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authorRoger Frank <rfrank@pglaf.org>2025-10-14 18:17:26 -0700
committerRoger Frank <rfrank@pglaf.org>2025-10-14 18:17:26 -0700
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--- /dev/null
+++ b/68403-0.txt
@@ -0,0 +1,19856 @@
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 68403 ***
+
+ Im Herzen von Asien.
+
+ Zweiter Band.
+
+
+
+
+[Illustration: „Einen Schritt weiter -- und es kostet euch den Kopf!“
+(S. 225.)]
+
+
+
+
+ Im Herzen von Asien.
+
+ Zehntausend Kilometer
+ auf unbekannten Pfaden.
+
+ Von
+
+ Sven v. Hedin.
+
+ Mit 341 einfarbigen und bunten Abbildungen und 5 Karten.
+
+ Autorisierte Ausgabe.
+
+ Vierte Auflage.
+
+ =Zweiter Band.=
+
+ [Illustration]
+
+ Leipzig:
+
+ F. A. Brockhaus.
+
+ 1919.
+
+
+
+
+Inhalt des zweiten Bandes.
+
+ Seite
+
+ +Erstes Kapitel.+ Nach dem Anambaruin-gol 1-13
+
+ +Zweites Kapitel.+ Bei den Särtängmongolen und durch die
+ Gobiwüste 14-24
+
+ +Drittes Kapitel.+ Durch unbekanntes Land auf der Suche
+ nach Wasser 25-36
+
+ +Viertes Kapitel.+ Die Ruinen am alten Lop-nor 37-50
+
+ +Fünftes Kapitel.+ Lôu-lan 51-61
+
+ +Sechstes Kapitel.+ Ein Nivellement durch die Lopwüste 62-76
+
+ +Siebentes Kapitel.+ Der wandernde See 77-86
+
+ +Achtes Kapitel.+ Islam Bais Schicksal 87-103
+
+ +Neuntes Kapitel.+ Über die nördlichen Randgebirge nach
+ dem Kum-köll 104-116
+
+ +Zehntes Kapitel.+ Die Zusammensetzung der Karawane 117-130
+
+ +Elftes Kapitel.+ Im Schneesturm über den Arka-tag 131-146
+
+ +Zwölftes Kapitel.+ Die ersten Tibeter 147-157
+
+ +Dreizehntes Kapitel.+ Das Hauptquartier 158-169
+
+ +Vierzehntes Kapitel.+ Aufbruch nach Lhasa 170-183
+
+ +Fünfzehntes Kapitel.+ Die ersten Nomaden 184-197
+
+ +Sechzehntes Kapitel.+ In kritischer Lage 198-209
+
+ +Siebzehntes Kapitel.+ In Gefangenschaft der Tibeter 210-227
+
+ +Achtzehntes Kapitel.+ Rückzug unter Bewachung 228-238
+
+ +Neunzehntes Kapitel.+ Die letzten Tagemärsche nach
+ dem Hauptquartier 239-248
+
+ +Zwanzigstes Kapitel.+ Der Zug nach Süden 249-261
+
+ +Einundzwanzigstes Kapitel.+ Tibetische Truppen versperren uns
+ wieder den Weg 262-279
+
+ +Zweiundzwanzigstes Kapitel.+ Der Nakktsong-tso 280-291
+
+ +Dreiundzwanzigstes Kapitel.+ Der Tschargut-tso 292-303
+
+ +Vierundzwanzigstes Kapitel.+ Die lange Reise nach Ladak 304-314
+
+ +Fünfundzwanzigstes Kapitel.+ Via dolorosa 315-326
+
+ +Sechsundzwanzigstes Kapitel.+ Der Tso-ngombo 327-339
+
+ +Siebenundzwanzigstes Kapitel.+ Vom Panggong-tso nach Leh 340-351
+
+ +Achtundzwanzigstes Kapitel.+ Ein Besuch in Indien 352-361
+
+ +Neunundzwanzigstes Kapitel.+ Über das Kloster Hemis
+ heimwärts 362-370
+
+
+ +Register+ 371-390
+
+
+
+
+Abbildungen.
+
+
+ Seite
+
+ „Einen Schritt weiter -- und es kostet euch den Kopf!“ (Titelbild)
+
+ 168. Die beladenen Kamele. 169. Umladen. 170. Lager in
+ Nordtibet 8
+
+ 171. Das nach dem Passe des Akato-tag hinaufführende Tal.
+ 172. Bahnen eines Weges über den Paß. 173. Ein Tal mit
+ zwei Stockwerken 9
+
+ 174. Der Platz, an dem wir umkehrten 16
+
+ 175. Das Gewölbe im Tale. 176. Die Kamele werden einzeln nach
+ dem Hauptpasse hinaufgeführt. 177. Die Quelle am 22. Dezember
+ 1900 17
+
+ 178. Im Tale des Anambaruin-gol. Blick nach Nordwesten 28
+
+ 179. Blick nach Südosten vom Lager am Anambaruin-gol 29
+
+ 180. Im Tale des Anambaruin-gol aufwärtsführender Weg. 181.
+ Einer unserer mongolischen Führer. 182. Die nach Dschong-duntsa
+ hinunterführende Schlucht 32
+
+ 183. Mein mongolischer Führer 33
+
+ 184. An den Felsen von Dschong-duntsa 44
+
+ 185. Das Lager im Tale von Dschong-duntsa 45
+
+ 186. Unsere Kamele im Tale von Dschong-duntsa 48
+
+ 187. Das Lager in Lu-tschuentsa 49
+
+ 188. Die Karawane auf dem Eise des Lu-tschuentsa-Baches 56
+
+ 189. Sanddünen in der mittelsten Gobi. 190. Terrasse nördlich
+ von der Oase vom 1. Februar. 191. Tränkung der Kamele am
+ Brunnen im Lager Nr. 138 57
+
+ 192. Lager mitten in der Sandwüste 68
+
+ 193. Brunnen, in der letzten Oase gegraben 69
+
+ 194. Auf dem Wege nach Altimisch-bulak. 195. Das angeschossene
+ Kamelweibchen. 196. Reinigung des Kamelskeletts. 197. Aus der
+ Oase Altimisch-bulak 72
+
+ 198. Prüfung des Nivellierinstruments bei Altimisch-bulak 73
+
+ 199. Meine Jurte in Chodai Kullus Oase. 200. Chodai Kullu und
+ sein wildes Kamel. 201. Das geschossene Kamel 80
+
+ 202. Der erste Turm der untergegangenen Stadt 81
+
+ 203. Aussicht von dem Tora des Hauptquartiers. 204. Das Haus
+ beim Lager 88
+
+ 205. Der Lehmturm von der Südseite 89
+
+ 206. Der Turm von Nordost. 207. Abbruch eines Turmes. 208. Haus
+ mit stehengebliebenen Türen 96
+
+ 209. Ausgrabungen im Buddhatempel. 210. Schnitzereien in
+ Pappelholz 97
+
+ 211. Geschnitzte Holzstücke aus den Ruinen 104
+
+ 212. Schagdur mit einigen seiner Funde. 213. Das Haus, in
+ welchem die Manuskripte gefunden wurden. 214. Ausgrabungen
+ in Lôu-lan 105
+
+ 215. Ausgrabungen in einem der Häuser von Lôu-lan 112
+
+ 216. Die Nivellierungskarawane. 217. Lager am Wasserarm 113
+
+ 218. Ein Ausläufer des wandernden Sees. 219. Mein Hirsch im
+ Garten. 220. Sirkin und Tschernoff mit den beiden kleinsten
+ jungen Kamelen 120
+
+ 221. Im Schatten der Weiden am Seraiteich in Tscharchlik 121
+
+ 222. Ein Teil des Stallhofes unseres Serai 128
+
+ 223. Schereb Lama auf dem „Gelbohr“. 224. Der Tag vor dem
+ Aufbruch 129
+
+ 225. Unser Lager in Jiggdelik-tokai 136
+
+ 226. Der Tscharchlik-su bei der letzten, scharfen
+ Durchbruchsbiegung 137
+
+ 227. Unser Lager in Unkurluk. Blick auf das Nebental 144
+
+ 228. Die am Ufer des Kum-köll aufgestapelten Kamellasten. 229.
+ Ankauf von Schafen bei den Hirten von Unkurluk 145
+
+ 230. Die Kamele am Ufer des Kum-köll 152
+
+ 231. Turdu Bais Zelt 153
+
+ 232. Eine angeschossene Orongoantilope 160
+
+ 233. Erlegter tibetischer Bär 161
+
+ 234. Berg beim Lager Nr. 16. 235. Das Steinmal auf dem
+ Knotenpunkte bei Lager Nr. 24. 236. Weidende Kamele 168
+
+ 237. Sirkin mit meinem alten Reisekameraden von 1896. 238.
+ Endlich in einer Gegend mit gutem Wasser 169
+
+ 239. Eine magere Weide in dem großen Längentale. 240. Die
+ Kamele waten durch den Fluß. 241. Flußübergang 176
+
+ 242. Die beiden Eisbänder im Tal. 243. Bahnen eines Wegs 177
+
+ 244. Kosak Schagdur, der Verfasser und der Lama Schereb als
+ mongolische Pilger 184
+
+ 245. Der Verfasser als mongolischer Pilger verkleidet 185
+
+ 246. Ein nächtlicher Überfall 192
+
+ 247. Die drei Pilger beim Aufbruche aus dem Hauptquartier 193
+
+ 248. Lager der drei Pilger 200
+
+ 249. Auf dem Wege nach Lhasa in strömendem Regen 201
+
+ 250. Ein junger tibetischer Hirt. 251. Älterer Tibeter 208
+
+ 252. Eine Gruppe Tibeter. 253. Der Lama im Gespräche mit
+ Tibetern. 254. Die tibetischen Reiter 209
+
+ 255. Die Tibeter schwangen ihre Lanzen und heulten wie die
+ Wilden 216
+
+ 256. Zelte tibetischer Häuptlinge 217
+
+ 257. Tibetische Kavallerie 224
+
+ 258. Tibetische Soldaten 225
+
+ 259. Tibetische Soldaten. 260. Von Sirkin erlegter Kökkmek.
+ 261. Gefrorenes Wild 232
+
+ 262. Hirten von Dschansung im Gespräch mit dem Lama im Lager 233
+
+ 263. Der Lama als Gehilfe beim Photographieren der Hirten 240
+
+ 264. Die Nomadenzelte in der Bergschlucht. 265. Tibeterinnen.
+ 266. Unser Lager am Jaggju-rappga 241
+
+ 267. Das Lazarettzelt. 268. Kalpets Bett auf dem Kamel. 269.
+ Der Leichenzug 248
+
+ 270. Der tote Kalpet auf seinem lebenden Katafalk 249
+
+ 271. Kalpets Grab 256
+
+ 272. Hladsche Tsering, das Mitglied des Heiligen Rates, seine
+ Pfeife rauchend 257
+
+ 273. Die Gouverneure Hladsche Tsering und Junduk Tsering. 274.
+ Hladsche Tsering und Junduk Tsering 260
+
+ 275. Blick nach Westen am Strande des Tschargut-tso 261
+
+ +Bunte Tafel.+ „... und jagten dann im wilden Laufe vor, hinter
+ und durch die Zelte, als wollten sie uns niederreiten!“ Von
+ Langlet 265
+
+ 276. Die Garde der tibetischen Gesandten am Tschargut-tso 272
+
+ 277. Im Kampf mit Wogen und Wind auf dem Tschargut-tso 273
+
+ 278. Unser Lager auf der Insel. 279. Das südliche Felsufer
+ unseres Gefängnisses. 280. Die Zelte der Gouverneure 280
+
+ 281. Das Ufer des Boggtsang-sangpo 281
+
+ 282. Gebirge im Norden des Lagers Nr. 92 288
+
+ 283. Gebirge im Norden des Lagers Nr. 92 289
+
+ 284. Die Anführer unserer Leibwache 296
+
+ 285. Das Tal des Boggtsang-sangpo 297
+
+ 286. Das Fischen im Boggtsang-sangpo. 287. Die Yake werden
+ beladen. 288. Das Lager Nr. 103 am Quellbache 304
+
+ 289. Lager Nr. 109 im Westen des Lakkor-tso 305
+
+ 290. Das Gebirge auf der nördlichen Talseite bei Lager Nr. 114 312
+
+ 291. Das Gebirge auf der südlichen Talseite bei Lager Nr. 114 313
+
+ 292. Das Gebirge auf der südlichen Talseite bei Lager Nr. 114 320
+
+ 293. Das Nordufer des Tsolla-ring-tso. 294. Lager an einem
+ zugefrorenen Sumpfe 321
+
+ 295. Der Lama im Streit mit dem Anführer der Yakkarawane. 296.
+ Aussicht nach Südosten vom Lager Nr. 129. 297. Die Umgebung
+ des Lagers Nr. 133 324
+
+ 298. Offene Landschaft am Tsangar-schar. 299. Geröllterrassen.
+ 300. Unser erster Lagerplatz am Tso-ngombo 325
+
+ 301. Doppelte Geröllterrassen 328
+
+ 302. Das Tempeldorf Noh 329
+
+ 303. Eine schwierige Passage am Ufer des Tso-ngombo. 304. Blick
+ nach Süden auf den mittelsten Tso-ngombo. 305. Der mittelste
+ Teil des Tso-ngombo 332
+
+ 306. Beförderung des Gepäcks auf einem improvisierten Schlitten
+ über das Eis 333
+
+ 307. Das Boot als Schlitten auf dem Tso-ngombo. 308. Der
+ gefährliche Felsenpfad. 309. Am westlichen Tso-ngombo 336
+
+ 310. Am Panggong-tso 337
+
+ 311. Gulang Hiraman, der Gesandte des Statthalters von Ladak,
+ mit seinem Gefolge 340
+
+ 312. Gulang Hiraman auf seinem Pony 341
+
+ 313. Musikanten und Tänzer in Drugub. 314. Lager vom 16.
+ Dezember 344
+
+ 315. Kloster Dschova 345
+
+ 316. Tempelhof in Tikkse. 317. Lamas in Tikkse mit ihrem
+ Prior. 318. Aussicht vom Kloster in Tikkse 348
+
+ 319. Leh, die Hauptstadt von Ladak 349
+
+ 320. Se. Exzellenz George Nathanael Lord Curzon, Vizekönig
+ von Indien 352
+
+ 321. Ankunft der einzigen überlebenden Kamele in Leh 353
+
+ 322. Schneesturm auf dem Passe Sodschi-la 356
+
+ 323. Tempelhof in Hemis. 324. Portal von Doggtsang Raspas
+ Tempelsaal 357
+
+ 325. Doggtsang Raspa 360
+
+ 326. Lama in Maske. 327. Der Prior von Hemis. 328. Lama in
+ Festkleidung 361
+
+ 329. Aus der Klosterküche in Hemis 364
+
+ 330. Trompetende Lamas. 331. Posaunenblasende Lamas 365
+
+ 332. Lesender Lama. 333. Ein Lama mit Gebettrommel. 334.
+ Lama, Trommel und Becken schlagend 368
+
+ 335. Im Schejoktal. 336. Mein Reityak auf dem Wege nach dem
+ Kara-korum. 337. Der Kitschik-kumdan-Paß in der Nähe des
+ Kara-korum 369
+
+
+Karten.
+
+ Mitteltibet. Maßstab 1 : 2000000.
+
+ Übersichtskarte der Reise Sven v. Hedins, 1899-1902. Maßstab
+ 1 : 14000000.
+
+
+
+
+Erstes Kapitel.
+
+Nach dem Anambaruin-gol.
+
+
+Sechs Tage durfte ich mich im Hauptquartier in Temirlik ausruhen, wo
+die Eisberge um die Quellen herum beständig größer wurden und die
+Kälte bis auf -27 Grad sank. Von wirklicher Ruhe konnte freilich keine
+Rede sein, denn ich hatte tausend Dinge zu besorgen. Noch einmal wurde
+an diesem wichtigen Kontrollpunkte eine vollständige astronomische
+Beobachtungsreihe ausgeführt, die zuletzt aufgenommenen Platten wurden
+entwickelt, eine neue Post nach Kaschgar geordnet und alle Abrechnungen
+für die Karawane, die Verproviantierung und die Lohnzahlungen besorgt.
+
+Ein Andischaner Kaufmann, der aus eigenem Antrieb in mein Lager
+gekommen war, um dort Geschäfte zu machen, starb an der gewöhnlichen
+schweren Bergkrankheit und wurde mit den üblichen Zeremonien begraben.
+An einem sonnigen Tage wurde der kranke Togdasin ins Freie gebracht,
+und alle Muselmänner sammelten sich um ihn, um durch allerlei
+Gebetformeln sein Übel zu verjagen; dabei opferten sie Allah auch einen
+Bock.
+
+Viele Zeit verschlangen alle die Vorbereitungen zur bevorstehenden
+Expedition durch die östlichen Wüsten. Der Proviant, der nach meiner
+Berechnung für eine Reise von gegen 2000 Kilometer nötig war, wurde
+beiseite gestellt und in Kisten und Säcken auf den Sattelleitern der
+Kamele festgebunden. Meine kleine Jurte wurde gründlich repariert, die
+Kuppel mit rotem Filz und der Zylinder mit weißem bekleidet, so daß das
+Ganze aus der Ferne wie eine dänische Flagge aussah. Tscherdon erhielt
+gründlichen Unterricht in meteorologischer Beobachtungskunst, womit
+er schon auf dem Ausfluge nach dem Kum-köll hatte beginnen müssen.
+Er sollte während meiner Abwesenheit die Ablesungen besorgen und den
+Barographen und Thermographen im Gang halten.
+
+Zurückgelassen wurden nur Tscherdon, Islam Bai, Turdu Bai und Ali
+Ahun; aber fünf Mann von den Jägern und Goldgräbern wurden angestellt,
+um ihnen bei dem Umzuge nach Tscharchlik zu helfen, wo der Amban und
+seine eingeborenen Beke versprochen hatten, sich ihrer anzunehmen.
+Dort hatten sie übrigens nichts weiter zu tun, als unsere Rückkehr
+abzuwarten, meine kostbaren Kisten und Aufzeichnungen zu hüten und
+die Tiere zu pflegen, damit diese in gutem Zustande wären, wenn ich
+im Frühling wiederkam. Islam sollte auch dafür sorgen, daß von Abdall
+aus zwei Kähne mit Rudern und Fischnetzen rechtzeitig nach dem zu den
+Kara-koschun-Sümpfen gehörenden See Tschöll-köll gebracht würden. Da wo
+sie untergebracht würden, sollte auf einer Düne ein weithin sichtbares
+Nischan (Wahrzeichen) errichtet werden, damit wir die Kähne finden
+könnten. Ich sah nämlich ein, daß es uns nicht möglich sein würde, jene
+Gewässer noch vor dem Schmelzen des Eises zu erreichen.
+
+Die neue Expedition war folgendermaßen zusammengesetzt: der Kosak
+Schagdur, die Muselmänner Faisullah (Karawan-baschi), Tokta Ahun und
+Mollah aus Abdall (Führer nach Anambar-ula), Kutschuk, Chodai Kullu,
+Chodai Värdi, Ahmed und der kürzlich ausfindig gemachte Jäger Tokta
+Ahun, der, um Verwechslungen mit seinem Namensbruder vorzubeugen, Li
+Loje genannt wurde; er sprach chinesisch und mongolisch, hatte in
+Bokalik Pferde gestohlen und war ein bißchen verrückt. Elf Kamele
+trugen das Gepäck, und elf Pferde wurden zum Reiten benutzt; wir hatten
+also nur ein Reservepferd, beabsichtigten aber, falls es nötig sein
+sollte, bei den Mongolen neue Pferde zu kaufen. Drei Hunde, Jolldasch,
+Malenki und Maltschik, sollten uns begleiten. Da es meine Absicht war,
+den Gas-See auszuloten, mußte Turdu Bai ein paar Tage mit dem Boote
+mitkommen. Er wünschte die ganze Reise mitzumachen, bedurfte aber nach
+den Mühen, die er ausgestanden hatte, der Ruhe.
+
+So brach denn der ersehnte Aufbruchstag, der 12. Dezember, an, und
+wir sollten Temirlik endgültig verlassen. Ich wurde geweckt, als es
+noch dunkel war; die Männer trieben die Pferde an, und die Kamele
+standen gebunden neben den ihrer wartenden Lasten. Der Tag graute;
+es wurde klar und hell, die Luft war still, der Himmel rein, und
+richtiges Frühlingswetter herrschte, als wir aufbrachen. Alle Kamele
+waren gleichmäßig beladen, aber die Lasten konnten mit Leichtigkeit so
+verteilt werden, daß einige Tiere für den Eistransport frei blieben
+(Abb. 168, 169).
+
+Alle machte die jetzt bevorstehende Reise froh und angeregt. Ich selbst
+sehnte mich nach den Annehmlichkeiten des Wüstenlebens. Hagelstürme und
+Schneetreiben hatten wir dort nicht zu fürchten. Kälte erwartete uns
+freilich, da jetzt Mittwinter bevorstand, aber es würde eine trockene
+Kälte sein, die sich mit Brennholz mildern läßt. Schön war es auch,
+drei volle Wintermonate vor sich und demnach die Aussicht zu haben, daß
+die meisten Probleme der Exkursion gelöst sein würden, wenn die warmen
+Frühlingstage kamen. Wir waren aber auch darauf vorbereitet, daß sich
+die Arbeiten noch auf die wärmere Jahreszeit erstrecken könnten, und
+hatten deshalb leichte Sommerkleidung mitgenommen. Mein eigenes Gepäck
+umfaßte drei große Kisten mit Instrumenten, Büchern, Karten, Platten,
+Tage- und Marschroutenbüchern, Tabak, Kleidungsstücken, chinesischem
+Silbergelde usw.
+
+Nach freundlichem Abschied von den Zurückbleibenden und dem
+armen Togdasin kommandierte ich „Marsch“, und nun läuteten die
+Karawanenglocken der langen, dunkeln Reihe der Kamele, die jetzt
+in königlicher Haltung von +Sum-tun-buluk+ fortzogen, den „300
+Quellen“, wie Temirlik von den Mongolen mit zwei tibetischen und einem
+mongolischen Worte genannt wird. Alle Kamele, sogar unser einziges
+Dromedar, das ein boshaftes Vieh war, betrugen sich gut. Der Gischt
+umgab die Lippen des Dromedars wie Seifenschaum und tropfte überall
+auf seinem Wege in großen Flocken auf die Erde. Daß es sich im ganzen
+dennoch manierlich betrug, war nicht sein eigenes Verdienst; hätte
+es nur gekonnt, so würde es schon Unfug angestiftet haben. Sein
+eines Vorderbein war am Packsattel festgebunden, so daß es, ohne im
+geringsten im Gehen gehindert zu sein, doch nicht laufen konnte. Mit
+dem unmittelbar vor ihm gehenden Kamel war es mittelst eines Strickes
+und einer Kette verbunden und konnte seine Nachbarn nicht beunruhigen,
+und sein Maul steckte in einer Halfter, die ihm nicht erlaubte, zu
+beißen. Prächtig sah er aus, dieser Veteran von Kaschgar, mit seinen
+funkelnden, wilden, kohlschwarzen Augen, die er, wenn er schlechter
+Laune war, manchmal so verdrehte, daß nur das Weiße zu sehen war.
+
+Die Karawane als Ganzes betrachtet hatte sich gründlich ausgeruht
+und war in bestem Zustand; einige Kamele hatten nicht einmal Lasten
+getragen, seit sie vor mehr als einem Jahre nach Jangi-köll gekommen
+waren. Jetzt steckten sie auch in ihren Winterpelzen, wahren Dickichten
+von Wolle. Zwei der ruhigsten, größten Tiere trugen mein persönliches
+Gepäck; im übrigen hatten Mehl, Reis, Mais und Talkan (geröstetes Mehl)
+das größte Gewicht; aber die Vorräte verminderten sich täglich, und
+wenn wir die Gegenden erreichten, wo Eis und Brennholz mitgenommen
+werden mußten, würde schon Platz dafür frei sein.
+
+Von Faisullah geführt und von seiner Reiterwache eskortiert, schritten
+die Kamele mit großen Schritten rüstig vorwärts.
+
+Das Programm für die Wanderung, die auf diese Weise begann, war
+folgendes: Ich wollte über den Astin-tag und an ihm entlang ziehen,
+um seine orographische Struktur klarzulegen. Der Weg führte also
+nordostwärts nach einer Gegend, welche die Mongolen, die sich dort
+aufzuhalten pflegen, +Anambar-ula+ (mit der Genetivendung Anambaruin),
+die Muselmänner aber Chan-ambal nennen; das letztere Wort ist eine
+Korruption des ersteren. Wir hatten 400 Kilometer dorthin, und von
+dort sollte es erst nach Norden durch einen unbekannten Teil der
+Gobiwüste und dann nach den nördlich davon gelegenen Bergketten
+hinaufgehen. Darauf wollten wir nach Westen ziehen und versuchen, nach
+der früher erwähnten Quelle Altimisch-bulak und den Ruinen in der
+Wüste zu gelangen, und schließlich durch die Wüste nach Abdall und
+Tscharchlik, dem nächsten großen Sammelplatz, wandern.
+
+Die Reise nach Anambar, die ich in Kürze beschreiben werde, erforderte
+17 Marschtage. Die beiden ersten führten uns über steinhart gefrorene
+Sümpfe mit knisterndem Salz und kantigen Lehmschollen nach einer
+Quelle im Norden des +Gas-Sees+. Am 14. Dezember machte ich mit einer
+ganz kleinen Karawane eine Exkursion nach dem See, dessen Tiefen ich
+im Boote zu loten beabsichtigte. Mir war gesagt worden, er sei so
+salzig, daß er nie zufriere. Ein Kulanpfad zeigte uns den besten Weg
+nach dem Ufer, wo das Erdreich trotz der Kälte so weich war, daß die
+Pferde bis an die Knie in den Schlamm einsanken. Hier und dort lagen
+Eisschollen, die wir als Brücken benutzen konnten, doch oft waren sie
+so dünn, daß die Pferde durch sie durchtraten und fielen. Es war keine
+leichte Sache, diesen tückischen Strand zu erreichen; aber schließlich
+gelang es uns und wir lagerten an dem Punkte, wo die in einem Bette
+vereinigten Quellbäche des Tschimentales in den See münden. Hier gab
+es süßes Wasser nebst Kamisch an den Ufern, und Feuerung hatten wir
+selbst. In einiger Entfernung zeigten sich fünf Yake. Es sollte gerade
+Jagd auf sie gemacht werden, als Tokta Ahun merkte, daß der eine
+gefleckt war, es sich hier also um zahme Tiere handelte. Sie waren
+wahrscheinlich aus dem nächsten Mongolenlager durchgebrannt.
+
+Aus der Seefahrt sollte jedoch nichts werden, denn soweit der Blick
+reichte, war der Spiegel des Sees mit einer Eisdecke überzogen. Da
+wir aber das Boot einmal mitgenommen hatten, sollte seine eine Hälfte
+wenigstens als Schlitten dienen. Sein Holzrahmen gab vorzügliche
+Kufen ab, und in dieser leichten Equipage wurde ich von Tokta Ahun
+und Chodai Kullu schnell und vergnügt über den See gezogen. Das Eis
+war ungleichmäßig, bald höckerig, bald mit einer dünnen Wasserschicht
+bedeckt, bald von Rissen durchfurcht. Der Schlitten hüpfte über alle
+Hindernisse hinweg, und ich glaubte, ich würde ein paar Lotungslinien
+über den ganzen See bekommen. Doch auf einmal fing die Eisdecke an zu
+knacken und in Wellenbewegung zu geraten. Tokta Ahun brach ein und
+hätte ein Bad genommen, wenn er sich nicht noch rechtzeitig an dem
+Boote gehalten hätte.
+
+Nach einer ruhigen Nacht am Ufer dieses seichten Salzsumpfes kehrten
+wir am nächsten Tage wieder um und trafen die Karawane an den Quellen
+von +Julgun-dung+ (Abb. 170).
+
+Während des Rasttages, den wir hier zubrachten, schickte ich Tokta Ahun
+nach dem Akato-tag hinauf, um zu erforschen, ob das sich im Nordosten
+unseres Lagers öffnende Tal von der Karawane passiert werden könne.
+Er kam am Abend mit dem Bescheid zurück, daß das Tal nach einem Passe
+hinaufgehe, von dem auf der Nordseite der Kette ein ebensolches Tal
+nach den unmittelbar südlich vom Astin-tag liegenden Ebenen hinabführe,
+daß dieser Weg also vorzüglich sei.
+
+So brauchten wir am 17. Dezember nur seiner Spur zu folgen. Die Nacht
+war bis jetzt die kälteste in diesem Winter gewesen, -29,6 Grad kalt.
+Turdu Bai kehrte mit dem Boote nach Temirlik zurück.
+
+Wir lassen diesen kümmerlichen Vegetationsgürtel, der der
+„Tamariskenquelle“ (Julgun-dung) ihren Namen gegeben hat, hinter uns
+zurück; der langsam nach dem Gebirge ansteigende Boden ist unfruchtbar
+und mit Schutt bedeckt. Wieder treten wir in die stillen Bergsäle durch
+ein 100 Meter breites Tor ein, wo eine 2 Meter tief eingeschnittene
+Rinne das Wasser abfließen läßt, das gelegentlich einmal auf diese
+trockenen Höhen herabregnet. Den ganzen Tag führte der Talgrund langsam
+aufwärts; er war so eben wie eine Asphaltstraße, machte aber scharfe
+Biegungen, in denen ich selten längere Peilungen als drei Minuten in
+derselben Richtung machen konnte, bis ein neuer Vorsprung die Aussicht
+auf die nächste Talbiegung verdeckte.
+
+Das Material, aus dem der Akato-tag in dieser Gegend aufgebaut ist,
+besteht ausschließlich aus feinem gelbem Ton, der so locker ist, daß
+man schon mit der Hand Stücke davon abbrechen kann. Das Regenwasser
+hat also bei der Ausarbeitung des Terrains in wilde, phantastische
+Formen keine Schwierigkeiten zu überwinden. Unzählige kleine Täler und
+Hohlwege münden auf beiden Seiten mit dunkeln, oft nur meterbreiten
+Toren und lotrechten Wänden in dieses Tal ein. Alles ist steril, kalt
+und trocken. Auch das Haupttal (Abb. 171), dem wir folgen, ist manchmal
+so eng, daß ein paar von den Männern sich an den vorspringenden
+Ecken aufstellen müssen, damit die Kamele mit ihren Lasten nicht
+dagegenprallen.
+
+Dann und wann öffnet sich der seltsame Hohlweg vor uns zu einer
+phantastischen Perspektive mit lotrechten, ja bisweilen überhängenden
+Kulissen. Heruntergestürzte Blöcke in jeder nur denkbaren Gestalt,
+wie Würfel, Kugeln und Tetraeder, liegen als Warnungszeichen mitten
+im Tale. Andere sind sichtlich auf dem Sprunge, herunterzufallen;
+man begreift nicht, was sie noch festhält; ein Windstoß oder ein
+leichter Regen würde genügen, um sie ins Rutschen zu bringen. Wir sind
+ordentlich beruhigt, wenn der ganze Zug an derartigen gefährlichen
+Stellen glücklich vorbeigekommen ist. Pyramiden, Mauern und Türme von
+Ton, Terrassen, Korridore und Grotten folgen einander in endloser
+Reihe. Die Karawane zieht mitten auf dem ebenen gelben Tonboden des
+Tales, auf dem die Kamele, wenn er feucht wäre, wie auf Eis ausgleiten
+würden, wo sie jetzt aber sicher gehen, ohne mit ihren weichen
+Fußschwielen eine Spur zu hinterlassen.
+
+Allmählich nehmen die relativen Höhen ab, und das Tal verliert seinen
+Hohlwegcharakter. Bis an den Paß kamen wir nicht, lagerten aber in
+seiner Nähe. Überzeugt, daß wir nie im Leben hierher zurückkehren
+würden, verließen wir am Morgen in aller Frühe diesen stillen öden
+Lagerplatz. Tokta Ahun und noch einige waren vorausgegangen, um einen
+steilen, mühsam zu erklimmenden Abhang an der eigentlichen Paßschwelle
+mit Spaten zu bearbeiten (Abb. 172). Es wunderte mich, daß sie, statt
+in dem nach Norden führenden Haupttale hinaufzugehen, nach Osten in
+ein Seitental abgebogen waren, welches so schmal war, daß man an den
+Kamelen, wenn sie in den Biegungen warteten, nicht vorbeikommen konnte.
+Nun, der Führer würde wohl Bescheid wissen. Bald darauf befanden wir
+uns unter dem steilen Abhange des Passes, der schwierig aussah und auf
+dem die Spaten unter aufwirbelnden Staubwolken in voller Tätigkeit
+waren.
+
+Jetzt mußte das erste Kamel heran, das sich mit einigen mühsamen Rucken
+hinaufarbeitete. Alle Männer schoben von hinten nach und stützten
+die Lasten. Einige Tiere fielen und mußten abgeladen werden, worauf
+ihre Lasten hinaufgetragen wurden. Das Kamel, das den viel Platz
+einnehmenden Holzvorrat trug, hatte es am schlimmsten, aber es machte
+seine Sache bis auf einen kleinen Kniefall gut.
+
+Von dem Passe (3466 Meter) ging es nach Südosten, was mir sofort
+verdächtig vorkam; aber der Weg war ja rekognosziert, und Tokta Ahun
+stand dafür ein, daß das hinabgehende Tal, ebenfalls ein Hohlweg, bald
+nach Osten und Nordosten umbiegen und auf offenes Terrain führen würde.
+In den überraschendsten Zickzackbiegungen schlängelte es sich nach
+tiefer liegenden Gegenden hinunter.
+
+Nur eine schwierige Passage erwarte uns noch, hieß es. Hier war das Tal
+wirklich so tief und eng, daß kaum ein Fußgänger sich hindurchzwängen
+konnte. Doch über die Halden auf der rechten Seite konnten wir die
+Kamele vorbeiführen.
+
+Eine Strecke weiter machte jedoch der Zug Halt, und die Männer eilten
+an die Spitze. Der Korridor war hier so schmal, daß die Lasten auf
+beiden Seiten anstießen und die Kamele erst weiter konnten, nachdem
+die Wände mit Äxten bearbeitet worden waren. Unterdessen ging ich
+voraus und gelangte an eine Stelle, die noch schwieriger war. Der
+Hohlweg hatte sich wie eine schmale Rinne unter den Tonwänden der
+linken Talseite, die überhängende, gefährliche, zerrissene Gewölbe
+bildeten, eingeschnitten. Oberhalb des tiefen Grundes der Rinne gab
+es keinen Weg; wir mußten es dort unten versuchen. Doch gerade an
+dem schmalsten Punkte hatte kürzlich ein Bergrutsch stattgefunden.
+Gewaltige Blöcke und Tonstücke füllten die Passage aus und sperrten
+den Weg. Einige von ihnen konnten wir mit vereinten Kräften unter
+das Gewölbe rollen, und diejenigen, welche gar zu groß waren, wurden
+mit Spaten und Beilen zerstückelt. Die Seitenwände wurden erweitert,
+über die liegengebliebenen Bruchstücke bahnten die Pferde einen
+Weg, und die Kamele wurden vorsichtig und einzeln durch dieses Loch
+geführt, in welchem die Karawane im Falle eines neuen Bergrutsches
+lebendig begraben worden wäre. Am schwersten hatte es wie gewöhnlich
+das Brennholzkamel. Es blieb mitten im Loche stecken und machte eine
+so verzweifelte Anstrengung loszukommen, daß die Holzlast unter Lärm
+und Gepolter herunterfiel und ein paar Tonblöcke von den Wänden
+herabstürzten. Es sah unheimlich aus, als die ganze Gesellschaft in
+einer undurchdringlichen Staubwolke verschwand, und man konnte einen
+verhängnisvollen Bergrutsch befürchten.
+
+Tokta Ahun machte ein klägliches Gesicht und gestand ein, daß er nicht
+bis an das Ende dieses heimtückischen Hohlweges geritten sei. Er war
+sehr niedergeschlagen, denn er pflegte darin sonst sehr gewissenhaft zu
+sein und völlig korrekte Auskunft zu geben.
+
+Ich habe nie eine so eigentümliche Talform gesehen. Eigentlich sind es
+zwei Täler oder ein Tal mit zwei Stockwerken (Abb. 173). Das untere
+Stockwerk ist, von dem Boden des oberen gerechnet, 10 Meter tief und
+lotrecht eingesägt. Hierdurch entstehen auf den Seiten des unteren Tals
+Terrassen, die jedoch absolut unpassierbar sind. Auch das obere Tal
+wird nachher so eng, daß beide in ein tief in das Tonlager eingesägtes
+Tal verschmelzen, wo Dämmerung herrscht und man immerwährend in Gefahr
+schwebt, durch abstürzende Blöcke von ungeheuren Dimensionen erschlagen
+zu werden.
+
+Wir schreiten mit unaufhörlichen Unterbrechungen vorwärts; bald müssen
+vorspringende Ecken weggehauen, bald hindernde Tonmassen aus dem Wege
+geräumt werden. Noch einige Schritte, und die Karawane macht Halt.
+Tokta Ahun meldet, daß das Tal gesperrt sei. Von den mehrere hundert
+Meter hohen Bergen auf beiden Seiten hatte ein Rutsch stattgefunden,
+der das Tal verstopfte. Doch temporäre Bächlein hatten sich unter
+dem herabgestürzten Material einen Durchgang gegraben, der einem
+Gletschertore glich; auf seiner Deckenwölbung würden wir wohl, falls
+sie nicht unter dem Gewichte der Kamele einstürzte, weiterziehen können.
+
+Ich zog es jedoch vor, selbst zu rekognoszieren, bevor der Versuch
+gewagt wurde. Unweit dieser gefährlichen Brücke verschmälerte sich das
+Tal noch mehr und ging in eine zwei Fuß breite Spalte von 15 Meter
+Tiefe über. Schließlich wurde diese dunkel; heruntergefallene Blöcke
+bildeten ein Dach; der Abflußkanal des Wassers war hier unterirdisch
+und ähnelte einem steilen, gewundenen Grottengange, in welchem kaum
+eine Katze ihren Weg hätte finden können (Abb. 174, 175).
+
+Jetzt war es klar: wir +mußten+ umkehren. Die Karawane stand so
+zwischen den Tonwänden des Korridors eingeklemmt, daß das letzte
+Kamel rückwärtsgehen mußte, ehe Raum genug vorhanden war, daß es sich
+umdrehen konnte; ebenso wurde der Reihe nach mit den anderen verfahren.
+In der Dunkelheit ließen wir uns in einer kleinen Erweiterung nieder,
+wo man nicht vor gefährlichen Bergstürzen Angst zu haben brauchte. Die
+Tiere mußten fasten und dursten. Wie war diese seltsame Gegend finster,
+unheimlich und still! Dann und wann erklingt das schrille Läuten der
+Kamelglocken, wenn die Tiere den Kopf bewegen. Die Männer halten am
+Feuer Rat, und das Echo vervielfältigt ihre Stimmen; es klingt, als
+unterhalte man sich in einem Säulengange oder in einem Königssaale.
+
+Es ist nicht angenehm, auf demselben Wege zurückzukehren, am
+allerwenigsten in einer Rinne, wo Tausende von Tonblöcken wie an
+einem Haare über unseren Köpfen hängen und die Kamele wie Käfer zu
+zerquetschen drohen. Hätte es in der Nacht einen größeren Bergsturz
+gegeben, so waren wir wie in einer Mausefalle gefangen gewesen.
+
+Es kostete uns einen Tag, nach dem Punkte, wo das Tal sich geteilt
+hatte, zurückzukehren. Tokta Ahun und Mollah ritten inzwischen das
+Haupttal hinauf und kehrten abends mit der Nachricht zurück, daß
+sie nun wirklich einen Ausgang aus den verwickelten Labyrinthen des
+Akato-tag gefunden hätten.
+
+Am 20. Dezember wurde ich geweckt, als es noch stockfinster war.
+Morgens wird jedoch weiter keine Beleuchtung spendiert als das
+freundliche, gemütliche Licht, welches das Feuer des Ofens, dessen
+Tür weit offen steht, ausströmt. Ein flackernder, roter Feuerschein
+verbreitet sich über das Innere der Jurte. Ich kleide mich schnell an
+und sehne mich bei der starken Kälte nach meinem heißen Tee.
+
+[Illustration: 171. Das nach dem Passe des Akato-tag hinaufführende
+Tal. (S. 5.)]
+
+[Illustration: 172. Bahnen eines Weges über den Paß. (S. 6)]
+
+[Illustration: 173. Ein Tal mit zwei Stockwerken. (S. 7.)]
+
+[Illustration: 168. Die beladenen Kamele. (S. 2.)]
+
+[Illustration: 169. Umladen während des Marsches. (S. 2.)]
+
+[Illustration: 170. Lager in Nordtibet. (S. 4.)]
+
+Schon in dunkler Nacht waren einige der Leute voraus nach dem Passe
+hinaufgeeilt, um dort einen Weg anzulegen. Jetzt folgten wir dem
+rechten Tale, das wirklich zu einem Passe führte. Auch dieser war auf
+der letzten Strecke greulich steil, und die Kamele konnten nur mit
+Hilfe der Leute hinaufkommen (Abb. 176). Die umfangreiche Aussicht
+zeigte sofort, daß wir uns auf dem Hauptkamme der Kette befanden (3698
+Meter). Im Norden zieht sich der endlose Rücken des Astin-tag hin,
+im Süden der Tschimen-tag, im Südosten die Einöden von Zaidam, und
+ostwärts erblickt man etwas, von dem man nicht sagen kann, ob es
+ein Gebirge, Wolkengebilde, Nebel oder nur ein Wüstenreflex ist. Der
++Akato-tag+ ist anders als alle übrigen Bergsysteme in Tibet. Er ist
+ein unentwirrbares Durcheinander von Hügeln und Tonkuppeln, die aufs
+wildeste von unzähligen, tiefen und engen Schluchten durchsägt werden.
+Es ist eine leblose, düstere Gegend.
+
+Als wir auf ebeneren Boden hinuntergelangt waren, fanden wir einen
+Pfad, der von menschlichen Wanderern herrühren mußte. Der Sicherheit
+halber hatte ich jedoch schon am Morgen einige Leute mit sechs Pferden
+nach Julgun-dung zurückgeschickt, um mehr Eis zu holen, da unser
+Eisvorrat zu sehr zusammengeschmolzen war.
+
+Tokta Ahun hatte von einem Passe, dem Kara-dawan, auf dem Wege nach
+Anambar gesprochen. Als wir jetzt das breite, ebene Tal zwischen dem
+Akato- und dem Astin-tag in nordöstlicher Richtung durchquerten, galt
+es, den Weg nach diesem Passe ausfindig zu machen.
+
+Bald fanden wir den schon gestern gesehenen Pfad wieder, aber jetzt sah
+er bedeutend breiter aus. Die durch Abnutzung verursachte Einsenkung
+des Bodens war deutlich zu sehen, besonders da, wo das Erdreich hart
+war, obwohl der Zahn der Zeit schon sehr an ihr genagt hatte. Auf
+Hügeln und Vorsprüngen an den Seiten waren Iles (Wegzeichen) in Gestalt
+kleiner Steinhaufen errichtet. Ohne Zweifel ist diese Straße von
+mongolischen Lhasapilgern in Zeiten von Unruhe und Unsicherheit in den
+sonst von ihnen durchreisten Gegenden benutzt worden.
+
+In einer Rinne, in welcher wir zwischen den Hügeln hinzogen, verloren
+wir diesen Weg, und auch auf den Anhöhen waren keine Steinhaufen mehr
+zu sehen. Wir zogen jedoch in dem Tale weiter, und freundliche Mächte
+führten uns zu einer in dieser unendlich wüsten Gegend unerwarteten
+Entdeckung, zu einer von vortrefflicher Weide umgebenen kleinen Quelle
+(Abb. 177).
+
+Die Quelle ist salzig, aber die Eisschollen unterhalb derselben sind
+süß. Sie erstrecken sich 150 Meter weit in das Tal hinein, wo mit ihnen
+auch die Vegetation aufhört.
+
+Nachdem wir endlich auf ebenes Land geraten waren, gerieten wir dort in
+ein Terrain, das viel schlimmer war als die labyrinthähnlichen Gänge
+der Täler. Der Boden besteht aus salzhaltigem Tone, der Kammern, Rücken
+und Schwellen bildet, welche so hart wie Ziegel sind und unsern nach
+Nordosten laufenden Weg unter rechten Winkeln kreuzen. Man erhält den
+Eindruck, daß die Oberschicht des Erdreiches sich ausgedehnt haben muß
+und sich infolgedessen wie die Schale eines einschrumpfenden Apfels
+in Runzeln gelegt hat. Die Rücken sind hohl, und alle Risse gähnen
+schwarz. Ihre Höhe beträgt einen Meter, die Zwischenräume drei Meter.
+Wir ziehen zwischen ihnen durch, zwei Männern folgend, die mit Spaten
+vorausgehen.
+
+Auch an diesem Abend erreichten wir eine Quelle mit Weide. Hier ging
+einsam ein wildes Kamel spazieren. Während wir im Kamischdickichte
+lagerten, birschte sich Schagdur an das Tier heran. Der Schuß
+widerhallte dumpf in der Dämmerung, und ich ritt nach dem Platze hin,
+von dem der an einem Vorderbeine verwundete Einsiedler vergeblich zu
+entfliehen suchte. Chodai Kullu machte ein Lasso und warf dem Kamel
+die Schlinge um den Hals, worauf es zu Boden gerissen und geschlachtet
+wurde. Jetzt hatten die Leute frisches Fleisch für mehrere Tage, und
+das prächtige Fett in den Höckern wurde auch mitgenommen. Nach Spuren
+und Dung zu urteilen, besuchen die wilden Kamele diese Quelle im Sommer
+in großen Herden.
+
+Einen herrlicheren Weihnachtsabend konnte man sich in diesen kalten,
+öden Gegenden kaum wünschen. Die Luft war ruhig, der Himmel klar und
+blau. Nachdem Feuerung eingesammelt, ein paar Säcke mit Eis gefüllt und
+das Kamelfell zu Kopfkissen zerschnitten worden war, brachen wir auf
+und folgten den ganzen Tag dem alten Wege, dessen Steinhaufen wir bei
+der Quelle wiedergefunden hatten. Der Weg wurde bisweilen von bis zu
+zwanzig parallelen Pfaden bezeichnet, welche Zeugnis davon ablegten,
+daß Karawanen mit Kamelen und Pferden hier in ganzen Reihen gezogen
+sind. Vielleicht schrieb er sich aus einer Zeit her, als die weiter
+östlich wohnenden Mongolen ihre Herden in Temirlik weiden ließen. Erst
+in der Dämmerung gelangten wir an den Fuß des Astin-tag und schlugen
+unsere Zelte in der Mündung eines zwei Ketten trennenden Tales auf.
+
+Als wir das Lager fertig hatten, wurde ein munter sprühendes
+Weihnachtsfeuer angezündet, das einzige, was an das große Fest in der
+Heimat erinnerte. Um mir die wehmütigen Gedanken, die an diesem Tage
+stets auf mich einstürmen, zu verjagen, rief ich Schagdur und weihte
+ihn in meinen Plan ein, den Versuch zu machen, nach Lhasa zu gelangen.
+Er war Feuer und Flamme dafür und glaubte, es würde uns gelingen,
+wenn wir uns vorschriftsmäßige Tracht und zuverlässige mongolische
+Reisekameraden zu verschaffen wüßten. Von nun an unterhielten wir uns
+oft abends über diese waghalsige Reise. Das Gespräch wurde russisch
+geführt, damit die Muselmänner nicht merkten, wovon die Rede war.
+
+Während der letzten Tage des Jahrhunderts lenkten wir unsere Schritte
+in den Tälern zwischen den parallelen Ketten des Astin-tag beständig
+nach Nordosten. Die Kälte war scharf, und der Wind hielt noch immer
+an und brachte manchmal Schnee, der jedoch nur in den schattigen
+Schluchten liegen blieb. Die Berge glänzten mit ihrem weißen
+Schneegewande zwischen den Wolken hervor. Das Terrain war günstig;
+wir passierten eine Menge kleiner abflußloser Becken, deren Boden sich
+nach Regen in bald verdunstende Miniaturseen verwandelten. Zerstreut
+stehende Steppengrasbüschel, Teresken und Jappkak versahen uns mit
+Brennmaterial. Von Wild sahen wir in diesen Tagen nur Kamelspuren und
+einzelne Raben, die uns folgten. Tokta Ahun, der hier ein weniger guter
+Führer war als in den Kara-koschun-Sümpfen, fand den Kara-dawan nicht,
+ich kam aber ohne Hilfe durch das Gebirge.
+
+Als ich am 27. Dezember in dem fürchterlich kalten Wintermorgen aus
+meiner Jurte schaute, fand ich den Boden mit einer ziemlich hohen
+Schneeschicht bedeckt, und das Schneetreiben dauerte den ganzen
+Tag an. Der Wind verfolgte uns ebenso eigensinnig wie im Sommer im
+inneren Tibet. Am 29. Dezember schliefen wir bei Sturm ein, erwachten
+am folgenden Morgen bei Sturm, ritten den ganzen Tag durch heulende
+Sturmböen und lagerten am Abend im Sturme. Es weht und zieht in der
+Jurte, die auf allen Seiten verankert werden muß, um nicht umzukippen,
+in welchem Falle der erhitzte Ofen die Filzdecken in Brand setzen
+und meine kostbaren Kartenblätter in alle Winde fliegen würden. Wir
+sehnten uns nach der Wüste, wo die Luft, wenigstens während der kalten
+Jahreszeit, nicht in beständigem Aufruhr ist, sondern wo gewissermaßen
+Waffenstillstand herrscht.
+
+Einige der Quellen, an welchen wir lagerten, haben chinesische Namen:
+Lap-schi-tschen, Ku-schu-cha und Ja-ma-tschan. An den letztgenannten
+knüpft sich die Erinnerung an eine blutige Episode. Im Sommer 1896,
+um die Zeit, als ich mich das vorige Mal in Nordtibet befand, kamen
+die Reste der in der Gegend von Si-ning geschlagenen Armee der
+aufrührerischen Dunganen an diese Quelle. Die Chinesen schickten ihnen
+von Sa-tscheo ein Kriegsheer entgegen; es kam zum Kampfe, eine große
+Zahl Dunganen wurden erschlagen, andere wieder als Gefangene nach
+Sa-tscheo gebracht. Massen von menschlichen Skeletteilen lagen noch an
+der Quelle. Fünfhundert Dunganen mit Frauen und Kindern entkamen. Sie
+hatten eine Anzahl Kamele, Maulesel und Pferde bei sich, die sie aus
+Mangel an Lebensmitteln verzehrten. Während dieser Unruhen wurde von
+Abdall eine Gesandtschaft nach Sa-tscheo geschickt, bestehend aus einem
+Chinesen, einem Dunganen und zwei Muselmännern, nämlich Islam Ahun,
+einem Verwandten Tokta Ahuns, und Erke Dschan, dem älteren Bruder des
+Nias Baki Bek, eines unserer Freunde in Kum-tschappgan. Als diese vier
+Männer durch das Astin-tag-Gebiet zurückkehrten, trafen sie dort mit
+den Dunganen zusammen und wurden von ihnen an der Ja-ma-tschan-Quelle
+getötet. Die 500 Dunganen zogen nach Abdall, wo sie durch ein ihnen
+entgegentretendes Heer gezwungen wurden, die Waffen zu strecken. Dann
+wurden sie nach Kara-kum, einer neuangelegten Kolonie, gebracht, wo sie
+noch heute in Frieden leben und den Beweis liefern, daß die Chinesen
+gegen ihre rebellischen Untertanen nicht immer barbarisch sind.
+
+An der Ja-ma-tschan-Quelle steht eine 1½ Meter hohe Steinpyramide,
+welche eine Tafel mit chinesischen Schriftzeichen trägt -- ob damit die
+Erinnerung an den kläglichen Sieg über eine Handvoll ganz erschöpfter
+Dunganen bewahrt oder ausgedrückt werden soll, daß diese arme Gegend
+zum Reiche der Mitte gehört, ist mir unbekannt.
+
+Vor etwa 30 Jahren hielten sich in diesen Gebirgsgegenden oft
+dunganische Jäger auf. Die einzigen Spuren, die sie hinterlassen haben,
+waren einige Fuchsfallen, von den Muselmännern „Kasgak“ genannt. Diese
+sehen genau aus wie Gräber oder längliche Steinhaufen und bilden
+einen Tunnel; am inneren Ende hängt ein großer Stein so lose, daß er
+herunterfällt und den Fuchs erschlägt, der in die Falle kriecht, um
+sich ein in einer Schlinge hängendes Fleischstück zu holen. Durch
+den Verkauf von Fuchsfellen hatten diese Jäger einen ziemlich guten
+Verdienst.
+
+In der Nacht auf den 31. Dezember hielt der Sturm mit furchtbarer Wut
+an. Die Stangen fielen von der Kuppel der Jurte herunter, und diese
+mußte provisorisch mit Stricken festgebunden werden. Das Feuer muß
+ausgehen, und man taut erst auf, wenn man in seinem warmen Pelzneste
+liegt; dann aber kann es draußen toben, soviel es will. Es war morgens
+trotz des klaren Himmels dunkel, und man hörte nur das Heulen des um
+die Ecken pfeifenden Windes. Das Jahrhundert endete in diesen Gegenden
+mit einem richtigen Säkularsturme. Das Reiten ist unter solchen
+Umständen eine Tortur. Man kämpft vergebens mit der Kälte und kann
+kaum die Lebensgeister wachhalten. Man wird schläfrig und betäubt,
+die Glieder erstarren sozusagen in der Stellung, die man zu Pferde
+einnimmt, und es bedarf einer Kraftanstrengung, um aus dem Sattel zu
+kommen. Die Neujahrsnacht war sehr kalt und sternenklar, und der Mond
+stand wie eine elektrische Bogenlampe am Himmel. Ich las die Bibeltexte
+und die Psalmen, die am letzten Abende des Jahres in allen Kirchen
+Schwedens gesungen werden, und wartete in meiner Einsamkeit die Wende
+des Jahrhunderts ab. Es ist ein großer Anblick, wenn das Jahrhundert in
+die Nacht der Zeiten hinabsinkt! Hier läuteten keine Kirchenglocken;
+nur der Sturm, dem der Wechsel der Jahrhunderte nichts anhaben kann,
+sang mit brausenden Orgeltönen seinen wehmütigen Trauermarsch.
+
+Am 1. Januar 1901 stürzten mit unverminderter Kraft unerschöpfliche
+Kaskaden von Luft durch die Täler. Von einer kleinen Paßschwelle
+erblickten wir das gewaltige Bergmassiv des +Anambaruin-ula+.
+Der +Anambaruin-gol+ ist ein Fluß, der hier die Astin-tag-Kette
+durchbricht, um in die Sandwüste hinauszugehen und dort zu sterben.
+Die Gegend pflegt oft, besonders im Sommer, von Mongolen besucht zu
+werden, und als wir nachher in einiger Entfernung ein grasendes Pferd
+umherlaufen sahen, nahmen wir fest an, daß wir jetzt mit Mongolen
+zusammentreffen würden. Das Tier betrachtete uns mit scheuen Blicken,
+als wir unsere Zelte in der Talweitung am Flußufer aufschlugen. Doch
+wie gründlich wir auch am nächsten Tage partienweise die Gegend
+abstreiften, von Mongolen war keine Spur zu entdecken; sie waren
+augenscheinlich schon lange fortgezogen.
+
+Für uns war es eine Enttäuschung, sie nicht zu finden und auf ihre
+Auskunft über die Gegend verzichten zu müssen. Da wir jedoch Zeit
+hatten, beschloß ich, die Mongolen um jeden Preis ausfindig zu machen.
+Dieser Abstecher war auf 310 Kilometer zu veranschlagen; wir gingen
+dabei um den Gebirgsstock des Anambaruin-ula herum.
+
+Um für die ersten Mongolen, die wir treffen würden, eine angenehme
+Überraschung in Bereitschaft zu haben, wollten wir das entlaufene
+Pferd mitnehmen. Es erwies sich aber als ganz unmöglich, das Tier
+einzufangen; nicht einmal mit Lasso und Treibjagd ließ es sich
+überrumpeln. Schließlich stürmte es talaufwärts davon. Es war in der
+Einsamkeit verwildert und so scheu wie ein Kulan.
+
+
+
+
+Zweites Kapitel.
+
+Bei den Särtängmongolen und durch die Gobiwüste.
+
+
+Jetzt schritt unser Zug mehrere Tage lang gerade nach Osten. Den ersten
+Tag ging es ein großartiges, zwischen wilden, nackten Felswänden
+eingeschnittenes Tal hinauf, in welchem der Anambaruin-gol, mit
+blauschimmerndem, glattem Eise bedeckt, im Winterschlafe lag (Abb.
+178, 179, 180). Einige Steinhütten zeigten, daß Mongolen das Tal dann
+und wann besuchten. Gerade unter dem Passe, der die östliche Grenze
+des Tales bildet, ließen wir uns in der Kälte nieder. Eine Herde von
+12 Archaris kletterte geschickt und mit affenartiger Sicherheit auf
+einigen Felsvorsprüngen neben unserem Wege umher. Während sie die
+Karawane betrachteten, schlich sich Schagdur unter ihren sicheren
+Aussichtspunkt. Der Schuß rollte wie ein Echo zwischen den Bergwänden,
+und ein kolossaler Widder taumelte haltlos aus einer Höhe von 50 Meter
+herunter. Es wird von diesen wilden Schafen erzählt, daß sie, wenn sie
+auf ihren Felsenpfaden stolpern und ausgleiten, immer auf die Hörner
+fallen und dadurch die Wucht des Anpralls dämpfen. Schagdurs Opfer
+gehorchte diesem Gesetze sogar im Tode, denn er schlug mit den Hörnern
+polternd auf das Geröll auf. Unser Weg war lang gewesen, und im Lager
+war viel zu tun. Erst um Mitternacht kamen die Leute mit dem Archari,
+das sie auf ein Kamel geladen hatten, an. Es war mörderisch kalt in
+dem Winde, -28,5 Grad. Man glaubte, die Kälte in der klaren Nachtluft
+förmlich zittern zu sehen, und der Mond stand hoch und hell über den
+Schneefeldern der Gebirge.
+
+Am folgenden Tag überschritten wir noch einen Paß und gelangten in die
+Gegenden des Gebirges, aus denen die Sommerflüsse südwärts nach dem
+Zaidambecken gehen. An einer Stelle sahen wir dessen Sandwüste zwischen
+isolierten, mächtigen Bergkomplexen.
+
+So wanderten wir durch diese wilde Gebirgswelt nach Osten weiter.
+Wir hatten unter der Kälte und dem Winde zu leiden, es fehlte an
+Feuerungsmaterial, und ein paar Packleitern gingen darauf. Die Tiere
+hatten es auch nicht besser, denn die Weideplätze waren ebenso selten
+wie spärlich, und sogar die Quellen waren knapp. Den Kamelen macht es
+nichts aus, ein paar Tage zu dursten, die Pferde aber kauten Schnee,
+wenn sich ihnen weiter nichts bot. Im Norden erhebt sich das mächtige
+Massiv des Anambaruin-ula, im Süden ein kleinerer Bergrücken. Als es
+am 6. Januar Tag wurde, sahen wir offene Ebenen im Süden und Südosten
+und vor uns hatten wir jetzt das Hochlandbecken, das +Särtäng+ heißt
+und von Särtängmongolen bewohnt wird, die mit den Bewohnern von Zaidam
+stammverwandt sind.
+
+Fern im Osten sieht man den +Bulungir-nor+ und die Wasserläufe, die
+sich in diesen kleinen See ergießen. Die vortrefflichen Weiden, die uns
+nach dem platten Lande zogen, waren jetzt freilich gelb, aber unsere
+Tiere würden sich nichtsdestoweniger dort sattfressen können, und wir
+wollten sie, obwohl es schon zu dämmern anfing, gern noch zum Abend
+erreichen. Einige schwarze Punkte hier und dort hielten wir für Zelte
+und Herden, aber die Entfernung war zu groß, um etwas deutlich erkennen
+zu können, und nach einer Weile hüllte sich das Land in Dunkelheit.
+Schagdur und Mollah sprengten voraus; eine Stunde später erhellte
+ein Feuer die Nacht; sie hatten augenscheinlich den Rand der Steppe
+erreicht und dort trockenes Gras und Gestrüpp in Brand gesteckt. Die
+langsam gehende Karawane brauchte noch zwei Stunden, um dorthin zu
+gelangen; als wir aber einmal da waren, durften die Tiere ungeknebelt
+die ganze Nacht grasen. In solchen Gegenden laufen sie nicht fort.
+
+Als ich am folgenden Morgen geweckt wurde, hatten die Leute schon
+weiter im Süden einige Zeltlager entdeckt, nach denen wir unsere
+Schritte hinlenkten. Zuerst gelangten wir an drei Jurten, um welche
+herum große Herden von Rindern, Pferden und Schafen weideten. Eine alte
+Frau kam herausgelaufen und empfing uns ohne eine Spur von Furcht;
+sie fuhr, während sie schwatzte, ganz ruhig mit ihrer Handarbeit --
+Schnurdrehen -- fort. Doch bat sie uns, ja nicht hier zu bleiben, denn
+hier seien nur Frauen und Kinder zu Hause; wir zogen deshalb weiter,
+bis wir drei andere Jurten erreichten, wo zwei Männer versicherten, daß
+wir willkommen seien und unsere Zelte bei ihnen aufschlagen könnten.
+
+Wir hatten es gut bei diesen freundlichen, gastfreien Mongolen von
++Sando+, die uns verkauften, was wir an Proviant brauchten, aber keine
+Karawanentiere abgeben konnten. Die Gegend war übrigens sehr spärlich
+bevölkert; nur einige wenige Jurten waren auf der Ebene zu sehen.
+Eine große Karawane war kürzlich nach dem Tempel von Kum-bum und eine
+zweite nach Sa-tscheo aufgebrochen. Die Mongolen, die noch hier waren,
+besuchten uns alle. Ich frischte bald das Mongolische, das ich auf
+meiner früheren Reise gelernt hatte, wieder auf, und überdies war
+Schagdur ein vorzüglicher Dolmetscher; es war ja seine Muttersprache,
+die er hier zu seiner Freude wiederfand.
+
+Nach einigen angenehmen Rasttagen, während welcher die Kälte auf -32,5
+Grad hinunterging, traten wir den Rückweg nach dem Anambaruin-gol an,
+diesmal aber auf der Nordseite des Gebirgsstockes gleichen Namens.
+In vier Tagen zogen wir nach Norden über diese Kette, welche die
+Fortsetzung des Astin-tag bildet. Wir lagerten zuerst am Bulungir-nor,
+wo die Wölfe rings um unser Lager heulten, nachher in bergigen
+Gegenden. Der Hauptpaß +Scho-ovo+ (der kleine Obo) ist eine scharf
+ausgeprägte Schwelle, und besonders der Nordabhang ist ungeheuer
+steil. Die Kamele mußten, um nicht kopfüber in den Abgrund zu stürzen,
+einzeln geführt werden. Ein mächtiger Fluß rauscht im Sommer durch das
+nördliche Quertal und hat nur zu deutliche Spuren seiner aushöhlenden,
+einsägenden Tätigkeit hinterlassen. Rebhühner kamen in Menge vor, und
+ich lebte während der ganzen Reise durch den Anambar-ula von nichts
+anderem, obgleich wir Schaffleisch vollauf hatten.
+
+Von dem kleinen, am Nordfuße des Gebirges liegenden Aule +Scho-ovo+
+an ging unser Weg nach Westen. Wir waren hier von der Stadt Sa-tscheo
+oder Tung-chuan (von den Muselmännern Dung-chan genannt) nur noch eine
+Tagereise entfernt. Vielleicht war es ein Glück, daß wir diesen Ort
+während der Unruhen in China, von denen wir allerdings nichts gehört
+hatten, nicht besuchten. Unser Führer war ein netter alter Mongole
+(Abb. 181, 183), der die Gegend ganz genau kannte, uns fünf Kamele
+bis nach dem Anambaruin-gol vermietete und uns einen reichlichen
+Vorrat von Gerste, soviel wir transportieren konnten, verkaufte. Der
+Boden war jetzt überall mit Schnee bedeckt, aber nicht so hoch, daß
+unsere Tiere sich nicht an den Lagerplätzen an Gras hätten sattfressen
+können. Er war auch von unzähligen Schluchten durchsägt, die bis zu 10
+Meter tief waren und steile, schwer zu erklimmende Wände hatten. Der
+nächste Lagerplatz hieß +Dawato+; dort tobte ein verwünschter Wind, der
+vom Gebirge herabstürzte. Es scheint eine Art lokaler Föhn zu sein,
+denn er hörte sofort auf, als wir am nächsten Tag einen kleinen Paß
+überschritten hatten, und er erhöhte die Minimaltemperatur auf -16 Grad.
+
+[Illustration: 174. Der Platz, an dem wir umkehrten. (S. 8.)]
+
+[Illustration: 175. Das Gewölbe im Tale. (S. 8.)]
+
+[Illustration: 176. Die Kamele werden einzeln nach dem Hauptpasse
+hinaufgeführt. (S. 8.)]
+
+[Illustration: 177. Die Quelle am 22. Dezember 1900. (S. 9.)]
+
+Am 18. Januar gelangten wir an das Tal von +Dschong-duntsa+, eine sehr
+breite, 50 Meter tief in mächtige Geröllbette eingeschnittene Furche
+(Abb. 182). Von dem Stocke des Anambaruin-ula gehen unzählige derartige
+Täler nach Norden, vereinigen sich nach und nach zu Hauptbetten und
+laufen in die Wüste hinaus, wo sie jedoch bald aufhören. Nur dadurch,
+daß wir eine kleine Schlucht, die in das obengenannte Haupttal
+ausmündet, hinuntergingen, konnten wir seinen Boden überhaupt erreichen
+(Abb. 184, 185, 186). Sie schlängelt sich wie ein Korridor, in dem das
+Echo hellklingt, zwischen lotrechten Geröllwänden hin. Sie hat ziemlich
+steiles Gefälle und wird immer enger und dunkler. Doch nach einer
+letzten Biegung wird es wieder hell, und das sonnenbeleuchtete Tal
+mit seiner Vegetation und seinem eisbedeckten Flusse strahlt uns wie
+durch eine geöffnete Pforte entgegen. Auf dem linken Ufer des Flusses
+lagerten wir in einer großartigen, phantastischen Natur.
+
+Die Talmündungen, die vom Gebirgsstocke des Anambaruin-ula ausgehen,
+sind wahrhaft großartige, entzückende Gegenden. In einer von ihnen, die
++Lu-tschuentsa+ heißt, lagen in einem Walde von kleinen Weiden mächtige
+Eistafeln, an den Bachufern wuchs prachtvolles Gras, und Steinhütten
+und Gerstenfelder verkündeten, daß sich hier vor noch gar nicht langer
+Zeit Mongolen aufgehalten haben (Abb. 187, 188). Der Weg selbst ist
+um so schlechter, mit Riesenschluchten bis ins Unendliche und mit
+zahllosen kleinen Furchen dazwischen. Sie sind oft tief zwischen
+lotrechten Wänden eingeschnitten; das Ganze ist ein Meer von Geröll,
+malerisch, aber beschwerlich. Die Karawane verschwindet manchmal in
+diesen Rinnen und taucht an einer weniger steilen Stelle wieder auf.
+
+Bei dem Lager am +Gaschun-gol+ schoß Schagdur ein wildes Kamel. Diese
+Tiere kommen in der Gegend ziemlich häufig vor, bald nördlich von
+unserem Wege auf den untersten Abhängen des Gebirges und am Rande
+der Wüste, bald auch, merkwürdigerweise, in den südlichen Tälern,
+wo es meiner Meinung nach nicht schwer sein müßte, ganze Herden in
+Sackgassen, aus denen es keinen Ausweg gibt, hineinzutreiben. Wir sahen
+sie oft in Herden von 15-20 Tieren.
+
+Am 24. Januar wurde die letzte Strecke bis +Chan-ambal+ zurückgelegt,
+wo wir auf derselben Stelle wie vor drei Wochen lagerten. Nahe
+dabei trafen wir die einzige Karawane, die wir auf dieser ganzen
+viermonatigen Reise sahen, zwei Chinesen, die auf zehn Kamelen gedörrte
+und gefrorene Fische nach Sa-tscheo brachten. Sie kamen, wie sie
+sagten, aus Lovo-nur, d. h. Lop-nor. Ich wollte ein oder zwei Pakete
+ihrer Fische erstehen, aber sie weigerten sich hartnäckig, uns etwas
+zu verkaufen. Meine Leute schlugen vor, wir sollten uns ganz einfach
+nehmen, was wir brauchten, aber ich bin nicht für Gewalt und zog es
+vor, die Chinesen unbehelligt weiterziehen zu lassen.
+
+Mit der Rückkehr an diesen Lagerplatz, der von Abdall gerechnet Nr.
+131 war, hatten wir den Anambaruin-ula umgangen, aber den eigentlichen
+Zweck des ganzen Umweges, uns Kamele zu verschaffen, nicht erreicht.
+Wir hatten nicht einmal ein Pferd kaufen können, und unsere Karawane
+war durch den Umweg ermüdet worden. Die Kamele befanden sich noch
+in guter Verfassung, aber mehrere Pferde zeigten schon Symptome der
+Erschöpfung. Der Gewinn der Reise war, daß wir ein geographisch sehr
+merkwürdiges Land kennengelernt hatten.
+
+Große Strecken unbekannten Landes lagen noch vor uns, und in der
+Zusammensetzung der Karawane mußte eine Änderung vorgenommen werden.
+Sechs Pferde, die nicht aussahen, als hätten sie noch Kräfte genug
+für zweimonatige Strapazen, wurden ausgeschieden, und alles, was sich
+entbehren ließ oder jetzt nicht notwendig war, von unserem Gepäck
+abgesondert, besonders alle Gesteinproben und Skelette. Mit dieser
+kleinen Karawane sollten Tokta Ahun und Ahmet nach Abdall zurückkehren.
+Ersterer hatte außerdem folgende wichtige Aufträge auszuführen. Mit den
+müden Pferden sollte er sich von Abdall nach Tscharchlik begeben und
+dort von Tscherdon und Islam Bai allerlei später für uns notwendige
+Proviantartikel erhalten, worüber ich ihm schriftlichen Befehl an die
+beiden mitgab. Sodann hatte er wieder nach Abdall zurückzukehren, um
+uns von dort aus entgegenzukommen, und den Postdschigiten, der der
+Verabredung gemäß während meiner Abwesenheit vom Generalkonsul in
+Kaschgar in Tscharchlik angelangt sein mußte, ebenfalls mitzunehmen.
+Der Dschigit sollte hierbei noch immer dafür verantwortlich sein,
+daß mir die Posttasche in unverletztem Zustande übergeben würde. Von
+Kum-tschappgan sollte Tokta Ahun drei volle Tagereisen am Nordufer
+des Kara-koschun entlangreiten, drei frische Pferde mitnehmen und in
+einer geeigneten Gegend ein Standlager errichten. Zwei Kähne und einige
+gut mit der Gegend bekannte einheimische Fischer hatte er ebenfalls
+mitzubringen.
+
+Nachdem diese Hilfsexpedition einen guten, angenehmen Rastplatz
+ausgesucht, sollte sie dort eine Hütte bauen, ihre Netze auslegen
+und Enten fangen, damit wir, die aus der Wüste kommen würden, nach
+den Anstrengungen Obdach und Verpflegung vorfänden. Auf einem nach
+Norden weithin sichtbaren Hügel sollten sie zweimal täglich, um 12
+Uhr mittags und nach Einbruch der Dunkelheit, ein Feuer anzünden,
+dessen Rauchwolken und Schein uns als Leuchtturm dienen könnten. An
+dem verabredeten Vereinigungspunkte drei Tagereisen nordöstlich von
+Kum-tschappgan mußten sie sich in spätestens 45 Tagen, vom 27. Januar
+an gerechnet, einfinden und sofort mit dem Signalisieren beginnen,
+sowie geduldig auf unsere Ankunft warten, falls wir aufgehalten werden
+sollten. Tokta Ahun war betrübt, daß er sich von uns trennen sollte,
+aber ich tröstete ihn damit, daß es sein Vorteil sein würde, wenn er
+seinen Auftrag gut ausführe.
+
+So dezimiert, zogen wir am 27. Januar weiter, um die Wüste Gobi gerade
+nach Norden zu durchwandern. Wir marschierten also durch das Tal
+hinunter, das der Anambaruin-gol durch die Bergkette des Astin-tag
+geschnitten hat. An einer Flußbiegung standen drei von Äckern umgebene
+mongolische Steinhütten. Das Tal erweitert sich, die Berge auf seinen
+Seiten bilden isolierte Partien, Hügel und wellenförmiges Land, das
+schließlich in die Wüste übergeht. Auch der Fluß wird schwächer, seine
+Uferterrassen werden immer niedriger, seine Eisschollen immer dünner,
+und nur ein unbedeutendes Rinnsal rieselt noch unter ihnen. Der Schnee
+wird immer seltener, und es war deutlich zu beobachten, daß er bald
+ganz aufhören würde.
+
+An dem Punkte, wo die letzten Eisschollen im Tale lagen, machten wir
+eine bedeutungsvolle Rast. Wo und wann würden wir das nächste Mal
+Wasser finden? Darüber schwebten wir in gänzlicher Ungewißheit. Der
+Sicherheit halber befahl ich, für 10 Tage Eis mitzunehmen. Die Eisdecke
+des Bettes wurde aufgebrochen und fünf Säcke mit dicken Scheiben
+gefüllt. Ein Sack reichte, unserer Ansicht nach, volle zwei Tage für
+Leute und Tiere.
+
+Die schon vorher ansehnlichen Lasten der Kamele wurden hierdurch noch
+vergrößert, aber das Terrain war gut, und es ging eben und langsam
+bergab. Es ist herrlich, das Gebirge hinter sich lassen zu können und
+erst in einer freundlicheren Jahreszeit dorthin zurückzukehren.
+
+Nur ich, Schagdur und Faisullah durften an diesem Tage reiten, doch
+sobald die Zugordnung in Gang gekommen war, sollten wir die vier Pferde
+abwechselnd benutzen.
+
+Je weiter wir uns von der Bergkette entfernen, desto mehr schmelzen
+die Einzelheiten ihres Aufbaues zusammen; aber je weiter wir gelangen,
+desto deutlicher zeichnen sich dafür ihre beiden Rücken ab. Der
+hintere, den die Mongolen +Tsagan-ula+ (das weiße Gebirge) nennen,
+erhebt sich hoch und dominierend mit seinem schön gezeichneten,
+schneebedeckten Kamme; der vordere, nördliche, den der Fluß
+durchbricht, steht schwarz da und hat gemäßigtere, sanftere Linien.
+
+Das Terrain und die Landschaft verändern sich vollständig; das
+Geröll, das uns seit einem Monat zu schaffen machte, wird spärlicher
+und hört ganz auf, der Boden wird weicher, und wir können zwischen
+den Schneeflecken reiten, so daß die Pferde von den unangenehmen
+Schneesohlen, die sich unter den Hufen bilden, verschont bleiben.
+Hier und dort ist die aus Teresken und Tamarisken bestehende
+Steppenvegetation recht üppig. Im Norden versperren niedrige, rötliche
+Berge die Aussicht über das Wüstenmeer. Neben einem kleinen Hügel
+fanden wir einen vortrefflichen Platz für das Lager. Dürre Büschel
+versahen uns mit Kamelfutter und Feuerung, und in einer Spalte lag noch
+eine letzte Schneewehe, so daß wir den Eisvorrat nicht anzubrechen
+brauchten. Zwei wilde Kamele wurden von den Hunden in die Flucht
+gejagt, liefen aber so schnell längs des Fußes der Hügel hin, daß
+die Hunde, wie sehr sie sich auch anstrengten, so weit hinter ihnen
+zurückblieben, daß an ein Einholen gar nicht zu denken war.
+
+Der nächste Tag brachte uns pfeifenden westlichen Sturm, der mit
+aufgewirbeltem Staub und schweren, grauen Wolken gesättigt war. Für
+die Pferde wurden einige Eimer Schnee über dem Feuer geschmolzen, die
+Kamele aber und die Hunde konnten sich selbst von den Schneewehen
+versehen. Wir näherten uns dem Fuße des Wüstengebirges. Die
+Steppenvegetation ist oft außerordentlich üppig. Sie besteht aus
+jenen holzigen, oft ziemlich hohen, Nadeln tragenden Sträuchern und
+Büschen, welche die Muselmänner „Tschakkande“ und „Köuruk“ nennen
+und die mit der gewöhnlichen Tamariske verwandt sind. Manchmal sind
+sie vertrocknet, und dann liegen ganze Wagenladungen vortrefflichen
+Brennmaterials bereit, so daß man oft in Versuchung gerät, nur um
+ihretwillen zu lagern.
+
+Wir überschreiten ein sehr breites, aber wenig tief eingeschnittenes
+Bett, dem alle Gewässer der Gegend zuströmen. Das Bett geht nach
+Westnordwest, in der Richtung des Lop-nor-Beckens. Obwohl das Gefälle
+auf der anderen Seite außerordentlich stark wurde, war es für uns
+doch leicht, über den niedrigen Paß der Wüstenkette hinüberzukommen,
+auf dessen anderer Seite die Zelte zwischen weichen, trockenen und
+angenehmen Sanddünen aufgeschlagen wurden. Unterhalb des Passes begann
+jetzt auch „Suk-suk“ (Saksaul, ~Anabasis ammodendron~) aufzutreten.
+
+Während des Marsches am 29. Januar verloren wir uns wieder in einem
+Gewirr von nicht sehr hohen Bergen. Von neuem stießen wir auf einen
+deutlichen Weg aus früheren Zeiten. Am Boden war keine Spur mehr davon
+zu sehen; er war schon lange von der Zeit vertilgt worden, aber auf
+allen Hügeln und Vorsprüngen standen kleine Steinmale oder Wegzeichen,
+deren wir wohl 20 zählten. Gewöhnlich bestehen sie aus einer großen und
+einer kleinen Steinplatte, die sich aneinanderlehnen, oder auch aus
+einem würfelförmigen Steine, der zwei aufeinandergelegte runde Steine
+trägt. Daß es sich hier nicht um einen zufälligen Jägerpfad handelt,
+beweisen die Steinmale. Jäger finden sich überall zurecht und bleiben
+nicht ausschließlich auf bekannten Wegen, Steinmale aber sind nur für
+Reisende nötig, die sonst nicht wissen, wo der Weg geht. Wahrscheinlich
+war es die Fortsetzung des Weges, den wir schon im Astin-tag gesehen
+hatten, und ohne Zweifel ist er von Pilgern benutzt worden. Er wird
+wohl ziemlich alt sein; die Steinmale kann nur die Verwitterung
+vernichten, denn keine Stürme können sie hier mit Sand verschütten oder
+umwerfen.
+
+Nachdem wir noch einen kleinen Paß überschritten hatten, lag das
+gelbe Meer der Wüste vor uns. Seine Dünenwellen sahen unheimlich und
+bizarr aus. In der letzten Talmündung wurde Rast gemacht. Man hat hier
+das Gefühl, sich an der Küste des Wüstenmeers zu befinden. Auf einer
+Anhöhe thronte ein letztes Steinmal. Saksaule wuchsen hier üppig und
+erreichten eine Höhe von 3 Meter.
+
+Die letzten Ausläufer auf beiden Seiten dieser Talmündung sind zur
+Hälfte versandet. Die Dünen klettern hoch an ihnen hinauf. Sie
+versinken in die unbekannte Tiefe des Wüstenmeers. An Niederschlägen
+fehlt es in diesen Wüstenbergen nicht. Von Zeit zu Zeit fällt hier
+Regen, dessen Wasser sich zu einem Bach vereinigt, der, wenn auch
+von kurzer Dauer, doch eine bedeutende Wassermenge führen zu können
+scheint. Und daß er eine achtunggebietende Kraft besitzt, sehen wir an
+seiner sich zwischen kolossalen Sanddünen hinschlängelnden Rinne. Bald
+läuft diese nach Osten, biegt aber, wenn sie auf einen Sandberg stößt,
+nordwärts ab, bald nach Westen, um, von einer anderen Düne abgedrängt,
+wieder nach Norden zu gehen. Ohne einen solchen natürlichen Korridor
+wäre es ziemlich schwer gewesen, sich einen Weg durch diesen gewaltigen
+Flugsandgürtel zu bahnen, und man erstaunt, daß die Erosion stark genug
+ist, den Sand zu bekämpfen.
+
+Den ganzen Tag ging ich zu Fuß voraus, um nicht in dem ewigen, eisigen
+Winde zu erfrieren. Dann und wann guckt eine zur Hälfte begrabene
+Saksaulpflanze aus dem Sande. Die gestern noch außerordentlich
+zahlreichen Spuren von wilden Kamelen und Antilopen haben ganz
+aufgehört; die scheuen Tiere wollen das Terrain überschauen und
+hüten sich vor einer so schmalen, gefährlichen Passage. Noch mehrere
+Kilometer vom Fuße des Gebirges entfernt liegen Granitstücke von
+Kubikmetergröße auf dem Sande. Weshalb liegen sie da? Weshalb begräbt
+sie der Triebsand nicht? Dies muß seinen Grund in den Bahnen haben, die
+der Wind beschreibt und die keine Ablagerung in der Nähe eines solchen
+Hindernisses zulassen.
+
+Allmählich wird das Bett weniger ausgeprägt, sein Boden ist oft
+versandet, und die Dünen auf den Seiten erreichen nicht mehr
+die himmelstürmende Höhe wie am Fuße des Gebirges. Die kleine
+Wüstenkette, die wir in zwei Pässen überschritten haben, gleicht einem
+Wellenbrecher, der die Ausbreitung des Flugsandes nach Süden unmöglich
+macht. Sie schützt den nördlich vom Astin-tag liegenden Steppengürtel.
+
+Schließlich hörte das Bett zwischen den Dünen auf, bildete vorher aber
+noch eine Erweiterung, die einem kleinen See glich, obwohl keine Spuren
+von Wasser entdeckt werden konnten. Im Norden dieser Bodensenkung erhob
+sich ein hoher Dünenwall, und von seinem Kamme erblickten wir das
+eigentliche Wüstenmeer in seiner ganzen, großartigen Öde; es sah ebenso
+aus wie in so vielen anderen Gegenden, in denen ich die Wüste Gobi
+durchwandert hatte. Nicht die kleinste Pflanze überschritt die Grenze;
+im Norden, Osten und Westen sah man nichts als Sand, Sand und wieder
+Sand (Abb. 189, 192).
+
+Wie gewöhnlich in den Sandwüsten ging ich zu Fuß voraus, und nur
+langsam konnte die Karawane meinen schnellen Schritten folgen. Ich
+glaubte an mein altes Wüstenglück und war überzeugt, daß ich auch jetzt
+die Meinen durch die Gefahren der Dünenberge lotsen würde. Ich hatte
+das Fernglas bei mir, suchte die ebensten Flächen aus und freute mich
+über die Einsamkeit und die große Stille.
+
+Das heutige Lager wurde mitten in der Sandwüste aufgeschlagen, wo
+ringsherum nichts als Sand zu sehen war.
+
+Während des folgenden Tagemarsches wurden die Dünen immer niedriger
+und gingen schließlich in den darunterliegenden Lehmboden über, der
+in mehrere ungleiche Etagen von nach Norden abfallenden Terrassen
+ausgearbeitet ist. Am 1. Februar wurde diese Landschaftsform noch
+ausgeprägter (Abb. 190). Die Terrassen zeigen wie Finger nach
+Nordnordost und sind oft 50 Meter hoch. Gegen Abend erreichten wir zu
+unserer freudigen Überraschung wieder einen Steppengürtel, wo Kamisch
+und Tamarisken üppig wucherten und Spuren von Wölfen, Antilopen und
+Kamelen einander kreuzten. Ein Brunnen gab in einer Tiefe von 1,14
+Meter salzhaltiges aber trinkbares Wasser (Abb. 191). Es quoll jedoch
+so langsam aus dem auf blauem Ton ruhenden Sandlager, daß es nur den
+Appetit der Kamele nach „mehr“ reizte.
+
+Noch einen Tag erfreuten wir uns des Steppengürtels und folgten den
+Pfaden der wilden Kamele nach Norden. Sogar eine Gruppe knorriger
+Pappeln wurde passiert. Doch nur in einer von ihnen war noch ein
+Fünkchen Leben; die übrigen waren lauter geschlagene Helden.
+
+Bei dem Lager, das hier aufgeschlagen wurde, es war Nr. 138, hatten
+wir alles, dessen wir bedurften, und wir verbrachten hier zwei sehr
+notwendige Ruhetage. Während ich eine Sonnenobservation machte,
+buken die Männer Brot und hielten große Wäsche. Ein sehr ergiebiger
+Brunnen spendete den Kamelen für lange Zeit Wasser. Sie tranken je
+sieben Eimer. Das Wasser war fast ganz süß, und dadurch, daß wir es
+in dem offenen Becken gefrieren ließen, konnten wir unseren Eisvorrat
+vergrößern.
+
+Hinter diesem Punkte folgte wieder sterile Wüste, aus deren lockerem
+Lehmboden vom Winde sehr eigentümliche, bis zu 8 Meter hohe Kegel und
+Würfel geformt worden sind, die oft täuschende Ähnlichkeit mit Ruinen
+von Häusern und Mauern haben. Am Abend wurde ein wichtiger Punkt
+erreicht, und jetzt kam Mollahs Wegkenntnis zum erstenmal zur Geltung.
+Er war mehrmals mit Karawanen von Abdall nach Sa-tscheo und zurück
+geritten, hatte dabei stets den Astin-joll (den unteren Weg) durch die
+Wüste benutzt und kannte dort alle Brunnen und ihre Namen. An einem der
+letzteren, +Atschik-kuduk+ (der salzige Brunnen), schlugen wir jetzt
+unsere Zelte auf. Er verdiente seinen Namen, denn das Wasser war selbst
+für die Kamele absolut untrinkbar. Spuren in dem feuchten, salzhaltigen
+Boden verrieten, daß vor gar nicht langer Zeit eine Karawane von Abdall
+nach Sa-tscheo hier vorbeigezogen war und ohne Zweifel Fische, welche
+die Chinesen sehr lieben, transportiert hatte.
+
+Dieser Wüstenweg ist schon von Kosloff, Bonin und möglicherweise auch
+von Marco Polo bereist worden. Es war meine Absicht, ihn nur zu kreuzen
+und direkt nach Norden weiterzuziehen, aber die Klugheit gebot uns
+doch, uns nicht in unbekannte Wüstengegenden hineinzuwagen, ohne mit
+einem genügenden Eisvorrat versehen zu sein. Der nächste Brunnen im
+Westen war der +Tograk-kuduk+ (Pappelbrunnen); dort sollte das Wasser
+nach Mollahs Versicherung gut sein. Wir begaben uns also dorthin und
+ruhten einen Tag, an dem ein bedeutender Eisvorrat von dem Brunnen
+geholt wurde (Abb. 193). Es war keine Kunst, die Säcke zu füllen, da
+die Kälte noch -27,5 Grad betrug. Bei Tage war es allerdings nur ein
+paar Grad kalt.
+
+Als wir uns am 8. Februar nordwärts auf eine lange, ziemlich waghalsige
+Reise ohne Rasttage begaben, hatten wir also für Menschen und Tiere auf
+mindestens zehn Tage Wasser.
+
+Durch dichtes Schilf, das von der Kälte gelb und dürr geworden ist und
+knisternd bricht, wenn wir hindurchschreiten, geht es einem unbekannten
+Lande entgegen, aus dem nie zuvor eine Kunde zur Kenntnis der Europäer
+und ebensowenig der Asiaten gelangt ist. Ich ging, wie gewöhnlich, weit
+voraus. Unzählige Spuren von wilden Kamelen und Antilopen zeigen sich
+in allen Richtungen, Kulane aber gibt es in dieser Gegend nicht; die
+Luft ist wohl zu dicht für ihren geräumigen Brustkorb. Auf einmal hört
+der Vegetationsgürtel auf und endet mit einem Labyrinth von Lehmkegeln,
+die tote Tamarisken tragen. In einer Bodensenkung, wo das Erdreich
+feucht aussah, hielt ich es für der Mühe wert, noch einen Brunnen zu
+graben. Im Norden erhob sich eine wohl 70 Meter hohe Terrasse. In eine
+ihrer Talmündungen wollten wir hineinziehen.
+
+Die Karawanenglocken kommen immer näher. Die Weide war an dieser Stelle
+gut, und die Kamele sollten noch einmal eine stärkende Mahlzeit haben.
+Der Brunnen gab leidliches Wasser, und aus der Winterkälte machten wir
+uns wenig; sie wurde durch prächtige Feuer gemildert.
+
+Ein passendes Tal lockte uns in seine Mündung hinein, und einen
+ganzen Tag ritten wir durch seine Rinne nach Norden. Der Boden hebt
+sich außerordentlich langsam, für das Auge geradezu unmerklich.
+Nach vorhandenen Karten von Innerasien müßte hier eine gewaltige
+Bergkette liegen, aber die Anhöhen, die wir jetzt auf allen Seiten
+sahen, waren so unbedeutend, daß sie kaum den Namen Berge verdienten.
+In einer kleinen Schlucht fand ich Stücke eines uralten Eisentopfes
+von sphärischer Form und einen Dreifuß, der unten einen Ring hatte.
+Offenbar waren hier in früheren Zeiten Chinesen oder Mongolen
+vorbeigekommen. Waren wir hier vielleicht wieder auf die Fortsetzung
+des Weges, den wir im Astin-tag gesehen hatten, gestoßen, oder war dies
+ein alter Weg nach Chami?
+
+Daß wir uns in einer Gegend befanden, wo einstmals menschliche
+Verbindungsstraßen gelegen haben mußten, wurde uns während der
+folgenden Tagereise völlig klar. In dem breiten, offenen Tale, dem
+wir nach Norden folgten, zeigten sich nämlich oft Steinmale und
+Steinhaufen. Da, wo das Tal in flaches, wellenförmiges Terrain auslief,
+teilte sich der alte Weg. Eine Reihe von Steinmalen erstreckte sich
+nach Westsüdwesten, eine zweite nach Nordwesten. Der erste dieser
+beiden Wege hat wahrscheinlich nach den Ruinen geführt, die wir
+früher am Nordufer des Lop-nor gefunden hatten. Der zweite, den wir
+einschlugen und der nach Turfan zu gehen schien, führte uns auf einen
+niedrigen, rötlichschimmernden Kamm von ganz verwittertem Granit.
+Fern im Norden wurde die Aussicht durch eine etwas höhere Kette
+versperrt. Die Landschaft ist seltsam, öde, verlassen und stumm. Wie
+die Menschenspuren uralt sind, ihre Bedeutung verloren haben und
+nur noch in den Steinmalen als Erinnerungen aus vergangenen Zeiten
+dastehen, so sind auch die Bergketten hier auf dem Wege, vom Erdboden
+vertilgt worden. Wenn man an Tibet gewöhnt ist, kann man sich beinahe
+nicht entschließen, diese kleinen Landrücken Berge zu nennen. Sie sind
+zerfallende Ruinen von einstmals hohen Bergketten, welche jetzt durch
+die Einwirkung der in der Atmosphäre wirkenden Kräfte Stück für Stück
+zerstört werden. Doch denselben von Osten nach Westen gerichteten
+Parallelismus wie in Tibet finden wir auch hier wieder.
+
+In einer geschützten Spalte auf der Nordseite des Kammes fanden wir
+eine liegengebliebene Schneewehe, die den Kamelen sehr zupasse kam.
+Vielleicht hat dieser Schnee sie vor dem Verdursten gerettet, denn zum
+Wasser hatten wir noch sehr weit.
+
+
+
+
+Drittes Kapitel.
+
+Durch unbekanntes Land auf der Suche nach Wasser.
+
+
+Die ersten Anzeichen des Frühlings machten sich jetzt bemerklich, und
+die Winde waren nicht mehr ganz so schneidend kalt wie bisher. Die
+Minimaltemperatur stieg freilich selten über -20 Grad; aber unser
+langer Winter näherte sich doch seinem Ende. Im Juli des vorigen Jahres
+hatte er begonnen und ununterbrochen fortgedauert.
+
+Am 11. Februar überschritten wir eine Bergkette von unbedeutender
+relativer Höhe. Wilde Kamele haben hier außerordentlich zahlreiche
+Spuren hinterlassen. Sie schienen oft nach der obenerwähnten
+Schneewehe, der keine weiteren folgten, zu gehen. Wahrscheinlich hat
+die Erfahrung die Tiere gelehrt, daß die geringe Schneemenge, die
+hier gelegentlich fällt, an jener Stelle die größte Aussicht hat,
+liegenzubleiben.
+
+Am 12. gingen wir in einer fabelhaft öden Gegend, die nur selten durch
+eine Kamelspur belebt wurde, nach Nordnordosten. In der Ferne sieht man
+auf allen Seiten einzelne, niedrige Hügel, aber ziemlich lange Zeit
+ist es unmöglich festzustellen, in welcher Richtung der Boden fällt.
+Es gibt hier allerdings flache, gewundene Bachbetten, aber sie sind
+trocken wie Zunder, und oft hat es den Anschein, als müßten Jahrzehnte
+vergangen sein, seit sie zuletzt Wasser geführt haben. Der Blick reicht
+unendlich weit nach allen Seiten hin. Da keine Veränderung eintrat
+und keine Hoffnung vorhanden schien, daß wir hier Quellen oder Schnee
+finden könnten, schwenkten wir nach Nordwesten und Westen ab.
+
+Die beiden folgenden Tagemärsche gingen nach Südwesten. Ich hielt mit
+dem Kurse immerfort auf Altimisch-bulak zu, da wir ja einen Bogen nach
+Nordosten gemacht hatten. Unsere Lage war kritisch; der noch vorhandene
+Eisvorrat reichte freilich für uns und die Pferde noch mehrere Tage,
+aber die Kamele konnten keinen Tropfen mehr bekommen, und unser ganzes
+Streben war darauf gerichtet, diese unermüdlichen Veteranen um jeden
+Preis zu retten. Die Spuren der wilden Kamele wurden nunmehr stets
+auf der Karte verzeichnet. Ich glaubte, daß man aus ihren Richtungen
+Schlüsse auf die Lage von Quellen und Weideplätzen würde ziehen können.
+Die Spuren gingen meistens nach Nordwesten oder Südosten. Im Südosten
+dehnen sich die Kamischsteppen am Astin-joll aus, die wir schon
+durchquert hatten, und im Nordwesten gab es wahrscheinlich Quellen,
+die nur den Kamelen bekannt waren. Ich ging meistens zu Fuß und ruhte
+mich nur zeitweise im Sattel aus. Wenn es wirklich darauf ankam, eine
+Situation zu retten, hatte ich keine Ruhe zum Reiten. Die Kamele sind
+unerschütterlich ruhig und geduldig; nachts liegen sie geknebelt,
+keinen Grashalm bietet ihnen diese wüste Gegend, aber noch haben wir
+Vorrat von der Gerste der Mongolen.
+
+Am 16. Februar sah ich ein, daß wir, wenn wir eine Katastrophe
+vermeiden wollten, direkt nach Süden gehen und versuchen müßten, den
+Wüstenweg mit seinen salzigen Brunnen wieder zu erreichen. Vergeblich
+spähten wir nach einer liegengebliebenen Schneewehe umher. Wir mußten
+nach dem flachen Lande hinunter, wo wir wenigstens versuchen konnten,
+einen Brunnen zu graben. Ich erstieg einen Paß in einer unbedeutenden
+Kette. Die Aussicht war nichts weniger als ermutigend, denn auf allen
+Seiten zeigten sich kleine Landrücken; es war dieselbe Mondlandschaft
+wie immer, dieselben trockenen Hügel ohne eine Spur von Gras, aus dem
+man auf eine gewisse Feuchtigkeit des Bodens hätte schließen können.
+
+In einem breiten Tale sahen wir 57 frische Kamelspuren. Sie sammelten
+sich fächerförmig von allen Seiten und vereinigten sich zu einer
+Heerstraße, die ohne Zweifel nach einer Quelle führte. Nachher sahen
+wir noch 30 Spuren, die alle nach der großen Heerstraße gingen. Wir
+machten einen Augenblick Halt und hielten Kriegsrat. Gewiß war es,
+daß es hier nach einer Quelle ging, aber wie weit war es dorthin?
+Vielleicht mehrere lange Tagemärsche. Würde es nicht besser sein, nach
+Altimisch-bulak, das wir wenigstens kannten, zu ziehen? Wir folgten
+diesen Spuren nicht, so verlockend sie auch waren. Ganz kürzlich
+waren sie wie helle Stempel in den Boden gedrückt worden, aber
+merkwürdigerweise ließen sich die Kamele selbst nicht sehen. Bis in die
+unendliche Ferne lag das Land leer und schweigend da. Es war, als ob
+unsichtbare Geister diese Spuren hervorgerufen hätten. Ganze Karawanen
+von wilden Kamelen waren hier kürzlich gezogen, aber kein Tier war
+zu erblicken. Die Spuren führten nach Norden, vielleicht nach der
+Pawan-bulak, einer Quelle, von der Abdu Rehim, wie er mir im vorigen
+Jahre mitgeteilt hatte, gehört, die er aber nicht besucht hatte.
+
+17. Februar. Unsere Lage fängt an, recht bedenklich zu werden. Die
+Kamele haben seit zehn Tagen außer einigen Mundvoll Schnee, die wir vor
+einer Woche fanden, nichts zum Löschen ihres Durstes bekommen. Ihre
+Kräfte können nicht bis in alle Ewigkeit ausdauern.
+
+Während unseres heutigen Marsches ließen wir die kleinen Ketten,
+die wir auf dem Zuge nach Norden überschritten hatten, der Reihe
+nach hinter uns zurück. Sie laufen eine nach der anderen im Westen
+aus und verschwinden dort spurlos; sie stehen also nicht einmal in
+fortlaufender Verbindung mit dem Kurruk-tag, obgleich sie zu demselben
+orographischen System gehören. Fern im Westen sahen wir die Ketten
+des Kurruk-tag; sie waren höher und größer als die bisher von uns
+überschrittenen. Da wir in ihrer Nähe größere Aussicht hatten Wasser zu
+finden als in der Wüste, richteten wir den Kurs dorthin und zogen nach
+Westen.
+
+Nachdem ich die äußersten Vorsprünge des Gebirges hinter mir gelassen
+hatte, gelangte ich auf ganz ebenen salzhaltigen Boden hinunter, der
+jedoch auch Höcker in Gestalt von höchstens 2 Meter hohen Rücken und
+Anschwellungen hatte. Die Wüste erstreckt sich im Südwesten bis ins
+Unendliche, und auch im Nordosten wird ihr Horizont durch keine Berge
+verdunkelt.
+
+Nachdem ich fünf Stunden zu Fuß gegangen war, wartete ich auf die
+Karawane. Das Terrain wurde nachher schlechter als die Sandwüste. Es
+waren dieselben Jardang oder Lehmrücken, die wir von der Lopwüste her
+kannten; hier aber waren sie bis zu 6 Meter hoch und 10 Meter breit.
+Sie haben eine nordsüdliche Richtung und liegen in unzähligen Reihen.
+Gäbe es nicht hie und da kleine Unterbrechungen durch Lücken, so wäre
+das Terrain vollkommen unpassierbar, denn ihre Seiten sind senkrecht.
+Wir müssen halbe, ja ganze Kilometer zwischen ihnen zurücklegen, ehe
+die nächste Lücke uns erlaubt, einige zehn Meter in unserer Richtung
+zu gehen. Hier nützt alle Geduld nichts; solch ein Terrain kann den
+Menschen zur Verzweiflung bringen.
+
+Schließlich gelang es mir aber doch, uns aus diesem zeitraubenden
+Labyrinth hinauszulotsen. Bei dem zwischen einigen Hügeln
+aufgeschlagenen Lager war das organische Leben nicht einmal durch eine
+vom Winde verschlagene Tamariskennadel vertreten.
+
+Todmüde krieche ich in meine Filzdecken und Pelze, habe aber noch lange
+nicht ausgeschlafen, wenn der Kosak mich weckt. Schon bei Tagesgrauen
+herrschte halber Nordsturm, der am Nachmittag in einen ohne Rast und
+Ruh heulenden und pfeifenden Buran erster Ordnung ausartete, und
+zwar in einen, der dicht am Erdboden hinfegt, Staub, Sand und kleine
+Steine mitweht und uns eiskalt gerade in die Seite schlägt. Wie man
+auch geht, immer wird man steif vor Kälte; die Hände schwellen auf und
+verlieren das Gefühl. Dies ist eine neue Unannehmlichkeit, die sich zu
+der Besorgnis um die Kamele und der Sehnsucht nach Wasser gesellt. Die
+Drangsale sammeln sich bösen Geistern gleich um unsere Karawane. Das
+Terrain ist abscheulich, unzählige Hügel müssen rechtwinklig gekreuzt
+werden.
+
+Ich ging voraus und schleppte die Meinen 40 Kilometer weit mit. Unser
+Feuerungsvorrat war längst zu Ende, und kein Span war zu entdecken.
+Nichts weiter als Steine, Kies und Sand in dieser tückischen
+Mausefalle, die uns festhalten will und vor deren teuflischen Absichten
+wir unser Leben retten müssen. Die Kette, auf die mein Kurs gerichtet
+ist und an deren Fuße wir eine Quelle zu finden hofften, scheint
+zurückzurücken und vor uns zu fliehen. Sie verschwand jetzt vollständig
+im Nebel der Staubwolken; gegen Abend erschien sie daher unerreichbarer
+denn je. Die Kamele bewahrten trotz dieses forcierten Marsches ihre
+aufrechte, königliche Haltung und, obwohl sie keinen Stengel zu
+fressen, keinen Tropfen Wasser zu trinken bekamen, gingen sie doch mit
+hocherhobenem Kopfe und großen, nie unsicheren Schritten vorwärts.
+
+Wir lagerten in der Dämmerung in einem offenen Tale, das keinen Schutz
+vor dem Sturm gewährte. Die Jurte bekam drei Überzüge von Filzdecken,
+aber der Ofen ließ sich aus Mangel an Brennholz nicht benutzen. Das
+bißchen Wärme, welches ich selbst, mein treuer Reisekamerad Jolldasch
+und das flackernde Licht verbreiten, wehen die Windstöße fort. Ein
+Sandwall wird rings um den unteren Jurtenrand aufgeworfen, aber
+trotzdem ist es drinnen so kalt wie in einem Keller. Von dem Eise sind
+nur noch einige Stücke übrig. Meine armen Begleiter begnügten sich
+mit einem Souper von einigen Stückchen Eis und Brot und krochen dann
+so schnell wie möglich unter ihre Filzteppiche; eine Holzlatte, die
+geopfert wurde, reichte nur zum Wärmen meines Tees.
+
+Während draußen der Sturm die ganze Nacht tobte, schlief ich gut und
+ruhig in meinen Pelzen, fand es aber am Morgen des 19. Februars recht
+kalt, als ich ohne das gewöhnliche Morgenfeuer aufstehen mußte. Sobald
+ich nach einem Becher Tee und einem Stück Brot fertig war, eilte ich
+zu Fuß voraus. Wasser, Wasser! Das war der einzige Gedanke, der alle
+beherrschte; wir mußten um jeden Preis eine Quelle finden, denn die
+Kamele hatten seit zwölf Tagen nichts getrunken. Unsere Lage war
+wirklich kritisch; fanden wir kein Wasser, so würden die Kamele eines
+nach dem anderen sterben, gerade wie in der Wüste Takla-makan. Hier
+hatten wir jedoch den Vorteil, daß die Luft kalt und der Boden hart
+und eben war und uns erlaubte, die Gegenden in langen Tagemärschen zu
+durchmessen.
+
+[Illustration: 178. im Tale des Anambaruin-gol. Blick nach Nordwesten.
+(S. 14.)]
+
+[Illustration: 179. Blick nach Südosten vom Lager am Anambaruin-gol.
+(S. 14.)]
+
+Ich hielt noch immer auf die Quelle Altimisch-bulak zu, deren Lage
+ich seit dem vorigen Jahre kannte. Doch nach Abdu Rehim sollte es
+östlich von ihr noch drei Quellen geben, und diese waren es, auf die
+ich jetzt hoffte und die ich suchte. Wie leicht aber konnten sie
+hinter Bodenerhebungen verborgen, hinter kleinen Kämmen versteckt oder
+tief in einer vom Wege aus unsichtbaren Bodensenke liegen. Wir konnten
+ahnungslos an ihnen vorbeigehen und uns wieder in dieses Meer von
+Einöden hineinverlieren. Sehr beeinträchtigt wurden wir auch durch den
+Sturm, der uns nur die allernächsten Gegenstände unterscheiden ließ.
+Entferntere Berge und Anhöhen verhüllte der Nebel; ich konnte mich
+daher nicht der Karten vom Vorjahre zur Orientierung bedienen. In der
+Takla-makan wußten wir wenigstens, daß wir stets an den Chotan-darja
+gelangen würden, gleichviel auf welchem Wege wir nach Osten gingen,
+und nach dem Zuge im Bett des Kerijaflusses mußten wir schließlich
+den Tarim erreichen, wenn wir nur nördlichen Kurs einhielten. Dort
+handelte es sich um Linien, hier aber um Punkte, an denen man in der
+staubgesättigten Luft leicht vorübergehen konnte, und hätten wir dies
+getan, so würden wir die Gegenden des Tarim nie wiedergesehen haben.
+
+Mit steigendem Interesse beobachteten wir die oft ziemlich frischen
+Spuren der wilden Kamele, die nur im losen Sande vom Winde ausgelöscht,
+sonst aber deutlich waren. Man weiß, daß die Tiere vom Wasser kommen
+oder nach Wasser gehen und daß die Spur, ob man sie nach dieser oder
+jener Richtung hin verfolgt, früher oder später an eine Quelle führen
+muß. Aber es kann Tage und Wochen dauern.
+
+Ich fühlte mich stets versucht, den Kamelpfaden zu folgen, und tat es
+mehrere Male. Sie sind sehr sonderbar. Ohne die geringste Veranlassung
+machen sie scharfe Biegungen im rechten Winkel; wenn sie mich aber gar
+zu sehr in die Irre führen, verlasse ich sie voller Ärger, aber nur,
+um bald auf einen neuen Pfad zu geraten. Im großen und ganzen liefen
+die Spuren von Norden nach Süden. Sah ich nach Norden, so erblickte
+das Auge eine rotbraune, sterile Bergwand, während im Süden nur die
+unabsehbare Wüste lag. Also war es am besten, westwärtszugehen und nach
+Abdu Rehims drei Quellen zu suchen.
+
+Ich ging, als brennte es hinter mir, und ließ die Karawane weit hinter
+mir zurück. Meine in Schweden gemachten Stiefel hingen nach den 300 zu
+Fuß zurückgelegten Kilometern kaum noch in den Nähten zusammen, und
+meine Füße waren voller Blasen und schmerzten mich sehr. Schagdur,
+der mir sonst mein Reitpferd nachzubringen pflegte, ließ sich nicht
+blicken. Ich hatte beschlossen, nicht eher Halt zu machen, als bis ich
+Wasser gefunden hatte; ich wurde heute 36 Jahre alt und erwartete zum
+Abend eine angenehme Überraschung. Die Kamelspuren wurden nach Westen
+zu immer zahlreicher und bestärkten meine Hoffnung. Ich konnte jetzt
+keine zwei Minuten gehen, ohne eine Spur zu kreuzen.
+
+Schließlich gelangte ich an einen niedrigen Bergrücken, der mich zwang,
+eine südwestliche und südsüdwestliche Richtung einzuschlagen; ich ging
+daher in ein ausgetrocknetes Bett hinunter, in dem kürzlich 30 Kamele
+gewandert waren. Da ich hier eine Tamariske fand und Fährten von Hasen
+und Antilopen erblickte, blieb ich eine Weile an einer geschützten
+Stelle stehen. Diese Tiere können sich nicht sehr weit vom Wasser
+entfernen.
+
+Jetzt kam Schagdur, und wir beratschlagten. Im Süden zeigten sich
+mehrere Tamarisken; dorthin lenkten wir unsere Schritte. Der Boden war
+hier stark feucht, aber auch mit einer dicken Salzkruste überzogen, und
+der Brunnen, der gegraben wurde, als die Karawane dort angelangt war,
+lieferte eine konzentrierte Salzlösung. Wir gingen daher nach Südwesten
+weiter. Der Sturm schob von hinten nach.
+
+Ich eilte mit Schagdur vorwärts. Mein Schimmel folgte mir von selbst
+wie ein Hund, und Jolldasch schnüffelte und suchte überall umher.
+Nun folgten wir der Spur einer Herde von 20 Kamelen. So kamen wir
+mitten vor einen Talschlund, der auf unserer rechten Seite zwischen
+3 und 4 Meter hohen Terrassen gähnte. In dieser ziemlich breiten,
+trompetenförmigen Mündung vereinigten sich alle Kamelspuren der Gegend
+zu einem Bündel oder einer Heerstraße, die in das Tal hineinging. Ich
+folgte ihr und war noch nicht zehn Minuten gegangen, +als ich Jolldasch
+an einer weißglänzenden Eisscholle saugen sah+!
+
+Wir waren gerettet und hatten einen neuen Haltpunkt gewonnen, an dem
+die Karawane sich für die nächste Wüstenstrecke kräftigen konnte!
+
+Die Quelle war wie gewöhnlich salzig, aber die Eisscholle, die nur
+12 Meter Durchmesser hatte und 10 Zentimeter dick war, war ganz süß.
+Merkwürdigerweise hatte die Quelle nicht mehr als zwei kleinen, auf
+niedrigen Kegeln wachsenden Tamarisken Leben gegeben.
+
+Schagdur blieb erstaunt vor dem Eise stehen und glaubte fast, daß ich
+auf irgendeine geheimnisvolle Weise von dieser im Tale versteckten
+Quelle Kenntnis gehabt haben müsse, da ich direkt dorthingegangen war.
+
+Oben auf der linken Uferterrasse erhob sich eine kleine
+halbmondförmige, einer Brustwehr oder einem Schirme gleichende Mauer,
+hinter welcher entschieden Jäger auf die wilden Kamele, die an der
+Quelle tranken, zu lauern pflegten.
+
+Nun ließen wir uns nieder und zündeten ein Feuer an. Die Karawanenleute
+waren ebenfalls erstaunt und außerordentlich erfreut. Alle segneten
+diese rettende Eisscholle, von der wir mit neuen Eisvorräten nach
+Altimisch-bulak ziehen konnten. Erst aber bedurften wir einiger
+Rasttage nach dem Eilmarsche, dessen Wirkungen alle in den Beinen
+spürten. Faisullah und Li Loje gingen talaufwärts, um dort nach Weide
+auszuschauen, und kamen mit einigen dürren Stauden wieder, welche
+die Kamele sich gut schmecken ließen. Von dem Eise sollten sie erst
+fressen, nachdem sie sich von dem Marsche ausgeruht hatten, aber die
+Pferde durften sofort an seiner porösen Fläche knabbern.
+
+Es war recht lustig, die Kamele abends mit kleingehackten Eisstücken
+zu füttern. Sie standen geduldig wartend im Kreise, und ein Stück nach
+dem anderen wurde zwischen ihren Zähnen zermalmt. Sie knabberten das
+Eis wie kleine Kinder Kandiszucker, und ihre Augen glänzten vor Freude
+und Zufriedenheit. Für uns wurden einige Säcke mit großen Eisscheiben
+gefüllt. Die Scholle war ergiebiger, als wir anfänglich geglaubt hatten
+und genügte überreichlich für unsere Bedürfnisse; aber die wilden
+Kamele, die sich während unseres Aufenthaltes der Quelle nahten, mußten
+unverrichteter Sache wieder umkehren.
+
+Am 22. Februar legten wir nur 20 Kilometer zurück. Infolge des Nebels
+täuscht man sich unaufhörlich in der Entfernung. Wir lagerten in einer
+kleinen Oase von Tamarisken und Kamisch. Die Sträucher waren ziemlich
+dicht, aber trocken und lieferten uns Material zu größeren Feuern, als
+wir seit lange gehabt hatten.
+
+Die Landschaft verändert sich von einem Tage zum anderen nur wenig und
+ist höchst einförmig. Alle Berge bleiben rechts liegen. Die Ausläufer
+des Kurruk-tag zeigen sich als abgebrochene Ketten, und wir passieren
+eine nach der anderen. Wir haben also gefunden, daß dieser Gebirgszug
+nach Osten hin immer niedriger und unbedeutender wird, ebenso wie das
+Land in jener Richtung steriler und die Quellen seltener und salziger
+werden.
+
+Alles ist still und öde, nur der unermüdliche Wind fegt am Boden hin.
+Ich wanderte gedankenvoll durch dieses unbekannte Land und folgte
+mechanisch einer Ansammlung von Kamelspuren, die mich an eine neue
+Quelle mit einer weithin glänzenden Eisscholle führte. Hier treffen
+die Pfade der wilden Kamele gleich Radien aus allen Himmelsrichtungen
+zusammen. Auch hier durften unsere Tiere eine Weile grasen; ich ging
+unterdessen nach Südwesten weiter.
+
+Als ich zwischen niedrigen Hügeln talaufwärts ging, einem ziemlich tief
+in den Boden eingetretenen Pfade folgend, erblickte ich ein großes,
+schönes Kamel, das mich in dem Gegenwinde nicht witterte. Ich blieb
+stehen und wartete auf die Karawane, um Schagdur Gelegenheit zu geben,
+es zu schießen. Teils brauchten wir Fleisch, teils wollte ich ein
+vollständiges Skelett und eine Haut haben. Doch die Hunde verjagten das
+Tier, und so entging es der Gefahr. Schagdur war in der Hoffnung, dort
+eine Beute erwischen zu können, an der Quelle geblieben.
+
+Wieder kreuzten wir eine inselähnliche kleine Oase, wo die Tiere
+eine Stunde weiden durften, während ich meinen einsamen Spaziergang
+fortsetzte. Im Süden schimmerte es gelb aus dem Nebel, offenbar eine
+neue lockende Oase. In ihrem südlichen Teile erblickte ich 18 weidende
+Kamele und blieb wieder stehen, um auf die Karawane zu warten. Die
+wilden Kamele betrachteten die schwarze Reihe ihrer zahmen Verwandten
+mit unablässiger Aufmerksamkeit. Li Loje wurde zurückgeschickt, um
+Schagdur zu holen. Dieser kam atemlos an, war aber zu hitzig und schoß
+zu früh. Die Tiere verschwanden mit Windeseile in westlicher Richtung,
+und ich fürchtete, daß sie ihre Kameraden in Altimisch-bulak warnen
+würden und ich auf das Skelett verzichten müßte.
+
+Wir lagerten an diesem herrlichen Platze, wo es Weide, Brennholz und
+Wasser im Überfluß gab. Es war die dritte von Abdu Rehims Quellen.
+Seine Angaben hatten sich als durchaus zuverlässig erwiesen.
+
+24. Februar. Nach meinem Besteck und meinen topographischen
+Berechnungen müßte Altimisch-bulak in Westsüdwest 28 Kilometer von
+dieser Oase liegen. Ich führte also den Zug in dieser Richtung
+an, wurde aber von der nächsten, rechter Hand liegenden Bergkette
+gezwungen, einen westlicheren Kurs einzuhalten. Dies mußte die Kette
+sein, unterhalb welcher die Quelle von Altimisch-bulak liegt; hier
+konnte von einem Irrtum keine Rede sein. Wäre das Wetter nur klar
+gewesen, so hätten wir die Oase schon aus weiter Ferne erblicken
+müssen, nun aber verschwand alles im Staubnebel. Man hätte an der Oase
+vorbeigehen können, ohne sie zu sehen.
+
+Doch mein Glücksstern lenkte meine Schritte, und die gelbe Weide
+schimmerte aus dem Nebel hervor (Abb. 194). Die Umrisse von fünf
+Kamelen zeichneten sich über dem Schilfdickicht ab. Schagdur entledigte
+sich seines Mantels und seiner Mütze und schlich sich dorthin. Mit dem
+Fernglase beobachtete ich den Verlauf der Jagd. Als der Schuß krachte,
+begann es sich im Schilfe zu regen, erst langsam, dann schneller, und
+schwarze Schattenrisse huschten über das Kamisch und verschwanden
+jenseits der Grenze der Oase. Es waren 14 Stück. Nach einem zweiten
+Schuß kam Schagdur triumphierend zu mir, um zu melden, daß er zwei
+Kamele erlegt habe. Das eine war ein junges Weibchen, das stehend
+photographiert und dann getötet wurde (Abb. 195). Das zweite war ein
+gewaltiges „Bughra“, das an dem Schusse sofort verendet war (Abb. 196).
+Sein Skelett und seine Haut sollten nach Stockholm gebracht werden.
+
+[Illustration: 180. im Tale des Anambaruin-gol aufwärtsführender Weg.
+(S. 14.)]
+
+[Illustration: 181. Einer unserer mongolischen Führer. (S. 16.)]
+
+[Illustration: 182. Die nach Deschong-duntsa hinunterführende Schlucht.
+(S. 16.)]
+
+[Illustration: 183. Mein mongolischer Führer. (S. 16.)]
+
+Den Muselmännern imponierte es außerordentlich, daß es mir trotz des
+Nebels gelungen war, Altimisch-bulak zu finden. Die zurückgelegte
+Entfernung betrug den letzten Tag 31 Kilometer; ich hatte mich also
+nur um 3 Kilometer verrechnet, was nicht viel ist, da die Länge
+der berechneten Strecke 2000 Kilometer betrug. Hier knüpften sich
+die astronomischen und topographischen Beobachtungsreihen an die des
+vorigen Jahres an, und es konnte mit den vorhandenen Daten nicht schwer
+sein, die Ruinen wiederzufinden.
+
+Meine Jurte wurde in demselben Dickicht von Tamarisken und Kamisch,
+wo sie das Jahr vorher gestanden hatte, aufgeschlagen. Die Kamele und
+Pferde durften grasen. Es war ein gesegneter, glücklicher Tag.
+
+Die noch übrigen Tage des Februars verbrachten wir in Ruhe an den
+Quellen von Altimisch-bulak (Abb. 197). Daß beständig ein Wind ging
+und das Land ewig in Nebel gehüllt war, störte uns wenig, denn wir
+hatten alles, was wir brauchten, und unsere Zelte lagen vor dem Winde
+geschützt. Der Brennholzreichtum war unerschöpflich, und das Feuer
+in meinem Ofen erlosch erst spät in der Nacht, wurde aber schon
+frühmorgens, ehe ich aufstand, wieder angezündet. Die Muselmänner
+fanden das Fleisch des jungen Kamelweibchens vortrefflich, und unsere
+Karawanentiere sah man in zerstreuten Gruppen behaglich weiden.
+
+Ein ganzer Tag wurde auf Generalrepetition mit den Nivellierinstrumenten
+und den Männern, die bei dem Präzisionsnivellement durch die Wüste
+meine Gehilfen sein sollten, verwendet (Abb. 198). Der Umfang der
+Oase wurde mit Schritten ausgemessen; der vertikale Fehler auf
+dieser Strecke von 2756 Meter betrug nur 1 Millimeter. Das Resultat
+prophezeite also Gutes für das große Nivellement durch die Wüste auf
+einer Linie von mehr als 80 Kilometer Länge.
+
+Eine kleine Episode mit Chodai Kullu, der bisher innerhalb der
+Karawanengemeinschaft gerade keine hervorragende Rolle gespielt hatte,
+muß der Vergessenheit entrissen werden. Der Mann galt für einen
+geschickten Jäger und besaß eine eigene Flinte, aber in den 14 Monaten,
+die er bei uns war, hatte keiner ihn auch nur einem Hasen etwas zuleide
+tun sehen. Man glaubte nicht, daß er mit dem Gewehre umzugehen wußte,
+und es erregte daher keine Verwunderung, als er es eines Tages um
+einen Spottpreis an Li Loje verkaufte, in dessen Händen es ebenso
+unschädlich blieb. Bei der Rückkehr nach Jangi-köll im vorigen Jahre
+hatte er versichert, daß er in Altimisch-bulak ein Kamel erlegt habe,
+und nun drangen seine Kameraden in ihn, er solle ihnen die Reste dieses
+Tieres zeigen. Er machte Ausflüchte und beteuerte, die Tat bei einer
+anderen Quelle in der Nachbarschaft verübt zu haben. Daran wollten die
+anderen aber durchaus nicht glauben, da Chodai Kullu über die Lage
+dieser Quelle keine Auskunft geben konnte. Sie machten sich immer über
+ihn lustig. Er war ein verträglicher, phlegmatischer Mensch, linkisch
+und jovial, und seine Gesichtszüge trugen einen vorwiegend komischen
+Ausdruck.
+
+Eines Morgens verschwand er vor Sonnenaufgang aus dem Lager, und die
+anderen, die den Tag über damit beschäftigt waren, das Skelett des
+von Schagdur erlegten Kameles zu reinigen, hatten keine Ahnung, wo er
+steckte. Sie vermuteten indessen, daß er auf die Jagd gegangen sei,
+denn eine Flinte fehlte.
+
+In der Dämmerung fand er sich wieder ein und machte schon von weitem
+den Eindruck eines Triumphators. Wer wolle, könne ihn nach der Quelle
+begleiten und sich das Gerippe des im vorigen Jahre geschossenen Kamels
+ansehen, erklärte er ruhig. Die Quelle sei freilich in diesem Jahre
+ausgetrocknet, aber das Gerippe liege noch da, und was mehr sei, er
+habe auf seinem Streifzuge noch eine Quelle mit reichlichem Eisvorrat
+und Vegetation entdeckt. Dort habe er vier Kamele überrascht und ein
+Bughra geschossen. Während Chodai Kullu schmunzelnd umherging, war er
+in den Augen der anderen bedeutend gewachsen, und sie schämten sich
+sichtlich ihres offen ausgesprochenen Mißtrauens.
+
+Nun wurde beschlossen, nach dieser Quelle zu ziehen, die ein
+geeigneterer, näherer Stützpunkt für die bevorstehenden Operationen
+gegen die Ruinen in der Wüste sein mußte. Sieben mit Eis gefüllte
+Tagare wurden wieder geleert, um die Kamele mit unnötigen Lasten zu
+verschonen.
+
+Am 1. März sollte also Chodai Kullu seinen Ehrentag haben und uns den
+Weg nach der von ihm entdeckten Quelle zeigen. Er marschierte ganz
+selbstbewußt an der Spitze der Karawane unter fröhlichem Singen und mit
+einer so befriedigten Miene, als sei er Alleinherrscher über alle diese
+Wüsten und Oasen und ihre Bewohner, die wilden Kamele. Wir folgten
+seinen Schritten.
+
+Der Weg führte nach Südwesten und Süden. Rasch haben wir die Oase vor
+uns (Abb. 199). Sie liegt so gut im Terrain versteckt, daß es unmöglich
+sein würde, sie zu finden, wenn man sie nicht kennte oder wie Chodai
+Kullu durch reinen Zufall dorthin geriet.
+
+Während wir auf die anderen warteten, nahmen wir das erlegte Kamel
+genauer in Augenschein (Abb. 200, 201). Es lag in ganz natürlicher
+Stellung an dem Punkte, bis zu dem es noch hatte fliehen können,
+nachdem die heimtückische Kugel sein friedliches Weiden unterbrochen
+hatte, etwa hundert Schritte jenseits der Kamischgrenze der Oase. Wie
+verwundete und erschreckte Kamele zu tun pflegen, hatte es sein Heil
+gerade nach Süden, der Wüste zu, gesucht. Es war ein fettes, schönes
+Männchen. Eine Menge Zecken, die sich in seinem Pelze eingenistet
+hatten, zogen sich, nachdem das Blut erstarrt war, ratlos von dem
+Kadaver zurück.
+
+Als die Temperatur in der Mittagsstunde auf +15 Grad stieg, fingen
+diese greulichen Milben wieder an, sich zwischen Büschen und
+Grashalmen zu bewegen. Sie kriechen in großer Anzahl innerhalb der
+Grenzen der kleinen Oasen umher, und man kann sich kaum vor ihnen
+schützen. Sie werden von den wilden Kamelen von einer Oase nach der
+anderen getragen und machen, in den Pelzen jener hängend, alle Reisen
+kostenlos mit.
+
+Das Wasser der neuentdeckten Quelle, das in mehreren „Augen“ aus einem
+ziemlich tiefen Bett sprudelte, hatte eine Temperatur von +1,7 Grad und
+spezifisches Gewicht von 1,0232. Es ist so salzig, daß unsere zahmen
+Kamele sich durchaus nicht bewegen ließen, es zu kosten, was auch
+überflüssig war, da sich durch die Sonnenwärme kleine Süßwasserlachen
+auf der Oberfläche der Eisscholle gebildet hatten. Doch die wilden
+Kamele müssen im Sommer hiermit vorliebnehmen, ja vielleicht ziehen
+diese Wüstentiere das salzige Wasser dem süßen geradezu vor.
+
+Das Eis war dick und rein, und neun Tagare wurden damit gefüllt. Die
+Oase kam uns wirklich außerordentlich gut zustatten. Sie lag den Ruinen
+12 Kilometer näher und lieferte gute Weide, so daß ich alle drei
+Pferde und drei kränkliche Kamele unter Chodai Värdis Aufsicht hier
+zurücklassen konnte, während wir nach Süden aufbrachen.
+
+Was die Verproviantierung des Mannes betraf, so erhielt er von unseren
+außerordentlich knappen Vorräten nur -- eine Schachtel Zündhölzer,
+einen kleinen Eisentopf und ein bißchen Tee. Wasser hatte er in
+Überfluß, Fleisch konnte er von dem erlegten Kamel nehmen, mit den
+Zündhölzern konnte er sich Feuer anmachen, um seinen Tee zu kochen und
+seine Schnitzel zu braten. Nur ein kleines Mißgeschick traf ihn, wie er
+später erzählte, in der Einsamkeit. Als er am ersten Morgen erwachte,
+fehlten alle drei Pferde. Aus ihren Spuren sah er, daß sie sich auf
+eigene Hand nach Altimisch-bulak zurückbegeben hatten, weil dort das
+Gras noch besser war. Er mußte daher dorthin wandern und sie wieder
+holen und sie nachher strenger bewachen.
+
+Am 2. März brach ich mit den sieben Kamelen auf und nahm das ganze
+Gepäck und die neun Eissäcke mit. In gewisser Beziehung wäre es besser
+gewesen, der Marschroute des vorigen Jahres von Altimisch-bulak nach
+den Ruinen, die dann leichter zu finden gewesen wären, zu folgen; aber
+auch auf diesem neuen Wege mußten wir sie finden können, obwohl man sie
+nicht eher sieht, als bis man dicht vor ihnen ist. Drei alte Steinmale
+zeigten, daß die Menschen, die einst die Ruinengegend bevölkerten, die
+kleine Oase gekannt haben. Wahrscheinlich haben sich von hier aus Jäger
+in den Kurruk-tag begeben.
+
+Es dauerte nicht lange, bis wir merkten, daß wir uns dem Nordufer des
+ausgetrockneten Sees näherten. Erst verrieten zahlreiche Scherben von
+Tongefäßen das ehemalige Vorhandensein von Menschen in diesem Lande,
+darauf traten tote Tamarisken auf Kegeln und Hügeln auf, sodann
+die borstenähnlichen Stoppeln alter Kamischfelder und schließlich
+Schneckenschalen, letztere hier und dort in außerordentlicher Menge.
+
+So sind wir denn wieder in der von Stürmen durchfurchten Tonwüste. Ich
+eilte zu Fuß weit voraus. Es war glühend heiß, und ich rastete eine
+Stunde in dem Schatten der überhängenden Tonscheibe einer Jardang. Als
+die Karawane mich eingeholt hatte, eilte ich weiter, bis ich einen
+geeigneten Lagerplatz erreichte. Doch auch hier mußte ich so lange
+warten, daß ich fürchtete, die Leute hätten meine Spur verloren. Toter
+Wald war in Menge vorhanden, und ich unterhielt mich damit, einen
+kolossalen Scheiterhaufen aufzustapeln, den ich dann anzündete. Von
+der Rauchsäule geleitet, kam endlich die Karawane in guter Ordnung
+herangezogen.
+
+
+
+
+Viertes Kapitel.
+
+Die Ruinen am alten Lop-nor.
+
+
+Am Morgen des 3. März war es ziemlich kalt. Nach dem Besteck mußten
+wir von der Stelle, an welcher wir im vorigen Jahre auf die Ruinen
+gestoßen waren, noch 14 Kilometer entfernt sein. Es handelte sich nun
+um das Wiederfinden jener alten Häuser, in denen Menschen zu einer Zeit
+gewohnt hatten, in der das Klima und die Natur dieser Gegend noch ganz
+anders waren als jetzt und die Wüste keine Wüste, sondern ein reich
+bewachsenes Gebiet am nördlichen Ufer des von den Wassermassen des
+Kum-darja gebildeten Sees war. Wir schritten langsam vorwärts, nach
+allen Seiten umherspähend, um nicht an dem wichtigen Punkte, der jetzt
+Gegenstand einer gründlichen Untersuchung werden sollte, vorüberzugehen.
+
+Gleich links von unserem Wege fand Schagdur die Ruinen zweier Häuser.
+Das östliche bildete ein Quadrat von 6,5 Meter Seiten, und seine 1
+Meter dicken Mauern waren aus gebrannten Ziegeln in quadratischen
+Platten ausgeführt. Das aus Holz gebaute westliche Haus war schon sehr
+mitgenommen, aber man konnte sehen, daß es 26 Meter lang und ebenso
+breit wie das östliche gewesen war. In dem letzteren fanden wir eine
+kleine Kanonenkugel, einen kupfernen Gegenstand, der genau die Form
+einer Ruderklammer hatte, einige chinesische Münzen und zwei rote
+irdene Tassen.
+
+Eine Strecke weiter, als wir uns nach meiner Karte in der unmittelbaren
+Nachbarschaft des Fundortes vom vorigen Jahre befinden mußten, machten
+Faisullah und ich mit den Kamelen Halt, während die anderen zur
+Erkundung der Gegend ausgeschickt wurden. Sie blieben mehrere Stunden
+fort, und da es kurz vor Sonnenuntergang war, beschloß ich, am Fuße
+eines Lehmturmes, der sich eine Stunde östlich von unserem Rastplatze
+erhob, zu lagern. In der Dämmerung langten wir dort an und befreiten zu
+zweit die Kamele von ihren Lasten, worauf ich mit Hilfe eines Seiles
+und einer Axt den Turm bestieg. Er war um ein Gerippe von Balken,
+Reisig und Kamisch herumgebaut, so daß ich oben auf der Spitze ein
+Signalfeuer anzünden konnte.
+
+Die Ausgeschickten kehrten jetzt gruppenweise zurück. Einige hatten ein
+von mehreren Hausruinen umgebenes hohes „Tora“ (Lehmturm) gefunden und
+empfahlen jenen Platz als Hauptquartier. Sie brachten als Beweis etwas
+Schrot, eine verrostete eiserne Kette, eine kupferne Lampe, Münzen,
+Scherben und einen Krug mit.
+
+Bei Sonnenaufgang lenkten wir unsere Schritte nach dem neuen „Tora“
+(Abb. 202) und lagerten unmittelbar im Südwesten davon, um Schutz
+von ihm zu haben, wenn sich ein Sturm erheben sollte. Unter einer
+nach Norden überhängenden Lehmterrasse wurden auf einigen Balken die
+Eissäcke aufgestapelt; dort war unser „Gletscher“, unser Eiskeller.
+
+Nachdem die Kamele sich eine Weile ausgeruht hatten, sollten sie
+zu ihren Kameraden nach der Quelle zurückgeführt werden. Dieses
+verantwortungsvolle Geschäft wurde Li Loje anvertraut. Er sollte
+über Nacht an dem Punkte bleiben, wo das Terrain nach dem Gebirge
+anzusteigen beginnt. Soweit sollte der alte Faisullah mitgehen
+und dafür sorgen, daß der Jüngling in unsere Spur kam, dann aber
+schleunigst wieder zu uns zurückkehren. Li Loje hatte sich im übrigen
+an folgenden Befehl zu halten: er sollte in zwei Tagen nach der Quelle
+gehen, zwei Tage dort bleiben und schließlich mit der ganzen Karawane
+und einem großen Eisvorrat in weiteren zwei Tagen zurückkehren.
+
+Als die Kamele zwischen den Jarterrassen verschwunden waren, war uns
+jegliche Transportmöglichkeit abgeschnitten. Unser Lager mußten sie
+jedoch leicht finden können. Der Turm war weithin sichtbar (Abb.
+205), und am 9. März wollten wir auf seinen Zinnen ein Leuchtfeuer
+unterhalten. Nach ihrer Ankunft mußten wir sofort nach Süden
+weiterziehen, und es galt daher, die uns zur Verfügung stehenden
+sechs Tage nach Möglichkeit auszunutzen. Den ersten Tag benutzte
+ich zu einer astronomischen Bestimmung, während sämtliche Leute die
+Nachbarschaft abstreiften und sich erst am Abend mit ihren Berichten
+und Beobachtungen wieder einstellten.
+
+Ich kam nur noch dazu, von der Spitze des Turmes ein paar Aufnahmen
+zu machen, die ich beigefügt habe (s. auch I, Abb. 86) und die einen
+deutlicheren Begriff von der Gegend geben als alle Beschreibungen. Im
+Vordergrund sieht man meine Jurte, die durch einige Balken vor dem
+Umfallen geschützt ist (Abb. 203). Im Hintergrund leuchtet die Wüste
+gelb und gleichförmig mit ihren scharfkantigen Tafeln und Jardangs von
+Lehm. Hier und dort erhebt sich ein mehr oder weniger von der Zeit
+zerstörtes Haus (Abb. 204); in seinem Inneren wohnen nur Stille und
+Tod. Die einzigen lebenden Wesen, die sich in Sehweite befanden, waren
+ich selbst und mein Hund Jolldasch.
+
+Es ist so still und feierlich wie auf einem Friedhof, der bis an den
+Horizont reicht. Man fühlt, daß das Leben hier einst in frischen
+Schlägen pulsiert hat, aber durch erbarmungslose Naturkräfte vernichtet
+worden ist. Der frühere Wald hat den Stürmen freies Feld gelassen, und
+die Sterne blicken auf Vergänglichkeit und Öde herab.
+
+Es war unser erster Tag in dieser Gegend, die ich noch nicht hatte
+rekognoszieren können; ich wußte aber, daß ich vor einem großen,
+herrlichen Probleme stand. Würde diese geizige Erde, die sicherlich
+viele Geheimnisse zu verbergen hatte, mich etwas wissen lassen, das
+keine anderen Menschen auf Erden wußten? Würde sie uns einige ihrer
+Schätze schenken und mir auf die zahllosen Fragen, die gerade hier auf
+mich einstürmten, Antwort geben? Nun gut, ich würde jedenfalls tun, was
+ich konnte, um die schweigenden Ruinen zum Sprechen zu bringen, und
+mit ganz leeren Händen würden wir wohl nicht abzuziehen brauchen, wenn
+die Glocken das nächste Mal am Fuße des „Turmes der Stille“ läuteten.
+Ich hatte meinen ganzen ursprünglichen Reiseplan geändert und war auf
+Grund der von Ördek im vorigen Jahr gemachten wichtigen Entdeckung
+hierher zurückgekehrt. Dieser große Zeitverlust würde doch wohl nicht
+vergeblich gewesen sein?
+
+5. März. Nach einer langen, ruhigen Nacht in diesem eigentümlichen
+Lager, das der frischen Quelle, die wir vor kurzem verlassen hatten,
+so unähnlich war und in dem uns nur der Eisvorrat am Leben erhalten
+konnte, machte ich einen Morgenspaziergang zwischen den Ruinen, während
+meine Leute schon damit beschäftigt waren, aus allen Kräften zu graben.
+Sie hatten das Eingeweide eines Hauses auf- und umgewühlt, aber nichts
+weiter gefunden als das Rad einer Arba und einige hübsch gedrechselte
+Pilaster. Im übrigen barg der Sand nur wertlose Dinge, die jedoch auch
+nicht jeglicher Bedeutung ermangelten, da sie stets zur Erklärung
+der Lebensweise der ehemaligen Bewohner beitrugen. Darunter waren
+rote Zeugstücke von derselben Sorte, wie sie die mongolischen Lamas
+noch heute tragen, Filzlappen, Büschel von braunen Menschenhaaren,
+Skeletteile von Schafen und Rindern, chinesische Schuhsohlen, ein
+Bleigefäß, merkwürdig gut erhaltene Stricke, Scherben von einfach
+ornamentierten Tongefäßen, ein Ohrgehänge, chinesische Münzen usw. In
+einem Hause, das wahrscheinlich als Stall gedient hatte, wurde ein
+dickes Lager von Pferde-, Rinder-, Schaf- und Kameldung durchgraben.
+Nur der Umstand, daß dieses Lager unter einer Schicht von Sand und
+Staub gelegen hat, macht es erklärlich, daß es nicht pulverisiert
+und vom Winde fortgetragen worden ist. Doch keine Schrift, nicht ein
+Buchstabe, der uns das Rätsel hätte lösen können; nur ein kleiner
+unbeschriebener, gelber Papierfetzen wurde gefunden. Ganz dicht beim
+Lager erhoben sich die Balken eines Hauses, in dessen Innerem wir
+jedoch nichts fanden.
+
+Die Verhältnisse sind in diesem alten Orte ganz anders als in den
+Städten, die ich auf meiner vorigen Reise am Kerija-darja entdeckte.
+Dort liegen die Ruinen durch Sand geschützt, hier aber ist das Erdreich
+nackt. Was hier zurückgelassen oder vergessen worden ist, als die
+Einwohner von hier fortzogen, hat unbedeckt auf der Oberfläche des
+Bodens gelegen und ist vom Wetter und von den Winden angefressen und
+zerstört worden. Nur im Schutze der kleinen, höchstens 3 Meter hohen
+Lehmterrassen hat sich eine dünne Sandschicht angehäuft.
+
+Der Turm, die imponierendste Ruine des Ortes, lockte mich besonders an,
+und ich ließ die Leute ihn in Angriff nehmen (Abb. 206). Er konnte ja,
+gleich einem Hünengrab, ein Geheimnis in seinem Inneren bergen. Es war
+jedoch gefährlich, an ihm zu rühren. Ein großes Stück seiner Spitze
+mußte erst mit Stricken und Stangen abgerissen werden; es stürzte
+herunter wie ein donnernder Wasserfall, ganze Wolken von braunem Staub
+aufrührend, der von dem ziemlich starken Nordostwind über die Wüste
+fortgewirbelt wurde (Abb. 207).
+
+Sodann wurde von oben ein senkrechtes Loch, einem Brunnen vergleichbar,
+gegraben; einen Tunnel von der Seite zu machen, wäre ein zu großes
+Wagestück gewesen, denn der Turm war voller gefährlicher Risse, und
+sein trockenes, loses Material hätte leicht einstürzen können. Der 8,8
+Meter hohe Turm war jedoch massiv und wurde nur von horizontalen Balken
+durchzogen, die den an der Sonne getrockneten Ziegeln Halt gaben. Nur
+bis zu 3 Meter Höhe von der Basis haben diese eine rötliche Färbung,
+als seien sie leichtem Feuer ausgesetzt gewesen.
+
+Unterdessen zeichnete ich einen genauen Plan von dem Dorfe, dessen
+Häuser in einer Reihe liegen und stets von ungefähr Südosten nach
+Nordwesten gerichtet sind.
+
+Einige Häuser sind ausschließlich aus Holz gebaut gewesen, und die
+senkrechten Wandplanken sind in Balkenrahmen, die unmittelbar auf
+dem Erdboden liegen, eingefügt gewesen. Bei anderen bestehen die
+Wände aus Kamischgarben, die mit Weiden zwischen Stangen und Pfosten
+eingeflochten sind. Schließlich sind noch ein paar Häuser von an der
+Sonne getrocknetem Lehm vorhanden.
+
+Die meisten dieser alten Wohnungen sind eingestürzt, aber viele Balken
+und Pfosten stehen noch aufrecht, obwohl ihnen Wind und Sand recht übel
+mitgespielt haben (Abb. 208). Aus dem Aussehen des Bauholzes auf das
+Alter zu schließen, ist unmöglich. Wohl sieht es sehr alt aus und ist
+grau-weiß, rissig und zerbrechlich wie Glas, andererseits aber sollte
+man meinen, daß Stürme, Flugsand und Unterschiede von 80-90 Grad
+zwischen der niedrigsten Nachttemperatur des Winters und der höchsten
+Tagestemperatur in der Sommersonne das Material in verhältnismäßig
+kurzer Zeit ziemlich arg ruinieren können.
+
+Drei Türrahmen standen noch. In einem von ihnen war sogar noch die Tür
+selbst an ihrem Platze, weit offen, wie sie der letzte Eigentümer beim
+Aufbruch nach einem anderen Wohnorte gelassen hatte. Sie war bis zur
+Hälfte in Sand und Staub gebettet.
+
+Sämtliche Gebäude erheben sich auf kleinen Hügeln; daß sie aber
+ursprünglich auf ebenem Boden errichtet worden sind, davon ist man
+schon beim ersten Anblick völlig überzeugt, denn die Plattform des
+Hügels hat ganz dieselbe Fläche wie der Grundriß des Hauses. Die Teile
+des Bodens ringsumher, die das Bauholz nicht schützte, sind vom Wind
+ausgehöhlt worden und bildeten Einsenkungen. Da wohl 3 Meter von der
+Oberschicht des Lehmbodens weggehobelt worden sind, kann man sich
+denken, daß ziemlich lange Zeiträume verflossen sein müssen, seit das
+Dorf verlassen worden ist.
+
+Um Faisullah den Weg nach dem Lager zu zeigen, zündeten wir am Abend
+einen gewaltigen Scheiterhaufen an. An der Basis des Turmes lagen
+Massen von Balken und Pfosten, die ihrerzeit einen Rundbau um ihn
+herum gebildet zu haben scheinen. Aus ihnen wurde ein Scheiterhaufen
+von riesenhaften Dimensionen aufgetürmt, und es war ein in hohem
+Grade phantastischer, großartiger Anblick, den alten, grauen Turm in
+feuerroter Beleuchtung, die die Wirkungen des Mondscheins beinahe ganz
+aufhob, zu sehen. Einige Leute schürten das Feuer mit langen Stangen,
+die anderen saßen niedergekauert am Fuße des Turmes. Dicke Rauchwolken
+und ganze Feuerwerke von Funken flogen nach Südwesten. In einer klaren
+Nacht mußte ein solches Feuer schon in einer Entfernung von mehreren
+Tagereisen sichtbar sein. Faisullah wurde auch durch seinen Schein auf
+den richtigen Weg geführt, nachdem er Li Loje geholfen hatte, die Spur
+nach der Quelle zu finden.
+
+6. März. Als ich heute aufwachte, waren alle meine fünf Männer
+verschwunden, und ich mußte sehen, wie ich mit dem Feueranmachen und
+dem Essenkochen fertig wurde. Wir waren nämlich übereingekommen, daß
+es am klügsten wäre, wenn wir den ganzen Tag zum Auskundschaften einer
+besseren Stelle benutzten.
+
+Die Leute sollten radial, jeder in einer anderen Richtung, gehen. Es
+wurde eine förmliche Treibjagd auf Ruinen, und die Leute interessierten
+sich so sehr dafür, daß sie viel zu lange aufblieben und sich beim
+Feuer darüber unterhielten. Sie hatten den ganzen Tag vor sich, und
+wenn sie sich vor Dunkelwerden nicht wieder einstellten, sollte ich
+sie mit einem Signalfeuer zurückrufen, dessen Holzstoß sie vor dem
+Aufbrechen aufzuschichten hatten. Schagdur hatte ich eine detaillierte
+Marschroute gegeben, die angab, wo der vorjährige Lagerplatz lag und wo
+die von Ördek gefundenen Ruinen zu suchen sein mußten.
+
+Sonntagsruhe umgab mich auf allen Seiten, als ich erwachte; ich mußte
+an das Leben in der Laubhütte am Chotan-darja, als die Hirten in den
+Wald gegangen waren, denken. Ich photographierte mehrere Partien der
+Dorfruinen, nahm eine Mittagshöhe, beendigte die Planaufnahme und
+untersuchte die verschiedenen Schichten der Tonablagerungen.
+
+Es waren ihrer sechs von verschiedener Dicke. Auffallend ist, daß
+einige Schneckenschalen und Pflanzenreste enthalten, andere aber
+nicht, was verschiedene klimatische Verhältnisse während verschiedener
+Perioden anzeigt. Vielleicht haben sich die von organischem Leben
+freien Schichten in salzigem Wasser gebildet. Da sich im alten See
+Lop-nor Sedimente von 9,6 Meter Dicke haben absetzen können, liegt die
+Vermutung nahe, daß der Kara-koschun, auch wenn die Ablagerung dort
+viel unbedeutender ist, eines Tages wird nach Norden zurückwandern
+müssen. Noch immer ist es derselbe See, der in die Nivellierung des
+Landes eingreift, aber er führt ein Nomadenleben; bald liegt er im
+nördlichen, bald im südlichen Teile der Wüste.
+
+Mein Tag verlief in der Einsamkeit still und ruhig. Am Abend kamen die
+Kundschafter, vom Feuerschein geführt, einer nach dem anderen wieder.
+Schagdur traf erst um 9 Uhr ein; er war den ganzen Tag auf den Beinen
+gewesen, die anderen hatten die heißen Stunden gewiß verschlafen. Die
+Lehmterrassen hatten ihn in der Dunkelheit viele Purzelbäume machen
+lassen. Die Rinnen zwischen ihnen sehen wie schwarze Gräben aus, man
+kann ihre Tiefe nicht beurteilen und fällt infolgedessen oft wirklich
+in den Graben. Schagdur hatte sich daher gerade hinlegen und die
+Morgendämmerung abwarten wollen, als das Feuer aufgelodert war. Mein
+prächtiger Kosak hatte so lange gesucht, bis er sowohl das Ruinenlager
+vom vorigen Jahre wie Ördeks Fundort entdeckt hatte.
+
+Der 7. März sollte zur Untersuchung des letzteren benutzt werden. Um
+8 Uhr setzte ich mich mit allen Männern, außer Kutschuk, der für das
+Signalfeuer sorgen sollte, in Marsch. Schagdur war unser Führer.
+
+Der Weg ging genau südlich von dem Lagerturme vom 3. März, in dessen
+Nähe wir eine tiefe Einsenkung kreuzten, die einem alten Kanale glich.
+Ein neues „Tora“ wurde entdeckt. Beinahe in jedem Dorfe der Gegend
+gibt es einen Lehmturm; hier und dort liegen Balken umher, die von dem
+Vorhandensein ehemaliger Häuser Kunde geben. Ein solcher Balken hatte
+7,8 Meter Länge und 35 × 17 Zentimeter Stärke. Hier sind also in
+früheren Zeiten ebenso prächtige Pappeln gewachsen wie nur irgendwo in
+den Urwäldern des Tarim.
+
+Das Terrain, auf welchem wir jetzt wanderten, ist sehr interessant
+und verdient eine flüchtige Beschreibung. Wir gehen nach Westnordwest
+und kreuzen alle Lehmterrassen auf und ab im Zickzack. In kleinen
+Gruppen stehen uralte Pappeln; ihre Gruppierung ist genau dieselbe
+wie am Kara-köll, am Tschiwillik-köll und an den unteren Armen und
+Wasserläufen des Tarim. Manchmal stehen sie in Linien, manchmal in
+Hainen. Wo sie fehlen, haben sichtlich Flußarme gelegen oder Seen sich
+ausgedehnt, und ihre Gruppierung zeigt den Verlauf der Ufer an. Sonst
+sind Kamischstoppeln außerordentlich häufig, aber nur 20 Zentimeter
+hoch. Die Stengel sind so von Staub und Sand durchdrungen, daß sie
+bei der Berührung wie Ton zerspringen, aber die Blätter, die jedoch
+seltener noch vorhanden sind, lassen sich noch biegen. Auch das Bauholz
+ist in dieser Gegend so voll Sand, daß es im Wasser untergeht.
+
+So erreichten wir das Lager vom vorigen Jahre, das an den Kohlenhaufen
+von unseren Feuern leicht wieder zu erkennen war. Nach ein paar
+weiteren Kilometern waren wir an Ördeks Fundort. Hier fanden wir 8
+Häuser, von denen nur drei so weit erhalten waren, daß ich von ihnen
+einen Plan aufnehmen konnte. Sie waren angelegt wie ein chinesisches
+Yamen (Amtslokal): ein Hauptgebäude und zwei große Flügelgebäude.
+Zwischen ihnen liegt ein viereckiger Hof, den im Südosten ein
+Plankenzaun mit einer Tür, deren Pfosten noch dalagen, einfriedigt.
+
+Das ziemlich kleine Hauptgebäude ist entschieden ein Buddhatempel
+gewesen (Abb. 209). Hier war es, wo Ördek seinen Fund gemacht hatte;
+die Spuren seines Pferdes waren noch in einer Vertiefung zu sehen.
+
+Die mitgenommenen Spaten wurden in den Sand gestochen, und nach einer
+Weile tauchte Buddha selbst auf, obwohl in wenig schmucker Inkarnation.
+Das Bild war von Holz und hatte noch Kopf und Arme. Ohne Zweifel war
+es nur das Gerippe einer tönernen Statue, die in gewöhnlicher Weise
+geschmückt und bemalt gewesen war.
+
+Die beigefügten Bilder (Abb. 210, 211) geben dem Leser einen klareren
+Begriff von dem Aussehen der mitgebrachten Schnitzereien als alle
+Beschreibungen. Auf einige von ihnen will ich jedoch besonders
+aufmerksam machen. Auf einem Pfosten ist eine ganze Reihe stehender
+Buddhabilder dargestellt, auf einem anderen eine Reihe sitzender; jedes
+Bild hat über sich einen Heiligenschein, der einem Rundbogen gleicht.
+In einem Ornamente kommt zwischen Blättern und Ranken ein Fisch vor;
+seine Kiemendeckel und Schuppen sind vollkommen deutlich. Der Künstler
+würde nie auf den Gedanken geraten sein, einen so wenig dekorativen
+Gegenstand wie den Fisch in seinen Schnitzereien zu verwenden, wenn
+dieses Tier nicht von besonderer Bedeutung für die Gegend gewesen wäre
+und eines der wichtigsten Nahrungsmittel der Bevölkerung gebildet
+hätte. Es wäre ja sonst höchst unmotiviert, statt der Vögel Fische
+mit Girlanden und Blättern zu verflechten. Gäbe es nicht andere,
+unwiderlegliche Beweise dafür, daß die Dörfer am Ufer eines Sees
+gelegen haben, so könnte man eine dahinzielende Vermutung schon auf
+Grund des Vorkommens des Fisches in der Ornamentik aufwerfen. So wie
+das Land jetzt aussieht, wäre der Fisch das letzte Tier, an das man
+denken würde.
+
+Die Lotosblume bildet in diesen Schnitzereien ebenfalls ein
+hervortretendes, dankbares Motiv, sowohl in langen Reihen auf ziemlich
+großen Planken wie auf Scheiben von 50 Quadratzentimeter, die zwischen
+jene eingefügt gewesen sind.
+
+Noch ein Fund von großer Bedeutung wurde hier gemacht. Schagdur grub
+mit seinem Spaten Erde auf und durchsuchte diese, wobei ein kleines
+Holzbrett zum Vorschein kam, das mit Schriftzeichen beschrieben war,
+die wir nicht lesen konnten. Er achtete nicht darauf, sondern warf das
+Brettchen als wertlos beiseite, aber durch reinen Zufall nahm ich es
+auf, weil mir das Holz unglaublich wohlerhalten vorkam. Jeder Buchstabe
+war scharf und deutlich mit Tusche aufgetragen, aber die Schrift war
+weder arabisch noch chinesisch, weder mongolisch noch tibetisch. Was
+hatten diese geheimnisvollen Worte wohl mitzuteilen? Ich nahm das
+Brettchen und bewahrte es so sorgfältig wie Gold.
+
+Die Belohnung von 10 Sär, die ich dem versprochen hatte, der zuerst
+etwas Geschriebenes, gleichviel in welcher Gestalt, finden würde,
+fiel also Schagdur zu (Abb. 212). Nachdem derselbe Preis für den
+nächsten derartigen Fund versprochen worden war, gruben die Männer mit
+verdoppeltem Eifer in dem friedlichen Innern des armen Tempels, siebten
+den Sand durch die Finger und untersuchten jeden Span von beiden
+Seiten, aber ohne Erfolg. Nur die Schnur eines Rosenkranzes, einige
+chinesische Kupfermünzen und eine Menge flacher irdener Schalen, die
+wohl mit Opfergaben vor die Götter gestellt worden waren, kamen zum
+Vorschein.
+
+Wie anders ist dieses Land jetzt gegen früher! Kein vom Winde verwehtes
+Blatt, nicht einmal eine Wüstenspinne ist zu sehen; die Skorpione, die
+verdorrte Pappeln lieben, würden hier vergeblich Schlupfwinkel suchen.
+Der Wind ist die einzige Kraft, die in diesem erstarrten, totenstillen
+Reiche Geräusch und Bewegung verursacht. Man würde hier nicht eine
+ganze Woche bleiben können, wenn man nicht, wie wir, Verbindung mit
+einer Quelle hätte.
+
+[Illustration: 184. An den Felsen von Dschong-duntsa. (S. 17.)]
+
+[Illustration: 185. Das Lager im Tale von Dschong-duntsa. (S. 17.)]
+
+Daß der kleine Tempel ein vollendetes Kunstwerk gewesen, geht
+aus all den kleinen und großen Schnitzereien, die wir ausgruben,
+deutlich hervor. Zu einem Ganzen zusammengefügt, haben sie mit ihren
+geschmackvoll und mühsam geschnitzten Ornamenten eine wahre Augenweide
+gebildet.
+
+Und welch herrlicher Aufenthaltsort muß es gewesen sein, als der Tempel
+noch mit seiner zierlichen, wahrscheinlich ebenfalls bemalten Fassade
+prunkte und auf mehreren Seiten von dichtbelaubten Pappelhainen umgeben
+war, die nur durch Seebuchten, Kamischfelder und von gewundenen Kanälen
+bewässerte Äcker voneinander getrennt waren! Hier und dort lagen
+Dörfer zerstreut, und ihre Lehmtürme oder „Pao-tai“ waren hoch genug,
+um sich über den Wald zu erheben, damit sie mit ihren Signalfeuern in
+Kriegsgefahr von den Nachbardörfern aus gesehen werden konnten und die
+große Heerstraße, die hier vorbeiführte, anzeigten. Im Süden dehnte
+sich der gewaltige blaugrüne Wasserspiegel des Lop-nor aus, umrahmt von
+Hainen und mächtigen Schilf- und Binsenfeldern und reich an Fischen,
+Wildenten und Gänsen. Im Hintergrunde, gegen Norden, zeichnete sich
+wie jetzt bei klarem Wetter der Kurruk-tag ab, in welchem die hiesige
+Bevölkerung alle Quellen und Oasen, durch die früher sicherlich ein Weg
+nach Turfan führte, gekannt haben wird.
+
+Wir Pilger einer späteren Zeit fühlten sofort, daß wir uns in einer
+Gegend befanden, die schöner und herrlicher als vielleicht irgendeine
+in dem heutigen Ostturkestan gewesen war. So künstlerisch und
+geschmackvoll verzierte Häuser gibt es jetzt in diesem Teile Asiens
+nicht, und das dichte, leuchtende Grün ließ die Architektur noch
+wirkungsvoller hervortreten.
+
+Und jetzt! Nur unzählige Grabmale nach all dieser Herrlichkeit! Und
+warum? Weil der Fluß, der Tarim, sich ein anderes Bett grub und sein
+Wasser nach Süden schickte, um neue Seen zu bilden. Der alte See
+trocknete schnell aus, vielleicht schon in wenigen Jahren, der Wald und
+das Schilf lebten noch ziemlich lange von der Feuchtigkeit des Bodens,
+dann aber siechten auch sie allmählich dahin, wobei die Bäume, welche
+die längsten Wurzeln hatten, am zähesten waren; aber schließlich waren
+auch sie zum Tode verurteilt. Jetzt ist alles ein großer Friedhof, in
+welchem man jedoch auf den Grabinschriften von einer früheren, üppigen
+Vegetationsperiode liest.
+
+Als wir, mit der Ernte des Tages zufrieden, mit dem Graben aufhörten,
+näherte sich die Sonne dem Horizont, und wir brachen auf. Der Wind
+erhob sich, der östliche Horizont war grau und düster, der Nebel
+verdichtete sich, ein heftiger Sturm schien im Anzug zu sein, und
+wir beschleunigten unsere Schritte, um das Lager noch vor Dunkelheit
+zu erreichen. Endlich tauchte der westliche Lagerturm auf, und nun
+mußten wir unseren Weg im Staubnebel selbst finden können. Der Wind
+fegte Sand- und Staubmassen durch die Rinnen; sie eilten vorwärts wie
+Wasser in seinem Bette, man glaubte förmlich zu sehen, wie der Wind an
+den Seiten und Rändern der Rinnen feilte, und man kann sich denken,
+welch kräftigen Bundesgenossen er in dem Flugsande hat, der das leicht
+zerstörbare Tonmaterial wie Sandpapier zerreibt.
+
+In der Dämmerung erblickten wir den Schein von Kutschuks Signalfeuer,
+dessen Flammen immer höher aufloderten. Wir waren rechtzeitig zu Hause,
+ziemlich ermüdet von einem Spaziergange von 28 Kilometer, doch weniger
+von der Länge des Weges als von dem beschwerlichen Terrain. Wenn man
+den ganzen Tag hat dursten müssen, schmeckt ein großer Becher auf Eis
+gekühlten Wassers mit Zitronensäure und Zucker gar zu gut!
+
+Am 8. durften alle ausschlafen. Der Buran war stärker geworden, die
+Luft war mit Staub gesättigt; heute wäre es unmöglich gewesen, die
+Tempelruine zu finden.
+
+Durch die versprochenen Belohnungen angespornt, arbeiteten die Leute um
+das Lager herum mit ihren Spaten aus Leibeskräften, und jetzt sollten
+ihre Anstrengungen von einem Erfolg gekrönt werden, von dem ich kaum
+zu träumen gewagt hätte. Vergeblich hatten sie den Sand in vielen
+verlassenen Holzgebäuden untersucht, als sie ihre Aufmerksamkeit einem
+aus an der Sonne getrockneten Lehmziegeln erbauten Hause zuwandten,
+das einem Stalle mit drei Ständen glich (Abb. 213). Jedenfalls sah es
+im ganzen Dorfe am wenigsten verheißungsvoll aus. Aber gerade hier,
+in dem, von vorn gesehen, rechten Stande, fand Mollah einen kleinen
+zerknitterten Papierfetzen mit mehreren ganz deutlichen chinesischen
+Schriftzeichen.
+
+Es ist nicht zuviel gesagt, daß der Inhalt dieses Standes nun
+buchstäblich durchgesiebt wurde. Zwei Fuß tief, unter Sand und Staub,
+stießen wir auf etwas, das ich einfach einen Kehrichthaufen oder eine
+Unratbucht nennen möchte, das aber diverse schöne Raritäten enthielt.
+Dort fanden wir Lumpen von Teppichen und Schuhzeug, Schafknochen,
+Körner und Stroh von Weizen und Reis, eine Menge Rückenwirbel
+von Fischen und unter all diesem Trödel -- wohl ein paar hundert
+beschriebene Papierstücke nebst 42 Holzstäben, die der Form nach
+schmalen Linealen glichen und ebenfalls mit Schriftzeichen bedeckt
+waren.
+
+Dieser Fund war ein Triumph. Sollte es übertrieben sein, ein so starkes
+Wort da zu gebrauchen, wo es sich nur um alte Papierblätter handelt?
+Nein, durchaus nicht! Ich sah voraus, daß diese Blätter ein kleines
+Stück Weltgeschichte enthalten und mir den Schlüssel zur Lösung des
+ganzen Lop-nor-Problems schenken würden. Die rein geographischen und
+geologischen Untersuchungen enthüllten wohl deutlich genug Tatsachen;
+sie zeigten, daß das Land früher so und so ausgesehen haben +muß+;
+hier in der Wüste hatte ja ein großer See sein Bett gehabt, und hier
+in den Ruinen hatten Menschen gewohnt.
+
+Doch die Bruchstücke der Dokumente würden meinen mühsamen
+Untersuchungen Schwarz auf Weiß ihr Schlußzeugnis geben; sie würden
+den Stempel auf diese ganze Arbeit drücken, die seit Jahren Gegenstand
+meiner Arbeit und meiner Studien gewesen; sie würden erzählen, +wann+
+dieser See existierte und +welche+ Menschen hier wohnten, unter welchen
+Verhältnissen sie lebten, mit welchen Teilen Innerasiens sie in
+Verbindung standen, ja vielleicht sogar, welchen Namen ihr Land führte.
