 110. 141. 150. 154. 156. 168. 171. 234. + 247. 311. 327. 330. 345. + + Woronesch I, 5. + + Wrewskij, Generalgouverneur I, 13. + + Wu-ni II, 56. + + Wüstenseen I, 129. + + Wu-sun II, 57. + + Wu-ti, Kaiser II, 48. 57. 58. 59. + + Wu-tschu, Münzen II, 48. 53. + + Wylie II, 55. 60. + + + Yake I, 300. 310. 311. 318. 321. 332. 341. 344. 348. 352. 353. 354. + 356. 361. 364. 370. 373. 383. 392; II, 110. 122. 126. 141. 142. 148. + 151. 152. 157. 159. 171. 172. 178. 179. 187. 200. 203. 204. 220. 241. + 252; + zahme II, 4. 154. 200. 201. 255. 309. 313. 323. 329. 336. 338. 340. + 342. 343; + Lasten II, 309. + + Yakgras II, 152. 159. + + Yakmoos II, 141. 152. + + Yamen II, 43. + + Yang-kuan II, 56. 57. + + Yao-tsö II, 51. + + Yarkand II, 56. + + Yen-tsö II, 51. + + Younghusband II, 359. + + Yüan-Ti, Kaiser II, 48. 85. + + Yü-Tor II, 57. + + + Zaidam I, 299. 331. 378. 393; II, 8. 14. 97. 105. 116. 202. 222. + + Zeichnungen auf Felsen I, 373. + + Ziegeltee II, 198. + + Zwiebelkette II, 56. + + + Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig. + +[Illustration: MITTELTIBET.] + +[Illustration: ÜBERSICHTSKARTE DER REISE SVEN v. HEDINS, 1899-1902.] + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 68403 *** |
