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-The Project Gutenberg eBook of Die Schelme von Steinach, by Josephine
-Siebe
-
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
-www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you
-will have to check the laws of the country where you are located before
-using this eBook.
-
-Title: Die Schelme von Steinach
- Erzählung für die Jugend
-
-Author: Josephine Siebe
-
-Illustrator: Ernst Kutzer
-
-Release Date: February 24, 2022 [eBook #67488]
-
-Language: German
-
-Produced by: Peter Becker and the Online Distributed Proofreading Team
- at https://www.pgdp.net
-
-*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE SCHELME VON
-STEINACH ***
-
-
-
-
-
- Anmerkungen zur Transkription
-
-
- Das Original ist in Fraktur gesetzt. Weitere Anmerkungen zur
- Transkription befinden sich am Ende des Buches.
-
-
-
-
- Die Schelme von Steinach
-
- Erzählung für die Jugend
-
- von
-
- Josephine Siebe
-
- Mit Buchschmuck von Ernst Kutzer
-
- Fünfte Auflage
-
- [Illustration]
-
- Verlag von Levy & Müller in Stuttgart
-
-
-
-
- Nachdruck verboten
- Alle Rechte, insbesondere das Übersetzungsrecht, vorbehalten
- Druck: Chr. Verlagshaus, G. m. b. H., Stuttgart
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Erstes Kapitel
-
-Steinach am Wald
-
- Zwei Reisegefährten erzählen sich etwas von den Schelmen von
- Steinach, und Heinrich Fries plant mit seiner Mutter eine
- Sommerreise
-
-
-In einem Bähnchen, das bedachtsam, ohne sonderliche Eile, aber mit viel
-Gepuff und Gestöhn durch das Land lief, saßen zwei Männer. Der eine war
-alt, der andere war jung. Der Alte kannte die Gegend, der Junge kannte
-sie nicht, und weil der Junge zu denen gehörte, die sich gern belehren
-lassen, fragte er dies und das. Der Alte gab ihm gern Auskunft, er gab
-sie wie einer, der Land und Leute liebhat.
-
-Das Bähnchen fuhr auch an einem Dorf vorbei, über dem das Gebirge
-dunkel bergan stieg. Von drei Seiten liefen Straßen auf das Dorf zu;
-sie waren mit Obstbäumen eingesäumt, die just in Blüte standen. Wie
-weiße, schimmernde Bänder lagen die Straßen im Sonnenglanz, und ein
-weißer Blütenkranz umschmiegte auch das Dorf. Es sah hübsch aus, und
-der junge Mann im Zug beugte sich rasch hinaus und las, was an dem
-Bretterbudchen stand, das sich stolz Bahnhof nannte. »Steinach am Wald«
-hieß das Dorf.
-
-Auch der alte Mann schaute hinaus und nickte dem Dörfchen zu wie einer,
-der einen guten Freund grüßt, zu dem er sagen will: Wir haben uns lieb.
-
-»Da oben hat wohl einmal eine Burg gestanden?« fragte der junge Mann
-und deutete auf einen mäßig hohen, nach einer Seite steil abfallenden
-Berg, dessen Gipfel ein paar Mauerreste krönten.
-
-»Ja, dort oben -- der Berg heißt der Schafskopf -- hausten einst die
-Schelme von Steinach, das war ihre Stammburg.«
-
-»Die Schelme von Steinach auf dem Schafskopf!« Der junge Mann lachte
-und fragte: »Ein verlockender Name! Gibt es die Schelme noch?«
-
-»Nein, das Geschlecht ist ausgestorben, aber« -- ein heiteres
-Schmunzeln lief über des Alten Gesicht -- »die Geschichten von ihnen
-leben noch in der Erinnerung, und die Nachbarn ringsum nennen die
-Steinacher gern nach den alten Herren von einst die Schelme von
-Steinach.«
-
-Das Züglein hatte den kleinen Bahnhof verlassen. Pustend und stöhnend
-fuhr es weiter, und das Dorf mit den weißen, schimmernden Blütenstraßen
-entschwand allmählich den Blicken der Reisenden. Doch die Gedanken des
-jungen Mannes blieben noch daran hängen, er fragte: »Wie waren denn
-die Schelme von Steinach, daß man noch heute ihren Namen den Dörflern
-anhängt?«
-
-»Nun, beim richtigen Namen genannt waren es Raubritter. Sie hausten
-wie Habichte auf ihrem Bergnest und nahmen gern, was ihnen gefiel,
-auch wenn es anderen gehörte. Aber die Schlimmsten waren sie nicht,
-andere adelige Herren trieben es dazumal wohl ärger. Sie waren nicht
-hart, sondern gutmütig und voll lustiger Einfälle. Ein Raubzug war
-ihnen meist ein heiterer Spaß, und sie schädigten die Beraubten nicht
-an Leib und Leben. Ja, es kam vor, daß sie einen Kaufmann, den sie
-ausgeplündert hatten, noch gastlich auf ihrer Burg bewirteten, damit er
-sich vom Schreck erhole, und er von ihnen ging, als wäre er zu Besuch
-da droben gewesen.«
-
-»Und wieso gleichen die Steinacher von heute ihnen, daß man sie auch
-Schelme nennt? Rauben sie etwa auch?« fragte der junge Mann fröhlich.
-
-»Na, rauben und plündern tun sie freilich nicht, sie sind ehrlich,
-einer wie der andere, aber für einen lustigen Spaß sind sie immer
-zu haben,« erwiderte der Alte lächelnd. »Die Steinacher sind ein
-sangesfrohes, heiteres Völkchen, und weil sie Sinn für Scherz und
-Fröhlichkeit haben, leben auch noch die Geschichten der Schelme in
-ihrer Erinnerung. Es geht damit wie bei manchen Dingen: das Schlimme
-wird vergessen, das Gute bleibt in der Erinnerung haften.«
-
-»Jetzt ist Steinach ganz verschwunden!« Der junge Mann rief’s
-bedauernd, denn auch das letzte Zipfelchen der weißen Blütenstraßen
-verhüllte nun die Ferne. »Man muß einmal hinfahren und den Spuren der
-Schelme nachgehen.«
-
-Der alte Herr sah den jungen Mann, der blaß und schmal war, prüfend an.
-»Ein paar Wochen in Steinach täten Ihnen wohl gut. Sichtbare Spuren der
-Schelme sind nicht mehr viele zu finden. An der Kirche steht außen ein
-Grabstein aufgerichtet, ein Herr Arnulf von Steinach liegt da begraben.
-Und weil den die Steinacher alltäglich sehen, erzählen sie die meisten
-Schelmengeschichten von diesem Herrn Arnulf. Die Burg selbst ist ein
-Trümmerhaufen, nur ein Turm steht noch halb. Aber natürlich,« der Alte
-schmunzelte wieder, »liegt oben ein Schatz begraben; die Steinacher
-sagen es wenigstens.«
-
-»Ich werde den Schatz suchen gehen,« sagte der junge Mann. Er sagte
-es heiter und seufzte doch dabei, denn er dachte an die kleine, enge
-Viertreppenwohnung, in der er mit seiner Mutter hauste, und in der es
-reichlich knapp herging.
-
-»Ja, ja, einen Schatz möchte wohl jeder gern finden, und doch gehen die
-Menschen an so vielen Schätzen der Welt achtlos vorbei. Just so wie
-einst Herr Arnulf von Steinach.«
-
-»Wie war denn das?« Der junge Mann machte ein Gesicht, daß der Alte
-neckte: »Ei, auch auf Geschichten hungrig?«
-
-»Geschichten höre ich wirklich gern,« bemerkte der andere, »und auf
-Steinach und die Schelme bin ich schon ganz neugierig geworden.«
-
-»Also die Geschichte ist so: Herr Arnulf hatte einst gehört, daß ein
-Kaufmann mit kostbarem Geschmeide von Köln am Rhein käme, an des
-Markgrafen von Meißen Hof wollte er. Den muß ich fangen, dann hat alle
-Not ein Ende, dachte der Schelm von Steinach. Er war nämlich nicht
-sehr begütert, und seine Standesgenossen pflegten zu sagen: ›Arm wie
-der Schelm von Steinach!‹ Herr Arnulf legte sich also auf die Lauer
-mit seinen Mannen, und richtig, der Kaufmann mit seinen Leuten zog auf
-der Straße einher. Es ging wie immer in solchen Fällen: mit lautem
-Geschrei überfiel der Ritter mit seinen Knechten den Zug, der Kaufmann
-schrie und jammerte, seine Leute schrieen und jammerten noch lauter; es
-geschah aber keinem ein Leid, und der Kaufmann mit den Seinen wurde auf
-die Burg gebracht. Inzwischen ging ein armseliges Bäuerlein mit einem
-Sack auf der Landstraße dahin. Es grüßte demütig, und der Ritter, froh
-über den reichen Fang, warf ihm ein paar Batzen zu. »Was trägst du denn
-da?«
-
-»Schweinefutter,« stammelte das Bäuerlein und dankte untertänig für die
-milde Gabe.
-
-Herr Arnulf hatte keine Zeit, sich weiter um das Bäuerlein zu kümmern;
-froh über den reichen Fang, zog er zur Burg hinauf. Nach Schelmensitte
-wurden der Kaufmann und seine Leute in ein anständiges Gemach gebracht
-und mit Wildbret, Brot und Wein bewirtet, während der Ritter erst
-einmal die Beute betrachtete. Da war aber die Enttäuschung groß! Von
-dem kostbaren Geschmeide war nichts zu finden, einige Kasten waren ganz
-leer, und der ganze Raub bestand in einigen Ballen geringer Leinwand.
-Der Kaufmann wurde herbeigebracht, und Herr Arnulf fuhr ihn zornig an,
-wo denn das kostbare Geschmeide sei.
-
-»Ach du lieber Himmel,« rief der Mann klagend, »so etwas habe ich nie
-besessen; aber Gewürze hatte ich und dergleichen, die hat mir schon
-jemand geraubt. Es gibt der Herren mehr, die auf uns arme Kaufleute
-fahnden. Ich bin ein armer, unglücklicher Mann!«
-
-»Potzwetter, da haben wir die falschen erwischt!« dachte Herr Arnulf
-grimmig. Er ließ aber den armen Kaufmann das nicht entgelten; der
-durfte noch am Abend mit den Seinen weiterziehen und sogar seinen Kram
-mitnehmen. Denn dazu war der Herr Arnulf zu stolz, zu nehmen, was einer
-übriggelassen hatte.
-
-Danach lag er viele Tage und Nächte auf der Lauer, aber kein Kaufmann
-zog vorbei, und von dem kostbaren Raub, den er zu machen gedachte,
-bekam er kein Ringlein zu sehen.
-
-Nach ein paar Monden kam ein Vetter, ein reiselustiger Herr, der
-wußte von einem Spottlied zu sagen, das man in Köln am Rheine auf den
-Gassen sang. Der reichste Kölner Kaufmann, so hieß es in dem Liede,
-sei den Schelmen von Steinach als Bäuerlein mit Schweinefutter an der
-Nase vorbeigezogen. Im Walde habe er dann auf sein Gefolge gewartet,
-und alle miteinander hätten sich weidlich gefreut über des Schelmen
-Reinfall, der das Märlein von den ausgeraubten Kisten und Ballen so
-leicht geglaubt habe.
-
-Da half nun dem Herrn Arnulf kein Wüten und Zürnen mehr, der reiche
-Kaufmann saß in Köln sicher in seinem stattlichen Hause und zeigte den
-Batzen, den ihm der Schelm geschenkt hatte.
-
-Noch jetzt sagen sie in der Steinacher Gegend, wenn einer gar armselig
-tut und es nicht nötig hat: »Dem würde der Schelm auch einen Batzen
-schenken.««
-
-Es war, als hätte das Züglein darauf gewartet, bis die
-Schelmengeschichte zu Ende war, es hielt, und alle Leute mußten
-aussteigen. Die große Bahnlinie war erreicht, und etliche Reisende
-sagten: »Gut, daß die Bummelei ein Ende hat und wir in den Schnellzug
-steigen können.«
-
-Der junge Mann dachte das nicht, als er nun allein weiterfuhr, denn
-sein Reisegefährte hatte ein anderes Ziel. Er dachte an das Dorf im
-Kranz der blühenden Bäume; es mochte sich dort wohl gut wohnen. Nun
-lächelte er nicht mehr, nun seufzte er nur, weil es ihm einfiel, wie
-anders alles in seinem Leben gekommen war, als er es einst erhofft.
-Studieren hatte er wollen, da war sein Vater gestorben, just als er in
-der Prima saß. Seiner Mutter blieb so ein winziges Geldchen, daß sie
-gerade noch so lange davon leben konnte, bis sich ein kleiner Erwerb
-gefunden hatte. Er ging auf ein Seminar und wurde Lehrer, weil er dort
-eine Freistelle erhielt. Nun war er Hilfslehrer in einer großen Stadt,
-seine Mutter stickte und nähte noch, und beide hofften, er würde bald
-eine bessere Stelle erhalten. Er hatte darum die Reise gemacht, aber
-sie war vergeblich gewesen, die Stelle war einem anderen zuerteilt
-worden, und er kehrte in die graue Stadt zurück. Trübe blickte er zum
-Fenster hinaus.
-
-Draußen lag die Welt im Frühlingsglanz, aber ihm war das Herz schwer.
-Er wußte wohl, er hatte es eigentlich ganz gut; sein Amt war zwar
-bescheiden, aber es nährte ihn doch, er war zudem jung und gesund, und
-die allerbeste Mutter umsorgte ihn. Doch er konnte es nicht vergessen,
-daß er hatte studieren wollen, und sehnte sich danach, noch immer mehr
-und mehr zu lernen, und sollte nun lehren, -- das machte ihn unfroh. Er
-wollte höher hinaus im Leben, nach Ehre und Ansehen stand sein Sinn.
-
-An alles das dachte er auf der Bahnfahrt, er dachte auch noch daran,
-als er wieder die vier Treppen zu seiner Wohnung emporstieg, und oben
-las ihm seine Mutter die Gedanken von der Stirn und sagte wehmütig:
-»Mein armer Junge!«
-
-Da bezwang er sich, und heiter erzählte er von seiner Fahrt durch
-das frühlingsgrüne Land, und Steinach am Walde fiel ihm dabei ein.
-Er schilderte das Dörfchen, zu dem drei weiße, schimmernde Straßen
-führten, und er erzählte auch von den Schelmen. Darüber wurde er ganz
-froh, und zuletzt sagte er: »Weißt du, Mutter, wir sparen recht, und
-dann machen wir einmal eine Ferienreise nach Steinach am Walde.«
-
-»Ach ja,« sagte die Mutter, und ein sehnsüchtiger Glanz trat in ihre
-sanften Augen, »das wird schön!«
-
-Sie dachte an ihre fröhliche Jugend, die sie auf dem Lande verlebt
-hatte, und der Sohn dachte auch daran, denn die Mutter hatte ihm
-viel erzählt. Und auf einmal verschwand seine trübe Stimmung, ein
-fröhlicher Arbeitsmut kam über ihn, vielleicht konnte er noch mehr
-durch Stundengeben verdienen, konnte wirklich einmal mit seiner Mutter
-verreisen.
-
-Herr Heinrich Fries, so hieß der junge Lehrer, reckte die Arme und rief
-heiter: »Es bleibt dabei, Mutterle, wir reisen einmal nach Steinach am
-Wald. Nächstes Jahr -- oder vielleicht noch diesen Sommer.«
-
-Die Mutter mahnte lächelnd: »Bau’ dein Luftschloß nicht zu hoch!«
-
-»Ach, warum nicht? Wer weiß, wie schnell so etwas wird! Recht fleißig
-will ich sein, und in den großen Ferien reisen wir, -- ja sicher, --
-schon in den großen Ferien.«
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Zweites Kapitel
-
-Auf der Apfelstraße
-
- Warum Besenmüller auf der Pflaumenstraße sitzt und Schwetzers
- Fritze seinen Himbeerapfel fortwirft -- Der neue Lehrer findet
- die Begrüßung sehr seltsam, und Frau Besenmüller erscheint zur
- rechten Zeit
-
-
-In Steinach am Wald blühten die Bäume an den Straßen nicht mehr, denn
-es war Herbst geworden. Auf jeder Straße hatte ein anderer Baum die
-Herrschaft, und die Steinacher redeten darum von einer Apfelstraße,
-einer Birnen- und einer Pflaumenstraße.
-
-Die Bäume hingen voller Früchte, und keine Steinacher Hausfrau
-brauchte weder um Weihnachtsäpfel noch um Pflaumen zum Kuchen oder um
-Birnenschnitze für die Winterszeit in Sorge zu sein. Von allem gab es
-reichlich. Die Äste brachen fast unter der Last der reifen Früchte.
-
-»Destowegen braucht das Kindervolk aber nicht immer auf die Bäume
-zu klettern oder drumherum zu kriechen,« sagte Besenmüller, der in
-dieser Zeit in Steinach das Amt eines Obstwärters ausübte. Das war
-nicht leicht. Spazierte nämlich Martin Besenmüller auf der Apfelstraße
-entlang, dann spielten die Kinder auf der Pflaumenstraße, und schrie da
-ein Bube »Besenmüller!«, flugs liefen alle zur Birnenstraße.
-
-An einem Herbsttag, der heiß und sonnenleuchtend war, -- man hätte
-ihn für einen Sommertag halten können -- saß um die erste frühe
-Nachmittagsstunde Besenmüller auf der Pflaumenstraße und strickte. Das
-war eine Arbeit, die ihm manchen Spott eintrug. Die Steinacher Kinder
-waren unnütz genug, ihn oft neckend zu bitten: »Besenmüller, ich hab’
-’n Loch im Strumpf, geh, schenk mer ’n neuen!«
-
-Dann tat Besenmüller zwar gewaltig böse, er schimpfte und schalt, und
-seine liebe Frau schalt noch mehr, aber der Mann blieb doch sitzen und
-strickte weiter. Und seine Frau sagte: »Strick’ nur, Besenmüller, was
-for ’s Gemüt muß der Mensch haben. Was für Stadtleute das Gelese und
-Klaviergespiele is, das is for dich das Gestricke. Laß dir deine Freude
-nicht verärgern!«
-
-Besenmüllers Ärger ging aber nicht tief, und wenn er zankte, lag wohl
-ein heimliches Lachen in seinen Augen. --
-
-Ein Vergnügen war es nun wirklich, so im Sonnenschein unter einem Baum
-zu sitzen und zu stricken. Besenmüller hatte einen rosenroten Strumpf
-vor, und seine Laune war auch rosenrot; er rief herzvergnügt »Guten
-Tag!«, als ein Bauer vorbeikam.
-
-»Na, Besenmüller, hütest du die Zwetschen mal wieder?« fragte der Mann.
-»Freilich, freilich, se sin arg schene alleweil. Das Kindervolk möchte
-zu gern ran.«
-
-Besenmüller lächelte schadenfroh. Auf der Birnenstraße gab es nicht
-mehr viel zu holen, und die Winteräpfel, die noch auf den Bäumen saßen,
-lockten nicht so sehr. »Se sin jetzt sehre wilde, de Kinner,« brummelte
-er.
-
-»Jo, jo, wenn nur der neie Lehrer erst käme!« gab der Bauer zur
-Antwort. »Vater Hiller ist zu gut.«
-
-»Aus ’ner großen Stadt kommt der.« Besenmüller machte ein unzufriedenes
-Gesicht, und der Bauer fragte: »Is dir wohl niche recht?«
-
-»Nä, bewahre, ’n Städter ist ’n Städter, der wird nich nach Steinach
-passen. Iche bin unzufrieden.«
-
-Da ging der Bauer kopfschüttelnd weiter. Ja, wenn Besenmüller
-unzufrieden war, so war das eine schlimme Sache. Besenmüller war nicht
-allein Obstwächter, er war auch der Schul- und Kirchendiener. Je ja,
-und der war nun mit dem neuen Lehrer unzufrieden!
-
-Besenmüllers Laune war nun nicht mehr so rosenrot wie sein Strumpf,
-der Gedanke an den neuen Lehrer hatte sie ihm ein bißchen verdorben.
-Fünfunddreißig Jahre hatte der alte Lehrer Hiller in Steinach sein Amt
-verwaltet, und auf einmal wollte er fort. Er brauche Ruhe, hatte der
-Arzt gesagt. Nun wollte Vater Hiller, so wurde er gern genannt, zu
-seinen Kindern ziehen, und ein neuer sollte an seine Stelle treten.
-
-Wie dieser neue Lehrer sein würde, daran dachte nicht allein
-Besenmüller an diesem Nachmittag, auch die Kinder redeten davon. Die
-saßen alle miteinander, Buben und Mädel, große und kleine, auf der
-Apfelstraße und fanden, daß Winteräpfel auch schon im Herbst ganz gut
-eßbar sind. Sie kannten auch genau die Bäume, auf denen die frühreifen
-Früchte hingen. Die Buben saßen auf den Bäumen, die Mädel darunter, und
-alle schmausten sie mit vollen Backen.
-
-Dort, wo sich die Apfelstraße schon dem kleinen Bahnhof näherte, --
-er lag etwa eine Viertelstunde vom Dorf entfernt -- saß auf einem
-Himbeerapfelbaum Arnulf Weber. Schlank und rank war er; wenn er mit
-seinen Kameraden ging, ragte er immer ein Stückchen über sie hinaus.
-Und lärmten die Buben auf der Straße gar zu arg, dann sagten die
-Steinacher: »Mer hört’s, Arne is dabei.«
-
-Arne saß oben auf dem Baum, und im untersten Geäst hing Fritze
-Schwetzer. Der war kurz und stämmig, und seinen Namen verdiente er gar
-nicht. Maulfauler als Fritze Schwetzer konnte nicht leicht einer sein.
-Wenn den seine Mutter mit einer Bestellung zu einer Nachbarin schickte,
-dann sagte er dort meist nur das letzte Wort, etwa »Kuchenblech«,
-die Nachbarin mußte es sich dann dazu denken, daß Frau Schwetzer ein
-Kuchenblech geliehen haben möchte. An diesem Herbstnachmittag sagte
-Fritze überhaupt nichts. Er aß nur einen Himbeerapfel nach dem andern,
-obgleich seine Mutter bei Tisch gesagt hatte: »Fritze, du wirst noch
-platzen, wenn du so arg stopfst.«
-
-Desto mehr redete Arne. Seine Stimme tönte hell die Apfelstraße
-entlang, und von einem Pfundapfelbaum und anderen Bäumen, auch aus dem
-Graben heraus, in dem die Mädel saßen, kam Antwort. Lustige Neckworte
-flogen hin und her. Manchmal sauste ein Apfel von Baum zu Baum, im
-Graben kicherte es, und in all den heiteren Lärm hinein schrie auf
-einmal Zimplichs Max: »Nu kommt er balde!«
-
-»Wer denn?« Die den Ruf gehört hatten, fragten es, und die anderen
-riefen: »Was hat er gesagt?«
-
-»Der Neue.« Zimplichs Max brüllte es laut, und Ach- und Ohrufe tönten
-die Apfelstraße entlang. Auf einmal dachten sie alle an den neuen
-Lehrer, auf den sie ungeheuer neugierig waren. Ob er wohl sehr streng
-war? Strenger als Herr Hiller sicher! Und nun würden die schönen vielen
-Feiertage ein Ende haben, denn Vater Hiller hatte zuletzt nicht mehr
-soviel unterrichten können, er war lange leidend gewesen.
-
-»Ich fürcht’ mich niche!« Ein kleiner, dicker Stöpsel, der mit Müh und
-Not auf einen niedrigen Baum gekommen war, schrie es kühn und laut. Das
-Wort fand Beifall von da und dort, von oben und unten versicherten es
-Buben und Mädel: »Wir ferchten uns niche.«
-
-»Jackenknöpfle hat recht!« Webers Arne warf dem kleinen, dicken
-Burschen einen roten Himbeerapfel hinüber, der fing ihn auf, biß hinein
-und ärgerte sich dabei. Sein Spitzname kränkte ihn. Jakobus Knöpfle
-hieß er, daraus hatte ein Spaßvogel Jackenknöpfle gemacht, und dieser
-Name hing ihm nun an. Seine Mutter tröstete zwar: »Sei froh, daß
-sie nicht Hosenknöpfle sagen!« Aber das war doch nur ein schlechter
-Trost. --
-
-Während so die Kinder auf der Apfelstraße von dem neuen Lehrer redeten
-und Besenmüller auf der Pflaumenstraße verdrießlich an ihn dachte,
-fuhr Herr Heinrich Fries im Zuge nach Steinach. Er war der neue Lehrer,
-und als er so das Land im Herbstschmuck sah und an seine Frühlingsreise
-dachte, kam es ihm ganz wunderbar vor, daß nun Steinach sein Ziel war.
-Wie es so kommt. Im Sommer hatten die Ersparnisse noch nicht zu einer
-Reise gereicht, und Mutter und Sohn hatten zueinander gesagt: »Nächstes
-Jahr vielleicht.« Und dann war Heinrich Fries eines Tages in die Schule
-gekommen, in der er als Hilfslehrer unterrichtete, da hatte sein
-Rektor zu ihm gesagt: »Wollen Sie auf das Land? Es ist schnell eine
-gute Stelle zu besetzen. Der dortige Lehrer ist krank, er will in den
-Ruhestand treten.«
-
-Auf das Land? Dorflehrer sollte er werden? Nur zögernd hatte er
-gefragt: »Wie heißt denn der Ort?«
-
-»Steinach am Wald.« Der junge Lehrer im Zug mußte wieder lächeln, als
-er an sein Erstaunen damals dachte und an das seiner Mutter über den
-seltsamen Zufall. Steinach am Wald, dorthin sollte er. Nur drei Tage
-blieben ihm Bedenkzeit, und in diesen Tagen hatten Mutter und Sohn viel
-von dem fernen Dorf gesprochen. Sehr froh waren sie beide nicht, sie
-wären gern in der Stadt geblieben.
-
-Frau Fries gehörte zu jenen Müttern, in deren Herzstübchen die Wände
-voller Bilder hängen, fast alles Bilder ihrer Kinder. In diesem
-Stübchen stehen dann lauter Dinge, an denen die Kinder ihre Freude
-haben oder sie einst hatten. Auch ein großes Sorgenwinkelchen gibt es
-drin, dort liegt das Leid der Kinder. Manchmal ist dieser Sorgenwinkel
-recht groß, und die Mutter hat viel, viel damit zu tun. Auch Frau
-Fries’ Herzstübchen war immer ausgefüllt von der Sorge und Freude um
-ihren Sohn. An sich selbst dachte sie nie, nur an den Sohn, und der
-sollte mehr werden als nur ein Dorflehrer, ein Gelehrter sollte er
-werden wie sein Vater. In der Stadt konnte er weiterarbeiten, auf dem
-Dorfe wohl nicht.
-
-Die gute Mutter! dachte Heinrich Fries, als er Steinach immer näher
-kam. Nun würde er bald dort sein, aber allein zuerst, so hatte es die
-Mutter verlangt. »Wenn es dir nicht gefällt, kommst du zurück,« waren
-ihre Worte gewesen. Und der Sohn wußte, sie würde in ihrer Einsamkeit
-von morgens bis abends arbeiten, nur für ihn. Sie würde für ihn sorgen
-unermüdlich, vielleicht kam er bald zurück und brauchte ihre Hilfe.
-
-Da hielt der Zug, Steinach am Wald war erreicht. Er stieg aus und sah,
-daß er der einzige Reisende war, der das tat. Der Zug fuhr weiter,
-und er schlug den Weg nach dem Dorfe ein. »Nur immer die Apfelstraße
-hinunter,« sagte der Bahnbeamte freundlich. »Ihren Koffer lassen Sie
-nur hier, Herr Lehrer, -- das sind Sie doch?«
-
-Der Mann grüßte und nickte, und Heinrich Fries ging die Apfelstraße
-entlang. In der großen Stadt, aus der er kam, konnte er durch viele
-Straßen gehen, niemand kannte ihn, und hier wußten sie gleich, wer er
-war. Es ist freilich ein Dorf, sagte er zu sich und seufzte im Herzen,
-nur ein Dorf!