+Dieses Land, das sozusagen vom Erdboden vertilgt worden ist, diese
+Menschen, deren Geschichte längst der Vergessenheit anheimgefallen
+und deren Geschicke vielleicht nicht einmal Annalen anvertraut worden
+sind, alles dieses würde, so hoffte ich, jetzt wieder ans Tageslicht
+gezogen werden. Ich stand vor einer Vergangenheit, die ich wieder ins
+Leben rufen würde. Wäre es auch nur ein kleines Volk, ein unbedeutender
+Staat gewesen, was machte das aus? Es war doch immer eine Lücke im
+menschlichen Wissen, die jetzt ausgefüllt werden würde.
+
+Die Muselmänner hofften wie gewöhnlich Gold zu finden, aber ich hätte
+die zerrissenen, schmutzigen Brieffragmente nicht gegen große Schätze
+vertauscht.
+
+Daß dies wirklich ein Kehrichtloch gewesen, ging daraus hervor, daß
+der Raum viel zu klein war, um als Zimmer habe dienen zu können,
+und daß alle Papiere nur Bruchstücke waren; sie waren zerrissen und
+fortgeworfen worden. Infolge dieses Umstandes hoffte ich auch, daß es
+lauter Lokalbriefe gewesen, deren Inhalt sich ausschließlich um die an
+diesem Orte herrschenden Verhältnisse drehen und für meine Studien von
+viel größerem Interesse sein würde als Folianten, die aus einer anderen
+Gegend stammten. --
+
+Nach meiner Rückkehr nach Europa übergab ich dieses ganze Material dem
+gelehrten Sinologen Karl Himly in Wiesbaden, der es jetzt in Arbeit
+hat und seinerzeit eine besondere Abhandlung darüber veröffentlichen
+wird. Er machte schon bei der ersten Durchsicht mehrere interessante
+Entdeckungen und schrieb mir darüber unter anderem:
+
+„Die vorhandenen Zeitangaben bewegen sich zwischen der Mitte des
+dritten und dem Anfange des vierten Jahrhunderts nach Christi Geburt.
+Der Fundort scheint einem wohlhabenden chinesischen Kaufmanne gehört zu
+haben, der allerlei Lieferungen besorgt, Wagen und Lasttiere vermietet
+und die Beförderung von Briefen nach Tun-huang (Scha-tschôu) und
+dergleichen übernommen hat. Zu den Reisen nach dieser Stadt wurden
+Pferde, Wagen und Rinder benutzt. Einmal scheint von einem Feldzug
+die Rede zu sein, doch ohne Angabe der Zeit. Unter den Ortsnamen
+finden wir auch den, der das Land, um das es sich hier handelt,
+bezeichnet hat: Lôu-lan. Die Bewohner müssen auch Ackerbau getrieben
+haben, denn in den Briefen ist sehr oft die Rede von Getreidemaßen,
+wobei auch zuweilen die Getreideart angegeben ist. Vielleicht hat an
+der Stelle, wo die Schriftstücke ausgegraben worden sind, ein altes
+Steuereinnehmerhaus oder eine Art Getreidebank, wo Korn aufgekauft
+oder als Pfand angenommen worden ist, gestanden. Eigentümlich ist das
+Papier, das manchmal auf beiden Seiten beschrieben ist, was jetzt in
+China weder beim Schreiben noch im Druck üblich ist.
+
+„Jedenfalls ist die mitgebrachte Sammlung, die auch für die Chinesen
+von großem Interesse ist, derart, daß sie noch lange das Interesse der
+Männer der Wissenschaft in Anspruch nehmen wird.
+
+„Einige Blätter enthalten nur Schreibübungen, andere sind abgebrochene
+Sätze, aber die Abweichungen von der jetzigen Schrift sind im ganzen
+nicht groß. Die Stäbe haben den Vorteil vor den Papierblättern, daß sie
+einen oder mehrere Sätze, die abgeschlossen sind, enthalten, z. B., daß
+eine Antilope geliefert, so und soviel Korn abgegeben worden, so und
+soviele Menschen für einen Monat oder länger mit Lebensmitteln versorgt
+worden sind.
+
+„Der Beamte, der hier residiert hat, scheint eine nicht unbedeutende
+Provinz verwaltet zu haben, was aus folgendem Satze zu schließen ist:
+«Von dem angelangten Kriegsheere sind 40 Beamte an der Grenze (oder dem
+Ufer?) zu empfangen, und die Höfe sind zahlreich.» Er scheint auch zwei
+eingeborene Fürsten neben sich gehabt zu haben.
+
+„Die meisten Zeitangaben sind aus den Jahren 264-270 n. Chr. Im Jahre
+265 starb Kaiser Yüan Ti aus dem Hause Wei, und im Norden folgte die
+Tsin-Herrschaft unter Wu-Ti, der bis zum Jahre 290 regierte.
+
+„Von den leserlichen Kupfermünzen sind die meisten sogenannte
+Wu-tschu-Stücke. Diese Prägung war während der Periode von 118 v.
+Chr. bis 581 n. Chr. in Gebrauch. Ferner sind darunter zahlreiche
+Huo-thsüan-Münzen, die auf Wang-Mang zurückgehen, der zwischen den
+Jahren 9 und 23 n. Chr. die Macht in Händen hatte. Die Bezeichnungen
+der gefundenen Münzen widersprechen also den Zeitangaben der
+Papierfetzen und Stäbe nicht.“
+
+Schon diese vorläufigen Mitteilungen zeigen, welch wichtige
+Aufklärungen man von der von mir mitgebrachten Sammlung erwarten kann.
+Sie bringen ein neues Licht in die politische und physische Geographie
+des innersten Asien während der ersten Jahrhunderte nach Christi Geburt
+und zeigen, welch ungeheure Veränderungen dieser Teil der Welt in 1600
+Jahren erlitten hat.
+
+[Illustration: 186. Unsere Kamele im Tale von Dschong-duntsa. (S. 17.)]
+
+[Illustration: 187. Das Lager in Lu-tschuentsa. (S. 17.)]
+
+Der Name Lôu-lan kommt bei dem im 12. Jahrhundert lebenden arabischen
+Geographen Idrisi vor, und ein gelehrter Mandarin in Kaschgar, dem ich
+die Manuskripte zeigte, sagte mir, daß das Land um das jetzige Pitschan
+bei Turfan in alten Zeiten Lôu-lan geheißen habe. Im Verein mit den
+physikalisch-geographischen Untersuchungen, die ich in bezug auf die
+Wanderungen des Lop-nor-Sees ausführte, sind diese historischen Daten
+von unschätzbarem Wert. Sie geben nicht nur über das Land Lôu-lan
+am Nordufer des früheren Lopsees Auskunft, sondern verbreiten auch
+Licht über viele andere ungelöste Probleme in dieser Gegend, die auf
+halbem Wege zwischen China und dem Abendland liegt. Sie erzählen von
+regelmäßiger Post zwischen dem Lop-nor und Scha-tschôu, also von einer
+regelrechten Verbindungsstraße durch die Wüste Gobi. Der alte Weg von
+Korla längs des Ufers des Kontsche-darja, wo ich das vorige Mal eine
+ganze Reihe von Lehmtürmen (Pao-tai) und Festungen fand, erhält jetzt
+eine ganz andere Beleuchtung. Ich habe im ersten Bande S. 205-207 von
+den Ruinen in Jing-pen gesprochen -- auch sie waren ganz gewiß eine
+wichtige Station auf dem alten Wege.
+
+Daß in Lôu-lan Ackerbau hat getrieben werden können, ist von großem
+Interesse. Wie ist dies möglich gewesen? Vom Kurruk-tag kommt kein
+Bach, vom Himmel kein Tropfen Wasser. Das Klima wird sich verändert
+haben, sagt vielleicht jemand. Nein, durchaus nicht! Im Herzen eines
+Kontinents pflegt das Klima in anderthalb Jahrtausenden nicht solch
+kolossale Veränderungen zu erleiden. Kanäle müssen vom Flusse, dem
+Tarim oder Kum-darja, abgeleitet worden sein, Bewässerungskanäle von
+derselben Art wie überall in Ostturkestan. Getreidebanken gibt es noch
+jetzt in allen Städten Ostturkestans; sie stehen unter der Kontrolle
+der chinesischen Behörden und dienen zur gleichmäßigen Verteilung des
+Brotes unter die Eingeborenen. Ich fand allerdings nur 4 Dörfer, von
+denen das größte 19 Häuser hatte, aber es können noch mehr Ruinen in
+der Wüste liegen. Und wenn von Kriegsheeren, 40 Beamten und zahlreichen
+Höfen die Rede ist, hat man Grund, anzunehmen, daß Lôu-lan reich
+bevölkert gewesen ist. Die von uns gefundenen Ruinen würden dann von
+Amtslokalen und vornehmeren Wohnungen herrühren, und es ist ja auch
+wahrscheinlich, daß diese bei den Türmen gelegen haben, während die
+Hütten der Fischerbevölkerung an den Ufern lagen und natürlich in viel
+kürzerer Zeit zerstört worden sind.
+
+9. März. Noch ein Tag blieb uns an diesem, ich hätte beinahe gesagt,
+heiligen alten Orte -- jedenfalls einem Ort, an dem man von feierlicher
+Schwermut über die Vergänglichkeit alles Irdischen erfüllt wird und vor
+der Tatsache steht, daß Städte und Stämme von der Zeit wie Spreu vor
+dem Winde vom Erdboden verweht werden.
+
+Als ich aufstand, waren die Leute schon ein paar Stunden bei der Arbeit
+gewesen und brachten nun ihre Funde in meine Jurte (Abb. 214). Diese
+bestanden wie gestern aus Papierfetzen und Holzstäben, alle aus dem
+nordöstlichen Stande des Lehmhauses; in den beiden anderen wurde nichts
+gefunden. Fischgräten, Skeletteile von Haustieren, unter anderen von
+Schweinen, Lumpen, einige Pinselstiele, eine Peitsche, das Skelett
+einer Ratte und diverse andere Raritäten kamen auch zum Vorschein.
+Ein völlig unbeschädigter roter Tonkrug wurde ausgegraben (Abb. 215).
+Er war 70 Zentimeter hoch und 65 Zentimeter breit und besaß keine
+Henkel. Wahrscheinlich ist er in einem Weidenkorbe mit Henkel, der in
+der Nähe lag, getragen worden. Scherben von derartigen Gefäßen sind
+außerordentlich häufig.
+
+Nachmittags kam die Karawane von der Quelle. Die Pferde sahen
+kümmerlich aus, aber die Kamele waren fett geworden. Sie trugen 10
+Tagare und 11 Tulume Eis, welcher Vorrat ziemlich lange reichen würde.
+
+
+
+
+Fünftes Kapitel.
+
+Lôu-lan.
+
+
+Da ich annehme, daß es meine Leser interessieren wird, einige Auskunft
+über das Land, das obigen Namen trägt, zu erhalten und zu erfahren,
+was bisher durch chinesische Quellen darüber bekannt war, so will ich
+im Anschluß an meine Entdeckungen einige von fachkundigster Seite
+herrührende Mitteilungen anführen. Es sind meine Freunde die Sinologen
+Karl Himly in Wiesbaden und George Macartney in Kaschgar, die zu Worte
+kommen, und zwar in den beiden vornehmsten geographischen Zeitschriften
+der Welt.
+
+Himly hat in „Petermanns Mitteilungen“ (1902, Heft XII)
+einen Aufsatz, betitelt „Sven Hedins Ausgrabungen am alten Lop-nur“
+veröffentlicht, worin er das von mir mitgebrachte Material vorläufig
+analysiert und daraus mehrere interessante Schlüsse zieht. Er schreibt:
+
+„Der Name Lop-nur ist nicht von den jetzigen (türkischen) Bewohnern
+erfunden, wie ja auch «nur» = See ein mongolisches Wort ist. Vor Mitte
+des 18. Jahrhunderts verlief hier die Grenze der Khalkha- und der
+Westmongolen oder Kalmücken. Von den Chinesen wird jetzt nach Hedins
+Erkundung das Gebiet des neugegründeten Ortes Dural so genannt, wo
+ein chinesischer «Amban» seinen Sitz hat. Nach den Ausführungen in
+Petermanns Ergänzungsheft betrachtete Hedin den etwas weiter südöstlich
+befindlichen Kara-köl als Überbleibsel des alten Sees. Dieser war
+aber längst vor der Mongolenzeit den Chinesen bekannt gewesen und
+hatte verschiedene teils chinesische, teils einheimische Namen:
+Yen-tsö (chinesisch «Salzsee»), Puthschang-hai («hai» chinesisch =
+Meer), Yao-tsö, Lôu-lan-hai usw.; Lôu-lan aber war der Name eines
+Landes, welches trotz seiner Kleinheit wegen seiner Lage zwischen
+dem nördlichen und dem südlichen Weg von China nach dem Westen schon
+zur Zeit der Kämpfe zwischen den chinesischen Kaisern aus dem Haus
+der Han und den Hiung-Nu seit dem zweiten Jahrhundert vor unserer
+Zeitrechnung eine für dasselbe zuweilen verhängnisvolle Rolle gespielt
+hat, indem es bald auf die eine, bald auf die andere Seite gedrängt
+wurde. Der berühmte Wallfahrer Hüan-Tschuang berührte 645 das Land
+auf seiner Rückreise aus Indien, nachdem er von Khoten aus die Wüste
+mit ihren damals schon in Trümmern liegenden Städten durchzogen
+hatte. Wenn schon die Wüste die Einwohner der Städte vertrieb und
+ihre Häuser verschüttete, mußte eine Vereinigung der Staubstürme mit
+den sich stauenden Gewässern die Gefahr noch vermehren. Nach dem
+Schuêiking-tschu sammelten sich die Gewässer des Sees nordöstlich von
+Schan-schan (Lôu-lan) und südwestlich von Lung-thschöng (Drachenstadt),
+welches im Zeitraum Tschi-ta (1308-11) durch eine Sturmflut zerstört
+wurde. Doch waren die Trümmer noch vorhanden.
+
+„Vielleicht ist es nun diese alte Trümmerstätte, welche Hedin während
+seines letzten Aufenthalts in der Gegend des Lop-nur aufgefunden hat.
+Er begab sich nämlich, von einigen einheimischen Türken -- Lopliks,
+die jedoch noch nie dort gewesen waren -- und einem seiner Kosaken
+begleitet, von der Quelle Altimisch-bulak nach Süden und traf nach
+zwei kleinen Tagereisen in einer Entfernung von 81½ Kilometer vom
+Kara-koschun auf die Trümmer einer alten Stadt. Während von den meisten
+Häusern nur noch die Holzgerüste standen, war eines aus Lehm (oder
+Luftsteinen?) gebaut mit dicken Außen- und zwei Innenwänden, welche
+das Haus in drei Räume, einen breiteren mittleren und zwei kleinere an
+den Seiten teilten. In einem der letzteren wurden eine Menge Stäbe aus
+Tamariskenholz mit meist chinesischen Schriften und viele Papierfetzen,
+letztere teilweise auf einer, teilweise entgegen der jetzigen Sitte
+auf beiden Seiten beschrieben, unter einer Sand- (oder Löß-?)Schicht
+von höchstens zwei Fuß Dicke aufgefunden. Es befanden sich darunter
+auch kleine Klötzchen, welche gleichfalls beschrieben waren und meist
+augenscheinlich zum Zubinden bestimmte Vertiefungen zeigten. Daß diese
+Klötzchen als Deckel für darunter befindliche Briefschaften gedient
+hatten, war teils aus der Aufschrift zu entnehmen, teils hatten
+schon die im Januar 1901 von Stein am Niya-Flusse gemachten Funde
+an Deutlichkeit nichts zu wünschen übriggelassen, wie man sich beim
+ersten Blick auf Tafel IX in seinem «~Preliminary report on
+a journey of archaeological and topographical exploration in Chinese
+Turkestan~» überzeugen kann. Unweit dieser Fundstelle fanden sich
+sehr wertvolle Holzschnitzereien mit geschmackvollen Verzierungen; die
+darunter vorkommenden Buddhabilder lassen auf das Vorhandensein eines
+Tempels schließen. In einem anderen Hause fanden sich Fischknochen in
+großer Menge, und unzählige Schnecken (~Limnaea~) lagen umher.
+Läßt dieser Umstand darauf schließen, daß hier das Ufer eines Sees
+war, so zeugte ein riesengroßes, aus fünf dicken Brettern bestehendes
+Rad vom Wagenverkehr zu Land. Die vier Türme aus Fachwerk, welche
+sich in der Umgebung fanden, mögen teils zur Verteidigung, teils am
+Weg als Feuer- oder Rauchtürme gedient haben, wie sie weit über das
+chinesische Reich zerstreut lagen, um vor dem herannahenden Feind zu
+warnen. Ein riesiger Wasserbehälter von rotem Ton, oben mit schmaler
+Öffnung versehen, hatte sich vollkommen erhalten.
+
+„Unter den kleineren Fundstücken sind namentlich die Kupfermünzen
+bemerkenswert, die, bis auf eine chinesischen Ursprungs, auf eine
+bestimmte Reihe von Jahrhunderten hinweisen. Sie haben alle das
+bekannte viereckige Loch in der Mitte, an dem sie, zu Hunderten
+aufgereiht, an Stricken getragen zu werden pflegen. Die Bezeichnungen
+einer bestimmten Reihe von Jahren, welche frühestens im Jahre 376 n.
+Chr. begannen und vom Jahre 621 an nie mehr fehlten, finden sich auf
+keiner der Münzen. Die häufigste Aufschrift ist Wu tschu (5 Tschu oder
+5/24 Liang oder Unzen) in alter Siegelschrift, in der die 5 einer
+römischen Zehn (X) ähnelt, und kommt von 118 v. Chr. bis 581 n.
+Chr. vor. Zuweilen haben die Münzen die Bezeichnung Huo-thsüan (nach
+Endlichers Übersetzung «Tauschmittel»), welche von 9-22 n. Chr. aus
+der Zeit des Wang-Mang angeführt wird. Eine Münze, in der das Loch ein
+längliches Viereck bildet, trägt die Aufschrift in Schriftzeichen,
+deren Erklärung der Zukunft vorbehalten werden muß.
+
+Unter den anderen kleineren Gegenständen ist namentlich ein kleiner
+geschnittener Stein bemerkenswert, welcher den in Hedins Werk «Durch
+Asiens Wüsten» (erste Auflage, II, 33) abgebildeten «Gemmen aus
+Borasan» an die Seite zu stellen ist. Es heißt dort (II, S. 35)
+von der Fundstätte westlich von Khoten, die dortigen «Überreste
+einer hochentwickelten Kunstindustrie» beständen aus «kleinen
+Terracottagegenständen, Buddhabildern aus Bronze, +Gemmen+, Münzen
+usw., für den Archäologen von größter Bedeutung, da sie bewiesen,
+daß die durch griechischen Einfluß veredelte antike indische Kunst
+bis ins Herz von Asien gedrungen wäre». Hier nun handelt es sich
+augenscheinlich um einen Hermes, der als Gott der Wanderer seinen
+Weg durch Baktrien nach dem Innern von Asien gemacht hat. Kunstvolle
+dreikantige Pfeile oder flache kleinere, etwa für Geflügel bestimmte,
+beide von Bronze, Wirtel, ein mit Perlen usw. geschmückter Ohrring,
+Kupferdraht, eiserne Nägel, mit einem scharfen Gegenstand oben
+geöffnete Kaurimuscheln, Schellen (für die Pferde?) von Kupfer- und
+Messingblech, Bruchstücke von Glöckchen aus Bronze, Bernstein und
+Perlen aus solchem, kupferne Ringe, allerlei Gerät oder Bruchstücke
+davon aus verschiedenartigen Steinen oder Halbedelsteinen, worunter
+Nierstein (Nephrit) und Alabaster, verziertem grünem Glas usw., geben
+Kunde von der Bildungsstufe, auf welcher entweder der einheimische
+Gewerbefleiß stand, oder von dem Sinn, welchen man für die Erzeugnisse
+des fremden hatte.
+
+„Hinsichtlich der Frage, um welchen Zeitraum es sich bei der
+Zerstörung des Ortes handeln dürfte und wie derselbe, d. h. die
+Stadt oder das Land, geheißen haben, sprechen die aufgefundenen
+Schriftstücke eine deutlichere Sprache. Sowohl auf den Stäben als auf
+den alten Papierfetzen kommt der Name Lôulan vor und zwar in einem
+Zusammenhang, der keinen Zweifel läßt, daß so der Ort der Bestimmung
+oder Aufbewahrung hieß. So stehen auf dem oberen Teile eines der Stäbe
+Angaben über nach Tun-Huang und Tsiu-Thsüan (Su-tschôu) abgesandte
+Briefe; auf dem unteren Teile ist der 15. Tag des 3. Monats im 6. Jahre
+des Zeitraums Thai-Schi, d. h. des 6. Jahres des Kaisers Tsin Wu Ti
+(270 n. Chr.) angegeben als Tag der Ankunft eines Briefes in Lôulan.
+Auf einem der Deckelklötzchen, welches die auf Tafel IX von
+Steins «~Preliminary report~» angegebene Gestalt hat, nur viel
+kleiner ist, finden sich der Fürst der See-Angelegenheiten und Frau
+(Tien-schi Wang Hou) in Lôulan als Empfänger angegeben. Die erste
+Zeitangabe ist vom Jahre 264, in welchem das Haus Wei das nördlichste
+der «drei Reiche» noch unter seiner Herrschaft hatte. Sonst finden sich
+noch die Jahre 266, 268, 269 und 270 angegeben, während sich unter
+den meist anscheinend mit Willen zerfetzten Papieren der Name Lôulan
+zweimal, wovon einmal aus einer geringfügigen Veranlassung des Inhalts,
+daß ein gewisser Ma aus Lôulan am 6. des 6. Monats nicht vorzusprechen
+brauche, und die Jahreszahl 310 in Verbindung mit der Stadt An-Si
+finden.
+
+„Der Inhalt der verschiedenen schriftlichen Bemerkungen ist ein sehr
+verschiedenartiger. Es ist darin sonst noch von Getreidelieferungen,
+von Nachrichten aus Tun-Huang, Verkehr mit Kao-Tschang (dem alten
+Turfan), von gerichtlichen Verhandlungen usw. die Rede. Die Stäbe
+dienten augenscheinlich bald als Tagebücher, bald zu Mitteilungen oder
+Weisungen an Untergebene. Letzterer Art scheint ein abgebrochener
+kleinerer Stab gewesen zu sein mit der Mitteilung, daß von dem (pien?
+am Rand, an der Grenze, am Ufer?) angelangten Heer vierzig am Deich
+empfangene Anführer in den Gehöften Unterkunft finden könnten.
+
+„Ein kleines Brettchen hat eine nicht chinesische Aufschrift, deren
+Schriftzeichen den Kharoshthi-Zeichen bei Stein (Taf. IX, X und XI bei
+Stein a. a. O.) ähneln, wie auch das Brettchen von zwei Deckeln von der
+auf Steins Tafel X veröffentlichten Art begleitet gewesen sein wird.
+
+„Es ist nach dem allem kaum zu bezweifeln, daß hier das alte Lôulan war
+und am alten Lop-nur lag. Diese alte Stadt scheint Anfang des vierten
+Jahrhunderts vom Wüstensturm oder von den Gewässern, bezw. durch beide
+Gewalten zerstört worden zu sein. Man wird in der Nähe eine andere, die
+sogenannte Drachenstadt, gebaut haben, welche dann ihrerseits in den
+Jahren 1308-11 durch eine Sturmflut zugrunde ging.“
+
+Mein alter Freund von all meinen Besuchen in Kaschgar, George
+Macartney, der ebenfalls ein gründlicher Kenner der chinesischen
+Sprache ist, hat in der Märznummer 1903 des „~Geographical
+Journal~“ folgenden Aufsatz erscheinen lassen, den ich hier
+mit seiner Erlaubnis ~in extenso~ mitteile. Einige der historischen
+Ereignisse, deren Schauplatz Lôu-lan gewesen, passieren hier Revue
+und zeigen, daß dieses Land einst eine gewisse Bedeutung gehabt hat.
+Im Verein mit den von Himly gegebenen Mitteilungen und Übersetzungen
+gibt uns Macartneys Aufsatz Gelegenheit, uns eine ziemlich deutliche
+Vorstellung von diesem zweitausendjährigen Königreich zu machen.
+Macartneys Artikel trägt den Titel. „~Notices, from Chinese sources,
+on the ancient Kingdom of Lau-lan or Shen-shen~“ (Nachrichten aus
+chinesischen Quellen über das alte Königreich Lôu-lan oder Schen-Schen)
+und lautet folgendermaßen:
+
+„In dem Vortrag, den ~Dr.~ Sven Hedin in London am 8. Dezember
+1902 vor der Königl. Geographischen Gesellschaft über seine
+dreijährigen Forschungen in Zentralasien hielt, gab er uns eine
+lebhafte Schilderung von den Ruinen einer alten Stadt am Ufer des alten
+Lob-nor. Unter den Funden, die er von dieser Örtlichkeit mitgebracht
+hat, finden wir eine Anzahl chinesischer Manuskripte, die als dem
+zweiten und dritten Jahrhundert n. Chr. angehörend identifiziert worden
+sind. Einige von diesen Manuskripten tragen nicht allein das Datum,
+sondern auch den Namen des Ortes, an welchem sie geschrieben worden
+sind. Dieser Name ist Lau-lan, und die Kenntnis dieser Tatsache ist
+von besonderem Interesse. Der Name Lau-lan selbst ist den modernen
+chinesischen Geographen wohlbekannt, aber bis jetzt sind offenbar weder
+sie noch Gelehrte in Europa imstande gewesen, mit einiger Genauigkeit
+die Lage des Landes, das einstmals diesen Namen getragen hat, zu
+bestimmen. Herr A. Wylie, ein hervorragender Chinaforscher, hatte
+diese Lage im Jahre 1880 seinen Berechnungen nach auf 39° 40′ nördl.
+Breite und 94° 50′ östl. Länge angenommen. Dies würde einen Fehler
+von ungefähr 250 engl. Meilen (etwa 420 Kilometer) bedeuten, wenn ich
+recht verstanden habe, daß der Platz, wo ~Dr.~ Hedin die den Namen
+Lau-lan tragenden chinesischen Manuskripte gefunden hat, ungefähr auf
+40° 40′ nördl. Breite und 90° östl. Länge lag. [Diese Zahlen sind
+beinahe richtig. Hedin.] Eine genauere Feststellung der Lage von
+Lau-lan, die jetzt selbstverständlich möglich ist, kann, wie ich hoffe,
+hinsichtlich anderer benachbarter Länder, deren alte Namen bekannt
+sind, über deren Lage sich aber die heutigen Geographen noch die Köpfe
+zerbrechen, zu wertvollen Ergebnissen führen.
+
+„Wenn wir die Geschichte der ersten Hankaiser, das Tsien-Han-shu [ich
+lasse die englische Schreibweise der chinesischen Namen unverändert.
+Hedin], und die Aufzeichnungen, welche Fa-Heen und Hsian-Tsang
+hinterlassen haben, studieren, finden wir viele Orte mit Entfernungen
+erwähnt, als deren Ausgangspunkt Lau-lan angegeben ist.
+
+„So erwähnt das Tsien-Han-shu (geschrieben, in runden Zahlen,
+zwischen 100 v. Chr. und 50 n. Chr.) folgende Entfernungen: Von Wu-ni
+(Hauptstadt von Lau-lan) nach Yang-kuan, dem «südlichen Sperrtor»,
+(augenscheinlich in der Richtung von Tun-huang) 1600 Li; nach Chang-an
+6100 Li; nach dem Verwaltungssitze (der Name fehlt) des chinesischen
+Gouverneurs 1785 Li; nach Si-an-fu 1365 Li; nach Keu-sze (Ouigour) in
+nordwestlicher Richtung 1890 Li.
+
+„In der Beschreibung seiner Reisen gibt Fa-Heen (im fünften Jahrhundert
+n. Chr.) folgende Entfernungen an: von Shen-shen oder Lau-lan nach
+Tun-huang, etwa 17 Tagemärsche, 1500 Li; nach Wu-e (Uigur?) 15
+Tagereisen zu Fuß in nordwestlicher Richtung.
+
+„Von Hsian-Tsang erfahren wir, daß Lau-lan, das er auch Na-po-po nennt,
+1000 Li nordöstlich von Chem-to-na oder Nimo liegt.
+
+„Aus dem Obigen ergibt sich auch, daß der Ort Lau-lan als Ausgangspunkt
+für die Bestimmung der Lage mehrerer anderer Orte dienen kann.
+Vielleicht können die obigen Angaben späteren archäologischen Forschern
+von Nutzen sein.
+
+„Dies ist aber noch lange nicht alles, was wir aus chinesischen Quellen
+über Lau-lan erfahren können. Das Tsien-Han-shu erzählt uns, daß China
+mit diesem Lande unter der Regierung des Kaisers Wu-ti (140-87 v. Chr.)
+in Verbindung zu treten begann, um welche Zeit sich die Westgrenze des
+Reiches nicht über das Yang-kuan-Sperrtor (vielleicht bis Tun-Huang)
+und das Yü-Tor (das moderne Chia Yu Kuan?) hinaus erstreckt zu haben
+scheint. Das ausgedehnte Land, das hinter diesen Orten lag, wurde von
+den damaligen chinesischen Geographen mit dem unbestimmten Namen Si-yu
+(die Westregion) bezeichnet und soll nach ihnen in 36 verschiedene
+Königreiche geteilt gewesen sein. Man erzählt, daß von China zwei
+Wege nach dieser Gegend führten. «Der über Lau-lan, welcher längs
+des Flusses Po (des unteren Tarim?) auf der Nordseite des südlichen
+Gebirges (des Altyn Ustun Tagh?) hinläuft und westwärts nach Sa-sche
+(Yarkand) führt, ist der südliche Weg. Der, welcher über den Palast des
+Häuptlings in Keu-tse (im Ouigourreiche? 1890 Li von Lau-lan) führt und
+den Fluß Po in der Richtung des nördlichen Gebirges (Tien Shan) bis
+nach Su-leh (Kaschgar) begleitet, ist der nördliche Weg.»
+
+[Illustration: 188. Die Karawane auf dem Eise des Lu-tschuentsa-Baches.
+(S. 17.)]
+
+[Illustration: 189. Sanddünen in der mittelsten Gobi. (S. 22.)]
+
+[Illustration: 190. Terrasse nördlich von der Oase vom 1. Februar. (S.
+22.)]
+
+[Illustration: 191. Tränkung der Kamele am Brunnen im Lager Nr. 138.
+(S. 22.)]
+
+„Das Wassersystem des Tarimbeckens wird mit folgenden Worten
+beschrieben: «Der Fluß (Chotan-darja?) strömt nach Norden, bis er sich
+mit einem Flusse vom Tsung-ling (Zwiebelkette in Sarikol) vereinigt,
+und fließt dann nach Osten in den Pu-schang-hai (den Schilfsee),
+der auch der Salzsumpf genannt wird. Dieser liegt über 300 Li von dem
+Yü-Tore und dem Sperrtore Yang-kuan und ist 300 Li lang und breit.
+Das Wasser ist stationär und nimmt weder im Winter noch im Sommer ab
+oder zu. Der Fluß soll sodann unter der Erde weiterfließen und bei
+Tseih-shih wieder zutage treten, von wo an er den Gelben Fluß Chinas
+bildet.»
+
+„Das Folgende ist ein Auszug des Berichtes, den wir in dem
+Tsien-Han-shu über die politischen Verhältnisse zwischen China und
+Lau-lan während des ersten Jahrhunderts vor Christi Geburt finden.
+
+„Kaiser Wu-ti, heißt es, wünschte, mit Ta-wan und den umliegenden
+Ländern Verbindung zu unterhalten, und schickte wiederholt Gesandte
+dorthin. Der Weg derselben ging über Lau-lan, aber die Einwohner von
+Lau-lan beunruhigten im Verein mit dem Ku-tse-Volke die Reise der
+Beamten und griffen Wang-Kuei, einen der Gesandten, an und raubten ihn
+aus. Doch nicht genug damit, die Bewohner von Lau-lan machten sich
+den Chinesen auch dadurch verhaßt, daß sie den Heun-nu (Hunnen) als
+Spione dienten und diesen wiederholt bei der Ausplünderung chinesischer
+Reisender halfen. Dergleichen konnte nicht geduldet werden. Daher
+rüstete Wu-ti eine Expedition gegen den feindlich gesinnten Staat
+aus. Chao Po-nu wurde mit einem Heere von 10000 Mann ausgesandt,
+um das Ku-tse-Volk zu strafen, während der Gesandte Wang-Kuei, der
+wiederholt unter den Übergriffen der Lau-laner gelitten hatte, Befehl
+erhielt, Chao Po-nu als Unterfeldherr zu begleiten. An der Spitze von
+700 Mann leichter Kavallerie vorrückend, nahm dieser den König von
+Lau-lan gefangen, eroberte Ku-tse und jagte, auf das Ansehen seines
+Kriegsheeres vertrauend, auch den Staaten, die Vasallen von Wu-sun und
+Ta-wan waren, Respekt ein. Die Lau-laner unterwarfen sich bald und
+schickten Tribut an Kaiser Wu-ti. Doch ihre Unterwerfung erboste ihre
+Bundesgenossen, die Hunnen, und es dauerte gar nicht lange, so wurden
+sie von diesen angegriffen. Daher schickte der König von Lau-lan, um
+seine beiden mächtigen Nachbarn zu besänftigen, einen seiner Söhne als
+Geisel zu den Hunnen und einen zweiten dem Kaiser von China. So endete
+die erste Episode der Beziehungen zwischen China und dem Königreiche
+von Lau-lan.
+
+„Aber noch mehr Unruhen standen Lau-lan bevor. Kaiser Wu-ti mußte aus
+irgendeinem Grunde noch eine Strafexpedition gegen Ta-wan und die
+Hunnen schicken. Die Hunnen fanden das chinesische Heer so furchtbar,
+daß sie es für das Klügste hielten, jeden direkten Zusammenstoß mit ihm
+zu vermeiden, was sie aber nicht hinderte, in Lau-lan, dessen Bewohner
+noch immer mit ihnen im Bunde standen, Truppen in Hinterhalte zu legen.
+Diese Truppen beunruhigten Wu-tis Armee unaufhörlich. Die Chinesen
+kamen bald dahinter, daß die Lau-laner im geheimen Bundesgenossen der
+Hunnen waren, und infolgedessen wurde General Jen-wan ausgesandt, um
+sie zu züchtigen. Jen-wan drang bis an das Stadttor vor, welches ihm
+geöffnet wurde, und machte dem König Vorwürfe über seine Verräterei.
+Der König antwortete entschuldigend: «Wenn ein kleiner Staat zwischen
+zwei großen Reichen liegt, zwingt ihn die Notwendigkeit, mit beiden
+im Bunde zu stehen, sonst hat er nie Frieden; jetzt aber wünsche ich,
+mein Königreich den Grenzen des chinesischen Reiches einzuverleiben.»
+Diesen Worten vertrauend, setzte ihn der Kaiser wieder auf den Thron
+und beauftragte ihn, ein wachsames Auge auf die Bewegungen der Hunnen
+zu haben.
+
+„Der König starb im Jahre 92 v. Chr. Eine Thronfolgefrage entstand. Man
+wird sich erinnern, daß einer der Söhne des verstorbenen Königs sich
+als Geisel am chinesischen Hofe befand. Nun schickten die Lau-laner
+eine Petition an den Kaiser, er möge ihnen den als Geisel gesandten
+Prinzen wiederschicken, damit dieser den ledigen Thron besteige. Der
+Prinz hatte sich jedoch nicht der Gunst des Kaisers erfreut; er war
+tatsächlich die ganze Zeit, die er in China weilte, im Palaste des
+Seidenwurmhauses in einer seinem Range entsprechenden Haft gefangen
+gehalten worden. Daher fand die Petition bei Wu-ti kein williges Ohr,
+sondern er gab die diplomatische Antwort: «Ich liebe den Prinzen,
+meinen Gast, sehr und bin nicht gesonnen, ihn von meiner Seite zu
+lassen.» Der Kaiser schlug dann den Bittstellern vor, sie sollten den
+nächsten Sohn des toten Königs mit der Königswürde bekleiden.
+
+„Das taten die Lau-laner auch. Aber der neue König regierte nur
+kurze Zeit, und als er starb, wurde die Nachfolgerfrage wieder
+brennend. Diesmal dachten die Hunnen, die, wie wir wissen, auch
+einen Lau-lan-Prinzen als Geisel an ihrem Hofe hatten, daß dies
+eine passende Gelegenheit sei, ihren verlorenen Einfluß auf diesen
+Staat wiederzuerlangen. Deshalb schickten sie den Prinzen zurück und
+setzten ihn auf den Thron. Dieser gelungene Handstreich beunruhigte
+die Chinesen, die ihren Einfluß durch Bestechungen und Intrigen
+wiederzugewinnen suchten. Sie machten keinen direkten Versuch, den
+Schützling der Hunnen zu entthronen, schickten aber an ihn einen
+Gesandten, der ihn aufforderte, dem chinesischen Hofe einen Besuch
+abzustatten, wo ihm, wie der Gesandte sagte, der Kaiser reiche
+Geschenke machen würde. Der Kaiser und der Gesandte konnten jedoch
+nicht ahnen, daß sie hier auch mit der Verschlagenheit einer Frau zu
+rechnen hatten. Die Stiefmutter des Königs war dort und riet ihm, indem
+sie sagte: “«Dein königlicher Vorgänger sandte zwei Söhne als Geiseln
+nach China; keiner von ihnen ist je zurückgekehrt; ist es da billig,
+daß du gehen sollst?» Daher verabschiedete der König den Gesandten mit
+dem Bescheid, daß «die Angelegenheiten des Reiches ihn, da er den Thron
+erst eben bestiegen habe, noch derartig in Anspruch nähmen, daß er den
+chinesischen Hof nicht eher als in zwei Jahren besuchen könne».
+
+„Obgleich das Verhältnis zwischen dem neuen König und dem Kaiser ohne
+Zweifel gespannt war, war es noch nicht zu offenen Feindseligkeiten
+zwischen ihnen gekommen. Nun aber kam das Ereignis, welches der
+Unabhängigkeit des Staates Lau-lan ein Ende machen sollte. Am Ostrande
+von Lau-lan, wo dieses Land an China grenzte, scheint eine Örtlichkeit,
+der Peh-lung-Wall genannt, gelegen zu haben. Dieser Platz lag auf der
+großen Heerstraße von China über Lau-lan nach den westlichen Ländern;
+er litt an Dürre und hatte keine Weiden. Die Lau-laner wurden oft von
+den Chinesen aufgefordert, Führer, Wasser und Proviant nach diesem
+Platze zu schicken, wenn durchreisende Beamte dessen bedurften.
+Hierbei wurden die Ortseinwohner oft von chinesischen Soldaten
+brutal behandelt. Dadurch entstanden Reibungen; aber die Lage wurde
+noch verschlimmert durch die Hunnen, welche die Lau-laner immer im
+geheimen gegen die Chinesen aufhetzten. Schließlich beschlossen die
+Lau-laner, alle freundschaftlichen Beziehungen zu Wu-ti abzubrechen,
+und ermordeten einige seiner Gesandten, als diese durch das Gebiet von
+Lau-lan reisten. Diese Verräterei wurde dem chinesischen Hofe durch Hui
+Tu-chi, den jüngeren Bruder des Königs, hinterbracht, welcher, nachdem
+er sich unter die Oberhoheit des Han-Kaisers gestellt hatte, mit dem
+Plane umging, seinen älteren Bruder vom Throne zu stoßen. Infolgedessen
+wurde im Jahre 77 v. Chr. der chinesische General Fu-keae-tsu
+ausgeschickt, um dem König das Leben zu nehmen. Fu-keae-tsu wählte
+sich schleunigst einige Begleiter aus und begab sich nach Lau-lan. Er
+hatte vorher das Gerücht verbreiten lassen, daß er beauftragt sei, zu
+freundschaftlichen Untersuchungen nach einem Nachbarstaate zu reisen,
+und daß er dem König Geschenke zu überbringen habe. Fu-keae-tsu wurde
+bei seiner Ankunft von dem König, der nichts Böses ahnte, zu einem
+großartigen Feste eingeladen. Als der König betrunken war, gab Fu
+seinen Begleitern ein Zeichen, und nun wurde der König von hinten
+erstochen. Sein Kopf wurde vom Leibe getrennt und über dem Nordtore
+der Stadt aufgehängt. Zur Belohnung für seinen Verrat wurde Hui Tu-chi
+an Stelle seines Bruders zum König eingesetzt und das Königreich unter
+dem neuen Namen Shen-Shen, auf den der Lehnsbrief ausgefertigt wurde,
+wiederhergestellt. Damit dem Ansehen des neuen Regenten nichts mangeln
+sollte, erhielt er eine Dame des kaiserlichen Hofes zur Gemahlin, und
+als Hui Tu-chi die chinesische Hauptstadt verließ, um sich in sein
+Reich zu begeben, wurden ihm beim Abschied reiche Ehrenbezeigungen
+erwiesen. Auf diese Weise gelangte er auf den Thron. Doch er fühlte
+sich in seiner neuen Stellung nicht sicher. Weil er ein chinesischer
+Schützling war, betrachtete ihn das Volk, über welches er herrschen
+sollte, mit Mißtrauen. Außerdem hatte der tote König einen Sohn
+hinterlassen, und Hui Tu-chi lebte in beständiger Furcht, von diesem
+ermordet zu werden. Daher forderte Hui Tu-chi den Kaiser auf, in
+Lau-lan eine Militärkolonie zu errichten, und zwar in der Stadt E-tun,
+wo das Land, wie er sagte, «reich war und guten Ertrag gab». Dies
+geschah, und der Kaiser schickte einen Reiterobersten mit 40 Mann nach
+E-tun, um «die Felder zu bestellen und das Volk zu beruhigen». So
+gelang es dem großen Han-Monarchen, seine Macht über das Land Lau-lan
+oder Shen-shen zu erstrecken.
+
+„Um die Zeit, als diese Chroniken geschrieben wurden, was
+wahrscheinlich um Christi Geburt herum geschah, zählte, wie uns
+berichtet wird, das Königreich Shen-shen 1570 Familien, was neben 2912
+Mann geübten Truppen eine Bevölkerung von 14100 Personen ausmachte.
+
+„Hinsichtlich der physischen Charakterzüge des Landes sagt das
+Tsien-Han-shu (von Herrn A. Wylie ins Englische übersetzt):
+
+„«Das Land ist sandig und salzig, und es gibt dort wenig angebaute
+Felder. In betreff des Getreides und der Ackerbauerzeugnisse ist die
+Gegend auf die benachbarten Reiche angewiesen. Das Land bringt Nephrit,
+Binsen in Menge, Tamarisken, ~Elaecocca vernicia~ und weißes Gras
+hervor. Die Bevölkerung treibt ihr Vieh überall auf die Weide, wo es
+genügend Wasser und Gras finden kann. Die Leute besitzen Esel, Pferde
+und Kamele. Sie können für Kriegsbedarf dieselbe Art Waffen anfertigen
+wie die Leute in Tso-kiang.»
+
+„Soweit gehen also die in dem Tsien-Han-shu enthaltenen Nachrichten.
+Hören wir, was Fa-Heen von Lau-lan sagt, durch welches Land er im
+fünften Jahrhundert n. Chr. reiste, als er sich von China nach Indien
+begab, um sich die heiligen Bücher des Buddhismus zu verschaffen. Die
+englische Übersetzung ist von ~Dr.~ J. Legge.
+
+„«Nachdem sie 17 Tage gereist waren, welche Entfernung wir auf etwa
+1500 Li (von Tun-huang) schätzen können, erreichten die Pilger das
+Königreich Shen-shen, ein kupiertes, hügeliges Land mit magerem,
+unfruchtbarem Boden. Die Kleidungsstücke der gewöhnlichen Leute sind
+einfach und gleichen den in unserem Lande Han gewebten; einige tragen
+Filz und andere Serge oder härene Stoffe. Der König gehorchte unserem
+Gesetze, und in dem Königreiche gibt es wohl mehr als 4000 Mönche, die
+alle das Hinayana (das kleine Erlösungsmittel) studieren. Die breiteren
+Schichten der Bevölkerung dieses und anderer Königreiche in dieser
+Gegend, wie auch die Sramanen (Mönche) leben alle auf indische Weise,
+diese jedoch strenger, jene etwas freier. Hier hielten sich die Pilger
+ungefähr einen Monat auf und setzten dann ihre Reise fort, worauf sie
+ein fünfzehntägiger Marsch nach Nordwesten nach dem Lande Wu-e führte.
+Hier gab es über 4000 Mönche, die alle das Hinayana studierten.»“
+
+„Hsian-Tsang (629-645 n. Chr.) passierte zweihundert Jahre nach Fa-Heen
+auf der Rückreise von Indien Lau-lan, aber seine Nachrichten von dem
+Lande sind außerordentlich dürftig. Wir erfahren nur, daß er, nachdem
+er die mit Mauern umgebene, aber verlassene Stadt Tsche-mo-to-na oder
+Nimo verlassen hatte, 1000 Li in nordöstlicher Richtung reiste und
+Na-po-po erreichte, welches dasselbe ist wie Lau-lan.“
+
+Aus diesen von Macartney zusammengestellten Angaben ersehen wir, daß
+Lôu-lan seinerzeit eine gewisse Bedeutung hatte. Wahrscheinlich würde
+man durch fortgesetzte Ausgrabungen noch reichere Funde machen können
+als die, von denen ich kurz berichtet habe.
+
+
+
+
+Sechstes Kapitel.
+
+Ein Nivellement durch die Lopwüste.
+
+
+Am 10. März frühmorgens wurde es im Lager unruhig; wir wollten von
+unserer festen Operationsbasis aufbrechen und die stille Stadt
+wieder ihrer tausendjährigen Ruhe überlassen. Wird je wieder ein
+abendländischer Pilger in den Mauern von Lôu-lan zu Gaste sein?
+
+Drei Eissäcke wurden den Kamelen geopfert, die kauen durften, soviel
+sie wollten; die Last war auf jeden Fall zu schwer. Die eingeheimste
+Ernte an Schnitzereien und anderen Dingen wurde zu Packen gebunden und
+das Gepäck geordnet. Die Karawane sollte hier in zwei Partien geteilt
+werden. Ich wollte südwärts gehen, um ein Präzisionsnivellement durch
+die Wüste nach dem Kara-koschun auszuführen. Als Begleiter hatte ich
+Schagdur, Kutschuk, Chodai Kullu und Chodai Värdi ausersehen. Wir
+brauchten nur vier Kamele, eines für das Gepäck und drei für Eis (Abb.
+216). Ich nahm nur das Unentbehrlichste an Proviant und Kleidern,
+Instrumente, alles zum Nivellieren Nötige, die halbe Jurte und das
+halbe Bett mit; die Leute konnten unter freiem Himmel schlafen. Die
+Frühlingswärme war bereits so stark, daß der Ofen überflüssig war. Der
+Proviant wog nicht viel. Das Wenige, was noch an Reis und Brot da war,
+wurde in für acht Tage berechnete Rationen geteilt.
+
+Der übrige Teil der Karawane, Faisullah, Li Loje und Mollah, sechs
+Kamele, drei Pferde, die drei Hunde und das ganze schwerere Gepäck
+nebst Eis und Proviant für vier Tage sollten allein weiterziehen.
+
+Faisullah, der im vorigen Jahre die Wüstendurchquerung von
+Altimisch-bulak an mitgemacht hatte, mußte nach Kum-tschappgan, wo
+wir uns wieder treffen wollten, hinfinden können. Er hatte Befehl,
+sich direkt dorthin zu begeben und dort auf unsere Ankunft zu warten.
+Der Sicherheit halber erhielt er gründlichen Unterricht, wie er sich
+vom Kompaß nach Südwesten führen lassen müsse. Ich war von Faisullahs
+Klugheit und Vorsicht überzeugt, hielt es aber doch für besser, alle
+Kartenblätter von dieser Reise, die Manuskripte und Stäbe aus Lôu-lan,
+meine Notizbücher und die Beobachtungsjournale selbst mitzunehmen.
+Obgleich Faisullah, wie wir noch hören werden, ein höchst unerwartetes
+Abenteuer hatte, wären die kostbaren Papiere bei ihm doch sicherer
+gewesen als bei mir, wie sich noch zeigen wird!
+
+Während die beiden Karawanen beladen wurden, brach ich auf. Faisullah
+und seine beiden Kameraden halfen Chodai Värdi, der Befehl hatte, uns
+mit unseren vier Kamelen nachzukommen und sich am Abend bereitzuhalten,
+das Lager aufzuschlagen.
+
+Zum Ausgangspunkte des Nivellements wählte ich den Platz an der Basis
+des Turmes, wo meine Jurte gestanden hatte. Hier wurde die 4 Meter hohe
+Nivellierlatte zum ersten Male aufgerichtet. Sie wurde stets auf eine
+Platte gestellt, um nicht einzusinken, wenn sie halb umgedreht wurde.
+Schagdur handhabte sie während der ganzen Wanderung auf mustergültige
+Weise. Das Fernrohr wurde 100 Meter südlich von ihr aufgestellt, und
+ich machte meine erste Ablesung, worauf Schagdur am Fernrohr vorbeiging
+und die Latte zum zweiten Male 100 Meter südlich davon aufstellte --
+und so weiter, Tag für Tag, bis an den Kara-koschun, wohin wir 81½
+Kilometer hatten!
+
+Der Abstand zwischen Fernrohr und Stange wurde von Kutschuk und
+Chodai Kullu mit einem 50 Meter langen Bandmaße gemessen, das also
+jedesmal zweimal auf der Erde abrollte. Das Fernrohr mit seinem Stativ
+wurde beim Weitergehen von Kutschuk getragen. Ich selbst hatte die
+Ablesungen, Kompaßpeilungen, Marschroute und Aufzeichnungen über den
+Charakter des Terrains zu machen.
+
+Bevor die Leute an diese für sie neue Arbeit gewöhnt waren, kamen wir
+nur langsam weiter; aber nicht lange dauerte es, so ging alles seinen
+regelrechten Gang, und es gab keine unnötigen Verzögerungen mehr.
+
+In dieser Richtung, von Lôu-lan nach Süden, war es sehr deutlich zu
+merken, daß wir die Uferlinie des früheren Sees passierten. Die toten
+Bäume, Sträucher und Schilfstoppeln hörten mit einem Schlag auf, und
+nun waren wir auf ödem, graugelbem Lehmboden ohne alle Vegetation, wo
+wir uns ohne Zweifel auf einem alten Seeboden befanden.
+
+Einundneunzigmal waren die Stange und das Fernrohr vorgerückt, bevor
+wir es, nach einem Marsche von 9140 Meter, an der Zeit hielten zu
+lagern. Es fing an dämmerig zu werden. Aber Chodai Värdi mit den vier
+Kamelen war nicht zu erblicken. Wir spähten von Hügeln und Kegeln nach
+ihm aus, doch der Mann war spurlos verschwunden. Hatte er sich verirrt?
+Hatte er mich mißverstanden und Faisullah begleitet oder war er bei den
+Ruinen geblieben?
+
+An einem Punkte, wo wieder dürres Holz auftrat, zündeten wir auf
+einem Hügel ein großes Signalfeuer an. Schagdur begab sich trotz der
+Dunkelheit auf die Suche. Ich war in größter Unruhe. Wenn Chodai Värdi
+sich verirrt hatte, war er verloren. Er war noch nie in der Gegend
+gewesen und hatte keine Ahnung, wohin er gehen mußte, um nach dem
+Kara-koschun zu gelangen. Und fanden wir ihn nicht wieder, so würde
+natürlich auch unsere Lage -- ohne Wasser und ohne Nahrung -- kritisch
+sein; es war bis an den See noch so weit, daß unsere Kräfte schwerlich
+so weit reichen konnten, und nach der isolierten Quelle zurückzukehren,
+wäre ebenso verzweifelt gewesen. Doch am meisten von allem quälte mich
+der Gedanke: sollten alle Resultate einer viermonatigen Wanderung nur
+durch die Dummheit eines Dieners verlorengehen?
+
+Wir zerbrachen uns den Kopf und lauschten und stapelten alles, was Holz
+hieß, auf das Feuer, das hoch und wild in der sonst undurchdringlichen
+Dunkelheit flammte. Kein Laut war zu hören. Die Wüste lag so tot und
+öde da, als gehörte sie nicht einem von Menschen bewohnten Planeten an.
+Statt uns nach der anstrengenden Arbeit und Fußwanderung des Tages an
+Wasser laben können, hielt uns nun diese unheimliche, düstere Unruhe
+gepackt. Es bedurfte jetzt nur noch eines Nebelsturmes -- dann wäre
+alles verloren gewesen!
+
+So schlimm sollte es nicht werden. Im nächtlichen Dunkel ertönten
+tappende Schritte: Chodai Värdi kam mit den Kamelen wohlbehalten an!
+Ich war froh, nichts eingebüßt zu haben, so daß ich ganz vergaß, ihm
+seine wohlverdiente Schelte zukommen zu lassen. Er erklärte, daß er
+durch die Form der Lehmterrassen gezwungen worden sei, sich zu weit
+nach rechts zu halten, und nachher weder uns noch eine Spur habe
+wiederfinden können. Als er abends im Südwesten ein Feuer gesehen habe,
+sei ihm endlich klar geworden, daß er sich auf Irrwegen befinde -- dies
+war nämlich Faisullahs Feuer. Er sei also umgekehrt und habe schon aus
+sehr weiter Ferne unser Feuer erblickt, auf das er nun losgesteuert
+sei. Es war wirklich ein Wunder, daß keines der Kamele sich beim
+Überschreiten dieser unzähligen, finsteren, gähnenden Gräben in der
+Dunkelheit die Beine gebrochen hatte.
+
+In aller Eile wurde das Lager aufgeschlagen und der Kessel auf das
+Feuer gesetzt. Schagdur war und blieb fort, und Chodai Kullu wurde
+mit der Flinte ausgeschickt, um einige Signalschüsse abzufeuern.
+Daß er weit ging, konnte man hören, da die Schüsse allmählich immer
+schwächer wurden und schließlich in der Ferne erstarben. Doch er kam
+unverrichteter Sache wieder, und wir gingen zur Ruhe.
+
+Daß dieses Abenteuer noch so ablief, war eine Fügung der Vorsehung;
+aber daß ein Mensch wie Chodai Värdi, der sonst stets gesunden
+Verstand gezeigt, so unglaublich dumm sein konnte, ist unerklärlich.
+Er war 12 Stunden kreuz und quer in der Wüste umhergeirrt, während wir
+nur 9,1 Kilometer zurückgelegt hatten. Vom Lager konnte man sogar noch
+den Lehmturm von Lôu-lan sehen. Um Schagdur hatte ich nicht Angst.
+Ich kannte ihn zur Genüge, um zu wissen, daß er sich allein nach dem
+Kara-koschun durchschlagen würde. Er hatte stets einen Kompaß bei sich
+und wußte auf meinen Karten gut Bescheid.
+
+Am folgenden Morgen erwachte ich bei einem vollen Sturm, der dicke
+Sandwolken durch die Rinne trieb, in der wir lagerten; sie zogen in ihr
+dahin wie Wasser in seinem Bette, und der Sand feilte die Seiten der
+Lehmterrassen. Die öde Landschaft sah in dieser neuen Beleuchtung, die
+der des gestrigen Feuers so unähnlich war, geradezu schauerlich fremd
+aus. Nivellieren war ganz unmöglich; wir mußten liegenbleiben. Schagdur
+fand sich nicht ein; er hatte in dem heimtückischen Sturme offenbar
+unsere Spur verloren.
+
+Am Vormittag hielt ich mich meistens bei den Kamelen auf. Ich saß bei
+ihnen, streichelte ihnen den Kopf und klopfte ihnen den Rücken. Wenn
+sie nur geahnt hätten, wie ich sie schätzte, wie dankbar ich ihnen für
+die Dienste war, die sie mir geleistet hatten, und wie leid es mir tat,
+daß ich sie einem Führer anvertraut hatte, der sie nutzlos gequält und
+ihre empfindlichen Fußschwielen unnötigerweise in der harten Lehmwüste
+angestrengt hatte. Ruhig, zufrieden und würdig wie immer lagen sie da
+und glaubten wohl, es sei notwendig gewesen, 40 Kilometer in der Wüste
+umherzuirren. Ohne Rücksicht auf die Folgen ließ ich ihnen einen Sack
+Kamisch und einen Sack Eis geben. Doch welch ein Lohn wartete ihrer
+später! Alle, außer einem, starben in Tibet.
+
+Mein Erstaunen war grenzenlos, als um die Mittagszeit Schagdur mit
+leichten, elastischen Schritten aus dem Staubnebel auftauchte! Der
+prächtige Junge, der einen ganzen Stamm von Muselmännern aufwiegt, war,
+seit er uns am vorigen Abend um 5 Uhr verlassen hatte, unausgesetzt
+auf den Beinen gewesen. In der Nacht hatte er Faisullahs Feuer gesehen
+und war dorthingeeilt. Ich hatte nämlich Faisullah befohlen, das Feuer
+bis spät in die Nacht zu unterhalten, nur um der Kuriosität halber
+feststellen zu können, ob es bei uns auf 20 Kilometer Abstand sichtbar
+wäre. Von Faisullah hatte Schagdur einen kleinen Vorrat Reis und Eis
+erhalten, denn, als sich jetzt der Sturm erhob, hatten sie gefürchtet,
+daß er uns nicht wiederfinden würde.
+
+Er wollte es versuchen. Glücklicherweise hatte er auf dem Hinwege die
+Kompaßpeilungen aufgezeichnet. Ein paarmal hatte er die Spur von Chodai
+Värdis Kamelen gesehen, sie dann aber wieder verloren.
+
+Daß er uns fand, war ein Meisterstück sondergleichen. Nur ein Burjat,
+der sein Leben unter freiem Himmel in der Wildnis zugebracht hat und
+dazu Kosak ist, bringt derartiges fertig. Denn man muß bedenken, daß
+die Lager 20 Kilometer voneinander entfernt lagen, der Boden eben wie
+eine Wasserfläche war und man im Nebelsturme höchstens 50 Meter weit
+vor sich sehen konnte und alle Spuren zugeweht waren. Wenn ein Mensch
+solche Beweise von Tüchtigkeit, Klugheit und Treue gibt, kann man ihm
+alles anvertrauen -- und das tat ich später auch ein paarmal.
+
+Es machte uns freilich einen Strich durch die Rechnung, daß wir einen
+ganzen Tag verloren, doch was tat das, da der Himmel mir den schweren
+Verlust, der mir drohte, erspart hatte? Wir versuchten unseren Weg
+fortzusetzen, aber es ging nicht. Wenn der Wind 11 Meter in der Sekunde
+macht, schwankt die Stange und kann abbrechen, und das Fernrohr zittert
+auf seinem Stativ. Wir mußten uns gedulden und noch eine Nacht auf
+diesem wüsten Platze zubringen.
+
+Am 12. März war ein herrlicher Tag, und wir begannen früh, arbeiteten
+bis Sonnenuntergang und hielten nur um 1 Uhr zehn Minuten Rast zur
+Ablesung der meteorologischen Instrumente. Jetzt führte Chodai Kullu
+die Kamele, mußte aber ganz in unserer Nähe bleiben. Der Weg ging nach
+Südsüdosten. Die Winderosionsfurchen ziehen sich nach Südwesten, und
+wir mußten über die zwischen ihnen liegenden Rücken hinüber. Für uns
+Fußgänger ging es wohl an, aber für die Kamele war es sehr ermüdend.
+Sie mußten in weiten Umwegen geführt werden, während wir mit den
+Instrumenten in geraden Linien vorrückten.
+
+Abwechslung bietet sich dem Auge nicht mehr, aber das kann man in einer
+Wüste auch nicht verlangen. Ein Unterschied gegen die westlichere Linie
+des vorigen Jahres war, daß wir hier weniger, ja fast gar keinen Sand
+hatten. In den Rinnen ist der Boden oft mit einer fußdicken Schicht von
+feinem Staub bedeckt, in den man einsinkt wie in Wasser. Meistens haben
+wir jedoch harten Lehmboden, und bald schmerzen uns von dem ewigen
+Springen die Füße.
+
+Gegen Sonnenuntergang mußte Chodai Kullu vorausgehen und das Lager
+aufschlagen, so daß alles fertig war, als wir mit der Tagesarbeit
+aufhörten. Der Fixpunkt, wo die Arbeit unterbrochen und am folgenden
+Morgen wiederaufgenommen werden muß, wird so gewählt, daß irgendwelche
+Verrückung während der Nacht ausgeschlossen ist.
+
+Mit wachsendem Interesse rechnete ich abends aus, was die Zahlenreihen
+zu sagen hatten. Heute zeigten sie mir, daß wir auf 11201 Meter 2,466
+Meter gefallen waren. Ich würde diese ermüdende, die Geduld auf die
+Probe stellende Arbeit nicht ausgehalten haben, wenn ich nicht eine
+wichtige Entdeckung erwartet hätte. Die nivellierte Linie sollte das
+entscheidende Urteil über das Lop-nor-Problem fällen. Ihr Profil würde
+zeigen, ob es möglich oder unmöglich war, daß im nördlichen Teile der
+Wüste Lop ein See gelegen hat.
+
+Frühauf und gleich an die Arbeit, ist jetzt morgens die Losung.
+
+Der Boden wurde heute günstiger. Die Jardang folgen nicht mehr so dicht
+aufeinander und sind niedriger, wir brauchen nicht soviel zu klettern.
+Aber Schneckenschalen sind allgemein, manchmal ist der Boden von ihnen
+ganz weißgetüpfelt. Kleine Höcker auf der Oberfläche abgerechnet, ist
+der Boden so eben wie ein Fußboden.
+
+War diese Gegend für das Auge trostlos und einförmig, so war sie für
+das Nivellement um so bequemer. Keine Hindernisse stellten sich uns in
+den Weg; wir gingen in gerader Linie, rasch und ohne Unterbrechung.
+Wenn das Fernrohr mit der Wasserwage eingestellt ist und ich es um den
+Horizont führe, liegt dieser überall in genau demselben Abstande von
+den horizontalen Fäden des Fadenkreuzes.
+
+Fünf Scharen Enten streichen gen Norden. Kutschuk vermutete witzig,
+daß unsere Entsatzexpedition unter Tokta Ahun sie vom Nordufer des
+Kara-koschun vertrieben habe. Wahrscheinlich ist, daß die Enten sich
+im Winter an diesem See und im Sommer am Bagrasch-köll aufhalten.
+Eine Eintagsfliege machte eine Runde um uns und verschwand wie ein
+funkelnder Smaragd in südlicher Richtung.
+
+Während dieses Tages stiegen wir 2,763 Meter und befanden uns 0,11
+Meter höher als im Ausgangspunkte in Lôu-lan. Wir waren mit anderen
+Worten auf 32 Kilometer Wegstrecke 11 Zentimeter gestiegen! Schon
+in diesem Lager hatte ich also den Schlüssel des Lop-nor-Problems
+gefunden. Die beiden ersten Tage waren wir gefallen, den dritten
+gestiegen; wir hatten also eine deutliche Depression überschritten, und
+diese ist es, die das ehemalige Bett des Lop-nor repräsentiert. Das
+Resultat der Arbeit der folgenden Tage würde auf diesen Schluß nicht
+mehr einwirken. Wir waren durch ein Becken gegangen, gleichviel in
+welchem Niveau sich der Kara-koschun im Verhältnis zum Ausgangspunkte
+befinden mochte; und daß dieses Becken einst Wasser enthalten hatte,
+wurde durch die Schneckenschalen und viele andere bereits erwähnte
+Umstände bewiesen.
+
+Mit dem Schlage 7 Uhr ertönte ein pfeifendes Brausen im Nordosten,
+und ein paar Minuten später fuhr der schwarze Sturm mit ungezügelter
+Wut über den Boden, der ihm nicht das geringste Hindernis in den
+Weg stellte. Die Sonne war in außergewöhnlicher Weise in dichten
+Wolken untergegangen, und der Tag war drückend schwül gewesen.
+Alle notwendigen Vorsichtsmaßregeln wurden getroffen, der Fixpunkt
+festgeschlossen, die Jurte gründlich festgemacht, die Feuer ausgelöscht
+und, nachdem die Kamele mit den Köpfen auf die vom Winde abgewandte
+Seite gebracht worden waren, bereitete sich jeder auf das, was kommen
+sollte, vor; es wurde still im Lager, und nur der Sturm heulte um
+uns herum. Der Flugsand drang durch das Zelttuch; draußen war es
+stockfinster, und keine Sterne waren zu sehen.
+
+Jeden Abend um 9 Uhr stellte Schagdur das Kochthermometer, das ich
+stets selbst ablas. Als er von meiner Jurte nach seinem Schlafplatze
+neben der Küchengeschirr enthaltenden Kiste zurückkehren wollte, fand
+er sich, trotzdem es nur 15 Schritte waren, nicht zurecht und verirrte
+sich. Eine halbe Stunde später hörte ich schwaches Rufen aus einer ganz
+anderen Richtung. Ich rief aus vollem Halse, und Schagdur fand sich so
+nach der Jurte zurück. Er war die ganze Zeit gekrochen, denn Stehen war
+unmöglich, und pechfinster war es auf allen Seiten. Nur auf folgende
+Weise konnte er seinen Platz finden; ich hielt eine kleine Spalte im
+Zelttuche offen, und den Blick auf diese gerichtet, kroch er rückwärts,
+bis er bei der Kiste anlangte. Wer nie einen solchen Sturm erlebt hat,
+kann sich keinen Begriff davon machen. Man wird verdreht und will
+nur gehen, immerzu gehen, weiß aber nicht, wohin der Weg führt; der
+Ortssinn scheint gelähmt zu sein, man geht im Kreise, glaubt aber in
+gerader Linie zu gehen. Es ist eine Art Wüstensturmkrankheit, die näher
+mit der Platzkrankheit als mit See- und Bergkrankheit verwandt ist; sie
+schlägt sich auf das Gehirn. Wäre Chodai Värdi von solch einem Sturme
+überfallen worden, so wäre er verloren gewesen.
+
+Am folgenden Morgen waren die Folgen des schwarzen Sturmes deutlich
+erkennbar. Um meine Jurte hatte der Sand eine Ringdüne gebildet,
+und auch hinter den Köpfen der Kamele hatten sich große Sandhaufen
+gebildet. Sobald sich ein Hindernis im Wege des Flugsandes erhebt,
+entstehen Dünen; sonst treibt er nach Westen.
+
+Glücklicherweise hörte der Sturm um 11 Uhr auf, und wir konnten nach
+Süden weiterziehen.
+
+Die Wüste ist trostlos einförmig; der Boden besteht aus einem Gemenge,
+das die Eingeborenen „Schor“ nennen. Sand, Staub, Kalk und Salz, alles
+erstarrt und zu einer ziegelharten Masse zusammengebacken. Das Salz ist
+manchmal in dünnen Schollen abgesondert. Als das Wasser verschwunden
+war, scheint diese Masse sich durch Austrocknen ausgedehnt zu haben,
+denn sie ist zu unzähligen, nach allen möglichen Richtungen laufenden
+Wülsten aufgesprungen; die Höhe dieser beträgt manchmal 75 Zentimeter.
+Hier gibt es absolut keine Spur von vegetativem oder animalem
+Leben, nicht einmal eine Schneckenschale. Es ist offenbar der Boden
+eines Salzsees, und wir wissen auch, daß die Chinesen den Lop-nor
+in alten Zeiten den „Salzsee“ genannt haben. Auch der Kara-koschun
+hat abgeschnürte Teile, deren Wasser salzig ist, und im Süden dieses
+Sees sieht der früher überschwemmte Boden genau so aus wie hier -- am
+südlichen Ufergebiete des alten Lop-nor.
+
+[Illustration: 192. Lager mitten in der Sandwüste. (S. 22.)]
+
+[Illustration: 193. Brunnen, in der letzten Oase gegraben. (S. 23.)]
+
+Die Steigung fährt fort, obgleich nur mit 0,644 Meter auf 11250 Meter.
+In dem heutigen Lager befanden wir uns also um 0,754 Meter über dem
+Ausgangpunkte. Dies schien des Guten zuviel zu werden; der Kara-koschun
+konnte doch nicht höher liegen als Lôu-lan! Alle meine Gedanken und
+Grübeleien drehten sich um diese interessante Nivellierungslinie. Die
+folgenden Tage, deren Verlauf ich mit Spannung entgegensah, würden
+zeigen, ob wir nicht eine flache Protuberanz oder Wasserscheide
+zwischen dem früheren und dem jetzigen Seebecken zu passieren hatten.
+
+15. März. Schor, den ganzen Tag Schor, tödlich einförmig! Kein
+Gegenstand, auf den man das Fernrohr richten könnte, nichts, was lockt,
+als die Sehnsucht, aus dieser langweiligen Wüste herauszukommen!
+
+Das Wetter jedoch war herrlich, und um 1 Uhr stieg die Temperatur nur
+auf +11 Grad. Aber unsere Lage war insofern kritisch, als wir kaum
+noch etwas zu essen hatten. Der Reisvorrat hatte ein Ende genommen,
+nur ein kleiner Beutel mit geröstetem Mehle war noch da; die Männer
+hatten Tee, ich Kaffee und Zucker, -- das war alles. Die Kamele
+hielten sich vortrefflich; sie mußten die Polsterung ihrer Packsättel
+auffressen. Trinkwasser war zur Genüge vorhanden, hatte aber von den
+Ziegenlederschläuchen einen widerlichen Beigeschmack angenommen. Noch
+schwammen einige Eisstücke darin, und nur diese waren genießbar.
+
+Vergeblich suchten wir am Horizont nach einer Rauchsäule von Tokta
+Ahuns Signalfeuern. Schagdur spähte mit dem Feldstecher, ich mit dem
+Fernrohr danach aus, aber nichts war zu sehen. Eine kleine Abwechslung
+bot sich uns zu Ende des Marsches, indem wir an einigen, halb in den
+Schorboden eingebetteten Pappelstämmen vorbeikamen. Es war Treibholz,
+das einst, als das Land unter Wasser stand, hierher geschwemmt worden
+war.
+
+Das heutige Nivellierungsresultat war 0,304 Meter Fall auf 16226 Meter.
+Nach einer ebeneren Landschaft kann man auf der Oberfläche der Erde
+lange suchen! 30 Zentimeter Gefälle auf 16 Kilometer!
+
+Wir hatten also die vermutete Protuberanz passiert, und aller
+Wahrscheinlichkeit nach würde das Gelände nun nach dem südlichen
+Seebecken fallen.
+
+Als wir am Morgen des 16. aufbrachen, mußten wir nach der vorjährigen
+Marschroute nicht viel mehr als 20 Kilometer vom Kara-koschun entfernt
+sein. Wir erhielten auch bald die ersten Anzeichen von „Land“; wir
+begannen zu merken, daß wir uns dem Strande des Wüstenmeeres nahten.
+Die äußersten „Schären“ bestanden aus ein paar toten oder sterbenden
+Tamarisken. Diese traten nach und nach häufiger auf, und ihre treuen
+Begleiter, eine kleine einen Meter hohe Sanddüne auf der vor dem Winde
+geschützten Seite jedes Strauches, waren unseren schmerzenden Füßen
+sehr willkommen.
+
+Enten streiften in Menge umher, aber ihre Bahnen waren merkwürdig
+unregelmäßig. Bald flogen sie nach Süden, bald nach Norden, bald kamen
+sie von Südwesten, um sich nach Südosten zu begeben, nachdem sie
+über uns einen Kreis beschrieben, als machten sie nur einen Ausflug
+oder eine Rekognoszierung. Was bezwecken sie damit? Sind sie Herolde
+oder Kundschafter, die ausgeschickt werden, um zu sehen, ob sich im
+Norden neue Seen gebildet haben? Ahnen sie am Ende, daß der Lop-nor im
+Begriffe steht, sein Bett wieder zu verlegen? Sie haben sicher gemerkt,
+daß es im Kara-koschun zu eng und die offenen Wasserflächen immer
+seltener werden.
+
+Die Berechnung der heutigen Nivellierung ergab einen Fall von 2,172
+Meter auf eine Strecke von 16000 Meter. Wir hatten also offenbar
+Fühlung mit dem Becken des Kara-koschun, der südlichen Depression der
+Lopwüste.
+
+Der 17. März wurde für uns ein Freudentag. Die Entfernung bis nach dem
+See konnte nicht mehr groß sein, erschien uns aber endlos, weil keine
+Anzeichen seine Nähe verkündeten. Die Zahlenreihen vergrößerten sich
+langsam, und wir alle waren müde, was kein Wunder ist, wenn man sich
+nicht satt essen kann.
+
+Dann aber zeigten sich im Süden verschiedene Entenscharen, die zwischen
+Osten und Westen kreisten, ja sogar einige Falken. Als die Latte zum
+siebzehnten Male auf einer Sanddüne aufgerichtet wurde, blieben die
+Männer stehen, zeigten nach Süden und riefen: „Wasser, Wasser auf allen
+Seiten!“ Wir waren dem See so nahe, daß schon beim neunzehnten Male die
+Latte unmittelbar am Wasserrande aufgestellt werden konnte.
+
+So standen wir denn schließlich, wie aus den Wolken gefallen, am
+Endpunkte dieser ermüdenden, Geduld erfordernden, aber bedeutungsvollen
+Nivellierarbeit. Es war ein unbeschreiblich schönes und herrliches
+Gefühl, denn jetzt konnten wir ein neues Kapitel beginnen und neuen
+Schicksalen entgegengehen!
+
+Wie war das Nordufer des Kara-koschun hier unähnlich dem Punkte, an dem
+wir es im vorigen Jahre erreicht hatten. Der Strand war vollständig
+kahl und öde und wurde von einem sehr unbedeutenden Sandgürtel
+begleitet. Frei und offen lag der Wasserspiegel da. Das Wasser war
+merklich salzhaltig, aber jedenfalls besser als die faulige Suppe, die
+wir in unseren Ziegenschläuchen hatten.
+
+Das Lager wurde unmittelbar am Ufer aufgeschlagen. Die Kamele warfen
+einen ruhigen, forschenden Blick auf das Wasser. Es war eine kalte öde
+Landschaft, jedoch verglichen mit den sterilen Gegenden, die wir eben
+durchzogen hatten, war sie ein Paradies.
+
+Sobald wir die Nivellierungsinstrumente aus der Hand gelegt hatten,
+erhielt Chodai Kullu Befehl, nach Südwesten aufzubrechen und, ohne zu
+rasten, Tag und Nacht zu gehen, bis er Tokta Ahuns Entsatzkarawane,
+die nicht weit entfernt sein konnte, fände. Daß sie hier nicht hatte
+vorbei- und nach Nordosten weitergezogen sein können, war ersichtlich,
+da sich im Erdboden nicht die geringste menschliche Spur zeigte. Der
+Kundschafter verschwand in dem dichten Nebel; er hatte keinen Proviant
+mit, aber an Wasser brauchte er keinen Mangel zu leiden. Wir sollten
+warten, wo wir waren.
+
+Jetzt begann wieder das Leben ~à la~ Robinson Crusoe. Unser
+erster Gedanke war, uns etwas Eßbares zu verschaffen. Schagdur zog mit
+der Schrotflinte aus und kam mit zwei fetten Enten wieder, die wir
+brüderlich teilten. Kutschuk wollte nicht hinter ihm zurückstehen;
+er wollte sein Glück im See versuchen. Ein improvisiertes Boot
+wurde hergestellt, -- es war nicht das erstemal, daß ich mich als
+Schiffsbaumeister versuchte. Den Hauptbestandteil bildete meine
+wasserdichte Instrumentkiste. An ihren Langseiten wurden die Hälften
+der jetzt überflüssig gewordenen Nivellierlatte und an diesen die
+leeren Schläuche festgebunden. In diesem etwas unbequemen Fahrzeuge,
+das mit einem Spaten gerudert wurde, navigierte Kutschuk auf den
+flachen Sümpfen. Fische sah er jedoch nicht. Das Wasser war zu salzig,
+und es fehlte dem See an Vegetation.
+
+Unterdessen rechnete ich das Resultat des Nivellements aus. Wir waren
+noch 55 Zentimeter gefallen. Es stellte sich demnach heraus, daß das
+Nordufer des Kara-koschun 2,272 Meter unter dem Ausgangspunkt in
+Lôu-lan liegt; im ganzen hatte der Fall kaum 2⅓ Meter auf 81,6
+Kilometer betragen. Ich hatte nicht nur bewiesen, daß infolge des
+Reliefs des Landes ein See im nördlichen Teile der Lopwüste existiert
+haben +kann+, sondern auch, daß ein solcher dort tatsächlich sein Bett
+gehabt hat.
+
+Hier ist nicht der Ort, diese merkwürdige Linie in ihren Einzelheiten
+zu analysieren. Ich will nur daran erinnern, daß, obgleich der
+Ausgangspunkt wie der Endpunkt willkürlich waren, die Linie selbst
+doch ihre unanfechtbare Beweiskraft behält. Der Ausgangspunkt wurde
+zufällig von unserem Lager in Lôu-lan gewählt, der Endpunkt am
+Spiegel des Kara-koschun, der veränderlich ist; der See war in dieser
+Jahreszeit ansehnlich gefallen. Wenn das Wasser der Eisschmelze
+hierher gelangt, steigt er wieder und dann verringert sich der
+Höhenunterschied noch mehr. Damit jedoch eine solche Linie vollen Wert
+habe, ist erforderlich, daß man nach dem Ausgangspunkte zurückkehrt
+und eine Kontrolle der Ablesungen erhält, deren Summe ±0 sein soll.
+Entsteht ein Fehler, so kann er auf die ganze Linie verteilt werden.
+Aber die Zeit erlaubte mir nicht umzukehren, und die Jahreszeit war
+auch schon zu weit vorgeschritten. Ihren Hauptzweck hatte auch die
+einfache Nivellierungslinie erfüllt, indem sie das Vorhandensein einer
+Depression bewiesen hatte.
+
+Ganz passend für uns erhob sich der vierte Sandsturm des Frühlings am
+Abend. Wäre er um die Mittagszeit gekommen, so wären wir gezwungen
+gewesen, die Arbeit zu unterbrechen und in der Nähe des Sees zu bleiben
+und zu warten -- und das wäre ein langes Warten geworden. Denn während
+der beiden Tage und drei Nächte, die wir am Ufer lagerten, ging ein
+heftiger Wind; die Luft war so dick wie trübes Wasser, und der Sand
+regnete in meine Jurte.
+
+Es reute mich, daß ich Chodai Kullu hatte gehen lassen; wir vermuteten
+aber, daß er die Nacht irgendwo untergekrochen sein würde. Das
+Einzige, was er bei sich hatte, waren Streichhölzer zum Anzünden von
+Signalfeuern, aber so wie das Wetter jetzt war, hätte man ein Feuer
+keine 200 Meter weit sehen können. An einem Punkte am Strande, wo
+altes, welkes Schilf von den Stürmen nach Südwesten niedergebrochen
+war, steckten wir dieses in Brand. Der dicke Rauch würde vielleicht
+nach dem Lager der Entsatzkarawane hintreiben und unsere Ankunft
+signalisieren.
+
+Als Chodai Kullu auch am zweiten Tage nichts von sich hören ließ,
+wurden wir unruhig. Hier war entschieden irgendetwas nicht in
+Ordnung. Vergebens spähten wir am Strande umher; aber keine anderen
+Erscheinungen als unsere eigenen Kamele tauchten aus dem Nebel auf. Wir
+konnten nicht lange so untätig liegen bleiben. Glücklicherweise schoß
+Schagdur fünf Enten, die sofort am Feuer gebraten und verzehrt wurden,
+obwohl sie stark mit Flugsand gepfeffert waren.
+
+Am allermeisten plagte mich die Sehnsucht nach der Post, denn auch sie
+mußte sich in Tokta Ahuns Lager befinden. Der Tag war endlos lang, und
+kein Kundschafter ließ sich blicken. Die Lage wurde nicht angenehmer
+durch den ewig umherwirbelnden Flugsand, der gegen die Jurte klatschte
+wie feiner Staubregen gegen eine Kutsche.
+
+Auch am 19. März verhinderte mich der Sturm, eine wünschenswerte
+Breitenbestimmung zu machen. Wie schon erwähnt, haben wir keinen Reis
+mehr, und wir sind fürchterlich hungrig -- so schlecht hatte ich es
+seit den Takla-makan-Tagen im Jahre 1895 nicht mehr gehabt.
+
+[Illustration: 194. Auf dem Wege nach Altimisch-bulak. (S. 32.)]
+
+[Illustration: 195. Das angeschossene Kamelweibchen. (S. 32.)]
+
+[Illustration: 196. Reinigung des Kamelskeletts im Lager in
+Altimisch-bulak. (S. 32.)]
+
+[Illustration: 197. Aus der Oase Altimisch-bulak. (S. 33.)]
+
+[Illustration: 198. Prüfung des Nivellierinstruments bei
+Altimisch-bulak. (S. 33.)]
+
+Schagdur machte auf einem Ausfluge eine unerwartete Entdeckung. Er
+hatte weiter westlich einen See gefunden, der sich nach Nordwesten und
+Norden erstreckte, und längs des Ufers hatte er Chodai Kullus Fußspuren
+gesehen. Wir befanden uns augenscheinlich in einem Labyrinth von
+verwickelten Wasserflächen. Vielleicht hatten sie auch Tokta Ahun den
+Weg verlegt. Jetzt mußte ein Entschluß gefaßt werden. Wie wäre es, wenn
+wir uns um die anderen gar nicht kümmerten und östlich und südlich um
+den Kara-koschun herum auf eigene Hand nach Abdall zögen? Doch nein,
+wir hatten keinen Proviant, und in wenigen Tagen würde unsere Lage
+verzweifelt sein. Für alle Fälle mußte sich Kutschuk nach Osten begeben
+und rekognoszieren. Er kam wieder, nachdem er 11 Kilometer zurückgelegt
+hatte, hatte einige alte, längstverlassene Kamischhütten gefunden,
+einen Hügel bestiegen und dort die offene Wasserfläche gar bald im
+Nebel verschwinden sehen.
+
+Am Morgen des 20. war es klar, daß wir nicht länger auf Chodai Kullu
+rechnen durften. Ohne Zweifel hatte er die anderen überhaupt nicht
+gefunden, und es wäre ein Glück, wenn es ihm wenigstens gelungen wäre,
+menschliche Wohnungen zu erreichen, bevor er vor Hunger zusammenbrach.
+
+Als wir von diesem unwirtlichen Strande, den wir zuerst mit so
+hoffnungsvollen Gefühlen erblickt hatten, eilfertig aufbrachen, war der
+Himmel noch grau und schwer. Am Ufer hatte sich ein schmaler Eisrand
+von 2 Zentimeter Dicke gebildet, womit ein halber Sack gefüllt wurde,
+und es war schön, daß man nicht mehr nötig hatte, sich das noch in den
+Schläuchen vorhandene, fast untrinkbare Wasser hinunterzuquälen.
+
+Die Kamele waren ausgeruht und hatten leichte Lasten, so daß wir
+schnell marschieren konnten. Wider Erwarten zwang uns das Seeufer
+nach Nordwesten und Norden zu gehen. Links hatten wir die größten
+Wasserflächen, die ich je im Kara-koschun gesehen habe, rechts die
+Wüste. Diese Seen aber waren seicht; die Enten, die zu Tausenden
+vorkamen, schnatterten und tauchten weit vom Strande.
+
+Nach mehrstündigem Marsch bestieg ich mein altes Reitkamel vom vorigen
+Jahre. Ich beherrschte nun einen weiteren Horizont als die Fußgänger
+und konnte sie rechtzeitig warnen, nicht gerade auf Sümpfe und Kanäle
+loszugehen.
+
+Etwa 80 Meter vom jetzigen Seeufer erblickten wir in dem schmalen
+Dünengürtel wieder Spuren von menschlichem Besuch. Es waren zwei
+bis an den Dachfirst im Sande begrabene Kamischhütten. Gegen die
+eine war ein Kahn gelehnt, dessen Vordersteven zwei Fuß weit aus dem
+Sande hervorguckte. Der Fund war von Interesse. Die Hütten, das Boot,
+die Hausgeräte, die wir fanden, zeigten, daß sich Fischerfamilien
+wahrscheinlich noch vor wenigen Jahrzehnten in dieser Gegend
+aufgehalten hatten.
+
+Mein erster Gedanke war, zu versuchen, ob sich nicht aus dem Kahne
+Nutzen ziehen ließe. Die Leute machten sich sofort daran, ihn
+auszugraben. Wäre er noch gut im Stande, so könnte man ihn zum
+Rekognoszieren, Fischen und Tiefenloten gebrauchen. Sie hatten 2 Meter
+von ihm freigelegt, als sich eine klaffende Spalte zeigte; er wurde
+nun unbarmherzig der Vernichtung, die schon einen Teil seines Rumpfes
+verzehrt hatte, wieder überlassen.
+
+Endlich bog das Seeufer gerade nach Westen ab, und wir machten es
+ebenso. An seinem Rande stand das Schilf etwas dichter. Schagdur konnte
+noch eine verlassene Hütte als Deckung benutzen, als er eine Schar
+Enten beschlich. Er kehrte mit nicht weniger als sieben von ihnen
+zurück und wurde mit Jubel empfangen -- wir konnten damit gut zwei Tage
+lang die Lebensgeister aufrechterhalten.
+
+Unser See sah noch immer sehr umfangreich aus; sein Südufer war nicht
+zu sehen, sondern verschwand im Nebel.
+
+Chodai Kullus Spur war fast den ganzen Tag deutlich zu erkennen. Doch
+als der See auch in dieser Richtung aufhörte und wir über ödes Land
+nach Südwesten zogen, zeigte es sich, daß der Mann nach Nordwesten
+gegangen war. War er verrückt geworden? Hatte er wieder in die Wüste
+hineingewollt? Jedenfalls mußten wir seine irrende, vergeblich suchende
+Spur verlassen, um mit den Seen in Fühlung zu bleiben. An einigen
+salzigen Tümpeln, wo die Kamelweide gut und Brennholz reichlich war,
+lagerten wir und bedienten uns des am Morgen mitgenommenen Eisvorrates.
+
+Spät am Abend, als die Luft ein wenig klarer geworden war, zündeten
+wir wieder große Feuer von dürren Tamarisken an. Doch sie loderten
+auf, sprühten, glühten und verkohlten, ohne Antwort zu erhalten. Still
+war die Nacht, kein verdächtiges Geräusch war zu hören, keine Reiter
+kamen mit frohen Nachrichten ins Lager angesprengt, und keine Spur
+von einem Kundschafter war zu entdecken. Meine Besorgnis und Ungeduld
+wurden immer größer. Auf Chodai Kullu rechneten wir nicht mehr.
+Faisullah mußte jetzt glücklich in Kum-tschappgan angekommen sein.
+Warum ließ aber Tokta Ahun nichts von sich hören? Er hatte, als wir
+uns am Anambaruin-gol trennten, Befehl erhalten, uns hier rechtzeitig
+entgegenzukommen. Er mußte bereits seit mehreren Tagen am See sein.
+Warum ließ er sich denn nicht blicken? Ich wußte, daß ich mich auf ihn
+unbedingt verlassen konnte. War ihm auf der Rückreise nach Tscharchlik
+ein Unglück zugestoßen und hatte er diesen Ort überhaupt nicht
+erreicht? Oder hatte er sich nur durch diese seltsamen, wandernden
+Seen, die sich von einem Jahr zum anderen bis zur Unkenntlichkeit
+verändern, auf eine falsche Straße locken lassen? Wann würden wir
+Antwort auf alle diese Fragen erhalten? Dunkel umhüllte uns die Nacht,
+und die ersterbenden Feuer ließen nur noch schwache Rauchsäulen
+aufsteigen.
+
+Am nächsten Tage ging es in derselben Richtung weiter, bald an See-
+und Buchtufern entlang, bald über kahle Steppen. Schagdur kroch,
+einer wilden Katze gleich, den Enten nach und erlegte wieder einige.
+Ein wilder Eber rannte in so wildem Laufe durch das Schilf, daß der
+Staub hoch aufwirbelte. Er war gar nicht scheu; es war ja auch nie ein
+Flintenlauf auf ihn gerichtet gewesen, da er zu seinem eigenen Heil
+nach dem Koran ein unreines Tier ist.
+
+So gelangten wir an einen neuen See, wo das Schilf dichter war als
+bisher. Ich ritt auf meinem sicheren, wiegenden Kamele und nahm die
+Umrisse dieser unbeständigen Seen auf einer Karte auf, wohl wissend,
+daß die Verteilung von Wasser und Land hier in ein, zwei Jahren ganz
+anders aussehen würde.
+
+Jetzt gebot uns ein schmaler Wasserarm Halt, der uns den ganzen Rest
+des Tages völlig verdarb. Er war nur ein paar Meter breit und wenig
+tief, aber sein Boden bestand aus so weichem, gefährlichem Schlamm,
+daß wir nicht daran denken konnten, die Kamele hinüberzuführen. Wir
+umgingen ihn südwärts und waren bald auf allen Seiten von Wasser
+umgeben. Im Norden dehnten sich neue Seen aus. Als wir lagerten,
+nachdem wir vergeblich nach einem Ausweg aus diesem Labyrinth gesucht
+hatten, war das Land nur nach der Seite, von der wir gekommen waren,
+hin offen, und obgleich wir nach Südwesten sollten, mußten wir am
+Morgen doch nach Nordnordosten zurückgehen.
+
+Nie hat der Kara-koschun in so hohem Grade wie jetzt auf mich den
+Eindruck eines Sumpfes gemacht. Er besteht hier nicht aus wirklichen
+Seen, sondern nur aus seichten Überschwemmungen.
+
+Während der Nacht hatten sich neue Wasserarme gebildet, und wir mußten
+früh aufbrechen, um nicht ganz auf einer Insel eingesperrt zu werden.
+Wir selbst hätten wohl über das Wasser kommen können, aber die Kamele!
+Dieser eigentümliche Schor-Boden, der ziegelhart wird, sobald er
+trocknet, wird breiweich, sobald er überschwemmt wird.
+
+Es erfordert mehr als Geduld, in seinen eigenen Fußspuren wieder
+zurückzugehen und statt Terrain zu gewinnen, schon gewonnenes wieder zu
+verlieren.
+
+An einem breiten Wasserarme sahen wir wieder Chodai Kullus Spur. Er
+war entschieden hinübergeschwommen, denn die Spur verschwand nachher.
+Wo mochte der Arme geblieben sein? Jetzt waren es fünf Tage, seit ich
+ihn fortgeschickt hatte. Daß er, wenn er überhaupt noch lebte, nicht
+zurückkommen würde, war klar, denn ich hatte ihm gesagt, daß wir,
+wenn er zu lange ausbleibe, östlich und südlich um den Kara-koschun
+herumgehen würden.
+
+Am 23. März wanderten wir längst einer durch kleine Stromarme
+miteinander verbundenen Seenkette nach Nordosten weiter. Ich ging weit
+voraus. Die Gegend war unfruchtbar. Ich sah mit eigenen Augen, wie
+der Kara-koschun nach Norden und Nordosten, nach dem alten Bette des
+Lop-nor zurückgesogen wurde. Konnte ich wohl einen deutlicheren Beweis
+dafür erhalten, daß meine Theorien von 1896 richtig waren? Es wurde mir
+immer klarer, daß sowohl Tokta Ahun wie Chodai Kullu und möglicherweise
+auch Faisullah sich bei den Veränderungen, die in diesem Jahre hier
+vor sich gegangen waren, nicht hatten zurechtfinden können. Was sie
+vorfanden, stimmte durchaus nicht überein mit den Beschreibungen, die
+ich ihnen gemacht hatte.
+
+Müde und traurig machte ich an einem Punkte Halt, wo der Wasserarm
+sich auf 7 Meter verengte, um sich bald darauf in einen See zu
+ergießen (Abb. 217). Als die Karawane angelangt war, wurde die Stelle
+untersucht. Der Boden trug uns, denn er bestand aus hartem, blauem Ton,
+und an den feuchten Ufern sanken die Kamele nicht mehr als einen Fuß
+tief ein.
+
+Um zu erfahren, wie das Land im Norden aussah, schickte ich Schagdur
+auf Kundschaft aus. Nach einer guten Weile tauchte er am Ostufer des
+unteren Sees auf und winkte uns wie toll, dorthin zu kommen. Ich zog es
+jedoch vor, mündlichen Bescheid abzuwarten, weshalb Schagdur sich auf
+die Beine machte. Als er atemlos in Hörweite gekommen war, deutete er
+nach Südwesten und rief. „Reiter, Reiter!“
+
+Richtig: in einer Staubwolke erschienen zwei Reiter, die sich uns so
+schnell näherten, wie die Pferde nur zu laufen vermochten. Schagdur
+erzählte, daß er an dem Punkte, wo er uns gewinkt hatte, ganz frische
+Spuren von fünf Pferden gesehen und ein paar Minuten später die Reiter
+erblickt habe.
+
+So hatte denn endlich die Stunde unserer Befreiung geschlagen! Mit
+größter Spannung sahen wir diese willkommenen Boten über den Boden
+sprengen und beobachteten sie mit dem Fernglase. Bald erkannten wir
+Tschernoff und Tokta Ahun!
+
+
+
+
+Siebentes Kapitel.
+
+Der wandernde See.
+
+
+Nie bin ich mit einem alten treuen Diener mit größerer Wärme und Freude
+wieder zusammengetroffen als in dieser Mittagsstunde! Tschernoff, mein
+vortrefflicher Kosak, war auch so froh, daß er zitterte, und seine
+Wangen glühten vor Eifer. Er brannte vor Begierde, mir alles erzählen
+zu dürfen; er wußte, daß ich durch ihn den abgeschnittenen Faden
+wiedererhalten und von neuem mit der Welt, von der ich über ein halbes
+Jahr abgeschlossen gewesen war, in Berührung treten würde.
+
+Was jedoch im ersten Augenblick mein besonderes Interesse erregte, war,
+daß er nach meinem Lager hatte zurückkehren können. Im vorigen Sommer
+war uns mitgeteilt worden, daß alle semirjetschenskischen Kosaken
+auf ihren Posten sein müßten, weil die politische Lage in Asien für
+unruhig gelte. Doch der Kaiser hatte die unendliche Güte gehabt, mit
+meinen beiden Kosaken Sirkin und Tschernoff eine Ausnahme zu machen.
+Am letzten Juni 1900 hatten sie sich von mir getrennt und waren nach
+Kaschgar geritten, wo sie jedoch erst einige Monate geweilt hatten,
+als Generalkonsul Petrowskij aus Petersburg ein Telegramm mit dem
+Befehl im Namen des Kaisers erhielt, daß die beiden Kosaken Sirkin und
+Tschernoff sich augenblicklich nach meinem Lager zu begeben hätten,
+wo ich mich auch befinden möge. Als dieser Befehl an einem Sonnabend
+Nachmittag eingetroffen war, hatte der Konsul die Kosaken rufen lassen
+und ihnen befohlen, Pferde zu kaufen und am nächsten Morgen abzureisen.
+Sie hatten gefragt, ob sie nicht den Sonntag über noch dort bleiben
+dürften, aber ein kaiserlicher Befehl duldet keinen Aufschub.
+
+So saßen sie denn am Sonntag Morgen im Sattel und nahmen meine
+ganze große Post, 27 Jamben Silbergeld, einige Instrumente und
+photographische Utensilien mit, und nun ging es über Aksu und Korla
+nach Tscharchlik, das sie nach 48tägigem Ritt Ende Dezember erreichten.
+Da sie mich dort nicht gefunden hatten, beschlossen sie meine
+Rückkehr zu erwarten und benutzten die Zeit gut. Sirkin übernahm die
+meteorologischen Ablesungen, Tschernoff begab sich nach dem Delta
+des unteren Tarim, über dessen neueste Veränderungen er eine Reihe
+wohlgelungener Kartenskizzen ausführte. Da er des Schreibens unkundig
+war, nahm er einen Mirsa (Schreiber) mit, der alles notierte. Die ganze
+Rekognoszierung brachte mir viel wichtige Aufklärung und wurde später
+in Tibet in freien Stunden gründlich durchgegangen.
+
+Was Tokta Ahun anbetrifft, so hatte auch er seinen Auftrag wie ein
+ganzer Mann ausgeführt. Er war vom Anambaruin-gol nach Tscharchlik
+geritten, hatte nur eines der sechs schlechten Pferde unterwegs
+verloren, Islam meine Post übergeben, sich von ihm mit Proviant und
+ausgeruhten Pferden ausrüsten lassen und sich mit Tschernoff über
+Abdall nach Kum-tschappgan begeben und war dann nach Nordosten am
+Nordufer des Kara-koschun entlanggezogen. Nur in einem Punkte hatte
+er meinen Befehlen nicht gehorchen können. Er hatte sich nur zwei,
+statt drei Tagemärsche von Kum-tschappgan entfernt, aber er war völlig
+entschuldigt, denn der neugebildete See, der uns so viel Abbruch getan
+hatte, hatte auch ihm Halt geboten.
+
+Tschernoff und Tokta Ahun hatten ganz in der Nähe des Punktes,
+wo wir im vorigen Jahre das Ufer erreicht hatten, ein Hauptlager
+aufgeschlagen, eine Hütte erbaut, Massen von Enten in Schlingen und
+Fische in ausgelegten Netzen gefangen und reichliche Vorräte an
+Schafen, Hühnern, Eiern, Mehl, Brot und Mais mitgebracht. Aus einem
+Fischerdorfe hatten sie zwei große und einen kleinen Kahn mitgenommen.
+
+Ein ganzes Landgut war in der Einöde entstanden. Jeden Abend, sobald
+es dunkel war, hatten sie auf dem Hügel, von dem ich im Jahre 1900 die
+gesegneten Wasserflächen des Kara-koschun zuerst erblickt hatte, ein
+gewaltiges Feuer angezündet. Mehrere Fischer aus Kum-tschappgan waren
+mitgekommen und trugen das Brennholz auf den Hügel, so daß Tschernoff
+es abends nur anzuzünden brauchte. Wir hatten des Nebels wegen ihr
+Feuer nicht gesehen, und sie hatten unsere Feuer nicht erblickt. Und
+doch betrug die Entfernung zwischen ihrem Lager und dem Punkte, wo
+uns zuerst der kleine Wasserarm den Weg abgeschnitten hatte, nur 3
+Kilometer!
+
+Inzwischen hatten sie in Erwartung unserer Ankunft 12 Tage lang ein
+idyllisches Leben geführt, Fuß- und Rudertouren unternommen, gejagt und
+gefischt, bis eines schönen Tages der gute Chodai Kullu aus der Wüste
+aufgetaucht war und ihrem friedlichen Leben mit einem Male ein Ende
+gemacht hatte. Sie hatten noch in derselben Stunde eingepackt und sich
+mit Chodai Kullu als Führer eiligst aufgemacht, um uns zu suchen -- und
+nun hatten sie uns endlich gefunden. Beim Aufbruch hatten sie sich auf
+eine lange Reise vorbereitet, denn Chodai Kullu hatte richtig gemeldet,
+daß ich mich schon mit dem Gedanken trüge, den See längs des Südufers
+zu umgehen.
+
+Nachdem wir eine Weile geplaudert hatten und beiderseitig von allem
+Geschehenen unterrichtet waren, brachen wir auf, um südwärts nach
+einem Tümpel zu ziehen, der von unserem Lager am 20. März nicht weit
+entfernt lag. Unterwegs fischten wir auch Chodai Kullu auf, der auf
+einem Grasbüschel saß und bitterlich weinte, als er mich erblickte,
+-- so überwältigte ihn jetzt die Erinnerung an die Schicksale, die
+er während seines fünftägigen Suchens nach der Hilfsexpedition
+durchgemacht hatte. Er war immerfort gegangen und schließlich voll
+Verzweiflung über mehrere Seen geschwommen. Am dritten Tage saß er
+müde und niedergeschlagen am Ufer eines derselben, als eine Schar
+Enten über ihm hinwegsauste. Wie durch ein Wunder fiel eine von ihnen
+mit gebrochenem oder gelähmtem Flügel gerade vor ihm nieder. Wie ein
+Raubtier stürzte er sich auf sie und aß sie, roh wie sie war, ganz und
+gar auf. Durch dieses Mahl gestärkt, hatte er noch zwei Tage gehen
+können und schließlich diejenigen gefunden, die er suchte.
+
+An mehreren Stellen hatte er Spuren von Faisullahs Karawane gesehen
+und daraus geschlossen, daß alle am Leben waren, auch die drei Pferde
+und die drei Hunde, nach denen ich mich ganz besonders sehnte. Dann
+aber hatte die Spur das Ufer verlassen und war wieder in die Wüste
+hineingegangen, als ob der alte Führer Faisullah gar nicht mehr gewußt,
+wohin er sollte.
+
+Sobald Tokta Ahun dies erfahren hatte, bot er Leute in zwei Partien,
+eine aus Kum-tschappgan und eine aus Abdall, auf und schickte sie
+nordwärts in die Wüste hinein, um die Verirrten zu suchen. Von
+Faisullah wußten wir nichts und schwebten seinetwegen in größter
+Unruhe. Seine Karawane hatte alles, was wir während der Reise erworben
+hatten, außer den Karten bei sich: alle Sammlungen, photographischen
+Platten, Schnitzereien und einen Teil der Manuskripte. Sollte dies
+alles verloren sein? Tokta Ahun beruhigte mich jedoch und sagte,
+daß die Entsatzexpeditionen Faisullah, der überdies ein kluger,
+vorsichtiger Mensch sei, schon finden würden.
+
+Chodai Kullu erhielt für seinen bewiesenen Mut und seine
+Entschlossenheit eine Extrabelohnung in Silbergeld. Er versicherte
+ruhig, daß er die ganze Zeit über fest entschlossen gewesen sei, nicht
+umzukehren, sondern zu versuchen, seinen Auftrag auszuführen, wenn es
+auch das Leben kosten sollte. Schon seit er das wilde Kamel getötet
+hatte, war sein Ansehen gestiegen; jetzt aber wurde er nie anders
+als Batir, der Held, genannt. Solche Leute muß man haben; unter den
+Muselmännern sind sie jedenfalls selten.
+
+Unsere lange Wanderung nahte sich ihrem Ende. Ihr letzter Abschnitt war
+ein Durcheinander von verwickelten Verhältnissen gewesen. Doch was tat
+das, da sich schließlich alles auf glückliche, wunderbare Weise löste!
+Mein guter Stern hatte mich nicht verlassen, und all meine Unruhe um
+die zersplitterten Teile der Karawane war unnötig gewesen.
+
+Wie süß und notwendig war die Ruhe an diesem tiefen, klaren
+Süßwasserarme, wo stellenweise üppiges Schilf wucherte. Wir waren
+hier zwei Tage in der Wildnis zu Gaste. Wir lebten flott, denn die
+drei Proviantpferde der Entsatzexpedition hatten reichliche Vorräte
+an Fleisch, Fischen, Reis, Brot, Mehl und Eiern, ja sogar Tee und
+Tabak mitgebracht. Die Post von zu Hause war jedoch das Allerbeste;
+sie fesselte mich an meine Jurte, und es bedurfte einer gewissen
+Energie, um das Lesen zu unterbrechen und eine Breitenbestimmung
+auszuführen. Alles war mir neu; merkwürdig aber war es, daß ich von dem
+Boxeraufstande in China durch einen Brief aus -- Stockholm erfahren
+sollte. Se. Exzellenz der Minister des Auswärtigen warnte mich davor,
+und vielleicht war es ein Glück für uns, daß wir uns nicht nach
+Sa-tscheo begeben hatten, obwohl wir ganz in der Nähe dieser Stadt
+gewesen waren.
+
+Am 25. März begaben sich Chodai Kullu und Tokta Ahun vorweg nach
+dem Standlager zurück. Merkwürdigerweise waren wir nur 3 Kilometer
+voneinander entfernt gewesen, und doch hatte mein Kundschafter fünf
+Tage gebraucht, um dorthin zu gelangen. Der Grund war der, daß
+neugebildete, mächtige Wasserarme, die der Kara-koschun nach Norden
+aussendet, unsere Lager trennten. Um nach ihrem Standlager zu gelangen,
+mußte man entweder diese Seen umgehen oder die Flußarme überschreiten.
+Jenes hatte die Hilfsexpedition getan, dieses wollten Tokta Ahun und
+Chodai Kullu versuchen. Sie nahmen keinen Proviant mit, gingen zu Fuß
+und schwammen schließlich, die Kleider in einem Bündel auf dem Kopfe,
+über die breiten Ströme. Der Grund, warum sie nicht mit uns zu Lande
+dorthin gingen, war, daß sie rechtzeitig wieder im Standlager sein
+mußten, um die Fischer aus Kum-tschappgan dort zurückzuhalten.
+
+Am nächsten Tage hatte unsere süße Rast ein Ende. Dieser Lagerplatz,
+Nr. 170 auf meiner Karte, war einer der besten auf der Reise, einer von
+denjenigen, die ich nie vergesse. --
+
+Am 26. März führte uns der ganze Tagemarsch nach Norden, und wir
+folgten meistens den Spuren der rettenden Reiter, die jedoch hier und
+da schon unter Wasser standen, so hastig drängt der neue See nach
+Norden.
+
+[Illustration: 199. Meine Jurte in Chodai Kullus Oase. (S. 34.)]
+
+[Illustration: 200. Chodai Kullu und sein wildes Kamel. (S. 34.)]
+
+[Illustration: 201. Das geschossene Kamel. (S. 34)]
+
+[Illustration: 202. Der erste Turm der untergegangenen Stadt. (S. 38.)]
+
+Dieser eigentümliche nördliche Auswuchs des Kara-koschun kann zum Teil
+auch auf den hydrographischen Verhältnissen im ganzen Tarimbecken
+beruhen. Alle Flüsse Ostturkestans waren während des vorhergehenden
+Sommers und Herbstes außergewöhnlich wasserreich, welcher Umstand
+wahrscheinlich von dem größeren Schneeniederschlag in den Randgebirgen
+herrührt. Dieser wieder würde sich nur aus größeren Gesichtspunkten,
+wie der Verteilung des Luftdruckes, dem Vordringen der Winde und
+besonders der Monsune, erklären lassen. Wenn der Zufluß reichlicher
+ist, müssen auch die äußersten Seen des Tarimsystems zu größeren
+Dimensionen als gewöhnlich anschwellen.
+
+Einige vereinzelte Tamarisken und ein paar dürre Pappeln mahnten uns,
+an einem Punkte zu lagern, wo die Spuren von Faisullahs Karawane sehr
+deutlich waren. Faisullah hatte sich, wie wir, in diese scheußliche
+Mausefalle hineinlocken lassen und war umgekehrt, um den wandernden See
+im Nordosten zu umgehen.
+
+Das Terrain war schwierig und wurde am folgenden Marschtage nicht
+besser. Die Lehmrücken und die zwischen ihnen liegenden Rinnen sind
+konsequent nach Nordosten gerichtet, und wir mußten sie in der
+Quere überschreiten. Die Ausläufer des neuen Sees zeigen wie Finger
+nach derselben Richtung. Wir gehen nach allen Himmelsrichtungen, um
+ihnen auszuweichen, und erst, nachdem wir die äußersten hinter uns
+zurückgelassen haben, können wir nach Westen und Südwesten ziehen. Da
+aber hatten wir beinahe schon den halben Weg nach Lôu-lan zurücklegen
+müssen. Hätte ich von der diesjährigen Wasserverteilung eine Ahnung
+gehabt, so hätte das Nivellement auf die halbe Entfernung beschränkt
+werden können.
+
+Ich wunderte mich, an einigen Stellen dieser Gegend alten Kamelmist,
+der manchmal in ziemlich großer Menge vorkam, zu finden. Daß es sich
+dabei nur um wilde Herden handeln konnte, ist sonnenklar. Sie kreuzen
+also die Wüste und kennen die Existenz der im Süden liegenden Seen. Und
+sie können ruhig hierherkommen, denn jetzt begeben sich Menschen nur
+äußerst selten hierher. Die Entfernung ist für diese schnellfüßigen
+Tiere nur eine Kleinigkeit.
+
+Die Reise nach Südwesten ging leichter, denn jetzt konnten wir uns
+in den Windfurchen halten und ganze Strecken weit Faisullahs Spuren
+folgen. Wenn wir bezweifelt hätten, daß es wirklich seine Karawane
+gewesen, so hätte uns ein „lebender“ Beweis bald Gewißheit gegeben.
+Dort lag ein totes Pferd, der Braune, den Schagdur geritten hatte.
+Die Eingeweide waren weggeworfen und die weicheren und besseren
+Fleischteile mitgenommen worden. Gewiß hatten sie keinen Proviant mehr
+gehabt.
+
+Wir machten an dem unfruchtbaren Ufer eines Seearmes Halt. Recht
+eigentümlich war es, zu sehen, wie das Wasser nach Nordosten strömte,
+d. h. wie der Ausläufer sich immer mehr nach dieser Richtung hin
+vergrößerte und immer neuen Zufluß von Südwesten erhielt. Hier
+befanden wir uns sicherlich gerade vor der nördlichen Depression der
+nivellierten Linie, und die schwache Erhebung zwischen dem nördlichen
+und südlichen Becken der Wüste, die wir nivelliert hatten, fehlt hier
+oder hat hier eine Lücke.
+
+Am 28. fuhren wir fort, den launenhaft gewundenen Ufern getreulich
+zu folgen. Auch jetzt wurde eine interessante Beobachtung an einem
+Tümpel gemacht, der sich gebildet hatte, seitdem Tschernoff vor sieben
+Tagen eine Kartenskizze über die Gegend aufgenommen hatte (Abb. 218).
+Er ist abgeschnürt und wird durch aus dem Boden hervorquellendes
+Wasser gespeist. Seine Fläche (zirka 50000 Quadratmeter) gleicht der
+Oberfläche eines kochenden Kessels, das Wasser sprudelt und wallt mit
+einem singenden Tone. Das aufsteigende Quellwasser bringt Luftblasen
+mit, die um jeden Herd Schaumblasen bilden. Manchmal wölbt sich das
+Wasser dezimeterhoch, an einen Miniaturgeiser erinnernd, und es
+plätschert im Tümpel, als ob große Fische mit dem Schwanze auf die
+Wasserfläche schlügen.
+
+Das spezifische Gewicht war 1,0036, und das Wasser erschien uns,
+die wir an größeren Salzgehalt gewöhnt waren, beinahe süß; ein paar
+Kannen davon wurden zum Abend mitgenommen. Um es so frisch wie möglich
+zu halten, sollte Kutschuk aus der Mitte des Tümpels schöpfen, aber
+im selben Augenblick war er verschwunden. Er war auf eine tückisch
+versteckte Jarkante gelangt und plötzlich von ihr in tiefes Wasser
+geraten. Da er nun einmal naß war, mußte er über den Tümpel schwimmen
+und mit einer Zeltstange loten. Die größte Tiefe betrug 2,22 Meter --
+und dieser kleine See hatte sich in einer Woche gebildet!
+
+Während der kurzen Zeit unseres Aufenthalts am Ufer konnten wir sehen,
+wie das Wasser sich nach den Seiten hin ausbreitete; neue kleine Arme
+drangen in die Rinnen ein, neue Bodensenkungen füllten sich allmählich.
+Wie weit würden diese wandernden Seen in diesem Jahre gelangen? Würden
+sie bis an das alte Becken des Lop-nor vordringen? Nur neue Besuche in
+der Gegend konnten diese Fragen beantworten.
+
+Nun ging es weiter nach Westen, Südosten und Osten um die Seen herum,
+wo der arme Chodai Kullu ohne Nahrung gewandert war. Wir fanden auch
+den Punkt, wo Faisullah das Ufer verlassen und sich in die Sandwüste
+hineinbegeben hatte.
+
+Dieses Unternehmen sah so bedenklich aus, daß ich Schagdur der Spur
+folgen ließ, um zu sehen, wo sie blieb. Nach dem Kompaß nahm er sie
+eine Strecke von 10 Kilometer weit auf und konnte mich damit beruhigen,
+daß die Karawane nur einen Umweg gemacht und dann wieder nach
+Südwesten gegangen war. Hätte sie das Ufer nicht verlassen, so würde
+sie nach einer weiteren Tagereise das Standlager der Hilfskarawane
+erreicht haben.
+
+Ein paar leere Konservenbüchsen verrieten den Punkt, an dem wir im
+vorigen Jahr bei dem ersten Salztümpel das Lager aufschlugen, der,
+wie wir damals meinten, vom Schirge-tschappgan herrührte. Der schmale
+Arm, den wir damals mit Leichtigkeit durchwateten, war jetzt so
+angeschwollen, daß man sowohl sich selbst wie die Kamele bequem darin
+ertränken konnte.
+
+Unser letzter Tagemarsch um den zeitraubenden See führte uns südwärts
+nach Tokta Ahuns Standlager, wo wir ihn und Chodai Kullu in schönster
+Ruhe in der Hütte fanden.
+
+So hatten wir denn endlich nach dem anstrengenden, drückenden
+Wüstenzuge diese heiß ersehnte Freistatt erreicht. Doch sie empfing
+uns wenig gastfreundlich. Alle Leute aus Kum-tschappgan waren in dem
+Glauben, daß wir südlich um den Kara-koschun herum kämen, nach Hause
+gezogen. Indessen hatten sie zum Glück zwei Kähne hinterlassen, und
+Proviant war reichlich vorhanden. Doch Tokta Ahun mußte sofort zu Pferd
+nach Kum-tschappgan eilen, um frische Fische zu besorgen.
+
+Am 30. machte Sturm alle Arbeiten im Freien unmöglich. Ich unterhielt
+mich daher mit den Kosaken und lag die übrige Zeit lesend auf meinem
+Bette.
+
+Der Tag darauf war günstiger; es wehte wohl, aber jetzt konnten wir
+die Wassermenge messen, die nordwärts nach dem alten Bette des Lop-nor
+drängte. Die Wellenbewegung war für einen Kahn zu stark; wir banden
+daher beide zusammen; Tschernoff und Chodai Kullu waren meine Ruderer.
+Der Kosak wußte in diesen labyrinthähnlichen Schilfdickichten, die er
+während der langen Wartezeit nach allen Richtungen hin durchkreuzt
+hatte, außerordentlich gut Bescheid.
+
+Es wurde jedoch eine ziemlich schwierige Arbeit. Chodai Kullu und
+Tokta Ahun waren vor sechs Tagen auf ihrem Wege nach der Hütte über
+acht bedeutende Strömungen geschwommen, mir gelang es aber nur, sechs
+zu messen, die vollkommen deutlich und abgegrenzt waren und zusammen
+32 Kubikmeter Wasser in der Sekunde führten. Dieser Wert ist jedoch
+sicherlich zu niedrig, denn viel fließendes Wasser ist in dem dichten
+Schilfe verborgen. Jedenfalls fanden wir, daß jetzt kolossale Mengen
+auf dem Wege nach Norden waren. Drei Millionen Kubikmeter Wasser
+im Laufe eines Tages sind in Anbetracht der ungeheuren Flachheit
+des Landes imstande, einen recht ansehnlichen See zu bilden. In dem
+lebhaftesten Arme strömte es mit einer Geschwindigkeit von 0,55 Meter
+in der Sekunde.
+
+Es mag merkwürdig erscheinen, daß das Wasser noch nicht weiter als
+ein paar Tagereisen nach Nordosten vorgedrungen war; aber wir müssen
+bedenken, daß der strohtrockene Boden ungeheure Mengen aufsaugt; er
+muß erst durchfeuchtet werden, ehe das unruhige Element seinen Weg auf
+sicherer Unterlage fortsetzen kann.
+
+Schön und frisch war es, in der sich jetzt klärenden Luft und dem
+kühlenden Winde, der durch gelbe, dürre Schilfbestände sauste, wieder
+einen ganzen Tag auf dem Wasser zuzubringen. Aber ich fühlte doch,
+daß ich jetzt von diesen Sümpfen für einige Zeit genug hatte und das
+Leben im Gebirge Abwechslungen ganz anderer Art und Erfahrungen von
+wechselnderer, mannigfaltigerer Natur bietet.
+
+Ich konnte das Land der wandernden Seen auch mit großer Befriedigung
+und Dankbarkeit verlassen, denn ich nahm reiches Material von dort
+mit. Ich hatte Manuskripte und Ruinen von Dörfern am Ufer eines Sees
+gefunden; ich hatte naturgeschichtliche Beweise für das frühere
+Vorhandensein des Sees gefunden; die Nivellierung hatte ferner
+bewiesen, daß eine Depression im nördlichen Teile der Wüste existierte,
+und schließlich, als unbestreitbares Siegel der Richtigkeit des Ganzen,
+war ich mit eigenen Augen Zeuge gewesen, wie sich der See nach seinem
+alten Bette hinbewegte, und zwar so schnell, daß wir genau überlegen
+mußten, wie weit vom Ufer wir unser Nachtlager aufschlagen konnten.
+
+Während der letzten Jahrzehnte oder seit Prschewalskijs Zeit hat der
+Kara-koschun sichtliche Neigung zum Austrocknen gezeigt. Ich bin fest
+davon überzeugt, daß wir nach Jahren den See wieder an der Stelle
+finden werden, wo er nach chinesischen Angaben einst seinen Platz
+gehabt haben soll und wo er, wie Richthofen in scharfsinniger Weise
+theoretisch bewiesen hat, auch wirklich gelegen haben muß.
+
+Daß in der Wüste, die nach meinem Nivellement so gut wie ganz
+horizontal ist, derartige Verhältnisse herrschen, ist durchaus
+kein Wunder. Der See Kara-koschun, der jetzt lange genug in ihrem
+südlichen Teile gelegen hat, verflacht durch Schlamm, Flugsand und
+verfaulende Pflanzenstoffe, während die nördliche, vertrocknete
+Fläche der Wüste von den Winden erodiert und angefressen und dadurch
+immer tiefer ausgemeißelt wird. Für diese Niveauveränderungen, die
+von rein mechanischen, lokal atmosphärischen Kraftgesetzen diktiert
+werden, muß der See, der das Endreservoir des Tarimsystems bildet,
+außerordentlich empfindlich sein. Aus physischen Notwendigkeitsgründen
+muß es schließlich dazu kommen, daß das Wasser sozusagen überfließt
+und relativ niedrigere Depressionen aufsucht. Die Vegetation und das
+Tierleben, sowie die Fischerbevölkerung und ihre luftigen Hütten
+ziehen mit an die neuen Ufer, und der alte See trocknet aus. In der
+Zukunft wiederholt sich dasselbe Phänomen in umgekehrter Ordnung,
+aber von denselben Gesetzen vorgeschrieben. Erst dann wird man, mit
+reichhaltigerem Materiale, die Länge der Periode bestimmen können. Was
+wir jetzt schon mit voller Sicherheit wissen, ist, daß im Jahre 265 n.
+Chr., im letzten Regierungsjahre des Kaisers Yüan Ti, der Lop-nor im
+nördlichen Teile der Wüste lag.
+
+Die Strecke, die wir am 1. April zurücklegten, kannte ich vom vorigen
+Jahre, und es ist stets unangenehm, denselben Weg zweimal zu machen.
+Etwas Abwechslung hatte ich jedoch dadurch, daß ich die neue Karte
+mit der vorjährigen vergleichen und die großen Veränderungen, die
+eingetreten waren, studieren mußte.
+
+Jetzt nahte sich die Jahreszeit, in welcher die Abendkühle ein
+willkommener Freund ist, unter dessen Schutz man sich von den Mühen
+des Tages erholt. Bis jetzt hatten wir freilich noch nicht über Hitze
+zu klagen brauchen, aber unser acht Monate währender Winter hatte
+uns gegen Wärme empfindlich gemacht. An diesem Abend schwebten weiße
+Wölkchen über der Erde; die Luft war rein, und der Mond verbreitete
+sein klares Licht über dem Lande des wandernden Sees. Dann und wann
+durchschneiden sausende Flügelschläge die Luft, man hört Enten
+schnattern und Wildgänse schreien und gelegentlich auch das in dieser
+Jahreszeit schwere, ungeschickte Flügelklappen der Schwäne.
+
+Am 2. April ging es nach Südwesten weiter. Nias Baki Bek, Numet Bek
+und unser alter Mollah kamen uns entgegen und meldeten, daß Faisullah
+mit der ganzen ihm anvertrauten Karawane wohlbehalten in Abdall
+eingetroffen sei. Am Ufer des Ak-köll machten wir Halt und warteten
+beim Sonnenuntergang und frühzeitigen Mückentanz auf Boote.
+
+Nachdem wir uns des herrlichen, kühlen Abends ein paar Stunden
+erfreut und im Freien zu Abend gegessen hatten, hörten wir endlich
+das Geplauder der Seeleute und Rudergeplätscher, und dann glitt ein
+Geschwader von fünf Kähnen an unser stilles Ufer heran.
+
+Sie führten uns und das Gepäck über den Ak-köll und ein Gewirr von
+anderen Seen und zuletzt auf den Fluß hinaus, +Kona Abdall+, dem
+alten Wohnorte Kuntschekkan Beks, wo ich 1896 gewohnt hatte, gerade
+gegenüber. Starke Arme ruderten uns gegen die Strömung, den Tarim
+aufwärts. Dank dem herrlichen Mondscheine konnte ich auch jetzt
+die Route aufnehmen. Es war eine jener reizenden, unvergeßlichen
+Mondscheinfahrten auf blankem Wasser, wie ich sie schon ein paarmal auf
+diesen friedlichen Wasserwegen gemacht hatte.
+
+In später Nacht erreichte mein schnelles Fahrzeug unser früheres
+astronomisches Lager, wo unsere Hunde uns mit heftigem Gebell
+empfingen, das sich aber im nächsten Augenblick, als sie uns
+wiedererkannten, in Freudengeheul verwandelte.
+
+Am folgenden Morgen maß ich die Wassermenge des Flusses, die jetzt
+156,2 Kubikmeter in der Sekunde betrug und die größte war, die ich je
+im Tarimbecken gefunden habe, aber zum Teil dem kalten, schneereichen
+Winter und dem ungewöhnlich dicken, spät aufgetauten Eise zuzuschreiben
+war.
+
+Faisullah mußte ausführlich über seine Schicksale und Erfahrungen
+seit unserer Trennung bei den Ruinen von Lôu-lan berichten. Er war 17
+Tage unterwegs gewesen und hatte mehrere unerwartete hydrographische
+Entdeckungen gemacht.
+
+Um 10 Uhr abends kam wie ein Donnerschlag der „schwarze Sturm“ und
+fegte alles, was nicht sicher befestigt war, nach Westsüdwest. Die
+ganze Gegend war in diesen dunkeln, pfeifenden Sturm gehüllt, und der
+Mond, der eben noch so kalt und hell gestrahlt hatte, wurde bleich und
+matt. Das Licht in meiner Jurte brannte erst dann, als neue Filzdecken
+über ihre Wölbung gezogen und alle Löcher und Ritzen verstopft worden
+waren. Die Kosaken, die mit einer Messung bei Kum-tschappgan beauftragt
+gewesen, kehrten erst um Mitternacht zurück und waren von den
+spritzenden Wellen ganz durchnäßt.
+
+Der nächste Tag ging verloren. Es war keine Möglichkeit, sich in diesem
+undurchdringlichen Sturme auf den Weg zu machen. Ich hatte alle meine
+Pläne im Tarim- und Lop-nor-Gebiete ausgeführt und von dem Leben in
+den Kähnen Abschied genommen und sehnte mich nun nach Tibet. Aber
+ich sollte Abdalls gastfreie Hütten nicht verlassen, ohne noch einen
+Sturm erster Klasse als Abschiedsgruß zu bekommen. Und dieser war
+eigensinnig; er dauerte 41 Stunden, und als er endlich aufhörte, war
+die Luft mit feinem, dichtem Staube erfüllt. Das einzige Nützliche, was
+wir tun konnten, war, drei vortreffliche Kamele zu kaufen; wir hatten
+jetzt im ganzen 17 Stück.
+
+Drei langweilige Tagereisen, wieder bei Sturm, trennten uns von unserem
+Hauptquartier in Tscharchlik, wo wir am Abend des 8. April von einer
+ganzen Kavalkade von Reitern empfangen wurden, die uns zwischen den
+einzeln liegenden Gärten durch nach unserem Serai geleiteten.
+
+
+
+
+Achtes Kapitel.
+
+Islam Bais Schicksal.
+
+
+Jetzt folgte eine ebenso herrliche wie notwendige Ruhezeit in der
+kleinen Stadt am Rande der Wüste. Eigentlich aber kann ich es
+kaum Ruhezeit nennen, denn ich arbeitete auch jetzt vom Morgen
+bis zum Abend. Wir hatten unzählige Angelegenheiten zu ordnen und
+vorzubereiten, denn jetzt stand die schwerste Aufgabe des ganzen
+Reiseprogramms bevor: der letzte große Aufbruch nach Tibet.
+
+Wir bewohnten ein außerordentlich nettes Serai in der Nähe des
+chinesischen Yamen. Von einer zwischen grauen Lehmmauern eingehegten
+Straße trat der Besucher in einen Hof mit Stallungen für unsere Pferde
+und Maulesel. Auf der entgegengesetzten Seite des Stallhofes führte
+eine Pforte in das große Gemach, in dem die Muselmänner wohnten; von
+hier ging ein Korridor nach der Wohnung der Kosaken. Eine kleine, neben
+letzterer liegende Kammer hatte Sirkin bereits als photographische
+Dunkelkammer eingerichtet.
+
+Hinter diesem Hause erstreckte sich ein ziemlich großer, ummauerter
+Garten mit Maulbeerbäumen, Weiden und Pappeln, und hier wurde auf einem
+schattigen Platze die große mongolische Jurte für mich aufgeschlagen.
+An den Toren des Serai stellten wir nachts stets Wachen auf, und im
+Garten ebenfalls. Als Gesellschaft in meiner friedlichen Wohnung, in
+die keine neugierigen Blicke drangen, hatte ich Jolldasch und den
+großen schwarzen, bösen Jollbars (Tiger), der einst in Jangi-köll von
+einem wütenden wilden Eber so arg zugerichtet worden war. Er konnte
+keine Fremden leiden, nur gegen mich war er fromm wie ein Lamm.
+
+Ein Hirsch, ein schönes, prächtiges Tier aus den Wäldern des
+Tschertschen-darja, den mir Dschan Daloi, der Gouverneur des Ortes,
+geschenkt hatte, war an einen Baum festgebunden; er war zahm wie ein
+Hund und wurde von mir mit Brot gefüttert (Abb. 219). Ich konnte ihm
+stundenlang Gesellschaft leisten, und wir wurden bald die besten
+Freunde. Er war jung eingefangen worden, und seine großen, braunen
+Augen suchten nicht mehr mit wehmütigen Blicken eine Gelegenheit, nach
+den friedlichen Verstecken der Wälder zurückzufliehen.
+
+Nur die allerersten Tage ruhte ich wirklich in dem Lehnstuhle, den mir
+Islam in den Grotten von Temirlik gezimmert hatte. Ich widmete diese
+Zeit der gewaltigen Post, die mir der Dschigit Jakub kurz vorher aus
+Kaschgar überbracht hatte; erst kamen natürlich die Briefe aus meinem
+geliebten Elternhause, dann ganze Ballen von schwedischen Zeitungen und
+zuletzt einige neue Bücher von meinen Lieblingsschriftstellern, Selma
+Lagerlöf, Kipling und anderen.
+
+Die Abende wurden zum Entwickeln benutzt; alle Platten, die in den
+letzten vier Monaten aufgenommen worden waren, wurden fertiggemacht
+und gaben gute Bilder. Sirkin war mir hierbei eine unschätzbare Hilfe.
+Er brachte die Dunkelkammer vor und nach ihrer Benutzung in Ordnung,
+wußte genau mit den verschiedenen Chemikalien Bescheid, überwachte das
+Trocknen und kopierte die Platten ~con amore~. Außerdem besorgte
+er das meteorologische Observatorium, das seinen Platz auf dem Dache
+hatte, wo es vor der Sonne gut geschützt war. Was seine Kameraden
+betrifft, so hatte Tschernoff die Oberaufsicht über alles, was mit der
+Karawane, unserer täglichen Kost und meiner Küche zu tun hatte; er war
+mein Koch, während Tscherdon mein Kammerdiener war.
+
+Doch schon am 12. April erhielten die beiden burjatischen Kosaken
+einen besonderen Auftrag auszuführen. Ein Punkt des Programms meiner
+letzten großen Reise war der Versuch, wenn irgend möglich, als Mongole
+verkleidet, nach Lhasa zu gelangen. Daher mußte eine vollständige
+Ausrüstung an mongolischen Kleidern, Utensilien, Kisten, Geschirr usw.
+angeschafft werden; mit einem Worte alles, was man bei den Mongolen,
+die die Wallfahrt nach der heiligen Stadt machen, zu finden pflegt.
+Alles dieses sollte Schagdur, der von allen Karawanenleuten allein in
+meine Pläne eingeweiht war, bei einem Besuche in Kara-schahr einkaufen.
+Damit er sich auf dieser langen Reise, zu der ihm ein Monat zur
+Verfügung stand, nicht gar zu einsam zu fühlen brauchte, gab ich ihm
+Tscherdon als Begleiter mit. Sie bekamen ausgeruhte Pferde, kannten
+beide den Weg, waren schon in Korla und Kara-schahr gewesen und waren
+alle beide so klug und zuverlässig, daß ich mich ihretwegen keinen
+Augenblick zu beunruhigen brauchte.
+
+[Illustration: 203. Aussicht nach Südwesten von dem Tora des
+Hauptquartiers. (S. 38.)]
+
+[Illustration: 204. Das Haus in der unmittelbaren Nähe des Lagers. (S.
+38.)]
+
+[Illustration: 205. Der Lehmturm von der Südseite. (S. 38.)]
+
+Die Tage verrannen gar zu schnell, aber jeder Tag hatte seine Arbeit.
+Ich tröstete mich damit, daß es für das Gebirge noch zu früh sei;
+sogar hier unten fing das Grün jetzt erst an auszuschlagen, im
+Hochgebirge würde es bis zum Aufsprießen des Grases wenigstens noch
+sechs Wochen dauern. Unterdessen mußten unsere Tiere ruhen, fressen
+und zu den ihnen bevorstehenden schweren Strapazen Kräfte sammeln.
+Sie erhielten Kamisch und Mais in Menge und wurden von ihren Knechten
+mustergültig gepflegt. Turdu Bai war der Herr der Kamele und stand für
+ihr Wohlergehen ein. Die Kerntruppe der Karawane wurde mit zwanzig
+neuen Kamelen, die Islam Bai in Tscharchlik kaufte, verstärkt. Als wir
+schließlich aufbrachen, hatten wir nicht weniger als 39 Kamele, unter
+denen jedoch drei Junge waren. Das letzte von diesen wurde am 6. Mai
+geboren und beinahe unmittelbar darauf von uns in Augenschein genommen.
+Das arme Kleine konnte kaum auf seinen langen, zitternden Beinen stehen
+und betrachtete mit neugierigen, aufmerksamen Blicken die unruhige
+Welt, die es umgab. Binnen weniger Tage sprang es jedoch ganz lustig
+und heimisch auf dem Stallhofe umher und wurde bald der Liebling aller.
+Es wurde mit besonderer Sorgfalt gepflegt und begleitete uns auf dem
+größten Teile der Reise durch Tibet, und als es starb, hatte es seine
+beiden Kameraden längst verloren (Abb. 220).
+
+Die Kamele wurden tagsüber auf die Weide, bei Sonnenuntergang aber nach
+einem offenen Platze vor unserem Hofe geführt. Dort erhielten sie als
+Abendfutter Mais, der ihnen sackweise auf Matten geschüttet wurde.
+
+Die Pferde und Maulesel fraßen im Stallhofe aus ihren Krippen. An
+heißen Tagen nahmen sie ein Bad in einem großen Teiche, der inmitten
+dichtbelaubter Weiden vor der Eingangspforte des Serai lag, und hier
+versammelten sich stets Scharen von Reisenden und Neugierigen (Abb.
+221).
+
+Der Unterhalt der immer größer werdenden Karawane wurde ziemlich teuer.
+Alle die neuen Diener, die nach und nach in meine Karawanenliste
+eingeschrieben wurden, sollten beköstigt werden und Lohnvorschuß
+erhalten. Täglich wurde mindestens ein Schaf geschlachtet, und Massen
+von Reis, Brot und Eiern wurden aufgegessen. Andererseits aber war es
+ein großer Vorteil, daß alle, Menschen und Tiere, die jetzt ins Feuer
+sollten, Kräfte für die schweren Tage sammelten.
+
+Schon bei unserer Rückkehr nach Tscharchlik hatte Islam Bai den
+Proviant der ganzen Karawane für eine etwa zehnmonatige Reise
+angeschafft. Er bestand aus Reis, Mehl und Talkan (geröstetes Mehl,
+das, mit Wasser angerührt, als Suppe gegessen wird). Später sollte eine
+ganze Schafherde gekauft werden; im übrigen würde der Ertrag der Jagd
+so reich werden, daß es uns, auch abgesehen von den Schafen, nicht an
+frischem Fleische zu fehlen brauchte.
+
+Für mich selbst hatte ich ein paar hundert Konservenbüchsen, die mir
+Oberst Saizeff in Osch besorgt hatte; sie wurden mir jedoch bald
+so zuwider, daß die Kosaken den größeren Teil davon nehmen mußten.
+Eingemachte Früchte, Gemüse und Suppen blieben jedoch die ganze Zeit
+genießbar.
+
+Für die Kamele und die Pferde wurde ein großer Vorrat Mais in Säcken
+mitgenommen. Es handelte sich nur darum, wie diese schwere Last
+transportiert werden sollte. Ich dachte daran, zu diesem Zwecke Esel zu
+kaufen; ein Esel kostet in Tscharchlik nur 10 Sär (30 Mark). Aber eine
+hinreichend große Eselkarawane erforderte mindestens ein halbes Dutzend
+Treiber, und wenn dann die armen Tiere zusammengebrochen waren, würden
+wir alle diese Männer nutzlos, aber zu großem Schaden für unseren
+Proviant, auf dem Halse haben. Statt dessen beschloß ich, 70 Esel
+auf zwei Monate zu mieten. Sie kosteten freilich je 5 Sär den Monat,
+also ebensoviel, wie wenn wir sie gekauft hätten, aber wir hatten den
+Vorteil, daß wir nun von allen Sorgen um den Transport befreit waren
+und es Sache der Eseltreiber war, wie sie wieder nach Tscharchlik
+zurückkamen. Das Geschäft wurde mit dem alten Dowlet Karawan-baschi aus
+Buchara abgeschlossen, der sich vorzüglich bewährte, aber selbst wenig
+Gewinn davon hatte, da beinahe alle seine Esel dabei draufgingen.
+
+Am 28. April traf mein alter Diener Mollah Schah aus Tschertschen ein.
+Er sollte durchaus mit auf diese Reise, denn er hatte an Littledales
+Zug nach dem Tengri-nor und Ladak teilgenommen und kannte daher die
+Hilfsquellen des Landes genauer als alle anderen.
+
+Ich mußte unaufhörlich Besuche von Dienstsuchenden und anderen in
+meinem Garten empfangen. Bald kam dieser, bald jener mit der Bitte,
+mich begleiten zu dürfen. Aber mein Stab war schon ausgewählt, und
+wir wollten nicht zuviele Leute haben. Wir waren sogar der Meinung,
+daß einige der angestellten Männer vom Arka-tag, sobald alles in
+Ordnung war und die Tiere sich an ihre Lasten und an die Marschordnung
+gewöhnt hatten, zurückgeschickt werden könnten. Der Vater des toten
+Aldat suchte mich auch auf und erhielt ein Geldgeschenk. Dschan Daloi,
+der Amban von Tscharchlik, befand sich auf seiner Dienstreise nach
+Kara-schahr; aber sein kleiner sechsjähriger Sohn besuchte mich oft in
+meiner Jurte. Er zeigte stets in seiner Rede und seinem Benehmen den
+feinen, eleganten Umgangston, der gebildete Chinesen kennzeichnet. Ich
+schenkte dem Knaben Süßigkeiten, illustrierte Zeitungen und allerlei
+Kleinigkeiten, die sein großes Entzücken erregten, und er versäumte
+nie, mir zum Dank Obst mitzubringen oder meinen Pferden einige Bündel
+frischen Klee zu senden. Anfang Mai starb er an den Blattern; der arme
+Vater kam einen Tag zu spät heim, um in der Todesstunde bei ihm sein zu
+können.
+
+Das Wetter war herrlich. Es stürmte beinahe unaufhörlich; dadurch
+blieb die Luft frisch und kühl. Die Atmosphäre war voller Staub, der
+die Sonne verhüllte. Abends war es manchmal so kalt, daß ich das
+Innere der Jurte mit einem Kohlenbecken erwärmen mußte. Am Tage aber
+war es mir ein Genuß, dem Heulen des Windes in den Maulbeer- und
+Pflaumenbäumen zuzuhören; ich weiß nicht, wie es kam, aber es war mir
+stets besonders behaglich zumute, wenn es recht toll stürmte.
+
+Anfang Mai wurde es jedoch fühlbar heiß. Am 1. Mai hatten wir +32,7
+Grad im Schatten; die Luft war klar und ruhig, und im Süden glänzten
+die Firnfelder auf den höchsten Gipfeln des Astin-tag. Heimtückisch
+lockten jene schönen Berge, die dem größeren Teile meiner Karawane das
+Leben kosten sollten.
+
+Doch die Zeit verging, und der Tag des Aufbruchs nahte heran. Das ganze
+Gepäck wurde in Säcken und Kisten untergebracht. Am 22. April standen
+fünfzehn Kamellasten verschnürt und festgebunden auf ihren Saumleitern
+und brauchten nur noch auf ihre Träger hinaufgehoben zu werden. Einige
+Tage später war die ganze Last auf dem Seraihofe bereit (Abb. 222).
+Da lagen sie in langen Reihen, diese schweren Ballen, die quer durch
+Tibet getragen werden sollten. Bei ihrem Anblick war ich starr, aber
+Turdu Bai versicherte, daß die Lasten durchaus nicht zu schwer seien
+und überdies auch mit jedem Tage an Gewicht verlieren würden. Dort sah
+man die fest auf ihre Leitern gebundenen Reissäcke, in einer anderen
+Reihe stand der Mais, in einer dritten das gebrannte Mehl und mehrere
+Lasten mit eigens für uns gebackenem Brote. Große Ballen enthielten
+Pelze für die Leute und weißen Filz zu Mänteln für die Kamele. Lange
+Reihen von Kisten bargen meine persönliche Habe, Reserveinstrumente,
+Kleidungsstücke, Bücher, Konserven usw.
+
+Um jedoch die Last nicht schwerer zu machen, als sie notwendigerweise
+sein mußte, hatte ich gleich nach meiner Ankunft im Hauptquartier alles
+ausgesondert, was sich entbehren ließ, darunter auch die Sammlungen an
+Gesteinproben, Skelette, Pflanzen und die archäologischen Funde aus
+Lôu-lan. Von allem diesen, das acht tüchtige Kamellasten ausmachte,
+wollten wir uns befreien. Es sollte nach Kaschgar geschickt werden und
+bei Generalkonsul Petrowskij in Verwahrung bleiben.
+
+Doch wem sollte ich diese wichtige Sendung anvertrauen? Sollte ich
+es von den Chinesen besorgen lassen? Nein, dies wagte ich nicht. Ich
+wollte schon an Chalmet, den Aksakal von Korla, schreiben, als das
+Rätsel eine sehr einfache, aber höchst unerwartete Lösung erhielt.
+Islam Bai suchte mich eines Abends, als ich allein in meinem Zelte
+war, auf und bat, die Sammlungen nach Kaschgar bringen zu dürfen.
+Ich sprach meine Verwunderung aus, daß er mich gerade jetzt, da die
+größten Schwierigkeiten und Gefahren begannen, verlassen wollte, doch
+er antwortete ohne Bedenken „ja“. Er gab als Grund an, daß er sich
+alt und müde fühle und fürchte, mir nicht von so großem Nutzen, wie
+ich gedacht, sein zu können. Es tat mir freilich weh, mich von ihm zu
+trennen, aber ich hatte gemerkt, daß er die Kosaken nicht ausstehen
+konnte und die Muselmänner, unter denen er übrigens stets exemplarische
+Disziplin gehalten hatte, sehr hart behandelte. Ich verdankte ihm viel
+und wollte ihm auch jetzt einen Beweis meines Vertrauens geben. Daher
+stellte ich für ihn folgendes Programm auf. Er sollte die Sammlungen
+in zwei Monaten über Korla, Kutschar und Aksu nach Kaschgar führen,
+bis Korla auf Kamelen, dann auf Arben, und für alle diese Städte gab
+ich ihm Empfehlungsbriefe mit. Seinen rückständigen Lohn, 300 Rubel,
+erhielt er in Gold, außerdem sollten ihm die Reisekosten für ihn selbst
+und der Transport vergütet werden.
+
+Von Kaschgar sollte er nach Osch heimreisen und dort fünf Monate
+bleiben, dann aber wieder nach Kaschgar zurückkehren und einen Auftrag
+ausführen, über den ihm Herr Petrowskij genauere Auskunft erteilen
+würde. Es handelte sich nämlich darum, mir eine größere Geldsumme und
+meine dann ganz gewiß sehr große Post nach Ladak zu bringen. Dieses
+Vertrauen schmeichelte ihm und versöhnte uns beide mit der Bitterkeit
+der Trennung.
+
+Der alte Faisullah sollte ihn nach Kaschgar begleiten. Er war müde
+und fürchtete die Gebirgsluft. Er hatte mir zwei Jahre treu und
+mustergültig gedient und erhielt eine große Extrabelohnung in Silber
+nebst einem Reitpferd. Die anderen versuchten vergeblich, ihn zu
+überreden, uns zu begleiten, denn alle hielten viel von ihm, während
+dagegen Islams Ausscheiden aus der Karawane nur Befriedigung erregte.
+
+Am 5. Mai zogen sie mit ihren acht Kamelen, drei Pferden und drei bis
+Korla gemieteten Leuten ab. Es stürmte an jenem Tage außerordentlich
+heftig, und schon da, wo das Gäßchen auf einen offenen Platz mündete,
+verschwand die Karawane in dichten Staubwolken. Ich hatte während des
+letzten Jahres nicht viel von Islam Bai gesehen, denn er war stets,
+während ich mich auf Reisen befunden hatte, als mein Karawan-baschi im
+Hauptquartier geblieben. Niemand hatte sich bei mir über ihn beklagt,
+aber nun, da er fort war, merkte man bald den Unterschied. Die Stimmung
+wurde heiter und gemütlich, alle waren vergnügt und zufrieden, und
+jeder ging mit Freude an seine Arbeit.
+
+Islam Bai nahm eine gewaltige Post von mir mit. Ich hatte einen 216
+Seiten langen Brief -- ein ganzes Buch -- an meine Eltern und außerdem
+noch ausführliche Briefe an König Oskar und den Kaiser von Rußland
+geschrieben. Ich hatte auch an viele meiner Freunde in der Heimat
+geschrieben, namentlich an Adolf Nordenskiöld. Er empfing meinen Brief
+einige Tage vor seinem Tode. Er war einer von denjenigen Freunden, die
+man nur durch den Tod verliert.
+
+Ein wichtiges Schreiben, das Mr. Macartney in Kaschgar befördern
+sollte, war an Lord Curzon, den Vizekönig von Indien, adressiert. Ich
+teilte ihm darin mit, daß ich zu Ende des Jahres wahrscheinlich in Leh
+in Ladak einträfe, und bat ihn, in dieser Stadt eine Summe von 3000
+Rupien aufnehmen zu dürfen. Ich erwähnte auch die Möglichkeit eines
+kurzen Besuches in Indien und bat, in diesem Falle einen der Kosaken
+mitbringen zu dürfen.
+
+Der Weg, den ich wählte, um auf das tibetische Hochland
+hinaufzugelangen, führt durch das enge Tal des Tscharchlik-su und
+ist vor mir noch nie von einem Europäer versucht worden. Dieser Weg
+ist aber für Kamele absolut unmöglich und selbst für Packpferde sehr
+schwer. Wir mußten daher die Sache auf andere Weise einrichten. Die
+große, schwerbeladene Karawane sollte von Tschernoff, Tscherdon und
+Turdu Bai über Tattlik-bulak und Bag-tokai nach dem Westufer des
+unteren Kum-köll geführt werden, wohin ich mich, nur von wenigen
+Dienern begleitet, auf dem näheren, aber schwierigeren Wege durch das
+Tal begeben wollte.
+
+Am 8. Mai waren wir reisefertig (Abb. 224). Alle Lasten, einige
+achtzig, standen in der Gasse vor dem großen Tore aufgereiht und wurden
+nun schnell auf die Rücken der wartenden Tiere gelegt. Es war eine
+gewaltige Karawane, die größte, die ich je zuvor unbekannten Geschicken
+entgegengeführt hatte, die größte, die je unter Führung eines Europäers
+in das Innere von Tibet eingedrungen ist. Sie wurde in verschiedenen
+Abteilungen abgeführt und nahm den ganzen Weg nach dem Yamen ein.
+Zuerst schwankten meine Kisten im Sonnenbrande fort, dann die Sachen
+der Leute, die Zelte und das Boot, und darauf die verschiedenen
+Proviantkarawanen, jede Abteilung mit ihren besonderen Führern.
+
+Wieviel leichter ist es doch für einen Seefahrer oder eine Expedition,
+die nicht weit bis zur Küste hat, mit großen Sammlungen heimzukehren!
+Man braucht sie nur einzuschiffen. Im inneren Asien dagegen muß
+jeder Gegenstand, den man zu Anfang der Fahrt erwirbt, Tausende von
+Kilometern unter außerordentlich ungünstigen Verhältnissen auf Pferden
+oder Kamelen mitgeschleppt werden. Die Lasten müssen jahrelang jeden
+Morgen auf- und jeden Abend abgeladen werden. Ich verdanke es nur dem
+Entgegenkommen des Dalai-Lama, daß die während dieser letzten Reise
+in Tibet gemachten Sammlungen überhaupt aus dem Lande gebracht werden
+konnten.
+
+Bisher hatte ich in der großen, geräumigen Mongolenjurte gewohnt, die
+jetzt aber von der Karawane mitgenommen wurde, während ich in die
+kleine, nur aus einem Holzringe, etwa zwanzig Stangen und einigen
+weißen Filzdecken bestehende Jurte übersiedelte. Sie war bis Ladak
+meine Wohnung. Als der Umzug vor sich ging, fanden wir einen großen,
+abscheulichen, strohgelbgrauen Skorpion unter einer der Kisten;
+er hatte mir gewiß die ganze Zeit über in der Jurte Gesellschaft
+geleistet, mir aber merkwürdigerweise nichts zuleide getan. Einer der
+Leute dagegen wurde, als er den Pferden Stroh gab, von einem Skorpion
+gestochen. Er mußte ein paar Tage liegen, ehe der Schmerz aufhörte. --
+
+So setzte sich denn die Karawane in Gang. Zwei von den jungen Kamelen
+liefen ungebunden mit ihren Müttern, die ihre Kinder ängstlich im
+Auge behielten. Das jüngste Füllen dagegen, das erst ein paar Tage
+alt war, wurde sorgfältig in Filzdecken gepackt und zwischen zwei
+Kisten auf mein altes Reitkamel gelegt. Die Mutter ging unmittelbar
+hinter ihm; sie brüllte unruhig und suchte ihr Junges, bis sie es in
+seinem Versteck ausfindig gemacht hatte. Die Pferde waren von Fett und
+Wohlergehen halb wild geworden; sie machten draußen auf der Straße
+einen entsetzlichen Spektakel, schüttelten die Lasten ab und liefen
+wild durcheinander. Doch sie trugen nur Proviantsäcke, und diese
+konnten eine solche Behandlungsweise vertragen.
+
+Es war ein großartiger Anblick, als dieser gewaltige Zug unter
+Glockenklang, Geschrei, Rufen, Brüllen und Wiehern von unserem
+ruhigen Serai und aus dem Schatten der Weiden fortzog. Nur wenige
+Tiere sollten grüne Gärten wiedersehen und wieder im Stalle in ihren
+Ständen Mais fressen. Wie fühlte ich mich jetzt reich als Besitzer all
+dieser Herrlichkeit; wie mächtig erschien mir dieses Werkzeug, mit
+welchem ich, wenn ich es richtig anwandte, große Teile von Tibet der
+Wissenschaft würde erschließen können! Und doch überkam mich Wehmut,
+als ich den bunten, gewaltigen, lebensfrohen Zug betrachtete. Nie haben
+die Glocken der Kamele in so hohem Grade wie jetzt zum Begräbnis,
+nein, zu einer ganzen Reihe von Begräbnissen geläutet! Ich ahnte, daß
+dieser Weg für die meisten ein Todesweg werden würde, ein Weg, der
+Tränen kostete, und daß die Route auf der Karte nicht zufällig mit Rot
+eingetragen werden würde, -- sie kostete Blut!
+
+Wie elend und armselig sollte diese prächtige Karawane am Ende des
+Jahres aussehen, wie verringert an Zahl und geschwächt an Kräften! Nur
+ein Fünftel bestand die Probe. Sogar ein paar der Männer starben, und
+alle anderen, ich nicht zum wenigsten, waren kraftlos und erschöpft,
+als wir Tibet durchzogen hatten. Es wurde die anstrengendste,
+schwerste Reise, die ich je gemacht habe. Bei mehr als einer
+Gelegenheit war ich dem Tode näher als damals, als ich 1895 in der
+Wüste Takla-makan vor Durst verschmachtete; damals aber, in der Wüste,
+dauerte das Leiden nur ein paar Wochen; hier in Tibet aber gehörten
+Leiden zur Tagesordnung, nachdem die wirklichen Schwierigkeiten einmal
+angefangen hatten. Ich mache lieber noch zehn Reisen durch die Wüste
+Takla-makan als noch einen solchen Zug durch Tibet!
+
+Tschernoff führte den Oberbefehl über die Pferde und hatte bestimmte
+Befehle, wie er marschieren sollte. Turdu Bai war Chef der
+Kamelkarawane. Sie sollten sich erst nach Abdall begeben und dann auf
+dem bekannten Wege ins Gebirge hinaufziehen. In Abdall sollten sie 50
+Schafe kaufen und auf Tscherdon warten, der von Kara-schahr dorthin
+unterwegs war. Sie nahmen den Hirsch mit; er folgte den Kamelen treu
+wie ein Hund und wurde mit größter Fürsorge behandelt. Sieben Hunde,
+unter ihnen Malenki und Maltschik, die eben mit in der Wüste Gobi
+gewesen waren, gehörten mit zum Zuge. Alles ging gut, und der Leser
+wird sie alle nach etwa einem Monat am Ufer des Kum-köll wiedertreffen.
+
+Jetzt lag unser Serai öde und still da; die Höfe standen leer, und wir
+fühlten uns einsam und verlassen. Sirkin war jetzt mein Kammerdiener
+und Li Loje mein Koch. Mollah Schah besorgte unsere Pferde. Nur diese
+drei Leute hatte ich bei mir, nebst Jolldasch, der nie von meiner Jurte
+wich.
+
+Jetzt mußte nur noch die Eselkarawane auf den Marsch gebracht werden,
+die über Owras-sai und Kara-tschokka gehen und bei Bag-tokai mit der
+großen Karawane zusammentreffen sollte. Am Morgen des 13. war der alte
+Dowlet Karawan-baschi fertig und hatte seine 70 Esel mit Mais beladen
+und seine zehn Untergebenen mit Proviant und Pelzen ausgerüstet. So zog
+nun auch diese Abteilung der Karawane, der eigentliche „Train“, ins
+Gebirge hinauf.
+
+Jetzt waren unsere Truppen geteilter als je zuvor. Ich selbst lag
+in Tscharchlik, die Karawane war auf dem Wege nach Abdall, die Esel
+zogen nach dem Aftin-tag, Schagdur war noch nicht aus Kara-schahr
+zurückgekehrt, und Islam Bai würde mitten in der ärgsten Sommerhitze
+mit meinen Sammlungen in Kaschgar eintreffen. Ich kam mir vor wie ein
+Feldherr, der alle Fäden in seiner Hand halten muß. Es galt jetzt, so
+mit den Truppen zu manövrieren, daß alles klappte und die Berechnungen
+stimmten, wenn die rechte Zeit da war.
+
+Am 14. Mai traf um die Mittagzeit ein Mann aus dem Dorfe Lop ein und
+brachte gute Nachrichten von Schagdur, der mir jedoch schrieb, daß
+seine Pferde sehr abgehetzt seien, weshalb Sirkin sich rüstete, um
+seinem Kameraden mit drei frischen Pferden entgegenzuziehen. Als er
+gerade fortreiten wollte, ritt die kleine Karawane schon in den Hof
+ein. Nun waren alle unsere Besorgnisse wegen der Burjaten mit einem
+Schlage beendet. Tscherdon hatte meinen Befehl in Tscheggelik-ui
+erhalten und sich schleunigst im Kahne nach Abdall begeben.
+
+Schagdur hatte seinen Auftrag natürlich in vortrefflicher Weise
+ausgeführt. Er brachte die ganze mongolische Ausrüstung mit, deren wir
+für unsere Pilgerfahrt bedurften, und obendrein noch einen wirklichen,
+echten Lama, Schereb Lama, der 27 Jahre alt und aus Urga gebürtig war,
+aber einem Tempel vor den Toren von Kara-schahr angehörte (Abb. 223).
+Der Lama trug sein rotes Priestergewand, das eigentlich wie ein langer,
+durch einen Gürtel zusammengehaltener Schlafrock aussah, und auf dem
+Kopfe ein chinesisches rundes Käppchen. Ich kam ihm sehr freundlich
+entgegen, damit er sich vom ersten Augenblick an bei uns heimisch
+fühlen sollte, und begann sofort, meine eingerosteten Kenntnisse der
+mongolischen Sprache wieder aufzufrischen. Es dauerte auch nicht viele
+Wochen, bis ich mit dem Lama, wie wir ihn einfach nannten, ziemlich
+fließend sprechen konnte. Er war die interessanteste Persönlichkeit
+unserer reisenden Gesellschaft; der Leser wird bald seine Bekanntschaft
+machen. Mit mir stand er schon nach wenigen Tagen auf sehr vertrautem
+Fuße und kam stets zu mir, sobald er etwas auf dem Herzen hatte. Er war
+bereit, sein Leben für mich zu lassen, und es ist wirklich ein Wunder,
+daß er es um meinetwillen nicht verloren hat.
+
+Schagdur hatte noch zwei Reisegefährten, alte Bekannte von uns,
+mitgebracht. Der eine war Ördek, der den Tempel in Lôu-lan entdeckt
+hatte, der andere Chalmet Aksakal von Korla. Es war ein recht
+eigentümliches, interessantes Quartett, das jetzt die Bevölkerung
+unseres leeren Serai vergrößerte, und die Stimmung wurde wieder heiter.
+Jeder von den vier Gästen mußte vorbringen, was er auf dem Herzen
+hatte. Zuerst berichtete Schagdur über seine Mission, zeigte seine
+Abrechnung und lieferte den Rest der erhaltenen Summe wieder ab. Er
+brachte ungefähr die Hälfte wieder, -- ein anderer Asiat hätte dieses
+Geld natürlich in seine eigene Tasche gesteckt, aber Schagdur war ein
+ehrlicher, redlich denkender Mensch. Schon der Gedanke zu stehlen wäre
+ihm ganz absurd vorgekommen.
+
+[Illustration: 206. Der Turm von Nordost. (S. 40.)]
+
+[Illustration: 207. Abbruch eines Turmes. (S. 40.)]
+
+[Illustration: 208. Haus mit stehengebliebenen Türen. (S. 40.)]
+
+[Illustration: 209. Ausgrabungen im Buddhatempel. (S. 43.)]
+
+[Illustration: 210. Schnitzereien in Pappelholz. (S. 43.)
+
+Rechts ein Buddhabild, unter diesem ein Fisch.
+
+Das Maß zur Linken ist 1 Meter.]
+
+Ördek war gesund und munter und bat aufs flehentlichste, mitkommen
+zu dürfen, gleichviel wohin und unter welchen Bedingungen. Als
+er im vorigen Jahre um seine Entlassung bat, hatte er als Grund
+eine bösartige Krankheit angegeben. Jetzt versicherte er, dies sei
+gelogen und der wahre Grund der gewesen, daß Islam ihn mit dem Tode
+bedroht habe, wenn er es wagen würde, sich in Temirlik sehen zu lassen.
+
+Jetzt, da Islam uns verlassen hatte, zog sich ein Unwetter über ihm
+zusammen. Ördek aber wurde unter denselben Bedingungen wie früher fest
+angestellt, mußte sich alles Nötige besorgen und erhielt den Befehl,
+den Eseln nachzueilen und mit ihnen nach dem Kum-köll zu ziehen.
+
+Der Lama war im vorigen Winter von einer Pilgerfahrt nach Lhasa
+zurückgekehrt, wo er eine Zeitlang in einigen Tempeln die heiligen
+Bücher studiert hatte. Auf der Rückreise hatte er einen anderen Lama
+aus Kara-schahr als Genossen gehabt und dabei in Zaidam Kosloffs
+Expedition gesehen. Dies war das einzige Mal auf der ganzen Reise, daß
+ich etwas von meinem russischen Freunde hörte.
+
+Schereb Lama war sofort außerordentlich geneigt gewesen, die
+burjatischen Kosaken nach Lhasa zu begleiten, und hatte ihnen so
+viel von den Herrlichkeiten dieser Stadt erzählt, daß Schagdur vor
+Sehnsucht brannte, dorthin zu kommen. Der Lama war aber mißtrauisch
+gewesen und hatte gefragt, ob auch ein „Russe“ mitwolle, denn dann
+könne er sich mit der Sache nicht befassen, -- das würde ihm das Leben
+kosten. Schagdur hatte beteuert, daß kein Russe mitgenommen würde. Der
+Lama erklärte mir nun, daß er mich gern überallhin begleiten wolle,
+-- nur nicht nach Lhasa, und daß er mit einem Lohne von zwei Jamben
+für die ganze Zeit zufrieden sei. Er erzählte dann allerlei von der
+heiligen Stadt und der Wallfahrt und sagte, daß Lhasa schon in einer
+Entfernung von zehn Tagereisen von Reitern und Grenzaufsehern umgeben
+sei, die jede ankommende Karawane, ja jeden einzelnen Reiter gründlich
+untersuchten. Alle würden auf diese Weise angehalten, und erst nachdem
+ihre Pässe in Lhasa geprüft und von dort Bescheid gekommen sei, dürften
+sie frei passieren. Die große Mongolenkarawane, die voriges Jahr an
+unserem Lager in Temirlik vorbeigezogen war, sei zehn Tage aufgehalten
+worden, weil man in Erfahrung gebracht, daß unsere Karawane an der
+Grenze des Landes der Zaidammongolen lagere, und man wahrscheinlich
+befürchtet habe, daß sich irgendein Unbefugter mit ihr einschleichen
+wolle.
+
+Darauf kam die Reihe an Chalmet Aksakal. Zuerst fragte ich ihn, ob
+er mir einen großen Dienst erweisen wolle, was er selbstverständlich
+bejahte. Er solle mir zehn Jamben Silber leihen, nach damaligem
+Silberwert etwa 2000 Mark. Bald darauf reihte er die Silberbarren
+in meinem Zelte auf. Ohne diese Verstärkung meiner Kasse würde ich
+in Südtibet in eine äußerst unangenehme Lage geraten sein. Nach
+meinem Diktat schrieb er einen Brief in türkischer Sprache an Herrn
+Petrowskij, welches Schreiben von mir unterzeichnet wurde und als
+Wechsel für besagte Summe galt, der auch rechtzeitig eingelöst wurde.
+
+Nun war also endlich alles klipp und klar, und wir konnten am nächsten
+Morgen, 15. Mai, aufbrechen. Daraus sollte jedoch nichts werden.
+Um 5 Uhr fing es in außergewöhnlicher Weise an zu gießen, und der
+Donner rollte dumpf in den Bergen -- ein passender Hintergrund zu der
+traurigen Überraschung, die mir an diesem Abend bevorstand. Neue Wolken
+ballten sich über dem armen Islam Bai zusammen!
+
+Chalmet Aksakal beklagte sich darüber, daß Islam in Korla 27 Sär von
+ihm entliehen und ihn, als er das Geld zurückgefordert, beschimpft und
+verhöhnt habe. Jetzt behauptete er auch, wohlbegründete Veranlassung zu
+der Vermutung zu haben, daß auch ich bestohlen worden sei. Ich begriff
+gar nicht, was er meinte. Islam Bai? Nein, das war nicht möglich! Er,
+der fünf Jahre lang mein Geschick geteilt hatte, mit mir in der Wüste
+beinahe umgekommen war und so viele Beweise meines Vertrauens und
+meiner Zuneigung erhalten hatte, er, der so viele Geschenke bekommen
+hatte und höheren Lohn erhielt als alle anderen und der die goldene
+Medaille für Treue und Redlichkeit trug!