-
-Um diese Zeit dachte Besenmüller gerade auf der Pflaumenstraße: »Heute
-sin se aber brav, die Kinner!« und die braven Kinder jauchzten, lärmten
-und schmausten vergnügt auf der Apfelstraße. Da tönte der schrille
-Pfiff einer Lokomotive in das fröhliche Gelärm hinein, und Arne schrie:
-»Vielleicht kommt jemand.«
-
-Geschwind verkrochen sich die Buben im dichteren Blattgewirr, und die
-Mädel duckten sich in den Graben. Es war doch möglich, daß jemand
-vom Bahnhof kam, und wenn sie auch alle meinten, im Recht zu sein
-mit dieser Schmauserei, erwischen lassen wollte sich keins. Ein paar
-meinten: »Arne, paß auf!«
-
-»Es kommt wer -- ’n Fremder!« schrie der zurück, und der Ruf eilte die
-Apfelstraße entlang von Baum zu Baum.
-
-Von den Bäumen herab, aus dem Straßengraben hinauf lugten schwarze und
-blaue Augen dem Ankommenden lustig entgegen. Wer mochte das sein? Ein
-Fremder in Steinach, welch ein Wunder!
-
-Fritz Schwetzer allein kümmerte sich nicht um den, der kam. Er hatte
-eben einen Himbeerapfel angebissen, der außen schön rot und glänzend,
-aber innen verfault und bitter war, das ärgerte ihn. Er drehte den
-Apfel rundum, biß noch einmal da an und dort, vielleicht gab es noch
-eine süße Stelle, aber da der Apfel bitter blieb, warf Fritze ihn in
-weitem Bogen auf die Landstraße, da mochte er liegen.
-
-»Holla, was ist denn das?« Heinrich Fries sah sich erstaunt um, ihm
-war etwas an den Kopf geflogen und hatte ihm den Hut heruntergerissen,
-und doch war es ganz windstill, kein Lufthauch war zu spüren. Aber
-freilich, in den Bäumen raschelte und zitterte das Laub, und der junge
-Lehrer sah da und dort Bubenbeine hängen, er sah auch neben seinem Hut
-einen angebissenen Apfel liegen. Rasch trat er auf den Himbeerapfelbaum
-zu, packte Fritzes Beine und rief: »He, du da oben, ist das Sitte hier,
-Fremden den Hut vom Kopf zu werfen?«
-
-Fritze erschrak. Er sagte aber nichts, sondern versuchte nur seine
-Beine zu befreien. Arne beugte sich rasch hinab, um sich den Fremden
-näher anzusehen. Doch dabei entglitt ihm sein Apfel und traf Herrn
-Fries an die Nase.
-
-»Potzwetter,« rief der nun ärgerlich, »da sitzt ja noch so ’n heilloser
-Bube! Ihr scheint mir ja nette Rangen zu sein! Kommt mal gleich
-herunter.«
-
-»Nä,« rief Arne trotzig. Der hatte gar keine Lust, mit dem
-Fremden unten auf der Landstraße zu stehen. Auch Fritze Schwetzer
-verspürte dazu keine Neigung, aber ihn konnte der junge Mann leicht
-herunterholen. Das war bedenklich, und er überlegte, es wäre
-eigentlich ganz ratsam, dem fremden Mann einfach über den Kopf weg zu
-springen. Auf diese Weise entging er aller Fragerei. Gedacht, getan.
-Ehe Herr Heinrich Fries noch wußte, wie und was, sauste Fritze vom
-Baum herunter; aber hatte vorher sein Apfel des jungen Lehrers Hut
-mitgenommen, so nahm der Bube gleich diesen selbst. Pardauz lagen beide
-auf der Straße, Fritze überschlug sich zweimal, sprang auf und raste
-hinweg.
-
-Aus dem Graben schauten drei lachende kleine Mädel heraus, und oben auf
-dem Baume kreischte Arne laut vor Vergnügen. Sein Jubel fand ein Echo.
-Plötzlich lachte, schrie und kicherte es die ganze Apfelstraße entlang.
-Den Buben und Mädeln schien die Purzelei des Fremden ein lustiger Spaß
-zu sein, dieser selbst freilich fand es gar nicht lustig, der war sehr
-verdrießlich. Er suchte mißmutig seine Sachen zusammen, die zerstreut
-am Boden lagen, und dachte dabei: »Das ist ja ein netter Anfang! Wenn
-das so weiter geht, wird es mir schwerlich gut in Steinach gefallen.«
-
-[Illustration: Die Schelme von Steinach. Seite 22.]
-
-Unschlüssig stand er eine Weile da und sah die lange Straße hinab.
-Kerzengerade lief sie bis zum Dorfe hin; an ihrem Ende ragte fein und
-schlank der Kirchturm in die Luft. Der junge Lehrer sah aber nicht
-allein das Dorf im Hintergrunde, er sah auch da und dort Bubenbeine
-von den Bäumen herabhängen, und kleine kecke Mädelnasen streckten sich
-aus dem Graben heraus. Recht seltsame Früchte waren das. Wie er noch
-so stand und sich seine zukünftigen Schulkinder betrachtete, tönte von
-unten herauf der Ruf: »Besenmüller, Besenmüller kommt!«
-
-Ritsch, ratsch verschwanden die Beine, wie reife Äpfel plumpsten die
-Buben von den Bäumen, aus dem Graben kamen die Mädel heraus, und heidi
-ging es nach rechts und nach links über die Stoppelfelder hinweg. Im
-Umsehen lag die Apfelstraße verlassen da, nur eine auffallend große
-Frau schritt dem jungen Lehrer entgegen.
-
-In der Mitte der Straße trafen sich beide. Die Frau musterte rasch den
-Fremden, dann sagte sie: »Ich bin die Besenmüllern, Herr Lehrer!«
-
-»Ja, kennen Sie mich denn?«
-
-»Nu freilich, sonst kommt doch ’n Fremder nich her um die Zeit. Und
-Pflaumenkuchen hab’ ich schon gebacken, und unser alter Herr Lehrer
-erwartet Sie. Und mein Mann sitzt unten auf der Pflaumenstraße, und ich
-dachte gleich, de Kinner sin hier. Besenmüller is zu gut, viel zu gut,
-Herr Lehrer, so gut is keiner wie der. Er müßte strenger sein gegen die
-Kinner. Gelle, das meinen Sie auch?«
-
-»Hm,« sagte der junge Lehrer nur. Er kannte weder Besenmüller noch
-seine Frau, er wußte nichts von deren Güte oder Strenge. »Ich will nun
-gehen,« murmelte er.
-
-»Ich geh’ mit, und Ihr Zimmer ist schon fertig, Herr Lehrer.«
-
-So schwatzte Frau Besenmüller, des Kirchen- und Schuldieners Frau,
-unablässig weiter und führte den jungen Lehrer nach Steinach hinein.
-Der brauchte nichts zu fragen und zu sagen, Frau Besenmüller erzählte
-ihm alles, wie ein Mühlwerk ging ihre Rede, und dabei konnte ihr
-Begleiter nie sehen, weinte sie oder lachte sie, weil nämlich ihr
-Gesicht ganz merkwürdig schief war. Seltsame Leute und seltsame Sitten
-scheint es hier in Steinach zu geben, dachte der junge Lehrer, als sie
-das Dorf erreichten. Ob ich hier wohl lange bleiben werde? Sicherlich
-nicht!
-
-»Nä, so was,« rief da Frau Besenmüller, »Webersch Wagen is umgepurzelt,
-nä aber!«
-
-Quer über die Straße lag ein umgestürzter Düngerwagen und versperrte
-den Zugang. Der Duft, der von ihm ausging, war nicht lieblich, und
-Heinrich Fries schickte sich seufzend an, in einem weiten Bogen
-herumzugehen, und so langte er endlich verdrießlich vor dem Schulhause
-an.
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Drittes Kapitel
-
-Der Empfang
-
- Eine Ratssitzung auf dem Schelmenacker -- Malchen gibt ein
- rotes Band, und Fritze Schwetzer zeigt, wie gut er werfen kann
- -- Besenmüller nennt seine Frau Lydia, und Heinrich Fries
- lauscht dem Abendgesang
-
-
-»Da sin mer also!«
-
-Frau Besenmüller blieb vor einem großen, stattlichen, gelbgetünchten
-Hause stehen, und der junge Lehrer sah verwundert daran empor. Das
-sollte ein Dorfschulhaus sein?
-
-»Gelle, das ist mal fein?« Die Frau Besenmüller schmunzelte, und selbst
-ihre weinerliche Gesichtsseite wurde freundlich. Sie war ungemein stolz
-auf das Schulhaus und merkte gleich, dem neuen Lehrer gefiel es.
-
-Der maß das stattliche Gebäude mit hellen Blicken. Ja freilich, so
-ein Haus konnte einem schon gefallen. Es glich eher einem großen
-Gotteshaus, und es mochte anderthalb Jahrhunderte und mehr auf seinem
-Platze stehen. Es war zweistöckig und hatte ein doppeltes Dach.
-Lustig, wie lauter vergnügte Kinderaugen, schauten die Dachaugen in die
-Welt hinein. An der Ostseite rankte sich wilder Wein am Hause empor,
-der glühte im Herbstrot, und so in farbiger Schöne prangte auch der
-Garten, der von zwei Seiten an das Haus grenzte.
-
-»Gelle ja, das is fein?« sagte Frau Besenmüller noch einmal und führte
-den jungen Lehrer in das Haus hinein. Dem weiten Hausflur und der schön
-gewundenen Treppe war es auch anzumerken, daß das Haus nicht als Schule
-gebaut worden war. »Ein Graf hat das Haus einmal gebaut,« erzählte denn
-auch des Schuldieners Frau eifrig, als sie die Treppe voran emporstieg.
-»Der hat gesagt, in der Stadt taugten die Leute nischte niche, womit
-er ja recht hatte, und daderum wollte er auf dem Dorfe leben. Wie nun
-das Haus fertig war, is er niche reingezogen, denn hat’s ihm gerade
-wieder in der Stadt gefallen. Da hat er gesagt, auf dem Dorf taugten
-sie nischte niche. Närrsch, gelle? Ja, so sin nu die Leute. Un hier is
-unser alter Herr Lehrer, un ich bring’ gleich den Kaffee.«
-
-Frau Besenmüller hatte eine Türe geöffnet und rief in das große, helle
-Gemach hinein: »Hier is er!« Dann verschwand sie eilig, und die beiden
-Lehrer standen sich gegenüber. Der eine weißhaarig und gebückt, viele,
-viele Furchen im alten, milden Gesicht, der andere blond, groß und
-schlank, seine grauen Augen blitzten tatenlustig. Sie schüttelten sich
-die Hände, und jeder dachte vom andern: »Der gefällt mir.«
-
-Frau Besenmüller brachte wirklich sehr schnell Kaffee und einen
-ungeheuren Teller voll Pflaumenkuchen dazu, auch Brot, Butter und
-Wurst, gerade so, als hätte Heinrich Fries eine Weltreise gemacht.
-»Dieser Empfang gefällt mir besser,« sagte er heiter, und dann
-berichtete er Vater Hiller von seinem Erlebnis auf der Apfelstraße. Der
-lächelte dazu und erwiderte: »Böse gemeint war’s nicht, na ja, aber
-wild sind sie freilich, das ist schon wahr.«
-
-Er erzählte seinem jungen Nachfolger allerlei von Steinach und seinen
-Bewohnern, von den Kindern und dem Schulhaus. Das war wirklich ein
-altes Herrenhaus gewesen, wie es Frau Besenmüller erzählt hatte. Drei
-alte Gräfinnen, Schwestern, hatten zuletzt viele Jahre darin gewohnt,
-und es war nach ihrem Tode, weil ihr Erbe unauffindbar gewesen war, dem
-Dorf als Schulhaus gegeben worden.
-
-Während die beiden Lehrer so von alten und neuen Zeiten, vom Schulhaus
-und den Steinacher Kindern sprachen, saßen die letzteren auf dem
-sogenannten Schelmenacker. Das war ein Stück Wiesenland zwischen
-der Apfelstraße und der Birnenstraße; dort lag inmitten ein großer
-Steinhaufen, auf dem es sich wunderbar saß, wenigstens sagte es Webers
-Arne. Alle die Buben und Mädel hatten sich hier versammelt, die auf der
-Apfelstraße gewesen waren. Dort hatten etliche Frau Besenmüllers laute
-Worte gehört, und sie wußten es jetzt, der Fremde war der neue Lehrer.
-
-Sie waren sehr niedergeschlagen, denn so seltsam hatten sie den neuen
-Lehrer doch nicht empfangen wollen. »Du bist dran schuld,« sagten sie
-alle einmütig zu Fritze Schwetzer.
-
-»Nä.« Fritze sagte weiter nichts, aber dies eine Wort ärgerte
-die andern, sie riefen entrüstet: »Leugne nich, du hast’n Hut
-runtergeschmissen!«
-
-»Ja.« Fritze seufzte, das viele Reden war doch beschwerlich.
-
-»Wir wollen was singen.« Ein Mädel mit Augen und Haaren, wie Tinte so
-schwarz, rief das.
-
-»Jetzt?« Ein paar Stimmen fragten es mißmutig. »Warum denn?«
-
-»Hier doch nicht!« Hinzpeters Malchen, so wurde die Kleine genannt,
-kicherte in ihre Schürze hinein. »Hihihi, ich meine -- nä -- so nich,
-hihihi, wir wollen dem neuen Herrn Lehrer was singen.«
-
-»Nä.« Fritze Schwetzer sah Malchen ganz wütend an. Singen, das könnte
-ihm passen!
-
-Die andern fanden den Plan aber nicht so dumm, einige sagten ja, andere
-nein, bis Arne alle überschrie: »Wir wollen doch in der Schule singen,
-beim ersten Mal, Herr Hiller hat’s gesagt.«
-
-Freilich, so war’s, Arne hatte recht. In der Schule sollten sie den
-Lehrer mit Gesang begrüßen.
-
-»Wir bringen ihm ’nen Strauß.« Malchen kicherte wieder, und wieder
-sagten etliche ja und etliche nein.
-
-Die Buben waren die Neinsager, die Mädel die Jasagerinnen. »Blumen sind
-Quatsch,« erklärte der kleine dicke Jakobus.
-
-»Och, Jackenknöpfle, sei doch stille, Blumen sind fein! Und Stadtleute
-lieben Blumen.«
-
-Vier Mädel redeten auf einmal, und sie hörten auch nicht gleich auf,
-sie erzählten von allerlei Blumenempfängen, von denen sie wußten oder
-gehört hatten.
-
-Eine Weile wogte der Streit hin und her, aber zuletzt fanden die Buben
-den Blumenstrauß ganz gut, und sie beschlossen, jeder sollte rasch
-laufen und Blumen holen, und dann wollten sie hier einen schönen Strauß
-binden. Malchen Hinzpeter versprach ein rotes Band dazu.
-
-Nun der Plan gefaßt war, gingen alle sehr eilig an die Ausführung.
-Das Blumenholen war nicht so einfach. In den kleinen Gärten, die
-so freundlich die Häuser von Steinach schmückten, gab es zwar noch
-allerlei Blumen, aber die Bäuerinnen hüteten sie ängstlich. In Steinach
-gingen die Frauen Sonntags noch mit einem Strauß zur Kirche, und jede
-wollte einen schönen Kirchenstrauß haben. Weil es im Herbst auch
-allerlei Feste gab, Hochzeiten und Kirmesfeiern, darum hüteten die
-Steinacherinnen im Herbst ihre Gärten besonders gut. Heimlich huschten
-die Buben und Mädel hinein, pflückten von den nur noch spärlichen
-Blumen ab, was sie erreichen konnten, und kehrten mit ihrem Raube
-vergnügt zum Schelmenacker zurück.
-
-Dort wanden die Mädel den Strauß, alles kunterbunt durcheinander:
-Astern, späte Levkoien, gelbe Studentenblumen und Georginen, so dick
-wie Pfannkuchen; auch ein paar Reseden und Rosen kamen noch hinein,
-dazu Spargelkraut, und das rote Band umschloß das Ganze zuletzt
-feierlich.
-
-Als der Strauß fertig war, entstand eine große Frage: Wer sollte ihn
-überreichen?
-
-»Ich, ich, ich!« schrieen geschwinde etliche Stimmen, aber schnell kam
-es ihnen in den Sinn, daß es ein schweres Werk sei, dem neuen, fremden
-Lehrer den Strauß zu geben, und alle riefen einmütig: »Ich nicht!«
-
-»Webers Arne soll’s tun,« sagten die Mädel.
-
-»Hinzpeters Malchen ist die Rechte dazu,« erklärten die Buben. Aber die
-beiden wollten auch nicht. Sie redeten alle hin und her, bis zuletzt
-Arne sagte, er wolle es tun, aber Malchen müsse den Strauß tragen,
-und alle sollten mitgehen. Damit waren denn die andern einverstanden,
-und sie zogen nach dem Schulhause, Malchen mit dem Strauß, den sie
-ängstlich unter ihrer Schürze verbarg.
-
-Sie beschrieben einen Umweg und langten so ziemlich unbemerkt vor dem
-Schulhaus an. Dort schubsten sie sich vor der Türe herum und wagten
-nicht hineinzugehen; die Allerfurchtsamsten mahnten ärgerlich: »Arne,
-geh doch! Hinzpeters Male ist ’n Furchthase.«
-
-Auf einmal rief aus einem der oberen Fenster Frau Besenmüller herab:
-»Nu, was soll’s denn? Was wollt ihr?«
-
-Husch, husch, rissen alle aus. Wie die Hasen liefen sie davon, denn
-vor der Schuldienersfrau hatten sie gewaltige Angst. Frau Besenmüller
-schalt noch eine Weile, dann klappte sie das Fenster zu, und es war
-wieder still. Die Kinder standen alle hinter dem Hause und sahen zu den
-Fenstern empor. Jackenknöpfle zeigte auf ein Fenster, das offen stand;
-er flüsterte geheimnisvoll: »Dort wohnt er!«
-
-»Fein!« jubelte Arne. »Wir werfen den Strauß rein.«
-
-»Nä!« murrte Fritze Schwetzer, aber gleich fragten fünf zugleich:
-»Willst du ihn reintragen?«
-
-»Nä!« Fritze verzog sich. So ging es immer: Wenn er einmal was sagte
-oder sagen wollte, schrieen die andern so sehr, das war wirklich
-anstrengend.
-
-»Ich werfe!« Webers Arne nahm Malchen den Strauß aus der Hand, zielte,
-und bums schlug der Strauß an ein anderes Fenster an.
-
-»Ich kann’s besser!« Heine Langbein griff nach dem Strauß, und die
-Mädel kreischten: »Ihr zerhaut ihn noch!«
-
-Richtig, pardauz klatschte der Strauß an die Mauer an und fiel zurück,
-und Röse Traugott ergriff ihn noch, ehe er auf die Erde fiel.
-
-»Ich will werfen!« -- »Nä, ich!«
-
-Ein paar Bubenhände griffen nach dem Strauß, aber Röse wehrte ab und
-klagte: »Da, die Rose ist schon abgebrochen und die auch.«
-
-»Schwetzers Fritze, wirf du doch, du kannst das so fein!« rief Arne.
-Das war nicht Spott, Fritze war als guter Werfer bekannt, und wirklich
-kam er wieder herbei, und ihm gab Röse auch den Strauß. »Nimm ihn
-recht in acht!«
-
-»Hm!« Fritze wog den Strauß prüfend in der Hand, dann zielte er, trat
-drei Schritte zurück, zielte wieder, und hoch im Bogen sauste der
-Strauß durch die Luft. Wutsch, flog er in das offene Fenster hinein.
-Drinnen erklang ein lautes Klirren, ein Rufen, und unten flohen die
-Kinder entsetzt nach allen Seiten hin und schrieen: »Er hat das Fenster
-eingeschlagen!«
-
-»Nä, drinne etwas!« Husch, husch, husch waren alle fort, nur Fritze
-Schwetzer stand wie erstarrt vor dem Hause, er war so tief erschrocken,
-daß er nicht einmal an das Ausreißen dachte. Was war da oben geschehen?
-
-Vater Hiller hatte seinen jungen Nachfolger gerade in das Zimmer
-gebracht, in dem er vorläufig wohnen sollte. Zur Einrichtung hatte
-Frau Besenmüller überall im Dorfe Hausrat zusammengeborgt. Ein wenig
-zusammengewürfelt sah daher das Zimmer innen aus, aber doch freundlich
-und behaglich, und Heinrich Fries meinte, bis seine Mutter nachkäme,
-würde es schon gut gehen. Aus dem Tische stand Frau Besenmüllers
-Glanzstück, eine himmelblaue Glasvase, die ihr gehörte. Und just als
-der junge Lehrer die ansah und dachte: »Nein, so ein häßliches Ding!«
-kam etwas in das Zimmer geflogen. Klirr ging’s in eine Scheibe des
-Fensters hinein, und klirr, bums, klatsch! lag auch die himmelblaue
-Vase zerschmettert am Boden. Frau Besenmüller kreischte entsetzlich.
-Heinrich Fries eilte zum Fenster und sah hinaus. Dort unten stand
-Schwetzers Fritze unbeweglich wie ein Baum. »He du,« rief der junge
-Lehrer hinab, »was soll der Unsinn? Hast du geworfen?«
-
-Dem Fritze war die Stimme bis in den Magen gerutscht, dort saß sie, und
-Fritze konnte sich noch so abquälen, kein Wörtlein kam heraus.
-
-»Nun, sehen Sie nur, Herr Hiller den Jungen da unten, wie frech er
-dasteht! Ob er geworfen hat?«
-
-Der alte Mann hatte den Strauß erblickt, der in eine Ecke gefallen war,
-er hatte ihn aufgehoben und strich nun liebevoll über die zerknickten
-Blumen. Er sah auch Fritze unten stehen und ahnte, die andern waren
-ausgerissen. Milde sagte er: »Es sollte wohl ein Willkommensgruß für
-Sie sein, Herr Kollege.«
-
-»Ein eingeschlagenes Fenster, eine zerbrochene Vase und --,« Heinrich
-Fries sah nun auch den Strauß mit dem roten Bande, da mußte er lächeln.
-»Ein wenig seltsam ist ja die Art, mir die Blumen zu bringen.«
-
-»Aber gut gemeint. Ich kenne meine Steinacher Kinder, sie haben
-gedacht, es sei sehr schlau so.« Vater Hiller lächelte gütig, und
-sein Lächeln fand auch auf dem Gesicht seines Nachfolgers heiteren
-Widerschein.
-
-Frau Besenmüller dagegen sah nicht allein grimmig drein, sie schalt
-auch für drei, und als sie die Scherben ihrer himmelblauen Vase auflas,
-drohte sie bei jedem Stück: »Na, wartet nur, Besenmüller soll euch
-schon strafen, wartet, wartet!«
-
-Es wartete aber keiner von den Missetätern ab, was geschehen würde,
-selbst Schwetzers Fritze war auch davongelaufen. Auf dem Schelmenacker
-fanden sich alle wieder zusammen, und sie berieten, was zu tun sei.
-Zerschlagen hatte Fritz mit dem Strauß etwas, das stand fest. Etliche
-wollten ihm darum Vorwürfe machen, aber da erhoben Arne und Malchen
-laut ihre Stimmen: »Er kann nischte dafor.«
-
-»Nä,« sagte Jackenknöpfle in edler Selbsterkenntnis, »ich hätte noch
-mehr zerschmissen.«
-
-Sie überlegten ernsthaft, was sie tun sollten, und alle meinten, Frau
-Besenmüller müßte versöhnt werden; denn war Frau Besenmüller böse,
-dann ging sie sicherlich von Haus zu Haus und erzählte die Geschichte,
-oder sie stellte sich morgen an die Schultüre und gab jedem einen
-Katzenkopf, ob groß, ob klein, ihr war es gleich, die stärksten Buben
-duckten sich vor Frau Besenmüller.
-
-»Wir sagen’s Besenmüller, der hilft uns schon,« riefen nach etlichem
-Hin- und Herreden ein paar Stimmen. Der Vorschlag fand gleich
-ungeteilten Beifall, und die Kinder wunderten sich schließlich alle,
-daß sie nicht gleich auf den Gedanken gekommen waren.
-
-»Hurra, zu Besenmüller! Hurra, hurra!«
-
-»Auf der Pflaumenstraße sitzt er.«
-
-Auf der Pflaumenstraße saß Besenmüller wirklich. Sein rosenroter
-Strumpf war ziemlich vollendet, keine Bäuerin hätte ihn glatter
-und sauberer stricken können. Aber beinahe entfiel die rosenrote
-Herrlichkeit Besenmüllers Händen, so eilig, mit so viel Geschrei und
-Geschwätz kamen die Kinder alle an.
-
-»Holla, an die Zwetschen geht mir keins!«
-
-»Nä, Besenmüller, nä, wir kommen nur mal so.«
-
-»So, ih nä!« Besenmüller zwinkerte mit den Augen. »Was ist denn? Warum
-ist meine Frau denn so böse?«
-
-»Ach, nur wegen dem Strauß!«
-
-»Was ist mit dem Strauß?«
-
-»Wir wollten dem neuen Herrn Lehrer einen schenken.«
-
-»Und Schwetzers Fritze hat ihn geworfen.«
-
-»Das Fenster war offen.«
-
-»Nur --.« Da schwiegen alle, und Besenmüller strickte klapp, klapp,
-Nadel um Nadel. Endlich sagte er: »Das Fenster ist wohl zerschmissen?«
-
-»Ja -- aa,« ertönte es kleinlaut, »und -- und --«
-
-»Was denn noch?«
-
-»Das wissen wir niche!«
-
-»Hm, und nun ist Frau Besenmüller böse?«
-
-»Ja, Besenmüller. Wir haben sie noch schimpfen hören.«
-
-»Ihr seid wohl gleich ausgerissen, haste nich, kannste nich?«
-
-»Ja.« Sie drängten sich alle lachend dichter und dichter an Besenmüller
-heran. »Sag’s ihr doch, sie soll wieder gut sein.«
-
-»So fix geht das niche. Erst versprecht, Zwetschen werden nich genommen
-heute.«
-
-»Nä,« riefen alle einstimmig; sie sahen aber gar nicht erst zu den
-Bäumen hinan, so voll hingen sie, so köstlich blau schimmerten die
-Früchte.
-
-»Also euer Wort?«
-
-»Ja!« Sie schrieen es wieder im Chor, und Besenmüller wickelte darauf
-sorgsam seinen Strumpf zusammen, nahm seinen Stock und verließ für
-diesen Tag die Pflaumenstraße. Er wußte, die Kinder hielten ihr
-Versprechen, also mußte er nun auch das seine halten und seine Frau
-versöhnen. Bis in die Nähe des Schulhauses gab die Schar dem alten
-Manne das Geleit, weiter nicht; Frau Besenmüller könnte sie ja sehen.
-Die hatte freilich längst den Zug erblickt, und als ihr Mann das Haus
-betrat, kam sie ihm entgegen und rief vorwurfsvoll: »Besenmüller, du
-bist zu gut, nä, die Kinner verdienen’s nicht!«
-
-»Aber Lydia, Kinner sin Kinner!« Weiter sagte der Schuldiener gar
-nichts. Es war auch nicht nötig. Seine Frau vergaß die himmelblaue
-Vase, das zerschlagene Fenster, ihren Zorn und alles; wenn ihr Mann sie
-Lydia nannte, dann war es ihr immer gleich wie Feiertag, pflegte sie
-zu sagen. Es gab nämlich auf der ganzen weiten Welt keinen Menschen,
-den die Schuldienersfrau mehr bewunderte als ihren Mann. Was der sagte,
-galt. Wenn der Herr Schulrat gekommen wäre und hätte Besenmüller du
-genannt und ihn zum Schulvorstand ernannt, Frau Besenmüller hätte sich
-kein bißchen darüber verwundert. Höchstens hätte sie gesagt: »So was
-ist richtig!«
-
-Die Kinder sahen den Schuldiener in das Haus treten, hörten drinnen die
-Stimme der Frau, dann liefen sie beruhigt von dannen -- nun war Frau
-Besenmüller versöhnt.
-
-Sie schliefen alle trotz ihrer verschiedenen Dummheiten, die sie
-tagsüber begangen hatten, sehr gut. Nur Schwetzers Fritze träumte
-schwer, er war im Traum als riesengroßer Blumenstrauß dem neuen Lehrer
-selbst vor die Füße gefallen. Doch Träume sind Schäume, sie vergehen im
-Lichte des neuen Tages.
-
-Ernste Gedanken vergehen nicht so leicht, die verscheuchen selbst den
-Schlaf. Während in Steinach am Wald alles in tiefer Ruhe lag, strahlten
-im Schulhaus noch lange zwei Fenster hell in die Nacht hinaus. Der
-alte und der junge Lehrer, sie wachten beide, jeder saß einsam in
-seinem Zimmer, der eine sann der Vergangenheit, der andere der Zukunft
-nach. »Ich wollte, ich könnte in meinem Steinach bleiben,« dachte
-Vater Hiller wehmütig; es wurde ihm schwer, aus seinem lieben Amt zu
-scheiden. Sein junger Nachfolger aber seufzte: »Werde ich es je in
-diesem Steinach aushalten?« Er stand am offenen Fenster, ringsherum
-lag alles im Schweigen. Bis auf einmal ein fernes Sausen durch die
-Nacht kam; es klang näher, ein Pfiff ertönte, dann verhallte das Sausen
-wieder: ein Zug war vorbeigefahren. »Könnte ich doch wieder mit hinaus
-aus dieser Enge!« entfuhr es dem jungen Lehrer, und er seufzte abermals.
-
-Heinrich Fries streckte die Arme aus, aber plötzlich ließ er sie
-sinken und lauschte, ein anderer Ton wurde laut, ein feines, süßes
-Singen rauschte auf.
-
- »Breit aus die Flügel beide,
- O Jesu, meine Freude,
- Und nimm dein Küchlein ein!
- Will Satan mich verschlingen,
- So laß die Englein singen:
- Dies Kind soll unverletzet sein.
- Auch euch, ihr meine Lieben,
- Soll heute nicht betrüben
- Ein Unfall noch Gefahr,
- Gott laß euch ruhig schlafen ...«
-
-Die Stimme verhallte, und nichts regte sich mehr im Dorf. Heinrich
-Fries stand noch lange am Fenster. Er war aber nicht mehr unruhig und
-niedergedrückt, das holde Singen hatte ihn froh gemacht, und er dachte
-an die neue Arbeit, und daß er sein Amt mit frischem Mut antreten wolle.
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Viertes Kapitel
-
-Ein letzter Schultag
-
- Die Brummer wollen auch singen, und die Katze Minchen will in
- die Schule gehen -- Die Hohenstaufen sollen Berge sein, und
- Frau Besenmüller redet von der rechten Liebe
-
-
-Am nächsten Morgen lag Steinach im Nebel. Die Sonne wollte zwar sehr
-gern scheinen, sie bezeigte die allergrößte Lust dazu, aber der Nebel
-ließ sich nicht so schnell verjagen. Der hatte das ganze Dorf in
-dichte, weißgraue Schleier gehüllt, und es konnte gerade jeder noch
-seinen Nachbar sehen, mehr nicht. Es sah sehr lustig aus, wenn auf
-der Dorfstraße Gestalten im Nebel auftauchten und gleich darin wieder
-verschwanden. »Wie Rosinen im Mehl,« sagte Frau Knöpfle, des Jakobus
-Mutter.
-
-Den Kindern schien der Nebel ein vergnügliches Ding zu sein, und
-Jackenknöpfle stellte die nachdenkliche Frage: »Ob’s mal so dicken
-Nebel gibt, daß mer die Schule nich findet?«
-
-Die andern meinten zwar alle, dies würde sehr fein sein, und etliche
-strengten sich auch an, die Schule nicht zu sehen, sie sahen sie aber
-doch. Zum Überfluß klingelte Frau Besenmüller auch noch lauter als
-sonst, und die Kinder dachten schon: »Oje, vielleicht ist sie doch
-böse!« Aber die Schuldienersfrau war nicht mehr böse. Die hatte schon
-am frühen Morgen das Klassenzimmer blitzblank geputzt, hatte ein
-Blumengewinde um die Türe angebracht und einen Strauß auf das Pult
-gestellt. Es sah sehr festlich aus, und die Kinder staunten ehrfürchtig
-ihr Schulzimmer an; es wurde ihnen darüber auch ganz festlich zumute,
-und alle nahmen sich vor, sehr gut zu singen. Die Steinacher waren
-ein sangeslustiges Völkchen. Sie sangen gern und gut, aber Brummer
-gab es auch unter ihnen und solche, die nicht singen konnten, so gern
-sie vielleicht auch wollten. Unter den Kindern war Schwetzers Fritze
-ein rechter Brummer. Alle meinten, dem Buben wäre das gleich, aber da
-irrten sie alle, denn heimlich im Herzen bekümmerte es Fritze sehr,
-daß er so schlecht singen konnte. Er hätte manchmal gern recht aus dem
-Herzen heraus gesungen, wie er sich auch sehnte zu schwatzen wie die
-andern. Es war aber damit schlimm. Wenn er was sagen wollte, hatten es
-zwei andere schon gesagt, und wenn er singen wollte, rief selbst der
-gute Vater Hiller: »Hör’ auf!«
-
-Schweigsam war Hinzpeters Malchen nun freilich nicht, und wenn sie
-sprach, hatte sie auch ein glockenhelles Stimmlein, aber singen, das
-konnte sie nicht. Sie sang immer ein paar Töne zu tief oder ein paar
-Töne zu hoch, sie rutschte mit ihrem Singsang immer aus, und wenn die
-andern in die Höhe kletterten, saß sie im Graben. Sie wurde darum
-die »Krähe« genannt, ein Name, der Malchen bitter kränkte, denn sie
-war so singlustig wie eine rechte Lerche. Daheim sang sie auch nach
-Herzenslust, und niemand störte sie. Ihr Vater meinte: »Ein Hahn kräht
-ja auch, die Schafe blöken, die Gänse schnattern, ja, warum soll da
-mein Malchen niche singen?«
-
-Auch die alte Großmuhme sagte das. Sie war freilich ziemlich taub, sie
-erklärte aber doch: »Malchen singt sehre scheene, fast wie ’n Engel.
-Vielleicht gefällt’s auch dem neuen Herrn Lehrer besser, mer kann so
-was niche wissen.«
-
-Daran nun dachte Malchen, als sie an diesem Nebelmorgen zur Schule
-wanderte. Ach, vielleicht konnte sie auch noch einmal so singen
-wie Pastors Regine. Sehr froh, sehr hoffnungsvoll trat sie in das
-Schulzimmer, und dort setzte sie sich so brav an ihren Platz, wie es an
-diesem Tag alle taten. Sie waren alle schrecklich neugierig, wie der
-neue Herr Lehrer sein würde, und als Vater Hiller mit seinem jungen
-Nachfolger das Zimmer betrat, war es, als wollten alle blauen, grauen
-und braunen Augen den neuen Herrn Lehrer verschlingen, selbst die
-Schüchternen starrten ihn unentwegt an. Der mußte ein wenig lächeln,
-als er die Kinder alle so vor sich sah, rechts die Großen, links die
-Kleinen, da die Buben, dort die Mädel. Er sah sich auch in dem großen
-Klassenzimmer um, das blinkte vor Sauberkeit, und seine schön mit Stuck
-verzierte Decke erzählte von glanzvoller Vergangenheit.
-
-Vater Hiller sprach das Gebet, und dann begann der Gesang. Sorgsam
-hatte der alte Lehrer das Loblied eingeübt, festlich und rein sollte es
-klingen, dem neuen Lehrer zum Gruß. Daran, daß an einem solchen Tag die
-Brummer teilnehmen wollten an der allgemeinen Freude, hatte er freilich
-nicht gedacht. Malchen schmetterte zuerst los, Schwetzers Fritze folgte
-ihr, und als das die andern Brummer hörten, sangen sie unverzagt mit.
-Hui ging’s in die Höhe, bums saß Schwetzers Fritze in der Tiefe;
-Malchen war einen halben Takt voraus, Hans Neuber schleppte dreiviertel
-Takte hinterher.
-
-Klapp! schlug Vater Hiller auf das Pult. »Stille! Was ist das für eine
-Singerei? Es darf nur mitsingen, wer es kann.«
-
-Ein paar senkten verlegen ihre Köpfe, nur Malchen nicht, die dachte:
-»Ich kann’s doch, ich habe fein gesungen!«
-
-Das Lied begann noch einmal, und hui entwischte Malchens Stimme wieder,
-die kletterte gleich bis aufs Dach. Die andern stockten, und ein paar
-murrten: »Die Krähe singt so falsch!«
-
-Malchen wurde blutrot vor Schreck und Scham, und die Tränen stürzten
-ihr aus den Augen. Malchen weinte gleich sehr heftig los, und Heines
-Marlise tat es ihr nach, und Vater Hiller ließ verdrießlich den
-Taktstock sinken. »Aber Kinder,« rief er ärgerlich, »was soll das?
-Schämt euch, so das Festlied zu singen! Wer heult, muß raus. Also eins,
-zwei, drei, jetzt noch einmal!«
-
-Das half, die Mädel stellten das Weinen ein, die schlechten Sänger
-schwiegen, und nun brauste feierlich und rein im Klang der Lobgesang
-auf. Es ging glatt, nur beim letzten Vers mischte sich ein seltsamer
-Ton, ein Schnurren, Scharren und Schreien hinein. Kaum war das Lied
-verklungen, da riefen ein paar Stimmen: »Eine Katze, eine Katze!«
-
-Vater Hiller war sehr sanftmütig und geduldig, er war auch immer mit
-seinen Schulkindern gut fertig geworden. An diesem Tage wurde er
-aber doch ärgerlich. Er hatte seinem jungen Nachfolger recht zeigen
-wollen, wie nett und brav seine Schulkinder waren. Nun gab es erst die
-verkehrte Singerei und jetzt das Geschrei einer Katze wegen. Er rief
-darum strenger als sonst: »Wo steckt denn die Katze? Wer hat eine mit?«
-
-Alle schwiegen, eines sah das andere an, und merkwürdig, die Katze
-schwieg auch.
-
-»Es ist ja keine hier,« brummte der alte Lehrer, »irgend jemand --«
-
-»Miauau, raurau, miau!« schrie es jämmerlich, und Kinder und Lehrer
-sahen sich an und im Zimmer herum.
-
-»Vielleicht im Schrank,« sagte Heinrich Fries, der daran dachte,
-daß auch in der Stadt mitunter eine Maus auf seltsame Weise in den
-Schulschrank geriet. Vater Hiller sah prüfend die Kinder an. Offen,
-zutraulich, sehr erstaunt waren aller Augen zu ihm aufgeschlagen, er
-sah es gleich, keins hatte ein schlechtes Gewissen. Er trat aber doch
-an den Schrank und schloß ihn auf. Keine Katze war darin.
-
-»Miauau, raurau, miau!« quäkte es wieder, und ein paar Stimmen zugleich
-schrieen: »Im Pulte ist das!«
-
-»Ach Unsinn!« Der alte Lehrer klappte das Pult auf, keine Katze war zu
-sehen. »Es wird vor der Türe sein. Also aufgepaßt, wir fangen an!«
-
-»Miauau, raurau, miauau!« Noch kläglicher klang’s, und Heinrich Fries
-sah sich verdutzt um, das kam doch von unten herauf.
-
-Aller Augen starrten zu dem neuen Lehrer hin, das klang ja gerade, als
-käme das Miauzen von dessen Platz.
-
-Vater Hiller schritt zur Türe, öffnete sie, sah hinaus, -- nirgends war
-eine Katze zu sehen, und auf einmal war alles still. War es doch ein
-dummer Bubenspaß, das Gemauze?
-
-»Miauau!« quäkte es drinnen immer jämmerlicher. Er hörte es nun genau,
-es kam aus dem Zimmer. »Frau Besenmüller, Frau Besenmüller!« rief er
-laut. »Kommen Sie einmal her, hier schreit eine Katze irgendwo.«
-
-Frau Besenmüller kam mit unheimlicher Eile angelaufen, und noch an
-der Türe rief sie atemlos: »Das ist sicher so ’n dummer Bube, der das
-macht. Webers Arne kann gut mauzen.«
-
-»Ich mauze nicht!« Arne kreischte ordentlich vor Entrüstung, und gleich
-riefen ein paar Stimmen: »Nä, Arne war’s nicht!«
-
-»Unterm Pult scheint etwas zu sein.« Heinrich Fries hatte es genau
-gehört; er versuchte, das Pult wegzuschieben, aber Frau Besenmüller
-sagte ordentlich ein wenig gekränkt: »So was is niche möglich. Erst
-vorhin hab’ ich darunter und darüber gewischt. Ach nä, Herr Lehrer,
-Katzen sitzen in Steinach niche im Schulzimmer. Die Buben sind’s, die
-machen immer so ’ne Dummheit. Niche auszuhalten ist das manchmal mit
-denen.«
-
-»Nä,« schrieen die Buben und Mädel wie aus einem Munde, »Frau
-Besenmüller verklatscht uns nur.«
-
-»Klatsch, patsch, ich weiß, was ich weiß.«
-
-Rutsch, schob der junge Lehrer das Pult zur Seite, und -- hervor
-spazierte kläglich mauzend ein schneeweißes Kätzchen.
-
-Erst starrte Frau Besenmüller mit offenem Munde das Tierchen an, dann
-aber stürzte sie mit einem Schrei darauf los, hob es auf und sagte im
-Tone allerbitterster Anklage: »Dich haben se unner’s Pult getan, mein
-Minchen! Nä, aber auch so ’ne ungezogene Kinner!«
-
-»Wir waren’s doch nicht!«
-
-»Stille!« Vater Hiller hob den Taktstock. »Wer’s getan hat, kommt vor.«
-Keins rührte sich, und wieder las der alte Mann in all den blühenden
-Gesichtern, -- nein, es hatte keins ein schlechtes Gewissen. »Frau
-Besenmüller,« sagte er gütig, »besinnen Sie sich mal, die Katze wird
-Ihnen wohl nachgelaufen und selbst unter das Pult gekrochen sein.«
-
-»Hm!« Die Schuldienersfrau sah ihr Kätzchen an, dann nickte sie
-langsam. »Ja, erstaunlich klug ist’s freilich, da kommt kein so ’n
-Dickkopp von Bube gegen auf, nä, nä! ’s ist schon möglich, se hat
-zuhören wollen.«
-
-»Aber Besenmüllern!« Die Kinder kreischten vor Vergnügen, daß die Katze
-hatte zuhören wollen, und Frau Besenmüller zog schmunzelnd mit ihr zum
-Zimmer hinaus.
-
-Der Friede war wiederhergestellt, und Vater Hiller sagte ernsthaft:
-»Doch jetzt Ruhe!«
-
-Der alte Lehrer war verstimmt, daß dieser erste Schultag so laut und
-zerfahren begann. Er sah wohl das leise Lachen in den Augen des andern.
-Wehmütig überschaute er seine Schar, und Mädel und Buben spürten es,
-ihr guter, alter Freund war unzufrieden. Da nahmen sie sich zusammen;
-ganz still und feierlich saßen sie da, und so begann der Unterricht.
-Es ging nun alles glatt und gut, die Kinder wußten viel, wenn auch
-nicht alles. Manch einem wollte und wollte die Antwort nicht zum
-Munde heraus, was natürlich von der Antwort schnöde Bosheit war.
-Mitunter klang auch wohl die Antwort so verkehrt, als wäre sie vom
-Monde herabgefallen. So kam der Stille Ozean auf einmal in die Nähe
-von Berlin, und die Donau bezeigte die allergrößte Lust, vom Gotthard
-herunter zu rinnen. Die Hohenstaufen sollten durchaus Berge sein, und
-Kaiser Friedrich Barbarossa saß auf einmal mitten im Siebenjährigen
-Kriege drin, und niemand wußte, wie er hineingekommen war.
-
-Sonst ging es aber ganz gut, Vater Hiller war leidlich zufrieden,
-und die Kinder waren es ungemein, und weil der neue Lehrer lächelte,
-meinten sie alle: »Der findet’s fein bei uns.«
-
-Frau Besenmüller klingelte draußen, grell und laut fuhr der Ton durch
-das weite Haus.
-
-Der alte Lehrer erschrak. Das hörte er nun zum letztenmal. Morgen war
-Sonntag, und am Montag in aller Morgenfrühe wollte er abreisen. Wenn
-die Klingel wieder ertönte, dann trug ihn der Zug schon von Steinach
-fort. Er stand ein wenig geneigt, weil ihn das Alter müde gemacht
-hatte, vor den Kindern, zu ihnen sprechen wollte er, gütige Worte
-sagen, aber die Stimme versagte ihm.
-
-»Liebe Kinder!« setzte er an, und dann noch einmal: »Liebe, liebe
-Kinder!«
-
-Da war es Hinzpeters Malchen, als müsse ihr das kleine, zärtliche Herz
-brechen vor Kummer, sie schluchzte laut auf und rief flehend: »Ach,
-bleiben Sie doch bei uns, lieber Vater Hiller!«
-
-»Ach bitte, bitte, ja, Vater Hiller!« tönten alle andern Stimmen nach.
-Sonst hatten die Kinder »Herr Lehrer« gesagt, in der Abschiedsstunde
-kam ihnen das trauliche »Vater« auf die Lippen. Und wie einen gütigen
-Vater umdrängten sie jäh den alten Mann. Sie sprangen über Tische und
-Bänke hinweg, krochen unten durch, um nur ja schnell des alten Freundes
-Hand fassen zu können.
-
-Die Mädel heulten, die Buben schnitten so widerborstige Gesichter, als
-wäre ihnen ein bitteres Tränklein im Halse stecken geblieben, und immer
-wieder bettelten sie: »Bleiben Sie doch da, Vater Hiller, ach bitte,
-bitte!«
-
-»Ich reise ja erst übermorgen, Kinder.« Ein paar helle, glänzende
-Tropfen rannen dem alten Mann über die Backen. Die Kinder sahen es,
-aber sie hörten zugleich das verheißungsvolle »Übermorgen«. Da war ja
-noch viel Zeit, da konnten sie Vater Hiller noch oft besuchen, konnten
-ihn sehen, wenn er durch das Dorf ging. Sie konnten ihn auch zur Bahn
-bringen. Das sagten sie gleich laut: »Wir gehn mit auf ’n Bahnhof,
-alle!«
-
-»Dann müßt ihr aber alle früh aufstehen.«
-
-»Ach ja, das wird fein! Hurra, wir gehn mit auf ’n Bahnhof!«
-
-»Und Sie besuchen uns bald, Vater Hiller, ja?« bettelte Malchen.
-
-»Ja freilich, ich besuche euch bald.«
-
-»Hurra, Vater Hiller besucht uns!« In den Augen standen noch Tränen,
-die Münder lachten schon, und immer wieder drückten die kleinen derben,
-braunen Hände die welke Hand des treuen Freundes. Sonst liefen Buben
-und Mädel immer alle, so flink sie nur konnten, zur Schule hinaus,
-heute konnten sie sich gar nicht trennen. Vater Hiller mußte sie selbst
-mit sanfter Gewalt bis zur Haustüre geleiten, und draußen ging es
-nochmals an das Abschiednehmen.
-
-In einem Winkel stand Frau Besenmüller, sie hatte die große Schulglocke
-mit beiden Händen an ihr Herz gedrückt, und ihre Tränen fielen darauf
-nieder.
-
-»So ist’s recht, so muß nu ’n Abschied sein,« brummelte sie vor sich
-hin. »Da sieht man doch, ’s war die rechte Liebe.«
-
-Die rechte Liebe! Das Wort tönte wie ein silbernes mahnendes Glöcklein
-im Herzen des jungen Lehrers. Still entfernte er sich, und niemand
-merkte es. Er stieg die Treppe hinauf, betrat sein Zimmer, und dort
-öffnete er weit das Fenster. Er sah, wie sich draußen der Nebel löste
-und die letzten Fetzen zerflossen. Die Sonne ging siegreich hervor,
-und schimmernd glänzten Büsche und Bäume im goldenen Herbstkleid. Die
-rechte Liebe, dachte Heinrich Fries, -- würde sie ihm auch wachsen zu
-Steinach und seinen Kindern?
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Fünftes Kapitel
-
-Auf der Schelmenburg
-
- Frau Besenmüller erlebt eine ganz schauerliche
- Gespenstergeschichte -- Ihr Korb füllt sich geschwinde, und
- Webers Arne und Schwetzers Fritze bekommen Zwetschgenkuchen zu
- essen -- Der neue Lehrer aber denkt an die alten Schelme von
- Steinach
-
-
-»Besenmüllern«, wie die Kinder die Schuldienersfrau nannten, hatte
-viele vortreffliche Eigenschaften, aber auch zwei Fehler: sie war
-neugierig und sehr abergläubisch. Zwar sagten die Kinder, Frau
-Besenmüller scheure auch zuviel, das hielten sie für deren allergrößten
-Fehler, aber die Erwachsenen waren anderer Meinung. Vater Hiller nannte
-Frau Besenmüller eine tüchtige, saubere Frau, während besonders die
-Buben es höchst überflüssig fanden, wenn Frau Besenmüller sie immer
-ermahnte: »Putzt eure Schuhe ab, tragt mir nicht die ganze Dorfstraße
-ins Haus!«
-
-Zimplichs Max knurrte immer: »Um so ’n bißchen Dreck!« Aber wie es halt
-ist, Frau Besenmüller hatte andere Ansichten. Sehr lustig dagegen
-fanden die Kinder es, wenn die Frau ihnen allerlei erzählte, was sie
-vorausgeahnt hatte, und was sonderbarerweise immer ganz anders in
-Erfüllung ging. Es sah Frau Besenmüller zum Beispiel aus allerlei
-Zeichen und Andeutungen, auch aus ihren Träumen, daß sie einen Unfall
-erleiden würde; dann fiel vielleicht Hinzpeters Malchen auf die Nase,
-und das war weder für Malchen noch für Frau Besenmüller ein großes
-Unglück.
-
-Aber die Frau blieb dabei, dies und das als besonderes Zeichen
-zu deuten, und darum sagte sie auch nach Heinrich Fries’ erstem
-Schulvormittag zu ihrem Mann: »Paß auf, mit dem neuen Herrn Lehrer wird
-das nischt hier!«
-
-»Warum denn niche, Frau?«
-
-»Na, da ist das zerbrochene Fenster und dann -- die Katze. Nä, das wird
-nischt!«
-
-»Aber Frau!« Der Schuldiener lachte. »Scherben bedeuten Glück, und die
-Katze, die war doch weiß, und nur die schwarze Katze bringt Unglück,
-und stimmen tut das nicht emal. Mir hat noch nie ’ne Katze Verdruß
-gebracht. Nur einmal hat mir eine meine Wurst gestohlen, und die war
-grau, die Katze nämlich.«
-
-»Hm!« Frau Besenmüller seufzte, sie hätte ihres Mannes Worten schon
-gern vertraut, aber sie konnte nicht. »Nä, nä, Scherben und ’ne Katze,
-was zuviel is, is zuviel!« murmelte sie.
-
-Während Frau Besenmüller so geheimnisvoll allerlei Ungemach
-vorausahnte, ging Heinrich Fries sehr vergnügt in Steinach spazieren.
-Das Dorf gefiel ihm immer besser. Es war sauber und wohlhäbig. Die
-kleinen, weißen Häuser waren alle mit Schiefer gedeckt, und diese
-dunklen Dächer glänzten in der Sonne wie edles Gestein. Ein Gärtchen
-schmiegte sich an jedes Haus an, und hinter den Fenstern blühten noch
-Geranien und manche andere feine Blumen. Der junge Lehrer ging bis
-zur Kirche, die inmitten des Dorfes lag; sie war grau und alt, Efeu
-war an ihr emporgewachsen, und ein wenig hatte der auch den Grabstein
-des Schelmen umrankt, der hier begraben lag. Die Inschrift war schwer
-zu lesen, und der Ritter, der fromm die Hände gefaltet hatte, sah gar
-nicht so schelmisch drein, wie das doch eigentlich ein Held so vieler
-Schelmengeschichten tun müßte.
-
-[Illustration: Die Schelme von Steinach. Seite 56.]
-
-Von der Kirche aus führte ein schmaler Weg zum Pfarrhaus hinüber.
-Das lag weiß und still in einem großen Garten, die Fenster standen
-offen, und die weißen Vorhänge flatterten und wehten, als wollten sie
-winken: »Komm herein, komm herein!« Doch Samstag nachmittag war keine
-Besuchszeit für ein Pfarrhaus, und darum blieb der junge Lehrer auch
-nur draußen am Zaun stehen. Vater Hiller hatte ihm viel Liebes und
-Freundliches von den Pfarrersleuten erzählt. Sieben Kinder waren in dem
-weißen Haus groß geworden. Sechs waren draußen in der Welt, lernten und
-schafften dort, und nur die Jüngste war noch daheim.
-
-Ob das wohl die Sängerin war, die mir gestern einen so guten Trost ins
-Herz gesungen hat? dachte Heinrich Fries. Er brauchte nicht lange auf
-eine Antwort zu warten, denn drinnen im Garten hub die gleiche Stimme
-ein lustiges Liedchen an. Kinderstimmen fielen ein, und als der junge
-Lehrer weiterging, da sah er auf zwei langen Bänken viele kleine Mädel
-sitzen, die strickten und nähten, und ein junges Mädchen saß vor ihnen,
-schön und anmutig anzuschauen: Pfarrers Regine. Eine allzu strenge
-Lehrerin mußte sie nicht sein, denn man konnte nicht leicht etwas
-Vergnüglicheres sehen als diese Nähstunde im herbstlich bunten Garten.
-
-Die Mädel saßen alle dort, aber wo mochten die Buben sein? Heinrich
-Fries sann darüber nach, als er weiterging. Er sah nur die
-Allerkleinsten auf der Gasse spielen, jene, die noch nicht am ersten
-Schultag zu seufzen brauchten: »Wenn doch erst wieder Ferien wären!«
-Die großen Buben waren alle unsichtbar, sie mochten wohl wieder auf
-einer der Obststraßen sein, denn nicht einmal ihr Rufen ertönte. Da und
-dort grüßte man den jungen Lehrer freundlich, der redete mit dem und
-jenem, und dabei wunderte er sich, daß niemand die Frage tat, wie es
-ihm hier gefalle. Er wußte nicht, daß die Steinacher meinten, ihr Dorf
-müsse eben jedem gefallen, weil es gar so hübsch war.
-
-Als Heinrich Fries es nach allen Seiten hin durchwandert hatte,
-beschloß er, da die Sonne noch hoch stand, gleich noch den Schafskopf
-zu besteigen, um von dort aus das Land zu überschauen. Eine halbe
-Stunde, länger währte der Weg wohl nicht. Ein Bauersmann gab ihm
-bereitwillig Auskunft, welcher Weg zu gehen sei, und versicherte dabei:
-»’s ist recht sehre scheene oben, nur niche, wenn’s dunkel ist.«
-
-»Warum? Spukt es vielleicht?«
-
-Der junge Lehrer lachte, und der Bauer lachte auch. Er sagte nicht ja,
-er sagte nicht nein, in seinen Augen aber war ein lustiges Blinken,
-und Heinrich Fries dachte: »Wirklich, die Schelme scheinen noch nicht
-ausgestorben zu sein.« Er schlug den Weg nach dem Schafskopf ein, und
-um die gleiche Zeit tat dies Frau Besenmüller auch. Oben am Berghang
-gab es viele wilde Rosen, und ihre kleinen roten Früchte wollte Frau
-Besenmüller pflücken. Ihr Mann liebte den Hagebuttentee, meinte, er
-sei gut für allerlei Gebreste im Winter, und darum sorgte die Frau
-immer beizeiten für einen rechten Wintervorrat. Es war ihr immer ein
-schwerer Weg; sie ging nicht gern auf den Schafskopf, selbst nicht am
-Tage, abends wäre sie um keine Königskrone gegangen. Sie graulte sich,
-sie meinte immer, von den Schelmen säße noch etwa ein halbes Dutzend in
-irgendeinem Mauerloch zu allerlei Untaten bereit.