+
+Doch schon bei der ersten vorsichtigen Untersuchung in Tscharchlik
+kam allerlei an den Tag. Schagdur hatte Islam Bai in Temirlik für 165
+Sär Gold von Goldgräbern aus Bokalik kaufen sehen, sich aber keine
+Einmischung erlaubt, weil er überzeugt war, daß es auf meinen Befehl
+geschehen sei. Sirkin und Ördek hatte Islam um 16 und 10 Sär betrogen,
+sie hatten mir aber nicht durch Klagen lästig fallen wollen. Man könnte
+sagen, daß die Wahrheit durch reinen Zufall ans Licht gekommen sei,
+wenn man nicht darin vielmehr die Strafe der himmlischen Gerechtigkeit
+sehen müßte. Chalmet Aksakal war brieflich beauftragt worden, Zucker
+u. dgl. zu kaufen und uns zu schicken. Als ich in das Hauptquartier
+zurückkam und die Rechnung sah, fand ich sie sehr hoch. Islam verstand
+es damals, mir zu beweisen, daß sie um 23 Sär zu hoch war. Ich hatte
+mir darauf Chalmet Aksakals Bruder, einen Tscharchliker Kaufmann
+namens Osman Bai, kommen lassen, hielt ihm eine niederschmetternde
+Rede und sagte, daß sein Bruder sich als unredlicher Mensch bewiesen
+habe. Osman verteidigte ihn und bat mich himmelhoch, doch nicht der
+Verleumdung Glauben zu schenken. Da ich mich nicht überzeugen ließ,
+hatte Osman einen Eilboten nach Korla geschickt und seinem Bruder
+geraten, unverzüglich zu kommen, da hier Böses gegen ihn im Werke sei.
+Er kam nun auch mit Schagdur. Als sie Islam bei Tikkenlik begegneten,
+war er sichtlich unangenehm berührt gewesen und hatte gesagt, er sei
+beauftragt, den Kosaken mitzuteilen, daß ich meinen Plan geändert hätte
+und sie über Abdall und Tschimen reiten müßten, wenn sie mich finden
+wollten. Hätten sie ihm geglaubt, so würde ich sie erst Anfang Juni
+am Kum-köll getroffen haben. Doch Islams Plan, der darauf angelegt
+war, ihm bis Kaschgar Vorsprung zu verschaffen, scheiterte an der
+Pflichttreue der Burjaten. Sie wußten, daß sie sich ausschließlich
+nach meinen eigenen schriftlichen oder mündlichen Befehlen zu richten
+hatten, und da ich glücklicherweise ein paar Tage vorher mit der
+chinesischen Post einen Brief an Schagdur geschickt hatte, kehrte sich
+dieser nicht an Islams intrigante Reden und begab sich direkt nach
+Tscharchlik.
+
+Infolge der vorläufigen Untersuchung, die jetzt angestellt wurde,
+verzögerte sich unsere Abreise um ein paar Tage. Als wir endlich
+aufbrechen konnten, begleitete uns der Aksakal noch auf der ersten
+Tagereise. Als er nach Korla zurückkehrte, nahm er ein Schreiben an den
+Generalkonsul mit, der Islam Bai, welcher russischer Untertan war, auf
+mein Ersuchen gleich bei seiner Ankunft in Kaschgar verhaften und alle
+seine Effekten untersuchen lassen sollte. Alles darunter befindliche
+chinesische Silbergeld und das rohe Gold sollten mit Beschlag belegt
+werden.
+
+Doch ehe ich erzähle, wie es Islam in Kaschgar ging, will ich zeigen,
+daß er das Schicksal, das ihn traf, in jeder Hinsicht verdient hatte.
+Als wir in Kum-köll mit der Karawane zusammentrafen, wurden alle meine
+Diener einzeln verhört. Jeden hatte er um größere oder kleinere Summen
+betrogen; nur Tschernoff hatte sich nicht überlisten lassen. Im ganzen
+ließen sich etwa 12 Jamben nachweisen, die er den Eingeborenen nach
+und nach in größeren oder kleineren Beträgen abgenommen hatte, und mir
+hatte er durch gewisse Geschäftspraktiken 9 Jamben veruntreut, einen
+großen Teil davon bei den letzten Kamelankäufen.
+
+Schon in Jangi-köll hatte ich einen großen Vorrat von Tschapanen,
+Pelzen und Stiefeln kaufen müssen, die unseren Dienern geschenkt werden
+sollten. Die Sachen waren allerdings unter sie verteilt worden, aber
+Islam hatte sich dafür bezahlen lassen und den Gewinn in seine Tasche
+gesteckt.
+
+Es ist seltsam, daß ich nie gemerkt hatte, wie ich täglich so gemein
+bestohlen wurde; aber es war doch auch wieder erklärlich. Erstens
+wurden alle Auszahlungen aus meinen Geldkisten ordnungsmäßig gebucht,
+und direkter Kassendiebstahl war nie vorgekommen; dazu war Islam viel
+zu klug. Da aber alle größeren Beträge für den Ankauf von Proviant,
+Kamelen und Pferden und die Löhne der Leute durch Islams Hände gingen,
+hatte er Gelegenheit, den Lieferanten weniger zu geben, als sie zu
+fordern berechtigt waren. Die guten Eingeborenen waren in weit höherem
+Grade als ich die Geschädigten gewesen, daher fehlte auch nie etwas
+in meiner Reisekasse; ich wußte stets, wieviel ausgegeben wurde und
+wieviel noch da war.
+
+Dann findet man es wohl unbegreiflich, daß sich keiner der Betrogenen
+bei mir beklagt hat, und auch ich wundere mich noch heute darüber, daß
+dies nicht geschehen ist. Aber Islam war ein großer starker Kerl, der
+es verstanden hatte, sich bei den Muselmännern in großen Respekt zu
+setzen. Sie fürchteten ihn wie einen asiatischen Despoten, wagten nicht
+zu murren, schwiegen und nahmen, was er ihnen gab, um so mehr, als er,
+wie ich am Kum-köll erfuhr, drohte, dem, der bei mir zu klagen wagte,
+den Schädel einzuschlagen. Deshalb nahmen sie sich hübsch davor in acht
+und fanden sich still und ergeben in ihre ungerechtfertigten Verluste.
+Er hielt sie durch seine bloße Gegenwart in hypnotischer Angst, und
+erst jetzt, da er fort war, kam die Wahrheit zum Vorschein. Ja, jetzt
+kam alles an den Tag! „O Gott, wie viele haben seinetwegen weinen
+müssen“, hieß es.
+
+Auf der Fähre und in der Tschertschenwüste, den einzigen Reisen, auf
+denen ich ihn unter meiner eigenen Kontrolle hatte, war er derselbe
+wie früher, derselbe ruhige, besonnene, treue Diener wie auf der
+Reise durch Asien in den Jahren 1893-97. Nachher nahm ich ihn nicht
+mit auf große Exkursionen, weil ich glaubte, beruhigt sein zu können,
+wenn er die Aufsicht über das Hauptquartier führte. Und wenn ich von
+den verschiedenen Touren dorthin zurückkehrte, beklagte sich keiner;
+die beste Ordnung herrschte überall. Gerade dieser Umstand, daß wir
+meistens an verschiedenen Orten waren, macht es zum großen Teile
+erklärlich, daß ich von den Unredlichkeiten nichts merken konnte, und
+es würde mir überdies auch nie eingefallen sein, Islam Bai in Verdacht
+zu haben. Dazu hegte ich viel zu großes Vertrauen zu ihm; von diesem
+Gesichtspunkt aus war ich in nicht geringem Maße an seinem Unglück
+schuld.
+
+Psychologisch war mir die Ursache seines Falles bald verständlich.
+Während der Reise nach Peking war er in meiner Karawane drei Jahre lang
+stets der Erste gewesen. Vom einfachen Arbeiter bei den Pferdekarawanen
+zwischen Osch und Kaschgar hatte ich ihn zum Führer und Karawan-baschi
+erhoben, und er hatte sich aus reiner Anhänglichkeit aufs glänzendste
+bewährt. Auch jetzt hatte er mir anfänglich am nächsten gestanden.
+Doch mit der Ankunft der Kosaken trat eine andere Ordnung ein. Ich
+schätzte sie mehr, und ihre Gesellschaft war mir lieber als die
+Islams. Alle Beschäftigungen in meiner unmittelbaren Nähe wurden den
+Kosaken übertragen, während Islam nur mit den Muselmännern und den
+gröberen Karawanenarbeiten zu tun hatte. Es verdroß ihn, sich von den
+Ungläubigen verdrängt zu sehen, und in seinem Herzen stieg der Gedanke
+auf: „Soll ich ihnen weichen, so will ich wenigstens Ersatz dafür
+haben“, und nun begannen die Diebstähle in Jangi-köll und wurden die
+ganze Zeit bis zu seiner Abreise von Tscharchlik fortgesetzt.
+
+Der Arme tat mir leid, und ich nahm mir vor zu versuchen, seine Strafe
+nach Möglichkeit zu mildern, um so mehr, als die Muselmänner ihre
+Beschuldigungen gewöhnlich sehr übertreiben. Doch wenn auch nur die
+Hälfte davon wahr war, waren die Diebstähle schon groß genug, um ihn
+nach Sibirien zu bringen. Aber in der Wüste Takla-makan hatte er mir
+23 Jamben gerettet und mir bei unzähligen Gelegenheiten unschätzbare
+Dienste geleistet.
+
+Es tauchten aber noch allerlei andere häßliche Geschichten auf, die
+mich gegen sein Schicksal total gleichgültig machten. In Jangi-köll
+hatte er sich drei, sage drei, junge „Frauen“ genommen, von denen ihn
+eine 100 Sär gekostet hatte, und damals waren ihm erst 30 Sär von
+seinem Lohne ausbezahlt worden. Während der zwölf Tage, die er in
+Tschertschen zubrachte, hatte er sich ebenfalls „verheiratet“, und
+in Tscharchlik hatte er sich zum Schlusse auch noch eine „Gattin“
+zugelegt. Je nachdem das Hauptquartier verlegt wurde, wurden die Damen
+der Reihe nach abgedankt, und als er endgültig nach Kaschgar reiste,
+ließ er sie alle miteinander sitzen. Bei all diesen leichtsinnigen
+Streichen hatte er obendrein in Osch seine rechtmäßige Frau mit fünf
+Kindern!
+
+Auf die Länge wird es kostspielig, sich fünf Frauen zu halten. Erst
+muß die Auserwählte gekauft und bar bezahlt werden, dann wird sie
+eingekleidet und dabei sind ihre Neigungen für chinesische Stoffe
+u. dgl. zu befriedigen, und schließlich ist sie, vielleicht auch noch
+ihr Papa und ihre Mama, zu beköstigen. Letzteres ließ sich ja aus
+unseren eigenen Vorräten leicht bewerkstelligen, und ich werde es also
+wohl gewesen sein, auf dessen Kosten geschmaust worden ist.
+
+Der letzte Abschnitt der Geschichte Islams nahm folgenden Verlauf.
+Bei der Ankunft in Kaschgar ließ der Konsul seine Sachen durchsuchen.
+Bares Geld wurde nicht mehr viel gefunden, aber das gefundene,
+soweit es reichte, den Benachteiligten zugestellt. Seine Freiheit
+durfte er behalten, doch nur bis zu einer gewissen Grenze, denn es
+wurde ihm verboten, Kaschgar zu verlassen. Als ich Anfang Mai 1902
+wieder dorthin kam, hatte er infolgedessen noch keine Beschäftigung
+gefunden. Er suchte mich im Dorfe Japptschan auf, und er tat mir sehr
+leid, als er sich laut weinend mir zu Füßen warf. Ich ermahnte ihn
+aufs eindringlichste, sich bei dem Verhör in Kaschgar streng an die
+Wahrheit zu halten. Ich versicherte ihm, daß ich ihn, wenn er löge,
+ohne Erbarmen der Gerechtigkeit des russischen Gesetzes überlassen,
+wenn er aber die Wahrheit spräche, dafür sorgen würde, daß er straflos
+ausginge. Er versprach, meinem Rate zu folgen. Er war kalt, finster,
+bleich und abgezehrt und sah ein, daß er sein Leben ruiniert hatte.
+Hätte er sich so gut geführt wie das vorige Mal, so wäre er in seinem
+Heimatorte ein angesehener Mann geworden. Sein Name war schon jetzt in
+ganz Innerasien bekannt, aber welche traurige Berühmtheit sollte er
+künftig erlangen!
+
+Als aber das Verhör vor sich ging, alle Anklageakten vorgelegt und alle
+Zeugen zur Stelle waren, leugnete er hartnäckig bei jedem einzelnen
+Punkt. Man konnte ihn nicht dazu bringen, die Richtigkeit auch nur
+der greifbarsten Beschuldigungen anzuerkennen; er erklärte alles für
+boshafte Verleumdung. Ich erinnerte ihn wieder daran, daß es in seinem
+eigenen Interesse liege, zu gestehen, aber nichts half. Keine Stimme
+erhob sich zu seiner Verteidigung. Er erhielt jetzt vom Konsul Befehl,
+sich bei dem Distriktschef, Oberst Saizeff, in Osch einzustellen, in
+welcher Stadt nach russischem Gesetz das Urteil über ihn gefällt werden
+mußte und wo er bald nach mir eintraf. Auch hier leugnete er alles.
+Da er sich durch die Veruntreuungen gegen das russische Gesetz und
+durch seinen Lebenswandel gegen das Scheriet (religiöse Gesetz) der
+Muhammedaner vergangen hatte, wurde er für Sibirien reif erklärt, die
+Strafe aber auf drei Monate Gefängnis ermäßigt; auf meine besondere
+Bitte wurde die Strafe nachher auf vierzehn Tage ermäßigt, aber ganz
+straflos durfte er schon seiner Landsleute wegen nicht ausgehen.
+
+Ich sah ihn in Osch nicht wieder und wollte ihn auch nicht mehr sehen.
+Er, der in meiner Karawane eine so hervorragende, ehrenvolle Rolle
+gespielt hatte, war von nun an für mich tot. Durch seine grenzenlose
+Dummheit und Gedankenlosigkeit und durch eine Art Größenwahn hatte er
+sich in das schimpflichste Elend gestürzt, er, der in seiner Heimat
+einen Ehrenposten hätte erhalten können und dem die russischen Behörden
+als Anerkennung der von ihm geleisteten Dienste einen goldgestickten
+Samtchalat versprochen hatten. Damit war seine Geschichte zu Ende. Nach
+den Verhören am Kum-köll wurde sein Name in der Karawane nicht mehr
+genannt.
+
+Die Moral der Geschichte ist: „Traue nie einem Muselmann!“ Man sollte
+glauben, daß, wenn man einen Diener so viele Jahre gehabt und mit Güte
+überhäuft und er selbst nur Vorteil von seinem guten Betragen hat, man
+sich schließlich auf ihn wie auf sich selbst müßte verlassen können. So
+aber sind die Muhammedaner nicht. Sie vergessen nie, daß sie bei einem
+Ungläubigen in Diensten stehen. In moralischer Hinsicht ist diese Rasse
+schlecht, aber man muß sie nicht zu streng verurteilen, denn sie lebt
+wirklich in harten Verhältnissen. Die Mongolen sind unvergleichlich
+viel besser, und ist man wie ich so glücklich, eine Eskorte von Kosaken
+zu besitzen, so dürfen die Muhammedaner nur zu den gröberen Arbeiten
+benutzt werden. Mehrere von meinen muhammedanischen Dienern, Turdu Bai,
+Kutschuk, Chodai Kullu und Ördek, waren allerdings außergewöhnlich
+prächtige Menschen, aber sie hatten auch nie Gelegenheit, in allzu
+große Versuchung zu geraten.
+
+
+
+
+Neuntes Kapitel.
+
+Über die nördlichen Randgebirge nach dem Kum-köll.
+
+
+Als ich am 17. Mai endlich in den Sattel steigen konnte, geschah es,
+um noch einem Jahre voller Irrfahrten in Asiens großem, ödem Inneren
+entgegenzugehen. Mit großer Spannung und frischem Mut wurde diese
+letzte denkwürdige Reise angetreten, die mich mit den am schwersten
+zugänglichen Teilen des Kontinents bekannt machen sollte. Gelang sie,
+so würden, im großen gesehen, nicht viele Teile Asiens übrig sein, die
+ich noch nicht besucht hatte. Ich hoffte gar viel von dieser letzten
+Reise, wußte aber auch, daß ich jetzt das Schwerste vor mir hatte.
+Doch die Schwierigkeiten reizen am meisten, und inmitten der ernsten,
+eifrigen Arbeit, die täglich vorwärtsschritt, freute ich mich in
+Gedanken auf all die wilden Abenteuer, die meiner „jenseits der hohen
+Berge“ warteten.
+
+Eine unangenehme Überraschung stand uns jedoch noch bevor, ehe wir
+die kleine, gastfreie Stadt am Rande der Wüste verließen. Am Abend
+des 16. Mai traf eine Karawane von zehn mongolischen Pilgern aus
+Tarbagatai mit elf Pferden und zwölf Kamelen ein. Sie ließen sich in
+einem Haine unweit des Basars nieder. Schagdur und der Lama hatten sie
+in Kara-schahr getroffen und wußten, daß sie auf dem Wege nach Lhasa
+war. Natürlich wußten die Mongolen, von denen einige türkisch sprachen,
+daß sich eine große Karawane in der Gegend aufhielt. Wir konnten nicht
+aufbrechen, ohne daß sie uns sahen. Als Sirkin mit den Packpferden an
+ihrem Lager vorbeiritt, hatten sie auch gefragt, wohin es gehe, und
+er hatte geantwortet, daß er nach Ladak und Kaschgar wolle. Schagdur
+und der Lama ritten frühmorgens aus der Stadt und machten einen
+großen Bogen nach Westen, um nicht gesehen zu werden. Ich ritt den
+mittleren Weg im Flußbett mit Chalmet Aksakal und dem alten Togdasin
+Bek aus Tscharchlik, der uns damals durch das Bett des Ettek-tarim
+begleitet hatte. Erst als die Gärten der Oase unter dem Horizont
+verschwunden waren, vereinigten wir uns wieder zu einer Gesellschaft;
+mich wenigstens hatten die Mongolen nicht gesehen; sie würden mich
+nicht identifizieren können, wenn wir uns später unter kritischen
+Verhältnissen treffen sollten.
+
+[Illustration: 211. Geschnitzte Holzstücke aus den Ruinen. (S. 43.)]
+
+[Illustration: 212. Schagdur mit einigen seiner Funde. (S. 44.)]
+
+[Illustration: 213. Das Haus, in welchem die Manuskripte gefunden
+wurden. (S. 46.)]
+
+[Illustration: 214. Links der Tonkrug. in der Mitte ein Rad, rechts das
+Manuskripthaus und ganz hinten der Lagerturm. (S. 50.)]
+
+Doch warum all diese Vorsichtsmaßregeln gegen eine Gesellschaft
+friedlicher Mongolen, die keiner Katze etwas zuleide tun? Darum, weil
+sie vor uns nach Lhasa kommen und ohne Zweifel von unserem Herannahen
+erzählen würden. Dann aber würde das Land im Norden des „heiligen
+Gebietes“ streng bewacht und wir nimmermehr durchgelassen werden.
+Die Kamele der Mongolen waren freilich in schlechtem Zustand, und
+sie würden lange Zeit brauchen, um Zaidam zu erreichen, wo sie wie
+gewöhnlich jene gegen Pferde vertauschen wollten. Aber dennoch würden
+sie uns bald einen Vorsprung abgewinnen und schneller und leichter
+vordringen als wir, die wir die schlimmsten Teile von Tibet aufsuchten.
+Meine Befürchtungen trafen später in der Tat zu, obwohl gewiß auch
+andere Umstände in noch höherem Grade bei der Durchkreuzung unserer
+Pläne mitwirkten.
+
+Die Karawane, mit der ich jetzt die nördlichsten Bergketten des
+Kwen-lun-Systems überschritt, war folgendermaßen zusammengesetzt:
+Schagdur, Sirkin, Mollah Schah und Li Loje, der Lama und ein Führer,
+12 Pferde und Jolldasch. Das Hochgebirge erhob sich in überwältigender
+Majestät vor uns. Im Südosten erschien die Talmündung, welcher der
+Tscharchlik-su entströmt, und im Süden lagen der Kurruk-sai und
+Korumluk-sai, nach denen unser Weg führte. Das Tal, in welchem der
+Fluß die nördlichste Kette des Astin-tag durchbricht, ist zu wild
+und tief, um passiert werden zu können. Die Sonne brannte heiß, und
+die Mücken waren hungrig, verschwanden aber gleich, sobald wir in
+öde, unfruchtbare, langsam ansteigende Gegenden gelangten. Zur Linken
+erschienen einige einsame Reiter; es waren Mongolen, die uns von weitem
+beobachteten.
+
++Jiggdelik-tokai+, der erste Lagerplatz, liegt am linken Ufer des
+Tscharchlikflusses (Abb. 225). Das Wasser rauschte in einem 40 Meter
+tief eingeschnittenen Bette zwischen senkrechten Geröllwänden (Abb.
+226). Ein halsbrecherischer Pfad führte nach dem Ufer hinunter, wo
+einige wenige Büsche unseren Pferden kärgliche Weide boten. Der Aksakal
+und Togdasin Bek, die uns den ganzen Weg begleitet hatten, kehrten
+jetzt um, trotz des heftigen Sturmes, der sich am Nachmittag erhob und
+der die Temperatur sehr bedeutend heruntergehen ließ.
+
+Der Morgen war frisch und kühl und machte wärmere Kleidung notwendig.
+Bald reiten wir in die mächtigen, widerhallenden Säle des „Steinigen
+Tales“ ein, wo die Wände von rotgeflammtem oder schwarzgestreiftem
+Granit und dunkeln, harten Schiefern aufgemauert sind. Die nackten,
+zackigen, kahlen Felsen versperren meistens die Aussicht, manchmal
+aber öffnet sich in einem Seitentale eine großartige Fernsicht in
+eine Welt von immer höher und gewaltiger werdenden Bergen, ein Chaos
+von Ketten und Gipfeln, die hier und da mit malerischen Schneeflecken
+gekrönt sind. Der Talgrund ist voller Geröllblöcke und Granitstücke von
+verschiedener Größe, zwischen denen es sich ziemlich mühsam reitet.
+Tamarisken und wilde Rosen sind häufig. Wir freuen uns nach dem langen
+Winter in einförmigen Wüsten wieder in die ständig wechselnde Welt der
+Felsen einzutreten, unsere Stimmen von den Felswänden widerhallen zu
+hören und zu fühlen, wie unsere Lungen sich mit frischer, reiner, sand-
+und staubfreier Luft füllen.
+
+Manchmal ist das Tal so eng, daß wir auf Seitenvorsprünge und Pässe
+hinaufgehen müssen. Es zieht sich jetzt nach Osten, und nach einer
+letzten Schwelle entrollt sich vor uns das Haupttal des Tscharchlik-su,
+nach welchem wir wieder zurückkehren. Der Fluß ist nach dem letzten
+Regen gewaltig angeschwollen. In der Talweitung, wo wir uns bei einer
+Pappel einen Lagerplatz wählten, macht er eine scharfe Biegung.
+
+Ich hatte zehn Esel gemietet, die uns mit Mais für die Pferde nach dem
+Kum-köll begleiten sollten. Ihr Ausbleiben zwang uns, einen Tag am
+Flusse zu warten, aber keiner hatte etwas dagegen, in dieser schönen
+Gegend zu rasten. Überdies hatten wir keine Eile, denn, wie langsam wir
+auch zogen, wir würden doch vor den schwerfälligen Kamelen am Kum-köll
+anlangen. Im Laufe des Tages trafen die Esel wohlbehalten ein, und nun
+konnten wir uns wieder in Bewegung setzen.
+
+Eine schwere Tagereise stand uns bevor. Der Weg führt aufwärts durch
+das tief in grauen Granit eingesägte Tal des Flusses, wo die von den
+brausenden Wassermassen unterminierten Felsen manchmal gewölbeartig
+überhängen. Wir wußten, daß wir den Tscharchlik-su sechzehnmal zu
+überschreiten hatten und daß es galt, sich gut vorzusehen. Ein Hirt,
+dem wir begegneten, konnte uns keine ermutigenden Mitteilungen machen.
+Sein Pferd war mitten im Flusse gestürzt, und die ganze, aus Brot,
+Mais und Kleidungsstücken bestehende Last war verlorengegangen. Der
+Fluß, dessen Wassermenge jetzt etwa 9 Kubikmeter in der Sekunde betrug,
+bildete Stromschnellen und rauschte donnernd zwischen rundgeschliffenen
+Blöcken hin.
+
+Anstrengend und spannend ist diese kurze Tagereise, und man wird
+erst ruhig, wenn man nach der letzten Furt die Instrumentkisten
+wohlbehalten auf dem Trockenen sieht. Die Muselmänner untersuchten,
+halb entkleidet, jede Furt, und die Pferde, welche die wertvollsten
+Lasten trugen, wurden langsam einzeln hinübergeführt. Wir hatten auch
+ein paar Maulesel; einer von diesen hatte es sich bei einer Furt in
+den Kopf gesetzt, nicht denselben Übergang zu benutzen wie die anderen
+Tiere. Er versuchte es mehr nach der Seite hin, wo die Hauptmasse des
+Wassers in einer tiefen Rinne strömte, glitt hier aber aus, wurde von
+der Strömung fortgerissen und eine weite Strecke unterhalb der Schwelle
+auf eine Kiesbank geschleudert. Die Kosaken stürzten sich angekleidet
+in den Fluß und richteten das Tier wieder auf, aber die ganze Last, die
+glücklicherweise nur aus Mehl und Brot bestand, war verlorengegangen.
+
+Leider war die Gegend in dichten Nebel gehüllt, und die Kämme des
+Gebirges verschwanden wie ein Tempelgewölbe in Abenddämmerung und
+Weihrauchwolken. Der Lagerplatz trug den Namen +Mestschit-sai+
+(Moscheetal).
+
+Die vierte Tagereise führte uns ein Seitental hinauf. Dieses neue Tal
+ist schmäler und wilder als die vorhergehenden und steigt schließlich
+so steil an, daß man vorzieht zu Fuß zu gehen, ja bisweilen sogar
+klettern und sich mit den Händen festhalten muß. Es ist ziemlich
+schwierig, beladene Pferde solch abschüssige Wege hinaufzuführen; die
+Lasten rutschen nach der Schwanzwurzel oder schlagen über und müssen
+beständig zurechtgerückt werden. Auf diesem schuttbedeckten Felsboden
+ist selten ein Pferd sichtbar, und solche sollen hier auch nicht oft
+benutzt werden.
+
++Jaman-dawan+ (der schlechte Paß) ist ein passender Name für die
+ungeheuer scharfe, schwer passierbare Schwelle, die wir endlich
+erreichten. Nur ein Pferd hat dort oben Platz. Auf beiden Seiten dieses
+Sattels erheben sich gewaltige, wilde Felsen, die zu dem Kamme gehören,
+in welchem der Jaman-dawan eine recht tiefe Einsenkung ist. Östlich
+vom Passe ist das Gefälle viel weniger steil und der Boden mit Erde
+bedeckt und mit Gras bewachsen. Die Luft war jetzt wieder klar, und die
+Aussicht großartig. Über Hitze konnten wir uns nicht beklagen, denn auf
+dem Passe hatten wir nur +2,6 Grad.
+
+Von dem Lagerplatze, der keinen Namen hatte, zogen wir nach Osten,
+indem wir jetzt ein neues Tal hinaufstiegen. Anfangs war es ziemlich
+eng und schwer passierbar, ja an einem Punkte, wo der Hohlweg ganz mit
+herabgestürzten Granitblöcken angefüllt war, mußten die Tiere abgeladen
+und mit vereinten Kräften eine 4 Meter hohe Stufe hinaufgewunden
+werden. Oberhalb dieser Stelle erweitert sich das Terrain und wird
+bequemer. Nur hin und wieder sieht man Rebhühner und kleine, niedliche
+Bergschwalben, sonst kein Wild. Einige unserer Pferde und ein Maulesel
+sind von dem vielen Schutt steifbeinig geworden und hinken; sie werden
+daher nach Möglichkeit geschont. In der Nacht ging die Temperatur
+auf -6 Grad herunter; mitten im Sommer ritten wir wieder dem Winter
+entgegen. Dieses Jahr war mein Sommer wirklich nicht viel länger als
+sechs Wochen gewesen!
+
+Eine lange, ermüdende Tagereise führte uns am 23. Mai auf offeneres,
+plateauartiges Terrain, eine Hochlandsteppe, die stellenweise von
+dem stehengebliebenen Grase des vorigen Jahres gelb schimmerte. Hier
+sahen wir die ersten Kulane. Jetzt befanden wir uns auf alle Fälle
+auf dem tibetischen Hochplateau und hatten das bizarre Randgebirge
+überschritten. Schwere, dunkle Wolken begrüßten uns bei unserer
+Ankunft und schütteten von Zeit zu Zeit ihren Inhalt in Form von
+Regen und Schnee über uns aus. Während wir ein etwas ausgeprägteres
+Tal hinunterritten, sahen wir abends bei Hascheklik unseren alten
+Tscharchlik-su wieder; er war hier weniger wasserreich, und das Wasser
+hatte eine eigentümliche, beinahe milchweiße Farbe, die gewiß von einer
+verwitternden weißen Gesteinart herrührte.
+
+Schereb Lama in seinem roten Gewande mit dem gelben Gürtel und der
+blauen Mütze, die nur bei Regenwetter von einem mongolischen Baschlik
+geschützt wurde, war das malerischste Mitglied unserer kleinen
+Karawane. Mit mir und Schagdur stand er schon auf dem vertrautesten
+Fuße, aber die anderen kannte er wenig, denn er konnte nur ein
+paar Worte Türkisch, doch war er sehr gelehrig und bereicherte
+allmählich seine Kenntnisse. Was er während der langen Marschtage
+dachte, weiß ich nicht, aber daß er viel grübelte, konnte ich sehen;
+er mochte sich wohl den Kopf darüber zerbrechen, was das Schicksal
+mit seiner priesterlichen Würde vorhatte. Er fand die Gesellschaft,
+in die er geraten war, gewiß sehr merkwürdig, und es machte mir
+unglaubliche Mühe, ihm den Nutzen der astronomischen Beobachtungen
+und des Kartenzeichnens klar zu machen. Ich war in seinen Augen ein
+recht sonderbarer Mensch, aber mit rührender Anhänglichkeit und
+unerschütterlichem Vertrauen schloß er sich an uns an und begriff sehr
+wohl, daß wir Fremdlinge es wirklich gut mit ihm meinten.
+
+Jeden Abend gab er mir Unterricht im Mongolischen. Ich schrieb alle
+neuen Worte und Ausdrücke auf und mußte sie bis zum nächsten Abend
+gelernt haben. Selten habe ich einen so angenehmen Lehrer gehabt. Er
+wollte, daß ich seine Sprache bald so weit beherrschen sollte, daß er
+sich mit mir über Dinge, die ihn selbst interessierten, unterhalten
+konnte.
+
+Schnee und Hagel und naßkaltes Winterwetter herrschten an dem Tage, den
+wir unseren Pferden zur Rast auf den Wiesen von +Hascheklik+ schenkten.
+Im Freien zu arbeiten war unmöglich, und ich beschloß daher, mit dem
+Lama zu sprechen. Wie unsere Pläne künftig auch ausschlagen mochten,
+ich wollte nicht, daß der Lama je glauben oder auch nur denken sollte,
+ich hätte ihn hinterlistigerweise in wahnsinnige Abenteuer verstrickt.
+Ich wollte ihm die Möglichkeit offen lassen, beizeiten mit geretteter
+Ehre in sein Land zurückzukehren. Deshalb erfuhr er schon jetzt, daß
+ich die Absicht hatte, als Mongole verkleidet ihn und Schagdur nach
+Lhasa zu begleiten.
+
+Er war sehr verdutzt und suchte mich zu überzeugen, daß dies unmöglich
+sei. Mich und Schagdur würde niemand anzurühren wagen, ihm aber in
+seiner Eigenschaft als Lama würde es den Kopf kosten. Er hegte keine
+Furcht vor dem Dalai-Lama, den mongolischen Pilgern und den Chinesen
+in der Stadt, sondern nur vor den Tibetern, die die dorthin führenden
+Wege bewachen. „Töten sie mich nicht,“ sagte er, „so machen sie mich
+doch als Lama für immer unmöglich; ich werde als Abtrünniger, als
+Verräter, der einen Europäer nach Lhasa geführt hat, angesehen!“ Doch
+schon jetzt war er in seiner Entschlossenheit wankend geworden, denn er
+schlug vor, die ganze Karawane sollte geraden Weges nach der heiligen
+Stadt ziehen, -- das Schlimmste, was uns dann passieren könne, sei, daß
+wir höflich, aber bestimmt zurückgewiesen würden. Er selbst könne sich
+dann als Türke verkleiden, und keiner seiner Freunde in Lhasa würde
+eine Ahnung davon haben, daß er bei der Sache beteiligt sei. Als ich
+jedoch an meinem Plane festhielt, schlug er vor, ich sollte mich lieber
+für einen „Urancha“ ausgeben; es ist dies ein Stamm aus dem Altai, der
+dem Lamaismus anhängt, aber einen türkischen Dialekt spricht, der dem
+Dschaggataitürkischen, das mir recht geläufig war, sehr ähnelt.
+
+So sprachen wir den ganzen Tag miteinander, und schließlich war der
+Lama wirklich erregt. Nach dem Kum-köll mußte er uns jedenfalls
+begleiten, und ich versprach ihm, daß er von dort, falls er es
+wünschte, heimkehren dürfte. An diesem See wollten wir ein paar
+überflüssige Eseltreiber verabschieden, und mit ihnen konnte er sich
+nach Tscharchlik begeben. Er fürchtete sich jedoch vor dem Sommer
+dort und wollte lieber nach Tschimen reiten; ich ahnte sofort, daß er
+mit der Mongolenkarawane nach Lhasa zu ziehen plante, und sagte mir,
+daß er ihnen dann, in einem unbewachten Augenblick, meine Absichten
+anvertrauen könnte. Eine solche Möglichkeit mußte um jeden Preis
+verhindert werden.
+
+Das Wichtigste, mochte nun aus der Reise nach Lhasa etwas werden oder
+nicht, war, daß wir unter allen Umständen in Tibet eines Dolmetschers
+bedurften; dies war so wichtig, daß diese ganze lange Reise durch Tibet
+bedeutend an Wert verlieren mußte, wenn wir uns mit den Einwohnern
+nicht verständigen konnten. Ich erklärte dies dem Lama, und er sah ein,
+daß ich vollständig recht hatte. Ich machte ihm sogar den Vorschlag,
+daß er bei der Karawane im Hauptquartier bleiben könne, während ich und
+die Burjaten nach Lhasa gingen. Dieser Ausweg hatte jedoch für seinen
+Ehrgeiz nichts Verlockendes; er war kein Feigling und gab später bei
+vielen Gelegenheiten Beweise von wirklichem Mut.
+
+Stumm und niedergeschlagen saß er die folgenden Tage im Sattel und
+fand sicherlich, daß die Gesellschaft, in die er geraten, noch viel
+sonderbarer sei, als er anfänglich gedacht. Mit Schagdur verkehrte er
+nie wieder freundschaftlich; er fand mit Recht, daß dieser ihn schon
+in Kara-schahr in den ganzen Plan hätte einweihen müssen. Ich erklärte
+ihm, daß Schagdur auf meinen bestimmten Befehl so gehandelt habe und
+daß, wenn er davon gesprochen hätte, daß ein Europäer verkleidet mit
+nach Lhasa wolle, kein einziger Lama in der ganzen Mongolei sich,
+um welchen Preis es auch sei, bei uns hätte anwerben lassen. Kein
+Tagemarsch ging von nun an durch die Täler, kein Abend dämmerte, ohne
+daß wir Rat hielten und über unsere Lhasapläne sprachen. Schereb Lama
+machte hierbei wirkliche Seelenkämpfe durch. Ich war aber froh über
+seine Gesellschaft; er war einer der besten Menschen, mit denen ich
+zu tun gehabt hatte. In der Folge wird der Leser mit seinen weiteren
+Schicksalen Bekanntschaft machen. Jetzt wurde also für den Anfang
+vereinbart, daß er uns bis an den Kum-köll begleitete; dort sollte er
+seine endgültige Entscheidung treffen, dort sollte er wie Herkules am
+Scheidewege stehen und zwischen seiner sicheren Zelle im Kloster zu
+Kara-schahr auf der einen und ungewissen Schicksalen und unter allen
+Umständen merkwürdigen Abenteuern auf der anderen Seite wählen.
+
+Während der folgenden Tage kreuzten wir mehrere Nebenflüsse, die nach
+Nordwesten strömen und dem Tscharchlik-su ihren Tribut bringen. In dem
+großen, offenen Kesseltale +Unkurluk+ (Tal der Erdhütten), das wir
+in dichtem Schneegestöber erreichten, sahen wir an mehreren Stellen
+Schafherden, aber keine Menschen. Die Kosaken suchten die Gegend ab,
+ohne daß es ihnen gelang, jemand zu treffen. Ein wenig höher oben
+blieben wir in der Mündung eines kleinen Seitentales, wo es gute Weide,
+aber kein Wasser gab (Abb. 227).
+
+Als die Luft sich ein wenig geklärt hatte, sahen wir zwei Zelte und
+etwa zehn Leute. Die Kosaken ritten dorthin, um mit den Bergbewohnern
+zu unterhandeln und Brennmaterial, Milch und ein Dutzend Schafe, die
+wir mitzunehmen beabsichtigten, zu kaufen.
+
+Die 18 Hirten, die sich in +Unkurluk+ aufhalten, wohnen hier beständig
+und hüten Schafe und Pferde aus Tschertschen. Den Winter verbringen
+sie in erbärmlichen kleinen Erdhütten. Die Gegend ist reich an Wild;
+Archari (wilde Schafe), Steinböcke, Yake, Bären und Wölfe kommen vor.
+Seit dem Herbst hatten sich jedoch keine Yake gezeigt; sie begeben sich
+im Sommer in höhere Regionen hinauf. Rebhühner hörte man hier und da
+in den Bergen rufen. Der Schnee fiel abends außerordentlich dicht, und
+wir waren wieder von vollständigem Winter umgeben.
+
+Als wir am 27. bei kaltem, windigem Wetter das „Tal der Erdhütten“
+verließen, nahmen wir zwölf ziemlich magere Schafe ohne Fettschwanz und
+drei Hirten mit statt unserer Tscharchliker Führer und der fünf Esel,
+deren Maislast bereits verzehrt war (Abb. 229).
+
+Jetzt befanden wir uns richtig im Gebirge und auf bedeutender Höhe
+(3797 Meter). Das merkte man beim Atmen; man kletterte nun nicht mehr
+unnötig steile Abhänge hinauf. Von Bergkrankheit zeigte sich jedoch
+noch keine Spur, im Gegenteil, es ging uns allen vortrefflich.
+
+Der folgende Tagemarsch führte uns über vier leichte Pässe zweiter
+Ordnung und über schneebedecktes, wellenförmiges Terrain nach dem Tale
++Kar-jaggdi+, wo es etwas Weide gab. Im Süden und Südosten erheben sich
+mächtige, schneebedeckte Berge. Der Weg war leicht und angenehm, als
+wir dieses Tal hinaufzogen, in dessen Mitte sich ein mehrarmiger Bach
+schlängelte, der von dem frischgefallenen, schmelzenden Schnee gespeist
+wurde und dessen Wasser von verwitterndem Sandstein, der in der Gegend
+vorherrschte, rot gefärbt war. Auch jetzt galt es, einen Paß zu
+überschreiten, der zwar leicht und bequem ist, aber große geographische
+Bedeutung besitzt, denn er bildet die Wasserscheide zwischen
+Ostturkestan und dem Tschimentale. Die Höhe beträgt 4079 Meter, und der
+Schnee lag hier ziemlich hoch.
+
+Wir folgten dem nächsten abwärtsgehenden Tale nach Südosten, wo die
+beschneite Kette des +Piaslik+ ein herrliches Panorama bildete, und
+gelangten so in das breite +Tschimental+ hinunter, das wir von so
+vielen früheren Exkursionen her kannten. Jetzt sah es noch winterlicher
+und kälter aus als im Oktober vorigen Jahres; alle Berge waren mit
+Schnee bedeckt, von dem aber nur die allerhöchsten Partien den Sommer
+über liegenbleiben. Wir lagerten am Ufer eines Flusses, der sich weiter
+abwärts mit dem Togri-sai vereinigt.
+
+In diesem Lager erkrankte Schagdur ziemlich heftig; sein Puls stieg auf
+134 und seine Temperatur auf 38,6 Grad (meine Körpertemperatur stieg in
+4000 Meter Höhe und darüber selten über 36 Grad). Wir mußten einen Tag
+liegenbleiben und ihn pflegen, so gut wir konnten. Sirkin ging auf die
+Jagd und kam mit zwei Orongoantilopen (~Pantholops hodgsonii~) wieder;
+wir konnten daher ein paar Tage unsere Schafe sparen. Die Antilopen
+sind in dieser Jahreszeit ziemlich mager, da sie auf das neue Gras
+warten. Im Herbst sind sie fetter und besser.
+
+Am 30. war Schagdur besser und bestand fest darauf, daß wir
+weiterzögen. Unser Weg führte jetzt nach Südosten über den ziemlich
+großen +Togri-sai-Fluß+ und dann aufwärts in dem Quertal, das östlich
+vom Durchbruchstal Togri-sai die Piaslikkette durchschneidet.
+
+Als wir schon eine ziemliche Strecke im Tale zurückgelegt hatten,
+stellte sich heraus, daß der Patient und der Lama nicht mitgekommen
+waren. Ich kommandierte daher an einem Rinnsale, wo Jappkakpflanzen
+uns notdürftig mit Feuerung versahen, Halt und schickte Li Loje
+zurück, um zu erfahren, welchen Grund das Ausbleiben der beiden hatte.
+Nach einer Weile kamen sie alle drei; Schagdur war matt, schwindlig
+und beinahe außerstande, sich im Sattel zu halten. Er bekam einen
+tüchtigen Spiritusgrog, wurde in Filzdecken gewickelt und kam ins
+Schwitzen. Gegen Abend ging es ihm entschieden besser; er hatte 37,2
+Grad Temperatur und 112 Pulsschläge. Der Spiritus wurde aus einer
+der Flaschen für die zoologischen Sammlungen genommen. Sonst gab es
+keine Spirituosen in der Karawane, und zur Ehre der Kosaken muß ich
+sagen, daß keiner von ihnen, und von den anderen ebenfalls keiner,
+sie entbehrten. Alkoholische Getränke sind ein böses Ding in einer
+Karawane; sie machen Kräfte und Disziplin schlaff.
+
+Auch hier blieben wir einen Tag liegen, damit sich der Kranke
+ordentlich ausruhte. Nach einer ruhigen Nacht legte er am 1. Juni die
+Tagereise wirklich gut zurück. Freilich war er noch ein wenig matt und
+mußte auf dem langen Wege ein paarmal rasten, aber er war doch ziemlich
+munter, als er am Ufer des +Kum-köll+ ankam, wo er sich mehrere Tage
+der Ruhe und Pflege erfreuen sollte.
+
+Am 1. Juni erreichten wir das Ufer dieses großen Salzsees. Wir
+ritten auf vorzüglichem Boden nach Südosten. In der Ferne dehnt sich
+die ungeheure, schön marineblaue Fläche des Sees aus. Nach Osten
+hin erstreckt sich die +Kalta-alagan-Kette+, die wir in Verkürzung
+in endloser, aber zusammengedrängter Perspektive sehen; ihr Kamm
+glänzt matt-weiß. Kulane und Orongoantilopen kamen in Menge vor. Am
+Ufer suchten wir lange vergeblich nach Wasser, bis endlich einer
+der Hirten uns eine Stelle zeigte, wo sich seiner Meinung nach ein
+Süßwasserbrunnen würde graben lassen, und richtig, seine feine Spürnase
+hatte ihn nicht betrogen. Brennstoff war vorhanden; die Weide war
+jämmerlich, aber in dieser Jahreszeit konnten wir nichts Besseres
+erwarten. Die Zelte und die Lasten wurden dicht am Strande so praktisch
+wie möglich aufgereiht (Abb. 228), und wir hatten jetzt weiter nichts
+zu tun, als die Ankunft der Karawane zu erwarten.
+
+[Illustration: 215. Ausgrabungen in einem der Häuser von Lôu-lan. (S.
+50.)
+
+Rechts im Vordergrund der große Tonkrug.]
+
+[Illustration: 216. Die Nivellierungskarawane. (S. 62.)]
+
+[Illustration: 217. Lager am Wasserarm. (S. 76.)]
+
+Wir warteten am 2. Juni, wir warteten am 3., aber keine Karawane
+kam. Scharfer, östlicher Wind peitschte die Wellen des Kum-köll
+zu bedeutender Höhe auf, und ihr eintöniges Rauschen gegen das
+Ufer war das einzige, was das Schweigen der Wildnis unterbrach.
+Bisweilen herrschte Nebel; doch auch wenn die Luft klar war, sah man
+auf der Ostseite des Sees kein Land, und der Wind erfrischte wie eine
+Meerbrise; ja, manchmal, wenn er Schauer von Hagel oder Schnee brachte,
+kühlte er nur zu fühlbar ab. Die Hirten, die ihren Auftrag ausgeführt
+hatten, brannten vor Ungeduld, wieder nach ihren Hütten zurückkehren zu
+können; die noch vorhandenen drei Esellasten Mais wurden im Zelte der
+Kosaken verwahrt, dann entließen wir die ganze Gesellschaft. Erst aber
+mußten sie uns noch von den nächsten Schneewehen einige Säcke Schnee
+zu süßem Wasser holen. Ich kann mir nichts Langweiligeres denken, als
+jahraus, jahrein in diesem Gebirge zu hausen und anderer Leute Schafe
+zu hüten! Und doch machten die Hirten einen heiteren, zufriedenen
+Eindruck, und es war ein billiges Geschäft, sie überglücklich zu
+machen. Für mich war es eine richtige Geduldprobe, hier stillzuliegen
+und mir den Kopf darüber zu zerbrechen, weshalb die Karawane noch
+nicht kam und ob ihr unterwegs etwas zugestoßen sein könnte. Doch der
+Gedanke, sie in Tschernoffs, Tscherdons und Turdu Bais zuverlässigen
+Händen zu wissen, beruhigte mich.
+
+Vergebens suchten unsere Blicke im Norden längs des Fußes des Gebirges
+die lange, schwarze Linie, die das Herannahen der Unseren verkünden
+würde. Manchmal konnten wir des Nebels wegen gar nichts unterscheiden;
+wenn aber die Luft klar war, hielten die Kosaken mit dem Fernglase
+eifrig Ausschau. Unterdessen ging es uns hier ganz gut. Proviant,
+besonders Schafe, hatten wir noch hinreichend, und es konnte nicht
+schaden, daß wir uns langsam und allmählich an die Luftverdünnung
+gewöhnten. Schagdur wurde mit Massage und kalten Umschlägen behandelt
+und erholte sich allmählich. Sirkin wurde beauftragt, nach unserem
+vorjährigen Lagerplatz am Nordwestufer zu reiten und unterwegs eine
+Marschroute aufzunehmen, die, wie sich bei der Kontrolle ergab, recht
+gut ausfiel. Für den Fall, daß sich die Karawane dort niederlassen
+sollte, machte er einen Wegweiser aus einem kleinen Brett mit einer
+darauf gezeichneten Hand, die westwärts, nach unserem jetzigen Lager
+zeigte.
+
+Der 4. Juni war ein schöner, herrlicher Tag. Die ganz klare Luft
+erlaubte dem Blicke, dem Kalta-alagan-Gebirge bis in endlose Fernen zu
+folgen, wo sein Kamm undeutlich wurde und wie in einer nadelscharfen
+Spitze verschwand. Der See zeigte sich in einem neuen Farbenspiel:
+hellgrün mit weißen Wellenschaumstreifen. Die Pferde weideten weit vom
+Lager, die meisten Leute schliefen, nur der Lama spähte fleißig nach
+Norden; das scharfe Zeißsche Fernglas war ihm sehr interessant, und er
+benutzte es oft. Ich arbeitete in meiner Jurte, als er mir meldete, daß
+er die Karawane zu sehen glaube. Ich nahm das Fernglas, und richtig,
+längs des Fußes des Gebirges wurde der gewaltige Zug sichtbar, der in
+sechs Abteilungen marschierte, voran eine lange, schwarze Linie und
+dann mehrere kleinere Gruppen; nur mit Hilfe des Fernglases konnte ich
+diese schwarzen Linien und Punkte unterscheiden.
+
+An diesem Tag wurde nichts mehr getan. Mit gespanntem Interesse
+beobachteten wir den Gang des Zuges. Jetzt würden wir uns wieder
+vereinigen und den Marsch nach Süden im Ernst antreten. Die Entfernung
+war indessen noch zu groß, als daß die Karawane unsere Zelte hätte
+sehen können. Sie ging noch immer nach Osten, statt gerade auf unser
+Lager loszusteuern.
+
+Nun sahen wir zu unserem Erstaunen, daß Halt gemacht, die Lasten
+abgeladen und die Kamele auf die Weide geschickt wurden. Ich sandte
+daher Mollah Schah dorthin. Je weiter er sich auf dem weitgedehnten
+Terrain von uns entfernte, desto schwerer wurde es uns seinen Weg zu
+verfolgen. Schließlich kam ihm ein Reiter von der Karawane entgegen,
+und beide gingen in das andere Lager. Dort wurden die Kamele von allen
+Seiten wieder herbeigeholt, und der Zug setzte sich von neuem in
+Bewegung, indem er umschwenkte wie ein Eisenbahnzug in einer Kurve,
+den man schließlich in Verkürzung vor sich sieht. Darauf tauchte bei
+dem östlich von uns liegenden, isolierten kleinen Berge ein einzelner
+Reiter auf, der sich uns in starkem Trabe näherte.
+
+Es war Kutschuk. Er war vor ein paar Tagen von dem Karawanenführer
+Tschernoff vorausgeschickt worden, um uns rechtzeitig Nachricht zu
+bringen. Auf dem alten Lagerplatze am Nordufer hatte er Sirkins
+Wegweiser gefunden und die Bedeutung der nach Westen zeigenden Hand
+sofort verstanden. Er ritt mein altes Kaschgarpferd, das älteste in der
+Karawane, und brachte uns nur gute Nachrichten.
+
+Mittlerweile näherte sich die Karawane in guter Ordnung; die beiden
+Kosaken ritten in gestrecktem Galopp zu mir und meldeten militärisch,
+daß alles gut stehe; Leute wie Tiere seien in vorzüglichem Zustand, nur
+ein Maulesel sei als untauglich in Bag-tokai zurückgelassen; einige von
+den heimkehrenden Dienern sollten ihn behalten, wenn sie ihn wieder ins
+Leben rufen könnten.
+
+Jetzt kam die Eselkarawane mit Dowlet Karawan-baschi an der
+Spitze angezogen; hinter dieser bunten Gesellschaft erschien ein
+aufgescheuchter Kulan, der in einer Wolke von Staub gerade auf das
+Lager zurannte, bis er die Gefahr erkannte und sich nach Westen rettete.
+
+Darauf erschien Turdu Bai an der Spitze seiner prächtigen, fetten
+Kamele (Abb. 230). Sie waren munter und sichtlich zufrieden, daß sie
+sich in der frischen, kühlen Bergluft befanden und die schwüle Hitze
+und die stechenden Insekten der Tiefebene hinter sich hatten. Während
+der Ruhetage, die sie unterwegs gehabt, hatten die Männer Tschapane
+für alle Kamele genäht, um sie gegen den heftigen Temperaturwechsel zu
+schützen. Die drei Jungen, die den älteren wie Hunde nachliefen, sahen
+in ihren weißen Mänteln gar zu komisch aus. Sogar das jüngste Kleine
+sprang umher, ohne eine Spur von Ermüdung zu zeigen. Es war erst wenige
+Tage alt, als es schon mit der dünnen Luft Bekanntschaft machte, und
+seine Lungen paßten sich ihr früh an. Ganz sicher trug dieser Umstand
+dazu bei, es widerstandsfähiger zu machen als seine beiden Kameraden,
+die es lange überlebte. Sogar dem Hirsche, der mit den Kamelen zu gehen
+pflegte, ging es gut; er hatte nur den großen Fehler, uns zuviel Mais
+wegzufressen, denn das gelbe Gebirgsgras verschmähte er verächtlich.
+
+Die letzten im Zuge waren die Pferde mit ihren Lasten und Treibern.
+Jede Abteilung passierte das Hauptquartier, wo ich inmitten der Kosaken
+stand, und alle Leute grüßten der Reihe nach höflich. Es dauerte
+eine ziemliche Weile, bis die ganze Gesellschaft vorbeigezogen war,
+um unmittelbar südlich vom Hauptquartier die Zelte aufzuschlagen und
+das Gepäck aufzustapeln. Die Lasten wurden so gestellt, daß sie ein
+Gehege für die Schafe bildeten, von denen wir jetzt eine ganze Herde
+hatten, die Wanka, dem Leithammel aus Kutschar, auf den Märschen
+gehorsam folgten. Wanka begleitete die Karawane schon seit dem Herbst
+1899 und war das einzige von allen zu Beginn der Reise mitgenommenen
+Karawanentieren, das wir im Jahre 1902 wieder mit nach Kaschgar
+brachten.
+
+Für mich wurde eine ganz neue Jurte aufgeschlagen, welche die Kosaken
+in Tscharchlik angefertigt hatten. Als das ganze Lager fertig war,
+glich das Ufer des Salzsees einem lebhaft besuchten Korso mit Gruppen
+von Leuten, die um rauchende Feuer saßen und plauderten. Die Tiere
+zerstreuten sich auf der kargen Steppe, um sich ihre knappe Nahrung
+zu suchen. Unterdessen tobte die Brandung am Ufer, und ein Sturm
+wühlte den See auf. Dicht und kalt schlug der Regen uns entgegen und
+durchnäßte unsere Ansiedlung.
+
+Zur Erledigung verschiedener Arbeiten war ein Ruhetag am Kum-köll
+erforderlich. Ich packte alle meine Kisten gründlich um, damit ich die
+Sachen und Instrumente, die täglich gebraucht wurden, in den beiden,
+stets in meiner Jurte stehenden Kisten immer gleich bei der Hand
+hatte. Das meteorologische Observatorium, das unter Sirkins Aufsicht
+stand, wurde bei ihm in einer besonderen Kiste verwahrt, und die
+Thermometer wurden auf jedem Lagerplatz in einem kleinen geschützten
+Schuppen aufgestellt. Diejenigen der Konserven, die in der nächsten
+Zeit gebraucht werden sollten, wurden ausgepackt. Eine Anzahl wenig
+tauglicher Esel mußte, da ihre Lasten verzehrt worden waren, mit
+einigen Eseltreibern wieder umkehren.
+
+Hier sollte sich auch der Lama endgültig entschließen, ob er mitkommen
+oder umkehren wollte. Er hatte sich die Sache entschieden überlegt
+und mit Li Loje eine kleine Intrige angezettelt. Letzterer, der jetzt
+fast ein Jahr lang tadellos seinen Dienst verrichtet hatte, bat um
+seine Entlassung und gab als Grund an, er habe erfahren, daß sein
+alter Vater in Kerija gestorben sei, und müsse deshalb unverzüglich
+dorthin, um seine Interessen wahrzunehmen. Dies wurde ihm natürlich
+nicht geglaubt, denn dieselbe Geschichte hatte er uns schon bei ein
+paar Gelegenheiten mitten in der Wüste einreden wollen. Das Schlimmste
+aber war, daß er seinen Lohn in Tscharchlik für ein halbes Jahr voraus
+bekommen hatte. Es war eigentlich recht eigentümlich, daß er nicht
+einfach durchbrannte, da er ja sein eigenes Pferd, eines der besten der
+ganzen Truppe, hatte. Von nun an ließ ich ihn eine Zeitlang bewachen,
+damit er nicht in einer Gegend, wo wir ihn nicht mehr einholen könnten,
+verduftete. Der Lama hatte beschlossen, Li Loje zu begleiten, um die
+Mongolenkarawane dann in Tschimen oder Zaidam aufzusuchen. Als er aber
+sah, daß der Mann doch bei uns bleiben mußte, wurde auch er anderen
+Sinnes, suchte mich in meiner Jurte auf und erklärte, daß er mir
+bis ans Ende der Welt folgen werde, was auch daraus entstehen möge.
+Das einzige, was er erbat, war, nicht verlassen zu werden, falls er
+erkranken sollte; er sah selbst bald ein, daß er in dieser Beziehung
+nichts zu fürchten hatte, da nicht einmal eines der Tiere ohne weiteres
+verlassen wurde. So ordnete sich diese Sache im Handumdrehen. Ohne
+den Lama hätten wir in den bewohnten Gegenden Tibets kaum fertig
+werden können, und Li Loje (alias Tokta Ahun) war, obwohl ein bißchen
+verrückt, bei allen beliebt. Er erzählte lustige und grauliche
+Geschichten und führte sich bis Ladak ausgezeichnet.
+
+Schließlich wurden alle Muselmänner zusammengerufen und Turdu Bai
+feierlich zum Tugatschi-baschi (Kamelobersten) ernannt. Hamra Kul, ein
+großer, kräftiger Mann aus Tscharchlik, der seinen sechzehnjährigen
+Sohn Turdu Ahun bei sich hatte, wurde Att-baschi (Pferdeoberst); die
+anderen hatten diesen beiden in allem, was mit der Wartung der Tiere
+zusammenhing, unbedingt zu gehorchen. Mollah Schah erhielt keinen
+Befehlshaberposten, weil er, dessen Aufgabe es gewesen war, die Pferde
+am Kum-köll zu bewachen, gar nicht gemerkt hatte, daß ihm die ganze
+Herde fortgelaufen war. Er fing die meisten allerdings noch vor Abend
+wieder ein, aber fünf wurden erst am nächsten Morgen wiedergefunden.
+Natürlich hatten die Kosaken einen höheren Rang als die Muselmänner,
+und jeder von ihnen hatte seine bestimmte Beschäftigung und überwachte
+das Ganze.
+
+
+
+
+Zehntes Kapitel.
+
+Die Zusammensetzung der Karawane.
+
+
+So brach denn der erste Tag auf dieser Reise im innersten Asien an,
+an welchem ich die ganze Karawane auf +einer+ Stelle versammelt hatte
+und vom Rücken meines prächtigen, weißen Reitpferdes mein wanderndes
+Eigentum mustern konnte. Wir ließen jetzt keine Abteilung hinter uns
+zurück; das Hauptquartier selbst war auf dem Marsche, und wir brauchten
+uns nicht um Abwesende zu beunruhigen. Mit dem Abbrechen des Lagers und
+dem Beladen der Tiere ging es ziemlich schnell; denn jeder der Leute
+hatte seine bestimmte Arbeit. Während einige die Zelte abnahmen und die
+Kisten packten, hoben andere die Proviantlasten auf Kamele und Pferde,
+und sobald eine Abteilung fertig war, brach sie auf.
+
+Voran marschierten die Kamele in fünf verschiedenen Gruppen, jede
+mit einem Führer; die erste führte Turdi Bai selbst. Wie unter
+den Männern, so waren auch unter den Tieren einige, die besondere
+Beachtung verdienten, z. B. die drei Kamelfüllen, die ihren Müttern
+treu folgten und sich bei diesen dann und wann einen Schluck Milch
+holten. Sogar das jetzt 33 Tage alte Junge legte seine 38 Kilometer
+mit Leichtigkeit zurück. Unter den älteren Kamelen zeichnete sich
+namentlich der große, schöne „Bughra“ (Hengst) aus, der mir 1896 durch
+die Kerijawüste und nach dem Lop-nor geholfen und den wir jetzt in
+Tscharchlik wiedergekauft hatten. Sein Gang war ruhig und majestätisch,
+und mit Resignation betrachtete er die öden Gebirge, die ihm bald
+sein Leben kosten sollten. Nahr, der Dromedarhengst, war noch immer
+gehalftert, um nicht um sich beißen zu können; er hatte uns durch die
+Gobi bis Lôu-lan begleitet. Die beiden „Artan“ (Wallachs), die alle
+drei Wüstenreisen mitgemacht hatten und von denen ich das eine geritten
+hatte, trugen jetzt, weil sie völlig leidenschaftslos und ruhig waren,
+meine Instrumentkisten. Mein altes Reitkamel war eines der neun, die
+schließlich Ladak erreichten.
+
+Auch Pferde und Maulesel, 45 an der Zahl, wurden in getrennten
+Gruppen geführt, respektive getrieben und von Fußgängern begleitet,
+die aufpaßten, daß die Lasten auf beiden Seiten gleiches Gewicht
+hatten und nicht herunterglitten. Die Schafe folgten Wanka, und man
+brauchte sich nur von Zeit zu Zeit nach ihnen umzusehen. Unsere acht
+Hunde liefen in munterem Spiel nebenher und waren sichtlich von dem
+ganzen Unternehmen sehr erbaut. Der Hirsch wurde auf dieser Tagereise
+sehr krank oder erschöpft und ließ sich nicht länger zum Maisfressen
+bewegen. Er blieb unaufhörlich zurück, und da ich sah, daß er nicht die
+Kraft hatte, mit uns Schritt zu halten, ließ ich ihn blutenden Herzens
+schlachten. Das Knochengerüst wurde der Skelettsammlung beigefügt.
+
+Zuletzt wurden die Esel fertig, und wir verloren sie bald aus den
+Augen. Sie gelangten abends nicht einmal bis an das Lager. Von ihnen
+werden bestenfalls nur einige wenige diese Reise überleben. Jetzt waren
+ihrer etwa 60.
+
+Diese lange Karawane von Tieren, die mit Kisten, Zelten, Jurten,
+Ballen und Säcken beladen waren, gewährte in der öden Landschaft
+einen ebenso großartigen wie malerischen Anblick. Es war eine bunte
+Truppe, die langsam und schwer an dem blaugrünen See entlangzog. Die
+ungleichartigen Trachten und Typen trugen zur Abwechslung bei: die
+Kosaken, Russen und Burjaten, mit ihren abgetragenen Uniformen und den
+hinter dem Sattel mit Riemen festgeschnallten Pelzen, die Muhammedaner
+mit ihren Tschapanen und Fellmützen, Eseltreiber, die große Ähnlichkeit
+mit einer Rotte von Lumpen und Landstreichern haben; der Lama in
+seinem roten Gewande taucht wie das gutmütige Heinzelmännchen der
+Karawane bald hier, bald dort auf. Das Ganze erinnerte an ein Heer
+auf Kriegsfuß, das auszieht, um neue Länder zu erobern. Es war auch
+wirklich so; aber die Eroberung war friedlicher Art, da sie nur den
+Zweck hatte, dem menschlichen Wissen bisher unbekannte Länder zu
+unterwerfen. Noch sah die Karawane stark und lebenskräftig aus, aber
+man brauchte nur einen Blick um sich zu werfen, um zu ahnen, daß
+sie von dem Augenblicke an zum Untergange verurteilt war, als sie
+ihre Schiffe hinter sich verbrannt hatte und südwärts über die öden
+Hochebenen des nördlichen Tibet zog. Jetzt freilich befanden sich
+ihre Mitglieder in vorzüglicher Verfassung, aber wie lange würde es
+so bleiben? Dort dehnte sich wohl ein See aus, aber sein Wasser war
+salzig, und nicht einmal die Wildgänse rasteten an seinen Ufern; hier
+gab es wohl eine Steppe, aber ihr Graswuchs war verdorrt, erfroren und
+hart, und die Berge, nach denen wir unsere Schritte lenkten, zeigten
+ihre grauschillernden, verwitterten, felsigen Abhänge, auf denen nicht
+ein einziger grüner Fleck zum Grasen war. Daß es nur eine Frage der
+Zeit war, wie lange wir aushalten konnten, wußte ich aus Erfahrung;
+ohne Opfer würde die Fortsetzung der Reise nach Süden nie möglich
+sein. Die Karawane mußte von Tag zu Tag kleiner werden, und nur ein
+Fünftel davon sollte dieses unheimliche, mörderische Land verlassen!
+Dreißig Kamele sollten hier umkommen, und von den Pferden sollte nur
+ein einziges nach Ladak gelangen. Ich hatte 30 Leute; viele von ihnen
+sollten aber am Arka-tag wieder umkehren, namentlich alle die, welche
+mit dem Eseltransporte zu tun hatten. Von den übrigen, die für die
+ganze Reise gedungen waren, sollten auch nicht alle mit dem Leben
+davonkommen!
+
+Ich selbst ritt bald an der Spitze, bald am Ende des Zuges, mit
+meinen gewöhnlichen Arbeiten beschäftigt, von denen die Aufnahme der
+Marschroute die meiste Zeit in Anspruch nahm.
+
+Anfangs gehen wir längs des Ufers nach Süden, müssen es aber
+tückischer Moräste und Sümpfe wegen bald verlassen. Die Richtung ist
+dann südöstlich, und zu unserer Linken liegt eine große Lagune mit
+sehr salzigem Wasser. Die Hügel, die wir auf einem kleinen Passe
+überschreiten, bestehen aus weichem, lockerem Material, auf dem die
+ziemlich schwerbeladenen Kamele nur schwer und mühsam gehen können. Auf
+der anderen Seite ging es beinahe senkrecht nach einem Flusse hinunter,
+der ein wahres Höllenloch mit ziegelrotem Schlammboden durchströmte,
+in welchem man ertrinken konnte, wenn man nicht mitten im Flußbette
+blieb. Sogar dieses lebhaft fließende Wasser hatte einen bitteren
+Salzgeschmack. Die Kamele gleiten aus und sinken oft bis an die Knie
+ein. Im ersten besten Nebentale suchen wir Erlösung von diesem Elend,
+überschreiten noch einen Paß und noch ein Tal und gehen ein drittes,
+nach Süden führendes hinauf. Auch dieses lag zwischen jähen Wänden
+von lockerem, rotbraunem Material. Die phantastischsten Türme und
+Festungsmauern sind hier ausgemeißelt, und man glaubt, durch die Ruinen
+einer alten Stadt zu reiten.
+
+Jetzt galt es nur, einen einigermaßen brauchbaren Lagerplatz zu finden;
+als aber unsere Bemühungen auch beim Einbruch der Dämmerung nicht mit
+Erfolg gekrönt waren, wurde das Lager Nr. 12 in der ödesten Gegend, die
+man sich denken kann, aufgeschlagen. Weide und Brennstoff zu finden
+hatten wir gar nicht erwartet, aber hier fehlte es sogar an Wasser.
+Glücklicherweise fing es um 9 Uhr ziemlich heftig zu schneien an; alle
+Gefäße wurden ins Freie gestellt, und wir bekamen so viel Schnee, daß
+das Wasser daraus zu einigen Schlucken Tee für jeden reichte. Den
+Tieren wurde so viel Mais gegeben, wie sie haben wollten; die Esel
+würden doch nicht mehr sehr lange mitkommen können, und dann war es
+besser, uns ihrer Lasten auf diese Weise zu entledigen, als sie im
+Stiche zu lassen.
+
+Nachdem das Schneien aufgehört hatte und der gefallene Schnee
+verdunstet oder aufgetaut war, begannen wir spät abends einen Brunnen
+zu graben, der noch in 99 Zentimeter Tiefe kein Wasser gab und deshalb
+nicht weitergegraben wurde. Doch am nächsten Morgen hatte sich in ihm
+eine nicht unbedeutende Wassermenge angesammelt, die für alle Mann
+reichte; ja, selbst die Hunde bekamen etwas davon ab. Dowlet holte uns
+mit der halben Eselkarawane ein; damit sich auch die andere Hälfte mit
+uns vereinigte, wurde nur ein kurzer Tagemarsch gemacht.
+
+Tschernoff hatte die Gegend rekognosziert und führte uns nach Südwesten
+über ebenes, hartes Erdreich, das dünn mit Jappkakpflanzen bestanden
+war und nach allen Richtungen hin von Kulanpfaden durchkreuzt wurde.
+Noch sah man im Norden die Kalta-alagan-Kette, aber der See, der
+diesseits derselben liegt, wurde von den Hügeln, die wir gestern
+überschritten hatten, verdeckt. An das charakteristische tibetische
+Wetter waren wir schon gewöhnt: heftige Hagelschauer, denen
+Sonnenschein auf dem Fuße folgt, oder auch klare Luft über unserer
+Gegend, aber schwarze, freigebige Wolken ringsumher.
+
+Wie auf dem Marsche innerhalb der Karawane eine bestimmte Ordnung
+herrscht, so entsteht auch das Lagerdorf nicht aufs Geratewohl.
+Derselbe Plan wiederholt sich allabendlich, nur mit unbedeutenden,
+durch die Gestalt des Bodens bedingten Abänderungen. An dem einen
+Ende der Lastenstapelreihen hat Turdu Bai sein Zelt (Abb. 231), wo
+auch Hamra Kul, Mollah Schah und Rosi Mollah wohnen. Letzterer, der
+muhammedanische Priester der Karawane, ist ein vierzigjähriger, des
+Schreibens kundiger, sehr netter und zuverlässiger Mann. Er brachte wie
+Li Loje sein eigenes Pferd mit und erhielt gleich den meisten anderen
+Muselmännern monatlich 8 Sär.
+
+Das zweite Zelt, von Turdu Bais Flügel gerechnet, beherbergt meine
+Küche und die der Kosaken; dort residiert Kutschuk allein. Er ist
+Tscherdons Gehilfe, welch letzterer für die nächste Zeit zu meinem
+Haushofmeister ernannt worden ist. Tschernoff ist der Koch der Kosaken.
+Unsere Küche ist also von derjenigen der Muselmänner getrennt, da diese
+nicht gern mit Ungläubigen speisen und religiöse Furcht vor Töpfen
+hegen, in die sich möglicherweise einmal ein Stück Schweinefleisch
+hatte hineinverirren können. Die Kosaken wollen ebensowenig ihre Töpfe
+mit Kulanfleisch beflecken, welches die Muselmänner wiederum sehr gern
+essen.
+
+[Illustration: 218. Ein Ausläufer des wandernden Sees. (S. 82.)]
+
+[Illustration: 219. Mein Hirsch im Garten. (S. 87.)
+
+Links ein Chinese, Tschernoff und Turdu Bai, rechts Islam Bai.]
+
+[Illustration: 220. Sirkin und Tschernoff mit den beiden kleinsten
+jungen Kamelen. (S. 89.)]
+
+[Illustration: 221. Im Schatten der Weiden am Seraiteich in
+Tscharchlik. (S. 98.)]
+
+Die dritte in der Reihe ist die große, von Sirkin, Schagdur und
+dem Lama bewohnte Jurte. Jeder von ihnen hat sein Bett, das aus
+Filzdecken, Pelzen und einem Kopfkissen besteht, und eine Kiste für
+seine Sachen. Die Habseligkeiten der Eingeborenen nehmen dagegen wenig
+Raum ein und haben meistens in einer Kurtschin (lederne Doppeltasche)
+Platz. Schagdur ist jetzt nach seiner Krankheit jede Arbeit streng
+verboten. Es dauerte jedoch nicht lange, so hatte er seine frühere
+Kraft wiedererlangt und hob Kisten und Lasten mit demselben festen
+Griffe wie vor der Krankheit. Dem Lama hatte ich ein für allemal
+erklärt, daß er als „Doktor der Theologie“ nichts mit den gröberen
+Karawanenarbeiten zu tun habe, da diese von den Muselmännern besorgt
+würden. Ich sagte ihm, seine einzigen Pflichten seien, mir wie bisher
+Unterricht im Mongolischen zu geben und späterhin unser Dolmetscher
+für das Tibetische zu sein, unser „Tangut kälä“, wie es auf mongolisch
+heißt. Doch wie oft ich ihm dies auch wiederholte, er kehrte sich
+nicht daran. Es gab keine Arbeit, die dem Lama für seine an heilige
+Folianten gewöhnten weichen Hände zu grob erschien. Er hob schwere
+Kisten auf die Kamele und von den Kamelen herunter, und Turdu Bai sagte
+lachend, er habe an ihm einen ausgezeichneten Handlanger. Hierdurch
+gewann der Lama eine gewisse Popularität bei den Karawanenleuten
+und stachelte den Ehrgeiz der Muhammedaner an; ein Rechtgläubiger
+durfte ja nicht schlechter sein, als ein „Kaper“, ein Heide, der
+Schweinefleisch ißt. Der Lama besaß eine scharfe Beobachtungsgabe
+und große Menschenkenntnis. Es währte gar nicht lange, so hatte er
+die Muhammedaner sowohl nach ihrem Werte als Menschen wie nach ihrer
+Arbeitstüchtigkeit in eine Rangordnung gebracht.
+
+Darauf folgt Tschernoffs und Tscherdons kleine Jurte. Tschernoff
+überwacht alle gröberen Arbeiten in der Karawane und ist dafür
+verantwortlich, daß jeder seine Pflicht tut, und Tscherdon ist, wie
+gesagt, mein „Leibdiener“ und Koch.
+
+Zu äußerst auf dem entgegengesetzten Flügel steht meine Jurte, bewacht
+von Jolldasch und Jollbars, die manchmal gar zu eifrig auf eingebildete
+Feinde losfahren, nämlich auf unsere eigenen Pferde und Kamele, die
+friedlich in der Gegend umherstreifen oder, wenn sie vergebens nach
+Gras gesucht hatten, nach Turdu Bais Zelt zu gehen pflegen, um sich
+dort Mais zu holen.
+
+Die übrigen Karawanenleute müssen sich mit etwas provisorischeren
+„Zelten“ begnügen. Sie breiten Filzteppiche über die Kamellasten
+und finden darunter eine Lagerstatt. Ihr Essen kochen sie an den
+verschiedenen Feuern, die mitten auf den Straßen und dem Markte der
+Lagerstadt brennen. Einige von ihnen müssen jedoch die ganze Nacht
+unsere Tiere hüten und dafür sorgen, daß diese sich nicht zu weit
+entfernen. In dieser schweren Arbeit lösen sie jedoch einander ab,
+und Tschernoff paßt auf, daß hierbei keine Ungerechtigkeit vorkommt.
+Manchmal reitet er mitten in der Nacht zu den Herden, um sich zu
+überzeugen, daß die Hirten nicht schlafen. Was die Schafe betrifft, so
+wird für sie stets von den Lasten eine Hürde zurechtgemacht, denn in
+dieser Gegend ist man vor Wölfen nicht sicher.
+
+Sobald die Ansiedlung für eine Nacht fertig dasteht, herrscht zwischen
+ihren luftigen Hütten eine gute Weile Leben und Bewegung. Dann
+schwirren drei Sprachen durcheinander, Dschaggataitürkisch, Russisch
+und Mongolisch. Allmählich verstummt jedoch die Unterhaltung, Turdu
+Bai führt die Kamele auf die Weide, wenn es in der Gegend solche gibt,
+Hamra Kul macht es mit den Pferden ebenso, und beide erteilen ihre
+Befehle hinsichtlich der Behandlung und Bewachung der Tiere. Wenn an
+einem Packsattel ein Saum aufgegangen ist, wird er wieder zugenäht,
+und wenn ein Kamel oder Pferd hinkt oder kränklich ist, wird es im
+Lager zurückbehalten und mit besonderer Fürsorge gepflegt. Hier
+werden die Feuer angezündet, die wir jetzt beinahe ausschließlich
+mit trockenem Miste von Kulanen oder wilden Yaken unterhalten. Einen
+kostbaren Reservevorrat von Brennholz haben wir an den starken Leitern,
+an denen der Proviant festgebunden ist. In dem Maße, wie dieser
+zusammenschrumpft, werden die Leitern überflüssig; sie werden aber nur
+im äußersten Notfall als Feuerung verwendet, anfangs nur, um den oft
+noch feuchten Dung zum Glühen zu bringen. Sobald er in Glut ist, werden
+die Töpfe aufgesetzt und das Essenkochen beginnt. Um die Feuer herum
+sieht man Gruppen von Männern, die sich eifrig miteinander unterhalten
+und sich der Ruhe freuen. Wenn der gewöhnliche Weststurm mit tüchtigem
+Schneetreiben anhebt und, wie heute, die Gegend in wenigen Minuten
+kreideweiß und winterlich macht, decken sie sich einfach mit einer
+Filzmatte zu und fahren in größter Ruhe mit der Speisenbereitung
+fort. Meine Jurte ist in einer Viertelstunde fertig. Die Filzdecken
+und Pelze, aus denen mein Bett besteht, liegen wie die der anderen
+unmittelbar auf der Erde. Ich lasse mich auf dem Bette nieder und
+trage die Beobachtungen des Tages in die Tagebücher ein. Nach dem
+Abend- oder Mittagsessen, wie man diese Mahlzeit nennen will, wird
+das am Tage entworfene Kartenblatt ausgearbeitet, die Kompaßpeilungen
+und die Entfernungen ausgerechnet und der neue Lagerplatz auf einem
+Übersichtsblatte angegeben. Ich weiß also stets, wo wir uns befinden,
+kann mich davor hüten, mich den westlich von uns liegenden Routen
+Littledales und Dutreuil de Rhins und den östlich von uns befindlichen
+Wegen des Prinzen von Orléans und Bonvalots zu sehr zu nähern, und bin
+auch imstande, die Richtung nach Lhasa einzuhalten.
+
+Das Lager der Eselkarawane befindet sich ganz in der Nähe des
+unsrigen. Einstweilen sind dort nur 30 Esel; die anderen sind noch
+nicht erschienen. Am folgenden Morgen, 8. Juni, mußte der alte Dowlet
+umkehren, um sie zu suchen.
+
+Wir dagegen zogen südwärts durch ein ausgetrocknetes Tal. Kärgliche
+Weide gibt es hier überall, aber keine anderen Tiere als Hasen. Der
+Himmel bleibt immer noch bewölkt. Nach und nach wird das Terrain
+beschwerlich. Hunderte von kleinen, wasserlosen Bachrinnen ziehen
+sich nach einem nach Norden gerichteten Tale, das zu unserer Linken
+liegt. In dieses gehen wir hinunter und folgen ihm dann aufwärts. Es
+ist ziemlich tief in die Hügel eingeschnitten, und der Bach, der hier
+seinen Abfluß gehabt hat, hat den Talboden derartig aufgelockert
+und weichgemacht, daß die Kamele einsinken. Es klatscht nach jedem
+Schritte, den die schweren Kolosse in dem Moraste zurücklegen.
+Der lange, schwarze Zug folgt jedoch getreulich den Windungen des
+Korridors, aber der greuliche Hohlweg wird immer nasser und enger.
+Unaufhörlich erschallen eifrige Mahnrufe. Ein Kamel ist ausgeglitten
+und gefallen, ein Pferd hat sich seine Last abgeschüttelt, und ein
+Maulesel sitzt ganz im Schlamme fest.
+
+Selbst die boshafteste Phantasie kann keinen scheußlicheren, die Geduld
+mehr auf die Probe stellenden Boden erdenken. Der Abstand zwischen
+den tief ausgemeißelten Erosionsfurchen beträgt oft nur einen Fuß;
+Millionen solcher kleiner Rinnen vereinigen sich zu größeren, diese
+wieder zu noch kräftigeren, die schließlich in das nach dem Kum-köll
+führende Haupttal münden. Die Abhänge fallen überall sehr steil nach
+diesen Rinnen ab, und auf dem Schlammboden des Haupttales geht es sich,
+als hätte man Bleisohlen an den Stiefeln oder schwere Gewichte an den
+Beinen. Alle gehen natürlich zu Fuß. In einer Lache blieb mein einer
+Stiefel stecken, und ich fuhr mit dem Strumpfe bis ans Knie in den
+Morast. Die Wege, die zu Dantes Hölle führen, können nicht scheußlicher
+sein, als diese siebenmal verwünschte Schlammstraße, die an den Kräften
+der Karawane unnötigerweise zehrte. Zwei Kamele wurden so matt und
+unbrauchbar, daß sie von ihren Lasten befreit werden mußten. Aus der
+Ferne hatten diese Höhen so sanft und niedrig ausgesehen, daß die
+Männer uns fast ebenes Terrain prophezeit hatten.
+
+Schließlich wurde es gar zu toll, und wir konnten keinen Schritt mehr
+vorwärts; wir mußten aus diesem Loche heraus, gleichviel wohin, denn
+schlimmer konnte es nicht werden. Turdu Bai wollte mit der Karawane auf
+die zu unserer Linken liegenden Höhen hinaufflüchten und stellte ein
+Dutzend Leute an, die mit Spaten einen steilen Weg gruben. Unterdessen
+ritt Tschernoff weiter und kehrte bald mit der Nachricht zurück, daß in
+dieser Richtung nicht einmal ein Fußgänger weiter vordringen könne.
+
+Nun befahl ich kehrtzumachen, und mit großer Schwierigkeit kehrte der
+lange, schwerbeladene Zug in seinen eigenen Spuren um. Es war so wenig
+Platz vorhanden, daß jedes Tier auf dem Flecke, wo es sich befand,
+wenden mußte. Das Zurückgehen war noch fürchterlicher, denn der Boden
+war jetzt noch mehr aufgeweicht. Nach unzähligen Mißgeschicken kamen
+wir aus der verwünschten Falle endlich wieder heraus.
+
+Sirkin rekognoszierte jetzt ein anderes Tal, das von einem kleinen
+Passe im Westen kam. Dieses ritten wir hinauf. In der Mitte des Tales
+war ein jetzt ausgetrocknetes Flußbett mit senkrechten Uferwänden. Ein
+paarmal mußten wir es überschreiten, und wieder wurden alle Spaten
+in Tätigkeit gesetzt, um Wege in die wie Mehl stäubende rote Erde zu
+graben.
+
+Verzweifelt langsam bewegte sich die erschöpfte Karawane vorwärts.
+Ich saß auf dem kleinen Passe und ließ sie vorbeidefilieren. Endlich
+hatte ich sie alle nach der anderen Seite, wo das Terrain offener war,
+hinuntergehen sehen. Nur eines der beiden schwachen Kamele war mit Mühe
+hinüberzubringen. Fünf Mann mußten es buchstäblich hinaufschieben. Es
+wird gewiß das nächste Tier sein, welches daraufgeht.
+
+Wir rasteten auf einer kleinen Wiese an einem Quellbache. Diesmal
+beschlossen wir aus vier verschiedenen Gründen liegenzubleiben. Erstens
+war die Weide hier außergewöhnlich gut, viel besser als am Kum-köll,
+zweitens waren die Tiere abgehetzt, drittens mußten wir auf die Esel
+warten, die wir ganz aus den Augen verloren hatten und die sich bisher
+als ganz marschunfähig erwiesen hatten, -- während der beiden letzten
+Tagereisen waren viele von ihnen zusammengebrochen. Und schließlich war
+es notwendig, Kundschafter südwärts zu schicken, um einen gangbaren Weg
+zu suchen, denn es ist verkehrt, in unbekanntem Lande mit der ganzen
+Karawane einfach draufloszugehen. Die Rekognoszierung wurde Mollah
+Schah und Li Loje anvertraut, die nicht eher wiederkommen sollten, als
+bis sie einen gangbaren Weg gefunden hätten.
+
+Um 3 Uhr herrschte ein Sturm aus Westen mit Schnee und um 9 Uhr ein
+Sturm aus Osten. Halb über ein Kohlenbecken gebeugt, sitze ich im
+Pelz bei meiner Arbeit, und dabei befinden wir uns im Hochsommer, 24
+Breitengrade südlich von Stockholm! Dafür beträgt die absolute Höhe
+aber auch über 4000 Meter! Die Kamele sind zu bedauern, daß sie gerade,
+nachdem sie ihre Wolle verloren haben, ganz nackt in ein so kaltes Land
+haben hinaufziehen müssen; sie werden daher, so gut es geht, in die
+enganschließenden dicken Filzmäntel gehüllt.
+
+Der Rasttag fing mit wirbelndem Schneesturme an. Um die Mittagszeit
+klärte es sich jedoch auf, so daß ich eine Breitenbestimmung ausführen
+konnte, und dann taute der Schnee wieder auf. Abends kehrten die
+Kundschafter zurück und erklärten den Weg nach Süden hin für gangbar;
+es wurde beschlossen, früh aufzubrechen, die Esel im nächsten Lager
+zu erwarten und für den nächsten Tagemarsch wieder Kundschafter
+auszuschicken. Es ist nicht so leicht, durch Tibet zu reisen, wie
+mancher vielleicht glaubt; es erfordert im Gegenteil außerordentlich
+große Umsicht. Die Nachtkälte sank auf -13 Grad, und bei Tag stieg das
+Quecksilber nicht viel über Null.
+
+Den Fußspuren der Kundschafter folgend, zogen wir jetzt gen Süden. Das
+schwächste Kamel durfte unbeladen gehen, blieb aber nichtsdestoweniger
+schon zu Anfang des Marsches zurück und mußte mit einem Manne unterwegs
+liegengelassen werden. Ein anderes, das alles, was Paßübergang hieß,
+verabscheute, machte uns viele Beschwerde. Sobald es fand, daß es zu
+steil bergan ging, blieb es einfach stehen, und ein Pferd mußte seine
+Last übernehmen. Bergab ging es gut, doch unweit des Lagers weigerte es
+sich, wieder aufzustehen und wurde mit einem Wächter zurückgelassen.
+
+Das Terrain war hier günstig; nur ein Tal zwang uns, eine lange Strecke
+ostwärts zu gehen. Über unzählige Bachbetten und die zwischen ihnen
+liegenden Erhöhungen hinweg schlagen wir dann wieder eine südliche
+Richtung ein und gelangen an das linke Ufer des größten Flusses, den
+wir seit langer Zeit gesehen haben. Er ist wasserreich, und große
+Eisschollen glänzen in seinem Bette. Auf einer Anhöhe, wo das erste
+junge Gras dieses Jahres sproßte, wurde Halt kommandiert. Ich ging
+bis an den Rand des Ufers und befand mich da über einem gähnenden
+Abgrund mit meist völlig senkrechten Geröllwänden von 23,1 Meter Höhe.
+Eine solche Stelle ist für die wenig überlegenden Kamele gefährlich.
+Das lose Erdreich am Rande kann unter ihrem Gewichte nachgeben, und
+die Tiere können dabei in die Tiefe stürzen. Sie wurden deshalb nach
+einem sichereren Tale zurückgeführt. Turdu Bai bugsierte das zuletzt
+zurückgelassene Kamel in das Lager. Am Abend stellte sich Dowlet mit 30
+Eseln ein.
+
+Auf diesem in jeder Beziehung für uns geeigneten Lagerplatze brachten
+wir drei Tage zu. Sie waren sehr notwendig, um Ordnung in die Karawane
+zu bringen. Noch sechs Esel gesellten sich mit ihren Lasten zu den
+bereits eingetroffenen. Da die übrigen gar nichts von sich hören
+ließen, sandte ich Tscherdon mit einigen Mauleseln und Pferden zurück,
+um sich nach ihnen umzusehen und ihnen zu helfen; er kam erst am
+dritten Tage mit dem Gepäck wieder. Von den Eseln waren an dem einen
+Tage neun, am anderen dreizehn zusammengebrochen; nur ein paar waren
+noch am Leben, aber auch nicht mehr brauchbar.
+
+Die Kosaken beschäftigten sich mit Jagd, denn auch in dieser Beziehung
+war die Gegend besonders günstig. Sie erlegten mehrere Orongoantilopen
+und Gänse, welch letztere sich auf ihrer Rückreise nach Norden hier
+ausruhten.
+
+Sirkin und Mollah Schah sollten jetzt für die Führung einstehen und
+nahmen für den Fall, daß sie auf dem nächsten Lagerplatze noch nicht
+wieder zu uns stoßen würden, Pelze und Proviant mit. An diesem Tage,
+14. Juni, war jedoch das Terrain gut; wir ritten das große, offene Tal,
+das nur geringe Steigung hatte, hinauf. Nur ab und zu, im eigentlichen
+Talgrunde, war der Boden gefährlich, und man mußte erst untersuchen, ob
+er trug. Tschernoff war einmal drauf und dran zu versinken und konnte
+sein Pferd nur mit Mühe retten. Wildgänse sind überall zu sehen. Die
+Leute glaubten bestimmt zu wissen, daß es die Art war, die nicht weiter
+als bis an den oberen Kum-köll geht.
+
+Einer der Kosaken schoß ein paar von ihnen. Wir befanden uns da noch
+oben auf der Terrasse, und die verwundeten Gänse flatterten unten
+auf dem Boden des Tales. Ördek stürzte sich mit bewunderungswürdiger
+Gewandtheit den Abhang hinunter und bemächtigte sich ihrer. Er hatte
+sich dabei jedoch zuviel zugemutet und wurde hinterdrein vor Atemnot
+und Herzklopfen beinahe ohnmächtig. Nachdem er die Gänse getötet hatte,
+blieb er eine Zeitlang auf dem Rücken liegen; ich schickte einige Leute
+zu ihm hinunter. Nach einer Stunde war er jedoch wieder ebenso munter
+wie vorher. Schagdur schoß drei Rebhühner, und eine Strecke weiter
+wurde eine Orongoantilope entdeckt, die Sirkin im Vorbeireiten erlegt
+hatte (Abb. 232.) Auf diese Weise vergrößerte sich der Proviantvorrat.
+Kulane waren besonders zahlreich vertreten und zeigten sich in Herden
+von etwa 20 Tieren. Von wilden Yaken sahen wir nur Fährten und Dung,
+aber auch letzterer war wertvoll, und auf jedem Marsche wurden ein paar
+große Säcke damit gefüllt, um unseren Brennstoffvorrat zu vermehren.
+
+Beim dumpfen Geläute der großen Glocken schreitet die Karawane in der
+gewöhnlichen Zugordnung langsam vorwärts. Vor uns erhebt sich eine
+mächtige Bergkette; wir schlagen den Weg nach einer ihrer Talmündungen
+ein. Hier wuchs niedriges, dichtes Gras, und eine große, dicke Eistafel
+füllte das Bergtor aus. Der Platz eignete sich viel zu gut für das
+Lager, als daß wir daran hätten vorbeigehen können (Abb. 234).
+
+Die Zelte waren kaum aufgeschlagen, als sich eine unerwartete Episode
+zutrug. Wir hatten die große Eismasse dicht neben uns; jenseits
+derselben sah man einen schwarzen Gegenstand, den die Männer für einen
+Stein hielten. Als er aber anfing sich zu bewegen, meinten sie, es sei
+ein im Stiche gelassener Yak. Ich hörte, daß in der Jurte der Kosaken
+eifrig leise gesprochen wurde, und dann kam Tschernoff mit dem Fernglas
+zu mir geschlichen und flüsterte, vor Aufregung und Jagdeifer glühend:
+„Ein Bär geht gerade auf das Lager los!“ Und richtig, ohne von den
+Zelten und den dicht dabei weidenden Kamelen die geringste Notiz zu
+nehmen, spazierte der Petz weiter, als gehöre er zur Gesellschaft.
+Schnell wurden alle Hunde gekoppelt und hinter einen Hügel gebracht,
+damit sie die Jagd nicht störten. Die Kosaken wollten sogleich zu Pferd
+steigen und den ungebetenen Gast empfangen, denn sie glaubten, daß er
+uns bald wittern und dann die Flucht ergreifen würde, aber ich riet
+ihnen nur ruhig zu warten; es machte mir zuviel Spaß, die Bewegungen
+des Tiers durch das Fernglas zu beobachten.
+
+Der zottige Einsiedler muß blind und taub gewesen sein, denn er
+trottete ruhig weiter. Jetzt war er an der Eistafel, kaum 200
+Schritt von uns; er betrat sie und überschritt sie diagonal, immer
+gerade auf unser Lager zu. Sein Gang war außerordentlich langsam,
+er war entschieden müde. Manchmal blieb er stehen, um das Eis zu
+beschnüffeln, und den Kopf hielt er die ganze Zeit gesenkt. Dann
+verschwand er in einer Vertiefung des Eises, wo er sich eine Weile
+aufhielt, um zu saufen. Jetzt riet ich den Schützen, sich nach dem
+Eisrande zu schleichen und ihn dort mit gespanntem Hahne zu erwarten.
+
+Darauf ging er seinen ruhigen Gang weiter, gerade in den Rachen des
+Todes hinein. Die drei Schüsse krachten so gleichzeitig, daß sie wie
+ein einziger klangen. Der Petz drehte sich nicht um, sondern eilte im
+Galopp am Lager vorbei und den nächsten Abhang hinauf. Pferde standen
+schon bereit, im Nu waren die Schützen im Sattel und hinter drein,
+eine neue Salve ertönte, und wie ein Ball rollte die Bestie den Abhang
+herunter.
+
+Ich begab mich mit dem großen photographischen Apparate dorthin und
+machte ein paar Aufnahmen von dem Eremiten der öden Gebirge, dem
+tibetischen Bären (Abb. 233). Dann wurde er abgehäutet, das Fell und
+das Knochengerüst sollten aufgehoben werden. Sein Inneres war von den
+Kugeln ganz zerrissen. Es war ein uraltes Männchen; in den Zähnen, die
+es noch besaß, gähnten große Löcher; der arme Petz muß entsetzlich
+an Zahnweh gelitten haben, bis er auf diese radikale Weise kuriert
+wurde. Der Magen enthielt ein kürzlich verzehrtes Murmeltier und
+einige Kräuter. Ersteres hatte der Bär mit Haut und Haar verzehrt, die
+Knochen hatte er aber mit seinen schlechten Zähnen nicht durchzubeißen
+vermocht. Er hatte es jedoch recht pfiffig angefangen, um das Gericht
+so schmackhaft wie nur möglich zu machen. Er hatte nämlich das
+Murmeltier erst bis auf die Zehenspitzen abgezogen, dann das Fell mit
+den Haaren nach innen in einen Ball zusammengerollt und darauf diese
+Kugel ganz hinuntergeschluckt. Der Arme! Seine einsame Wanderung nahm
+ein Ende mit Schrecken. Aber warum mußte er sich auch gerade nach dem
+einzigen Fleckchen innerhalb eines Umkreises von Hunderten von Meilen
+begeben, wo Menschen mit ihren Flinten auf ihn lauerten?
+
+Am nächsten Tage kamen Sirkin und Mollah Schah wieder und sagten für
+zwei weitere Tagemärsche gut. Am 16. Juni wären wir aufgebrochen, wenn
+ich nicht mit der Nachricht geweckt worden wäre, daß ein sehr heftiger
+Schneesturm herrsche; es hatte die ganze Nacht geschneit, und der
+Schnee lag 10 Zentimeter hoch. Wir warteten daher besseres Wetter ab,
+und da das Schneetreiben den ganzen Tag anhielt, blieben wir noch eine
+Nacht hier. Förmliche Schneewehen häuften sich um die Zelte an, und von
+den Filzdecken tropfte es in meine Jurte, denn die Temperatur blieb ein
+wenig über Null, und die Jurte wurde durch das Kohlenbecken nur schwach
+erwärmt.
+
+Der 17. Juni brachte uns um so schöneres Wetter; der Himmel war rein,
+und die Sonne bereitete der Schneedecke bald ein Ende. Es ging durch
+ein ziemlich breites, wasserloses Tal immer höher nach dem Arka-tag
+hinauf. Sirkin diente jetzt als Wegweiser. Als wir endlich an eine
+kleine Quelle gelangten, mußten wir rasten, um Wasser zum Abend
+zu haben. Der Graswuchs hatte aufgehört, nur hier und da wucherte
+saftiges, grünes Moos. Abends erhob sich ein heftiges Schneegestöber
+mit Nordnordwestwind; alle Jurten bedeckten sich mit weißen Kuppeln,
+die dazu beitrugen, das Innere nachts warm zu halten, und der Schnee
+knirschte unter den Fußschwielen der Kamele.
+
+Noch waren wir nicht bis zu dem Punkte gelangt, bis zu welchem
+Sirkin rekognosziert hatte, und wir konnten also am nächsten Morgen
+weiterziehen, ohne unpassierbares Terrain befürchten zu müssen. Nach
+einer guten Weile erreichten wir endlich auf einem bequemen, flachen
+Passe den Kamm der Kette, die uns in den letzten Tagen die freie
+Aussicht nach Süden versperrt hatte. Von hier aus zeigte sich auf
+einmal die Möglichkeit für eine gute Tagereise nach Süden. Im Südwesten
+aber erhob sich eine vom Scheitel bis zur Sohle in Schnee gehüllte
+Bergkette, die nur unser alter Feind, der Arka-tag, sein konnte.
+Zwischen den beiden Bergketten, aber der, auf welcher wir uns befanden,
+näher liegend, dehnte sich ein abflußloses Becken aus, dessen Mitte
+ein kleiner, vollständig zugefrorener Süßwassersee bildete. Die Weide
+an seinen Ufern lud um so mehr zum Rasten ein, als wir jetzt wieder
+Kundschafter ausschicken mußten. Am nächsten Morgen in aller Frühe
+sollten drei Mann sich aufmachen. Entdeckten sie nach einem Ritte von
+10 Kilometer Gras, so sollten sie alle zurückkehren, fanden sie aber
+keines, so sollte einer von ihnen uns Bescheid bringen und die anderen
+weiterreiten. Einer der Kundschafter kam mittags wieder, aber auf die
+beiden anderen mußten wir zwei volle Tage warten, worauf sie endlich
+mit der Nachricht heimkehrten, daß sie einen Paß entdeckt hätten, der
+allerdings nicht allzu bequem sei.
+
+[Illustration: 222. Ein Teil des Stallhofes unseres Serai. (S. 91.)
+
+Links Sirkin auf den Reissäcken, Turdu Bai vor dem Dromedar.]
+
+[Illustration: 223. Schereb Lama auf dem „Gelbohr“ mit dem „Tiger“ an
+der Leine. (S. 96.)]
+
+[Illustration: 224. Der Tag vor dem Aufbruch aus Tscharchlik. (S. 93.)]
+
+In diesem Lager, Nr. 18 (4733 Meter), wurde ein bedeutendes Kontingent
+unserer Gesellschaft entlassen. Die noch lebenden Esel waren in so
+jämmerlicher Verfassung, daß es barbarisch gewesen wäre, sie mit
+über den Arka-tag zu nehmen. Dowlet Karawan-baschi erhielt daher die
+Erlaubnis, zu retten, was sich noch retten ließe, und mit seinen
+fünf Eseltreibern wieder nach Norden zu ziehen. Im besten Falle wird
+eine geringe Zahl der Esel die Heimreise überlebt haben, aber der
+Alte hatte auch einige Pferde, die noch in gutem Zustande waren. Die
+Skelette und die Felle des Hirsches und des Bären wurden eingepackt,
+und Dowlet erhielt den Auftrag, sie mitzunehmen und nach Kaschgar
+zu schicken, wo ich sie ein Jahr später unversehrt vorfand. Ein
+gutes Geschäft machte er bei seinem Eseltransporte nicht, aber die
+Miete für die einzelnen Esel war so reichlich bemessen, daß er
+wenigstens den Wert der Tiere wiederbekam. Desgleichen wurden drei von
+unseren in Tscharchlik angestellten Dienern, Nias, Kader und Kurban,
+verabschiedet. Umkehren wollte keiner, aber da wir drei Männer gut
+entbehren konnten, wurden diejenigen ausgesucht, die sich bisher als
+die am wenigsten tüchtigen erwiesen hatten.
+
+So dezimiert, setzten wir am 21. Juni die Reise nach Südsüdwesten
+fort, immer höher werdenden Regionen entgegen, auf vortrefflichem,
+langsam aufsteigendem Terrain von ungefähr der richtigen Härte und
+mit spärlichem Graswuchs. Wenn ich von Gras rede, darf sich der Leser
+keinen übertriebenen Hoffnungen für die Tiere hingeben. Die Gegend
+ist für gewöhnlich absolut steril, und wenn man gelegentlich kleine
+Flecke mit strohgelben, harten, scharfen, wenige Zentimeter hohen
+Halmen findet, nennt man dies Gras. Man tut gut, sich nicht allzuleicht
+bekleidet auf einem Hügel, wo solches „Gras“ wächst, auszuruhen, denn
+es ist hart wie Knochen und sticht wie scharfe Nadeln sogar durch
+ziemlich dicke Stoffe. So ist es mit der einzigen Nahrung bestellt, die
+sich unseren Tieren in diesem unwirtlichen Lande darbietet!
+
+Der Zug schreitet ein ziemlich großes, breites Flußtal hinauf, das
+von den Schneebergen des Arka-tag, die sich uns als hindernde Mauer
+in den Weg stellen, herabführt. Wieder galt es, diese mörderischen
+Verschanzungen zu erstürmen; der Sturm gelingt, aber nicht ohne
+Verluste.
+
+Zwei Antilopen fielen unter Schagdurs und Sirkins Kugeln. Als
+letzterer in vollem Galopp zu seiner Beute ritt, stürzte sein Pferd
+und überschlug sich; der Reiter wurde über den Kopf weggeschleudert
+und rollte auf dem Boden, das Pferd aber blieb tot liegen, sei es, daß
+es das Genick gebrochen hatte oder daß es vom Schlage gerührt worden
+war. Sirkin kam zu Fuß nach und besorgte sich bald ein neues, obwohl
+schlechteres Pferd; das tote, ein sehr schönes, kräftiges Tier, war
+sein besonderer Liebling gewesen.
+
+Das Kamel, das die Paßerkletterungen verabscheute, kam auch heute nicht
+mit. Turdu Bai blieb bei ihm, traf aber abends allein im Lager ein. Am
+Morgen gingen ein paar Männer zu dem Kamele zurück, mit dem Auftrag,
+es totzustechen, wenn es ihnen nicht folgen wolle. Erst jenseits des
+Arka-tag erfuhr ich, daß sie es nicht hatten übers Herz bringen können,
+das Tier zu töten; es sei ganz gesund gewesen und werde sich sicher
+in der Spur der Karawane in seine Heimat zurückzufinden wissen. Nur
+zum Hinaufziehen nach noch viel höher gelegenen Gegenden habe es sich
+durchaus nicht bewegen lassen wollen!
+
+Mein altes Reitkamel, Tschong Artan, wurde im Lager Nr. 19 von einem
+sonderbaren Übel ergriffen. Seine Hinterbeine waren wie gelähmt, und
+es konnte nur gehen, wenn ihm zwei Männer je eines der Beine aufhoben.
+Es tat mir stets weh, die Veteranen, die mich von Anfang an begleitet
+hatten, verlieren zu müssen, und sie wurden daher ganz besonders
+sorgfältig gepflegt. Schon jetzt hatten wir neun Kamele, die deutliche
+Anzeichen von Erschöpfung zeigten. Jedes von ihnen erhielt allabendlich
+ein großes rundes Weizenbrot. Mit diesem wichtigen Proviantartikel
+gingen wir eine Zeitlang sehr wenig haushälterisch um, und der auf neun
+Monate berechnete Vorrat reichte kaum für sechs aus. Aber die Last
+war für die jetzt schon zusammengeschrumpfte Karawane viel zu schwer
+und mußte um jeden Preis erleichtert werden. Lieber fütterten wir die
+Kamele tüchtig, als daß wir etwas unterwegs im Stiche gelassen hätten.
+
+Der neue Patient wurde massiert und auf dem Marsche über den Arka-tag
+von seiner Last befreit. Das Tier erholte sich erstaunlich gut und war,
+wie ich schon erwähnt habe, eines der neun überlebenden Kamele, die
+Ladak erreichten. Es ging stets an der Spitze der Karawane und trug
+eine große Glocke.
+
+Auf dem Tagemarsche nach dem neunzehnten Lagerplatze -- von Tscharchlik
+gerechnet -- hatten wir 32,3 Kilometer zurückgelegt. Es sollte lange
+dauern, ehe wir wieder imstande waren, einen so langen Weg ohne
+Unterbrechung zu machen.
+
+
+
+
+Elftes Kapitel.
+
+In Schneesturm über den Arka-tag.
+
+
+Am 22. Juni wurde ich in aller Frühe geweckt. Obwohl der Morgen kalt
+und unfreundlich und die Jurte nur schwach erwärmt war, ging es
+mit dem Ankleiden gut, und es dauerte nicht länger als gewöhnlich,
+bis die Karawane marschfertig war. Heute, da das Erstürmen der
+Höhen des Arka-tag versucht werden mußte, sollte die ganze Karawane
+beisammenbleiben. Der Himmel sah nicht sehr verheißungsvoll aus, als
+der lange Zug sich langsam nach dem Passe hinauf zu bewegen begann.
+
+Kaum einen Steinwurf vom Lager entfernt, legte sich eines der schwachen
+Kamele nieder. Die Last wurde ihm abgenommen, es stand auf und ging
+noch eine Strecke weit, sank dann aber kraftlos an einem Abhange nieder
+und war offenbar verloren. Mit einem Schnitte öffnete das Messer den
+Abfluß für einen schwarzen dicken Blutstrahl, der allmählich ein höchst
+eigentümliches Aussehen annahm. Stoßweise kam aus der Wunde weißer,
+Schlagsahne gleichender Schaum, unter diesem aber bildete das Blut ein
+Bächlein. Das Kamel lag ganz still und schien sich über die Erlösung zu
+freuen. --
+
+Weiter ging es, das ziemlich wasserreiche Tal hinauf. Jetzt brach eines
+der fürchterlichsten Unwetter los, das ich je in Tibet erlebt habe.
+Es kam mit nordwestlichem Winde heran und schüttete Massen von Schnee
+und Hagel über uns aus. Der Schnee taute auf den Kleidern auf, und
+man wurde durch und durch naß; man wurde steif vor Kälte und suchte
+sich vergebens gegen den schneidenden Wind zu schützen. Die Steigung
+war unbedeutend, aber auf dieser Höhe und bei diesem Wetter dennoch
+vernichtend. Ein Kamel nach dem anderen blieb erschöpft stehen und
+wollte keinen Schritt weiter; sie wurden abgekoppelt und mit einem
+Wächter zurückgelassen. Zwei ließen wir mit ihren Lasten liegen, um sie
+später zu holen, den anderen mußten die Pferde tragen helfen.
+
+Bei dem undurchdringlichen Schneegestöber sieht man von der Gegend
+keine Spur. Als die Sonne auf ihrer Mittagshöhe stand, herrschte
+Halbdunkel, und es schneite ununterbrochen. Der Schnee deckt alles zu,
+nur der Fluß bildet ein dunkles, gewundenes Band, und sein Rauschen
+klingt metallisch in der verdünnten Luft. Ich beuge mich vornüber im
+Sattel, um mein Kartenblatt, das schon durchnäßt ist, zu retten. Wohin
+es geht und wie es geht, weiß ich nicht; ich folge nur der nächsten
+Karawanenglocke. Langsam wie Schnecken kriechen wir nach diesem
+unheimlichen Passe hinauf, während der Weg allmählich immer steiler
+wird. Von Zeit zu Zeit durchschneidet ein Brüllen die Luft, und es
+erschallt der Ruf: „Tuga kalldi“ (ein Kamel ist stehengeblieben). Ein
+Mann erbarmt sich des müden Tiers und führt es langsam den anderen
+nach; bald ist er uns aus den Augen entschwunden.
+
+Die Schneedecke wurde immer höher. Ich ritt mit dem Lama voran, um
+zu sehen, ob der Paß überhaupt den Übergang gestattete. An und für
+sich war er nicht schwer zu überschreiten; aber die große absolute
+Höhe und der Schnee! In unsere Mäntel gehüllt, saßen wir, auf die
+anderen wartend, auf dem Passe und suchten den Schutz, den uns die
+Pferde gewähren konnten. Der Sturm schlägt uns mit seinen feinen,
+scharfen Schneenadeln ins Gesicht; man zittert vor Kälte und ringt
+nach Luft auf dieser Höhe von 5189 Meter! Wir hörten das schwermütige
+Läuten der Glocken und das Rufen der Leute durch das hier oben mit
+verdoppelter Kraft rasende Unwetter, aber es dauerte lange, bis die
+ersten Ankommenden, Gespenstern gleich, zwischen wahren Wolkensäulen
+von wirbelndem Schnee erschienen.
+
+Gott sei Dank, dachte ich, als ich wenigstens 30 von den 34 Kamelen,
+die es nach meiner Rechnung sein mußten, gezählt hatte. Zwei waren
+nicht mehr bis an den letzten Paßabhang gekommen, zwei waren dicht
+vor dem Passe zusammengebrochen. Unter den fehlenden waren auch das
+älteste Junge und seine Mutter; immerhin war es noch ein Glück, daß
+sie miteinander in den Tod gingen. Die Pferde bestanden die Probe ohne
+Schwierigkeit, und den Mauleseln machte es gar nichts aus. Sogar die
+Schafe fanden sich gut damit ab.
+
+Die Südseite des Arka-tag dachte sich sehr allmählich ab, und wir
+durchschritten hier einen großen, offenen Kessel, der auf allen Seiten
+von verhältnismäßig niedrigen Bergen umgeben war. Das Erdreich aber war
+abscheulich. Der frischgefallene Schnee hatte sich in Schneeschlamm
+verwandelt, der bei jedem Schritt klatschte und den Fuß förmlich
+festsog. Große Umwege wurden gemacht, um die tückischsten Stellen zu
+umgehen. Es ist gar nicht daran zu denken, in solch einer Suppe zu
+lagern; Kamele und Kisten würden einsinken und so fest im Schlamme
+stecken, daß man sie überhaupt nicht wieder herausbekäme.
+
+Noch als die Dämmerung schon einbrach, waren diese unheimlichen
+weißgekleideten Bergrücken Zeugen unseres mühevollen Zuges. Wir suchten
+jetzt nur nach einem trockenen Flecke, auf dem unser Lager Platz finden
+konnte; an Weide und Brennholz dachte keiner, das wäre zuviel verlangt
+gewesen. Endlich erreichten wir einen Kiesabhang, der die Nässe
+einsickern ließ; hier wurde gelagert.
+
+Turdu Bai und mehrere der Leute fehlten noch und kamen erst gegen 10
+Uhr an, nachdem sie die vier Kamele im Stiche gelassen hatten. Doch
+am 23. Juni kehrten sie bei Tagesanbruch mit einigen Pferden wieder
+zu ihnen zurück, um zu versuchen, ob sie sich nicht retten ließen,
+oder um wenigstens ihre Lasten und das Stroh der Packsättel zu bergen.
+Leider war es mit dieser Hoffnung nichts; die Tiere waren nicht mehr
+zu retten und mußten getötet werden. Wir verlassen sie nie, bevor es
+ganz feststeht, daß es mit ihnen zu Ende geht, und dann befreit sie
+das Messer von ihren Leiden. Ein warmer Blutstrahl schmilzt den Schnee
+zwischen den Steinen, auf denen ihr Gebein bleichen wird. Eines der
+Kamele war schon verendet und lag kalt und steif im Tale.
+
+An diesem einen Tage hatten wir also fünf Kamele verloren, der größte
+Verlust an Tieren, den ich je erlitten habe, nicht einmal die Wüste
+Takla-makan ausgenommen! Die Kerntruppe der Karawane hatte sich um ein
+Siebentel verkleinert, und die Lasten werden jetzt den überlebenden
+Tieren zu schwer werden. Ich ließ diese Mehl und Mais fressen, soviel
+sie nur konnten, und auch die Pferde durften nach Herzenslust fressen.
+Wir legten nur noch 11 Kilometer zurück. Die Hauptsache war jetzt,
+einen leidlichen Lagerplatz zu finden, wo wir die Tiere nach ihren
+Strapazen aufatmen lassen konnten. Als wir daher über eine kleine
+Wasserscheide mit zwei zugefrorenen kleinen Seen gegangen waren und
+südlich davon am Ufer eines Baches einige kümmerliche Grasbüschel
+fanden, machten wir Halt. Einer von den übrigen Todeskandidaten
+unter unseren Kamelen kam nur noch mit Mühe bis an diesen Platz.
+Eins der Pferde, das fett und gesund aussah, starb ganz plötzlich
+im Lager. Jetzt begann der Abschnitt der Reise, währenddessen kaum
+ein Tag verging, ohne daß wir ein Grab hinter uns zurückließen. Von
+den Skeletten geführt, könnte man dem Wege der Karawane folgen; ein
+trauriger Weg, dessen Meilensteine Gerippe sind! Die Kamele pflegen,
+wie ich oft gesehen habe, zu weinen, wenn sie den Tod herannahen fühlen
+und das Blut in ihren Adern zu erstarren beginnt.
+
+Jetzt durften wir uns endlich guten Wetters erfreuen. Die Sonne schien
+ordentlich warm, und alles trocknete von der Nässe auf dem Arka-tag.
+Hierdurch verringert sich das Gewicht der Lasten nicht wenig. Der
+Morgen des Johannistages war klar, aber vollständig winterlich.
+Sobald ich mein Frühstück und meinen heißen Tee erhalten hatte,
+inspizierte ich die Karawane. Heute wurde gemeldet, daß Hamra Kul,
+der Pferdeaufseher, ernstlich erkrankt sei. Er saß in seinem Zelte,
+sah elend aus und hatte überall Schmerzen; er erhielt Chinin und ein
+Reitpferd. Den Tag vorher hatten nämlich alle Muselmänner zu Fuß gehen
+müssen, weil die Pferde für die Lasten der gefallenen Kamele gebraucht
+wurden.
+
+Dann ging es zu meinem prächtigen Reitpferd, das kaum auf seinen
+zitternden Beinen stehen konnte. Der Lama, der neben seiner
+Priesterwürde auch Arzt von Beruf war und eine ganze Kiste mehr oder
+weniger wirksamer Drogen aus Lhasa bei sich hatte, nahm sich seiner an
+und wollte dafür einstehen, daß er wieder Leben in das Tier bringen
+würde. Er öffnete ihm an beiden Vorderfüßen die Adern, so daß das
+dunkle Blut herausströmte. Dann verband er die Wunden, und das Pferd
+folgte uns mit stolpernden Schritten und erreichte abends das Lager.
+Mehrere Kamele waren elend, alle waren erschöpft, und einige gingen
+ohne Lasten. Man fühlt, daß der Tod die Karawane begleitet, sich seine
+Opfer auswählt und sie niederstreckt, und man fragt sich nur, an wen
+das nächste Mal die Reihe kommen wird. Die Hoffnung, in einigen Wochen
+wieder in günstigere, wärmere, grasreichere Gegenden zu gelangen, hielt
+uns jedoch aufrecht.
+
+Der Johannistag verlief übrigens noch glücklich genug. Das Terrain
+legte uns keine Hindernisse in den Weg, und wir marschierten südwärts
+in einer Zickzacklinie, um die zahllosen kleinen Süßwasserseen und
+Tümpel, die das Hügelland kennzeichnen, zu umgehen. Die Seen sind
+gewöhnlich zugefroren. Dann aber erhob sich vor uns wieder eine nicht
+unbedeutende Kette, die bisher von den Hügeln verdeckt worden war.
+Turdu Bai, der stets an der Spitze ritt, wollte sie auf dem ersten
+besten Passe überschreiten, ich zog es aber vor, nach Westnordwesten in
+ein mächtiges Tal hineinzugehen, das sich in dieser Richtung hinzog.
+Beim ersten Weideplatz schlugen wir unser Quartier für die Nacht auf
+und wurden dabei mit einem schmetternden Hagelschauer traktiert.
+
+Die erste Sorge im Lager ist das Untersuchen und Gruppieren der Tiere.
+Die gesunden dürfen frei umherlaufen, die schwachen müssen bei den
+Zelten bleiben. Der Lama ließ meinem Reitpferd noch einmal zur Ader
+und gab ihm darauf ein langdauerndes, eiskaltes Fußbad im nächsten
+Bache. Diese „Pferdekur“ muß doch heilsam gewesen sein, denn das
+Tier wurde sichtlich besser, graste eine Weile mit gutem Appetit und
+knabberte dann seine Maiskörner, wobei ihm die Augen vor Freude und
+Wohlbehagen leuchteten. Da wir sechs ganze Kamellasten Reis hatten,
+wurde beschlossen, unter den Mais für die Tiere künftig auch Reis zu
+mengen, um ihre Kräfte dadurch zu stärken und aufrechtzuerhalten, bis
+wir Gegenden mit frischem grünem Grase erreichten, und auch um die
+Lasten zu erleichtern. So verging dieser Johannistag glücklich und gut
+und ohne Verlust eines einzigen Lebens.
+
+Ich war jetzt gerade zwei Jahre unterwegs und konnte dankbar und
+befriedigt auf die ausgeführte Arbeit zurückblicken.
+
+25. Juni. Jetzt haben wir lange kein Brennmaterial gefunden, und die
+Saumleitern sind in demselben Verhältnis draufgegangen wie die Kamele.
+Ohne ein kleines Kohlenbecken in meinem Zelte kann ich nicht arbeiten.
+Die Morgen sind recht kalt, und die Nachttemperatur sinkt gewöhnlich
+unter Null herab, so daß die Erde ein paar Stunden gefroren bleibt,
+dann taut sie wieder auf.
+
+Unsere Richtung führt jetzt fast ganz nach Westen, denn wir folgen noch
+immer dem Längentale, das mit dem Südfuße des Arka-tag parallel läuft.
+Wir legten nur 19,1 Kilometer zurück. Mein erstes Ziel ist der See, an
+dem wir am 28. und 29. September 1900 gelagert und bei dem ich damals
+eine astronomische Ortsbestimmung gemacht hatte, an die ich jetzt die
+neue Observationskette anknüpfen wollte.
+
+Der Marsch war einförmig, wie er es in diesen breiten, leblosen,
+sterilen Haupttälern zu sein pflegt, wo eine Tierfährte eine
+außerordentliche Seltenheit ist. Es erweckte förmliches Aufsehen, als
+wir einmal entdeckten, daß eine Orongoantilope quer durch das Tal
+gelaufen war. Das Terrain ist stark wellenförmig, und die Aussicht nach
+vornhin erstreckt sich nicht sehr weit. Man geht einem die Aussicht
+versperrenden Landrücken entgegen, auf welchem der Führer und sein
+Pferd sich wie ein scharfer Schattenriß vom Himmel abheben, und man
+glaubt und hofft, daß der Mann dort ein endloses Panorama überblicken
+könne; doch man irrt sich, denn von dem Hügel sieht man nur ganz in der
+Nähe wieder einen solchen Landrücken. So geht es den ganzen Tag, bis
+wir endlich an einem ganz kleinen See rasten. Seine Fläche ist mit Eis
+bedeckt, an den Ufern aber ist offenes Wasser.
+
+In der Dämmerung inspiziere ich wieder das Lager. Jetzt kommt es nie
+mehr vor, daß sich alle wohl fühlen. Hamra Kul ist wieder gesund, dafür
+aber hat jetzt Rosi Mollah, der Priester, Rachenkatarrh, und der alte
+Kameltreiber Muhammed Turdu klagt über Brustschmerzen. Beide bekommen
+Medizin, die dank ihrer eigenen Einbildungskraft auch hilft, und sind
+von allen Arbeiten befreit, bis sie wieder gesund sind. Mehrere von den
+anderen klagen über Kopfweh, weshalb sie je ein Antipyrinpulver nehmen
+müssen und damit getröstet werden, daß in diesen höheren Regionen
+niemand einem Anfalle von Bergkrankheit (Tutek) entgehen könne; ich
+selbst fühle jedoch keine Spur davon.
+
+Mein Pferd ist entschieden außer jeder Gefahr, wird aber bis auf
+weiteres noch nicht zur Arbeit benutzt. Mehrere Kamele sind jämmerlich
+mager. Die zwei kleinen Füllen saugen und zerren an den Eutern ihrer
+Mütter, werden aber bei weitem nicht satt. Darum haben sie Weizensemmel
+fressen lernen müssen, die sie delikat finden und hinunterschlucken,
+aber man muß sie ihnen auch ins Maul stecken!
+
+26. Juni. Heute herrschte ein höchst eigentümliches Wetter. Der Morgen
+war strahlend schön und die Luft sommerlich warm, aber schon früh
+erhob sich ein so außerordentlich heftiger Westwind, daß wir, die wir
+ihm gerade entgegenritten, nach Atem rangen und uns möglichst hinter
+denjenigen Kamelen hielten, die die höchsten Lasten trugen. Sich durch
+einen solchen Sturm durchzuarbeiten, strengt die Tiere, die es in
+der verdünnten Luft schon ohnehin schwer genug haben, noch mehr an.
+Man kann hier von einem Westpassate reden, so beständig scheint die
+Windrichtung zu sein. Als wir endlich unser Lager Nr. 61 vom vorigen
+Herbste erreichten, herrschte dort derselbe heftige Wind wie damals;
+Sand und Staub wirbelten in der Luft, und Zelte und Jurten drohten,
+zerfetzt und von den unglaublich gewaltsamen Windstößen fortgeweht zu
+werden.
+
+Das heutige Lager, Nr. 24, fällt mit Nr. 61 vom vorigen Jahre
+zusammen, und ich gewann einen unschätzbaren Kontrollpunkt für die
+Karte. Von unserem früheren Besuche zeugten nur noch von den Feuern
+übriggebliebene Kohlen- und Aschespuren. Wir lagerten auf derselben
+Stelle am linken Ufer des kleinen Baches.
+
+Der größere Teil des Sees war noch mit einer porösen Eisschicht
+bedeckt. Erst Mitte Juli wird der See wieder offen sein, aber nur,
+um Anfang November von neuem zuzufrieren. Die Eisverhältnisse sind
+natürlich bei den verschiedenen Seen sehr verschieden und richten sich
+nach dem Salzgehalt, der Größe und der mehr oder weniger geschützten
+Lage der Seen. Die kleinen Süßwassertümpel in der Nähe des Arka-tag
+sind den größten Teil des Jahres über zugefroren.
+
+Heute herrschte jedoch Sommerwetter, und um 1 Uhr stieg die Temperatur
+trotz des heftigen Windes beinahe auf +20°. Es war ein warmer
+Luftstrom, ein richtiger Föhn, der über diese kalten, hohen Regionen
+hinfuhr; ein Sommerwind über einen zugefrorenen See.
+
+[Illustration: 225. Unser Lager in Jiggdelik-tokai. (S. 105.)]
+
+[Illustration: 226. Der Tscharchlik-su bei der letzten, scharfen
+Durchbruchsbiegung. (S. 105.)]
+
+Während des Rasttages, den wir hier verlebten, hatte ich
+glücklicherweise Gelegenheit, eine Ortsbestimmung zu machen. Sirkin
+und Turdu Bai rekognoszierten das Land nach Westen hin und fanden dort
+keine Hindernisse auf unserem Wege. Um diesen wichtigen Knotenpunkt
+zu fixieren und deutlich zu bezeichnen, errichteten die Kosaken
+einen doppelten Steinhaufen von Schieferplatten, in welche Sirkin
+und Schagdur ihren Namen einmeißelten, während der Lama sein ewiges
+„Om mani padme hum“ in eine große Scheibe einritzte (Abb. 235).
+Dieser Obo steht auf einem Hügel am rechten Ufer und ist leicht zu
+finden, wenn später einmal ein Reisender seine Schritte nach dieser
+Gegend lenken sollte. Meine Karte ist überdies so detailliert, daß man
+mit ihrer Hilfe auf unseren Lagerplatz direkt wird zugehen können.
+Die Muselmänner wollten auch nicht zurückstehen und errichteten ihre
+eigene Steinpyramide; ein gewisser Ehrgeiz trieb sie an, diese höher
+aufzutürmen, als der „heidnische“ Obo war.
+
+Am 28. Juni zogen wir längs des Ufers weiter. Es war wirklich
+herzerquickend, daß man heute nicht nötig hatte, die Kamele steile
+Abhänge hinaufkeuchen zu sehen; sie gingen ruhig auf dem festen ebenen
+Kiesufer. Im Südwesten kamen wir an noch einen See, dessen Ostufer uns
+zwang, nach Südosten abzubiegen. Meine Absicht war jetzt, noch eine
+Zeitlang möglichst nach Südwesten zu ziehen, um die schwer passierbaren
+Berggegenden, die wir von der vorjährigen Reise her kannten, zu
+vermeiden.
+
+Der neue See, an dessen Ufer das Lager Nr. 25 aufgeschlagen wurde, war
+ebenfalls mit ziemlich dickem Eise bedeckt.
+
+Am 29. Juni marschierten wir ganze 27 Kilometer. Anfangs ging es nach
+einem niedrigen Passe hinauf, der, wie die ganze Gegend, schneefrei
+war. Von hier hatten wir nach Süden hin die herrlichste Aussicht über
+ein neues, breites und flaches Längental, das sich in ostwestlicher
+Richtung hinzog und reich an Seen war. Der größte von diesen lag im
+Südwesten; daß er salzig war, konnten wir daraus schließen, daß er
+völlig eisfrei war. Auf seinem Südufer erhoben sich feuerrote, weich
+abgerundete Hügel, deren grelle Farbe sich ebenso scharf von der sonst
+einförmig grauen Landschaft abhob wie der herrliche, rein marineblaue
+Wasserspiegel des Sees. Im Südosten und Süden zeigten sich drei
+dominierende Schneegipfel.
+
+Jetzt handelte es sich nur darum, Wasser zu finden. In dem nach dem
+See hinunterführenden Tale floß ein Bach, der aber salzig war, und
+auf dem Westufer des Sees gab es keine Quellen. Eine Strecke weiter
+entdeckte Schagdur, der vorausritt, einen Fluß, an dem wir inmitten
+kärglicher Weide rasteten. Wie meistens in den offenen Tälern machte
+sich der Westpassat mit aller Kraft geltend. Ein Blatt aus meinem
+Notizbuche löste sich und flatterte im Winde dem nahegelegenen See zu,
+aber der Lama setzte sein Pferd in scharfen Trab und fing das Blatt im
+letzten Augenblicke noch glücklich auf. Bei Sonnenuntergang herrschte
+vollkommene Windstille; aber um 8 Uhr tobte ein Nordsturm von 17 Meter
+Geschwindigkeit in der Sekunde! Sein klagendes Geheul übertönte alle
+anderen Laute und wurde nur gelegentlich von dem Geschrei der Männer
+durchdrungen, wenn sich etwas gelöst hatte und fortfliegen wollte.
+
+Erst gegen Morgen legte sich der Sturm, und der neue Tag brach klar und
+schön an, obwohl der Passat noch ununterbrochen aus Südwest wehte. Ohne
+allzu große Anstrengungen überwanden wir die Höhen, die sich auf der
+Südseite des Sees hinziehen, und ich brauchte kein schwarzes Kreuz in
+den Kalender zu zeichnen. Der Marsch war freilich recht beschwerlich,
+denn wir mußten über drei Pässe, ehe wir wieder an fließendes Wasser
+gelangten, in dem wir rasch den Oberlauf desselben Flusses, an welchem
+wir zuletzt gerastet hatten, erkannten. Hätten wir hiervon eine Ahnung
+gehabt, so hätten wir uns natürlich die Pässe geschenkt und wären in
+dem harten Bette, in dem es sich vorzüglich marschierte, weitergezogen.
+Doch es sind ja unbekannte Teile der Erdrinde, die wir durchziehen, und
+dies ist gerade das Einzigschöne an der ganzen Reise.
+
+Am 1. Juli gingen wir 27½Kilometer nach Süden. Ich hatte allen
+Grund zu vermuten, daß, wie unser Schicksal sich auch gestalten würde,
+mit diesem Tage ein ereignisreiches Halbjahr beginnen werde. Auf
+unserem Wege erhob sich eine gewaltige Bergkette, deren höchste Partie,
+die mit einer ewigen, eisartig glänzenden Schneehaube bedeckt war, auf
+einer von beiden Seiten umgangen werden mußte. Tschernoff, der die
+westliche untersucht hatte, kam uns auf halbem Wege mit der Nachricht
+entgegen, daß dieser Weg für die Kamele unmöglich sei. Tscherdon und
+der Lama hatten auf der Ostseite mehr Glück gehabt, bereiteten uns aber
+auf einen schweren Übergang vor.
+
+In langsamem Tempo schritt die Karawane nach der schwindelnden Höhe
+hinauf. Die Steigung nimmt zu, der Fluß wird immer wasserreicher,
+je mehr wir uns dem ewigen Schnee nähern, von dessen schmelzenden
+Zungen in den Klüften eine ganze Reihe kleiner Bäche in Schuttbetten
+herunterrieseln. Im Hauptbett ist das Wasser ganz rot und dick und
+wälzt sich dumpf und schwer talabwärts. Jegliche Vegetation hat
+aufgehört, nicht einmal ein Moosfleckchen kann in dem Schutte wurzeln
+und gedeihen. Endlich haben wir den letzten steilen Abhang besiegt. Die
+Kamele atmen laut und schwer, die Leute, von denen viele haben zu Fuß
+gehen müssen, um die Lasten zu überwachen, sinken kraftlos zu Boden, da
+es ihnen schwarz vor den Augen wird. Ganz oben auf dem Passe erwartet
+uns der Lama; sein rotes Gewand macht sich weniger als gewöhnlich
+geltend, denn die Gesteinart ist rotes Konglomerat, und die ganze
+Landschaft schillert in roten Schattierungen.
+
+Obwohl fünf Kamele schwach waren und drei ohne Last gingen, erreichten
+sie alle diesen 5337 Meter hohen Paß, der also bedeutend höher als der
+Arka-tag, aber schneefrei ist. Ein Glück war, daß wir diesmal von einem
+Schneesturm verschont blieben. Der Südabhang dieses dominierenden
+Gebirgsstockes war dagegen fast ganz schneefrei. Doch sammelte sich
+auch hier ein ziemlich bedeutender Fluß, der nach Südosten abbog und
+zwischen einem Gewirr von Bergen verschwand. Wie schon so oft, konnten
+wir nicht feststellen, wo er blieb. Wahrscheinlich ergießt er sich
+in irgendeinen versteckt liegenden See. An seinem rechten Ufer wurde
+das Lager Nr. 28 aufgeschlagen. Von Weide und Brennmaterial konnte an
+diesem wüsten Orte nicht die Rede sein.
+
+Es ist jetzt eine ausgemachte Sache, daß die Medizinkiste in jedem
+Lager herhalten muß. Tschernoff hatte wütende Kopfschmerzen, Turdu Bai
+klagte über Stechen in dem einen Auge und wurde mit Kokain behandelt,
+dessen Wirkung ihm ungeheuer imponierte. Hamra Kul ging es am Tage
+vorher ebenso, als ich ihm sein Zahnweh mit Zahntropfen stillte. Es war
+wohl mehr der Neugierde zuzuschreiben, daß heute wieder drei Patienten,
+besonders Islam Ahun aus Tscharchlik, über Zahnschmerzen klagten.
+Sie wollten wahrscheinlich ausprobieren, ob Hamra Kuls lebhafte
+Beschreibung von der Kraft des Heilmittels mit der Wirklichkeit
+übereinstimmte. Am schlimmsten steht es mit Muhammed Tokta, der über
+sein Herz klagt und an Schlaflosigkeit leidet. Er ist schon lange von
+aller Arbeit entbunden und sollte sie nie wieder aufnehmen können. Von
+Zeit zu Zeit gab ich ihm Morphium zum Schlafen.
+
+Die Medizinkiste wurde als ein wundertuender Talisman betrachtet.
+Sobald sie hervorgeholt wurde, versammelten sich alle, die gerade
+nichts zu tun hatten, vor meinem Zelte. Viele bittende Blicke wurden
+während der monatelangen Reise auf den Blechdeckel der Kiste gerichtet.
+Ich selbst war so glücklich, von ihrem Inhalt nie Gebrauch machen zu
+müssen.
+
+Auch am 2. Juli wurde ein schöner Marsch von 26½ Kilometer gemacht,
+der uns durch eine Landschaft aus rotem Sandstein führte. Von dem
+schlechten Grase wenig gesättigt, müssen die Kamele täglich ihre
+schwere Lasten geduldig weiter über die Berge schleppen. Das Schlimmste
+ist, daß sie selbst leichter werden und von ihrem eigenen Fette zehren,
+das nicht ersetzt werden kann, weil sie keine genügende Nahrung
+erhalten. Von dem Mais sind jetzt nur noch drei große Säcke übrig.
+Werden wir Gegenden mit besserer Weide erreichen, ehe es zu spät ist?
+
+Eine recht ansehnliche Bergkette zwingt uns, nach Südwesten zu gehen.
+Mehrere Tümpel und kleine Seen glitzern im Sonnenschein. Hier wanderte
+eine nichts Böses ahnende Orongohindin mit ihrem wenige Tage alten
+Jungen, das von Jolldasch gejagt, eingeholt und sofort totgebissen
+wurde. Ich bat Schagdur, die Mutter zu verfolgen, um ihrem Gram ein
+Ende zu machen, aber sie entkam, und ich habe es nicht verhindern
+können, daß sie noch lange voller Kummer ihr Kind suchen wird.
+
+Endlich finden wir ein nach Süden hinabführendes Flußtal. Nach und
+nach wurde es weniger bequem, als wir gehofft hatten, denn es drängte
+sich zu einem scheußlichen gewundenen Korridor zusammen, und der Boden
+desselben war mit Sandsteinplatten bedeckt, an denen die Kamele sich
+die Füße verletzten. Wir verlassen daher das Tal und ziehen über einen
+niedrigen, hügeligen Paß, auf dem Sirkin eine viel zu wenig scheue
+Antilope erlegte. Jolldasch stürmte blindlings auf das verwundete
+Tier los, wurde aber sehr kleinlaut, als sich ihm zwei spitze Hörner
+entgegenstreckten. Fleisch hatten wir stets in genügender Menge.
+Den Hunden ging es von der ganzen Gesellschaft am besten. Auch wenn
+die Jagd schlecht gewesen wäre, hätten sie doch an dem Fleische der
+gefallenen Karawanentiere übergenug gehabt. Jagd durfte nie als Sport
+betrieben werden, sondern nur wenn wir Fleisch brauchten. Wir mußten
+auch an die Munition denken. Augenblicklich hatte noch jeder Kosak
+142 Patronen, welcher Vorrat allerdings völlig ausreichend war, wenn
+vernünftig damit umgegangen wurde; aber man konnte nicht wissen, was
+die Zukunft in ihrem Schoße barg, und daher mußten wir damit sparsam
+sein.
+
+Von einer letzten, schwachen Schwelle erblickten wir wieder einen
+kleinen See. Sein südliches Ufer glänzte grün, und nach einer Weile
+befanden wir uns auf Gras, das freilich außerordentlich dünn und
+niedrig stand, aber doch besser war als seit langer Zeit, denn es war
+von diesem Sommer und weich. Kulanmist zur Feuerung war gesammelt
+worden, es blieb nur noch das Wasser zu versuchen. Tschernoff fand es
+schlecht, Tscherdon meinte, es sei ganz süß; Schagdur wollte es auch
+probieren und fand es mäßig. Es half schließlich nichts, ich mußte
+selbst absteigen, um zu kosten, und ich war der Ansicht, daß wir damit
+zufrieden sein könnten.
+
+Ein charakteristischer Zug der Windverhältnisse dieser Gegenden, den
+ich seit mehreren Tagen beobachtet hatte, war folgender. Der Passatwind
+endet mit Sonnenuntergang; in der Dämmerung ist es so windstill, daß
+ich bei freibrennendem Licht und offener Tür Mittag esse. Gleich nach 8
+Uhr erhebt sich ein nördlicher Sturm und bringt das Lager in Aufregung
+Alle müssen sich beeilen, ihre Zeltleinen straffzuspannen, die Zelte
+zu verankern und alle zufällig noch draußen umherliegenden Sachen in
+Sicherheit zu bringen. Die Funken stieben so dicht wie Kometenschweife
+um die Feuer, und es heißt aufpassen, daß sich auf der Seite, nach der
+der Wind weht, nichts Entzündbares befindet. Der Sturm hält wenigstens
+so lange an, als ich wach bin, d. h. bis Mitternacht, doch wenn ich
+morgens geweckt werde, also kurz vor 7 Uhr, ist die Atmosphäre wieder
+im Gleichgewicht. Hier gibt es also zwei herrschende Winde, einen
+westlichen und einen nördlichen, einen bei Tage und einen nachts
+wehenden.
+
+Vor dem Sturme gewährten unser Lager und seine Umgebungen an diesem
+Abend einen wirklich idyllischen Anblick, wenn man sich eines solchen
+Ausdruckes zur Bezeichnung einer tibetischen Landschaft bedienen
+darf. Die Sonne war untergegangen, aber im Westen sah man noch ihren
+Purpurschein. Im Osten stieg am dunkelblauen Horizont blaßgelb und kalt
+der Vollmond auf, dessen Licht durch einen dünnen leichten Abendnebel
+noch mehr gedämpft wurde.
+
+Die auf den Hügeln zerstreuten Tiere weiden gierig (Abb. 236). Die
+Todeskandidaten unter den Kamelen liegen dicht aneinandergedrängt unter
+ihren weißen Filzmänteln neben Turdu Bais Zelt. Auch die beiden Jungen
+und ihre Mutter werden mit besonderer Sorgfalt gepflegt und bringen die
+ganze Nacht in liegender Stellung zu. Die kleinen Tiere werden stets
+zwischen zwei große Kamele gelegt, von denen eines die Mutter ist. Alle
+anderen Tiere weiden draußen im Mondschein, von ihren Wächtern und den
+Hunden vor den Wölfen geschützt, von denen wir in den letzten Tagen in
+der Gegend mehrfach Spuren gesehen haben.
+
+Wir rasteten hier noch einen Tag. Ein Pferd, das gestern zurückgelassen
+worden war, kam heute an. Die gewöhnlichen Windgesetze gelangten auch
+heute zur Geltung, obwohl der Nordsturm früher als sonst einsetzte.
+Nachdem er über die Erde hingefahren ist, sieht diese merkwürdig
+reingefegt aus.
+
+Nach meiner Ortsbestimmung mußte dieses Längental dasselbe sein, in
+welchem wir im vorigen Herbst Aldat begraben hatten. 30 Kilometer
+weiter östlich würde ein Wanderer zu seinem Erstaunen das einsame,
+verlassene, mit einem flatternden Yakschwanze geschmückte Grab des
+Jägers finden.
+
+Am 4. Juli ging es beinahe direkt nach Süden über schwach
+wellenförmiges Land mit dünnem Graswuchs, zahlreichen Salztümpeln und
+ziemlich vielem Wild, besonders Kulanen und Antilopen. Yakdung ist sehr
+häufig und obendrein alt und trocken, so daß wir genügend Brennmaterial
+einsammeln konnten. Auch der Boden ist im allgemeinen merkwürdig
+trocken, ganz anders als im vorigen Herbst, wo wir hier beinahe im
+Schlamm ertranken. Es ist jetzt aber auch lange her, seit Niederschläge
+gefallen sind. Jetzt wirbelt der Staub im Winde hinter der Karawane auf.
+
+Vor uns erhebt sich drohend ein neuer Paß. In einem mit Schutt
+bedeckten, ziemlich stark ansteigenden Tale gehen wir langsam nach dem
+Kamme hinauf, dessen Höhe 5210 Meter beträgt. Ein unbeladenes Kamel
+kann nicht mitkommen und wird mit einem Wärter zurückgelassen. Droben
+auf der Höhe gibt es keine andere Vegetation als Yakmoos. Die Aussicht
+nach Süden ist umfangreich; wir sehen nach dieser Richtung hin wohl
+vier Tagereisen weit, und keine unüberwindlichen Hindernisse drohen
+uns. Anders sieht die Landschaft im Norden aus, woher wir gekommen
+sind, denn dort türmen sich eine Menge Ketten und Kämme über- und
+durcheinander, und der Horizont wird von der Kette mit dem unterhalb
+des ewigen Schnees liegenden Passe abgeschlossen.
+
+Die Landschaft schillert in blassen Farbenschattierungen, in denen Rot
+in verschiedener Stärke vorherrscht. Nur schwache Anflüge von Gelb und
+Grün deuten die Weideplätze an, die wir eben verlassen haben. Das Land
+erinnert an ein Wüstenbild. Hier und dort glänzen Schneestreifen, und
+über dem Ganzen wölbt sich der türkisblaue Himmelsdom.
+
+Der vom Passe hinabführende Abhang, auf dem die Gesetze der Schwere
+den Kamelen wieder zu Hilfe kommen, wird von uns als eine Erholung
+betrachtet. An dem ersten Punkte, wo es wieder Gras gab, schlugen
+wir unsere luftigen provisorischen Hütten auf (5054 Meter). In einem
+trockenen Bette wurde ein Brunnen gegraben, der bald gutes Wasser gab,
+und am folgenden Morgen wurde eine Quelle entdeckt, an welcher Sirkin
+und Tscherdon zwölf Rebhühner schossen. Zwei Yake mußten ins Gras
+beißen. Wir haben es freilich gut, aber die Kamele, die aufs Weiden
+angewiesen sind, sehen mager und elend aus. Die Pferde sind nicht viel
+besser daran. Eines muß in diesem Lager Nr. 30 geschlachtet und den
+anderen muß ein Ruhetag gegönnt werden.
+
+An den Rasttagen sind Schagdur und der Lama mit der Herstellung
+meines Mongolengewandes beschäftigt. Mit dem Lama ist eine merkliche
+Veränderung vorgegangen; sein Mut ist gewachsen, und er sehnt sich
+nach Süden und nach Lhasa zurück. Der mongolische Unterricht geht
+ununterbrochen weiter, und der Lama zeichnet für mich Pläne der
+heiligen Stadt, ihrer Tempel und ihrer freien Plätze. Er sieht die
+ganze Reise jetzt in hellerem Lichte an als früher und pflegt seine
+Ansicht darüber in folgender, außergewöhnlich intelligenter Redensart
+auszudrücken: „Mo bollne ikke mo bollne gué, sän bollne ikke sän
+bollne“ („Geht es uns schlecht, so geht es uns nicht +sehr+ schlecht,
+geht es aber gut, so geht es uns +sehr+ gut“).
+
+Jeden Abend Schlag 9 Uhr mache ich eine Visite in der großen Jurte,
+die von Schagdur, Sirkin und dem Lama bewohnt wird. Es gilt, das
+meteorologische Journal für den Tag zu kontrollieren und das
+Thermohypsometer abzulesen, was ich stets selbst tue. Dann bleibe
+ich bei ihnen sitzen und plaudere eine Weile mit ihnen über unsere
+Zukunftsaussichten, und Turdu Bai und Hamra Kul müssen mir über das
+Befinden der Tiere Bericht erstatten. Wenn ich es für nötig halte,
+instruiere ich dann auch den oder die Männer, welche am folgenden
+Morgen rekognoszieren sollen. Heute Abend wurde mir mitgeteilt, daß
+kaum noch ein Sack Mais übrig sei und wir, wie es uns auch ginge, den
+Tieren so viel Reis und Mehl wie nur irgend möglich abtreten müßten.
+Turdu Bai hielt es für durchaus notwendig, nach Gegenden mit Weide
+zu eilen und dort die Kamele sich mindestens einen Monat lang wieder
+kräftigen zu lassen. Ja, sie sollten sich nachher auch ausruhen, wenn
+ich nach Lhasa ritt.
+
+Eine zweite wenig erfreuliche Nachricht war, daß noch alle vorhandenen
+Schafe im Laufe des Tages durchgebrannt seien. Die meisten Muselmänner
+waren schon auf der Suche. Erst in der Dämmerung hatte man die Tiere
+vermißt. Tschernoff hatte sich zu Pferd aufgemacht und einige Hunde
+mitgenommen. Ich fürchtete, daß es den Schafen am Ende ebenso gegangen
+sein würde, wie wir es im vorigen Jahre schon einmal erlebt hatten, und
+mir graute vor der Strafpredigt, auf die ich mich vorbereiten mußte.
+Tatsächlich war das Kommando über die Herde viel zu sehr dem Leithammel
+Wanka überlassen worden, der indessen dieses Amt mindestens ebenso gut
+ausgeübt hatte wie ein Muselmann. Müde kamen die Suchenden gegen 9
+Uhr zurück und wollten noch eine Stunde warten, bis der Mond aufging
+und ihnen erlaubte, der Spur der Herde zu folgen. Erst um Mitternacht
+wurde es im Lager lebendig, denn da brachte die ganze Gesellschaft die
+unversehrten Schafe vollzählig wieder heim. Die Tiere waren ein Tal
+hinaufgegangen und hatten sich in ein tiefes Flußbett gelegt.
+
+6. Juli. Die Marschgeschwindigkeit nimmt in demselben Maße ab, wie
+die Kräfte der Tiere sinken. Selten sind wir imstande, mehr als 20
+Kilometer zurückzulegen. Ich ziehe es dann vor, auf meinem jetzt ganz
+wiederhergestellten Pferde mit dem Lama vorauszureiten, und, wenn wir
+die Karawane aus den Augen verloren haben, auf einem Passe zu rasten.
+Die Kamele waren heute schlaffer als gewöhnlich, und es dauerte daher
+lange, bis das Glockengeläute näherkam.
+
+Still und feierlich wie ein Friedhof dehnt sich dieses öde Gebirgsland
+vor uns aus, in das bisher noch nie ein Mensch seinen Fuß gesetzt hat.
+Auf allen Seiten umgibt uns die ursprünglichste und ganz unberührte
+Natur. Wir durchziehen sie seit Wochen und Monaten und sind stets die
+einzigen Menschen, die diesen Teil der Erde bevölkern.
+
+Noch immer herrscht derselbe Parallelismus wie in den Gegenden, die
+wir im vorigen Jahre durchreisten; alle Ketten und Kämme und alle
+Längentäler haben eine westöstliche Richtung, und wenn man, wie wir,
+nach Süden zieht, muß man sie alle in der Quere überschreiten. Kaum
+eine Tagereise geht zu Ende, ohne daß wir einen Paß überschritten
+haben, und gewöhnlich haben wir mit dem Tagemarsch zugleich auch ein
+paar Pässe hinter uns.
+
+Auch heute hatten wir einen recht fühlbaren Paß, der sich nicht umgehen
+ließ. Merkwürdigerweise ist jedoch anstehendes Gestein eigentlich
+eine Seltenheit. Sowohl diesen wie den folgenden Tag wanderten wir
+über ganz weichen Boden, wo man nur auf dem Grunde der Täler Schutt
+findet. Später wurde der Boden sandig und infolgedessen trocken und
+tragfähig; auch das Gras wurde ein bißchen besser, als es bisher
+gewesen war. Wir lagerten an einer kleinen Quellader. Ein paar Kamele
+waren zurückgelassen worden, wurden aber abends geholt. Eines von
+ihnen war mein alter Reisekamerad von 1896; er blickte mit seinen
+glänzenden, rabenschwarzen Augen auf dieses Land, das ihm bald das
+Leben kosten sollte, und ging auf zitternden Beinen, als Sirkin ihn vor
+den photographischen Apparat führte (Abb. 237). Ich wollte mir sein
+Bild zur Erinnerung an die Dienste, die er mir geleistet, aufheben.
+Daß er bald sterben würde, war klar. Noch hielt er sich jedoch tapfer
+und schien beschlossen zu haben, seine Gebeine nicht eher der Erde zu
+schenken, als bis er keinen Schritt mehr gehen konnte. Hocherhobenen
+Kopfes stand er mit dem Packsattel in seinem weißen Mantel da und
+ahnte vielleicht, daß er bald von uns scheiden würde. Er hatte schon
+angefangen zu weinen, was die Leute für ein untrügliches Zeichen
+halten. Jetzt bekam er ein großes Weizenbrot und sollte keine Last mehr
+zu tragen brauchen.
+
+Am 7. Juli begünstigte uns das Terrain in hohem Grade. Im Süden
+zeigte sich wieder ein See, nach dessen Ostufer wir hinsteuerten.
+Es kostete uns den ganzen Tag, nach seinem Südufer zu gelangen. Das
+Tal, dessen Mitte dieser mittelgroße See einnimmt, ist kesselförmig,
+flach und offen, und auch der See ist beinahe rund und tritt durch
+seine starken, frischen Farben sehr hervor. Das Wasser ist rein und
+grellblau und ist mit einem ziemlich breiten Gürtel von blendendweißen
+Salzkristallisationen umgeben, die von fern wie Eis oder Schnee
+glänzen. Am Westufer erheben sich ziegelrote Höhen.
+
+Es war lebensgefährlich, sich dem feuchten eigentlichen Uferstreifen zu
+nahen, denn er bestand ausschließlich aus salzhaltigem Schlamm, und es
+war nicht leicht, eine Kanne Wasser zum Untersuchen herbeizuschaffen.
+Kutschuk mußte sich eine Art improvisierter Schneeschuhe an die Füße
+binden, um an den Rand des Sees gelangen zu können. Das Wasser war
+derartig mit Salz gesättigt, daß das Aräometer halb über der Oberfläche
+schwamm; die Skala genügte natürlich nicht entfernt, sondern es mußte
+eine besondere Marke in das Glas geritzt werden.
+
+Dieser heimtückische Schlammstreifen war durch eine ausgeprägte Wulst
+scharf von den Abhängen getrennt, die noch etwas Gras trugen und auf
+denen wir ohne Gefahr hinziehen konnten. Im Südosten drohte uns der
+nächste Paß; wir wollten in der Mündung des zu ihm hinaufführenden
+Tales lagern. Es handelte sich nur darum, Wasser zu finden, das
+es hier nicht in solchem Überflusse gab wie im Arka-tag. Der
+Niederschlag war zu unserem Glück in der letzten Zeit unbedeutend
+gewesen; morastiger Boden hätte unsere erschöpften Kamele umgebracht.
+
+[Illustration: 227. Unser Lager in Unkurluk. Blick auf das Nebental.
+(S. 110.)]
+
+[Illustration: 228. Die am Ufer des Kum-köll aufgestapelten
+Kamellasten. (S. 112.)]
+
+[Illustration: 229. Ankauf von Schafen bei den Hirten von Unkurluk. (S.
+111.)]
+
+Ich ritt voraus die Talmündung hinauf; sie war ganz trocken. Auf ihrer
+anderen Seite fand ich doch noch ein paar kleine Tümpel mit schwach
+salzhaltigem Wasser, mit welchem die Hunde vorliebnahmen. Im Talgrunde
+aber griffen die Männer zu den Spaten; es wurde ein Brunnen gegraben,
+der in einer Tiefe von 56 Zentimeter kaltes süßes Wasser gab.
+
+Obwohl wir am 8. Juli nur 14 Kilometer marschierten, konnten nur
+27 Kamele das Lager Nr. 33 (5041 Meter) erreichen. Sie waren jetzt
+so erschöpft, daß wir aus Furcht, eines oder mehrere der Tiere zu
+verlieren, an und für sich unbedeutende Pässe umgehen mußten.
+
+Der heutige Paß (5059 Meter) ließ sich jedoch nicht umgehen, und der
+Lama, der ihn rekognosziert hatte, versicherte, daß er nicht schwer
+sei. Die Steigung war auch unbedeutend, aber für die kraftlosen Tiere
+trotzdem mühselig. In der Nähe des Kammes grasten 8 Yake; einer
+von ihnen, ein alter Stier, war recht dreist, durfte aber nicht
+unnötigerweise geschossen werden; das Fleisch war vermutlich zäh und
+schlecht. Ein einzelner Kulan umkreiste uns in den tollsten Kurven und
+erregte durch seine urkomischen Manöver große Heiterkeit.
+
+Auf der Südseite des Passes war das Relief der Landschaft verwickelter
+und ungünstiger. Mehrere Kämme zeigten sich, die überschritten werden
+mußten.
+
+Jetzt ritt Schagdur voraus und meldete, er glaube kaum, daß die Kamele
+imstande sein würden, die nächste Schwelle zu überschreiten, da diese
+zu hoch für sie sei. Schon waren drei zurückgeblieben, auf die wir je
+eher, desto besser warten mußten, unter ihnen mein großer Veteran.
+Daher machten wir bei einem Tümpel Halt, obwohl die Weide dort schlecht
+war. Den Tag darauf schleppten sich zwei von den drei zurückgelassenen
+Kamelen noch nach dem Lager hin, das dritte lag kalt und steif auf dem
+Flecke, wo wir es verlassen hatten.
+
+Daß es so nicht weitergehen konnte, war klar. Eine Veränderung
+mußte in der Marschordnung vorgenommen, alle schwachen Tiere mußten
+ausgeschieden werden, mit dem Reste würde ich dann in längeren
+Tagemärschen nach Süden ziehen. Zunächst mußte die Gegend rekognosziert
+werden, denn jetzt hatten wir das Gefühl, in einem Sacke zu stecken,
+aus dem wir irgendwo heraus mußten. Tschernoff ritt nach Osten und
+fand das Terrain dort ganz unmöglich und von steilen Bergen versperrt.
+Mollah Schah, der es nach Süden hin versucht hatte, erklärte, er sei
+dort über einige kleinere Pässe geritten, die nicht besonders schwierig
+seien.
+
+Dann wurde die Auslese vorgenommen. Elf Kamele, von denen fünf die
+letzten Tage schon keine Last mehr getragen hatten, und sechs Pferde
+sollten hier zurückgelassen werden, um sich einige Tage auszuruhen
+und dann unserer Spur in kurzen Tagemärschen nachgeführt zu werden.
+Dieser wichtige Auftrag wurde Tschernoff anvertraut; er wurde Chef der
+Nachhut, die außerdem noch aus Rosi Mollah, Mollah Schah, Kutschuk,
+Chodai Kullu und Almas, einem Tscharchliker, dessen hochtönender Name
+„das Juwel“ bedeutet, bestehen sollte. Die vier Hunde Maltschik, Hamra,
+Kalmak und Kara-Itt gehörten auch zur Gesellschaft, ebenso ungefähr die
+Hälfte des noch vorhandenen Dutzends der Schafe.
+
+Die Auslese der untauglichen Kamele wurde von Turdu Bai und den Kosaken
+sorgfältig gemacht. Es waren ihrer zehn, aber beim Aufbruch wurde noch
+eines zurückgestellt. Acht Kamellasten, die beinahe ausschließlich aus
+Proviant bestanden, sollten von der Nachhut übernommen und auf die elf
+Kamele verteilt werden. Alle Instrumente und wichtigeren Dinge nahmen
+wir mit.
+
+Ganz richtig war es wohl nicht, die Karawane gerade jetzt zu teilen, da
+wir uns bewohnten Gegenden näherten und vielleicht nötig haben konnten,
+in voller Stärke aufzutreten. Doch es blieb uns keine Wahl, und auch
+die Nachhut war mit zwei Gewehren und mehreren Revolvern bewaffnet.
+
+Tschernoff hatte Befehl, noch zwei oder drei Tage im Lager Nr. 33 zu
+bleiben und dann unseren Spuren zu folgen, die in dem Boden ziemlich
+lange erkennbar sein mußten. An Stellen, wo man ein schnelles
+Verschwinden der Spuren befürchten konnte, wie in Talfurchen oder
+auf festgepacktem Schutt, wollten wir kleine Steinmale errichten. Wo
+ich mit der Hauptkarawane bleiben würde, wußte ich selbst nicht; es
+würde von Umständen, die uns unbekannt waren, und besonders von dem
+Vorkommen von Weide und menschlichen Spuren abhängen. Doch das spielte
+keine Rolle, denn selbst wenn Tschernoff einen ganzen Monat unterwegs
+sein sollte, hatte er ja nur der Spur zu folgen, bis er ins große
+Hauptquartier gelangte.
+
+
+
+
+Zwölftes Kapitel.
+
+Die ersten Tibeter.
+
+
+Während des Rasttages im Lager Nr. 33 trat ein Umschlag im Wetter ein.
+Der Morgen war herrlich und klar, aber um die Mittagszeit schmetterte
+eine heftige Hagelbö auf uns herab, und bald folgte ihr eine zweite.
+Nachher sprühregnete es den ganzen Tag, und abends stürzte ein
+anhaltender Gußregen auf unsere Zelte nieder. Das eintönige Rauschen
+des Regens ist kein Vergnügen, wenn man weiß, daß alle Lasten dadurch
+an Gewicht zunehmen, Zelte und Jurten schwer und naß werden und das
+Erdreich aufweicht und sumpfig wird. Heute brauchte man nur ein paar
+Schritte ins Freie zu tun, um sich an den Stiefeln zolldicke Sohlen von
+Erde und Schlamm zu holen.
+
+Am 10. Juli nahmen wir von den Leuten der Nachhut Abschied.
+Tschernoff hatte erkannt, daß es ihm als großes Verdienst angerechnet
+werden würde, wenn er möglichst viele von den elf Kamelen mit ins
+Hauptquartier brächte.
+
+Nachdem es die Nacht tüchtig geschneit hatte, lag das Land wieder
+kreideweiß und winterlich da; der Boden war glatt und schlüpfrig, und
+dunkle Wolken segelten in rastloser Jagd nach Osten. In den trostlosen
+Umgebungen nahm sich die zurückbleibende Karawane noch erbärmlicher als
+gewöhnlich aus. Von den Tieren fanden es nur einige wenige der Mühe
+wert, in dem Schneeschlamme zu waten. Die anderen lagen und ruhten sich
+aus. Das Lager selbst sah trostlos elend aus, aber die Muselmänner
+wünschten uns glückliche Reise, und ich drückte Tschernoff zum Abschied
+die Hand; ich würde meinen tüchtigen, zuverlässigen Kosaken ja erst
+nach meiner Rückkehr von der Pilgerfahrt wiedersehen -- wenn ich mit
+dem Leben davonkam.
+
+Den ganzen Tag über war das Wetter unfreundlich. Ein anhaltender
+Hagelschauer war so heftig, daß wir halten und, in unsere Mäntel
+gehüllt, warten mußten, bis er vorüber war. Die Sonne, die sich darauf
+eine Weile zeigte, trocknete unsere Kleider, bis die nächste Bö uns
+wieder durchnäßte. Ich ritt mit dem Lama voraus und suchte nach einem
+Marsche von 23½ Kilometer den Lagerplatz aus. Obwohl die Karawane
+jetzt, da wir alle erschöpften Tiere zurückgelassen hatten, besser
+und schneller als gewöhnlich marschierte, mußten wir doch eine gute
+Weile auf sie warten, welche Gelegenheit der Himmel benutzte, um uns
+noch eine gründliche Dusche zu geben. Der Lama saß geduldig still,
+betete mit philosophischer Ruhe sein „Om mani padme hum“ und ließ dabei
+die 108 Perlen seines Rosenkranzes durch die Finger gleiten, während
+ich mich in eine Filzdecke hüllte, die stets auf meinen ungarischen
+Feldsattel geschnallt war.
+
+Die Tagereise bot im großen und ganzen ziemlich vorteilhaftes Terrain,
+besonders nachdem wir zwei kleinere Pässe überschritten hatten.
+So weit zogen wir alle miteinander. Auf dem Südabhange des Passes
+grasten sechs Yake, und da die Jagd seit einigen Tagen keinen rechten
+Ertrag geliefert hatte, sollten jetzt Sirkin und Schagdur unseren
+Fleischvorrat verstärken. Nur ungern bequemen wir uns dazu, die Schafe
+zu schlachten, denn wir betrachten sie immer mehr als Kameraden, und
+überdies ist ihr Fleisch wenig wohlschmeckend, da die Tiere beständig
+in Bewegung sind und sich nicht satt fressen können. Die Kosaken
+erlegten je einen Yak, und Turdu Bai und Ördek begaben sich mit Messern
+und Beilen nach der Walstatt, um die besten Stücke für uns mitzunehmen.
+
+Auf dem Passe (5186 Meter) wurde uns ein erfreulicher Anblick zuteil:
+wir sahen gleichmäßig offenes Land für ein paar Tagereisen. Aber in die
+Freude mischte sich auch Wehmut, denn im Südosten, Süden und Südwesten
+glänzte eine Kette mit gewaltigen Schneefeldern, die wir nicht würden
+umgehen können. In dem breiten Längentale, das sich wie gewöhnlich
+von Osten nach Westen bis ins Unendliche erstreckt, war die Weide
+knapp und bestand meistens aus Moos und wildem Lauch. Den letztern
+haben alle gern. Er wird in meine Suppen geschnitten; die Muselmänner
+kauen ihn roh und sagen, daß er gegen Bergkrankheit wirke, die Kamele
+fressen ihn mit wahrer Gier und ziehen ihn allem anderen vor. Wenn auf
+den Lagerplätzen weiter nichts zu tun ist, läßt Turdu Bai alle Mann
+Lauch pflücken, und auch während des Marsches macht er an Stellen, wo
+der Lauch dichter steht, einige Minuten Halt, um den Kamelen Zeit zum
+Abreißen der saftigen, wohlschmeckenden Stengel zu geben.
+
+Wir befanden uns hier im Lager auf einer Höhe von 4982 Meter. Der 11.