-
-Weil sie sich fürchtete, rannte Frau Besenmüller; je schneller sie oben
-war, desto schneller war sie wieder unten. Sie kam daher auch viel
-früher oben an als der neue Lehrer und begann eilfertig zu pflücken.
-Die wilden Rosen hatten das alte Gemäuer dicht umzogen. Wo nur ein
-freies, sonniges Plätzchen war, gleich hatte sich so ein Rosenbusch
-hingesetzt und gedacht: Da bin ich und bleib’ ich, das ist nun mein
-Reich. Weil die Sonne immer so warm auf dem Schafskopf ruhte und
-niemand den Frieden dieses stillen Fleckchens störte, blühten die
-Rosen meist in üppiger Fülle, und ebenso ungestört wurden kleine, rote
-Hagebutten daraus.
-
-Frau Besenmüller brauchte nur zuzugreifen, ribsch, rabsch, da füllte
-sich ihr Korb. Um den Turm herum, von dem freilich nur noch ein
-kümmerliches Restlein stand, wuchsen die meisten Rosen, und die
-größten Hagebutten gab es da. Wie sich die Schuldienersfrau nun dem
-Turme näherte, graulte sie sich wie immer etwas. Sie blickte an
-dem grauen Gemäuer empor. Nur auf der einen Seite gab es noch eine
-Fensteröffnung, und aus diesem Loch heraus hing ein Strick.
-
-Frau Besenmüller schrie laut auf, als sie das sah. Sie rannte gleich
-den Berg wieder ein Stück abwärts. Wo kam der Strick her in dem
-verfallenen Turm? Von unten herauf starrte die Frau zu dem Strick
-empor, -- ganz ruhig, unbewegt hing er da. Von den alten Herren von
-Steinach konnte er nicht mehr übrig geblieben sein, denn sooft Frau
-Besenmüller auch schon hier gewesen war, den Strick hatte sie noch nie
-gesehen.
-
-Also war jemand oben gewesen, jemand hatte den Strick dorthin getan.
-Wozu? Warum? und wer war es gewesen? Die Frau seufzte schwer. Sie
-graulte sich und war neugierig, die Furcht trieb sie zurück, die
-Neugier wieder vorwärts. Sie stand und überlegte, sah auf den Strick,
-der seltsam in der Sonne glänzte und dahing, als müßte es so sein. Und
-just über den allerschönsten Rosenbüschen hing er, an denen die roten
-Früchte schimmerten und lockten.
-
-Und Frau Besenmüller ließ sich locken. Schritt um Schritt kam sie
-näher, bis sie vor den Büschen stand. Sie pflückte rasch und
-eilfertig, rupfte und rupfte, und dabei blinzelte sie immer wieder nach
-dem Strick. Was tat denn der? Er schwankte und zitterte doch hin und
-her!
-
-»Was nur damit ist? Müßte mal dran ziehen!« Frau Besenmüller überlegte
-das eben, als sie Schritte hörte; trapp, trapp kamen sie den Berg
-herauf.
-
-Sie erschrak sehr, aber da begann ein lustiges Singen, und da
-Gespenster am hellichten Tage nicht Wanderlieder zu singen pflegen,
-beruhigte sie sich gleich wieder. Ein Weilchen lauschte sie dann,
-da sah sie Heinrich Fries den Weg emporkommen, und sie brummelte
-zufrieden: »Das ist mal recht, der sieht sich gleich gut um.« Alle
-Furcht war wie weggeblasen, nur die Neugierde war geblieben, und die
-trieb sie noch näher zu dem Stricke hin. Sie mußte doch sehen, wie der
-hierher kam. Was hatte so ein Strick hier zu diesem Loch, das früher
-ein Fenster gewesen war, herauszuhängen?
-
-»Überall Unordnung! Ärgern muß mer sich alleweil,« schalt die Frau,
-griff rasch nach dem Strick und zog fest daran und --
-
-Heinrich Fries hörte auf einmal ein lautes Geschrei, ein Poltern und
-Rasseln. Er brach jäh sein Lied ab und war mit ein paar Sätzen im
-Burghof.
-
-»Hilfe, Hiiiilfe, uuh, uuh!« kreischte Frau Besenmüller. Die hielt den
-Strick in der Hand, schwankte mit ihm wie eine Fahne im Winde, während
-unaufhörlich Mauergeröll purzelnd von oben herabrieselte.
-
-»Lieber Himmel, was ist das?« Der junge Lehrer hatte die Frau erreicht,
-er hielt sie fest. »Was ist geschehen? Lassen Sie doch den Strick los!«
-
-»Huuhhu,« heulte Frau Besenmüller, »er -- er -- is -- ja verhext!«
-
-»Was, der Strick?« Heinrich Fries wollte auch danach greifen, aber
-er zog rasch seine Hand zurück. »Der klebt ja, der ist mit Vogelleim
-eingeschmiert.«
-
-»Huuhhuuh, drinne sitzt -- huhuhuh -- so ’n Graul!« Frau Besenmüller
-zog angstvoll am Stricke, der gab jäh nach, und plumps saß die
-Schuldienersfrau halb in den Rosenbüschen drin. Von dem alten Mauerwerk
-bröckelte wieder etwas ab, das rieselte zu Boden, und eine Staubwolke
-stieg empor.
-
-»Holla, das Gespenst wollen wir mal fangen!« Der junge Lehrer hatte
-flinke Beine, er lief um den Turm herum, fand den Eingang und fand
-auch die bösen Neckgeister. Ein ganzes Nest voll war es. In dem von
-drei Seiten nur mit ganz niedrigem Gemäuer umschlossenen Turmviereck
-wimmelte es von Buben, und Arne Weber hatte Schwetzers Fritze auf den
-Schultern, und der trug wieder das Jackenknöpfle; so reichte es knapp
-bis zum Fensterloch. Jackenknöpfle wollte gerade herabklettern, als der
-neue Lehrer erschien. Da wackelte die lebendige Leiter, und Heinrich
-Fries konnte das Jackenknöpfle noch eben auffangen und es vor einem
-vielleicht schlimmen Fall bewahren.
-
-Draußen jammerte und schrie Frau Besenmüller noch immer angstvoll um
-Hilfe, innen starrten die Buben den neuen Lehrer an, als wäre nun der
-das Gespenst, mit dem sie die Schuldienersfrau hatten schrecken wollen.
-
-»Kommt mal mit!« Kurz und scharf klang der Befehl, und kein Bube wagte
-es, auszureißen. Wie eine Schafherde, die in einen Gewittersturm
-geraten ist, so folgten sie alle ihrem neuen Lehrer. Der führte sie um
-den Turm herum bis dahin, wo Frau Besenmüller noch immer einen wilden
-Kampf mit dem geleimten Strick ausfocht.
-
-»Da sind die Gespenster, Frau Besenmüller.«
-
-»I du meine Güte, nä, so was!«
-
-Die Frau wäre weniger verdutzt gewesen, wenn Heinrich Fries ein in
-weiße Bettücher gewickeltes Gespenst oder einen alten, mit Ketten,
-Schwertern, Schlössern und sonst was für Eisenkram rasselnden Ritter
-angebracht hätte. »I du meine Güte, die verflixten Bengel!«
-
-»So, jetzt helft einmal Frau Besenmüller vom Strick loskommen. Schnell,
-eins, zwei, drei!«
-
-Zehn Bubenhände und mehr griffen nach dem ungeleimten Ende, sie zerrten
-und zogen. »Herrje,« schrie Frau Besenmüller, die vorwärtsgezogen
-wurde, »nicht so rasch, du meine Güte!« Plumps, saß sie noch einmal in
-den Rosenbüschen, aber sie war doch den unheimlichen Strick los.
-
-»Und nun geschwind, Buben, alle heran und Hagebutten gepflückt! In
-einer halben Stunde muß der Korb voll sein.«
-
-Wieder klang der Befehl kurz und scharf, und wieder folgten die Buben
-ohne Besinnen. Sie stürzten sich mit wildem Eifer auf die Büsche,
-rissen ab, was ihnen unter die Finger kam, und Heinrich Fries mahnte:
-»Nur die Früchte, keine Blätter, Äste oder gar die halben Büsche!«
-
-Da blinzelten die Buben ein wenig nach dem neuen Lehrer hin. Das
-letzte Wort klang ihnen fast wie ein Spaß, aber zu lachen wagten
-sie doch nicht, und obgleich sie eine Hagebuttenernte wenig lustig
-fanden, pflückten sie doch wie die Heinzelmännchen. Frau Besenmüller
-vergaß darüber vor Staunen jegliche Strafrede, trotzdem sie sich von
-ihrem Schreck schon wieder völlig erholt hatte. Sie saß auf einem
-Mauerrest, rieb sich die Hände mit der Schürze sauber und sah zu. »Wie
-’ne leibhaftige Prinzessin,« dachte sie, obgleich sie mit ihrem blauen
-Kopftuch und der großen Küchenschürze nicht gerade einer Prinzessin
-glich.
-
-Von den Buben kam auch keiner auf den Gedanken, Frau Besenmüller mit
-einer Prinzessin zu vergleichen, sie waren sogar alle miteinander etwas
-böse auf die arme Frau. Warum hatte sie nur gleich so geschrieen? Wegen
-so ’nem bißchen Vogelleim? »Sie brauchte doch nicht dranzufassen!«
-brummelte Jackenknöpfle. Aber er pflückte trotzdem so geschwind wie die
-andern. Ritsch, ratsch, da! Die roten Früchte kollerten in den Korb,
-und sehr bald war der voll und die Rosenbüsche kahl.
-
-»So ist’s recht!« lobte der Lehrer. »Und nun tragen zwei der Frau
-Besenmüller den Korb nach Hause. Wer hat den Plan gehabt, den Strick zu
-leimen?«
-
-Einen Augenblick herrschte tiefe Stille, dann trat Arne vor. Er trug
-den blonden Kopf ganz hoch, und der junge Lehrer lächelte ein wenig,
-ein Heimlicher war der Bube nicht. Aber noch war Arne nicht am Korb, da
-faßte schon Schwetzers Fritze mit an.
-
-»Also ihr beide seid die Anstifter? Na, gut --«
-
-»Nä, Schwetzers Fritze nich, der niche!« Sechs Stimmen riefen es auf
-einmal, und Heinrich Fries sah etwas erstaunt auf Fritz. »Warum trittst
-du denn dann vor?«
-
-Fritz hätte schon gern eine Antwort gegeben, aber so etwas mußte doch
-Zeit haben. Er blickte in die Luft, als käme eine Antwort vom Himmel
-herunter, und da sagte auch schon der neue Lehrer: »Vielleicht hast
-du’s gedacht?« Er nickte dabei den beiden ganz freundlich zu und mahnte
-nur noch: »Tragt den Korb aber vorsichtig, damit nichts verschüttet
-wird.«
-
-Die beiden trabten los, Frau Besenmüller wanderte hinterher. Sie kam
-sich nun wirklich wie eine leibhaftige Prinzessin vor. Weil sie so
-schnell und sonder Plage ihre Hagebutten geerntet hatte, war ihr Herz
-mild und versöhnlich gestimmt, und vor dem Schulhaus sagte sie gnädig:
-»Wartet e’ bißchen, ihr sollt ’n Kuchen haben!«
-
-Sie holte zwei mächtige Stücke herbei, von dem angeleimten Strick sagte
-sie nichts mehr, und Arne und Fritze fanden den Lohn auch nur gerecht.
-Sie zogen vergnügt von dannen, kauten mit vollen Backen und ahnten,
-sie würden bald ihre Gefährten treffen. So war es auch. Die kamen
-ihnen auf halbem Weg entgegen, und sie schrieen gleich: »Ihr eßt ja
-Quetschenkuchen!«
-
-»Na ja, von Besenmüllern!« Urne stopfte schnell sein letztes Stück in
-den Mund, Fritze war schon fertig. Das war sicherer.
-
-»Haste denn das wirklich gedacht mit ’m Strick?« forschte Jackenknöpfle
-eifrig, während die andern maulten: »Wir hab’n keinen Kuchen gekriegt!«
-
-»Hm, na ja!« Schwetzers Fritze nickte strahlend. Ihm gefiel der neue
-Lehrer sehr gut. Bei dem brauchte er sich gewiß nicht mit Reden
-anzustrengen, der las einem ja die Gedanken an der Nasenspitze ab.
-»Hurra!« schrie er plötzlich und machte einen Luftsprung.
-
-»Hurra!« schrieen die andern und taten es ihm nach. Und dann trabten
-sie alle vergnügt dem Walde zu. Es war ja Samstag, und die Sonne
-stand noch am Himmel, da konnten noch immer die allerschönsten Spiele
-gespielt werden.
-
-»Hurra, hurra!«
-
-Der junge Lehrer Heinrich Fries hörte das Freudenrufen oben auf dem
-Burgberg. Lächelnd schaute er ins Tal und dachte: »Wirklich, es scheint
-so, die Schelme von Steinach leben noch immer!«
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Sechstes Kapitel
-
-Die Mutter kommt
-
- Die Steinacher Frauen haben Angst, Vater Hiller könnte Not
- leiden -- Dem jungen Lehrer verderben die Novembertage die
- Laune, und Fritze Schwetzer erfährt, was alles bei einem
- Schweineschlachten herauskommen kann -- Eine Maus zieht aus dem
- Schulhaus aus und wird eine Kirchenmaus und sieht gleich am
- ersten Sonntag etwas, das ihr und andern Leuten gut gefällt
-
-
-Tal und Höhen lagen noch im grauen Morgennebel, als Vater Hiller
-Steinach verließ. Dem alten Mann war das Herz schwer, als er zum
-letzten Mal die Schwelle des lieben, schönen Schulhauses überschritt.
-Wie er aber so hinaustrat, grüßte ihn draußen ein lautes Singen: alle
-seine Schulkinder standen da, bereit, ihn zum Bahnhof zu begleiten.
-Die Brummer sangen auch diesmal mit, sie ließen sich nicht den Mund
-verbieten, und wunderlich, dem alten Lehrer klang es hold und lieblich
-in die Ohren. Er, der sonst so fein gehört hatte, vernahm diesmal kein
-einziges falsches Tönlein.
-
-Es war ein langer Zug, der sich durch die Apfelstraße hin nach dem
-Bahnhof bewegte. Auch viele Erwachsene kamen mit. Jedes trug einen Korb
-oder ein Päckchen, denn auf einmal war es den Steinacher Bäuerinnen
-schwer auf das Herz gefallen, ihr lieber Vater Hiller könnte gar Hunger
-leiden in der Fremde, könnte nicht so gute Butter, so frische Eier,
-so goldgelben Honig und prächtigen Kuchen, so rundliche Würste und
-köstliche Äpfel haben wie in Steinach. Für alles hatten sie gesorgt.
-Als der Zug auf dem kleinen Bahnhof einlief und ein bitterschweres
-Abschiednehmen begann, da füllte sich das Abteil mit Schachteln, Körben
-und Paketen, und Vater Hiller wehrte erschrocken: »Das kann ich doch
-nicht alles mitnehmen!«
-
-»Ich helf’ beim Umsteigen!« Der Schaffner lachte über das ganze
-Gesicht, er war doch ein Steinacher Kind, er war doch auch zu Vater
-Hiller in die Schule gegangen. Die Kinder jammerten laut, als die Tür
-geschlossen wurde und der Zug davonfuhr. Ein Weilchen konnten sie noch
-das freundliche Gesicht ihres alten Lehrers sehen, dann entschwand es
-ihren Blicken, und traurig zogen alle heimwärts. Die Großen redeten
-unterwegs von dem Abgereisten; nur Gutes wußten sie alle von ihm zu
-sagen.
-
-Die Kinder aber tuschelten zusammen von dem neuen Lehrer. Wie würde
-er sein? Vor der Hagebuttenernte hatte Frau Besenmüller gesagt: »Böse
-wird’s!« Seit gestern sagte sie: »Gut wird’s!« Was war nun das Rechte?
-
-»Simeliert nich so lange, geht nein!« riet Frau Hinzpeter, Malchens
-Mutter, den Kindern vor dem Schulhause. Und wie sie schien innen auch
-Frau Besenmüller zu denken; die klingelte laut, arg laut, dachten die
-Kinder. Ein wenig seufzend zogen sie in das Schulhaus hinein, sie
-meinten, Abreisetag könnte gut Ferientag sein, aber die Erwachsenen
-waren alle miteinander anders gesonnen. Am wenigsten dachte Heinrich
-Fries an Ferien, und schon an diesem ersten Tag spürten es die Kinder,
-bei ihm mußten sie aufpassen. Ob er bös werden würde oder gut, wußten
-sie diesen ersten Tag aber noch nicht, und noch viele weitere Tage
-vergingen, ehe sie es erkannten.
-
-Dem jungen Lehrer Heinrich Fries erging es in den ersten Wochen in
-Steinach am Wald genau so wie seinen Kindern, er wußte auch nicht,
-ob er bös werden würde oder gut. Es gefiel ihm manchmal recht gut in
-der neuen Heimat und manchmal herzlich schlecht. Wenn er die Gegend
-durchwanderte, zum Walde emporstieg, oder wenn er durch die weiten
-schönen Räume seines Schulhauses ging und die Sonne zu den Fenstern
-hineinschien, oh, dann gefiel es ihm. Als aber der November mit Sturm,
-Regen und kurzen, grauen Tagen anrückte und man auf der Dorfstraße
-nur die Wahl hatte, in eine Pfütze oder in den Schlamm zu treten,
-da gefiel es ihm gar nicht. Es war ihm einsam und unbehaglich, er
-ärgerte sich über Frau Besenmüllers Schelten und fand doch auch, die
-Kinder brauchten nicht die halbe Dorfstraße mit ihren Schuhen ins Haus
-zu tragen. Nur an einem Ort im Dorf war es ihm immer gemütlich: im
-Pfarrhaus.
-
-Das Fräulein Regine sah immer aus, als hätte ihr die liebe Sonne einen
-Kuß auf den Mund gegeben. Wenn sie lachte, dann war es wie Frühling,
-und wer ins Pfarrhaus kam, der vergaß schlechtes Wetter, schlechte
-Laune und alle andern bösen Dinge, dem wurde es warm ums Herz.
-
-Doch Heinrich Fries wohnte im großen Schulhaus, und da war es einsam.
-Sein Zimmer war kahl und unwohnlich, und Frau Besenmüller ging nicht so
-sacht und leis einher wie seine Mutter. Sie hatte auch nicht eine so
-liebe, sanfte Stimme, sondern redete laut, es dröhnte immer durch das
-ganze Haus. »Wie ein alter Landsknecht schreit sie,« dachte der neue
-Hausbewohner wohl.
-
-Und am allerwenigsten gefielen die Kinder an solchen Tagen dem jungen
-Lehrer. Die schienen ihm besonders ungezogen zu sein und gar nicht
-lernlustig. Er ärgerte sich und redete streng zu ihnen, verlangte, sie
-sollten allerlei wissen, was sie nicht konnten. Eins um das andere
-fehlte in dieser Zeit, und wenn er wissen wollte, warum, sagten sie,
-daheim sei Schlachttag. Da schalt er, dies sei nicht so wichtig, um
-die Schule zu versäumen. Da kränkten sich die Kinder, denn in Steinach
-wußte es jeder, ein Schlachtfest ist eine wichtige Sache, eine
-ungeheuer wichtige sogar.
-
-Schwetzers Fritze dachte das auch, und seine Mutter dachte ebenso,
-und darum kam Fritze eines Tages nicht in die Schule. Und am nächsten
-Tage kam er und brachte, wie es Sitte war, dem Herrn Lehrer eine
-frische Wurst und einen Topf der schönsten Wurstsuppe mit. Seine
-Mutter schärfte ihm noch ein: »Sag’s ja recht höflich zum neuen Herrn
-Lehrer!« Sie schmückte ihm auch die Wurst noch mit einem dicken
-Petersilienbüschel, und darüber verging die Zeit, und da ein Topf mit
-Wurstsuppe vorsichtig getragen werden muß, kam Fritze am Schulhaus an,
-als Frau Besenmüller schon dreimal kräftig die Klingel geschwungen
-hatte.
-
-Auf dem Wege hatte Fritze sich ein gutes Sprüchlein vorgesagt. Immer
-wieder hatte er sich die Worte überlegt, und er war sicher, diesmal
-würde er reden können. »Einen schönen Gruß von meiner Mutter, und
-der Herr Lehrer möchte entschuldigen, bei uns ist Schweineschlachten
-gewesen,« so wollte er sprechen. Dazu wollte er einen Diener machen,
-nicht so tief, damit die Suppe nicht überschweppte, und --
-
-»Nä, Fritze, du schleichst ja, kommst nich heute, da kommste morgen. So
-was!« Frau Besenmüller rief es ihm böse entgegen, und verwirrt betrat
-er das Schulhaus. »Man schnell, man schnell!« Die Frau riß die Tür auf,
-und Fritze platzte in das Klassenzimmer, just als sie sich alle nach
-dem Morgengebet setzten. »So spät?«
-
-Heinrich Fries runzelte die Stirn. Er sah Fritze drohend an. Jedesmal,
-wenn er den Buben sah, mußte er an den Empfang auf der Apfelstraße
-denken, und er hielt Fritze für einen besonders Unnützen und einen
-Heimlichen dazu. »Warum so spät?«
-
-Schwetzers Fritze wurde puterrot, und wie immer in solchen Augenblicken
-versagte ihm die Stimme. Seine ganze schöne Rede hatte er vergessen,
-die Worte liefen ihm davon, er konnte sie nicht aufhalten. Nur
-eines fing er noch, das schrie er hinaus und verneigte sich dazu.
-»Schweineschlachten« hallte es durch das Zimmer, und klatsch fiel
-Wurstsuppe und die schön geschmückte Wurst dem Herrn Lehrer vor die
-Füße.
-
-»Bengel du!« Der junge Lehrer hielt’s für Frechheit, was
-Ungeschicklichkeit war; er ärgerte sich, statt zu lachen, desto mehr
-lachten die Kinder, aber sie schwiegen rasch, als Heinrich Fries mit
-scharfer Stimme Ruhe bot. Er ging zur Türe und rief Frau Besenmüller,
-und als die Frau eine lange Rede halten wollte ob der vergeudeten guten
-Suppe, gebot er kurz Ruhe, und ebenso kurz sagte er zu Schwetzers
-Fritze: »Du bleibst heute und morgen da.«
-
-Nachsitzen hielten die Steinacher Kinder für eine ungeheure Schande.
-Nur selten hatte Vater Hiller so gestraft, und daß einer zwei
-Tage nacheinander dableiben mußte, so etwas war noch gar nicht
-vorgekommen. Sie waren alle fast erstarrt vor Schreck, und weil sie
-gar so erschrocken waren, gaben sie an diesem Tage unglaublich dumme
-Antworten. Schwetzers Fritze gab überhaupt keine. Schnapp, war dem der
-Mund zugeklappt wie ein Schloß, und niemand hatte den Schlüssel, es
-wieder aufzuschließen.
-
-Wenn er um Verzeihung bittet, erlaß ich ihm die Strafe, dachte der
-Lehrer, der sich überlegt hatte, Wurst und Suppe seien doch wohl eine
-gutgemeinte Gabe. Aber Fritze bat nicht. Wie himmelgern er es getan
-hätte, ahnte Heinrich Fries nicht, der nahm es für Trotz. Und der arme
-Fritze mußte dableiben und mußte doppelte Last tragen, denn auch daheim
-bekam er Schelte, aber auch hier tat sich das Schloß vor seinem Munde
-nicht auf.
-
-Strafe erleiden ist nicht vergnüglich, aber strafen müssen auch nicht.
-Heinrich Fries war an diesem Tage geradeso niedergeschlagen wie die
-Buben und Mädel. Er stieg nach Schulschluß mit einem so finsteren
-Gesicht zu seiner Wohnung empor, daß Frau Besenmüller kein Wort wagte.
-Nachher sagte sie zu ihrem Manne: »Es wird doch nichts mit dem neuen
-Herrn Lehrer, nä, nä!«
-
-Heinrich Fries hatte nicht gehört, was Frau Besenmüller sagte, aber
-als er durch seine kahlen Zimmer schritt und hinaussah, wie der Regen
-langsam herniederrann, da dachte er auch: »Es wird nichts, hier halte
-ich es nicht lange aus.« Und weil er Sehnsucht hatte nach eines lieben
-Menschen Trost, setzte er sich hin und schrieb an seine Mutter einen
-langen, langen Brief, wie es sei in Steinach am Wald, und daß es gut
-wäre, sie käme nicht her, lange würde er doch nicht bleiben.
-
-Als Frau Fries den Brief bekam, dachte sie gleich: »Ich muß zu ihm,
-er braucht mich. Er ist zu einsam am fremden Ort, darum bleibt der
-ihm fremd.« Und feinhörig, wie Mütter sind, las sie auch aus dem Brief
-heraus, daß es dem Sohn eigentlich ganz gut in Steinach gefiel. Es ging
-ihm damit wie mit manchen Menschen, von denen man nicht weiß, daß man
-sie im Grunde seines Herzens eigentlich recht liebhat, weil man sich
-über allerlei kleine Fehler an ihnen zuviel ärgert.
-
-Wenn die Mutter Fries einmal etwas für richtig hielt, dann tat sie es
-auch und wartete nicht lange. Sie schrieb also ihrem Sohn: »Ich komme
-zu dir, hab’ es mir überlegt. Der Winter ohne dich ist mir zu einsam.«
-
-Oho, die Mutter hält es nicht aus, dachte der Sohn und ahnte nicht, daß
-die Mutter nur um seinetwillen kam. Er freute sich unbändig über seiner
-Mutter Sehnsucht; freilich, wenn sie es nicht aushielt, mußte sie
-kommen. Es war ein so ungemütlicher Tag, wie sie fast nur im November
-zu finden sind, Regen, Sturm, Schnee, Kälte, alles kam zusammen; gerade
-da erhielt Heinrich Fries den Brief seiner Mutter. Und an diesem Tage
-staunten die Kinder, als sie nachmittags in die Schule kamen. Ihr
-Lehrer schaute drein, als wäre Maientag draußen, oder als hätte er sich
-von Fräulein Regine im Pfarrhaus mit Gutwetterlaune versorgen lassen.
-Die Mutter kam, die Mutter kam! Wie ein Lied klang ihm das fort und
-fort im Herzen.
-
-In Steinach am Wald wußten die Nachbarn schnell, was in des andern
-Haus vorging. Das war nun einmal so. In welchem Hause große Wäsche,
-Schweineschlachten oder Kuchenbacken war, wußte jeder im Dorf, und
-für wen Zimplichs Hulda, die Dorfschneiderin, gerade ein Kleid nähte,
-wußten auch alle. Und so redeten auch schon am andern Tag die Großen
-und Kleinen im Dorf: »Die Mutter vom neuen Herrn Lehrer kommt!«
-
-Frau Besenmüller hatte diese Neuigkeit von Haus zu Haus getragen. Mit
-Sack und Pack wollte sie kommen. Und der Herr Lehrer hatte selbst die
-große Hinterstube bestimmt, in der sollte seine Mutter wohnen, weil man
-von da aus den Wald sehen konnte und in den Garten hinein.
-
-»Kurios so was,« meinte Besenmüllern, »mir ist’s alleweil lustiger,
-auf die Straße zu gucken.« Aber sie scheuerte und putzte in der großen
-Stube herum, so sehr, als müßte sie noch sauberer als sauber werden.
-Kein Spinnchen wagte es darin zu bleiben, die holte Frau Besenmüllers
-Scheuerlappen aus jedem Winkel heraus, und ganz schlimm erging es einer
-kleinen Maus. Die hatte sich ein Loch genagt und hatte gemeint, die
-große Stube würde eine gute Winterwohnung werden. Doch hui, da kam Frau
-Besenmüller. Sie stopfte spitzige, scharfe Glasscherben in das Loch
-und verkittete und verklebte es, -- nun mochte die Maus sehen, wo sie
-blieb. Vielleicht war es die, die am nächsten Tage in das Schulzimmer
-gelaufen kam. Sicher wollte sie Frau Besenmüller verklagen, aber weil
-die Kinder gleich lachend ihren Namen schrieen, erschrak sie und
-kletterte an Toni Hases Röckchen empor. Nun war Toni zwar kein Hase,
-wenn sie auch den Namen trug, aber eine Maus, die den Weg zu ihrer Nase
-nahm, war ihr doch greulich. Sie quietschte, schüttelte sich, schlug
-um sich, traf ihre Nachbarin, warf die Bücher vom Tisch, und heilloser
-Wirrwarr entstand.
-
-Um eine Maus! Der junge Lehrer schalt an diesem Tage nicht, obgleich
-er den Lärm doch recht überflüssig fand. Er fing selbst die Maus und
-warf sie zum Hause hinaus; ein Tier zu töten tat ihm leid. Die arme
-hinausgeworfene Maus erlebte an diesem Tage noch allerlei seltsame
-Abenteuer, bis sie schließlich in die Kirche geriet. Sie wurde nun dort
-eine arme Kirchenmaus, aber ihr neues Leben gefiel ihr gut, und sie sah
-sich nie wieder nach einer andern Wohnung um.
-
-Gleich am ersten Sonntag sah die kleine, graue Bewohnerin in der Kirche
-etwas, das ihr besonders gut gefiel. Da saß eine schlichte ältere Dame
-vorn auf der ersten Bank, und ein heiteres, frohes Scheinen lag in
-ihren Augen, als die Orgel erbrauste. Droben spielte ihr Sohn schöne,
-feierliche Weisen, und in der Kirche reckten und streckten alle die
-Hälse vor und schauten auf die Fremde. »Die alte Frau Lehrerin ist’s,«
-sagten sie. Es lag Neugier in den Blicken, aber auch viel herzliche
-Freude, und Frau Fries spürte mehr die Freude, und wie sie so still in
-der kleinen alten Kirche saß, dachte sie: »Hier gefällt es mir!«
-
-Am Abend vorher war Frau Fries gekommen. Frau Besenmüller war sehr
-zufrieden gewesen, daß jemand am Samstag kam, da war doch alles
-blitzblank geputzt. Nur den Himmel hatte Frau Besenmüller nicht
-scheuern können, so gern sie dies auch getan hätte. Der hing voller
-grauer Wolken, und die Steinacher sagten: »Es gibt Schnee.« Es gab aber
-nur einen Mischmasch von Schnee und Regen, und um die Geschichte noch
-ungemütlicher zu machen, heulte der Wind wie ein ganzer Chor böser
-Buben. Wirklich, es war höchst ungemütlich, und als Frau Fries in der
-Dämmerung auf Bauer Hinzpeters Wagen in das Dorf einfuhr, schauerte sie
-leicht zusammen; nein, schön war es wohl in Steinach am Wald nicht.
-Aber schön war die große Freude ihres Sohnes, und die war es auch, die
-es der Mutter behaglich in dem alten Hause machte.
-
-In der Nacht hatte sich dann das Wetter besonnen, es zeigte ein
-freundlicheres Gesicht. Der Sturm riß aus, und der Mond kam hervor.
-Der hielt um die erste Tagesstunde Zwiesprache mit der Sonne, und
-diese etwas launenhafte Dame erklärte sich bereit zu scheinen, weil
-doch erster Advent war, und weil doch die alte Frau Lehrerin Steinach
-im Sonnenglanz sehen wollte. Am nächsten Morgen lag eine zarte weiße
-Schneedecke über dem Land. Wie versilbert standen die Bäume da, und
-über alles breitete die Sonne goldenen Schein. Es schimmerte und
-glänzte schöner als im Juwelenkästlein einer Königin. Als Frau Fries
-hinaussah, erst hinüber nach den dunklen Waldbergen und dann hinweg
-über das Dorf, sagte sie heiter: »Hier gefällt es mir!«
-
-Die Steinacher mußten es wohl spüren: »Der Frau gefällt es unter
-uns.« Sie grüßten sie, und viele reichten ihr die Hand. Sie taten das
-treuherzig und freundlich, und Frau Hinzpeter sagte: »Es ist eben nich
-Mode bei uns, fremde tun.«
-
-Daß Fremdtun nicht Mode war, sah Frau Fries auch an den Kindern. Die
-standen freilich erst scheu zur Seite, aber als sie ein paar kleinen
-Mädeln die Hand gab, kamen geschwind andere herbei, und immer mehr
-kleine, braune Hände, auch derbe Jungenpatschen, streckten sich ihr
-zutraulich entgegen. Sie wollten alle gern der alten Frau Lehrerin
-guten Tag sagen. Die Sonne strahlte hell, aber noch heller schien
-ihr Glänzen zu werden, als Pfarrers Regine aus der Kirche trat.
-Gerade neben dem alten steinernen Schelm von Steinach stand sie, als
-Frau Fries sie erblickte. Die alte Frau und das junge Mädchen sahen
-sich an, und beide spürten es gleich: wir werden uns liebhaben. Sie
-schüttelten sich die Hände wie gute Bekannte, und dann gingen sie ein
-Stück die Dorfstraße entlang heimwärts, und Frau Fries versprach zum
-Nachmittagskaffee in das Pfarrhaus zu kommen. Regines Mutter war viel
-krank; die freue sich schon auf den Besuch, sagte das junge Mädchen,
-sehr sogar freue sie sich.
-
-Da verging denn dieser erste Sonntag in Steinach am Wald für Frau Fries
-hell und heiter, und sie nahm es als ein gutes Zeichen für kommende
-Tage.
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Siebentes Kapitel
-
-Schloß Moorheide
-
- Es weihnachtet sehr -- Frau Fries ladet zu einer Adventfeier
- ein, und Frau Besenmüller läßt die Schulglocke stehen -- Eine
- Geschichte wird erzählt, die im Sommer beginnt und in der
- Adventszeit endet, und die schon hundert Jahre alt ist
-
-
-Ob es in der zweiten Nacht, die Frau Fries in Steinach zubrachte, der
-Mond vergaß, mit der Sonne zu reden, ob sie sich stritten, -- wer
-kann es wissen? -- jedenfalls blieb die Sonne am nächsten Morgen in
-ihrer warmen Sonnenstube. Grau hing der Himmel über dem Dorf, und dann
-begann es zu schneien. Erst sacht und sanft, dann wurden die Flocken
-größer, sie wirbelten und tanzten in der Luft herum, und ganz Steinach
-versank allmählich in ein weiches, weißes Schneebett. Es wurde so
-huschelig, so weihnachtlich, und man hätte das ganze Dorf mit seinen
-weißbeschneiten Dächern, den hohen Schneewällen ringsum gleich in ein
-Weihnachtsbilderbuch setzen können, so sah es aus. Durch den Schnee
-kamen eines Tages ein paar große Wagen gefahren vom Bahnhof her,
-der Hausrat der alten Frau Lehrerin. Und nun schaffte diese emsig im
-Haus, Frau Besenmüller half ihr, und selbst der Schuldiener mußte mit
-eingreifen. Aus dem Pfarrhaus kam Fräulein Regine, und die rief einmal
-über das andere: »Wie hübsch das ist, wie hübsch!«
-
-Manch Stück aus der Großmutterzeit war unter den Sachen, das paßte gut
-in die großen Stuben des Schulhauses, viel besser als in die enge,
-kleine Viertreppenwohnung der grauen Stadt. Mutter und Sohn staunten
-selbst, wie hübsch es wurde, und als dann die Bücherkisten kamen und
-Heinrich Fries die lieben gedruckten Freunde wiedersah, da fand auch er
-es nicht mehr so einsam in Steinach.
-
-Draußen wurde es immer weihnachtlicher. Die Kinder sangen
-Weihnachtslieder, wo sie gingen und standen, und keiner schalt, wenn
-die Brummer auch sangen. Hinzpeters Malchen sang manchmal noch im Bett
-ihre kleinen frohen Lieder. Im Schulhaus hörte die alte Frau Lehrerin
-das frohe Singen auch, und sie meinte, seit vielen, vielen Jahren sei
-es ihr noch nicht so weihnachtlich zumute gewesen wie hier in Steinach.
-Ihr fielen allerlei heitere Dinge ein, die sie einst im Elternhaus
-unter der Adventskrone getan hatte, und eines Tages wanderte sie
-selbst in den Wald, holte sich Tannengrün, wand eine Adventskrone,
-steckte drei Lichter darauf, denn so weit war die Zeit vorgeschritten,
-und dann lud sie die Schulkinder zu einer Adventsfeier ein.
-
-So etwas hatte es noch nie in Steinach gegeben, und sämtliche Spatzen
-im lieben deutschen Land zusammen konnten nicht so neugierig sein
-wie die Steinacher Kinder. Die hatten es an diesem Sonntagnachmittag
-ungeheuer eilig, in das Schulhaus zu kommen. Eine Stunde früher als
-angesagt waren sie schon da. Aber Frau Besenmüller war auch da, und die
-fand gar nicht, daß es nötig sei, nur eine Minute früher zu kommen.
-»Geht nur wieder,« sagte sie, hartherzig, wie die Kinder meinten, »ich
-bimmle schon!« Und klapp schloß sie ihnen die Türe vor der Nase zu.
-
-»Frech!« rief Arne.
-
-»Besenmüllern ist komisch!« brummten etliche.
-
-»Huje, da is die Bimmel!«
-
-Zimplichs Max jauchzte es laut. Die andern folgten mit ihren Blicken
-seinem Zeigefinger, und da sahen sie wirklich alle außen im Türwinkel
-die große Schulglocke stehen. Frau Besenmüller hatte sie am Morgen in
-Gedanken außen statt innen in die Ecke gestellt.
-
-Die Schulklingel! Die liebten die Kinder und haßten sie. Wie manchmal,
-wenn sie ertönte, atmeten besonders die Faulpelze auf, daß endlich die
-Stunde aus war. Und dann wieder ärgerten sie sich über den hellen Ton,
-wenn er ihnen mitten in ein lustiges Spiel hineinfuhr. Und nun stand
-dieses Ding, das eine Stimme hatte und beinahe wie ein lebendiges Wesen
-war, vor ihnen, von Frau Besenmüller unbeschützt.
-
-»Wir bimmeln,« riefen Arne und Malchen.
-
-»Ach ja, wir bimmeln,« schrieen ein paar andere.
-
-»Nä, wir verstecken sie.« Zimplichs Max und Jackenknöpfle schrieen es,
-und gleich schrieen die andern: »Wir verstecken sie, fein, hurra!«
-
-Ein paar stürzten auf die Klingel los, und Schmiedemeister Traugotts
-Hans warnte: »Laßt ’n Klöppel niche los!«
-
-Die Warnung kam zu rechter Zeit, der Klöppel wurde festgehalten,
-die Schulklingel mußte stumm bleiben. Sie konnte nicht rufen und
-nicht anklagen, sie mußte es leiden, daß sie von unnützen Buben und
-kichernden Mädeln in Besenmüllers Holzschuppen getragen wurde. Dort
-erhielt sie ihren Platz auf einem hochgeschichteten Holzstoß, und da
-saß sie und mußte schweigend warten, bis Frau Besenmüller Holz holen
-kam.
-
-Die Kinder zogen wieder vor das Schulhaus zurück, sie freuten sich
-schon über Frau Besenmüllers Erstaunen, wenn sie die Klingel nicht
-fand. Sie wollten ihr dann suchen helfen, das gab gewiß einen
-Hauptspaß. Es kam aber anders. Fräulein Regine aus dem Pfarrhaus kam,
-auch ehe es Zeit war. Und Fräulein Regine ließ Frau Besenmüller nicht
-draußen stehen, und weil das junge Mädchen sagte, es sei so kalt
-draußen, die Kinder könnten doch mit hinein, tat die Schuldienersfrau
-wirklich weit die Tür auf, und alle liefen schwatzend und vergnügt in
-das schöne, alte Haus hinein. Einige dachten: »Nun braucht Besenmüllern
-die Bimmel nicht zu suchen, schade!« Aber dann vergaßen sie gleich den
-andern die arme, verstoßene Schulklingel im Holzstall, denn es wurde
-sehr fein.
-
-Frau Fries hatte lange keine Adventsfeste gefeiert, und sie hätte wohl
-auch die Kinder nicht zur Adventsfeier eingeladen, wenn nicht Fräulein
-Regine ihr geholfen hätte. Aber Fräulein Regine konnte singen, die
-allerlieblichsten Lieder, sie konnte erzählen und plaudern, und dann
-konnte sie lachen. So mit dem Herzen zu lachen wie Fräulein Regine
-verstand nicht leicht jemand, und dieses Lachen steckte an. Die große
-Schulstube sah an diesem Nachmittag lauter heitere, lachende Gesichter,
-trotzdem der neue Lehrer, vor dem die Kinder immer noch ein wenig
-Angst hatten, auch im Zimmer blieb. Und Frau Besenmüller saß mit darin
-und ihr Mann, der emsig an einem rosenroten Strumpf strickte. Frau
-Fries zeigte es den Kindern, wie sie alle die bunten Papierstreifen,
-von denen sie eine große Schachtel voll vor sich stehen hatte, zu
-Ketten zusammenkleben konnten. So etwas hatten die Steinacher Kinder
-noch nie getan, und sie fanden, es sei eine vergnügliche Arbeit.
-
-Fräulein Regine erzählte dazu das lustige Märlein vom Vater Strohwisch,
-und dazwischen wurden Lieder gesungen. An einer Geschichte hatten die
-Kinder aber nicht genug, und sie baten um mehr. Da erzählte ihnen der
-junge Lehrer etwas aus der Zeit der Befreiungskriege, von der Schlacht
-bei Leipzig am 18. Oktober 1813.
-
-»Ach Krieg,« rief Hinzpeters Malchen, »den gibt’s nicht mehr!«
-
-»Na, du,« schrieen die Buben empört, »der kommt schon noch mal.«
-
-»Krieg ist schwer,« seufzte Frau Fries. »Als ich ein junges Mädel war,
-etwas älter als Malchen, hatten wir Krieg mit Frankreich.«
-
-»Mutter, erzähle den Kindern doch einmal die Geschichte aus
-Urgroßvaters Jugendzeit,« bat Heinrich Fries. »Sie ist zwar ernst,
-aber eigentlich ist es eine Adventsgeschichte, wenn sie auch im Sommer
-beginnt.«
-
-»Sie ist zu lang,« warf die Mutter ein.
-
-»Och nä,« schrieen die Kinder, just als wüßten sie genau, wie lang
-die unbekannte Geschichte sei. Und selbst Besenmüller, der bis dahin
-unentwegt und stumm an seinem rosenroten Strumpf gestrickt hatte, tat
-seinen Mund auf und sprach: »Zu lang is ’ne Geschichte niche leicht,
-wenn se scheene is.«
-
-»Ob sie schön ist, mögt ihr alle nachher entscheiden,« sagte Frau Fries
-lächelnd. »Sie ist lustig und ernst, und der Försterbube darin war mein
-Großvater. Es ist also eine wahre Geschichte, und das ist auch etwas
-wert. Nennen werde ich sie
-
-
-Schloß Moorheide.
-
-An einem See, den dunkler Tannenwald umschloß, lag ein graues Haus.
-Schloß Moorheide wurde es genannt, obgleich der einfache, gerade Bau,
-dem jeglicher Zierat fehlte, nichts Schloßartiges an sich hatte. Nur
-die breite Freitreppe, die vom Eingang hinab in einen ziemlich wilden
-Garten führte, verlieh dem Haus ein vornehmes Aussehen. Am Fuße dieser
-Treppe stand an einem Sommertag des Jahres 1812 ein kleines Mädchen,
-ein feines, zierliches Ding mit braunen Locken und veilchenblauen
-Augen.
-
-Vor ihr stand, die Hände in den Hosentaschen, ein etwas größerer
-Bube. Er war halb städtisch, halb bäurisch gekleidet, und sein
-braungebranntes Gesicht stach drollig gegen die flachsblonden Haare
-ab. Dem ganzen kleinen Kerl sah man an, daß er in Wind und Wetter
-draußen war, und seine blitzenden Augen verrieten, daß er zu allerlei
-tollkühnen Unternehmungen gern bereit war.
-
-»Du bist feige,« sprach er grollend zu seiner Gefährtin.
-
-Sabina von Hartenstein, den Namen führte das zierliche Mädchen,
-schüttelte traurig den Kopf. »Ich darf doch nicht,« sagte sie, und ein
-sehnsüchtiger Blick flog nach dem Walde hin; in den Augen stand: »Ich
-möchte schon.«
-
-»Frag’ nur deine Frau Mutter,« drängte der Bube. »Pah, mit mir kannst
-du doch in den Wald gehen!« fügte er ein bißchen prahlerisch hinzu und
-reckte die Stupsnase gewaltig in die Höhe.
-
-Babinchen, so wurde Sabina gerufen, lachte schelmisch: »Du tust gerade,
-als wärst du mindestens ein Ritter, Heine. Großvater sagt, es sei jetzt
-so unsicher, man könnte immer Soldaten erwarten, und du weißt« -- sie
-sprach das Wort nicht aus, aber ein scheuer Blick flog nach dem Hause
-hinauf. Oben stand ein Fenster offen, und manchmal hörte man ein paar
-Männerstimmen in der friedlichen Nachmittagsstille aufklingen.
-
-Heine Strohmanns hellblaue Augen blitzten, und er schaute mit
-ehrfurchtsvoller Bewunderung zu dem Hause hinauf.
-
-Der Bube war der Sohn des Försters, sein Vater wohnte nicht allzuweit
-vom Schloß entfernt im Walde. Fast täglich kam Heine in das Schloß,
-denn Babinchen war seine liebste Spielgefährtin; die beiden streiften
-dann oft stundenlang in den weiten, sich bis an die russische Grenze
-hinziehenden Wäldern umher. Heine kannte Weg und Steg so gut, daß er
-sich selbst im Dunkeln zurechtfand. Er kannte aber auch jeden Vogelruf,
-er wußte, wo die Rehe ästen, wo Füchse, Dachse und anderes Getier
-hausten, und oft genug hatte er seiner kleinen Freundin schon allerlei
-Wunder des Waldes gezeigt. Heute hatte er ihr einen Fuchsbau weisen
-wollen, er hatte vor etlichen Tagen die jungen Füchslein gesehen;
-morgen wollte der Vater das ganze Nest ausheben, da sollte es nun
-Babinchen noch rasch sehen. Es kam ihm sehr ungelegen, daß Frau von
-Hartenstein ihrem Mädel verboten hatte, im Wald herumzustreifen. Noch
-waren nämlich die Truppen des Kaisers Napoleon auf dem Durchmarsch nach
-Rußland begriffen. Dieses große Reich sollte Napoleons unersättlicher
-Ländergier auch zum Opfer fallen, und das arme Preußen, halb vernichtet
-in dem unglücklichen Krieg von 1806--1807, mußte sich den Durchzug
-der Truppen gefallen lassen. Napoleon nannte den König von Preußen
-zwar jetzt seinen Freund und Bundesgenossen, aber dabei glich der
-Durchmarsch seines Heeres eher einem großen Raubzug.
-
-Nach Schloß Moorheide, das abseits von der großen Heerstraße lag, waren
-bisher noch keine Soldaten gekommen. Auch das nahe Dorf war noch davon
-verschont geblieben, Vorspanne, Schlachtvieh und Lebensmittel aller Art
-liefern zu müssen.
-
-Auf Moorheide wohnten schon seit etlichen Geschlechtern die
-Hartensteins. Der alte Herr Jobst von Hartenstein, der derzeitige
-Besitzer, war schon lange verwitwet. Bei ihm lebte seine
-Schwiegertochter mit ihrem Töchterchen Sabina. Auch ihr Mann war tot;
-wenige Wochen nach Babinchens Geburt war er gestorben. Die Kleine
-dachte oft sehnsüchtig an den Vater, den sie nie gekannt hatte, und
-den sie doch so liebte, weil alle Menschen, die von ihm sprachen,
-nur Gutes zu erzählen wußten. Wenn aber auf den Nachbargütern der
-Name Ferdinand von Hartenstein genannt wurde, dann schwiegen meist
-alle dazu, die Männer schauten ernst und trübe drein, und die Frauen
-hatten Mitleidstränen in den Augen. Auch in dem etwas düsteren Schloß
-am See wurde dieser Name nur in leiser, weher Trauer genannt, und
-der Großvater, der seit einem Jagdunfall lahm war, sprach fast nie
-den Namen aus. Ferdinand war sein Enkelsohn, Sabinas vierzehn Jahre
-älterer Bruder. Der feurige, leidenschaftliche Jüngling hatte sich in
-seiner heißen Vaterlandsliebe dem Schillschen Korps angeschlossen,
-er hatte fliehen müssen und war in einer grauen Nebelnacht nach
-Schweden entkommen. Die Mutter trauerte tief um den letzten Sohn. Der
-älteste war einst bei Jena gefallen. Der Großvater sehnte sich nach
-dem fernen Enkel, und Babinchen hatte dem Bruder schon viele heiße
-Tränen nachgeweint. Mit ihrem Freund, Heine Strohmann, sprach sie oft
-von dem Bruder. Der Bube bewunderte in dem Flüchtling einen Helden,
-und er wurde nie müde, von ihm zu hören. Wie der Bruder aussah, wußte
-Babinchen freilich selbst nicht mehr genau. Schon seit sieben Jahren
-hatte sie ihn nicht mehr gesehen, und sein Bild hielt die Mutter
-verborgen. So wußte auch niemand von den Hausgenossen sich recht an den
-jungen Herrn zu erinnern.
-
-»Ob er es wirklich ist?« fragte Heine jetzt voll ehrfürchtiger Scheu,
-und sein Blick streifte wieder rasch das offene Fenster. Babinchen
-legte ihre Arme um den Hals des Kameraden und flüsterte leise, obgleich
-nirgends ein Lauscher zu sehen war: »Ich denke, er muß es sein. Und
-weißt du, er ist gekommen, weil Großvater so lange, lange krank war.«
-
-»Wenn ich ihn nur einmal sehen könnte, nur ein einziges Mal!« rief
-Heine laut und aufgeregt.
-
-Babinchen hielt ihm rasch den Mund zu. »Schrei doch nicht so, Stepke!«
-schalt sie ärgerlich.
-
-Heine wurde ein bißchen verlegen. Stepke nannte ihn seine kleine
-Freundin immer, wenn er gar zu wild und jungenhaft war, und darum
-mochte er den Namen nicht leiden. Er grollte auch jetzt: »Brauchst mich
-nicht gleich Stepke zu nennen, wenn ich mal ’n bißchen laut rede. Ihr
-Mariellen seid auch zu zimperlich!«
-
-Mariell ließ sich nun wieder Babinchen sonst nicht gern nennen, sie war
-an diesem Tag aber viel zu aufgeregt, um auf eine solche Kleinigkeit zu
-achten. »Wenn du ganz leise gehst, weißt du, auf den Zehenspitzen und
-ohne Stiefel, dann führe ich dich in die blaue Stube. Die hat nämlich
-ein Fenster nach Großvaters Zimmer hin, und wenn wir recht leise sind,
-dann können wir da rasch einmal hindurchsehen; der Vorhang ist nur halb
-zu.«
-
-Heine hätte beinahe einen lauten Jauchzer ausgestoßen, er besann sich
-aber noch rechtzeitig auf Babinchens Mahnung zur Stille und hielt sich
-geschwind seine kleine, braune Hand vor den Mund.
-
-Einige Minuten später schlichen die Kinder auf Strümpfen durch das
-Haus, während ihre Schuhe einträchtig nebeneinander in einem dichten
-Holunderbusch im Garten standen. Babinchen führte Heine Strohmann durch
-einige Zimmer, bis sie aufatmend einige Augenblicke stillstand. Nebenan
-war das blaue Zimmer, und von dort aus konnten sie in Großvaters
-Arbeitsstube sehen. Es hatte ihr niemand verboten, das blaue Zimmer zu
-betreten, sie hatte schon oft durch das Fenster geschaut und dem lieben
-Großvater zugenickt und zugelacht. Dennoch zögerte sie jetzt. War es
-nicht doch etwas Heimliches, was sie nun tun wollte? Warum wagte sie
-eigentlich nicht, Heine einfach in das Zimmer zu führen?
-
-Seit zwei Tagen waren Gäste im Haus, ein paar junge Männer. Ihre
-Namen wußten außer dem Großvater und der Mutter wohl nur noch
-Förster Strohmann und die alte, treue Marinka. Die aber waren beide
-verschwiegen und hätten sich eher die Zunge abgebissen, ehe sie ein
-ihnen anvertrautes Geheimnis verraten hätten. Trotzdem niemand über
-das Woher und Wohin der Fremden etwas wußte, sagten es doch alle im
-Hause, von der Köchin Lisabetha an bis hinab zu dem kleinen frechen
-Pferdeknecht Michael, daß der Jüngere der Fremden kein anderer sei
-als Junker Ferdinand, der geflüchtete Sohn des Hauses. Auch Babinchen
-glaubte es halb und halb, und sie hätte so gern den Fremden als Bruder
-angeredet, aber sie sah ihn wenig; fast immer waren die beiden Gäste
-in des kranken Großvaters Zimmer. Kam er aber einmal in das Wohnzimmer
-und sprach zu ihr, dann schwieg sie befangen, ja dann schien es ihr
-kaum möglich, daß dieser Mann mit dem ernsten Gesicht, der breiten,
-roten Narbe über der rechten Wange, ihr Bruder sein sollte, so fremd
-kam er ihr vor, und sie meinte, der fröhliche Jüngling, der sie als ein
-noch viel kleineres dummes Mariellchen oft samt ihrer Puppe Rosalinde
-spazierengefahren hatte, sei doch ein ganz anderer gewesen.
-
-Babinchen hatte auch ihrem Freund Heine ihren Zweifel nicht
-verschwiegen, der aber hatte versichert: »Wenn ich ihn nur eine Minute
-sehen könnte, ich wüßte ganz genau, ob er’s ist.« Und dabei war der
-Bube bei des Junkers Abschied auch erst ein rechter Dreikäsehoch
-gewesen!
-
-Aber die Kleine glaubte dem Freunde seine kühne Behauptung, und
-darum schlichen sie jetzt alle beide in die blaue Stube, um den
-geheimnisvollen Fremden zu sehen. Babinchens Herzlein schlug so laut,
-daß sie meinte, man müsse sein Pochen drin im Nebenzimmer hören; sie
-wagte kaum einen scheuen Blick durch das nur lose verhängte kleine
-Fenster, das nach altmodischer Bauweise in die Stubenwand eingelassen
-war. »Guckerchen« nannte man es im Hause, und am Guckerchen stand nun
-Heine und starrte mit heißen Augen hinüber. »Er ist’s,« flüsterte er
-der Freundin zu, die ihm rasch und angstvoll den Mund zuhielt, während
-ihre Augen flehten: »Sprich nicht, sei leise!«
-
-Drinnen in dem Zimmer saß in einem Lehnstuhl Babinchens Großvater.
-Sein bleiches Gesicht trug die Spuren langer Krankheit, und blaß und
-schmal lagen die Hände auf der dicken Decke, in die er sich trotz der
-Sonnenwärme gehüllt hatte. Die schönen, klaren Augen des alten Herrn
-ruhten liebevoll auf einem jungen Mann, der auf einem niedrigen Schemel
-vor ihm saß und ihm etwas zu erzählen schien. Was er sagte, verstanden
-die beiden Eindringlinge am Guckerchen nicht. Babinchen zitterte wie
-ein Grasstenglein im Wind vor Aufregung, ihr Freund aber hatte ganz
-vergessen, wo er sich befand. Der braunlockige junge Mann mit den
-grauen, kühn blitzenden Augen, der zu den Füßen des Gutsherrn saß, das
-mußte er sein, er, der Held.