+Juli war der Jahrestag zweier Ereignisse, die auch mit hohen absoluten
+Zahlen zu tun hatten und zu denen ich jetzt mit meinen Gedanken
+lebhaft zurückkehrte. Heute sind es vier Jahre, seit Andrée seinen
+kühnen, in jeder Beziehung glänzenden Ballonaufstieg von Spitzbergen
+machte und die Reise antrat, von der er nicht zurückkehren sollte. Ich
+sage absichtlich „glänzenden“, denn der Plan selbst war so kühn und
+großartig, daß keine andere Nation ein Gegenstück dazu aufweisen kann!
+Und die drei Märtyrer der Wissenschaft, die wir da verloren, hatten
+gezeigt, daß es noch tüchtige Männer im Schwedenlande gibt.
+
+Am 11. Juli sind auch elf Jahre vergangen, seit ich den Gipfel des
+Demawend bestiegen hatte. Auch damals hatte ich einen saueren Tag, um
+meine 5715 Meter zu erreichen, aber damals handelte es sich um eine
+einzige, von freundlichen, lachenden Tälern umgebene Bergspitze, jetzt
+dagegen um endlose Räume, in denen wir uns mit schweren Schritten
+fortschleppten. --
+
+Unsere Tagereise ging ungehindert nach Ostsüdost, aber ohne daß wir uns
+darum der hinter schwarzen Vorbergen versteckten Schneekette merklich
+näherten. Die Niederschläge waren reichlich, die Erde trocknete nicht
+mehr zwischen den Schauern, die alles in Schlamm verwandeln und die
+Kamele zum Ausgleiten bringen. Der Lama sagte, daß jetzt die Regenzeit
+ihren Einzug halte und zwei Monate dauern werde; „so ist es wenigstens
+in Lhasa“, fügte er hinzu.
+
+Man erkennt die rücksichtslosen Regenböen schon von weitem; sie rollen
+einher wie blauschwarze Rauchmassen mit scharf abgegrenzter Front, vor
+welcher der blaue Himmel mit seinen weißer Watte ähnlichen Wölkchen
+zusammenschrumpft und verschwindet; hinter ihnen aber sieht es aus, als
+sei die Nacht selbst im Anzuge. Und man ist ihnen preisgegeben, kann
+nicht entrinnen; das Unwetter zieht herauf, Blitz und Donner kommen
+immer näher, die Schläge durchschneiden mit ohrenbetäubendem Krachen
+die Luft, die ersten schweren Tropfen und Hagelkörner fallen auf die
+Erde, und im Nu hat man die Bö über sich. Die Pferde werden unruhig und
+scheu, die Kamele versuchen sich jedes auf die geschützte Seite des
+anderen zu drängen, was die Lasten in Unordnung bringt. Man wird durch
+und durch naß, es rieselt und tropft von Mütze und Ärmeln, die Zügel
+liegen kalt und schmutzig in der Hand, die Filzstiefel saugen sich
+voll, und die ganze Annehmlichkeit des Rittes durch ein unbekanntes
+Land ist verschwunden. Wenn der Sturm über uns weggezogen ist, muß die
+Karawane wieder in Ordnung gebracht werden. Die Bergrücken scheinen mit
+der blendendsten weißen Farbe angestrichen zu sein.
+
+Es gibt nichts Gemeineres als solch ein Wetter. Die Wanderung wird
+schwer und mühsam, das auf dem Erdboden ausgebreitete Bett ist feucht,
+und die Jurte verbreitet einen unangenehmen Geruch. Nur selten bietet
+sich eine Gelegenheit, die astronomischen und photographischen
+Instrumente zu benutzen, und das in Arbeit befindliche Kartenblatt ist
+nach einer Weile naß und knitterig.
+
+Während einer halben Tagereise folgten wir dem Flusse, an dessen Ufer
+wir gelagert hatten, nach Osten, nachher aber zogen wir auf leicht
+kupiertem Boden nach Südosten. Schließlich gelangten wir noch an
+einen Tümpel, wo wir für den Tag Halt machten. Die Zelte waren schon
+aufgeschlagen, als sich herausstellte, daß das Wasser salzig war.
+Ebenso ging es uns mit dem Brunnen, der gegraben wurde. Schagdur
+verschwand zu Pferd mit zwei kupfernen Kannen, und nach einer Stunde
+sahen wir ihn in vollem Galopp auf das Lager zureiten. Wir wunderten
+uns, daß er es so schrecklich eilig hatte, aber er erzählte sehr
+aufgeregt, daß er beinahe von einem Wolfe, den er jetzt für seine
+Frechheit bezahlen werde, überfallen worden sei. Der Wolf war ihm
+zweimal direkt zu Leibe gegangen, und er hatte zur Verteidigung nichts
+weiter gehabt als die kupfernen Kannen. Damit hatte er nach dem
+Wolfe geworfen und sich dann zu Pferd davongemacht. Wir konnten die
+große, beinahe weiße Bestie, welche die Verfolgung bis an das Lager
+fortgesetzt hatte, mit dem Fernglas beobachten. Doch als Schagdur
+und Sirkin mit ihren Flinten hinausritten, hielt es der Isegrimm für
+geraten, sein Heil in der Flucht zu suchen. Die Schafe wurden sicherer
+als gewöhnlich eingepfercht und die Pferde und Maulesel bewacht. Die
+Kamele hielten es nicht für der Mühe wert, sich nach den spärlichen
+Halmen zu bücken, die um diesen schlechten Lagerplatz herum in dem
+Schutte wuchsen, sondern kamen freiwillig nach Hause und legten sich
+neben ihre Plagegeister -- die Lasten.
+
+Nun mußte Ördek nach dem Flusse zurückreiten; es war schon stockdunkle
+Nacht, als er mit den gefüllten Kannen zurückkehrte.
+
+Die ganze Nacht schneite es, und am folgenden Morgen verließ man mit
+Widerwillen die Jurte, um sich wieder in die Nässe hinauszubegeben. Es
+ist gerade wie beim Baden; wie man es auch anstellt, ohne Naßwerden
+geht es nicht ab.
+
+In derselben Richtung (Südosten) durchzogen wir eine an Salztümpeln
+reiche Landschaft von lauter Hügeln und Landrücken und gingen über
+sechs kleine Pässe, bis wir einen bedeutenden Fluß erreichten, der in
+einen langgestreckten Salzsee mit weißen Salzkristallisationen an den
+Ufern mündete. Endlich sollten die Pferde getränkt werden. Der Fluß
+strömte außerordentlich langsam, kaum merkbar für das Auge. Sei es,
+daß er aus mit Salz gesättigten Gegenden kommt oder daß das Wasser des
+Sees bei Wind in den Fluß hinaufgeht, genug, um den ersehnten Labetrunk
+wurden wir schmählich betrogen, denn das Wasser war grimmig salzig.
+Bald darauf fanden wir indessen einen kleinen Tümpel mit süßem Wasser,
+und hier tranken alle Tiere nach Herzenslust (Abb. 238).
+
+Auf dem zu unserer Rechten befindlichen Abhange weidete einsam ein
+großer schwarzer Yakstier. Da wir es für unnötig hielten, ihm das Leben
+zu nehmen, hetzten die Kosaken Scherzes halber die Hunde auf ihn. Diese
+umringten ihn mit wildem Geheul, hüteten sich aber wohl zu beißen.
+Jolldasch, der Spitzbube, zupfte ihn nur an den Seitenfransen. Der Yak
+drehte sich nach jedem Angreifer um, keuchte und schnaubte, richtete
+den Schwanz hoch auf und hielt die Hörner bereit. Dann und wann
+fuhr er schnell auf einen der Aufdringlichen los. Er war hiermit so
+beschäftigt, daß wir mit dem großen photographischen Apparate ganz nahe
+herankommen konnten; die Bilder wurden aber doch recht klein. Ich hielt
+das Tier fast für einen zahmen, Tibetern entlaufenen Yak, so ungeniert
+war es.
+
+Nun kam Turdu Bai mit dem Todesurteil. Wir brauchten mehr Fleisch,
+sagte er. Die Hunde wurden fortgelockt, zwei Schüsse krachten
+gleichzeitig. Dem Yak schien weder der Knall noch die Kugeln das
+Geringste auszumachen. Seitdem die Hunde sich entfernt hatten, stand
+er regungslos da. Als sie aber wieder angriffen, geriet er in Wut und
+jagte sie den Abhang hinunter, stürzte dabei zu Boden und war schon
+tot, als wir herankamen.
+
+Es war ein großer, schöner Stier, dessen Hörner infolge von früheren
+Kämpfen mit Nebenbuhlern an der Spitze ganz zersplittert waren. Fleisch
+und Fett wurden mitgenommen, der Rest blieb liegen, wahrscheinlich zum
+Frommen für Schagdurs Freund, den Wolf.
+
+Es ist eigentümlich, zwei ganze Tagereisen zurückzulegen, ohne Wasser
+zu finden, und dabei sieht man überall Lachen, denn die Regenzeit ist
+da. Dennoch marschierten wir 20 Kilometer, ohne Trinkwasser zu finden.
+Als sich schließlich ein Kamel weigerte, uns über noch eine übrigens
+ganz unbedeutende Paßschwelle zu folgen, lagerten wir. Schagdur machte
+weiter oben eine Quelle ausfindig.
+
+„Wo ist das gute Gras? Wo werden wir das Hauptquartier aufschlagen?“
+fragen wir uns jetzt täglich. Wir müssen noch 383 Kilometer von dem
+nordwestlichen Ende des großen Sees Tengri-nor entfernt sein. Wir
+können aber kaum erwarten, Spuren von Menschen zu finden, bevor wir
+jenseits der mächtigen Kette angelangt sind, deren Schneegipfel
+heute ein paarmal zwischen den Hügeln auftauchten. Der wilde Yak
+hatte entschieden nie Menschen gesehen, sonst hätte er sich auf
+das Photographiertwerden, das ihm das Leben kostete, gewiß nicht
+eingelassen. Merkwürdigerweise ist gerade diese Gegend sehr reich an
+Schädeln und Gerippen von Kulanen und Orongoantilopen. Doch stammen
+diese Skelette nur von verendeten Tieren her, denn wenigstens die
+Kulane werden von den Tibetern nie getötet.
+
+Am 13. Juli zogen wir in dem offenen Längentale (Abb. 239) weiter
+und brauchten die Kamele nicht mit Pässen zu quälen. Das Gras ist
+schlecht; eine neue Art davon tritt auf, die der Lama „Buka-schirik“
+oder Yakgras nennt und die auf der Pilgerstraße der Mongolen nach Lhasa
+und in der Umgegend dieser Stadt allgemein vorkommen soll. Wild ist in
+diesen Gegenden häufig; wir sehen Yake, Kulane, Orongoantilopen, Hasen
+und Rebhühner. An einem großen Flusse hielten wir es für das Klügste,
+das Lager aufzuschlagen, da wir so lange kein gutes Wasser mehr gehabt
+hatten.
+
+Am 15. Juli stieg die Temperatur auf +11,1 Grad, nachdem sie nachts
+auf -3,4 Grad heruntergegangen war. Wir marschierten noch immer nach
+Südosten, um nach einer Einsenkung in dem gewaltigen Kamme, der uns im
+Süden von den Geheimnissen des heiligen Landes trennte, umherzuspähen.
+Hatten wir erst diesen Wall, der möglicherweise auch klimatische
+Bedeutung besaß, überwunden, so würden wir sicher in wärmere Gegenden
+gelangen, die eine bessere Weide boten und vielleicht von Tibetern
+bewohnt waren. Noch hatten wir aber keine Spur von Menschen gesehen.
+
+In der Mitte des heutigen Marsches überschritten wir einen sehr großen
+Fluß, den größten, den wir seit dem Tarim gesehen hatten (Abb. 240,
+241). Er strömte nach Südwesten, einem großen See zu, den wir nur
+aus der Ferne zwischen Hügeln und Bergen hatten hervorglänzen sehen.
+Die Wassermenge, die sich auf etwa zwanzig große und ebensoviele
+kleine Arme verteilte, betrug wohl 23 Kubikmeter in der Sekunde, die
+Stromgeschwindigkeit 1 Meter in der Sekunde und die größte Tiefe 60
+Zentimeter. Hätte der Fluß nur eine einzige Rinne gehabt, so wären wir
+ohne die Hilfe des Bootes nicht hinübergekommen. Es erforderte mehr als
+eine halbe Stunde, um das andere Ufer dieses großen Wasserlaufes, der
+von den Schneebergen im Süden kommt, zu erreichen.
+
+Die Hügel des linken Ufers waren von einer aus 75 Tieren bestehenden
+Yakherde geradezu schwarzgetüpfelt. Sie halten sich im Winter unten in
+den großen Längentälern auf, aber ihre Sommerfrischen liegen auf den
+mit Yakmoos bewachsenen Halden in der Nähe des ewigen Schnees.
+
+Gerade vor uns, höher oben in dem breiten, offenen Talgrunde,
+zeigte sich etwas, das wir für einen Menschen hielten, der uns
+hochaufgerichtet mit steifer Haltung entgegenkam, aber infolge der
+Entfernung und der zitternden Luft nur undeutlich zu unterscheiden war.
+Sirkin, der Lama und Turdu Bai untersuchten den Gegenstand mit dem
+Fernglas und erklärten bestimmt, es sei ein Mann; der Lama fügte hinzu,
+der Mann sammle Yakmist und hinter ihm seien zwei schwarze Zelte zu
+sehen. Also schon jetzt Tibeter mit großen Yakherden? Es wäre fatal,
+mitten auf dem Marsche von Tibetern überrascht zu werden; nun würde die
+burjatische Verkleidung umsonst sein und durch alle unsere Pläne ein
+Strich gemacht werden!
+
+[Illustration: 230. Die Kamele am Ufer des Kum-köll. (S. 114.)]
+
+[Illustration: 231. Turdu Bais Zelt. (S. 120.)]
+
+Auch ich sah mir diesen rätselhaften Wanderer lange an. Wir warteten
+eine ganze Weile, um ihn näherkommen zu lassen. Doch mit der Zeit
+verwandelte sich unser Mann in einen Kulan, den wir in Verkürzung
+gesehen hatten; die schwarzen Zelte waren einfach die Schatten einer
+Erosionsterrasse, und die Herde bestand aus wilden Yaken, die, sobald
+sie unsere Karawane witterten, angefangen hatten, sich talaufwärts zu
+entfernen.
+
+Bald darauf scheuchte Jollbars einen jungen Hasen auf, dem es sicher
+schlecht gegangen wäre, wenn er den Hund nicht durch seine schnellen
+Seitensprünge ermüdet und sich dann in eine kleine Erdhöhle geflüchtet
+hätte. Hier war er jedoch auch nicht sicher, denn Schagdur holte ihn
+mit der Hand heraus, band ihn und streichelte das erschreckte Tierchen.
+Als die Karawane und alle Hunde vorbeigezogen waren, löste ich seine
+Bande, um ihm die Freiheit wiederzuschenken. Er hüpfte mit leichten
+Sprüngen vergnügt fort und schien ganz erstaunt, daß er aus einem
+solchen Abenteuer mit heiler Haut davongekommen war; aber noch war er
+nicht weit gelangt, als ein Falke, den wir nicht bemerkt hatten, auf
+ihn herabstieß. Schagdur eilte hinzu, kam aber zu spät. Der Falke ließ
+seine Beute mit ausgehackten Augen in Todeszuckungen liegen.
+
+Derartige Ereignisse sind die einzigen Unterbrechungen der langen,
+einförmigen Ritte. Ich reite stets neben dem Lama, um mich im
+Mongolischen zu üben, und allmählich nehmen unsere Pläne nach Lhasa
+eine immer deutlichere Gestalt an.
+
+Am linken Ufer eines neuen Flusses, der sich weiter abwärts mit dem
+großen vereinigt, war die Weide besser als seit langem und überall so
+viel Yakdung vorhanden, daß wir dort das Lager aufschlagen konnten.
+Das Wetter war strahlend hell, in der Luft summten sogar Fliegen. Ein
+wenig weiter oben zeichneten sich die schwarzen Umrisse von 20 Yaken
+ab, und Kulane wie Antilopen waren zahlreich vertreten. Ein Kulan
+spazierte ganz in unserer Nähe auf dem gegenüberliegenden Ufer umher.
+Zwei Hunde schwammen über den Fluß und jagten ihn eine Strecke weit, er
+blieb aber sehr ruhig, graste weiter und ließ die Hunde bellen, soviel
+sie wollten. Nicht einmal Rebhühner und Wildgänse mit ganz kleinen
+Jungen fehlten in dieser Gegend, die uns außergewöhnlich gastfreundlich
+aufnahm.
+
+Am 16. Juli blieben wir im Lager Nr. 38. Turdu Bai und Hamra Kul wurden
+in das gewaltige Tal hinaufgeschickt, in dem ich es nicht gleich mit
+der ganzen Karawane versuchen wollte; konnte es doch so schwer zu
+erklimmen sein, daß wir hätten wieder umkehren müssen.
+
+Gerade als ich das Universalinstrument zum Observieren aufgestellt
+hatte, brach ein heftiger Hagelschauer los. Der Himmel wurde im Westen
+schwarz, der Donnergott rollte mit seinem schweren Wagen durch die
+Wolken, und die Schläge folgten so dicht aufeinander, daß die Erde
+unter ihnen bebte. Ich mußte hübsch wieder unter Dach kriechen. Die
+Hagelkörner schmetterten auf die Filzdecken meiner Jurte und tanzten
+wie Zuckerkügelchen auf dem Erdboden, der bald weiß wurde.
+
+Nun ertönte Geschrei und Rufen. Tscherdon, der die Wache hatte,
+meldete, daß die anderen beiden Kosaken einen großen Bären aufgetrieben
+hätten, der in scharfem Galopp nach dem Lager eilte, aber rechtzeitig
+nach Osten abschwenkte, mit raschen Schlägen über den Fluß schwamm, die
+gegenüberliegende Uferterrasse hinaufkletterte und, die beiden Reiter
+hinter sich, die Flucht fortsetzte.
+
+Kaum war die wilde Jagd an uns vorübergesaust, als von Tscherdons Zelt
+ein Schuß krachte. Ein großer, alter, weißgrauer Wolf war vor dem Lager
+umhergeschlichen und mußte ins Gras beißen.
+
+Nach einer guten Stunde kehrten die Kosaken in scharfem Trab zurück
+und sprengten gerade auf mich los; es war ihnen anzusehen, daß sie
+mir etwas Wichtiges mitzuteilen hatten. Der Bär war ihnen nach einem
+letzten Schusse freilich entkommen, +dafür aber waren die Jäger,
+geradewegs in ein tibetisches Lager hineingeritten+! Ein mit einer
+Flinte bewaffneter Mann war bei ihrem Herannahen hinter einem Hügel
+verschwunden, einige Pferde weideten in der Nähe, und die 20 Yake, die
+wir gestern gesehen hatten, waren also doch zahme Tiere.
+
+Nun waren die Kosaken, die sich mit dem Manne nicht hatten verständigen
+können, schleunigst umgekehrt, um mir von dem Geschehenen Mitteilung zu
+machen.
+
+Der Lama war sehr verdutzt, als ihm die gefährliche Wirklichkeit auf
+den Leib rückte. Solange wir keine Spur von Menschen gesehen hatten,
+war ihm mein Plan als etwas Unbestimmtes, noch in weiter Ferne
+Schwebendes erschienen, aber jetzt standen wir an dem Punkte, wo die
+ersten Eingeborenen auftauchten und von welchem wir daher aufbrechen
+mußten. Wir fingen an zu glauben, daß der Kulan, den wir gestern
+gesehen hatten, doch am Ende wirklich ein Mann, jedenfalls aber ein
+Omen gewesen sein müsse, ein Vorzeichen, daß menschliche Wohnungen
+nicht mehr weit entfernt seien.
+
+Wir berieten uns eine Weile über die Sachlage. Es war keine Zeit zu
+verlieren, denn auf die Kosaken hatte es den Eindruck gemacht, als
+hätten die Tibeter ihre Yake und Pferde nach dem Lager geholt, um bald
+aufzubrechen. Wir mußten sie festhalten, denn teils konnten sie uns
+wichtige Aufklärungen über Wege und andere Verhältnisse geben, teils
+würde es besser sein, wenn wir versuchten, ihr Vertrauen zu gewinnen
+und mit ihnen zusammenzureisen, um sie so zu verhindern, unsere Ankunft
+zu verkünden, welche Nachricht andernfalls wahrscheinlich wie ein
+Lauffeuer von Mund zu Mund bis nach Lhasa dringen würde.
+
+Ihr Lager war, nach Sirkin, nicht mehr als drei Kilometer von uns
+entfernt. Sie mußten uns auf jeden Fall gesehen haben, als wir
+gestern ankamen; man konnte sich jedoch nicht wundern, wenn sie
+sich absichtlich abseits hielten. Waren es tibetische Nomaden oder
+tangutische Räuber? Oder am Ende nur friedliche Yakjäger, die Fleisch
+und Felle auf zahmen Yaken nach Süden transportierten? So früh hatte
+ich nicht erwartet, Menschen zu treffen. Merkwürdig ist es auch, daß
+wir bisher noch keine Spur von alten Feuerstellen gesehen hatten.
+
+Einstweilen beauftragte ich den Lama und Schagdur, sofort dorthin zu
+reiten und mit ihnen zu reden. Auch der Kosak kleidete sich in ein
+mongolisches Gewand und sah, dank seiner Rasse, wie ein echter Mongole
+aus, der er in Wirklichkeit ja auch war. Ich gab ihm Silbergeld mit für
+den Fall, daß die Tibeter geneigt wären, uns einige von ihren Pferden,
+sowie Tee und Tabak zu verkaufen, und damit sie sehen sollten, daß sie
+es mit ganz freundschaftlich gesinnten, ehrlichen Leuten zu tun hatten.
+
+Die beiden Männer sprengten wieder durch den tiefen Fluß und
+verschwanden in der Dämmerung.
+
+Gerade jener Augenblick, den ich gern solange wie möglich
+hinausgeschoben gesehen hätte, war jetzt ganz unerwartet eingetreten.
+Es ist klar, daß es für uns wallfahrende Pilger vorteilhaft gewesen
+wäre, wenn das starke Hauptquartier möglichst weit nach Süden
+hätte vorgeschoben werden können, so daß wir nicht zu weit von ihm
+abgeschnitten waren. Wir hatten verabredet, vorsichtig vorzudringen
+und Halt zu machen, sobald wir Menschenspuren entdeckten. Ja, wenn
+wir während des Marsches in der Ferne Herden oder Zelte erblickten,
+wollten wir sofort anhalten, so daß wir Pilger wenigstens Zeit hätten,
+uns „umzukleiden“, damit wir später, wenn wir zurückritten und uns dem
+heiligen Lande auf einem anderen Wege näherten, nicht dem Verdachte
+ausgesetzt wären, zu der großen europäischen Karawane zu gehören.
+
+Nach ein paar Stunden kamen die Reiter in dunkler Nacht unverrichteter
+Sache wieder. Die Tibeter waren aufgebrochen; ihre Spur ging nach
+Osten. Ihr Feuer aus Argol (Yakdung) glühte und rauchte noch. Schagdur
+glaubte, daß sie erst nach dem Schusse der Bärenjäger auf uns
+aufmerksam geworden seien und sofort eingepackt hätten. Nach Ansicht
+des Lamas waren es drei Yakjäger gewesen; zwei Yakschädel und einige
+Hufe lagen auf der Erde verstreut. Wir überlegten, ob wir es versuchen
+sollten, die Tibeter einzuholen; aber da sie sicher beabsichtigten, die
+ganze Nacht und den ganzen nächsten Tag zu marschieren, mußten wir aus
+Rücksicht auf den Zustand unserer Pferde auf die Verfolgung verzichten.
+
+Mit dem Frieden war es von diesem Tage an in unserem Lager vorbei.
+Nachts wurden Wachen aufgestellt, und die Karawanentiere durften nicht
+aus den Augen gelassen werden. Wir fingen an, halb auf Kriegsfuß zu
+leben, und mir stieg der Gedanke auf, daß es am Ende gefährlich sei,
+die Karawane zu verlassen; sie konnte leicht überfallen werden, da es
+jetzt ohne Zweifel als bekannt gelten durfte, daß eine Karawane im
+Anzuge war. Deshalb beschloß ich nach Beratung mit Schagdur zunächst,
+daß Tscherdon im Hauptquartier zurückbleiben müsse, um die Zahl der
+Verteidiger für den Fall eines Angriffes zu vergrößern. Später würde
+sich dann auch noch Tschernoff mit der Nachhut zu ihnen gesellen.
+
+Dagegen hielten wir es für unnötig, das Hauptquartier schon hier
+anzulegen, denn es war keine Aussicht vorhanden, daß wir mit unseren
+schlechten Pferden die heilige Stadt eher erreichen würden als die
+vergrößerten, übertriebenen Gerüchte, die bald in Umlauf sein würden.
+Von hier aus hätten wir 1100 Kilometer hin und zurück gehabt, mehr,
+als unsere Tiere aushalten konnten, besonders da es sich um einen
+forcierten Ritt handeln würde.
+
+Da Turdu Bai und Hamra Kul nichts von sich hören ließen, mußten wir
+noch einen Tag im Lager Nr. 38 bleiben. Während desselben wurde unsere
+ganze mongolische Ausstattung in Ordnung gebracht, so daß für den Fall
+einer plötzlichen Trennung von der Karawane alles in Bereitschaft war.
+Auf der inneren Seite meines einen mongolischen Stiefels wurde eine
+lederne Hülse für ein Thermometer angebracht; für Uhr, Aneroid und
+Notizbuch wurden Taschen in meinen Pelz genäht.
+
+In der Dämmerung zeichneten sich die Schattenrisse unserer beiden
+Kundschafter ab. Beide meldeten, daß so weit, wie sie talaufwärts
+vorgedrungen seien, keine Hindernisse vorlägen. Sie hatten an ein paar
+Stellen alte Feuerspuren gesehen, die zeigten, daß die Gegend ihres
+Yakreichtums wegen bekannt war.
+
+Am 18. Juli gingen wir südostwärts bis an den Punkt, wo das letzte
+Gras wuchs. Dreimal mußten wir über den Fluß hinüber. Eines der
+Kamele konnte kaum den Lagerplatz noch erreichen; es war jedoch
+bedeutend fetter als die anderen und schien ganz gesund zu sein. Es
+war entschieden nur faul; aber als es sich auch am folgenden Morgen
+nicht bewegen ließ, die Wanderschaft bergauf fortzusetzen, wurde es
+zurückgelassen. Die Nachhut würde auf jeden Fall hier vorbeikommen
+und es mitnehmen. Langweilen würde sich das arme Tier hier in der
+Einsamkeit schon, aber von Wölfen würde es nichts zu fürchten haben;
+diese greifen nie ein Kamel an, das einen Packsattel trägt, behaupten
+die Muselmänner.
+
+Auf einem kleinen Hügel neben dem Lager wurde eine Jurtenstange
+aufgepflanzt und an ihrer Spitze eine Konservendose festgebunden, in
+der ein Zettel lag, auf den ich in türkischer Sprache geschrieben
+hatte: „Wir haben hier ein Kamel zurückgelassen; wenn es nicht hier
+ist, so folgt seinen Spuren, bis ihr es findet!“ Es war möglich, daß
+das Tier, wenn es sich erholt hatte, auf die Idee verfiel, seine
+Kameraden zu suchen.
+
+Wir hatten also eines der achtzehn verloren. Fragend folgte es uns
+mit den Blicken, als wir unbarmherzig weiterzogen. Darauf beugte es
+den Hals, um zu grasen, und wir sahen es nie wieder. Denn gerade hier
+machte die Nachhut, die nicht immer an derselben Stelle lagerte wie
+wir, einen Umweg. Sie sahen das verlassene Kamel nicht mehr; es war das
+einzige Tier, das ohne Hoffnung auf Rettung lebendig zurückblieb und
+von dessen weiteren Schicksalen wir nie etwas erfahren sollten.
+
+Unser Zug geht auf unfruchtbarem Boden nach Südosten weiter; Schnee
+und Hagel lassen uns wenig von den Umgebungen sehen -- heute haben wir
+vollständigen Winter nach der gestrigen Sommerwärme. Auf dem linken
+Ufer des Flusses geht es immer höher hinauf. Yakdung lag überall, aber
+Herden sahen wir merkwürdigerweise nicht; wir hatten den Eindruck, daß
+sie kürzlich verscheucht sein müßten. Als Zeichen von Jägerbesuchen
+fanden wir an drei Stellen Feuerherde, von denen einer zehn Tage alt
+sein konnte und aus einigen kreisförmig aufgestellten Steinen bestand,
+in deren Mitte Asche lag. Ein schlanker Tonkrug war hier in Scherben
+gegangen; der Hals lag noch da.
+
+
+
+
+Dreizehntes Kapitel.
+
+Das Hauptquartier.
+
+
+Noch einen Tag sollten wir uns nach immer höheren Regionen
+hinaufarbeiten, und es galt jetzt, die gewaltige Schneekette, die wir
+solange zur Rechten gehabt hatten, zu übersteigen.
+
+Die Kamele halten sich tapfer, aber ihre Kräfte sind im Schwinden. Das
+Dromedar scheint der nächste Todeskandidat zu sein; es ist nur noch
+Haut und Knochen und weint abends schmerzlich. Trotzdem spannte es
+seine Kräfte aufs äußerste an und legte ehrenvoll die 19,1 Kilometer
+zurück. Als Abendmahlzeit hatte es ein paar gewaltige Weizenbrote, Heu
+aus einem Packsattel und ein paar Klumpen rohes Schaffett bekommen, das
+an stärkenden Eigenschaften alles übertreffen solle.
+
+Die Sonne und die Hochalpenlandschaft wurden bald von undurchdringlichen
+Wolken verdeckt. Unsere Straße ging nach Südsüdwest, und das Unwetter
+kam uns gerade entgegen. Was nützt einem bei solchem Wetter ein
+Pelzbaschlik? Hagel und Schnee schlagen mir wagerecht ins Gesicht,
+bleiben im Pelz sitzen, schmelzen und rinnen mir am Halse hinunter.
+Manchmal muß man stehenbleiben und dem Unwetter den Rücken kehren, um
+Atem zu schöpfen. Die Gegend ist verborgen unter diesen scheußlichen
+Wolkenvorhängen, durch deren Hagelschauer wir reiten müssen. Es ist
+nicht leicht, unter solchen Umständen zu zeichnen und zu schreiben!
+Wenn es sich für eine Weile aufklärt, wundern wir uns, daß wir dem
+gewaltigen Gletschermassiv zur Rechten nicht sichtlich nähergekommen
+sind. Wir schreiten freilich ununterbrochen nach dem Passe hinauf, aber
+ganz unglaublich langsam.
+
+Auf beiden Seiten des Passes laufen mehrere Gletscherzungen aus; sie
+sind vollständig überschneit, und jede von ihnen entsendet einen Bach.
+Am Rande der Gletscher sehen wir große Yakherden; wir zählen über
+300 Tiere, darunter einige ganz kleine Kälber. Tscherdon schoß eines
+der letzteren für unseren Proviantvorrat. In dem Maße, wie wir uns
+näherten, zogen sie sich über den Paß nach der Südseite hinüber. Die
+Abhänge, auf denen sie im Moose weideten, sahen von ihren dichten
+Reihen wie schwarzgestreift aus.
+
+Mitten in dem flachen Tale, in dem wir nach der Paßschwelle
+hinaufziehen, rieselte ein Bach, der nur ein oder zwei Meter breit,
+aber oft einen Meter tief ist. Büschel von feuchtem, dichtem Yakgras
+bildeten seine Ufer. Daß sich der tibetische Ochs hier sehr wohl fühle,
+bewiesen die reichlichen Dungmassen, die umherlagen. In dem Bache leben
+kleine Fische, die sich besonders in den ruhigeren Becken aufhalten.
+Fische 5000 Meter über dem Meere! Wie gewöhnlich wurden Exemplare in
+Spiritus mitgenommen.
+
+Schließlich hören Bäche und Gletscherabflüsse auf, die Steigung
+nimmt zu, und ich gelangte mit dem Lama auf diesen himmelstürmenden
+Paß, dessen Höhe 5462 Meter betrug. Die Karawane mühte sich noch auf
+dem Abhange ab. Ein großer Yak, der böse und herausfordernd aussah,
+versperrte den Weg nach Süden. Er wedelte mit dem Schwanze in der Luft,
+senkte die Hörner und machte gar keine Miene zu entfliehen. Wir hielten
+es für geraten, die Ankunft der Schützen abzuwarten; doch sobald die
+ersten Kamele auf dem Kamme auftauchten, trottete der Yak ab.
+
+Inzwischen wurde das uns im Süden erwartende Land mit dem Fernglas
+gemustert. Vor uns breitete sich ein Gewirr von Bergen und Ketten,
+ein Labyrinth von Tälern aus. Ein bedeutender Fluß sammelte sich am
+Südabhange; wir folgten ihm abwärts. Hier hielten sich sieben alte Yake
+auf, die von den Hunden mit Todesverachtung angegriffen wurden. Vier
+suchten sofort ihr Heil in der Flucht, drei hielten eine Weile stand.
+Als aber die Angreifer ihre Attacke auf einen Yak konzentrierten,
+machten sich die beiden anderen ebenfalls aus dem Staube. Der letzte
+hatte verzweifelte Mühe, sich die Hunde vom Leibe zu halten. Er
+entschloß sich schließlich für die schlaue Taktik, sich mitten in den
+Fluß zu stellen, wo das Wasser um ihn schäumte und die Hunde scheu
+machte. Nach einer Weile kamen zwei Kameraden zurück, um sich nach ihm
+umzusehen, aber die Hunde waren des Spieles schon beinahe überdrüssig,
+hatten sich hingesetzt und schauten ihr Opfer nur noch an.
+
+An dem Punkte des Tales, wo den Kamelen die Lasten für die Nacht
+abgenommen wurden, war das Gras bedenklich mager. Mitten auf ebenem
+Boden lag ganz regungslos, den Blick auf uns gerichtet, ein Rebhuhn,
+auf das einer der Kosaken schoß. Es taumelte im Todeskampfe auf; dabei
+stellte sich heraus, daß es auf drei kleinen Küken gelegen hatte, die
+unverletzt piepend um die Mutter herumliefen. Wenn man sich nicht zum
+Troste sagen könnte, daß man in diesen unwirtlichen Gegenden jedes
+Wild, das einem in den Weg kommt, zu erlegen berechtigt ist, weil man
+sein eigenes Leben damit fristen muß, so würde man sich wie ein Räuber
+und Schurke vorkommen, wenn man ein so idyllisches Familienleben
+gewaltsam zerstört und solch ein bescheidenes Glück von der Erde
+vertrieben hat. Es dauerte lange, bis ich die Erinnerung an diesen
+feigen Schuß los wurde. Ich suchte mich damit zu trösten, daß die Hunde
+das Rebhuhn, das mit seinen drei Küken abends in die Bratpfanne kam,
+doch totgebissen haben würden.
+
+Die Kamele müssen lange rupfend umhergehen, ehe sie so viel Gras im
+Maule haben, daß es sich des Kauens und Schluckens verlohnt. Das Gras
+ist zäh und hart, und die Wurzeln bleiben beim Rupfen daran sitzen,
+denn der Erdboden ist von den Niederschlägen aufgelöst.
+
+Der Lama, der ein kluger Mensch ist, bemerkte ganz richtig, daß diese
+gigantische Bergkette für die Tibeter dieselbe Rolle spiele wie der
+Arka-tag für die Bewohner von Ostturkestan; sie ist eine Grenzmauer
+gegen das unbekannte, unbewohnbare Land, eine Grenze, die selten
+überschritten wird, und dann nur von Yakjägern. Zwischen dieser Kette
+und dem Arka-tag liegen die höchsten und unfruchtbarsten, daher auch
+am schwersten zugänglichen Teile von Tibet. Jetzt hatten wir noch
+280 Kilometer bis nach dem Nordufer des Tengri-nor, und die ersten
+Lagerplätze der Nomaden konnten nicht mehr sehr weit sein.
+
+Am Morgen des 21. Juli erwachte ich bei Schneetreiben. Kompakte,
+beinahe schwarze Wolkenmassen hängen längs des Kammes der ewigen
+Schneekette. Diese wird ganz von ihnen eingehüllt, und man würde von
+ihrem Dasein keine Ahnung haben, wenn nicht zwei Gletscherzungen,
+den Tatzen eines ungeheueren Eisbären vergleichbar, unter dem Saume
+des Wolkenmantels herunterhingen. Die Schneegrenze dürfte sich hier
+etwa 100 Meter über der Paßhöhe befinden. Trotz dieser bedeutenden
+absoluten Höhe kamen keine nennenswerte Fälle von Bergkrankheit vor.
+Nur Tscherdon, der Yaken nachgelaufen war, hatte Kopfweh.
+
+Durch eine Hagelbö nach der anderen reiten wir zum Passe hinauf. Auf
+der rechten Seite mündet hier ein Nebental, und der vereinigte Fluß,
+der nun die Richtung nach Südost einschlägt, mußte uns den Weg nach
+tieferliegenden Gegenden mit Weideland zeigen. Wir beschlossen, ihm zu
+folgen, soweit er ging.
+
+Gerade in dem Talknie lagen zwei gewaltige Eistafeln, in denen hier und
+dort Waken gähnten, unter denen man das Wasser des Flusses strömen sah.
+Manchmal muß man sich darüber wundern, daß die ziemlich gebrechlichen
+Eisbrücken nicht unter den Kamelen einstürzen. Bald wird das Eis
+zusammenhängender und dicker. Der Fluß strömt frei in der Mitte des
+Talbodens, und auf jeder Seite begleitet ihn ein ununterbrochenes
+dickes Eisband mit senkrechten oder überhängenden Wänden (Abb. 242).
+
+[Illustration: 232. Eine angeschossene Orongoantilope. (S. 126.)]
+
+[Illustration: 233. Erlegter tibetischer Bär. (S. 127.)]
+
+Die Karawane ging auf der rechten Eisscholle, die bei einer Biegung
+des Flusses unterbrochen war, so daß wir auf den Schuttboden hinunter
+mußten. Die Eistafel war jedoch lotrecht und 1,97 Meter hoch, so daß
+alle Äxte, Stangen und Spaten in Tätigkeit gesetzt werden mußten,
+um einen Weg zu bahnen (Abb. 243). Diese Arbeit dauerte eine gute
+Stunde, während welcher Schagdur weiterritt. Mir sah diese Straße
+höchst bedenklich aus, denn das Tal verschmälerte sich immer mehr;
+wahrscheinlich war es ein tief eingeschnittenes Durchbruchstal, das uns
+nicht mehr herauslassen würde.
+
+Der Eisabhang wurde mit Sand bestreut; dann führten wir alle Tiere
+vorsichtig hinunter, um in der 20-40 Meter breiten Rinne zwischen
+den Eisbändern weiterzuziehen, wobei wir meistens im Flusse selbst
+gingen. Auf dem Talboden war es tüchtig naß; es spritzte und patschte
+um die Kamele. Von den Eisrändern tropfte und rieselte es im Regen,
+umsomehr als sich die Temperatur den ganzen Tag einige Grade über dem
+Gefrierpunkte hielt.
+
+Wir waren schon eine Strecke weit in der Nässe gewatet, als wir
+Schagdur trafen. Fünf, sechs Kilometer könnten wir noch marschieren,
+sagte er, weiter aber nicht. Dort hörten die Eisbänder auf und ein
+Hohlweg beginne, in dem der Fluß zu einem tiefen, unpassierbaren Strom
+zusammengedrängt werde. Schagdur war mit seinem Pferde noch in ein
+Meter tiefem Wasser geritten, dann aber umgekehrt.
+
+Da dazu kam, daß sich die Wassermenge des Flusses bis zum späten Abend
+stündlich vergrößern mußte, beschloß ich umzukehren. Man konnte ja
+in einer solchen Falle in eine, gelinde ausgedrückt, ungemütliche
+Lage geraten und von oben und unten abgeschnitten werden. Das Wasser
+würde nachdrängen und das Tal so füllen, daß wir auch nicht wieder
+zurückkönnten. Und Talerweiterungen, wo man die Kamele nach den Seiten
+hätte führen können, hatte der Späher nicht gesehen.
+
+Also das Ganze kehrt gemacht und wieder zurück durch diese angenehme
+Passage mit ihren unzähligen Furten, Waken und Tümpeln. Jetzt war alles
+noch mehr durchweicht, und in den Spuren der Kamele hatte sich Wasser
+angesammelt. Überall rieselt und sprudelt es, und das Eis knackt und
+kracht. Es füllt im Winter ohne Zweifel das ganze Tal aus, wird aber
+von dem von den Gletschern gespeisten Flusse im Frühling schließlich
+durchbrochen. Es mag eigentümlich erscheinen, daß solche Eismassen bis
+Mitte Juli liegenbleiben können; doch dies hat seinen Grund teils in
+der absoluten Höhe, teils in der hohen, schützenden Bergwand, die sich
+auf der Südseite des Tales erhebt.
+
+Da, wo die Richtung des Tales nach Südosten überging, verließen wir
+unsere Spur und gingen am Ufer des von rechts kommenden Nebenflusses
+hinauf. Damit der Nachhut unsere vergebliche, anstrengende
+Eiswanderung erspart bliebe, wurde in der Talbiegung ein Steinmal
+errichtet und davor an der Erde aus Steinstücken eine Pfeilspitze
+angebracht, die nach Südwesten zeigte.
+
+Statt, wie wir gehofft, die Reise nach Süden und wärmeren Gegenden
+hinunter fortsetzen zu können, mußten wir wieder ein völlig
+unfruchtbares Tal hinaufziehen. Der Hagel schlug heftiger als je
+nieder. Es war ziemlich gleichgültig, wie die Gegend aussah, denn heute
+konnten wir nicht mehr weiter, und da es sich hier um einen neuen Paß
+handelte, war auch keine Hoffnung vorhanden, daß wir eher Weide finden
+würden als auf seiner anderen Seite.
+
+Gegen Abend klärte sich der Himmel auf; ich lag auf meinem Bett,
+rauchte meine Pfeife und betrachtete die Kamele, die mit Engelsgeduld
+nach Gras suchten. Die Sonne sinkt, die Wolken färben sich rotbraun,
+und als es dämmerig wird, schmettern wieder schwere Regentropfen auf
+die schon feuchten Filzdecken der Jurte. Nun wird das Licht angezündet,
+die Arbeit geht weiter, und der Abend verfließt in gewöhnlicher Ruhe.
+Wir plaudern eine Weile in Sirkins Zelt und tauschen unsere Meinungen
+darüber aus, wie Tschernoff mit den erschöpften Kamelen der Nachhut
+hier durchkommen wird. Wir beraten auch über die Reise nach Lhasa.
+Sollten wir nicht einige Platz erfordernde Sachen, wie Stearinkerzen
+und den kleinen photographischen Apparat in dem Packsattel eines
+Maulesels durchschmuggeln können? „Nein“, erklärte der Lama,
+„hierzulande ist man nie sicher; sie stehlen uns vielleicht das ganze
+Tier mit Sattel und allem.“
+
+Der nächste Tag brachte uns hinsichtlich der Terrainverhältnisse keine
+Änderung zum Bessern. Nachdem wir noch ein Steinmal errichtet hatten,
+schritten wir zu dem Passe hinauf, der von fern sehr leicht aussah, in
+Wirklichkeit aber schwerer zu übersteigen war als der vorige.
+
+Ich ritt mit dem Lama in dem Flußbette aufwärts, das der einzige Weg
+mit festem Boden war; denn entfernt man sich nur ein wenig von ihm,
+so sinkt das Pferd in den Morast ein, und man muß schnell abspringen
+und versuchen, wieder auf tragfähigen Boden zu gelangen. Die Abhänge
+bestehen nach dem Flußbette zu aus einer breiähnlichen Schlammmasse,
+die, nach den oft vorkommenden Quer- und Randspalten zu urteilen, sich
+in wenn auch unmerklich gleitender Bewegung befindet. Die absolute
+Höhe, die recht fühlbare Steigung und der lose Boden könnten vereint
+auch die beste Karawane vernichten.
+
+Zwei Stunden brauchten wir zum Hinaufreiten; nachher mußten wir dort
+zwei Stunden auf die anderen warten. Ein rasender Hagelsturm tat das
+Seine, den Boden noch mehr aufzuweichen. Es ist qualvoll anzusehen, wie
+die Kamele, wenn sie in den Brei einsinken, sich abmühen und abquälen,
+um sich wieder herauszuarbeiten. Nur fünfzehn erreichten den Paß, zwei
+waren mit je einem Manne zurückgelassen worden. Ihre Lasten übernahmen
+Pferde, deren Reiter zu Fuß gehen mußten.
+
+Der Südabhang war zehnmal schlimmer; dort war es weder möglich, festen
+Boden zu finden, noch zu Pferd zu sitzen. Ein Mann geht voraus, um
+das Erdreich zu prüfen, ihm folgt Turdu Bai mit den Kamelen. Er eilt
+so schnell, wie er nur kann, vorwärts, damit die Kamele nicht zu tief
+in den Schlamm einsinken können. Das nützt ihm jedoch wenig. Gebrüll
+ertönt; ein Seil hat sich gespannt und ist gerissen, ein Kamel ist im
+Versinken begriffen. Alle Mann müssen ihm heraushelfen, nachdem ihm die
+Last abgenommen worden ist; dann schreitet der Zug weiter. Es ist ein
+Wunder, daß es gelingt, denn das Kamel sinkt bis an die Knie in den
+Schlamm ein, der jetzt so dünnflüssig ist, daß sich die Gruben sofort
+wieder schließen. Der Regen gießt herab, und die dämmerungsdunkeln
+Wolken lassen nirgends ein Aufhellen ahnen. Ein Maulesel bleibt in
+einem Sumpfloche stecken und kann nur mit Mühe gerettet werden. Von
+Menschen und Tieren rieselt und tropft das Wasser herunter, und alle
+atmen mühsam und schwer. Ein hoffnungsloses Land! Nicht genug damit,
+daß uns hier die Menschen den Zutritt verweigern, auch die Elemente
+und die Erde verschwören sich, um uns totzuquälen, bevor wir die
+erfrischenden Weidegründe und die belebende Ruhe erreicht haben, von
+denen wir nachts träumen! Wie würde es Tschernoffs elf schlechten
+Kamelen hier ergehen? Ich machte mich mit dem Gedanken vertraut, daß
+kein einziges von ihnen die beiden Pässe und den Morast, der mit jedem
+Regentage immer schlimmer wurde, überleben würde.
+
+Endlich erreichten wir einen größeren Fluß. Woher er kam und wohin er
+strömte, konnten wir bei dem jetzt herrschenden, ungeheuer dichten
+Schneeregen nicht sehen. Was wir aber mit Befriedigung fühlten, war,
+daß sein Kiesboden wenigstens nicht nachgab und uns nicht, wie eben
+noch die Erde, zu verschlingen drohte. Alles war schon so durchnäßt,
+daß es nichts mehr machte, wenn wir auch noch in diesem Flusse
+plätscherten. Ein wenig weiter abwärts entdeckte ich auf dem rechten
+Ufer Gras und Schagdur einen großen Tonkrug. Der Lama war der Ansicht,
+daß seine Größe darauf schließen lasse, daß keine Nomaden in der Gegend
+wohnten, denn im anderen Falle würden sie sich nicht mit einem solchen
+Dinge geschleppt haben. Jäger, die auf ihren Gebirgswanderungen eines
+festen Lagerpunktes zum Ausruhen bedürfen, hätten den Krug hier ein für
+allemal zurückgelassen.
+
+Wir waren eben mit dem Aufschlagen der Zelte fertig, als sich auch
+schon die nächste Regenbö einstellte. Arme Karawanentiere! Sie mußten
+die eiskalte Dusche über sich ergehen lassen.
+
+Von den zurückgelassenen Kamelen konnte nur eines noch das Lager
+erreichen. Das andere war unmittelbar unter dem Schlammpasse geblieben,
+wo Hamra Kul die Nacht bei ihm zubringen wollte. Das Kamel steckte
+dort buchstäblich im Schlamm, und alle Versuche, ihm herauszuhelfen,
+waren fruchtlos geblieben. Es hatte seine Kräfte in der Verzweiflung
+aufs äußerste angespannt, war aber nur immer tiefer in den Morast
+geraten, der es nun festhielt. Hamra Kul ließ mich hiervon durch einen
+Kameraden benachrichtigen und mich zugleich fragen, was er tun sollte.
+Ich schickte zwei Männer mit Proviant und etwas Feuerung zu ihm. Sie
+sollten alle drei die Nacht bei dem verunglückten Kamele zubringen;
+am Morgen, wenn die obere Schicht des Bodens ein wenig erstarrt
+war, so daß man wie auf Eis an das Kamel herangehen konnte, sollten
+sie versuchen, ob sie es nicht mit Hilfe von Spaten und Filzdecken
+herauszuziehen vermöchten. Alle übrigen Leute sollten ihnen zu Hilfe
+kommen, da wir auf jeden Fall einen Tag liegenzubleiben beabsichtigten.
+Li Loje hatte nämlich nur einen Kilometer weiter flußabwärts viel
+bessere Weide gefunden, wohin die Tiere schon am Abend geführt wurden.
+
+Alle Versuche, dieses an und für sich gesunde, fehlerfreie Tier
+zu retten, mißlangen. Es sank während der Nacht immer tiefer ein
+und wurde, wie die Leute meldeten, am Morgen, halb in diesem
+heimtückischen, verfluchten Boden festgefroren, tot gefunden. Nur
+einmal war es mir bisher passiert, daß uns ein Kamel in einem Sumpfe
+erstickt war, sonst war es uns stets geglückt, die Tiere noch zu
+retten. Der Leser kann sich einen Begriff von den Schwierigkeiten
+machen, die mit der Reise durch ein Land verbunden sind, in welchem
+sich die Erde auftut, um die Karawanentiere zu verschlingen! Mit jedem
+Tage wunderte ich mich immer mehr, daß die Kamele sich unter diesen
+fürchterlichen Strapazen noch so gut hielten.
+
+Während des Ruhetages im Lager Nr. 43 gingen Sirkin und Schagdur auf
+die Jagd. Nachher berichteten sie, daß sie in einer Entfernung von nur
+3 -- 4 Kilometer talabwärts Hügel gefunden, die mit vortrefflichem
+Grase, besserem, als wir je gehabt hätten, bewachsen seien. Turdu
+Bai hielt sich fast den ganzen Tag draußen bei den Kamelen auf; er
+hatte sich den Genuß, sie wieder zu sehen, nicht verkürzen wollen.
+Er erklärte, daß die Weide hier in der Gegend für einen vollen Monat
+ausreiche und nur ein längerer Aufenthalt die Karawane retten könne.
+In aller Eile beschloß ich, am folgenden Tage, 24. Juli, nach den
+Weideplätzen, welche die Kosaken entdeckt hatten, aufzubrechen und dort
+das große Hauptquartier anzulegen. Dort sollte das Lager befestigt,
+eine astronomische Ortsbestimmung ausgeführt und die letzte Hand an
+unsere mongolische Ausrüstung gelegt werden, und von dort wollten
+wir in der Richtung nach Lhasa aufbrechen. Es war hohe Zeit! Einige
+Muselmänner hatten auf ihren Streifzügen nach Brennmaterial einen
+Flintenschuß gehört. Wir hatten vielleicht Nachbarn in der Gegend, und
+jetzt hieß es aufpassen.
+
+Anfangs war es meine Absicht gewesen, auf dem Ritte nach Süden die
+beiden burjatischen Kosaken und den Lama mitzunehmen. Da jedoch unsere
+Ankunft von den Yakjägern, auf die wir so unerwartet gestoßen waren,
+ganz gewiß schon erzählt worden, wagte ich nicht, nur +einen+ Kosaken
+im Hauptquartier zurückzulassen. Wenn es auch nicht wahrscheinlich war,
+daß die Tibeter unseren Rückzugspunkt angreifen würden, so erforderte
+es doch die Klugheit, auf jede Möglichkeit vorbereitet zu sein. Es
+konnte noch lange dauern, bis Tschernoff mit den Trümmern der Nachhut
+anlangte. Daher beschloß ich, auch Tscherdon zurückzulassen, der mit
+seinem Magazingewehre zur Sicherheit des Lagers beitragen würde. Es
+tat mir sehr leid, ihm dies mitteilen zu müssen, und ich hatte es
+möglichst lange hinausgeschoben. Ich wußte, daß es für ihn eine sehr
+große Enttäuschung sein würde, denn die Wallfahrt nach Dscho (Lhasa)
+ist in der lamaistischen Welt ebenso verdienstvoll wie der Titel eines
+Hadschi, eines Mekkapilgers, bei den Muselmännern. Doch ich tröstete
+ihn damit, daß es wenig wahrscheinlich sei, daß es uns gelänge, die
+Wachsamkeit, mit der die Tibeter jetzt ohne Zweifel ihre Stadt hüteten,
+zu täuschen, und versprach ihm, daß er vor dem Ende dieser Reise ebenso
+wie die anderen Gelegenheit haben sollte, einen Tempel zu besuchen.
+
+Ein Kosak zeigt übrigens nicht, was er empfindet oder denkt, er
+antwortet nur: „Wie der Herr befehlen!“; der Wille des Vorgesetzten ist
+für ihn Gesetz. Doch ich wußte nur zu gut, daß diese Wendung der Dinge
+den guten Tscherdon sehr betrübte.
+
+Für uns drei Pilger wurde die Sachlage dadurch ebenfalls anders --
+unsere Truppe verkleinerte sich um ein Viertel. Das Unternehmen war
+jedoch in jedem Falle so gewagt, daß es keine Rolle spielte, ob wir
+drei waren oder vier.
+
+Viele Fragen stürmten auf mich ein, als wir am 24. Juli aufbrachen. War
+es das letztemal, daß ich in Gesellschaft meiner Karawane marschierte?
+Würde ich sie wiedersehen und würde dann im Lager alles ruhig sein?
+
+Es wurde ein kurzer Marsch, kaum drei Kilometer; das Tal fällt ziemlich
+rasch ab, und der Fluß bildet schäumende Stromschnellen. Er wird
+unaufhörlich überschritten. Auf den Uferhügeln wird die Weide immer
+besser, sie ist jedoch nicht gleichmäßig verteilt, sondern bildet
+besonders da, wo die Abhänge der Südsonne ausgesetzt und vor den kalten
+Nordwinden geschützt liegen, kleine Rasenflecke von üppigem, saftigem
+Grase.
+
+Auf dem flachen Gipfel eines Hügels am linken Ufer des Flusses wurde
+der wichtige Lagerplatz in 5127 Meter Höhe ausgewählt, wo wir uns
+unter so eigentümlichen Verhältnissen trennen sollten. Die Weide war
+hier gut genug, aber vom strategischen Gesichtspunkte aus war die
+Lage unvorteilhaft. Die Aussicht wurde auf allen Seiten von Hügeln
+versperrt, die den Lagerplatz beherrschten, und wenn irgendein
+räuberischer Tangutenstamm auf den Gedanken verfiele, feindselig
+vorzugehen, würde sich hier ein Überfall mit größter Leichtigkeit
+ausführen lassen.
+
+Während der beiden Tage, die ich noch im Lager Nr. 44 weilte, wurden
+die letzten Vorbereitungen zur Abreise getroffen. Die Tiere, die uns
+begleiten sollten, fünf Maulesel und vier Pferde, wurden mit besonderer
+Sorgfalt gepflegt und durften die letzten Reste des noch vorhandenen
+Maises verzehren. Ihre Hufe wurden neu beschlagen, ihre Sättel und
+Decken ausgebessert.
+
+Alles Gepäck, das wir mitnehmen wollten, wurde in zwei mongolischen
+Kisten untergebracht. Von den Instrumenten waren es nur 3 Kompasse,
+2 Uhren, 1 Aneroid, 2 Thermometer, 3 Paar Schneebrillen und die
+Veraskopkamera mit 8 Dutzend Platten. Ferner folgende absolut
+notwendige Dinge: das Blatt Lhasa der asiatischen Karte des russischen
+Generalstabs, Notiz- und Marschroutenbücher in Miniaturausgaben,
+sowie Tinte, Papier und Federn, Zirkel, Rasiermesser und Seife, denn
+jetzt galt es, daß der ganze Kopf stets frisch rasiert blieb; andere
+Waschutensilien waren nicht nötig, im Gegenteil war es wünschenswert,
+möglichst schmutzig zu werden, um dadurch eine echtere mongolische
+Farbe zu erhalten. Eine Schere, eine Laterne, ein Beil, ein Dutzend
+Stearinlichter und einige Schachteln Zündhölzer, einige Medikamente,
+10 Jamben in Silber, Pfeifen und Tabak gehörten zum Unentbehrlichen.
+Der Proviant bestand aus Mehl, Reis, Talkan und Fleisch. Zehn
+Konservendosen wurden für die ersten Reisetage mitgenommen; jede
+geleerte Dose sollte in Seen oder Flüssen versenkt werden, um, falls
+man uns beobachtete, nicht Verdacht zu erregen. Die Bewaffnung
+bildete ein russisches Magazingewehr, ein Berdangewehr und ein
+schwedischer Offiziersrevolver nebst 50 Patronen für jede Waffe. Einige
+Kleinigkeiten, welche die Mongolen ständig bei sich tragen, fehlten uns
+auch nicht. Auch ich trug einen Rosenkranz, ein Gavo (Amulettfutteral)
+mit Götzenbild um den Hals, ein am Gürtel hängendes Messer in Scheide,
+chinesische Elfenbeinstäbchen zum Essen, einen ledernen Tabakbeutel,
+ein Feuerzeug mit Stein und Zunder und die lange Pfeife (Abb. 244).
+An Kleidern, Stiefeln und Mützen hatte jeder von uns eine doppelte
+Ausrüstung, denn wir hatten alle Aussicht, bald durchnäßt zu werden.
+Alles, was Gefäß hieß, wie Kochtöpfe, Kannen, Tassen, war echt
+mongolisch. Das kleinste und leichteste Zelt wurde unsere Wohnung. Für
+die Nachtwache nähte der Lama einen prächtigen Mantel aus dickem weißem
+Filz, der sich später als sehr praktisch erwies.
+
+Alle diejenigen Sachen, die bei den Tibetern sofort Verdacht erregt
+hätten, wurden in der einen Kiste unter dem Proviant verborgen. Vieles
+davon konnte ohne Bedauern ins Wasser geworfen werden, falls unsere
+Lage kritisch wurde. Dagegen müßte es uns schon sehr schlecht gehen,
+ehe ich mich von den Instrumenten und den gemachten Aufzeichnungen
+trennen würde. Für Uhr, Aneroid, Kompaß und Thermometer hatte ich
+besondere Taschen im Futter, die so gut versteckt waren, daß nur ein
+sehr dreister Untersucher imstande sein würde, sie zu entdecken.
+
+Als alles bereit und die astronomische Beobachtung ausgeführt war,
+wurde die Abreise auf den 27. Juli festgesetzt.
+
+Am letzten Abend verschloß ich meine kostbaren Kisten, außer
+derjenigen, in der die Chronometer in ihren Futteralen in Watte
+eingebettet lagen. Sirkin hatte lernen müssen, sie mit größter Vorsicht
+aufzuziehen, um sie bis zu meiner Rückkehr in Gang zu halten. Ja,
+vorsichtig war er, ganz übertrieben vorsichtig! Schon am ersten Abend
+nach unserer Abreise blieb der eine Chronometer stehen, weil Sirkin
+nicht gewagt hatte, ihn ganz aufzuziehen, aus Furcht, die Feder
+könnte springen. Dasselbe passierte am Tage darauf mit dem zweiten
+Chronometer. Es schadete jedoch nicht viel, denn durch Wiederholung der
+Beobachtungen im Lager Nr. 44 erhielt ich die Zeit später wieder.
+
+Wie gewöhnlich, sollte das meteorologische Observatorium die ganze
+Zeit über von Sirkin besorgt werden, der zu diesem Zweck einen
+eingefriedigten Schuppen baute, in dem die Instrumente geschützt
+standen.
+
+In Gegenwart aller wurde Sirkin feierlich zum Führer und Chef des
+Hauptquartiers ernannt; seinen Befehlen sollte geradeso gehorcht
+werden, als ob ich sie selbst erteilt hätte. Doch stand Turdu Bai als
+Sachverständigem das Recht zu, Vorschläge zum Aufbruche nach einem
+Punkte in der Nachbarschaft zu machen, sobald das Land um das Lager
+herum nahezu abgeweidet war. Er hielt es für angemessen, den ersten
+kurzen Umzug nach etwa zehn Tagen vorzunehmen; sie hatten überreichlich
+Zeit, sich die allerbesten Weideplätze in der Gegend auszusuchen.
+Infolgedessen würde das Lager Nr. 44 keine bleibende Statt haben. Damit
+wir Pilger bei unserer Rückkehr die Unserigen wiederfinden könnten,
+sollte auf dem ursprünglichen Lagerplatze ein Dokument mit Auskunft
+über das neue Lager, seine Richtung und seine Entfernung von ersterem,
+niedergelegt werden. Zogen sie wieder um, so sollte ein neues Dokument
+deponiert werden.
+
+Ich redete mit jedem der Männer besonders und ermahnte sie, ihre
+Pflicht zu tun. Li Loje hatte jedoch seine eigenen Pläne. Nachdem
+er gebeten hatte, mich nach Lhasa begleiten zu dürfen, und dies ihm
+bestimmt abgeschlagen worden war, bat er, auf demselben Wege, den wir
+gekommen, über das Gebirge nach Tscharchlik zurückkehren zu dürfen,
+-- 950 Kilometer! Mollah Schah und Hamra Kul wollten ihn begleiten.
+Da die Sache ein Stück aus dem Narrenhause war, erklärte ich ruhig,
+es stehe ihnen frei zu gehen, doch könnten wir unter den jetzigen
+Verhältnissen keine Pferde entbehren; nur Li Loje, der sein eigenes
+Pferd mitgebracht, könne also reiten. Proviant wolle ich ihnen geben,
+und Li Loje habe ja auch seine eigene Flinte.
+
+Ich holte die von mir nach und nach zusammengestellte Übersichtskarte
+herbei und rief ihnen jeden Lagerplatz, auf dem wir seit Tscharchlik
+gerastet, ins Gedächtnis. Dann prophezeite ich ihnen, wie ihre
+verrückte Wanderung ablaufen würde. Zuerst würde Mollah Schah, der ein
+alter Mann sei, zusammenbrechen und zurückgelassen werden, denn er
+werde doch wohl nicht glauben, daß die beiden anderen einen Kranken
+auf dem Pferde mitschleppen würden. Dann werde die Reihe an Li Loje
+kommen, der nicht übertrieben kräftig sei. Hamra Kul würde freilich,
+sagte ich, da es das Leben gelte und er ein starker, kräftiger Mann
+sei, Tscharchlik erreichen können. Erreichen aber werde er es nie, denn
+er werde vorher im Arka-tag von Wölfen überfallen und zerrissen werden.
+Ich wünschte ihnen jedoch eine glückliche Reise und sagte, ich wollte
+hoffen, daß Allah seine schützende Hand über ihnen halte.
+
+Sei es, daß diese Schilderung tiefen Eindruck auf sie machte oder daß
+sie von selbst wieder zur Vernunft kamen, genug, abends erschienen sie
+als Büßer in meinem Zelte, fielen vor mir auf die Knie und flehten
+mich an, sie um Gotteswillen hierzubehalten, was ihnen auch in Gnade
+bewilligt wurde. Ich bin mir nie darüber klar geworden, was für ein
+böser Geist eigentlich in sie gefahren war, und ich war zu sehr mit
+meinem eigenen gewagten Plane beschäftigt, um zu versuchen, den
+Grund zu erforschen. Sie selbst versicherten, die Veranlassung sei
+nur Heimweh und nicht Furcht vor den Tibetern gewesen, aber Sirkin
+hatte am selben Tage in einem hinter dem Lager befindlichen Tale
+die frischen Spuren eines Mannes gesehen, der teils gegangen, teils
+geritten war, und die Hunde hatten die letzten Nächte wütend gebellt.
+Es wurde schon im Lager geflüstert, daß wir von Tibetern beobachtet
+und bewacht würden. Ich glaubte indessen nicht daran, denn Kulane
+zeigten sich oft bald auf dem einen, bald auf dem anderen Hügel, und
+die beobachteten Spuren konnten recht gut von ihnen herrühren. Etwa
+zwanzig Raben kreisten wie schwarze Furien über dem Lager. Unter den
+ernsten Verhältnissen, in denen wir jetzt lebten, erschienen sie uns
+abscheulicher als sonst.
+
+[Illustration: 234. Berg beim Lager Nr. 16. (S. 126.)]
+
+[Illustration: 235. Das Steinmal auf dem Knotenpunkte bei Lager Nr. 24.
+(S. 137.)]
+
+[Illustration: 236. Weidende Kamele. (S. 141.)]
+
+[Illustration: 237. Sirkin mit meinem alten Reisekameraden von 1896.
+(S. 144.)]
+
+[Illustration: 238. Endlich in einer Gegend mit gutem Wasser. (S. 150.)]
+
+Schließlich sprach ich mit Sirkin allein und erklärte ihm die ganze
+Tragweite des Wagnisses, in das wir uns stürzten. Er hörte schweigend
+zu, schüttelte aber langsam den Kopf.
+
+„Wenn wir in dritthalb Monaten nicht wieder hier sind“, sagte ich, „so
+müßt ihr aufbrechen und nordwärts nach Tscharchlik ziehen, von dort
+aber nach Kaschgar zurückkehren.“
+
+Ich glaubte allerdings nicht, daß man uns totschlagen würde, aber
+jedenfalls mußte ich mich auf alle Möglichkeiten vorbereiten und solche
+Anstalten treffen, daß meine Karten und Aufzeichnungen um jeden Preis
+gerettet würden. Sirkin erhielt den Schlüssel zur Silberkiste, damit
+er in Tscharchlik eine neue Karawane ausrüsten konnte. Er bekam die
+Übersichtskarte über den von uns zurückgelegten Weg, und im übrigen
+würde ihr Ortssinn die Leute nicht im Stiche lassen; sie würden sich
+ohne Schwierigkeit zurückfinden. Es war freilich wenig wahrscheinlich,
+daß ein einziges Kamel noch eine solche Reise überleben würde, aber
+einige der Pferde sollten sie doch wohl aushalten können, und Sirkin
+wußte, welche Kisten um jeden Preis gerettet werden mußten. Wie lange
+sie auch im Lager Nr. 44 bleiben würden, stets sollte Tag und Nacht
+strenge Wache gehalten werden. Besonders da, wo die Tiere weideten,
+sollten sich stets einige bewaffnete Leute mit ein paar Hunden befinden.
+
+Dann ging ich zum letztenmal unter „zivilisierten“ Verhältnissen zu
+Bett, schlief sofort ein und erwachte nicht eher, als bis Schagdur kam,
+um mich zu dem verhängnisvollen Aufbruch zu wecken.
+
+
+
+
+Vierzehntes Kapitel.
+
+Aufbruch nach Lhasa.
+
+
+Eiligst kleidete ich mich in den mongolischen Anzug und wurde vom
+Scheitel bis zur Sohle ein Mongole (Abb. 245). Die während des
+Rittes zu gebrauchenden Instrumente, sowie Tabak und Fernglas wurden
+in ihren Verstecken untergebracht. Schon vom ersten Augenblick an
+fühlte ich mich in meinem mongolischen Rocke sehr gemütlich; er
+saß weich und gut, und das einzige, was ich entbehrte, waren die
+vielen Taschen, die ich in meinem Ulster hatte. Der Kompaß und das
+Marschroutenbuch wurden einfach vorn in den Rock gesteckt und von der
+gelben Leibbinde festgehalten. Auf dem Kopfe trug ich eine gelbe Mütze
+mit aufgekrempeltem Vorderrand. Die dicken, plumpen Mongolenstiefeln,
+mit denen ich schon lange gegangen war, damit sie genügend getragen
+und abgenutzt aussähen, paßten mir vortrefflich und waren infolge
+ihrer dicken Sohlen und aufwärtsgekehrten Spitzen auf feuchtem Terrain
+außerordentlich praktisch. Der Rock selbst hatte eine tiefdunkelrote
+Farbe. Der gelbe Pelz war heute morgen nicht nötig, da die Sonne sehr
+freundlich schien und Fliegen und Schmetterlinge die Luft erfüllten.
+
+Ich sollte meinen Schimmel reiten, der jetzt schon lange
+wiederhergestellt war, und war gerade dabei, meinen weichen, bequemen
+Mongolensattel zurechtzurücken, als Sirkin von hinten kam und mich
+auf Mongolisch anredete. Er stockte jedoch sofort in seiner Rede und
+war ganz verdutzt, als er sah, daß ich es war; er hatte geglaubt, es
+sei der Lama. Ich fühlte mich durch diesen Irrtum außerordentlich
+geschmeichelt; meine Verkleidung konnte also entschieden für genügend
+gelten.
+
+Jetzt wurden alle Hunde angebunden, außer Malenki und Jollbars, die uns
+freiwillig folgten. Unsere kleine Karawane wurde beladen, wir stiegen
+zu Pferd und ritten ab. Der Abschied rief viele Tränen hervor; Sirkin
+wandte sich ab, um seine Rührung zu verbergen, Hamra Kul aber weinte
+laut wie ein Kind und begleitete uns noch etwas zu Fuß, mit seinen
+großen Stiefeln ganz unbekümmert durch den Fluß watend.
+
+Das Lager Nr. 44 verschwand hinter den Hügeln, und wir trabten schnell
+talabwärts. Würden wir diesen friedlichen Ort je wiedersehen? Ich
+zweifelte nicht an der mächtigen Hand, die bisher stets meine Schritte,
+durch Wüsten und über Berge, gelenkt hatte. Schagdur schwelgte förmlich
+in dem Gedanken an das beginnende Abenteuer. Der Lama war ruhig wie
+ein Stoiker, und als ich ihn der am Kum-köll getroffenen Verabredung
+gemäß fragte, ob er im Lager zu bleiben wünsche, wollte er nichts davon
+hören; jetzt wolle er mich nicht verlassen, sondern mit mir ziehen,
+wenn es ihm auch das Leben kosten sollte.
+
+Schagdur ritt einen Falben, der Lama den kleinen, dreisten Maulesel,
+der im vorigen Jahr, bei dem See, wo die Leute die beiden Denkmale
+errichteten, beinahe verlorengegangen wäre. Meine beiden Reisegefährten
+führten die Lasttiere, und Ordek, der eines der Pferde ritt, hatte
+ein Auge auf die Lasten. Er sollte uns die beiden ersten Tagereisen
+begleiten, um nachts die Tiere zu bewachen. Noch drei Nächte würden wir
+drei Pilger also ordentlich ausschlafen können, ehe die Aufgabe, unsere
+Tragtiere zu bewachen, uns selbst zufiel.
+
+Ein paar Stunden weit begleiteten uns Turdu Bai und Tscherdon. Dann
+kehrten auch sie nach einem letzten Lebewohl um. --
+
+Das Flußtal ist eng und zwischen steilen Hügeln eingeschlossen. Den
+Fluß überschritten wir schon zu Anfang neunmal. Die ganze Landschaft
+leuchtet rot, denn hier haben wir roten Sandstein, der derartig
+verwittert ist, daß man ihn selten als anstehendes Gestein antrifft.
+Grus und Blöcke sind dafür um so häufiger.
+
+Am rechten Ufer, wo eine gute Furt durch zwei kleine Steinmale
+bezeichnet war, sah man Spuren eines Jägerlagers. Drei rußige Steine
+bildeten eine Unterlage für einen Kochtopf. Auch ein noch nicht
+lange erlegter, aber jetzt ganz zusammengetrockneter Yak legte von
+menschlichen Besuchen Zeugnis ab. Ein Bär war gestern oder heute hier
+gewesen und hatte den Kadaver umgedreht.
+
+Nachdem wir den Fluß noch ein paarmal gekreuzt haben, mündet unser Tal
+in weites, offenes, nur in der Ferne von Bergen begrenztes Terrain
+aus. Der Fluß durchzieht diese Ebene nach Nordosten, während wir
+den Weg nach Südosten einschlagen. Im Norden steht die vor kurzem
+überschrittene, so schwer zugängliche Bergkette mit zwei Pässen.
+
+An Wild sahen wir zahlreiche Kulane, Hasen und Murmeltiere, sowie einen
+Wolf; später machten die Hunde noch einen Rundtanz mit einem alten
+Yak, den sie aufgespürt hatten. An einem offenen Quellbecken (Namaga),
+wo das Gras üppig stand, schlugen wir Lager, denn einer der Maulesel
+begann bedenklich zu hinken. Ich zündete Feuer an, indes die Männer
+die gröberen Arbeiten besorgten; Pferde und Maulesel wurden mit einem
+Stricke zwischen Vorder- und Hinterbein geknebelt, was sie verhindern
+sollte, sich allzuweit zu entfernen.
+
+Darauf wurde das einfache Mahl von gebratenem Fleisch, Reis, Brot
+und Tee zubereitet; beim Essen bedienten wir uns der Hände, der
+chinesischen Stäbchen und einer kleinen mongolischen Holztasse --
+Luxusartikel, wie Gabeln und Löffel, enthielten unsere Kisten nicht.
+Nur der Lama hatte keinen Appetit; er litt an heftigen Kopfschmerzen
+und befand sich wirklich schlecht. Es wäre doch hart, wenn er jetzt,
+da wir ihn so weit gebracht hatten, nicht imstande sein würde, die
+Reise mitzumachen; es stand aber zu befürchten, daß er mit Ördek würde
+umkehren müssen.
+
+Ich lag noch eine Weile auf der Erde und ließ mich von der Abendsonne
+bescheinen, doch um 8 Uhr gingen wir zur Ruhe, weil wir nichts weiter
+zu tun hatten. Ördek hütete die Tiere, aber die drei Pilger schliefen
+zum ersten Male brüderlich zusammen in ihrem Wallfahrtszelte. Der Mond
+schien über der stillen Gegend; es war ein Segen, daß wir während
+dieser Nächte sein Licht hatten.
+
+In diesem Lager wurde beschlossen, daß Ördek uns noch einen Tag
+begleiten sollte, denn dem Lama ging es sehr schlecht; er schwankte im
+Sattel und mußte oft absteigen, um eine Weile auf der Erde zu liegen.
+
+Das Terrain ist in dieser Gegend vorzüglich, und wir legten auf dem
+festen Boden mit größter Leichtigkeit beinahe 40 Kilometer zurück. Die
+Hügel und Täler, die wir hierbei passieren, sind arm an Gras, aber
+desto reicher an Kulanen und Yaken, die bei verschiedenen Gelegenheiten
+zu Hunderten auftraten. Sie nehmen aber auch mit Moosen und Kräutern
+vorlieb, die unsere zahmen Tiere nicht fressen würden. Spuren von
+Menschen fehlen noch. Von Zeit zu Zeit reitet einer von uns auf den
+nächsten beherrschenden Hügel hinauf, um Umschau zu halten. Jetzt
+würden wir freilich, wenn wir Reiter oder ein Nomadenlager sähen, als
+ehrliche Pilger direkt dorthin reiten, aber wir mußten doch Ördek
+Gelegenheit geben, vorher unbemerkt zu verschwinden und nach dem Lager
+Nr. 44 zurückzureiten.
+
+Die Richtung ist Ostsüdost. Im Osten erhebt sich ein gewaltiges
+Schneemassiv, und diesseits desselben liegt ein See von reinblauer
+Farbe. Am Seeufer, längs dessen wir nach Südosten hatten ziehen
+wollen, stiegen senkrechte, wie immer ziegelrote Sandsteinfelsen, das
+gewöhnliche Kennzeichen der tibetischen Landschaft, unmittelbar aus
+dem Wasser empor. Sie zwangen uns zu einem verdrießlichen Umwege nach
+Südwesten über beschwerliche Hügel, hinter denen wir wieder ans Ufer
+gelangen und an ihm auf viel bequemerem Terrain weiterziehen konnten.
+Konzentrisch längs des Ufers geordnete Absätze und Wälle lassen auf
+den ersten Blick erkennen, daß dieser Salzsee im Austrocknen begriffen
+ist.
+
+Allzuweit konnten wir nicht reiten, um unsere schon angegriffenen Tiere
+nicht zu ermüden, und es wurde Zeit, ans Lagerschlagen zu denken.
+Trinkwasser schien es in der Nähe dieses Salzsees nicht zu geben. Wir
+folgten einem Kulanpfade zwischen zwei Uferwällen in der Hoffnung, daß
+er uns zu einer Quelle führen würde.
+
+Im Süden des größeren Sees schimmerte jetzt der Spiegel eines kleineren
+Gewässers, das merkwürdigerweise süß war, obgleich seine Ufer ebenso
+flach und kahl aussahen. Obschon es hier sowohl mit der Weide wie mit
+der Feuerung schlecht bestellt war, wählten wir hier doch einen Platz
+für das zweite Nachtlager aus.
+
+Der Lama fühlte sich besser, und die Stimmung war sehr gut. Wir saßen
+plaudernd um das Feuer und entwarfen unsere Pläne für die Weiterreise
+nach der heiligen Stadt. Ich berechnete die Marschroute des Tages und
+teilte den anderen mit, wie lang unser Weg noch sei. Der Lama erzählte
+von der Strenge, mit der die Tibeter in Nakktschu alle Pilger, die aus
+der Mongolei kommen, untersuchen. Wir hielten es daher für das Klügste,
+diesen Ort zu vermeiden und uns auf gebahnten oder ungebahnten Wegen
+nach dem Ostende des Tengri-nor zu begeben, um von dort nach dem Passe
+Lani-la zu gehen. Wir würden auf diese Weise die großen Pilgerstraßen
+zwischen Nakktschu und Lhasa erreichen und unter den übrigen Pilgern
+verschwinden.
+
+Darauf folgte eine komische Szene. Mein Kopf sollte rasiert werden.
+Ich setzte mich neben dem Feuer auf die Erde, und Schagdur hauste
+mit der Schere wie ein Vandale in meinen Haaren. Nachdem ich auf
+diese Weise geschoren war, wurde mein Kopf eingeseift. Ördek kam
+mit dem Rasiermesser, und nach einer Weile glänzte mein Schädel wie
+eine Billardkugel. Schagdur und der Lama schauten zu und fanden
+die Situation höchst interessant. Schließlich nahm ich selbst den
+Schnurrbart vor, der ebenfalls ohne Erbarmen entfernt wurde, obgleich
+ich es eigentlich für jammerschade hielt, mein sonst ganz vorteilhaftes
+Aussehen auf solche Weise zu verschimpfieren. Ich tröstete mich damit,
+daß ich die Brauen und Wimpern behalten durfte.
+
+Nachdem die Verwüstung so über mein Haupt hingegangen war, sah ich
+gräßlich aus. Doch hier war ja niemand, mit dem ich zu kokettieren
+brauchte, und es war schließlich einerlei, wie man in diesen ebenso
+glattrasierten Gebirgsgegenden aussah.
+
+Meine Behandlung war jedoch noch nicht fertig. Wie ein alter, geübter
+Quacksalber begann der Lama mit sachverständiger Miene unter seinen
+Papieren, Beuteln und Medikamenten umherzusuchen und schmierte mir
+dann das Gesicht mit Fett, Ruß und brauner Farbe ein. Bald war das
+Werk getan, und nun glänzte ich wie eine Kanonenkugel in der Sonne.
+Ein kleiner Handspiegel überzeugte mich, daß ich wirklich schön echt
+aussah. Mir konnte vor mir selbst Angst werden, und ich mußte eine
+gute Weile in das Glas starren, ehe ich völlig davon überzeugt war,
+daß dieser mongolische Pavian wirklich mit meiner eigenen Person
+identisch war. Als die Salbe trocken war, nahm meine Haut eine mehr
+grauschmutzige Schattierung an.
+
+Unser Lagerplatz lag offen auf der schmalen Landenge zwischen den
+beiden Seen; nur im Südwesten erhoben sich einige niedrige Hügel.
+Die Gegend konnte für vollkommen sicher gelten, denn weder alte
+noch frische Menschenspuren waren irgendwo zu sehen, und die Hunde
+verhielten sich ruhig. Gegen 5 Uhr erhob sich ein Nordsturm, der
+Wolken von Sand und Staub über den Salzsee und unser Lager jagte. Wir
+nahmen unsere Zuflucht zu der Jurte, und bereits um 8 Uhr fanden wir,
+daß es Schlafenszeit sei, und krochen auf dem Filzteppiche des Zeltes
+in unsere Pelze. Ördek bewachte die Pferde und Maulesel ungefähr 200
+Schritte vom Lager entfernt. Er sollte die ganze Nacht wachbleiben,
+damit wir noch einmal gründlich ausschlafen könnten; am Morgen sollte
+er dann auf einem der vier Pferde nach dem Lager Nr. 44 zurückreiten.
+
+Um Mitternacht wurde das Zelttuch auseinandergeschlagen. Ördek
+steckte den Kopf herein und flüsterte mit angsterfüllter Stimme: „Bir
+adam kelldi“ -- ein Mann ist gekommen! Seine Worte wirkten wie ein
+Donnerschlag. Alle drei stürmten wir mit den Flinten und dem Revolver
+in die Nacht hinaus (Abb. 246). Der Sturm tobte noch immer, und der
+Mond schien bleich durch zerrissene, schnell hinjagende Wolken. Ördek
+zeigte uns den Weg und berichtete, daß er zwischen den am entferntesten
+weidenden Pferden eine dunkle Gestalt habe umherhuschen sehen. Dies
+hatte ihn so erschreckt, daß er nach dem Zelte gelaufen war, anstatt
+Alarm zu schlagen.
+
+Die Folge davon war natürlich, daß wir zu spät kamen. In dem matten
+Lichte des verschleierten Mondes sahen wir gerade noch, wie einige
+dunkle berittene Gestalten davonsprengten und zwei Pferde vor sich
+herjagten. Einen Augenblick darauf verschwanden sie hinter den Hügeln.
+Eine ihnen von Schagdur nachgeschickte Kugel richtete keinen Schaden
+an. Er, der Lama und Ördek verfolgten die Spur, während ich im Lager
+blieb, das vielleicht von einer ganzen Bande umringt war. Nach einer
+Stunde kehrten sie zurück, ohne etwas Weiteres gehört oder gesehen zu
+haben.
+
+Jetzt berieten wir uns sofort über die Sachlage. Zunächst zählten wir
+unsere Tiere; alle Maulesel und die beiden schlechtesten Pferde waren
+noch da und weideten in größter Ruhe. Aber die beiden besten Pferde,
+mein lieber Schimmel und Schagdurs Falbe, waren fort. Aus den Spuren
+ergab sich, daß die Räuber drei berittene Männer gewesen waren, die
+sich, direkt gegen den Wind, an das Lager herangeschlichen hatten. Sie
+waren zu Fuß gegangen und hatten ihre Pferde in einer gut versteckten
+Bodensenkung geführt, in der zuzeiten Wasser nach dem großen See
+strömt. Von dort war einer der Männer allein auf allen vieren weiter
+gekrochen, bis er sich ganz in der Nähe der hintersten Pferde befand.
+Er hatte sie durch sein Aufspringen scheu gemacht und nach dem Ufer
+hinabgejagt, wo ihm die beiden anderen Männer mit den tibetischen
+Pferden entgegengekommen waren. Alle waren im Handumdrehen aufgesessen
+und dann über die Hügel gejagt, bei denen sie schon angekommen waren,
+als wir, noch ganz schlaftrunken, aus dem Zelte stürzten.
+
+Ich glaube nicht, daß ich mich in meinem ganzen Leben je so geärgert
+habe wie diesmal. Sich seine Pferde vor der Nase der Nachtwache
+fortstehlen zu lassen, wenn man obendrein noch zwei große, bissige
+Hunde hat! In der ersten Wut wollte ich die ganze Reise nach Lhasa bis
+auf weiteres aufschieben und die Diebe ihren Streich teuer bezahlen
+lassen. Ich wollte sie wochenlang verfolgen, bis wir sie in Sicht
+hätten, und sie dann ebenso überfallen. Den einfältigen Ördek, der
+früher stets so tüchtig gewesen war, auszuzanken, vergaß ich dabei
+vollständig. Aber sein Mut beschränkte sich auf die Wüsten und andere
+unbewohnte Gegenden, und er mochte gewissermaßen recht darin haben, daß
++Menschen+ von allem, womit man zu tun haben kann, das Schlimmste sind,
+viel schlimmer als Tiger und Sandstürme.
+
+Nach und nach bekämpfte ich meinen Verdruß und erwog mit
+wiedergewonnener Ruhe unsere Lage. Wir folgten der Spur noch einmal bis
+auf die Höhen der Hügel, wo sie im harten Gruse verschwand. Schagdur
+wollte sich durchaus auf die Verfolgung machen, das Magazingewehr
+brannte ihm in den Händen. Er wollte sein Pferd, das er die ganze
+Zeit wie sein Kind gepflegt hatte, unter keiner Bedingung einbüßen.
+Doch auch er beruhigte sich, als ich ihn daran erinnerte, daß diese
+Männer, waren sie nun gewerbsmäßige Räuber oder nur Yakjäger, die sich
+die Gelegenheit nicht hätten entschlüpfen lassen wollen, ganz gewiß
+nicht vor dem nächsten Abend Halt machen würden. Wir hatten gar keine
+Aussicht, sie mit unseren müden Tieren einzuholen; sie hatten unsere
+besten Pferde, die ledig liefen, genommen, und ihre eigenen waren ganz
+gewiß kräftig und an die Bergluft gewöhnt.
+
+Ferner kannten sie das Terrain, wir aber nicht. Sie konnten den
+Flußlauf und Schuttbetten, wo sich keine Spur verfolgen ließ, benutzen
+und uns auf diese Weise leicht irreführen.
+
+Und schließlich, wenn zwei von uns die Verfolgung aufnahmen und zwei
+zurückblieben, so zersplitterte sich unsere kleine, an und für sich
+zu schwache Truppe, und die Klugheit verbot uns entschieden, einen so
+abenteuerlichen Plan auszuführen. Wir mußten froh sein, daß die Diebe
+sich mit zwei von unseren Tieren begnügt hatten, und ich tröstete
+Schagdur mit der Bemerkung, daß ich, wenn ich einer der Tibeter gewesen
+wäre, +alle+ unsere Tiere gestohlen hätte, um uns jegliche Verfolgung
+ganz unmöglich zu machen.
+
+Wir hatten eine nützliche Lehre und eine Warnung bekommen! Aus dem
+Scherz war auf einmal Ernst geworden; hier galt es mehr als je die
+Augen offenzuhalten! Mitten zwischen diesen öden, stillen Bergen war
+eine Räuberbande, wie Gespenster in der Nacht, aus dem Schutze der
+Erde aufgetaucht; nicht einmal die Hunde hatten etwas gemerkt. Mit den
+Yakjägern vom Lager Nr. 38 hatten die Diebe vermutlich nichts gemein,
+dagegen ist es wahrscheinlich, daß die von Sirkin in unserem Tale
+gesehene Spur und der von den Muselmännern gehörte Schuß auf irgendeine
+Weise mit unseren nächtlichen Gästen in Zusammenhang standen. Sie
+hatten uns gewiß keinen Augenblick aus den Augen verloren, sie hatten
+sich vor der großen Karawane nicht sehen lassen wollen und hatten in
+irgendeinem versteckten Tale gelagert, aber stets auf eine Gelegenheit
+zum Überfall gelauert, die sich ihnen früher oder später darbieten
+mußte. Sodann hatten sie unsere kleine Pilgerschar beobachtet, waren
+uns von fern, durch Hügel verdeckt, gefolgt, hatten uns wie Wölfe
+umlauert und waren jetzt vom Sturm unterstützt worden.
+
+Sicher war diese Erfahrung für uns nützlich. Mit einem Schlag waren
+wir uns über unsere Lage klar und erkannten, daß wir künftig auf dem
+Kriegsfuß leben und jeden Augenblick auf einen Überfall gefaßt sein
+mußten.
+
+Ein kleines Feuer wurde vor dem Zelte angezündet; dort ließen wir uns
+nieder. An Schlaf war diese Nacht nicht mehr zu denken. Die Pfeifen
+wurden hervorgeholt, wir hüllten uns in unsere Pelze und plauderten,
+während der Mond von Zeit zu Zeit zwischen unheildrohenden Wolken
+hervorguckte. Dann wurde Tee gekocht, der nebst Reis und Brot unser
+Frühstück bildete. Beim ersten Tagesgrauen erhoben wir uns und rüsteten
+uns zum Aufbruch. Ich nahm den zweiten großen Schimmel, Schagdur Ördeks
+Pferd; der Lama hatte seinen Maulesel behalten.
+
+Als die Sonne aufging, saß der arme Ördek weinend am Feuer. Er war ganz
+außer sich vor Angst, jetzt allein und unbewaffnet die 70 Kilometer
+nach dem Lager Nr. 44 zu Fuß zurücklegen zu müssen. Er bat und
+flehte, uns begleiten zu dürfen, und versprach, ein andermal besser
+aufzupassen; als ich aber unbeweglich blieb, bat er um den Revolver.
+Doch das nächtliche Abenteuer hatte uns gelehrt, daß es nicht ratsam
+war, in diesem Land ohne Waffen zu reisen.
+
+[Illustration: 239. Eine magere Weide in dem großen Längentale. (S.
+151)]
+
+[Illustration: 240. Die Kamele waten durch den Fluß. (S. 152.)]
+
+[Illustration: 241. Flußübergang. (S. 152.)]
+
+[Illustration: 242. Die beiden Eisbänder im Tal. (S. 160.)]
+
+[Illustration: 243. Bahnen eines Wegs von der Eisscholle hinunter. (S.
+161.)]
+
+In aller Eile schrieb ich auf ein ausgerissenes Tagebuchblatt einen
+Brief an Sirkin. Ich beschrieb kurz, was geschehen war, und ermahnte
+ihn, auf seiner Hut zu sein. Räuber streiften in der Gegend umher, und
+da sie offenbar mit unseren Verhältnissen völlig vertraut seien, müsse
+Tag und Nacht die strengste Wachsamkeit beobachtet werden. Vor allem
+hätten die im Lager Zurückgebliebenen darauf zu achten, daß nicht noch
+mehr Karawanentiere gestohlen würden. Ferner befahl ich ihm, die Diebe
+durch Tscherdon, Li Loje und noch einen Mann verfolgen zu lassen; mehr
+als eine Woche dürfe aber diesem Versuche nicht geopfert werden. Alle
+weitere Auskunft werde Ördek erteilen, der auch die Stelle kenne, von
+welcher die Spur ausgehe.
+
+Von der durchwachten Nacht schmerzten mir die Augen, als die Sonne
+aufging. Ördek steckte den Brief in den Gürtel und erhielt noch eine
+Schachtel Zündhölzer, damit er sich bei seinem Nachtlager Feuer
+anzünden konnte. Als wir uns trennten, sah er aus wie ein zum Tode
+Verurteilter, der zum Richtplatze geht. Kaum aber waren wir zu Pferd
+gestiegen, so sahen wir ihn halb laufend längs des Ufers verschwinden.
+Er glaubte natürlich, es werde den ganzen Tag Räuber regnen und jeden
+Augenblick könne eine Flintenkugel durch die Luft pfeifen. --
+
+Später, als alle unsere Sorgen um Lhasa glücklich überstanden waren,
+erzählte er selbst, wie sein Rückzug abgelaufen war. Am 29. Juli
+hatte er den ganzen Tag nicht eine Minute Halt gemacht. Er hatte es
+nicht gewagt, auf freiem Felde unseren Spuren nachzugehen, sondern
+sich wie eine wilde Katze in trockenen Bachbetten und Rinnen, sie
+mochten gerade oder krumm sein, weitergeschlichen. Den ganzen Tag über
+hatte er sich nach der Dämmerung und der Dunkelheit gesehnt. Doch als
+diese eingetreten war und der Regen schnurgerade herniederströmte,
+erschreckte ihn auch das nächtliche Dunkel, und er glaubte, überall
+Räuber zu sehen. Ein paarmal hatten ihn friedliche Kulane beinahe
+um den Verstand gebracht und ihn veranlaßt, sich wie ein Igel
+zusammenzurollen.
+
+Endlich erreichte er in pechfinsterer Nacht den Eingang unseres Tales
+und beschleunigte seine Schritte noch mehr. Der Fluß rauschte laut in
+seinem Bette und übertönte jeden anderen Laut. Unaufhörlich glaubte
+Ördek jemand hinter sich herschleichen zu hören. Jeder Stein war ein
+lauernder Schurke, der nach seinem Herzen zielte. Wie er im Regen
+und in der Dunkelheit über die steilen Hügel gekommen war, wußte er
+selbst nicht; er war nur immer vorwärtsgeeilt, gestolpert, gefallen,
+wiederaufgestanden und unzähligemal durch den Fluß, dessen Wasser ihm
+bis zu den Hüften ging, gewatet.
+
+Als er schließlich das Lager erreichte, wäre er von der Wache, die
+Lärm schlug, beinahe erschossen worden. Er hatte den Mann jedoch
+noch rechtzeitig angerufen, wurde erkannt und von seinen erstaunten
+Kameraden sogleich mit Fragen bestürmt. Eine gute Weile konnte er
+nicht antworten. Vor Müdigkeit erschöpft, brach er nach Atem ringend
+zusammen. Den Brotfladen, den er als Proviant mitbekommen, hatte er
+nicht angerührt, und sein Appetit kam erst wieder, nachdem er den
+ganzen nächsten Tag geschlafen hatte.
+
+Ördeks Bericht und mein Brief erschreckten natürlich die
+Daheimgebliebenen, die das Schlimmste befürchteten, da es schon die
+zweite Nacht war, daß unser Lager einem Attentate ausgesetzt gewesen
+war. Indessen hatte die Nachricht das Gute, die Wachsamkeit aufs
+äußerste zu schärfen, und hätten sich ungebetene Gäste dort in der Nähe
+sehen lassen, so wären sie mit scharfen Patronen empfangen worden.
+
+Gleich am Morgen rüstete sich Tscherdon, um unsere Diebe zu verfolgen.
+Er nahm Turdu Bai und Li Loje mit; Ördek konnte nicht mitgehen. Trotz
+des Regens war unsere Spur auf dem ganzen Wege deutlich erkennbar
+gewesen, und auch die Spur der Diebe wurde gefunden. Sie hatten am
+Morgen in einer Entfernung von 30-40 Kilometer vom Salzsee gerastet
+und waren dort von mehreren der Ihren mit 15 Yaken erwartet worden.
+Dann hatten sie den Ritt eine so lange Strecke auf Grus und im Wasser
+fortgesetzt, daß die Spur völlig verschwand und nicht wiederzufinden
+war. --
+
+Doch kehren wir zu unserer Pilgerfahrt zurück. Nachdem wir von Ördek
+Abschied genommen hatten, zogen wir nach Südosten und Ostsüdosten und
+legten auch an diesem Tage beinahe 40 Kilometer zurück (Abb. 247). Die
+Maulesel hätten noch weitermarschieren können, aber wir mußten die
+Pferde schonen. Zwischen dem Lagertümpel und einem anderen Gewässer,
+an dessen Ufern wir ziemlich frische Spuren von Schafherden sahen,
+zogen wir ein breites, grasreiches Tal hinauf. Rechts von unserem Wege
+ließen wir eine kleine hügelige Paßschwelle liegen, deren Ecke von ein
+paar Hundert Yaken rabenschwarz erschien. Wir musterten sie mit dem
+Fernglase und erwarteten ihren Wächter zu sehen, denn die Tiere machten
+keine Miene zu entfliehen. Vielleicht waren sie zahm. Doch als wir uns
+der Herde näherten, ergriff sie die Flucht, und Menschen zeigten sich
+nicht. Demnach konnten wir darauf rechnen, noch ein paar Tage lang
+keine Nomaden zu treffen, denn die wilden Yake halten sich nicht in der
+Nähe menschlicher Wohnungen auf.
+
+In offenem Terrain mit freier Aussicht nach allen Seiten schlugen wir
+das Lager an einem kleinen Bache auf, an dem es gutes Gras und Yakdung
+zum Feuern in Fülle gab. Jetzt waren wir nur noch drei, und ich mußte
+beim Abladen, Zeltaufschlagen und allerlei gröberen Arbeiten helfen,
+was ich sonst nie nötig gehabt hatte, außer im Jahre 1886, als ich
+zweimal fast allein durch Persien gereist war.
+
+Während Schagdur und der Lama die Tiere besorgten und sie auf der
+besten in der Gegend aufzufindenden Weide zur Hälfte, d. h. mit einem
+Stricke zwischen dem rechten Vorder- und dem linken Hinterbeine,
+fesselten, sammelte ich in meinem weiten Mantel trockenen Yakdung,
+welche Beschäftigung mir höchst interessant erschien. Die beiden
+anderen Pilger sprachen ihre Verwunderung darüber aus, daß es
+mir gelungen war, in kurzer Zeit einen so ansehnlichen Haufen
+zusammenzubringen.
+
+Jetzt hieß es nicht mehr „Eure Exzellenz“, denn ich hatte Schagdur und
+dem Lama strengstens verboten, mir die geringste Spur von Ehrerbietung
+zu erweisen. Sie sollten mich im Gegenteil wie einen Stallknecht
+behandeln. Schagdur sollte als der Vornehmste von uns angesehen werden
+und hatte auf den Lagerplätzen seine Befehle zu erteilen. Ebenso streng
+war es verboten, russisch zu sprechen; von nun an durfte nur noch
+Mongolisch über unsere Lippen kommen. Schagdur spielte seine Rolle
+ausgezeichnet, und dasselbe dürfte ich auch von mir sagen können.
+Anfangs wurde es meinem Kosaken schwer, mich zu kommandieren, nach ein
+paar Tagen ging es aber ausgezeichnet!
+
+Der Lama brauchte nicht als Schauspieler aufzutreten; er war, der er
+war, und so sollte es sein. Am schlimmsten war es für mich, der ich in
+zwei Rollen zugleich auftreten mußte, als Mongole und als Handlanger.
+Nachdem ich jedoch mit dem Dungsammeln zur Zufriedenheit meiner Herren
+fertig geworden war, aß ich zu Mittag, trank Tee, rauchte eine Pfeife,
+ging ins Zelt, legte mich nieder und schlief wie ein Stock bis 8 Uhr.
+Ich war da allein, die anderen trieben die Tiere zur Nacht ein. Noch
+eine Stunde durften diese in unserer unmittelbaren Nachbarschaft
+grasen. Schagdur und der Lama waren an diesem Abend weniger heiter als
+sonst. Sie hatten, während ich schlief, drei Tibeter zu Pferde gesehen,
+die von einem Passe im Osten kamen und nach Nordwesten ritten, wobei
+sie unserem Lager die Flanke zukehrten, so daß man nur ein paarmal
+hatte sehen können, daß es ihrer drei waren. An einem Punkte hatten sie
+gehalten, wie um sich zu beraten, worauf sie sich dem Lager genähert
+hatten, dann aber waren sie hinter einem Hügel verschwunden, um sich
+nicht wieder zu zeigen. Sie erwarteten wohl die Nacht, und ihr Benehmen
+kam uns höchst verdächtig vor. Es war uns jetzt klar, daß wir von
+Spionen und reitenden Späherpatrouillen umgeben waren; ob uns diese
+Reiter aus eigenem Antrieb oder auf Befehl beobachteten, konnten wir
+natürlich nicht wissen.
+
+Um 8½ Uhr wurden die Tiere an ein längs der Erde zwischen zwei
+Pflöcken straffgespanntes Seil gebunden, und jetzt und in Zukunft
+folgender Lagerplan beobachtet. Der eine Eingang des prismatischen
+Zeltes war vom Winde abgekehrt und stand weit offen; unmittelbar
+davor waren die Tiere angebunden. Nächtliche Besuche kommen, aller
+Wahrscheinlichkeit nach gegen den Wind, besonders da, wo sie Hunde
+vorfinden.
+
+Sobald es dunkelte, ließen wir das Feuer ausgehen und trugen die
+draußen noch umherliegenden Sachen, wie Kisten, Küchengeräte und
+Sättel, in das Zelt. Der große, schwarze Jollbars wurde vor den Pferden
+und Mauleseln angebunden. Von ihm konnte man das erste Warnungssignal
+erwarten. Malenki, ein bissiger, schwarz und weiß gefleckter
+Karawanenhund, war auf der Windseite hinter dem geschlossenen schmalen
+Ende des Zeltes angebunden.
+
+Die Nacht wurde in drei Wachen, 9-12, 12-3 und 3-6 Uhr geteilt;
+gewöhnlich übernahm ich die erste, der Lama die letzte.
+
+Jetzt hatte ich meine erste Nachtwache. Es war keine Kunst wach
+zu bleiben, denn teils hatte ich schon, während es noch hell war,
+ausgeschlafen, teils konnte man sich jeden Augenblick auf einen
+Überfall gefaßt machen. Schon vor 9 Uhr schliefen meine von den
+Anstrengungen der vorigen Nacht ermüdeten Kameraden und schnarchten
+laut.
+
+Ich begann meinen Wachdienst, bald dicht bei dem Zelte, bald weit
+von ihm entfernt umherschlendernd. O diese finsteren Nächte, diese
+endlosen Stunden! Nie werde ich meine müden Schritte zwischen Malenki
+und Jollbars hin und zurück bis ins Unendliche vergessen! Die Minuten
+vergingen so langsam! Ich zählte zehn, zwanzig solche Promenaden, aber
+nur einige Minuten, höchstens eine Viertelstunde hatten sie in Anspruch
+genommen. Ich spielte mit Jollbars, der vor Freude heulte, wenn ich
+ihn besuchte, ich klopfte den Pferden und den Mauleseln den Rücken und
+ging dann weiter, um Malenki, der ganz allein hinter dem Zelte lag, zu
+streicheln.
+
+Der Morgen war warm gewesen, und von Zeit zu Zeit hatte es tüchtig
+geregnet, der Abend aber war einigermaßen klar. Um 9½ Uhr brach ein
+Höllenwetter los. Der Himmel überzog sich mit rabenschwarzen Wolken,
+die von innen heraus durch zuckende Blitze erhellt wurden, und der
+Donner rollte mit infernalischer Kraft ringsumher in den Bergen und
+über unserem einsamen Lager.
+
+Das Allerschlimmste aber war der Regen, der die Erde peitschte und
+wolkenbruchartig herniederströmte. Nie ist mir ein so entsetzlicher
+Regen vorgekommen. Er schmetterte und prasselte auf das Zelt, das
+einzufallen drohte und durch dessen Tuch ein feiner Staubregen in
+das Innere sprühte und sich dabei verteilte wie die Dusche einer
+Spritzflasche Eau de Cologne. Alles wurde durchnäßt, aber die
+Schlafenden kümmerten sich nicht um den Regen, sondern krochen
+nur tiefer unter ihre Pelze und fuhren fort Bretter zu sägen. Die
+Regentropfen trommelten lustig auf die mongolische Kasserolle und
+ihren Deckel, die wir beim Feuer hatten stehenlassen. Ich setze den
+schlüpfrigen Spaziergang zwischen den Hunden noch eine Weile fort,
+suche dann aber, naß wie eine ersäufte Katze, in der Zelttür Schutz.
+Von dem Mondschein hatte ich keinen Nutzen, denn die Wolken waren
+trostlos kompakt, und es sah aus, als wollte der Regen überhaupt nicht
+aufhören. Ganz undurchdringlich bleibt jedoch das Dunkel nicht; der
+Mond liefert wenigstens eine sehr schwache, diffuse Helle, in der sich
+die Umrisse der Karawanentiere ein wenig schwärzer als die Nacht um sie
+her abzeichnen, so daß ich von Zeit zu Zeit ihre Rücken zählen kann.
+
+Ich zünde eine Pfeife und einen Lichtstumpf an, den ich in eine kleine
+Holzschachtel stelle; bei seinem Schein schreibe ich meine nächtlichen
+Betrachtungen nieder. Immer nur einen Satz, dann wieder eine Runde
+um das Lager. Es trieft mir von den Ärmeln, und die Mütze sitzt wie
+festgekleistert auf meinem kahlen Schädel. Nach den Abspülungen
+erinnerte mein geschminktes Antlitz sehr an das Fell eines Zebras. Die
+Temperatur sank nicht unter +4°, und von Kälte war daher keine Rede.
+
+Der Regen strömt ohne Unterbrechung nieder, und sein eintöniges
+Plätschern übertönt alle anderen Geräusche. Doch was war das? Ein
+klagender Ton in der Ferne! Sollten die Tibeter gerade so ein
+Hyänenkonzert anstimmen wie 1896 die Tanguten bei Karascharuin-kubb?
+Nein, bewahre, es war Jollbars, der vor Ärger heulte, weil er draußen
+liegen und sich vollregnen lassen mußte. Und was war dies wieder für
+ein Lärm? Nur ein entfernter Donnerschlag. Der Donner und der Regen
+täuschen mich unaufhörlich. Ich eile mit dem Revolver unter dem Mantel
+ins Freie, stehe und warte dort eine Weile in der Nässe, horche
+angestrengt nach allen Seiten, da aber „im Schipkapasse alles ruhig“
+ist, kehre ich zu meinem Lichtstumpfe zurück; die Pfeife will nicht
+mehr brennen, alles ist naß.
+
+Die Stunden vergehen immer langsamer, und der Regen läßt nicht nach.
+„Das wird morgen ein schöner Ritt werden!“ dachte ich. Das einförmige
+Atmen der halbschlafenden Maulesel wirkt einschläfernd, und die Lider
+fangen an mir schwer zu werden. Es passierte mir aber nie, daß ich auch
+nur fünf Minuten einschlummerte. Sollten wir noch einmal überlistet
+werden, so sollte es wenigstens nicht während meiner Wache geschehen;
+ich hätte mich vor meinen Kameraden wie ein Hund geschämt und mich
+selbst verachtet.
+
+Dann und wann schlagen die Tiere mit den Schwänzen, wenn der Regen
+ihre Seiten kitzelt. Die Hunde knurren bisweilen dumpf, und ich
+mache dann sofort die Runde um das Lager. Um 11½ Uhr streifte
+ich in der Dunkelheit umher, fest entschlossen, nicht eher ins Zelt
+zurückzukehren, als bis die Mitternachtsstunde geschlagen hätte und
+damit die Stunde meiner Befreiung gekommen wäre.
+
+Es war denn auch 12 Uhr vorbei, als ich mich wieder bei meinem
+Lichtstumpfe niederließ. Jetzt rieselte es vom Pelze herunter, und
+die Stiefeln waren klatschnaß. Schagdur schlief so fest, daß es mir
+widerstrebte, ihn zu wecken, und ich hatte mich selbst überredet,
+seine Wache um eine halbe Stunde abzukürzen, als beide Hunde auf
+einmal wütend zu bellen begannen. Der Lama erwachte und eilte mit
+seiner Flinte hinaus, ich folgte ihm mit dem Revolver, das Licht wurde
+ausgelöscht, und wir schlichen uns gegen den Wind nach der verdächtigen
+Stelle hin. Dort hörte man deutlich Pferdegetrappel, und in einer
+anderen Richtung glaubte der Lama Hundegebell zu vernehmen. Er wollte
+schießen, aber ich wollte unter keinen Umständen derjenige sein, der
+anfing; gefiel es den Tibetern, uns den Krieg zu erklären, dann sollte
+ihnen freilich mit gleicher Münze heimgezahlt werden!
+
+Daß sich einige hundert Meter von uns Reiter aufhielten, unterlag
+keinem Zweifel. Ich ließ den Lama beim Zelte bleiben, weckte Schagdur
+und ging mit ihm leise und vorsichtig in der Windrichtung, dann und
+wann lauschend. Da hörten wir, wie sich das Pferdegetrappel hastig
+entfernte; darauf wurde alles ruhig, und die Hunde stellten ihr Gebell
+allmählich ein.
+
+Jetzt war die Reihe an Schagdur. Ich hörte seine Schritte draußen in
+dem Schmutz, als ich unter meinen feuchten Pelz kroch. Solche Nächte
+bringen mehr Spannung als Ruhe und sind mehr interessant als gemütlich.
+Aber man gewöhnt sich wohl daran, dachte ich, und nach einer Weile
+schlief ich gut und fest.
+
+Schon um 5 Uhr weckte uns der Lama, der die letzte Wache hatte und es
+wohl für besser hielt, weiterzureiten als in den Tag hineinzustarren.
+Behaglich und vergnügt ist einem nach einer solchen Nacht gerade
+nicht zumute, nein, ungemütlich, steif, naß und frostig! Alles riecht
+schlecht und sauer; aber das gehört natürlich zur Sache und trägt
+dazu bei, den Eindruck der Echtheit zu erhöhen. Von wohlriechenden
+Lhasapilgern hat man noch nie reden hören! Und was mich betrifft, so
+fand ich, daß das Ganze sich gut anließ. Unter Verhältnissen wie den
+unsrigen wird die Stimmung außerordentlich von der Sonne beeinflußt.
+Man sehnt sich danach, sich umsehen zu können; die Nacht mit ihren
+heimtückischen Schatten ist auch dem unangenehm, der sich im Dunkeln
+nicht fürchtet.
+
+Meine Muselmänner hatten mich entschieden für unzurechnungsfähig
+gehalten, als ich auf dieses wahnsinnige Unternehmen auszog. Es war in
+der Tat wahnsinnig, das läßt sich nicht leugnen, so viel zu wagen, ja
+das Leben zu riskieren, nur aus Lust, Lhasa zu sehen, das in seiner
+Topographie und seinem Aussehen durch Beschreibungen, Karten und
+Photographien von Punditen und Burjaten weit besser bekannt ist als
+die meisten Städte des innersten Asien. Doch ich muß ehrlich gestehen,
+daß ich mich nach den zwei Jahren ruhiger, friedvoller Wanderungen
+durch unbewohnte Teile des Kontinents und nach all meiner strebsamen
+Arbeit nun einmal nach einem wirklich haarsträubenden Abenteuer sehnte.
+Ich fühlte das unwiderstehliche Bedürfnis, meine Person in eine Lage
+zu bringen, in der das Leben auf dem Spiele stand, eine Situation,
+die Geschicklichkeit und Umsicht erforderte, wenn sie nicht zu einer
+Niederlage werden sollte, und in die wir uns so tief verwickeln würden,
+daß es noch schwerer wäre, sich mit heiler Haut wieder herauszuwickeln.
+Tatsächlich sehnte ich mich mehr nach dem Abenteuer als gerade nach
+Lhasa. Der Lama hatte mir die Stadt so gründlich beschrieben, daß ich
+sie schon satt bekommen hatte. Ich wollte die Tibeter sehen, mit ihnen
+reden und ausfindig machen, weshalb sie die Europäer so verabscheuen.
+Ein unkritischer junger Mann hat vor einigen Jahren erzählt, daß er in
+Tibet gefoltert worden sei, aber seine haarsträubenden Beschreibungen
+schreckten mich nicht ab -- aus dem einfachen Grunde, weil ich ihnen
+keinen Glauben schenke. Es wäre wirklich ein großer Gewinn für die
+Menschheit, wenn Personen, denen es schwer wird, bei der Wahrheit zu
+bleiben, das Bücherschreiben bleiben lassen wollten!
+
+
+
+
+Fünfzehntes Kapitel.
+
+Die ersten Nomaden.
+
+
+Der Appetit ist so früh am Morgen schlecht. Das Frühstück besteht nur
+aus Brot und Tee (Abb. 248); doch sobald die Pfeife angezündet ist
+und man im Sattel sitzt, geht der Tag seinen ebenen Gang, obwohl das
+Zeichnen der Marschroute die Geduld auf die Probe stellt, wenn man ein
+Pferd hat, das sich wie eine alte abgenutzte Dreschmaschine bewegt.
+
+Der Tag war ebenso trübe und düster wie die Nacht. Die Sonne läßt sich
+überhaupt nicht blicken; schwere, schwarze Wolken hängen überall,
+Vorhängen vergleichbar, und sie sehen so schwer aus, daß man meint, sie
+müßten herunterfallen und zerreißen.
+
+Der Lama glaubte am Morgen, im Südwesten ein schwarzes Zelt zu sehen,
+und stimmte dafür, daß wir dorthin reiten und Erkundigungen einziehen
+sollten; ich zog es jedoch vor, geraden Weges auf den nächsten Paß in
+den südlichen Bergen, die jetzt von Hagel und Schnee kreideweiß waren,
+loszugehen.
+
+Sobald wir in das Tal, in welchem ein Bach strömte, eintraten, nahm die
+Steigung zu und wurde bald steil. Wir verließen das Tal und ritten über
+Hügel von rotem, pulverisiertem Sandstein im Zickzack zum Passe hinauf.
+Von dort kamen wir einen steilen Abhang hinunter in ein ziemlich
+breites, südostwärts führendes Tal.
+
+In einer Talweitung lag der Kadaver eines Schafes mit seiner Last, die
+aus Salz in einem zweiteiligen Beutel bestand. Wahrscheinlich hatte
+eine tibetische Schafkarawane unsere kleinen Räuberseen besucht, wo
+das Salz an einigen Stellen offenliegt und leicht erreichbar ist und
+wo wir auch Spuren einer Herde gesehen hatten. Feuerstätten werden
+immer häufiger; von tibetischen Mahlzeiten übriggebliebene Knochen und
+Schädel liegen umher.
+
+[Illustration: Kosak Schagdur, der Verfasser und der Lama Schereb als
+mongolische Pilger.]
+
+[Illustration: Der Verfasser als mongolischer Pilger verkleidet.]
+
+Als unser Tal nach Südwesten abschwenkte, verließen wir es und
+ritten über die nächste Bergkette, wo Schagdur bald einen ziemlich
+stark benutzten Weg entdeckte. Von dem Passe hatten wir wieder eine
+umfangreiche, obgleich wenig aufmunternde Aussicht: Berge und Kämme
+überall, soweit der Blick nach Süden und Südosten reichte. Kein Mensch,
+kein schwarzes Zelt in Sehweite! Wir hatten also noch eine Frist vor
+neugierigen Blicken; aber wir ahnten doch, daß verborgene, schleichende
+Späher uns nicht aus den Augen ließen.
+
+Der Himmel ist bleischwer und düster, und die Stunden vergehen langsam
+und ermüdend. Auch der Tag hat seine Spannung; wir wissen nichts von
+diesem Lande und seinen Verhältnissen, aber wir sind überzeugt, daß
+früher oder später etwas Außergewöhnliches eintreten wird. Wir müssen
+jede Minute auf unserer Hut sein, sonst wird uns ein Streich gespielt,
+wenn wir es am wenigsten erwarten.
+
+Von dem Passe folgten wir einem deutlich ausgetretenen Wege, der in
+ein an Sümpfen, Tümpeln, Quellen, Bächen und üppiger Weide reiches
+Tal hinunterführte. Der in Hülle und Fülle vorhandene Yakdung war
+hier umgedreht worden, um besser zu trocknen; man beabsichtigte also,
+wiederzukommen und ihn zu holen. Überall waren Spuren von Nomadenlagern
+sichtbar.
+
+Weiter abwärts schien die Weide abzunehmen. Als wir einen strategisch
+geeigneten Platz fanden, beschlossen wir daher, für die Nacht hier zu
+bleiben. Auf der 70 Meter breiten Landenge zwischen zwei kleinen Seen
+wurde unser nasses Zelt aufgeschlagen. Wir sehen der bevorstehenden
+Nacht mit einem gewissen Unbehagen entgegen und fragen uns, was sie
+wohl bringen werde.
+
+Schon um 8 Uhr wurden die Tiere in gewöhnlicher Weise gebunden. Die
+Luft war ruhig, aber alle Himmelsrichtungen konnten als gleich unsicher
+gelten. Diese Nacht war noch ärger als die vorige; es war, als ob
+Tausende von Dachrinnen ihren Inhalt über unser Lager ausschütteten.
+Aber die hierzulande vorgeschriebene Regenzeit war da, und wir hatten
+kein Recht, uns zu beklagen. Wenn man, wie ich diesmal, vier Stunden
+Wache hält und bis auf die Haut naß wird, so weiß man ganz genau, wie
+ein richtiger, ehrlicher Regen beschaffen sein muß.
+
+Von Zeit zu Zeit saß ich, einigermaßen geschützt, in der Zelttür. Es
+klatscht in den Packsätteln der Maulesel, von deren Ecken das Wasser in
+dicken Strahlen rinnt, wie in einer Waschmaschine. Die Tiere schütteln
+sich, daß die Tropfen nach allen Seiten spritzen. Bisweilen spitzen sie
+die Ohren, und die Hunde knurren dumpf. Malenki darf frei umherlaufen
+und schnüffelt auf einem alten Lagerplatze nach Knochen, denn er und
+Jollbars haben seit ein paar Tagen nichts als Brot bekommen.
+
+Auf einmal fing der eine zu bellen an, und der andere stimmte bald ein.
+Es war nur ein Schreckschuß, denn nur einer der Maulesel hatte sich
+losgemacht und spazierte einen Abhang hinauf. Mir blieb nichts übrig,
+als ihn wieder einzufangen; aber dies war leichter gesagt als getan.
+Er war munter und lebhaft und sprang umher, und es dauerte lange, ehe
+ich ihn bei der Halfter packen konnte. Sein Betragen demoralisierte
+einen seiner Kameraden, der das Manöver wiederholte und gleichfalls mit
+großer Mühe eingefangen wurde.
+
+31. Juli. Als ich nach mehrstündigem Schlafe geweckt wurde, um beim
+Einpacken und Beladen zu helfen, stürzte der Regen noch ebenso lustig
+nieder wie bisher, aber hier gab es keine Gnade: hinauf in den Sattel,
+sobald der Tag anbrach, und fort nach Südosten über beschwerliches,
+stark kupiertes Terrain. Jetzt hatte unsere kleine Gesellschaft keinen
+trockenen Faden mehr an sich, so daß uns der Regen eigentlich wenig
+genierte; aber wir sehnten uns danach, daß die Sonne sich einmal über
+uns erbarmte und uns trocknete.
+
+Als ich mich auf meinen weichen, gepolsterten Sattel setzte, tropfte
+das Wasser aus ihm; nachher erhielt ich vom Regen eine so gründliche
+Dusche, daß das Wasser von meinen Kleidern in die Stiefel rann, in
+denen es bei der geringsten Bewegung plätscherte. Erhob ich meinen Arm,
+so klang es ungefähr, als ob ein Spüllappen ausgerungen werde. Das
+Ganze war recht betrübend; wenn es doch lieber geschneit hätte!
+
+Der Weg, dem wir noch immer folgten -- schon jetzt war deutlich zu
+erkennen, daß er nach Lhasa führte --, ging über fünf Pässe, von denen
+jedoch die beiden letzten nur in kleineren Abzweigungen zwischen Tälern
+lagen, deren Bäche einem Haupttale zuströmten. Im Osten sah man den
+sich schlängelnden Fluß.
+
+Unser Weg vereinigt sich mit einem anderen, von links kommenden. Er ist
+deutlich ausgeprägt, weil eine große Yakherde ihn benutzt hat. Infolge
+des heftigen Regens, der alle Spuren bald vertilgen mußte, konnten wir
+annehmen, daß die Tiere hier ganz kürzlich, vielleicht erst am Morgen,
+vorbeigezogen waren, und wenn wir uns beeilten, mußten wir die Karawane
+noch einholen können.
+
+Es dauerte auch nicht lange, so unterschieden wir ganz fern im Südosten
+eine Menge schwarzer Punkte; es waren Yake, und später trat auch eine
+Schafherde aus dem Halbdunkel hervor. Ein Zelt, das bisher verdeckt
+gewesen war, tauchte am Ufer eines Baches auf. Schagdur und ich
+ritten weiter, während sich der Lama dorthin begab. Wir nahmen als
+selbstverständlich an, daß die Besitzer des Zeltes mongolische Pilger
+seien, und hatten beabsichtigt, uns ihnen anzuschließen; es stellte
+sich jedoch heraus, daß es Tanguten waren, die nach dem berühmten
+„Tempel der zehntausend Bilder“ in Kum-bum pilgerten. Sie blieben auf
+jedem Lagerplatze einen oder mehrere Tage, reisten sehr langsam und
+waren, ihrer Meinung nach, noch eine Monatsreise von Lhasa entfernt.
+Sie zeigten bedenklich viel Interesse für uns und wollten alles wissen,
+wer und wie viele wir seien, woher wir kämen, wohin wir zögen usw. Sie
+hatten 50 Yake, einige Pferde und drei Hunde, die von Jollbars und
+Malenki greulich zerzaust wurden.
+
+Die Schafherde zählte nicht weniger als 700 Tiere und wurde von einer
+alten Frau gehütet, die augenscheinlich an Pilger gewöhnt war, denn
+sie zeigte keine Furcht. Nach all dem Regen, Schmutz und Dreck sahen
+wir wie leibhaftige Vagabunden aus, und kein Ritter von der Landstraße
+brauchte sich mehr vor uns zu schämen. Die Eleganz war gewissenhaft
+abgespült worden.
+
+Die Alte teilte uns mit, daß wir im nächsten Tal ein schwarzes Zelt
+finden würden, wo man uns alles, dessen wir bedurften, vor allem
+Auskunft über den Weg nach Lhasa geben könne.
+
+Einen Kilometer von dem Zelte, das sich richtig an der angegebenen
+Stelle befand, lagerten wir, der Vorsicht halber noch immer auf freiem
+Felde.
+
+Der Lama begab sich sofort zu den Tibetern und kehrte sehr befriedigt
+zurück. In dem Zelte, das von Hunden bewacht war, hatte er einen
+jungen Mann und zwei Frauen angetroffen, die sich entschuldigten, uns
+heute Schafe, Milch, Fett und Tsamba nicht verkaufen zu können, da es
+Feiertag sei; wenn wir uns aber bis morgen geduldeten, so sollten wir
+erhalten, was sie abgeben könnten. Womit sie uns aber gleich versehen
+könnten -- weil wir friedliche Mongolen seien --, sei trockener
+Yakdung. Der Lama brachte einen ganzen Sack voll mit; es war zu schön,
+denn sonst wäre es uns in der ewigen Nässe kaum möglich gewesen, ein
+Feuer anzumachen. Auf die Frage, ob sie uns zwei Pferde verkaufen
+würden, hatte er die Antwort erhalten, daß darauf nur der Hausherr, der
+ausgegangen sei, Bescheid geben könne.
+
+Der Lama hatte kaum über seine Mission Bericht erstatten können, als
+auch schon der in Frage stehende Mann in eigener hoher Person auf
+einem Hügel erschien, wo er in gebührender Entfernung stehenblieb und
+uns betrachtete. Ohne Ziererei oder Furcht kam er mit, als der auf
+ihn zugehende Lama ihn zu uns einlud, und setzte sich vor der offenen
+Zelttür auf den nassen Boden.
+
+Dieser unser erster Tibeter mochte ein Mann von 40 Jahren sein;
+sein Name war Sampo Singi. Ein mehr schwarzes als sonnverbranntes,
+bartloses, runzeliges Gesicht; rabenschwarzes, schmutziges Haar in
+zottigen Strähnen, aus denen das Regenwasser auf den zerlumpten,
+sackähnlichen Mantel niedertropfte, Stiefel von grobem, ursprünglich
+weißem Filz, eine Leibbinde mit daranhängendem Tabaksbeutel und einer
+Pfeife, alles greulich schmutzig; dies war seine äußere Erscheinung.
+Sampo Singi war barhäuptig und, bis auf die Stiefel, barbeinig; mit
+anderen Worten, er hatte keine Hosen an. Es muß erfrischend sein, unter
+solchen Umständen bei Regenwetter zu reiten!
+
+Unaufhörlich schneuzte er sich mit den Fingern mit einer
+bewundernswerten Energie; der Sicherheit halber machten wir es ebenso,
+da man ja nicht genau wissen konnte, ob die tibetische Etikette
+derartige demonstrative Handgreiflichkeiten in Gegenwart von Fremden
+nicht geradezu vorschrieb. Das Bild, das wir bei dem Regenwetter boten,
+muß ein Anblick für Götter gewesen sein; schade, daß es weiter niemand
+sehen konnte.
+
+Sampo Singi untersuchte ganz ungeniert unsere Effekten -- Instrumente
+und Tagebuch hatte ich rechtzeitig eingesteckt. Unsere oben engen, nach
+unten weiter werdenden Holznäpfe gefielen ihm besonders, und er machte
+die sachverständige Bemerkung, daß die Mongolen stets derartige Gefäße
+hätten. Mir gegenüber zeigte er kein Mißtrauen, war ich doch beinahe
+ebenso schmutzig wie er selber.
+
+Nachdem die Bekanntschaft gemacht war und die Vertraulichkeit zugenommen
+hatte, gelang es dem Lama, aus Sampo Singi herauszuquetschen, daß unser
+gestriger Lagerplatz zwischen den beiden kleinen Seen +Merik+ hieß.
+Den Fluß, den wir heute im Osten gesehen und ziemlich nahe zur Linken
+gehabt hatten, nannte er +Gartschu-sängi+. Der heutige Lagerplatz trug
+den Namen +Gom-dschima+, und der nächste Gebirgskamm im Südwesten hieß
++Haramuk-lurumak+. Er teilte uns auch mit, daß wir während zweier
+weiterer Tagemärsche kaum Aussicht hätten, Nomaden zu treffen, auf
+dem dritten aber würden wir auf viele Zelte stoßen. Wenn wir kurze,
+langsame Tagereisen machten, würden wir bis Lhasa 12 Tage brauchen,
+marschierten wir aber so tüchtig wie heute (42,2 Kilometer), so würden
+wir die Stadt in 8 Tagen erreichen. Der Weg, auf dem wir uns jetzt
+befanden, führte richtig nach dem Passe +Lani-la+.
+
+Schagdur und der Lama pflegten zu schnupfen, und Sampo Singi nahm sich
+auch eine gehörige Prise. Das hätte er jedoch lieber nicht tun sollen,
+denn er geriet in ein verzweifeltes Niesen, das gar kein Ende nehmen
+wollte. Er nahm es aber nicht übel, daß wir über ihn lachten. Ganz
+unschuldig fragte er, ob wir unseren Schnupftabak zu pfeffern pflegten,
+und ließ sich nicht in Versuchung führen, als ihm noch eine Prise
+angeboten wurde.
+
+Jetzt besann sich Schagdur auf seine Würde und brüllte mich an: „Geh
+und treibe die Pferde ein, Bursche! Was hast du hier zu gaffen?“ Man
+konnte nicht wissen, ob Sampo Singi Mongolisch verstand, jedenfalls
+sah er nicht im mindesten erstaunt aus, als ich sofort nach den Hügeln
+lief und unsere Tiere nach dem Zelte zu treiben begann. Bevor ich
+weit mit ihnen gekommen war, hatte sich der Alte zum Glück entfernt,
+sonst würde seine Intelligenz mehr als ausreichend gewesen sein für
+die Überlegung: „Der Bursche da hat noch in seinem ganzen Leben keine
+Maulesel eingetrieben!“ Hatte ich sie endlich alle auf einem Haufen,
+so gefiel es dem Sarik Kullak oder „Gelbohr“, nach dem vortrefflichen
+Grase, von dem ich ihn eben fortgejagt hatte, zurückzugaloppieren. Ich
+mußte umkehren und das Vieh von neuem holen; aber wenn ich zum Haufen
+zurückkam, hatte sich dieser zerstreut, und mit der Disziplin war es
+vorbei. Schließlich erwischte ich drei Maulesel und ließ sie nicht eher
+wieder los, als bis sie festgebunden waren.
+
+Unter dem Zelttuche der schweren Wolkenmassen warf die Sonne noch beim
+Untergehen einen Abschiedsblick hervor, der einige Minuten über die
+Weidegründe der ersten Nomaden hinstrahlte, und gegen 9 Uhr machte uns
+auch der Mond einen flüchtigen Besuch. Aber schon gleich nach 10 Uhr
+erhob sich der Weststurm, und ich, der ich die Wache hatte, mußte das
+Zelt, so gut es gehen wollte, festmachen. Eines der im Laufe des Tages
+gezeichneten Kartenblätter flog in die Nacht hinaus, wurde aber noch
+eingeholt und gerettet. Dann strömte der Platzregen wieder taktfest
+und trostlos von dem gleichmäßig schwarzen Himmel herab; nur mit Mühe
+konnte ich sehen, wo die Tiere standen.
+
+In dieser Nacht fühlten wir uns bedeutend ruhiger als gewöhnlich.
+Seit dem unerwarteten Zusammentreffen mit den Yakjägern hatten wir
+keine Eingeborenen getroffen, wohl aber hatten wir sie wie böse
+Geister um uns herumspuken gefühlt, ja sie hatten uns sogar einmal
+überrumpelt. Jetzt dagegen, da wir friedliche Nomaden als nächste
+Nachbarn hatten, brauchten wir kaum nächtliche Besuche zu fürchten, und
+Sampo Singi hatte uns versichert, daß hier in der Gegend keine Räuber
+umherstreiften. Doch für alle Fälle wurde der Nachtdienst auf dieselbe
+Weise wie gewöhnlich verrichtet. Der einzige Unterschied war, daß ich
+im Zelte ein kleines Feuer unterhielt, das noch mehr dazu beitrug,
+unsere bereits genügend eingeschmutzten Sachen zu schwärzen.
+
+1. August. Als ich mit den Worten: „Drei Tibeter kommen auf Besuch“
+geweckt wurde, regnete es merkwürdigerweise nicht. Ich sprang auf und
+versteckte die Kleinigkeiten, die einen geheimnisvollen Fremdling
+hätten verraten können. Zwei Männer und eine Frau erschienen; daß
+sie in friedlicher Absicht kamen, sah man schon von weitem, denn sie
+führten ein Schaf am Strick und trugen verschiedene Sachen.
+
+Sampo Singi führte wieder das Wort und reihte seine Delikatessen an
+unserem Feuer auf. Ach, was für schöne Sachen; jetzt würden wir nach
+der knappen Kost der letzten Tage wie Fürsten tafeln! Ein großes Stück
+Fett (Mar), einen Napf saure Milch (Scho), eine hölzerne Schale mit
+Käsepulver (Tschorá), eine Kanne Milch (Oma) und einen Klumpen Sahne
+(Bema): konnten wir uns ein lukullischeres Frühstück wünschen?
+
+Alles war Primaware, außer der Sahne, die beinahe an einen Bund
+aufeinandergelegter, bedenklich rußiger und haariger Hautlappen
+erinnerte. Das Käsepulver ist eines der Ingredienzien der „Tsamba“,
+die im übrigen aus Mehl, Tee, Fett- oder Butterstücken, was man gerade
+hat, alles in einer Schüssel verrührt, zu bestehen pflegt. Ich muß
+gestehen, daß es mir nie gelungen ist, mich an diese von den Mongolen
+hochgepriesene Delikatesse zu gewöhnen.
+
+Um so besser wußte ich die sauere Milch zu würdigen. Sie übertraf
+alles, was ich mir hatte denken können, und hätte mir ein höheres
+Wesen, als sie verzehrt war, unter allen Delikatessen der Erde freie
+Wahl gelassen, so würde ich ohne Zögern um noch etwas sauere Milch
+gebeten haben! Sie war dick, weiß und säuerlich; in der ganzen Welt hat
+die „Scho“ der Tibeter nicht ihresgleichen!
+
+Alles dieses sowie das Schaf sollten nun bezahlt werden, und Schagdur
+zog einige chinesische Silberstücke hervor. Sampo Singi wog sie
+und fand sie gut, erklärte aber, nur Silbergeld von Lhasa annehmen
+zu können. Da wir solches nicht besaßen, prüften wir ihn auf seine
+Empfänglichkeit für blauen chinesischen Stoff, und das wirkte. Mit
+wahrem Genusse strich er darüber hin und ließ ihn zwischen den Fingern
+rauschen; er besah ihn in der Nähe und aus der Ferne, mit einem Worte:
+er hatte angebissen. Die Schweinsaugen seiner edeln Gattin glänzten
+vor Begierde. Wir hatten von diesem Zeuge zwei Pakete zu Tauschzwecken
+mitgenommen, und Sampo Singi wollte das eine haben. Das asiatische
+Parlamentieren und Feilschen begann, und schließlich mußte er sich mit
+12 Ellen, dem dritten Teile eines Paketes, begnügen. Pferde konnte er
+jedoch nicht entbehren, so sehr wir ihn auch in Versuchung führten.
+Als der Handel abgeschlossen war, hielt jede Partei die andere für
+übervorteilt.
+
+Nun baten wir Sampo Singi, das Schaf zu schlachten und zu zerlegen,
+dann sollte er als Lohn für seine Gastfreiheit und für die uns
+erwiesene Freundlichkeit das Fell behalten dürfen; hiermit war er sehr
+zufrieden. Ich beobachtete mit diplomatischer Gleichgültigkeit, wie
+er dabei vorging. Er legte das Tier auf die linke Seite und band ihm
+drei Beine zusammen, das linke Vorderbein aber ließ er frei. Dann
+schnürte er ihm einen dünnen, weichen Lederriemen mehreremal sehr fest
+um das Maul. Darauf legte er den Kopf des Schafes so, daß die beiden
+wagerechten, Korkzieher ähnlichen Hörner den Boden berührten, und
+stellte sich auf sie. Das Schaf lag jetzt wie in einem Schraubstock
+mit seinem Kopfe am Boden festgenagelt. Als Sampo Singi so weit war,
+steckte er Daumen und Zeigefinger der rechten Hand in die Nasenlöcher
+des gefangenen Schafes, um es durch Ersticken zu töten. Ich sah
+heimlich nach der Uhr, wieviel Minuten hierzu erforderlich sein würden,
+vergaß nachher aber, das Resultat aufzuschreiben; doch erinnere ich
+mich, daß es eine geraume Zeit dauerte und für mich eine entsetzliche
+Pein war, das arme Tier zappeln und zucken zu sehen, während seine
+Augen immer weiter aus ihren Höhlen traten. Die ganze Zeit über betete
+der Alte mit verzweifelter Zungengeläufigkeit „Om mani padme hum“, was
+mich an die Art der Muselmänner, Schafe zu töten, erinnerte. Wie um ihr
+eigenes Gewissen zu beruhigen und dem Schöpfer zu schmeicheln, plappern
+auch sie Gebete zum Lobe des Ewigen her, während sich der kalte Stahl
+von unschuldigem Blute rötet.
+
+Endlich wurde das Schaf still, seine Beine fielen schlaff nieder,
+und Sampo Singi richtete sich auf. Es war hart, diese Tierquälerei
+mitanzusehen, ohne sie verhindern zu dürfen. Ich hütete mich aber
+wohl, mich und meine Gefühle zu verraten, und im übrigen ist auch jede
+Einmischung in alte, feststehende Gebräuche völlig nutzlos.
+
+Sodann frühstückten wir miteinander von den gekauften Milchspeisen,
+und die Hunde erhielten zum Lohn für ihren tadellosen Wachtdienst
+eine tüchtige Portion Fleisch. Die Frau war von ihrem Zeuge derart
+entzückt, daß sie ganz den Appetit verloren hatte und nur bald diesem,
+bald jenem von uns freundlich zunickte. Ihre Kleidung war die der
+Männer; das struppige schwarze Haar war in zwei Zöpfe geteilt, stand
+aber eigentlich in rattenschwanzähnlichen Büscheln nach allen Ecken
+und Enden. Sie trug Filzstiefel mit einfacher Buntstickerei, die einst
+recht hübsch gewesen war. Wie sie es angefangen hatte, so fabelhaft
+schmutzig zu werden, wie sie war, begriff ich nicht, beneidete sie aber
+aufrichtig darum. Meine vermutlich feinere Haut wurde unaufhörlich vom
+Regen „rein“ gewaschen, auf ihrer Haut aber saß die Schmutzschicht
+so dick und kompakt, daß sie mit Aussicht auf Erfolg als Treibbeet
+für Frühkartoffeln hätte benutzt werden können. Die Poren in der
+Gesichtshaut der Tibeter müssen verschwunden sein; jedenfalls ist es
+sicher, daß ihre Öffnungen beständig verstopft bleiben.
+
+Sampo Singi half uns bereitwillig beim Beladen unserer Tiere. Das Zelt
+war von all den Regenschauern, die es eingesogen hatte, doppelt so
+schwer geworden.
+
+Der ehrliche Nomade wünschte uns glückliche Reise nach Lhasa und
+angenehmen Aufenthalt in dieser Stadt, und der Lama versicherte, er
+habe dies in so manierlicher Weise getan, daß ihm die lamaistischen
+Finessen sichtlich nicht fremd seien. Es war ihm augenscheinlich nicht
+darum zu tun, uns noch hier zu behalten; sonst hätte er uns gewiß vor
+dem bevorstehenden Tagemarsche gewarnt. Er sagte nur, daß wir einen Paß
+zu überschreiten hätten und daß der Weg nach Lhasa überall deutlich
+erkennbar sei, weiter nichts. Wir versprachen, ihn auf dem Rückwege
+wieder aufzusuchen. Wir taten dies auch, aber ohne Erfolg, denn er
+hatte seine Penaten bereits nach anderen Weideplätzen geflüchtet.
+
+In halber Dämmerung brachen wir um 9 Uhr auf; der Himmel verhieß uns
+wenig Gutes, und bleischwer hingen die Wolken über der Erde. Über Hügel
+und Bergausläufer näherten wir uns dem Flusse +Gartschu-sängi+, der
+bei näherer Besichtigung nichts weniger als einladend aussah. Sein Tal
+drängt sich zusammen, und die schwere Wassermasse rauscht dumpf unten
+zwischen den Felsen, während wir oben dem oft ziemlich beschwerlichen
+und gefährlichen Wege über Pässe und Höhen folgen. Murmeltiere und
+Hasen kommen hier besonders häufig vor, und die Hunde machen sich mit
+ihrer Verfolgung viele unnötige Mühe.
+
+Fünf Minuten, nachdem wir Gom-dschima verlassen hatten, brach die
+heutige Regenflut los, und peitschte die Erde wie mit Ruten; bald waren
+wir wieder pudelnaß (Abb. 249).
+
+Nachdem wir über einen letzten kleinen Paß und einen steilen Abhang
+hinuntergegangen waren, erweiterte sich die Landschaft, und vor uns
+dehnte sich ein ebener Talgrund aus, der im Süden, soweit man vor dem
+Regen sehen konnte, nicht von Bergen begrenzt wurde. Den Gartschu-sängi
+verloren wir auf der linken Seite aus den Augen.
+
+In zähem Schlamme geht es nach Südosten weiter, und wir hüten uns, den
+Weg aus dem Auge zu verlieren. Der Regen spült über die Erde, unsere
+Sättel rutschen in der Nässe hin und her, unsere förmlich am Leibe
+klebenden Anzüge glänzen von Wasser, und aus den Mähnen der Pferde
+rieselt es. Wenn die Hunde stehenbleiben, um sich zu schütteln, sind
+sie von einer Wolke sprühender Tropfen umgeben.
+
+Eine Strecke weit ist das Terrain wieder etwas kupiert, das Gras ist
+gut, und man sieht oft verlassene Lagerplätze.
+
+Jetzt führte der Weg gerade nach dem rechten Ufer eines so breiten,
+gewaltigen Flusses, daß wir ihn von fern für einen See hielten, dessen
+gegenüberliegendes Ufer vom Regen verschleiert wurde. Doch das laute
+Aufschlagen der Regentropfen auf der Wasserfläche wurde bald durch ein
+dumpferes Getöse wie vom Heranwälzen großer Wassermassen übertönt.
+Auch die gelbe, trübe Farbe verriet einen Fluß, und als wir am Ufer
+standen und die Wellen nach Westsüdwesten rollen sahen, war unser
+Schicksal deutlich besiegelt, denn hinüber mußten wir um jeden Preis.
+
+[Illustration: 246. Ein nächtlicher Überfall. (S. 174.)]
+
+[Illustration: 247. Die drei Pilger. (S. 178.)]
+
+Der Fluß, der kein anderer war als der +Satschu-sangpo+, den schon
+Bonvalot, Prinz Heinrich von Orleans und Rockhill vor mir in derselben
+Gegend überschritten hatten, war infolge des ewigen Regens zu
+ungeheuren Dimensionen angeschwollen und teilte sich in seinem breiten
+Bette in 20 Arme, von denen jeder an und für sich schon einen ziemlich
+großen Fluß bildete. Vier Arme waren kolossal, und es erschien mir fast
+unmöglich, sie zu durchwaten. Doch ohne einen Augenblick zu zögern und
+ohne die Furt erst genauer zu untersuchen, ging der Lama, der stets
+voranritt, gerade in das Wasser hinein, und die beiden anderen Pilger
+folgten ihm. Es lief noch glücklich ab, und nur ein paarmal betrug die
+Tiefe mehr als einen Meter. Ich erwartete immer, den Lama, der den
+kleinsten Maulesel ritt, in den trüben Wellen verschwinden zu sehen.
+Von der Tiefe kann man sich bei so trübem Wasser vorher natürlich
+keinen Begriff machen.
+
+Wir hatten uns über die halbe Anzahl von Armen hinübergearbeitet und
+rasteten einige Minuten auf einer Schlammbank mit kaum fußtiefem,
+langsam fließendem Wasser. Man atmet von seiner Angst um die kleine
+Gesellschaft auf und freut sich, so weit gekommen zu sein. Die
+Annehmlichkeit der Lage ist jedoch zweifelhaft. Hinter uns der halbe
+Fluß, vor uns die andere Hälfte, und wir stehen mitten in dieser
+rauschenden, tosenden Wassermasse, die vom Tale herunter auf uns
+losstürmt und die Absicht zu haben scheint, uns zu überwältigen und
+mitzureißen. Es schwindelt einem vor den Augen; die ganze ausgedehnte
+Wasserfläche ist auf allen Seiten in Bewegung, doch uns kommt es vor,
+als wären wir es, die durch das Tal jagen. Die Ufer sind vor dem
+Regen, der die Wasserfläche peitscht, nicht zu sehen; jeder Bach, jede
+Rinne in der Nachbarschaft trägt zum Anschwellen des Flusses bei,
+jeder Tropfen liefert seinen Tribut zum unwiderstehlichen, gewaltsamen
+Vorwärtsstürmen der Wassermasse.
+
+Der Lama stemmte seinem Maulesel die Fersen in die Seite und begab
+sich wieder in tiefes Wasser hinein. Er hatte noch nicht zehn Schritt
+zurückgelegt, als es dem Maulesel schon bis an die Schwanzwurzel
+ging und der Reiter die Knie hochziehen mußte, um wenigstens die
+Stiefelschäfte über dem Wasser zu haben. Der Maulesel, der unsere
+beiden mit Leder überzogenen Kisten trug, geriet in eine höchst
+bedenkliche Lage. Die Kisten wirkten, bevor das Wasser in sie hatte
+eindringen können, wie Korkkissen, und das Tier verlor infolgedessen
+den Boden unter den Füßen, beschrieb dabei einen halben Bogen und wurde
+mit unwiderstehlicher Kraft von der Strömung ergriffen. Der Strudel
+riß das Tier natürlich in den schnellsten Strömungslauf, wo nur
+noch sein Kopf und die beiden Kisten über dem Wasser sichtbar waren.
+Ich gab es verloren, aber es zog sich auf bewunderungswürdige Weise
+aus der Geschichte. Beim Herumtasten im Flusse stieß es schließlich
+wieder auf festen Grund und es war gerade so dicht an das linke Ufer
+getrieben worden, daß es selbst hinaufkletterte, wobei es die jetzt
+halb mit Wasser gefüllten Kisten noch immer im Gleichgewichte auf dem
+Rücken hatte. Die Strömung hatte das Tier aber schon so weit abwärts
+getrieben, daß es ziemlich lange Zeit erforderte, um es wieder zu holen.
+
+Sobald wir das Manöver des Maulesels gewahrten, schrien wir dem Lama
+verzweifelt zu, er solle umkehren; er hörte aber keinen Ton. Das Wasser
+wirbelte und schäumte um ihn herum wie unterhalb eines Mühlrades, er
+setzte sich aber nur höher in den Sattel und trieb seinen Maulesel an,
+der immer tiefer sank. Seine Todesverachtung war bei dieser Gelegenheit
+großartig, wenn man bedenkt, daß er, wie wir, mit einem schweren,
+tropfnassen Schafpelze bekleidet war und obendrein überhaupt nicht
+schwimmen konnte. Ich hatte die Leibbinde abgenommen und den Pelz
+aufgeknöpft, damit ich ihn jeden Augenblick abwerfen konnte, und ich
+war vollständig auf ein Bad vorbereitet, obgleich ich durchaus keine
+Sehnsucht danach verspürte. Man wird in der nebelkalten Luft steif und
+unlustig, und das Wasser ist zu kalt, um einladend zu sein, wozu noch
+kommt, daß jetzt alles, was Waschen und Reinlichkeit heißt, unseren
+mongolischen Prinzipien widerstreitet.
+
+Das Glück steht jedoch dem Kühnen bei. Bald sahen wir den Maulesel sich
+höher aus dem Wasser erheben, und der Lama konnte die Stiefel wieder
+in die Steigbügel stecken. Für uns, die wir auf unseren hohen Pferden
+saßen, war der Übergang weniger gefährlich.
+
+Der Satschu-sangpo hatte jedoch beschlossen, mich zur Strafe für unser
+dreistes Unterfangen nicht ohne eine kleine Taufe zu entlassen. „Wagst
+du es zu versuchen, nach dem Allerheiligsten von Tibet vorzudringen, so
+sollst du wenigstens nicht vergessen, daß du dem Hindernisse, das ich
+dir in den Weg gelegt habe, Trotz geboten hast.“
+
+Der letzte Arm, einer der vier größten, war nur 30 Meter breit, aber
+tief, schäumend und reißend. Ich war ein wenig zurückgeblieben und
+hatte nicht gesehen, wo die anderen, die sich bereits am Ufer befanden,
+hinübergewatet waren. Daher ritt ich gerade auf ihren Landungsplatz
+zu. Das Wasser stieg um mich herum immer höher, und der Schimmel
+sank immer tiefer. Mir wurde schwindlig, als das Wasser mir über die
+Stiefelschäfte ging, dann aber stieg es über die Knie, über den Sattel,
+und bald guckten nur noch Hals und Kopf des Pferdes aus den um mich
+herumschäumenden Wellen hervor. Der Lama und Schagdur standen am Ufer,
+brüllten mir etwas zu und zeigten, wo die Furt ging; ich aber hörte
+nichts als das Tosen der Wassermassen. Nun ging mir das Wasser schon
+bis an die Rippen, und es wurde Zeit, das Pferd seinem Schicksal zu
+überlassen. Doch gerade in diesem Augenblick verlor es den festen
+Boden unter den Füßen und begann zu schwimmen, und ich hielt mich
+unwillkürlich an seiner Mähne fest. Dies war klug, denn bald hatte das
+Pferd wieder Grund gefaßt und erkletterte schließlich mit verzweifelter
+Anstrengung das steile Ufer, wo das Wasser von Roß und Reiter nur so
+herabströmte. Mein Bad hatte ich bekommen, und zwar gründlich, und vor
+Aufregung zitterten mir noch eine ganze Weile die Knie.
+
+An und für sich hatte die Taufe wenig zu sagen, denn wir waren schon
+vom Regen durchnäßt, aber letzteren ziehe ich doch dem direkten
+Untergetauchtwerden vor. Alle unsere Sachen, Zelt, Kisten, Kleider und
+Proviant, waren ebenso übel daran. Waren die Lasten an diesem Tage
+schon von oben herab angefeuchtet worden, so wurden sie durch die
+Berührung mit dem Flusse auch noch von unten gründlich eingeweicht.
+Nach dieser Wasserprobe sah unsere kleine Schar am Ufer noch
+jammervoller aus als je zuvor. Wir waren aber doch froh, den Übergang
+bewerkstelligt zu haben, denn keiner konnte wissen, wie lange es noch
+zu regnen fortfahren würde, und vor Beendigung der Regenzeit würde der
+Fluß sicherlich nicht fallen.
+
+Es hatte uns 26 Minuten gekostet, über das ganze Flußbett
+hinüberzugelangen, aber es war auch langsam gegangen, und zwischen
+den Armen war das Bett teilweise wasserfrei. Mein Pferd machte, wenn
+ich nur die wasserführenden Teile der gigantischen Rinne rechne, 716
+Schritte, also ungefähr 500 Meter. An eine Berechnung der Wassermenge
+ist bei einem so zersplitterten Flusse und unter so schwierigen
+Verhältnissen nicht zu denken, und ich hatte auch -- im Pilgergewande
+-- wenig Ruhe und Lust dazu. Ich taxiere sie jedoch annähernd auf
+200-250 Kubikmeter in der Sekunde. Nur während der Regenzeit, und auch
+dann nur selten, steigt der Satschu-sangpo zu so kolossalen Dimensionen
+an. Er ist jedenfalls einer der größten Flüsse im inneren Tibet.
+Ich spreche dabei natürlich nicht von denjenigen, die sich ins Meer
+ergießen, sondern nur von denen, die von der Quelle bis zur Mündung
+innerhalb des Landes bleiben und ihr Wasser in abflußlose Salzseen
+entleeren. Ich sollte später Gelegenheit erhalten, den untersten Teil
+des Laufes dieses Flusses genauer kennen zu lernen.
+
+Grau, kalt und wüst sah die Landschaft in Westsüdwest aus, wo das Tal
+im Regennebel verschwand, und triefend ließen wir den Satschu-sangpo
+mit Freuden hinter uns zurück. Meine Stiefel waren bedenklich mit
+Wasser gefüllt, und ich fand bald, daß es unnötig sei, ihren Inhalt
+mitzuschleppen, obgleich es nicht das erstemal war, daß ich in den
+Stiefeln Wasser trug. Doch als dies 1895 in der Wüste Takla-makan
+geschah, sollte ich damit einem Menschen das Leben retten, während wir
+jetzt durchaus keine Veranlassung hatten, über Wassermangel zu klagen.
+Ich hielt daher, leerte die Stiefel aus, band sie hinten an den Sattel
+und ritt barfuß weiter. Die Kisten waren weniger dichte Wasserbehälter;
+als wir lagerten, war die ganze Flüssigkeit aus ihren unteren Ecken
+herausgetropft.
+
+Es dauerte nicht besonders lange, bis wir lagerten, denn für heute
+hatten wir genug. Wir blieben an einem kleinen Bache auf einem
+grasreichen Hügel, wo der Regen ohne Schlammbildung in den Boden
+eingesickert war. Der Bach schwoll vor Einbruch der Dunkelheit wohl
+dreimal so hoch an, wie er ursprünglich war, und ich seufzte bei dem
+Gedanken an das jetzige Aussehen des Flusses erleichtert auf; jetzt
+wäre es absolut unmöglich gewesen, ihn zu überschreiten. Sampo Singi
+hatte uns gewiß mit Fleiß nicht gewarnt, weil er vielleicht gefürchtet
+hatte, daß wir in solchem Falle zu lange auf seinen Weideplätzen
+bleiben würden, oder er mochte auch keine Lust gehabt haben, uns zu
+begleiten und uns die beste Furt zu zeigen.
+
+Unser Lager mußte sich diesen Abend mit einer Zahl, Nr. 50, begnügen,
+denn wir wußten nicht, wie die Gegend hieß. Es war ein recht angenehmes
+Lager! All unser Gepäck war durch und durch naß und verschiedene Sachen
+ruiniert. Der Lama war hauptsächlich über seine Apotheke, d. h. seine
+in Papieren und Beuteln verwahrten Medikamente und heilbringenden
+Samen, betrübt.
+
+Wie sollte es unter diesen Umständen mit dem Feueranmachen gehen?
+Yakdung lag zur Genüge umher, aber er war ebenfalls naß. Nach
+mehreren ebenso energischen wie vergeblichen Versuchen glückte es uns
+schließlich doch. Der Dung wurde von seiner feuchtesten Oberschicht
+befreit, und mit Aufopferung einiger Papierstücke brachte ich ihn
+zum Brennen. Unsere Tiere liefen, solange es hell war, frei auf der
+Weide umher; wir selbst hatten alle Hände voll damit zu tun, unsere
+Kleidungsstücke wenigstens von der Hauptmasse des Wassers zu befreien.
+Ich zog mich aus und kauerte vor der nichts weniger als aromatisch
+duftenden Argolglut, an der ich meine Kleider trocknete, nachdem ich so
+viel Wasser wie nur irgend möglich aus ihnen herausgerungen hatte.
+
+Wir wechselten einander als Blasebalg beim Feuer ab, sonst wäre es bald
+erloschen. Es ist eine wenig dankbare Aufgabe, bei Regenwetter Kleider
+zu trocknen, aber auf die Gefahr hin, sie anzusengen, gelang es uns
+doch, die Feuchtigkeit einigermaßen aus ihnen herauszubringen.
+
+Erbarmungslos und grausam senkte sich die Nacht über die Erde herab,
+und der Mond fand keine Gelegenheit, auch nur den allerflüchtigsten
+Blick auf Tibets naß geregnete Gebirge zu werfen. Ich war nach vier
+Stunden mit der gewissenhaften Verrichtung meines verantwortungsvollen
+Nachtdienstes fertig. Kalt und düster, windig und dunkel war es,
+und es regnete immerzu. Das Zelttuch flattert und schlägt wie ein
+im Winde schwellendes Segel; ich glaube schleichende Schritte
+oder herangaloppierende Reiter zu hören. Von zwei verschiedenen
+Seiten schallen Rufe durch die Nacht. Vielleicht nähern sich die
+Kum-bum-Pilger; aber nein, diese waren gewiß nicht so verrückt wie wir,
+jetzt über den Satschu-sangpo zu reiten.
+
+Man wird nervös von der Nachtwache und dadurch, daß der Tag ebenso
+reich an Spannung ist wie die Nacht. Jetzt ist es kein Geheimnis mehr,
+daß wir unterwegs sind; wir sind bereits mit den ersten Tibetern
+zusammengetroffen. Unsere Lage wird mit jedem Tage kritischer; unter
+wechselnden Geschicken und ungewissen Schicksalen entgegen geht unser
+Weg immer tiefer in dieses geheimnisvolle Land hinein. Wir nähern
+uns langsam und sicher dem Ziele, aber müde sind wir; ich sehne mich
+beinahe danach, irgendwie festzusitzen, damit wir ausschlafen können.
+
+Ich glaubte freilich, daß jetzt, nachdem wir zwei schwere Proben, den
+Räuberüberfall und den Satschu-sangpo, überstanden hatten, das Glück
+unsere Reise begünstigen und uns Lhasa erreichen lassen müßte. Es war
+wie in einem Märchen, wo der Held erst durch Feuer und Wasser gehen
+muß, ehe er den Preis gewinnt und das erträumte Ziel erreicht.
+
+Auch in dieser Nacht rissen sich einige Tiere während meiner Wache los,
+und es dauerte ziemlich lange, bis sie wieder eingetrieben waren. Meine
+beiden Reisegefährten lagen in schwerem Schlaf in unserer nassen Höhle.
+Der Lama ist jedoch guten Mutes und sieht unsere Aussichten in hellem
+Lichte, was man ihm, der anfangs durchaus nicht mitwollte, wirklich
+nicht hätte zutrauen können. Schagdur ist ruhig und ernst. Beide sind
+prächtige Menschen, gerade solche Leute, wie man sie um sich haben muß,
+um sich sicher zu fühlen, und deren man bedarf, wenn ein derartiges
+Abenteuer nicht ein Ende mit Schrecken nehmen soll.
+
+In dieser Mitternachtstunde wartete ich keine Minute über 12 Uhr mit
+dem Wecken, sondern rüttelte Schagdur unbarmherzig wach; er kroch in
+das Regenwetter hinaus, nachdem er seine Flinte untersucht hatte,
+während ich in unser klägliches Nest schlüpfte. Er war zu schlaftrunken
+und ich zu schläfrig, um zu reden; ohne ein Wort auszutauschen,
+wechselten wir den Platz.
+
+
+
+
+Sechzehntes Kapitel.
+
+In kritischer Lage.
+
+
+Der Lama benutzte am 2. August seine Nachtwache, um aus einer
+Konservendose eine „Lampe“ herzustellen; den Docht drehte er aus
+einem Seilende, und die Flamme wurde mit Schaffett genährt. Anderes
+Feuer spendierten wir uns an diesem Morgen nicht. Heute blieben wir
+merkwürdigerweise während des Marsches vom Regen verschont; der Himmel
+sah allerdings drohend aus, klärte sich aber gegen Abend auf und ließ
+die ersehnten Strahlen der Sonne durch.
+
+Unsere armen Tiere sind zu erschöpft, um mehr als 25 Kilometer
+zurücklegen zu können. Die beiden Pferde sind ganz zu Ende, und zwei
+Maulesel haben wundgescheuerte Stellen auf dem Rücken.
+
+Die Landschaft war wenig abwechselnd. Wir steigen durch das Tal des
+Lagerbaches zu einem kleinen Passe hinauf. Rechts von unserem Wege
+erscheint in einer Entfernung von einigen Kilometern ein schwarzes
+Zelt, um welches herum etwa 20 Yake und 400 Schafe weiden. Über ein
+Gewirr von Hügeln gelangen wir wieder auf offenes Terrain, das recht
+bequem zu überschreiten gewesen wäre, wenn nicht der Regen das Erdreich
+so aufgeweicht gehabt hätte. Hohe Bergrücken sieht man gar nicht, aber
+man kann sich darin auch täuschen, weil dunkle Wolken über allen Kämmen
+schweben.
+
+Vor uns im Südosten unterscheiden wir ganz in der Ferne etwas
+Schwarzes, dem wir uns langsam nähern. Es stellt sich heraus, daß es
+eine Yakherde ist, deren Spur wir eine gute Weile gefolgt sind. Als
+wir näherkamen, fanden wir, daß sie zu einer Karawane gehörte, die auf
+einem Hügelabhange neben dem Wege lagerte. Um eine unterhalb desselben
+rieselnde Quelle herum war das Gras gut, und hier hatten sich die 300
+Lastyake zerstreut.
+
+Die Männer, 25 an der Zahl, saßen unter freiem Himmel um ihr Feuer
+herum; Zelte hatten sie nicht. Die Last war in einem Dutzend
+Haufen aufgestapelt und bestand aus in Sackleinwand eingenähten
+Ziegelteestücken, die aus der Gegend von Kum-bum nach Taschi-lumpo am
+Brahmaputra befördert werden sollten. Die Karawane wollte daher bald
+nach rechts, d. h. nach Süden, von der Straße nach Lhasa, die andauernd
+die Richtung nach Südosten beibehält, abbiegen. Sie marschiert nur
+nachts, bei Tag liegt sie still, um die Tiere weiden zu lassen. Das ist
+gewiß eine ausgezeichnete Art zu reisen, wenn man den Weg kennt und
+keine Karte zu zeichnen braucht! Eine Schar bissiger Hunde, die uns
+anfiel, wurde von Jollbars und Malenki auf eine Weise empfangen, die
+sogar den Besitzern Respekt einflößte. Als wir in größter Ruhe an ihren
+Teestapeln vorbeiritten, kamen mehrere Leute nach der Straße herunter,
+um uns genauer zu betrachten, und da hielten wir. Bei allen war der
+braungebrannte Oberkörper völlig nackt, und der von der Leibbinde
+festgehaltene Pelz hing vom Rücken herunter. Ihre erste Frage war: „Wie
+viele seid ihr?“, als wollten sie sich vor allem vergewissern, wer im
+Falle eines Handgemenges die größte Aussicht hätte, Sieger zu bleiben.
+Dann fragen sie, ob man Waren zu verkaufen habe, woher man komme, wie
+lange man unterwegs sei und wohin man wolle, und als sie erfahren, daß
+wir nach Lhasa gehen, finden sie es ganz natürlich, daß wir nach dem
+heiligen Orte pilgern. Ich hörte jedoch einen Mann, der seinen nächsten
+Nachbarn anstieß und dabei auf mich zeigte, das Wort „Peling“ sagen,
+welches Europäer bedeutet.
+
+Sie sahen wie leibhaftige Strolche aus, und einige von ihnen waren
+geradezu abschreckende Erscheinungen (Abb. 250, 251, 252). Infolge der
+schmutzigbraunen Hautfarbe und des üppigen, schwarzen, oft in zwei
+Flechten herabhängenden Haares erinnern sie an Indianer. Einer von
+ihnen verstand etwas Mongolisch und fragte gemütlich: „Ämur sän bane?“
+(Ist eure Gesundheit gut?). Die meisten blieben bei den Feuern, wo sie,
+ohne uns die geringste Beachtung zu schenken, als hätten sie schon oft
+Pilger vorbeiziehen sehen, Tee aus Holzschalen tranken und ihre Pfeife
+rauchten. Zwei von den anderen forderten uns auf, hierzubleiben und uns
+zu ihnen zu gesellen. Es war uns aber nicht um solche Nachbarschaft zu
+tun, und nachdem wir uns einige Minuten mit ihnen unterhalten hatten,
+ritten wir weiter.
+
+Mein Pferd war jedoch so schlecht, daß es mit den Mauleseln nicht
+Schritt halten konnte, und nach nur wenigen Kilometern mußten wir
+daher an einer Quelle auf freiem Feld etwa einen Steinwurf südlich
+vom Wege Halt machen. Der Weg hatte sich während dieser Tagereise zu
+einer großen Landstraße entwickelt, deren schlechter Zustand von recht
+lebhaftem Verkehre zeugte.
+
+Der Abend war herrlich. Die Sonne schien ordentlich heiß, und wir
+breiteten alle unsere Kleidungsstücke, Pelze und anderen Sachen zum
+Trocknen aus, wobei eine leichte Süstostbrise half. Das Zelt trocknete
+am besten in aufgeschlagenem Zustande; die Sattelkissen wurden bald mit
+der einen, bald mit der anderen Seite in die Sonne gelegt.
+
+Der Lama brachte seine Patentlampe, auf der das Abendessen gekocht
+werden sollte, in Ordnung. Lange hatten wir jedoch noch nicht gesessen,
+als wieder ein Gewitter mit betäubenden Donnerschlägen heraufzog,
+und ein ungeheuer heftiger Hagelschauer das Zelt beinahe zu Boden
+schlug. Die meisten Donnerschläge riefen einen eigentümlichen,
+metallischklingenden Ton hervor, der langsam in der Ferne erstarb und
+dem Klange einer Kirchenglocke glich. Ich habe dergleichen noch nie
+gehört.
+
+Wir blieben an diesem Abend noch lange auf, plauderten und berieten
+uns über unsere Lage. Wenn wir nur Gelegenheit hätten, unsere Tiere
+durch einen ehrlichen Tausch loszuwerden, dann würden wir mit den neuen
+wieder lange Tagemärsche machen können. Ja, es wäre sogar noch besser,
+Yake zu haben als unsere erschöpften Maulesel und Pferde, und wir
+beschlossen, uns bei der nächsten Gelegenheit Yake zu verschaffen.
+
+Während der letzten Tage war in unserer Nähe nichts Verdächtiges
+vorgefallen, aber der Lama glaubte, daß die Yakjäger den Gouverneur von
+Nakktschu benachrichtigt hätten, der in diesem Falle sogleich Eilboten
+in alle Teile seiner Provinz mit dem Befehle schicken würde, daß auf
+allen nach Lhasa führenden Wegen Ausguck zu halten sei. Kämen wir nur
+erst in die dichter bewohnten Gegenden, wo die Leute an Pilger gewöhnt
+seien, so würden wir nicht länger besondere Aufmerksamkeit erregen.
+
+Nachts wurde strenge Wache gehalten, denn die mit mindestens zehn
+Flinten bewaffnete Eskorte der Teekarawane sah nichts weniger als
+vertrauenerweckend aus. Hätten sie es gewollt, so hätten sie uns in
+der Dunkelheit überrumpeln können, und wir wären in verzweifelter Lage
+gewesen.
+
+Obwohl es im höchsten Grade wünschenswert war, daß wir uns so sehr
+wie nur irgend möglich beeilten, ehe unser schleichender Zug auffiel,
+beschlossen wir dennoch, am 3. August in dieser Gegend, welche die
+Tanguten +Amdo-motschu+ nannten, zu bleiben. Ihrer Meinung nach hatte
+eine Yakkarawane von hier noch fünf Tagereisen bis Nakktschu und sieben
+bis Lani-la.
+
+Nach einer ruhigen Nacht wurde ich von meinen Reisegefährten um 9 Uhr
+geweckt, -- es war zu herrlich, einmal wirklich ausschlafen zu dürfen!
+Sie sagten, die Teekarawane ziehe heran und sei wirklich sehenswert.
+
+[Illustration: 248. Lager der drei Pilger. (S. 184.)]
+
+[Illustration: 249. Auf dem Wege nach Lhasa in strömendem Regen. (S.
+192.)]
+
+Es war auch in der Tat ein höchst origineller, malerischer Anblick.
+Die Karawane zog in militärischer Ordnung vorbei, und es dauerte eine
+geraume Zeit, bis die letzten unser Zelt hinter sich hatten. Sie
+marschierten in verschiedenen Abteilungen von je 30 oder 40 Yaken, und
+jede solche Gruppe wurde von ein paar Leuten getrieben. Die Yake
+gingen langsam, mit kleinen, trippelnden Schritten, beobachteten aber
+eine vorzügliche Ordnung und machten den Leuten, die sie durch scharfe
+Pfiffe und kurze, abgerissene, gellende Rufe antrieben, nicht allzuviel
+Mühe. Wenn ein Yak sich von dem Haufen trennte, so brauchte einer der
+Treiber nur mit dem Arme nach derselben Richtung zu schlagen und einen
+gellenden Pfiff auszustoßen, um das Tier zu veranlassen, sofort nach
+seinem Platze im Gliede zurückzukehren.
+
+Im Verhältnis zur Stärke der Tiere waren die Lasten leicht. Alle Männer
+gingen zu Fuß, und zehn von ihnen trugen Flinten auf der Schulter. Sie
+waren nicht im geringsten zudringlich. Obwohl sie dicht an unserem
+Zelte vorbeizogen, guckte doch keiner von ihnen hinein; sie waren
+ausschließlich damit beschäftigt, die Karawane in Ordnung zu halten.
+
+Der Lama sprach mit einigen von ihnen. Der Abwechslung halber hatten
+sie auch in der Nacht geruht und sagten, daß nun, da sie Gegenden
+mit besserem, üppigerem Grase erreicht hätten, die Yake auch nachts
+weiden könnten, besonders wenn Mondschein herrschte. Sie baten wieder,
+wir möchten uns doch fertigmachen und mit ihnen nach ihrem nächsten
+Lagerplatze ziehen.
+
+Es war wirklich interessant, diese wandernde Gesellschaft aus Kum-bum
+zu sehen, diese Tanguten, die mit den Tibetern eines Stammes sind und
+auch dieselbe Sprache sprechen. Die ganze Gesellschaft war kohlschwarz,
+die Yake, die Männer, ihre Kleider, ihre Flinten, ihre Hunde, und sie
+warfen sogar schwarze Schatten, denn jetzt stand die Sonne am Himmel
+und beleuchtete den Zug. Ein Schattenspiel, ein Karneval von Dämonen --
+ihnen stand der Weg offen nach Taschi-lumpos heiligen Tempeln und den
+Basaren von Schigatse, wo der Tee verkauft werden sollte.
+
+Wir hatten den ganzen Tag vor uns und sollten uns gründlich ausruhen,
+aber ich konnte nicht mehr schlafen, ich hatte das Bedürfnis, die Sonne
+zu sehen und mich an der lachenden Landschaft zu erfreuen. Ich saß mehr
+als leicht gekleidet da und ließ mich vom Sonnenschein trocknen; um 1
+Uhr hatten wir +14,6 Grad im Schatten, und die Wärme war fühlbar. Jetzt
+hatten wir endlich Gelegenheit, alle unsere Habseligkeiten wirklich
+trocknen zu lassen. Kleinere Sachen wurden auf Pelzen und Mänteln
+ausgebreitet. Der Lama beschäftigte sich mit seinen Medikamentbeuteln,
+und es stellte sich heraus, daß er der glückliche Besitzer eines
+ziemlich großen Beutels mit Rosinen war, den er von Tscharchlik
+mitgenommen hatte und der erst jetzt zum Vorschein kam. Die Packsättel
+wurden fleißig umgedreht und trockneten im Laufe des Tages. Die Stiefel
+wurden mit trockenem, warmem Sand gefüllt, der sie ausspannte und ihnen
+ihre richtige Form wiedergab.
+
+Zweimal hatte ich das unbeschreibliche Vergnügen, uns Mittag kochen zu
+müssen, was ~con amore~ geschah; die frischen Fleischstücke wurden
+in dünne Scheiben geschnitten, die ich in Butter briet, die uns Sampa
+Singi geliefert hatte, und das mit Käsepulver und Salz gewürzte Gericht
+schmeckte delikat. Die sauere Milch war leider zu Ende, aber wir
+hatten zum Nachtisch Tee und Rosinen. Eine Pfeife Virginia schmeckte
+hinterdrein vorzüglich, und dann streckte man sich wieder in der Sonne
+aus, den Sattel als Kopfkissen benutzend. Selten bin ich so faul
+gewesen wie an jenem 3. August 1901.
+
+Schagdur und der Lama schliefen dann und wann. Unsere Tiere grasten so
+nahe, daß wir sie jeden Augenblick zählen konnten, und wir verloren sie
+nicht aus den Augen.
+
+Als Kunstkenner bemalte mir der Lama wieder den Kopf vorn und hinten,
+den ganzen Hals und die Ohren außen und innen. Ich hatte eine
+kleine Dose mit brauner Farbe, einen Wattebausch und als Spiegel
+meine Uhrkapsel, so daß ich, wenn es nötig war, den Anstrich selbst
+auffrischen konnte. Es ist nur ärgerlich, daß, sobald die Haut
+abblättert, augenblicklich eine rosa Stelle inmitten des orthodoxen
+Farbentones erscheint, ungefähr als wenn ein Flicken von dem Kleide
+einer Balldame auf der Nase eines Schornsteinfegers haften geblieben
+wäre!
+
+Kein Wort Russisch durfte über Schagdurs oder meine Lippen kommen, nur
+Mongolisch ertönte in unserem Lager, und wir bereiteten uns jetzt auf
+die Antworten vor, die wir auf eventuelle inquisitorische Fragen geben
+wollten. Wir waren alle Burjaten aus Sachir und hatten das Land der
+Chalchamongolen und Zaidam durchreist. Der Lama wollte unter keiner
+Bedingung für einen Mongolen gelten; er war ein Burjate, und, um nicht
+von denen, die er früher in Lhasa getroffen hatte, wiedererkannt zu
+werden, trug er gleich mir eine schwarze Schneebrille und wollte im
+übrigen allen seinen Bekannten aus dem Wege gehen. Besondere Angst
+hatte er vor dem Oberlama des Tempels, in welchem er seine Studien
+betrieben hatte. Würde er erkannt, so glaubte er, daß die Folgen für
+ihn verhängnisvoll sein würden. Man würde uns umkehren lassen, ihn aber
+unter dem Vorwand, er sei ein Lama von Lhasa, zurückbehalten und dann
+als Verräter, der Spione in das verbotene Land geführt habe, bestrafen.
+Während all der Tage, gleichviel ob wir stillagen oder über unbekannte
+Berge ritten, plapperte er seine Gebete an die ewigen Götter und
+unterhandelte mit seinem Gewissen.
+
+Er hegte großes Interesse für das Christentum und bat mich oft, ihm
+meinen Glauben auseinanderzusetzen; nach seiner Ansicht hatten wir so
+viele Berührungspunkte, daß ich eigentlich ebenso berechtigt war wie
+irgendein Buddhist, die Wallfahrt zu machen. Er selbst kannte nichts
+weiter als die heiligen Bücher Tibets und der Mongolei, und da er mich
+während unserer Reise mit so vielen Arbeiten, von denen er früher
+keine Ahnung gehabt hatte, beschäftigt gesehen und beobachtet hatte,
+wie ich an der Erforschung der Erdrinde arbeitete, die Himmelskörper
+beobachtete und abends in Büchern las, war er zu dem Schlusse gekommen,
+daß ich mindestens ebenso gut sei wie ein Lama und daß sie sich in
+Lhasa freuen könnten, wenn ich sie besuchte. Der Dalai-Lama war
+allwissend. Er wußte, wer wir waren, mit was für Absichten wir kamen,
+ja, er wußte, was wir jeden Tag miteinander redeten. Und er würde
+nicht zulassen, daß mir etwas Böses widerfahre; wie er sich aber zu
+dem Lama selbst stellen würde, war eine andere Frage. Wenn ich einen
+allmächtigen Gott hätte, sollte ich ihn doch bitten, daß er, der Lama,
+Leib und Leben behalten dürfe, da er doch nur meinetwegen mit auf
+dieses Abenteuer ausgezogen sei. Ich versicherte dem Lama, daß er ganz
+ruhig sein könne, wir würden zusammenhalten, wohin es auch ginge, und
+würden ihn nicht im Stiche lassen.
+
+Eine Stunde lang war es finster wie in einem Sacke gewesen, als der
+Mond aufging und still und freundlich wie ein Engel an dem mit Sternen
+übersäten Himmelsgewölbe stand. Ich hatte die Wache von 8-11 Uhr, und
+um 5 Uhr wollten wir aufbrechen. Schweigend und friedlich lag die
+Gegend da, nah und fern störte kein Laut die Stille. Nur ein paarmal
+knurrten die Hunde. Der Lama und Schagdur schliefen der Abwechslung
+halber vor dem Zelte. Je mehr wir uns dem Ziele unserer Reise näherten,
+desto ruhiger war mir zumute. Es ist leichter, mitten in der Gefahr zu
+leben, als ihr Eintreten abzuwarten.
+
+Eine Menge kleinerer Bäche in ziemlich offener Gegend überschreitend,
+zogen wir am 4. August nach Südsüdost weiter. An einem Punkte, wo der
+Weg sich teilte, blieben wir ratlos stehen, kamen aber bald zu dem
+Schlusse, daß der linke Weg nach Lhasa, der rechte nach Taschi-lumpo
+führen müsse. Nachdem wir jedoch eine Strecke auf dem ersteren
+zurückgelegt hatten, fanden wir, daß er viel zu gerade nach Osten
+abbog, weshalb wir vermuteten, daß er nach Nakktschu Fuhre und die
+wahrscheinliche Straße nach Lhasa wieder aufsuchten.
+
+Hier erhielten wir bald die Bestätigung für die Richtigkeit unseres
+Schlusses. Eine Karawane von 100 Yaken mit leichten Lasten kam, von
+einem halben Dutzend berittener und bewaffneter Männer getrieben, von
+Lhasa zurück. Die Männer trugen große, hohe, gelbe Hüte und hatten
+einige Ziegen und Hunde bei sich. Sie schienen sich vor uns zu fürchten
+und zogen möglichst schnell an uns vorbei.
+
+Unsere Maulesel, die sich infolge der guten Weide und des Ruhetages
+sehr erholt hatten, fanden die Yake entweder so nett oder so komisch,
+daß sie ihre Gesellschaft der unseren vorzogen; sie machten kehrt und
+gesellten sich zu der Karawane. Die Yake dagegen waren anderer Meinung.
+Vermutlich hatten sie noch nie mit Mauleseln Bekanntschaft gemacht;
+genug, sie galoppierten davon, und ihre Besitzer sowie die Maulesel
+folgten ihnen auf den Fersen. Auf diese Weise kamen sie vom Wege ab und
+auf das freie Feld hinaus. Die Tibeter pfiffen, wir schrien und riefen,
+die Hunde hatten sich in aller Geschwindigkeit in eine heftige Beißerei
+eingelassen, und die größte Unordnung herrschte auf dem so plötzlich
+zur Walstatt gewordenen Grasboden. Endlich gelang es uns, die Tiere zu
+bemeistern und in guter Ordnung zu trennen.
+
+Irgendein böser Geist mußte an diesem Tag in einen unserer
+Maulesel gefahren sein, der der „Dungane“ hieß, weil er von einem
+muhammedanischen Chinesen gekauft war. Ohne sich irgendwie von den
+Yaken stören zu lassen, lief er draußen auf der Ebene im Kreise umher,
+bis alles, was er trug, am Boden verstreut lag und sein Packsattel
+hinter ihm her schlenkerte. Die Sachen wurden gesammelt, und er
+wurde wieder beladen; als sich aber dasselbe Manöver noch zweimal
+wiederholte, mußte das muntere Tier am Stricke geführt werden. Nach
+der Ruhe hatte auch mein Reitpferd sich erholt und legte seine 34½
+Kilometer gut zurück. Der Lama saß schläfrig im Sattel und machte die
+komischsten Verbeugungen; ich erwartete jeden Augenblick, ihn auf der
+Erde liegen zu sehen, aber er verlor das Gleichgewicht nicht.
+
+Das Wetter ist wunderschön, und nach zweitägigem Sonnenbrand ist die
+Erde wieder trocken und unser Gepäck bedeutend leichter geworden.
+
+Der Weg führt jetzt zu einem niedrigen, bequemen Passe hinauf, der
+sich durch ein Steinmal (Obo) aus Sandsteinplatten mit der Inschrift
+„Om mani padme hum“ auszeichnet. Der Boden ist überall unterhöhlt von
+den Löchern und Gängen kleiner Feldmäuse, wodurch das Reiten erschwert
+wird und die Pferde leicht stolpern. Man verabscheut diese verwünschten
+Tierchen, die ihr dreistes Untergraben der Straße manchmal mit dem
+Leben bezahlen müssen. Die Hunde jagen sie unverdrossen. Malenki frißt
+sie mit Haut und Haar, während sich Jollbars damit begnügt, sie im
+Genick zu packen und hoch in die Luft zu schleudern.
+
+Auf beiden Seiten des Passes ritten wir an mehreren, von Yak- und
+Schafherden umgebenen schwarzen Zelten vorbei. Da sich jedoch keine
+Menschen zeigten, hielten wir uns nicht weiter auf. Wir erreichten ein
+offenes, in ziemlich weiter Ferne von Bergen umschlossenes Kesseltal.
+Aus einem der dort stehenden Zelte kam ein alter Mann heraus; mit ihm
+verhandelte der Lama eine Weile. Verkaufen oder Vermieten von Pferden
+kam überhaupt nicht in Frage, der Geizhals wollte uns nicht einmal
+Milch überlassen. Er habe allerdings sehr viel davon, erklärte er, aber
+verkäuflich sei sie nicht, er brauche sie selbst.
+
+Der Weg wird immer breiter und kräftiger ausgeprägt. Aber es ist
+merkwürdig, daß wir nie einzelnen Wanderern oder Reitern begegnen. Man
+scheint hierzulande nur in großen, hinreichend starken Gesellschaften
+zu reisen. Das Gras ist vortrefflich, und man sieht jetzt auf allen
+Seiten Yake, Schafe und Pferde in zerstreuten Herden, die von ihren
+Hirten bewacht werden.
+
+Die Zelte wurden immer zahlreicher und sahen aus der Ferne wie schwarze
+Punkte aus; an einer Stelle lagen vierzehn beisammen. Vor jedem Zelte
+sieht man gewöhnlich einen großen Haufen Yakdung zur Feuerung für den
+Winter; manchmal ist er auch schichtweise ausgebreitet, um ordentlich
+zu trocknen.
+
+Links lassen wir einen ganz kleinen See liegen, an dessen Ufer sich
+die große Teekarawane von gestern niedergelassen hat. Die Männer waren
+nicht zu sehen; sie hatten sich wahrscheinlich nach den Zelten der
+Nomaden begeben, um zu plaudern, zu rauchen und Tee zu trinken.
+
+Um nicht zu sehr von Neugierigen überlaufen zu werden, setzten wir
+unseren Weg noch eine Stunde fort und ließen uns dann in der Nähe eines
+aus vier Zelten bestehenden Dorfes nieder.
+
+Nach einem der Zelte lenkte der Lama seine Schritte und kam mit
+einem Stücke Fett und einem „Domba“ (mongolischer Napf) voll sauerer
+Milch wieder, wofür er eine chinesische Porzellantasse gegeben
+hatte. Unterdessen hatten wir Besuch von einem jungen Tibeter, der
+außerordentlich freundlich und mitteilsam war und ununterbrochen
+schwatzte, obwohl wir kein Wort verstanden.
+
+Der Lama mußte als Dolmetscher dienen. Unser ungebetener Gast gab sich
+als ein Bewohner von Amdo zu erkennen, und sein Dialekt unterschied
+sich wesentlich von der Sprache von Lhasa. Er nannte uns die Namen der
+nächsten Berge, aber ich möchte nicht für die Zuverlässigkeit seiner
+Angaben einstehen. Einen See, der sich im Südosten zeigte, nannte
+er Tso-nekk, den „schwarzen See“, was uns wenigstens wahrscheinlich
+erschien, denn dieser Name kommt in ganz Innerasien häufig vor, z.
+B. in den Formen Kara-köll, Chara-nur usw. Der Weg, dem wir gefolgt
+waren, teilte sich gerade hier in die Straßen nach Lhasa und nach
+Taschi-lumpo. Ein anderer, östlicherer Weg vereinigte sich mit der
+großen Pilgerstraße nach Lhasa.
+
+Wir sehnten uns danach, den Fremdling loszuwerden, da wir ihn für einen
+Spion hielten, der beauftragt war, uns in der Nähe zu beobachten. Als
+uns dies nicht gelang, mußte der Lama ihn unterhalten, während Schagdur
+und ich das Zelt zumachten und zu Mittag aßen. Erst in der Dämmerung
+konnte er sich entschließen zu gehen. Er hatte sein Pferd grasen lassen
+und mußte es jetzt wieder einfangen, aber das wollte ihm durchaus nicht
+gelingen. Soweit wir mit dem Fernglase sehen konnten, lief das Pferd
+nach Süden weiter, und der Mann trabte unverdrossen hinterdrein. Auf
+unsere Frage, ob hier in der Gegend Räuber hausten, antwortete er: „Für
+uns Tibeter gibt es keine, aber für euch, die ihr so weit her seid, ist
+keine Sicherheit.“
+
+Die Nachtluft war so still, daß ich während meiner Wache das Licht in
+der Zelttür brennen lassen konnte. Von den nächsten Zeltdörfern ertönte
+Hundegebell. Der Himmel war halbklar, und der Mond schien teilweise.
+
+Am Montag, 5. August, ritten wir 34 Kilometer nach dem Lager Nr. 53. Es
+ging nach Südsüdost, und bald kamen wir an das Westufer des +Tso-nekk+,
+wo hier und dort mehrere schwarze Zelte und große Viehherden zu sehen
+waren. Der Weg ging über drei Pässe.
+
+Auf einer ziemlich ausgedehnten, überall von Bergen, die namentlich
+im Süden und Südosten ziemlich hoch waren, umgebenen Ebene, auf der
+wir zwölf schwarze Zelte zählen konnten, machten wir Halt. +Bis
+hierher sollten wir gelangen, aber nicht weiter!+ Wir waren gerade
+270 Kilometer vom Hauptquartier entfernt, wo die Unseren mittlerweile
+wahrscheinlich in größter Unruhe über unser Schicksal schwebten.
+
+Auf dem Ritte hatten wir uns darüber gewundert, daß unser Vorbeiziehen
+nirgends Aufmerksamkeit erregt und niemand sich uns genährt und uns
+angeredet hatte. Vor mehreren Zelten saßen Tibeter am Feuer, und Kinder
+spielten mit Lämmern und jungen Hunden. Auch hier an dem kleinen Bache,
+wo das Zelt aufgeschlagen wurde, zeigten sich keine Neugierigen. Wir
+fühlten uns völlig ungeniert, und es war uns natürlich viel lieber, von
+prüfenden Blicken und beobachtenden Besuchen verschont zu bleiben. Ich
+selbst hätte allerdings unsere Nachbarn gern in ihren Zelten besucht,
+hielt es aber für klüger, dies zu unterlassen.
+
+Nach gründlichem Rasieren, Einfetten und Schminken und nach
+eingenommenem Mittagsessen legte ich mich schlafen. Bei Einbruch der
+Dunkelheit kam Schagdur, weckte mich und teilte mir mit, daß sich drei
+Tibeter im Zwielicht unserem Lager näherten. Der Lama und er gingen
+ihnen entgegen, während ich zurückblieb. Es war ganz dunkel geworden,
+ein leichter Sprühregen fiel, und der Himmel war bewölkt, ich konnte
+beim besten Willen weder unsere Tiere noch die Männer unterscheiden.
+
+Meine Begleiter blieben lange fort, und ich fing beinahe schon an, mich
+ihretwegen zu beunruhigen, als Schagdur endlich zurückkehrte. Er war
+ruhig wie immer, aber schon, daß er mich auf russisch anredete, zeigte,
+daß er der Überbringer ernster Nachrichten war.
+
+„+Es sieht schlimm für uns aus!+“ sagte er. „Ich verstand kein
+Wort von dem, was geredet wurde, hörte aber unaufhörlich die Worte
+Schwed-peling, Tschanto (Muselmann), Burjate und Lhasa durcheinander.
+Sie sitzen jetzt und reden, der Lama weint beinahe, ist außerordentlich
+demütig und verbeugt sich unausgesetzt.“
+
+Dann eilte der Lama, aufgeregt und erschüttert, zu uns. Er mußte sich
+erst eine Weile beruhigen, ehe er sprechen konnte, und dann kam es
+stoßweise heraus, in zitterndem Ton und in abgebrochenen Sätzen.
+
+Einer der drei Männer war, nach der Kopfbedeckung zu urteilen, ein
+„Noijin“ (Häuptling, Offizier). Er war höflich aufgetreten und
+recht liebenswürdig gewesen, hatte aber doch in streng befehlendem,
+bestimmtem Tone, der keinen Widerspruch duldete, gesprochen. Sein Blick
+aber war, wie der Lama sagte, tückisch gewesen.
+
+Der Häuptling hatte berichtet, es sei vor drei Tagen bekannt geworden,
+daß ein „schwedischer Europäer“ (Schwed-peling) nach Lhasa unterwegs
+sei, und einige Yakjäger, die kürzlich in Nakktschu eingetroffen seien,
+hätten erzählt, daß eine Menge stark bewaffneter Europäer, Besitzer
+einer großen Karawane, von Norden über die Gebirge zögen.
+
+Nun waren dem Lama tausend Fragen um die Ohren gehagelt. Ob er etwas
+von diesen Europäern wisse, ob einer von ihnen unter uns sei, wieviele
+wir selbst seien, wieviele Tiere wir hätten, ob wir Waffen besäßen;
+woher wir seien, wohin wir gingen, weshalb wir diesen versteckten Weg
+gewählt hätten, der von Mongolen sonst nie eingeschlagen werde. „Rede
+nur die Wahrheit“, hatte es geheißen, und „Wie kannst du, ein Lama,
+diese unbekannten Fremdlinge begleiten?“
+
+Darauf hatte der Lama erwidert, der Amban von Kara-schahr habe
+ihm befohlen, der europäischen Karawane bis Ladak als Dolmetscher
+zu dienen. Die Karawane sei neun Tagereisen von hier im Gebirge
+liegengeblieben, und wir drei Pilger hätten die Erlaubnis erhalten,
+während die Tiere sich kräftigten, Lhasa zu besuchen.
+
+Der Häuptling hatte in betreff des Hauptquartiers sehr genaue Fragen
+gestellt, und der Lama hatte korrekte Auskunft erteilt, da er es für
+möglich gehalten, daß bereits alles ausspioniert sei. Er hatte erzählt,
+wieviele Lasttiere wir hatten und daß uns dort drei Europäer und
+vierzehn Muselmänner erwarteten.
+
+Der Beschluß des Häuptlings hatte gelautet: „Ihr bleibt morgen hier!
+Ich komme dann in euer Zelt, und wir werden miteinander reden. Ich
+werde für einen mongolischen Dolmetscher sorgen, der mit den beiden
+anderen sprechen kann. Braucht ihr Lebensmittel oder Pferde und Yake,
+so werden wir das morgen besprechen.“
+
+Es war schon spät, und wir saßen, nachdem wir unsere Pferde und
+Maulesel wie gewöhnlich festgebunden hatten, noch lange in eifrigem
+Gespräch an dem im Zelte brennenden Feuer. Zunächst bereiteten wir
+uns auf das uns morgen bevorstehende Verhör vor; Schagdur bestand mit
+großer Energie darauf, daß der Lama dann nur als Dolmetscher sprechen
+solle.
+
+Was mich am meisten interessierte, war, zu erfahren, woher sie das
+Wort „Schwed-peling“ hatten. Es war denkbar, daß durch die englischen
+Zeitungen in Indien irgendein Gerücht nach Tibet gedrungen sein
+konnte. Aber „Schwed“ konnte nichts anderes sein als das russische
+„Schwed“, Schwede. Sollte die große mongolische Pilgerkarawane, die
+im Herbst 1900 unser Hauptquartier in Temirlik passierte, dieses Wort
+aufgeschnappt haben? Damals hatte nicht einmal einer der Kosaken eine
+Ahnung von meinen Plänen gehabt, und es ist sehr wahrscheinlich, daß
+die Mongolen, die mit Schagdur und Tscherdon in ihrer eigenen Sprache
+gesprochen, sich erkundigt hatten, ob ich ein Russe oder ein Engländer
+sei, und die Antwort erhalten hatten, ich sei ein „Schwed“, welches
+Wort sich nicht ins Mongolische übersetzen ließ. Diese Pilger haben
+alles, was sie erfahren hatten, in Lhasa gemeldet, wohlwissend, daß
+ihnen jede Warnung vor ungebetenen Gästen zum Verdienst gereichen
+würde. Die Yakjäger, die wir beim Lager Nr. 38 getroffen, hatten die
+Meldung von dem Vorhandensein und Herannahen der europäischen Karawane
+bestätigt.
+
+Eine dritte Möglichkeit ist, daß der Lama während des abendlichen
+Gesprächs mit dem Häuptling derjenige gewesen sein kann, der sich
+zuerst dieser Bezeichnung bedient hat, -- es war das erste und sicher
+auch das letzte Mal in meinem Leben, daß ich nicht stolz darauf
+gewesen bin, ein Schwede zu heißen! In solchem Falle war der Lama ein
+Verräter, und Schagdur sagte mir auch, daß er unter keiner Bedingung
+auf ihn bauen würde. Sein Benehmen während der Unterredung sei ihm zu
+sonderbar vorgekommen, und seine Reden hätten die ganze Zeit über einen
+zustimmenden Eindruck gemacht.
+
+Allerdings war das Ganze eine mysteriöse Sache. Gewiß ist, daß ihnen
+das Wort „Schwed“ auf irgendeine Weise zu Ohren gekommen war, aber
+ohne daß sie wußten, was es bedeutete. Es wurde jedoch durch das
+Wort „Peling“ verdeutlicht, welches Europäer heißt und wohl von dem
+persischen „Fereng“ oder „Ferengi“ ins Tibetische übergegangen sein mag.
+
+[Illustration: 250. Ein junger tibetischer Hirt. (S. 199.)]
+
+[Illustration: 251. Älterer Tibeter. (S. 199.)]
+
+[Illustration: 252. Eine Gruppe Tibeter. (S. 199.)]
+
+[Illustration: 253. Der Lama im Gespräch mit Tibetern. (S. 210.)]
+
+[Illustration: 254. Die tibetischen Reiter. (S. 212.)]
+
+Ich konnte mit dem besten Willen nicht die Überzeugung gewinnen, daß
+der Lama ein Verräter sei. Ich konnte es weder damals noch später.
+Der kleine Schein von Verdacht, der einen Augenblick auf ihn fiel,
+verschwand bald, und ich ließ ihn nie auch nur mit einem Worte
+ahnen, daß von solchem Verdacht überhaupt die Rede gewesen war.
+Vielleicht bewies er mir dafür während der langen Reise bis Astrachan
+eine Anhänglichkeit und Treue, die danach strebte, einen Augenblick der
+Schwäche abzubüßen und die Erinnerung an eine Feigheit auszulöschen,
+die mich bloßgestellt hatte, ihm aber einen Rückzug sicherte?
+
++Eine+ Sache sprach durchaus zu seinen Gunsten, und das war, daß es
+ebensosehr in seinem eigenen wie in unserem Interesse lag, die Kette
+von Wachtposten und Spähern, die alle von Norden nach Lhasa führenden
+Wege bewachte, ~incognito~ zu durchbrechen. Denn wurden wir entdeckt
+und festgenommen, so war seine Lage viel schlimmer als die unserige.
+Hielt ich es für geraten, die Maske zu lüften und mich als Europäer zu
+erkennen zu geben, so würde keiner es wagen, mich auch nur anzurühren,
+aber der Lama, der wissentlich einen verkleideten Europäer begleitet
+hatte, würde hierfür zur Verantwortung gezogen und vielleicht zu Tode
+gemartert werden. Daher glaube ich nicht, daß er uns den Tibetern
+preisgegeben hat.
+
+Daß man uns vor dem Abend des 5. August schon erwartete, ist höchst
+wahrscheinlich. Bei einem Zelte hatte ein Mann gefragt, ob wir
+unterwegs Europäer gesehen hätten, und einer von den Leuten der
+Teekarawane hatte mich ja einfach „Peling“ genannt.
+
+Die Stunden vergingen, und meine Nachtwache schrumpfte zu kurzer Zeit
+zusammen. Ich freute mich wirklich, daß ich einen Ruhetag vor mir
+hatte und daß unsere unsichere Lage jetzt ein Ende nehmen würde. Daß
+uns etwas bevorstand, war klar; aber was? Wenn je, so waren wir jetzt
+mitten in einem Abenteuer, und jetzt sollten wir unser Urteil hören.
+
+Da wir auf allen Seiten so viele Nachbarn hatten, meinten wir, uns
+einigermaßen gegen einen Überfall gesichert fühlen zu können, aber --
+keiner konnte wissen, was das für Leute waren, und einstweilen war es
+noch das Klügste, die Augen offenzuhalten. Die Tiere blieben daher
+festgebunden, und der Wachtdienst wurde gewissenhaft verrichtet.
+
+Die ganze Nacht bellten die Hunde in den Nomadenlagern ringsumher. Der
+Lama glaubte, daß die Nomaden von Zelt zu Zelt gingen, von uns und
+unserer Ankunft sprachen und sich auf etwas vorbereiteten. An mehreren
+Stellen sah man Feuer durch das nächtliche Dunkel lodern.
+
+
+
+
+Siebzehntes Kapitel.
+
+In Gefangenschaft der Tibeter.
+
+
+Am 6. August sollte sich unser Schicksal entscheiden. Schon gleich nach
+Sonnenaufgang besuchten uns drei Tibeter, aber andere als die gestrigen
+Inquisitoren. In gebührender Entfernung banden sie ihre Pferde, indem
+sie ihnen mit einem Stricke die Vorderbeine zusammenschnürten, nahmen
+dann am Feuer Platz und stopften ihre Pfeifen mit hellem, trockenem,
+feinkörnigem Tabak von wenig aromatischem Duft. Ihr eigentliches
+Anliegen schien Untersuchung meiner Augen zu sein, denn sobald ich
+mich zwischen zweien von ihnen niedergelassen hatte, baten sie mich,
+meine schwarze Brille abzunehmen. Nun hatten sie wohl gedacht, daß alle
+Europäer blond sein und blaue Augen haben müßten, denn sie konnten
+ihre Verwunderung darüber, daß meine Augen ebenso rabenschwarz waren
+wie ihre eigenen, nicht unterdrücken. Sie waren sichtlich „betroffen“,
+nickten mir freundlich zu und sprachen schnell und eifrig miteinander.
+
+Ihre Bitte, unser Arsenal sehen zu dürfen, wurde mit dem größten
+Vergnügen bewilligt, da unsere Waffen ihnen ohne Zweifel imponieren
+würden. Schagdur beschrieb sein Magazingewehr, und ich den
+Offizierrevolver. Als wir ihnen zeigten, wie die Patronen eingeschoben
+wurden, schüttelten sie den Kopf und baten uns, unsere Mordwaffen
+wegzulegen.
+
+Bald darauf hielten sie es für das Sicherste, sich zurückzuziehen.
+Doch teilten sie uns vorher noch mit, daß es von hier bis Lhasa eine
+Reise von drei Monaten sei, -- um uns gründlich vom Weiterziehen
+abzuschrecken, möglicherweise aber auch in der Hoffnung, daß wir
+dadurch bewogen würden, freiwillig umzukehren. Ich bat den Lama, ihnen
+zu sagen, daß es uns nicht eingefallen sei, uns darüber Auskunft zu
+erbitten, da wir im Lande reichlich so gut Bescheid wüßten wie nur
+einer von ihnen (Abb. 253). Sie gingen langsam, vorsichtig und --
+rückwärts zu ihren Pferden und führten diese, bis sie sich außer
+Schußweite glaubten; anscheinend waren sie der Meinung, daß wir unsere
+Flinten an ihnen erproben würden.
+
+Dann wurden wir eine halbe Stunde in Ruhe gelassen. Hierauf erschienen
+vier Männer, die sich unserem Zelte zu Fuß näherten. Drei von ihnen
+hatten langes schwarzes Haar, sahen schmutzig aus und waren mit
+Säbeln und Pfeifen versehen, der vierte aber war ein hochgewachsener,
+kurzgeschorener, grauhaariger Lama in rotem Gewande mit gelber Mütze.
+Er machte den Eindruck eines wackeren Mannes; eines solchen bedurften
+wir gerade unter den jetzigen mißlichen Verhältnissen zur Verhandlung.
+Er musterte mich durchaus nicht mit indiskreten Blicken und erlaubte
+sich keine dreisten Fragen. Das einzige, was er wissen wollte, war die
+Stärke unseres Hauptquartiers, und darüber wurde ohne Umschweif Bericht
+erstattet.
+
+Der alte Mann, der ein erfahrenes, respektables Aussehen hatte,
+erklärte mit verblüffender Sicherheit:
+
+„Ihr müßt drei oder höchstens fünf Tage hierbleiben. Heute früh haben
+wir Kuriere an den Gouverneur von Nakktschu geschickt und angefragt,
+ob ihr weiterreisen dürft oder nicht. Als Antwort auf unser Schreiben
+trifft entweder ein Brief mit Verhaltungsbefehlen ein oder Kamba Bombo,
+der Gouverneur, kommt selbst, und bis dahin seid ihr in jedem Falle
+unsere Gefangenen. Es würde uns das Leben kosten, wenn wir euch hier
+durchließen und es sich nachher herausstellte, daß ihr Leute seid,
+die zu der Reise nach Lhasa nicht berechtigt sind. Der Gouverneur von
+Nakktschu ist unser nächster Vorgesetzter, dem wir zu gehorchen haben,
+und wir müssen seine Befehle einholen.“
+
+Mein Vorschlag, durch einen besonderen Kurier in Lhasa anfragen zu
+lassen, wurde verworfen, da es einen Monat dauern könne, bis die
+Antwort käme. Ebensowenig Lust hatten sie, auf meinen Vorschlag, daß
+wir selbst nach Nakktschu reiten könnten, einzugehen. Wahrscheinlich
+sagten sie sich, daß wir, einmal in Freiheit, Nakktschu vermeiden und
+nach Lhasa weiterreiten würden. Alle Unterhandlungen waren unnötig; sie
+wußten, was ihnen zu tun oblag, und wir waren in ihrer Gewalt.
+
+Daß wir zu der großen Karawane, die von Norden gekommen war, gehörten,
+war ihnen klar, ebenso erkannten wir deutlich, daß sie damit bereits
+vertraut waren und uns nur auf die Glaubwürdigkeit unserer Aussagen
+prüfen wollten.
+
+Inzwischen kaufte uns der Alte eine Teetasse ab und teilte uns mit, daß
+uns alles, dessen wir bedürften, zur Verfügung gestellt werden würde.
+
+Im Laufe des Gesprächs erwähnte der Greis seinen Rang als Lama, was
+unserem guten Schereb Lama sichtlich außerordentlich imponierte,
+denn er erhob sich, drückte seine Handflächen gegeneinander und
+berührte die Stirn des Alten mit der seinen. Von beiden Seiten
+wurden die gebräuchlichen Höflichkeitsbezeigungen beobachtet und mit
+Versicherungen von Freundschaft und Achtung nicht gegeizt. Nach einer
+Weile entfernten sich auch diese Gäste.
+
+Jetzt glaubten wir, daß man uns für heute in Frieden lassen werde;
+doch schon nach ein paar Minuten ereignete sich etwas, das uns mit der
+größten Unruhe erfüllte. Von allen Seiten versammelten sich bei dem
+kleinen Zeltlager, das einen Kilometer von dem unsrigen aufgeschlagen
+war, kleine Gruppen von Reitern, die bis an die Zähne mit Spießen,
+Lanzen, Säbeln und langen, schwarzen Gabelflinten bewaffnet waren (Abb.
+254). Einige trugen hohe, weiße Filzhüte mit Krempen, andere dunkle
+Binden, und alle waren sie in Mäntel gehüllt, die braun, rot, schwarz
+oder grau waren. Sie sahen wie richtige Banditen aus, waren aber
+entschieden Soldaten, die mobilgemacht wurden, um das südliche Tibet
+gegen unseren drohenden Einfall zu verteidigen. Woher kamen sie, wie
+hatten sie so schnell bereit sein können? Sie schienen wie Pilze aus
+der Erde zu schießen; es wurde ganz schwarz um die Zelte herum, und wir
+konnten eine Kavallerietruppe von 53 Mann zählen. Sie berieten sich
+unter lebhaften Gesten, saßen ab, schlugen ein großes, weißes Zelt auf
+und ließen sich in einzelnen Gruppen an den Feuern nieder, uns drei
+arme Pilger schienen sie aber nicht weiter zu beachten.
+
+Mit der größten Spannung beobachteten wir sie durch das Fernglas. Der
+Lama war sehr niedergeschlagen und glaubte, man habe die Absicht, uns
+umzubringen. Freilich kamen wir uns einer solchen Übermacht gegenüber
+begreiflicherweise alle drei recht ohnmächtig vor, aber ich glaubte
+doch, daß es, falls wirklich die Absicht uns zu töten vorlag, hierzu
+nicht eines so großen Truppenaufwandes bedürfte und es sich überdies
+auch viel besser durch einen nächtlichen Überfall bewerkstelligen ließe.
+
+Der Tag war regnerisch und rauh, und manchmal verhüllten Nebel und
+Regen die Aussicht. Wir wunderten uns und besprachen uns über die
+Bedeutung der Maßnahmen der Tibeter. Wie als Antwort auf unsere
+Fragen führten sie jetzt eine Bewegung aus, die nicht geeignet war,
+uns zu beruhigen. Nachdem sieben Reiter in schnellem Trab nach Osten,
+wahrscheinlich nach Nakktschu, und zwei nach der Seite von Lhasa
+fortgeritten waren, sprengten die übrigen in dichtem Haufen über die
+Ebene des Kesseltales gerade auf unser Zelt los. Einen Augenblick
+sah ich unsere Lage wirklich für mehr als kritisch an. Wir hielten
+daher unsere Waffen bereit und saßen oder standen am Eingange unseres
+Zeltes. Die Tibeter schwangen ihre Lanzen und Speere über dem Kopfe
+und heulten wie die Wilden (Abb. 255); sie stürmten einher wie zu
+einem Reiterangriff, die Hufe der Pferde klappten auf dem durchnäßten
+Boden, und der Schmutz spritzte von der rasenden Bewegung nach allen
+Seiten. Einige Männer schwangen ihre Säbel und schienen Kommandorufe
+auszuteilen.
+
+Die Schar war nicht mehr weit vom Zelt entfernt, als die Reiter ihre
+Pferde herumwarfen, teils nach rechts, teils nach links, um in zwei
+Gruppen nach dem Ausgangspunkt zurückzukehren. Dasselbe Manöver wurde
+ein paarmal wiederholt, und einige kleinere Gruppen umkreisten unseren
+Lagerplatz. Es lag entschieden die Absicht vor, uns gebührenden Respekt
+einzujagen, was uns um so klarer wurde, als sie wieder absaßen und
+mit ihren langen schwarzen Gabelflinten nach der Scheibe zu schießen
+begannen.
+
+Um 2 Uhr wurde uns noch eine Vorstellung gegeben. Die Tibeter saßen
+wieder auf, wickelten sich in ihre Mäntel und ritten, während der
+Regen in dicken Strahlen auf die Erde fiel, nach Nordwesten, d. h.
+nach der Seite, von der sie gekommen waren. Jetzt wurde ich wirklich
+unruhig und fürchtete, daß sie beabsichtigten, das Hauptquartier zu
+überfallen, während wir von ihm abgeschnitten waren, und ich empfand
+große Sehnsucht, zu den Unsrigen zurückzukehren.
+
+Nachdem das Feld geräumt war und wir wenigstens in unserer
+unmittelbaren Nähe wieder Ruhe hatten, tauchten zwei Nomaden auf, die
+uns vom nächsten Zeltdorfe Fett und saure Milch brachten und erklärten,
+daß ihr Häuptling ihnen verboten habe, sich dafür bezahlen zu lassen.
+Als wir ihnen eine Porzellantasse schenken wollten, sagten sie, daß
+sie das Geschenk ohne Erlaubnis des Häuptlings nicht annehmen könnten,
+kamen aber später mit dem Bescheid wieder, daß ihm der Tausch recht sei.
+
+Auf diese Weise sorgten unsere Nachbarn den ganzen Tag für unsere
+Unterhaltung. Die letzten und ausdauerndsten waren jedoch vier Männer,
+die uns gegen 3 Uhr besuchten. Einer von ihnen war ziemlich frech
+und untersuchte alle umherliegenden Sachen. Dabei kam ein Kompaß zum
+Vorschein, der bei ihm großes Interesse erregte. Er fragte, was das
+sei, und erhielt eine genaue Beschreibung, wobei er sagte:
+
+„Freilich, freilich, solche haben die Chinesen auch.“
+
+Ein paarmal zeigte er auf mich und erklärte:
+
+„Der da ist kein Burjate.“
+
+Er war außergewöhnlich zudringlich und fragte, wie es komme, daß wir
+diese kleine Seitenstraße eingeschlagen hätten, statt dem großen
+Pilgerwege zu folgen.
+
+„Wißt ihr nicht, daß es euch den Kopf kosten kann, daß ihr diesen Weg
+gegangen seid? Alle, die auf diesem Wege nach Lhasa gehen, werden
+hingerichtet.“
+
+Der Lama versuchte die Situation zu retten, indem er erklärte, daß
+wir die große Karawane vom Lop-nor an begleitet hätten und es unsere
+Absicht sei, von hier nach Lhasa zu gehen. Der Mann erwiderte darauf,
+daß nur der Gouverneur von Nakktschu die Erlaubnis dazu erteilen könne.
+
+Im übrigen waren sie freundlich und ungezwungen und versprachen uns
+morgen allerlei Lebensmittel zu schenken. Als wir diese lästigen
+Spione gar nicht loswerden konnten, gingen wir ins Zelt und legten uns
+schlafen. Aber nicht einmal das half. Der Himmel war wieder dunkel
+und die Wolkendecke dichter geworden, und als wieder ein Platzregen
+herabströmte, krochen sie alle vier in das Zelt, wo wir es selbst unter
+gewöhnlichen Verhältnissen ziemlich eng hatten. Erst in der Dämmerung
+gingen sie ihrer Wege.
+
+Der Regen stürzte hernieder, mit Hagel und Schnee untermischt. Der
+Boden war da, wo das Zelt stand, ein wenig abschüssig, und ein kleiner
+Bach bildete sich zwischen den Zeltstangen längs der Filzdecke, auf der
+ich lag. Wir mußten in die Nässe hinaus und Kanäle graben, um nicht
+ganz überschwemmt zu werden.
+
+Wir saßen dann noch bis 10 Uhr plaudernd und rauchend bei unseren
+Holznäpfen mit saurer Milch. Ein kleines Talgflämmchen verbreitete
+ein schwaches Licht in unserer ungemütlichen Wohnung. Eintönig schlug
+der Regen auf das Zelttuch. Draußen war es so finster wie in einem
+Sack, und die Hunde waren verdrießlich über das schlechte Regenwetter.
+Infolge der Versicherungen des alten Lamas ließen wir unsere Tiere
+diese Nacht ohne Aufsicht draußen umherlaufen. Ich sagte mir, daß
+keiner Lust haben würde, uns der Möglichkeit zu berauben, das Land zu
+verlassen; es lag ja in ihrem eigenen Interesse, uns möglichst schnell
+loszuwerden. Doch als er uns angeboten hatte, vier Wächter vor unser
+Zelt zu stellen, hatten wir uns für solche Auskundschafterei bedankt.
+In weiterer Entfernung wurden wir jedoch von -- wie wir später hörten
+-- 37 Wachtposten bewacht! Nachts sah man, besonders auf dem Wege nach
+Lhasa, die Lagerfeuer derselben schwach durch den Regennebel leuchten.
+
+Jetzt schliefen wir alle drei gleichzeitig, ohne uns um die Tiere oder
+den Regen zu kümmern. Die Müdigkeit infolge des forcierten Rittes
+machte sich geltend. Ich wurde bei Tagesanbruch durch das Stimmengewirr
+der ersten heute zu Besuch kommenden Tibeter geweckt. Im Laufe des
+Tages (7. August) kamen sie gruppenweise, so daß wir kaum eine halbe
+Stunde allein sein konnten. Beständig tauchen neue Gesichter auf,
+und selten kommt derselbe Mann zweimal. Es ist, als würde die Wache
+beständig abgelöst. Nur der Dreiste von gestern machte uns auch heute
+einen Besuch und schenkte uns einen Napf voll saurer Milch, einen Sack
+voll trocknen, vortrefflichen Argols und einen Blasebalg, der uns
+besonders nötig war.
+
+Ein anderer Tibeter blieb volle drei Stunden bei uns, trank Tee und aß
+Tsamba mit uns, rauchte und tat, als sei er hier zu Hause. Sein Gesicht
+war von einem förmlichen Urwalde schwarzer, zottiger Haarsträhnen ohne
+eine Spur von Ordnung umgeben. Die „Locken“, die die Augen verdecken,
+sind gestutzt und tragen keineswegs zur Verschönerung des Ganzen
+bei; ein Teil des Nackenhaares ist jedoch in einen Zopf geflochten.
+Dieser ist unten mit einem mit Perlen oder gefärbten Steinen besetzten
+Bande zusammengebunden und mit einem oder mehreren „Gavo“ oder
+Götzenbilderfutteralen geschmückt. Beim Reiten wird der Zopf um den
+Kopf oder Hut gewunden.
+
+Dieser Mann, der nicht wieder gehen wollte, verriet uns zu deutlich,
+daß er ein Spion war, der den Auftrag erhalten hatte, uns in der Nähe
+zu beobachten. Er war aufrichtig genug, uns zu bitten, über Nacht
+nicht durchzubrennen, da es ihm sonst das Leben kosten würde. Nach
+Lhasa seien es noch fünf Tagereisen, sagte er. Doch gibt es dorthin
+entschieden auch eine organisierte reitende Post mit Pferdewechsel,
+denn wir machten später ausfindig, daß ein dorthin gesandter Eilbote
+in zwei Tagen Antwort brachte, also einen Tag bis Lhasa und einen Tag
+von Lhasa gebraucht hatte. Das Tal, in dem wir uns befanden, hieß
++Dschallokk+ und der uns im Westen zunächstliegende Berg +Bontsa+.
+
+Als der lästige Gast uns endlich verlassen hatte, um nach seinem
+Zeltdorfe zurückzukehren, begegnete er drei Reitern, die sich wohl eine
+halbe Stunde mit ihm unterhielten. Sie fragten ihn sicher darüber aus,
+was für Beobachtungen er habe machen können und was für Fragen wir an
+ihn gerichtet hätten. Sie machten sich daher nicht mehr die Mühe, uns
+ebenfalls zu besuchen, sondern kehrten wieder um, nachdem sie unsere
+Maulesel und Pferde nach einem anderen Weideplatze getrieben hatten.
+Frühmorgens konnten wir unsere Tiere nicht finden, aber vormittags
+kamen sie wieder ins Lager, wahrscheinlich von irgendeinem entfernteren
+Platze, wohin man sie für die Nacht gebracht hatte. Vermutlich sollte
+uns dadurch, daß man die Tiere nachts von uns entfernt hielt, jegliche
+Möglichkeit zum Entfliehen genommen werden.
+
+Unter den heutigen Gästen war ein langhaariger Greis, dem die anderen
+mit einer gewissen Achtung begegneten. Er redete viel und gern und
+wurde mit der größten Aufmerksamkeit angehört. Der Lama fing einiges
+von seinen zur Hälfte geflüsterten Reden auf.
+
+„Diese drei Männer“, sagte er, „sind nicht von der allerbesten Sorte;
+nach Lhasa dürfen sie natürlich nicht. Kamba Bombo kommt in zwei, drei
+Tagen, und dann wird man ja sehen. Inzwischen müssen wir dafür sorgen,
+daß es ihnen an nichts fehlt; alles, was sie brauchen, soll ihnen
+geschenkt werden, und keiner darf Bezahlung annehmen. Wenn sie zu
+entfliehen suchen, sei es bei Tag oder bei Nacht, sollen die Wächter
+es mir sofort melden. Amgon Lama hat die heiligen Bücher befragt und
+gefunden, daß diese Männer zweideutige Persönlichkeiten sind, die nicht
+nach Lhasa dürfen. Der Jäger Ondschi hat sie vor langer Zeit im Gebirge
+in der Gegend von Merik-dschandsem gesehen und gesagt, die Karawane sei
+bedenklich groß. Nachricht hiervon wurde sogleich nach Lhasa geschickt.“
+
+„Glaubte Amgon Lama, daß der da ein Burjate ist?“ fragte einer, auf
+mich zeigend.
+
+„Er sagte, daß er dies nicht feststellen könne“, antwortete der Alte.
+
+Jede Auskunft von seinen Lippen beantworteten die anderen mit „Lakso,
+lakso“, welches Wort Ehrfurcht, Gehorsam und Folgsamkeit ausdrückt.
+Unser armer Lama Schereb gebraucht es unausgesetzt, wenn er mit den
+Tibetern redet, vor denen er fast zittert und mit denen er in einem
+weinerlichen, unterwürfigen Tone spricht. Er sieht unser Schicksal in
+den allerschwärzesten Farben und befürchtet das Schlimmste.
+
+Auch heute streiften Reiter in der Gegend umher. Bald kamen sie an,
+bald ritten sie fort. Die größte Schar zählte 10 Mann. Es hatte
+entschieden eine vollständige Mobilmachung stattgefunden. Einer unserer
+Gäste gestand aufrichtig ein, daß sie gegen unser großes Lager im
+Gebirge gerichtet sei. Ein anderer sagte, es seien nur Patrouillen und
+Kundschafter, die das Land zu bewachen und aufzupassen hätten, daß sich
+keine Feinde einschlichen. Um uns selbst war ich nicht im geringsten
+in Sorge, wohl aber des Hauptquartieres wegen. Wären wir nicht die
+Gefangenen der Tibeter gewesen, so hätte ich dorthin zurückkehren
+mögen, um eventuell zu seiner Verteidigung beizutragen.
+
+8. August. Die ganze Nacht regnete es in Strömen. Ich erwachte halb
+erstickt von dem gräßlichen Rauche, der das Zelt füllte, durch dessen
+Tuch die Regentropfen wie feiner Sprühregen drangen. Der Morgen war
+naßkalt und die Luft wie in einem Keller. Und dabei sollte noch Brot
+gebacken werden! Fort mit dem Zelttuch und frische Luft hereingelassen,
+wenn es auch noch so sehr regnet! Recht bequem ist es, daß man sich
+bloß aufzurichten braucht, um gleich fertig zu sein; ein weiteres
+Toilettemachen kommt überhaupt nicht in Frage. Eine dicke Rußschicht
+hat sich auf dem Fette, mit dem mein Gesicht zuletzt eingerieben worden
+ist, abgelagert.
+
+[Illustration: 255. „Die Tibeter schwangen ihre Lanzen und Speere über
+dem Kopfe und heulten wie die Wilden.“ (S. 212.)]
+
+[Illustration: 256. Zelte tibetischer Häuptlinge. (S. 221.)]
+
+Die Visiten wurden in gewohnter Weise fortgesetzt und stellten unsere
+Geduld auf die Probe. Zuerst erschienen fünf Leute mit einem Schafe
+und fragten, ob wir sonst noch etwas wünschten. Wir bestellten Fett,
+Butter, süße und sauere Milch und erhielten sofort alles in viel
+größeren Mengen, als wir bewältigen konnten, selbst wenn wir uns von
+den Hunden helfen ließen. Sie fragten uns, ob unser großes Lager
+auch nahe genug bei einem Nomadenlager liege, so daß die Unseren
+alles, was sie an Proviant brauchten, erhalten könnten. Dies klang
+wenigstens beruhigend, und ich begann wieder daran zu zweifeln, daß
+die Mobilmachung unserem Hauptquartier gelte. Ferner war die Nachricht
+gekommen, daß Kamba Bombo von Nakktschu und Nanso Lama unterwegs seien
+und morgen hier eintreffen würden.
+
+Darauf begann das Kreuzverhör von neuem, aber jetzt erklärte ich rund
+heraus, daß sie sich gefälligst gedulden möchten, bis Kamba Bombo
+angelangt sei; er solle alles erfahren, was er zu wissen brauche,
+sie jedoch gehe es gar nichts an, wer wir seien. Wenn sie nicht
+aufhörten, uns tagtäglich mit denselben dummen, zudringlichen Fragen zu
+überhäufen, würden wir sie künftig nicht mehr ins Zelt hineinlassen.
+Da verbeugten sie sich ganz verdutzt, murmelten ihr höfliches „Lakso“
+und schwiegen. Der Lama erklärte, daß sie fürchterlichen Respekt vor
+mir hätten. Ich kam mir ungefähr vor wie Karl XII. in der Türkei. Wir
+waren in ein fremdes Land eingedrungen, ein lächerlich kleiner Haufe
+gegen eine erdrückende Übermacht. Die Tibeter verhinderten uns, dorthin
+zu gehen, wohin wir wollten, zugleich aber war es ihnen darum zu tun,
+uns möglichst schnell wieder loszuwerden. Wir waren gleichzeitig ihre
+Gäste und ihre Gefangenen, und sichtlich war höheren Ortes Befehl
+erteilt worden, daß wir mit größter Rücksicht behandelt werden sollten
+und uns kein Leid zugefügt werden dürfe. Nur der Lama war düster und
+schwermütig. Er erinnerte sich ganz genau Kamba Bombos von Nakktschu,
+der die mongolische Pilgerkarawane, mit welcher der Lama nach Lhasa
+gereist war, so gründlich untersucht hatte. Wenn Kamba Bombo ihn
+wiedererkennen sollte, sei er verloren, und auch im entgegengesetzten
+Falle sei sein Schicksal mehr als ungewiß. Er erzählte von einem
+mongolischen Lama, der durch irgendein Vergehen sein Recht, die
+heilige Stadt zu besuchen, verwirkt habe und der, um sein Vergehen
+abzubüßen, von Da-kuren (Urga) nach Lhasa -- in Gebetstellung, d. h.
+auf den Knien, gerutscht sei. Er habe sich mit den Händen auf die Erde
+gestützt, die Knie nachgezogen, die Hände weiter gesetzt, und so habe
+er die ganze lange Reise gemacht, zu der er sechs Jahre gebraucht habe!
+Und als er nur noch eine Tagereise vom Stadttore entfernt gewesen
+sei, habe ihm der Dalai-Lama das Betreten der Stadt untersagt, und
+unverrichteter Dinge habe er wieder umkehren müssen. Der Lama sagte
+noch, daß der Mann seinen Bußgang auf den Knien, die schließlich hart
+und hornig wie die Liegeschwielen der Kamele geworden seien, noch
+zweimal wiederholt habe, aber das Herz des Dalai-Lama doch nicht
+erweicht worden sei.
+
+„Und wie“, fügte er hinzu, „wird es mir jetzt ergehen, da ich mich
+versündigt habe, indem ich mit euch hierhergekommen bin? Wenn sie mich
+auch am Leben lassen, so ist doch meine Laufbahn zu Ende, und ich darf
+Lhasa nie wiedersehen.“
+
+Ein paar hundert Meter südlich von uns wurde heute ein Zelt
+aufgeschlagen, in welchem der Spion von gestern, Ben Nursu, wie er uns
+selbst offenherzig mitgeteilt hatte, künftig residieren sollte, um uns
+unter Augen zu haben.
+
+Um die Mittagszeit sahen wir 15 Reiter nach Süden sprengen; wir nahmen
+an, daß sie dem Kamba Bombo, der wahrscheinlich nicht mehr sehr weit
+entfernt sein konnte, entgegenritten.
+
+Nach Tisch schliefen wir ein paar Stunden und wurden wenigstens da in
+Ruhe gelassen. Schlafen, Essenkochen, Speisen und Milchtrinken sind
+eigentlich das einzige, womit wir während unserer unfreiwilligen, die
+Geduld auf die Probe stellenden Gefangenschaft die Zeit totschlagen
+können. Wir liegen, dehnen uns und schlummern, wir entfernen uns keine
+50 Schritt vom Zelte, wir sitzen stundenlang vor der Zeltöffnung und
+beobachten die Tibeter, ihr Tun und Lassen, ihre schwarzen Zeltdörfer
+und ihre Herden. Wir sehnen uns danach, daß die Zeit vergehe und Kamba
+Bombo komme, aber eigentlich ist es ein Trost, daß wir nicht in diesem
+ewigen Regen zu reiten brauchen, wo es überall kalt, rauh, grau, naß
+und dunkel ist.
+
+Beständig tauchen neue, unbekannte, neugierige Gesichter um uns herum
+auf. Der einzige wirkliche Stammgast in unserem Zelte ist Ben Nursu,
+der beinahe bei uns wohnt und mit uns ißt. Dafür muß er sich aber
+auch nützlich machen; er muß Leben ins Feuer blasen, wenn es regnet.
+Es kommt beinahe nie vor, daß uns jemand besucht, ohne etwas Eßbares
+mitzubringen. Sie nehmen sich unserer mit rührender Fürsorge an. Wie
+man sagt, geschieht dies auf besonderen Befehl des Dalai-Lama. Die
+Behörden in Lhasa erhalten ganz gewiß täglich Bericht aus unserem
+Lager. Die Reiter, die aus jener Richtung kommen und dorthin reiten,
+sind Kuriere und Eilboten. Wir erfuhren auch, daß die Lebensmittel, die
+wir von den Nomaden erhalten, ihnen später aus Lhasa ersetzt werden.
+Auf dieselbe Weise wird bei einer Mobilmachung verfahren. Die Soldaten
+sind berechtigt, sich alles, was sie wollen, von den Nomaden zu nehmen,
+und diese erhalten dafür Entschädigung aus der Hauptstadt. Wir hatten
+also durch unseren friedlichen Zug den Tibetern entsetzlich viel Mühe
+gemacht, und Dschallokk war gewissermaßen ein militärischer Knotenpunkt
+geworden. Es wimmelte hier von Stafetten, Spionen, Kundschaftern
+und Kurieren. Das Land erhob sich wie zur Verteidigung gegen einen
+feindlichen Einfall. Man würde uns nicht geglaubt haben, wenn man
+erfahren hätte, wie unschädlich wir selbst und wie wenig böse unsere
+Absichten waren.
+
+Gegen 2 Uhr guckte die Sonne eine Weile hervor und warf ihren grauen
+Schleier ab, der übrigens zu der Situation gut paßte. Sieben Tibeter
+leisteten uns am Feuer im Freien Gesellschaft. Während wir in
+eifrigster Unterhaltung waren, erschien im Südosten eine Reiterschar.
+Sie ritt schnell gerade auf das Zelt los.
+
+„Ha“, riefen die Männer, „da haben wir den Bombo von Nakktschu!“
+
+Wir erhoben uns und erwarteten die Fremden; als sie jedoch näherkamen,
+sahen unsere Gäste, daß es nicht der Gouverneur selbst war, sondern nur
+sein mongolischer Dolmetscher in Begleitung von vier Häuptlingen aus
+der Nachbarschaft mit ihrem Gefolge.
+
+Der Dolmetscher war ein geborener Tibeter, und sein Mongolisch war
+bedeutend schlechter als meines, aber er war ein angenehmer, heiterer
+Mensch und nicht im geringsten zudringlich. Er erzählte, daß, sobald
+die Nachricht von unserer Ankunft nach Nakktschu gelangt sei, Kamba
+Bombo ihm befohlen habe, hierher vorauszureiten, der Gouverneur selbst
+werde aber so schnell wie möglich nachkommen. Im Nu saß der arme
+Dolmetscher im Sattel und ritt mit seinen Begleitern Tag und Nacht in
+strömendem Regen nach Dschallokk. Hier rasteten sie nicht einmal bei
+den Zelten der Tibeter, sondern begaben sich direkt zu uns.
+
+Jetzt begann das Verhör wieder, und zum zwanzigsten Male mußten wir das
+Hauptquartier und seine Besatzung ausführlich beschreiben. Trotzdem
+sie ohne Zweifel durch Spione über die Karawane unterrichtet waren,
+war es schwer, die Neuangekommenen dahin zu bringen, daß sie unseren
+Worten glaubten. Sie bildeten sich ein, daß unser Hauptquartier
+nicht unsere ganze Stärke ausmache, sondern nur der Vortrab sei, dem
+Tausende von Soldaten folgen würden. Diese Furcht verdrängte alle
+kritischen Spekulationen in betreff meiner wirklichen Nationalität. Der
+Dolmetscher sagte, es spiele gar keine Rolle, woher und von welchem
+Stamme wir seien; nach Lhasa dürften wir unter keinen Umständen
+reisen, sondern müßten von hier nach unserem Hauptquartiere im Gebirge
+zurückkehren. Zuleide werde uns jedoch nichts getan werden, denn in
+dieser Beziehung habe der Dalai-Lama seine Befehle gegeben.
+
+Jetzt begannen Schagdur und ich auf Mongolisch derart zu predigen, daß
+dem armen Dolmetscher die Ohren gellten. Wir sagten, der Dalai-Lama
+habe Burjaten, die auf russischem Gebiete wohnen, nie verboten, die
+Wallfahrt nach Lhasa zu machen. Es könne Kamba Bombo den Kopf kosten,
+wenn er sich unterstehe, uns an der Weiterreise zu verhindern. Ihn
+holen zu lassen, sei ganz unnötig, da wir auf jeden Fall nur mit einem
+hohen Beamten aus Lhasa verhandeln würden.
+
+Alles, was wir sagten, übersetzte der Dolmetscher seinen Kameraden,
+die mit ernster Miene zuhörten. Von Rußland und Indien hatten sie sehr
+dunkle Begriffe, und was von der Macht und Größe dieser Reiche gesagt
+wurde, imponierte ihnen nicht im geringsten.
+
+Schließlich gingen wir darauf ein, daß ein Kurier an Kamba Bombo
+geschickt werde, um ihn zu ersuchen, sich zu beeilen, -- aber nur
+unter der Bedingung, daß gleichzeitig ein Eilbote nach Lhasa abgehe.
+Der Dolmetscher war in jeder Beziehung ein Gentleman, nur darin nicht,
+daß er unaufhörlich um Branntwein bat, eine Ware, die unsere Kisten
+nicht enthielten. Wir sagten ihm, wir seien hier in ein merkwürdiges
+Land geraten, wo friedliche Reisende nicht einmal vor Räuberüberfällen
+sicher seien. Er schien von dem Pferdediebstahl zu wissen und
+versicherte, der Wert der Tiere werde uns zu unserer völligen
+Zufriedenheit ersetzt werden und wir hätten nur zu befehlen, falls wir
+etwas wünschten. Wir hätten gesagt, daß zwei Europäerhäuptlinge in
+unserem Hauptquartier seien, und er bitte um ihre Namen. „Sirkin und
+Tschernoff“, antworteten wir; die Namen wurden aufgeschrieben. Als er
+aber nach unseren Namen fragte, wurde ihm der Bescheid, daß ihn dies
+gar nichts angehe und wir nur mit vornehmeren Herren verhandeln würden.
+
+Nachdem sie uns endlich verlassen hatten, blieben wir wie gewöhnlich
+noch lange sitzen und sprachen über die Tageserlebnisse und die
+Aussichten für die nächste Zukunft, die für den Lama nicht besonders
+gut waren. Um unsere Tiere bekümmerten wir uns nicht mehr. Sie waren
+bei den Tibetern gewissermaßen in Pension, und wir sahen sie gar nicht.
+
+Am 9. August herrschte wieder Leben und Bewegung in unserem offenen
+Kesseltale. Eine Menge Reiter und Patrouillen zogen nach Südwesten
+die nächsten Berghöhen hinauf und trieben die Herden dorthin. Von
+allen Seiten ertönte Geschrei und Pferdegetrappel, das Blöken der
+Schafe und das verdrießliche Grunzen der Yake. Von den Zelten unserer
+Nachbarn ritten kleine Reiterscharen nach Nakktschu und nach Lhasa. Es
+gelang uns nicht zu ergründen, was alles dieses bedeutete; es hatte
+den Anschein, als beabsichtigten die Nomaden, ihre Wohnsitze nach
+anderen Weidegründen zu verlegen, aber Schereb Lama, der hier alles
+in schwarzem Lichte sah, glaubte, daß sie das Feld räumten, um freien
+Spielraum zu haben, wenn der große, vernichtende Reitersturm gegen
+unser Zelt gerichtet würde.
+
+Um 10 Uhr erschien unser Freund, der Dolmetscher, von drei anderen
+Männern begleitet. Wir baten ihn, diese fortzuschicken, um mit ihm über
+verschiedene wichtige Angelegenheiten verhandeln zu können. Hiergegen
+protestierte er aber auf das Bestimmteste; es war ihm wohl unheimlich,
+mit so zweideutigen Personen allein zu sein. Er hatte übrigens, wie er
+sagte, einen besonderen Auftrag auszurichten und würde uns, sobald dies
+geschehen, verlassen. Er teilte uns mit, daß Kamba Bombo von Nakktschu
+mit großem Gefolge angekommen sei und uns zu sehen wünsche.
+
+Ein ganzes Zeltdorf erhob sich ein paar Kilometer von uns entfernt auf
+der Straße nach Lhasa (Abb. 256). Eines der Zelte hatte bedeutende
+Dimensionen; es war glänzend weiß und oben blaugestreift; die anderen,
+die es umgaben, waren kleiner, und von mehreren von ihnen stiegen
+Rauchsäulen auf. Um das „Dorf“ herum schwärmten Massen von Reitern.
+Der Lama konnte das Fernglas nicht von seinen Augen nehmen und sich
+nicht von diesem großartigen Anblicke losreißen; unablässig starrte
+er dorthin und war augenscheinlich eine Beute immer größer werdender
+Unruhe.
+
+Der Auftrag des Dolmetschers bestand darin, uns in Kamba Bombos Namen
+einzuladen, uns mit Sack und Pack in seiner unmittelbaren Nachbarschaft
+anzusiedeln und heute bei dem mächtigen Gouverneur ein Gastmahl
+einzunehmen. In einem der Zelte tische man bereits die Gerichte auf.
+In der Mitte stehe ein ganzes gebratenes Schaf, umgeben von Schalen
+für Tee und Tsamba, und bei unserer Ankunft würden wir jeder mit einer
+„Haddik“ beehrt werden, mit einer dünnen, hellen Binde, welche Mongolen
+und Tibeter vornehmen Gästen als Ehrfurchtsbezeugung überreichen.
+
+Auf diese Einladung antwortete ich, ohne mich einen Augenblick zu
+bedenken, daß wenn Kamba Bombo eine Spur von Manier besitze, es seine
+Pflicht sei, uns erst einen Besuch zu machen, bevor er uns zum Gastmahl
+einlade; überdies hätten wir noch nie von ihm gehört und wüßten gar
+nicht, ob er überhaupt das Recht habe, uns gegenüber als zuständige
+Behörde aufzutreten. Er werde sich wohl nicht einbilden, daß wir seiner
+Aufforderung, unseren Lagerplatz zu wechseln, gehorchten; wenn ihm
+daran liege, uns als Nachbarn zu haben, so stehe es ihm frei, seine
+Zelte in unserer Nachbarschaft aufzuschlagen. Wir wollten nichts von
+ihm und hätten nicht nach ihm geschickt; wünsche er uns zu sehen und
+mit uns zu sprechen, so sei es ihm unbenommen, jederzeit unser Zelt zu
+besuchen. Während der Tage, die wir in Dschallokk zugebracht, hätten
+wir hinsichtlich der Dreistigkeit der Tibeter viel zu gründliche
+Erfahrungen gemacht, um uns freiwillig zu Nachbarn von Kamba Bombo
+und seinem Gefolge zu machen. Wir seien friedliche Fremdlinge aus
+dem Norden, die das Recht hätten, die Wallfahrt zu machen, und jetzt
+wünschten wir nur zu erfahren, ob uns der Weg nach Lhasa offenstehe
+oder nicht; wenn nicht, würden wir sofort nach unserem Hauptquartier
+zurückkehren, und Kamba Bombo selbst habe die Verantwortung für die
+Folgen zu tragen.
+
+Mit allem diesen und noch mehrerem wurde der arme Dolmetscher
+traktiert, der in seiner unangenehmen Unterhändlerstellung, die er
+bekleidete, sich wie ein Wurm wand. Er bat und flehte und bediente
+sich seiner ganzen Überredungskunst, aber wir blieben unbeweglich.
+„Das Gastmahl ist bereitet, und man erwartet euch; wenn ihr nicht
+kommt, trage ich die Schuld, falle in Ungnade und werde verabschiedet.“
+Er bestürmte uns über zwei Stunden; als ich jedoch meinen Entschluß
+nicht änderte, erhob er sich, um aufs Pferd zu steigen. Noch im Sattel
+bat er, wir möchten uns doch besinnen, und versicherte, daß uns kein
+Leid widerfahren werde. Ich antwortete ihm nur, es sei uns vollkommen
+gleichgültig, welchen Bescheid er dem Bombo zu bringen gedenke, aber
+zum Gastmahl kämen wir nicht, und beliebe es dem Gouverneur nicht, uns
+eine Visite zu machen, so werde er keinen Schimmer von uns zu sehen
+bekommen. Da grüßte der Dolmetscher zum Abschied und ritt zu den Zelten
+zurück.
+
+Es mag den Anschein haben, als sei diese Antwort auf eine freundliche
+Einladung ebenso arrogant wie unhöflich und als hätten drei arme Pilger
+sich einem so mächtigen, vornehmen Gouverneur gegenüber einen solchen
+Ton nicht erlauben dürfen. Denn er war es, der in Nakktschu (auch
+Nagtschu; der Ort liegt am Flusse gleichen Namens, der mit dem oberen
+Saluen gleichbedeutend ist) residierte und dessen Pflicht es war, alle
+Karawanen zu untersuchen und alle Reisenden, Pilger und Wanderer, die
+sich Lhasa auf der großen Straße von Zaidam und über Tang-la nähern,
+zu visitieren. Jetzt, da wirklich Gefahr im Anzug zu sein schien und
+eine große europäische Karawane sich näherte, mußte er, um nicht
+sein Amt und vielleicht auch das Leben zu verlieren, seine Autorität
+nachdrücklich wahren. Ganz gewiß hatte er auch durch besondere Kuriere
+von Lhasa Befehl erhalten, seinen Posten auf einige Tage zu verlassen
+und sich nach Dschallokk zu begeben, um dort die Sachlage genau zu
+untersuchen.
+
+Tatsächlich war es auch nicht reiner Oppositionsgeist, der unsere
+Antwort so unfreundlich ausfallen ließ. Aber ringsumher hatte die
+ganze Zeit über Kriegsstimmung geherrscht, die Tibeter waren mobil
+gemacht und hatten ihre Streitkräfte gesammelt, und ich meinerseits
+würde ihnen verziehen haben, wenn sie über unser Unterfangen, das
+ja darauf ausging, sie zu überlisten, böse geworden wären. Keiner
+hätte es ihnen verdenken können, wenn sie erklärt hätten: „Hier ist
+ein Europäer, der sich als Burjate verkleidet hat, um nach Lhasa zu
+gelangen, und hier ist ein Lama, der seine Studien in Lhasa gemacht hat
+und jetzt als Führer des ersteren auftritt; laßt uns ein für allemal
+ein Exempel statuieren und den beiden zeigen, daß solche Versuche
+übel ablaufen!“ Noch am 9. August ahnten wir nichts von unserem
+Schicksal; das einzige, was man uns mit absoluter Sicherheit gesagt
+hatte, war, daß man uns unter keinen Umständen erlauben würde, uns
+nach der Hauptstadt zu begeben. Jetzt grübelten wir auch darüber nach,
+ob die heutigen Vorbereitungen und die Unruhe, die unter den Tibetern
+geherrscht hatte, etwas Besonderes zu bedeuten hätten. War die
+Einladung ein Versuch, uns in eine Falle zu locken? Zu einem Gastmahl
+geht man unbewaffnet; sollten die Tibeter nur einen Vorwand suchen,
+um uns von unseren Waffen, vor denen sie gehörigen Respekt hatten, zu
+trennen? +Wenn+ es wirklich ihre Absicht war, uns nicht lebendig aus
+der Gefangenschaft kommen zu lassen, so wollten wir wenigstens erst
+die fünfzig scharfen Patronen, die wir bei uns hatten, benutzen. Es
+waren schon Europäer in Tibet verschwunden -- zuletzt Dutreuil de Rhins
+und Rijnhard -- wenn auch nicht so nahe bei Lhasa, wie wir uns jetzt
+befanden. Ein verkleideter Europäer mußte noch viel größeren Gefahren
+ausgesetzt sein; denn sollten die Tibeter hinterher je zur Rechenschaft
+gezogen werden, so konnten sie mit vollem Recht sagen. „Wir haben nicht
+gewußt, daß er ein Europäer war; er sagte selbst, er sei ein Burjate.“
+
+Von diesem Gesichtspunkte aus hielt ich unsere Lage für ziemlich
+unsicher, obgleich mehrere unserer neuen Freunde uns versichert hatten,
+daß wir für Leib und Leben nichts zu fürchten hätten. Da ich mich aber
+keinen Augenblick bedacht hatte, mein Leben einer so großen Gefahr
+inmitten eines den Europäern feindlich gesinnten Volkes auszusetzen,
+da ich das Abenteuer bis auf die Spitze getrieben hatte und so weit
+gegangen war, wie es überhaupt möglich war, wollte ich das Spiel auch
+auf ehrenvolle Weise beenden!
+
+Unseren eigenen Betrachtungen überlassen, saßen wir ein paar Stunden
+am Feuer und tauschten unsere Ansichten über die kritische Lage aus.
+Keine Menschen zeigten sich in unserer Nähe, nur in dem Zeltdorfe des
+Gouverneurs herrschte Leben und Bewegung; dort wurde augenscheinlich
+über uns Rat gehalten. Aber was sagte man, in welcher Richtung gingen
+die Beschlüsse? Wir ahnten, daß eine Entscheidung nahe bevorstand.
+Vielleicht hatte unsere unhöfliche Antwort Kamba Bombo beleidigt, und
+er schickte sich jetzt an, uns eine ordentliche Lektion zu geben. Es
+war ein entsetzlich unbehagliches Warten; ich erinnere mich dieser
+langen Stunden, als wäre es gestern gewesen.
+
+Zwei volle Stunden waren vergangen, als es um die weißen Zelte wieder
+lebendiger wurde; es gab ein Laufen und Hinundherreiten, die Tibeter
+bewaffneten sich und stiegen zu Pferd. Ein ganzer Wald von Reitern
+sprengte in einer schwarzen Linie auf uns los (Abb. 257). Es regnete
+nicht, und wir konnten dieses in Wahrheit prächtige Schauspiel
+ungestört genießen. Sie näherten sich in schnellem Tempo, die Pferde
+liefen in starkem Galopp. Ein undeutliches Sausen ertönt, bald
+unterscheidet man das schnelle Aufschlagen der Pferdehufe. Wir hatten
+das Gefühl, als stürze eine Lawine auf uns herab, um uns im nächsten
+Augenblick zu begraben. Die Gewehre und der Revolver lagen geladen
+bereit, wir aber standen vor dem Zelt, und keiner sollte die Unruhe
+ahnen, die sich unserer bemächtigt hatte.
+
+Die Tibeter ritten in einer Linie heran. In der Mitte ritt der
+Gouverneur auf einem großen, schönen Maulesel; sonst ritten alle
+Pferde. Er war von seinem Stabe begleitet, der aus Militär-, Zivil-
+und geistlichen Beamten in prachtvollen Festgewändern bestand. Die
+Flügel bildeten Soldaten, die bis an die Zähne mit Gewehren, Säbeln und
+Lanzen bewaffnet waren, als handle es sich um einen Feldzug gegen einen
+feindlichen Stamm. Wir konnten 67 Mann zählen.
+
+Jetzt trennten sich einige Reiter von der Schar, erhöhten die
+Geschwindigkeit und gewannen einen Vorsprung von einigen Minuten,
+dann saßen sie ab und grüßten. Einer von ihnen war unser Freund, der
+Dolmetscher, der nur anmeldete, daß Kamba Bombo uns in höchsteigener
+Person mit einem Besuche beehre. Als dieser in der Nähe des Zeltes
+anhielt, sprangen einige des Gefolges aus dem Sattel und breiteten auf
+der Erde einen Teppich aus, auf dem der Gouverneur abstieg. Dann nahm
+er auf gleichfalls bereitgehaltenen Kissen und Decken Platz, und Nanso
+Lama, ein vornehmer Priester aus Nakktschu, setzte sich neben ihn.
+
+Jetzt ging ich ruhig zu ihm heran und bat ihn, ins Zelt zu treten,
+wohin er sich sofort begab und wo er nach einigem Zieren den Ehrenplatz
+-- auf einem nassen Maissack -- unter unseren übelriechenden, beinahe
+schimmeligen Effekten annahm. Er sah listig und schelmisch aus,
+blinzelte mit den Augen und lächelte oft. Er mochte 40 Jahre alt sein,
+war klein und bleich, sah abgezehrt und müde, aber doch entzückt aus,
+daß er uns jetzt endlich in der Falle hatte; er wußte ganz genau,
+daß er in Lhasa großen Ruhm ernten würde, wenn er seinen geschickten
+Schachzug dorthin berichtete.
+
+Sein Anzug war geschmackvoll und elegant; er hatte ihn entschieden
+eigens für die Visite angelegt, denn er war ganz neu und fleckenlos.
+Die Überkleider, einen großen roten Radmantel und ein rotes Baschlik,
+nahmen ihm die Diener ab. Nachdem dies geschehen war, präsentierte
+er sich in einem kleinen blauen chinesischen Käppchen und in einem
+weitärmeligen Gewande von schwerer gelber Seide; er trug grüne
+mongolische Samtstiefel und war mit einem Wort wie zu einem Feste
+geschmückt.
+
+[Illustration: 257. Tibetische Kavallerie. (S. 223.)]
+
+[Illustration: 258. Tibetische Soldaten. (S. 231.)]
+
+Nun wurde dem Kamba Bombo ein Tintenfaß, Feder und Papier gebracht,
+worauf das Verhör begann. Für uns interessierte er sich weniger als
+für das Hauptquartier und die Stärke der Karawane. Alle Antworten
+notierte er selbst, denn er sollte einen ausführlichen Bericht nach
+Lhasa schicken. Dann wurden unsere Habseligkeiten untersucht, aber
+merkwürdigerweise sprach er nicht einmal den Wunsch aus, unsere
+Kisten besichtigen zu dürfen. Die Mitteilung, daß sie Proviant
+enthielten, genügte ihm vollständig. Über mich schien er ganz im
+reinen zu sein und er hielt es sogar für überflüssig, mir persönliche
+Fragen vorzulegen. Schagdur gebärdete sich, als er gefragt wurde, wie
+ein Feldmarschall; er sei russischer Untertan, aber auch Burjate und
+berechtigt, nach Lhasa zu reisen. Die russischen Behörden würden es als
+eine Beleidigung betrachten, wenn man uns friedliche Pilger hindere,
+die Wallfahrt zu machen; niemand, wer es auch sei, dürfe uns antasten.
+Doch Kamba Bombo erwiderte lachend:
+
+„Du glaubst, mir Furcht einjagen zu können; ich tue meine Pflicht,
+gerade hinsichtlich eurer habe ich meine Befehle vom Dalai-Lama
+erhalten und weiß selbst am besten, was ich zu tun habe. Nach Lhasa
+dürft ihr nicht reisen, nicht einen Tag mehr in dieser Richtung, nein!
+Einen Schritt weiter, -- und es kostet euch den Kopf!“ (Titelbild zum
+2. Band.) Und dabei fuhr er mit der flachen Hand, die er wie eine
+Klinge hielt, um den Hals herum. Und er fügte hinzu, daß es ihm selbst
+ebenfalls ans Leben gehen würde, wenn er uns durchließe:
+
+„Es ist ganz einerlei, wer ihr seid und woher ihr kommt, aber ihr
+seid im höchsten Grade verdächtig; ihr seid auf einem Schleichweg
+hierhergekommen und ihr sollt nach eurem Hauptlager zurückkehren.“
+
+Wir sahen ein, daß hiergegen nichts zu machen war. Schagdur erzählte
+nun von dem Pferdediebstahl. Anfangs machte Kamba Bombo Ausflüchte
+und sagte, er sei für das, was außerhalb der Grenzen seiner Provinz
+passiere, nicht verantwortlich. Schagdur erwiderte:
+
+„So, dies ist also nicht euer Land; ist es denn vielleicht russisches
+Gebiet?“ Da wurde aber Kamba Bombo ärgerlich und erklärte, daß das
+ganze Land dem Dalai-Lama gehöre. Schagdur war nachher sehr stolz auf
+seine Erwiderung. Nun erhob sich der Gouverneur, nahm Schagdur mit
+und setzte sich draußen auf den Kissen nieder; nach einer Weile wurde
+ich zu ihm gerufen. Er sei bereit, sagte er, uns zwei neue Pferde
+zu besorgen, eines davon müsse ich aber bezahlen. Ich lachte ihm
+gerade ins Gesicht und ging wieder ins Zelt hinein, nachdem ich ihm
+geantwortet hatte, daß wir derartige Geschenke nicht annähmen: entweder
+zwei Pferde oder gar keins. Da versprach der Bombo, daß er uns am
+folgenden Morgen zwei Pferde für die gestohlenen schenken würde.
+
+Schließlich erklärte Kamba Bombo, daß wir aufbrechen könnten, wann wir
+wollten, daß er jedoch Dschallokk nicht eher zu verlassen gedenke, als
+bis wir fort seien. Um keine Zeit zu verlieren, beschlossen wir, den
+Rückweg schon am folgenden Morgen anzutreten. Eine besondere Eskorte
+sollte uns bis zur Grenze am Satschu-sangpo begleiten, und als wir,
+um nicht der Tiere wegen nachts Wache halten zu müssen, darum baten,
+von der Eskorte bis ins Hauptquartier gebracht zu werden, versprach
+er uns dies. Während der Reise sollte uns alles, was wir an Proviant
+brauchten, kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Auch jetzt schenkte
+uns Kamba Bombo eine ganze Menge nützliche Eßwaren.
+
+Im großen ganzen war er sehr freundlich und artig und gar nicht
+ärgerlich darüber, daß er durch uns Arbeit und Mühe gehabt und
+selbst hatte hierherreiten müssen. Er war ein rechtlich denkender
+und handelnder Mensch und wußte genau, was er wollte. Wer ich war,
+ist ihm wohl nie völlig klar geworden; doch muß er wohl geglaubt
+haben, daß hinter meiner abgetragenen mongolischen Tracht etwas
+Außergewöhnliches verborgen sei, sonst wäre er schwerlich mit solchem
+Pompe und Hofstaate angezogen gekommen. Mit China stehen die Tibeter
+beständig in Berührung; ihr Land ist nominell ein Vasallenstaat jener
+Macht, die in Lhasa einen Vertreter und ein „Yamen“ hat, welches in der
+Nähe von Potala, dem Tempelpalaste des Dalai-Lama, liegt. Ohne Zweifel
+hatten die Behörden in Lhasa Kenntnis von allem, was kürzlich in China
+geschehen war, und wußten, wie schwer der Mord des deutschen Gesandten
+von Ketteler in Peking bestraft worden war. Sie mochten sich daher
+sagen, daß es klüger sei, sich nicht an einem Europäer zu vergreifen.
+
+Während der Unterhaltung drängten sich die anderen Tibeter um uns und
+machten ihre Bemerkungen und Beobachtungen. Sie trugen Säbel in reich
+mit Silber beschlagenen Scheiden, die mit Korallen und Türkisen besetzt
+waren, Gavo (Amulettfutterale) von Silber, Armbänder, Rosenkränze,
+bunte Schmucksachen in ihren langen Zöpfen und waren entschieden mit
+dem Feinsten, was sie anzuziehen hatten, ausstaffiert. Die Vornehmeren
+trugen große, weiße Hüte mit Federn, andere Binden um den Kopf, die
+gemeinen Soldaten gingen barhäuptig.
+
+Schereb Lama war von all dieser Pracht ganz überwältigt. Er lag
+vornübergebeugt auf den Knien, starrte auf die Erde und konnte sich
+nicht entschließen, dem Blicke Kamba Bombos zu begegnen, als dieser
+ihn scharf verhörte. Er gab kurze, hastige Antworten, als ob er kein
+Geheimnis mehr zu wahren hätte. Was er sagte, verstanden wir nicht,
+denn sie sprachen tibetisch. Nachher sagte er uns, daß der Bombo ihm
+schwere Vorwürfe darüber gemacht habe, daß er uns begleitet habe, da er
+doch habe wissen müssen, daß Europäer in Lhasa nicht geduldet würden.
+Sein Name sei in die Tempelbücher eingetragen, und er werde nie wieder
+die Erlaubnis erhalten, das Gebiet der heiligen Stadt zu betreten!
+Versuche er, sich dort mit einer Pilgerkarawane einzuschleichen, so
+werde es ihm schlimm ergehen. Er sei seiner Priesterwürde untreu
+geworden und sei ein Verräter!
+
+Zuletzt schlug ich Kamba Bombo noch vor, ich wolle selbst mit Hilfe des
+Lamas und des Dolmetschers einen Brief an den Dalai-Lama aufsetzen,
+der uns, wenn er erfahre, wer wir seien, gewiß mit Vergnügen empfangen
+würde; der Bombo aber antwortete, dies sei ganz unnötig, da er ja
+seine Befehle über unsere Behandlung täglich direkt von Lhasa erhalte;
+auch könne er sich in seiner Stellung nicht erlauben, dem Dalai-Lama
+Ratschläge zu geben; dies würde ihm im besten Falle sein Amt kosten.
+
+Darauf sagte er artig Lebewohl, schwang sich in seinen reichgeschmückten
+Sattel und ritt, von seinem großen Stabe gefolgt, schnell davon. Die
+Dämmerung hatte sich schon auf die Gegend herabgesenkt, die Reiterschar
+entschwand bald unseren Blicken und mit ihr meine Hoffnung, das Mekka
+des Lamaismus zu schauen! Hell glänzten die Sterne über Lhasa, kein
+Lüftchen regte sich an diesem stillen Abend, nur dann und wann hörte
+man in der Ferne einen Hund bellen.
+
+
+
+
+Achtzehntes Kapitel.
+
+Rückzug unter Bewachung.
+
+
+An diesem Abend saßen wir noch lange plaudernd in unserem Zelt. Der
+Lama war wortkarg und niedergeschlagen, aber Schagdur und ich waren
+vergnügt. Allerdings war uns unser Versuch, Lhasa zu erreichen,
+mißlungen, aber wir hatten doch immerhin die Befriedigung, das
+Abenteuer bis auf seine äußerste Spitze getrieben zu haben. Wenn man
+auf unüberwindliche Hindernisse stößt, ist es Zeit, umzukehren, und
+man kann dies mit gutem Gewissen tun. Seltsam war es aber, daß uns die
+Tibeter ohne ein unfreundliches Wort aus der Gefangenschaft freigaben.
+
+Am Morgen des 10. August befahlen wir unseren nächsten Wächtern, unsere
+zwei Pferde und fünf Maulesel nach dem Zelte zu treiben, denn wir
+hatten beschlossen, den Rückzug diesen Morgen anzutreten. Ohne Abschied
+konnten wir uns nicht auf den Weg machen, aber von Kamba Bombos Zelten
+kamen keine Boten. So beschloß ich denn, allein dorthin zu reiten,
+obwohl Schagdur und der Lama mich warnten und meinten, wir müßten wie
+bisher beisammenbleiben.
+
+Ich ritt also in langsamem Trab zwischen den Sümpfen hindurch nach
+Kamba Bombos weißblauem Zeltdorfe. Als ich den halben Weg zurückgelegt
+hatte, wurde ich von einer aus etwa zwanzig Mann bestehenden Schar bis
+an die Zähne bewaffneter Reiter umringt. Sie sagten kein Wort, sondern
+ritten schweigend vor und hinter mir. Ungefähr einen Kilometer vor den
+Zelten machten sie Halt und bildeten einen Ring um mich, dann saßen sie
+ab und gaben mir zu verstehen, daß ich dasselbe tun solle.
+
+Kaum eine Viertelstunde brauchten wir zu warten, bis sich dieselbe
+große Reiterschar wie gestern vom Zeltplatze aus in Bewegung setzte
+und sich uns im Galopp näherte. In der Mitte ritt wieder Kamba Bombo
+in seinem gelben Gewande. Ein Teppich und Kissen wurden auf der Erde
+ausgebreitet, und er lud mich ein, neben ihm Platz zu nehmen. Der
+Dolmetscher war zugegen, und nun unterhielten wir uns eine gute Weile.
+
+Diese Art, mich nicht in seinem Zelte, sondern auf neutralem Gebiete
+zu empfangen, war ein Zug von Etikette, der vollkommen berechtigt und
+taktvoll war. Ich hatte mich ja gestern geweigert, seiner Einladung
+zu folgen, und nun dachte er wohl: „Ich will ihm zeigen, daß er sich
+mit Visitenmachen nicht anzustrengen braucht.“ Er hatte auch gesagt:
+„Keinen Schritt weiter in der Richtung nach Lhasa“ und wollte mich
+daher auch jetzt zurückhalten.
+
+Alle Überredungskunst von meiner Seite war gerade so vergeblich wie das
+erstemal.
+
+„Ich habe keine Lust, euretwegen den Kopf zu verlieren“, sagte er. „Mir
+persönlich ist es einerlei, ob ihr nach Lhasa reiset oder nicht, aber
+den Befehlen, die ich von dort erhalten habe, muß ich gehorchen.“
+
+Zum Scherz sagte ich ihm, wir beide könnten ja auf ein paar Tage allein
+dorthin reiten, niemand werde eine Ahnung davon haben; doch er lachte
+nur darüber und schüttelte den Kopf.
+
+„Zurück, zurück, nach Norden!“
+
+Auf einmal blinzelte er mit den Augen, zeigte auf mich, sagte das eine
+Wort „Sahib“ (so werden in Indien die Engländer und die Europäer im
+allgemeinen genannt) und zeigte dann nach Süden in der Richtung des
+Himalajagebirges.
+
+Auch ohne Hilfe des Dolmetschers verstand ich, daß er sagen wollte:
+„Ihr seid ein Engländer aus Indien“. Trotz allen Hinundherredens war
+ihm diese Überzeugung nicht aus dem Kopfe zu bringen. Ich nahm die
+Maske ganz und gar ab und sagte ihm, daß ich allerdings ein Europäer,
+aber kein Engländer sei und aus einem Lande im Norden weit hinter
+Rußland komme; er lächelte jedoch und wiederholte sein „Sahib, Sahib“.
+Nun erzählte ich ihm, daß ich zwei burjatische und zwei russische
+Kosaken bei mir habe, die mir vom russischen Kaiser zur Verfügung
+gestellt worden seien, und fragte ihn, ob er denn glaube, daß Engländer
+mit russischen Kosaken reisten, und ob er es für wahrscheinlich halte,
+daß Engländer von Norden kämen, da ihr indisches Reich ja südlich von
+Tibet liege. Diese Einwendung begegnete demselben Zweifel; er sagte
+nur: „Ihr seid alle Sahibs; ist es euch gelungen, einen mongolischen
+Lama mit euch zu bekommen, so könnt ihr auch einen Burjaten dazu
+bewegen.“
+
+Jetzt wurden zwei Pferde, ein Falbe und ein Schimmel, vorgeführt, die
+mir Kamba Bombo, wie er sagte, schenken wolle.
+
+„Laßt zwei eurer Leute aufsitzen und im Galopp vor uns im Kreise
+reiten“, sagte ich. Dies geschah; aber die Pferde, die recht mager
+waren, stolperten und sahen wenig nach Vollblut aus. Ich wandte mich
+an Kamba Bombo und fragte ihn, wie er, ein so reicher und vornehmer
+Mann, mir, der ich mindestens ebenso vornehm sei, zwei so elende Gäule
+schenken könne; ich wolle sie nicht haben, sondern sie ihm für seine
+eigene Kavallerie lassen.
+
+Anstatt diese offenherzige Kritik übelzunehmen, ließ er sofort
+zwei andere Pferde holen, die gut und wohlgenährt waren und nach
+abgehaltener Prüfung angenommen wurden.
+
+Darauf ritten wir alle nach meinem Zelte, und hier blieb Kamba Bombo
+wieder eine gute Weile sitzen. Er aß Rosinen, wie ein Pferd Hafer
+frißt, und wurde mit Tee, Tsamba und Tabak bewirtet. Der ganze Stab
+umgab uns. Die Sonne beleuchtete dieses farbenreiche Bild. Die
+Tibeter sahen vorzüglich aus in ihren phantastischen Trachten mit
+Kopfbedeckungen wie Damenhüte mit Federn, mit kriegerischen Lanzen und
+Schwertern in brüderlichem Vereine. Alle lachten pflichtschuldigst über
+die Witze des Gouverneurs.
+
+Nun wechselten wir uns tibetisches Silbergeld gegen chinesische Jamben
+ein, die der Bombo sorgfältig auf seiner mitgebrachten Wage wog; dann
+zeigten wir ihm unsere Waffen, die sichtlich tiefen Eindruck auf ihn
+machten. Ich sagte ihm, daß das Zusammentrommeln so vieler Soldaten,
+wie es hier geschehen sei, gar nichts nütze; mit ihren erbärmlichen
+Vorderladegewehren schreckten sie uns nicht ein bißchen. Wollten sie
+Krieg anfangen, so möchten sie erst bedenken, daß wir 36 von ihnen
+niederschießen könnten, ehe sie überhaupt mit dem Laden fertig würden.
+Er versicherte, es sei durchaus nicht seine Absicht, Krieg anzufangen,
+sondern nur, die Grenzen gegen unzulässige Fremdlinge zu bewachen.
+
+Nun fragte ich ihn geradezu, weshalb er nicht wage, in mein Zelt zu
+kommen, ohne sich von einer 67 Mann starken Eskorte begleiten zu
+lassen; ob er wirklich so entsetzliche Angst vor mir habe.
+
+„Nein“, antwortete er, „aber ich weiß, daß ihr ein vornehmer
+Sahib seid, und ich habe Befehl von Lhasa erhalten, euch dieselbe
+Ehrerbietung zu bezeigen, die die höchsten Beamten unseres eigenen
+Landes beanspruchen können!“
+
+Nachdem ich lange genug vergeblich auf den Engel gewartet hatte, der
+vom Himmel herabsteigen und uns mit einem feurigen Schwerte den Weg
+bahnen würde, erhob ich mich und gab Befehl zum Beladen der Tiere. Mit
+Hilfe der Tibeter war dies im Handumdrehen getan. Kamba Bombo stellte
+mir eine Eskorte von drei Offizieren und zwanzig Mann vor, die uns
+nordwärts bis über die Grenze der Provinz Nakktschu bringen sollte. Er
+versicherte, daß wir uns so lange, wie wir uns in Begleitung dieser
+Eskorte befänden, um gar nichts zu kümmern brauchten; sie würde für
+unsere Tiere einstehen und uns mit allem nötigen Proviant versehen,
+wofür wir nichts zu bezahlen hätten. Er schenkte mir 6 Schafe und eine
+Menge Lebensmittel in Näpfen und Schüsseln.
+
+So nahmen wir denn Abschied von diesem hochgestellten Beamten,
+der so freundlich und so ungastfreundlich gewesen war und uns so
+unerschütterlich den Weg versperrt hatte, und ritten in der Richtung
+zurück, aus der wir gekommen waren.
+
+„Ja, lieber Schagdur“, sagte ich zu meinem prächtigen Kosaken, dessen
+Mut und Treue nicht einen Augenblick gewankt hatte, „Lhasa zu sehen,
+war uns nicht beschieden, aber am Leben sind wir noch, und wir haben
+allen Grund, dafür dankbar zu sein!“
+
+In einiger Entfernung wandte ich mich im Sattel um und sah Kamba Bombo
+und seine Leute wie Mäuse auf dem Platze, wo unser Zelt gestanden
+hatte, umherschnuppern. Einige Stearinlichtstücke und Zigarettenstummel
+werden sie gewiß in der Überzeugung, daß sie es mit Europäern zu tun
+gehabt, noch bestärkt haben. Erst nachdem wir eine gute Stunde geritten
+waren, konnten wir die Lage überblicken und sehen, wie viele zu unserer
+Eskorte gehörten, denn bis dahin war bald der eine, bald der andere
+wieder umgekehrt, zuletzt unser Freund, der Dolmetscher, der die ganze
+Zeit über um Branntwein gebettelt hatte.
+
+Unser Gefolge bestand aus zwei Offizieren, Solang Undü und Anna
+Tsering, einem Unteroffizier und 14 Soldaten mit Säbeln, Piken und
+Flinten (Abb. 258). Außerdem waren sechs Männer dabei, die keine
+Soldaten waren; sie hatten die Aufgabe, die Proviantpferde der Truppe
+zu führen und eine Herde von 10 Schafen zu treiben. Wir ritten ziemlich
+schnell und es war lustig, die Marschordnung der Tibeter zu beobachten.
+Sie ritten vor, hinter und neben uns und ließen uns keinen Augenblick
+aus den Augen; hätten sie es gekonnt, so wären sie auch wohl über und
+unter uns geritten, um uns zu verhindern, in den Himmel zu steigen oder
+in die Unterwelt zu fliehen!
+
+Es war schon spät geworden, denn wir waren erst um 2 Uhr aufgebrochen.
+Wiederholt hielten die Tibeter an und schlugen vor, daß wir lagern
+sollten; sie beabsichtigten wahrscheinlich nicht, sich sehr zu beeilen.
+Doch jetzt war ich derjenige, welcher zu befehlen hatte, und ich ritt,
+ohne mich um unsere Lasttiere zu bekümmern, mit dem Lama und Schagdur
+bis in die Nähe des Sees Tso-nekk. Für unsere Habe hatten ja die
+Tibeter einzustehen versprochen, und sie ritten auch artig mit, ohne zu
+murren. In der Dämmerung lagerten wir. Sie hatten zwei schwarze Zelte,
+die sie auf jeder Seite des unserigen und ganz dicht neben diesem
+aufschlugen. Sobald das Lager in Ordnung war, wurden alle Tiere auf
+die Weide getrieben und dort von einigen Tibetern bewacht. Ich ging zu
+Solang Undü und Anna Tsering und aß mit ihnen zu Abend. Letzterer war
+ein außergewöhnlich liebenswürdiger, sympathisch aussehender junger
+Mann. Beide waren wie die meisten Tibeter bartlos, und Anna Tsering
+glich einem jungen Mädchen mit langherabhängenden schwarzen Haaren.
+
+Abends ertönte eine Weile ein summendes, murmelndes Geräusch aus
+ihren Zelten; sie sprachen ihr Abendgebet. Der Lama erinnerte sich
+melancholisch desselben, wenn auch unendlich viel kräftigeren Summens
+von Lhasa her, wo in allen Tempeln stetig Gebete gesprochen werden und
+wo es wie in einem riesenhaften Bienenkorbe summt. Er würde es wohl nie
+wieder hören!
+
+Die ganze Nacht goß es, wir aber schliefen ruhig und ungestört. Am
+Morgen standen alle Tiere, von ihren Wächtern dorthin gebracht,
+festgebunden an ihrem Platze. Doch alles war schwer und durchnäßt,
+und der Erdboden schlüpfrig und glatt. Während des Tages (11. August)
+regnete es jedoch nicht, obwohl der Himmel drohend aussah. Wenn die
+Sonne scheint, ist es beinahe drückend heiß, so daß es durch meine
+dünne Chinesenmütze brennt. Die meisten unserer Wächter tragen nur ein
+grobes Hemd, einen Schaffellpelz und Stiefel. Wenn die Sonne scheint,
+lassen sie Pelz und Hemd von dem rechten Arme und dem Oberkörper, die
+dann nackt bleiben, herabgleiten, sobald es aber kalt wird, schlüpfen
+sie wieder hinein. Das ist sehr bequem und praktisch.
+
+Ihre kleinen, langhaarigen, feisten Pferde laufen ziemlich schnell und
+machen kleine, trippelnde Schritte. Sie sind jedoch oft ungeberdig,
+werfen ihre Lasten ab und gehen damit durch, bis diese an der Erde
+schleppen. Die Männer bringen jedoch bald alles wieder ins rechte
+Geleise, sind aufgeweckt und achtsam und, wie man sich denken kann, an
+Karawanenreisen gewöhnt.
+
+Einer der Offiziere hatte einen gelben, langhaarigen, mit blauen
+Bändern und Schellen geschmückten Windhund mitgenommen. Ich riet ihm
+schon beim Aufbruch, das Tier lieber zu Hause zu lassen; er wollte aber
+den Hund durchaus mithaben. Wir waren auch noch nicht weit gekommen,
+als Jollbars sich über den Ärmsten hermachte und ihn schrecklich
+zurichtete. Blutend, hinkend und heulend, mußte der Hund von einem
+Reiter zurückgebracht werden. Vor unseren beiden Hunden hatten unsere
+Reisegefährten ganz gewaltigen Respekt. Sogar, wenn sie zu Pferde
+saßen, ritten sie sofort beiseite, wenn Jollbars in ihre Nähe kam, und
+auf den Lagerplätzen wagten sie nicht eher abzusteigen, als bis die
+Hunde angebunden waren.
+
+[Illustration: 259. Tibetische Soldaten. (S. 233.)]
+
+[Illustration: 260. Von Sirkin erlegter Kökkmek. (S. 252.)]
+
+[Illustration: 261. Gefrorenes Wild. (S. 252.)]
+
+[Illustration: 262. Hirten von Dschansung im Gespräch mit dem Lama im
+Lager. (S. 254.)]
+
+Es war zum Sterben langweilig, denselben Weg wieder zurückzureiten,
+aber ich sehnte mich doch nach dem Hauptquartier zurück, um mit
+der ganzen Karawanenmannschaft neuen Erfahrungen entgegenzugehen.
+Ich zählte die Stunden und bezeichnete auf meinen schon fertigen
+Kartenblättern die Strecken, die wir an jedem Tage zurücklegten. Die
+tibetische Eskorte sorgte inzwischen für unsere Zerstreuung. Man kann
+sich nicht satt sehen an diesen Wilden, ihren malerischen Trachten
+und ihrer Art zu reisen, zu reiten, mit den Pferden umzugehen, zu
+rasten, zu lagern, Feuer anzumachen und Essen zu kochen. Abgesehen von
+den Offizieren sehen die anderen wie Straßenräuber aus (Abb. 259).
+Unterwegs haben mehrere ihre Zöpfe zusammengerollt unter die hohen,
+breitrandigen Hüte gesteckt. Ein paar Greise, Lamas, tragen das Haar
+kurzgeschoren; diese drehen während des Reitens unausgesetzt ihre
+Korle (Gebetmühlen) und murmeln unermüdlich in anschwellenden und
+abnehmenden, monoton singenden, einschläfernden Tönen ihr „Om mani
+padme hum“. Wir sind schon ganz intim mit ihnen, und die Bewachung ist
+weniger streng. Alle plaudern und lärmen und freuen sich sichtlich über
+die kleine Vergnügungsreise, die ihnen zuteil geworden ist. Schagdur
+ist von einer Gruppe Soldaten umgeben, mit denen er lustig scherzt. Sie
+lachen bis zum Ersticken über seine Versuche, die fremden Ausdrücke zu
+lernen und anzuwenden.
+
+Solang Undü trägt über der Achsel ein rotes Zeugband, auf dessen
+Rückseite vier große silberne Gavo festgenäht sind, und am Gürtel
+Säbel, Messer, Feuerzeug, Tabaksbeutel, Pfeife und verschiedene andere
+Kleinigkeiten, die um ihn herumbaumeln und klappern. Unter diesen
+Utensilien befindet sich eine kleine Zange, mit der er sich wiederholt
+Barthaare, die sich zeigen, ausreißt; er ist auch völlig bartlos und
+sieht infolge der Runzeln, die sein Gesicht durchfurchen, wie ein altes
+Weib aus. Seinen Zopf hat er sorgfältig in ein rotes Tuch gewickelt und
+um den Kopf gewunden. Obendrauf thront der Filzhut mit einer großen
+Feder.
+
+Nach dreieinhalbstündigem Ritt hielten die Tibeter an und fragten,
+ob wir etwas gegen eine Rast zum Teetrinken hätten. Meine beiden
+Reisegefährten stimmten für Weiterreiten, ich zog es aber vor, den
+Tibetern den Willen zu lassen, um ihre Reisegewohnheiten zu studieren.
+Sie sagten, sie hätten am Morgen noch kein Frühstück essen können, und
+der Appetit, mit dem sie die Speisen vertilgten, bestätigte ihre Worte.
+
+Mit ihren Säbeln schnitten sie gruppenweise drei Erdschollen aus dem
+weichen Rasen; zwischen diese wurden die Töpfe gestellt, in denen
+das Teewasser gekocht wird. Trockenen Argol hatten sie bei sich, und
+bald brannten die Feuer. Aus Zeugstücken wurden Brocken von gekochtem
+Schaffleische ausgewickelt, und die Tsamba mit diesen, Fett, Butter und
+Tee bereitet. Wir begnügten uns mit sauerer Milch.
+
+Während des Frühstücks wurde uns mitgeteilt, daß die Eskorte uns nur
+bis an die Grenze des Bombo von Nakktschu am Flusse Gartschu-sängi
+begleiten werde; wo wir dann blieben, schien sie nicht das geringste
+zu kümmern. Wir baten sie, bis ans Hauptquartier mitzukommen, dazu
+hatten sie aber durchaus keine Lust; sie hatten nur ihren Befehlen zu
+gehorchen und hegten überdies sichtlich einen gewissen Respekt vor
+unserer Karawane und der uns dort erwartenden Mannschaft. Gerade auf
+der Strecke des Weges, die ich die Räuberzone nennen möchte, sollten
+wir also für uns selbst sorgen. Wir sehnten uns nicht danach, da uns
+jetzt nachts undurchdringliches Dunkel umgab, während wir auf der
+Hinreise Hilfe vom Monde gehabt hatten.
+
+Der Boden ist hier von all dem Regen womöglich noch nasser, als er es
+schon war, wie wir zuerst über ihn hinwegritten. Die Pferde sinken und
+stolpern bei jedem Schritt. Bei den Zeltdörfern zeigen sich selten
+Menschen, und unsere Begleiter scheinen ihnen beinahe auszuweichen.
+Wir lagern nicht in ihrer unmittelbaren Nähe, sondern immer in einiger
+Entfernung. Der nötige Proviant wird im Vorbeireiten von dem einen oder
+anderen Reiter geholt.
+
+Auf dem heutigen Lagerplatze hatten sie sich noch zwei Zelte besorgt,
+und die Eskorte war durch sechs Mann verstärkt worden. Der Abend war
+schön und windstill, die Sterne glänzten wie durch einen leichten
+Wolkenschleier. Die Dungfeuer flammen unter dem abgemessenen, schweren
+Hauche der Blasebälge auf wie das Drehfeuer eines Leuchtturmes. Auch
+in den Zelten sind Feuer, deren Rauch durch eine längliche Ritze in
+der Zeltdecke entweicht. Das Lager ist selbst am Abend malerisch
+und lebhaft, und auf allen Seiten hört man die Tibeter scherzen und
+plaudern. Der lebende Proviant besteht aus 14 Schafen, die nachts
+zwischen zwei Zelten angebunden werden, weil die Gegend reich an Wölfen
+sein soll.
+
+Kamba Bombo sollte jetzt Wasser auf seine Mühle bekommen, denn die
+Tibeter sahen mich Uhr und Kompaß studieren. Sie konnten das Ticken
+der Uhr gar nicht begreifen und baten unausgesetzt, horchen zu dürfen.
+Ich sagte, es sei ein Gavo mit einem lebendigen kleinen Burchan
+(Götzenbild). Die kleine Veraskopkamera konnte ich ungeniert benutzen,
+nachdem ihnen klar geworden war, daß in ihr kein Revolver oder sonst
+eine unbegreifliche Höllenmaschine stecke. Der Lagerplatz hieß
++Säri-kari+.
+
+12. August. Sie wecken uns früh, machen aber kurze Tagereisen, um die
+Annehmlichkeiten des Lagerlebens so lange wie möglich genießen zu
+können. Unsere Wächter lassen uns immer mehr Freiheit, je mehr wir uns
+der Grenze der Provinz nähern. Wir dürfen jetzt oft eine ganze Strecke
+hinter der Haupttruppe allein reiten und glauben uns unbewacht, merken
+aber bald, daß sich hinter uns stets noch einige Reiter befinden.
+
+Heute ging es über das große, offene Tal, in dem wir die Teekarawane
+zuerst gesehen hatten. Es regnete nicht, und der Boden trug unsere
+Pferde. Als wir ganz in der Nähe unseres ehemaligen Lagerplatzes Nr. 51
+waren, bogen die Tibeter rechts in eine kleine Talmündung namens +Digo+
+ein und machten dort Halt in hohem, üppigem, duftendem Grase, das für
+unsere mageren Tiere ein leckeres Fressen war.
+
+Wir waren nur 4½ Stunden geritten, und ich glaubte, daß es sich nur
+um eine Teerast handle. Es wurden aber die Zelte aufgeschlagen und, an
+die Karawanentiere denkend, machte ich keine Einwendungen. Es ist ein
+eigentümliches ruhiges Gefühl, nicht seine Freiheit zu haben und nicht
+über seinen Weg und seine Zeit bestimmen zu können; man muß ruhen, und
+für müde Pilger ist es schön, ausschlafen zu dürfen. Solange wir die
+Eskorte hatten, konnten wir die Sache ruhig mit ansehen, nachher aber,
+wenn wir wieder unserer eigenen Wachsamkeit überlassen waren, würden
+wir wieder lange Tagemärsche machen müssen.
+
+Man wird während des Rittes fast schläfrig, wenn man von allen diesen
+Soldaten umgeben ist, deren Pferde Schellenringe um den Hals tragen. Es
+ist ein ewiges, eintöniges Glockengeläute, das in den Ohren widerhallt
+und an eine große Schlittenpartie an einem nordischen Wintertage
+erinnert. Malerisch ist diese Gesellschaft, die so schnell in unserem
+friedlichen Gebirge aufgetaucht ist und uns umringt hat, wir mochten es
+wollen oder nicht. Heute waren keine Zelte zu sehen, so daß wir unseren
+Milchvorrat nicht verstärken konnten.
+
+Der Tag war, wie der Lagerplatz, herrlich. Wir ließen unser Zelt nach
+Norden offen, um die leichten Winde hineinzulassen, die von dorther
+kamen. Im Süden brannte die Sonne gar zu fühlbar; auf dieser Seite war
+das Zelt geschlossen, aber durch die Ritzen des Zelttuches stahlen sich
+Sonnenstrahlen herein und ließen meinen Rosenkranz funkeln, als ich mit
+den heiligen Gebetkugeln, die in so heidnische Hände geraten waren,
+spielte. Die Temperatur stieg auf +19,1 Grad. Sehr leicht gekleidet,
+schlummerte ich ins süßeste Vergessen hinüber und verschlief Schagdurs
+Teefrühstück. Es war friedvoll und sommerlich, der letzte Sommertag,
+den wir genießen konnten. Ein kleiner Bach begleitete mit seinem
+munteren Rauschen das Lachen und Plaudern der Tibeter.
+
+Sie verstehen es, sich es auch auf Reisen angenehm und gemütlich zu
+machen. Wenn wir lagern, haben die Offiziere eine Schar Diener, die
+ihnen im Handumdrehen die Zelte aufschlagen. Rings um diese werden
+Sattel, Riemenzeug, Beutel und Gepäck hingeworfen und die Flinten auf
+ihre Gabeln gestellt, um nicht mit dem feuchten Boden in Berührung
+zu kommen. Bei so schönem Wetter sitzen alle im Freien und widmen
+sich mit Kennermiene dem Essenkochen, der liebsten Beschäftigung des
+Asiaten. Sie sind Meister im Feueranmachen und richten mit Hilfe des
+Blasebalges einen lodernden Feuerstrahl gegen die Seite des Teekessels,
+so daß das Wasser in erstaunlich kurzer Zeit ins Kochen gerät. Die
+Tsamba wurde in kleinen Holzschalen, die unseren mongolischen glichen,
+angerührt. Einige von ihnen kneten das Gericht mit der rechten Hand und
+vermischen es mit Käse. Wenn sie Fleisch essen, halten sie das Stück
+in der Linken und schneiden mit einem Messer kleine Bissen davon ab.
+Anna Tsering benutzte hierzu ein englisches Taschenmesser („~Made in
+Germany~“), das aus Ladak stammen sollte.
+
+Unter ihren Habseligkeiten waren viele verlockende Dinge, die jedoch
+nicht in unseren Besitz übergehen konnten, weil dafür unerhörte Preise
+gefordert wurden. Für einen Säbel, dessen Scheide mit Silber beschlagen
+und mit Korallen und Türkisen besetzt war, forderten sie 50 Liang
+(etwa 170 Mark), obwohl er nicht mehr als 11 Liang wert war. Eine
+Gebetmühle sollte 100 Liang kosten. Die Gewehre und ein großer Teil
+der Lanzen gehörten, wie sie sagten, dem Staate und durften überhaupt
+nicht verkauft werden. Wir saßen stundenlang bei ihnen in ihrem Zelte,
+sie aber kamen nie zu uns; wahrscheinlich hatte Kamba Bombo es ihnen
+verboten, weil ich gesagt hatte, ich wollte gern möglichst ungestört
+bleiben.
+
+Noch um 9 Uhr abends betrug die Temperatur +9,1 Grad, und um 7 Uhr am
+folgenden Morgen hatten wir +7,8 Grad.
+
+Am 13. August sahen wir weiter keine Menschen als acht Soldaten,
+die zu Pferd von Norden, wahrscheinlich von einer Rekognoszierung,
+kamen. Sie hatten eine lange Beratung mit unseren Offizieren, ehe sie
+weiterritten. Nun ritten wir über den Satschu-sangpo, der auf den
+vierten Teil seiner Größe zusammengeschrumpft war. Das Überschreiten
+lief ohne das geringste Mißgeschick ab, da die Tibeter die Furtschwelle
+kannten. Jedoch ging in den tiefen Armen das Wasser den kleinen Pferden
+noch bis über den Bauch. Ehe die Reiter sich in den Fluß begaben,
+entledigten sie sich ihrer Stiefel; am anderen Ufer wurde eine kurze
+Rast gemacht, um sie wieder anzuziehen.
+
+Eine Strecke vom rechten Ufer entfernt wurde in einer Gegend mit
+frischen Quellen und gutem Grase, die auf der Hinreise unseren Blicken
+entgangen war, für die Nacht Halt gemacht. Bis hierher hatten wir drei
+von unseren neun Tagereisen zurückgelegt, obwohl hierzu jetzt vier Tage
+erforderlich gewesen waren. Morgen würden die Tibeter uns also unserem
+Schicksale überlassen. Uns aber wurde es wirklich schwer, von ihnen zu
+scheiden; wir waren auf so freundschaftlichen Fuß mit ihnen gekommen,
+daß wir uns mit dem Gedanken, ihre Gesellschaft entbehren zu müssen,
+nicht recht aussöhnen konnten. Sie ließen sich jedoch nicht überreden,
+uns noch weiter zu begleiten; sie hatten ihre Pflicht getan und
+konnten gehen. Ich drohte ihnen damit, daß ich, nachdem sie abgezogen,
+noch eine Zeitlang am Satschu-sangpo bleiben und dann doch nach Lhasa
+gehen würde.
+
+„Bitte sehr“, antworteten sie, „wir sollten euch nur an die Grenze
+bringen, und das haben wir getan.“
+
+Abends besuchte uns Solang Undü, Anna Tsering und Dakksche zum
+erstenmal in unserem Zelte; sie wurden mit Tee und Rosinen bewirtet.
+Da sie sich jetzt jenseits der Grenze befanden, glaubten sie wohl,
+sich gewisse Freiheiten nehmen zu können. Dakksche war der Greis,
+der einmal während unserer Gefangenschaft so gebieterisch in unserem
+Zelte gepredigt hatte. Er ist eine gottvolle Erscheinung mit seinem
+runzeligen, bronzebraunen, schmutzigen, bartlosen Gesichte und
+seinem langen, dichten unbedeckten Haare. Er könnte gut für einen
+heruntergekommenen Schauspieler aus Europa gelten. Sobald er mich
+erblickt, streckt er die Zunge so weit heraus, wie er nur kann, und
+hält die Daumen in die Luft, eine Höflichkeit, die ich auf dieselbe
+Weise und mit solchem Nachdruck beantworte, daß Schagdur sich beinahe
+totlacht.
+
+Jetzt erst glückte es uns, auch einige Kleinigkeiten erstehen zu
+können, wie einen Dolch, zwei kupferne Armbänder, einen Ring, einen
+Löffel, eine Pulvertasche und eine Flöte, alles für ein paar Meter
+Zeug, das neben chinesischen Porzellantassen und Messern das beste
+Tauschmittel ist.
+
+Die folgende Nacht schliefen wir fest, um uns ordentlich auszuruhen,
+ehe die Nachtwachen wieder anfingen. Ich schlief dreizehn Stunden! Als
+ich aufstand, fragten sie, ob wir hierbleiben würden oder nicht, und
+da ich mit Bleiben drohte, erboten sie sich, uns zu begleiten, bis wir
+Menschen träfen und uns mit neuen Vorräten für die Rückreise versehen
+könnten. Wir ritten also bis in die Nachbarschaft von Sampo Singis
+Lager, wo die Gegend +Gong-gakk+ und ihr Häuptling Dschangdang heißt.
+
+Hinsichtlich der politischen und der administrativen Verhältnisse
+erhielten wir recht unsichere Aufklärungen; es ist wohl wahrscheinlich,
+daß die Sache tatsächlich auch nicht ganz klar liegt. Es wurde
+behauptet, daß der Satschu-sangpo die Grenze zwischen dem Lande des
+Dalai-Lama im Süden und dem im Norden liegenden Reiche des chinesischen
+Kaisers sei, der Häuptling Dschangdang aber von beiden Staaten
+unabhängig sei. Daß der Satschu-sangpo als Grenze von Bedeutung ist,
+ging schon daraus hervor, daß die Tibeter uns nur bis dorthin brachten
+und sich nicht darum bekümmerten, wohin wir uns von dort begaben, sowie
+auch daraus, daß Kamba Bombo gesagt hatte, für nördlich von diesem
+Flusse begangene Diebstähle sei er nicht verantwortlich. Im übrigen
+wußten sie von Tibets Grenzen, daß diese im Westen mit denen von
+Ladak zusammenfielen, im Osten seien es acht Tagereisen bis an die
+chinesische Grenze, und nach Süden sollte eine Reise von drei Monaten
+(!) erforderlich sein, um nach Indien oder, wie sie sich ausdrückten,
+Hindi zu gelangen. Tsamur und Amdo sind dichtbevölkerte Gebiete im
+Osten, im Westen heißt das Land Namru.
+
+Sobald wir gelagert hatten, wurden einige Reiter nach Westen geschickt,
+wie es hieß, nach den ersten Dörfern in Namru, und am Abend kamen sie
+mit zwei großen Schüsseln voll süßer und saurer Milch wieder, die für
+den größten Teil der noch übrigen Reisetage reichte. Dagegen nahmen wir
+nur zwei Schafe mit, obschon uns alle noch lebenden angeboten wurden
+-- sie wären uns während der forcierten Märsche, die uns bevorstanden,
+nur hinderlich gewesen. Auf jedem Lagerplatz werden Kundschafter in die
+Gegend ausgeschickt. Sie statten bei ihrer Rückkehr Solang Undü Bericht
+ab. Wahrscheinlich hat man befürchtet, daß unsere ganze Karawane nach
+Süden vorgerückt sei, und man will nun vorsichtig sein und aufpassen,
+daß wir uns nicht mit den Unsrigen zu einem gemeinschaftlichen Angriffe
+auf die Eskorte vereinigen, um uns dann nach Lhasa durchzuschlagen.
+
+Eine große Yakkarawane lagerte in der Nachbarschaft. Sie war aus
+Nakktschu, hatte Salz geholt und befand sich jetzt auf dem Heimweg.
+
+Der 15. August war der Tag der Trennung. Unsere Freunde versuchten
+uns zu überreden, noch einen Tag zu bleiben, und gaben uns die
+sehr verlockende Versicherung, daß am Abend einige Leute aus Namru
+anlangen würden. Diese würden uns gewiß gern nach dem Hauptquartier
+begleiten und uns nachts unsere Tiere hüten. Wir zogen es jedoch vor,
+aufzubrechen. Solang Undü und Anna Tsering rieten uns, Räuber, die sich
+nachts unserem Zelte näherten, einfach niederzuschießen. Sie steckten
+augenscheinlich nicht mit Pferdedieben unter einer Decke, denn sie
+hatten unheimlichen Respekt vor der Wirkung unserer Schußwaffen.
+
+Als wir Abschied nahmen, erbot sich Solang Undü, uns mit vier Mann nach
+Sampo Singis Zelt zu begleiten; mit ihnen zogen wir das Tal hinauf,
+dessen Fluß jetzt bedeutend zusammengeschrumpft war. Einige Reiter,
+denen wir begegneten, kehrten um und kamen mit. Auch diese waren
+entschieden Spione, welche die Unseren beobachtet hatten und jetzt mit
+den lebhaftesten Gesten berichteten, was sie gesehen hatten.
+
+Sampo Singi war nicht zu Hause, aber sein Zelt stand noch da. Hier
+machten unsere Begleiter Halt, ließen sich an einem Hügel häuslich
+nieder und baten uns, die Nacht über noch hierzubleiben; wir wollten
+aber jetzt Zeit gewinnen. Sie sahen uns über den ersten Paß im
+Nordwesten unseres alten Lagers verschwinden und sind dann wohl, wie
+ich vermute, zu Kamba Bombo zurückgekehrt.
+
+
+
+
+Neunzehntes Kapitel.
+
+Die letzten Tagemärsche nach dem Hauptquartier.
+
+
+Einsam und schweigend ritten wir nach Nordwesten weiter; wir sahen
+keine anderen Geschöpfe als einige Schafherden und Yake auf den
+nächsten Hügeln. Unsere Tiere waren kraftlos, aber gemächlich ritten
+wir drauf los. Bevor es dämmerig wurde, mußten wir Halt machen, damit
+sie noch eine Weile weiden konnten. Dies geschah an einer kleinen
+Süßwasserquelle auf einer Wiese, wo Argol in genügender Menge umherlag.
+
+Auf einmal veränderte der Himmel, der uns bisher hold gewesen war,
+sein Aussehen. Es wurde im Südosten dunkel. Eigentümliche, unheimliche
+Wolken stiegen über den Bergen auf; sie waren brandgelb und dick, wie
+beim Ausbruche eines Sandsturmes in der Wüste. Das wird ein nettes
+Wetter werden, dachten wir. Der Wind kam immer näher, sauste und pfiff,
+und dann prasselte der erste Hagelschauer auf uns herab, und es wurde
+pechfinster wie in einem Sacke.
+
+Mittlerweile waren die Tiere vor dem Zelte fest angebunden worden.
+Hier mußte strenge Wache gehalten werden. Durch dieses Wetter wurde
+die Nacht ein paar Stunden länger als gewöhnlich, und vielleicht
+betrachteten uns die Tibeter nun, da sie uns über die Grenze gebracht
+hatten, nicht länger als Gäste, sondern als vogelfreie Eindringlinge,
+die man ungestraft plündern durfte. Ein unangenehmeres Wetter ließ
+sich nicht denken; um 8 Uhr ging der Hagel in Regen über, der wie aus
+Mulden herabgoß. Man hört nichts weiter als den Regen, der, vom Winde
+getrieben, gegen das Zelt und auf die Erde schlägt und das Stampfen
+der Tiere und die einschläfernden Schritte der Nachtwache übertönt.
+Man sieht die Hand vor den Augen nicht, kein dunkler Umriß gibt den
+Platz an, wo unsere Tiere zwei Meter vor der Zeltöffnung stehen. Es
+ist unmöglich, eine Kerze zum Brennen zu bringen; es regnet ins Zelt,
+es weht, heult und pfeift, und die Zündhölzer sind feucht. Man sitzt
+zusammengekauert in seinem Pelze, der Oberkörper schwankt hin und her,
+und vergeblich sehnt man sich nach dem Tageslichte, das jedoch auf sich
+warten läßt. Alle Waffen sind geladen und liegen zum Gebrauch bereit,
+und die Hunde sind bei den Pferden angebunden. Von hier war es ein
+fünfstündiger Ritt nach unserem früheren Lager Nr. 48, von dort sieben
+Stunden nach dem Lager Nr. 47. Erst im Lager Nr. 44 waren wir zu Hause!
+Der Weg dorthin erschien uns sowieso unendlich lang, und nun mußte der
+Regen den Boden noch mehr verderben. Wir entbehrten die Tibeter sehr;
+es war so ruhig und friedlich, solange wir sie bei uns hatten.
+
+Gegen 11 Uhr ließ der Regen ein wenig nach, und ich ging hinaus, um
+mich nach Schagdur umzusehen, der mitten zwischen den Pferden und den
+Mauleseln unter seiner Filzdecke kauerte und bis auf die Haut durchnäßt
+war. Er war jetzt gerade sehr aufgeregt und bat mich, zu horchen, denn
+unten am Quellbache klinge es wie menschliche Schritte. Ich hörte auch
+wirklich schleichende Fußtritte; Schagdur nahm an, daß es ein Kulan
+sein könne, ich aber glaubte nicht, daß solche sich so nahe bei den
+Herden der Tibeter aufhielten. Als die leisen, schleichenden Schritte
+näherkamen und Schagdur das Gewehr bereithielt, stellte sich heraus,
+daß es unser Hund Malenki war, der unten an der Quelle getrunken hatte.
+Ich hielt die Lage für ungefährlich, ging wieder ins Zelt, legte mich
+hin und schlief wie ein Stock bis 5 Uhr, dann wurde ich geweckt und
+half bei herrlichem Wetter beim Beladen.
+
+Anfangs zogen wir östlich von unserer alten Route, und die Kartenarbeit
+wurde wieder aufgenommen. Das Terrain war hier viel bequemer, und wir
+konnten einen deutlichen Weg links vom Gartschu-sängi einschlagen.
+Lange folgten wir hier der Spur eines Reiters, der mit zwei Hunden erst
+kürzlich diese Straße gezogen sein mußte, weil die Spur noch nicht
+verregnet war. Wer mochte er sein, und wohin hatte er seine Schritte
+gelenkt? War er Mitglied einer Räuberbande, die ihren Sammelplatz
+droben im Gebirge hatte? Wurden wir vielleicht schon verfolgt, und
+warteten sie am Ende nur eine günstige Gelegenheit ab?
+
+Wir verloren jedoch die Spur und schlugen einen westlicheren Kurs
+ein, weil in der bisher eingehaltenen Richtung drohende Berge den Weg
+zu versperren schienen. Die Richtung wird nordwestlich, das Terrain
+hebt sich, Kulane und Orongoantilopen, die wenig scheu sind, treten
+wieder auf, wir ziehen sie dem Anblick bis an die Zähne bewaffneter
+tibetischer Reiter vor.
+
+Als das Gras immer spärlicher wurde, machten wir nach einem Marsche von
+34,5 Kilometer an einem Flusse Halt. Es war weniger, als wir hätten
+zurücklegen müssen, wenn wir das Hauptquartier in vier Tagen erreichen
+wollten, aber unsere Tiere waren erschöpft und auch zu müde, um
+umzukehren und die üppigen Weiden, die wir hinter uns zurückgelassen
+hatten, wieder aufzusuchen. Nur die beiden neuen tibetischen Pferde
+sind munter und müssen besonders festgebunden werden, damit sie nicht
+wieder zu ihren Kameraden zurücklaufen.
+
+[Illustration: 263. Der Lama als Gehilfe beim Photographieren der
+Hirten. (S. 254.)]
+
+[Illustration: 264. Tibeterinnen. (S. 255.)]
+
+[Illustration: 265. Die Nomadenzelte in der Bergschlucht. (S. 255.)]
+
+[Illustration: 266. Unser Lager am Jaggju-rappga. (S. 264.)
+
+Vor den Leuten Wanka, der Leithammel, Jollbars, Maltschik und Hamra.]
+
+Der Tag war schön gewesen, nur mittags und während der nächstfolgenden
+Stunden zogen dicke Wolkenmassen von Süden herauf. Die Gegenden, denen
+wir uns nahten, werden immer kälter und karger; hier sind keine anderen
+Menschen als höchstens Yakjäger und Straßenräuber zu erwarten.
+
+Die dem Aufschlagen des Lagers folgenden Stunden sind die angenehmsten
+des ganzen Tages; man ist ruhig, kann sich bequem ausstrecken, Mittag
+essen, plaudern und rauchen. Aber die Dämmerung kommt nur zu schnell,
+und je dunkler es wird, desto schärfer heißt es aufpassen.
+
+Die Nacht war ganz klar und windstill. Fern im Westen zuckte über dem
+Horizonte unausgesetzt ein Wetterleuchten, Donner war aber nicht zu
+hören. Die Nacht ist so still, daß man sich vor dieser Grabesstille
+fast fürchten möchte. Selbst aus ziemlich weiter Ferne würde man auch
+das geringste Geräusch hören können. In einiger Entfernung ertönt das
+dumpfe Gemurmel eines Bächleins, sonst vernehme ich nur die Atemzüge
+der Tiere und meiner beiden Reisegefährten. Der Lama spricht oft im
+Schlafe und ruft bisweilen mit klagender Stimme Sirkins Namen, als
+brauche und erwarte er Hilfe.
+
+17. August. Alle Hügel und Berge der Gegend sind ziegelrot, denn die
+vorherrschende Gesteinsart ist roter Sandstein.
+
+Sobald der Tag graut, dürfen die Tiere frei umherlaufen, können sich
+aber auf unseren Lagerplätzen in der kurzen Zeit durchaus nicht
+sattfressen. Sie grasen nur abends ein paar Stunden, nachdem wir
+gelagert haben, und in aller Morgenfrühe. Wir lassen sie daher noch
+draußen, bis es stockfinster ist, bleiben dann aber bei ihnen. Sie sind
+den ganzen Tag hungrig und versuchen unterwegs Grashalme abzurupfen;
+leicht ist es nicht, sie beisammenzuhalten, und ihre kleinen
+Seitenabstecher verursachen uns Zeitverlust.
+
+Heute ritten wir 9 Stunden und legten 40 Kilometer zurück, -- es
+geht nicht schnell. Etwas westlich von dem alten Wege kamen wir
+durch ein Tal langsam nach einem Passe hinauf. Vom Passe geht es
+langsam durch ein anderes Tal hinunter, das sich nach Westen zieht
+und von senkrechten Wänden eingefaßt wird. Es zwingt uns, viel zu
+weit westwärts zu gehen, aber wir können nicht aus ihm herauskommen.
+Hier und dort zeigen sich Yake; es sind entschieden wilde, obwohl es
+merkwürdig ist, daß sie sich in eine solche Mausefalle hineinwagen.
+Wir stellten diesen Abend das Zelt auf einen von Schluchten umgebenen
+Bergvorsprung, wo ein Überfall für den Angreifer sehr gefährlich hätte
+werden können. Jetzt konnten wir nicht viel mehr als 70 Kilometer von
+den Unsrigen entfernt sein, und jeder Tag, der verging, vergrößerte
+unsere Sicherheit; nur der Lama war der Meinung, es würde vielleicht
+noch schlimmer werden, denn das Hauptlager sei möglicherweise von den
+Tibetern umzingelt.
+
+Der 18. August war für uns ein schwerer, anstrengender Tag. Es kostete
+uns verzweifelte Mühe, über eine Bergkette hinüberzukommen, die wir auf
+der Hinreise ohne Schwierigkeit überschritten hatten.
+
+Wir gehen über einen neuen Paß und haben linker Hand einen See, der
+in einer Bodensenke liegt. Unsere Tiere sinken tief in den aus rotem
+Material bestehenden Boden ein; man zieht sozusagen über lauernde
+Fallgruben und Fallen hin, seit Jahrtausenden scheint Schmutz und
+Schlamm von den angrenzenden Höhen in dieses heimtückische Loch
+hinuntergeschwemmt worden zu sein. Anstehendes Gestein ist nirgends zu
+sehen, alles ist weiches Verwitterungsmaterial. Glücklicherweise war
+das Wetter jetzt gut; bei Regen wäre hier nicht durchzukommen gewesen.
+
+Unser Räubersee lag jetzt eine ziemliche Strecke rechts von unserem
+Wege. Einige Maulesel waren vollständig erschöpft, und zwischen 2 und
+4 Uhr mußten wir auf einer dünn mit Gras bewachsenen Halde rasten, um
+sie ausruhen zu lassen. Unterdessen schlummerten und rauchten wir im
+Sonnenbrande. Die Luft war ruhig, und das Thermometer zeigte +19,6 Grad
+im Schatten; bei dieser Temperatur ist es hier oben so heiß, daß man
+fürchtet, einen Sonnenstich zu bekommen. Bald darauf kam eine Hagelbö,
+und wir waren wieder mitten im Winter. Es ging langsamer und schwerer
+als je, nach dieser Rast wieder in Gang zu kommen. Man ist ganz
+erschöpft von den verwünschten Nachtwachen und den beständigen Märschen.
+
+Einmal, als wir langsam nach dem Gipfel eines Hügels hinaufritten,
+stürmte Malenki seitwärts nach einer anderen Anhöhe und erhob ein
+wütendes Gebell. Wir glaubten, er habe Menschen gesehen, und ich ritt
+ihm schleunigst nach und geriet dabei einem Bären, der eifrig an einer
+Murmeltierhöhle kratzte, beinahe auf den Leib. Als der Petz mich
+erblickte, sprang er auf und lief, von den Hunden verfolgt, im Galopp
+davon. Die Hunde holten ihn bald ein, doch jetzt machte der Bär Front
+und schickte sich an, Malenki eins auf die Schnauze zu geben. Der Hund
+kehrte nun ebenfalls um und kam zu uns zurück, aber Jollbars hatte noch
+einen langen Tanz mit dem Petz, der auf so unverschämte Weise in seiner
+erwarteten Abendmahlzeit gestört worden war.
+
+Jetzt ging es verwünscht langsam vorwärts; es war nutzlos, den Weg
+fortzusetzen, wir rasteten auf der ersten besten Weide. Der Himmel sah
+noch immer unheildrohend aus, und die Wolken hatten dieselbe rote oder
+brandgelbe Farbe wie das Erdreich.
+
+Wieder folgte eine finstere, endlose Nacht, denn vor Tibetern und
+Bären mußten wir auf der Hut sein. Die Sprache der Nacht ist erhaben,
+nur nicht in Tibet, wenn man Pferde hüten muß. Von nun an werde ich
+ein gewisses Mitleid mit unseren Pferdewärtern haben. Wir sehnten uns
+nach dem Hauptlager wie zu einem großen Feste, schon allein deshalb,
+weil wir dort nachts würden ausschlafen können. Jeder von uns hat beim
+Wachehalten seine besonderen Gewohnheiten. Ich schreibe, sitze in der
+Zelttür und mache von Zeit zu Zeit eine Runde um das Lager. Schagdur
+sitzt in seinen Pelz gehüllt mitten unter den Tieren und raucht seine
+Pfeife. Der Lama wieder streift umher und murmelt mit singender Stimme
+Gebete. Jetzt fehlten uns zwar nur noch 35 Kilometer, aber unsere
+Tiere hatten, vom Hauptlager an gerechnet, bereits 500 Kilometer
+zurückgelegt, und es war wenig Aussicht vorhanden, daß wir dieses in
+einem Tage erreichen würden. Nun wohl, jedenfalls mußten wir so nahe
+an den Umkreis, innerhalb dessen die Unsrigen die Gegend bewachten,
+herankommen, daß wir uns für ziemlich sicher halten konnten.
+
+Wir schliefen am Morgen gründlich aus, um die Tiere möglichst lange
+weiden zu lassen. Sodann ging es zu einem Passe hinauf, von dem wir
+das weite, offene Tal, in welchem wir die erste Nacht geruht hatten,
+zu sehen hofften. Doch jenseits des Passes war nur ein Gewirr von
+Hügeln zu erblicken. Es war wunderbar, daß unsere Tiere mit dem
+Nordabhange fertig wurden, der da, wo die Sonne nicht eingewirkt hatte,
+aus lauter Schlamm bestand. Wir müssen zu Fuß gehen und auf flachen
+Sandsteinplatten und Moosrasen balancieren, sonst sinken wir knietief
+ein. Die Karawane sieht höchst sonderbar aus, denn die Tiere waten so
+tief im Morast, daß sie mit dem Bauche den Boden berühren; es ist,
+als durchwateten sie einen Fluß. Wir steuern nach allen Flecken, die
+trocken scheinen, mühsam und sehnsüchtig hin, um uns dort eine Weile
+zu verschnaufen und die Lasten wieder zurechtzurücken. Die Hoffnung
+täuschte uns; noch zwei ebenso greuliche Pässe waren uns beschieden.
+Hätte ich hiervon eine Ahnung gehabt, so würde ich natürlich unseren
+alten Weg gegangen sein, der wie eine Brücke durch ein Moor, in dessen
+böse Sümpfe wir hilflos hineingeraten waren, zu führen schien.
+
+Endlich erreichten wir mit erschöpften Kräften ein kleines Tal, das
+nach unserem offenen Tale führte, dessen wohlbekanntes Panorama ein
+erfreulicher, belebender Anblick war. Jetzt merkten wir, daß wir beim
+Waten im Moraste den Spaten verloren hatten. Der Lama ging zurück, ohne
+ihn zu finden, stieß dafür aber auf eine alte tibetische Zeltstange,
+die uns abends beim Feueranzünden gut zustatten kam. Rebhühner, Hasen
+und Kulane zeigen sich überall, und, wie gewöhnlich, sind die Raben in
+diesem unwirtlichen Gebirge heimisch.
+
+Es war herrlich, wieder auf tragfähigem Boden zu reiten. Neun Kulane
+leisteten uns eine Zeitlang Gesellschaft. Auf einer Anhöhe rasteten
+wir einige Minuten, um die Gegend zu überschauen. Keine Spur, keine
+schwarzen Punkte, die unsere weidenden Tiere sein konnten, kein Rauch
+war zu sehen! Die Gegend lag ebenso still und öde da, wie wir sie
+zuletzt gesehen hatten, und absolut nichts deutete darauf hin, daß sich
+Menschen in der Nachbarschaft befanden.
+
+Obwohl die Sonne schon tief stand, schienen meine Kameraden doch zu
+glauben, daß wir noch zu den Unsrigen gelangen würden, denn sie ritten
+immer schneller. Die Tiere, die sonst gewöhnlich in einem Haufen
+getrieben wurden, mußten hier in einer Reihe hintereinander und mit
+Stricken verbunden marschieren, da das Gras sie zu sehr in Versuchung
+führte. Schagdur leitete drei, ebenso der Lama, und ich ritt als
+Treiber hinterdrein. Schagdur hatte einen bedeutenden Vorsprung. Mein
+Reitschimmel, der mir den gestohlenen ersetzt hatte und der, nachdem er
+kraftlos geworden, durch eines der tibetischen Pferde ersetzt worden
+war, brach plötzlich zusammen und blieb auf der Erde liegen. Man mußte
+glauben, daß seine letzte Stunde gekommen sei; wie es schien, fing er
+schon an zu erkalten. Der Lama schmierte ihm die Nüstern innen mit
+Butter ein und zwang ihn, Lauch zu kauen. Große Tränen rollten aus den
+Augen des Pferdes, und Schagdur sagte, es weine darüber, daß es jetzt,
+nachdem es so ehrenvoll alle unsere Anstrengungen geteilt, nicht zu
+seinen alten Kameraden zurückkehren könne. Inzwischen schlugen wir
+Lager, und die Tiere wurden auf die nächste Weide geführt.
+
+Die Nacht verlief ruhig unter frischem, nördlichem Winde. Die Hunde
+knurrten nicht einmal, und keine Feuer waren sichtbar.
+
+Als wir am 20. August aufbrachen, strömte der Regen nieder, was uns
+jedoch wenig störte, weil der Boden jetzt beinahe überall fest und
+tragfähig war. Sogar der Schimmel hinkte mit. Als wir die roten
+Hügel in der Nähe unseres ersten Lagerplatzes, auf dem Hinwege,
+passiert hatten, ertönten zwei Flintenschüsse und eine Weile darauf
+ein dritter. Ein Yak stürmte nach den Hügeln hinauf. Wir richteten
+unseren Kurs sofort dorthin und bemerkten bald zwei Punkte, die sich
+im Fernglase nach und nach zu zwei Reitern entwickelten. Waren es
+tibetische Yakjäger? Nein, denn es zeigte sich bald, daß sie gerade
+auf uns zu ritten. Als sie nähergekommen waren, erkannten wir in
+ihnen Sirkin und Turdu Bai. Wir saßen ab und warteten, bis sie vor
+Freude weinend heransprengten, ganz entzückt von der heutigen Jagd,
+-- eine solche Beute hatten sie sich nicht träumen lassen, als sie am
+Morgen ausgeritten waren, um sich Fleisch zu verschaffen! Sie hatten
+nämlich nur noch drei Schafe. Für uns war es ein besonderes Glück,
+so unerwartet in der Einöde mit ihnen zusammenzutreffen; es wäre uns
+jetzt, da der Regen alle Spuren ausgelöscht hatte, wohl recht schwer
+geworden, das Lager zu finden.
+
+Das Lager war vor einiger Zeit nach einem Seitentale südlich von der
+Flußmündung verlegt worden und war dort so im Terrain versteckt, daß
+wir es ohne Hilfe kaum hätten entdecken können. Wir ritten sämtlich
+dorthin. Kutschuk, Ördek und Chodai Kullu kamen uns entgegengelaufen;
+auch sie weinten und riefen:
+
+„Chodai sakkladi, Chodai schukkur (Gott hat euch beschützt, Gott sei
+gelobt), wir sind wie vaterlos gewesen, während ihr fort waret!“
+
+Es war wirklich rührend, ihre Freude zu sehen. --
+
+Bald darauf saß ich wieder in meiner bequemen Jurte und hatte meine
+Kisten um mich, und mein schönes, warmes Bett war in Ordnung. Wenn
+man es einen ganzen Monat recht schlecht gehabt hat, weiß man es erst
+zu schätzen, wenn man sich wieder in „zivilisierten Verhältnissen“
+befindet. Sirkin berichtete, daß ein Pferd verendet sei und die anderen
+sich noch nicht erholt hätten, daß die Kamele aber bedeutend kräftiger
+geworden seien. Die Chronometer waren stehengeblieben, weil Sirkin es
+aus Furcht, daß die Federn springen könnten, nicht gewagt hatte, sie
+ganz aufzuziehen. Die Folge dieser übertriebenen Vorsicht war, daß wir
+nun nach dem naheliegenden Lager Nr. 44, unserem Hauptquartiere, von
+dem die Reise nach Lhasa ausgegangen war und in welchem ich damals eine
+astronomische Ortsbestimmung gemacht hatte, zurückkehren mußten. Ein
+Zeitverlust von mehreren Tagen würde dadurch allerdings entstehen, aber
+die Tiere, die wir mitgehabt hatten, bedurften nur zu sehr aller Ruhe,
+die sie haben konnten. Es hatte in der Gegend unaufhörlich geregnet;
+bisweilen waren jedoch kleine Ausflüge gemacht und dabei einige Kulane
+erlegt worden.
+
+Tschernoff hatte die Nachhut so gut geführt, daß er bei seiner Ankunft
+am 2. August noch neun Kamele mitgebracht hatte; nur zwei Kamele und
+zwei Pferde waren verendet; unter den ersteren war mein Veteran von der
+Kerijareise im Jahre 1896.
+
+Alle Leute waren gesund, und helle Freude herrschte an diesem Abend.
+Sie gestanden, daß sie nach Ördeks Rückkehr für uns das Schlimmste
+befürchtet hätten und kaum von uns hätten sprechen mögen, sondern
+gewartet und gewartet hätten. Jolldasch heulte vor Freude und nahm
+sofort seinen bequemen Platz neben meinem Bette wieder ein.
+
+Nachdem ich das Lager inspiziert und alles in bester Ordnung
+vorgefunden hatte, mußte Tscherdon mir ein Bad zurechtmachen. Der
+größte Kübel, den wir hatten, wurde mit heißem Wasser gefüllt und in
+meine Jurte gebracht. Nie ist ein gründliches Abseifen notwendiger
+gewesen als jetzt, und das Wasser mußte mehreremal erneuert werden,
+hatte ich mich doch 25 Tage lang nicht gewaschen! Und wie schön war
+es, nachher vom Scheitel bis zur Sohle wieder in reinen europäischen
+Kleidungsstücken zu stecken und den mongolischen Lumpen auf ewig
+Lebewohl sagen zu können!
+
+Nach einem wohlschmeckenden Mittagsessen und Aufzeichnung der heutigen
+Erlebnisse ging ich mit gutem Gewissen zu Bett und genoß in vollen
+Zügen die Ruhe und den Komfort, die mich umgaben. Das Bewußtsein, daß
+ich den forcierten Ritt nach Lhasa ohne Zögern gewagt hatte, war mir
+eine große Befriedigung. Daß wir diese Stadt nicht hatten sehen können,
+betrachtete ich weder jetzt noch später als eine Enttäuschung; gibt es
+doch unüberwindliche Hindernisse, die alle menschlichen Pläne kreuzen.
+Aber es freute mich, daß ich nicht einen Augenblick gezaudert hatte,
+einen Plan auszuführen, der kritischer und gefährlicher war als eine
+Wüstenwanderung, und es ist ein Vergnügen, gelegentlich den eigenen
+Mut auf die Feuerprobe zu stellen und die Ausdauer bei Strapazen zu
+erproben. Mein Leben während der nächstfolgenden Zeit erschien mir
+im Vergleich mit dem eben Erlebten wie eine Ruhezeit. Was uns auch
+beschieden sein mochte, -- solche Strapazen wie auf der Lhasareise
+würden wir schwerlich wieder erleben. Mir war zumute, als sei ich schon
+halb wieder zu Hause, und ich ahnte nichts von den ungeheuren Mühsalen,
+die uns noch von Ladak trennten.
+
+Alles erschien mir jetzt leicht und lustig, sogar der Regen schmetterte
+freundlich auf die Kuppel der Jurte, und der eintönige Sang der
+Nachtwache lullte mich bald in den Schlaf. Ich war froh, daß ich nicht
+mehr hinauszugehen und die Pferde zu bewachen brauchte, und ich freute
+mich, Schagdur und den Lama, halbtot vor Müdigkeit, in ihren Zelten
+schnarchen zu hören.
+
+Am folgenden Morgen konnte es keiner übers Herz bringen, mich zu
+wecken; wir kamen daher erst mittags fort. Wir ritten auf den Hügeln
+am rechten Ufer des Flusses. Die Wassermenge war jetzt ziemlich
+ansehnlich. Auf dominierenden Höhen hatten meine Leute Steinpyramiden
+errichtet, die von fern Tibetern glichen. Der Zweck der Steinmale war,
+uns bei der Rückkehr den Weg vom Lager Nr. 44 nach dem neuen zu zeigen.
+Wenn die Tibeter die Pyramiden erblickten, würden sie gewiß glauben,
+daß wir eine Heerstraße für einen Einfall bezeichnet hätten und daß
+bald eine ganze Armee unserer Spur folgen würde. In einem Nebentale
+verriet ein großer Obo, daß die Gegend nicht selten besucht wurde; wie
+gewöhnlich, war er aus einer Menge Sandsteinplatten errichtet, in die
+die Formel „Om mani padme hum“ eingemeißelt war.
+
+Wir ließen uns jetzt an derselben Stelle wie damals häuslich nieder.
+Das Gerippe des hier gefallenen Pferdes war von Wölfen vollständig
+reingefressen. Hasen und Raben kommen in der Gegend besonders häufig
+vor. Eines der letzten Schafe wurde geschlachtet. --
+
+Die Reise nach Lhasa erscheint mir jetzt wie ein Traum; hier sitze ich
+unter denselben Verhältnissen wie vor einem Monat, die Jurte steht
+auf demselben Erdringe, die Beine des Theodolitenstativs in denselben
+Löchern, der Fluß rauscht wie damals; es ist, als könnten nur ein,
+zwei Tage vergangen sein. Alle jene langen, unter Wachen und Sorge
+zugebrachten Nächte sind vergessen; es war nur eine flüchtige Episode,
+eine Parenthese im Verlaufe der Reise! --
+
+Jetzt folgten einige Tage der Ruhe, in denen meine Geduld jedoch sehr
+auf die Probe gestellt wurde. Es regnete und schneite unaufhörlich, und
+ich hatte keine Gelegenheit, alle die astronomischen Beobachtungen,
+die ich gern machen wollte, vorzunehmen. Und dann sehnte ich mich
+auch danach, wieder nach Süden aufzubrechen und bewohnte Gegenden
+aufzusuchen, wo wir die uns nötige Hilfe erhalten konnten, denn es war
+schon jetzt ersichtlich, daß unsere Tiere nicht mehr weit kommen würden.
+
+In der Nähe des Lagers wurde mir ein Platz gezeigt, wo Turdu Bai und
+Tscherdon am Tage unserer Abreise eine Gesellschaft tibetischer Jäger
+überrascht hatten. Diese Helden waren so fassungslos gewesen, daß sie
+Hals über Kopf Reißaus genommen und siebzehn Packsättel, ein Zelt und
+den ganzen Fleischvorrat, aus dem ihre Jagdbeute bestand, im Stiche
+gelassen hatten. Alles lag noch da, bis auf das Fleisch, das sich Wölfe
+und Raben zu Gemüte geführt hatten. Man kann sich die tollen Gerüchte
+denken, die in Umlauf gesetzt werden, wenn solche Flüchtlinge wieder
+bewohnte Gegenden im Süden erreichen. Sie übertreiben natürlich ihre
+Beschreibungen und behaupten, daß eine ganze Armee von Europäern ins
+Land gedrungen sei. Das hatten wir in Dschallokk ja selbst gehört.
+
+Während meiner Abwesenheit war gute Disziplin gehalten worden, aber
+nach meiner Rückkehr wurde sie noch mehr verschärft. Alle unsere
+Tiere hatten ihre Weideplätze in einem Tale, das einige Kilometer
+vom Lager entfernt war. Tschernoff ritt einmal nachts dorthin und
+fand die Wächter schlafend. Er gab einen Flintenschuß ab, durch den
+alle aufs fürchterlichste erschreckt wurden. Die Schläfer wurden
+gebührend heruntergemacht und beklagten sich am folgenden Morgen bei
+mir, doch statt daß ich mich auf ihre Seite stellte, bekamen sie ein
+neues Gesetz zu hören, das ich im Handumdrehen erließ: „Wer künftig
+auf seinem Posten schlafend angetroffen wird, wird mit einem Eimer
+kalten Wassers aufgeweckt!“ Jede Nacht sollten sechs Muselmänner, je
+zwei gleichzeitig, abwechselnd Wache halten, und die Ablösung sollte
+unter Kontrolle des diensthabenden Kosaken vor sich gehen. Die vier
+Kosaken waren also der Reihe nach für den Nachtdienst verantwortlich.
+Die Muselmänner hatten über die Tiere zu wachen und die Kosaken
+dafür zu sorgen, daß die Muselmänner ihre Pflicht taten. Infolge der
+letzten Abkanzelung wollten Mollah Schah und Hamra Kul wieder einmal
+nach Tscharchlik zurückkehren, beruhigten sich aber, nachdem sie den
+Wahnsinn eines solchen Unternehmens eingesehen hatten. Derartige
+Reibereien sind in einer großen Karawane, in der Geschmack und Meinung
+nach den christlichen, muselmännischen oder mongolischen Anschauungen
+und Lebensgewohnheiten der Betreffenden wechseln, nicht zu vermeiden.
+
+Tscherdon wurde zu meinem Leibkoch ernannt, Schagdur sollte sich eine
+Zeitlang ausruhen; der Lama war niedergeschlagen und nachdenklich und
+wurde von jeder Dienstleistung dispensiert, bis wir wieder auf Menschen
+stießen. Dem alten Muhammed Tokta, der schon lange kränklich gewesen
+war, ging es seit einer Woche schlechter; er klagte über Herzschmerzen.
+Es wurde ihm geraten, sich ganz ruhig zu halten. Im übrigen herrscht im
+Lager die beste Stimmung, und die Kosaken sind besonders zufrieden. Sie
+haben eine Balalaika, eine dreisaitige Zither, gemacht, und mit dieser,
+einer tibetischen Flöte, einer Tempelglocke, improvisierten Trommeln,
+der Spieldose und Gesang wurde am letzten Abend unter strömendem Regen
+ein wenig harmonisches Konzert aufgeführt, das jedoch großen Beifall
+fand.
+
+[Illustration: 267. Das Lazarettzelt. (S. 269.)]
+
+[Illustration: 268. Kalpets Bett auf dem Kamelrücken. (S. 269.)]
+
+[Illustration: 269. Der Leichenzug. (S. 271.)]
+
+[Illustration: 270. Der tote Kalpet auf seinem lebenden Katafalk. (S.
+271.)]
+
+
+
+
+Zwanzigstes Kapitel.
+
+Der Zug nach Süden.
+
+
+Am 25. August sollten wir endlich das Lager Nr. 44 endgültig verlassen
+und neuen Schicksalen und Erfahrungen entgegengehen. Ladak war
+jetzt unser Ziel; aber ich hatte mir fest vorgenommen, nicht eher
+die Richtung nach Westen einzuschlagen, als bis wir weiter südlich
+wieder auf unüberwindliche Hindernisse stießen. Die Tibeter waren
+jetzt wachsam, das ganze Land war wie im Belagerungszustand, eine
+Mobilmachung hatte bereits stattgefunden, das wußten wir, und wir
+konnten uns sehr leicht ausrechnen, daß wir früher oder später wieder
+tibetischen Truppen von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen würden.
+Für den Anfang zogen wir jetzt also nach Süden.
+
+Merkwürdigerweise erkrankten über Nacht drei von unseren Pferden, aber
+nicht von denen, die die Reise nach Lhasa mitgemacht hatten. Das eine
+taumelte und fiel unaufhörlich, das andere verendete schon im Lager,
+und das dritte kam nur noch über den ersten Paß des Tagemarsches, ehe
+es stürzte, um sich nie wieder zu erheben. Es war ein trauriger Anfang
+und zeigte deutlich, daß wir früher oder später auf die Hilfe der
+Tibeter angewiesen sein würden.
+
+Als ich geweckt wurde, schneite es stark, und als wir aufbrachen, goß
+es wie mit Scheffeln. Die ganze Gegend sieht aus wie mit Straßenkot
+begossen, in den man einsinkt, ohne festen Fuß fassen zu können. Zuerst
+wurde der Fluß überschritten, dann zogen wir durch den Schlamm nach
+einem kleinen Passe hinauf. Mehrere Reiter mußten nach verschiedenen
+Richtungen ausgesandt werden, um zu untersuchen, ob der Boden trug.
+Über einen neuen Fluß schreiten wir unglaublich langsam nach einem
+höheren Passe hinauf. Hier müssen alle zu Fuß gehen, auf die Gefahr
+hin, daß ihre Stiefeln im Morast steckenbleiben. Die armen Kamele
+zerreißen, da sie fest einsinken und der Karawane nicht folgen können,
+unaufhörlich ihre Nasenstricke. Wären unserer nicht soviele gewesen, so
+hätten wir diejenigen Kamele, die bis zur Hälfte in dem losen nassen
+Tonschlamme, der sie zäh festhielt, eingesunken waren, ganz einfach
+im Stiche lassen müssen. Die Last muß ihnen sofort abgenommen und
+auf einigermaßen festen Boden gestellt werden, damit nicht auch sie
+verschwindet. Der Tonschlamm wird mit Spaten abgegraben, das Kamel
+auf die Seite gelegt, seine Beine mit Seilen herausgewunden und eine
+mehrfach übereinandergelegte Filzdecke unter das Tier gebreitet, damit
+seine Füße festen Halt finden, wenn es sich endlich selbst aufzustehen
+bemüht. Sonst sind die Kamele verloren, denn sie bleiben ruhig liegen,
+bis man sie herauszieht. Währenddessen gießt es, daß es auf der Erde
+klatscht. Alles wird aufgeweicht und durch und durch naß, als sollten
+diese Höhen fortgespült werden.
+
+Jenseits des Passes wurde das Terrain ein wenig besser; die Südabhänge
+sind infolge der Einwirkung der hier jedoch äußerst selten auftretenden
+Sonne gewöhnlich vorteilhafter für uns. Am rechten Ufer eines Flusses
+hatte die Karawane während unserer Abwesenheit einige Tage zugebracht,
+und da dort noch ein großer Argolhaufen lag, machten wir an dieser
+Stelle Halt.
+
+Am folgenden Tag waren sowohl das Wetter wie auch die Wegverhältnisse
+günstiger, aber das Land ist fast unfruchtbar und arm an Wild. Nur ein
+einsamer Kulan zeigte sich und wurde von Sirkin erlegt. Gewöhnlich
+schreibt die Gestalt des Bodens uns die Richtung unseres Weges vor,
+und da jener nach Südsüdwesten hin am ebensten aussah, zogen wir nach
+dieser Seite. Ungefähr 40 Kilometer westlich von unserer Route erhob
+sich ein kleines Schneemassiv mit rudimentären Gletschern; es setzte
+sich im Süden in einer merkwürdigerweise meridionalen Bergkette mit
+vereinzelten Schneegipfeln fort.