-
-Doch da zupfte ihn Babinchen am Jackenzipfel, das sollte heißen: »Komm,
-komm!« Die Kleine hatte gesehen, daß nur noch der andere Gast, ein
-hochgewachsener, schlanker, blonder Mann, der aber wohl erheblich älter
-als sein Freund sein mochte, im Zimmer war. Die Mutter fehlte, und
-Babinchen war besorgt, sie könnte kommen und sie beide am Guckerchen
-finden. Endlich gelang es ihr mit Zupfen und zaghaft geflüsterter
-Bitte, den Kameraden fortzulocken. Auf leisen Sohlen huschten beide
-wieder hinaus, unten im Garten aber sprang Heine Strohmann hoch vor
-Freude und rief: »Er ist’s, ganz gewiß, er ist’s! Den erkennt --«
-
-»Babinchen, Heine!« rief Frau von Hartenstein. Babinchen konnte noch
-gerade in ihre Schuhe schlüpfen, ehe die Mutter aus dem Hause trat.
-
-»Frag’ wegen der Füchse!« tuschelte ihr Heine so laut zu, daß seine
-kleine Freundin gar nicht erst zu fragen brauchte. Die Mutter hatte
-es gehört und wollte nun wissen, was mit den Füchsen sei. Sie lachte,
-als Heine Strohmann die Fuchsfamilie begeistert pries und treuherzig
-hinzusetzte, mit ihm könne Babinchen schon gehen, es sei kaum eine
-halbe Stunde weit; außerdem werde sein Vater vielleicht ganz in der
-Nähe sein, er habe heute früh davon gesprochen.
-
-»Nun, meinetwegen lauft,« sagte Frau von Hartenstein freundlich, »aber
-bleibt nicht zu lange. Bittet Marinka, daß sie euch ein Vesperbrot
-mitgibt.«
-
-Die Kinder jauchzten auf, Babinchen umarmte die Mutter stürmisch, und
-weil ihr das Gewissen beschwert war ob des heimlichen Schauens durch
-das Guckerchen, nahm sie einen so zärtlichen Abschied, als ginge sie
-auf eine große Reise. Da wurde der Frau das Herz seltsam schwer. Sie
-preßte ihr Kind fest an sich und sagte mit leiser Bangigkeit: »Gib mir
-gut acht auf mein Mädel, Heine!«
-
-Das versprach der Bube wichtig, und bald darauf trabten die beiden
-Kinder dem Walde zu. Die halbe Stunde, die Heine angegeben, hatte ein
-recht tüchtiges Schwänzlein. So geschwind die Buben- und Mädelbeine
-auch über den grünen Waldboden liefen, es dauerte doch über eine
-Stunde, ehe sie am Fuchsbau anlangten. Sie hatten zuletzt die
-Landstraße überschreiten müssen, die in einem Bogen um Schloß Moorheide
-herum nach der nächsten Stadt führte. Eine Seitenstraße ging von ihr
-aus nach dem einsamen Gutshof und dem nachbarlich gelegenen Dorf.
-
-»Bis an die Landstraße sollte ich aber nicht,« sagte Babinchen zaghaft
-beim Überschreiten, »Mutter hat es streng verboten!«
-
-»Pah, was ist dabei!« meinte Heine. »Komm nur rasch! Eins, zwei, drei
-sind wir drüben. Wir gehen doch nicht die Straße entlang, und ob wir
-jenseits durch den Wald laufen oder hier, ist gleich.« Babinchen
-ließ sich nur zu gern bereden, und husch liefen sie beide hinüber.
-Die breiten Graben am Wegrand wurden mit kühnem Sprung genommen, und
-dann tauchten die Kinder drüben in der grünen Dämmerung wieder unter.
-Üppiger Laubwald drängte sich zwischen den Nadelwald hinein. Weil
-die Vögel hier gut Nester bauen konnten und ein kleiner Waldsee auch
-allerlei Wasservögeln Wohnung gab, so schwirrte, sang, kreischte,
-rohrte und schnatterte das oben und unten lustig durcheinander. In all
-das Vogelgeschwätz hinein aber sagte Babinchen: »Es klingt wie Donner,
-was ist das nur?«
-
-»Es wird ein Wagen auf der Landstraße sein,« sagte Heine achtlos, denn
-seine ganze Aufmerksamkeit galt dem Fuchsbau. Dort mußte er doch sein,
-dort, wo die Sonne durch eine Lücke drang und einen großen hellen,
-runden Fleck auf den Waldboden malte. Aber die Füchslein lagen nicht
-wie am Tage vorher draußen und sonnten sich. Alle miteinander steckten
-sie in ihrer dunklen Wohnstube, und nicht eine einzige rote Fuchsrute
-war zu sehen.
-
-»Das ist doch zu dumm,« brummte Heine, »was ihnen nur einfällt!«
-
-»Wir müssen warten,« tuschelte er. »Komm, wir legen uns hier lang auf
-den Boden. Ich habe aber auch Stein und Zunder mit, und wenn sie nicht
-kommen, dann räuchere ich sie heraus.«
-
-Dieser Plan war Babinchen etwas zu abenteuerlich; sie meinte, sie
-wollten es lieber mit dem Warten versuchen. Erst steckte sie aber
-neugierig ihr Näslein in den Fuchsbau hinein, sie fuhr aber geschwind
-wieder zurück und rief verächtlich: »Pfui, wie das da drin riecht, brr!
-Na, weißt du, deine Füchse sind auch was Rechtes, darum brauchten wir
-nicht so weit zu laufen!«
-
-»Wart’ es doch ab, bis sie herauskommen, nachher werden sie dir schon
-gefallen!« murrte Heine Strohmann gekränkt. »Aber wenn du schwätzt und
-schreist wie eine Elster, dann natürlich, dann können wir lange warten.
-Auf der Jagd hält man den Schnabel!«
-
-Des Freundes Strafrede verfehlte ihre Wirkung, denn Babinchen kicherte
-so vergnügt darüber, daß es die Fuchsfamilie im Bau sicher hören mußte.
-Endlich tat ihr aber Heine, der ein betrübtes Gesicht machte, leid,
-sie verhieß still zu sein, und beide legten sich dann wie ein paar
-richtige eifrige Jäger lang auf den grünen, weichen Waldboden nieder,
-um die Füchse zu belauschen. Doch kaum hatten sie sich recht hingelegt,
-da sprangen sie auch schon wieder entsetzt auf und starrten einander
-schreckensbleich an. Der ganze Boden dröhnte nämlich. Das konnte nicht
-nur ein Wagen sein, der die Landstraße entlang fuhr, viele mußten es
-sein und viele Menschen, die da marschierten.
-
-»Feinde sind’s,« stammelte Heine, »Franzosen!« Alle
-Schreckensgeschichten fielen ihm ein, die man sich noch in der Gegend
-erzählte.
-
-Babinchen wiederholte angstvoll die Worte: »Feinde sind’s!«
-
-»Wir müssen uns verstecken,« sagte Heine rasch, ohne Besinnen, »wir
-sind so nahe, dein weißes Kleid kann man sonst sehen.« Er zog seine
-kleine Freundin mit kräftigem Ruck in einen Graben hinein, der den Wald
-durchlief. Er war trocken und von bunten Blumen überwachsen; in dieses
-duftige Blütenbett versanken die Kinder, und einige Minuten saßen sie
-stumm, fast betäubt von dem Schreck darin, während durch den Wald
-lauter, unheimlicher das dumpfe Dröhnen klang.
-
-»Wenn sie nach Hause kommen, unser Haus finden!« flüsterte Babinchen
-zitternd.
-
-»Und deinen Bruder! Den -- den nehmen sie gefangen, er ist doch ein
-Flüchtling,« sagte Heine Strohmann, und sein sonst so vergnügtes
-Bubengesicht war tief ernst geworden.
-
-Das Mädchen schmiegte sich bebend an den Freund und schluchzte leise:
-»O der arme Ferdinand! Ach Heine, wir müssen zu ihm und es ihm sagen!«
-
-Sie wußte nur zu gut, daß Heine mit seiner Angst recht hatte. Erst
-gestern hatte sie gehört, wie Lisabetha erzählte: »Wenn nur keine
-Franzosen kommen! Die nehmen den jungen Herrn gleich mit oder schießen
-ihn mausetot.« Und dann hatten die Mägde und Knechte sich allerlei
-schauerliche Geschichten erzählt, von den jungen Offizieren, die
-Napoleon in Wesel hatte erschießen lassen, und noch manche andere trübe
-Begebnisse. Babinchen hatte schaudernd im Winkel gesessen und gelauscht
--- jetzt kam ihr alles wieder ins Gedächtnis, und aufgeregt flehte sie:
-»Komm doch, Heine, komm, wir müssen zurück!«
-
-Heine schüttelte nachdenklich, finster den Kopf. »Hör’ nur, sie müssen
-schon nahe sein, und wenn wir zurück über die Straße laufen, dann sieht
-man uns, und dann -- nein, das geht nicht.«
-
-»Wir rennen eine Weile am Rand des Waldes entlang und dann fix
-hinüber,« riet Babinchen.
-
-Der Bube betrachtete seine Gefährtin. »Dein weißes Kleid verrät uns!«
-Er wußte als Förstersohn zu gut, daß etwas Weißes im Walde weithin
-leuchtet, deshalb wagte er sich mit seiner Freundin nicht nahe an den
-Rand. Er allein wäre ohne Besinnen nach dem jenseitigen Wald gelaufen,
-aber verlassen durfte er Babinchen nicht. Er fühlte sich als ihr
-Beschützer, hatte er doch versprochen, sie sicher heimzubringen.
-
-»Ach, wenn ich doch braun wäre,« schluchzte das Mädel, »dann liefen wir
-schnell vierbeinig über die Straße, und die Franzosen dächten, es wären
-Rehe, und --«
-
-»Schießen auf uns,« vollendete Heine. Da schwieg Babinchen verzagt
-und lauschte bebend auf den Lärm, der mehr und mehr die Waldstille
-übertönte.
-
-»Wir müssen hinüber,« überlegte Heine, »rasch hinüber, müssen die zu
-Hause warnen!« Und er meinte, das einzige Hindernis sei Babinchens
-weißes Kleid. Daß den Soldaten auch dunkle, über den Weg huschende
-Gestalten verdächtig sein könnten, das überlegte er gar nicht.
-
-Auf einmal aber kam ihm ein rettender Gedanke; ja, so mußte es gehen,
-so. Hier ganz nahe war ein Moorloch. Sein Vater hatte ihn einmal
-gewarnt, auf den dunklen Grund zu treten, er hatte ihm auch die
-Stelle gezeigt, wo der feste Grund begann. In das Moor mußte Babinchen
-ihr weißes Kleid tauchen, es darin dunkel färben, dann war die Sache
-ungefährlich. Hastig teilte er seiner Gefährtin den Plan mit, und die
-fand ihn über alle Maßen klug. »Ausziehen tu ich mich nicht erst, das
-dauert zu lange, ich steig’ gleich so hinein,« sagte sie entschlossen.
-
-Heine nickte. Ja, so war es gut; er wollte sie halten, damit sie nicht
-im Moor versinken konnte, denn wirklich, das Umziehen hätte zu lange
-gedauert. Babinchen war sonst ein rechtes Furchthäschen, aber in dieser
-Stunde vergaß sie alle Angst. Sie war zu allem bereit, nur heim mußte
-sie so rasch wie möglich, heim, alle warnen und bei der Mutter sein.
-Wie sehr sie sich nach der Mutter sehnte! In wenigen Minuten waren die
-Kinder am Moorbach angelangt; wie die Böcklein sprangen sie durch den
-Wald und vergaßen in ihrem Eifer ganz, daß scharfe Augen sie jetzt gut
-von der Straße aus hätten sehen können.
-
-Doch dort zogen noch keine Soldaten, nur der Schall ihrer Schritte,
-das Rasseln und Rollen ihrer schweren Wagen kam immer näher wie ein
-aufziehendes Unwetter.
-
-»Hier ist das Loch!« frohlockte Heine und führte seine kleine Freundin
-ein Stück auf dem festen Boden entlang ins Moor hinein. Ein Busch
-stand am Rand, an dem machte Heine halt und sagte: »Hier mußt du
-hinein, ich halt’ dich fest. Hab’ keine Angst, du fällst nicht!«
-
-Und Babinchen trat in ihrem weißen Kleidchen ganz still und ergeben auf
-das Moor. Sie stand ein Weilchen drauf wie eine weiße, helle Blüte,
-auf einmal aber begann sie zu sinken, nicht tief, nur etwa bis an die
-Knie, da fühlte sie schon wieder festen Boden unter sich. »Es geht
-nicht weiter!« klagte sie. Aber Heine, über den in dem Augenblick, da
-Babinchen zu sinken begann, eine jähe Angst gekommen war, sagte ganz
-beruhigt: »Das ist gut, dann legst du dich hin, dabei ist keine Gefahr.
-Dreh’ dich ein bißchen im Moor herum, dann bist du dunkel genug.«
-
-Babinchen befolgte auch diesen Rat des Freundes. Sie drehte sich
-geschwind im Moor herum, kam mit dem Gesicht hinein, aber da riß Heine
-sie schon wieder mit kühnem Griff empor und zog sie auf den Steg
-zurück. Aus der weißen, feinen Lilie war nun auf einmal ein kleines,
-grünbraunes Ungeheuer geworden. Ein dicklicher Brei rann an ihr
-herunter, klebte im Gesicht, an den Händen und troff aus den dunklen
-Locken.
-
-»Himmel,« stammelte Heine, nun doch entsetzt von dem Anblick, »du
-siehst ja gräßlich aus!« --«
-
-»Fein is das!« rief hier Jackenknöpfle andächtig; ihm gefiel dies
-Moorbad ungemein.
-
-Die andern tuschelten: »Sei doch still, jetzt wollen sie doch
-rüberlaufen!«
-
-Frau Fries hielt einen Augenblick an, und dann fuhr sie fort, während
-ihr Blick gut und froh über die Kinder ging: »Babinchen schluckte und
-pustete, weil ihr der Schlamm in den Mund gekommen war; als sie endlich
-Luft bekam, sagte sie tapfer: »Ach, was schadet das, komm nur schnell,
-schnell heim!« -- »Wirst du laufen können?« fragte der Bube besorgt.
-Die Kleine aber nickte nur, denn das Sprechen war beschwerlich: wenn
-sie den Mund auftat, lief ihr Schlamm hinein. Heine sah die Freundin
-stolz an, und er fand, weil diese so tapfer war, sein Plan sei doch
-ausnehmend gescheit gewesen. »Komm!« sagte er rasch, faßte Babinchens
-Hand, und beide eilten durch den Wald.
-
-Nach einem Weilchen gebot der Bube: »Leg’ dich einmal auf die Erde, ich
-klettere geschwind auf einen Baum und sehe, ob wir hier hinüberkommen.«
-Und wieder gehorchte Babinchen wortlos; in ihrer großen, heißen Angst
-hätte sie alles getan.
-
-Heine kletterte unbekümmert um Hose und Jacke eine hochgewachsene Tanne
-empor. Er riß sich die Hände blutig am rauhen Stamm, die schlanke
-Tanne bog sich unter seiner Last, aber der Försterbube hatte noch
-jeden Baum bezwungen, auf den er klettern wollte, er kam auch hier
-hinauf. Nur einige Augenblicke spähten seine falkenscharfen Augen über
-die Wipfel der niedrigen Bäume hinweg, dann sah er, was da heranzog:
-eine ungeheure Staubwolke, in der blitzte und blinkte es, er sah Pferde
-und Menschen: es war kein Zweifel mehr, die Feinde kamen. Aber noch
-waren sie nicht ganz nahe, noch konnten es die Kinder wagen über die
-Straße zu laufen. Heine sauste so blitzschnell den Stamm hinunter, daß
-er unten das Gleichgewicht verlor, Babinchen mitriß und mit ihr etwas
-unsanft auf dem Waldboden ankam.
-
-Pah, ein paar Löcher, darum kümmerten sich Mädel und Bube in dieser
-Stunde der Angst nicht, sie schnellten beide wie Gummibälle empor, und
-fort ging es im Galopp. »Noch ein paar Schritte hinauf,« sagte Heine im
-Laufen, »dann kommen wir hinüber.« Er hatte Babinchens Hand erfaßt und
-zog die Freundin mit sich fort.
-
-Nun standen sie am Graben, und es galt, die breite, sonnenbeschienene
-Landstraße zu überschreiten.
-
-Einige Augenblicke zögerten die Kinder. Ihre Herzen schlugen laut, ihre
-Knie zitterten, und mit bangen Augen sahen sie auf den sonnigen Weg
-hinaus. Sie hatten beide in ihrem jungen Leben schon zuviel von der
-Not und dem Jammer des Krieges gehört, um nicht zu wissen, wie groß
-die Gefahr war, in der sie sich befanden. Heine legte schützend seinen
-Arm um Babinchen, er fühlte sich verantwortlich für die Freundin. Aber
-die sonst so zaghafte Kleine war in dieser Stunde wirklich eine rechte
-Heldin. Sie dachte nur immer an die Lieben daheim, und sie meinte
-wieder durch das Guckerchen zu sehen, wie der Bruder zu des kranken
-Großvaters Füßen saß. Ach, sie wußte, wie viele, viele Tränen die
-Mutter um den fernen Bruder geweint hatte! Sie erinnerte sich noch,
-wie einst die Mutter sie in die Arme genommen und mit tränenerstickter
-Stimme gesagt hatte: »Laß uns beten, mein Mariellchen, und dem lieben
-Gott danken, dein Bruder ist gerettet!«
-
-Babinchen umfaßte fest des Freundes Hand, und aus ihrem braunen
-Schlammgesicht schauten ihn die Augen zuversichtlich an. Heine nickte:
-»Komm, wir müssen hinüber. Bücke dich etwas und renne, so schnell du
-kannst, ich will zuerst hinaus!«
-
-Nun waren sie in dem Graben, den sie kaum eine Stunde vorher lachend
-übersprungen hatten. Diesmal sprangen sie nicht, sie kletterten
-hindurch, holten noch einmal tief Atem, und los ging es.
-
-War die Straße hell, war die Straße breit!
-
-Die Kinder rasten mit vorgebeugtem Oberkörper hinüber, ihre Füße
-flogen, aber wie weit schien doch der jenseitige Wald entfernt zu sein!
-
-Heine wagte einen einzigen scheuen Blick zur Seite. Dort in der Ferne
-blitzte es, dort kam etwas schnell heran. Wie ein Ruf klang es, nun
-fiel ein Schuß.
-
-Aber da war schon der Graben. Heine sprang hinüber, Babinchen kollerte
-und fiel, der Bube riß sie empor. Nur hinein in den Wald, hinein in das
-schützende Dunkel!
-
-Keuchend rasten sie vorwärts, sprangen über Baumwurzeln, zwängten sich
-durch dichtes Gebüsch, unbekümmert darum, daß Dornen ihre Kleider
-zerrissen. Feucht und schwer schlug Babinchen das Kleid um den Körper,
-aber die Kleine hielt doch neben dem Freunde aus.
-
-Klangen dort nicht Stimmen? Hörte man nicht Pferdegetrappel? Kam nicht
-der Lärm näher und näher?
-
-»Sie haben uns gesehen,« dachte Heine Strohmann angstvoll und griff
-nach Babinchens Hand. »Komm, komm, hier müssen wir durch!« Sie krochen
-durch dichtes Buschwerk, dahinter war ein kleiner Kiefernwald, in dem
-sie leichter vorwärtskamen, und endlich erreichten sie einen schmalen
-Fußweg. Hier blieben sie aufatmend stehen und lauschten in den Wald
-hinein. Ferner klang schon das Rollen und Stampfen, es wurde mehr und
-mehr übertönt von dem Jubilieren und Zwitschern der Vögel.
-
-Aber die Kinder hörten weder auf den Gesang der Vögel, noch achteten
-sie auf die Blumen, die dort, wo die Sonne in den Wald hineinscheinen
-konnte, ihre zarten, bunten Kelche geöffnet hatten.
-
-»Wir müssen weiter,« sagte Heine rasch, er hatte nur Angst um seine
-Freundin.
-
-Babinchen nickte stumm. Sie fühlte jetzt auf einmal, wie schwer ihr
-moorgetränktes Kleid war, und der angetrocknete Schlamm brannte auf
-ihrem Gesicht. Dennoch folgte sie mutig dem Freund und rannte hinter
-ihm drein mit flinken Füßen auf dem schmalen Weg. Sie sprachen beide
-nicht viel zusammen, nur einmal sagte Heine: »Jetzt links!« dann nach
-einer Weile: »Wir kommen noch zur rechten Zeit!«
-
-Es war still geworden, nur ein ganz fernes, leises Grollen hörte man
-noch. Aber die Kinder rannten in gleicher Hast weiter, bis auf einmal
-die Stille wieder gestört wurde und Laute ertönten. Wie aus einem Munde
-jauchzten sie beide: »Wir sind da!«
-
-Wirklich, nach wenigen Minuten standen sie vor dem Schloß Moorheide,
-in das Babinchen wie ein richtiges Moorfräulein zurückkehrte. Die
-alte Marinka sah die Kinder zuerst, sie schlug die Hände über dem
-Kopf zusammen und wollte eine lange Strafrede beginnen, aber zu ihrer
-grenzenlosen Verwunderung rasten die Kinder einfach in das Haus hinein.
-Sie liefen die Treppe hinauf, über die Gänge, den gleichen Weg, den sie
-vor wenigen Stunden heimlich und leise geschlichen waren. In das Zimmer
-des Großvaters rannten sie, und dort rief Heine Strohmann mit seiner
-klingenden, hellen Knabenstimme: »Die Franzosen kommen!«
-
-Der alte Herr von Hartenstein richtete sich jäh in seinem Stuhl auf
-und sah die Kinder an, sein Enkeltöchterchen und den Buben, der vor
-Aufregung bebte. »Erzähl’! Wo?« fragte er kurz.
-
-Und Heine Strohmann erzählte alles ganz kurz und eilig, Babinchen gab
-atemlos ein paar Wörtlein dazu, und nach wenigen Augenblicken wußten
-die Erwachsenen alles.
-
-»Ferdinand,« stammelte Frau von Hartenstein totenbleich, und der, denn
-er war wirklich der flüchtige Sohn des Hauses, nahm sein kleines,
-schmutziges Schwesterlein in den Arm und sagte bewegt: »O ihr Kinder,
-ihr tapfern Kinder, du liebes, braves Schwesterherz du!«
-
-Die Mutter schlang die Hände fest ineinander, bezwang die Tränen und
-fragte zitternd: »Was tun wir?«
-
-»Förster Strohmann muß kommen,« gebot der Großvater. »Geh, Heine, wenn
-du noch laufen kannst, und hol’ deinen Vater her, und deine Mutter soll
-sich geschwind rüsten und mit den andern Kindern zu uns kommen.«
-
-Heine lief schon, da hörte er noch nachklingend das Wort: »Ein
-Prachtbengel!« Hei, das fuhr ihm ordentlich in die Beine, er merkte
-nichts mehr von Müdigkeit, sondern raste den kurzen Weg bis zum
-Forsthaus hin wie ein Windhund.
-
-Der alte Gutsherr gab inzwischen kurz und bündig seine Befehle, kein
-Wort zuviel, keins zuwenig. Es war, als sei auf einmal alle Schwäche
-und Krankheit von ihm gewichen, und seine Gelassenheit beruhigte alle
-Hausgenossen.
-
-Dann kam Förster Strohmann und sprach mit seinem Herrn, und wenige
-Minuten später zog er mit den beiden Gästen davon. Vorher aber
-umarmte der Bruder seine tapfere kleine Schwester noch einmal. »Auf
-Wiedersehen!«
-
-»Auf Wiedersehen!« wiederholte Babinchen, die alle Scheu vor dem
-großen, ihr eigentlich so fremden Bruder verloren hatte. »Verstecke
-dich, verstecke dich!« bat sie flehend.
-
-Ferdinand von Hartenstein nickte schwermütig. Wirklich, er mußte sich
-in seiner eigenen Heimat wie ein Verbrecher verbergen, nur weil er sein
-Vaterland so heiß und treu liebte.
-
-Als er ging, sahen Heine und Babinchen ihm nach. Mit Förster Strohmann
-schritt er in den Wald hinein, und Heines Augen blitzten. »In Vaters
-Schutz sind sie sicher,« sagte er, und gar zu gern wäre er mitgelaufen.
-Aber da kam seine Mutter mit den drei kleinen Geschwistern, die alle
-drei geradeso flachsblond und stupsnasig waren wie er selbst. Nun
-fühlte er sich wieder als Beschützer, und auch Babinchen, die sich
-gewaschen hatte und wieder fein und sauber aussah, kam sich den
-heulenden Försterkindern gegenüber sehr verständig vor. Sie nahm
-sie mit in die Wohnstube, dort sollten die Kinder bleiben, und dort
-beschrieben sie und Heine ihren Gang zu den Füchslein so spannend, daß
-die Kleinen das heulen darüber vergaßen.
-
-»Ich denk’ immer, die Franzosen kommen gar nicht,« prophezeite
-Lisabetha, »hierher finden die nicht!«
-
-Aber sie fanden doch den Weg in diese friedliche Waldeinsamkeit. Etwa
-dreißig Mann, geführt von zwei Offizieren, rückten gegen Abend im
-Schlosse ein. Sie verlangten in ziemlich barschem Ton den Hausherrn zu
-sprechen, verlangten von diesem Pferde, Schlachtvieh und Lebensmittel
-aller Art. Herr von Hartenstein erfüllte schweigend die Wünsche, er
-wußte, ein Widerstand würde doch nichts nützen. Wohl betonten die
-Offiziere, daß sie Freunde wären, aber dabei sahen sie so drohend aus,
-daß die alte Marinka sagte: »Der liebe Gott schütze uns vor so ’ner
-Freundschaft, davon halte ich nichts, rein gar nichts!«
-
-Drei Wagen waren beladen, Pferde und Rinder standen zum Fortzug bereit,
-denn die ungebetenen Gäste wollten noch am Abend weiterziehen, als
-plötzlich ein neuer Trupp Soldaten ankam. Der Offizier, der sie führte,
-war ein hochgewachsener, stattlicher Mann, der den alten Gutsherrn
-deutsch anredete. Es war einer der vielen Deutschen, die unter des
-französischen Kaisers Fahnen fechten mußten. Höflich, aber streng
-erklärte er, er hätte Befehl, das Haus zu durchsuchen.
-
-»Nach was?« fragte der Gutsherr gelassen.
-
-»Nach Ihrem Enkelsohn,« erklärte der Offizier, »man hat Verdacht, daß
-er sich hier aufhält.«
-
-»Bitte, suchen Sie,« sagte Herr von Hartenstein ruhig.
-
-Diese Ruhe verwirrte den Offizier. Forschend sah er die Hausfrau an,
-aber auch sie, obgleich ihr Herz in heißer Angst um den Sohn schlug,
-sagte gelassen: »Bitte, suchen Sie!«
-
-»Er ist nicht hier,« dachte der Offizier und frohlockte innerlich, denn
-die Erfüllung dieses Auftrages war ihm schwer genug geworden. Einen
-Mann suchen und verhaften müssen, der sein Vaterland so treu liebte,
-wie dieser Ferdinand von Hartenstein es tat, das schien ihm eine harte
-Aufgabe zu sein. Er mußte aber seine Pflicht erfüllen, und so ließ er
-denn auch das Haus von oben bis unten durchsuchen. Kein Winkel blieb
-unbeachtet, kein Kleiderschrank, keine Truhe, kein Bett undurchwühlt,
-sogar in die Mehlkiste schauten ein paar Soldaten zu Lisabethas
-Empörung hinein. Aus der Räucherkammer nahmen sie dabei gleich noch
-die letzten Würste und Speckseiten mit. Gut war es nur, daß sie der
-Wohnstube bloß einen kurzen Besuch abstatteten; darin gab es keine
-großen Kisten und Wandschränke, in die hineinzusehen sich lohnte. In
-die blitzenden, triumphierenden Augen Heines und Babinchens schauten
-sie glücklicherweise nicht.