+
+Tschernoff hatte vor einiger Zeit die Gegend rekognosziert und teilte
+mir jetzt mit, daß er an einer etwas weiter südlich gelegenen Quelle
+deutliche Kamelspuren gesehen habe. Als wir am 27. August dort
+vorbeizogen, zeigte er mir den Platz, und richtig hatten dort Kamele in
+großer Zahl geweidet. Woher sie gekommen waren und was für Menschen sie
+gehört hatten, war und blieb uns ein Rätsel. Sollten sie am Ende einer
+mongolischen Pilgerkarawane, die sich von Nordosten hierher verirrt
+hatte, gehört haben?
+
+Denselben Tag mußten wir auch Bowers Route gekreuzt haben, obwohl es
+nicht möglich war, die Stelle, wo dies geschah, zu identifizieren.
+Im Süden erhob sich vor uns eine neue Bergkette, aber wir waren
+nur imstande, bis an ihren Fuß zu gelangen, wo das Lager Nr. 67
+aufgeschlagen wurde. Der Herbst hatte seinen Einzug gehalten, das
+Minimumthermometer zeigte -5,1 Grad, und am Tage hatten wir nicht mehr
+als +7,9 Grad.
+
+Als ich am 28. aufstand und mit dem Beladen der Tiere schon angefangen
+war, wurde mir gemeldet, daß Kalpet, ein Mann aus Kerija, fehle. Ich
+verhörte die Leute, die aussagten, daß er gestern über Brustschmerzen
+geklagt habe und auf dem Marsche zurückgeblieben sei. Sie seien
+jedoch der Meinung gewesen, daß er langsam unseren Spuren folge und
+in der Dunkelheit, ohne daß jemand darauf geachtet habe, im Lager
+angekommen sein werde. Nun fehle er aber noch immer. Ich ließ die Tiere
+weitergrasen und schickte Tschernoff und Turdu Bai zu Pferd mit einem
+Maulesel ab, um den Mann lebendig oder tot herbeizuschaffen, -- er
+konnte ja unterwegs plötzlich erkrankt sein und mußte sich jedenfalls
+in einer schlimmen Lage befinden, da er uns nicht nachgekommen war und
+einen ganzen Tag nichts zu essen bekommen hatte. Nach einigen Stunden
+kamen sie mit dem armen Menschen an, der aufs beste verpflegt wurde und
+auf einem Maulesel reiten durfte, als wir endlich, bedeutend verspätet,
+aufbrachen.
+
+Obgleich der Boden tragfähig war, wurde der Tagemarsch doch ziemlich
+anstrengend, denn wir mußten über eine ganze Reihe von Pässen und
+Kämmen.
+
+Mit zwei Kamelen geht es jetzt zu Ende; sie können nicht mehr
+mitkommen; sie müssen später geholt werden und sind natürlich stets
+unbeladen. Große Ordnung herrscht in der Karawane. Der diensttuende
+Kosak bringt die Nacht auf dem Platze zu, wo die Tiere unter Aufsicht
+ihrer Wächter, die man aus der Ferne singen hört, grasen. Heute abend
+begab sich Schagdur dorthin, nachdem er in der Jurte der Kosaken zu
+Abend gegessen hatte, und die Töne der Balalaika verhallten am Fuße
+der Hügel. Die drei übrigen Kosaken, die den Erzählungen Schagdurs
+und des Lamas mit gespanntem Interesse gelauscht hatten, sehnten sich
+jetzt danach, mit den Tibetern in Berührung zu treten. Sie sahen mich
+verwundert und fragend an, als ich ihnen sagte, daß unsere Karawane
+früher oder später in ihrem Marsche von einer unüberwindlichen
+Heerschar aufgehalten werden würde.
+
+Dieser Lagerplatz, Nr. 68, befand sich in einer Höhe von 5068 Meter.
+Schon um 9 Uhr abends war die Temperatur auf -1,9 Grad gesunken und
+hielt sich während der Nacht auf -6,2 Grad. Auch diese Tagereise führte
+über drei kleine, aber recht beschwerliche Pässe; die Bergketten
+erstrecken sich jetzt wieder von Westen nach Osten, und alle Täler
+fallen nach Süden ab. Eine vierte Kette brauchten wir nicht zu
+übersteigen, da sie von einem Flusse durchbrochen wurde, dem wir
+folgten.
+
+Alte Lagerplätze sind jetzt ziemlich häufig und lassen sich teils an
+den gewöhnlichen drei Steinen, auf die der Kochtopf gestellt wird,
+teils an Schädeln von erlegten Yaken und Archaris erkennen. Bei
+einem solchen Platze lud die Weide zu einem Extrarasttage ein. Eine
+Herde von 50 Kulanen zog sich bei unserem Herannahen zurück. Yake und
+Wildschafe sind gleichfalls zahlreich vertreten, ebenso Hasen. Ein
+Lampe wurde eifrig von allen sieben Hunden verfolgt und von Jolldasch
+gefangen. Jollbars strengt sich nicht weiter an, bevor die Beute nicht
+eingefangen ist; dann erst tritt er auf und hält einen gehörigen
+Schmaus.
+
+Der Rasttag war in jeder Beziehung herrlich, das Wetter gut; der
+Rauch stieg manchmal senkrecht von den Lagerfeuern auf, und unsere
+erschöpften Tiere schwelgten in dem guten Grase. In der Nähe fanden
+wir noch mehrere alte Lagerplätze, und aus dem Schafmiste ließ sich
+schließen, daß die Gegend nicht nur von Jägern, sondern auch von
+Nomaden aufgesucht wird. Wir konnten also jeden Augenblick auf Menschen
+stoßen, und bei denen, die noch keine Tibeter gesehen hatten, wurde die
+Neugier immer größer.
+
+Schagdur und Turdu Bai rekognoszierten in östlicher Richtung und
+fanden dort eine ganze Reihe „Iles“ oder Male, die aus Steinen,
+oder wo Gestein fehlte, aus Erdschollen errichtet waren. Die Reihe
+erstreckte sich weit nach Süden, und die Male standen so dicht, daß
+sie, nach Schagdurs Annahme, wahrscheinlich die Grenzlinie einer
+Provinz bezeichneten, um so mehr, als von einem Wege dort keine Spur zu
+entdecken war. Sirkin schoß einen „Kökkmek“-Bock, der photographiert
+wurde (Abb. 260). Schagdur ebenfalls einen. Letzterer und eine hübsche
+kleine „Jure“ (~Antilope Cuvieri~) wurden von den Kosaken abends
+vermittelst einiger Pflöcke und Schnüre in der natürlichen Stellung,
+die sie während des Laufens einnehmen, aufgestellt. Am Morgen waren sie
+steif gefroren und konnten allein stehen wie Turnpferde. Es geschah,
+damit ich die Tiere photographieren konnte (Abb. 261).
+
+31. August. Es ist nicht angenehm, aus seinem süßesten Morgenschlafe
+aufgeweckt zu werden; doch ist man erst angekleidet und in Ordnung,
+so geht alles seinen ruhigen Gang, und der Tag verläuft ebenso wie
+seine Vorgänger. Wir hatten jetzt ein viel gastfreundlicheres Land als
+bisher erreicht; der Boden ist fest, das Terrain senkt sich, und wir
+brauchten keine Pässe zu forcieren. Auch der Himmel war uns hold, die
+Temperatur stieg auf +18,2 Grad. Südwestlich von unserem Wege zeigte
+sich ein kleiner Salzsee, der der Sammelplatz aller Wasserläufe der
+Gegend war. Am Ufer saßen einige gewaltige Adler. Ihre Jungen, die eben
+flügge waren, wurden von den Hunden angegriffen, verteidigten sich aber
+so tapfer mit Schnabel und Krallen, daß die Angreifer sich zurückziehen
+mußten.
+
+Am 1. September überschritten wir in einem 4855 Meter hohen Passe
+die nächste Kette, die ganz und gar aus weichem Material bestand
+und abgerundete Formen hatte. Vom Passe hatte man nach Süden eine
+außerordentlich weite Aussicht. In der Ferne ließ allerdings ein
+schwaches Dunkel einen Kamm ahnen, sonst aber schienen wir ein paar
+gute Tagereisen ebenen Terrains vor uns zu haben. Der Boden schimmerte
+stärker grün als bisher, dessenungeachtet waren aber keine Nomaden zu
+sehen; die Lagerstellen, an denen wir vorbeikamen, waren alle ziemlich
+alt. Obgleich wir nur 20 Kilometer zurückgelegt hatten, blieben wir
+daher bei dem ersten Bette, welches Wasser führte.
+
+Gegen 4 Uhr gab es im Lager eine Aufregung. Ein Haufe schwarzer
+Punkte, die für weiter südlich weidende wilde Yake gehalten worden
+waren, wurden durch das Fernglas als Pferde erkannt. Der Lama und die
+Kosaken, außer dem diensthabenden, ritten dorthin. Ersterer kam jedoch
+bald wieder und führte sein Pferd, das krank geworden war, am Zügel.
+Die Pferde waren fett und kräftig, aber scheu gewesen. Wächter hatten
+sich nicht gezeigt, und nichts deutete an, daß solche beim Herannahen
+der Reiter entflohen sein könnten. Für die Besitzer selbst schien die
+Gegend sicher zu sein, während es für uns nicht angegangen wäre, die
+Tiere ohne Aufsicht zu lassen. Der Ausflug hatte das Gute, daß noch
+besseres Weideland entdeckt wurde, wohin wir unsere Tiere trieben und
+wo wir ihnen um so eher einen Ruhetag gönnen konnten, als Almas mit den
+beiden kranken Kamelen noch nichts von sich hatte hören lassen.
+
+Frühmorgens machten sich der Lama, Schagdur und Sirkin auf die Suche
+nach Tibetern, und wir konnten voraussehen, daß sie Erfolg haben
+würden, denn auf den Hügeln im Süden zeigten sich wohl 1000 Schafe und
+eine Yakherde.
+
+Gegen Abend kam der Lama mit einer Domba Milch zurück, und in der
+Ferne erschienen die Kosaken, drei Tibeter, die ihre Pferde und ein
+Schaf führten, buchstäblich vor sich hintreibend. Sie hatten ein Zelt
+mit 13 Bewohnern gefunden. Beim Herannahen der Reiter war die ganze
+Gesellschaft nach verschiedenen Seiten hin entflohen; da ihre Pferde
+jedoch nicht bei der Hand gewesen waren, hatten unsere Leute sie
+leicht einholen und nach dem Zelte zurücktreiben können. Erschreckt
+wie sie waren, waren sie wenig mitteilsam, und die Auskünfte, die sie
+erteilten, waren nicht viel wert.
+
+Sie sagten, daß die Gegend +Dschansung+ heiße und ihr „Bombo“, der an
+dem großen See Selling-tso wohne, ihnen den Hals abschneiden würde,
+wenn sie uns Lebensmittel verkauften. Sie weigerten sich auch ganz
+bestimmt, dies zu tun. Nachdem aber Schagdur, der die Tibeter haßte,
+seitdem sie uns den Weg nach Lhasa versperrt hatten, einen der Männer
+mit seiner Reitpeitsche traktiert hatte, ließen sie mit sich reden und
+gaben eine Schüssel Milch und ein Schaf her. Sie hatten sich erst ganz
+kürzlich in der Gegend niedergelassen, so daß sie noch keine Zeit zur
+Bereitung saurer Milch gehabt hatten; das noch frische, unberührte Gras
+um ihr Zelt herum sprach für die Wahrheit dieser Aussage.
+
+„Wohin reist ihr denn?“ fragte einer von ihnen.
+
+„Nach Ladak“, antwortete der Lama.
+
+„Dann seid ihr auf ganz verkehrtem Wege; nach Süden hin könnt ihr
+nur noch eine Tagereise weit kommen, denn dort wird der Weg vom
+Selling-tso, wo die Bevölkerung zahlreich ist, versperrt.“
+
+Sie selbst waren Bantsching Bogdo in Taschi-lumpo untertan, wußten aber
+nicht, wie viele Tagereisen es bis zu ihrem Tempel sei. Im Südosten
+regiere der Dalai-Lama über das Gebiet von Lhasa, im Osten Kamba Bombo
+über das von Nakktschu.
+
+Mit sichtbarer Furcht näherten sie sich unserem Lager und wurden
+aufgefordert, sich vor der einen Jurte auf einen Teppich zu setzen
+(Abb. 262). Tee und Brot wurden ihnen vorgesetzt; nach einigem Zögern
+langten sie tüchtig zu. Für das Schaf, das sofort unter muselmännischen
+Zeremonien geschlachtet wurde, bezahlten wir sie mit Lhasageld, für
+die Milch erhielten sie eine Porzellantasse. Pferde konnten sie nicht
+verkaufen, weil die Herde ihnen nicht gehörte. Sie saßen die ganze
+Zeit wie auf Kohlen, obwohl der Lama sie zu beruhigen suchte und
+versicherte, daß ihnen kein Leid geschehen solle.
+
+Als wir genug von ihnen hatten, ließen wir sie gehen, und sie schwangen
+sich sofort in den Sattel. Inzwischen war der photographische Apparat
+aufgestellt worden, und der Lama hielt sie, den Zügel des einen Pferdes
+ergreifend, diplomatisch mit einer letzten Frage fest, so daß ich diese
+drei halbwilden, barhäuptigen, mit Säbeln bewaffneten Reiter noch
+abknipsen konnte, die nun auf der Abbildung 263 verewigt sind.
+
+Sobald er aber den Zügel losgelassen hatte, schwenkten sie herum und
+jagten spornstreichs davon, wobei sie sich umsahen, als glaubten sie,
+daß ihnen eine Flintenkugel folgen würde. Als sie außer Schußweite
+waren, ritten sie langsamer und sprachen eifrig miteinander; gewiß
+fragten sie sich, was wir wohl für seltsame Menschen sein könnten, da
+wir ihnen gegenüber so anständig gewesen seien.
+
+Am 3. September legten wir 29 Kilometer in südsüdwestlicher Richtung
+zurück, auf flachem, offenem, gleichmäßig ebenem Lande, das reich an
+Tümpeln und kleinen Seen war und oft ganz vorzügliches Gras aufzuweisen
+hatte. Keine Hindernisse stellten sich uns in den Weg, und ich nahm
+als selbstverständlich an, daß der Selling-tso jetzt zwischen uns und
+den niedrigen Bergen, die sich im Süden nur undeutlich erkennen ließen,
+liegen müsse. Wir blieben beisammen, und die kranken Kamele folgten
+standhaft der Karawane. Hier und dort sahen wir große Schafherden mit
+ihren Wächtern, aber ohne Hunde. Letztere gab es nur bei den Zelten.
+Aus einem Zelte holten der Lama und Schagdur eine Domba sauere Milch.
+Nach und nach werden die schwarzen Nomadenzelte immer zahlreicher (Abb.
+265) und bilden bisweilen sogar Dörfer. In einem solchen Dorfe machten
+die Kosaken einen Besuch, und als sie es verließen, folgte ihnen ein
+Pferd, das besonders munter erschien. Sein Besitzer, ein anderer Mann,
+ein altes Weib, zwei junge Mädchen und ein Junge liefen mit einem
+Stricke hinterdrein, um es einzufangen. Doch der Gaul zog es vor, sich
+ganz zu uns zu gesellen, und wir mußten den Tibetern schließlich wieder
+zu ihrem Eigentum verhelfen.
+
+Die jungen Mädchen hatten ihr Haar in zahllose kleine Zöpfe geflochten,
+die vom Scheitel wie Radien auf den Rücken und nach den Seiten
+herunterhingen und unten der Reihe nach an einen Streifen roten, mit
+allerlei Zierraten besetzten Zeuges befestigt waren (Abb. 264). Von
+der Mitte dieses Streifens hing ein breites, buntes, gesticktes Band
+den Rücken herab. Im übrigen waren sie barhäuptig und trugen gleich
+den Männern Pelze und Stiefeln. Wo die natürlichen Rosen der Wangen
+ihren Platz hätten haben müssen, hatten sie die Haut mit irgendeiner
+rotbraunen Farbe eingeschmiert und hierdurch ein Paar glänzender,
+dicker Firniskrusten zustande gebracht. Einigen von ihren schwarzen
+Yaken wurde von unseren Hunden sehr zugesetzt. Die Tiere waren jedoch
+so klug, sich in die Mitte eines Tümpels zu flüchten, und blieben erst
+stehen, als ihnen das Wasser bis an den Unterkiefer ging, während die
+Hunde sie schwimmend umschwärmten. Nun hatten die Yake nur den Kopf zu
+verteidigen, und an diesem saßen die achtunggebietenden Hörner. Diese
+improvisierte Wasserpantomime rief in der Karawane große Heiterkeit
+hervor.
+
+Schon frühmorgens waren sechs Soldaten mit weißen Hüten und Gewehren
+wie aus dem Erdboden aufgetaucht und uns auf unserer linken Seite, aber
+in gebührender Entfernung gefolgt. Jetzt zeigte sich rechts von uns
+eine neue Schar von sieben Mann. Die erste Truppe ritt auf einem großen
+Umwege weit hinter uns zu der letzteren hinüber, und nun umkreisten
+sie die Karawane, bald vorn, bald hinten, bald rechts, bald links,
+zuweilen langsam, zuweilen im Galopp, und führten eine Art Kampfübungen
+auf, die, wie ich vermute, uns Schrecken einjagen sollten. Da es ihnen
+nicht gelang, uns zu imponieren, und wir ruhig unseren Weg nach Süden
+fortsetzten, näherten sie sich von hinten bis auf ein paar hundert
+Meter Entfernung und redeten unter lebhaftem Gestikulieren mit dem Lama
+und Schagdur, die zurückgeblieben waren. Bei einem der Zelte saßen sie
+ab und gingen hinein.
+
+Inzwischen gelangten wir an das Ufer eines gewaltigen Flusses, der von
+Osten kommt und in dem ich bald den +Satschu-sangpo+ wiedererkannte.
+Jetzt war die Frage, ob es uns gelingen würde, dieses gewaltige Bett zu
+passieren. Die Kosaken sollten, während wir am Ufer warteten, eine Furt
+suchen. Da, wo wir Halt gemacht hatten, teilte eine Schlamminsel den
+Fluß in zwei Arme; hier probierte es Ördek nackt mit dem Durchwaten. In
+dem ersten Arme stieg ihm das Wasser bis an den Hals, in dem zweiten
+nur bis an die Achselhöhlen. Als er umkehrte, versuchte er es an einer
+anderen Stelle, wo er aber schwimmen mußte. Hier war das Überführen
+der Kamele also unmöglich, um so mehr, als der Boden aus tückischem
+Schlamme bestand.
+
+Unterdessen waren die Tibeter auch angelangt und auf einen Hügel am
+Ufer geritten, wo sie mit lautem Geschrei einen Obo begrüßten und von
+wo aus sie unsere verzweifelten Versuche, hinüberzukommen, mit größtem
+Interesse beobachteten. Es lag natürlich nicht in ihrem Interesse, uns
+Auskunft zu erteilen, und wir fragten sie auch nicht um Rat.
+
+Nach einem kurzen Marsche flußabwärts kommandierte ich Halt und ließ
+das Lager aufschlagen. Das Boot wurde zusammengesetzt, und mit Ördek
+als Ruderer maß ich die Tiefen. An einer geeigneten Stelle wollten wir
+am folgenden Morgen hinübergehen. Die Kamele sollten unbeladen und ohne
+Packsättel hinüberwaten und sämtliches Gepäck mit dem Boote befördert
+werden. Ein mehrfaches Seil wurde quer über den Fluß gespannt. Die
+Tibeter saßen jetzt unterhalb des Lagers, waren mäuschenstill und
+augenscheinlich über das Rätsel betroffen, wie wir ein ganzes Boot
+hatten hervorzaubern können. Wir beabsichtigten anfangs, den Übergang
+in stiller, dunkler Nacht zu bewerkstelligen und am nächsten Morgen
+verschwunden zu sein, doch daraus wurde nichts, weil wir fürchteten,
+daß die Kamele sich erkälten könnten. Am Abend beschloß ich, überhaupt
+nicht über den Fluß zu gehen, sondern seinem rechten Ufer bis zu seiner
+Mündung in den Selling-tso zu folgen und darauf am Westufer des Sees
+entlang zu ziehen, weil Littledale schon längs des östlichen gegangen
+war.
+
+Der Abend war still und klar, und die Stille wurde nur durch das
+Rauschen des Flusses, die Töne der Balalaika und das Bellen der Hunde
+in den Zelthöfen der Tibeter unterbrochen.
+
+Die ganze Nacht blieben die Tibeter auf einem Hügel nordöstlich vom
+Lager liegen, wo auch ihr Wachtfeuer brannte.
+
+[Illustration: 271. Kalpets Grab. (S. 271.)]
+
+[Illustration: 272. Hladsche Tsering, das Mitglied des Heiligen Rates,
+seine Pfeife rauchend. (S. 278.)]
+
+Während wir am Morgen darauf mit einer Flußmessung beschäftigt
+waren, die 68 Kubikmeter in der Sekunde ergab, langte der Häuptling
+der Gegend mit einigen Soldaten an, ließ sich bei dem Lama nieder
+und betrachtete unser Tun mit grenzenloser Verwunderung. Er bat
+um genaue Auskunft über unsere Absichten und erklärte, falls wir
+geraden Weges nach Ladak ziehen wollten, werde er uns Führer für zehn
+Tagereisen besorgen und uns Pferde, Schafe und alles, was wir sonst
+noch brauchten, verkaufen; sei es aber unsere Absicht, nach Lhasa zu
+gehen, so müsse er erst einen Kurier dorthin senden und wir hätten die
+Antwort abzuwarten, die vielleicht erst in einem Monat käme. Gingen
+wir ohne weiteres nach Lhasa, so werde er den Nomaden in der Gegend
+verbieten, uns überhaupt etwas zu verkaufen, und er werde mit seinen
+Soldaten alles tun, um unser Vordringen zu hindern. Täte er dies nicht,
+so würden sowohl er wie seine Leute den Kopf verlieren. Als ich sagte,
+da würde ihnen recht geschehen, bemerkte er lachend, für uns wäre das
+freilich vorteilhaft, für sie selbst aber sehr unangenehm. Schließlich
+teilte ich ihm mit, daß wir weder ihn noch seinen Führer brauchten, da
+wir selbst wüßten, wohin wir zu ziehen gedächten.
+
+„Ja“, antwortete er unerschrocken, „ihr könnt uns das Leben nehmen,
+aber solange wir es noch besitzen, werden wir versuchen, euer
+Vordringen nach Süden zu verhindern.“
+
+Die Kamele wurden eingetrieben, und die Karawane hatte Befehl, so
+nahe wie möglich längs des rechten Flußufers zu marschieren, während
+ich und Ördek das Boot bestiegen, um uns von der Strömung nach Westen
+treiben zu lassen. Mein Sitzplatz war außerordentlich bequem von Kissen
+und Decken hergestellt, und der Sicherheit halber hatten wir Proviant
+mitgenommen. Es wurde eine jener unvergeßlichen, herrlichen Fahrten wie
+vor zwei Jahren auf der Fähre; ich saß in schönster Ruhe und ließ die
+Landschaft an mir vorüberziehen.
+
+Gerade unterhalb des Lagers machte der Fluß eine scharfe Biegung, so
+daß wir eine Weile sogar nach Ostnordost trieben. Der Wachthügel der
+Tibeter bestand aus Konglomerat und rotem und grünem Sandstein und
+fiel gerade in der Biegung, wo der Fluß schmal war, steil ins Wasser
+hinunter. Die Strömung war dort ziemlich stark, und als das Boot
+unmittelbar unter der steilen Wand hinstrich, stimmten die Tibeter ein
+wildes Geheul an; man konnte befürchten, daß sie uns mit einem Regen
+von Sandsteinblöcken bombardieren würden. Wir atmeten daher erleichtert
+auf, als wir unverletzt an ihnen vorbeigekommen waren.
+
+Nachher geht der Fluß nirgends durch anstehendes Gestein und wird
+ziemlich gerade. Er wird von 4-5 Meter hohen Uferterrassen von Lehm
+eingefaßt, und das Land wird immer flacher und öder. Das Bett
+verbreitert sich immer mehr und wird immer reicher an Schlamminseln,
+die die Wassermasse in mehrere Arme teilen. Ördek half mit dem Ruder,
+und wir trieben in schwindelnder Fahrt den Satschu-sangpo hinunter;
+es war herrlich, aber wie selten kommt es vor, daß ein großer Fluß so
+liebenswürdig ist, gerade in der Richtung unseres Weges zu strömen!
+
+Seine trübe Flut schwenkt dann nach Südwesten ab. Rechts haben wir eine
+kleinere Bergkette, in deren Tälern mehrere von Schaf- und Yakherden
+umgebene Zelte liegen. Der hohe Uferwall entzog die Karawane unseren
+Blicken, aber Tschernoff, der uns zu Pferde begleitete, hielt die
+Verbindung zwischen uns und ihr aufrecht. Am Nachmittag wurde das
+Wetter ungünstig, denn es erhob sich ein so starker Südwestwind, daß
+der Fluß Wellen schlug und die Fahrt gehindert wurde. Ganze Wolken von
+Sand und Staub wehten uns entgegen. Wir hatten jedoch einen so großen
+Vorsprung, daß wir ein paarmal auf die Karawane, die noch immer von den
+Tibetern verfolgt wurde, warten mußten. An dem letzten Punkte, wo Gras
+zu sehen war, machten wir am rechten Ufer Halt, und hier ließen sich
+auch die Tibeter nieder.
+
+Jetzt, da sie nicht über Pässe zu gehen brauchten, hielten sich die
+kranken Kamele noch immer aufrecht. Muhammed Tokta war erschöpft und
+schien ein Herzleiden zu haben. Mit Kalpet war es noch ebenso, er war
+still und wortkarg und hatte keine Freunde unter den anderen, die auch
+behaupteten, daß er gar nicht krank sei, sondern sich nur verstelle,
+damit er immer reiten dürfe und nicht zu arbeiten brauche. Einer der
+Kameraden schlug ihn sogar deshalb, weil die anderen nun die Arbeit
+übernehmen sollten, die er bisher getan hatte. Ich wußte nicht, was ich
+glauben sollte, aber merkwürdig kam mir die Sache vor, denn der Mann
+hatte einen riesigen Appetit. Glücklicherweise machte ich ihm keine
+Vorwürfe, sondern bat nur Tschernoff, ihn zu beobachten. Ich würde es
+später sehr bereut haben, wenn ich unfreundlich gegen ihn gewesen wäre,
+denn er war wirklich krank, und unter den anderen war keiner, der seine
+Partei nahm.
+
+Am Morgen des 5. September sah es drohend aus, aber der Tag wurde klar;
+leider hatten wir schon von Mittag an starken Gegenwind, doch die Luft
+wurde immer reiner, und man konnte merken, daß der Wind über einen
+gewaltigen See hingestrichen war und nicht aus der Steppe stammte.
+Über mehreren Sandsteinschwellen bildeten sich Stromschnellen, die wir
+jedoch mit Leichtigkeit passieren konnten. Der Satschu-sangpo ist hier
+eng und eingeklemmt. Zahllose Schluchten münden wie enge Korridore und
+Gänge auf beiden Seiten des Flusses. Man merkt deutlich, daß der See
+einst viel größer gewesen sein muß und daß der Fluß jetzt die alten
+Sedimente des Sees durchfließt. Die Höhe der Uferterrassen beträgt 6,7
+Meter, und sie sind oft senkrecht.
+
+Nach einer scharfen, zeitraubenden Biegung nach Nordosten strömt der
+Fluß beinahe schnurgerade nach Süden. Nur ein paar Schlammhalbinseln
+sind vorhanden. Die Terrassen sind bis 8 Meter hoch, werden aber in
+demselben Verhältnisse niedriger, wie sich die Breite des Bettes von
+100 Meter auf 400 Meter vergrößert. Der Wind weht gerade in diesen
+eigentümlichen Abflußkanal hinein. Die Jolle stampft fühlbar, und die
+Fahrgeschwindigkeit ist unbedeutend, obgleich Ördek mit dem Ruder
+unverdrossen arbeitet. Fern im Süden verschwinden die markierten Linien
+der Terrassen, eine grenzenlose Perspektive öffnet sich großartig und
+bezaubernd. Die Breite beträgt jetzt wohl 500 Meter und die Tiefe
+ziemlich gleichmäßig etwa 1 Meter; die Terrassen werden noch niedriger
+und sind schließlich nur 1 Meter und noch weniger hoch. Weit konnte es
+nach dem Selling-tso nicht mehr sein, wie weit aber, war unmöglich zu
+bestimmen, denn die Luftspiegelung über den Wasserflächen erlaubte uns
+kein Urteil. Nur die am Ostufer des Sees liegende Bergkette zeichnete
+sich deutlich ab, aber sie schien über dem Boden zu schweben und
+auf einer Luftschicht zu ruhen, die auf verwirrende Art spielte und
+zitterte. Ebenso ist es mit den Kamelen, die zwei Kilometer westlich
+von uns marschieren; sie scheinen auf langen, schmalen Stelzen zu
+gehen, und die ganze Karawane schwebt gleichsam in der Luft.
+
+Nun aber öffnet sich der Fluß trompetenförmig zu einem großartigen
+Ästuarium; die Breite vergrößert sich auf 1 und 2 Kilometer,
+schließlich verschwinden auf beiden Seiten die Ufer, und vor uns
+dehnt sich die gewaltige, blaugrüne Fläche des +Selling-tso+ aus. Die
+Flußterrasse hatte ebenfalls von 1 Meter bis 10 Zentimeter an Höhe
+abgenommen, und schließlich lag der Schlamm mit dem Wasserspiegel in
+gleicher Höhe. Noch fuhren wir jedoch auf Flußwasser, das im Gegensatz
+zu dem herrlichen, frischen und sicherlich salzigen Wasser dort draußen
+grau und trübe aussah. Zunächst war der See so flach, daß wir einen
+weiten Umweg machen mußten, um an das nordwestliche Ufer gelangen zu
+können, wo einige der Unseren mit Pferden warteten, um uns und das
+Boot nach dem Lager zu befördern. Der Südwind war jetzt so frisch,
+daß der See sich mit Schaumköpfen bedeckte, und wir hielten es für
+geraten, Schuhe und Strümpfe auszuziehen und das Boot in eine Bucht
+hineinzuschleppen. Eine Stunde später waren wir wohlbehalten in dem
+neuen Lager, in dessen Nähe drei tibetische Zelte aufgeschlagen waren.
+
+Die Karawane hatte ebenfalls einen guten Tag gehabt, obwohl die Tibeter
+sich mausig gemacht hatten. Bei zwei Gelegenheiten waren die Kosaken
+nach in der Nähe liegenden Zelten geritten, um Proviant zu kaufen,
+sofort aber waren die Späher ihnen zuvorgekommen und hatten jeglichen
+Handel untersagt. Die Kosaken waren einer Karawane von 200 Schafen
+mit Salzlasten begegnet und hatten auch mit den Besitzern verhandelt.
+Sogleich war der Anführer erschienen und hatte in gebieterischem Ton
+mit seinen Landsleuten gesprochen, was zur Folge hatte, daß diese
+durchaus nicht zu bewegen gewesen waren, etwas zu verkaufen. Die
+Kosaken, die von Natur hitziger waren als ich, ließen darauf den
+Tibetern durch den Lama sagen, daß sie sich, wenn sie uns nur folgten,
+um uns am Kaufen von Lebensmitteln zu verhindern, künftig gefälligst
+außer Schußweite halten möchten, denn sonst würden sie augenblicklich
+niedergeschossen werden. Da verschwanden sie denn auch spurlos für den
+Rest des Tages. Dank diesem Manöver konnte die Karawane ungehindert
+nach den drei Zelten gelangen, wo sie freundlich von den zwölf
+Bewohnern empfangen wurde, welche sehr entgegenkommend waren und gern
+ein Schaf, Milch, Butter und Fett verkauften. Sie hatten noch keinen
+Befehl von dem hartherzigen Häuptlinge erhalten, der uns aus dem Lande
+hinaushungern zu können glaubte. Als sie uns nachher besuchten, wurden
+sie mit Tee, Brot und Tabak bewirtet, erhielten kleine Geschenke, wie
+einige Messer, einen Kompaß und ein paar Stücke Zeug, und sie waren
+über die Maßen entzückt. Ihre Gegend nannten sie +Schannig-nagbo+ (die
+schwarze Mütze).
+
+Während des Rasttages herrschte heftiger Wind, Gewitter und Hagel.
+Ich hielt es für klug, nun, da sich die Gelegenheit bot, noch einige
+Schafe zu kaufen und den Proviant zu vermehren. Dies geschah noch im
+letzten Augenblick, denn schon um 9 Uhr langte eine Reiterschar von
+etwas über 50 Mann an; sie schlugen ein paar Kilometer von uns zwei
+Zelte mit blauweißen Dächern auf. Erst gegen 1 Uhr ließen sie etwas von
+sich hören und unterhandelten auf neutralem Gebiete zwischen beiden
+Lagern mit dem Lama. Auf ihre Botschaft ließ ich antworten, daß ich,
+wenn es ihrem vornehmsten Anführer nicht beliebe, sich persönlich
+bei mir einzustellen, überhaupt nicht mit ihnen unterhandeln würde.
+Er kam auch, von zehn mit Säbeln bewaffneten Leuten begleitet. Nur
+mit Schwierigkeit konnten wir sie dazu bewegen, in das Küchenzelt
+einzutreten, wo auf einem Sessel Tee, Brot und Tabak aufgetragen waren,
+doch sie rührten die Bewirtung nicht an, -- sie dachten wohl, daß sie
+von Menschen, die ohne Erlaubnis im Lande umherzogen, schicklicherweise
+nichts annehmen dürften.
+
+[Illustration: 273. Die Gouverneure Hladsche Tsering und Junduk
+Tsering. (S. 279.)]
+
+[Illustration: 274. Hladsche Tsering und Junduk Tsering. (S. 279.)]
+
+[Illustration: 275. Blick nach Westen am Strande des Tschargut-tso. (S.
+289.)]
+
+Nun entspann sich die gewöhnliche zwecklose Unterhandlung. Der alte
+Häuptling, der übrigens ein sehr netter, liebenswürdiger Herr von
+angenehmem Äußern und aufrichtig in seiner Rede war, bat, als alles
+nichts half, wir möchten doch wenigstens noch vier Tage hierbleiben,
+während er Kuriere nach Lhasa senden und die Antwort des Dewaschung
+oder „Heiligen Rates“ in jener Stadt erwarten wolle. Ich sagte ihm, wir
+hätten keine Zeit dazu und gedächten morgen südwärts weiterzuziehen.
+
+„Dann folgen wir euch, und wir werden euch schon daran verhindern, nach
+Lhasa zu gehen; wir erhalten bald Verstärkung.“
+
+„Wenn ihr uns daran verhindern wollt“, antwortete ich, „so müßt ihr
+schießen, bedenkt aber, daß auch wir Gewehre haben.“
+
+Da schüttelte der alte Mann den Kopf und versicherte, daß sie nie
+daran gedacht hätten, zu schießen, und fügte hinzu, daß so harte Worte
+zwischen uns nicht gewechselt zu werden brauchten. Ein paar Geschenke,
+die ihm angeboten wurden, schlug er aus, fügte aber hinzu:
+
+„Wenn ihr hier vier Tage wartet, werde ich eure Gaben mit Vergnügen
+annehmen und erwidern, außerdem sollt ihr alles haben, was ihr für die
+Reise nach Ladak an Proviant und Karawanentieren braucht.“ --
+
+Am Abend kam Kalpet in mein Zelt und beklagte sich schluchzend, daß
+einer der Leute ihn geschlagen habe. Ich hielt ein Verhör ab und
+ermahnte alle, freundlich gegen ihn zu sein, und Tschernoff, welcher
+der Oberaufseher der Karawane war, erhielt noch speziell den Auftrag,
+ihn zu pflegen. Der Mann tat mir schrecklich leid, denn er war eine
+Verkörperung der trostlosesten Verlassenheit, und nie werde ich den
+kummervollen Blick vergessen, der in seinem Auge lag und der sich in
+unendliche Dankbarkeit verwandelte, als ich seine Partei nahm und ihn
+mit den geeignetsten Drogen der Arzneikiste behandelte. Als ich ihn
+später besuchte, aß er mit gutem Appetit Reispudding, und ich glaubte,
+daß er an vorübergehender Bergkrankheit leide.
+
+
+
+
+Einundzwanzigstes Kapitel.
+
+Tibetische Truppen versperren uns wieder den Weg.
+
+
+Einer der Kamelveteranen von Kaschgar, der mehrere unserer Wüstenreisen
+mitgemacht hatte, war nicht mehr imstande, sich zu erheben, als wir
+am 7. September vom Lager 75 und den Steppen der „schwarzen Mütze“
+fortzogen. Er wurde daher getötet; sein Skelett sollte als Andenken an
+unseren Besuch liegenbleiben.
+
+Als die Karawane beladen wurde, kam der Bombo und machte einen letzten
+verzweifelten Versuch, uns zum Bleiben zu bewegen. Ich erklärte ihm
+rund heraus, daß unser Weg nach Süden führe. Da schwieg er und ging
+seiner Wege.
+
+Wir folgten nun auf hartem, ebenem, vortrefflichem Boden dem Seeufer
+nach Westsüdwest. Rechts von unserem Wege erhebt sich ein jäh
+abfallender Landrücken, an dessen Fuß die Tibeter entlangreiten,
+-- sie sind jetzt 63 Mann stark. An einem Punkte, wo der See nach
+dieser Richtung hin ein Ende zu haben schien, zeigte die Weide ganz
+vortreffliches, dichtes, üppiges Gras; daher rasteten wir dort der
+Tiere wegen eine Weile. Nun kamen die Tibeter ebenfalls herangesprengt,
+schlugen in unserer Nähe ihre Zelte auf, sattelten ihre Pferde ab
+und ließen sie grasen. Sie nahmen wohl fest an, daß auch wir hier
+lagern würden. Bald darauf zeigten ihre Feuer, daß sie zu frühstücken
+beabsichtigten.
+
+Unsere verdutzten Späher zurücklassend, steuern wir nach Südwesten,
+während das Seeufer nach Süden und Osten umbiegt. Wir gingen über
+vier alte Uferlinien, die außerordentlich deutlich von mächtigen
+Kieswällen markiert wurden, deren letzter und höchster sich wohl 50
+Meter über den jetzigen Spiegel des Sees erhob. Von dem Walle hatten
+wir eine prächtige Aussicht über die blaue, klare Wasserfläche des
++Selling-tso+. Dieser scharfsalzige See ist also in energischem
+Abnehmen begriffen; er schrumpft periodenweise zusammen und hinterläßt
+die Wälle als unverkennbare Wahrzeichen seiner früheren Ausdehnung.
+
+Das vor uns liegende Terrain ist jetzt ziemlich eben, bis wir einen
+neuen Wall erreichen, der nach Nordwesten abfällt, wo sich wieder
+ein See zeigt. Darauf stehen wir am Rande einer außerordentlich
+eigentümlichen Bodensenkung, einer eiförmigen Arena, in deren Mitte
+einige Süßwassertümpel liegen. Unmittelbar südlich erhebt sich ein
+Bergrücken, der sich in westöstlicher Richtung hinzieht und dessen
+senkrechte Seitenwände einige hundert Meter hoch sind. Wir zogen nach
+seinem westlichen Ende. Jetzt tauchten auf einem Hügel acht Tibeter auf
+und beobachteten uns von dort. Als sie bald darauf wieder verschwanden,
+ahnte ich, daß wir uns auf einer Halbinsel befanden und daß sie
+glaubten, uns vorläufig wie in einem Sacke gefangen zu haben.
+
+Sirkin und Schagdur wurden daher vorausgeschickt, um zu rekognoszieren,
+indes wir langsam weiterzogen. An dem Punkte, wo die Felswand jäh in
+das Wasser fällt, kamen sie uns entgegen und erklärten, es sei noch
+derselbe See. Wir waren also auf einer Halbinsel gewandert, die ihre
+felsgekrönte Front nach Süden kehrt. Es war immerhin den Umweg wert,
+daß ich die Karte auch an diesem Punkte vervollständigen konnte. In
+schönster Ruhe wandten wir uns um nach Nordnordosten und entfernten uns
+ein wenig vom Ufer des Selling-tso.
+
+In einer Felsschlucht „fand“ Tscherdon zehn mit Fett gefüllte
+Schafmagen und nahm vier davon mit. Ganz dicht bei einem am Ufer
+liegenden kleinen Zeltdorfe lagerten wir. Die Gegend hieß +Tang-le+;
+die Bewohner waren nette Leute, weigerten sich aber ganz entschieden,
+etwas zu verkaufen. Ich zeigte ihnen die Fettmagen und fragte, was sie
+kosteten. Drei Tsos (die landesübliche Silbermünze in Lhasa, zirka 60
+Pfennig) das Stück, antworteten sie; da mir aber der Preis viel zu hoch
+war, gab ich ihnen ihr Fett wieder und ließ sie gehen, nachdem sie die
+Bemerkung des Lama, daß, wenn wir nicht so gute Menschen gewesen wären,
+wie wir nun einmal seien, wir alle zehn Magen einfach hätten behalten
+können, gleichgültig angehört hatten, ohne ein Wort zu sagen.
+
+Die Tibeter lagerten ein paar Kilometer von uns, außer fünfzehn Mann,
+die ihr Zeltdorf bei unserem Lager aufschlugen. Im Laufe des Abends
+führten sie verschiedene Manöver und Kampfspiele aus und schossen
+nach der Scheibe. Beinahe den ganzen Tag fiel dichter Regen, und ein
+paarmal fuhren heftige Windstöße mit solcher Gewalt über das Land
+hin, daß wir Halt machen und warten mußten. Mit Kalpet wurde es immer
+schlechter, er mußte auf seinem Reitpferde festgebunden werden, um
+nicht herabzufallen. Tschernoff war sein Krankenpfleger und ritt neben
+ihm. Am nächsten Morgen bat der Kranke, zurückgelassen zu werden,
+welche Bitte natürlich nicht gewährt wurde. Statt dessen wurde er so
+bequem wie möglich zwischen zwei Zeltballen auf ein Kamel gebettet.
+
+Wenn nicht so frischer Wind gegangen wäre, würde ich den Weg über
+den See eingeschlagen haben, nun aber mußte ich mit der Karawane
+am Nordufer, das sich ziemlich gerade nach Westen hinzieht,
+entlangmarschieren. Sobald wir anfingen zu beladen, machten sich auch
+die Tibeter bereit, und nach einem Marsche von einigen Kilometern ritt
+unser alter Bombo mit zwölf Mann an uns heran und machte einen letzten
+verzweifelten Versuch, uns zu bewegen, geraden Weges nach Ladak zu
+ziehen. Als ich ihm jedoch sagte, ich ginge, wohin es mir passe, und
+er würde uns keine Furcht einjagen können, wenn er auch zehntausend
+Mann aufböte, sah er sehr niedergeschlagen aus und teilte mir mit,
+er werde uns jetzt unserem Schicksal überlassen und nach seinen
+Zelten im Nordwesten zurückreiten, worauf ich ihm glückliche Reise
+wünschte. Die Schar verschwand denn auch in jener Richtung, und es war
+wirklich schön, im Laufe des Tages unbelästigt zu bleiben. Erst gegen
+Abend tauchten in der Ferne zwei Reiter auf, offenbar Kundschafter,
+verschwanden aber wieder zwischen den nördlich von unserem Wege
+liegenden Hügeln.
+
+Auch hier sind alte Uferwälle deutlich ausgeprägt, manchmal kann man
+auf einem solchen stundenlang wie auf einer Straße reiten. Nach Süden
+hin erstreckt der See seinen gewaltigen, blau und grün schillernden
+Spiegel bis in die weite Ferne.
+
+Schließlich biegt das Seeufer nach Südwesten und Südsüdwesten ab.
+Zwischen einem Gewirr von Schlamminseln war das Wasser süß, hier
+mußte also ein Fluß münden. In kurzem gelangten wir an sein Ufer, und
+Schagdur machte bald eine vortreffliche Furt mit hartem Kiesboden
+ausfindig. Das Wasser war kristallklar, der Fluß mußte also von einem
+weiter aufwärts im Tale gelegenen See kommen. Beim Rekognoszieren hatte
+Schagdur einige Wildenten gesehen und vier geschossen, die flußabwärts
+trieben und von uns aufgefischt wurden. Zwei anderen, die nur verwundet
+waren, gelang es, an uns vorbei nach der Mündung zu kommen. Tscherdon
+ritt jedoch kühn mitten in den Fluß hinein und köpfte die eine mit
+seinem Säbel. Die andere verschwand zwischen den unzähligen Möwen, die
+sich in dem Mündungsgebiet aufhielten und das Wasser weißgetüpfelt
+erscheinen ließen. Ihre Anwesenheit schien auf das Vorkommen von
+Fischen in diesem Flusse hinzudeuten. Der Platz war viel zu einladend,
+als daß wir daran hätten vorbeigehen können; wir lagerten auf dem
+Gipfel der rechten Uferterrasse.
+
+[Illustration: „... und jagten dann in wildem Laufe vor, hinter und
+durch die Zelte, als wollten sie uns niederreiten!“]
+
+Kaum war das Lager errichtet (Abb. 266), so sahen wir schwarze Linien
+im Nordwesten und Nordosten. Es waren unsere zudringlichen Wachen; von
+Nordwesten kamen 53, von Nordosten 13, sie hatten jetzt eine nicht
+geringe Anzahl Packpferde bei sich. Sie waren augenscheinlich nur
+fortgewesen, um sich zu verproviantieren und sich für einen längeren
+Feldzug zu rüsten. Sie gingen an derselben Stelle wie wir über den
+Fluß und jagten dann in wildem Laufe vor, hinter und durch die Zelte,
+als wollten sie uns niederreiten! (S. bunte Tafel.) Doch, während sie
+heulten und ihre Lanzen über dem Kopfe schwangen, schienen sie uns
+nicht zu bemerken; sie streiften uns mit keinem Blicke, sondern ritten
+nur vorbei wie ein Wirbelwind, wie eine rollende Lawine. Die Schar sah
+malerisch aus in ihren bunten Gewändern und oft recht schönen Säbeln,
+ihren an den Gabelenden der Flinten befestigten weißen und roten
+Fähnchen und den Schwertern in silbernen Scheiden.
+
+Im Südwesten von uns machten sie zu einer längeren Beratung Halt. Drei
+Männer traten vor, und die anderen sammelten sich in drei verschiedene
+Gruppen um sie, wie es schien, um zu lernen, wie mit Flinten umgegangen
+wird, denn diese waren die ganze Zeit über Anschauungsmaterial. Von
+Zeit zu Zeit stießen alle auf einmal ein seltsames Geheul aus. Dann
+wurden die Zelte aufgeschlagen, und die Männer ließen sich an ihren
+Feuern nieder.
+
+Das Lager der Tibeter war auf einer unbedeutenden Anhöhe, die unsere
+Zelte beherrschte, aufgeschlagen, und die Kosaken hatten beobachtet,
+daß alle Flinten in eine Reihe mit der Mündung nach unserem Lager
+gelegt worden waren. Sie meinten, es sehe aus wie eine Schützenlinie
+und es sei nicht unmöglich, daß wir über Nacht einem mörderischen
+Feuer ausgesetzt werden sollten. Daher begab ich mich, als es dunkel
+geworden war, mit dem Lama und Schagdur nach dem Lager der Tibeter
+und ging in das Zelt des Bombo, wo ich höflich bewillkommnet und mir
+Tee und Tsamba vorgesetzt wurden. Innerhalb einer Minute war das
+Zelt vollgepfropft von Tibetern. Ich weigerte mich, an der Mahlzeit
+teilzunehmen, weil, wie ich sagte, der Bombo nicht angerührt habe, was
+ihm bei uns angeboten worden sei. „Re, re, re“, rief er („Wahr, wahr,
+wahr“). Er fragte nach meinem Namen, und ich erwiderte ihm, daß er ihn
+erfahren solle, wenn er mir sage, wie der Fluß heiße; er hatte aber
+keine Lust, auf den Tausch einzugehen. Später erfuhren wir jedoch, daß
+der Fluß +Jaggju-rappga+ hieß. Auf meine Frage, ob es im Flusse Fische
+gebe, wurde mir geantwortet. „Ja, in großer Menge.“ Ich versprach,
+den nächsten Tag hierzubleiben, aber nur unter der Bedingung, daß sie
+mir, um die Wahrheit ihrer Worte zu beweisen, bei Sonnenaufgang einen
+mittelgroßen Fisch in mein Zelt brächten. Sie versprachen, ihr Bestes
+zu tun, und erhielten leihweise ein Netz, von dem sie aber gar nicht
+wußten, wie sie es benutzen sollten.
+
+Am frühen Morgen erschienen vor meinem Zelt einige Tibeter mit
+dem Netze, in dessen Maschen ein kleiner Fisch gefangen war. Sie
+waren mit ihrer Beute sehr zufrieden und versicherten, daß sie
+bei dem Fange beinahe umgekommen seien. Unsere Wachtposten hatten
+indessen beobachtet, daß einige Tibeter sich mit Tagesgrauen nach
+der Flußmündung begeben und dort eine Möwe belauert hatten, als sie
+gerade einen Fisch gefangen hatte. Diese hatten sie durch Steinwürfe
+gezwungen, ihre Beute an einer leicht erreichbaren Stelle fallen zu
+lassen. Unserem Versprechen gemäß blieben wir auf alle Fälle hier, um
+zu fischen.
+
+Tscherdon und alle Muselmänner, außer unseren erfahrenen Lopfischern
+Kutschuk und Ördek, sollten das Lager bewachen; die drei übrigen
+Kosaken durften mitkommen. Von einer Masse von Tibetern gefolgt und
+von einem Kamele, welches das Boot trug, begleitet, ritten wir am
+rechten Ufer aufwärts, bis wir an eine Biegung gelangten, wo der Fluß
+zwei kleine Wasserfälle bildet, von denen der obere meterhoch ist, der
+untere aber nur 30 Zentimeter Fallhöhe hat. Hier donnert und kocht
+die Wassermasse in fest verkitteten Geröll- und Tonschlammschwellen.
+Das Bett ist eng und so tief, daß das Wasser blauschwarz aussieht.
+Unterhalb des unteren Wasserfalles bildet sich ein langsamer Wirbel,
+in den das Netz vom Ufer aus spiralförmig hinabgesenkt wurde. Dadurch,
+daß wir in einer Kurve ruderten, mit den Rudern schlugen, schrien und
+lärmten, jagten wir die Fische in das Netz hinein und fingen jedesmal
+zwei bis drei von ihnen. Nachdem ich 28 Stück gefangen hatte, ließ
+ich die anderen weiterfischen. Die Kosaken angelten vom Ufer aus
+und hatten auch guten Fang. Tschernoff schoß einige Wildenten, die
+wir mit dem Boote auffingen. Kurz, wir hatten einen entzückenden,
+erfrischenden Tag und eine angenehme Abwechslung nach den langen,
+anstrengenden Karawanenmärschen. Daß der Hagel alle Augenblicke auf
+uns niederprasselte, störte uns wenig; die Tibeter saßen auf der
+Uferterrasse und glichen, schwarz wie sie waren, einer Reihe Krähen auf
+einem Dachfirst.
+
+Vom Fischereiplatze trieb ich mit schwindelnder Fahrt nach dem Lager
+zurück. Eine Schar Wildenten flog eilig vor uns her; wir fuhren weiter
+bis an die Stelle, wo sich der Fluß in den Selling-tso ergießt, und
+von dort ging ich nach Hause, während Ördek die Jolle nach dem Lager
+zurückrudern und stoßen mußte. Der Fluß sollte nämlich gemessen werden,
+und dabei ergab sich, daß er 34,6 Kubikmeter Wasser in der Sekunde
+führte.
+
+Dreißig Tibeter mit dem Bombo an der Spitze besuchten mich am
+Abend. Sie waren so freundlich, mir zwei Schafe und drei Kübel voll
+prächtiger Milch zu schenken, wahrscheinlich als Belohnung dafür, daß
+wir, wie sie uns gebeten hatten, einen Tag hiergeblieben waren. Sie
+durften jetzt den Tönen der Spieldose lauschen und mehrere unserer
+Sehenswürdigkeiten betrachten, und der Bombo nahm die Geschenke an,
+die ihm angeboten wurden.
+
+Die Kosaken sahen dem Scheibenschießen der Tibeter zu. Der Abstand
+betrug nur 40 Meter, und ein kleines Holzbrett an einer Stange diente
+als Scheibe. Von dreißig Schützen vermochten nur drei das Brett zu
+treffen -- ein mehr als klägliches Resultat. Die Kosaken baten, auch
+einen Versuch machen zu dürfen, aber darauf wollten sich die Schützen
+durchaus nicht einlassen; sie fürchteten wohl, übertroffen zu werden.
+
+Als ich am nächsten Morgen geweckt wurde, waren die Lopleute schon eine
+gute Weile beim Fischen gewesen, und ich wies daher den Entenbraten,
+der sonst hätte mein Frühstück bilden sollen, zurück.
+
+Der Morgen versprach mehr, als der Tag halten konnte. Er war schön
+und sonnig, aber kaum waren wir in Gang gekommen, so zogen die
+schwarzblauen Wolkenwände, die am Horizonte lauerten, herauf und
+entluden ihren Inhalt. Die Folge davon waren Hagel, Sturm, nasser
+Schnee und Platzregen, so daß der Boden wieder naß und schlüpfrig
+wurde. Der Tagemarsch war demnach in mehrerer Beziehung düster. Die
+Tibeter ermüdeten uns mit ihrem ewigen Quälen, daß wir umkehren
+sollten, und mit unseren beiden Kranken sah es auch schlecht aus;
+besonders Kalpets Zustand hatte sich sehr verschlimmert.
+
+Durch das natürliche, imposante Felsentor, das durch eine Unterbrechung
+der im Süden des Jaggju-rappga-Tales liegenden Kette gebildet wird,
+ziehen wir nach Südosten. Über den Klüften und Vorsprüngen zur Rechten
+kreist ein Königsadler, wahrscheinlich derselbe, den wir gestern den
+Wildenten hatten auflauern sehen. Die Felstauben, die zierlich und
+elegant auf dem Boden trippelten, schienen vor dem Adler nicht den
+geringsten Respekt zu haben. Kulane und Orongoantilopen zeigen sich
+überall; sie, wie die Fische, scheinen gewohnt zu sein, daß sie von den
+Menschen in Frieden gelassen werden. Auf Delikatessen verstehen sich
+die Tibeter nicht. „Ebenso gut, wie man Fische ißt“, sagen sie, „könnte
+man ja Schlangen und Eidechsen verzehren; das ist genau dasselbe.“
+
+Die Bergkette zieht sich wie eine Halbinsel in den See hinein.
+Auf ihrer Südseite reiten wir durch einen bedeutenden Fluß namens
++Alla-sangpo+, und zu unserer Linken dehnt sich wieder der marineblaue
+Spiegel des Selling-tso aus. Hier und dort steht am Ufer ein Zelt.
+Im Südwesten zeigt sich bisweilen eine verwirrende Welt von Bergen,
+meistens aber verhüllen Regengüsse und Hagelschauer die Landschaft,
+so daß Dämmerung herrscht und ich ausschließlich nach dem Kompaß
+marschieren muß. Der Erdboden war ein einziger Sumpf. Die Tibeter
+ritten einen anderen Weg, und wir zogen es schließlich vor, ihnen zu
+folgen; doch jetzt machten sie Halt und meinten, daß wir uns selbst
+helfen könnten! Am Ufer zeigten sich Massen von Wildgänsen, die noch
+rechtzeitig vor unseren Gewehren flüchteten. Einen Augenblick klärte
+es sich über dem ausgedehnten See auf, und wir konnten leicht mehrere
+Stellen wiedererkennen, die wir am anderen Ufer passiert hatten,
+besonders die kleine Bergkette auf der Halbinsel, auf der wir hatten
+umkehren müssen.
+
+Links lassen wir auch an unserem Ufer eine derartige kleinere Kette
+hinter uns zurück. Wir beabsichtigten gerade, zu einer Schwelle
+in Südsüdosten hinaufzuziehen, als Kutschuk und Chodai Kullu
+heransprengten und atemlos verkündeten, daß es Kalpet sehr schlecht
+gehe. Ich eilte dorthin und fand ihn mehr tot als lebendig inmitten
+der anderen auf einer Decke am Boden liegen. Er bat um Wasser; da es
+dieses in der Nähe nicht gab, durfte er so viel Milch trinken, als er
+konnte. Seine Augen hatten einen strahlenden, intensiven, aber glasigen
+Ausdruck; seine Gesichtsfarbe war gelb, die Lippen weiß.
+
+An einem großen Tümpel mit Regenwasser lagerten wir bei strömendem
+Regen. Eines der Zelte wurde als Lazarett eingerichtet, und hier fand
+Kalpet Schutz vor der Witterung. Er lag ganz still und schien keine
+Schmerzen zu fühlen. Eine leichte Dosis Morphium verhalf ihm zum
+Schlaf. Der alte Muhammed Tokta, der auch ins Lazarett gebracht wurde,
+hatte eine schauerliche Krankheit. Sein ganzer Leib war geschwollen und
+sein Gesicht eine einzige Geschwulst; es war nicht gut für ihn, seinen
+Unglücksgefährten mit dem Tode ringen zu sehen.
+
+Auch heute Abend kam unser Bombo auf Besuch, und als wir ihn baten,
+uns Milch aus dem nächsten Zeltdorfe zu besorgen, sagte er, daß die
+Pocken dort grassierten; falls wir dorthin gehen wollten, könnten wir
+es tun; er seinerseits danke dafür. Er brachte drei neue Gesichter
+mit, darunter einen alten, sehr netten Lama. Sie erklärten, direkt
+von den Gesandten zu kommen, die der Dalai-Lama ausgeschickt habe, um
+uns zu verhindern, nach Lhasa zu gehen. Dann folgten die gewöhnlichen
+Unterhandlungen und Bitten, daß wir doch um Himmels willen bleiben
+möchten, wo wir seien, damit wir nicht nur uns, sondern auch sie nicht
+ins Unglück stürzten. Die Gesandten von Lhasa seien nicht mehr weit
+und würden in zwei Tagen hier eintreffen. Ich blieb unbeweglich und
+sagte ihnen, es sei eine Schande, friedliche Gäste auf diese Weise
+zu behandeln und uns mit Hunderten von bis an die Zähne bewaffneten
+Spionen zu umgeben. Wir beabsichtigten nicht, Krieg zu führen, und
+hätten alles, was wir gekauft, ehrlich bezahlt. Über unsere Pläne würde
+ich nicht eher Auskunft geben, als bis die Gesandten angelangt seien.
+Sie waren verblüfft und sahen sehr sorgenvoll aus.
+
+Um 7 Uhr erhob sich ein so heftiger Sturm, daß das ganze Lager
+fortzufliegen drohte und die Zelte von der Wucht des Hagels und Regens
+beinahe zu Boden gedrückt wurden. Nach einem letzten Besuche im
+Lazarettzelte (Abb. 267), wo Kalpet ruhig schlief und Muhammed Tokta
+über sein Herz klagte, gingen wir zur Ruhe, um die Sorgen des Tages in
+den Armen des Schlafes zu vergessen.
+
+Sobald ich am 11. September aufgestanden war, besuchte ich die Kranken.
+Muhammed Tokta war unverändert; er war bei klarem Bewußtsein und
+scherzte sogar, hatte aber gemerkt, daß er allmählich das Gefühl in
+den Fingern verlor. Schlimmer war es mit Kalpet. Er rang mühsam nach
+Atem, seine Wangen waren eingefallen, aber die Augen hatten ihren
+Glanz beibehalten. Es schien mit ihm zu Ende zu gehen, aber er sprach
+vernünftig und sagte, er habe eine „kattik kessel“ (schwere Krankheit)
+und sei noch kränker davon geworden, daß einer seiner Kameraden ihn
+vor einigen Tagen geschlagen habe. In Wirklichkeit war es damit, wie
+sich herausstellte, nicht so schlimm gewesen, aber die Erinnerung daran
+erfüllte den Sterbenden ganz und gar, und er wußte von nichts anderem
+zu reden. Der arme Kerl, der dies auf seinem Gewissen hatte, würde
+jetzt viel darum gegeben haben, wenn er die Sache hätte ungeschehen
+machen können.
+
+Allmählich schwand das Bewußtsein; er sprach nicht mehr, war total
+geistesabwesend und starrte in unbekannte Fernen, vielleicht nach dem
+Paradiese, das der Prophet ihm versprochen hatte. Ich wollte den Tag
+über hierbleiben, aber die Gegend war so erbärmlich, daß alle für das
+Übersiedeln nach einem besseren Platze stimmten. Kalpet wurde daher
+bequem und weich auf sein Kamel gebettet (Abb. 268), und der Zug setzte
+sich wieder in Bewegung. Wir alle fühlten, daß heute der Tod mit der
+Karawane zog, und die Stimmung war daher gedrückt und düster.
+
+Es ging nach Südosten. Von der ersten kleinen Paßschwelle sahen
+wir wieder einen außerordentlich schönen, von niedrigen Bergketten
+eingefaßten See mit bizarren Ufern vor uns liegen. Das Wasser war
+kristallhell; daß es diesmal nicht wieder der Selling-tso sein konnte,
+merkte man bald, denn hier sah man sowohl Wasserpflanzen als auch
+Fische, und das Wasser war so süß, wie das eines Flusses.
+
+Das linke Seeufer sah bedenklich aus, denn steile Felsen fielen hier
+jäh ins Wasser hinunter, und ich hielt es daher für das Klügste, Sirkin
+und Schagdur auf Rekognoszierung auszuschicken. Inzwischen überfiel
+uns ein gewaltiger Hagelsturm, und Kalpet wurde mit einem Filzteppiche
+zugedeckt. Die drei neu angekommenen Tibeter ritten an mich heran, um
+mir zu erklären, daß es auf dem Westufer keinen Durchgang gebe, doch
+führe auf dem Nordufer ein Weg nach Osten, den wir benutzen könnten,
+wenn wir durchaus weiter wollten. Ich ahnte sofort, daß etwas dahinter
+liegen müsse; es blieb mir aber keine Wahl, um so mehr, als nachher die
+Kosaken die Aussage der Tibeter bestätigten.
+
+Wir zogen also längs des nördlichen Ufers weiter; es wurde eine
+Wanderung in den schönsten Schlangenlinien. Ein gerade nach Osten
+gehender Weg führte über die Hügel, aber die Tibeter hielten sich
+hinter uns und hüteten sich wohl, ihn uns zu zeigen. Wir gingen
+also am Strande entlang und nahmen so alle Buchten, Landzungen und
+Halbinseln mit, ohne zu wissen, nach welcher Seite der See ausbog. Wenn
+wir infolgedessen auch viele unnötige Schritte machten, so erhielt
+ich doch wenigstens eine getreue Karte des launenhaften Sees, und
+eine herrlichere Landschaft als diese hatten wir in Tibet noch nicht
+gesehen. Nach allen Seiten hin öffneten sich großartige Perspektiven
+in Buchten und Fjorde hinein, die zwischen malerischen, dekorativen
+kleinen Bergketten mit steil nach dem See abfallenden Abhängen tief
+in das Land einschnitten. Hier und dort tauchten kleine Inseln auf,
+gewölbt wie Delphinrücken. Alte Uferlinien waren hier nicht zu sehen,
+und das süße Wasser sprach dafür, daß der See, der +Nakktsong-tso+
+heißt, Abfluß nach einem weiter südlich liegenden Salzsee hat.
+
+Nachdem wir einige Stunden in allen möglichen Richtungen gewandert
+waren, überraschten wir die Tibeter, die ihre Zelte am Ufer
+aufgeschlagen hatten und ihre gewöhnliche Teerast hielten. Sie hatten
+dadurch Zeit gewonnen, daß sie einen Richtweg hinter den Uferfelsen
+benutzt hatten. Wir zogen an ihnen vorbei, bis der See definitiv
+nach Südosten abzubiegen schien. Hier traten die Berge vom Ufer
+zurück, das eben und mit festem Kiese bedeckt war und den Kamelen ein
+vortreffliches Terrain bot. Am östlichen Ende des Sees lagerten wir bei
+einem Zeltdorfe. Die Späher waren uns auch diesmal zuvorgekommen und
+hatten schon ihre Zelte aufgeschlagen.
+
+Kalpet hatte oft gesprochen und besonders Rosi Mollah, seinen Kerijaer
+Landsmann, gerufen; er hatte um Wasser gebeten und darum, daß seine
+Lage auf dem Kamele verändert werden möchte, wenn er sich auf einer
+Seite müde gelegen hatte; manchmal rief er laut und deutlich, das Kamel
+gehe zu schnell. Als er jedoch in der Nähe des Lagers längere Zeit
+still gewesen war, hielt die Ambulanz, welche die Nachhut der Karawane
+bildete, und Mollah horchte. Er holte mich sofort, und es war nicht
+schwer zu konstatieren, daß mein armer Diener verschieden war. Sein
+Ausdruck war ruhig und verklärt, aber die Augen hatten ihren Glanz
+verloren. Er war schon kalt, obwohl es kaum eine Stunde her war, seit
+er zuletzt um Wasser gebeten hatte. Mollah drückte ihm für immer die
+Augen zu, und dann setzte die jetzt in einen Leichenzug verwandelte
+Karawane ihren Weg fort. Die Muselmänner hatten, wie gewöhnlich,
+gesungen, um sich den Marsch weniger langweilig zu machen; jetzt
+aber wurde es still wie in einem Grabe, und nur die Tritte der Tiere
+auf dem Sande und Kiese des Ufers und das keuchende Atmen der Kamele
+unterbrachen das Schweigen. Wir standen wieder vor dem furchtbaren,
+erbarmungslosen Ernste des Todes, und wieder führten wir einen Toten
+auf einem lebendigen Katafalke mit uns (Abb. 270).
+
+Als wir an den Zelten der Tibeter vorbeizogen, kamen diese uns
+entgegen, um uns zu sagen, daß es bis zur nächsten Stelle mit Weide
+noch weit sei. Ich teilte ihnen mit, daß wir einen Toten bei uns
+hätten, der begraben werden müsse, was sie sehr ruhig anhörten, uns
+dann aber einen Platz anwiesen, wo dies am besten geschehen könne.
+
+Sobald das Lager fertig war, sprach ich mit Mollah und Turdu Bai
+über die Beerdigung; sie schlugen vor, sie bis zum nächsten Morgen
+aufzuschieben und dann mit den üblichen Zeremonien vorzunehmen. Die
+Leiche wurde für die Nacht in das eine weiße Zelt gelegt und sollte von
+einem Wächter vor den Hunden geschützt werden.
+
+Kalpets Beerdigungstag, der 12. September, brach strahlend hell und
+klar an; nur dann und wann segelte in der frischen Seebrise, welche
+die Wellen ans Ufer rauschen ließ, ein kreideweißes Wölkchen über den
+Himmel. Das Grab war schon fertig, und im Todeszelte waren Hamra Kul,
+Mollah Schah und Turdu Bai damit beschäftigt, die Leiche in ein Laken
+zu hüllen, nachdem sie vorschriftsmäßig gewaschen worden war. Dabei
+hatten sie sich das Gesicht außer den Augen mit weißen Binden umwunden,
+um nicht die Leichenluft einatmen zu müssen. Vor dem Zelte saß Rosi
+Mollah und las laut aus einem Gebetbuche. Das Grab war nicht viel mehr
+als einen Meter tief, und seine eine Längsseite bildete eine Höhlung,
+in welche die Leiche hineingeschoben werden sollte. Hierher lenkte der
+Leichenzug seine Schritte. In eine weiße Filzdecke gewickelt, lag der
+Tote lang, mager und kalt auf einer Kamelleiter und wurde von Mollah
+Schah, Islam, Li Loje, Chodai Kullu, Ördek, Hamra Kul und Kutschuk
+getragen (Abb. 269). Die improvisierte Bahre wurde auf den Rand des
+Grabes gestellt und Kalpet dann vorsichtig in seine letzte Ruhestätte
+hinabgelassen (Abb. 271), wobei Mollah Schah und der Mollah mit
+hinabstiegen, um ihn unter den Vorsprung, der sich über der Aushöhlung
+in der Seite des Grabes wölbte, zu legen. Der Mollah setzte sich dann
+und hielt folgende Rede an den Verstorbenen:
+
+„Du bist ein rechtschaffener, rechtgläubiger Muselmann gewesen, du hast
+niemals einem von uns etwas zuleide getan, du läßt eine Lücke zurück,
+und wir beweinen dein Hinscheiden, du hast dem Tura gut und redlich
+gedient.“
+
+Nachdem die beiden Männer aus dem Grabe gestiegen waren, wurde die
+Kamelleiter quer über die Öffnung gelegt und das Ganze mit einem
+Filzteppiche bedeckt, dessen Kanten mit Erdschollen beschwert wurden;
+darauf wurde der Grabhügel über dem Teppiche aufgeworfen, welch
+letzterer dieses Gewicht natürlich nicht sehr lange würde aushalten
+können, -- es bedurfte nur eines Regens oder des Darüberlaufens
+umherstreifender Yake, um das Ganze zum Einstürzen zu bringen. Als der
+Hügel fertig und am Kopfende mit einem ebenso vergänglichen Denkmale
+aus Erdschollen und einigen dar aufgestellten Steinen verziert war,
+warfen sich die Muselmänner um das Grab herum auf die Knie, hielten
+sich die Handflächen vor das Gesicht und murmelten leise Gebete, die
+nur dann und wann von den Gebetformeln des Mollah unterbrochen wurden.
+
+Und dann war der feierliche Akt vorbei und Kalpet der Erde
+wiedergegeben. Wir kehren, wie aus einer Kirche, aus einer
+Sonntagsstimmung in der Wildnis, zu den Sorgen des Alltagslebens
+zurück. Wir packen unsere Habseligkeiten ein, brechen unsere Zelte
+ab, beladen unsere geduldigen Kamele, steigen zu Pferd und ziehen von
+diesem dritten Todeslager fort. Alles erscheint so eitel und zwecklos,
+wenn man eben am Rande eines Grabes gestanden hat, wo man sich von
+dem erhabenen Ernste des Lebens und des Todes durchdrungen gefühlt
+und das Stundenglas ablaufen gesehen hat. Und dann kommt man zu den
+unbedeutenden kleinen Sorgen eines neuen Tages zurück und setzt seine
+endlose Wanderung über die Gebirge ohne Rast und Ruhe fort! Auf der
+Karte steht neben diesem Lagerplatz ein schwarzes Kreuz. Heute ist das
+Grab sicherlich schon verschwunden. Die Nomaden treiben ihre Herden
+darüber hin, und ringsumher in den Bergen heulen in den Winternächten
+die Wölfe. Und sollte das Grab wirklich noch nicht verschwunden sein,
+so weiß doch keiner, wer der Tote war. Der Rechtgläubige ruht in
+heidnischer Erde, aber seine Ruhestätte ist doch mit Gebeten aus dem
+Koran geweiht worden.
+
+Nach der Beerdigung kam Rosi Mollah mit folgendem Anliegen zu mir:
+„Ehe wir uns nach Beendigung dieser Reise trennen, gebt mir, bitte,
+ein schriftliches Zeugnis, daß Kalpet eines natürlichen, ehrlichen
+Todes gestorben ist, damit seine Brüder in Kerija nicht glauben, er sei
+von mir oder irgendeinem anderen von uns totgeschlagen worden.“ Dies
+versprach ich, und es geschah auch, worauf das Zeugnis nebst Kalpets
+Lohn an seine Brüder geschickt wurde.
+
+[Illustration: 276. Die Garde der tibetischen Gesandten am
+Tschargut-tso. (S. 291.)]
+
+[Illustration: 277. Im Kampf mit Wogen und Wind auf dem Tschargut-tso.
+(S. 294.)]
+
+Die Tibeter, die dem Begräbnisse zusahen, erlaubten sich die Bemerkung,
+daß wir uns viel zu viel Mühe damit machten. „Werft den Toten den
+Raben und den Wölfen hin!“ sagten sie. Dies tun sie selbst, wie wir bei
+einer spätern Gelegenheit mit eigenen Augen sahen.
+
+Die Muselmänner verbrannten das Zelt, in welchem Kalpet aufgebahrt
+gestanden, seine Kleider und seine Stiefel. Bei der heutigen
+Gelegenheit waren alle üblichen Zeremonien beobachtet worden; als Aldat
+starb, war er wie er ging und starb begraben worden.
+
+Heiterlächelnd verjagte der Tag die traurige Erinnerung des Morgens,
+und wieder entrollte die Erde, auf deren Oberfläche wir ein so
+flüchtiges, unsicheres Dasein führen, vor uns eine ihrer schönsten
+Landschaften. Auch jetzt gingen wir durch ein Felsentor im Südosten.
+Links zeigte sich noch einmal ein Teil des Selling-tso. Von einer
+niedrigen Paßschwelle erblickten wir nach Süden hin eine offene,
+weite Ebene, die ganz hinten vom Gebirge begrenzt wurde. Die Tibeter
+waren uns auf den Fersen. Links von uns lagen einige schwarze und
+zwei blauweiße Zelte, wohin sie sich begaben. Als wir dicht bei
+diesem Zeltdorfe waren, sprengte eine Reiterschar an mich heran und
+überbrachte mir die Nachricht, daß zwei hohe Herren aus Lhasa angelangt
+seien, weshalb sie uns bitten müßten, der Verhandlungen wegen in ihrer
+Nähe zu lagern. Anfangs weigerte ich mich und sagte, wir hätten mit
+diesen Leuten nichts zu schaffen, sondern würden weiterziehen. Doch
+als es nachher um ihr Lager herum von Soldaten zu wimmeln begann und
+mir gesagt wurde, daß sie mir Botschaft direkt aus Lhasa brächten,
+hielt ich es für das Klügste, wenigstens zu hören, was sie eigentlich
+wollten, und bat die Tibeter, ihren hohen Herren zu sagen, daß ich mit
+ihnen sprechen würde, wenn sie zu mir kämen.
+
+Jetzt zeigten sich zwei ältere Männer in roten Gewändern. Sie saßen
+zu Pferd. Vier Fußgänger hielten jedes Pferd am Zügel und führten
+die hohen Herren zu mir, der ich im Sattel sitzen blieb. Sie grüßten
+höflich und sahen freundlich und gutherzig aus: die Berichte, die
+sie während der letzten Tage über uns erhalten hatten, waren sicher
+zu unserem Vorteil ausgefallen. Sie hatten mir, wie sie sagten, so
+wichtige Mitteilungen zu machen, daß ich unbedingt bei ihnen lagern
+müsse; nach vielem Wenn und Aber ging ich schließlich darauf ein.
+
+Doch als wir unser Lager aufgeschlagen hatten, verging eine lange Zeit,
+ohne daß die Gesandten etwas von sich hören ließen. Ich schickte nun
+den Lama mit dem Bescheid dorthin, daß +sie+ uns gebeten hätten zu
+bleiben und sich nun gefälligst sputen möchten, wenn sie mir etwas so
+Wichtiges zu sagen hätten, da wir sonst wieder aufbrechen würden. Dies
+half. In ihrem Lager wurde es lebendig. Die beiden Gesandten kamen
+schleunigst aus dem Zelte und ritten zu uns; die Entfernung betrug kaum
+150 Schritt. Der Sicherheit halber umgaben sie sich mit einer starken
+Eskorte, die jedoch nicht mit Feuerwaffen, sondern nur mit Schwertern
+bewaffnet war. Sie saßen ab und traten mit artigem Gruße in das
+Küchenzelt ein, das für Audienzen gewöhnlich ausgeräumt und mit einem
+bunten Chotaner Teppich geschmückt wurde. Auf diesem Teppich nahmen
+wir Platz, während draußen ein dichter Kreis von Kosaken, Tibetern und
+Muhammedanern um das Zelt herum stand. Der Lama, mein Dolmetscher,
+mußte zwischen uns sitzen.
+
+Sie stellten sich als Mitglieder des „Dewaschung“, des Heiligen Rates
+in Lhasa, vor, denen der Auftrag geworden sei, mich zu verhindern, nach
+dieser Stadt zu reisen. Sie wußten, daß ich schon auf einem anderen
+Wege mit nur zwei Begleitern nach Lhasa zu reiten versucht hatte,
+aber aufgehalten und von Kamba Bombos Leuten über die Grenze gebracht
+worden sei. Nun hieß es wieder wie damals: „Nach Süden dürft ihr keinen
+Schritt weiter“, und dieses Thema wurde drei Stunden lang in allen
+möglichen Variationen wiederholt.
+
+„Wir haben Millionen Soldaten, und wir werden euch daran verhindern!“
+
+Als ich fragte, was sie wohl machen wollten, wenn wir doch nach Süden
+gingen, antworteten sie, das würde entweder ihnen oder uns den Kopf
+kosten.
+
+„In unserer Order steht, daß wir enthauptet werden, wenn wir euch hier
+durchlassen, und dann können wir lieber erst mit euch kämpfen; das
+ganze Land ist voller Soldaten.“
+
+Ich bat sie, sich unserer Köpfe wegen ja nicht aufzuregen, da sie an
+diese doch nicht herankönnten, denn teils hätten wir Beistand von
+höheren Mächten, teils besäßen wir fürchterliche Waffen.
+
+Beide Gesandten wurden außerordentlich aufgeregt, schrien, schwitzten
+und gestikulierten, und als ich trotzdem ruhig blieb und ihre Drohungen
+mit trocknem Lachen erwiderte, platzten sie beinahe vor Ärger.
+
+„Kari-sari? (was sagt er)“, fragten sie unaufhörlich.
+
+„Er sagt, daß er nach Süden weiterziehen will.“
+
+„Mig jori (wenn er Augen hat), wird er morgen sehen, wie wir eure
+Karawane zurücktreiben“, riefen sie; unaufhörlich schrien sie „mig
+jori, mig jori!“
+
+Ich lachte nur und erwiderte schließlich:
+
+„Mig jori, wenn ihr Augen habt, so paßt morgen auf, wenn wir südwärts
+ziehen; haltet aber eure Flinten bereit, denn es wird euch heiß um die
+Ohren werden!“
+
+Da schlugen sie einen anderen Ton an und baten flehentlich, wir möchten
+doch endlich die Reise nach Süden aufgeben. Wenn wir auf demselben
+Wege, den wir gekommen, wieder umkehren wollten, sollten wir Führer
+und Proviant und alles, was wir nur brauchten, haben, ja, dann würde
+alles in jeder Hinsicht gut werden.
+
+Ich hatte gar nicht die Absicht, noch weiter „wider den Stachel zu
+löcken“; tatsächlich hatte ich für diesmal genug von Tibet und sehnte
+mich nach Ladak und noch mehr nach Hause, nach meiner schwedischen
+Heimat. Spaßeshalber aber sagte ich noch einmal, daß alle ihre Versuche
+vergeblich seien.
+
+„So“, antworteten sie, „nun gut, wir werden nicht auf euch und eure
+Leute schießen, aber wir werden eure Reise unmöglich machen!“
+
+„Wie soll das geschehen?“
+
+„Zehn, zwanzig von unseren Soldaten werden je einen eurer Reiter
+festhalten, und ebenso viele jedes Kamel, wir werden eure Tiere
+festhalten, bis sie nicht mehr stehen können und stürzen.“
+
+„Wenn wir dann aber auf euch schießen?“
+
+„Das macht nichts; wir werden auf jeden Fall getötet, wenn wir euch
+durchlassen. Wir haben bestimmte Befehle aus Lhasa erhalten.“
+
+„Zeigt mir sie, dann werde ich nicht weiter nach Süden gehen“,
+antwortete ich.
+
+„Sehr gern“, sagten sie und ließen das Papier aus dem Zelte der
+Gouverneure holen. Es wurde von dem jüngeren Gesandten vorgelesen und
+war ein recht merkwürdiges Aktenstück. Schereb Lama las mit und konnte
+kontrollieren. Nach einer ersten Vorlesung und Übersetzung nahmen
+wir es langsam Punkt für Punkt noch einmal durch, so daß ich es in
+mongolischer Sprache mit lateinischen Buchstaben abschreiben konnte.
+Später übersetzte ich es ins Schwedische.
+
+Es lautete, wie folgt. Zuerst die Adresse auf der Außenseite des
+zusammengefalteten Papieres:
+
+„Im Jahre der eisernen Kuh, den sechsten Monat, am 21. Tage. Dieses
+Schreiben soll den beiden Gouverneuren von Nakktsong zu Händen kommen.
+Es ist vom Dewaschung und wird mit der Post befördert. Im siebenten
+Monate, am 22. Tage muß es angelangt sein.“
+
+Und dann das Schreiben selbst:
+
+„Im Jahre der eisernen Kuh, im sechsten Monate, am 19. Tage ist
+hier von dem Gouverneur von Nakktschu ein Schreiben angekommen, daß
+der Sekretär der Mongolen Tsange Chutuktu, der Lama Sandsche, nebst
+mehreren Pilgern die Wallfahrt nach Dscho-mitsing in Hamdung gemacht
+hat und er sowohl wie Tugden Dardsche dem Gouverneur von Nakktschu
+(also Kamba Bombo) gewisse Mitteilungen gemacht haben.
+
+„Der Gouverneur von Nakktschu hat (seinerseits) dem Dewaschung
+(folgende) Mitteilungen gemacht. Tsanges Sekretär hatte gesagt, daß
+er um die Zeit, als er sich auf den Weg gemacht, europäische Männer
+gesehen habe und eine Strecke weit in ihrer Gesellschaft gereist
+sei. Nachdem sie eine Menge Kleidungsstücke gekauft, seien sie
+weitergezogen. Im Basare habe er zwei Russen gesehen. «Wohin reist
+ihr», habe er gefragt, «seid ihr Lamas?» «Wir sind Lamas», hätten
+sie geantwortet. Der Arzt Schereb Lama, ein Chalchamongole, sei mit
+ihnen zusammengereist und ihr Führer gewesen. Unterwegs habe er sechs
+russische Leute marschieren sehen. Eine Menge Kamele und Leute seien im
+Anzuge.
+
+„Nach Namru und Nakktsong sollen schleunigst Schreiben abgesandt
+werden, so daß es überall bekannt wird, daß von Nakktschu an und
+landeinwärts, soweit mein (d. h. des Dalai-Lama) Reich reicht,
+russische (europäische) Männer keine Erlaubnis erhalten, nach Süden
+zu ziehen. An alle Häuptlinge sollen Schreiben erlassen werden.
+Bewacht die Grenzen von Nakktsong; es ist notwendig, das Land Stück
+für Stück streng zu bewachen. (Diese Stelle lautet auf Mongolisch.
+“Nakktsäng-tsonguin tsachar hara, gadser gadser sän harreha kerekté„.
+Die Provinz wird hier also «Nakktsäng-tsong» genannt, aber sonst
+hörten wir sie stets kurzweg «Nakktsong» nennen, wie auch der See
+Nakktsong-tso hieß.) Es ist absolut unnötig, daß europäische Männer
+in das Land der heiligen Bücher kommen, um sich dort umzusehen. In
+der Provinz, die euch beiden untertan ist, haben sie durchaus nichts
+zu suchen. Wenn sie sagen, daß es notwendig sei (so wisset), daß
+diese beiden Anführer nicht nach Süden reisen dürfen. Sollten sie
+dennoch ihre Reise fortsetzen, so verliert ihr euren Kopf. Zwingt
+sie, umzukehren und den Weg, auf dem sie gekommen sind, wieder
+zurückzugehen.“
+
+Durch dieses Schreiben kam für uns Licht in verschiedene Punkte, die
+uns bisher dunkel geblieben waren. Lama Sandsche und Tugden Dardsche
+gehörten zu der Karawane von mongolischen Pilgern, die im Mai 1900
+Tscharchlik passiert hatte. Schon in Korla und Kara-schahr waren sie
+mit meinen burjatischen Kosaken und mit dem Lama zusammengetroffen, und
+die Mitteilungen, die sie hierüber gemacht hatten und die hier in dem
+Dokumente angeführt waren, entsprachen in der Hauptsache der Wahrheit.
+„Eine Menge Kamele und Leute“, bezieht sich auf die große Karawane
+unter Tschernoff und Turdu Bai.
+
+Sobald sie in Nakktschu angelangt waren, hatten sie Kamba Bombo über
+alles Geschehene Bericht erstattet, und dieser hatte sofort einen
+Kurier nach Lhasa an den Dewaschung gesandt. Der Kurier langte am 19.
+des 6. Monats in Lhasa an, und schon am 21. wurde das ganze Land im
+Norden und Westen der Hauptstadt, besonders die Provinzen Namru und
+Nakktsong, benachrichtigt, daß scharf aufgepaßt und das Eindringen
+von Europäern in das Land verhindert werden müsse. Der Ausdruck „die
+Provinz, welche euch beiden untertan ist“ beweist, daß das Schreiben,
+welches mir jetzt vorgelesen wurde, besonders an die beiden Gesandten,
+die uns hier am Nakktsong-tso den Weg versperrten, gerichtet war.
+Der ältere hieß Hladsche Tsering, der jüngere Junduk Tsering. Sie
+sind also die Gouverneure von Namru und Nakktsong. Doch nach anderen
+Aufklärungen, die wir erhielten, scheint es, als hätten sie sich zur
+Zeit von Kamba Bombos Schreiben zufällig in Lhasa aufgehalten und dort
+die eben angeführte Order persönlich in Empfang genommen. Ihnen waren
+auch eine Menge Einzelheiten von meinem ersten Vordringen nach Lhasa
+und von Kamba Bombos Art und Weise, uns festzunehmen, bekannt. Mit
+„diese beiden Anführer“ sind sicherlich Tschernoff und Sirkin gemeint,
+denn wir hatten, als Kamba Bombos Leute uns festnahmen, erklärt, daß
+im Hauptquartiere zwei Europäer seien, die Rache nehmen würden, wenn
+uns ein Leid widerführe. Wie wir gefürchtet, hatten die mongolischen
+(tangutischen) Pilger uns einen bösen Streich gespielt! Doch auch ohne
+ihre Angeberei hätten wir bald festgesessen, denn sowohl Kamba Bombo
+wie jetzt Hladsche Tsering erzählten, daß Yakjäger, die uns gesehen,
+sofort Bericht darüber erstattet hätten.
+
+Ich konnte darauf nichts weiter erwidern, als daß alles in Ordnung und
+sie völlig in ihrem Rechte seien, uns den Weg zu versperren, und ich
+sagte ihnen ehrlich, daß die von ihnen beobachtete Absperrungspolitik
+die einzige sei, die ihr Land vor dem Untergange bewahren könne.
+
+„Rund um Tibet herum, im Norden, im Süden und im Westen haben die
+Europäer entweder die Länder eurer Nachbarn erobert oder sie von sich
+abhängig gemacht; jetzt geht auch China allmählich unter, euer Land ist
+in Asien das einzige, das noch unberührt ist.“
+
+„Re, re“, antworteten sie, „so wollen wir es haben! Es tut uns
+euretwegen sehr leid, daß ihr nicht nach Lhasa reisen könnt, aber wir
+müssen unseren Befehlen gehorchen. Für uns wäre es viel angenehmer
+gewesen, wenn wir Befehl erhalten hätten, euch nach Lhasa zu führen und
+euch alles zu zeigen.“
+
+Um eine Aufklärung zu erzwingen, fragte ich, ob sie etwas dagegen
+hätten, meinen chinesischen Paß nach Lhasa zu schicken, während welcher
+Zeit wir ja die Antwort zusammen erwarten könnten.
+
+„Unter keiner Bedingung, und zwar aus zwei Gründen. Erstens hat der
+Kaiser von China hier bei uns überhaupt nichts zu sagen, und zweitens
+würden wir dann beim Dewaschung in den Verdacht geraten, in eurem
+Interesse tätig zu sein, und im günstigsten Falle abgesetzt werden.“
+
+Schereb Lamas Name kam in dem Dokumente vor. Hier hatten sie ihn
+leibhaftig vor sich. Sie sagten ihm, daß, wenn es nicht meinetwegen
+wäre, sie ihn eigentlich mitnehmen und an die Behörden von Lhasa
+ausliefern müßten, von denen er seine wohlverdiente Strafe erhalten
+würde, weil er einen Europäer nach Lhasa habe führen wollen. Sein
+Name sei jetzt in dieser Stadt bekannt und stehe schon im Buche der
+Verdächtigen. Es sei für ihn selbst das Beste, sich in der heiligen
+Stadt nie wieder sehen zu lassen. Sie hielten unserem armen Lama eine
+donnernde Strafpredigt. Aber jetzt, da sein Spiel doch verloren war,
+nahm auch er kein Blatt mehr vor den Mund; er legte ordentlich los,
+machte die beiden Gesandten schonungslos herunter und fragte, mit
+welchem Rechte sie einen Lama züchtigen wollten, der kein tibetischer
+Untertan sei; er habe von dem chinesischen Gouverneur in Kara-schahr
+Erlaubnis erhalten, mit mir zu reisen; der Prior seines dortigen
+Klosters habe gleichfalls seine Einwilligung dazu gegeben, und er
+werde bei seiner Rückkehr berichten, wie die tibetischen Behörden sich
+betragen hätten. Da ich fürchtete, daß der Zank in Handgreiflichkeiten
+übergehen würde, holte ich die große Spieldose, deren Musik wie Öl auf
+die Wogen wirkte.
+
+Hladsche Tsering war übrigens der Typus eines tibetischen Gentleman,
+ein wirklich netter, gemütlicher alter Onkel, von dem schließlich
+alle Mitglieder unserer Karawane, sogar der Lama, entzückt waren
+(Abb. 272). Niemand wird mir widersprechen, wenn ich sage, daß er
+viel mehr Ähnlichkeit mit einem runzeligen, alten Mütterchen als mit
+einem gebieterischen Statthalter hatte. Man betrachte nur das Bild,
+das ich von ihm zeichnete. Sein völlig bartloses Gesicht, die Art,
+wie er sein Haar trug, der Zopf, die Mütze mit dem Amtsknopfe, die
+Ohrringe, alles trug dazu bei, ihm einen so stark femininen Anstrich
+zu geben, daß ich ihn in vollem Ernst fragte, ob er am Ende nicht doch
+ein altes Weib sei. Diese Aufrichtigkeit, die manches andere männliche
+Individuum sehr übel genommen haben würde, machte auf Hladsche Tsering
+einen ganz guten Eindruck; er lächelte freundlich, nickte und verzog
+sein Pergamentgesicht zu den muntersten Grimassen, hielt sich die Hand
+vor die Augen, lachte schließlich derart, daß ihm die Tränen über die
+Wangen liefen, und versicherte, er sei wirklich ein Mann.
+
+Um 7 Uhr abends ging ich mit Schagdur und dem Lama nach seinem Zelte
+und kam erst um Mitternacht wieder nach Hause. Jetzt wurde von unseren
+Plänen kein Wort mehr gesprochen, wir amüsierten uns nur und scherzten
+miteinander wie zwei junge Studenten. Jeder prahlte mit seinen Waffen.
+Daher schlug ich vor, Schagdurs Säbel gegen ein tibetisches Schwert zu
+probieren. Nach der Probe sah dieses wie eine Säge aus, aber später
+sahen wir auch mehrere von ziemlich gutem Stahl. Hladsche Tsering
+zeigte uns, daß er auch einige recht brauchbare Revolver hatte.
+
+Sein weißes Zelt mit blauen Streifen und Bändern war sauber und hübsch
+eingerichtet. An der hinteren Querwand stand eine Art niedrigen Diwans
+aus Polstern und Kissen und davor ein ebenfalls niedriger Tisch, auf
+welchem uns Tee, sauere Milch und Tsamba angeboten wurden. Auf der
+rechten Seite des Diwans (d. h. wenn man darauf saß) stand ein kleiner
+tragbarer Tempel mit verschiedenen Burchanen (Götterbildern), die
+vergoldet und zum Teil in „Haddik“ gewickelt waren; unter anderen
+sah man dort auch den Burchan des Dalai-Lama. Vor ihnen brannten
+einige Öllampen, und in kleinen Messingschalen waren, wie es auch
+in den großen Tempeln Brauch ist, den Götterbildern allerlei leicht
+verdauliche Speisen hingestellt. Sobald man einen Schluck von seinem
+Tee trank, war sofort ein Diener da und goß die Tasse wieder bis oben
+voll, selbst wenn dazu nur fünfzehn Tropfen gehörten. Ein eigener
+Pfeifenreiniger bediente Hladsche Tsering, der aus seiner langen
+chinesischen Pfeife rauchte und sehr von meinem Tabak entzückt war,
+weshalb ich ihm eine ganze Blechschachtel davon schenkte.
+
+Der ungefähr 45 Jahr alte Junduk Tsering war weniger intelligent und
+glaubte, uns durch große Worte schrecken zu können. Er war es, der bei
+jeder Gelegenheit unübersehbare Heerscharen ins Treffen führte und
+seine Soldaten nach Millionen rechnete. Ich klärte ihn darüber auf,
+daß ich seine Krieger selbst gezählt und nur 120 Mann gefunden hätte.
+Diese Zahl wuchs indessen unaufhörlich, bis sie schließlich beinahe
+fünfmal so groß war! Ich hatte nicht die geringste Lust, mit ihnen
+Krieg anzufangen, denn ich hatte ja nur vier Kosaken und überdies, wie
+jedermann begreifen wird, weder das Recht noch den Wunsch, Gewalt zu
+brauchen. Wenn wir trotzdem einen ebenso wahnsinnigen wie verwerflichen
+Schritt getan hätten, wäre es den Tibetern mit ihrer Übermacht eine
+Kleinigkeit gewesen, uns in irgendeinem Passe den Weg zu versperren.
+Aber der russische Kaiser hatte mir die Eskorte nicht gegeben, um in
+Tibet Streit anzufangen, sondern nur als Sicherheitswache für meine
+Person. Es war für mich also eine Ehrensache, die Kosaken unverletzt
+wieder zurückzubringen, und ich hatte daher Rücksicht auf sie zu nehmen.
+
+Der gutmütige, ein wenig beleibte und aufgeschwemmte Junduk Tsering
+war also nur schwach begabt. Unaufhörlich fuhr er sich bei unserem
+Wortwechsel mit der flachen Hand um den Hals, um zu veranschaulichen,
+wie wir um einen Kopf kürzer gemacht werden würden, wenn wir weiter
+nach Süden zögen. Ich sagte ihm gerade heraus, daß er von allen Herren,
+die ich bisher kennen gelernt, einer der dümmsten sei, und fragte ihn,
+ob es viele zweibeinige Esel in Lhasa gebe.
+
+Beide Gesandten waren elegant und sauber gekleidet und hatten
+verschiedene Anzüge, Alltags- und Paradekostüme, warme und leichte,
+mitgebracht. Sie waren nach chinesischer Mode gekleidet, denn sie
+trugen Kleiderröcke und Jacken oder Westen von seidenen und wollenen
+Stoffen. Auf den beigefügten Bildern sind sie im Paradeanzug (Abb. 273,
+274).
+
+
+
+
+Zweiundzwanzigstes Kapitel.
+
+Der Nakktsong-tso.
+
+
+Am 14. September verließ ich das Lager, um eine der herrlichsten
+Seefahrten anzutreten. Ich ritt mit Kutschuk westwärts nach dem
+naheliegenden Ufer des Nakktsong-tso; das Boot wurde auf einem Kamele
+hinbefördert. Die Tibeter ließen mich merkwürdigerweise in Ruhe, aber
+ich hatte ihnen ja auch gesagt, daß ich nur fischen wolle. Die Karawane
+hatte Befehl, noch einen Tag hier liegenzubleiben, dann aber nach dem
+Westufer des Sees zu ziehen und mich an dem Punkte, wo wir vor einigen
+Tagen hatten umkehren müssen, zu erwarten. Wir nahmen Proviant für drei
+Tage und warme Kleidung für die Nächte mit.
+
+In Südwesten erhob sich aus der blauschillernden Wasserfläche eine
+kleine Felseninsel, nach der wir steuerten. Es dauerte mehrere Stunden,
+ehe wir sie erreichten. Der See scheint sich sehr weit nach Westen
+zu erstrecken. Ich freute mich über die herrliche Aussicht, das
+schöne Wetter, das Rauschen der kristallklaren Wellen um die Jolle,
+den warmen, heiteren Tag mit 14,2 Grad Wärme und schwelgte in dem
+Bewußtsein, von der liebenswürdigen Aufdringlichkeit der Tibeter und
+ihren rührenden Besorgnissen um unseren Weg befreit zu sein. Die größte
+Tiefe auf diesem Weg betrug 12,70 Meter.
+
+Die kleine Felseninsel überragt den Spiegel des Sees um etwa 50 Meter.
+Auf ihrem westlichen Vorsprung ist eine Steinplatte errichtet, die
+sicherlich zur Bezeichnung eines Winterweges, der über das Eis führt,
+dient. Ein kleiner Streifen von dichtem, üppigem Grase kann jetzt
+ungestört wachsen, da die Tibeter keine Boote besitzen; aber Yakdung
+und Schafmist verrieten gelegentliche Winterbesuche, um welche Zeit die
+Insel dank der Eisdecke mit dem Ufer in Verbindung steht. Im übrigen
+fallen die Kalksteinfelsen nach allen Seiten steil ab. Vom Gipfel aus
+bot sich uns eine prächtige Aussicht über die südlichen Partien des
+Sees, und ich zeichnete eine Kartenskizze dieses ganzen Gebiets, zu
+dessen genauer Untersuchung es uns an Zeit gebrach.
+
+[Illustration: 278. Unser Lager auf der Insel. (S. 294.)]
+
+[Illustration: 279. Das südliche Ufer unseres Gefängnisses. (S. 298.)]
+
+[Illustration: 280. Die Zelte der Gouverneure. (S. 302.)]
+
+[Illustration: 281. Das Ufer des Boggtsang-sangpo. (S. 304.)]
+
+Während des Marsches nach der „Kalpetbucht“ war es uns vorgekommen, als
+dehne sich der Nakktsong-tso sehr weit nach Süden aus und erstrecke
+sich bis an den Bergrücken, der nach dieser Seite hin die Aussicht
+begrenzte. Nun aber stellte sich heraus, daß nur ein paar Kilometer
+die Insel vom Südufer trennten. Die Gesichtstäuschung beruht auf der
+Luftspiegelung, in welcher die außerordentlich tiefliegende Ufersteppe,
+die sich zwischen dem Seeufer und dem Fuße des Gebirges ausdehnt,
+verschwindet. Die Steppe glänzte grün von vorzüglicher Weide; schwarze
+Punkte zeichneten sich dort ab: Yake, Pferde und Schafe, sowie acht
+schwarze Zelte, auch einige kleine Steinhäuser, möglicherweise Tempel,
+waren zu sehen.
+
+Westlich von der Insel erheben sich drei wilde, bizarre Bergkämme, die
+sich auf einer größeren Insel zu erheben schienen oder die vielleicht
+-- ja, wie es sich mit dieser Sache verhielt, wollten wir jetzt
+gerade feststellen. Nachdem wir eine niedrige Landspitze am Ostende
+der südlichsten Kette umrudert hatten, steuerten wir nach West zu
+Süd, welche Richtung wir bis zum Nachtlager beibehielten. Nun haben
+wir den südlichen Bergast gleich linker Hand. Er gleicht einer aus
+gewaltigen, rauhen Blöcken aufgetürmten Riesenmauer; hier und dort
+fällt er senkrecht in das Wasser hinunter, das überall seicht und
+selten mehr als 2 Meter tief ist. Westwärts rückt das Land zusammen;
+vielleicht würden wir hier in eine Sackgasse geraten. Der See wird
+immer enger; wir passieren das westliche Ende der ersten Kette, dann
+das der zweiten, die in einem zerrissenen Gipfel kulminiert. Jetzt
+ist es nur noch ein Kilometer bis an das Südufer. Ist das rechts von
+uns eine Insel oder nicht? Das ist die Frage, die wir uns bei jedem
+Ruderschlage vorlegen. Wir rudern immer weiter in diese rätselhafte
+Bucht hinein. Die untergehende Sonne streut Gold und Purpur über die
+rauhen Felsvorsprünge, die sich in der ruhigen Wasserfläche spiegeln,
+durch deren glashelle Decke Algen und Wasserpflanzen schimmern.
+
+Wir folgen dem nach Nordwesten abbiegenden Ufer. Der Graswall sah ganz
+unberührt aus, und wieder hofften wir, daß es eine Insel wäre, auf
+der wir eine friedliche Nacht ohne alle tibetischen Besuche würden
+zubringen können. In der westlichen Verlängerung des zweiten Bergarmes
+erhebt sich jenseits des Wassers ein imposanter Gebirgsstock. An seinem
+Südfuße, nur ein paar hundert Meter von uns entfernt, taucht eine
+steinerne Hütte auf, von welcher Rauch aufsteigt und vor welcher ein
+einsamer Hund wütend bellt.
+
+In der Dämmerung rudern wir in die stille Bucht hinein; das Hundegebell
+verstummt hinter uns, Felsen erheben sich senkrecht auf beiden Seiten
+und werfen ein helles Echo der Ruderschläge zurück; jeder Laut zittert
+zwischen den Bergwänden, und wir treten wie in einen Tempelsaal in
+Gottes freier, erhabener Natur ein. Einige Königsadler kreisen mit
+regungslosen Flügeln in diesem großartigen Engpasse.
+
+Auf einmal schien die Bucht ein Ende zu nehmen; doch nein, es war nur
+eine niedrige Landzunge, die den schmalen Sund fast ganz sperrte;
+jenseits derselben ging der Weg nach Nordwesten weiter, aber vor
+Felsen sah man nicht weit. Die Dunkelheit verhüllte auch bald diese
+entzückende Gegend unseren Blicken, und wir mußten für die Nacht
+landen. Dicht bei unbekannten Menschenwohnungen im Freien zu liegen,
+war gerade nicht angenehm, aber ich hatte den Revolver bei mir.
+Sobald das Boot aufs Land gezogen war, wurden die nächsten Umgebungen
+untersucht, und nun fanden wir zu unserer Freude, daß die Landzunge
+einen 30 Meter breiten Sund neben der südlichen Bergwand offen ließ, so
+daß wir am nächsten Morgen unsere Entdeckungsreise fortsetzen konnten
+und von den Eingeborenen getrennt blieben, die aus Mangel an Booten
+nicht imstande sein würden, uns zu belästigen. Prächtiger, trockner
+Argol war in Menge vorhanden, und bald brannte ein gemütliches Feuer
+mit heller blauer Flamme, lautlos wie ein Elmsfeuer; der Argol knistert
+nicht wie Holz. Die Nacht war klar und windstill und verfloß für uns,
+die wir in unseren Pelzen zusammengekauert lagen, in aller Ruhe.
+
+Sobald die Sonne die Felsenspitzen auf der Westseite des Sundes
+vergoldete, erhoben wir uns, machten Feuer an und setzten das Teewasser
+auf. Tscherdon hatte uns einen vortrefflichen Proviant mitgegeben, eine
+gebratene Gans und einige Fladen Brot, und es war nicht das erstemal,
+daß Kutschuk und ich zusammen kampierten.
+
+Es währte nicht lange, so tauchte Kutschuk wieder sein Ruder in das
+klare Wasser, und das Boot glitt schnell zwischen den Felsen hin
+nach Nordwesten. Ich kann mich kaum erinnern, je eine so großartige,
+hinreißende Natur gesehen zu haben, wie hier dem Auge begegnete: ein
+venezianischer Kanal mit alten Zyklopenpalästen. Von Zeit zu Zeit
+springt vom Ufer eine Landspitze vor, welche die Aussicht versperrt,
+und wir glauben den Punkt erreicht zu haben, wo wir umkehren müssen;
+aber der Engpaß geht weiter, der natürliche Kanal öffnet vor uns
+eine neue Perspektive. Die Richtung Nordwesten ist für uns besonders
+vorteilhaft, denn gerade nach dieser Seite hin liegt unser Sammelplatz.
+Die Tiefe übersteigt 3½ Meter nicht, und die Breite dieses schmalen
+Wasserweges beträgt im allgemeinen nicht über ein paar hundert Meter.
+
+Wir waren sehr erstaunt, auf dem rechten Ufer hinter einem
+Felsvorsprunge eine Anzahl kleine Yake und Pferde zu sehen. Als das
+Boot an der Landspitze vorbeiglitt, stürmten drei Männer ans Ufer und
+trieben unter Geschrei und Steinwürfen ihre Tiere landeinwärts. Am
+Fuße des nächsten Vorgebirges auf der rechten Seite zeigten sich zwei
+schwarze Zelte; hier begafften uns ein Mann, eine Frau und ein Junge,
+die das größte Erstaunen über einen solchen Besuch in ihrer Gegend
+verrieten. Wenn überhaupt irgendwo, so mußte man hier vor Besuchen
+sicher sein, war doch ihr Wohnsitz mit einem wassergefüllten Graben
+umfriedigt. Das Auftreten von Nomaden ließ uns als gewiß erscheinen,
+daß das Land eine Halbinsel war und wir bald den ganzen Weg würden
+zurückmachen müssen. Wir bildeten uns beinahe ein zu bemerken, wie
+sich die Tibeter bei dem Gedanken, daß wir immer tiefer in den Sack
+hineinkröchen, über uns lustig machten. Einer von ihnen lief nach dem
+nächsten Bergkamme hinauf, wohl um zu sehen, was wir für verdutzte
+Gesichter machen würden, wenn wir nicht weiterkommen könnten.
+
+Dann aber erweiterte sich der Fjord, und eine neue Perspektive
+entrollte sich im Nordwesten. Das Boot war leck und mußte ausgeschöpft
+werden; unterdessen schneite es eine Zeitlang, doch dann hatten wir
+wieder Sonnenschein. Die Tiefen nahmen schnell zu und betrugen hier bis
+zu 11,68 Meter. Da sich die Landschaft jetzt bis in die Ferne öffnete,
+hofften wir, daß wir auf diesem Wege wieder auf den See hinaus gelangen
+könnten, ließen aber den Mut sinken, als der Fjord plötzlich zu Ende
+war und flaches Land sich vor uns ausdehnte. Auf außerordentlich
+seichtem Wasser zogen wir das Boot, soweit wir kommen konnten, in eine
+keilförmige Bucht hinein, und dort saßen wir hilflos fest.
+
+Der Strand, an dem wir zu Gaste waren, bestand aus lockerem, weichem
+Schlamm, in den man fußtief einsank. Kutschuk mußte sich Schuhe und
+Strümpfe ausziehen und durch den Morast nach dem nächsten Bergrücken
+waten, um zu rekognoszieren. Hierbei fand er, daß ein von Süden
+kommender Fluß in einen kleinen See mündete, der mit dem Nakktsong-tso
+zusammenzuhängen schien. Wir zogen daher das Boot ganz aufs Land,
+nahmen es auseinander und trugen es nebst dem ganzen Gepäck in mehreren
+Partien gute 500 Meter weit von der Bucht nach dem Flußarme. Das
+Vergnügen kostete uns drei Stunden, was jedoch noch immer besser war,
+als den ganzen Weg wieder zurückzumachen. Der Fluß hat zwei Arme, und
+vor seiner Mündung ist der See voller Schlammbänke, auf denen sich
+Hunderte von Möwen aufhielten. Jetzt konnten wir nach Nordosten rudern.
+
+Auf einem molenförmigen Sandvorsprunge saßen in der untergehenden
+Sonne etwa zwanzig Möwen, die sich blendendweiß von einem für uns
+besonders erfreulichen Hintergrund, der weiten, dunkelblauen Fläche
+des Nakktsong-tso, abhoben. Es war uns also geglückt. Streng genommen
+war es doch eine Halbinsel, die wir umrudert hatten, und wir hatten
+das Boot nur über eine 500 Meter breite Landenge zu schleppen gehabt;
+letztere aber bestand sichtlich aus alluvialem Schlamme, der diesen
+Teil des Fjords verstopft hatte; sonst wäre das Land der Nomaden eine
+vollständige Insel gewesen. Der Nakktsong-tso, der auf den Karten
+entweder gar nicht oder bestenfalls außerordentlich entstellt angegeben
+ist, besaß, wie sich herausstellte, eine höchst sonderbare Gestalt. Er
+bildet einen Wasserring, der nur in seinem nördlichen Teile ziemlich
+weit, in dem südlichen dagegen schmal wie ein Fjord ist. Eine ähnliche
+Form hat der südlich von Lhasa liegende See Jamdok-tso.
+
+Hinter der Sandmole nahmen die Tiefen schnell zu, von 3 Meter bis
+zu 22,20 Meter. Wir ruderten nach Ostnordost, nach welcher Richtung
+der Ring jetzt umbog. Als die Sonne am Horizont hinter uns stand,
+nahm das bisher dunkelblaue Wasser bei 3 Meter Tiefe einen intensiv
+grünen Farbenton an, und die Wasserpflanzen traten, wie durch
+Spiegelglas gesehen, klar hervor. Eine Landspitze am nördlichen Ufer
+war unser Ziel; von dort mußten wir das Signalfeuer der Unsrigen
+sehen können. Aber die Spitze lag mitten im Winde, und wir mußten
+in der Dämmerung den ersten besten Strand suchen. Der Himmel war
+außergewöhnlich klar, und die Deutlichkeit, mit welcher der Mond sich
+abzeichnete, war für eine Beobachtung verlockend. Es ging immer noch
+ein kalter, unfreundlicher Wind, doch das machte uns nichts mehr aus,
+nachdem wir in unsere schönen Pelze wie Murmeltiere gekrochen waren.
+Glücklicherweise regnete es während dieser beiden Nächte, die wir
+im Freien zubrachten, nicht; nur das Wiegenlied der Wellen lullte
+die müden Pilger in den Schlaf. Es ist schön, in Tibets sternklaren,
+stillen Nächten und in der klaren, dünnen, reinen Hochgebirgsluft den
+Himmel als Dach zu haben.
+
+Die Nachtkälte ging auf kaum 2 Grad herunter. Wir brachen in aller
+Frühe auf. Jetzt ist es kalt und unfreundlich. Der Seegang ist so
+stark, daß wir uns ganz in der Nähe des Landes halten müssen. Nachdem
+wir fünf Minuten unterwegs waren, brach ein abscheuliches Unwetter los.
+Der Hagel stürzte in solcher Menge nieder, daß das Innere des Bootes
+mit Eisschlamm erfüllt war. Gleichzeitig aber wurde die Heftigkeit des
+Wellenganges und auch der Wind gedämpft. Der Sturm schien über uns
+stehenzubleiben und setzte seine Dusche über zwei Stunden lang fort.
+Hier herrschte halbe Dämmerung, doch im Osten badete sich das Land in
+Sonnenschein; hinter uns war der Himmel schwarz und das Gebirge in
+Weiß gehüllt, wir sind auf dem Wege von dem Sitze des Winters nach der
+Wohnstätte des Sommers. Der Hagel ging allmählich in Schnee über, der
+sich weich wie Baumwolle in das Boot legte.
+
+Das Wasser hat die wunderbarste blaugrüne Farbe, ein leicht erregtes,
+flüchtiges Element, das den Blick nicht an der Erforschung der
+Geheimnisse des Seebodens hindert.
+
+Eine gute Weile mußten wir auf einer Landzunge rasten. Ich erstieg
+eine Anhöhe, um mich zu orientieren. Am Nordufer erschien jetzt gerade
+wie gerufen die Karawane mit ihrer Kosakenbedeckung; ihr folgten auf
+den Fersen die Tibeter in dichten, schwarzen Schwärmen. Rechts haben
+wir eine ziemlich große Insel, auf der 20 Pferde grasen. Von dieser
+Insel springt eine Landzunge vor, der eine ebensolche vom Festlande
+entgegenkommt. Sie zeigen aufeinander hin wie die Kohlenspitzen in
+einer elektrischen Lampe, und der schmale Sund zwischen ihnen ist so
+seicht, daß die Jolle gegen den Grund schrammt. Über diese Landzungen
+geht die nach der Insel führende Furt.
+
+Eine Stunde später hatten wir das ganze Lager auf dem verabredeten
+Platze vor uns. Es breitete sich in seiner ganzen Herrlichkeit am Ufer
+aus; Massen von Leuten und Pferden waren auf allen Hügeln. Hier und
+dort zerteilte der Wind eine Rauchsäule; wir haben 5, die Tibeter 19
+Zelte, aber die meisten von ihnen kampieren doch am Feuer unter freiem
+Himmel. Alle die Unseren standen am Ufer, und die Kosaken machten
+wie gewöhnlich Honneur. Jeden Morgen muß ich meine Leute in drei
+verschiedenen Sprachen begrüßen: mit „Sdrasdwijte“, „Salam aleikum“ und
+„Ämur sän bane“.
+
+Als ich zwei Nächte ausblieb, waren die Gesandten sehr ängstlich
+geworden und hatten das Lager unter besondere Bewachung gestellt.
+Den ersten Abend hatte Hladsche Tsering die Kosaken gefragt, die,
+ohne eine Miene zu verziehen, geantwortet hatten, ich sei nach dem
+Südufer gerudert, um mich von dort nach Lhasa zu begeben, und sie
+hätten Befehl, meine Rückkehr abzuwarten. Dies hatte die Gesandten
+sehr verstimmt, und sie hatten nach allen Richtungen, namentlich
+nach Süden, Patrouillen ausgeschickt. Unzweifelhaft waren sie jedoch
+schon im Laufe des zweiten Tages dahintergekommen, daß wir uns auf
+dem See aufhielten, hatten aber den auf dem Südufer wohnenden Nomaden
+verboten, uns irgendwie zu helfen. Während des Marsches hatten sie
+dann wiederholt meine Leute gezählt und gefunden, daß noch immer zwei
+fehlten. Sie konnten den Zusammenhang nicht recht begreifen, fürchteten
+aber, daß einer meiner Leute zwei Pferde nach dem Südufer geführt habe,
+auf denen ich mit irgendeinem Begleiter nach Lhasa zu reiten gedächte.
+Ihr Auftreten gegen die Karawane wurde daher strenger; es wurde ihr
+kein Proviant mehr geliefert, und das Lager wurde nachts mit starken
+Wachtposten umgeben. Ihre Unruhe legte sich auch nicht eher, als bis
+sie das Boot zwischen den Wellen heranstampfen sahen. Jetzt bestanden
+ihre Truppen aus 194 Mann, obgleich mehrere Patrouillen noch nicht
+zurückgekehrt waren; wir waren 18, d. h. einer gegen 10, nein, -- einer
+gegen 50, wenn ich nur die Kosaken rechne!
+
+Die Tibeter müssen von uns Europäern eine jämmerliche Meinung haben;
+die meisten von uns sind, wenn sie bis in die „heilige Sphäre“
+gelangten, so von allem entblößt und in so erbärmlichem Zustande
+gewesen, daß sie der Hilfe und Unterstützung der Tibeter bedurften, um
+überhaupt nur wieder aus dem Lande herauskommen zu können. Sie haben
+nie eine ordentliche Truppe in guter Verfassung gesehen, die nicht
+danach fragte, ob ihr der Durchzug erlaubt sei. Es war allerdings eine
+starke Versuchung für mich gewesen, den Tibetern mit Hilfe des Sees
+und des Bootes ein Schnippchen zu schlagen, und zwei Pferde hätte man
+mitten am Tage von einem Weideplatze nach dem Südufer bringen können.
+Ich hätte aber dadurch nicht viel gewonnen, vielleicht nur wenige
+Tagemärsche.
+
+Das „Land der Burchane“, das Land der heiligen Bücher im Süden --
+dorthin darf kein Europäer ziehen; es ist das Erbland des Dalai-Lama,
+ein heiliges Land, sein Eigentum. Schwerlich sind seine Lamas jetzt
+fanatischer als in jener Zeit, da die Jesuitenmissionare gastfreundlich
+von ihnen aufgenommen wurden, und sicherlich sind sie heutzutage
+auch nicht weniger tolerant als im Jahre 1845, da die Missionare Huc
+und Gabet sich einige Monate in Lhasa aufhielten. Nein, ihre strenge
+Isolierung während der letzten Jahrzehnte hat politische Gründe. Ihre
+friedliche, aber wirksame Taktik geht darauf aus, die Grenzen gegen
+Europäer zu bewachen und die ungebetenen Gäste höflich und freundlich,
+aber bestimmt aus dem Lande hinauszutreiben. Dennoch wird auch an
+Tibet einst die Reihe kommen. Solange die Tibeter auf derselben Erde
+wohnen wie wir, müssen sie es sich gefallen lassen, daß wir den Wunsch
+haben, sie kennen zu lernen, ihre Religion und heiligen Schriften, ihre
+Tempel, Sitten und Gebräuche zu studieren, ihr Land und seine Mittel zu
+erforschen, Karten von ihren majestätischen Gebirgen aufzunehmen und
+ihre launenhaften Seen zu sondieren. Noch haben sie sich allerdings
+nicht durch Vorspiegelungen von dem Aufschwunge des Handels und der
+Einfuhr von Tabak, Spirituosen, Opium und Feuerwaffen locken lassen;
+nein, „fort mit allen euren Genußmitteln, eurem Stahle, Golde und
+Silber, und laßt uns nur in unsrem eigenen Lande in Frieden!“
+
+Wenn ich sage: „Ich will den südlichen Weg nach Ladak gehen“, so
+antworten sie mir: „Dort gibt es keinen Weg.“ Wenn ich ihnen den Weg
+auf der Karte zeige und einige Namen nenne, so wenden sie ein:
+
+„Nun wohl, es gibt dort einen Weg; er ist aber nur für uns, ihr dürft
+nicht durch das Land der Burchane gehen.“
+
+Und wenn ich sage: „Ihr seid nicht gastfrei; wenn ihr in mein Land
+kommt, werdet ihr freundlich aufgenommen und dürft alles sehen“, so
+beeilen sie sich zu antworten: „Euer Land gehört euch, dort haben wir
+nichts zu tun, aber unser Land gehört uns; ihr müßt es daher verlassen
+und wieder heimreisen.“
+
+Recht kostspielig muß es sein, eine Truppe von 200 Mann so lange unter
+Waffen zu halten, ganz abgesehen davon, daß die Leute ihr Heim und
+ihre Herden haben verlassen müssen. Doch es mag kosten, was es will,
+wenn nur keine Fremdlinge über die Grenze kommen. Es war für sie
+eine ungeheure Plackerei, trotzdem waren sie aber stets höflich und
+freundlich. Ihre Scheu vor Fremden wendet sich nur gegen die Europäer;
+Chinesen und Leute aus Ladak haben freien Zutritt, andere benachbarte
+asiatische Völker ebenfalls. Hladsche Tserings Koch war ein Dungane,
+der ein wenig „Tschanto“ (Türkisch) verstand und in Ostturkestan
+gewesen war. Die Muhammedaner nennen alle, die sich nicht zum Islam
+bekennen, Heiden (Kaper), einerlei, ob diese Asiaten oder Europäer
+sind. Die Tibeter verschließen ihr Land +nur+ den Europäern; ihre
+Isolierung ist also politisch, nicht religiös. Ein Chinese, ein Japaner
+oder ein Burjate, ein Pundit, wie Nain Singh oder Krishna, ein Kaufmann
+aus Leh, alle können sich ohne Schwierigkeit nach Lhasa begeben. Und
+ist solch ein Asiate nur entsprechend instruiert worden, so kann er
+nachher über alles, was er gesehen hat, genaue Auskunft geben. Wir
+kennen, wie ich bereits erwähnt habe, Lhasa besser als sonst eine Stadt
+in Innerasien, Kaschgar, Kuldscha und Urumtschi vielleicht ausgenommen.
+Wer Lamas in Urga, Kum-bum, in Hemis oder in anderen Tempeln in
+Ladak besucht hat, kann bezeugen, daß er überall mit der größten
+Gastfreundschaft aufgenommen worden ist und keine Spur von Intoleranz
+gefunden hat. --
+
+Nach einem ruhigen, klaren Abend fuhr um 10 Uhr wieder ein Hagelsturm
+über die Erde hin. Dann schneite es die ganze Nacht, und es war recht
+ungewöhnlich, die Schritte der Nachtwache im Schnee knarren zu hören.
+Am 17. September blieb der Schnee auf den nördlichen Abhängen den
+ganzen Tag liegen, auf den südlichen dagegen verschwand er bald im
+Sonnenbrand. Fern im Süden überragte alle anderen Gebirge in der Gegend
+ein großartiger, kegelförmiger Gipfel, der blendend weiß glänzte und
+mit seiner regelmäßigen Gestalt einem erloschenen Vulkane glich.
+
+Die Karawane erhielt Befehl, nach der Mündung des Jaggju-rappga zu
+ziehen. Das Kamel, auf dessen Rücken Kalpet verschieden war, erkrankte
+jetzt, und Turdu Bai, der sich auf Kamele verstand, erklärte, daß es
+bald sterben würde, weil es einen Toten getragen habe. Das schöne
+Wetter lockte mich wieder auf den See hinaus; ich hatte auch keine
+Lust, einen ganzen Tag auf dem mir schon bekannten Wege nach dem
+Jaggju-rappga zu reiten. Ördek war mein Ruderer. Das Boot und das
+Gepäck wurden auf Pferde geladen; wir ritten nordwärts über die schmale
+Landenge zwischen Nakktsong-tso und Selling-tso.
+
+Die Schwelle zwischen den Seen ist höchst eigentümlich. Unmittelbar
+nördlich vom Ufer des Nakktsong-tso gelangen wir auf ihren Kamm, der
+höchstens 10 Meter über dem See liegt; von dort aus aber müssen wir
+eine ziemliche Strecke weit abwärtsreiten und können dabei ein Gefälle
+von wohl 50 Meter konstatieren, ehe wir den Selling-tso erreichen,
+der also ungefähr 40 Meter tiefer liegt als sein Nachbarsee. Ich bin
+fest davon überzeugt, daß der Nakktsong-tso einen Abfluß hat, habe
+aber vergeblich danach gesucht. Möglicherweise ergießt er sich durch
+unterirdische Abflüsse in den Selling-tso. Am Nordabhange der Landenge
+passieren wir dieselben deutlichen Uferlinien, die wir schon früher
+an den Ufern des letztern Sees gesehen haben und die anzeigen, daß er
+fällt.
+
+Das tiefliegende, morastige Ufer zwang uns, eine Strecke weit barfuß zu
+gehen, ehe wir das Boot ins Wasser setzen und dann nach Nordnordwest
+steuern konnten. Die Tiefen sind unbedeutend und betragen selten
+mehr als 3 Meter; der Boden besteht aus graublauem Ton ohne Spur von
+Vegetation, das Wasser hat eine leicht maigrüne Farbe, und darüber
+wölbt der Himmel seinen klaren, sonnigen Dom. Nur der Kamm der breiten
+Halbinsel, wo wir vor einigen Tagen umkehren mußten, zeichnet sich
+scharf ab und wird noch eine Strecke nach Osten hin durch eine Reihe
+kleinerer Felsenzähne, die über dem Wasser zu schweben scheinen,
+fortgesetzt. Auf der linken Seite sieht man durch das Fernglas die
+Karawane mit ihrem Gefolge von Tibetern, deren Zahl sich heute
+beinahe verdoppelt hat, da sich noch einige kleine Reiterscharen zur
+Haupttruppe gesellt haben. Eine schwarze Hagelwolke schwebte hartnäckig
+über ihnen und duschte sie unaufhörlich, was man deutlich an den hellen
+und dunkeln Streifen sehen konnte, die sich von der Wolke auf die Erde
+erstreckten. Wir dagegen bekamen nichts davon ab.
+
+Nachdem wir die Landspitze an der Mündung des Alla-sangpo umschifft
+haben, steuern wir westwärts gerade auf die Gabel der Kette zu, die das
+Tal des Jaggju-rappga im Süden begrenzt. Wir sahen sie in Verkürzung;
+hinter ihr stand die Sonne, und daher trat sie wie eine intensiv
+schwarze Silhouette hervor. Es war bereits stockdunkel, als wir das
+große Lager erreichten, dessen Feuer wie die Laternen in einer kleinen
+Stadt strahlten.
+
+[Illustration: 282. Gebirge im Norden des Lagers Nr. 92. (S. 305.)]
+
+[Illustration: 283. Gebirge im Norden des Lagers Nr. 92. (Fortsetzung
+nach rechts des Bildes Nr. 282.) (S. 305.)]
+
+Frühmorgens am 18. September gab ich Befehl zum Aufbruch. Während wir
+die Tiere beluden, erschienen einige Tibeter, die uns baten, noch
+einen Tag hierzubleiben, weil Hladsche Tsering und Junduk Tsering
+umkehren müßten und es in unserem eigenen Interesse liege, den Ankauf
+von Pferden und das Mieten von Yaken während ihrer Anwesenheit zu
+besorgen. Ich ließ antworten, es sei uns gleichgültig, wo sie blieben,
+wir würden heute auf jeden Fall reisen.
+
+„Wohin denn?“ fragten sie. Ich zeigte westwärts nach dem Tale des
+Jaggju-rappga.
+
+„Dort kommt ihr nicht durch“, behaupteten sie, „ihr müßt nach
+Nordwesten gehen.“
+
+Ohne weiteres Parlamentieren ritten wir jedoch auf dem linken,
+nördlichen Ufer flußabwarts. Von einem Hügel entwickelte sich bald nach
+Westen hin eine entzückende Aussicht über einen neuen, ansehnlichen
+See, der reich an Felseninseln, Vorgebirgen und Buchten war und beinahe
+ebenso unentwirrbar aussah wie der Nakktsong-tso.
+
+Sehr weit waren wir noch nicht gelangt, als uns schon die Tibeter
+in schwarzen Haufen von je 15 oder 20 Mann überholten; wir waren
+vollständig umschwärmt von diesen Reitern, deren rote Fähnchen an den
+Flintengabeln flatterten, wohin man nur das Auge wandte.
+
+Als wir uns in der Nähe des Seeufers befanden, stellte es sich heraus,
+daß der Felsenarm, den wir rechter Hand hatten, in den See vorsprang
+und eine Halbinsel mit steilen Seiten bildete. Umgehen ließ sie sich
+nicht. Die Tibeter zeigten uns jedoch einen recht schwierigen Paß.
+Einige Stellen waren so steil, daß ein hier stürzendes Kamel unten als
+gehacktes Beefsteak angekommen wäre. Von der Paßschwelle entrollte
+sich eine neue herrliche Aussicht nach Nordwesten über einen anderen
+Teil des Sees mit neuen pittoresken Halbinseln und Felseneilanden. Die
+schwarzen Haufen der Tibeter rollten in Staubwolken wie Lawinen die
+Abhänge hinunter. Ehe wir noch hinuntergelangten und uns neben ihrem
+Hauptquartier niederließen, rauchte es schon aus allen ihren Zelten.
+
+Dieser Lagerplatz. Nr. 84, am Ostufer des +Tschargut-tso+ (4613
+Meter) war einer der besten und angenehmsten, die ich je gehabt habe.
+Alles, was man sah, war schön, entzückte das Auge und machte den Sinn
+fröhlich. Westwärts sieht man tief in die Fjorde des Sees hinein wie
+in einen Steinwald (Abb. 275). Je entfernter sie liegen, in desto
+leichteren Nuancen treten Inseln und Vorgebirge hervor, aber alles
+ist von der Sonne überflutet. Die Tibeter passen gut in diese wilde
+Landschaft hinein, von der ihre malerische Tracht und kriegerische
+Ausrüstung durchaus nicht unangenehm absticht.
+
+Der Strand, ein natürlicher Korso, bietet dem Auge ein sehr lebhaftes,
+farbenreiches Bild dar. Außer unseren Zelten kann man noch 25 zählen,
+und doch kampieren die meisten Soldaten an offenen Feuern. Der Strand
+wimmelt von Menschen und Pferden. Dabei vermehrt sich die Zahl unserer
+Wächter, die jetzt 500 Mann betrug, noch immer.
+
+In der Dämmerung kam Almas allein an. Kalpets Kamel, der „Katafalk“,
+war nicht mehr am Leben; Turdu Bai hatte recht gehabt. Was denkt das
+Kamel, wenn es weint und den Tod im Herzen fühlt? Kein Philosoph auf
+Erden kann es uns sagen; man weiß ja nicht einmal, was der Mensch
+träumt, wenn die Flügelschläge des Todesengels eiskalt durch seinen
+Körper gehen.
+
+Wir waren uns über die Absichten der Tibeter nicht ganz klar. Wozu
+brauchten sie jetzt, da wir auf dem Wege nach Ladak waren, so viele
+Truppen zusammenzuziehen? Sie verstärkten die Nachtwachen und hielten
+ihr Arsenal in steter Bereitschaft. Sollten sie einen nächtlichen
+Überfall beabsichtigen?
+
+Ich träumte in der Nacht etwas derartiges und wachte um 1 Uhr auf. Ich
+hatte auf dem rechten Arme gelegen, und die Hand, die auf der Erde
+lag und vollständig eingeschlafen war, war eiskalt und gefühllos.
+Zufälligerweise berührte ich mit der linken Hand die rechte, und dabei
+fuhr mir, schlaftrunken wie ich war, der Gedanke durch den Kopf, daß
+die Tibeter mir eine Leiche ins Zelt geworfen hätten. Ich sprang auf,
+machte Licht, fand das Zelt leer und verstand nun erst, sobald die
+Gedanken wieder klar wurden, den Zusammenhang.
+
+Zwei Tage blieben wir an diesem schönen Strande. Nur zu schnell verging
+die Zeit unter Visiten, Gastmählern und neuen Überlegungen über
+den Weg nach Ladak. Ich erklärte offen, daß ich +den+ Weg zu gehen
+gedächte, der +mir+ behage, und daß ich mir darin keine Vorschriften
+machen ließe. Eine Eskorte sollten wir aber auf jeden Fall haben,
+und alles, was wir brauchten, sollte während der Reise angeschafft
+werden. Hladsche Tsering schenkte mir zwei Pferde, wie Kamba Bombo
+es getan hatte, und daneben sollten uns, da unsere Karawane jetzt in
+besorgniserregender Weise zusammengeschmolzen war, auf besonderen
+Befehl des Dalai-Lama stets 40 Yake zur Verfügung stehen. Es ist
+eigentlich seltsam, daß die Tibeter so artig und freundlich sein
+können, hatte ich doch die erste Warnung nicht beherzigt und zum
+zweitenmal versucht, in das verbotene Land einzudringen! Viele andere
+asiatische Völker hätten in solchem Falle ein Exempel statuiert,
+aber die Tibeter sind viel zu gutmütig und weichherzig, um Blut zu
+vergießen, und begnügen sich mit Waffengeklirr und Drohungen.
+
+Ein wahrhaft großartiges Schauspiel boten sie uns am Mittag des 19.
+September. Ich hatte Hladsche Tsering mitgeteilt, daß ich ihn selbst
+und seinen Kollegen und dann seine große Kavallerie photographieren
+wolle. Meine Bitte wurde mit dem größten Vergnügen gewährt, und sofort
+wurden einige Hundert Reiter aufgeboten (Abb. 276). Sie wurden in
+Gliedern geordnet; aber es war nicht leicht -- nicht einmal für die
+Häuptlinge, -- sie dazu zu bringen, daß sie sich einen Augenblick ruhig
+verhielten. Als ich bat, sie möchten ihre Schwerter und Lanzen in die
+Luft strecken, und dies geschah, erwachten sofort ihre kriegerischen
+Instinkte; die Pferde wurden unruhig, und die ganze Schar sprengte
+unter wildem Kriegsgeschrei wie zum Angriff vor! Als diese zügellose
+Horde über die Steppe hinsauste und die klirrenden Waffen in der
+Sonne blitzten, konnte man den Blick nicht davon losreißen. Der
+photographische Apparat mußte ruhen, bis sich der kriegerische Sinn
+der Leute wieder beruhigt und sie begriffen hatten, daß man beim
+Photographieren nicht so schrecklich zu lärmen und zu toben brauche.
+
+
+
+
+Dreiundzwanzigstes Kapitel.
+
+Der Tschargut-tso.
+
+
+Wir hätten eigentlich heute (am 20. September) nach dem fernen Ladak
+aufbrechen sollen; aber die Gesandten baten uns zu bleiben, weil sie
+noch einige Tagereisen weit mit uns ziehen wollten. Heute hatten sie
+jedoch einen großen Festtag und wollten sich still verhalten, und
+ich ging mit um so größerem Vergnügen auf den Vorschlag ein, als der
+Tschargut-tso mich auf seine schönen, aber falschen Wogen hinauslockte.
+
+Chodai Kullu wurde zum Ruderer ernannt. Wir hielten Kurs auf die
+äußerste Spitze der bergigen Halbinsel, die unsere Bucht im Süden
+begrenzte. Von dort gingen wir weiter auf den See hinaus, als auf
+einmal der Himmel im Westen schwarz wurde und der Sturm mit seinem
+gewöhnlichen Getöse angezogen kam. Wir wendeten sofort und landeten
+an dem steilen Ufer der Landspitze, wo indessen herabgefallene,
+scharfkantige Felsstücke das Boot zu zerschneiden drohten, denn die
+Wellen gingen bald hoch und preßten es gerade gegen das Ufer. Ich
+beschloß, quer über die heftig aufgeregte Bucht gerade nach unserem
+Lager hinzusteuern. Es knackte in dem Holzrahmen des Bootes, und der
+Sturm war zum Orkan geworden. Mit sausender Fahrt trieben wir nach dem
+Strande hin, wo sich die Tibeter in dichtgedrängten Haufen versammelt
+hatten, um Zeugen unseres Schiffbruchs zu werden. Bald entschwand
+die Jolle in einem Wellentale ihren Blicken, bald erschien sie auf
+einem Kamme, auf dessen Rücken sie stampfte und bebte. Für uns sah
+es unheimlich aus. Wir nähern uns dem Strande mit beängstigender
+Geschwindigkeit; im nächsten Augenblick muß das Boot von einer Welle
+auf den Sand geschleudert, im andern aber, wenn sie sich zurückzieht,
+wieder ins Wasser gezogen werden. Stumm vor Staunen, mit verhaltenem
+Atem standen die Tibeter und waren entschieden überzeugt, daß wir in
+der Brandung zerschellen würden. In dem Augenblick, als die Welle
+das Boot auf den Strand schleuderte, sprang Chodai Kullu ins Wasser,
+und alle vier Kosaken sprangen herzu, faßten die Relinge des Bootes
+und trugen mich wie auf einer Bahre aufs Trockne. Das Ganze ging
+blitzschnell vor sich, und die Tibeter eilten herbei, um sich zu
+überzeugen, ob ich wirklich noch lebe.
+
+Erst nachdem der Sturm sich gelegt hatte, konnten wir uns wieder
+hinausbegeben, worauf wir einige Lotungen mit gutem Gelingen ausführten
+und erst in der Dämmerung zurückkehrten. Es war ganz dunkel, als
+wir noch draußen auf dem See plätscherten, und die Arbeit wurde
+bei Laternenschein ausgeführt. Als wir uns spät abends dem Strande
+näherten, war der Anblick der Lagerstadt nicht weniger großartig
+als bei Tag. Alle Feuer leuchteten in einer langen Reihe längs des
+Ufers der Bucht, das beinahe wie ein illuminierter Hafenkai aussah.
+Der Rauch der Feuer wurde von der schwachen östlichen Brise über
+den See getrieben und lag wie ein graublauer Schleier über dem
+jetzt wieder ruhigen Wasser. Der Mond überflutete mit seinem Lichte
+diese außerordentlich schöne Landschaft und warf einen zitternden,
+silberglänzenden Streifen über den See. Bald schlägt das Lachen und
+Plaudern aus den Zelten und von den Soldatengruppen an unser Ohr. Die
+Leute trinken Tee, rauchen und sind mit Würfelspiel beschäftigt.
+
+Als ich am Morgen des 21. September geweckt wurde, stand die
+Quecksilbersäule auf dem Gefrierpunkte. Der See lag spiegelblank da,
+und seine weit hinten im fernen Westen verschwindende Perspektive
+mit den kulissenartig vorspringenden Gebirgspartien glich einem
+gigantischen Flußtale. An diesem hellen, schönen Herbstmorgen war ich
+fröhlich gestimmt und fühlte mich zu einer längeren Seefahrt um so
+mehr aufgelegt, als ich das Alleinsein im Boote dem Waffengeklirr und
+Pferdegetrappel der 500 Tibeter vorzog.
+
+Mit Proviant für drei Tage, warmen Kleidern und den nötigen
+Instrumenten versehen, steuerten Kutschuk und ich über den See. Bald
+darauf brach auch die Karawane auf; die Tibeter umschwärmten die Unsern
+in einzelnen Haufen, und ehe wir noch aus der Bucht auf den offenen
+See hinaustraten, war der eben noch so lebhafte Strand von Zelten
+und Menschen reingefegt, und das Schweigen der Wildnis legte sich
+wieder über die entzückende Gegend. Statt dessen zeichneten sich die
+Reisenden wie lange schwarze Linien, Gruppen und Punkte auf den Ebenen
+des Nordufers ab, wo sie westwärts zogen und bald hinter den Bergen
+verschwanden. Sie hatten Befehl, irgendwo in der Nähe des Westufers, wo
+es gutes Gras gab, zu rasten und uns dort zu erwarten. Die Gesandten
+waren ganz aufgeregt über die neue Seefahrt gewesen und hatten gefragt,
+was dies wieder heißen solle.
+
+Wir waren kaum eine Viertelstunde unterwegs, so war es mit der Stille
+für heute vorbei. Eine frische Westbrise erhob sich, und der Spiegel
+der Bucht wurde matt, seine Bilder wurden von einer leichten Kräuselung
+zerstört, die bald zu Wellen und Wogen anschwoll. Jenseits des
+südlichen Felsenvorsprungs wurde der Wind stärker und kam uns gerade
+entgegen. Er schwoll zu einem halben Sturme an, der See ging hoch, das
+Loten mußte unterbleiben, und es galt wieder, uns selbst und unser
+Gepäck zu retten. Zum Umkehren war es zu spät, und jetzt war niemand
+mehr an dem Strande, auf den uns der Sturm widerstandslos geschleudert
+haben würde. Wir versuchten vergebens, irgendeine freundliche
+Landspitze zu erreichen, hinter der wir hätten Schutz finden können,
+aber es blieb uns nichts weiter übrig, als draufloszurudern und uns
+nach der vor dem Wind geschützten Seite der nächsten Felseninsel im
+Westen hinzuarbeiten. Unter diesen Umständen konnten natürlich nur
+wenige Lotungen gemacht werden; als größte Tiefe wurden 42 Meter
+festgestellt.
+
+Wir arbeiteten jetzt wie Galeerensklaven gegen Wind und Wellen an
+(Abb. 277). Mit jeder Schlagwelle erhielt ich eine kalte Dusche und
+wurde bis auf die Haut durchnäßt. Es leckte und tropfte von meiner
+Mütze, und meine Brille leistete mir schlechte Dienste. Notizbücher,
+Decken und sonstige Sachen waren wie ins Wasser getaucht. Endlich aber
+erreichten wir doch die Insel; hier war der Wellenschlag geringer.
+Noch unmittelbar am Ufer betrug die Tiefe 34 Meter. Ganz erschöpft
+von der Anstrengung vertäuten wir das Boot. Es wurde ganz aufs Ufer
+hinaufgezogen, damit es uns nicht forttriebe, in welchem Falle unsere
+Lage höchst bedenklich gewesen wäre.
+
+Die kleine Insel hat die Gestalt eines Sattels; sie besteht aus
+zwei Bergkuppen mit einer flachen Einsenkung in der Mitte, einer
+Landenge, die nur 300 Meter breit ist. Ich ging über die Enge nach dem
+Westufer, gegen welches die Wellen mit erschreckender Wut anstürmten.
+Welche Freude haben wir jetzt an der Sonne, die uns von dem glänzend
+türkisblauen Himmel herab mit ihrem goldenen Lichte überflutet, während
+der Wind über den launenhaften See hinfährt und die Wellen zum wilden
+Tanze auffordert.
+
+Nachdem wir uns mit unserem unfreiwilligen Gefängnisse bekannt
+gemacht hatten, wurde das Lager aufgeschlagen (Abb. 278); wir
+breiteten mein provisorisches Bett am Ufer aus, das Boot schützte
+einigermaßen gegen den Wind, eine Filzdecke diente als Sonnendach.
+Infolge einer glücklichen Eingebung hatte ich Lektüre mitgenommen.
+Kutschuk schnarchte schon. Der Wind heulte in den Felsen; ich sehnte
+mich danach, ihn schwächer werden und verstummen zu hören. Um 3 Uhr
+wußten wir nichts Besseres anzufangen, als Feuer anzumachen und Tee zu
+bereiten. Jappkak und Argol waren in Menge vorhanden. Kutschuk ging
+von Zeit zu Zeit über die Enge, um sich nach dem Sturme umzusehen, kam
+aber stets mit dem Bescheide wieder, daß es undenkbar sei, bei solchem
+Wetter mit dem Boote hinauszugehen. Mit Hilfe des Fernglases sehen wir
+auf dem nördlichen Seeufer mehrere große Herden und Zelte.
+
+Es ging gegen Abend. Der Wind flaute nicht ab; immer noch hörte man
+den See gegen das Westufer der Insel branden, wo die Wellen unter der
+Peitsche des Sturmes ihre Sklavenarbeit ausführen. Sie haben das Recht,
+soviel sie wollen gegen diese heiligen Ufer zu schlagen, an denen wir
+nur wie Zugvögel vorbeistreichen dürfen. Als wir nach Süden gingen,
+hinderten uns die Tibeter, jetzt, da wir uns nach Westen wenden,
+hindert uns der Sturm. Ich hatte unserem lärmenden Gefolge entgehen und
+mich in Einsamkeit der Stille der Natur erfreuen wollen; jetzt wollte
+ich viel lieber zu ihm zurückkehren, als auf dieser kleinen Felseninsel
+gefesselt sein. Es gehörte die Geduld eines Engels dazu, hier untätig
+und gebunden zu liegen, während das Tagesgestirn seinen Lauf nach
+Westen fortsetzte. Wie mir zum Hohne ging die Sonne klar unter, tiefe
+Schatten senkten sich auf das Lager herab, während das Ostufer noch in
+Licht getränkt lag. Doch bald kletterten die Schatten auch die Berge
+hinauf, deren Gipfel eine Weile scharlachrot leuchteten. Als auch ihre
+Glut erloschen war, stieg die Nacht blaukalt und rein aus dem Osten
+auf. Wie gern hätten wir heute so wie gestern die Uferfeuer lodern
+sehen, doch heute Abend war es dunkel und still, und nirgends war ein
+Feuer zu erblicken. Der Halbmond war die einzige Laterne, die uns in
+unserem Gefängnisse gewährt wurde, das wir so gern verlassen hätten,
+das aber trotzdem in seiner Weise friedlich und reizend war.
+
+Vielleicht legte sich der Sturm über Nacht. Wir legten uns früh
+schlafen, und Kutschuk hatte Befehl, mich ein paar Stunden nach
+Mitternacht zu wecken. Um 4 Uhr rüttelte er mich wach. Die Sterne
+funkelten hell, aber der Wind war noch ebenso heftig. Trotzdem standen
+wir auf. Bald flammte das Feuer und erhellte das steinige Ufer. Es
+waren beinahe -5 Grad, und der heiße Tee schmeckte gut. Oft pflegte
+der Morgen ganz windstill zu sein. Unser Plan war jetzt, nach dem
+Südufer hinüberzurudern, wo wir unter den Felsen leidlichen Schutz
+finden mußten und uns schlimmstenfalls von einer Landspitze zur anderen
+schieben konnten. Wir hatten genug von dieser Robinsonade und sehnten
+uns nach der Sonne. Stumm und nachdenklich saßen wir während des
+Wartens am Ufer. Endlich graute im Osten der Tag, und die Bergkämme
+hoben sich schwarz auf dem immer helleren Hintergrunde ab. Auf einmal
+ging die Sonne wie eine blendende Feuerkugel auf.
+
+Statt abzunehmen, nahm der Sturm an Heftigkeit noch zu. O welch
+himmlischer Geduld bedurften wir jetzt, wenn auch dieser Tag verloren
+gehen sollte, während die Karawane ihren Weg nach dem unbekannten
+Westen fortsetzte! Ein richtiger Passatwind wehte gleichmäßig und
+stark, ohne einen Augenblick schwächer zu werden, und leichte, weiße
+Wölkchen segelten zeitweise über den See hin. Der Tschargut-tso zieht
+sich langgestreckt von Osten nach Westen. Ich beschäftigte mich,
+nachdem ich mit der mitgebrachten Lektüre fertig war, damit, eine
+Karte des Sees zu zeichnen und darüber nachzudenken, wie günstig oder
+ungünstig die verschiedenen Windrichtungen für uns gewesen wären.
+Neun verschiedene Fälle waren denkbar. Am besten wäre östlicher Wind
+gewesen, doch auch solcher aus Nordosten und Südosten hätte uns
+geholfen. Windstille wäre beinahe ebensogut gewesen. Hätte Südwind
+oder Südwestwind geherrscht, so hätte das Südufer uns Deckung geboten,
+bei Nord oder Nordwest hätten wir unter dem Nordufer Schutz gefunden.
+Aber von allen diesen Fällen war natürlich keiner eingetreten, nur der
+neunte, westlicher Wind, für uns der direkte Gegenwind und die einzige
+Richtung, die uns das Aufbrechen unmöglich machte.
+
+Auch dieser Tag war verloren. Wir verträumten die Zeit an unserem Ufer;
+von dem anderen her ertönte es wie das Donnern eines riesenhaften
+Wasserfalles, die Wellen gingen meterhoch, wir waren an unseren Felsen
+festgeschmiedet. Ich machte eine Kartenaufnahme von der Insel, während
+Kutschuk ganze Haufen Brennmaterial einsammelte; es war das einzige,
+womit er sich die Zeit vertreiben konnte. Nachher „versammelten wir
+uns zum Mittagessen“; mein Schutzzelt mußte mit Steinen verankert
+werden, damit es nicht fortflog. Dann gehe ich nach dem Südwestufer,
+wo die Felsen steil in den See hinabstürzen. Dort sitze ich und höre
+mit Genuß dem lärmenden Spiele der Wellen zu; ich schließe die Augen,
+um besser träumen zu können, aber in jedem Wellenschlage liegt wie
+ein Hohngelächter die Frage: „Was hast du in diesem heiligen Lande zu
+suchen?!“ Ich gehe dann nach dem nördlichen Berge, um Abschied von
+der Sonne zu nehmen. Als die neue Nacht hereinbricht, lassen wir uns
+an einem gewaltigen Lagerfeuer nieder und setzen unser ~dolce far
+niente~ fort.
+
+Um 6½ Uhr schien die Heftigkeit des Windes abzunehmen, und die
+Hoffnung erwachte wieder. Um 7 Uhr ließ sich deutlich erkennen, daß
+die Windgeschwindigkeit abgenommen hatte, aber die dichter gewordenen
+Wolken schwebten mit derselben gräßlichen Eile unter dem Monde durch,
+der gleich einer silbernen Muschel über ihnen segelte.
+
+[Illustration: 284. Die Anführer unserer Leibwache. (S. 306.)
+
+Links Lama Schereb, rechts Jamdu Tsering und Tsering Daschi.]
+
+[Illustration: 285. Das Tal des Boggtsang-sangpo. (S. 306.)]
+
+Mit steigender Spannung beobachteten wir die Himmelszeichen und gingen
+wieder nach dem Westufer, aber der See sah noch immer ebenso aufgeregt
+aus, und wir mußten weiter warten. Direkt nach Westen hatte ich die
+Richtung nach der nächsten kleinen Felseninsel eingepeilt, und wir
+hofften noch vor Monduntergang dorthin zu gelangen; später würde es
+pechfinster werden. Nach und nach flaute der Wind ab, und wir packten
+unsere Sachen zusammen. Als wir im Begriff waren, das Boot ins Wasser
+zu setzen, schmerzte es mich beinahe, diese kleine Insel, die uns eine
+Freistatt gegeben und auf der ich zwei friedvolle Tage zugebracht
+hatte, auf ewig verlassen zu müssen.
+
+Wir schieben unser Fahrzeug in die Nacht hinaus und streichen vor dem
+Winde gedeckt am Ostufer entlang. Die südliche Klippe der Insel ragt
+wie ein rabenschwarzes Gespenst aus den Wellen empor; ihre Wände sind
+von dem bleichen Mondlichte schwach beleuchtet. Als wir die Spitze
+umschifft hatten, kam uns der Wellengang direkt entgegen; aber jetzt
+war er nicht gefährlich, und die Jolle schaukelte sanft und leicht. Von
+der nächstgelegenen kleinen Felseninsel, unserem nächsten Ziele, war
+keine Spur zu erblicken; sie verschwamm mit den Gebirgen im Westen,
+aber ich wußte, daß sie von uns in West zu Süd lag, und gab Kutschuk
+dementsprechende Anweisungen beim Rudern. Selbst wenn das Wetter so
+ruhig und gut ist wie jetzt, ist es nicht gerade gemütlich, mitten in
+der Nacht auf einem unbekannten See zu schaukeln. Alles ist schwarz und
+undeutlich, man erhält keinen Begriff von den Umrissen der Ufer; nur
+die zurückgelegte Linie, ihre Zeiten, Tiefen und Geschwindigkeiten sind
+ebenso sicher zu bestimmen wie bei Tageslicht. Das Wasser ist schwarz
+wie Tinte, nur das Silber der Mondstraße tanzt auf den sich zur Ruhe
+legenden Wellen; der Himmel ist dunkelblau, die Wolken segeln stumm
+und düster wie Schatten und eilfertig wie Pilger nach Osten, doch am
+schwärzesten ist der Gebirgsrahmen ringsumher.
+
+Das Boot war schwer belastet und ging tief, denn wir hatten so viel
+Brennmaterial mitgenommen, wie wir nur hatten unterbringen können.
+In meiner vorderen Boothälfte, wo ich weich und warm saß, hatte ich
+es ausgezeichnet. Die Lotleine mit ihren Fünfmeterknoten lag auf
+der Backbordreling bereit. Die Laterne beleuchtete Uhr, Kompaß,
+Geschwindigkeitsmesser und Marschroute, ich rauche und führe meine
+Beobachtungen in schönster Ruhe aus. Die größte Tiefe beträgt 37,5
+Meter; sie liegt dicht bei der ersten Insel, dann hebt sich der
+Seeboden langsam nach der zweiten. Die wichtigsten Vorgebirge auf
+beiden Seiten waren passiert; es konnte nicht mehr weit nach der
+kleinen Insel sein. Stundenlang glitten wir weiter, ohne daß sie sich
+zeigte; doch es war kaum möglich, daß wir an ihr vorbeikommen konnten,
+ohne sie zu sehen. Erst als wir nur noch eine Minute vom Ufer entfernt
+waren, tauchte sie aus der Dunkelheit auf. Ich glaubte, wir näherten
+uns einem Gipfel, der zu dem westlich vom See liegenden Berge gehörte;
+aber der Gipfel wuchs in wenigen Minuten, und das Boot schrammte gegen
+das Ufer. So täuscht man sich beim Rudern im Dunkeln, selbst wenn
+Mondschein herrscht. Das Schifflein wurde an Land gezogen, und wir
+gingen sofort zur Ruhe.
+
+Wir hatten die Absicht, bei Tagesanbruch gleich weiterzufahren; doch
+schon vorher teilte mir Kutschuk mit, es gehe wieder ein so heftiger
+Wind, daß an ein Weiterrudern nicht zu denken sei. Mir blieb nichts
+weiter übrig, als die Insel gründlicher in Augenschein zu nehmen. Sie
+bildet beinahe ein rechtwinkeliges Dreieck mit der Hypotenuse nach
+Nordwesten; das längste Ufer ist nur 330 Meter lang. Der südliche
+Teil der Insel wird von einer roten Konglomeratschicht gebildet, und
+die Ufer sind mit Blöcken von demselben Materiale dicht bedeckt. Die
+größte Höhe beträgt nicht mehr als 15 Meter; einige Steinmale sind dort
+errichtet (Abb. 279).
+
+Um 12½ Uhr war es völlig windstill, aber im Westen stiegen schwarze
+Wolken mit Regendraperien auf. Ein neuer Sturm war im Anzug. Wir hatten
+das schwierigste Becken des Sees vor uns. Was gebot uns die Klugheit
+zu tun? Der Proviant ging zu Ende. Ich hatte stundenlang am Strande
+gesessen und mir, wie ein Kind, den Sand durch die Finger gleiten
+lassen. Auf den im Wasser liegenden, von tausendjährigen, unermüdlichen
+Wellen glattgeschliffenen Blöcken hatte ich Sandfestungen erbaut, um zu
+sehen, wie lange sie den Überschwemmungen der Wellen würden widerstehen
+können. Nie habe ich eine Seefahrt unter so ungünstigen Verhältnissen
+gemacht wie diesmal. Alle Unwetter des ganzen Landes schienen unbedingt
+erst über den Tschargut-tso ziehen zu müssen, oder das Tal, in dem der
+See liegt, mußte eine Abflußrinne für alles derartige Teufelszeug sein!
+
+Um 2 Uhr hatten wir alles eingepackt, da aber brach der Sturm los,
+und es war nur gut, daß wir die Insel noch nicht verlassen hatten. Es
+regnete eine Weile, und die Wellen rauschten gegen die kleine Klippe.
+Im Süden ging eine zweite Bö über das Land und färbte alle Berge weiß.
+Nachdem wir eine Stunde gewartet hatten, hörte der Sturm auf einmal
+auf, und der Seegang legte sich schnell, nur weich abgerundete Dünungen
+krümmten seine Oberfläche, die Sonne näherte sich dem Horizont, und der
+Tschargut-tso gewährte einen herrlichen Anblick. Bei solchem Wetter
+konnte kein Risiko dabei sein, quer über den offenen See zu steuern;
+aber wir hielten doch Ausguck auf einige Landspitzen im Süden, die uns
+im Notfall hätten als Schutz dienen können. Kutschuk ruderte scharf,
+und ich peilte von Zeit zu Zeit. Die größte Tiefe betrug fast 48 Meter.
+
+Die schützenden Landspitzen hatten wir hinter uns zurückgelassen, als
+es wieder im Westen dunkel zu werden begann; der Donner grollte dumpf
+über den südlichen Bergen, wo es in Strömen regnete oder schneite,
+und über das nördliche Ufer, das jetzt in weiter Ferne lag, zog
+ebenfalls ein Unwetter hin. Über dem See herrschte einstweilen noch
+klares Wetter, und die Sonne ging in leichten Wolken unter. Doch über
+den senkrecht abstürzenden Felsen des südlichen Ufers, nach denen wir
+jetzt hinsteuern, erhebt sich eine stahlblaue, drohende Wolkenwand.
+Indessen ist es andauernd ruhig, und die Wolke scheint stillzustehen
+und sich ihres Inhalts nur auf einer Stelle zu entladen. So gut sollte
+es uns aber nicht werden. Unter den Wolken werden die unzweideutigen
+Anzeichen eines herannahenden Sturmes sichtbar. Die Wolken werden auf
+der unteren Seite hell brandgelb, als würden sie von einer Feuersbrunst
+beleuchtet, und wenn man diesen Farbenton sieht, weiß man sofort, was
+es zu bedeuten hat. Ich suchte mit dem Fernglase die Ufer ab, aber
+jetzt gab es innerhalb Sehweite keine rettende Bucht. Am klügsten wäre
+es gewesen, wenn wir uns von dem Sturme nach der kleinen Felseninsel
+hätten zurücktreiben lassen, denn +mit+ dem Wellengange kann die Jolle
+die höchsten Wogen vertragen. Aber unser Proviant war beinahe zu Ende,
+und es galt, ein Ufer zu erreichen, von dem aus wir die Karawane
+aufsuchen konnten. Es blieb uns also nichts weiter übrig, als gegen den
+Wind aufzuhalten und zu versuchen, unter den Felsen des südlichen Ufers
+in Schutz zu kommen.
+
+Zuerst sausten einige kalte Windstöße über den See, und dann brauste
+der Sturm herab wie der Habicht auf eine wehrlose Taube. Vorbei ist
+es mit Lotungen und Peilungen! Faßt die Ruder fester, jetzt gilt es
+das Leben! Es knackt und knarrt in dem Boote, und dieses klatscht mit
+dem Boden auf die ihm entgegenkommenden Wellen, die wie Kobolde zum
+Angriffe stürmen. Im nächsten Augenblick kann sein Rumpf mit einem
+Knalle zerspringen. Doch es gibt ein Maximum für die Wellenhöhe in
+Seen von dieser Größe, und dieses Maximum hat die Jolle bisher immer
+aushalten können. Nie habe ich so verzweifelt gearbeitet wie jetzt; wir
+ruderten mit langsamen, gleichmäßigen Schlägen und gewannen jedesmal
+ein paar Zentimeter; ich hatte mehrere Tage nachher noch große Blasen
+an den Händen. Der Sturm wurde zwischen den Felsen der Ufer eingepreßt
+und nahm an Heftigkeit zu. Drauflos, Kutschuk! Das Ufer kommt uns
+näher, es ist gar nicht gefährlich! Da schlägt ein Wellenkamm über die
+Steuerbordreling in das Boot, und das Wasser plätschert und rauscht von
+dem Rollen, eine neue Welle schlägt hinein, wir bekommen recht kalte
+Duschen von dem Spritzwasser, wir rudern mit so festen Griffen, daß uns
+die Knöchel weiß werden, wir tragen das Boot auf den Ruderblättern
+durch die Wellen! Lange kann es auf diese Weise nicht mehr fortgehen,
+das Boot ist halb voll Wasser, und die Wellen brechen noch immer über
+den Vordersteven herein -- bald müssen wir sinken!
+
+„Halte deine Rettungsboje bereit, Kutschuk, ich habe die meine!“ --
+
+„Nein, wir +können+ noch nach jenem Vorgebirge hingelangen, ja
+Allah!“ --
+
+Und wir arbeiteten uns dorthin! Es war ein Wunder, daß wir nicht
+Schiffbruch litten; auf keiner von allen meinen Seefahrten in Asien bin
+ich einer Katastrophe so nahe gewesen!
+
+Sobald wir unter dem Vorgebirge vor dem Winde geschützt waren, wurden
+die Wellen niedriger, und wir beruhigten uns und erreichten im letzten
+Augenblick am dunkeln Abend das Ufer. Ja, hat man nur ein sicheres
+Boot, so ist es keine Kunst, im Dunkeln über einen stürmischen See zu
+kommen, aber mit einer Zeugjolle ist es etwas anderes, und die Fahrt
+wird nicht gemütlicher, wenn der Wind die Sturmwolken zerreißt und
+der Mond den Wellenschaum versilbert, der weiß und kristallhell über
+unerforschten Tiefen glänzt, die bereit sind, uns in ihre kalten Arme
+zu schließen.
+
+Sobald wir gelandet waren, hörte der Wind auf. Statt dessen fing es
+an stark zu regnen, und es regnete die ganze Nacht. Wir richteten das
+Boot wie ein Kutschenverdeck auf, zündeten Feuer an, trockneten unsere
+Kleider und schliefen dann gut, da wir von der sowohl körperlich wie
+seelisch kolossalen Anstrengung sehr ermüdet waren.
+
+Am Morgen des 24. September hatten wir nur noch ein Stückchen Brot
+zum Frühstück. Bei gutem Wetter ruderten wir westwärts über den See
+weiter, der bald schmäler wurde und ein Ende nahm. Wir fuhren in eine
+trompetenförmige Flußmündung hinein, und nach knapp einem Kilometer
+befanden wir uns wieder auf einem gewaltigen See. Die Gesandten hatten
+ihn +Addan-tso+ genannt, aber die Nomaden, die wir am Ufer trafen,
+sagten +Nagma-tso+. Fern im Norden zeigten sich einige Reiter. Wir
+hofften, daß es unsere Späher sein würden, aber sie verschwanden
+bald wieder und hatten das Boot augenscheinlich nicht gesehen.
+Wir beabsichtigten jedoch, schräg über den See nach dem ziemlich
+naheliegenden Nordufer zu fahren.
+
+Ich habe soviel von unseren abenteuerlichen Seefahrten gesprochen,
+daß ich nur noch hinzufügen will, daß der dritte Sturm uns auf
+dem Addan-tso überfiel und uns buchstäblich gegen das nächste
+Land schleuderte, wobei sich das Boot mit Wasser füllte, so daß
+wir ins Wasser springen und retten mußten, was sich retten ließ.