-
-Im Haus fand sich keine Spur des Gesuchten, und von den Dienstboten
-verriet niemand ein Wort von den geheimnisvollen Gästen, die so
-plötzlich verschwunden waren. Auch das Forsthaus wurde durchsucht,
-der Wald durchstreift, nirgends wurde eine Spur gefunden. Babinchen
-zitterte und zagte, denn sie sah auch in der Mutter Augen Angst
-und Sorge stehen. Doch Heine Strohmann tröstete: »Die werden nicht
-gefunden, mein Vater hat sie geführt, da sind sie sicher!«
-
-Des Buben felsenfestes Vertrauen auf seines Vaters Klugheit und Treue
-gab Babinchen den Mut zurück. Als einer der französischen Offiziere
-sie ansprach, da flüchtete sie nicht schreiend wie die kleinen
-Förstermädel, sondern schaute zu dem Fremden so furchtlos auf und
-antwortete so ruhig, daß Heine mal wieder sehr stolz auf seine kleine
-Freundin war.
-
-Am nächsten Morgen kam Förster Strohmann wieder. Er hatte allerlei
-Raubtiere geschossen, einen Marder, ein paar Habichte und sogar einen
-Fuchs. Den französischen Offizieren war das Verschwinden des Försters
-aufgefallen. Wo war er? Warum weilte seine Familie im Herrenhaus?
-Als nun aber der Mann so schwerbeladen und jagdmüde heimkam und die
-unwillkommenen Gäste recht erstaunt und unwillig zu betrachten schien,
-schwand ihr Mißtrauen, und sie gaben das Suchen nach dem Flüchtling
-auf.
-
-Am Nachmittag zogen die Soldaten ab. In den Ställen fehlten Pferde und
-Rinder, die Vorratskammern waren leer geworden, und mancher Bauer im
-Dorf dachte sorgenvoll an kommende Zeiten. Hunger und Not würden nun
-wieder ihren Einzug halten. Mit derlei Sorgen plagten sich Babinchen
-und Heine nicht, sie dachten nur an Ferdinand und seinen Freund. Waren
-sie noch in der Nähe, im Wald verborgen, wie Heine meinte, oder waren
-sie schon wieder in ein fremdes Land geflüchtet?
-
-Einmal fragte Babinchen die Mutter; da strich ihr diese lind über die
-Locken und sagte seufzend: »Wir wollen hoffen, mein Kind, daß alles gut
-wird. Noch ist dein Bruder nicht in Sicherheit.«
-
-Es vergingen einige Tage. In der Umgegend war es wieder ruhig geworden.
-An einem schönen Sommermorgen weckte Frau von Hartenstein Babinchen mit
-der Frage: »Wollen wir heute zusammen eine weite, weite Waldwanderung
-unternehmen?«
-
-Das Mädchen sprang geschwind mit beiden Beinen zum Bett heraus. »Zu
-Ferdinand?« fragte es ahnungsvoll, hoffnungsfroh.
-
-Die Mutter nickte, sie gebot aber Stillesein, denn nur der Großvater
-und Marinka wußten etwas, und ermahnte ihr Mädel zur Eile. Eine Weile
-später stand dann Babinchen heiß und aufgeregt vor dem Großvater, der
-sagte herzlich: »Grüße deinen Bruder, Kind, bringe ihm meinen Segen.«
-Und leiser, halb zu sich selbst sprechend, fügte der alte Mann hinzu:
-»Ich wollte, es dächten viele so und liebten ihr Vaterland so wie er,
-wären so treu in den Tagen der Not!« Dem Babinchen fiel das Wort des
-Großvaters in ihr Herzlein wie ein köstlicher Edelstein.
-
-Frau von Hartenstein trug einen Korb mit Eßwaren gefüllt, auch
-Babinchen hatte einen zu tragen bekommen. Still bogen Mutter und
-Tochter gleich dicht am Haus in einen schmalen Waldweg ein, nicht
-jenen, den die Kinder vor wenigen Tagen gelaufen waren. Kaum waren die
-beiden ein Stück Wegs gegangen, als ein lautes Hallo sie grüßte. Da
-stand Förster Strohmann mit Heine, und der Bube schrie seiner kleinen
-Freundin entgegen: »Wir gehen mit!«
-
-Babinchen hätte sich nicht gefürchtet, mit der Mutter allein zu gehen,
-sie fand es aber doch behaglicher, unter Förster Strohmanns Schutz zu
-sein. Bald bogen die vier Wanderer von dem breiten Wege ab, und es
-ging pfadlos quer durch den Wald, und nur jemand, der so gut im Wald
-Bescheid wußte, konnte so unverzagt, ohne einmal zu irren, mitten
-hindurchgehen.
-
-Die vier Wanderer schritten kräftig aus. Nach zwei Stunden etwa hörte
-der Hochwald auf, nur niedriges Gebüsch und Gestrüpp kam, der Bruch,
-das Sumpfland; über dem stand hell und golden die Sonne. Hier hieß es
-vorsichtig gehen, denn es gab tiefe Moorlöcher, in die ein Unkundiger
-leicht versinken konnte, da man sie unter der schimmernden grünen
-Pflanzendecke nicht bemerkte. Förster Strohmann führte die kleine
-Gesellschaft am Rande entlang, und als Heine, seiner Ortskenntnis froh,
-sagte: »Hier geht es nach dem Torfstich,« nickte der Vater und wies
-nach einer Stelle. Dort arbeiteten zwei Männer. Sie stachen aus dem
-schwarzen Boden etwa ziegelsteingroße Stücke aus und schichteten sie
-zum Trocknen übereinander. Mit diesem trockenen Torf wurden nachher
-im Winter die Öfen geheizt. An der Arbeitsstelle war eine kleine
-Holzhütte, und daneben schwelte ein Feuerchen. Babinchen wunderte sich,
-daß die Mutter auf einmal so eilig lief, und plötzlich begann sie gar
-zu winken; der eine der Männer ließ seine Schaufel sinken und kam in
-schnellen Schritten dahergesprungen -- es war Ferdinand.
-
-Heine und Babinchen hatten gemeint, sie würden die Flüchtlinge tief im
-Wald geheimnisvoll verborgen finden, nun standen beide da im hellen
-Sonnenlicht; ach -- und wie sahen sie aus! Mit Moor beschmiert von
-oben bis unten. Selbst die Mutter schaute den Sohn erstaunt an. Der
-war wirklich von einem echten Torfstecher nicht zu unterscheiden, auch
-der Freund nicht, der nun gleichfalls herankam. Die beiden Männer
-lachten fröhlich, und Ferdinand nahm Babinchens beide Hände und sagte
-schelmisch: »Weißt du auch, kleine Schwester, daß dein Moorkleid
-neulich unsern guten Strohmann auf den Gedanken gebracht hat, uns hier
-einfach als Torfarbeiter herzustellen, weil wir da am sichersten wären?
-Unter dieser Verkleidung sucht uns niemand.«
-
-»Und geschafft haben die Herren, alle Achtung!« rief Förster Strohmann
-und schaute behaglich auf die großen Haufen aufgeschichteter
-Torfstücke. »Das nenne ich arbeiten!«
-
-»Will’s meinen,« sagte Ferdinands Freund stolz. Er erzählte noch, daß
-ein paar französische Soldaten auch am Torfstich vorbeigekommen wären
-und nach dem nächsten Weg zur Landstraße gefragt hätten, sie hätten
-aber weder ihn noch den Freund recht genau oder forschend angeschaut.
-
-Ein paar Stunden blieb Frau von Hartenstein mit den Kindern, dann
-mußten sie Abschied nehmen.
-
-»Und du?« fragte sie den Sohn traurig.
-
-»Wir bleiben hier.« Der nickte seinem Freunde zu. »Ein paar Wochen
-wollen wir noch Torfarbeiter sein, nachher finden wir wohl einen Weg
-zur Flucht.«
-
-»Komm doch mit,« flehte Babinchen, »es sind doch keine Feinde mehr da!«
-
-Aber der Bruder schüttelte den Kopf. »Sie haben Späher ringsum, noch
-kann ich’s nicht wagen.«
-
-Der Abschied wurde allen schwer; die Kinder versprachen eifrig, sie
-würden bald wiederkommen, und nahmen sich dies auch fest vor. Doch Tag
-um Tag verging, die Tage wandelten sich zu Wochen, Förster Strohmann
-führte die Kinder nicht mehr ins Moor hinaus. Aber manchmal in der
-Nacht hörte Babinchen sprechen in des Großvaters Zimmer. Einmal kam
-auch Ferdinand an ihr Bett und küßte die kleine Schwester; da wußte
-sie, er kam zu nächtlichen Besuchen. Am Tag konnte er nicht kommen,
-denn immerfort zogen Truppen die Landstraße daher, immer wieder suchten
-Franzosen das einsame Schloß heim.
-
-Der Sommer verging, der Herbst kam an. Der brachte klare, helle Tage,
-aber auch frühe Kälte. Die Wetterkundigen sagten einen harten Winter
-voraus, und oft sah Babinchen in diesen ersten kalten Tagen die Mutter
-traurig hinausschauen. Weilt der Bruder noch in der kleinen Hütte
-im Moor? Sie wagte es endlich, die Mutter zu fragen. Die sah sie
-tieftraurig an. »Der Großvater ist sehr krank, darum will dein Bruder
-nicht das Land verlassen. Er ist noch im Moor, und sein Freund hält bei
-ihm aus.«
-
-Babinchen und Heine redeten oft von den beiden Freunden im Moor. Sie
-konnten es gar nicht begreifen, warum die nicht doch irgendwo versteckt
-im Hause wohnten. Aber da kamen wieder unerwartet von der nahen Festung
-ein paar Offiziere, und die Kinder merkten nun doch, der Bruder tat
-wohl gut, sich verborgen zu halten.
-
-Weihnachten rückte näher, aber Weihnachtsjubel, Weihnachtsfreude gab es
-nicht. Es gab viel Armut und Not im Land, und immer heißer brannte die
-Sehnsucht, das Joch der Fremdherrschaft abzuschütteln, in den deutschen
-Herzen. Zur Sorge der Zeit kam für Frau von Hartenstein noch die Sorge
-um den Vater. Seine Krankheit hatte sich verschlimmert, und wer das
-bleiche, abgezehrte Gesicht sah, ahnte wohl, der Tod würde bald im
-Schloß Moorheide einziehen.
-
-Es war am letzten Adventssonntag. Nicht wie sonst brannten vier
-Adventslichter, und nicht wie sonst erzählte die Mutter Babinchen
-freundliche, liebe Weihnachtsgeschichten. Sie saßen alle beieinander
-im Krankenzimmer, lauschten auf des Großvaters matte Atemzüge, und
-Heine saß dabei, als müßte es so sein. Und eigentlich hätte er zu Hause
-Mutter und Geschwister beschützen sollen, denn seit mehreren Tagen war
-sein Vater fort. Niemand ahnte, wohin, selbst Frau von Hartenstein
-schien es diesmal nicht zu wissen, sie hatte schon etliche Male
-gefragt: »Wo mag nur der Förster sein?«
-
-Die alte Kastenuhr an der Wand tickte laut und schwer, kein Laut
-unterbrach sonst die Stille.
-
-Doch plötzlich schlugen auf dem Hofe die Hunde an, kurz und scharf; sie
-schwiegen gleich wieder, sie mußten den kennen, der kam. »Ferdinand!«
-Der Kranke richtete sich plötzlich im Bett auf, laut und froh klang
-seine Stimme.
-
-»Ferdinand ist nicht hier,« sagte Frau von Hartenstein. Doch noch hatte
-sie nicht recht ausgesprochen, da erklangen draußen Schritte, und über
-die Schwelle traten wirklich die beiden Freunde und Förster Strohmann.
-
-»Ferdinand, was bringst du?« Der Großvater sah dem Enkel entgegen, und
-der sank mit einem Jubelruf an dem Bett nieder. »Großvater,« stammelte
-er, »das französische Heer ist in Rußland vernichtet, der Kaiser nach
-Frankreich entflohen.«
-
-»Das ist Freiheit für uns!« Der alte Mann sagte es laut und feierlich.
-Er legte die Hand auf des Enkels Scheitel. »Gott segne dich für diese
-Botschaft! -- Nun erzähle!«
-
-Und Ferdinand berichtete. Mit seinem Freund und dem Förster waren sie
-in Rußland gewesen, dort hatten sie Kunde erhalten von dem Untergang
-des Heeres an der Beresina. Mit ihren eigenen Augen hatten sie
-schon die Jammergestalten der Heimkehrenden gesehen. Napoleons Heer
-vernichtet! Vielleicht schlug nun für Preußen die Stunde der Befreiung!
-
-Der Großvater lag still mit gefalteten Händen da, und die Mutter
-flüsterte: »Er stirbt!« Aber wunderbar, von jener Stunde an wurde es
-besser mit ihm. »Mein Gott läßt mich noch leben, bis das Vaterland frei
-ist,« sagte er freudig.
-
-So wurde es auch. Das neue Jahr brachte die Freiheit. Bei Leipzig
-kämpfte Ferdinand von Hartenstein als ein Held wie Tausende und
-Tausende mit ihm.
-
-Er wurde verwundet und lag lange schwer darnieder; aber als wieder die
-Adventsglocken tönten und zum vierten Mal mahnten, an das hohe Fest
-der Liebe zu denken, kehrte Ferdinand heim. Der Großvater lebte nur
-noch wenige Tage. Er schlief friedlich ein mit dem Bewußtsein, daß sein
-geliebtes Vaterland frei wurde von fremder Herrschaft.«
-
-Frau Fries schwieg, und ein Weilchen war alles ganz still im Zimmer.
-Endlich tat Frau Besenmüller einen tiefen Atemzug und sagte feierlich:
-»Gott behüte uns vor solchen Zeiten!«
-
-»Sie sind uns vielleicht näher, als wir ahnen,« sagte der junge Lehrer
-schwer. Aber das hörte nur seine Mutter und Besenmüller. Fräulein
-Regine hatte einen kleinen Stab geschwungen, und jauchzend tönte es
-durch das Schulzimmer:
-
- »Es gibt nichts Schönres auf der Welt,
- Als wenn das Christkind Einzug hält
- Ins Haus, ins liebe Vaterhaus,
- Trotz Sturmgetön und Wetterbraus.
- Es kommt so still in heil’ger Nacht
- Durch Schneegeflock und Eises Pracht.
- Begleiter ist der Weihnachtsmann,
- Der trägt, was er nur tragen kann.
- Wenn’s Kindlein noch so arm und klein,
- Das Christkindlein gedenket sein:
- Im Hüttlein schlecht, im reichen Haus
- Teilt es die Liebesgaben aus.
- Drum gibt’s nichts Schönres auf der Welt,
- Als wenn das Christkind Einzug hält.«
-
-»Und nun geht’s heim!« Frau Fries sagte es, als das Lied verklungen
-war. Ein paar Minuten später liefen die Kinder jauchzend die Dorfstraße
-entlang, und Frau Besenmüller räumte auf. Sie brummte dabei nicht wie
-sonst, sondern sagte vergnügt: »Scheene war’s, sehr scheene!«
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Achtes Kapitel
-
-Geburtstagsveilchen
-
- Warum die Schulglocke einer entthronten Königin gleicht und
- Frau Besenmüller nicht mehr Reisig zu holen braucht -- Die Zeit
- läuft, auf dem Schafskopf blühen die Veilchen, und Besenmüller,
- der kein Gespenst ist, erzählt eine Geschichte, die erst im
- nächsten Kapitel steht
-
-
-Über der Adventsfeier hatten die Kinder alle miteinander die
-Schulklingel im Holzstall vergessen. Nur Schwetzers Fritze dachte
-daran. Wenn nun Frau Besenmüller die Klingel nicht fand! Dann würde sie
-schelten und schreien, und der Herr Lehrer würde es hören und die alte
-Frau Lehrerin, und sie würden böse werden. Nein, das durfte nicht sein.
-Zwischen Abendessen und Zubettgehen schlich sich Fritze noch einmal zum
-Schulhaus hin. Vielleicht fand er einen Kameraden, der ihm half. Aber
-es war kein Bube weit und breit zu sehen, dafür kam jemand anders, als
-Fritze gerade am Holzstall anlangte: der Herr Lehrer selbst. Fritze
-erschrak heftig und blieb wie erstarrt stehen.
-
-»Na du, was tust du denn hier?« Heinrich Fries sah erstaunt drein.
-»Warum bist du denn noch nicht daheim?«
-
-Fritze hätte nun gern die Wahrheit gesagt, aber vor Schreck war ihm
-der Mund noch fester verklebt als sonst, und in seiner Verlegenheit
-drehte er sich um und rannte, ohne Antwort zu geben, davon. Der junge
-Lehrer sah ihm ärgerlich nach. »Der ist verstockt!« dachte er, und oben
-erzählte er dann seiner Mutter, Schwetzers Fritze sei ein Heimlicher,
-von ihm wüßte er nie recht, was er im Sinne habe. Fritze lief
-heimwärts, sehr bedrückt, aber dicht am Haus traf er Arne. Sie waren
-Nachbarn und hielten auch gute Nachbarschaft. Dem Freund gegenüber tat
-sich sein Mund auf, und er sprach von seiner Sorge.
-
-Arne lachte ihn aus. »Besenmüllern muß doch früh Holz holen, da sieht
-sie ja die Bimmel!«
-
-Freilich, das stimmte. Fritze atmete auf und vergaß nun ebenfalls
-die Klingel. Er träumte auch in dieser Nacht nicht von der großen,
-strengen Ruferin zur Schule, von dem Kaiser Napoleon selbst träumte
-er. Der verlangte von ihm, er solle geschwind nach Rußland laufen.
-Fritze ängstigte sich sehr und sträubte sich, da wurde Napoleon
-fuchsteufelswild, und wer weiß, was geschehen wäre, wenn nicht gerade
-die Mutter gerufen hätte: »Aufstehen, ’s is balde Schulzeit!«
-
-Es gab an diesem Morgen noch viel zu reden von gestern. Mädel und Buben
-standen auf dem Dorfplatze zusammen und schwätzten und freuten sich,
-daß sie alle so früh gekommen waren. Frau Besenmüller klingelte immer
-dreimal, das erste Mal hieß: »Nun rüstet euch, es ist Zeit!« Das zweite
-Mal wollte sagen: »Geschwind, geschwind ins Haus hinein!« und das
-dritte Mal verkündigte: »Aufgepaßt, der Herr Lehrer kommt!«
-
-Noch hatte die Klingel nicht einmal getönt, und die Kinder schwätzten
-und vergaßen es, sich zu wundern, wie lange es heute währte, ehe es
-bimmelte.
-
-Frau Besenmüller aber rannte inzwischen im Haus aufgeregt treppauf,
-treppab, -- wo war nur die Klingel? Gestern noch hatte sie unten im
-Türwinkel gestanden, nun fehlte sie. »Wie närrsch bin ich,« brummelte
-die Frau, »so ’ne Klingel is doch niche wie ’ne Stecknadel, die in ’ne
-Ritze fällt. Nä, so was!«
-
-Ihr Mann kam heim, der war schon beim Ortsvorsteher gewesen, er fragte
-verwundert: »Du klingelst ja niche!«
-
-»Die Bimmel fehlt.«
-
-»I nä!«
-
-»Frau Besenmüller, warum klingeln Sie nicht?« ertönte da die Stimme des
-jungen Lehrers.
-
-»Die Bimmel fehlt,« jammerte Frau Besenmüller. Und klagend beschrieb
-sie, wo die Klingel gestanden habe, und auf einmal sei sie verschwunden.
-
-»Die haben se versteckt,« knurrte der Mann. »Ich hol’ se alle rein.«
-
-Heinrich Fries kam plötzlich die Begegnung mit Schwetzers Fritze
-gestern am Holzstall in Erinnerung, und er sagte rasch: »Sehen Sie mal
-im Holzstall nach.«
-
-Und richtig, da war sie. Wie eine entthronte Fürstin saß die dicke
-Klingel auf dem Holzstoß, und Frau Besenmüller nahm sie und schwang
-sie, da gellte ihre Stimme in die Weite.
-
-»Es bimmelt!« In all die Buben- und Mädelbeine auf der Dorfstraße fuhr
-der Ton. »Bimbimbimbim!« Das schrie und schalt, so laut, so böse hatte
-die Schulglocke noch nie getönt. »Bimbimbimbim!« Das hörte gar nicht
-auf, und die Kinder rannten alle in der größten Eile ins Schulhaus.
-
-Dort fanden sie zu ihrer Überraschung ihren Lehrer schon im
-Schulzimmer. Der hielt seine Uhr in der Hand, zeigte darauf und sagte
-streng: »Ihr kommt alle zu spät.«
-
-»Es hat doch erst gebimmelt!« verteidigten sich etliche.
-
-»Ja freilich, die Klingel war versteckt. Fritz Schwetzer, hast du die
-Klingel versteckt?« Fritze sank fast zu Boden vor Schreck, als ihn der
-Herr Lehrer so drohend ansah. Er klappte den Mund auf und zu, aber er
-brachte kein Wort heraus.
-
-»Dir steht das schlechte Gewissen an der Stirn geschrieben, und da
-du mir keine Antwort gibst, bist du es jedenfalls gewesen. Du warst
-gestern noch spät an Besenmüllers Holzstall. Du wirst jeden Tag in
-dieser Woche eine halbe Stunde nachsitzen.«
-
-Wieder klappte Fritze den Mund auf und zu, und wieder brachte er kein
-Wort heraus. Dafür aber trat Arne vor, und Jackenknöpfle, Zimplichs Max
-und ein paar andere folgten. »Ich war’s, Herr Lehrer,« rief Arne mit
-heller Stimme.
-
-»Ich auch.« -- »Ich auch.« -- »Ich auch,« klang es nach, und nun
-endlich fand Fritze seine Sprache wieder, und im Baß brummte er nach:
-»Ich auch.«
-
-»Also ihr waret es alle!« Prüfend überschaute der Lehrer die Buben,
-er schaute schon viel milder drein. »Wie war denn das? Arnulf Weber,
-erzähle du einmal!«
-
-Und Arne erzählte frank und freimütig, auch von Fritzens abendlichem
-Gang nach dem Holzstall.
-
-»So äne ausgesuchte Bosheit!« schrie Frau Besenmüller. Die hatte ganz
-leise die Türe ein Ritzchen aufgemacht und hatte draußen gehorcht.
-»Wartet ihr nur, ihr Rasselbande!« Sie streckte den Kopf zur Türe
-hinein, drohte mit der Hand und fuhr blitzschnell wieder zurück. Von
-der Treppe her sagte ihr Mann vorwurfsvoll: »Na, wenn nu das de Kinner
-täten, Lydia!«
-
-Tief beschämt zog Frau Besenmüller ab, und innen sagte der junge
-Lehrer: »Für diesmal sei euch die Strafe geschenkt, weil ihr es
-eingestanden habt. Aber wem es recht leid tut, der sammelt heute
-nachmittag für Frau Besenmüller ein Bund Reisig im Walde; ihr selbst
-wird das Bücken schwer.«
-
-Danach begann der Unterricht. Die Kinder waren alle mäuschenstill und
-sehr eifrig. In der letzten halben Stunde erzählte ihnen Heinrich Fries
-noch etwas von der Zeit vor hundert Jahren. Das tat er jetzt oft, und
-die Kinder meinten, zwischen 1913 und 1813 sei die Zeit gar nicht lang,
-sie lauschten, als wären es Taten von heute. Darüber verrann ihnen
-allen die Zeit gar geschwind. Auf einmal ertönte draußen die Klingel,
-als wäre sie noch immer böse, so laut gellte ihre Stimme, und Fritze
-Schwetzer dachte seufzend: »Wenn sie doch noch im Holzstall säße!«
-
-Sie hatten alle gedacht, Frau Besenmüller würde noch schelten, aber
-die ließ sich gar nicht sehen, sie saß in ihrer Küche und schämte
-sich ihrer Horcherei. Der Nachmittag brachte ihr noch eine große
-Überraschung. Der kurze Wintertag verdämmerte just zum Abend, als in
-langem Zug Buben und Mädel daherkamen. Jedes trug ein Reisigbündel, und
-diese vielen Bündel schichteten sie alle vor Besenmüllers Holzstall auf.
-
-Die Frau lief hinaus, und ihr Mann vergaß für einige Minuten sogar
-Strickstrumpf und Pfeife, er rannte ihr nach. Draußen stand Heinrich
-Fries, der lachte über das ganze Gesicht und erklärte die Sache.
-
-»Nä, so was, so was!« Frau Besenmüller führte die Schürze an die Augen,
-sie war tief gerührt, ganz stumm blieb sie vor lauter Rührung. Erst
-oben bei sich fand sie die Worte wieder, und sie sagte zu ihrem Mann:
-»Paß auf, mit dem neuen Herrn Lehrer wird’s gut.« --
-
-Daß es schon gut geworden sei, meinten viele Leute im Dorf. Die Mädel
-und Buben sagten nichts dazu, wenn sie aber ihren Lehrer die Straße
-daherkommen sahen, dann rannten sie nicht mehr weg, sondern liefen ihm
-entgegen und grüßten ihn mit frohem Lachen. »So muß es sein,« dachte
-die alte Frau Fries, und sie seufzte doch leise dazu. Ihr Sohn freute
-sich wohl über das wachsende Zutrauen der Steinacher, aber an ihm
-zehrte doch die Sehnsucht nach der großen Stadt. Er zeigte es nicht,
-aber die Mutter spürte es, und das Herz tat ihr darum weh. --
-
-Auch in der Stille von Steinach hatte jeder Tag nur vierundzwanzig
-Stunden, und Tag reihte sich an Tag. Eine Woche vorbei, Weihnachten
-da, Weihnachten vorüber. Das neue Jahr stand vor der Tür, das alte
-Jahr nickte noch einmal in alle Häuser hinein; es sah, wie in Steinach
-die Christbäume brannten, wie Blei gegossen wurde und die Kinder auf
-Waschschüsseln Lebensschifflein schwimmen ließen, -- vorbei, vorbei!
-
-Das neue Jahr rief die Kinder wieder in die Schule, und Frau
-Besenmüller seufzte: »Nu geht das Geschrei wieder los.« Aber das
-neue Jahr, das sich stolz 1914 nannte, hatte ein strenges Gesicht
-aufgesetzt, es dachte »nicht verwöhnen«, und Meister Januar kam mit
-viel Schnee und Eis einher. Er blieb, solange er durfte, er zwackte
-seinem Bruder Februar noch einen Tag ab, dann erst ließ er ihn herein.
-Der nun liebäugelte schon ein wenig mit dem Frühling; warme, sonnige
-Tage kamen, ein milder Wind wehte, bis es dem Februar wieder einfiel,
-daß er eigentlich ein Wintermonat sei. Und schwuppdirwupp schüttelte er
-ein paar Schneesäcke aus, überzog die Wässer mit Eis und schnob die
-Menschen an: »Geschwind hinter eure Kachelöfen, da gehört ihr hin!«
-
-Doch vorbei, vorbei! Der März löste den Februar ab, und je länger er
-auf der Erde war, desto milder wurde sein Lächeln. Und dies milde,
-sonnige Lächeln lernte der April von ihm, der sonst ein rechter Bube in
-der Zeit der Flegeljahre ist. Den Schnee trank die Sonne auf, das Eis
-zerfloß, und unversehens blühten in Steinach die Veilchen. Und nirgends
-blühten sie reicher als auf dem Schafskopf.
-
-Eines Tages wanderte Heinrich Fries mit seiner Mutter zur Schelmenburg
-empor, und dort sahen sie beide das holde Frühlingswunder: Heckenrosen
-im Sommer, Veilchen im Lenz, das waren die Blumen des Schafskopfes.
-
-Es war ein sonnenheller Frühlingstag, und der junge Lehrer sagte droben
-am Ziel laut das kleine Lied:
-
- »Saatengrün, Veilchenduft,
- Lerchenwirbel, Amselschlag,
- Sonnenregen, linde Luft!