+Glücklicherweise regnete es nicht. Wir breiteten unsere Sachen in
+dem starken Wind auf der Erde zum Trocknen aus, zogen die Kleider aus
+und hielten sie in den Wind, nachdem wir sie erst tüchtig ausgerungen
+hatten, dann lagen wir dort mehrere Stunden still. Schließlich wurde
+ich so hungrig, daß ich nach dem nächsten schwarzen Nomadenzelte ging;
+ich war aber noch nicht weit gekommen, als Kutschuk mich zurückrief
+und auf den kurzen Flußarm, den wir heraufgefahren waren, zeigte. Dort
+erschienen zwei Reiter mit drei Packpferden. Sie hatten uns gesehen und
+ritten gerade auf uns zu. Es waren Tscherdon und Ördek, die uns seit
+zwei Tagen längs des Ufers des Addan-tso suchten und gleich den anderen
+in größter Unruhe geschwebt hatten. Nach einer Weile kamen Tschernoff
+und der Lama, die uns an den Ufern des Tschargut-tso hatten suchen
+wollen. Sirkin war schon gestern dort gewesen und hatte in dem alten
+Lager am Ostufer des Sees Umschau gehalten. Sie hatten das Schlimmste
+befürchtet und bereits überlegt, was sie tun sollten, wenn ich nicht
+wiederkäme. Einige Bootstrümmer und unsere Sachen wollten sie jedoch
+erst finden, ehe sie die Gegend ohne ihren Chef verließen.
+
+Tscherdon hatte mehrere Abenteuer gehabt. Mehreremal schienen
+uns Reiterpatrouillen zu suchen, und an einer Stelle standen 8
+Soldatenzelte, um den Weg nach Lhasa zu sperren.
+
+Wir ritten über einen Paß nach dem großen Lager; mehrere Reiterhaufen
+begegneten mir und geleiteten mich dorthin, artig grüßend, indem sie
+die Zunge herausstreckten. Das Lager lag in einem Längentale, durch
+welches wahrscheinlich auch Littledale gezogen war; ich wollte künftig
+seine Route nach Möglichkeit vermeiden. Alles war ruhig, aber dem
+alten Muhammed Tokta ging es schlechter. Ein Kamel war tot. Einer der
+Tibeter war gestorben. Wir ritten an der Leiche vorbei, die auf die
+Erde geworfen worden und von Geiern und Raben entsetzlich zugerichtet
+war; viel mehr als das Gerippe war nicht mehr davon übrig. Hladsche
+Tsering lud mich in sein Zelt ein und empfing mich wie einen Sieger.
+Unter der blauen Decke glänzten die Götterbilder matt durch einen
+Weihrauchschleier, und wieder gab es ein üppiges Gastmahl.
+
+Diese Seefahrt war die letzte, die ich in Tibet machte, und das
+Boot sollte nachher nur noch auf einigen Flüssen benutzt werden.
+Ich bewahre den Tagen, die ich auf dem Selling-tso, Nakktsong-tso,
+Tschargut-tso und Addan-tso verlebte, ein ganz besonderes Andenken,
+denn sie waren für mich eine unvergeßliche Unterbrechung der langen,
+einförmigen Karawanenmärsche. Die Untersuchungen können nur als
+vorläufig betrachtet werden, aber sie gaben mir doch einen sehr
+wertvollen Überblick über die Hydrographie dieser wunderbar schönen
+Seeregion. Wenn die Wasserspiegel hier um etwa 50 Meter gehoben würden,
+so würde eine echte, an Norwegens und Schottlands Küsten erinnernde
+Fjordlandschaft entstehen. Wahrscheinlich ist auch dieses Land einst
+mit Eis bedeckt gewesen, obgleich man vergebens nach Gletscherspuren,
+Schrammen, Moränen oder erratischen Blöcken sucht. Die Gesteine sind
+verwittert, und alle Spuren fortgetragen, vernichtet. Der Addan-tso
+ist der höchste und größte See dieses Gebietes. Mehrere Flüsse von
+den angrenzenden Gebirgen, besonders von den hohen Schneeketten, die
+im Süden sichtbar sind, ergießen sich in ihn. Der Addan-tso entleert
+sein überflüssiges Wasser in den Tschargut-tso, und dieser hat in dem
+Jaggju-rappga-Flusse einen Abfluß nach dem Selling-tso. Weiter kommt
+das Wasser nicht; es bleibt im Selling-tso, wo es verdunstet, und daher
+ist auch nur dieser See salzig. In welchem Verhältnis der Nakktsong-tso
+zum Selling-tso steht, ist mir nicht ganz klar geworden. Möglicherweise
+existiert ein unterirdischer Abfluß, vielleicht aber ergießt er sich
+auch in einen weiter südlich liegenden See, den zu sehen uns nicht
+vergönnt war.
+
+Am 25. September sollten wir uns von unseren Freunden Hladsche Tsering
+und Junduk Tsering, mit denen wir seit dem 12. zusammengewesen waren,
+trennen. Sie schickten mir jeder eine Haddik und ließen mir dabei eine
+gute und glückliche Reise wünschen. Dann erschienen sie selbst und
+versicherten, daß alles, was wir an Proviant, Führern und Lasttieren
+brauchten, uns dem Befehle des Dalai-Lama gemäß zur Verfügung gestellt
+werden würde. Als die Karawane marschfertig war, machte ich ihnen
+schnell einen Abschiedsbesuch und überreichte ihnen verschiedene
+Geschenke, wie Revolver, Messer, Kompasse und Zeugstoffe. Ich
+versicherte, daß ich nicht versuchen würde, nach Lhasa vorzudringen,
+und bat sie, den Dalai-Lama von mir zu grüßen; aber ich erklärte auch,
+daß ich dem Wege, den die Eskorte einschlage, nicht folgen würde. Ich
+sagte ihnen ein für allemal, daß die beiden Offiziere, die unsere
+künftige Eskorte auf dem Wege nach Westen anführen sollten, sich zu
+hüten hätten, mir gegenüber den Herrn spielen zu wollen, sondern mich
+jeden Morgen zu fragen hätten, wohin ich zu gehen wünschte. Andernfalls
+würden wir sie in zwei von unseren Kisten sperren und sie auf diese
+Weise mit in unsere Heimat nehmen.
+
+Hladsche Tsering erwiderte, daß er und sein Amtsbruder Junduk Tsering
+mit einigen hundert Mann Kavallerie noch 20 Tage an dem Orte, wo wir
+uns trennten, zu bleiben gedächten (Abb. 280). Ich sah sehr wohl ein,
+daß dies nur eine List war, um uns davon abzuschrecken, schnell wieder
+umzukehren, sobald die beiden abgezogen waren, und antwortete daher,
+daß ich die Absicht habe, nur einige Tagereisen westwärts bis an den
+nächsten Süßwassersee zu gehen und dort zu bleiben, bis er vollständig
+zugefroren sei. Er klärte mich darüber auf, daß sie ohne Ungelegenheit
+ein ganzes Jahr in der Gegend lagern könnten. Als ich ihm vorschlug,
+daß wir, da wir ja beiderseits so viel Zeit hätten, einander denn
+doch lieber Gesellschaft leisten könnten, löste sich das Übertrumpfen
+in allgemeine Heiterkeit auf. Hladsche Tsering saß in seinem Zelte und
+aß Klops. Junduk Tsering war in dem seinen von Sekretären und ganzen
+Haufen von Papieren umgeben. Er verfaßte einen ausführlichen Bericht an
+den Dewaschung in Lhasa und schickte Briefe an die Häuptlinge im Westen
+auf dem ganzen Wege bis nach Ladak.
+
+Unser Weg lief nach Westen durch ein 30 Kilometer breites Längental,
+das sowohl im Süden wie im Norden von ansehnlichen Bergketten begrenzt
+ward. Das Wetter war unfreundlich, kalt und windig, die Weide schlecht;
+trotzdem zählten wir 32 schwarze Zelte oder ungefähr 150 Einwohner auf
+27 Kilometer. Sicherlich sind die Täler im Süden dichter, die nordwärts
+gelegenen spärlicher bevölkert; in der letzteren Richtung hört das
+Land überdies bald auf, bewohnbar zu sein. Mit uns ritten jetzt nur
+22 Mann unter einem Anführer namens Jamdu Tsering, der bald mein ganz
+besonderer Freund wurde. Den Platz, an dem wir uns im Lager Nr. 89
+niederließen, nannte er +Schalung+, und einen See, der sich im Westen
+zeigte, +Daggtse-tso+; ein Fluß, der sich in den westlichen Teil dieses
+Sees ergießt, heißt +Boggtsang-sangpo+. Da letzterer Name auf Nain
+Singhs und Littledales Karten vorkommt, kann man annehmen, daß auch die
+übrigen richtig sind. Sonst habe ich nur eine äußerst geringe Anzahl
+der Namen, die Littledale anführt, wiederfinden können.
+
+
+
+
+Vierundzwanzigstes Kapitel.
+
+Die lange Reise nach Ladak.
+
+
+Am 26. September ritten wir nach der Stelle, wo sich der
+Boggtsang-sangpo in den See ergießt. Der Fluß teilt sich in mehrere
+Arme, und an den Ufern ist die Weide so reichlich, daß wir hier einen
+Tag rasten müssen. Wir hatten jetzt nur noch 22 Kamele, die alle sehr
+erschöpft waren. Die Pferde sind in schlechtem Zustand. Jetzt sahen wir
+nur 16 Zelte auf 28½ Kilometer, aber ziemlich große Schafherden. Die
+Gegend ist ziemlich reich an Kulanen, Antilopen, Rebhühnern, Hasen und
+Gänsen, und die Jäger versahen uns mit Fleisch in Menge. Der See ist
+viel kleiner als die vorhergehenden, aber stark salzig. Ringförmige
+Wälle an den Ufern verkünden, daß auch der Daggtse-tso im Austrocknen
+begriffen ist. An einer Stelle standen sieben solcher alten Uferwälle
+deutlich ausgeprägt übereinander.
+
+[Illustration: 286. Fischen im Boggtsang-sangpo. (S. 305.)]
+
+[Illustration: 287. Die Yake werden beladen. (S. 310.)]
+
+[Illustration: 288. Das Lager Nr. 103 am Quellbache. (S. 312.)]
+
+[Illustration: 289. Lager Nr. 109 im Westen des Lakkor-tso. (S. 316.)
+
+Auf den Bergen im Hintergrund einige Uferlinien.]
+
+Während der folgenden Tagemärsche hielten wir uns in der unmittelbaren
+Nähe des Boggtsang-sangpo (Abb. 281). An einem Punkte, wo wir den
+Fluß kreuzten, hatte ihn auch Littledale überschritten. Captain
+Bowers Route, die wir am Nakktsong-tso und Tschargut-tso gestreift
+hatten, liegt nun eine ziemliche Strecke nördlich von unserem Wege,
+und wir berühren sie nicht mehr. Nain Singhs Weg läuft einstweilen
+noch südlich von unserer Straße. Dadurch, daß ich jetzt dem Laufe
+dieses Flusses folgte, konnte ich die Routen der drei Reisenden, die
+vor mir diese Teile von Tibet besucht hatten, vermeiden. Es würde
+unsere Landeskenntnis vermehren, wenn ich andere Gegenden aufsuchte.
+Oft war es jedoch unmöglich zu entscheiden, ob ich mit Littledales
+Weg in Kollision war oder nicht. Die Karte dieses ausgezeichneten,
+unermüdlichen Reisenden ist leider in zu kleinem Maßstabe ausgeführt,
+als daß man sich mit ihrer Hilfe in dem Terrain zurechtfinden könnte.
+Bei den Anforderungen, die ich an meine Karte stellte, betrachtete ich
+die Landesteile, die meine Vorgänger durchreist hatten und in denen
+ich es nicht vermeiden konnte, ihre Routen zu kreuzen oder sogar auf
+kurzen Strecken ebenfalls zu benutzen, als unerforschtes Land. Auf
+Littledales Karte findet man z. B. weder den Nakktsong-tso noch
+den Tschargut-tso, auf der von Bower allerdings diese beiden Seen,
+aber nicht den Selling-tso. Bower reiste zwischen dem Nakktsong-tso
+und dem Tschargut-tso durch, aber er erforschte nicht das Verhältnis,
+in welchem die verschiedenen Seen zueinander stehen; der Addan-tso
+ist auf seiner Karte gar nicht angegeben, ebensowenig ein Abfluß des
+Tschargut-tso. Er hat geglaubt, daß der Jaggju-rappga ein Fluß sei, der
+sich +in+ den Tschargut-tso ergießt, obwohl das Wasser +aus+ dem See
+strömt. Es ist weder meine Aufgabe noch meine Absicht, das vorhandene
+Kartenmaterial über Innerasien in dieser Arbeit zu kritisieren, ich
+will nur erklären, weshalb ich Grund hatte, manchen Landesteil, den
+auf der Karte eine rote Linie durchzieht, als eine ~terra incognita~
+zu betrachten. Der Zweck einer Reise durch unbekanntes Land ist doch,
+daß man vor allem eine Karte desselben vorzeigen kann, und eine solche
+ist zwecklos, wenn sie nicht vollkommen zuverlässig ist. Was haben die
+großen Strapazen und Kosten, die mit einer solchen Reise verbunden
+sind, sonst für einen Nutzen? Littledales und Bowers Reisen sind
+übrigens bewundernswerte Beweise von Kraft und Ausdauer. Von den drei
+Karten aber ist Nain Singhs die beste, obwohl sie einer Revision sehr
+bedarf. --
+
+Die erste Tagereise längs des Boggtsang-sangpo ging durch ziemlich
+gutes Weideland; hier und dort zeigten sich Nomadenlager. Das Wetter
+war herrlich, obgleich die Nachtkälte bis auf -8 Grad fiel. Es war
+ganz windstill, keine Wolke sichtbar; solches Wetter würde uns auf dem
+Tschargut-tso gefallen haben. Wenn man, wie wir, nach Westen reitet,
+wird die linke Seite des Gesichtes so von der Sonne angegriffen, daß
+die Haut stückweise abblättert, während die andere eisig kalt ist.
+Der linke Fuß hat es schön warm, indes der rechte im Schatten beinahe
+erfriert.
+
+Am 29. September legten wir 29 Kilometer zurück und lagerten am Ufer
+des Flusses im Lager Nr. 92 unmittelbar neben seinen brausenden Wirbeln
+(Abb. 282, 283). In der Dämmerung langten die Tibeter an und schlugen
+ihre Zelte uns gerade gegenüber am rechten Ufer auf.
+
+Am folgenden Tag marschierten wir auf dem südlichen Ufer. Der Fluß
+macht viele Krümmungen und hat ein scharf ausgeprägtes Bett. Das
+südlich von seinem Tale liegende Gebirge heißt +Nangra+. Schagdur
+hatte sich ein paar Stunden lang nicht sehen lassen; als er uns aber
+einholte, schwenkte er triumphierend ein Bündel prächtiger Fische in
+der Luft. Sobald wir das Lager aufgeschlagen hatten, wurde das Boot
+zusammengesetzt, und die Lopmänner fischten mit dem Schleppnetz in den
+Flußbiegungen (Abb. 286). Die Angler hatten jedoch mehr Glück.
+
+Drei Tage Marsch und den vierten Rast ist jetzt unter gewöhnlichen
+Verhältnissen die Regel. Infolgedessen war der 1. Oktober ein Rasttag;
+er wurde von den meisten zum Fischfang benutzt. Schagdur hat das größte
+Fischglück; er angelte 18 Stück und schoß außerdem zur Abwechslung
+eine Antilope. Turdu Bai steht den ganzen Tag wie ein alter, in der
+Sommerfrische befindlicher Onkel mit seiner Angelrute in der Hand am
+Ufer und hat dabei die unerschütterliche Geduld des echten Anglers. Er
+schmunzelte ordentlich, als er mir seinen Fang zeigte. Der Lama las
+heilige Schriften. Jamdu Tsering und Tsering Daschi (Abb. 284), die
+Anführer unserer Leibwache, baten mich, ihnen eines unserer Schafe
+zu überlassen, da sie nichts mehr zu essen hätten, beim nächsten
+Zeltlager sollten wir Ersatz dafür erhalten. Ihre Bitte wurde ihnen
+mit um so größerer Bereitwilligkeit gewährt, als sie uns schon viele
+Freundlichkeiten erwiesen hatten.
+
+2. Oktober. In der Nacht hatten wir -11 Grad; der Winter naht sich, wir
+müssen uns beeilen, nach Ladak zu kommen. Der Tagemarsch führte nach
+Westsüdwest, auf dem Südufer des Boggtsang-sangpo, und zum vierten Male
+lagerten wir an diesem Flusse (Abb. 285). Die Breite betrug hier nur 6
+Meter, aber die Tiefe war groß. Die Zelte sind kaum aufgeschlagen, als
+die Angelruten schon wieder in voller Tätigkeit sind. Während dieser
+Tage lebten wir hauptsächlich von Fischen, ich fast ausschließlich.
+
+Am 3. Oktober folgten wir dem Flusse zum letzten Male und ließen ihn
+nachher links liegen. Ich hätte gar zu gern einen südlicheren Weg
+eingeschlagen, aber das Land war zu gebirgig für die Kamele. Heute
+tröstete ich mich überdies mit der Aussicht, den Berg kennenzulernen,
+den Littledale den „Vulkan Tongo“ nennt, von dem mir aber gesagt
+wurde, daß er +Erenak-tschimmo+ heiße. Von unserem Lager Nr. 95 aus
+gesehen, glich er an Gestalt einem regelrechten Vulkankegel; aber von
+dem heutigen Passe sah man, daß er, wie alle anderen Kämme hier in
+der Gegend, eine nicht unbedeutende Ausdehnung nach Westen hatte. Die
+Karawane mußte ihre eigene Straße mit den Tibetern ziehen, während wir,
+nämlich ich, der Lama und Tschernoff, nach dem Berge hinaufritten.
+Über einige Konglomeratplatten gelangen wir an einen Bach am Fuße des
+Berges, wo ein einsames Nomadenzelt aufgeschlagen war. Wir ritten
+so hoch hinauf, als unsere Pferde es aushalten konnten, und gingen
+dann zu Fuß weiter. Bald hatten wir jedoch genug vom Klettern und
+rasteten eine gute Weile. An einigen Stellen trat anstehendes Gestein
+zutage, das aus Granit, kristallinischem Schiefer und Porphyr bestand,
+während verschiedene andere Gesteinarten durch lose Stücke vertreten
+waren. Ein Vulkan ist dieser Berg nicht und ist es auch nie gewesen;
+er ist nur ein Glied in den parallelen Ketten, die, von dem hohen
+Aussichtspunkte betrachtet, die ganze Landschaft als ein unentwirrbares
+Durcheinander von Kämmen und Rücken erscheinen lassen, in welchem wir
+nur die dominierenden Schneegipfel und die Täler, durch welche wir vom
+Daggtse-tso an gezogen sind, wiedererkennen. Herrlich und friedvoll war
+es dort oben mitten in den Wolken und Winden, fern von der Karawane und
+ihren kleinen Intrigen; ich wäre gern ein paar Tage dort geblieben.
+
+Im östlichen Giebel des dritten der kleinen krenelierten Kämme gibt es
+eine runde Grotte mit einem äußeren und einem inneren Raume, die eine
+Mauer aus Steinplatten trennt. Der Eingang der Grotte ist ungefähr 3
+Meter hoch. Nach der dicken Rußschicht an der Decke zu urteilen, ist
+die Grotte lange Zeit bewohnt gewesen; der Felsboden in ihrem Inneren
+ist mit Schafmist bedeckt. Wir saßen eine Weile in der Grotte und
+genossen die malerische Aussicht durch ihre Öffnung -- das ganze Tal
+glänzte im Sonnenschein, während wir uns bei Windstille im kühlen
+Schatten befanden. Auf verschiedenen Steinplatten sind die Worte „Om
+mani padme hum“ eingehauen. Vielleicht hat ein Eremit, der sein Leben
+den Göttern des Berges geweiht, hier seinen Wohnsitz gehabt.
+
+Dann ritten wir weiter nach einem ziemlich bequemen Passe hinauf.
+Unterwegs fanden wir Hamra Kul in einer Rinne. Er hätte tot sein
+können, so regungslos lag er auf der Seite. Ich trat an ihn heran und
+betrachtete ihn; er jammerte und versicherte, keinen Schritt mehr gehen
+zu können. Er wurde einstweilen liegengelassen, denn ich wußte ganz
+genau, wo ihn der Schuh drückte. Gestern war er nämlich von seinem
+Posten als Führer der Pferdekarawane abgesetzt worden, weil er sich
+wiederholt hatte Nachlässigkeiten zuschulden kommen lassen, und Mollah
+Schah war zu seinem Nachfolger ernannt worden.
+
+Jenseits des Passes (5014 Meter) hatten sich die Tibeter
+niedergelassen, die nun kamen, um mir ihr Bedauern darüber
+auszudrücken, daß wir nicht auf sie hätten hören wollen, als sie
+gesagt, weiter fort gebe es keine Weide. Ich konnte es nicht ändern
+und ritt in der Dunkelheit nach dem Lager, das in einer Gegend
+namens +Tschuring+ aufgeschlagen war. Hier wußte Mollah Schah, der
+in Littledales Diensten gewesen war, Bescheid, und zu noch größerer
+Gewißheit fanden wir ein Eselhufeisen, das von keiner anderen als des
+Engländers Karawane stammen konnte.
+
+Der 5. Oktober, an dem wir 24 Kilometer nach Westen ritten, war einer
+der schlimmsten Tage, deren ich mich erinnern kann. Nachts hatten wir
+-13,7 Grad gehabt, und der Bach am Lager war zugefroren, so daß ich
+wiederholt durch das helle Krachen der Eisscheiben geweckt wurde. Bei
+dem Kohlenbecken in der Jurte spürt man die Kälte nicht, aber bei
+direktem Gegenwind und halbem Sturm war es grimmig kalt auf dem Ritte.
+Man erlahmt, wird durchkältet und ist schließlich arbeitsunfähig. Die
+Sonne stand fast den ganzen Tag am Himmel, aber der Wind neutralisiert
+ihre Wirkung. Sowohl die Unseren wie die Tibeter gingen meistens
+zu Fuß, um nicht zu erfrieren. Mir war es eine außerordentliche
+Anstrengung, in einer solchen Höhe gegen solchen Wind zu Fuß zu gehen.
+Wenn ich das Gefühl in den Händen verliere, raste ich daher eine Weile
+in der Schlucht mit dem Rücken gegen den Wind und rauche eine Pfeife.
+Einigermaßen aufgetaut, hole ich die Karawane zu Pferde ein, bin
+dann aber schon wieder für eine neue Rast reif. Das wird ein netter
+Winter werden, dachten wir, wenn schon der Herbst so eisig kalt ist!
+Am traurigsten ist es jedoch, daß es mit allen unseren Kamelen und
+Pferden beinahe gleichzeitig zu Ende geht. Eines der jungen Kamele
+aus Tscharchlik blieb heute schon zu Anfang des Marsches zurück. Ich
+wollte es töten lassen; aber nachdem es uns gelungen war, es wieder
+auf die Beine zu bringen, führte ich es selbst, bis es sich wieder
+hinlegte. Der Packsattel wurde ihm abgenommen und aufgetrennt, und es
+fraß das Strohpolster mit gutem Appetit. Sein ganzer Körper gewährte
+einen traurigen Anblick, nur Haut und Knochen, und doch will man die
+Tiere nicht eher opfern, als bis man sie nicht mehr dazu bewegen kann,
+auch nur einen Fuß vorzusetzen. Man hofft stets, an einen Weideplatz
+zu gelangen, wo die Müden ihre erschöpften Kräfte wiedergewinnen
+können. Nachdem ich einen Mann bei ihm zurückgelassen hatte, ritt ich
+weiter, doch nur, um bald zwei Kamele zu überholen, die ebenfalls mit
+ihren Führern zurückgeblieben waren. Eines von ihnen hatte die dumme
+Gewohnheit, bei jedem Schritt mit dem linken Vorderfuße gegen den
+rechten zu schlagen, wodurch eine Wunde entstanden war, die nie ruhig
+heilen konnte, sondern beständig blutete. Die Wunde mußte täglich
+nachgesehen, ausgewaschen und verbunden werden.
+
+Später überholten wir zwei zurückgebliebene Pferde, die Kutschuk
+führte. Das eine von ihnen war dasjenige, welches ich geritten hatte,
+als ich vor mehr als zwei Jahren Kaschgar verließ, also der älteste
+Veteran unter den Pferden. Das andere war einer von Kamba Bombos
+Schimmeln. Mein Reitpferd, auf dem ich von Tscharchlik aufgebrochen war
+und das wir schon ein paarmal für verloren gehalten hatten, kam noch
+immer mit, wenn auch mit Mühe und Not.
+
+Die Krankenliste ist gegenwärtig größer als je. Hamra Kul, der gestern
+zurückblieb, wurde von einigen freundlichen Tibetern geholt. Mit
+Muhammed Tokta geht es in alter Weise, d. h. er muß auf seinem Pferde
+angebunden werden und lehnt dort vornüber gebeugt, still und geduldig,
+gegen ein Kissen. Almas hat Augenschmerzen und behauptet, fast blind
+zu sein; nachdem er aber ein wenig Kokain und eine dunkle Brille
+bekommen, ist er bedeutend munterer. Bei solchem Wind muß man indessen
+ganz besonders eingerichtete Augen haben, wenn sie einem nicht wehtun
+sollen. Nach dem heutigen Tagemarsche braucht man eine gute Stunde,
+ehe man wieder arbeitsfähig ist. Ich glaube nicht, daß das Erfrieren
+so schlimm ist; man erstarrt zur Gefühllosigkeit ohne nennenswerte
+Schmerzen. Am Abend wurde auch Chodai Kullu krank gemeldet; er hatte
+Fieberschauer und Kopfschmerzen, weshalb er Chinin bekam. Bald steht
+die halbe Karawane auf der Krankenliste.
+
+Ich ließ mir Jamdu Tsering rufen und sagte ihm, es werde jetzt wirklich
+Zeit, daß er uns die vom Dalai-Lama zugesagten Yake besorge; er
+versprach, die Sache bald ins Reine zu bringen.
+
+Im Laufe des Tages ritten wir an dem Flusse hinauf, der sich weiter
+östlich in den Boggtsang-sangpo ergießt. Hier und dort sehen wir
+Schafhürden, die einfach aus einer halbkreisförmigen Steinmauer
+bestehen, deren höchster Teil dem hier vorherrschenden Westwinde
+zugekehrt ist. Die grauen Mauern stechen scharf ab gegen den Boden im
+Innern, der mit Mist bedeckt ist.
+
+In der Gegend von +Setscha+ (5048 Meter) mußten wir an einem nicht
+unbedeutenden Flusse Halt machen; Ahmed, Islam, Hamra Kul, der Mollah,
+Tschernoff, drei Kamele und zwei Pferde waren zurückgeblieben. Sie
+langten erst lange nach Dunkelwerden an. Das erste Kamel hatte getötet
+werden müssen, das zweite sollte morgen geholt werden, nur das dritte
+war noch mitgekommen. Ein Pferd war gestorben, das Kaschgarpferd lag am
+folgenden Morgen, 6. Oktober, tot beim Lager, ein drittes brach auf dem
+Wege nach dem nächsten Rastorte zusammen. Die Karawane verkleinert sich
+nur allzu schnell!
+
+Die Nachtkälte sank auf -14,9 Grad, und das Eis des Flusses trug. Ein
+ganz kurzer Tagemarsch wurde gemacht, um einen Platz mit besserer,
+wenn auch erbärmlicher Weide zu erreichen. Wenn wir so langsam
+vorwärtsschreiten, können wir kaum hoffen, vor Weihnachten nach Ladak
+zu gelangen. In dem Lager Nr. 98, wo wir Yake erhalten sollten, wurden
+im Laufe des Tages alle unsere Sachen umgepackt. Alle Lasten wurden
+auseinandergenommen und zu kleineren Ballen verschnürt, denn der Yak
+ist einer Kamellast nicht gewachsen.
+
+Schon um 9 Uhr abends hatten wir -10,6 Grad und nachts -17,9 Grad. Der
+Winter hatte schon seinen Einzug gehalten, und sein Regiment würde nun
+volle sieben Monate dauern!
+
+Unter dem Vorwand, nach Weide zu suchen, eigentlich aber um nicht
+denselben Weg wie Littledale gehen zu müssen, brach ich am Morgen des
+7. Oktober nach einer südlicheren Richtung auf und nahm Tschernoff,
+Li Loje, den Lama und Kutschuk, 4 Maulesel, 5 Pferde und Proviant
+mit. Über Nacht waren 18 vortreffliche Yake angelangt; sie mußten die
+Lasten übernehmen (Abb. 287), und die meisten unserer Tiere, vor
+allem die erschöpften, wurden mit Arbeit verschont. Schagdur wurde zum
+Befehlshaber ernannt und hatte das Recht, überall, wo gute Weide war,
+einige Tage zu bleiben. Die Kranken waren in Besserung; nur für die
+Genesung des alten Muhammed Tokta war nicht viel Hoffnung vorhanden, er
+blieb aber in bewundernswerter Weise guten Mutes.
+
+Als wir uns in Gang setzen wollten, stürmten eine Menge Tibeter herbei
+und ergriffen unsere Pferde und Lasttiere bei den Zügeln und Halftern;
+sie könnten uns unter keiner Bedingung nach Süden reiten lassen, denn
+dann würden sie alle geköpft werden. Ich ließ ihnen durch den Lama
+sagen, wenn sie die Tiere nicht sofort losließen, würden wir zu den
+Revolvern greifen, was für sie entschieden sehr unangenehme Folgen
+haben könnte. Sie zogen sich zurück, folgten uns aber noch eine Strecke
+weit zu Fuß und versicherten, daß es hierzulande nach Süden hin
+weder Weide noch gangbare Wege gebe. Als wir schließlich nicht mehr
+antworteten, kehrten sie um.
+
+Über einen nicht sehr hohen Paß in der nächsten Kette gelangten wir an
+den Oberlauf des +Tschuring+. Der Fluß war hier teilweise zugefroren.
+Tschernoff stach fünf mittelgroße Fische mit seinem Säbel, fiel jedoch
+in seinem Eifer dabei ins Wasser. Auf dem Passe erschien jetzt eine
+Schar von 12 Tibetern, die den steilen Abhang hinunterjagten, uns bald
+einholten und uns mit ihrem ewigen Schellengeklingel und Waffengerassel
+folgten. Tsering Daschi führte die Schar; die übrige Mannschaft blieb
+unter Jamdu Tsering bei der Karawane. Wir ritten an einigen Zelten
+vorbei, deren Bewohner bestürzt herauseilten, um diese außergewöhnliche
+Gesellschaft zu betrachten. Tsering Daschi zeigte nach einem Passe
+im Nordwesten, dem „einzig möglichen“, aber wir ließen uns nichts
+weismachen, sondern gingen flußaufwärts weiter. Ein Schimmel, der schon
+müde war, zwang uns Lager zu schlagen, und wir beschäftigten uns dann
+mit ergiebigem Fischfang. Abends traf noch eine Reiterschar ein, und
+wir hörten, wie sich die Männer eifrig miteinander berieten.
+
+Bei Tagesanbruch erhielt unser Gefolge wieder Verstärkung, und jetzt
+erschien auch der alte Jamdu Tsering. Die Tibeter hatten keine Zelte
+mitgenommen und hockten frierend unter freiem Himmel. Der alte Herr
+sah bedauernswert aus; er war die Nacht durch geritten und war
+durchgefroren, niedergeschlagen und betrübt über die Sorgen, die wir
+ihm machten. Er bat mich, doch um Gottes willen wieder zu der Karawane
+zurückzukehren, und sagte, als nichts half, er habe seine Soldaten die
+Lasten von den Yaken nehmen lassen -- sie dürften uns nicht helfen,
+wenn wir uns ihrem Willen nicht fügten. Dies war entschieden gelogen,
+andernfalls hätte mir Schagdur einen Kurier geschickt.
+
+Als wir talaufwärts nach Süden weiterritten, erklärte Jamdu Tsering,
+daß er jetzt wirklich zurückreiten und uns die Yake nehmen werde. „Tut
+das“, sagte ich, „nehmt euch aber vor den Kosaken in acht!“ Es wimmelte
+um uns her wieder von Soldaten und Reitern; eine neue Mobilmachung
+war in Szene gesetzt worden. Der gute Jamdu Tsering hatte so viel zu
+bedenken, daß er gar nicht wußte, wo ihm der Kopf stand.
+
+Während des Rittes sahen wir noch mehrere Nomadenzelte im Tale. Sind
+die Bewohner gar zu zudringlich, so braucht nur ein Soldat eine
+Handbewegung zu machen, und sie verschwinden. Merkwürdig, wie dies
+halbwilde Volk zusammenhält! Eine Art Freimaurerei scheint unter
+ihnen zu herrschen; sie sind den Göttern und der Obrigkeit in blindem
+Gehorsam untertan und würden sich durch kein Gold erkaufen lassen. Es
+würde uns nicht gelingen, jemand zu überreden, uns einen Weg nach Süden
+zu zeigen. Man denke, ein Land, in dem es keinen einzigen Verräter gibt!
+
+Am Ufer des +Dschandin-tso+, des Quellsees des Tschuring, wurde das
+Lager Nr. 100 aufgeschlagen. Der See war leicht überfroren, aber der
+Wind zertrümmerte nachher den Eisspiegel.
+
+Am 9. Oktober lag der See nach einer kalten Nacht wieder eisbedeckt da.
+Nur sechs Tibeter waren noch bei uns geblieben. Sie erkundigten sich
+höflich nach unseren Absichten, und ich deutete nach Westsüdwest, wo
+sich ein Tal öffnete. Die Tagereise führte uns durch dieses, und sobald
+wir jene Richtung eingeschlagen hatten, verschwanden drei Reiter, um
+Jamdu Tsering Bescheid zu bringen. Der Paß, der jetzt überschritten
+wurde, hatte eine bedeutende Höhe, und von seinem Kamme hat man
+die großartigste Aussicht über diese gigantischen, majestätischen
+Gebirgsgegenden. Gerade im Westen erhebt sich, ganz mit ewigem Schnee
+bedeckt, der gewaltige Gebirgsstock +Schah-gandschum+. Er bildet drei
+Dome, von denen der mittelste der höchste ist, und hatte in der völlig
+klaren, reinen Luft eine herrliche Wirkung; man sehnt sich förmlich
+nach seiner friedlichen Freistatt.
+
+In der Gegend +Amrik-wa+ ließen wir uns zwischen den Höhlen der
+Murmeltiere nieder. Der Wind heulte um das Zelt, es war so kalt, wie in
+dem ärgsten Eiskeller, man ist wie zerschlagen von der Kälte.
+
+Der folgende Tag war von demselben trostlosen Pfeifen und Stöhnen
+des Windes begleitet. Der Himmel ist leuchtend blau wie der edelste
+Türkis; aber dennoch hält der unermüdliche Passatwind an, der von allem
+Ungemach hier im Lande das ärgste ist. Unser Weg geht zwischen dunkeln
+wilden Felsen über mehrere unbedeutende Pässe nach Westnordwesten. Hier
+gibt es viele Kulane, Antilopen und Wölfe. Das Tal wird schließlich
+offener, und der Boden senkt sich langsam nach Nordwesten. Auf der
+linken Seite zeigen sich fünf Zelte. Wir rasten unter einem einzelnen
+Berge, um geschützt zu sein, aber über seinem Gipfel toben und brausen
+die Windstöße wie wirbelnde Wasserfälle. Einige Ketten sind mit
+Schnee bedeckt, und der Wind bläst den Schnee von ihren Kämmen, daß
+er weißen Puderwolken oder in der Sonne blendend weiß erscheinenden
+Kometenschweifen gleicht.
+
+11. Oktober. Der Zustand der Pferde erlaubte keine weiteren Abstecher
+nach Süden. Wir waren in viel zu hohe Regionen geraten und mußten
+uns wieder mit den Unsrigen vereinen. Wir ritten daher über ein
+sehr offenes, weites Tal nach Nordwesten, wobei der herrliche
+Schah-gandschum links von unserem Wege in unserer unmittelbaren Nähe
+sich frei erhob. Der Koloß gewährte mit seinem ewigen Schnee und seinen
+vier rudimentären Gletschern einen wundervollen Anblick. Littledale
+nennt ihn Shakkanjorm; er ging hier durch ein nördlicheres Tal.
+
+Auf halbem Wege trafen wir Jamdu Tsering, der uns durch seine Kuriere
+die ganze Zeit über im Auge behalten hatte. So seltsam es auch klingen
+mag, wir freuten uns beide aufrichtig, einander wiederzusehen, und
+begrüßten uns auf das freundlichste. Er könne nun selbst sehen, sagte
+ich, daß ich mit meiner Reise nach Süden keine bösen Absichten gehabt
+habe, wogegen er beteuerte, es habe ihm nur leid getan, daß ich
+unnötigerweise über eine ganze Reihe von Pässen klettern sollte, und er
+sei ganz entsetzlich besorgt gewesen, daß dies mich angreifen würde!
+
+In einem Quertale ritten wir nach Nordwesten weiter. Der Lagerplatz der
+großen Karawane lag an einem Quellbache, der klein, aber tief, klar
+und fischreich war, so daß ich zum Mittagsessen wieder Fische erhielt
+(Abb. 288). Alle befanden sich gut, außer unserem Alten, dessen ganzer
+Körper aufgedunsen war. Ich versuchte, ihn auf die zweckmäßigste Weise
+zu behandeln; er erklärte jedoch, er wolle gar nicht geheilt werden, er
+habe nur den Wunsch gehabt, mich noch einmal wiederzusehen und dann zu
+sterben! Armer Mann!
+
+In diesem Lager, Nr. 103 (4860 Meter), trennten wir uns am 13. von
+Jamdu Tsering und Tsering Daschi, die nur beauftragt waren, uns bis
+hierher an die Grenze zu bringen, und nun baten, ihnen zu bescheinigen,
+daß sie ihren Dienst gut verrichtet hätten und ich mit ihnen zufrieden
+gewesen sei. Man sieht daraus, daß sie Befehl erhalten hatten,
+höflich zu sein. Der Lama mußte das Zeugnis aufsetzen. Hier in der
+Gegend soll die Grenze zwischen Nakktsong und der nächsten Provinz
+sein, deren Name, Bomba, auch auf Littledales Karte angegeben ist.
+Ein neuer Häuptling, Jarwo Tsering, sollte von nun an für unsere
+Weiterbeförderung sorgen.
+
+[Illustration: 290. Das Gebirge auf der nördlichen Talseite bei Lager
+Nr. 114. (S. 321.)]
+
+[Illustration: 291. Das Gebirge auf der südlichen Talseite bei Lager
+Nr. 114. (S. 321.)]
+
+Jamdu und sein Kamerad ließen sich nicht mehr sehen, weshalb ich
+die Revolver und Messer, die ich ihnen zu schenken gedacht hatte,
+behalten konnte. Die alten Yakbesitzer waren abgelohnt worden und
+mit ihren Tieren abgezogen, aber es waren uns neue versprochen worden.
+Anfangs mußten wir jedoch allein für unser Gepäck sorgen. In dem
+reizenden Tale +Ramlung+ stellten sich die neuen Yake ein, begleitet
+von ihren Besitzern und unseren beiden alten Reisegefährten, die
+augenscheinlich nicht um ihre Geschenke kommen wollten. Nach Osten hat
+man von hier eine weite Aussicht; bei Sonnenuntergang waren die in der
+Ferne verschwimmenden Kämme wie von einem Steppenbrande beleuchtet.
+Scharf gezeichnet stehen die schwarzen und weißblauen Zelte der Tibeter
+im Vordergrund zwischen dem hohen, harten, gelben Grase, in dem die
+Männer ihre Pferde von Zeit zu Zeit nach einer anderen Stelle führen.
+Im Zenith ist der Himmel rosig, am östlichen Horizont dunkelblau;
+letzteres ist der Widerschein von den Gegenden, in denen schon Nacht
+herrscht. Wir hatten nicht mehr als 16 Kilometer zurückgelegt; es
+kam sehr selten vor, daß wir unter solchen Verhältnissen mehr als 20
+Kilometer marschieren konnten.
+
+Am 14. Oktober zogen wir mit 30 neuen Begleitern und 22 Yaken ab, die
+für ein Tsos täglich pro Yak gemietet waren. 8 Tsos wurden uns hier für
+1 Liang chinesischen Silbers gegeben, wobei wir natürlich übervorteilt
+wurden. Die Tibeter versuchten sichtlich, die Länge der Tagereisen
+möglichst abzukürzen, aber es gelang ihnen nicht, ich bestimmte
+stets die Lagerplätze. Das Wasser fängt jedoch an, immer seltener zu
+werden, und manchmal war es unmöglich, ohne die Hilfe der Tibeter
+Quellen zu finden. Schagdur, der stets fürsorglich war, verschaffte
+uns sowohl süße wie sauere Milch aus einem Zelte, das er in einer
+Schlucht entdeckte. Das Terrain senkt sich langsam nach Norden, und
+manchmal kann man in dieser Richtung bis zu sechs parallele Bergketten
+hintereinander zählen. Wir zogen hier auf einem südlicheren Wege als
+Littledale. An der +Scholungquelle+ erwartete uns am Abend des 15. eine
+neue Reihe von Yaken, und auch am folgenden Tage wuchsen neue Trabanten
+wie mit einem Zauberschlage aus der Erde. Die bisherigen Yakleute
+machten Schwierigkeiten und wollten durchaus mit Tsos von Lhasa bezahlt
+werden, denn chinesisches Silbergeld war ihnen fremd. Als ich ihnen
+jedoch erklärte, daß sie in solchem Falle gar nichts bekämen, wurden
+sie fügsamer.
+
+Tscherdons Pferd starb, und von den anderen können nur noch wenige
+ihre Reiter tragen. Vier Mann reiten Maulesel, die viel zäher
+und ausdauernder sind als Pferde. Muhammed Toktas Füße waren so
+geschwollen, daß die Stiefel heruntergeschnitten und die Füße mit Filz
+umwickelt werden mußten. Auf der ganzen Tagereise sahen wir keinen
+Tropfen Wasser; das Gras ist erbärmlich, und das Land immer spärlicher
+bewohnt. Doch werden stets so viele Schafe, als wir brauchen, für uns
+bereitgehalten.
+
+Am 18. Oktober machten wir eine interessante, 20 Kilometer lange
+Reise nach Südwesten. Vom Lager ritten wir nach dem Abhang der Kette,
+die unser Längental im Süden begrenzte, hinauf. Die Tibeter nahmen
+mit allen Yaken und unserem Gepäck den Weg durch eine Schlucht und
+erklärten, daß wir über einen leichten Paß müßten. Ja, für die Yake
+mochte er nicht schwer sein, aber für die Kamele war er sicherlich
+mörderisch. Wir zogen daher längs des Fußes des Gebirges über zahllose
+Rinnen weiter. Von dem Vorsprunge, wo wir nach Süden abbiegen, wird
+jetzt in unserer Nähe der Salzsee +Lakkor-tso+ sichtbar. Littledale
+zog in ziemlicher Entfernung nach Norden hin an diesem See vorüber; er
+machte die sehr richtige Beobachtung, daß die meisten der tibetischen
+Salzseen im Austrocknen begriffen sind. Dies fällt bei dem Lakkor-tso
+besonders auf. Längs seiner Ufer erstrecken sich alte Uferlinien, die
+sich zu bedeutender Höhe über den Seespiegel erheben. An flachen,
+langsam abfallenden Uferstrecken bilden sie Wälle, hinter denen oft
+Lagunen stehen. Die Ufer sind kreideweiß von Salz, das, trocken
+und pulverisiert, vom Winde in weiße Wolken aufgewirbelt wird, die
+Wasserdampf oder stäubendem Mehle gleichen. Während des weiteren
+Marsches nach Süden nach dem heutigen Lager am Flusse +Somme-sangpo+,
+der westwärts dem See zuströmt, gingen wir oft über Buchten, die
+jetzt ausgetrocknet, aber von mächtigen Wällen eingefaßt und mit
+Pyramiden und Kegeln angefüllt waren, die aus entschieden vom Winde
+ausgemeißelten Salzablagerungen bestanden.
+
+Bei dem Lager war die Weide gut. Im Süden zieht sich noch immer eine
+wilde, gewaltige Bergkette hin, die uns, soweit wir sehen können, noch
+mehrere Tage den Übergang mit Kamelen schwerlich erlauben wird.
+
+Der Hund Hamra mußte erschossen werden, weil er uns nachts nie ruhig
+schlafen ließ. Hatte er keine Tibeter anzubellen, so bellte er unsere
+eigenen Nachtwachen und die Karawanentiere an. Zwei Pferde starben;
+seltsamerweise gebaren in derselben Nacht zwei Kamelweibchen zu früh
+Füllen. Turdu Bai glaubte, dies sei der Kälte, -15,4 Grad, und dem
+Umstande zuzuschreiben, daß sie außer der Zeit kaltes Wasser getrunken
+hatten. Die Mütter befanden sich jedoch vorzüglich und durften am
+19. ausruhen. Auch an diesem Lagerplatze erhielten wir neue Wächter
+und 40 Yake. Schon um 9 Uhr waren es fast -10 Grad; man konnte den
+Fluß zufrieren hören, denn es klang und knallte in den neugebildeten
+Eisscheiben.
+
+
+
+
+Fünfundzwanzigstes Kapitel.
+
+Via dolorosa.
+
+
+Am 20. Oktober begann der Passatwind um 9½ Uhr. Ich nenne diesen Wind
+mit Vorliebe so, denn er weht mit staunenerregender Regelmäßigkeit.
+Nach Mittag schwoll er zum Sturme, einem vollständigen Wüstensturme,
+an und jagte so dichte Wolken von Sand, Staub und Salz vor sich her,
+daß die Landschaft oft völlig verschwand. Dennoch war es ein prächtiger
+Anblick, wie diese kreideweißen Wolken von dem Westufer des Lakkor-tso
+über den See und von dem östlichen Ufer landeinwärts wirbelten, während
+die ebenso weißen Wogen gegen den Strand tosten. Als wir an diesem
+entlangzogen und der Wind mit besonderem Nachdruck uns von der Seite
+packte, schwankten die Kamele wie Trunkene, und die Reiter hatten Mühe,
+sich im Sattel zu halten. Zwei wichtige klimatische Charakterzüge
+haben wir gefunden: die Regenzeit tritt im Spätsommer ein und dauert
+den Vorherbst hindurch, und ihr folgt, nach einem kurzen Zwischenraum
+von schönen Tagen, eine Periode mit vorherrschendem Westwind, die den
+Spätherbst und Winter charakterisiert.
+
+Dann und wann fliegt eine Filzdecke, ein Sack oder sonst ein Gegenstand
+von einem Kamele und muß wieder festgebunden werden. Ich muß den Deckel
+meines Marschroutenbuchs gegen den Wind halten, damit mir die Blätter
+nicht zerrissen werden, und wie gewöhnlich ist man von der Kälte
+durchfroren. Heute blieb eines der Pferde aus Lhasa liegen und mußte
+getötet werden. Der Schimmel aber, den wir auf dem Rückzuge nach dem
+Hauptquartier für verloren hielten, kommt noch immer mit. Die übrigen
+Tiere hielten sich aufrecht, obwohl es mehrere Todeskandidaten unter
+ihnen gab.
+
+Wir gehen flußabwärts nach Westen und haben auf beiden Seiten sehr hohe
+Bergketten. Am Endpunkt der rechten Kette schwenkt der Fluß nach Norden
+ab und ergießt sich in den See, an dem hier ein Salzfeld mit gewaltigen
+Hügeln weiß wie Mehl glänzt. Bald darauf befinden wir uns unten auf
+dem ziemlich steilen Ufer und halten uns auf einer hohen Terrasse,
+bis wir an einen neuen Fluß gelangen, der von Südsüdosten kommt und
+sich ebenfalls in den See ergießt. An seinem linken Ufer wurde Halt
+gemacht (Abb. 289). Alle Berge in der Nähe waren scharf gezeichnet mit
+horizontalen Linien, die bei gewissen Beleuchtungen wie schwarze Bänder
+aussahen. Ich beschloß, am nächsten Morgen zu messen, wie hoch die
+oberste Wasserlinie über dem jetzigen Seespiegel lag.
+
+Während des Marsches ereignete sich ein eigentümliches Abenteuer.
+Der alte Muhammed Tokta blieb zurück, aber niemand achtete darauf.
+Hamra Kul, der mit einigen müden Pferden langsam hinter der Karawane
+herzog, fand ihn in einer Grube, wo sich der Alte, wie er ganz vergnügt
+erklärte, des Reitens müde, hatte vom Pferde fallen lassen, welches
+sicherlich nichts dagegen gehabt und sich nachher zu der Karawane
+gesellt hatte. Hamra Kul nahm den Alten auf einem seiner Pferde
+mit, und im Lager wurde er wie gewöhnlich weich in Decken und Pelze
+gebettet. Abends machte ich ihm meinen gewöhnlichen Krankenbesuch, um
+mich nach seinem Befinden zu erkundigen und mich zu überzeugen, daß es
+ihm an nichts fehle. Manchmal pflegte er eine kleine Dosis Sulfonal
+zu erhalten, um schlafen zu können. Diesmal sollte er jedoch einen
+langen, tiefen Schlaf tun, ohne vorher ein Schlafmittel einzunehmen.
+Er antwortete auf alle Fragen und wollte am liebsten Milch haben,
+weshalb ich den anderen sagte, sie sollten ihm alle noch vorhandene
+Milch bringen, von der er auch eine große Schale voll austrank. Als
+ich ihn nach seinem Befinden fragte, lächelte er freundlich. Die Sonne
+war jedoch noch nicht wieder aufgegangen, als er schon steif und
+kalt war. Keiner hatte gemerkt, wann sein letzter Lebensfunke in der
+Morgenkälte erlosch. Mollah Schah, der die letzte Nachtwache hatte,
+war fortgegangen, um Brennmaterial zu sammeln. Der Tod hatte den alten
+Kameltreiber im Schlafe überrascht; seine Augen waren fest geschlossen,
+und er lag noch ganz in derselben Lage wie am Abend vorher.
+
+Dieser Todesfall brachte für die Übrigen ein Gefühl der Erleichterung
+mit sich, denn auf Besserung hatte keiner mehr gehofft, seitdem der
+Körper des Kranken angeschwollen war und eine häßliche, dunkle Farbe
+angenommen hatte. Ihm selbst war das Leben während seiner viermonatigen
+Krankheit nur eine drückende Last gewesen, und der Tod war hier als
+Erlöser erschienen. Er war ein redlicher, ehrlicher Mensch, und ich
+hörte nie, daß jemand unfreundlich gegen ihn war, obgleich er wider
+seinen Willen seinen Kameraden zur Last war; alle hatten ihn gern, weil
+er selbst freundlich und stets guter Laune war und von seiner Krankheit
+nie viel Aufhebens machte. Noch die letzten Abende hatte er trotz
+aller Verbote versucht, sich aufzurichten und zu grüßen, wenn ich ihn
+besuchte.
+
+Die übrigen Muselmänner trafen sofort Anstalten zur Beerdigung, und
+noch ehe ich mit der Todesnachricht geweckt wurde, gähnte schon finster
+und unheimlich das Grab, das ihn in seine kalten Arme schließen sollte.
+Aus den Boothälften wurde ein provisorisches Zelt errichtet, in dem die
+Leiche gewaschen wurde. Sodann wurden ihr die Kleider und der Pelz des
+Alten wieder angelegt und sie auf einer Kamelleiter zu Grabe getragen,
+wo dieselbe Zeremonie wie bei Kalpets Leichenbegängnis stattfand.
+Muhammed Tokta war der vierte, der auf dieser anstrengenden Reise im
+innersten Asien und Tibet zugrunde ging; es war ein großer Verlust!
+
+Die beiden Kranken, die jetzt auf der Liste standen, Almas und Ahmed,
+fühlten sich nach diesem neuen Begräbnisse durchaus nicht besser; dem
+ersteren war das ganze Gesicht geschwollen, und ich war seinetwegen
+lange in Unruhe, ehe er sich wieder erholte.
+
+Diese unheimliche Krankheit, die bei den drei in Tibet gestorbenen
+Männern mit ungefähr gleichen Symptomen auftrat, hat ihre Ursache
+nicht in falscher Ernährung. Wir hatten Nahrung vollauf, und kräftige
+obendrein. An frischem Fleisch litten wir in Tibet nie Mangel,
+besonders seitdem wir bewohnte Gegenden erreicht hatten, wo wir von
+den Einwohnern stets Schafe und Fett erhielten. Daß die Jagd auf Yake,
+Kulane und Antilopen immer guten Ertrag gab, habe ich bereits erwähnt.
+Dazu hatten wir jetzt auch angenehme Abwechslung durch süße und saure
+Milch, Butter und Fische, und von dem aus Tscharchlik mitgenommenen
+Proviant von Reis, Mehl und Talkan war noch im Überfluß da; er war auf
+zehn Monate berechnet, und wir waren erst 5½ unterwegs. Der Vorrat
+mußte bis Ladak reichen; daß er nicht 10 Monate reichen konnte, beruhte
+darauf, daß wir die Kamele, wenn sie anfingen hinzuschwinden, mit Brot
+und Reis zu retten suchten, was auch den Vorteil hatte, daß die Lasten
+kleiner wurden und die Karawane sich leichter bewegen konnte. Bevor
+wir durch die Yake Entsatz erhielten, war es sogar notwendig gewesen,
+möglichst viel vom Proviant zu verzehren; denn wir hätten ihn sonst,
+wenn uns ein Tier nach dem andern starb, schließlich wegwerfen müssen.
+
+Diese Krankheit rührt von der Luftverdünnung her. Die Atmosphäre hat
+hier nur die halbe Dichte wie am Meer, und das Blut saugt nicht die
+genügende Menge Sauerstoff ein, um das Leben aufrechtzuerhalten. Wir
+leben unter abnormen Verhältnissen. Unser Körper und seine Atmungs- und
+Kreislauforgane sind nicht für sie gebaut. In den Funktionen dieser
+Organe treten Störungen ein, und der, welcher schon an und für sich
+nicht gesund und kräftig ist, hat natürlich noch größere Aussicht
+zugrunde zu gehen. Das Herz arbeitet hier unter Hochdruck, und wenn
+seine Muskeln und Gewebe nicht hinreichend stark sind, vermag es nicht,
+das Blut in die peripherischen Teile zu treiben. Ein hervorragender
+schwedischer Arzt hat mir erklärt, daß dies die Ursache ist, weshalb
+die Füße und Beine bei meinen Leuten buchstäblich hinschwanden, und
+er war der Ansicht, daß die Kranken sich vielleicht hätten retten
+lassen, wenn es möglich gewesen wäre, sie beständig in horizontaler
+Lage, die Füße sogar etwas höher als den Kopf, zu halten. Auf einer
+Karawanenreise ist es natürlich sehr schwer, die Kranken genügend zu
+pflegen; man müßte vor allem an einem Orte bleiben, bis sie völlig
+wiederhergestellt wären. Doch in einem Lande wie Tibet ist dies sehr
+oft unmöglich, wenn nicht die ganze Karawane in Gefahr geraten soll. Es
+bleibt einem keine andere Wahl, als die Kranken mitzuschleppen, und es
+ist klar, daß eine solche Anstrengung und Unruhe für ihre absterbenden
+Kräfte zu groß ist.
+
+Die Yake waren schon früh aufgebrochen, von ihren zu Fuß gehenden,
+pfeifenden Treibern und einem Kosaken eskortiert. Darauf folgten, von
+einigen Muselmännern geführt, die kranken Kamele und Pferde, alle
+ohne irgendeine Last. Nachdem die Beerdigung vorüber war, verließen
+die übrigen das düstere Lager und nahmen, wie gewöhnlich, meine
+Instrumentkisten auf einigen noch tüchtigen Kamelen mit. Besonders
+weit war es nicht mehr bis Ladak, gegen 800 Kilometer, aber bei den
+Tagemärschen, die wir machten, erschien die Entfernung endlos. Insofern
+war allerdings das langsame Tempo vorteilhaft, als ich Zeit hatte,
+das durchreiste Land gründlicher zu erforschen, mehrere astronomische
+Punkte festzustellen und mit dem Kochthermometer öfter die Höhe zu
+bestimmen.
+
+Ich brach mit Schagdur und Sirkin nach dem Abhange des im Westen des
+Lagers liegenden Berge auf. Die Höhe der alten Uferlinien über dem
+jetzigen See sollte mit dem Nivellierspiegel gemessen werden. Die Höhe
+des Spiegels über dem Boden betrug 1,5 Meter, und die Entfernungen
+zwischen den gemessenen Punkten verkürzten sich beinahe beständig, so
+daß die Linie, auf deren Einzelheiten ich jetzt nicht eingehen kann,
+eine Parabel bildete.
+
+Während des heutigen Tagemarsches sowohl wie später bei mehreren andern
+Gelegenheiten konnte ich feststellen, daß die nach Westen abfallenden
+Bergseiten stets energischer entwickelte Uferlinien haben als die nach
+Osten abfallenden, auf denen die Linien sehr oft sogar ganz fehlen. Auf
+den Nord- und Südabhängen sind sie einigermaßen deutlich. Da dies die
+Regel ist, fragt man sich: was war die Ursache? Natürlich dasselbe, was
+noch heute die Ursache ist, der Westpassat. Dieser treibt die Wogen
+nach den Ostufern, wo der Wellenschlag eine sehr kräftige Brandung
+erzeugt, während die Westufer vor dem Winde geschützt liegen.
+
+Das Resultat der Nivellierung ergab, daß die höchste Uferlinie nicht
+weniger als 133 Meter über dem jetzigen Seespiegel lag, dieser
+also um diesen ungeheuren Betrag gesunken war. Sein Areal hat sich
+dementsprechend verkleinert, und wir ritten mehrere Tagereisen weit
+auf einstigem Seeboden.
+
+Über einen kleinen, weichen Paß gelangten wir an noch einen Salzsee,
+der genau dieselben Eigenschaften wie der Lakkor-tso, ebenso grünes
+Wasser und ebenso weiße Ufer hat, aber bedeutend kleiner ist.
+Sein ganzer westlicher Teil ist trocken gelegt, und dort glänzen
+außerordentlich umfangreiche Salzablagerungen weiß wie Schnee. Wir
+gingen am Ufer entlang, mußten aber bald wieder über einen Paß.
+
+Unter dem Passe rastete Hamra Kul mit zwei verendeten Pferden; mit
+dem einen kam er abends noch ins Lager, aber das zweite, einen
+Apfelschimmel aus Korla, ließ ich sofort töten, denn es konnte nicht
+mehr auf den Beinen stehen. Es hatte einen seltsamen Blick, als es
+seinen langwierigen, harten Dienst beendete. Es schloß nach dem
+tiefen Stiche in den Hals die Augen und lag ganz still. Als aber der
+Blutstrahl versiegte und die Mattigkeit und Ruhe des Todes folgte,
+öffnete es wieder die Augen, wie um zum letzten Male von diesem elenden
+Leben und seinen mageren Weiden Abschied zu nehmen. Dabei blickte
+das linke Auge gerade in die Sonne, die sich darin widerspiegelte,
+so daß es wie der klarste Edelstein glänzte. Es hatte den Anschein,
+als existierten wir, seine Henker, nicht mehr für das sterbende Tier,
+sondern nur noch die Sonne. Man fühlt in solchen Augenblicken eine
+drückende Beklemmung, und ich hatte unsägliches Mitleid mit diesen
+geduldigen, wehrlosen Tieren, die ich nur mitgeschleppt hatte, um meine
+unbezwingliche Sehnsucht, das Unbekannte zu erforschen, zu befriedigen.
+Man stellt maßlose Anforderungen an diese armen Tiere. Und was gibt man
+ihnen dafür? Nichts; nicht einmal das, was sie als treue Diener des
+Menschen entschieden mit Recht beanspruchen können: genügende Kost,
+d. h. Futter, Weide und Wasser, gut und reichlich bemessen. Man lockt
+sie gleichsam mit falschen Vorspiegelungen: „Eilt fort von diesen
+unerträglichen, blutdürstigen Bremsen und Mücken, von der Hitze und den
+Sandstürmen in der Wüste, kommt mit nach den hohen, frischen Bergen,
+nach ihren Gletscherflüssen, frischen Quellen und saftigen Weiden!“ Und
+sie kommen, aber was finden sie? Eine Einöde ohne Gras, eine Luft, die
+für ihre Lungen nicht ausreicht, und ein Land, für dessen Natur nur
+Yake, Kulane und Antilopen geschaffen sind. Eine Reise durch Tibet ist
+eine Kette von Leiden für Menschen und Tiere. Jeden Tag umgeben uns
+Leiden und Jammer, und wir können uns nicht froh fühlen. Man möchte
+weinen, wenn man all dieses Elend sieht, aber man stumpft auch dagegen
+ab. Wie gern würde man, wenn man es nur könnte, diesen unglücklichen,
+unschuldigen, unterdrückten Sklaven die Freiheit wiedergeben, sie nach
+ewig grünenden Weideplätzen und sprudelnden Quellen führen und sie
+das Leben genießen lassen, das für sie jetzt nur -- eine mörderische
+Plage ist und klaffende Wunden hinterläßt, Wunden, die nicht geheilt
+werden können. Nach all der Sterblichkeit in der Karawane, deren Zeuge
+ich gewesen war, hoffte ich jetzt, daß wenigstens einige unserer Tiere
+Ladak erreichen würden, damit ich sie dort mit Fürsorge überhäufen, die
+Pferde wiehern hören und die Augen der Kamele vor Freude glänzen sehen
+könnte. Von den 45 Pferden und Mauleseln waren jetzt nur noch 11 übrig!
+
+Die Abende werden kalt. Kutschuk, der im Küchenzelt residiert, nimmt an
+Popularität zu, wenn er ein gewaltiges Argolfeuer unterhält, denn jeder
+holt sich bei ihm Kohlen für sein Zelt. Hoch stand der glänzende Mond
+am Himmel, schwarz und düster lagen die Berge im Schatten, kreideweiß
+breitete sich der verschwimmende See in der Nacht aus; ein Fremdling,
+der um diese Stunde an das Seeufer kommen würde, würde darauf schwören
+können, daß die Salzfelder Eis und Schnee seien.
+
+22. Oktober. Es ist vorteilhaft, kurze Tagereisen zu machen, aber so
+kurz wie heute brauchten sie doch nicht zu sein! Wir hatten kaum 5
+Kilometer zurückgelegt, als die Führer an einer Stelle mit gutem Grase
+Halt machten und uns rieten, ja hierzubleiben, da wir während der
+nächsten drei Tagemärsche überhaupt keine Weide finden würden. Ferner
+würden im Laufe des Tages oder der Nacht die von ihnen ausgeschickten
+Reiter mit einer neuen Eskorte von Yaken und Schafen ankommen. Alle
+diese Gründe waren so stichhaltig, daß wir blieben; ich ließ ihnen aber
+sagen, sie sollten sich nicht einbilden, daß bei der Abrechnung über
+die Yakmiete der heutige Marsch für eine ganze Tagereise gerechnet
+werde. Sie waren so liebenswürdig zu antworten, daß sie dies meinem
+Gutdünken überließen.
+
+Der Weg führte über die weißen Felder mit ihren 3 Meter hohen
+Pyramiden und Tischen. Selbst sehr gute Augen konnten hier die Reflexe
+ohne dunkle Brille nicht ertragen. Das Gebirge im Südwesten heißt
++Marmi-gotsong+, hinter ihm liegt ein Kloster, +Marmi-gombo+. Von Zeit
+zu Zeit hörten wir langgezogene Trompetenstöße von dort.
+
+Ein voller Sturm herrschte an diesem und am nächsten Tage. Mein Pferd
+arbeitet und müht sich ab, um diese dünne Luft zu durchdringen, die
+dennoch so ungeheuren Widerstand leistet. In der Jurte stellte ich
+stets meine Kisten an die Windseite, um die Zugluft abzuschwächen,
+aber ganze Haufen von Staub und Abfällen wehten durch die Zeltöffnung
+herein. Unsere Straße führte nach Nordwesten, aber noch befanden wir
+uns südlich von Littledales Route. Auch im Lager Nr. 112, am Flusse
++Schaggué-tschu+, hörten wir von Süden her Posaunenstöße, den Tönen
+eines Nebelhorns vergleichbar. Ich hätte zu gern die Tempel besucht,
+aber die Tibeter wollten nichts davon hören, und die Pässe im Süden
+waren für unsere Tiere auch zu schwierig.
+
+[Illustration: 292. Das Gebirge auf der südlichen Talseite bei Lager
+Nr. 114. (S. 321.)]
+
+[Illustration: 293. Das Nordufer des Tsolla-ring-tso. (S. 324.)]
+
+[Illustration: 294. Lager an einem zugefrorenen Sumpfe. (S. 324.)]
+
+Am 24. hatten wir auf beiden Seiten wilde, felsige Bergketten mit
+großartigen, phantastischen Perspektiven. Gleich hinter einem flachen
+Passe (4820 Meter) lagerten wir an einem kleinen Tümpel namens
++Oman-tso+. Wir sind hier in der Provinz +Sagget-sang+, die von dem
+Senkorstamme bewohnt wird, ein Name, den wir auch bei Littledale
+finden. Von den drei heute zurückgebliebenen Kamelen erreichte eines
+noch spät das Lager, das zweite blieb auf dem Passe liegen, und das
+dritte starb.
+
+Die Kälte ging bis auf -18,8 Grad herunter. Schon beim Aufbruch (am
+25.) mußte ein Pferd totgestochen werden. Sechs Kamele sind kränklich
+und ziehen mit der Yakkarawane. Almas, dem es noch immer schlecht
+ging, ritt auf dem ersten von ihnen. Wir holten sie bald ein und
+sahen, wie eines streikte und mit zwei Männern zurückgelassen wurde;
+sie versuchten, es zum Weitergehen zu bewegen. Als es sich aber in
+der Lage ausstreckte, die die Kamele beim Sterben einnehmen, wurde es
+mit dem Messer getötet. Noch eines blieb mit einem Wärter zurück, und
+dann wieder eines. Später wurde das Dromedar auf einem Platze, wo Gras
+wuchs, zurückgelassen, damit die Nachzügler es mitnehmen könnten. Almas
+führte schließlich nur noch ein Kamel, die Mutter des kleinen Füllens,
+das in Tscharchlik geboren war. Die Liebe zu ihrem Jungen scheint ihre
+Kräfte aufrechtzuhalten. Das Junge gehört zu den Allergesundesten,
+weil es mit Brot gefüttert wird; es saugt jetzt nur noch selten an dem
+versiegenden Euter der Mutter. Wir haben jetzt nur noch 18 Kamele, 21
+liegen tot auf unserer Straße. Alle vier Kosaken reiten auf Mauleseln,
+auf Pferden nur ich, Turdu Bai, Mollah Schah, Li Loje und Turdu Ahun,
+Hamra Kuls sechzehnjähriger Sohn, welcher der Diener der Muhammedaner
+ist. Die übrigen Leute reiten gelegentlich auf Kamelen, sonst gehen sie
+zu Fuß.
+
+Diese so geschwächte Karawane zog zwischen den gigantischen Felsen
+weiter, die versteinerten, verzauberten Ritterburgen glichen. Alle
+Ketten biegen nach Nordwesten ab, ganz wie der Himalaja und der
+Kwen-lun auf denselben Meridianen. Auch heute lagerten wir im Lager
+Nr. 104 unter einem Passe an einem zugefrorenen kleinen See, dem
++Bondschin-tso+ (Abb. 290, 291, 292). Der Anführer unserer jetzigen
+Trabanten, Dawo Tsering, ist ein sehr netter, lustiger alter Herr, der
+nicht begreifen konnte, was er für Nutzen davon haben würde, wenn er
+uns hinters Licht führte.
+
+Der Tod setzt seine Verheerungen in der Karawane fort. Ein Kamel wurde
+am Morgen geopfert, drei andere blieben während des Marsches zurück.
+Turdu Bai blieb bis 10 Uhr abends bei ihnen und sollte sich am
+nächsten Morgen nach ihnen umsehen; konnten sie dann nicht mitkommen,
+so hatte er Befehl, sie zu töten; den einen Trost haben wir wenigstens,
+daß wir ihnen ihr Grab in einer großartigen Natur bereiten.
+
+Am 26. ritten also Turdu Bai und Sirkin zu den Kamelen zurück. Als wir
+die beiden Reiter im nächsten Lager ankommen sahen, wußten wir sofort,
+wie es stand. Das Dromedar hatte noch an der Stelle gelegen, wo es
+abends zurückgelassen worden war; es hatte auch nicht den geringsten
+Versuch gemacht, sich zu erheben. Es hatte geweint, und lange Eiszapfen
+hingen ihm unter den Augen. Sowohl dieses wie die beiden anderen Kamele
+mußten getötet werden.
+
+27. Oktober. Das Wetter ist immerfort klar, und der Westwind dauert an,
+wenn auch bisweilen mit etwas abgeschwächter Kraft. Das Terrain war
+gut und eben; alle Kamele konnten den Marsch machen, ein paar Pferde
+aber nur mit Mühe und Not. Einige von den Kamelen haben wunde Füße und
+tragen Strümpfe von Kulanleder. Das Land öffnet sich wieder, dann und
+wann stoßen wir auf Nomaden. Dawo Tsering reitet neben mir und erteilt
+mir mit größter Offenheit Auskunft. Manchmal sagt er mit geradezu
+schulmeisterlicher Würde: „Schreibt jetzt auf, daß der Berg da so
+heißt.“ Er hat den Lama heimlich gefragt, was ich von ihm halte.
+
+Nachdem wir auf einer kürzeren Strecke mit Littledales Route in
+Berührung gewesen waren, verließen wir sie jetzt wieder. Der englische
+Reisende ging von hier auf einem südlicheren Wege nach Rudok und dann
+längs des Südufers des Panggong-tso nach Leh. Im Nordwesten zeigt
+sich der See +Daddap-tso+. Das Lager Nr. 106 wurde am Westufer des
+zugefrorenen Süßwassersees +Oman-tso+ aufgeschlagen.
+
+Am 28. Oktober ging es den ganzen Tag in einem Längentale bergauf und
+bergab, bis wir schließlich einen Paß erreichten, von dem die Aussicht
+nach Westen hin prachtvoll war; eine ganz neue Welt breitete sich in
+dieser Richtung aus, alles Alte lag wie ein zugeschlagenes Buch hinter
+uns.
+
+Die Landschaft wird besonders von dem runden See +Perutse-tso+ oder
++Jim-tso+ beherrscht. Die Karawane ist so weit vor mir, daß sie
+nicht mehr zu sehen ist; ich bin, durch meine Arbeit aufgehalten,
+wie gewöhnlich der letzte. Wir reiten durch einen Gürtel von
+Balgunsträuchern auf meterhohen Kegeln -- hier würden wir in der Kälte
+wenigstens ordentliche Feuer haben können.
+
+Unser Lager am Perutse-tso war das beste, das wir seit dem Lager am
+Tscharchlik-su, beim Antritt unserer Reise durch Tibet, gehabt hatten.
+Das Gras war hoch, weich und üppig, obwohl gefroren, und vorzügliches
+Brennholz und Wasser gab es in Menge. Große lodernde Lagerfeuer machten
+den Platz hell, gemütlich und warm; es war auch nötig, denn in dieser
+Nacht sank die Temperatur auf -20,1 Grad. Alle Kamele, außer der jungen
+Mutter, erreichten das Lager. Diese wurde am Ufer zurückgelassen,
+nachdem ich eine ganze Weile versucht hatte, sie wieder auf die Beine
+zu bringen, und sie das Strohpolster ihres Packsattels hatte fressen
+lassen. Schon am selben Abend, als sie abgeholt werden sollte, war sie
+tot und steifgefroren. Jetzt hatten wir nur noch 14 Kamele! Im Lager
+starb ein Pferd; es hatte beinahe den Anschein, als habe sein leerer
+Magen das gute Gras nicht vertragen können. Dawo Tsering nahm hier
+Abschied und erklärte, es sei ihm nicht erlaubt, Geschenke anzunehmen.
+
+Wir waren jetzt neun Tage marschiert, ohne einen Tag zu rasten -- die
+Weide war zu schlecht dazu gewesen; hier aber blieben wir dafür in Wind
+und Kälte vier Tage liegen, während derer sich die Tiere schließlich
+erholten. Meine Zeit wurde von verschiedenen Nacharbeiten in Anspruch
+genommen. Unsere neuen Begleiter verkauften uns für 4 Liang drei kleine
+Beutel Gerste aus Ladak, natürlich viel zu teuer; aber unsere Tiere
+bedurften des Korns, und in einer Stunde war es verzehrt. Der neue
+Anführer erzählte uns, daß er Tadschinurmongole und einige Tagereisen
+südlich vom Kukku-nor geboren, aber von seinen Eltern auf der Wallfahrt
+nach Lhasa an ein kinderloses tangutisches Ehepaar verkauft worden sei.
+Wieviel sie für ihn bekommen hatten, wußte er nicht, aber der Lama
+sagte uns, daß 20 Liang der stehende Preis und ein derartiger Handel
+nichts Ungewöhnliches sei. Es kommt auch vor, daß die Tanguten Kinder
+an die Mongolen verkaufen. Unser Begleiter war, als er verkauft wurde,
+fünf Jahr alt gewesen und natürlich ein echter Tibeter geworden; er
+erinnerte sich auch nicht eines einzigen mongolischen Wortes mehr. Die
+Tanguten gehören zu demselben Stamme wie die Tibeter und haben dieselbe
+Sprache wie diese.
+
+Nach der Rast waren wir imstande, auf gutem, ebenem Boden 25,8
+Kilometer zurückzulegen. Dennoch waren wir noch nicht weit gekommen,
+als ein Pferd stürzte und getötet werden mußte.
+
+Es herrscht eine schneidende Kälte, und im Sattel, wo man dem längs
+des Bodens hinstreichenden Winde ausgesetzt ist, erstarrt man beinahe.
+Alle Muselmänner reiten jetzt auf Kamelen, alle Lasten, außer den
+Instrumentkisten, werden von Yaken getragen. Ich bin der einzige, der
+ein Pferd reitet, aber dieses wird auch besonders mit Brot und Reis
+gefüttert. Die übrigen Pferde werden ohne Sattel hinter der Karawane
+hergeführt.
+
+Der Fluß +Ombo-sangpo+ war ganz zugefroren, aber das Eis hielt nicht;
+nachdem einige von den Pferden und Yaken der Tibeter auf der Eisdecke
+ausgeglitten und gestolpert waren, brachen die übrigen ein, und es
+mußte ein Kanal für die Kamele ausgehauen werden.
+
+Die Nacht im Lager Nr. 108 war sternenklar und windstill (-15,4 Grad).
+Sogar Sterne fünfter Größe waren am Horizont noch deutlich erkennbar,
+während diejenigen erster Größe wie Fackeln glänzten. Manchmal hört man
+die vermutlich hungernden und frierenden Wölfe heulen.
+
+Am Morgen des 3. November stellte es sich heraus, daß alle Kamele
+bis auf zwei nach den üppigen Weiden des Perutse-tso zurückgekehrt
+waren; ihr Einfangen verursachte großen Zeitverlust. Sodann zogen wir
+nach Westen über sehr deutliche, schöne Uferterrassen, welche die
+frühere Ausdehnung des Sees +Luma-ring-tso+ zeigen. Über umfangreiche
+Salzfelder erreichen wir endlich den See, einen unbedeutenden kleinen
+Salztümpel, dessen Nordufer wir folgen. Hinter einer schmalen Landenge
+taucht noch ein See auf, der +Tsolla-ring-tso+ (Abb. 293), an dessen
+Ufer wir lagern. Im allgemeinen sind die Ufer sumpfig (Abb. 294) und
+selbst bei der jetzt herrschenden Kälte tückisch. Der Luma-ring-tso ist
+auf Nain Singhs Karte ganz verkehrt gezeichnet; letzterer gibt ihm eine
+Länge von 55 Kilometer statt der tatsächlichen 5½, aber er hat den
+See nicht gesehen, denn sein Weg liegt weit nördlich davon, und es ist
+nicht wahrscheinlich, daß der Luma-ring-tso seit 1873, in welchem Jahr
+der berühmte Pundit seine denkwürdige, verdienstvolle Reise machte, so
+bedeutend eingeschrumpft ist. Auf dem gefährlichen Sumpfufer wurden die
+Kamele nachts angebunden. Ein paar Pferde sanken nachts ein, und als
+wir sie am Morgen mit knapper Not wieder herausgezogen hatten, sahen
+sie wie Lehmstatuen aus. Trotz der ihnen neulich vergönnten Ruhetage
+stand es mit vielen von den letzten Pferden schlecht. Der Schimmel, der
+den Marsch gegen Lhasa mitgemacht hatte und der am 19. August schon
+aufgegeben gewesen war, aber trotzdem bis jetzt ausgehalten hatte,
+stürzte heute. Ich wollte ihn gerade töten lassen, als der tibetische
+Häuptling herbeieilte und ihn sich, so wie er war, ausbat, wozu ich
+gern meine Zustimmung gab.
+
+[Illustration: 295. Der Lama im Streite mit dem Anführer der
+Yakkarawane. (S. 327.)]
+
+[Illustration: 296. Aussicht nach Südosten vom Lager Nr. 129. (S. 329.)]
+
+[Illustration: 297. Die Umgebung des Lagers Nr. 133. (S. 330.)]
+
+[Illustration: 298. Offene Landschaft beim Tsangar-schar. (S. 330.)]
+
+[Illustration: 299. Geröllterrassen. (S. 330.)]
+
+[Illustration: 300. Unser erster Lagerplatz am Tso-ngombo. (S. 333.)]
+
+Wir wußten, daß wir heute die Grenze von Rudok erreichen würden.
+Am Westende des Sees standen bereits 7 Zelte, und eine Menge Leute
+war dort zu sehen. Ein dreister alter Mann kündigte uns an, daß wir
+hierzubleiben hätten. In einem benachbarten Tale sei das Gras gut,
+und dort weideten auch ihre eigenen Pferde und Yake. Wir lagerten in
+der Nähe der Tibeter, und der Lama begab sich sofort zu ihnen, um
+Erkundigungen einzuziehen. Als er zurückkam, war er ganz aufgeregt;
+der Gouverneur von Rudok war ein rechter Grobian gewesen und hatte
+erklärt, daß er uns ohne Paß vom Dalai-Lama nimmermehr durch sein
+Gebiet ziehen lassen werde. Ich schickte zu diesem Bombo, der beim
+Dewaschung besonders gut angeschrieben sein soll und Oberaufseher
+des Tschokk-dschalung war, wo er im Sommer residierte; im Winter wohnte
+er in der Stadt Rudok. Tschokk-dschalung ist ein Goldfeld, das einige
+Tagereisen südwestlich der Gegend liegt, in der wir uns befanden. Im
+Winter sollen sich dort nur einige zwanzig Menschen aufhalten, im
+Sommer aber 300 und darüber, die von allen Seiten, sogar von Lhasa,
+dorthinkommen, um Gold zu suchen. Tschokk-dschalung gilt für den
+höchstgelegenen ständig bewohnten Ort der Erde.
+
+Mit großem Gefolge und arroganter Sicherheit in seinem Auftreten kam er
+in seinem schönsten Paradeanzug, sobald er meine Aufforderung erhalten
+hatte; ich bat ihn, auf einer Filzmatte vor meinem Zelte Platz zu
+nehmen. Ich selbst blieb drinnen neben meinem Kohlenbecken sitzen.
+Der Bombo schien zuerst unschlüssig, wie er sich zu der zweideutigen
+Artigkeit verhalten sollte, setzte sich aber schließlich doch und
+forderte mir den Paß vom Dalai-Lama ab. Ich antwortete ihm, daß wir
+diesen Herrn nie gesehen hätten und folglich auch keinen Paß von ihm
+haben könnten.
+
+„Ich habe nichts von euch gehört“, entgegnete er, „weiß nicht, wer
+ihr seid, habe kein Schreiben aus Lhasa erhalten, bin nie beauftragt
+worden, euch mit Yaken zu versorgen, aber ich weiß, daß es Europäern
+ein für allemal verboten ist, durch Rudok zu reisen.“
+
+„Wenn ihr ein hoher Beamter seid, müßt ihr wissen, daß ihr verpflichtet
+seid, uns für die Reise nach Ladak zur Verfügung zu stehen.“
+
+„Verdächtigen Personen gegenüber, die keinen Paß haben, bin ich zu
+gar nichts verpflichtet; doch wenn ihr wollt, werde ich nach Lhasa
+schreiben, und ihr müßt hier 2½ Monate warten, bis die Antwort da ist.“
+
+„Das paßt uns außerordentlich gut“, erwiderte ich, „unsere Tiere sind
+erschöpft und bedürfen der Ruhe. Schreibt nur nach Lhasa, wir haben
+Zeit zu warten.“
+
+„Gut, ihr begreift, daß ich den Kopf verliere, wenn ich euch durch
+meine Provinz ziehen lasse.“
+
+Er war außerordentlich bestimmt, ruhig und würdevoll in seinem
+Auftreten, obgleich etwas unverschämt, wenn man ihn mit unseren
+Freunden in der Nähe von Lhasa vergleicht. Die Kosaken waren so außer
+sich, daß sie vor Wut schäumten, -- fast alle sehnten sich jetzt nach
+Hause oder wenigstens von diesen kalten winterlichen Bergen fort. Ich
+beruhigte jedoch ihre aufgeregten Gemüter, denn ich sah nur zu wohl
+ein, daß ich nicht das geringste Recht hatte, Rudok den Fehdehandschuh
+hinzuwerfen. Es waren schon wieder über hundert gut bewaffnete Krieger
+versammelt. Der Zustand unserer Karawane erlaubte auch keine Umgehung
+der Provinz auf einem nördlichen Wege, und mir war dies auch ganz
+lieb, da ich nicht Nain Singhs, Bowers und Deasys Routen oder die
+noch nördlicher liegenden Wege Malcolms und Wellbys berühren wollte.
+Ebensowenig hatte ich Lust, den größeren Teil des Gepäckes, der Zelte,
+des Proviants und das Boot zu verbrennen, wie Captain Deasy es einmal
+in einer schwierigen Lage tun mußte.
+
+Dagegen sprach mich die Wartezeit von zweieinhalb Monaten sehr
+an. Ich war müde und matt von Arbeit und Weststürmen und bedurfte
+der Ruhe. Ich hielt mit den Kosaken Kriegsrat und entwarf einen
+ganzen Überwinterungsplan. Wir wollten nach ein paar Tagen nach den
+üppigeren Weiden des Perutse-tso zurückkehren und dort ein befestigtes
+Lager anlegen. Mir würde es in der interessanten Gegend nicht an
+Beschäftigung fehlen, und meine Leute sollten sich im Anfang die Zeit
+damit vertreiben, daß sie aus Erdschollen eine hohe Mauer rings um das
+Zeltlager und das Gepäck errichteten. Von demselben Material wollten
+wir einen Aussichtsturm bauen, und die Festung sollte mit einem Graben
+umgeben werden. Nachher wollten wir ruhen, jagen, Ausflüge machen,
+unsere Tiere pflegen, um im Frühling direkt nach Süden zu ziehen. Ich
+segnete den Bombo, der mich zu einer neuen Kraftanstrengung in Tibet
+beinahe zwang, obwohl ich im Grunde von diesem schwer zugänglichen
+Lande mehr als genug hatte.
+
+Am folgenden Morgen kündigte ich dem Gouverneur an, daß wir wieder
+ostwärts ziehen würden; er hatte nichts dagegen einzuwenden. Doch
+der Tadschinurmann erklärte, er habe Befehl, uns bis an die Grenze
+von Rudok zu bringen, aber nicht, uns wieder zurückzuführen. Die
+Sache würde sich jedoch leicht arrangieren lassen; waren wir erst am
+Perutse-tso angelangt, so konnten wir sowohl die Yake wie die Pferde
+mit Beschlag belegen und die Männer gefangenhalten. Mit frischen
+Pferden würden wir leicht und bequem operieren können.
+
+Der Bombo kam jedoch auf andere Gedanken und teilte uns mit, daß er uns
+Yake und Proviant besorgen werde, wenn wir versprächen, nicht nach der
+Stadt Rudok zu gehen, was zu tun gar nicht in meiner Absicht lag, da
+Littledale diesen südlicheren Weg gegangen war.
+
+So wurde der ganze Festungsplan hinfällig, und wir durften uns dem Ende
+unserer Mühsale wieder nähern.
+
+
+
+
+Sechsundzwanzigstes Kapitel.
+
+Der Tso-ngombo.
+
+
+Nachdem alles Entbehrliche ausgesondert worden und den Tibetern
+geschenkt war, zogen wir am 6. November nördlich um einen Paß (4858
+Meter) herum, auf dessen anderer Seite uns Quellen und Weiden zum
+Lagern einluden. Das kleine Kamelfüllen, unser aller Liebling, schwand
+seit dem Tode der Mutter hin, kam aber doch bis ins Lager mit, wo es
+sich an Brot und Teig sattfressen und Milch trinken durfte. Es wurde
+nachts gut eingewickelt neben das Feuer gelegt und marschierte den
+ganzen Tag gut.
+
+Am 7. war das Wetter herrlich, und der ewige Wind war in seiner Höhle
+im fernen Westen geblieben. Statt seiner bereiteten uns die Tibeter
+Verdruß und schalten den Lama einen Heidenhund, der mit „solchen
+Russen“ umherstreife. Der Lama war so erbittert, daß er sie rechts und
+links mit der Peitsche traktierte, und ich ließ ihnen sagen, daß wir
+sie, wenn sie sich noch einmal mausig machten, auf die Kamele binden
+würden, bis sie seekrank und höflich würden (Abb. 295).
+
+Den ganzen Tag sahen wir keinen Tropfen Wasser, keine Menschen,
+höchstens Spuren von alten Lagerplätzen. Endlich erreichten wir jedoch
+die Quelle +Tsebu+, wo wir Halt machten. Tiefes Schweigen herrschte
+in dieser Nacht, und die Luft war so ruhig, daß man einen schwach
+siedenden Laut von der Nachtkälte, die sich in der Erde festbohrt, zu
+vernehmen glaubte. Nur einige Wölfe störten mit ihrem langgezogenen,
+melancholischen Klagegeheul den Frieden. Die Tritte der Nachtwache
+hallten auf dem steinharten Erdboden wieder.
+
+Während der nächsten beiden Tage ritten wir an dem See vorbei, an
+dessen Ufern sich überall Gänse und Enten aufhielten, über einen
+kleineren Paß nach dem tief in das Geröllbett eingeschnittenen Flusse
++Rawur-sangpo+, der von Quellen gespeist wird und in dem großen
+Längentale, das wir jetzt vor uns hatten, verschwindet. Unser Anführer
+erzählte, daß beim Aru-tso, der zirka vier Tagereisen nach Norden liegt
+und von Bowers Reise her bekannt ist, Räuber aus Amdo, Nakktschu und
+Nakktsong umherzustreifen pflegten. Eine Bande von fünf Personen sei im
+vorigen Jahre am Rawur-sangpo ergriffen und auf Befehl des Gouverneurs
+von Rudok getötet worden. Andere Bewohner gebe es in jener Richtung
+nicht. Der Berichterstatter war ein lustiger alter Herr, der singend
+neben mir zu reiten pflegte und oft zum großen Vergnügen der Unsrigen
+das Gurgeln der Kamele nachahmte.
+
+10. November. Das Thermometer zeigt -26,5 Grad. Man wacht bisweilen
+auf, deckt sich fester zu und rollt sich wieder wie ein Knäuel
+zusammen. Ich pflege nachts einen eisernen Becher mit Tee neben mir
+stehen zu haben, kann ihn aber jetzt nicht benutzen, denn der Inhalt
+ist bis auf den Grund gefroren. Das Tintenfaß muß jedesmal, wenn es
+gebraucht werden soll, erst am Feuer aufgetaut werden.
+
+32,2 Kilometer! Das war eine Kraftprobe, die wir sehr lange nicht
+fertig gebracht haben! Schon nach 10 Kilometern wollten die Tibeter
+rasten, weil wir gerade neue Leute und neue Yake trafen; man kann es
+ihnen nicht verdenken, daß sie möglichst schnell nach ihren warmen
+Zelten zurückkehren wollten -- sie trugen ja keine Hosen! Doch
+wir ritten weiter, indem wir Tscherdon, drei Muselmänner und alle
+Tibeter bis auf vier zur Bedeckung der Yakkarawane zurückließen. Wir
+durchschritten ein ebenes Tal; der Tag verging, es dämmerte und wurde
+dunkel; Wasser sahen wir nicht. Schließlich begegnete uns Schagdur,
+der zum Rekognoszieren vorausgeritten war, mit einem kleinen Sacke
+voller Eisstücke. Er hatte einen zugefrorenen Bach gefunden, nach
+welchem wir uns jetzt begaben. Am 12. ritten wir an einem kleinen,
+mit dickem Eise bedeckten See vorbei, an dessen westlichem Ende die
+Tibeter ihre Zelte aufschlugen, weil nach Westen hin zwei Tagereisen
+weit kein Wasser zu finden sei. Wir füllten daher vier Säcke mit klarem
+Eise und zogen dann trotz ihrer lebhaften Proteste weiter. An einer
+Bergreihe einige Kilometer nördlich vom See zeigten sich einige Pferde
+und ihre Besitzer, die sich in einer Schlucht versteckten, als wir am
+Ufer vorbeizogen. Die Tibeter behaupteten, es seien Räuber, und rieten
+uns, auf sie zu schießen. Eine Weile darauf sahen wir zwei von ihnen
+an einem Feuer sitzen; es waren friedfertige, gutmütige Yakjäger, die
+eine Orongoantilope geschossen hatten. Eine Stunde, nachdem wir das
+Lager aufgeschlagen hatten, kam die Yakkarawane mit ihrem pfeifenden
+und singenden Gefolge nebst Schagdur, der in lebhafter, scherzender
+Unterhaltung mit den Tibetern war. In überraschend kurzer Zeit hatte
+dieser tüchtige Kosak ziemlich fließend tibetisch sprechen gelernt. Als
+wir am Tage darauf am Ufer eines laut rauschenden Flusses lagerten,
+hatten wir richtig zwei Tage lang kein Wasser gesehen. Oft genug
+hätten wir ohne die Anweisungen der Tibeter hinsichtlich dieses
+unentbehrlichen Stoffes in Verlegenheit geraten können.
+
+[Illustration: 301. Doppelte Geröllterrassen. (S. 330.)]
+
+[Illustration: 302. Das Tempeldorf Noh. (S. 333.)]
+
+Während der Nacht knackte es angenehm im Eisrande, und der rieselnde
+Ton des Wassers war für unsere Ohren ein nachgerade ungewohntes
+Geräusch. Welch ein Unterschied gegen die Gegend um Lhasa während der
+Regenzeit; dort waren wir eigentlich immerfort durch Sümpfe geritten,
+hier mußte man erst lange nach Wasser suchen.
+
+Nachdem wir am 14. den +Raga-sangpo+ hinaufgeritten waren und ihn
+schließlich linker Hand hatten liegen lassen, wollten die Tibeter wie
+gewöhnlich nach einem kurzen Tagemarsch Halt machen; es würde ihnen
+den Kopf kosten, wenn sie weiter gingen, als ihnen befohlen sei, und
+hier sollten neue Yake anlangen. Ich ließ die Kosaken die Yakkarawane
+übernehmen und die Tiere mit uns nach dem heutigen Lagerplatze, der
+in einer Talmündung lag, treiben. Die Männer kamen ganz artig mit
+und schlugen ihre Zelte in unserer Nähe auf. In der Gegend lagerten
+Nomaden, und während der zwei Ruhetage, die wir uns hier gönnten,
+hatten wir Gelegenheit, unseren Proviant durch Schafe und Milch zu
+verstärken.
+
+Am 17. ging es nach Nordwesten in dem Tale aufwärts; es verengte sich
+zu einem schmalen, malerischen Gange und führte schließlich auf einen
+Paß mit einem gefrorenen Tümpel (Abb. 296). Schon um 9 Uhr hatten wir
+im Lager Nr. 129 -18,6 Grad und nachts -24,4 Grad. Es war bitterkalt
+und unwirtlich in diesem öden Gebirge!
+
+Das kleine Kameljunge erreichte das Lager Nr. 130 (5060 Meter) nicht
+mehr, es brach unterwegs zusammen und mußte getötet werden. Seit seine
+Mutter gestorben war, gedieh es nicht mehr; es fehlte uns allen. Zu
+den widerstandsfähigsten Tieren gehören die beiden Schafe. Wanka,
+der Leithammel, der uns seit mehr als zwei Jahren begleitet, und ein
+weißes Schaf aus Abdall. Niemand wäre imstande, sie zu schlachten; die
+Muselmänner, die sie als Reisegefährten betrachten, würden, glaube ich,
+lieber verhungern.
+
+Bei dem Lager +Jam-garawo+ wuchsen vortreffliche, dürre Jappkakpflanzen,
+die uns bei der Kälte sehr willkommen waren. In der Nacht ging die
+Temperatur auf -26,5 Grad herunter! Am meisten sind die Nachtwachen,
+welche die weidenden Tiere bewachen, zu bedauern; ihre Pelze genügen
+bei solcher Kälte nicht. Hier konnte man wenigstens die ganze Nacht
+ein Feuer im Freien unterhalten. Während des ganzen Tags weht ein
+mörderischer Wind, der durch Mark und Bein dringt, denn -4 Grad ist
+die größte Wärme. Man muß unbedingt dann und wann eine Strecke zu Fuß
+gehen, obgleich Herz und Lungen dieser Anstrengung nur gewachsen sind,
+wenn es bergab geht. Ein Pferd blieb im Lager zurück, die übrigen
+leisten jetzt nichts mehr und sind nur eine Last, aber man hofft immer
+noch, sie retten zu können.
+
+Welch ein Gewirr von Bergen! Im Süden haben wir noch immer die
+mächtige Kette, die uns vom Nakktsong-tso an treu begleitet und uns
+die Aussicht auf das verbotene Land der heiligen Bücher versperrt hat.
+Ringsumher breitet sich eine Welt von großartigen Bergketten aus, große
+Schneefelder sind aber ziemlich selten, und vom Himmel fällt nicht
+eine einzige Flocke. Wir sehnen uns förmlich nach einem ehrlichen
+Schneefall; wir sind des ewigen Windes und des beständig klaren
+Himmels gründlich überdrüssig. Wir hatten bis Leh noch 400 Kilometer.
+Alle sehnten sich dorthin, besonders ich, denn ich hoffte, noch vor
+Weihnachten ein Telegramm nach Stockholm senden zu können.
+
+In der Nacht auf den 21. November sank die Kälte auf -28,2 Grad. Wir
+marschierten 28,1 Kilometer nach einer Gegend, die reich an herrlichem
+Brennmaterial, aber wasserlos war. Daher mußte mit Yaken aus einiger
+Entfernung Eis geholt werden, das über dem Feuer geschmolzen wurde. In
+der Nacht heulten ein Dutzend Wölfe um unser Lager Nr. 133 (Abb. 297),
+und die Hunde stimmten mit ein; es war ein ohrenzerreißendes Konzert.
+
+23. November. Wieder blieb ein Kamel liegen; nur 13 sind noch übrig,
+ein Drittel der Zahl, die wir aus Tscharchlik mitnahmen. Es war einer
+der Veteranen von Kaschgar und hatte mich durch die Tschertschenwüste
+und beide Male nach Altimisch-bulak begleitet. Unser Weg läuft zwischen
+Nain Sings und Bowers Routen. Bei +Tsangar-schar+ öffnet sich das
+Tal, dem wir gefolgt sind; an mehreren Stellen erblicken wir Zelte
+und Herden, und eine neue Eskorte und neue Yake sollten uns von hier
+weitergeleiten. Der Anführer war ein alter braver Mann. Er versprach
+uns nach dem Panggong-tso und dann an dessen Nordufer entlangzuführen,
+und ich stellte ihm einen Revolver in Aussicht, wenn er möglichst wenig
+lüge.
+
+„Ich bin ein viel zu alter Mann, um zu lügen“, sagte er.
+
+Die folgenden Tage zogen wir an dem fischreichen +Tsangar-schar-Flusse+
+abwärts. Schagdur und Tschernoff zeichneten sich besonders beim
+Fischfang aus und überraschten mich alle Augenblicke mit ganzen Bündeln
+von großen, prachtvollen, steinhart gefrorenen Fischen. Das Tal ist
+anfänglich ziemlich offen (Abb. 298), verengt sich aber allmählich
+zwischen malerischen Felsen und mächtigen Geröllterrassen (Abb. 299,
+301). Der Fluß ist meistens mit dickem Eise bedeckt. An einer Stelle
+erweitert er sich zu einem See, der das Tal füllt und nur auf der
+Nordseite einen Uferstreifen freiläßt, der für die Kamele gerade breit
+genug ist. Gleich unterhalb des Sees war der Fluß wieder eisfrei. Hier
+rasteten wir am 26. November in einer an prächtiger Strauchvegetation
+reichen Gegend; andere Weide als die dürren Zweige gab es nicht. Mein
+Zelt stand unmittelbar an dem rauschenden Strome; ich liebe es, dem
+klangvollen, munteren Rauschen des fließenden Wassers zu lauschen.
+
+Ein schönes Bild bot sich uns am Abend gerade im Süden dar, wo der hoch
+und klar am Himmel stehende Mond den mächtigen Bergast beleuchtete,
+dessen Einzelheiten wir bei Tage infolge blendenden Sonnenscheins
+und intensiver Schatten nur undeutlich hatten unterscheiden können.
+Jetzt glänzten seine kleinen, unten spitz zulaufenden dreieckigen
+Schneefelder kreideweiß, und das kühne, imposante Relief der Felsen
+trat klar und scharf hervor.
+
+Eines von Kamba Bombos Pferden war so ungeschickt, in den Fluß zu
+stürzen, und konnte nur mit Mühe wieder herausgezogen werden. Ich ließ
+es an einem großen Feuer trocknen und dann in Decken wickeln, aber ein
+paar Stunden darauf lag es tot am Feuer.
+
+Am folgenden Morgen wurde mir gemeldet, Li Lojes Pferd sei über Nacht
+gestorben. Steinhart und angeschwollen lag es zwischen den Zelten. Wir
+hatten geglaubt, daß, wenn überhaupt eines der Pferde Leh erreichen
+würde, es dieses sei, obgleich sein Besitzer, wie er mir jetzt im
+Vertrauen mitteilte, es nicht bezahlt hatte. Nun ging es wieder weiter,
+immerfort flußabwärts. Unweit des nächsten Lagerplatzes stürzte Turdu
+Bais alter Rappe; eine gelbe Flüssigkeit strömte ihm aus den Nüstern,
+und nach einer Weile war er tot. Während des Marsches verschied auch
+das letzte unserer tibetischen Pferde, ohne daß es totgestochen zu
+werden brauchte. Vier Pferde auf einmal! Jetzt ist sowohl von allen
+unseren Tscharchlikpferden wie auch von denjenigen, die wir unterwegs
+geschenkt erhalten oder gekauft haben, nur ein einziges übrig, der
+große Schimmel, den ich noch reite.
+
+Es ist eine recht ernste Sache, eine große Karawane in Tibet
+zusammenzuhalten; es ist nicht ganz so leicht, wie man glaubt, in
+diesem Lande zu reisen, und ein Vergnügen ist es auch nicht. Man
+erkauft die Tage und Meilen mit dem Leben von Menschen, Pferden
+und Kamelen, und es hat auch eine symbolische Bedeutung, daß der
+zurückgelegte Weg auf der Karte rot punktiert ist: er hat Blut
+gekostet. Wie viele Tränen und Blutströme hatte dieser karge Boden
+aufgesogen, und wie viele Seufzer und Jammerrufe waren von unserer
+Karawane ausgestoßen worden, ohne von diesen kalten, kahlen Felswänden
+ein Echo als Antwort zu erhalten. Ein rotes Kreuz an jedem Punkte,
+wo in unserer Karawane ein Leben erloschen war, würde zum Verfolgen
+unserer Wanderung durch Asien genügen.
+
+Ihr, die ihr mit eurer großen Weisheit und eurem unerprobten Mute --
+jenem Mute, der vor dem Kaminfeuer in einem zugfreien, warmen Zimmer
+glänzt -- eine solche Reise und ihre Resultate beurteilt, ihr mögt es
+selbst einmal versuchen! Ihr braucht dazu gar nicht erst nach Tibet zu
+gehen; nein, geht nur im Winter bei eurem eigenen Gute einige Meilen
+auf ungebahnten Wegen, schlaft bei 30 Grad Kälte in einem erbärmlichen
+Zelte und hört dabei die Wölfe in der Wildnis um euch herum heulen.
+Das ist freilich noch nicht dasselbe wie Tibet und ein Leben, wie ich
+es zweieinhalb Jahre geführt habe, aber ihr werdet auch dadurch schon
+vorsichtiger in eurem Urteil werden. Ich gehe lieber zehnmal durch
+die Gobiwüste als einmal zur Winterszeit durch Tibet. Man kann sich
+keinen Begriff davon machen, was dies kostet; es ist eine wahre „~via
+dolorosa~“!
+
+Im Vergleich mit diesen großen Schwierigkeiten sind die kleinen
+Ärgernisse, die in einer aus so verschiedenen Elementen
+zusammengesetzten Karawane nicht ausbleiben können, reine Bagatellen.
+Daß Muselmänner, Tibeter, Mongolen, Burjaten und Christen während einer
+so langen Zeit stets in schönster Eintracht leben, ist ein Ding der
+Unmöglichkeit. Hier geschah es zum Beispiel, daß Li Loje und Ördek
+in einer Nacht, als sie die Wache hatten, in das Zelt der Tibeter
+gegangen waren, um dort Opium zu rauchen. Am Morgen beschwerten sich
+die Tibeter, daß ihnen nach dem Fortgehen der beiden eine Stange
+Opium im Werte von 10 Liang gefehlt habe und Ördek und Li Loje sie
+ihnen gestohlen hätten. Der Lama sträubte sich lange, mich mit dieser
+Klatscherei zu belästigen, tat es aber schließlich, da ihm keine
+Ruhe gelassen wurde. Ich ließ die Kleider und Sachen der beiden
+Verdächtigten sofort von Tschernoff und Schagdur untersuchen, aber
+Opium fand sich bei ihnen nicht, und die Kläger wurden als Lügner zur
+Tür hinausgeworfen. Nun aber waren Ördek und Li Loje wütend auf den
+Lama, der ihrer Meinung nach geklatscht hatte, und wollten sich an ihm
+rächen. Dies geschah dadurch, daß sie Sirkin einredeten, der Lama habe
+sie dazu bestechen und überreden wollen, mir vorzulügen, daß Sirkin
+durch Mißhandlungen Kalpets Tod hervorgerufen habe. Sirkin war über
+diese ungerechte Beschuldigung ganz außer sich und teilte mir sofort
+mit, was er gehört hatte. Eine solche verwickelte Geschichte mit Ruhe
+und Selbstbeherrschung zu untersuchen und dann das Urteil zu fällen,
+wenn einem in der Morgenkälte die Zähne klappern, ist weder leicht noch
+angenehm. In den meisten Fällen ist natürlich einer unzufrieden. Jetzt,
+da alles glücklich überstanden ist, wundere ich mich beinahe selbst
+darüber, daß es mir gelang, alle diese Schwierigkeiten zu besiegen und
+die Trümmer der Karawane wie nach einem großen Siege aus dem Lande
+unserer Sorgen herauszuführen und in die Gegenden zu bringen, deren
+Gewässer nach den warmen Küsten des Indischen Ozeans strömen. --
+
+[Illustration: 303. Eine schwierige Passage am Ufer des Tso-ngombo. (S.
+334.)]
+
+[Illustration: 304. Blick nach Süden auf den mittelsten Tso-ngombo. (S.
+334.)]
+
+[Illustration: 305. Der mittelste Teil des Tso-ngombo. (S. 334.)]
+
+[Illustration: 306. Beförderung des Gepäcks auf einem improvisierten
+Schlitten über das Eis. (S. 338.)]
+
+Am 27. (4379 Meter) und 28. hatten wir, als wir dem Laufe des
+Tsangar-schar abwärts folgten, immerfort das schöne Gefühl, uns
+tieferliegenden Gegenden zu nähern. Während des Marsches wird Fischfang
+getrieben, und Tschernoff und Schagdur wollen es einander darin
+zuvortun. Sie bedienen sich ihrer Säbel sowie tibetischer Speere und
+harpunieren ihre Opfer. Einmal nahm Schagdur ein gründliches Bad in
+dem eiskalten Wasser; er wagte sich im Eifer zu weit hinaus, und sein
+Maulesel stürzte. Ich war glücklicherweise in der Nähe und zündete ein
+loderndes Feuer in dem Gesträuche an, woran er sich wärmen und seine
+Kleider trocknen mußte; sonst wäre er, kühn und abgehärtet wie er war,
+einfach weitergeritten, als sei nichts vorgefallen.
+
+Die Felsenmauer, die wir bisher auf unserer linken Seite gehabt haben,
+hört schließlich auf, und der Fluß macht einen scharfen Bogen nach
+Süden. Gerade hier liegt auf dem linken Ufer das Tempeldorf +Noh+,
+auch +Odschang+ genannt (Abb. 302). Dort erhebt sich ein malerischer
+kleiner Tempel in Rot und Weiß, mit zwiebelförmigen Kuppeln, Flaggen,
+vergoldeten Spitzen und anderen Zieraten. Die viereckigen Häuser mit
+flachen Dächern sind wie gewöhnlich von weißgetünchten Mauern umgeben,
+die oben eine rote Kante haben; auch sie sind mit Fahnenstangen und
+Wimpeln geschmückt. Die Fußböden sind mit Filzteppichen belegt, in der
+Decke ist ein Loch zum Entweichen des Rauches, große Holzvorräte aus
+dem Gesträuchwalde liegen für den Winter bereit. Unsere Tibeter hatten
+uns schon unterwegs mitgeteilt, daß man hier kein Holz anrühren dürfe,
+da es dem Lama gehöre. Jetzt lag Noh vom Sonnenscheine überflutet vor
+uns und gewährte, mit der mächtigen Bergwand als Hintergrund, einen
+ungewöhnlich malerischen Anblick.
+
+Auf dem rechten Ufer treten Geröllterrassen dicht an den Fluß heran.
+Nicht ohne Schwierigkeit lotsen wir die Kamele über sie hinüber, damit
+die Tiere nicht in das kalte, tiefe Wasser zu tauchen brauchen. Unsere
+Richtung führt nach Westen an der Basis der Felsen entlang, wo Quellen
+von +15,9 Grad entspringen. Nachdem wir einen kleineren Paß mit einer
+fahnengeschmückten Steinpyramide passiert haben, öffnet sich nach Süden
+und Westen eine großartige Aussicht über den See +Tso-ngombo+ (blauer
+See). Im Süden glänzen mehrere pyramidenförmige Schneegipfel, und nach
+Westen dehnt sich der bizarre See mit seinen Buchten, Landspitzen,
+Inseln und steil abfallenden felsigen Ufern aus. Die Breite beträgt
+nur wenige Kilometer. Auf einem ganz ebenen Uferstreifen mit etwas
+Weide schlugen wir das Lager Nr. 138 (Abb. 300) auf. Kaum einen
+Kilometer vom Ufer liegt eine kleine Felseninsel, die reich an gutem
+Brennholz ist; ganze Stapel davon wurden über das Eis nach unserem
+Lager geschleppt. Die Tibeter verbrachten die Nacht auf der Insel,
+wo sie Schutz und Wärme hatten, und ihre großen Feuer warfen abends
+rotglänzende Reflexe über das spiegelblanke Eis. In diesem verursachte
+die Spannung unaufhörliche Knalle und Pfiffe; es klang wie ein sich im
+Kreise drehendes Nebelhorn.
+
+Während des folgenden Tages, der der Ruhe gewidmet wurde, maß ich
+die Tiefen zwischen dem Ufer und der Insel, wobei sich ergab, daß
+die größte 6,35 Meter betrug. Unser Offizier teilte mir mit, daß er
+beauftragt sei, von hier einen Kurier nach Leh zu senden, damit wir
+an der Grenze von Tibet und Kaschmir vorfänden, was wir brauchten.
+Ich nahm die Gelegenheit wahr, einen Brief an den englischen „Joint
+Commissioner“ für Ladak mitzuschicken, in welchem ich um Entsatz an
+Yaken, Pferden und Proviant bat. Der arme Reiter verschwand auf seinem
+langhaarigen Pferdchen in der Nacht; als wir nachher den Weg sahen, den
+er in der Dunkelheit geritten war, tat er mir doppelt leid.
+
+Am Todestage Karls XII. machten wir einen interessanten Marsch am
+Nordufer des Tso-ngombo entlang. Hinter der Insel hat der See ein
+Ende und geht in einen ganz kurzen Fluß mit offenem Wasser über, der
+sich bald in ein neues zugefrorenes Becken ergießt; es dauert nicht
+lange, so nimmt auch dieser zweite See ein Ende, und wir reiten wieder
+an einem Flusse entlang. Dieser ist so gerade und regelmäßig wie ein
+gegrabener Kanal, zirka 12 Meter breit und höchstens 3 Meter tief.
+Das Wasser fließt außerordentlich langsam, ist klar wie Kristall
+und schillert grün wie Smaragd. Auf dem Grunde gedeihen üppige
+Wasserpflanzen, und in Vertiefungen zeigen sich ganze Scharen von
+schwarzrückigen Fischen, die, den Kopf nach der Strömung gerichtet,
+regungslos und faul im Wasser schweben und zu grübeln scheinen. Das
+Ganze war ein großartiges Schauspiel; die Kosaken waren sofort wieder
+mit ihren Angelruten bei der Hand.
+
+Nachdem der Fluß durch ein mittelgroßes und ein sehr kleines
+Becken geströmt ist, ergießt er sich schließlich in einen vierten
+See, der größer als die anderen ist und sich weit nach Westen und
+Nordwesten erstreckt; er war völlig eisfrei und vom Winde aufgeregt.
+Wahrscheinlich liegt es an seiner Tiefe, daß er trotz der windstillen,
+kalten Nächte noch nicht zugefroren ist. Das Ufer ist dicht mit Blöcken
+und steilen Schuttkegeln bedeckt und sehr beschwerlich für die Kamele
+(Abb. 303). Auf der Ebene Bal, wo wir in der Nähe einer tiefen Schlucht
+lagerten, gab es jetzt kein Gras, aber wir hatten Stroh und Gerste
+von den Tibetern gekauft, und die Tiere waren gut versorgt (Abb. 304,
+305). Von Roh bis Bal waren wir dieselbe Straße gezogen wie Nain Singh;
+hier aber trennten sich unsere Wege wieder. Unterwegs waren wir einer
+Karawane von 200 mit Getreide aus Ladak beladenen Schafen begegnet. Es
+machte Spaß zu sehen, wie ordentlich sie marschieren und wie leicht
+sie zu regieren sind; sie kommen an den steilsten Felswänden vorwärts,
+trotzdem sie ziemlich schwere Lasten tragen. An der Grenze wird eine
+Art Tauschhandel betrieben; für 100 mit Salz beladene Schafe erhalten
+die Tibeter 80 Schafslasten Gerste.
+
+Die Kälte sank auf -20,9 Grad, und in der Nacht überfiel uns ein
+sehr heftiger Nordsturm. Der Rest des Strohvorrats wurde rettungslos
+fortgeweht.
+
+1. Dezember. Heute mußte ein Kamel getötet werden; es ist um so
+bitterer, jetzt von den letzten Veteranen scheiden zu müssen, da
+ihre Rettung so nahe ist. Wir folgen über oft sehr beschwerliche
+Schutterrassen treu allen Biegungen und Buchten des Ufers. Der See
+ist lang und schmal und gleicht einem norwegischen Fjord; beständig
+entrollen sich neue, bewunderungswürdige Perspektiven vor uns, die
+Landschaft glänzt in großartiger Schönheit, es ist ein zwischen oft
+jähen, stets malerisch gestalteten Felsmassen eingeschlossener Fluß.
+Hier und dort erhebt sich ein dominierender Schneegipfel. Einige von
+unseren Leuten gehen voraus, um scharfkantige Steine zu entfernen
+und Gruben auszufüllen. Wildenten leben hier in ungeheurer Menge; es
+klingt wie das Brausen eines herannahenden Sturmwindes, wenn ihre
+Scharen, sobald wir uns nähern, seewärts fliegen und mit solcher Wucht
+auf das Wasser niederschlagen, daß weißer Schaum hoch aufspritzt. Der
+See ist überall offen; nur in geschützten Buchten liegt hier und da
+ein kleines Band von zertrümmertem, vom Winde hierhergetriebenem und
+wieder zusammengefrorenem Eise mit dünnen, höchstens eine Nacht alten
+Eishäuten zwischen den Schollen.
+
+Nun zeigt sich ein ebener Uferstreifen von weichem Erdreich, und die
+Berge treten zurück. Ein hier stehendes, einsames Zelt dürfte für
+längere Zeit aufgeschlagen sein, denn es ist mit großen Holzstapeln
+umzäunt. Bald darauf stehen wir an einem Felsvorsprung, der direkt in
+den See hinunterfällt und die erste schwere Stelle bildet, vor der man
+uns gewarnt hat. Wir lagerten daher unmittelbar an der Felswand, und
+die Kamele wurden nach der Weide zurückgeführt. Schon am Abend wurde
+das Gepäck von unseren Leuten über die Spitze gebracht und am folgenden
+Morgen die Tiere an ihr vorbeigeführt. Unterhalb der Spitze liegt ein
+meterbreiter Sandstreifen im Wasser. Wenn hier ein Kamel fallen sollte,
+so konnte es zwar in die Tiefe hinabgleiten, brauchte aber darum noch
+nicht verloren zu sein. An der Felsbasis haben die Uferwellen einen
+Eisrand gebildet, der erst weggehauen wurde; dann wurden die Maulesel,
+die Pferde und Kamele glücklich an der Landspitze vorbeigeführt und auf
+der anderen Seite in gewöhnlicher Ordnung beladen. Die Yake zogen es
+vor, über die gefährlichen Felsplatten zu klettern. Zwei kranke Kamele
+blieben auf der Weide zurück. Islam und Li Loje hatten Befehl, mit
+ihnen wenn irgend möglich unserer Spur zu folgen, andernfalls sollten
+sie sie töten.
+
+Am Morgen unmittelbar vor Sonnenaufgang zeigte sich am
+gegenüberliegenden Strande im Südosten ein eigentümliches Phänomen. Der
+See „rauchte“; kreideweiße, dichte Wolken von Wasserdampf breiteten
+sich wie ein Schleier über die Wasserfläche. Entweder hat dies seinen
+Grund in heißen Quellen, oder es beruht darauf, daß der See mehr
+erwärmt ist als die Luft. Die Kälte war auf -18,3 Grad gesunken, und
+die Temperatur des Wassers war ein paar Grad über Null. Gleich nach
+Sonnenaufgang zerstreute sich der Nebel.
+
+Die Breite des Tso-ngombo wechselt natürlich je nach der Konfiguration
+der ihn umgebenden Bergketten. Wo zwei gegenüberliegende Felsvorsprünge
+sich einander nähern, ist er am schmalsten. Auf einem steilabfallenden
+Geröllkegel hatten wir viel Mühe, weil die Instrumentkisten zwischen
+den Blöcken nicht durchkonnten, sondern abgeladen und getragen werden
+mußten. Die Kamele wurden einzeln geführt und von allen Leuten
+gestützt; gähnende Gruben waren ausgefüllt und hinderliche Felsblöcke
+mit vereinten Kräften in den See gewälzt worden.
+
+Das Lager Nr. 141 schlugen wir neben einem Karawanenlager auf, das aus
+zwei schwarzen, mit den Schaflasten und Holzstapeln umgebenen Zelten
+bestand. Ich maß hier die Höhe zweier alter Uferlinien; die höhere lag
+19,5 Meter, die tiefere 6,5 Meter über dem gegenwärtigen Wasserspiegel.
+
+Am 3. Dezember wurde Tschernoff beauftragt, die Tiefen einer von
+mir vorher festgestellten Linie quer über den See zu loten. Die
+Tiefe betrug genau 30 Meter. Ich selbst ritt mit Tscherdon am Ufer,
+während die Karawane nach Westen weiterzog. Nun aber gebot ein 500
+Meter breiter, zugefrorener Sund dem Boote Halt; hier erwartete ich
+Tschernoff. Man hatte uns gesagt, daß der Karawane heute ein absolut
+unüberwindliches Hindernis in den Weg treten werde, eine glatte, sehr
+steile Felswand, die jäh ins Wasser abstürze. Als wir daher jetzt den
+kleinen Sund zugefroren fanden, hofften wir nach dem Südufer des Sees
+hinübergelangen und so das Hindernis umgehen zu können. Wir gingen
+hinüber und schlugen Waken in das Eis, teils um seine Dicke (13,4-15,2
+Zentimeter) zu messen, teils um die Tiefen zu loten (Maximaltiefe
+29,36 Meter). Wir setzten unsere Untersuchungen auf dem Südufer fort,
+ohne auf ein Hindernis zu stoßen, aber der Sicherheit halber schickte
+ich Ördek weiter. Mittlerweile hatte die Karawane Halt machen müssen.
+Ördek hatte Befehl erhalten, ein Feuer anzuzünden, sobald er an eine
+Stelle gelangte, wo ein Vordringen der Kamele unmöglich war. Als wir
+nachher zur Karawane zurückritten, sahen wir nicht weniger als drei
+Feuer am Südufer, das letzte dem neuen Lager gerade gegenüber. Es blieb
+also nur das Nordufer. Ördek wurde mit dem Boote von Tschernoff geholt,
+der eine neue Lotungslinie (Maximum 29,70 Meter) machte, die zeigte,
+daß der See auf seiner ganzen Länge in der Mitte eine zirka 30 Meter
+tiefe Rinne hat.
+
+[Illustration: 307. Das Boot als Schlitten auf dem Tso-ngombo. (S.
+338.)]
+
+[Illustration: 308. Der gefährliche Felsenpfad. (S. 338.)
+
+(Die Yake gehen teils auf, teils über dem Wege)]
+
+[Illustration: 309. Am westlichen Tso-ngombo. (S. 339.)]
+
+[Illustration: 310. Am Panggong-tso. (S. 341.)]
+
+Die unpassierbare Stelle wurde von Turdu Bai untersucht, der keine
+Möglichkeit sah, die Kamele mit heilen Knochen hinüberzubringen. Da
+aber die ganze Gegend außerordentlich reich an festem, dürrem Gesträuch
+und Buschholz war, beschloß ich, die schwere Passage mittelst einer
+durch unsere Kamelleitern und Zeltstangen zusammengehaltenen und mit
+Seilen umwundenen Fähre zu passieren. Sie würde stark genug sein, um
+ein Kamel zu befördern. Es +mußte+ gelingen, denn ich hatte keine Lust
+nach Bal zurückzukehren und von dort in Nain Singhs Spur nach Niagsu
+zu gehen. Es war doch zu ärgerlich, daß der See gerade um dieses
+Vorgebirge herum nicht zugefroren war. Turdu Bai erklärte, daß das
+Wasser offen sei.
+
+Nachts hörte man förmlich, wie sich bei -20 Grad Eis bildete, und am
+nächsten Morgen waren große Flächen, die gestern noch offen gewesen,
+mit einer feinen Eisschicht bedeckt. So viele Leute, als sich entbehren
+ließen, mußten vorausgehen und Material zu der Fähre sammeln. Ein
+gewaltiger Stapel lag bereit, als wir am Anfang des Bergpfades
+anlangten. Auch hier hatte sich jetzt eine 3 Zentimeter dicke Eisbrücke
+über die Tiefen gespannt, und der See war querüber bis an das rechte
+Ufer überfroren. Sobald das Lager aufgeschlagen war, gingen Sirkin und
+zwei von den anderen hinauf, um sich den schwierigen Weg anzusehen.
+Ihre Meinungen waren geteilt, aber Sirkin war der Ansicht, daß es mit
+großer Vorsicht gehen müsse, die Kamele einzeln hinüberzubringen.
+Ich mußte mich selbst überzeugen und fand den Pfad einfach
+lebensgefährlich. Der schwarze Schiefer fällt hier mit glatten Platten
+43 Grad steil nach Westsüdwest zum See ab. Ein Riß in der Bergwand gibt
+aber eine Stütze für die Schieferplatten, die hier hingelegt worden
+sind, damit die Tiere nicht abrutschen. Auf der äußeren Seite wurden
+diese Platten von oft 2 Meter hohen Stämmen und Säulen gestützt, die
+mir jedoch nicht danach aussahen, das Gewicht eines Kamels tragen zu
+können. Manchmal geht es im Zickzack halsbrecherische Stufen hinab.
+Vielleicht hätten einige unserer müden Kamele dieses Akrobatenstück
+fertig gebracht, die meisten aber wären sicherlich vom Schwindel
+ergriffen worden und in den Abgrund gestürzt.
+
+Nein, entweder mußten wir eine Fähre bauen und das dünne Eis
+aufbrechen, oder wir mußten warten, bis das Eis uns trug. Da wir
+noch um 1 Uhr -4,5 Grad hatten, hoffte ich auf den letzteren Ausweg.
+Um 6 Uhr war das Eis schon 5,2 Zentimeter dick. Die Kosaken bauten
+einen improvisierten Schlitten aus Kamelleitern, Zeltstangen, Holz
+und Tauen und bedeckten das Ganze mit Filzdecken. Es war Schagdurs
+kluger Vorschlag, die Kamele auf dieser Vorrichtung an dem Felsen
+vorbeizuziehen, wenn das Eis nicht stark genug sein sollte, daß sie
+darauf gehen könnten.
+
+Der Sturm heulte an den Wänden und durch die Büsche und sauste wie in
+einem nordischen Walde. Das Eis nahm an Stärke zu; auf einer Stelle,
+die man vormittags nur mit großer Vorsicht hatte passieren können,
+standen jetzt drei Mann nebeneinander. Jetzt sollte auch die Fähre
+probiert werden. Sie wurde mit so vielen Männern, als dem Gewichte
+eines Kamels entsprachen, belastet und von einigen um das Vorgebirge
+herumgezogen (Abb. 306). Sobald es anfing zu knacken, sprang der
+Lama ab, dann ich, darauf Tokta Ahun, je nachdem das Eis schwächer
+wurde. Jeder neue Deserteur rief unter den sitzenbleibenden Helden
+die größte Heiterkeit hervor. Das Eis ist kristallhell, ohne eine
+Blase. Man scheint über einer stillen Wasserfläche zu schweben, und
+durch die Eisdecke sieht man Fische zwischen den Wasserpflanzen hin
+und her huschen. Manchmal klingt es, als würden auf dem Eise Schüsse
+abgefeuert, und man glaubt, die Kugeln pfeifen und den immer schwächer
+werdenden, ersterbenden Schall in der Ferne verhallen zu hören.
+
+Wir mußten noch den folgenden Tag warten, um dem Eise Zeit zum
+Stärkerwerden zu lassen. Mit großem Interesse wurde das Thermometer
+beobachtet. Nachts zeigte es -19,1 Grad, am 5. morgens um 7 Uhr -11,1
+Grad, um 1 Uhr -5,1 Grad, um 9 Uhr -8,9 Grad und in der nächsten Nacht
+-20,9 Grad. Ich stand eine Stunde vor Sonnenaufgang auf, um eine
+astronomische Ortsbestimmung zu machen. Sodann wurde unser ganzes
+Gepäck, außer meinen Sachen und der Küche, auf dem Schlitten nach dem
+jenseits des hinderlichen Vorgebirges liegenden Ufer gebracht (Abb.
+307). Das Eis war 2 Zentimeter dicker geworden. Auch die Tibeter
+siedelten dorthin über, zogen jedoch den gefährlichen Felsenpfad
+vor, wo sie indessen die Yake vorsichtig treiben mußten, damit
+diese einander nicht in den Abgrund drängten. Diese Tiere gehen mit
+unglaublicher Sicherheit; sie können wohl ausgleiten, verlieren aber
+nie den Boden unter den Füßen (Abb. 308).
+
+Währenddessen lotete Tschernoff im See, und mit Benutzung seiner Waken
+maß ich nachher die in verschiedenen Tiefen herrschenden Temperaturen.
+Die Untersuchung ergab, daß in der Nähe des Südufers warme Quellen
+vom Seegrunde aufsteigen müssen. Die größte Tiefe war 21,55 Meter. Die
+Exkursion wurde in einer Boothälfte gemacht, die Ördek und Chodai Kullu
+zogen. Letzterer brach schließlich ein, hielt sich aber noch im letzten
+Augenblick am Bootrande fest.
+
+Noch ein Kamel blieb am 6. Dezember am Ufer des „Blauen Sees“ liegen.
+Wir hatten jetzt nur noch zehn. Alle Muselmänner müssen zu Fuß gehen,
+aber die Tagemärsche sind auch nur kurz.
+
+Auf dem Eise um das hinderliche Vorgebirge herum wurden 28 Säcke Sand
+ausgestreut, um für die Kamele einen Fußweg zu bilden. Ihre Überführung
+fand vor Sonnenaufgang statt, damit nicht unter der Einwirkung der
+Sonne das jetzt 9,9 Zentimeter dicke Eis schwächer würde. Alles
+ging glücklich, nur aus einigen Rissen quoll Wasser heraus. Das
+zurückgebliebene Gepäck wurde auf den Schlitten genommen; dann zogen
+wir nach Westen weiter, um gefährliche Landspitzen herum, über
+kleine Flugsandfelder hinweg und an regelmäßig abgerundeten Buchten
+entlang. Ich ging den ganzen Tag zu Fuß, denn mein Pferd war jetzt
+auch schwach geworden. Der See ist hier vollständig eisfrei; er friert
+augenscheinlich von Osten nach Westen zu (Abb. 309).
+
+Jetzt verschmälerte sich der Tso-ngombo wieder und ging schließlich
+in den Fluß +Adschi-tsonjak+ über, der das süße Wasser des ersteren
+dem salzigen Panggong-tso zuführt. Wir lagerten am Anfange des
+Flusses, und zwar auf seinem rechten, nördlichen Ufer. Wir hatten
+den großen, außerordentlich fesselnden See mit seinen hinreißenden
+Perspektiven hinter uns. Besonders an windstillen Tagen und Abenden
+bietet die großartige Natur mit ihren gigantischen Dimensionen und
+ihrer vollendeten, fast märchenhaften Schönheit ein unvergeßliches
+Schauspiel. Die steilen Felsen treten wie Kulissen aus dem Ufer
+heraus, und die gewaltigen Berggestalten spiegeln sich in der blanken
+Wasserfläche oder dem ebenso reinen, blendenden, glitzernden Eise.
+
+
+
+
+Siebenundzwanzigstes Kapitel.
+
+Vom Panggong-tso nach Leh.
+
+
+Dem Lager Nr. 144, das gerade hundert Tagereisen vom großen
+Hauptquartier lag, fehlte es ebenfalls nicht an Bedeutung. Hier sollten
+wir, wie man uns gesagt hatte, neue Yake aus Ladak bekommen; da diese
+aber noch nicht da waren und die Tibeter nach Hause zurückkehren
+wollten, mußten wir aufpassen, daß sie uns nicht durchbrannten. Drei
+Rasttage zwischen den beiden Seen sollten den Kamelen wohltun und auch
+meinen Arbeiten förderlich sein.
+
+Am 7. Dezember tobte ein grauenhafter Sturm, und Wolken von Sand
+regneten auf uns herab. Tschernoff, der den westlichen Teil des Sees
+auf vier Linien lotete (Maximaltiefe 31,76 Meter), konnte sich kaum ans
+Land retten. Am 9. sollten wir aufbrechen, aber es stellte sich heraus,
+daß alle Yake durchgebrannt waren und ein neuer Sturm alle ihre Spuren
+im Sande verwischt hatte. Nach vielem Suchen fanden wir sie schließlich
+wieder, doch erst, als der Tag zur Neige ging. Ihr Führer, Loppsen,
+erklärte sich bereit, mit uns längs des Nordufers des +Panggong-tso+
+weiterzuziehen und bei uns zu bleiben, bis wir aus Ladak Entsatz
+erhielten. Es war hohe Zeit, daß wir Verstärkung bekamen; unsere
+Vorräte an Reis, Mehl und Talkan waren seit mehreren Tagen zu Ende, und
+wir lebten ausschließlich von Fleisch. In einem benachbarten Zeltdorfe
+erstanden wir sieben Schafe. Dort waren einige Hunde, mit denen sich
+Jolldasch sehr anfreundete. Daß er Prügel bekam, wenn er auskniff,
+machte ihm jetzt keinen Eindruck mehr; wenn er nicht fortlaufen sollte,
+mußte er angebunden werden. Bei dem Lager wurde die höchste noch
+sichtbare Terrasse gemessen; sie lag 54 Meter über dem Flusse! Die
+beiden Seen haben einstmals entschieden zusammengehangen und befinden
+sich, gleich allen anderen Seen Tibets, im Zustande der Austrocknung.
+
+[Illustration: 311. Gulang Hiraman, der Gesandte des Statthalters von
+Ladak, mit seinem Gefolge. (S. 344.)]
+
+[Illustration: 312. Gulang Hiraman auf seinem Pony. (S. 344.)
+
+Rechts Chodai Kullu mit Malenki und Maltschik.]
+
+Am 10. Dezember zog die Karawane am nördlichen Ufer des Panggong-tso
+weiter, während ich mit Ördek den Flußarm hinabruderte. Die
+Temperatur war auf -25,7 Grad heruntergegangen; es mußte an warmen
+Quellen liegen, daß das Wasser nicht gefroren war. Der Fluß erweitert
+sich nach unten; in einer Biegung lag eine Nacht altes Eis, dünn wie
+Papier, aber trotzdem hinderlich für das Boot. Weiter abwärts war
+der Eisgürtel so stark, daß er, als wir ihn zur Abkürzung des Weges
+benutzten, sowohl uns wie das Boot trug. Doch schließlich legte uns
+das Eis ein unüberwindliches Hindernis in den Weg; wir schleppten das
+Boot nach der weiten trompetenförmigen Mündung, die an den Ausfluß des
+Satschu-sangpo in den Selling-tso erinnert. Hier erwartete man uns mit
+einem Kamele, auf welches das Boot geladen wurde.
+
+Wir begaben uns nach dem Gebirge im Norden, das aus grünem Schiefer
+besteht und an dessen Basis mehrere Quellen entspringen. Der See liegt
+offen vor uns, nur in ruhigen Buchten schaukelt auf der Dünung eine
+dünne Eisschicht. Die Gestalt des Ufers ist genau dieselbe wie beim
+Tso-ngombo; es ist noch immer dasselbe Längental, in dem wir ziehen,
+und wir marschieren immer noch auf derselben absoluten Höhe, oder, wie
+das langsame Strömen des Flusses zeigt, nur eine Kleinigkeit tiefer.
+Dieselben Bergarme laufen in Vorgebirge aus, und zwischen diesen liegen
+dieselben kleinen, dreieckigen oder halbmondförmigen Talflächen, auf
+denen die Buschvegetation immer mehr abnimmt. Überall, wo Schuttkegel
+steil in den See fallen, sind die aus dem Wasser schauenden Steine
+mit einer Kruste von weißem, blasigem Eise überzogen. Der See ist
+aufgeregt, die Wogen schlagen gegen das Ufer, und das Spritzwasser
+gefriert sofort auf den vom Nachtfrost durchkälteten Steinblöcken. Auf
+einer flachen Halbinsel namens +Siriap+, wo das Gebüsch noch in Menge
+wuchs, fanden wir die Unsrigen im besten Wohlsein vor (Abb. 310).
+
+11. Dezember. Das Wetter war heute so schön und windstill, daß ich
+meinen beiden besten Seeleuten, Tschernoff und Ördek, den Auftrag
+geben konnte, über den Panggong-tso nach einem Vorgebirge im Südwesten
+zu rudern, um die Tiefen zu messen. Sie nahmen für den Fall, daß sie
+das nächste Lager vor Eintritt der Dunkelheit nicht mehr erreichten,
+Proviant für einen Tag mit. Wir zogen längs dieser eigentümlichen,
+girlandenförmigen Uferlinie, welche die Länge des Weges beinahe
+verdoppelt, nach Westen weiter. Bei jedem Ausläufer von dem Hauptkamme
+der nördlichen Kette entsteht eine in den See vorspringende Halbinsel
+oder ein Vorgebirge. Auf der Ostseite gehen wir nach Süden, auf der
+Westseite nach Norden, ja, manchmal müssen wir sogar nach Nordost
+und Südost marschieren. Einige Stellen sind für die Kamele sehr
+beschwerlich und müssen erst mit Spaten und Brechstangen bearbeitet
+werden. An einer Stelle ist der Weg auf der Uferterrasse so schmal, daß
+nur Schafe dort durchkommen können; glücklicherweise war der See hier
+nicht zu tief, so daß die Kamele im Wasser gehen konnten.
+
+Bei dem heutigen Lagerplatze gab es nur einen Brunnen, dessen Wasser
+nicht viel besser als dasjenige des Sees war, weshalb wir es vorzogen,
+Eisschollen von den Ufersteinen loszubrechen. In der Dämmerung stellte
+sich heraus, daß die Kamele zurückgelaufen waren. Auf der schmalen
+Uferterrasse waren sie aber stehengeblieben; sie mußten ganz vergessen
+haben, daß sie hier eine Strecke im Wasser gegangen waren. Sie sehnten
+sich nach den schönen Weideplätzen am Tso-ngombo zurück. Nachher wurden
+sie festgebunden und mit Gerste traktiert, die wir in reichlicher Menge
+mit hatten und die von den Yaken getragen wurde. Im Süden war auf dem
+andern Ufer Tschernoffs Feuer zu sehen. Ein Felsen gewährte uns Schutz,
+aber man hörte an dem Rauschen des Sees, daß ein heftiger Wind ging;
+die Wellen schlugen mit solchem Getöse an das Ufer, daß die Kosaken
+mich nicht hörten, als ich sie rief.
+
+Am 12. Dezember lag die ganze Gegend in undurchdringlichen Schneesturm
+gehüllt da, und vom Südufer war keine Spur zu sehen. Die Temperatur war
+nicht unter -7,5 Grad heruntergegangen. Starker Seegang herrschte, denn
+in diesem Längentale wird der Wind wie in eine Rinne eingepreßt und
+fegt ungehindert über den See hin. Im Laufe des Tages sahen wir jedoch
+zu unserer Freude, daß die Jolle noch auf derselben Stelle lag und die
+Ruderer sich nicht auf waghalsige Abenteuer begeben hatten.
+
+Unser Tagemarsch war nicht lang, aber beschwerlicher als alle andern,
+die wir bisher am Nordufer dieses endlosen Seenzwillingspaares
+zurückgelegt hatten. Ein mächtiger, nach Süden zeigender Felsausläufer
+fällt mit senkrechten Wänden in den See; über seinen Kamm führt ein
+Pfad, der von den Karawanen benutzt wird. Aber für Kamele ist er
+nicht bestimmt. Eine Weile rasteten wir am Fuße des Berges, während
+Sirkin das Ufer, das zu überschreiten sogar für Menschen, auch wenn
+sie kletterten, unmöglich war, untersuchte und Schagdur nach dem Kamme
+hinaufritt. Er erklärte ihn für grauenhaft, aber vielleicht passierbar.
+Die Yakkarawane kletterte mit großer Sicherheit hinauf. Als sie den
+Kamm erreicht hatte, wurden fünfzehn Yake abgeladen, die meine Kisten,
+alle Zelte und allerlei sonstige Sachen holen mußten, womit sie den Weg
+nach dem Lager auf der andern Seite fortsetzten, während sie den Rest
+nachts abholten.
+
+Unterdessen stellten wir mit Spaten und Brechstangen einen Zickzackweg
+für die Kamele her, die außerordentlich langsam einzeln hinaufgeführt
+und geschoben wurden; es dauerte stundenlang, obgleich die relative
+Höhe keine 200 Meter betrug. Von dem Passe, auf dem eine kleine, mit
+Fähnchen geschmückte Steinpyramide steht, haben wir eine entzückende
+Aussicht über den ganzen Panggong-tso und im Süden auf die
+schneebedeckte Welt von Bergen, die eine Grenzmauer bilden, hinter
+welcher das Flußgebiet des Indus liegt. Doch wir blieben keine Minute
+länger droben, als unumgänglich nötig war. Ein durch Mark und Bein
+dringender Westwind sauste über den Paß hin. Man mußte breitbeinig
+stehen, wenn man nicht umgeweht werden wollte, und wenn man seine
+Aufzeichnungen macht, muß man dem Winde den Rücken kehren und sich
+sputen, damit man fertig wird, ehe einem die Hände vor Kälte steif
+sind. Dann eilt man abwärts in der Hoffnung, hinter einem Vorsprunge
+Schutz zu finden, sieht sich aber enttäuscht, denn der ganze Westabhang
+ist dem Sturme ausgesetzt. Und was für ein Abstieg! Manchmal muß ich
+kriechen und mich mit den Händen halten, um nicht in den Abgrund zu
+stürzen. Turdu Bai war mit zwei Kamelen vorausgegangen. Ich begegnete
+ihm jetzt; ganz ratlos war er umgekehrt. Nach langem Suchen fanden wir
+jedoch eine Stelle, wo man einen Weg herstellen konnte. Dies erforderte
+aber lange Zeit und ließ sich heute nicht mehr fertigbringen. Es
+dämmerte schon, und Turdu Bai und einige der andern mußten die Nacht
+über mit allen Kamelen auf halber Höhe des Berges bleiben. Im Lager war
+jedoch alles in Ordnung, und früh am nächsten Morgen trafen auch die
+Kamele dort ein.
+
+Am folgenden Tag ging es an diesem endlosen Ufer weiter. Die Yake
+waren weit voraus, sie sehnten sich nach Gras. Die Ruderer konnten
+nicht wieder nach unserem Ufer zurückkehren, aber wir sahen sie durch
+das Fernglas und brauchten ihretwegen nicht besorgt zu sein. In dem
+Lager +Serdse+, das auf der Grenze zwischen Tibet und Kaschmir liegt,
+erwartete uns eine große, freudige Überraschung. Hier trafen wir die
+Entsatzkarawane, die uns auf Befehl des Wesir Wesarat, des Statthalters
+des Maharadscha von Kaschmir in Ladak, entgegengeschickt worden war.
+Sie war zuerst nach +Mann+ gegangen, einem Dorfe auf dem Südufer
+des Sees, Serdse gegenüber. Als wir dort nicht erschienen waren,
+war sie umgekehrt, um uns auf dem Nordufer zu suchen. Unsere Lage
+veränderte sich mit einem Schlage; 12 Pferde und 30 Yake standen uns
+zur Verfügung; Schafe, Mehl, Reis, Dörrobst, Milch, Zucker, Gerste für
+unsere Tiere; konnte man mehr verlangen? Meine Karawane, mit der es
+Matthäi am letzten war, wurde auf einmal restauriert. Wir brauchten uns
+nicht länger Entbehrungen aufzuerlegen, die lange Leidenszeit war jetzt
+vorbei, und ich selbst empfand die Unterstützung wie einen warmen Hauch
+von Indien, wie einen Gruß aus gastfreundlichen Gegenden, ja, wie eine
+Umarmung von meinem eigenen Heim.
+
+Führer dieser neuen Karawane waren zwei Männer aus Ladak: Anmar Dschu,
+der fließend Persisch sprach und mit dem ich mich daher unterhalten
+konnte, und Gulang Hiraman, ein klassischer, gemütlicher Herr, der vor
+eitel Wohlwollen glänzte; die übrigen Leute waren ebenfalls Ladakis,
+nur einer war ein Hindu (Abb. 311, 312). Die letzten Tibeter erhielten
+jetzt ihren Abschied und gute Bezahlung, sowie alles, was wir an „altem
+Gerümpel“, Kasserollen, Tassen, Kannen und Kleidern entbehren konnten,
+ja sogar einen Revolver. Nicht ohne Wehmut sah ich sie fortziehen,
+denn sie hatten uns auf vortreffliche Weise gedient, waren ehrlich
+und freundlich gewesen und hatten unsertwegen viel Arbeit und Mühe
+gehabt. Jetzt sollte die Schlinge, die mich so lange an Tibet gefesselt
+hatte, zerrissen werden. Alle unsere Erinnerungen an seine unwirtlichen
+Täler, alle unsere Verluste und Leiden würden künftig in versöhnendem
+Lichte vor unserem geistigen Auge stehen. Die harten Schicksale und
+Schwierigkeiten, die wir zu bekämpfen und zu besiegen gehabt hatten,
+würden wir mit der Zeit vergessen. Die Erinnerung haftet mit Vorliebe
+an den fröhlichen Ereignissen, und das Böse, das uns trifft, erscheint
+nicht mehr so schlimm, wenn die zeitliche und räumliche Entfernung
+zunimmt. Als die Sonne an diesem Abend unterging und die dunkle Nacht
+im Osten heraufzog, schien sie mir das Land des Dalai-Lama mit all
+seinen Geheimnissen und seinen noch ungelösten Rätseln verschlungen
+zu haben. Doch in meinen Brieftaschen und Tagebüchern barg ich einen
+Schatz, der die Bitterkeit des Abschieds milderte und der über bisher
+noch völlig unbekannte Gegenden Tibets Licht verbreiten sollte.
+
+Die Führer der Entsatzkarawane überraschten mich dadurch, daß sie
+mir jeder eine Silberrupie schenkten. Trotz der etwas lächerlichen
+Situation begriff ich, daß das Geschenk freundlich gemeint war, und
+steckte das Geld in die Tasche -- in der Absicht, es mit Zinsen
+zurückzugeben.
+
+Wir lagerten zusammen an der Quelle, die unmittelbar am Ufer Blasen
+werfend aus der Erde sprudelte und +16,2 Grad Temperatur bei -6 Grad
+Lufttemperatur hatte; das Wasser dampfte und fühlte sich lauwarm an.
+Tausend Fragen über die Verhältnisse in Ladak, Kaschmir und Indien
+kreuzten einander, und es wurde spät, ehe wir uns schlafen legten.
+Auf einer vorspringenden Landspitze wurde als Signal für Tschernoff
+ein gewaltiges Feuer unterhalten. Am folgenden Tage kam er gesund und
+munter an, nachdem er zwei Linien gelotet und eine Maximaltiefe von
+47,5 Meter gefunden hatte. Nach Leh, wohin wir noch acht Tagereisen
+haben sollten, schickte ich Briefe durch einen besonderen Kurier.
+
+[Illustration: 313. Musikanten und Tänzer in Drugub. (S. 346.)]
+
+[Illustration: 314. Lager vom 16. Dezember. (S. 346.)]
+
+[Illustration: 315. Kloster Dschowa. (S. 346.)]
+
+Bevor ich jetzt zum 15. Dezember übergehe, muß ich erzählen, was aus
+Jolldasch wurde, meinem Hunde aus Osch, der die ganze Zeit über mein
+Zeltkamerad gewesen war. Er brachte die Nacht wie gewöhnlich auf den
+Filzdecken zu meinen Füßen zu; bei Sonnenaufgang sprang er auf,
+schüttelte sich und lief hinaus. Er pflegte bis zum Aufbrechen der
+Karawane vor dem Zelte in der Sonne zu liegen. Diesmal aber lief er
+über die Berge nach Osten und kam nicht wieder. Chodai Kullu sah ihn
+in rasender Eile längs der gestrigen Spur zurücklaufen, als sei er von
+der Sonne hypnotisiert oder habe alle Mächte der Finsternis hinter
+sich. Daß er in dem Zeltdorfe zwischen den Seen intime Bekanntschaften
+gemacht hatte, wußten wir, und es mußte ihm dort wohl besser gefallen
+haben als in unserer Gesellschaft. Ich hatte ihn während zweier
+Tagereisen angebunden, dann aber durfte er wieder frei im Lager
+umherlaufen und während des Ruhetages in Serdse spielte er seine Rolle
+vorzüglich. Er dachte gewiß: „Ich werde nicht eher durchbrennen, als
+bis die Entfernung so groß ist, daß sie es nicht der Mühe wert halten,
+mich zurückzuholen.“ Er hatte 50 Kilometer am Ufer des Panggong-tso
+zurückzulegen, um zu seiner Liebsten zu gelangen. Es wäre interessant
+zu wissen, wie es ihm auf der Flucht ergangen und ob er den Wölfen,
+die sicherlich unsere toten Kamele besucht hatten, glücklich entronnen
+ist. Ja, es wäre mir eine Freude zu wissen, wie es meinem alten
+Reisegefährten jetzt geht. Er ist natürlich ein Vollbluttibeter
+geworden; er konnte sich von diesem Lande nicht losreißen, sondern
+kehrte gerade an der Grenze wieder um. Ich möchte wohl wissen, ob
+er mich und all die Liebe, mit der ich ihn zwei und ein halbes Jahr
+behandelt habe, ganz vergessen hat? Mir fehlte er überall, aber in der
+Karawane war er Gegenstand allgemeiner Verachtung; alle fanden, daß er
+ein feiger, undankbarer Überläufer sei.
+
+Die Karawane ging jetzt einen nördlicheren Weg, während ich mit Anmar
+Dschu, Tschernoff und dem Lama auf einem halsbrecherischen Pfade mit
+mehreren schwierigen Pässen am See entlang nach der nächsten Quelle
+zog. Als die anderen schließlich auch dort ankamen, brachten sie nur
+neun Kamele mit; welch ein Jammer, daß jetzt noch ein letztes sterben
+mußte, da wir nun Stroh und Gerste in Menge hatten und die lange Ruhe
+an gefüllten Krippen so bald zu erwarten war!
+
+Nachts schneite es endlich tüchtig, und am 16. ritten wir durch eine
+blendend weiße Winterlandschaft. Von dem Passe oberhalb des Lagers lag
+der See unter uns wie in einer tiefen Grube, wie ein Graben zwischen
+schneebedeckten Bergen. Ich machte einige photographische Aufnahmen,
+aber es war hübsch kalt für die Finger, bei -10 Grad und Wind mit der
+Kamera zu hantieren; es mußte ein kleines Feuer angezündet werden,
+damit ich mich ab und zu wärmen konnte. Und nun verlassen wir den
+Panggong-tso, diesen großartigen, reizenden See, reiten über seine
+westliche, dünenreiche Sandsteppe, ziehen langsam ein im Südwesten
+mündendes Tal hinauf und gelangen auf eine kleine Schwelle, die mit
+zwei Steinkisten von prächtigen „Mani“-Platten mit flatternden Wimpeln
+geschmückt ist. Diese kleine Schwelle lag in einer Höhe von wenig mehr
+als 20 Meter, also nur 2 Millimeter Luftdruckunterschied, über dem See.
+Von dort ging es ein energisch ausgemeißeltes, mit Schutt und Blöcken
+angefülltes Tal hinab, wo wir am Ufer eines kleinen zugefrorenen Sees,
+zirka 60 Meter unter dem Spiegel des Sees, lagerten (Abb. 314). Wir
+hatten das Flußgebiet des Indus erreicht, und die Wassertropfen, die
+diesem Tale entsprangen, werden sich dereinst nach tausend Kämpfen
+in dem Indischen Ozean verlieren. Zweieinhalb Jahre hatten wir uns
+in abflußlosen Zentralbecken im innersten Asien bewegt, jetzt waren
+wir wieder in Gegenden, die Abfluß nach dem Meere besaßen. Es war ein
+befreiendes, erquickendes Gefühl, dies zu wissen; wir entfernen uns
+jetzt allmählich von dem höchsten Gebirgslande der Erde.
+
+Die erwähnte Schwelle ist von großem Interesse, wenn man sie mit
+den alten Uferlinien vergleicht, die 54 Meter über dem Panggong-tso
+liegen. Der See hat einst einen Abfluß nach dem Indus gehabt, ist
+aber später, aus klimatischen Veranlassungen, von diesem Flußgebiete
+abgeschnürt worden. Infolgedessen ist er salzig geworden, und die
+Süßwassermollusken sind ausgestorben.
+
+Am 17. nahm ich Abschied von der Karawane, um nach Leh vorauszueilen.
+Es war noch stockfinster, als wir aufstanden, aber die munteren
+Ladakpferde waren bereits gesattelt. Anmar Dschu, Tschernoff und
+Tscherdon begleiteten mich; das Gepäck trugen drei Pferde, die von
+einigen Fußgängern getrieben wurden. So sprengten wir in raschem Tempo
+fort. Wir mußten ungefähr 40 Kilometer täglich zurücklegen, um in 4
+Tagen Leh zu erreichen, damit ich noch ein Telegramm zum heiligen
+Abend nach Hause senden konnte. Es ging jetzt schnell talabwärts.
+Gehöfte und bebaute Felder begannen aufzutreten. Bei +Tanksi+, wo wir
+andere Pferde erhielten, erhebt sich malerisch auf einem isolierten
+Felsen das Kloster +Dschowa+ (Abb. 315). Nachdem es von der Ebene
+aus photographiert worden war, ritten wir weiter nach +Drugub+ (3919
+Meter), dem ersten Nachtlager, wo eine ganze Musikantentruppe mit
+Trommeln und Flöten und vorgebundenen Masken zu unserer Ehre auf dem
+Hofe tanzte (Abb. 313). Es kam mir ganz eigentümlich vor, wieder in
+einem Hause zu schlafen!
+
+Die nächste Tagereise führte bergauf nach immer höherwerdenden
+Regionen, denn wir mußten über den schwierigen Paß +Tschang-la+, der
+sonst um diese Jahreszeit durch Schnee versperrt ist, in diesem Jahre
+aber passierbar war. Der Anstieg ist schwer, alles grau in grau, Block
+neben Block. Es dauerte mehrere Stunden, bis wir den Kamm erreichten,
+auf dem wir uns wieder in einer Höhe von 5386 Meter befanden. Der
+Abstieg ist noch viel steiler. Zwischen Millionen von Granitblöcken
+zieht sich der abschüssige Zickzackpfad ins Tal hinunter, und es
+war schon pechschwarze Nacht, als wir die Steinhütten von +Taggar+
+erreichten.
+
+Wie seltsam und merkwürdig war es für uns, wieder überall Menschen
+zu treffen, Dorf auf Dorf hinter uns verschwinden und die mit
+Steinmauern umfriedigten Ackerfelder immer größer und zahlreicher
+werden zu sehen. Tempel thronen auf den Felsen, und der Wind flüstert
+in Pappeln und Weiden. Die Kosaken betrachteten mich jetzt mit einer
+gewissen Bewunderung; es imponierte ihnen sichtlich, daß ich den Weg
+hierher gefunden hatte und von diesen Eingeborenen, von deren Dasein
+sie bisher noch nie Kunde erhalten hatten, so freundlich aufgenommen
+wurden. Und immerfort ging es hinunter in tieferliegende Gegenden,
+in dichtere Luftschichten, mildere Temperatur. Die Steinkisten, jene
+seltsamen Opferaltäre, gegen welche die Obo der Mongolen Kleinigkeiten
+sind, nahmen an Zahl und Größe zu. Eine solche, die 1½ Meter hoch
+und 3 Meter breit war, maß in der Länge nicht weniger als 260 Meter,
+und ihre ganze, auf beiden Seiten von einem Erdrücken abfallende
+Fläche war voller Steinplatten, in welche „Om mani padme hum“ mit
+unglaublicher Mühe eingehauen war. Es muß eine lange Zeit dauern, ehe
+ein solches Werk zur Ehre der Götter fertig wird. Die Lamas, die den
+ewigen Denkspruch mit unerschütterlicher Geduld in den Stein graben,
+trösten sich wohl mit dem Gedanken: wenn wir verstummt sind, werden
+die Steine reden. Das Tempelkloster +Dschimre+ liegt wundervoll auf
+einem Felsen, und das Dorf am Fuße desselben ist groß und reich. Nach
+einer weiteren Reihe von Dörfern gelangen wir an den +Indus+, der in
+einem tief eingeschnittenen, gewundenen Bette fließt. Sein klares,
+grünes, Stromschnellen bildendes Wasser rauscht wie in einem 50 Meter
+tiefen Graben dahin. An der Flußbiegung läuft eine 3 Meter hohe, 9
+Meter breite und 416 Meter, also fast einen halben Kilometer lange
+„Mani“-Kiste entlang; verrückte Menschen, welch nutzlose Arbeit! Man
+erstaunt immer mehr, je größer die Kisten werden; in einer Reihe
+aufgestellt, würden sie eine kleine chinesische Mauer geben.
+
+Hier an der Flußbiegung kam mir Mirsa Muhammed entgegen, der Naib oder
+Sekretär des Täsildars (eingeborener Distriktschef) von Leh. Er war
+ein sehr liebenswürdiger, angenehmer Mensch, der fließend Persisch
+sprach und mir später viele unschätzbare Dienste leisten sollte. Wir
+ritten auf dem rechten Indusufer durch das breite, gewaltige Tal
+westwärts nach der Posthalterei von +Tikkse+, wo es in einem Zimmer
+einen eisernen Ofen gab. Über dem Dorfe thront erhaben über allen
+Erdenlärm das Kloster +Tikkse-gompa+ (Abb. 316, 317). Die Mönche, 40-50
+an der Zahl, hatten die Freundlichkeit, fragen zu lassen, ob ich nicht
+lieber bei ihnen wohnen wolle; aber wir hatten es dort unten gut,
+und erst am nächsten Morgen machte ich ihnen einen Besuch. Von den
+Terrassen und Altanen ihrer für den Pinsel eines Malers so verlockenden
+Freistatt hatte man eine entzückende, überwältigende Aussicht über das
+gigantische Industal (Abb. 318).
+
+Während des Rittes nach Tikkse waren uns drei Boten entgegengekommen;
+einer von ihnen war eine Frau. Sie trugen ihre Botschaft um das Ende
+eines Stöckchens gewickelt. Der eine brachte mir ein Telegramm von
+dem jetzt in Sialkut wohnenden englischen Residenten von Kaschmir:
+„~Warmest congratulations on safe arrival, message sent to His
+Excellency Viceroy, trust arrangements made satisfactory~“.
+(Wärmste Glückwünsche zur glücklichen Ankunft; habe Se. Exzellenz
+den Vizekönig benachrichtigt; hoffe, daß die getroffenen Anordnungen
+zufriedenstellend sind.)
+
+Von dem Augenblick an, da ich den Fuß auf britisches Gebiet setzte,
+wurde ich täglich mit Gastfreundschaft und Artigkeit überhäuft. Als
+wir am 20. Dezember müde und bestaubt in +Leh+, der 4000 Einwohner
+zählenden Hauptstadt von Ladak (Abb. 319), eintrafen, kam mir ihr
+Täsildar entgegen, ein fließend Englisch sprechender, bis auf den
+hohen, faltigen, weißen Turban europäisch gekleideter, ungewöhnlich
+distinguiert aussehender Hindu namens Jettumal. Er hieß mich auf dem
+Gebiete des Maharadscha willkommen und überreichte mir ein artiges
+Telegramm vom Wesir Wesarat. Wir ritten zuerst nach dem „Dak-bungalow“
+(Gasthaus, Hotel), das die in Leh weilenden Engländer zu besuchen
+pflegen. Dieses Haus war in jeder Beziehung elegant und gemütlich;
+dennoch zog ich es vor, in Mirsa Muhammeds Hause zu wohnen, das früher
+Missionar Webers Kirche gewesen war, in welchem auch die Kosaken zwei
+Zimmer bekommen konnten und wo die Karawane auf einem großen Hofe
+reichlich Platz für Menschen und Tiere fand. Hier wurde für mich ein
+vortreffliches Zimmer mit Ofen, Teppich, Bett, Tisch und Stühlen
+eingerichtet, und hierher brachte Jettumal meine gewaltige Post. Seit
+elf Monaten hatte ich kein Wort von Europa gehört und wußte nicht, wie
+es zu Hause stand; man kann sich also denken, mit welcher Unruhe ich
+die Post mit allen ihren Neuigkeiten öffnete. Ich erbrach zuerst die
+letzten Briefe, und nachdem ich mich überzeugt hatte, daß alle meine
+Angehörigen noch lebten und gesund waren, konnte ich die Briefe mit
+Ruhe in chronologischer Reihenfolge durchgehen. Ich legte mich auf das
+schöne Bett und las die ganze Nacht hindurch, und die Sonne stand am
+21. schon hoch am Himmel, als ich zur Ruhe ging. Tief schmerzte mich
+die Nachricht von Nordenskiölds Tod.
+
+Schon bei meiner Ankunft hatte Jettumal von „King Edward“ gesprochen.
+Ich war erstaunt, hatte ich doch den Namen nie gehört; ich wußte nicht,
+daß Königin Viktoria vor beinahe einem Jahre gestorben war!
+
+[Illustration: 316. Tempelhof in Tikkse. (S. 347.)]
+
+[Illustration: 317. Lamas in Tikkse mit ihrem Prior (rechts). (S. 347.)]
+
+[Illustration: 318. Aussicht vom Kloster in Tikkse. (S. 348.)]
+
+[Illustration: 319. Leh, die Hauptstadt von Ladak. (S. 348.)]
+
+Das erste aber, was ich tat, als ich nun nach allen Stürmen in Leh
+einen Hafen gefunden hatte, war, an König Oskar, an Lord Curzon, den
+Vizekönig von Indien, und an meine Eltern zu telegraphieren. Die
+freundlichen, aufmunternden Antworten trafen gerade rechtzeitig als
+Weihnachtsgaben für mich ein. Das Telegramm des Königs von Schweden
+lautete: „Vielen Dank für Ihr Telegramm und die bereits erhaltenen
+interessanten Briefe! Ich freue mich herzlich über Ihre glückliche
+Ankunft auf britischem Gebiete und hoffe, daß Sie bald heimkehren. Ich
+und die Meinen sind gesund. Sie herzlich grüßend, König Oskar.“
+
+Von Tscharchlik hatte ich, via Kaschgar, an Lord Curzon geschrieben
+und ihn gebeten, bei der Ankunft in Leh eine Anleihe von 3000 Rupien
+aufnehmen zu dürfen; diese Summe lag jetzt bereit und wartete auf mich.
+Ich hatte auch von der Möglichkeit eines kurzen Besuchs in Indien
+gesprochen, und jetzt erhielt ich einen langen, liebenswürdigen Brief
+des Vizekönigs, der mit den Worten schloß:
+
+„Ich habe Ihnen nur einen Vorschlag zu machen, und der ist, daß Sie
+nach Kalkutta kommen, wo ich mich vom Januar bis Ende März aufhalte,
+und mir das Vergnügen machen, Sie als meinen Gast im Government House
+zu begrüßen und aus Ihrem eignen Munde zu hören, was Sie alles gesehen
+und ausgeführt haben.“
+
+Nachdem ich geantwortet und diese liebenswürdige Einladung dankbar
+angenommen hatte, telegraphierte Lord Curzon:
+
+„~Congratulate you upon your safe arrival after most arduous journey
+and great discoveries. Am delighted that we shall see you here.
+Viceroy.~“ (Gratuliere Ihnen zu ihrer glücklichen Ankunft nach der
+sehr anstrengenden Reise und den großen Entdeckungen. Bin entzückt, daß
+wir Sie hier sehen werden. Vizekönig.)
+
+Ich sollte also einen kurzen Besuch in Indien machen und Lord Curzon
+(Abb. 320) wiedersehen, den ich seit mehreren Jahren kannte und der
+auch zugegen gewesen war, als ich in London im Dezember 1897 in der
+~Royal Geographical Society~ einen Vortrag über meine vorige
+Reise hielt. Da es sich aber um einen Ritt von 400 Kilometern nach
+Srinagar, der Hauptstadt von Kaschmir, handelte, glaubte ich mir eine
+zehntägige Ruhe gönnen zu dürfen, ehe ich nach der Sommerhitze im
+Märchenlande aufbrach. Die Tage verrannen nur zu schnell. Ich wurde
+von den in Leh ansässigen Missionaren Ribbach und Hettasch und ihren
+Frauen mit Freundschaftsbeweisen und Gastfreundschaft überhäuft,
+ebenso von Miß Baß und dem Missionsarzt E. Shawe, der sich der
+Kranken in meiner Karawane mit unendlicher Freundlichkeit annahm.
+Täglich besuchte ich die Missionare und ich habe selten eine Station
+gesehen, die so musterhaft geleitet wird und so vielversprechende
+Früchte gezeitigt hat. In dem netten kleinen Kirchensaale feierten wir
+zusammen Weihnachten. Der Saal strahlte hell im Kerzenscheine, und der
+Weihnachtsbaum mit seinen zahllosen kleinen Wachslichtern gemahnte
+mich an viele unvergeßliche liebe Kindheitserinnerungen aus meiner
+nordischen Heimat. Ribbach predigte in der Ladakisprache, und beim
+Gesang stimmte die andächtig lauschende, festlich gekleidete Schar
+ein, die das kleine Gotteshaus dicht gedrängt füllte. Ich bin selten
+bei einem so ergreifenden, feierlichen Gottesdienst zugegen gewesen,
+obwohl ich von dem, was Ribbach sagte, nicht ein Wort verstand. Der
+freundliche Glanz der Christbaumlichter nahm meine Sinne gefangen, die
+weichen Orgelklänge berauschten mich, -- ich hatte ja so unendlichen
+Grund zur Dankbarkeit, jetzt da alle unsere Mühseligkeiten zu Ende
+waren und ich mich wieder unter Europäern befand!
+
+Am ersten Weihnachtstage langte meine Karawane an. Die letzten neun
+Kamele hatten den Paß Tschang-la glücklich überwunden. Jetzt sollten
+sie sich ausruhen und herrlichen frischen Klee zu fressen erhalten;
+ihre Krippen sollten beständig davon duften, sie sollten wie unsere
+eigenen Kinder gepflegt und für alles, was sie durchgemacht hatten,
+belohnt werden. Sie sahen ängstlich und erstaunt aus, als sie durch den
+Straßenlärm zogen (Abb. 321); aber auf unserem stillen Hofe fühlten sie
+sich bald heimisch, und ich sah ihre Augen vor Freude glänzen, als sie
+den Duft des reichlichen, saftigen Futters verspürten. Die Bewohner der
+kleinen Stadt, die wohl noch nie Kamele gesehen hatten, kletterten auf
+die Mauern des Hofes und betrachteten diese seltsamen, langhalsigen,
+buckligen Tiere mit größtem Erstaunen.
+
+Jetzt wurde folgender Entschluß gefaßt. Während meiner Reise nach
+Indien sollte sich die Karawane ausruhen. Dazu brauchte ich nur drei
+von den Muselmännern zu behalten, und es paßte daher gut, daß die
+übrigen baten, sofort über das Kara-korum-Gebirge und Jarkent nach
+Hause zurückkehren zu dürfen. Sie erhielten ihren Lohn mit großer
+Zulage und außerdem Kleider, Proviant und je ein Reitpferd als
+Geschenk. Ich mietete für sie einen Mann aus Jarkent als Karakesch,
+der es übernahm, sie für eine bestimmte Summe nach Jarkent zu bringen.
+Als Sirkin, der sich nach Frau und Kindern sehnte, fragte, ob er sie
+begleiten dürfe, erlaubte ich ihm dies um so lieber, als er dann Briefe
+an Generalkonsul Petrowskij, bei dem sich meine früher gemachten
+Sammlungen befanden, überbringen konnte. Hier verließen uns also Mollah
+Schah, Hamra Kul, Turdu Ahun, Rosi Mollah, Li Loje, Almas, Islam, Ahmed
+und Ördek, der den besonderen Auftrag hatte, Sirkins Diener zu sein.
+Mit ihren Packpferden, dem Führer und seinen beiden Dienern bildeten
+sie eine recht ansehnliche Karawane, als sie am 29. Dezember von Leh
+fortritten. Trotzdem Sirkin sich aufrichtig nach Hause sehnte, vergoß
+er doch bittere Tränen, als ich ihm zu einem langen Lebewohl die Hand
+reichte und ihm für alle die Dienste dankte, die er mir während dieser
+Jahre geleistet hatte.
+
+Schließlich wurde alles zum Aufbruch bereit gemacht. Tschernoff wurde
+Chef des Winterquartiers in Leh, Tscherdon Meteorologe, Turdu Bai,
+Kutschuk und Chodai Kullu, die besten der Muselmänner, sollten die
+Kamele, die Maulesel und mein altes Reitpferd pflegen. Sie erhielten
+eine reichliche Geldsumme zur Bestreitung der Haushaltkosten, und
+Jettumal versprach, dafür zu sorgen, daß es ihnen an nichts fehle.
+Auch ~Dr.~ Shawe und die übrigen Missionare wollten sich während
+meiner Abwesenheit meiner Leute annehmen. Der Lama, der ebenfalls dort
+blieb, stand bald auf vertrautem Fuße mit Herrn Ribbach, der sich für
+den jungen Priester sehr interessierte. Schagdur nahm ich, nachdem
+ich vom Vizekönig die Erlaubnis dazu erhalten hatte, mit nach Indien.
+Ich versprach mir ein ganz besonderes Vergnügen davon, Zeuge der
+Verwunderung des braven Kosaken zu sein über alles, was er in jenem
+wunderbaren Lande erblicken würde.
+
+
+
+
+Achtundzwanzigstes Kapitel.
+
+Ein Besuch in Indien.
+
+
+Ich würde nun meinen Bericht schließen können, da wir alte,
+wohlbekannte Gegenden erreicht haben, die schon vor mir und besser von
+vielen Reisenden mit klassischen Namen beschrieben worden sind. Wenn
+ich dennoch einige Schlußworte hinzufüge, geschieht es, damit der Leser
+meine Spur nicht vollständig verliere und gänzlich im Stiche gelassen
+werde, während wir noch im Inneren des großen Kontinents sind, welches
+durch den „Wohnsitz des Winters“, den Himalaja, von dem warmen Meere
+getrennt wird. Es soll jedoch schnell gehen; vermutlich sehnt sich der
+Leser ebenso aufrichtig wie ich danach, dieses Reisewerk hinter sich zu
+haben.
+
+Am Morgen des 1. Januar 1902 stampften vier kleine, muntere Ladakpferde
+vor meiner Tür. Ich und Schagdur bestiegen zwei von ihnen, die anderen
+trugen unser Gepäck und wurden von Fußgängern getrieben; Mirsa Muhammed
+war von Jettumal beauftragt worden, mich zu begleiten.
+
+Wie wunderlich und ungewiß ist doch das Leben, wie viel rätselhafter
+der Tod! Ich sollte keine Gelegenheit haben, dem Täsildar Jettumal für
+die vielen Dienste, die er uns leistete, zu danken, denn bei meiner
+Rückkehr nach Leh war er schon tot und verbrannt und seine Asche in die
+heiligen Wellen des Ganges gestreut!
+
+[Illustration: 320. Se. Exzellenz George Nathanael Lord Curzon,
+Vizekönig von Indien. (S. 349.)]
+
+[Illustration: 321. Ankunft der einzigen überlebenden Kamele in Leh.
+(S. 350.)]
+
+Wir hatten bis +Srinagar+, der Hauptstadt und Sommerresidenz des
+Maharadscha, 400 Kilometer in 16 Stationen zurückzulegen. Auf jeder
+Station (Bungalow, Pangla) werden die Pferde gewechselt, manchmal
+noch öfter; man kann daher so schnell reisen, wie man will. Was mich
+betrifft, so war ich zu müde, um draufloszustürmen, und legte selten
+mehr als eine Station pro Tag zurück, so daß wir nach elf Tagen in
+Srinagar ankamen. Zuerst reiten wir nach +Niemo+ hinunter, dann geht
+es durch die an Apfel- und Aprikosenbäumen reichen Felder und Gärten
+von +Saspul+. Der Indus ist zwischen gewaltigen, wohl 500 Meter hohen
+Terrassen eingeschlossen, der Weg läuft auf dem rechten Ufer, und
+die Bilder, die sich nacheinander entrollen, sind großartig; es ist
+ein wahrer Kunstgenuß, die Meisterwerke zu betrachten, die die
+Erosionskraft des Wassers hervorgebracht hat. Bald fließt der Indus
+langsam und ruhig und ist dann breit und tief, bald verengt sich das
+Bett, und der Fluß bildet schäumende Stromschnellen und wälzt sich mit
+betäubendem Getöse über abgestürzte Steinblöcke. Gelegentlich ist der
+Fluß auch zugefroren, und die natürlichen Brücken werden dann von den
+Eingeborenen benutzt. Schwindelnd hoch und schmal schlängelt sich der
+Pfad an dem launenhaften Relief der Bergseite hin; ja bisweilen ist er
+so schmal, daß man einem Entgegenkommenden nicht ohne Gefahr ausweichen
+könnte; unsere Kulis eilen dann bis zur nächsten Biegung und stoßen
+durchdringende Rufe aus, um den Weg freizuhalten.
+
+Bei +Kalatschi+ lassen wir das Industal rechts von uns liegen. Wir
+dringen gleichsam in die dunkeln Säle des Gebirges ein. Der Pfad ist
+oft gefährlich, zieht sich bald auf der einen, bald auf der anderen
+Talseite hin und geht auf kleinen, schwankenden Holzbrücken über einen
+Fluß.
+
+Hinter der Brücke von +Sampa-nesrak+ entspringt eine Quellader aus
+der Felswand, und das von ihr gebildete Eis bedeckte den Weg wie eine
+flache Glocke. Hier glitt das eine Packpferd aus und wäre den Berg
+hinuntergerollt, wenn ich es nicht in demselben Moment, als es über den
+Wegrand rutschte, am Schwanze gepackt und festgehalten hätte, bis die
+anderen zu Hilfe kamen.
+
+Das Lamakloster +Lamajuru+ hat eine höchst eigentümliche, malerische
+Lage; es ist auf dem Gipfel einer von tiefen Furchen durchschnittenen
+Geröllterrasse erbaut; es kann nur eine Frage der Zeit sein, wann es
+in die Tiefe stürzen wird, wo, wie stets in Tempelnähe, eine unzählige
+Menge Votivdenkmäler (Tschorten) errichtet sind.
+
+Am 4. Januar hatten wir über die beiden Pässe +Fotu-la+ (4100 Meter)
+und +Namika-la+ (3965 Meter) zu reiten, ehe wir in dunkler Nacht Dorf
+und Bungalow +Mullbeh+ erreichten. Unser Einzug in diesen kleinen Ort
+war ziemlich phantastisch. Eine ganze Reihe von Fackelträgern zog
+vor uns her, und von ihren brennenden Fackeln sprühten die Funken
+kometenschweifartig, und die Aprikosenbäume streckten ihre feuerroten
+Zweige zum pechschwarzen Himmel auf.
+
+In +Kargil+, wo wir es mit einem neuen liebenswürdigen, freundlichen
+Täsildar zu tun hatten, war ich erstaunt, von etwa vierzig festlich
+gekleideten jungen Mädchen bewillkommnet zu werden. Jede trug eine
+Schüssel mit etwas Eßbarem; es ist dortzulande Brauch, daß der
+Fremdling jede Schüssel anrührt -- und dabei, wenn er will, einige
+Silberannas in das Essen legt. Durch ein Telegramm erfuhren wir, daß
+der Paß Sodschi-la jetzt nicht für gefährlich galt. In Leh hatte man
+mir gesagt, daß er den Winter hindurch beinahe stets unpassierbar
+sei und ich wahrscheinlich davor würde umkehren müssen. Diesen Winter
+aber war der Schneeniedergang außergewöhnlich gering, und durch den
+Telegraphendraht, der über den Paß läuft, konnten wir an mehreren
+Punkten Auskunft erhalten. Von Kargil nahmen wir einen Ladaki namens
+Abdullah mit, der die Turki- oder, wie man hier sagt, Jarkendisprache
+beherrschte und ein außerordentlich zuverlässiger Führer war. In
+dem Dorfe +Dras+ bekamen wir etwa fünfzig Kulis, die den schmalen,
+eisbedeckten Weg mit Brechstangen und Spaten verbessern sollten. Das
+Stationshaus +Mattschui+ liegt ganz in der Nähe des Passes, -- ein
+Segen für diejenigen, die eingeschneit werden. Dies passierte vor
+einigen Jahren, als das Haus noch nicht erbaut war, dem früheren Wesir
+Wesarat von Ladak. Er mußte mit einer großen Anzahl Kulis zwei Monate
+dort bleiben und wäre vor Hunger beinahe umgekommen. Er hatte sich
+durch Erpressungen verhaßt gemacht, und die Bevölkerung auf beiden
+Seiten des Passes freute sich darüber, daß er für eine Weile festsaß.
+
+Am 9. Januar gingen wir über den +Sodschi-la+, den schlimmsten Paß,
+den ich je kennen gelernt habe, obgleich seine Höhe nur 3500 Meter
+beträgt, er also 2000 Meter niedriger ist als die tibetischen Pässe,
+mit denen wir zu tun gehabt haben. In Mattschui ließen wir unsere
+Pferde zurück und gingen zu Fuß in dem Schnee, der nach der -22 Grad
+kalten Nacht munter knarrte. Die Ladakis banden uns eine Art weicher
+Schneeschuhe an die Stiefel, damit wir nicht ausgleiten sollten.
+So stapften wir in ihren Spuren nach der außerordentlich flachen,
+beinahe unmerklichen Paßschwelle. Nicht weit hinter dieser geht es
+jedoch kopfüber einen jähen Abhang in Hunderten von Zickzackbiegungen
+nach dem Stationshause +Baltal+ hinunter. Da heißt es aufpassen und
+nicht das Gleichgewicht verlieren, -- ein einziger Fehltritt, und man
+würde in die Tiefe stürzen und dort zerschmettert werden. Der Schnee
+ist in der Sonne aufgetaut und dann wieder gefroren, so daß er eine
+gefährliche Eisstraße bildete, in die unsere Kulis Kerben schlugen.
+Der Paß Sodschi-la ist eine wichtige orographische und klimatische
+Grenzschranke zwischen Tibet und Kaschmir. Steht man auf seiner
+Schwelle, so hat man das Tal von Baltal unter sich und freut sich, den
+dunkeln Nadelholzwald zu sehen und sein geheimnisvolles, nordisches
+Rauschen zu hören.
+
+Ich werde nicht versuchen, die hinreißende Landschaft zu beschreiben,
+die wir in den beiden letzten Tagen durchritten: dunkelgrüne
+Wälder, malerische Dörfer, schäumende Flüsse, pittoreske Brücken,
+ein Hintergrund von blendenden Schneebergen und über dem Ganzen
+ein türkisblauer Himmel. Die Beschreibungen, die ich von Kaschmirs
+schönen Tälern gelesen habe, erschienen mir matt, als ich sie mit der
+Wirklichkeit vergleichen konnte.
+
+In +Srinagar+ wurde ich mit echt englischer Gastfreundschaft von
+Captain E. Le Mesurier und seiner liebenswürdigen Gattin aufgenommen
+und verbrachte bei ihnen zwei unvergeßliche Tage. Am 14. Januar
+stand die erste Tonga, ein zweiräderiger Wagen, auf dem Hofe bereit.
+In Srinagar waren wir in 1600 Meter Höhe; jetzt sollten wir über
+zwei kleinere Pässe immer tiefere Gegenden und schließlich Indiens
+sommerheiße Ebenen erreichen. Der Weg führt zuerst durch das Jelumtal,
+dann über den Murreepaß und darauf nach Rawal-pindi. Er ist ein
+Meisterstück der Wegebaukunst.
+
+Es ist ein raffiniertes, beinahe wildes Vergnügen, diese tausend
+Krümmungen in schwindelnder Fahrt zurückzulegen. Die Tonga wird von
+zwei mittelgroßen Rädern getragen und ist mit Dach und Seitenvorhängen
+versehen. In der Mitte sind zwei Sitze mit gemeinsamer Rücklehne. Auf
+dem vorderen saßen der Kutscher und ich, auf dem hinteren Schagdur mit
+dem Gepäck. Die starke, ein wenig aufwärtsgebogene Deichsel trägt an
+ihrem äußersten Ende ein Querholz, das mit Riemen an den Sattelkissen
+der Pferde befestigt wird. Dank dieser praktischen Einrichtung geht
+der Pferdewechsel in zwei, drei Minuten vor sich. Die Entfernung
+zwischen zwei Stationen beträgt selten mehr als eine halbe Stunde. Ein
+paar Minuten vor der Station bläst der Kutscher auf seinem Horn ein
+kurzes, angenehm klingendes Signal, und wenn wir dann vor das Haus
+sprengen, steht das neue Pferdepaar schon bereit. Das Querholz wird den
+schnaubenden, dampfenden Pferden abgenommen, die neuen werden unter
+die Enden der Querdeichsel gestellt, die Riemen werden geschnürt, und
+dann eilen die lebhaften, halbwilden Tiere davon. Sie stürmen mit so
+wahnsinniger Geschwindigkeit vorwärts, daß man unwillkürlich das Gefühl
+hat, es könne jeden Augenblick eine Katastrophe eintreten. Gewöhnlich
+muß der Kutscher sich viel mehr bemühen, die Pferde zurückzuhalten,
+als daß er nötig hätte, sie anzutreiben, und ich bin mir nicht immer
+darüber klar, ob sie durchgehen oder ob alles Absicht ist. Solange
+wir von Srinagar nach Baramullah durch offene Felder fuhren, war es
+nicht gefährlich, doch als sich der Weg nachher auf den Gehängen des
+Jelumtales hinschlängelte, hatte man Gelegenheit, schwindelig zu
+werden, wenn man dazu neigt. Die Pferde rasen vorwärts; rechts von uns
+geht es senkrecht nach dem in der Tiefe rauschenden Flusse hinunter,
+nur eine zwei Fuß hohe Brustwehr trennt uns von dem jähen Abgrund; vor
+uns scheint der Weg auf einmal ein Ende zu nehmen, doch dies kommt
+davon, daß er in scharfem Winkel nach links abbiegt. Man meint, der
+Kutscher müsse verrückt sein, daß er die Pferde nicht zügelt und
+langsamer fährt; die wilde Jagd geht gerade nach dem Abgrunde hin, und
+wenn auch die Pferde allenfalls noch um die Ecke zu schwenken vermögen,
+so muß doch der Wagen umkippen und über die niedrige Brustwehr
+geschleudert werden. Im letzten Augenblick vermindert sich indessen die
+Geschwindigkeit, es geht ganz glatt um die Ecke, und man ist erstaunt,
+daß man lebendig an ihr hat vorbeikommen können. Vor solchen Ecken
+ertönen stets die hellen Klänge des Jagdhorns als Warnungssignal, falls
+von der anderen Seite eine Tonga mit ebenso wütender Fahrt auf die Ecke
+losstürmen sollte.
+
+In der Nähe des +Murreepasses+ war der Nadelholzwald dicht, wodurch
+das Großartige dieser Fahrt, die unter seinem prachtvollen, schattigen
+Gewölbe hinstürmte, noch erhöht wurde. Vom Passe ahnen wir im Süden die
+Ebenen des Pendschab; mit gleicher schwindelnder Fahrt eilten wir nach
+immer tieferen Gegenden hinab, immer dichter werden die Luftschichten,
+immer linder die milden Windhauche, die bei Sonnenuntergang die Hügel
+umspielen. Es war schon dunkel, als das letzte Pferdepaar unsere
+Tonga durch die langen, geraden Straßen von +Rawal-pindi+ führte. Wir
+fuhren direkt nach der Eisenbahnstation, denn es fehlte nur noch eine
+Stunde bis zum Abgang des Zuges. Es klingt seltsam, wenn man wieder
+die schrillen Pfiffe der Lokomotive hört, nachdem man jahrelang an den
+Frieden und die Stille der Einöden gewöhnt gewesen ist!
+
+In +Lahore+ blieb ich drei Tage -- inkognito, denn ich hatte in meinem
+ganzen Gepäck nicht einmal einen Strumpf, mit dem ich mich vor den
+Leuten hätte sehen lassen können. Hier kleidete ich mich vom Scheitel
+bis zur Sohle neu ein und war im Handumdrehen wieder ein vollkommener,
+wenn auch ein wenig wettergebräunter, sonnverbrannter Gentleman! Jetzt
+war kein Inkognito mehr nötig; den letzten Abend war ich zu einem
+glänzenden Diner bei Sir W. Mackworth Young, dem Vizegouverneur des
+Pendschab, und mir war zumute, als sei ich mein ganzes Leben lang nie
+etwas anderes gewesen als ein Salonlöwe!
+
+[Illustration: 322. Schneesturm auf dem Passe Sodschi-la. (S. 363.)]
+
+[Illustration: 323. Tempelhof in Hemis. (S. 365.)]
+
+[Illustration: 324. Portal von Doggtsang Raspas Tempelsaal. (S. 366.)]
+
+Was soll ich von +Lahore+, +Dehli+, +Agra+, +Lucknow+ und +Benares+
+sagen? Nichts! Ich überlasse es denjenigen, die zum Studium dieser
+märchenhaft wunderbaren Städte Zeit gehabt haben, über jede von
+ihnen Bände voll zu schreiben. Ich passierte sie wie ein Zugvogel
+und blieb in jeder nur einen oder ein paar Tage. Ich flog wie eine
+Wildente über den Tadsch Mahal, fand aber auf der Durchreise noch
+Zeit, diese Grabmoschee Schah Dschahans als das schönste Kunstwerk,
+das ich je erblickt habe, anzustaunen und zu bewundern. Alles, was
+ich in Konstantinopel, Ispahan, Mesched und Samarkand gesehen habe,
+verschwindet und verbleicht dagegen. Es ist ein Sommertraum in weißem
+Marmor, eine Luftspiegelung von versteinerten Wolken. Und Benares!
+Nie vergesse ich die Bootfahrten, die ich längs seiner Kais und Treppen
+machte, jener Treppen, wo Tausende von Pilgern jeden Morgen bei
+Sonnenaufgang baden, um Gesundheit und Kräfte wiederzugewinnen, und die
+Brahminen, die dem Flusse huldigen und hier ihre Gebete verrichten, und
+die Greise, die hierherreisen, um an dem heiligen Ganges zu sterben.
+Nichts läßt sich mit einer Ruderfahrt im Mondschein auf dem Ganges
+vergleichen; tausend Phantasien und Träume aus der Märchenwelt von
+Benares bestürmen den Fremdling in der Stille der Nacht.
+
+Schagdurs immer größer werdendes Staunen war für mich eine Quelle
+großen Vergnügens. Einem burjatischen Kosaken aus Sibirien muß
+alles, was er in den alten Residenzen des Großmoguls, unter Palmen,
+in Pagoden, sowie in den von einer bunten, lärmenden Menschenmenge
+erfüllten Basaren erblickt, im höchsten Grade imponieren. Er
+befragte mich über alles, was er sah, teilte mir seine Gedanken und
+Beobachtungen mit und konnte keine Worte finden, um sein Erstaunen
+und seine Bewunderung auszudrücken. Als wir in +Lucknow+ einem Zuge
+Elefanten begegneten, wollte er kaum seinen Augen trauen und fragte
+mich, ob diese Kolosse wirklich lebendige Tiere oder nicht vielmehr
+eine besonders konstruierte Art von Lokomotiven seien. Um ihn zu
+überzeugen, ließ ich eines der Tiere stehenbleiben, kaufte in einer
+Basarbude in der Nachbarschaft ein Bündel Zuckerrohr und fütterte
+das Vieh. Als dieses erst jedes Rohr mit dem Rüssel reinigte und
+die weniger gutschmeckenden Teile abbrach, um dann den Rest mit
+virtuosenhafter Eleganz zu verzehren, sah Schagdur ein, daß der Elefant
+ein wirkliches, lebendiges Tier war.
+
+Am 25. Januar kam ich frühmorgens in +Kalkutta+ an und wurde in einer
+vizeköniglichen Equipage mit vier Lakaien in rotgoldener Uniform
+und hohen weißen Turbanen vom Bahnhof abgeholt. Ein zweites Gefährt
+beförderte Schagdur und das Gepäck. Wir fuhren direkt nach dem
+Government House, wo mir meine Wohnung angewiesen wurde. Niemals habe
+ich so vornehm residiert wie in der Residenz des Vizekönigs von Indien.
+Die Salons sind mit wertvollen Kunstgegenständen geschmückt, man geht
+auf weichen indischen Teppichen, die Wände verschwinden unter großen
+Ölbildern von Großbritanniens Monarchen, indischen Maharadschas und
+persischen Schahen, alles prunkt in einem Meere von elektrischem Licht.
+Mein riesiges Schlafzimmer hatte seinen eigenen Balkon, der unter
+einer mächtigen Markise in kühlem Schatten schwebte. Berauscht vom
+Palmendufte des Parkes konnte ich mich an der großartigen Aussicht über
+Kalkutta erfreuen und den Blick weithin bis an das Dschungel des Hugli
+schweifen lassen.
+
+Der Tag meiner Ankunft war ein Sonntag, und mir wurde sofort von
+einem Adjutanten mitgeteilt, daß „~His Excellency, the Viceroy~“ mich
+auf +Schloß Barrakpore+, zwei Stunden flußaufwärts, erwarte. Bei
+schönem Sommerwetter und einer leichten, erfrischenden Brise fuhr ich
+nach dem Frühstück mit einer Dampfbarkasse hin und hatte dort die
+liebenswürdigste Gesellschaft, die man sich nur wünschen kann.
+
+Eingebettet in einen tropisch schönen Park und geschmückt mit englisch
+vornehmer und geschmackvoller Pracht öffnete Barrakpore den anlangenden
+Gästen die Tore der Gastfreundschaft. Die Wirte erwarteten uns mit
+ihren beiden kleinen reizenden Töchtern und ihrem Gefolge in dem kühlen
+Schatten einer gewaltigen Laube, und Lord Curzon begrüßte mich so
+liebenswürdig und warm wie ein alter Freund; er stellte mich seiner
+charmanten Gemahlin vor, der schönsten und sympathischsten Dame,
+die ich je kennengelernt habe. Beim Lunch brachte er in schäumendem
+Champagner ein Hoch auf mich aus und gratulierte mir zu den gewonnenen
+Resultaten und den glücklich überstandenen Mühen. Nachdem wir einige
+Stunden über geographische Fragen gesprochen hatten, wurde ich von Lady
+Curzon zu einer Spazierfahrt in die Umgegend aufgefordert, und meine
+Wirtin führte dabei die Zügel mit ebensoviel Grazie wie Sicherheit.
+
+Die zehn Tage, die ich in Lord und Lady Curzons Hause Gast zu sein die
+Ehre hatte, gehören zu meinen liebsten und schönsten Erinnerungen.
+Nicht allein, daß ich täglich mit Freundschaft und Gastfreundschaft
+überhäuft wurde, nein, ich fand auch in meinem Wirte, der einer der
+ersten jetzt lebenden Kenner der Geographie Asiens ist, einen Mann,
+der meine Reise mit dem sachverständigsten und lebhaftesten Interesse
+erfaßte.
+
+In Europa macht man sich kaum einen Begriff davon, was es heißen
+will, Vizekönig von Indien zu sein und beinahe souveräne Macht über
+dreihundert Millionen Untertanen zu besitzen, also fast ebenso viele,
+wie allen Monarchen Europas zusammengenommen gehorchen. Es ist eine
+glänzende, eigenartige Stellung, und man bewundert ein Reich, das
+seinen Söhnen Gelegenheit geben kann, nach solchen Posten zu streben.
+
+Lord Curzon fühlt die auf ihm lastende Verantwortung und faßt
+seinen Beruf mit tiefem Ernste auf, er opfert ihm alle seine Zeit
+und Kräfte. Er gönnte sich keine Ruhe, er war wie festgenagelt an
+seinen Schreibtisch und machte nur bei den Mahlzeiten eine kleine
+Arbeitspause. Mit Sport und eiteln Vergnügungen verlor er keine Stunde,
+-- als wir einmal zusammen das Theater besuchten, wo der Vizekönig mit
+der Nationalhymne begrüßt wurde, verschwand er noch vor Schluß des
+ersten Aktes, um in sein Arbeitskabinett zurückzukehren. Wir nahmen
+einmal alle Kartenblätter, wohl hundert, die ich von Ladak mitgebracht
+hatte, durch; jedes Blatt wurde besonders geprüft, und Lord Curzons
+Urteil konnte mir nur in höchstem Grade schmeichelhaft und erfreulich
+sein.
+
+Während meines Aufenthalts wurden ein paar Festdiners und große Bälle
+im Government House gegeben, das in blendender Pracht strahlte; es ging
+bei dieser Gelegenheit ebenso glänzend her wie an einem europäischen
+Fürstenhofe. Eines Tags kamen ein deutsches und ein österreichisches
+Kriegsschiff den Hugli herauf, was Veranlassung zu einem Frühstück
+für die Offiziere im Government House gab, dem mehrere Feste auf den
+Schiffen und im deutschen Klub folgten.
+
+Wohl hatte ich während meiner neunjährigen Wanderungen in Asien
+mancherlei erlebt, aber noch keinen solchen Kontrast, wie ich ihn
+jetzt durchmachte. Zweieinhalb Jahre lang hatte ich, von der Welt
+abgeschnitten, in den Wüsten und Gebirgen des innersten Asiens gelebt
+und Strapazen und Entbehrungen jeglicher Art ertragen müssen, und jetzt
+befand ich mich inmitten der verfeinertsten Zivilisation, die man sich
+denken kann. Nach Jahren der Einsamkeit wurden jetzt bei jedem Schritt
+neue Bekanntschaften gemacht. Eben noch wanderte ich bei 30 Grad Kälte
+über 5000 Meter hohe Gebirge, wo nur das Archari und der wilde Yak ihre
+Nahrung finden, und jetzt wandelte ich in lauter Wärme und Licht unter
+den Palmen an der Küste des Indischen Ozeans. Eben noch hatten wir die
+schmutzigen, rauchigen Zelte der Tibeter besucht, jetzt entzückten
+mich in englischen Salons der Duft schwellender Rosen, liebenswürdige
+Damen und Musik. Die Tibeter hatten mich wie ein verdächtiges,
+gefährliches Individuum behandelt, in Indien ertrank ich beinahe in
+Gastfreundschaft; jedesmal, wenn ich einen Ort verließ, mußte ich mich
+aus freundlichen Armen losreißen, um am nächsten wieder mit offenen
+Armen aufgenommen zu werden. Überall fühlte ich mich „~at home~“,
+und es wurde mir stets schwer, meine neuen Freunde zu verlassen; dieses
+ewige Abreisen und Abschiednehmen breitete einen Wehmutsschleier über
+eine sonst so angenehme, erinnerungsreiche Reise.
+
+Die indische Presse hatte mir so viel liebenswürdige Aufmerksamkeit
+geschenkt, daß ich mit Einladungen buchstäblich überhäuft wurde -- nach
+Dardschiling, Ceylon, Mysore, Peschawar, zu meinem alten Freunde von
+Kaschgar (1890) Major Younghusband, nach schwedischen Missionsstationen
+usw. Doch ich durfte meine Karawane und die Kosaken, die mich in Leh
+erwarteten, nicht vergessen. Einigen Einladungen konnte ich allerdings
+nicht widerstehen, und mein Aufenthalt in Indien wurde dadurch etwas
+verlängert. Leider war mein prächtiger treuer Kosak Schagdur am
+Fieber erkrankt und während des ganzen Aufenthalts in Kalkutta sehr
+schwach. Er lag im Parke in einem geräumigen, eleganten Zelte -- mit
+Bretterfußboden, Badezimmer und elektrischem Licht -- und wurde vom
+Leibarzt des Vizekönigs, Oberst Fenn, selbst und dem Assistenzarzte
+Emir Baksch behandelt. In ihrer Pflege mußte ich Schagdur zurücklassen,
+als ich südwärts reiste. Wir wollten uns in Rawal-pindi wiedertreffen.
+
+Nach herzlichem Abschied von Lord und Lady Curzon verließ ich am 5.
+Februar Kalkutta und reiste nach +Secundrabad+ bei Hyderabad. Ich hatte
+eine Einladung meines vortrefflichen ritterlichen Freundes von der
+Pamirgrenzkommission im Jahre 1895, Oberst McSwiney, angenommen. Er war
+jetzt nach dem Militärlager +Belarum+ im Gebiet des Nizam, wo ungefähr
+8000 Mann englische Truppen stehen, versetzt worden. Es waren drei
+angenehme Tage, die ich in McSwineys Hause verlebte.
+
+In +Bombay+ war ich eingeladen worden, bei dem Gouverneur Lord
+Northcote und seiner Gattin zu wohnen. Auch die vier in ihrem Heim
+verbrachten Tage gehören zu meinen angenehmsten Erinnerungen. Meine
+Wohnung lag auf der äußersten Spitze von Malabar Point; ringsumher
+hatte ich den unendlichen Ozean. Es war mir, als sei ich an Bord eines
+Schiffes -- ein seltsames Bild für den, der jahrelang im Inneren
+des großen Asien gelebt hat. Ich wurde nicht müde, dem rauschenden
+Sange der Wellen am Fuße des felsigen Vorgebirges zuzuhören. Wie gern
+hätte ich mich von ihnen über die Meere nach meiner alten Heimat
+tragen lassen, statt, wie jetzt, noch einmal durch den Kontinent zu
+ziehen und nach den schweigenden, unwirtlichen Gebirgen in Westtibet
+zurückzukehren! Die Postdampfer fuhren von Zeit zu Zeit unmittelbar
+unter dem Vorgebirge vorbei; sie gingen direkt nach Europa, und auf
+ihrem Deck konnte ich geraden Weges dorthin gelangen. Ich hatte von
+Asien genug und es graute mir davor, wieder quer durch die alte Welt
+ziehen zu müssen -- auf dem Landwege von Bombay nach Petersburg und
+Stockholm! Es erforderte eine gute Portion Energie, um der Versuchung
+nicht nachzugeben. Aber ich konnte die Kosaken und die Karawane nicht
+verlassen und das Resultat meiner Reise nicht allen Winden preisgeben,
+sondern mußte alles in Sicherheit bringen, ehe ich mich ruhig fühlen
+durfte. Ich nahm also Abschied von Lord und Lady Northcote und kehrte
+nach Dehli zurück.
+
+Die Reise nach Rawal-pindi machte ich mit nur zwei kurzen
+Unterbrechungen. In +Dschaipur+ holte mich die Equipage des Maharadscha
+ab, und ich machte auf einem seiner prachtvoll geschmückten Elefanten
+einen herrlichen Ausflug nach den Ruinen von +Amber+. In Dschaipur sind
+alle Häuser rosenrot, alle Einwohner rot oder rosa gekleidet, -- man
+muß an das Morgenrot in einem Rosengarten denken.
+
+[Illustration: 325. Doggtsang Raspa. (S. 366.)]
+
+[Illustration: 326. Lama in Maske. (S. 367.)]
+
+[Illustration: 327. Der Prior von Hemis. (S. 365.)]
+
+[Illustration: 328. Lama in Festkleidung. (S. 367.)]
+
+Der Maharadscha von Kapurtala hatte mich telegraphisch nach seinem
+Schlosse in +Kartarpur+ eingeladen, wo ich zwei schöne Tage verlebte
+und in Gesellschaft Seiner Hoheit Ausflüge zu Wagen, Boot und
+Elefant machte. Ganz im selben Stile feierte er meinen Geburtstag
+auf seinem Schlosse mit Tafelmusik und schäumendem Champagner. Der
+Aufenthalt in Kartarpur erinnerte lebhaft an Tausendundeine Nacht.
+
+In +Rawal-pindi+ fand ich meinen armen Schagdur wieder, der infolge
+seiner Krankheit nicht soviel Vergnügen von der Indienreise gehabt, wie
+ich gehofft hatte. Oberst Fenn war so freundlich gewesen, ihn mit einem
+eingeborenen Assistenzarzte von Kalkutta nach Rawal-pindi zu schicken,
+wo Hauptmann Waller und Major Medley, der bekannte Asienreisende, ihn
+mit großer Freundlichkeit aufnahmen und ihm alle die Pflege, deren er
+bedurfte, zuteil werden ließen. Schagdur war entzückt von Medley, der
+sich mit ihm täglich lange russisch unterhalten hatte. Der Arzt, Major
+Marshall, der ihn behandelte, riet mir, ihn so schnell wie möglich ins
+Gebirge zu bringen. Bei meiner Ankunft war dies jedoch unmöglich, denn
+er war so schwach, daß er sich nicht auf der Tonga festhalten konnte.
+Ich mußte daher geduldig warten. Ich selbst hatte es sehr gut; die
+Offiziere wetteiferten förmlich, mir Gastfreundschaft zu erzeigen.
+Leider wurde mir nicht die Freude zuteil, Herrn ~Dr.~ Stein, der sein
+Hauptquartier in Rawal-pindi hat, zu treffen. Er war kürzlich von
+seiner erfolgreichen, bedeutungsvollen Forschungsreise in Ostturkestan
+zurückgekehrt. Ich konnte aber seine Bekanntschaft wenigstens brieflich
+machen und traf ihn später, ehe noch das Jahr 1902 zu Ende gegangen
+war, persönlich in London.
+
+Endlich war Schagdur soweit hergestellt, daß wir aufbrechen konnten.
+Wir fuhren auf dieselbe Weise wie vor zwei Monaten nach Srinagar.
+
+Dank der großartigen Gastfreundschaft des Herrn Le Mesurier und
+seiner Gattin konnte Schagdur hier in der frischen, kühlen Luft von
+Kaschmir, die ihm bald seine Gesundheit wiederschenkte, noch fünf
+Tage ausruhen. Hauptmann und Frau Le Mesurier waren neben ~Dr.~
+Shawe die ersten und die letzten Engländer, die ich während dieses
+hastigen, aber langen Abstechers nach Indien traf. Der erste Eindruck,
+den ich von der herrschenden Rasse in Indien erhielt, war daher warm
+und sympathisch, und als ich sie wieder verlassen sollte, nahm ich mit
+aufrichtigem Bedauern Abschied. Sie waren grenzenlos freundlich und
+liebenswürdig gegen mich und meinen Kosaken gewesen. Der Hauptmann, der
+„Joint Commissioner“ für Ladak ist, telegraphierte nach allen Stationen
+auf dem Wege nach Leh, damit alles zu unserer Reise in Ordnung wäre,
+und ordnete an, daß auf dem Sodschi-la besondere Vorsichtsmaßregeln
+getroffen würden.
+
+
+
+
+Neunundzwanzigstes Kapitel.
+
+Über das Kloster Hemis heimwärts.
+
+
+Am 6. März ging es wieder nach Leh hinauf. Ich mietete zwei Tragstühle
+mit je acht Trägern und benutzte den meinen, solange es möglich war;
+aber Schagdur hatte, obwohl Rekonvaleszent, einen ausgesprochenen
+Widerwillen gegen dieses Beförderungsmittel und zog es vor zu reiten.
+
+In +Sonamarg+ erhielt ich Warnungstelegramme von Le Mesurier, dem
+Wesir Wesarat, aus Kargil und aus Leh, ja nicht über den Sodschi-la
+zu gehen, da jetzt sehr viel Schnee gefallen sei. Le Mesurier war so
+liebenswürdig, mich zu bitten, nach Srinagar zurückzukehren. Doch ich
++mußte+ um jeden Preis über den Paß. Er ist von der indischen Seite
+viel schwieriger, da man die unheimlichen Abhänge zu Fuß erklimmen
+muß. Jetzt konnten wir auch nicht, wie auf der Hinreise, den Sommerweg
+benutzen, sondern mußten in der tiefen Kluft gehen, in welche die
+Lawinen jeden Winter von den Felswänden stürzen und wo alljährlich so
+viele Unglückliche begraben werden. Große Vorsicht ist stets nötig; man
+muß sich frühmorgens auf den Weg machen, wenn die Schneemassen noch
+gefroren sind; nachmittags stürzen sie, von der Sonne aufgeweicht,
+herunter. Bei Schneewetter darf man unter keiner Bedingung nach dem
+Passe hinaufgehen, denn dann hat man große Aussicht, unter den Lawinen
+begraben zu werden. An den gefährlichsten Stellen dieses Hohlweges muß
+man möglichst schnell vorbeieilen.
+
+Am 10. standen wir in aller Frühe auf, als es noch stockdunkel, rauh
+und kalt war. Die Sterne glänzen hell an dem stahlblauen, kalten
+Himmel, die Berge mit ihren Schneemassen zeichnen sich in schwachen
+Umrissen ab. Völlige Ruhe herrscht, einige Fackeln auf dem Balkon
+flackern nicht einmal, der Rauch meiner Zigarre steigt lotrecht in die
+Luft. Im Handumdrehen sind wir reisefertig; 63 Träger und Wegemacher
+gehen in langem Gänsemarsch voran, dann werden einige Pferde, die den
+Proviant der Leute tragen, geführt, und hinterdrein reiten wir, von
+dem Naib-i-täfildar von Ganderbal und seinem nächsten Untergebenen
+begleitet. Allmählich wird es heller; die weißen Schneefelder treten
+immer schärfer hervor, und die Tannen stechen dunkel gegen sie ab.
+Dann und wann purzelt einer in den Schnee; Schritt für Schritt geht es
+vorwärts und aufwärts durch immer tiefer werdende Schneewehen. Noch war
+die Kruste der Schneefelder stark genug, um die Fußgänger zu tragen,
+doch schon am Vormittag brachen diese ein. Da, wo die Pferde keinen
+Grund fanden, sondern wie Delphine im Schnee hüpften, gingen wir zu
+Fuß. In Baltal kam uns Abdullah mit 23 sicheren Leuten entgegen.
+
+Am folgenden Tag gingen wir durch den Hohlweg hinauf, der jetzt gar
+nicht wiederzuerkennen war. Die Massen von Blöcken, die in der Schlucht
+umherliegen, waren vollständig verschwunden unter herabgestürzten
+Lawinen, die, wie man mir sagte, den engen Gang mit einer 150 Meter
+hohen Schneeschicht angefüllt hatten. Solange es Winter ist, kann man
+oben auf den abgestürzten Schneemassen gehen, im Sommer aber ist dieser
+Weg unpassierbar. Ich und Schagdur wurden nach dem Passe hinaufgezogen
+und geschoben. Ein unangenehmer Wind strich wie ein Wasserfall durch
+den Hohlweg herunter und wirbelte Wolken von feinem Schnee auf (Abb.
+322). Nachdem wir die gefährlichen Stellen glücklich passiert hatten,
+konnten wir uns gänzlich unbesorgt fühlen; aber hier war der tiefe
+Schnee nicht so festgepackt wie im Hohlwege. Nach jedem Schneefall
+wird ein Pfad ausgetreten, der aus einer unzähligen Anzahl tiefer
+Gruben besteht. Kann man balancieren, ohne auszugleiten, so ist es am
+vorteilhaftesten, auf den zwischen ihnen liegenden Erhöhungen zu gehen,
+gewöhnlich aber nimmt man gern mit den Gruben vorlieb.
+
+Vier Tage lang trabten wir auf diese Weise über den Paß und seine
+beiderseitigen Umgebungen. Schließlich konnten wir Yake benutzen und
+zuletzt uns wieder der Pferde bedienen. In Kargil schneiten wir ein und
+mußten dort drei Tage bleiben. Man versuchte, uns durch Tänzerinnen
+und rauschende Musik zu erfreuen. Am 25. März trafen wir wieder in
+Leh ein, wo wir alles gut und gesund vorfanden. Von Sirkin und Ördek
+wußte man nichts, aber alle anderen, die an Weihnachten ihren Abschied
+erhalten hatten, waren wiedergekommen, weil, wie sie sagten, die Pässe
+verschneit waren. Die beiden erstgenannten gelangten jedoch schließlich
+gesund und glücklich nach Kaschgar.
+
+Es war meine Absicht, nur ein paar Tage auszuruhen und dann über den
+Kara-korum-Paß nach Norden zu eilen. Doch böse Mächte hielten uns in
+Leh zurück. Schagdur bekam einen sehr schweren Rückfall; ~Dr.~
+Shawe hielt es für Typhus. Der Kranke würde noch ein paar Monate unter
+keinen Umständen reisen dürfen. Er war entsetzlich abgemagert und matt
+und phantasierte mehrere Nächte lang. Wir wurden infolgedessen von
+einem Tage zum andern aufgehalten; daß wir ihn nicht mitnehmen konnten,
+war klar, aber ich wollte nicht eher reisen, als bis ~Dr.~ Shawe
+ihn außer Gefahr hielt. Einige Tage hindurch hatten wir beinahe die
+Hoffnung aufgegeben, daß er überhaupt genesen würde. Doch Anfang April
+fing er an, sich zu erholen; die Krisis war vorüber, und um vollständig
+wiederhergestellt zu werden, bedurfte er nur noch einige Monate der
+Ruhe und Pflege in dem Missionskrankenhause, wo ~Dr.~ Shawe ihn
+unter seiner persönlichen Aufsicht hatte. Alles wurde für den Kranken
+so gut wie möglich eingerichtet. Li Loje erhielt Befehl, bei ihm zu
+bleiben und sein Leibdiener zu sein; führe er seinen Auftrag gut
+aus, so solle er in Kaschgar eine Extrabelohnung erhalten. Im Sommer
+sollten die beiden sich einer nach Jarkent ziehenden Handelskarawane
+anschließen und sich von dort nach Kaschgar begeben. Schagdur erhielt
+200 Rupien zur Bestreitung der Kosten.
+
+Es tat mir bitter weh, Schagdur zu verlassen, als wir am 5. April 1902
+aufbrachen. Die Sonne schien so freundlich und warm in sein Zimmer
+hinein, als ich ihn zum letztenmal sah. Er war allerdings betrübt, daß
+er uns nicht bis ans Ende der Reise begleiten konnte, aber er sah ein,
+daß er sich jetzt ruhig verhalten müsse, bis er ganz wiederhergestellt
+sei. Ich beruhigte ihn und versuchte, ihm alles in hellem Lichte zu
+zeigen, auch gab ich ihm das Versprechen, ihn, soweit es von mir
+abhinge, auf meiner nächsten Reise ebenfalls mitzunehmen. Diese
+Hoffnung hatte ihn stets erfreut; er träumte davon wie von der größten
+Ehre und Freude, die ihm im Leben zuteil werden könne. Schließlich
+drückte ich ihm die Hand zum Abschied und befahl ihn in Gottes Schutz;
+da brach seine Fassung zusammen, er wandte sich ab und weinte. Ich
+eilte hinaus, um ihn nicht sehen zu lassen, daß auch meine Augen feucht
+glänzten und wie tief und schmerzlich mir diese lange Trennung zu
+Herzen ging. Auch von den Familien Ribbach, Hettasch und von ~Dr.~
+Shawe schied ich mit aufrichtigem Bedauern. Sie hatten mir in so vieler
+Weise genützt und geholfen, und ich hatte in ihrer Missionsstation das
+Ideal einer solchen Anstalt kennengelernt.
+
+Leicht war es auch nicht, unseren alten, treuen Veteranen Lebewohl
+zu sagen, den letzten neun Kamelen, die allein noch imstande gewesen
+waren, Leh zu erreichen, und die sich während der drei Wintermonate so
+von ihren Anstrengungen erholt hatten, daß sie jetzt dick, fett und
+vergnügt vor ihren Krippen standen. Aber es mußte sein; sie konnten im
+Winter nicht über den Kara-korum gehen. Ich verkaufte sie für einen
+Spottpreis an einen Kaufmann aus Jarkent, wohin sie im nächsten Sommer
+gebracht werden sollten.
+
+[Illustration: 329. Aus der Klosterküche in Hemis. (S. 367.)]
+
+[Illustration: 330. Trompetende Lamas. (S. 367.)]
+
+[Illustration: 331. Posaunenblasende Lamas. (S. 367.)]
+
+War es ein großer Kontrast gewesen, von einem tibetischen Winter
+in 5000 Meter Höhe in den Sommer Indiens am Meer zu gehen, so war
+der Übergang nicht weniger schroff, als er jetzt in umgekehrter
+Weise stattfand. Eigentlich war es wunderbar, daß ich von jeder Spur
+von Fieber verschont blieb, aber ich war dafür sehr müde und sehnte
+mich nach meiner friedlichen Studierstube in Stockholm. Ich beschloß
+daher, mich jetzt, solange es anging, d. h. bis an den Fuß des
+Tschang-la-Passes, wieder des Tragstuhls zu bedienen. Von vier starken
+Männern getragen, schaukelte ich von Leh ab. Der Palast der früheren
+Könige auf seinem Felsen und die kleine malerische Stadt verschwanden
+bald hinter den Hügeln, als sich die Männer, einen charakteristischen
+Wechselgesang singend, mit raschen Schritten dem Indus näherten. Der
+Führer singt eine kurze Strophe, und die anderen fallen mit einem
+eintönigen, einschläfernden Kehrreime ein, aber der Gesang treibt sie
+und hilft ihnen, im Takt zu gehen.
+
+Am 6. gingen wir am linken Indusufer aufwärts. Als Begleiter hatte ich
+nur den Lama und Kutschuk; die Karawane mit ihren gemieteten Pferden
+marschierte auf der großen Heerstraße nach dem Tschang-la und folgte
+dem rechten Flußufer.
+
+Schließlich verlassen wir den Indus, ziehen nach Süden und Südwesten
+den Geröllkegel der südlichen Bergkette hinauf und treten in die
+Mündung des +Hemistales+ ein. Wir passieren eine Menge malerisch
+ornamentierter Tschorten und ganze Reihen von runden und länglichen
+Steinkisten. Das Tal wird immer enger und die Richtung beinahe
+westlich; zwischen den grauen Felswänden wirken einzelne Pappelgruppen
+sehr hübsch, und im Hintergrund zeigt sich das schneebedeckte
+Hochgebirge.
+
+Jetzt wird der berühmte Tempel +Hemis+ unseren Blicken sichtbar; er ist
+am besten mit einer Masse zusammengedrängter amphitheatralisch gebauter
+Häuser, die wie Schwalbennester an dem Abhange kleben, zu vergleichen.
+Durch Höfe, Gänge und über gewundene Steige mit Geländern gelangen wir
+an eine kleine Pforte in der Mauer; hier heißt uns der Prior von Hemis
+freundlich willkommen. Es war ein alter Mann mit dünnem, grauem Bart
+und großer, dicker Nase (Abb. 327); sein Lächeln war ebenso heiter wie
+gütig. Sein Name und Titel war Ngawand Tschö Tsang, Hemi Tschaggtsot.
+
+Nun beginnt die Runde in diesem Klosterlabyrinth von dunkeln
+Löchern und Kammern, Höfen und Gängen, Korridoren und steilen,
+engen Steintreppen, die von einer Tempelterrasse zur anderen führen
+(Abb. 323). Es wäre schwer, eine auch nur annähernd orientierende
+Beschreibung von dem eigentümlichen Gebäudekomplex zu geben. Eine
+bestimmte Ordnung herrscht in der Architektur nicht; die verschiedenen
+würfelförmigen Häuser scheinen nach und nach überall, wo nur der
+kleinste Platz dazu war, hingebaut worden zu sein. Man wird
+aufgefordert, durch eine Pforte zu treten, und es geht einen schmalen
+Weg bergauf, der, zwischen Mauern eingeschlossen und mit Steinplatten
+gepflastert, um eine Ecke biegt und sich in einen wagerechten dunkeln
+Gang verliert, der seinerseits auf eine Reihe kleiner Höfe ausmündet.
+Man steigt eine sehr steile Treppe hinauf, wirft einen Blick in einen
+Tempelsaal hinein, wo die vergoldeten Götterbilder matt im Halbdunkel
+glänzen; man wird auf eine Terrasse hinausgeführt, ist von der
+herrlichen Aussicht hingerissen und meint, es sei ein Wunder, daß noch
+kein Bergrutsch von der hinter dem Tempel liegenden Felswand die ganze
+Tempelstadt in Trümmer gelegt hat, dann wird man wieder eine Treppe
+hinaufgeführt, durch neue Gänge und Winkel bis in die Unendlichkeit,
+bis einem der Kopf schwindelt. Man muß sich wie in einem Irrgarten oder
+einer verzauberten Höhle verlieren. Es war leichter, sich im Government
+House zu Kalkutta zurechtzufinden, obgleich es einige Zeit dauerte,
+bis ich dort Bescheid wußte. Hier in Hemis aber können sich nur Mönche
+auskennen.
+
+In dem ersten Saale, der mir gezeigt wurde und dessen Decke malerische
+Säulen trugen, thronte der Gott Dollma, mit großen, stechenden Augen.
+Vor dem Gotte, der 300 Jahre alt sein soll, standen auf Tischen ganze
+Batterien von Messingschalen mit Wasser, Reis, Gerste, Mehl, Fett und
+Butter. Von dem zweiten Saale machte ich in aller Hast eine Zeichnung,
+die hier wiedergegeben ist. Er soll der vornehmste in Hemis sein;
+zwei Lamas knieten vor Doggtsang Raspas vergoldetem, mit einem Mantel
+bekleideten Bilde (Abb. 324, 325). Rechts von ihm sitzt der Lama
+Jalsras, links Sandschas Schaggdscha Toba. Die Tempelsäle, sieben an
+der Zahl, heißen „Dengkang“ (mongolisch Doggung) und die Kammern, wo
+die Mönche ihre „Nom“ (heiligen Schriften) studieren, werden „Tsokkang“
+(mongolisch Sume) genannt.
+
+In einem gewaltigen, becherförmigen Messinggefäß, „Lotschott“, brennt
+in einer Vertiefung in gelbem Fett eine kleine Flamme, die ein Jahr
+lang nicht erlischt. Fahnenähnliche, religiöse Gemälde schmücken oft in
+mehreren Schichten die Wände, und von den Decken hängen „Tschutschepp“
+genannte Draperien; an den Säulen flattern lange, in drei Zungen
+auslaufende, als „Pann“ bezeichnete Bänder, und über den Götterbildern
+schweben sonnenschirmartige Thronhimmel. Trommeln, Glocken, Götter,
+Messingbecken und lange Blashörner gehören zur Ausstattung; man
+wandelt gleichsam in einem Museum umher, das man aus dieser im Gebirge
+versteckten Krypte entführen und mit nach Hause nehmen möchte. Die
+Büchergestelle biegen sich unter Bänden der „Nom“. In gleicher Weise
+sind die übrigen Säle mit Götterbildern und „Tschurden“ von Silber
+mit Rubinen, Türkisen und Gold bevölkert. Durch eine Falltür im
+Fußboden des einen Saales konnte man in das „Bakkang“, das Zeughaus
+oder die Rüstkammer, hinabsteigen, wo alle Gewänder, Masken, Hüte,
+Speere, Trommeln, Posaunen und Blashörner, die man zu den Anfang Juli
+stattfindenden Festtänzen brauchte, aufbewahrt wurden. Einige Lamas
+kleideten sich in ihre Festgewänder und standen mir freundlich Modell,
+während ich sie abzeichnete (Abb. 326, 328). Während des Sommerfestes
+wird das „Tabbtsang“ oder Küchenhaus benutzt, wo fünf kolossale und
+mehrere kleine Kessel in einen Herd eingemauert sind (Abb. 329).
+
+Es wimmelte während der Runde um uns her von rotgekleideten Lamas,
+aber der Prior zeigte uns alles selbst und benahm sich dabei mit
+imponierender Würde. Sodann führte er uns nach unseren Gastzimmern
+in einem kleinen, eleganten und behaglichen Pavillon unterhalb des
+Klosters. Abends besuchte ich ihn in seiner Zelle und wurde zu diesem
+Zweck von einigen dienenden Brüdern abgeholt. Bei dem Scheine der
+gelbroten Flammen der Fackeln glichen die engen Korridore und Grotten
+jetzt noch mehr Krypten und Höhlen in einem Berge.
+
+Der Greis erzählte, daß +Hemi-gompa+, wie er sein Kloster nannte,
+vor 300 Jahren von Doggtsang Raspa erbaut worden sei, einem Lama,
+der wie der Dalai-Lama durch alle Zeiten weiterlebe. Der jetzige
+Doggtsang Raspa sei 19 Jahre alt und lebe seit drei Jahren als Eremit
+ganz allein in einem kleinen „Gompa“ im Gebirge, nicht sehr hoch oben
+in der Talschlucht, wo die Gegend Gotsang heiße. Er müsse dort noch
+drei Jahre leben. Sechs Jahre lang dürfe er keinen Menschen sehen
+und sein Gefängnis überhaupt nicht verlassen. Er müsse die Zeit mit
+dem Studium der heiligen Schriften und mit Meditation zubringen. In
+der Nachbarschaft wohne ein dienender Lama, der ihm Nahrung bringe.
+Diese werde ihm täglich in eine runde Maueröffnung hineingeschoben,
+aber die Blicke der beiden Männer dürfen sich dabei nie begegnen, und
+sie dürfen nie miteinander reden; falls es sich um eine besonders
+wichtige Angelegenheit handle, dürfe ein beschriebener Zettel in die
+Maueröffnung gelegt werden. Wasser liefere eine kleine Quellader neben
+dem Tempel. Ich fragte, was er denn anfange, wenn er erkranke, und
+erhielt die Antwort, er sei so heilig, daß er überhaupt nicht krank
+werde, und überdies kenne er die Heilmittel für alle Krankheiten der
+Welt. Alle Doggtsang Raspa hätten sich dieser Läuterung unterzogen.
+Wenn die sechs Jahre zu Ende seien, komme der Doggtsang Raspa nach
+Hemis herunter, und wenn er sterbe, gehe sein Geist in einen neuen
+Doggtsang Raspa über. Es muß schauerlich sein, sechs lange Winter ganz
+allein in dem stillen Tale zu verleben.
+
+Dreihundert Lamas gehören zum Kloster; den Winter bringen die meisten
+in anderen Gompa und in Leh zu (Abb. 330, 331, 332, 333, 334). Das
+Kloster, welches reich ist und viel anbaufähiges Land besitzt, sorgt
+für ihren Unterhalt. Ein russischer Reisender, der vor einigen Jahren
+die Welt durch die behauptete „Entdeckung“ eines Manuskriptes über Jesu
+Leben, das er in Hemis gefunden haben wollte, in Erstaunen setzte,
+wurde schon damals so gründlich entlarvt, daß ich mich bei ihm nicht
+weiter aufzuhalten brauche.
+
+Als ich am folgenden Nachmittag den Tempel verließ, erhielt ich
+allerlei Proviant und ein Schaf, wofür ich unter keiner Bedingung
+bezahlen durfte. Der Prior begleitete uns zu Pferd bis an die
+Indusbrücke; in +Taggar+ vereinigten wir uns wieder mit den Unsrigen. --
+
+Die Rückreise durch Asien und Europa könnte Stoff zu noch einer
+Reisebeschreibung geben, aber ich muß jetzt den Bericht über meine
+Schicksale schließen; nur ein paar Episoden darf ich nicht übergehen.
+
+Nachdem wir durch das +Schejoktal+ (Abb. 335) auf Yaken den
++Kara-korum-Paß+ (5658 Meter) (Abb. 336, 337) erreicht hatten und auf
+Pferden weitergeritten waren, den +Sugett-dawan+ und den +Sandschupaß+
+überschritten hatten und, um uns auszuruhen, ein paar Tage in
++Kargalik+ und +Jarkent+ geblieben waren, langten wir am 14. Mai 1902
+endlich in +Kaschgar+ an.
+
+Der Frühling prangte in seiner ganzen Schönheit, als ich mit meinem
+alten Freunde Generalkonsul Petrowskij wieder in wohlbekannten
+Laubgängen wandelte, ihm von meinen Erfahrungen und Erinnerungen aus
+dem Herzen von Asien erzählte und ihm für die unschätzbaren Dienste
+dankte, die er mir während der vergangenen Jahre bei so vielen
+Gelegenheiten geleistet hatte. Auch Macartney und Pater Hendriks
+zeigten lebhaftes Interesse für meine Erfahrungen, und ich freute
+mich ebenso sehr, sie wieder zu sehen, wie die Bekanntschaft der
+neuangekommenen Missionare Andersson und Bäcklund zu machen, die
+sich der schwedischen Missionsstation ernstlich annahmen und Grund
+hatten, mit den Früchten ihrer mühevollen, menschenfreundlichen Arbeit
+zufrieden zu sein.
+
+Aber ich hatte keine Zeit, mich dort länger aufzuhalten, ich mußte
+ihnen bald die Hand zum Abschied drücken und westwärts über die Berge
+eilen. Kutschuk und Chodai Kullu kehrten wieder nach ihren Hütten am
+Lop zurück und erhielten reichen Lohn für ihre treugeleisteten Dienste.
+
+In +Osch+ verließ ich den alten redlichen Turdu Bai und empfahl ihn
+aufs wärmste an Oberst Saizeff, in dessen Hause ich wieder einmal eine
+freundliche Freistatt fand.
+
+Sehr schwer wurde es mir, von Malenki und Maltschik zu scheiden. Ich
+küßte sie auf die Schnauze und streichelte sie, die angebunden auf dem
+Hofe standen, als wir in +Andischan+ nach dem Bahnhofe fuhren. Sie
+sahen mir mit nachdenklichen, fragenden Blicken nach, als hätten sie
+verstanden, daß ich sie in diesem Augenblick für immer verließ.
+
+[Illustration: 332. Lesender Lama. (S. 367.)]
+
+[Illustration: 333. Ein Lama mit Gebettrommel. (S. 367.)]
+
+[Illustration: 334. Lama, Trommel und Becken schlagend. (S. 367.)]
+
+[Illustration: 335. im Schejoktal. (S. 368.)]
+
+[Illustration: 336. Mein Reityak auf dem Wege nach dem Kara-korum. (S.
+368.)]
+
+[Illustration: 337. Der Kitschik-kumdan-Paß in der Nähe des Kara-korum.
+(S. 368.)]
+
+In Tschernajewa nahm ich herzlichen Abschied von dem prächtigen
+Tschernoff, der sich über Taschkent nach Wernoje begab. Tscherdon
+und der Lama begleiteten mich über das Kaspische Meer. Der gute Lama
+staunte, als er sah, wie die Räder des großen Dampfers uns auf den See
+hinausbrachten. Beide sollten von Petrowsk nach Astrachan weiterfahren,
+wo der Lama sich für die Zukunft in einem Kalmückenkloster
+niederzulassen beabsichtigte. Petrowskij und ich hatten ihn dem
+Gouverneur aufs beste empfohlen. In Kara-schahr wagte er nicht mehr
+sich sehen zu lassen, und das Betreten des Gebietes von Lhasa war ihm
+vom Kamba Bombo für immer untersagt worden; deshalb wurde er russischer
+Untertan. Tscherdon fuhr mit der sibirischen Eisenbahn wieder nach
+seiner transbaikalischen Heimat.
+
+Ja, es war schmerzlich, von ihnen allen zu scheiden; hatte ich doch
+lange Jahre mit diesen Männern durchlebt! Ihre Tränen bewiesen, daß
+auch sie mit Bedauern und Zuneigung Abschied von mir nahmen. Von
+einigen von ihnen habe ich später Nachricht erhalten, und ich weiß
+zu meiner großen Freude, daß Schagdur wenigstens schon innerhalb
+der Grenzen Rußlands ist und sich bereits in Osch befindet. General
+Sacharoff in Petersburg hat bei mehreren Gelegenheiten die große
+Freundlichkeit gehabt, mich von den weiteren Schicksalen meiner lieben
+Kosaken in Kenntnis zu setzen. Kürzlich erhielt ich einen Brief von
+Oberst Saizeff, den ich nicht ohne Rührung las. Er enthielt eine
+Beschreibung davon, wie Schagdur über seine Eindrücke von der ganzen
+Reise, besonders aber unsern Ritt nach Lhasa und die Reise nach Indien
+berichtet hatte; es freute mich zu hören, daß er mir ein gutes,
+liebevolles Andenken bewahrte.
+
+Alle vier Kosaken wurden von König Oskar mit eigens geprägten
+Goldmedaillen ausgezeichnet, welche zu tragen der Zar ihnen
+erlaubte. Von ihrem eignen Kaiser wurden sie mit dem Ehrenzeichen
+des Sankt-Annenordens und je 250 Rubel bedacht. Auch Turdu Bai und
+Chalmet Aksakal erhielten vom König goldene und Faisullah eine silberne
+Medaille für treuen, redlichen Dienst. Bei einer Audienz in Peterhof
+freute sich Kaiser Nikolaus herzlich, als er hörte, wie zufrieden ich
+mit den Kosaken gewesen, deren Betragen vom ersten bis zum letzten
+Tage über jedes Lob erhaben gewesen war. An den Kriegsminister General
+Kuropatkin sandte ich darüber einen offiziellen Bericht.
+
+Ich werde nicht versuchen, die Gefühle zu schildern, die auf mich
+einstürmten, als ich am 27. Juni 1902 mit dem Dampfer v. Döbeln in die
+schwedischen Schären einfuhr. Wie manchesmal hatte ich Veranlassung
+gehabt, mich zu fragen, ob ich diese lieben, alten Felsenklippen, die
+wie Außenwerke um die Heiligtümer meiner Kindheitserinnerungen stehen,
+wohl je wiedersehen würde! Drei Jahre und drei Tage, mehr als 1001
+Nacht waren vergangen, seit ich von meinen Eltern und Geschwistern
+Abschied genommen hatte. Wie bitter war +jener+ Junitag gewesen gegen
+diesen, an dem ich sie alle gesund und über meine Heimkehr beglückt
+wiedersah. Sie erwarteten mich auf demselben Kai, auf dem wir einander
+Lebewohl gesagt hatten. Jetzt prangte ein neuer Sommer in seiner
+größten Schönheit, und die Fliederbüsche blühten gerade wie damals. Die
+langen Jahre, die inzwischen vergangen waren, erschienen mir wie ein
+Traum; es war mir, als sei ich nur ein paar Tage fortgewesen, alles war
+unverändert.
+
+Schon am folgenden Tage durfte ich dem König, der stets mit so warmem,
+erlauchtem Interesse, so großartiger Freigebigkeit und väterlicher Huld
+meine Pläne beschützt, ihre Ausführung gefördert und mich persönlich
+ausgezeichnet hatte, über das Ergebnis der jetzt beendeten Reise
+Bericht erstatten. Ein neuer Stein war dem Bau hinzugefügt worden, der,
+wie ich hoffe, noch lange nicht fertig ist.
+
+Doch das Beste von allem war, wieder zu Hause zu sein und das innerste
+Asien und Tibet, die meine Gedanken so lange beschäftigt hatten, für
+einige Zeit vergessen zu dürfen. Je größere Kreise man um die Erde
+zieht, desto heißer wird die Liebe zum Vaterland, besonders wenn
+dieses, wie das meine, so reich an Ehre und glorreichen Erinnerungen
+ist. Wenn alle gutgesinnten Bewohner des Reiches es verständen, auf
+den schon in der Wiege ihnen gewordenen Ehrentitel stolz zu sein,
+nämlich darauf, daß sie einer Nation angehören, deren Geschichte zu
+einem großen Teil eine Heldengeschichte ist, so würden keine äußeren
+Gefahren je unsere Freiheit bedrohen können. Unsere Kraft wächst,
+und unsere Lage ist jetzt unendlich viel besser, als sie es während
+mancher kritischen Augenblicke in vergangenen Zeiten war. Doch die
+Vaterlandsliebe ist unser hauptsächlichster Schutz. Sie muß im
+Elternhause und in der Schule eingeprägt, in den Kirchen gepredigt und
+in den Kasernen entflammt werden; sie muß das ganze Volk durchdringen,
+ihm Kraft und Eintracht schenken und jeden einsehen lehren, daß das
+Vaterland allen anderen irdischen Interessen vorgeht. Wenn alle an
+demselben großen Ziele arbeiten, wenn eigennützige Bestrebungen in den
+Hintergrund treten, dann können wir mit frohen Hoffnungen einer neuen
+Größezeit innerhalb unserer eigenen Grenzen entgegensehen.
+
+Wenn man, wie ich, in vielen Ländern gesehen und erfahren hat, wie
+andere Menschen leben müssen, muß man sich beglückwünschen, einem Volke
+anzugehören, dem ein so glückliches Los zugefallen ist wie dem unsrigen.
+
+Ohne eigne Vergleiche ist es jedoch vielleicht schwer, diese
+Überzeugung zu gewinnen. Glaubt daher meinen Worten, wenn ich mit
+diesen wenigen Zeilen meine Erfahrungen andeute!
+
+Und hiermit sage ich dem geduldigen Leser für diesmal Lebewohl!
+
+
+
+
+Register.
+
+
+ Abdall I, 242. 250. 257. 275. 278. 289. 322. 393; II, 4. 11. 17. 18.
+ 23. 73. 78. 79. 86. 95. 96.
+
+ Abdu Rehim I, 193. 201. 202. 207. 211. 212. 213. 214. 216. 217. 218.
+ 219. 221. 222. 223. 224. 225. 226. 229; II, 26. 28. 29. 32; Familie
+ I, 216. 217.
+
+ Addan-tso II, 300. 301. 302. 305.
+
+ Adler I, 51. 259. 348. 351; II, 252. 267. 282.
+
+ Adschi-tsonjak II, 339.
+
+ Agil (Hürde) I, 13.
+
+ Agra II, 356.
+
+ Ajag-argan I, 269.
+
+ Ajag-kum-köll I, 313. 383. 384. 385. 390.
+
+ Ajik-köll I, 299.
+
+ Äilämä I, 14.
+
+ Airilgan I, 192.
+
+ Akato-tag I, 294. 295. 298. 299. 303. 327. 382. 383. 390. 391. 394;
+ II, 5. 9.
+
+ Ak-bai I, 175.
+
+ Ak-baital I, 10.
+
+ Ak-gumbes I, 14.
+
+ Ak-ilek-lenger I, 185.
+
+ Ak-köll I, 272; II, 85.
+
+ Ak-kum I, 24. 51.
+
+ Ak-kumning-jugan-köll I, 105.
+
+ Aksakale (Konsularagenten) I, 31.
+
+ Aksak-maral I, 48;
+ Bek I, 43. 46. 48.
+
+ Ak-sattma I, 72.
+
+ Aksu I, 19. 31. 59. 76. 85. 125; II, 77. 92;
+ Amban I, 200.
+
+ Aksu-darja I, 47. 52. 74. 79. 83. 125.
+
+ Ak-tschokka-aituse I, 305.
+
+ Ala-aigir I, 44.
+
+ Alai I, 6. 13.
+
+ Alaital I, 10. 13.
+
+ Ala Kunglei Busrugvar I, 92.
+
+ Aldat I, 296-297. 305. 308. 309. 314. 318. 320. 330. 332. 338. 341.
+ 350. 351. 352. 353. 354. 355. 356. 357. 358. 361. 363. 378. 388; II,
+ 141. 273;
+ Begräbnis I, 364;
+ Bruder I, 296. 378;
+ Krankheit I, 354. 355. 356;
+ Tod I, 363;
+ Vater I, 364; II, 90.
+
+ Algen II, 281.
+
+ Ali Ahun I, 197. 300. 301. 379. 387; II, 1.
+
+ Al-kattik-tschekke I, 116.
+
+ Alkoholische Getränke II, 112.
+
+ Alla-sangpo II, 267. 288.
+
+ Altai II, 109.
+
+ Altimisch-bulak I, 194. 216. 221. 222. 224. 225. 226. 227. 229;
+ II, 4. 25. 26. 28. 32. 33. 52. 62. 330.
+
+ Altyn Ustun Tagh II, 56.
+
+ Amban (Distriktsvorsteher) I, 60.
+
+ Amber II, 360.
+
+ Amdo II, 205. 238. 328.
+
+ Amdo-motschu II, 200.
+
+ Amrik-wa II, 311.
+
+ Amu-darja, Fluß I, 6. 14.
+
+ -- Station I, 6.
+
+ ~Anabasis ammodendron~ II, 20.
+
+ Anambar II, 4. 9.
+
+ Anambaruin II, 3.
+
+ Anambaruin-gol II, 13. 14. 16. 19. 74. 78.
+
+ Anambaruin-ula II, 12. 15. 16. 17.
+
+ Anambar-ula II, 2. 3.
+
+ Andere I, 172. 179.
+
+ Andere-terem I, 172. 178.
+
+ Andersson II, 368.
+
+ Andischan I, 6. 7.
+
+ Andrée II, 148.
+
+ Anmar Dschu II, 343. 345. 346.
+
+ Anna Tsering II, 231. 232. 236. 237. 238.
+
+ Ansasch-kum I, 119.
+
+ ~Antilope Cuvieri~ II, 252.
+
+ Antilopen I, 41. 203. 321. 377; II, 21. 22. 23. 30. 129. 140. 141.
+ 153. 252. 304. 311.
+
+ Arabatschi (Kutscher) I, 13.
+
+ Aral I, 14. 38.
+
+ Araltschi I, 37. 38. 187.
+
+ Ara-tag I, 304. 305.
+
+ Arba (Wagen) I, 7.
+
+ Archari I, 203. 356; II, 14. 110. 252.
+
+ ~Arctomys bobac~ I, 14.
+
+ Arelisch I, 115. 129. 193.
+
+ Argan I, 31. 138. 192. 257. 274.
+
+ Argol (Yakdung) I, 393; II, 282.
+
+ Argussun I, 393.
+
+ Arka-köll I, 247.
+
+ Arka-tag I, 315. 317. 318. 319. 365. 367; II, 90. 119. 128. 129. 130.
+ 131. 132. 133. 135. 136. 138. 160. 168.
+
+ Artan (Wallach) II, 117.
+
+ Artillma I, 251.
+
+ Artscha (Wacholder) I, 10.
+
+ Aru-tso II, 327.
+
+ Asch (Reispudding) I, 100.
+
+ Aschabad I, 5.
+
+ ~Asclepias~, Faserpflanze I, 193.
+
+ Asmane, Fische I, 61.
+
+ Astin-joll I, 174;
+ II, 23. 26.
+
+ Astin-tag I, 144. 221. 293. 294. 295. 393; II, 3. 5. 8. 9. 10. 13.
+ 16. 18. 20. 21. 24. 91. 95. 105.
+
+ Astrachan II, 369.
+
+ Ataman Nikolajewska I, 199.
+
+ Atschal I, 105.
+
+ Atschik I, 212.
+
+ Atschik-köll I, 368.
+
+ Att-attgan I, 383.
+
+ Att-baschi II, 116.
+
+ Attikusch Padischah I, 136.
+
+ Att-pangsa I, 44.
+
+ Awraspaß I, 307.
+
+ Awullu-köll I, 219. 220. 249.
+
+ Awwat I, 55. 78. 81;
+ Bek I, 82.
+
+
+ Baba-köll I, 179.
+
+ Baba Tarim I, 269.
+
+ Bäcklund II, 368.
+
+ Bagrasch-köll I, 138. 264; II, 67.
+
+ Bag-tokai I, 379; II, 93. 95. 114.
+
+ Bajir I, 136. 140. 141. 149. 150. 151. 152. 153. 154. 156. 158. 159.
+ 160. 161. 162. 163. 164. 190. 227.
+
+ Bakkang II, 367.
+
+ Bal II, 334. 337.
+
+ Balalaika II, 248.
+
+ Balgun-Sträucher II, 322.
+
+ Balik-ölldi I, 91.
+
+ Baltal II, 354. 363.
+
+ Bantsching Bogdo II, 254.
+
+ Baramullah II, 355.
+
+ Bären I, 299. 359. 362. 387; II, 110. 126. 127. 154. 171. 242.
+
+ Barrakpore II, 358.
+
+ Basch-agis I, 189.
+
+ Basch-argan I, 191.
+
+ Basch-balgun I, 298.
+
+ Basch-joll I, 293.
+
+ Basch-köll I, 136. 139. 141. 142. 152.
+
+ Basch-kurgan I, 292. 293.
+
+ Basch-tograk I, 202.
+
+ Baß, Miß II, 349.
+
+ Beglik-köll I, 262-264.
+
+ Bel I, 14.
+
+ Belarum II, 360.
+
+ Bema II, 190.
+
+ Benares II, 356. 357.
+
+ Ben Nursu II, 218.
+
+ Bergkrankheit I, 13. 319. 388; II, 1. 111. 135. 148. 160. 261. 316.
+ 317. 318.
+
+ Bergschwalben II, 107.
+
+ Besch-köll I, 40.
+
+ Bifurkation von Lop-Seen I, 246.
+
+ Bikar-darja I, 40.
+
+ Bir-bulak I, 9.
+
+ Blauer See s. Tso-ngombo.
+
+ Boggtsang-sangpo II, 303. 304. 305. 306. 309.
+
+ Boghana-Strauch I, 299.
+
+ Bokalik, Goldgruben I, 295. 379. 382;
+ II, 98.
+
+ Boldschemal (Altwasser) I, 76.
+
+ Bolta I, 258.
+
+ Bomba II, 312.
+
+ Bombay II, 360.
+
+ Bombo II, 211. 218. 253. 262. 264. 265. 267. 268. 324. 325. 326.
+
+ Bondschin-tso II, 321.
+
+ Bonin I, 137. 144. 145. 292; II, 23.
+
+ Bontsa II, 215.
+
+ Bonvalot I, 34. 144. 320; II, 122. 193.
+
+ Bordoba I, 10.
+
+ Bor-teppe I, 10.
+
+ Bostan I, 95.
+
+ Bostan-tograk I, 178. 179.
+
+ Bosuga I, 12.
+
+ Bower II, 250. 304. 305. 326. 327. 330.
+
+ Boxeraufstand II, 80.
+
+ Brahmaputra II, 199.
+
+ Bremsen I, 261. 275. 277. 289. 299. 310. 319. 393;
+ s. a. Mückenplage.
+
+ Bücher, Land der heiligen II, 286. 330.
+
+ Buddha II, 43.
+
+ Budschentu-bulak I, 205.
+
+ Bughra, Kamelhengst I, 218. 224; II, 32. 117.
+
+ Buguluk I, 185.
+
+ Buja-köll I, 108.
+
+ Buka-schirik II, 152.
+
+ Bulak-baschi I, 310.
+
+ Bulung (Flußkrümmung) I, 43. 56.
+
+ Bulungir-nor II, 15. 16.
+
+ Bulut (Nebelwand) I, 138.
+
+ Bungalow II, 352.
+
+ Burchane II, 234. 279. 286; Land der II, 286.
+
+ Burjaten II, 66. 99. 183. 202. 219.
+
+
+ Carey I, 34.
+
+ Chade-dung I, 102.
+
+ Chalchamongole II, 51. 202.
+
+ Chalil Bai I, 96.
+
+ Chalmet Aksakal I, 124. 132. 252. 255. 260; II, 91. 96. 97. 98. 99.
+ 104. 105. 369.
+
+ Chami II, 24. 207.
+
+ Chan-ambal II, 3. 17.
+
+ Chan-arik I, 22. 23.
+
+ Chan Dao Tai I, 20.
+
+ Chaneka I, 78. 205.
+
+ Chan-tengri I, 96.
+
+ Chara-nur II, 205.
+
+ Chem-to-na II, 56.
+
+ Chia Yu Kuan II, 56.
+
+ China I, 14. 15. 285; II, 226.
+
+ Chinesen I, 20. 106. 129. 137; II, 11. 12. 23. 24. 51. 69. 90. 286.
+ 287;
+ Beamte I, 260;
+ Karten I, 226.
+
+ Chodai Kullu I, 301; II, 2. 4. 10. 33. 34. 62. 64. 66. 71. 72. 73.
+ 74. 75. 76. 78. 79. 80. 82. 83. 103. 146. 189. 190. 194. 203. 208.
+ 220. 245. 247. 268. 271. 292. 309. 339. 345. 351. 368.
+
+ Chodai Värdi I, 146. 154. 296. 301. 378. 382. 392; II, 2. 35. 62. 63.
+ 64. 65.
+
+ Chorem I, 55.
+
+ Chotan I, 85. 172. 188. 287.
+
+ Chotan-darja I, 79. 124. 150. 156; II, 51;
+ Mündung I, 85.
+
+ Curzon, Lord II, 93. 349. 358. 359.
+
+
+ Daddap-tso II, 322.
+
+ Daggtse-tso II, 303. 304. 307.
+
+ Dak-bungalow II, 348.
+
+ Dakksche II, 237.
+
+ Da-kuren II, 217.
+
+ Dalai-Lama I, 394. 395; II, 93, 109, 203. 217. 218. 219. 225. 226.
+ 227. 237. 254. 268. 276. 279. 286. 290. 302. 309. 324. 325. 344. 367.
+
+ Dalgleish I, 34.
+
+ Dao Tai I, 25. 31.
+
+ Daschi-köll I, 124. 129.
+
+ Dastarchan (Imbiß) I, 8. 23.
+
+ Dawagan (Murmeltier) I, 302. 361. 362.
+
+ Dawan I, 204. 293.
+
+ Dawato II, 16.
+
+ Dawo Tsering II, 321. 323.
+
+ Deasy II, 326.
+
+ Dehli II, 356. 360.
+
+ Demawend II, 149.
+
+ Dengkang II, 366.
+
+ Dewaschung II, 261. 274. 275. 277. 303. 324.
+
+ Diabas I, 212.
+
+ Digo II, 235.
+
+ Dillgi I, 250.
+
+ Dillpar I, 201. 202.
+
+ Diorit I, 204. 317.
+
+ Doggtsang Raspa II, 366. 367.
+
+ Doggung II, 366.
+
+ Dollma II, 366.
+
+ Domba II, 205.
+
+ Dowlet I, 9. 12. 43. 71. 97. 146. 172.
+ -- Karawan-baschi II, 90. 95. 114. 120. 125. 128.
+
+ Dras II, 354.
+
+ Dromedar II, 3. 158.
+
+ Drugub II, 346.
+
+ Dschaggataitürkisch II, 109.
+
+ Dschaipur II, 360.
+
+ Dschallokk II, 215. 218. 219. 221. 222. 225. 247.
+
+ Dschan Daloi, Amban von Tscharchlik I, 250. 284. 285. 286; II, 87. 90;
+ Sohn II, 90.
+
+ Dschandin-tso II, 311.
+
+ Dschangdang II, 237.
+
+ Dschan-kuli I, 144, 197.
+
+ Dschansung II, 253.
+
+ Dschigiten I, 9. 11. 20. 97; II, 18.
+
+ Dschimre II, 247.
+
+ Dscho II, 165.
+
+ Dscho-mitsing II, 275.
+
+ Dschong-duntsa II, 16.
+
+ Dschowa II, 346.
+
+ Dschurchak I, 300.
+
+ Dua, Gebet, I, 364.
+
+ Duga-dschaji-masar I, 74.
+
+ Dundu-namuk I, 299.
+
+ Dünen I, 108. 109. 115. 116. 121. 127. 140. 159. 167. 258. 322.
+
+ Dunganen II, 12. 287; Aufruhr II, 11.
+
+ Dung-chan I, 137. 206. 230; II, 16.
+
+ Dung-kotan I, 103.
+
+ Dunglik I, 289.
+
+ Dural I, 76. 193. 260; II, 51;
+ Amban I, 193.
+
+ Dutar, Gitarre I, 30.
+
+ Dutreuil de Rhins I, 144; II, 122. 223.
+
+
+ Eiszeit II, 302.
+
+ ~Elaeagnus hortensis~ I, 190. 211. 257. 258.
+
+ ~Elaecocca vernicia~ II, 60.
+
+ Elefanten II, 357.
+
+ Endlicher II, 53.
+
+ Enten I, 65. 140. 197. 207. 313. 373; II, 67. 70. 79. 327.
+
+ Erenak-tschimmo II, 306.
+
+ Esel II, 90. 95. 125. 128. 129;
+ wilde s. Kulan.
+
+ Eski-darja I, 37. 40.
+
+ Ettek-tarim I, 138. 186. 188. 190. 191. 192; II, 104.
+
+
+ Fa-Heen II, 56. 60.
+
+ Fähre I, 26. 27. 28-30. 31. 32. 252. 253. 274. 275;
+ auf Grund gestoßen I, 38;
+ Besatzung I, 32;
+ Fährleute I, 31. 32. 132.
+
+ Faisullah I, 19. 23. 47. 129. 132. 139. 146. 154. 195. 196. 201. 202.
+ 217. 229. 235. 240. 241. 243. 246. 249. 250. 299. 301. 379; II, 2. 3.
+ 19. 30. 37. 38. 41. 62. 63. 64. 65. 74. 76. 79. 81. 82. 85. 86. 92.
+
+ Falken II, 70. 153.
+
+ Falkenjagd I, 132.
+
+ Fasanen I, 41. 42. 120. 197.
+
+ Fauna, am Jaggju-rappga II, 267;
+ am Jarkent-darja I, 41. 51;
+ am Kara-koschun I, 238;
+ im Kurruk-tag I, 203;
+ in Nordtibet I, 348; II, 110. 126;
+ am Tarim I, 259;
+ in Tattlik-bulak I, 292.
+
+ Feldmäuse I, 164. 348. 359; II, 204.
+
+ Felstauben II, 267.
+
+ Fenn, Oberst II, 360.
+
+ Fereng II. 208.
+
+ Ferganaberge I, 14.
+
+ Ferganatal I, 6.
+
+ Fettmagen II, 263.
+
+ Fische I, 61. 128. 142. 240. 269; II, 23. 159. 305. 306. 334. 338.
+
+ Fischfang I, 61. 93. 106. 112. 116. 259; II, 265. 266. 330. 333.
+
+ Flüchtlinge, russische I, 184.
+
+ Fotu-la II, 353.
+
+ Frühlingsflut I, 187.
+
+ Füchse I, 41. 85. 165. 238. 313.
+
+ Fuchsfallen II, 12.
+
+ Fu Tai I, 106.
+
+
+ Gabet II, 286.
+
+ Gädschis I, 96.
+
+ Ganges II, 352. 357.
+
+ Gartschu-sängi II, 188. 192. 233. 240.
+
+ Gasanglik I, 37.
+
+ Gaschun-gol II, 17.
+
+ Gas-nor (See) I, 298. 299; II, 2. 4.
+
+ Gavo (Amulettfutteral) II, 166. 215. 226. 233. 234.
+
+ Gebetmühlen II, 233.
+
+ Geier I, 94.
+
+ Geld, chinesisches I, 18.
+
+ Gemmen II, 53.
+
+ Geröllterrassen II, 330. 333.
+
+ Gestein I, 13. 204. 212. 291. 292. 299. 315. 317. 320. 325. 330. 354.
+ 360. 366. 370. 373. 383. 384. 390. 391; II, 21. 24. 105. 106. 107.
+ 108. 111. 138. 139. 171. 172. 184. 241. 242. 257. 258. 280. 298. 306.
+ 337. 341. 347.
+
+ Getreidearten II, 48. 49.
+
+ Ghas I, 393.
+
+ Gletscher I, 320. 322. 330. 332. 333; II, 158. 159. 160. 250.
+
+ Gobi, Wüste I, 386; II, 4. 22.
+
+ Goldfeld I, 370. 371; II, 325.
+
+ Goldgräber I, 295. 301. 315. 370. 371. 382. 388; II, 98.
+
+ Göllme-ketti I, 255.
+
+ Gom-dschima II, 188. 192.
+
+ Gompa II, 367.
+
+ Gong-gakk II, 237.
+
+ Gopur-alik I, 391.
+
+ Gotsang II, 367.
+
+ Gräber I, 183. 184.
+
+ Granit I, 291. 299. 302. 315. 370. 383. 384. 390. 391; II, 21. 24.
+ 105. 106. 107. 306. 347.
+
+ Gras, in Tibet II, 129.
+
+ Grombtschewskij I, 13.
+
+ Gulang Hiraman II, 344.
+
+ Gultscha I, 10.
+
+ Gultscha-darja I, 10.
+
+ Gumbes (Grabmal) I, 59. 70. 183. 205.
+
+ Guristan (Begräbnisplatz) I, 59. 205.
+
+
+ Haddik II, 221.
+
+ Hamdung II, 275.
+
+ Hamra, Hund I, 82. 83. 85; II, 314.
+
+ Hamra Kul II, 116. 120. 121. 134. 135. 139. 153. 156. 164. 168. 178.
+ 248. 307. 308. 309. 316. 319. 321. 350.
+
+ Han-Dynastie II, 55.
+
+ Haramuk-lurumak II, 188.
+
+ Hascheklik II, 108.
+
+ Hasen I, 41. 203. 238. 308. 348; II, 30. 152. 153. 171. 192. 244.
+ 247. 252. 304.
+
+ Hasrett Ali Masar I, 59.
+
+ Hasrett Ali Masar-Gebirge s. Masar-tag.
+
+ Hässemet-tokai I, 94.
+
+ Hedin, auf dem Addan-tso II, 300. 301;
+ auf dem Ajag-kum-köll I, 384-388;
+ Reise nach Andere I, 172. 174-180;
+ in Altimisch-bulak I, 225; II. 30;
+ Aufzeichnungen I, 87;
+ Ausrüstung I, 1-4. 19. 139. 147; II, 166. 167;
+ auf dem Beglik-köll I, 262-264;
+ Bergkrankheit I, 388;
+ Besuch Bonins I, 144. 145;
+ Briefe an I, 283-285;
+ Fähre I, 26. 27. 29. 30. 31. 37. 40. 249. 253,
+ Ende I, 110. 275,
+ auf Grund I, 48. 49,
+ im Wasserfall I, 46,
+ neue Fähre I, 274,
+ Leben auf der Fähre I, 33. 34. 35. 38. 50. 72-73. 98. 99. 100.
+ 120. 259. 266. 267. 270. 275. 276;
+ Fährleute I, 47. 132;
+ Antritt der Flußreise I, 31;
+ Verhandlungen I, 26;
+ Geschwindigkeitsmessung I, 31;
+ Reise durch die Wüste Gobi II, 2. 18 fg.;
+ Hauptquartier I, 195. 300. 378-380. 382. 394; II, 165. 166. 167.
+ 168. 169. 171. 178. 244. 245;
+ in Hemis II, 365-368;
+ Heimkehr II, 364-370;
+ Jagd II, 140;
+ am Jaggju-rappga II, 264-267;
+ in Indien II, 348-361;
+ Instrumente I, 1. 2; II, 167;
+ Jurte II, 94. 115. 121;
+ Besuch des Kamba Bombo II, 224. 228. 229. 230. 231;
+ Karawane I, 8. 9. 10. 18. 31. 124. 127. 130. 132. 139. 146. 196.
+ 250. 254. 287. 292. 293. 294. 299. 301. 314; II, 105. 114. 115.
+ 117. 118. 119. 145. 146. 147. 166. 259. 260. 285. 309. 310. 318.
+ 321. 325. 326. 331. 332. 343. 350. 351. 363,
+ Abschied II, 346,
+ Auflösung II, 350. 351. 368. 369,
+ Entsatzkarawane II, 343. 344;
+ Reise nach Kaschgar I, 9-17. 18-20;
+ Abreise I, 20-22;
+ Rückkehr II, 368;
+ Übergang über den Kisil-su I, 15-17;
+ Kranke in der Karawane II, 317;
+ Fahrt auf dem Kum-köll I, 312;
+ Reise in den Kurruk-tag I, 201;
+ Kosaken I, 19. 20. 198; II, 77. 115;
+ Abschied I, 286. 287;
+ in Ladak II, 343;
+ Lager I, 43. 155. 162. 356. 357. 389; II, 120-122. 142. 171. 172.
+ 178. 179. 180. 181. 182. 183. 185. 189. 196. 197. 201. 202. 203.
+ 243. 247. 248. 251. 252. 293. 322. 323. 326;
+ Nr. 24 I, 323;
+ Nr. 25 I, 325;
+ Nr. 30 I, 332;
+ Nr. 36 I, 344;
+ Nr. 42 I, 348;
+ Nr. 43 I, 351;
+ Nr. 44 I, 352;
+ Nr. 48 I, 355;
+ Nr. 54 I, 361;
+ Nr. 55 I, 361;
+ Nr. 61 I, 366; II, 136;
+ Nr. 65 I, 368;
+ Nr. 131 II, 17;
+ Nr. 138 II, 22;
+ Nr. 170 II, 80;
+ Nr. 12 II, 119;
+ Nr. 18 II, 128;
+ Nr. 19 II, 130;
+ Nr. 24 (alte Nr. 61) II, 136;
+ Nr. 25 II, 137;
+ Nr. 28 II, 139;
+ Nr. 30 II, 142;
+ Nr. 33 II, 145. 146. 147;
+ Nr. 38 II, 153. 156. 176. 208;
+ Nr. 43 II, 164;
+ Nr. 44 II, 166. 167. 169. 171. 172. 174. 176. 240. 245. 246. 249;
+ Nr. 47 II, 240;
+ Nr. 48 II, 240;
+ Nr. 50 II, 196;
+ Nr. 53 II, 206;
+ Nr. 51 II, 235;
+ Nr. 67 II, 250;
+ Nr. 68 II, 251;
+ Nr. 75 II, 262;
+ Nr. 84 II, 289;
+ Nr. 95 II, 306;
+ Nr. 98 II, 309;
+ Nr. 100 II, 311;
+ Nr. 103 II, 312;
+ Nr. 112 II, 320;
+ Nr. 116 II, 322;
+ Nr. 118 II, 324;
+ Nr. 130 II, 329;
+ Nr. 141 II, 336;
+ Nr. 144 II, 340;
+ in Leh II, 348. 363;
+ Aufbruch nach Lhasa II, 166;
+ Gesandte aus Lhasa II, 273. 274. 275. 277;
+ Plan der Reise nach Lhasa II, 10. 108. 109. 154. 162. 165. 169. 173.
+ 178. 183. 184. 246. 247;
+ Rückkehr von der Reise nach Lhasa II, 231-247;
+ Abschied vom Lop-nor II, 86;
+ bei Lord Curzon II, 357. 358;
+ Ausgrabungen in Lou-lan II, 37-50;
+ in Mandarlik I, 378;
+ Mannschaft I, 7. 8. 19. 23. 32. 201. 202. 296-298. 301. 351. 382;
+ II, 1. 2. 88. 95. 99. 102. 103. 116. 120. 128. 129. 307;
+ Medizinkiste II, 139;
+ Munition II, 140;
+ auf dem Nakktsong-tso II, 280-285;
+ Neujahr I, 162. 163; II, 12;
+ Nivellement II, 33. 63-76; Post I, 20. 76. 97. 173. 267. 378. 381;
+ II, 1. 18. 88. 92. 93. 348. 349;
+ Proviant I, 19; II, 89. 90. 166. 317;
+ Reisekasse I, 5. 18. 19. 381. 382; II, 93. 97. 349;
+ Reiseplan I, 19. 33. 34. 136. 137. 226. 232. 236. 252. 382. 393.
+ 395. 396; II, 3. 4. 88. 93;
+ als Richter I, 260;
+ beim Gouverneur von Rudok II, 324-326;
+ Fahrt durch Rußland I, 5;
+ Sammlungen II, 91. 92. 93. 350;
+ Abschied von Schagdur II, 364;
+ Unterhandlung mit Schereb Lama II, 108. 109. 110;
+ Übergang über den Satschu-sangpo II, 192-196. 236. 256-259;
+ Übergang über den Sodschi-la II, 353. 354. 362-364;
+ Karte des Tarim I, 34. 52. 56. 57. 104;
+ Reise an den Tarim I, 20-24;
+ letzte Fahrt auf dem Tarim I, 275;
+ in Temirlik I, 295. 381; II, 1;
+ Abschied von dem tibetischen Gouverneur II, 302. 303;
+ Abschied von den tibetischen Offizieren II, 312;
+ Abschied von Tibet II, 344;
+ Begegnung mit den ersten Menschen in Tibet I, 373. 374; II, 199;
+ die ersten Tibeter II, 154;
+ Gefangener der Tibeter II, 210-217. 228;
+ in kritischer Lage in Tibet II, 197;
+ in Verhandlungen mit Tibetern II. 257. 260. 261. 262. 264. 265;
+ Überfall II, 174. 175. 176;
+ Umkehr in Tibet II, 206. 207. 208;
+ in Tscharchlik II, 86;
+ Aufbruch von Tscharchlik II, 104;
+ auf dem Tschargut-tso II, 292-300;
+ Reise in den Tschimen-tag und Akato-tag I, 394;
+ Wanderung über den Tschokka-tag I, 66-69;
+ Fahrt durch Transkaspien I, 5-7;
+ Übergang über den Tso-ngombo II, 336. 337. 338. 339;
+ in Tura-sallgan-ui I, 135. 136. 251;
+ Verkleidung II, 88. 96. 142. 155. 156. 166. 167. 170. 173. 174. 179.
+ 201. 202;
+ Waffen II, 166;
+ Weihnachten I, 155; II, 10. 349. 350;
+ Werft I, 27-29;
+ Winterquartier I, 131. 133. 137. 143. 146;
+ Aufgabe des Winterquartiers I, 252. 255;
+ Reise durch die Tschertschenwüste I, 136. 143-170.
+
+ Heiliger Rat II, 261. 274.
+
+ Hemi-gompa II, 367.
+
+ Hemis II, 287. 365;
+ Geschichte II, 367;
+ Prior II, 365. 367;
+ Tempel II, 365.
+
+ Hendriks, Pater I, 20; II, 368.
+
+ Hettasch II, 349. 364.
+
+ Heun-nu II, 57.
+
+ Himalaja II, 321. 352.
+
+ Himly, Karl II, 47. 51-54.
+
+ Hindi II, 238.
+
+ Hirsche I, 41. 57;
+ zahmer II, 87. 95. 115. 118.
+
+ Hladsche Tsering II, 277. 278. 285. 287. 289. 290. 302. 303.
+
+ Högberg, Missionar I, 20.
+
+ Hsian-Tsang II, 56. 61.
+
+ Hüan-Tschuang II, 51.
+
+ Huc II, 286.
+
+ Hummeln I, 319.
+
+ Hunde I, 9. 11. 12. 43. 51. 82. 85. 94. 97. 133. 196. 254. 255. 260.
+ 269. 276. 287. 290. 291. 298. 300. 301. 304. 316; II, 2. 87. 96.
+ 118. 140. 146. 159. 170.
+
+ Hung-lugu I, 291.
+
+ Hunnen II, 57. 58. 59.
+
+ Huo-thsüan-Münzen II, 48. 53.
+
+ Hyderabad II, 360.
+
+
+ Jaggju-rappga II, 265. 266. 267. 287. 288. 289. 305.
+
+ Jakub Bek I, 162. 188. 249. 272.
+
+ Jallgus-jiggde I. 54.
+
+ Jaman-dawan II, 107.
+
+ Ja-ma-tschan II, 11.
+
+ Jamba I, 18. 19.
+
+ Jamdok-tso II, 284.
+
+ Jamdu-Tsering II, 303. 306. 309. 310. 311. 312. 313.
+
+ Jam-garawo II, 329.
+
+ Jangi-darja I, 45. 46. 92. 93. 108.
+
+ Jangi-jer I, 340.
+
+ Jangi-köll I, 127. 130. 134. 139. 140. 141. 142. 143. 146. 152. 173.
+ 193. 240. 250. 252. 257; II, 33. 99;
+ Bek I, 134.
+
+ Jangi-köll-ui I, 136.
+
+ Jang-tse-kiang, Quellen I, 347.
+
+ Jantak-kuduk I, 175. 179.
+
+ Japaner II, 287.
+
+ Jappkak I, 317. 332. 336. 375. 385; II, 11. 112. 120. 294. 329.
+
+ Jappkaklik-sai I, 303.
+
+ Japptschan II, 101.
+
+ Jar (Uferterrasse) I, 38.
+
+ Jardang, Lehmterrassen I, 210. 220. 221. 227. 230; II, 27. 67.
+
+ Jardang-bulak I, 212. 213. 216.
+
+ Jarkendi-Sprache II, 354.
+
+ Jarkent I, 34. 38. 125. 287; II, 350. 364. 368.
+
+ Jarkent-darja I, 15. 19. 24. 27. 45. 51. 63. 66. 87. 119. 124;
+ Abdämmen I, 60;
+ Boden des Ufers I, 66;
+ Krümmungen I, 54. 56. 74. 75. 76;
+ Stromschnellen I, 48;
+ Ufervegetation I, 52. 53. 54. 57;
+ Wasserstand I, 29;
+ Zusammenfluß mit Aksu-darja I, 83;
+ s. a. Tarim.
+
+ Jarkent-darjaning-kuilüschi I, 84.
+
+ Jarwo Tsering II, 312.
+
+ Jas-kitschik I, 16.
+
+ Idrisi II, 49.
+
+ Jegintal I, 15.
+
+ Jeilau (Weideplatz) I, 11.
+
+ Jekkenlik I, 262. 266.
+
+ Jekkenlik-köll I, 78. 262. 265. 266.
+
+ Jekken-öi I, 245. 246.
+
+ Jelumtal II, 355.
+
+ Jer-baghri, Pflanze I, 329.
+
+ Jesuitenmissionare II, 286.
+
+ Jettumal II, 348. 351. 352.
+
+ Igel I, 239.
+
+ Jiggde s. Elaeagnus.
+
+ Jiggdelik I, 75.
+
+ Jiggdelik-agil I, 188.
+
+ Jiggdelik-tokai II, 105.
+
+ Jilga (Erosionstal) I, 68.
+
+ Jim-tso II, 322.
+
+ Jing-pen I, 138. 201. 202. 205. 206. 207. 211. 216; II, 49;
+ Ruinen I, 205. 206.
+
+ Ila I, 310.
+
+ Ile II, 9. 252.
+
+ Ilek I, 123. 138. 247. 248. 249.
+
+ Ile-su I, 10.
+
+ Illwe-tschimen I, 294. 374. 391. 392.
+
+ Impfung I, 129.
+
+ Indien II, 238.
+
+ Indischer Ozean II, 346.
+
+ Indus II, 343. 346. 347. 348. 352. 353. 365. 368.
+
+ Initschke I, 94.
+
+ Intschikke-darja I, 98.
+
+ Joint Commissioner II, 334. 361.
+
+ Joll-arelisch I, 286.
+
+ Jollbars I, 103. 134. 254; II, 87. 121. 153. 170. 180. 181. 185. 187.
+ 199. 204. 232. 252.
+
+ Joll-begi, Weginspektor I, 81. 85. 90. 93.
+
+ Jolldasch I, 9. 12. 43. 71. 83. 94. 134. 146. 172. 180. 209. 243. 248.
+ 254. 290. 301. 304. 316. 318. 319. 331. 345. 348. 354. 356. 362. 369;
+ II, 2. 28. 30. 87. 95. 121. 139. 140. 151. 245. 252. 340. 344. 345.
+
+ Irkeschtam I, 14. 15.
+
+ Islam Bai, Karawan-baschi I, 7. 8. 9. 16. 19. 23. 25. 26. 32. 42. 44.
+ 50. 64. 66. 69. 96. 98. 127. 132. 143. 146. 147. 150. 155. 157. 160.
+ 161. 163. 164. 168. 172. 194. 198. 251. 254. 299. 301. 374. 375. 377.
+ 378. 381. 382. 384. 389. 390; II, 1. 18. 91. 92. 95. 97. 98. 99. 100.
+ 101. 102. 103;
+ Verurteilung II, 103.
+
+ Jugan-balik I, 63.
+
+ Jugan-balik-köll I, 62.
+
+ Julgun I, 211.
+
+ Julgun-dung II, 5. 9.
+
+ Julgunluk-köll I, 190.
+
+ Jumalak-darja I, 105. 108.
+
+ Junduk Tsering II, 277. 279. 289. 302. 303.
+
+ Junus Bek I, 107.
+
+ Jupoga I, 23.
+
+ Jure II, 252.
+
+ Jurte I, 9.
+
+
+ Kade (Treibeis) I, 117. 119. 121.
+
+ Kader I, 19. 23. 32. 78.
+
+ Kader Ahun, Dschigit I, 9. 11. 16.
+
+ Kadike I, 249.
+
+ Kagas-kemi I, 118.
+
+ Kähne I, 96. 98.
+
+ Kajir I, 304.
+
+ Kaiser von Rußland I, 2. 4. 199; II, 77. 92. 93. 279. 369.
+
+ Kakir I, 295.
+
+ Kakkmar I, 258.
+
+ Kakte I, 107.
+
+ Kalatschi II, 353.
+
+ Kalla-köll I, 294.
+
+ Källälik I, 102.
+
+ Kallaste I, 174. 184.
+
+ Kalkstein II, 280.
+
+ Kalkutta II, 349. 357.
+
+ Kalmak-jilgasi I, 36. 37.
+
+ Kalmak-kum I, 79.
+
+ Kalmak-ottogo I, 250.
+
+ Kalmücken II, 51.
+
+ Kalpet II, 251. 258. 261. 263. 267. 268. 269. 287. 290. 332; Tod II,
+ 269. 270;
+ Begräbnis II, 271-273.
+
+ Kalpetbucht II, 281.
+
+ Kalta I, 17.
+
+ Kalta-alagan I, 305. 306. 308. 312. 314. 381. 383. 390; II, 112. 113.
+ 120.
+
+ Kama I, 138.
+
+ Kamba Bombo II, 211. 215. 217. 218. 219. 220. 221. 222. 223. 224. 225.
+ 227. 228. 233. 234. 237. 238. 254. 274. 275. 276. 277. 290. 308. 331.
+ 369;
+ Besuch bei Hedin II, 224-227. 229-231.
+
+ Kamele, wilde, I, 92. 119. 138. 152. 212. 213. 214-216. 217-219. 220.
+ 222. 223. 224. 292. 293; II, 10. 11. 17. 20. 21. 22. 23. 25. 27. 30.
+ 31. 32. 34. 35. 81.
+
+ Kamele, zahme I, 12. 19. 22. 23. 31. 137. 148. 149. 150. 153. 156.
+ 157. 158. 160. 166. 171. 189. 194. 195. 196. 213. 254. 276. 277. 286.
+ 287. 300. 316. 317. 318. 319. 323. 324. 327. 329. 331. 334. 335. 340.
+ 357. 359. 366. 369. 370. 372. 392. 393; II, 3. 15. 18. 28. 29. 31.
+ 65. 89. 93. 94. 115. 117. 118. 119. 124. 125. 130. 132. 133. 134.
+ 136. 141. 142. 150;
+ Fleisch I, 225;
+ Lasten I, 20;
+ Mäntel II, 115;
+ Ortssinn I, 224;
+ die letzten überlebenden II, 130. 350. 364.
+
+ Kamisch (Schilf) I, 53.
+
+ Kamschuk-tüschken-tograk I, 268.
+
+ Kanat-baglagan-köll I, 240.
+
+ Kandschugan I, 17.
+
+ Kaper II, 287.
+
+ Kappgan (Tigerfalle) I, 103.
+
+ Kapurtala II, 360.
+
+ Kara-buran I, 189. 190. 192. 199. 210. 221. 275.
+
+ -- (schwarzer Sturm) I, 262; II, 67-69.
+
+ Kara-daschi I, 95. 96.
+
+ Kara-dawan II, 9. 11.
+
+ Karakesch (Pferdewärter) I, 9.
+
+ Kara-köll I, 138. 248. 249; II, 43. 205.
+
+ Kara-korum-Gebirge II, 350. 368.
+
+ Kara-korum-Paß II, 363.
+
+ Kara-koschun I, 138. 207. 210. 213. 215. 221. 226. 230. 231. 233. 235.
+ 238. 240. 241. 242. 247. 248. 259. 275. 278. 334. 386; II, 2. 18. 42.
+ 52. 62. 64. 67. 69. 70. 71. 73. 75. 76. 78. 80. 83. 84.
+
+ Kara-kul I, 10. 306.
+
+ Kara-kum I, 24; II, 12.
+
+ Kara-muran I, 164. 175. 176.
+
+ Kara-schahr I, 260. 392; II, 88. 95. 96. 104. 110. 207. 276. 278. 369;
+ Amban I, 137.
+
+ Kara-tograk I, 88.
+
+ Kara-tschokka II, 95.
+
+ Kara-tschumak I, 106.
+
+ Karaul I, 34. 44. 107. 125. 126. 127.
+
+ Karaul-dung I, 48.
+
+ Karaultschi (Dorfwächter) I, 216.
+
+ Kargalik II, 368.
+
+ Kargil II, 353. 362. 363.
+
+ Kar-jaggdi II, 111.
+
+ Kar-jakkak I, 302.
+
+ Kartarpur II, 360.
+
+ Karten von Tibet II, 304. 305.
+
+ Karunalik-köll I, 257. 258.
+
+ Kasch (Uferterrasse) I, 38.
+
+ Kaschgar I, 17-20. 38. 97. 287. 367; II, 56. 92. 95. 169. 287. 308.
+ 349. 363. 364. 368;
+ Missionsstation II, 368.
+
+ Kaschgar-darja I, 87.
+
+ Kaschmir II, 334. 343. 344. 349. 354. 355. 361;
+ englischer Resident II, 348;
+ Maharadscha II, 343. 348.
+
+ Kasgak II, 12.
+
+ Kasim, Fährmann I, 36. 47.
+
+ Katta-sarik-tasch I, 13.
+
+ Kattik-arik I, 262.
+
+ Kemitschi (Fährleute) I, 25. 38.
+
+ Keng-laika I, 171. 181. 185. 187.
+
+ Keppek-ui I, 261.
+
+ Kerija I, 370; II, 117.
+
+ Kerija-darja I, 159. 214; II, 29.
+
+ Ketmen (Spaten) I, 185.
+
+ Ketschik I, 107.
+
+ Ketteler, von II, 226.
+
+ Kettme I, 174.
+
+ Keu-tse II, 56.
+
+ Kharoshthi-Zeichen II, 54.
+
+ Kigis (Filzmatten) I, 37.
+
+ Kijik-tele-tschöll I, 56.
+
+ Kinder, Verkauf II, 323.
+
+ Kirgisen I, 9. 11.
+
+ Kirgui Pavan I, 193. 213. 249. 260. 262. 263. 264. 267. 270. 273. 274.
+
+ Kisil-art I, 10.
+
+ Kisil-beles I, 12.
+
+ Kisil-kurgan I, 10.
+
+ Kisil-su I, 13. 14. 15. 20. 87. 125;
+ Übergang I, 15-17.
+
+ Kitschik-darja I, 39.
+
+ Kodai-darja I, 59. 76.
+
+ Kok-ala I, 193. 246.
+
+ Kökkmek II, 252.
+
+ Kökkön (Bremsen) I, 261.
+
+ Koko-schili I, 323.
+
+ Kok-su I, 14.
+
+ Köll I, 37. 40. 55. 76.
+
+ -- See in Tibet I, 295.
+
+ Kömul (Treibeis) I, 116. 118.
+
+ Kömur-salldi-joll I, 202. 229.
+
+ Kona Abdall II, 85.
+
+ Kona-darja I, 40. 45. 46. 49. 50. 91. 93. 182.
+
+ Kona-schahr I, 178. 185. 205.
+
+ König-Oskar-Gebirge I, 359.
+
+ Kontsche-darja I, 140. 192. 201. 202. 203; II, 49.
+
+ Kopa I, 287.
+
+ Koral-dung I, 105.
+
+ Koral-dungning-köll I, 105.
+
+ Korla I, 20. 31. 124. 126. 130. 132. 188. 202. 206. 229. 270; II, 49.
+ 77. 88. 91. 92. 99. 276;
+ Aksakal I, 126.
+
+ Korle II, 233.
+
+ Korolkoff, Gouverneur I, 13.
+
+ Korumluk-sai II, 105.
+
+ Kosaken I, 2. 19. 23. 32. 40. 96. 124. 130. 132. 135. 137. 139. 140.
+ 147. 163. 195. 197. 198. 199. 201. 251. 252. 253. 260. 266. 267.
+ 269. 270. 274. 278. 300. 382; II, 66. 86. 99. 100. 112. 116. 118.
+ 120. 125. 136. 164. 165. 248. 251. 253. 260. 276. 279. 285. 292. 321.
+ 325. 328. 334. 337. 347. 348. 369.
+
+ Koschmet-kölli I, 189.
+
+ Kosloff I, 135. 194. 206; II, 23. 97.
+
+ Kötteklik I, 45.
+
+ Kötteklik-ajagi I, 46.
+
+ Köuruk, Strauch I, 386; II, 20.
+
+ Krähen I, 240.
+
+ Krasnowodsk I, 5.
+
+ Krishna II, 287.
+
+ Kuiluschning-baschi I, 75.
+
+ Küjüsch I, 270.
+
+ Kukku-nor II, 323.
+
+ Kulaktscha I, 247.
+
+ Kulane (wilde Esel) I, 298. 305. 308-310. 311. 321. 338. 345. 348.
+ 352. 362. 364. 369. 373. 383; II, 23. 108. 112. 114. 122. 126. 141.
+ 151. 153. 168. 171. 172. 240. 244. 250. 252. 267. 304. 311;
+ Fleisch I, 309.
+
+ Kuldscha II, 287.
+
+ Kulenke-tokai I, 11.
+
+ Kum-atschal I, 49.
+
+ Kum-bulak I, 390.
+
+ Kum-bum II, 187. 199. 201. 287.
+
+ Kum-darja I, 138. 193. 206; II, 37. 49.
+
+ Kum-därwase I, 20.
+
+ Kum-köll I, 240. 307. 310. 312. 313. 314. 322. 381; II, 1. 93. 95. 97.
+ 99. 102. 106. 109. 110. 112. 115. 116. 124. 125. 171.
+
+ Kum-tag I, 215.
+
+ Kum-tschappgan I, 238. 239. 241. 242. 287; II, 18. 62. 74. 78. 79. 83.
+ 86.
+
+ Kum-tschekke I, 247.
+
+ Kumutluk I, 298.
+
+ Kungartschak-bel I, 96.
+
+ Kuntschekkan Bek I, 278. 279; II, 85.
+
+ Kuntschekkisch-Tarim I, 135. 192. 193. 249.
+
+ Kurban I, 132. 146. 154. 155. 160. 161. 168. 172. 179. 186. 200.
+
+ Kurban-dschajiri I, 261.
+
+ Kurbantschik I, 204.
+
+ Kurgan (Festung) I, 15.
+
+ Kuropatkin, General I, 5; II, 369.
+
+ Kurruk-asste I, 59. 60.
+
+ Kurruk-darja I, 206. 210. 211. 216. 219.
+
+ Kurruk-sai II, 105.
+
+ Kurruk-tag I, 138. 193. 203. 210. 212. 214. 216. 221. 224. 226; II,
+ 27. 31. 35. 45. 49.
+
+ Kurschab-darja I, 10.
+
+ Kurtschin (Ledertasche) II, 120.
+
+ Kuschk I, 6.
+
+ Ku-schu-cha II, 11.
+
+ Kutschar I, 44. 96. 102. 105. 195; II, 92.
+
+ Kutschuk I, 250. 287. 294. 298. 301. 307. 312. 314. 316. 332. 335.
+ 336. 337. 338. 339. 341. 344. 346. 349. 350. 355. 367. 368. 382. 391;
+ II, 2. 63. 67. 71. 73. 82. 103. 114. 120. 146. 245. 266. 268. 271.
+ 282. 283. 293. 294. 295. 296. 298. 300. 301. 308. 309. 320. 351. 365.
+ 368.
+
+ Kwen-lun I, 168. 290. 302; II, 105. 321.
+
+
+ Ladak I, 107. 331. 367; II, 90. 93. 104. 119. 207. 237. 249. 254. 257.
+ 261. 286. 287. 290. 303. 306. 317. 318. 320. 323. 325. 335. 340. 343.
+ 344. 354;
+ Hauptstadt II, 348, s. a. Leh;
+ Mönche II, 347;
+ Tempel II, 347, s. a. Hemis.
+
+ Ladakis II, 344.
+
+ Lahore II, 356.
+
+ Lailik I, 19. 26. 28. 30. 119. 125.
+
+ Lailik-darja I, 246.
+
+ Lakkor-tso II, 314. 315. 319.
+
+ Lama II, 142. 347. 366. 367. 368.
+
+ Lamajuru II, 353.
+
+ Lämpa-akin I, 105.
+
+ Lani-la II, 173. 188. 200.
+
+ Lap-tschi-tschen II, 11.
+
+ Lauch, wilder I, 331. 332; II, 148. 241.
+
+ Lau-lan (Lôu-lan) II, 55.
+
+ Legge, ~Dr.~ II, 60.
+
+ Leh II, 93. 322. 330. 334. 344. 346. 347. 348. 349. 351. 353. 359.
+ 361. 362. 363. 365;
+ Mission II, 349.
+
+ Le Mesurier II, 355. 361. 362.
+
+ Lenger I, 24. 176.
+
+ Leschlik I, 88.
+
+ Lhasa I, 134. 367. 392. 393. 395. 396; II, 10. 97. 104. 105. 109. 110.
+ 134. 142. 152. 153. 162. 165. 168. 183. 186. 187. 188. 192. 202. 203.
+ 205. 207. 208. 210. 211. 212. 214. 215. 217. 218. 219. 220. 222. 223.
+ 224. 226. 227. 228. 229. 230. 232. 238. 245. 246. 247. 249. 254. 257.
+ 261. 268. 273. 274. 275. 276. 277. 279. 284. 285. 287. 301. 302. 303.
+ 313. 323. 325. 329. 369;
+ Bewachung II, 97. 105. 109. 200;
+ Geld II, 190;
+ Gesandte II, 268. 272-275;
+ Heiliger Rat II, 274;
+ Kuriere II, 215;
+ Pilger I, 395. 396; II, 9;
+ Straße nach I, 272; II, 187. 199. 214;
+ Wallfahrt I, 393.
+
+ Li (Wegmaß) I, 18. 206.
+
+ Liebigs Fleischextrakt I, 4. 332.
+
+ Li Loje II, 2. 30. 32. 33. 38. 41. 62. 95. 105. 112. 116. 120. 124.
+ 164. 168. 177. 178. 271. 309. 321. 331. 332. 336. 350. 364.
+
+ Limnaea I, 219; II, 52.
+
+ Littledale I, 34. 172; II, 90. 122. 256. 301. 303. 304. 305. 306. 307.
+ 309. 312. 313. 314. 320. 321. 322. 326.
+
+ Lop I, 105. 138;
+ Eingeborene I, 105;
+ Fischfang I, 106. 112;
+ Kähne I, 96. 98.
+
+ Lop-kölli I, 189.
+
+ Loplik I, 133;
+ s. a. Lop, Eingeborene.
+
+ Lop-nor I, 14. 27. 105. 106. 110. 144. 178. 190. 226. 228. 229. 236.
+ 247. 373; II, 17. 20. 24. 42. 45. 51. 67. 69. 70;
+ alter I, 230; II, 42. 49. 67;
+ Namen II, 51;
+ Neubildung I, 234. 235; II, 75. 76. 78. 80. 81. 82. 83. 84;
+ Veränderungen I, 45. 107. 108. 240. 242; II, 84.
+
+ Lop-nor-Straße I, 206.
+
+ Loppsen II, 340.
+
+ Lopwüste I, 233.
+
+ Lößterrasse I, 380.
+
+ Lottschott II, 366.
+
+ Lôu-lan II, 48. 49. 51-55. 63. 65. 71. 86. 91. 96;
+ Geschichte II, 55-61.
+
+ Lôu-lan-hai II, 51.
+
+ Lovo-nur II, 17.
+
+ Luchse I, 41. 238.
+
+ Lucknow II, 356. 357.
+
+ Luktschin I, 224.
+
+ Luma-ring-tso II, 324.
+
+ Lung-thschöng II, 52.
+
+ Lu-tschuensa II, 17.
+
+
+ Macartney, George I, 20; II, 51. 55. 61. 93. 368.
+
+ Mackworth Young II, 356.
+
+ Madi I, 8. 9.
+
+ Malcolm I, 331. 364; II, 326.
+
+ Malenki I, 196. 254; II, 2. 95. 170. 180. 185. 187. 199. 204. 240.
+ 242. 368.
+
+ Malgunsträucher I, 376.
+
+ Maltschik I, 196. 254. 301. 304. 316; II,
+ 2. 95. 146. 368.
+
+ Mandarlik I, 298. 299. 300. 301.
+
+ Manikisten II, 347.
+
+ Mann II, 343.
+
+ Mar II, 190.
+
+ Maral-baschi I, 19. 27. 30. 34. 40. 45. 50. 60. 61.
+
+ Marco Polo I, 221; II, 23.
+
+ Marmi-gombo II, 320.
+
+ Marmi-gotsong II, 320.
+
+ Masar (Heiligengrab) I, 17. 75. 92.
+
+ Masar-alldi I, 55. 62.
+
+ Masar Chodscham I, 78.
+
+ Masar-tag I, 57. 59. 60. 150.
+
+ Mäschallä I, 13.
+
+ Maschka I, 133. 139. 209. 246. 254. 290.
+
+ Mäschrab-dawan I, 16.
+
+ Mattan I, 82.
+
+ Mattschui II, 354.
+
+ Maulesel I, 391; II, 132. 313. 320;
+ burjatische Kurmethode I, 366. 367.
+
+ McSwiney, Oberst I, 20; II, 360.
+
+ Medley II, 361.
+
+ Meereshöhen I, 289. 291. 295. 298. 299. 302. 304. 305. 306. 307. 312.
+ 316. 317. 318. 320. 323. 325. 327. 328. 336. 345. 352. 353. 354. 355.
+ 356. 358. 361. 365. 366. 367. 368. 371. 377. 392; II, 6. 8. 111. 124.
+ 132. 138. 141. 142. 145. 148. 149. 159. 166. 251. 253. 289. 307. 309.
+ 321. 327. 329. 333. 346. 347. 353. 354. 355. 368.
+
+ Meinet I, 40.
+
+ Merdek-köll I, 247. 248.
+
+ Merdek-schahr I, 206.
+
+ Merdektik I, 246.
+
+ Merik II, 188.
+
+ Merik-dschandsen II, 216.
+
+ Merket I, 25. 26. 28. 30;
+ Bek I, 27. 28. 30.
+
+ Merw I, 6.
+
+ Mesdschid I, 205.
+
+ Mestschit-sai II, 107.
+
+ Mian I, 239. 243. 301.
+
+ Milben II, 34.
+
+ Min-baschi I, 8.
+
+ Min-joll I, 17.
+
+ Mirsa Muhammed II, 347. 348. 352.
+
+ Miskal I, 18.
+
+ Missionare, schwedische I, 20; II, 368.
+
+ Modschuk I, 258.
+
+ Mollah I, 70. 72. 74. 76. 77. 78. 83.
+
+ -- I, 298. 381; II, 2. 8. 15. 23. 62. 85.
+
+ Mollah Faisullah I, 93. 95.
+
+ Mollah Schah I, 172. 181. 250. 276. 287. 291. 294. 298. 301. 307. 311.
+ 314. 316. 318. 319. 322. 332. 341. 344. 348. 350. 351. 357. 358. 364.
+ 367. 373. 374. 377; II, 90. 95. 105. 114. 116. 120. 124. 125. 127.
+ 145. 146. 168. 248. 271. 307. 316. 321. 350.
+
+ Mollah Toktamet Bek I, 171.
+
+ Mölldschah I, 176.
+
+ Mölle-koigan I, 383.
+
+ Momuni-ottogo I, 124. 125.
+
+ Mongolen I, 380. 393; II, 3. 10. 13. 14. 17. 19. 24. 105. 208. 250.
+ 347;
+ Proviant I, 393;
+ Wallfahrt nach Lhasa I, 393. 394; II, 104.
+
+ More I, 71. 72.
+
+ Moskau I, 5.
+
+ Möwen I, 348; II, 264. 283.
+
+ Mücken I, 43. 49. 51. 54. 248. 269. 295. 308; II, 105.
+
+ Mückenplage I, 261. 269. 319.
+
+ Muhammed Ahun I, 50. 54.
+
+ Muhammed Ili-lenger I, 37.
+
+ Muhammed Tokta II, 139. 248. 258. 268. 269. 301. 308. 310. 313. 316;
+ Tod II, 316. 317.
+
+ Muhammed Turdu II, 135.
+
+ Mullbeh II, 353.
+
+ Münzen II, 53.
+
+ Murgab I, 10.
+
+ Murmeltiere I, 302. 308. 348. 358. 359. 361. 362. 383. 387; II, 127.
+ 171. 192. 242.
+
+ Murreepaß 11, 355. 356.
+
+ Musa, Dschigit I, 9. 23. 172. 173. 201. 202. 207. 250. 267. 301. 307.
+ 314. 378. 381.
+
+ Musa Ahun I, 132.
+
+ Mus-art I, 96.
+
+ Muselmänner I, 131. 223. 267. 358; II, 80. 101. 102. 103. 118. 120.
+ 121. 165. 191. 248. 271. 272. 273. 287. 311. 316. 329. 350.
+
+ Mus-suji, Frühlingsflut I, 145. 187.
+
+ Musulman-natschuk I, 22.
+
+
+ Nagara (Trommel) I, 30.
+
+ Nagara-tschalldi I, 15.
+
+ Nagma-tso II, 300.
+
+ Nagtschu II, 222.
+
+ Naib (Sekretär) II, 347.
+
+ Nain Singh II, 287. 303. 304. 305. 324. 326. 330. 334. 337.
+
+ Nakktsäng-tsong II, 276.
+
+ Nakktschu I, 395; II, 173. 200. 203. 207. 211. 212. 214. 217. 218.
+ 219. 220. 221. 222. 224. 233. 238. 254. 275. 276. 328.
+
+ Nakktsong II, 275. 276. 277. 312. 328.
+
+ Nakktsong-tso II, 270. 276. 277. 280-285. 287. 288. 289. 301. 304.
+ 305. 330.
+
+ Namaga II, 171.
+
+ Namika-la II, 353.
+
+ Namru II, 238. 276. 277.
+
+ Nangra II, 305.
+
+ Nanso, Lama II, 217. 224.
+
+ Na-po-po II, 56. 61.
+
+ Nas (Schnupftabak) I, 72.
+
+ Naser Bek I, 137. 138. 250. 260. 264. 266. 284.
+
+ Nephrit II, 53. 60.
+
+ Niagsu II, 337.
+
+ Nias I, 301. 303. 314. 316. 344. 351. 358. 364. 368. 375. 382; II,
+ 129.
+
+ Nias Hadschi I, 19. 23. 31. 44. 96. 124. 129. 131.
+
+ Nias Hakim I, 188.
+
+ Nias-köll I, 246.
+
+ Niemo II, 352.
+
+ Nija I, 151. 174.
+
+ Nimo II, 56. 61.
+
+ Nischan (Wahrzeichen) I, 185.
+
+ Nivellement durch die Wüste II, 33. 62-76.
+
+ Nizam II, 360.
+
+ Noh II, 333. 334.
+
+ Noijin II, 207.
+
+ Nom II, 366.
+
+ Nordenskiöld, Professor Freiherr A. von I, 5; II, 93;
+ Tod II, 348.
+
+ Northcote, Lord und Lady II, 360.
+
+ Numet Bek I, 239. 275. 291; II, 85.
+
+ Nura-Fluß I, 14.
+
+
+ Obo I, 373; II, 137. 204. 246. 256. 347.
+
+ Odschang II, 333.
+
+ Ögen I, 98.
+
+ Ogri-joll (Diebsweg) I, 188.
+
+ Oi-köbruk I, 211.
+
+ Ölweide s. ~Elaeagnus~.
+
+ Oma II, 190.
+
+ Oman-tso II, 321. 322.
+
+ Ombo-sangpo II, 323.
+
+ Om mani padme hum I, 373; II, 136.
+
+ On-baschi I, 27.
+
+ Opium II, 332.
+
+ Ördek I, 133. 139. 143. 146. 155. 161. 166. 171. 172. 201. 202. 217.
+ 219. 220. 228. 229. 231. 232. 233. 237. 239. 243. 246. 255. 260. 267;
+ II, 42. 43. 96. 97. 98. 103. 126. 148. 150. 171. 172. 173. 174. 175.
+ 176. 177. 178. 245. 256. 257. 258. 259. 266. 271. 288. 301. 332. 336.
+ 337. 339. 340. 341. 350. 363.
+
+ Orongoantilopen I, 310. 315. 317. 318. 320. 330. 332. 348. 350. 361.
+ 369. 373; II, 111. 112. 125. 126. 135. 139. 151. 152. 240. 267. 328.
+
+ Örtäng (Posthalterei) I, 144. 230.
+
+ Örtängtschi (Gastwirt) I, 27.
+
+ Osch I, 7. 9; II, 344. 368.
+
+ Oskar, König von Schweden I, 7; II, 92. 349. 369.
+
+ Osman Bai-kuduk I, 175.
+
+ Otter I, 138; Felle I, 138. 249.
+
+ Ouigour II, 56.
+
+ Ova, Steinpyramide I, 226.
+
+ Owras-fai II, 95.
+
+
+ Pakka-kuduk I, 176.
+
+ Palta, Fährmann I, 38. 40. 44. 66. 70. 90. 115.
+
+ Pamir I, 8. 10. 15.
+
+ Pamirskij Post I, 10.
+
+ ~Pantholops Hodgsoni~ II, 111.
+
+ Pao-tai I, 206; II, 45. 49.
+
+ Pappeln I, 21. 22. 24. 44. 52. 53. 83. 94. 116. 169. 182. 183. 211.
+ 219. 247. 291; II, 43.
+
+ Parpi Bai I, 44. 124. 126. 132. 143. 144. 146. 149. 151. 154. 163.
+ 195. 197. 201. 202. 254;
+ Tod I, 249.
+
+ Partscha-darja I, 39.
+
+ Pavan (Jäger) I, 50.
+
+ Pavan Aksakal I, 139. 141.
+
+ Pawan-bulak II, 26.
+
+ Peh-lung-Wall II, 59.
+
+ Peking I, 206. 229.
+
+ Peling II, 208.
+
+ Petrowsk I, 5; II, 369.
+
+ Petrowskij, Generalkonsul I, 17. 18. 19. 31. 198. 200. 271. 381; II,
+ 77. 91. 92. 98. 99. 102. 350. 368. 369.
+
+ Pettelik-darja I, 314.
+
+ Pferde I, 9. 340. 393; II, 17. 18. 93. 94. 119. 132. 133. 134. 249.
+ 308. 309. 319. 320. 322. 324. 329. 331;
+ Kur I, 322.
+
+ Photographische Ausrüstung I, 3. 28. 29.
+
+ Piaslik I, 374; II, 111. 112.
+
+ Pjewzoff I, 34. 127. 174.
+
+ Pik Kauffmann I, 13.
+
+ Po II, 56.
+
+ Pocken I, 128. 139; II, 268.
+
+ Poesie in Innerasien I, 278-285.
+
+ Porphyr I, 317; II, 306.
+
+ Potai (Wegmaß) I, 72.
+
+ Potala II, 226.
+
+ Prinz Heinrich von Orléans I, 34. 144; II, 122. 193.
+
+ Prschewalskij I, 34. 131. 215. 241; II, 84.
+
+ Pschui, Häuptling I, 378.
+
+ Pul I, 18.
+
+ Punditen II, 183. 287.
+
+ Pung I, 18.
+
+ Pu-schang-hai II, 57.
+
+ Pustun (Schafpelz) I, 37.
+
+ Puth-schang-hai II, 51.
+
+
+ Raben I, 51. 120. 364. 382; II, 168. 244. 247.
+
+ Raga-sangpo II, 329.
+
+ Ramlung II, 313.
+
+ Raskolniken I, 183. 184. 268.
+
+ Raubtierfalle I, 79.
+
+ Rawal-pindi II, 355. 356. 360. 361.
+
+ Rawur-sangpo II, 327.
+
+ Rebhühner I, 10. 207. 302; II, 16. 107. 110. 126. 142. 152. 153. 159.
+ 160. 244. 304.
+
+ Rehe I, 51. 71. 238. 259.
+
+ Reispudding I, 149.
+
+ Ribbach II, 349. 350. 351. 364.
+
+ Richthofen, Freiherr von, Professor I, 226; II, 84.
+
+ Rijnhard II, 223.
+
+ Roborowskij I, 157. 174. 180. 181. 186.
+
+ Rockhill I, 320; II, 192.
+
+ Rosen, wilde II, 106.
+
+ Rosi Mollah II, 120. 135. 146. 270. 271. 272. 309. 350.
+
+ Rostow I, 5.
+
+ Roter Fluß s. Kisil-su.
+
+ Rubine I, 75.
+
+ Rudok II, 322. 324. 325. 326;
+ Gouverneur II, 324. 325. 326. 328.
+
+ Ruinen I, 178. 228-229. 230-232; II, 4. 37-50.
+
+
+ Sacharoff II, 369.
+
+ Sachir II, 202.
+
+ Sadak-köll I, 246.
+
+ Sagen, Zollvorsteher I, 14.
+
+ Sagget-sang II, 321.
+
+ Säghisghan I, 164.
+
+ Sahib II, 229.
+
+ Sai I, 202. 203. 204. 289. 295.
+
+ Sai-tag I, 68. 70.
+
+ Sai-tschekke I, 206.
+
+ Saizeff, Oberst I, 8. 145. 381; II, 89. 102. 368. 369.
+
+ Saksaul II, 20. 21.
+
+ Saldam (Anstand für Jäger) I, 109.
+
+ Saluen II, 222.
+
+ Salz I, 333. 334; II, 184. 238. 260. 314. 315. 319.
+
+ Salzsee (Lop-nor) II, 69.
+
+ Samarkand I, 6.
+
+ Sampa-nesrak II, 353.
+
+ Sampo Singi II, 187. 188. 189. 190. 191. 192. 237.
+
+ Sando II, 15.
+
+ Sandschu-Paß II, 368.
+
+ Sandstein I, 366; II, 111. 139. 171. 172. 184. 241. 243. 257. 258.
+
+ Sapp (Gerte) I, 61.
+
+ Sär I, 18. 132.
+
+ Sarik-buja I, 103.
+
+ Sarik-buran (gelber Sturm) I, 41. 63.
+
+ Säri-kari II, 234.
+
+ Sarikol II, 56.
+
+ Sarik-tasch I, 13.
+
+ Särtäng II, 15.
+
+ Särtäng-Mongolen II, 15. 16.
+
+ Sarten I, 7. 8.
+
+ Saspul II, 352.
+
+ Sate-köll I, 242. 288.
+
+ Sa-tscheo I, 137. 144. 206. 229. 230. 242. 286; II, 11. 15. 16. 17.
+ 23. 80.
+
+ Satschkak I, 61.
+
+ Satschu-sangpo II, 193. 194. 195. 196. 197. 225. 236. 237. 256-259.
+ 341;
+ Übergang II, 193-195;
+ Wassermasse II, 195.
+
+ Sattma (Hirtenhütte) I., 61.
+
+ Sattowaldi-köll I, 268.
+
+ Schafe I, 176. 303. 304. 305. 311. 319. 330. 493; II, 111. 115. 118.
+ 121. 132. 187. 329. 335;
+ Fett II, 158;
+ Lasten II, 184. 260. 335;
+ Tötung II, 190;
+ wilde II, 252.
+
+ Schagdur I, 198. 199. 257. 260. 262. 264. 266. 267. 271. 272. 274.
+ 287. 288. 290. 291. 293. 294. 297. 300. 301. 379. 382. 394. 395. 396;
+ II, 10. 14. 15. 16. 17. 19. 29. 30. 31. 32. 37. 42. 44. 62. 64. 65.
+ 68. 69. 71. 72. 73. 74. 75. 76. 82. 88. 89. 95. 96. 97. 98. 104. 105.
+ 108. 109. 110. 111-113. 120. 121. 126. 129. 137. 139. 140. 142. 145.
+ 148. 150. 153. 155. 161. 164. 169. 171. 173. 174. 175. 176. 179. 182.
+ 184. 185. 186. 188. 189. 190. 195. 197. 202. 203. 206. 207. 208. 210.
+ 219. 225. 228. 231. 233. 237. 240. 243. 244. 246. 247. 248. 251. 252.
+ 253. 255. 256. 263. 264. 265. 269. 278. 305. 310. 313. 318. 328. 330.
+ 332. 333. 338. 342. 351. 352. 357. 359. 361. 362. 363. 364. 369.
+
+ Schaggué-tschu II, 320.
+
+ Schah Dschahan II, 356.
+
+ Schah-gandschum II, 311. 312.
+
+ Schah-jar I, 34. 72. 79. 96. 101;
+ Bek I, 97.
+
+ Schah-jar-darja I, 96.
+
+ Schahr-i-Kettek-kum I, 136.
+
+ Scha-kurun I, 46.
+
+ Schalung II, 303.
+
+ Schalwa I, 13.
+
+ Schang-ja I, 115.
+
+ Schannig-nagbo II, 260. 262.
+
+ Schan-schan II, 52.
+
+ Schäschkak I, 41.
+
+ Scha-tschôu II, 47. 49, s. Sa-tscheo.
+
+ Scheitlar I, 193. 248.
+
+ Scheitlik I, 43.
+
+ Schejoktal II, 368.
+
+ Schereb, Lama II, 96. 97. 104. 105. 108. 109. 110. 112. 113. 116. 118.
+ 120. 121. 132. 134. 136. 137. 138. 148. 149. 152. 153. 154. 155. 159.
+ 160. 162. 163. 165. 167. 170. 171. 172. 173. 174. 179. 180. 182. 183.
+ 184. 186. 187. 188. 192. 193. 194. 195. 196. 197. 198. 200. 201. 202.
+ 203. 205. 206. 207. 208. 209. 210. 211. 215. 216. 217. 220. 221. 222.
+ 226. 227. 228. 231. 232. 241. 242. 243. 244. 246. 251. 253. 254. 255.
+ 256. 257. 260. 263. 265. 273. 275. 276. 277. 278. 301. 306. 309. 310.
+ 323. 327. 332. 338. 345. 352. 365. 369.
+
+ Schiefer I, 291. 292. 317. 320. 324. 325. 354. 366. 373; II, 105. 306.
+ 337. 341.
+
+ Schigatse II, 201.
+
+ Schilf I, 53.
+
+ Schinalga I, 195. 196.
+
+ Schirge-tschappgan I, 234. 241. 243. 245. 246. 257. 272; II, 83.
+
+ Schneckenschalen I, 219. 220. 221. 227. 231. 238; II, 42. 67.
+
+ Scho II. 190.
+
+ Scholung II, 313.
+
+ Scho-ovo II, 16.
+
+ Schor I, 66. 151.
+
+ Schor-Boden II, 68. 75.
+
+ Schor-köll I, 61. 182.
+
+ Schueiking-tschu II, 52.
+
+ Schwäne I, 65. 140. 166. 235. 238. 240. 241; II, 85.
+
+ Schwed-peling II, 207. 208.
+
+ Schweinfurth I, 134.
+
+ Secundrabad II, 360.
+
+ Seeboden, alter I, 151. 152. 219; II. 35.
+
+ Seenregion in Tibet II, 301. 305. 340.
+
+ Seeschwalben I, 259.
+
+ Seit-köll I, 128. 129. 143. 154.
+
+ Selling-tso II, 253. 254. 255. 256. 258. 259. 262-264. 266. 267. 269.
+ 273. 288. 301. 341.
+
+ Semillaku-köll I, 273. 275.
+
+ Semis-chatun I, 15.
+
+ Sendschkak I, 138.
+
+ Senkor-Stamm II, 321.
+
+ Serdse II, 343. 345.
+
+ Setscha II, 309.
+
+ Shakkanjorm II, 312.
+
+ Shawe, ~Dr.~ II, 349. 351. 361. 363. 364.
+
+ Shen-shen II, 56. 59. 60.
+
+ Sialkut II, 348.
+
+ Si-an-fu II. 56.
+
+ Si-gu II, 56.
+
+ Sim I, 249.
+
+ Singer I, 194. 216. 217. 226.
+
+ Si-ning II, 11.
+
+ Sir-darja I, 14.
+
+ Siriap II, 341.
+
+ Sirkin I, 19. 25. 26. 29. 31. 44. 131. 133. 140. 146. 194. 195. 198.
+ 200. 251. 253. 255. 259. 262. 264. 267. 269. 270. 271. 273. 277; II,
+ 77. 88. 95. 96. 98. 104. 105. 111. 113. 114. 115. 120. 123. 125. 126.
+ 127. 128. 129. 136. 140. 142. 148. 150. 152. 155. 162. 164. 167. 168.
+ 169. 170. 220. 263. 269. 277. 318. 322. 332. 337. 342. 350. 351. 363.
+
+ Siwa I, 118.
+
+ Skorpione I, 38; II, 44. 94.
+
+ Sodschi-la II, 353. 354. 361. 362.
+
+ Solang Undü II, 231. 237. 238.
+
+ Somme-sangpo II, 314.
+
+ Sonamarg II, 362.
+
+ Sor I, 14.
+
+ Söre (Hirtenhütten) I, 52.
+
+ Sorun I, 63.
+
+ Sorun-köll I, 65.
+
+ Sourgak I, 287.
+
+ Splingaert I, 292.
+
+ Srinagar II, 349. 352. 355. 361.
+
+ Städte, alte I, 136. 172. 177; II, 40; s. a. Andere-terem, Jing-pen,
+ Lôu-lan.
+
+ Stationsgebäude, russische I. 10.
+
+ Stein, ~Dr.~ I, 178; II, 52. 54. 361.
+
+ Steinböcke II, 110.
+
+ Steinkisten II, 345. 347. 365, s. a. Mani.
+
+ Steinpyramiden I, 289; II, 20. 35. 333. 342, s. a. Obo.
+
+ Steinsalz I, 62.
+
+ Steppenmurmeltiere I, 14.
+
+ Straße, alte I, 144. 226; II, 10. 20. 24.
+
+ Straße, strategische I, 10.
+
+ St. Yves I, 20.
+
+ Sufi-kurgan I, 12.
+
+ Sugett-bulak I, 203.
+
+ Sugett-dawan II, 368.
+
+ Suji-sarik-köll I, 248.
+
+ Suk-suk II, 20.
+
+ Su-leh II, 56.
+
+ Sume II, 366.
+
+ Sum-tun-buluk II, 3.
+
+ Su-ößgen I, 182.
+
+ Supa-alik I, 374.
+
+ Süssük-köll I, 261.
+
+ Sutschi (Wassermänner) I, 32.
+
+ Svinhufvud, Oberst I, 5.
+
+
+ Tabakpfeife I, 179.
+
+ Tabbtsang II, 367.
+
+ Tadschinurmongole II, 323.
+
+ Tadsch Mahal II, 356.
+
+ Tagar I, 226. 227.
+
+ Taggar II, 347. 368.
+
+ Tag-kum I, 190. 191.
+
+ Taigun I, 133. 139.
+
+ Tailak-tuttgan I, 175.
+
+ Tajek-köll I, 248.
+
+ Takla-makan I, 60. 141. 156. 164. 216. 221. 306. 327; II, 28. 29. 95.
+ 133. 196.
+
+ Talldik-Bach I, 13.
+
+ Talldik-Paß I, 13. 14.
+
+ Talkan (geröstetes Mehl) I, 147; II, 3. 89.
+
+ Tamarisken I, 24. 83. 109. 121. 160. 161. 162. 169. 175. 211. 258.
+ 291. 292; II, 19. 20. 23. 30. 60. 70. 106;
+ Holz II, 52.
+
+ Tamascha (Vorstellung) I, 82.
+
+ Tana-bagladi I, 143. 146. 148. 151. 170. 191.
+
+ Tang-la-Kette I, 355; II, 222.
+
+ Tang-le II, 263.
+
+ Tanguten II, 166. 181. 187. 201. 323;
+ Kauf und Verkauf von Kindern II, 323.
+
+ Tanksi II, 346.
+
+ Tänzerinnen I, 30.
+
+ Tarbagatai II, 104.
+
+ Tarim I, 19. 31. 34. 36. 47. 48. 52. 53. 83. 98. 107. 110. 126. 141.
+ 145. 148. 152. 171. 188. 191. 192. 197. 239. 241. 242. 246. 249. 266.
+ 269. 275. 278. 288; II, 29. 43. 45. 49. 56. 85. 86;
+ Dörfer I, 128;
+ Fähre I, 84;
+ Flußteile I, 37. 39. 45;
+ Laufänderungen I, 37. 93. 94. 107. 207;
+ Namen I, 98. 105. 108. 269;
+ Treibeis I, 117;
+ Ufer I, 38. 88. 91. 92;
+ Uferseen I, 105. 128. 259;
+ Wasserfall I, 45;
+ Wasserstand I, 124;
+ Zufrieren I, 41.
+
+ Tärim I, 108.
+
+ Tarimbecken I, 180.
+
+ Taschi-lumpo II, 199. 201. 203. 205. 254.
+
+ Taschkent I, 6; II, 369.
+
+ Täsildar II, 347. 348. 352.
+
+ Tatran I, 150. 152. 163. 170. 171.
+
+ Tattlik-bulak I, 290. 292. 293; II, 93.
+
+ Ta-wan II, 57.
+
+ Telepathie I, 377. 379.
+
+ Tellpel I, 93.
+
+ Temirlik I, 295. 298. 361. 363. 370. 374. 378. 379. 380. 382. 383.
+ 389. 393. 394; II, 1. 2. 3. 5. 10. 88. 97. 98. 208;
+ Amban I, 378.
+
+ Temperaturen I, 12. 24. 33. 41. 72. 81. 88. 97. 98. 99. 110. 118. 140.
+ 152. 157. 159. 166. 167. 168. 171. 174. 175. 179. 181. 185. 186. 187.
+ 189. 193. 199. 203. 207. 210. 211. 226. 233. 245. 246. 262. 269. 273.
+ 274. 291. 292. 293. 294. 303. 308. 310. 317. 328. 329. 335. 345. 354.
+ 357. 360. 370. 372. 374. 386. 387. 389. 390. 391. 392. 394; II, 1. 5.
+ 14. 16. 23. 25. 34. 35. 91. 107. 135. 136. 152. 181. 201. 235. 236.
+ 242. 250. 251. 252. 280. 295. 305. 306. 307. 309. 314. 321. 324. 328.
+ 329. 330. 333. 335. 336. 337. 338. 311. 342. 344. 345. 354.
+
+ Tenge I, 18. 132.
+
+ Tengri-nor II, 90. 151. 160. 173.
+
+ Teppe-teschdi I, 103.
+
+ Terek (Pappel) I, 10.
+
+ Terek-dawan I, 12.
+
+ Terektal I, 12.
+
+ Terem I, 23.
+
+ Teres I, 96.
+
+ Teresken I, 303. 308; II, 11. 19.
+
+ Tibet I, 144. 172. 198. 320. 322. 395; II, 93. 94. 95. 318. 319. 331.
+ 332. 343. 344. 354,
+ Bevölkerungsdichte I, 361; II, 303. 304;
+ Bewachung der Nordgrenze I, 395;
+ Erschließung II, 286;
+ Flüsse II, 195. 196;
+ Geld II, 230. 313;
+ Grenzen II, 160. 237. 238. 252. 312.
+ Klima I, 294. 295. 302. 358. 383; II, 107. 120. 185. 199. 200. 315;
+ Seen I, 310. 356;
+ Schwierigkeiten der Reise II. 94. 95.
+
+ Tibeter II, 154. 155. 167. 168. 173. 176. 179. 181. 182. 183. 204.
+ 206. 210. 211. 215. 216..217. 218. 220. 221. 228. 233. 235. 236. 239.
+ 240. 249. 252. 256. 257. 258. 259. 260. 262. 263. 265. 266. 267. 269.
+ 270. 271. 279. 280. 282. 283. 285. 286. 288. 289. 290. 292. 293. 300.
+ 305. 307. 308. 310. 311. 313. 314. 317. 320. 321. 323. 327. 328. 329.
+ 332. 333. 338. 344;
+ Abschließungspolitik II, 277. 286. 287;
+ Äußeres II, 199. 215. 232;
+ Begräbnis II, 272. 301;
+ Dolmetscher II, 219. 220. 221. 222. 224. 228. 229;
+ Dörfer II, 205;
+ Frauen II, 191;
+ Gehorsam gegen Obrigkeit II, 311;
+ Gesandte II, 292. 293;
+ Gouverneure II, 200. 211. 224. 278. 297;
+ Gruß II, 237. 301;
+ Häuptling II, 207. 257. 260;
+ Hirten II, 186. 187; Hunde II, 232;
+ Jäger II, 163. 164. 171. 207. 208. 247. 277;
+ Kleidung II, 191. 203. 232. 233;
+ Lager II, 233-236. 251. 252;
+ Lamas II, 210. 211. 233;
+ Mädchen II, 255;
+ Nahrung II, 190. 235. 236. 266. 267;
+ Nomaden II, 163. 186. 187. 188. 189. 198. 204. 205. 213. 218. 253.
+ 254. 255;
+ Pferde II, 232. 233;
+ Postkuriere II, 215;
+ Räuber II, 238. 240. 241. 328;
+ Schafhürden II, 309;
+ Soldaten II, 212. 213. 214. 218. 219. 223. 224. 226. 228. 229. 230.
+ 231. 233. 235. 236. 255. 260. 263. 264. 265. 273. 285. 287. 289.
+ 290. 291. 301;
+ Tauschhandel II, 335;
+ Tauschmittel II, 237;
+ Teekarawane II, 198. 200. 201;
+ Tempel II, 279. 333;
+ Tötung eines Schafes II, 190;
+ Verhältnis zu China II, 226;
+ Bestrafung von Verrätern II, 202. 218;
+ Wachsamkeit II, 165;
+ Waffen II, 278.
+
+ Tien Shan II, 56.
+
+ Tiger I, 41. 63. 76. 86. 103. 104. 106. 110. 184. 196. 220. 373;
+ Jagd I, 103-104.
+
+ Tikkenlik I, 137, 193. 250; II, 98.
+
+ Tikkse II, 347. 348.
+
+ Tikkse-gompa II, 347.
+
+ Többwe I, 204.
+
+ Togdasin I, 374. 377. 381. 382. 383. 384. 388. 389. 391. 394; II, 1.
+ 3.
+
+ Togdasin Bek I, 188. 192; II, 104. 105.
+
+ Togluk I, 44.
+
+ Tograk (Pappel) I, 24. 211.
+
+ Tograk-bulak I, 204.
+
+ Tograk-kuduk II, 23.
+
+ Tograk-mähälläh I, 106.
+
+ Togri-sai I, 370. 372. 374; II, 112.
+
+ Tojagun I, 240.
+
+ Tokkus-attam I, 275.
+
+ Tokkus-dawan I, 168.
+
+ Tokkus-kum I, 115.
+
+ Tokkus-tarim I, 244.
+
+ Tokta Ahun I, 239. 243. 275. 287. 288. 290. 294. 298. 301. 305. 306.
+ 307. 309. 311. 314. 378. 381. 382. 385. 386. 387. 392; II, 2. 4. 5.
+ 6. 7. 8. 9. 18. 67. 69. 71. 72. 73. 76. 78. 79. 80. 83. 338.
+
+ Toktamet Bek I, 185.
+
+ Toktekk I, 175.
+
+ Tonga II, 355; Fahrt in II, 355. 356.
+
+ Tong-burun I, 13. 14.
+
+ Tongo, Vulkan II, 306.
+
+ Tonkuslik I, 37.
+
+ Tonschluchten II, 5-8. 9-10.
+
+ Tor (Raubtierfalle) I, 79.
+
+ Tora I, 202. 205. 206. 229; II, 38. 42. 52.
+
+ Torpag-bel I, 15.
+
+ Tosak (Tigerfalle) I, 103. 104.
+
+ Tosgak-tschantschdi I, 247.
+
+ Transalai I, 13. 14.
+
+ Treibeis I, 117. 118. 119. 121. 123. 127.
+
+ Treibholz I, 95.
+
+ Troizkosawsk I, 199.
+
+ Tsagan Chan I, 395.
+
+ Tsagan-ula II, 19.
+
+ Tsamba I, 393; II, 190. 236.
+
+ Tsamur II, 238.
+
+ Tsangar-schar II, 330. 333.
+
+ Tschahrbag I, 27.
+
+ Tschakkande, Strauch II, 20.
+
+ Tschaltschik I, 176.
+
+ Tschang-la II, 346. 365.
+
+ Tschanto II, 207. 287.
+
+ Tschappgan I, 242.
+
+ Tscharchlik I, 132. 137. 260. 270. 287. 364. 394; II, 1. 4. 18. 77.
+ 78. 86. 87. 98. 99. 109. 115. 117. 168. 169. 248. 308. 330. 349;
+ Amban I, 250. 284; II, 1. 90.
+
+ Tscharchlik-su II, 93. 105. 106. 108. 110. 322.
+
+ Tschardschui I, 6.
+
+ Tschargut-tso II, 289. 292. 293. 296. 298. 301. 302. 304. 305.
+
+ Tscharwak I, 62.
+
+ Tscheggelik-ui I, 245. 272. 273. 275; II, 96.
+
+ Tsche-mo-to-na II, 61.
+
+ Tscherdon I, 249. 250. 299. 300. 301. 303. 305. 306. 308. 309. 311.
+ 314. 316. 317. 318. 319. 320. 322. 325. 328. 333. 338. 340. 341. 344.
+ 345. 349. 350. 351. 352. 353. 354. 355. 356. 358. 361. 366. 367. 369.
+ 373. 377. 382. 384. 389. 392; II, 1. 18. 88. 93. 95. 96. 113. 120.
+ 121. 125. 138. 140. 142. 154. 156. 158. 160. 165. 171. 177. 178. 208.
+ 246. 247. 248. 263. 264. 266. 282. 301. 313. 328. 336. 346. 351. 369.
+
+ Tschernajewa I, 6; II, 369.
+
+ Tschernoff I, 19. 31. 129. 143. 195. 198. 201. 202. 203. 205. 212.
+ 213. 216. 217. 218. 219. 222. 227. 228. 229. 230. 235. 237. 239. 240.
+ 243. 247. 249. 254. 271. 276. 277; II, 76. 77. 78. 82. 83. 88. 93.
+ 95. 99. 113. 114. 120. 121. 123. 125. 126. 138. 140. 145. 146. 147.
+ 162. 163. 165. 220. 245. 247. 250. 251. 258. 261. 263. 266. 276. 277.
+ 302. 306. 309. 310. 330. 332. 333. 336. 337. 338. 340. 341. 342. 344.
+ 345. 346. 351.
+
+ Tschertschen I, 146. 147. 150. 151. 170. 171. 172. 173. 174. 175. 176.
+ 179. 370; II, 110.
+
+ Tschertschen-darja I, 150. 156. 157. 158. 164. 169. 170. 171. 182.
+ 184. 185. 186. 187. 188. 189.
+
+ Tschertschenwüste I, 138. 170. 233; II, 330.
+
+ Tschidschegan (totes Schilf) I, 219.
+
+ Tschigertschig I, 9.
+
+ Tschiggan-tschöll I, 72.
+
+ Tschigge (Binse) I, 161. 193.
+
+ Tschiggelik I, 299.
+
+ Tschimen I, 97. 182. 183; II, 109. 116.
+
+ Tschimengebirge I, 368.
+
+ Tschimen-tag I, 275. 286. 299. 300. 303. 304. 374. 382. 383. 390; II,
+ 8.
+
+ Tschimental I, 299. 309. 374. 383. 391; II, 4. 111.
+
+ Tschitschek 1, 128.
+
+ Tschiwiklik-köll I, 138. 193. 249. 250. 269; II, 43.
+
+ Tschokka-tag I, 62. 63. 66.
+
+ Tschokk-dschalung II, 325.
+
+ Tschöll-köll I, 65; II, 2.
+
+ Tschong-ak-kum I, 108.
+
+ Tschong-aral I, 96.
+
+ Tschong-darja I, 108.
+
+ Tschong-köll I, 246.
+
+ Tschong-kum I, 136.
+
+ Tschong-schipang I, 182.
+
+ Tschong-tarim I, 188.
+
+ Tschong-tograk I, 115.
+
+ Tschorá II, 190.
+
+ Tschorten II, 353. 365.
+
+ Tschugulup (Flußarm) I, 72.
+
+ Tschugun (Kupferkanne) I, 185.
+
+ Tschurden II, 366.
+
+ Tschuring II, 307. 310. 311.
+
+ Tschutschepp II, 366.
+
+ Tsebu II, 327.
+
+ Tsen Daloi I, 20.
+
+ Tsering Daschi II, 306. 310.
+
+ Tsien-Han-shu II, 55. 56. 57. 60.
+
+ Tsin-Dynastie II, 48.
+
+ Tso-Daloi I, 20.
+
+ Tsokkang II, 366.
+
+ Tsolla-ring-tso II, 324.
+
+ Tso-nekk II, 205. 206. 231.
+
+ Tso-ngombo II, 333. 334. 336. 339. 341. 342.
+
+ Tsos, tibetische Münze II, 263. 313.
+
+ Tsung-ling II, 56.
+
+ Tuff I, 330, 360.
+
+ Tuga-ölldi I, 272.
+
+ Tugatschi-baschi II, 116.
+
+ Tugh I, 364.
+
+ Tulume (Ziegenlederschläuche) I, 147.
+
+ Tumschuk I, 39. 60.
+
+ Tung-chuan II, 16.
+
+ Tun-huang II, 56. 60.
+
+ Tura-sallgan-ui I, 135. 136. 141. 143. 144. 146. 173. 195. 197. 199.
+ 240. 249. 250. 255. 260. 382.
+
+ Turdu Bai I, 19. 23. 132. 146. 155. 158. 160. 161. 163. 166. 168. 172.
+ 196. 252. 254. 276. 287. 291. 294. 297. 301. 307. 314. 318. 319. 322.
+ 324. 326. 328. 340. 344. 347. 348. 350. 351. 352. 355. 363. 368. 372.
+ 382. 384. 392; II, 1. 5. 89. 91. 93. 95. 103. 113. 114. 116. 117.
+ 120. 121. 123. 125. 129. 133. 134. 136. 139. 141. 146. 148. 151. 152.
+ 153. 156. 163. 164. 167. 171. 178. 244. 247. 251. 252. 271. 276. 287.
+ 290. 306. 314. 321. 322. 331. 337. 342. 359. 368. 369.
+
+ Turduning-söresi I, 193.
+
+ Turfan I, 138. 206. 216. 249; II, 30. 52. 53. 65.
+
+ Tursan-köbruk I, 138. 249.
+
+ Turguten I, 395.
+
+ Turkestan I, 6.
+
+ Tus-algutsch-köll I, 128.
+
+ Tusluk-kusch I, 55.
+
+ Tusluk-tag I, 62. 63. 66. 68.
+
+ Tusun-tschappgan I, 138. 239. 240.
+
+ Tutek (Bergkrankheit) I, 13. 388; II, 135.
+
+ Tuwaduku-köll I, 261.
+
+
+ Ufer, konkaves I, 38. 44;
+ konvexes I, 38.
+
+ Uferlinien II, 270. 288. 304. 314. 316. 324. 336. 340. 346.
+
+ Ugen I, 98.
+
+ Ugen-darja I, 122. 126.
+
+ Ujäsdnij natschalnik (Distriktschef) I, 8.
+
+ Ullug-köll I, 258.
+
+ Ullug-tschat I, 15.
+
+ Unkurluk II, 110.
+
+ Urancha II, 109.
+
+ Urga II, 96. 287.
+
+ Urumtschi I, 106. 126. 144. 199. 285; II, 287.
+
+ Urus-sallgan-sal I, 135.
+
+ Uspenskij I, 199.
+
+ Usun-jar I, 298.
+
+ Usun-schor I, 294. 394.
+
+
+ Vizekönig von Indien II, 357,
+ s. Curzon, Lord.
+
+
+ Wacholder I, 13. 14.
+
+ Waller II, 361.
+
+ Wang-Mang II, 48. 53.
+
+ Wanka II, 115. 118. 329.
+
+ Wasch-schahri I, 138. 186.
+
+ Wasser, Messung der Durchsichtigkeit I, 56.
+
+ Wassermessungen I, 10. 15. 30. 31. 40. 41. 43. 44. 46. 52. 55. 56. 58.
+ 60. 63. 64. 65. 71. 73. 74. 80. 82. 94. 96. 111. 116. 118. 126. 127.
+ 241. 242. 244. 245. 247. 250. 257. 258. 269. 272. 278. 314. 317. 325.
+ 330. 340; II, 83. 86. 106. 152. 195. 256. 266.
+
+ Weber, Missionar II, 348.
+
+ „Weißer Zar“ I, 395.
+
+ Wellby I, 320. 331. 364; II, 326.
+
+ Wesir Wesarat II, 343. 348. 354. 362.
+
+ Westpassat II, 136. 137. 138.
+
+ Wildenten I, 42. 120. 308; II, 264. 267. 335.
+
+ Wildgänse I, 44. 84. 95. 101. 120. 196. 207. 313. 348. 373; II, 153.
+ 268. 304. 327.
+
+ Wildschweine I, 37. 41. 51. 72. 197. 238. 259; II, 75.
+
+ Wind, in Tibet II, 136. 140. 141. 149. 311. 312. 315. 318.
+
+ Wladikawkas I, 5.
+
+ Wölfe I, 41. 161. 175. 184. 185. 303. 304. 311. 312. 327. 331. 332.
+ 348. 352. 358. 373; II, 22. 110. 141. 150. 154. 156. 168. 171. 234.
+ 247. 311. 327. 330. 345.
+
+ Woronesch I, 5.
+
+ Wrewskij, Generalgouverneur I, 13.
+
+ Wu-ni II, 56.
+
+ Wüstenseen I, 129.
+
+ Wu-sun II, 57.
+
+ Wu-ti, Kaiser II, 48. 57. 58. 59.
+
+ Wu-tschu, Münzen II, 48. 53.
+
+ Wylie II, 55. 60.
+
+
+ Yake I, 300. 310. 311. 318. 321. 332. 341. 344. 348. 352. 353. 354.
+ 356. 361. 364. 370. 373. 383. 392; II, 110. 122. 126. 141. 142. 148.
+ 151. 152. 157. 159. 171. 172. 178. 179. 187. 200. 203. 204. 220. 241.
+ 252;
+ zahme II, 4. 154. 200. 201. 255. 309. 313. 323. 329. 336. 338. 340.
+ 342. 343;
+ Lasten II, 309.
+
+ Yakgras II, 152. 159.
+
+ Yakmoos II, 141. 152.
+
+ Yamen II, 43.
+
+ Yang-kuan II, 56. 57.
+
+ Yao-tsö II, 51.
+
+ Yarkand II, 56.
+
+ Yen-tsö II, 51.
+
+ Younghusband II, 359.
+
+ Yüan-Ti, Kaiser II, 48. 85.
+
+ Yü-Tor II, 57.
+
+
+ Zaidam I, 299. 331. 378. 393; II, 8. 14. 97. 105. 116. 202. 222.
+
+ Zeichnungen auf Felsen I, 373.
+
+ Ziegeltee II, 198.
+
+ Zwiebelkette II, 56.
+
+
+ Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.
+
+[Illustration: MITTELTIBET.]
+
+[Illustration: ÜBERSICHTSKARTE DER REISE SVEN v. HEDINS, 1899-1902.]
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 68403 ***