- Wenn ich solche Worte singe,
- Braucht es dann noch großer Dinge,
- Dich zu preisen, Frühlingstag?«
-
-Ganz still schauten Mutter und Sohn von der Höhe nieder in die
-liebliche Landschaft. Da wurde plötzlich die Stille durch hellen
-Singsang unterbrochen, aber Lerchen und Amseln waren es nicht, und
-Heinrich Fries kannte seine Vöglein wohl, die da zwitscherten. Die
-Steinacher Kinder kamen den Berg herauf. Die Schelme wollten die
-Schelmenburg besuchen. Sie kamen aber nicht sacht und gemessen, wie man
-wohl zu vornehmen Leuten geht, ihre Stimmen klangen immer lauter, und
-es war eigentlich ein Wunder, daß der alte Turm nicht vor Schreck über
-den Lärm umpurzelte.
-
-»Holla, wo kommt ihr denn her?« Heinrich Fries stand vor Mädeln und
-Buben, und jäh verstummten alle. Doch nur für einen Augenblick, dann
-schnatterten sie los. »Wir wollen Veilchen suchen. Fräulein Regine hat
-Geburtstag morgen, und die kriegt immer Veilchen, allemal.«
-
-»Wenn se nämlich blühen,« fügte Jackenknöpfle vorsichtig hinzu.
-
-Nun, blühen taten sie in diesem Jahr in reicher Fülle. Da und dort
-schimmerte es ganz blau, und es war nicht schwer, die Körbchen zu
-füllen. Malchen trug eins, ebenso die Freundin Sylvie, Rosine und Trude
-Weber auch; da hinein kamen alle Blüten. Später sollten dann Sträuße
-und Kränze gewunden werden. »Faden haben wir mit, aber die Kränze
-wollen immer nicht werden,« erzählte Hinzpeters Malchen.
-
-»Pflückt nur schnell, ich helfe euch dann,« versprach die alte Frau
-Lehrerin. Da gingen die Kinder eifrig ans Werk, während Heinrich Fries
-seine Mutter auf dem Berg herumführte. Sie war noch nicht oben gewesen,
-denn der Weg war im Winter schwer begehbar. Plaudernd schritten sie
-zwischen den Trümmern dahin, als ein lauter Schrei aufgellte; er kam
-aus einem Winkel, wo noch ein Mauerviereck stand. Von allen Seiten
-her eilten die Kinder dem Schrei nach. Der junge Lehrer machte lange
-Schritte, und seine Mutter folgte, so schnell sie nur konnte.
-
-Was war geschehen? War ein Kind gefallen, ein Stück Mauer
-herabgestürzt? Bleich und zitternd kam Zimplichs Lenchen aus dem Winkel
-heraus. »Da -- da,« stammelte sie, »sitzt der Alte!«
-
-»Welcher Alte, Kind?« Der junge Lehrer nahm die Hand der Kleinen und
-fragte noch einmal freundlich: »Welcher Alte?«
-
-»Der alte Schelm, der immer spukt,« schluchzte Lenchen, die auch so ein
-Angsthäslein war, »und -- und eine große Blume -- oder so was -- hat
-er.«
-
-»Komm mit, und ihr alle auch, wir wollen uns den alten Schelm mal
-ansehen.« Heinrich Fries lachte, und sein heiteres Lachen gab den
-Kindern Mut. Sie folgten mehr neugierig als bänglich, nur Lenchen
-zitterte wie eine Feder im Wind.
-
-[Illustration: Die Schelme von Steinach. Seite 137.]
-
-Ein Stück Mauer lag völlig in der Sonne, und auf dieser Mauer saß
--- Besenmüller. Er strickte wieder an seinem rosenroten Strumpf und
-schmunzelte über das ganze Gesicht, als er alle daherkommen sah. »Oh,
-Besenmüller ist’s nur!« schrieen die Kinder enttäuscht.
-
-»Nu freilich, iche bin’s.« Der Alte zog seinen Mund in die Breite, als
-wäre der aus Gummi. »Ihr dachtet wohl, hier säße der Herr Arnulf und
-dächte an alle dummen Streiche, die er gemacht hat in seinem Leben? Nä,
-so etwas is niche.«
-
-»Besenmüller, ach, erzähl’ uns mal von dem!« bettelten die Kinder.
-
-»Heute niche,« brummelte der Alte, er warf dabei einen etwas scheuen
-Blick auf Frau Fries und ihren Sohn. Doch auch die baten: »Erzählen
-Sie, Besenmüller.« Heinrich Fries fügte hinzu: »Ich wollte schon
-lange darum bitten. Der Herr Pfarrer sagte, es wüßte niemand so viel
-Schelmengeschichten wie Sie.«
-
-»Na ja, Geschichten sin was Feines!« Besenmüller nickte. Er sah auf die
-Kinder und auf die noch halb leeren Körbchen. »Aber erst pflückt die
-Veilchen, denn sonst kriegt ’s Fräulein Regine nischt.«
-
-»Ja, erst pflücken. Wenn wir dann den Kranz und die Sträußchen winden,
-erzählt Besenmüller,« sagte auch Frau Fries. Zur Eile brauchte sie
-nicht erst zu mahnen. Die Kinder stoben davon und pflückten nun
-wirklich mit der allergrößten Emsigkeit. Die Körbchen füllten sich,
-und es dauerte nicht lange, da konnten sie die Blumen Frau Fries
-bringen, die sich auf das sonnenbeschienene Mäuerlein gesetzt hatte.
-Mit flinken Händen wand sie den Kranz. Die Mädel, denn dazu waren die
-Buben zu tolpatschig, reichten ihr die Veilchen in kleinen Büscheln
-zu. Besenmüller strickte emsig seinen rosenroten Strumpf, und dabei
-erzählte er, wie einst Herr Arnulf von Steinach an des Kaisers Hof
-gereist war. Die Kinder paßten alle sehr gut auf, am allerbesten aber
-paßte ihr Lehrer auf. Der schrieb nach, so wie Besenmüller erzählte,
-denn Besenmüller hatte seine eigene Weise, Geschichten zu erzählen.
-Wort um Wort kam die Geschichte in Herrn Heinrichs Taschenbüchlein zu
-stehen, und während er so zwischen den Trümmern der alten Schelmenburg
-saß, kam es ihm in den Sinn, er möchte ein Buch von den Schelmen
-schreiben.
-
-»Fertig die Geschichte.«
-
-»Fertig der Kranz,« sagten Besenmüller und Frau Fries fast zu gleicher
-Zeit. »Fein!« schrieen die Kinder im Chor, und es war nicht recht zu
-unterscheiden, ob sie die Geschichte oder den Kranz meinten.
-
-Mutter und Sohn aber sagten, die Geschichte habe ihnen sehr gut
-gefallen. »Ja, und derweile is mein Strumpf fertig geworden. Das is nu
-en Jammer.«
-
-»Warum denn?« fragte Frau Fries erstaunt. »Ein fertiger Strumpf ist
-doch ein gutes Ding.« Doch da fiel ihr ein, Frau Besenmüller hatte
-schon manchmal über ihres Mannes flinkes Stricken geklagt, über die
-viele Wolle, die es kostete. Nur in Steinach gab es etliche Leute, die
-rosenrote und kornblumenblaue Strümpfe tragen mochten, in der Stadt
-wollte sie niemand kaufen. Besenmüllers hatten eine ganze Truhe voller
-Strümpfe liegen, und am liebsten hätte er jeden Tag einen Strumpf
-gestrickt.
-
-Frau Fries versprach neue Wolle, da hellte sich Besenmüllers Gesicht
-wieder auf, und vergnügt wandelten nun alle bergabwärts. Der Lehrer
-stimmte ein Lied an, die Kinder sangen, es wurde ein lustiger Heimweg.
-Dicht vor dem Dorfe erblickten sie alle auf einmal Fräulein Regine,
-die durfte sie nicht sehen. Eins, zwei, drei rannten die Kinder dahin
-und dorthin, nur die Erwachsenen blieben stehen. Erst schaute Fräulein
-Regine erstaunt den Kindern nach, die liefen doch sonst nicht vor ihr
-davon, aber plötzlich glänzte ihr Gesicht in heller Freude, und sie
-sagte schelmisch: »Ach so, auf dem Schafskopf blühen die Veilchen.«
-
-»Jawohl, und morgen hat unsere Fräulein Regine Geburtstag,« brummelte
-Besenmüller schmunzelnd.
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Neuntes Kapitel
-
-Besenmüllers Geschichte
-
- Frau Mechthild findet, dreizehn Flicken auf dem Wams und
- neunzehn auf den Hosen wären zuviel, um damit an des Kaisers
- Hof zu reisen, aber Herr Arnulf weiß sich zu helfen, und der
- Graf von Gehlingsberg geht ihm fortan aus dem Wege
-
-
-»Als die Schelme von Steinach noch lebten, haben die Leute noch keine
-Strümpfe gestrickt. So dumm waren sie noch, aber ganz schön muß es
-gewesen sein, ja ja, ganz schön.
-
-Dem Herrn Arnulf von Steinach hat’s auch auf der Welt gefallen, das ist
-ein lustiger Herr gewesen. Er ist auch immer ’n bißchen gern im Lande
-rumkarriolt. Ja ja, das tat er gern. Auf seinem Schafskopf hielt er es
-nie lange aus. Einmal sagte er zu seiner Frau Mechthild: »Frau, ich
-will nach Wien an des Kaisers Hof reiten.«
-
-Sagt Frau Mechthild: »Das kostet Geld.«
-
-Sagt Herr Arnulf: »Ja, das weiß ich.«
-
-Sagt Frau Mechthild: »Aber du hast keins.«
-
-Sagt Herr Arnulf: »Ich werd’s schon kriegen.«
-
-Sagt Frau Mechthild: »Und dein Wams, dein allerbestes, hat dreizehn
-Flicke.«
-
-Sagt Herr Arnulf: »Schaff ich mir ein anderes.«
-
-Sagt Frau Mechthild: »Und deine Hosen haben neunzehn Flicke, und deine
-güldene Halskette hast du verkauft, und deine Rüstung ist verbeult, daß
-Gott erbarm, und dein Barett ist neulich in den Brunnen gefallen.«
-
-Schreit Herr Arnulf: »Hör’ auf, hör’ auf!«
-
-Klagt Frau Mechthild: »Also kannst du nicht reiten.«
-
-Brüllt Herr Arnulf: »Und ich muß doch reiten!« Ja ja, das sagte er.
-Herr Arnulf überlegte nun alle Tage: Wie komme ich in Glanz und Pracht
-an des Kaisers Hof? Denn mit dreizehn Flicken auf dem Wams und neunzehn
-auf den Hosen konnt’ er nicht reiten, das sah er ein.
-
-Er seufzte nun schrecklich jeden Tag, und seine liebe Frau seufzte auch
-schrecklich jeden Tag. Sie war ein gutes Weib, und ihr Mann tat ihr
-leid; sie hätte ihm schon gern geholfen und hätte gern ihr Staatskleid
-für ihn zu Wams und Hose zerschnitten. Es war nur -- sie hatte kein
-Staatskleid.
-
-Eines Tages reitet jemand den Schafskopf hinan: ein Bote war’s von dem
-reichen Grafen auf dem Gehlingsberg. Der Mann stellt sich steif vor den
-Herrn Arnulf, Schelm von Steinach, hin und sagt: »Mein Herr Graf will
-an des Kaisers Hof reiten, er läßt den Herrn von Steinach fragen, ob er
-mitreiten will.«
-
-Sagt Herr Arnulf: »Ja, das will ich tun. Muß nur eiligst meine
-Prunkgewänder richten.«
-
-Sagt der Bote: »Mein Herr Graf reitet schon morgen.«
-
-Sagt Herr Arnulf: »Ist mir auch recht.«
-
-Der Bote geht nun wieder. Frau Mechthild aber jammert: »Mann, liebster
-Mann, dich weisen sie ja mit Schimpf und Schande von des Kaisers Hofe.
-Mit dreizehn Flicken auf dem Wams und neunzehn auf den Hosen!«
-
-Doch Herr Arnulf lachte dazu. Er ließ die Pferde satteln und ließ ein
-paar Betten zu großen Ballen zusammenschnüren. Das sei sein Gepäck,
-erzählte er. Dann ging’s los. Hoppla hopp! Drei Knappen und der alte
-Burgwart Berthold, die ritten mit. Frau Mechthild hatte gesagt: »Gib
-fein acht, Berthold, daß sich mein Gemahl nicht noch ein Löchlein
-reißt. Geflickt ist schon schlimm, aber Löcher sind noch schlimmer.« Ja
-ja, das hat sie gesagt.«
-
-Hier hatte Besenmüller Zimplichs Max scharf angesehen, und der war
-feuerrot geworden. Er hatte geschwind die Hand auf sein Knie gelegt,
-das Dreieck da im Hosenbein hätte Besenmüller auch nicht zu sehen
-brauchen. Der erzählte weiter: »Hoppla hopp! Auf halbem Weg von Burg zu
-Burg trafen die Ritter zusammen. Der von Gehlingsberg war reich, geizig
-und faul, und neidisch war er auch, hochmütig und dumm dazu. Er hatte
-den Schelmen von Steinach nur zu dem Ritte fordern lassen, um den wegen
-seiner Armut zu verhöhnen.
-
-Aber wie Herr Arnulf ihn sah, schrie er gleich: »Ei, lieber Freund
-und Gevatter, so fein angetan? Zum Reisen trage ich immer nur alte
-Kleider. Seht da die Ballen, die allerschönsten Gewänder hat meine Frau
-Mechthild hineingetan.«
-
-Der Graf erschrak. Er wurde gleich grün, gelb, rot, blau und braun vor
-Neid. Weg war seine gute Laune, ganz weg.
-
-Na, und nun ritten sie.
-
-»Heiliger Severinus,« seufzte Berthold, »mein Herr hat ein neues Loch
-in der Hose, wie soll das enden!«
-
-Den Herrn Arnulf aber bekümmerte der neue Schaden kein bißchen. Der
-erzählte, ein grünes Sammetwams sei in dem Ballen, ein rotes aus
-Brabanter Tuch, eins, das sei braun wie die Eichenblätter im Herbst,
-und alles sei gar köstlich gestickt und verziert.
-
-So ritten sie. Und wie sie eine Stunde etwa geritten sind, da jackert
-ihnen auf einem mageren Pferd ein Bursche nach. Der verneigt sich vor
-Herrn Arnulf und ruft: »Die gnädige Frau Mechthild schickt Euch dieses
-Amulett, möchtet es immer tragen, es soll Euch wohl schützen.«
-
-Sagt Herr Arnulf: »Das war wohlgetan.«
-
-Sagt der Graf von Gehlingsberg: »Was soll die Narretei?«
-
-Sagt Herr Arnulf: »Das ist ein gutes Ding. Schlimm, schlimm, wenn Euch
-Eure liebe Frau nicht auch ein Amulettlein gab!«
-
-Das ärgerte nun den Grafen gewaltig. Er sagte grollend: »Ich lasse es
-noch holen.« Sagt Herr Arnulf: »Tut das, viellieber Freund. Im Kloster
-zu St. Kilian da warten wir auf den Boten.«
-
-Sagt der Graf: »Der Kunz soll reiten.«
-
-Sagt Herr Arnulf: »Eure Frau wird Euch gewiß ein gar köstlich
-wertvolles Amulettlein senden, laßt zweie reiten, das ist sicherer,
-oder dreie.«
-
-Schreit der Graf: »Dreie, bei meiner Seel’!«
-
-Also ritten dreie, Jörg, Hinz und Kunz. Zurück blieb nur der Damian,
-der war so dumm wie dick, so faul wie lang.
-
-Na, und dann kamen sie an das Kloster von St. Kilian, und die frommen
-Mönche nahmen sie wohl auf. Die rüsteten ein Mahl, und dabei aß der
-Graf von Gehlingsberg einen Rehschlegel, sechs Rebhühner, sechzehn
-Krautklöße, eine Schweinspastete, einen gedünsteten Hecht, eine
-Schüssel gedämpften Kohl, drei Teller voll Backwerk und dreizehn« --
-»Besenmüller, das ist zu viel,« riefen die Kinder entrüstet, und Arne
-fügte keck hinzu: »Da wäre ihm ja der Bauch geplatzt.«
-
-»Na ja, meinetwegen, wenn ihr’s ihm nicht gönnt, mag er weniger
-gegessen haben.« Besenmüller ließ sich nicht aus seiner Ruhe bringen,
-gemächlich fuhr er fort: »Aber plumpsatt war er, das steht nu mal
-feste. Kaum schnaufen konnt’ er. Ja ja, so war’s.
-
-Der Graf müsse in ein pechdunkles Kämmerlein zu liegen kommen, riet der
-Schelm von Steinach, da könnte er sich gut ausschlafen.
-
-Sagten die Mönche: »Soll uns wohl recht sein.«
-
-Meinte Herr Arnulf: »Den Damian müßten sie dazu legen.«
-
-Sagten die Mönche: »Ei freilich, der soll seinem Herrn aufwarten.« Sie
-führten denn nun den Grafen in ein fensterloses Kämmerlein, und weil
-sie mit brennenden Kienspänen leuchteten, merkte der es nicht. Und
-Damian merkte überhaupt nie etwas.
-
-Der Graf von Gehlingsberg tat einen mächtigen Gähner, und plumps fiel
-er auf sein Lager und schlief. Damian tat einen noch lauteren Gähner,
-und er schlief schon, ehe er auf sein Lager kam.
-
-Sagten die Mönche: »Unserem Gast wird nichts die Nachtruhe stören.«
-
-Sagte Herr Arnulf: »Wäre auch schlimm. Wird der im Schlaf gestört, haut
-er um sich wie weiland St. Georg der Drachentöter.«
-
-Die Mönche erschraken sehr und versprachen, nichts, auch nichts sollte
-ihren werten, vornehmen Gast stören.
-
-Sagte Herr Arnulf: »Und verwahret seine Reisesäcke wohl. Ich muß mit
-dem Frühesten davonreiten.«
-
-Sagten die Mönche: »Wir wollen tun, wie du es befohlen.«
-
-Als das Morgenglöcklein läutete, ritt Herr Arnulf mit den Seinen von
-dannen. Seine Bettsäcke ließ er den Mönchen da, und er hieß seine
-Knechte des Grafen wohlgefüllte Truhen aufladen. Die Mönche meinten,
-so sei es richtig, und verwahrten die Bettsäcke in des Klosters
-reicher Schatzkammer. Also ritt Herr Arnulf, der Schelm von Steinach,
-geschwind hinweg. Der Graf von Gehlingsberg aber schlief zwölf Stunden,
-da drehte er sich das erste Mal um. Er tat seine Augen ein viertel auf,
-blinzte und dachte, ’s ist ja noch Nacht. Ja ja, das dachte er.
-
-Darauf schlief der Graf wieder zwölf Stunden, drehte sich wieder um,
-tat seine Augen halb auf und dachte, ’s ist ja noch Nacht. Ja ja, das
-dachte er wieder.
-
-Damian aber rührte sich nicht, tat seine Augen nicht auf, und denken
-tat er erst recht nichts.
-
-Inzwischen langten die drei Knappen Hinz, Kunz und Jörg am Kloster St.
-Kilian an und begehrten, vor ihren Herrn geführt zu werden.
-
-Sagten die Mönche: Nein, das ginge nicht, der müßte seine Ruhe haben.
-
-Nun, die Knappen waren’s zufrieden. Der Bruder Küchenmeister wartete
-ihnen gut auf. Der Bruder Kellermeister schenkte ihnen manche Kanne
-Wein, da ließen sie sich’s wohl sein.
-
-Zwei Nächte und einen Tag schlief der Graf von Gehlingsberg, dann
-wachte er auf. Er brummte: »So einen unruhigen Schlaf habe ich lange
-nicht getan; nun bin ich schon dreimal aufgewacht, und immer ist’s
-noch Nacht.« Er seufzte schwer, und auf einmal fing ihm sein Magen zu
-knurren an. Rrrrrrrrrrrrrruh ging es.
-
-Schrie der Graf von Gehlingsberg: »Ich bin krank, ich bin krank. Oh,
-wie tut mir das im Magen weh!«
-
-Die Mönche hörten das mächtige Schreien und liefen angstvoll herbei.
-Taten die Türe auf, und das helle Sonnenlicht strömte in das
-fensterlose Kämmerlein.
-
-Riefen die Mönche: »Ei, Herr, was habt Ihr für einen guten Schlaf
-getan! Sechsunddreißig Stunden pflegtet Ihr der Ruhe.«
-
-Schrie der Graf: »Was schwätzt ihr da, sechsunddreißig Stunden hätte
-ich geschlafen? Wirklich, sechsunddreißig Stunden?« Ja ja, das fragte
-er.
-
-Seufzte der Damian: »Man kann sich auch niemals im Leben ordentlich
-ausschlafen.«
-
-Rief der Graf: »Oho, nun weiß ich’s, woher mir das Grimmen im Magen
-kommt, ich habe Hunger!«
-
-»Ich auch, ich auch!« stöhnte Damian, der wurde da ganz munter. Der
-Bruder Küchenmeister aber lief eilig, um ein gutes Mahl zu rüsten. Der
-Graf von Gehlingsberg ließ sich das Frühstück wohl schmecken, und erst
-als er satt war, fragte er nach seinem Reisegenossen. Der sei schon
-lange fort, hieß es, aber des Grafen Reisegut liege wohlverwahrt in
-des Klosters Schatzkammer.
-
-Sagte der Graf nachdenklich: »Ei, dann ist auch Zeit, wenn ich morgen
-mit dem Frühesten reite. Will mich noch einmal ordentlich ausruhen für
-den langen Ritt.«
-
-Rief Damian: »Das ist wohlgetan. Ich spüre das erste Reiten noch in
-allen Knochen. Umfallen könnte ich vor Müdigkeit.«
-
-Also blieben der Graf und die Knappen noch den Tag und die nächste
-Nacht im Kloster und ließen es sich wohl sein.
-
-Seufzte der Bruder Küchenmeister: »O weh, sie essen alle meine Vorräte
-auf!«
-
-Klagte der Bruder Kellermeister: »O weh, mein schöner Wein, sie trinken
-ihn allen aus!«
-
-Am nächsten Morgen entstand ein lautes Geschrei, denn da merkte der
-Graf von Gehlingsberg den Tausch des Schelmen von Steinach. Frau
-Mechthild hatte ihre allerältesten Betten zur Reise hergegeben, und
-soviel der Graf, seine Knappen und die Mönche auch suchten, die
-köstlichen Gewänder, von denen der Schelm von Steinach erzählt hatte,
-die waren nicht zu finden. Der Graf wurde fuchsteufelswild, und selbst
-Damian vergaß vor Zorn seine Schläfrigkeit. Sie setzten sich auf ihre
-Pferde und ritten eilfertig davon, um nur rasch an des Kaisers Hof zu
-kommen und dem Schelmen seinen Raub wieder abzujagen. --
-
-Herr Arnulf war unterdessen einen andern Weg geritten. Als das Kloster
-St. Kilian hinter ihnen lag, sagte er zu Berthold, seinem Burgwart:
-»Wie rede ich mich aus, wenn nun der Herr von Gehlingsberg auch an des
-Kaisers Hof kommt?«
-
-Sagte Berthold: »Reitet nicht an des Kaisers Hof.«
-
-Zürnte Herr Arnulf: »Was soll der dumme Rat?«
-
-Sagte Berthold: »Ein Kaiser ist freilich ein Kaiser, aber ein Herzog
-ist auch ein hoher Herr. Reitet an eines Herzogs Hof.«
-
-Sagte Herr Arnulf: »Das Wort läßt sich hören.«
-
-Sagte Berthold: »An des bayrischen Herzogs Hof wird’s Euch wohlgehen.«
-
-Sagte Herr Arnulf: »Das gilt. Kurzweil und ritterliche Spiele gibt’s
-dort auch. Des Herzogs Sohn soll Hochzeit halten, da wird es gut sein.
-Also reiten wir.« Ja ja, so sagte er.
-
-Nun ritten sie und kamen auch an den Hof des Herzogs von Bayern. Dort
-war ein lustiges Leben, und der Schelm von Steinach, der stattlich
-in des Grafen von Gehlingsberg Kleidern einherging, wurde wohl
-aufgenommen. Er gewann güldene Preise im ritterlichen Spiel, und weil
-der Herzog um der Hochzeit willen seine Gäste freihielt, brauchte der
-Schelm keinen Batzen und kein Hellerlein auszugeben. Auch ein reiches
-Gastgeschenk erhielt er noch. Die güldenen Preise verkaufte er, und so
-zog er mit wohlgefülltem Säcklein nach etlichen Wochen von dannen. Ja
-ja, so war’s.
-
-Inzwischen war der Graf von Gehlingsberg an des Kaisers Hof gewesen,
-hatte dort den Schelm nicht gefunden und hatte dort viel Spott und
-Neckerei erfahren. Es glaubte ihm niemand sein Märlein, und weil er
-auch ein einfältiger Herr war, meinten alle, sie hätten einen Narren
-vor sich. Der Graf vertat sein Geld und gewann nicht Ehre und nicht
-Freunde, und mißmutig kehrte er nach etlichen Wochen heim. Im Kloster
-zu St. Kilian gedachte er seine letzte Rast zu halten, und der Zufall
-führte am nächsten Morgen den Schelmen vor das Kloster. Als dies
-der Schelm hörte, ritt er eiligst von dannen, und an der Stelle,
-an der er einst den Grafen getroffen hatte, sagte er zu Berthold,
-seinem Burgwart: »Nun reite geschwind nach Gehlingsberg, bringe der
-Frau Gräfin ihres Mannes Reisetruhen und dieses goldene Ringlein als
-Reisegeschenk. Sag’ ihr, mit hohen Ehren sei ihr Mann an des Kaisers
-Hof empfangen worden, und er sei nun schon auf dem Heimweg, sie möge
-ihn wohl empfangen.«
-
-Sagte Berthold: »Das will ich recht ausrichten.« Er ritt mit den
-Knappen nach Gehlingsberg, während der Schelm heimwärts ritt im neuen
-Wams, sein gutgefülltes Beutelchen in der Tasche.
-
-Als er am Tor anlangte, lief Frau Mechthild ihm entgegen und klagte:
-»O du armer Mann, ohne deine Knechte kehrst du heim! Dir mag es übel
-ergangen sein.« Ja ja, so klagte sie.
-
-Rief Herr Arnulf: »Schau her!« Er wies ihr das neue Wams, das Geld und
-eine feine Gürtelschnalle.
-
-Lachte Frau Mechthild: »Ich sehe schon, die Schelme verderben nimmer.«
-
-Mißmutig kehrte der Graf zu seiner Burg zurück. Doch dort empfingen
-ihn alle festlich geschmückt, und seine Frau Gräfin rief: »Willkommen,
-edler Held!« Sie dankte ihm gar herzlich für das güldene Geschenk.
-
-Sagte der Graf brummig: »Was soll das Geschrei?«
-
-Schrie Damian: »Herr, da stehen unsere Truhen.«
-
-Sagte die Gräfin: »Die sandtest du mit des Schelmen Knechten. Die haben
-auch gesagt, wie reich du geehrt worden bist an des Kaisers Hof.« Da
-schwieg der Graf mäuschenstill und verbot auch seinen Knechten zu
-sagen, wie es ihnen ergangen war. Ja ja, das tat er.
-
-Er erzählte viel von des Kaisers Hof, zuletzt glaubte er selbst, ihm
-sei es gut gegangen dort, und schließlich glaubten alle, der Kaiser
-würde wohl auch bald zu Besuch kommen, weil er dem Grafen so gut war.
-
-Aber mit dem Schelmen von Steinach tat der Gehlingsberger nie mehr eine
-Reise zusammen. Mit Fehde überzog er freilich auch nicht seine Burg,
-wie er es sich vorgenommen hatte. Sah er von fern den Schelmen kommen,
-dann beschrieb er einen großen Bogen um ihn, er fürchtete dessen Spott.
-Ja ja, den fürchtete er.«
-
-[Illustration]
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-[Illustration]
-
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-
-Zehntes Kapitel
-
-Sommertage
-
- Des Pfarrers Freund redet vom Krieg, aber dem jungen Lehrer
- laufen die trüben Kriegsgedanken davon -- Auf dem Schafskopf
- brennt das Johannisfeuer, die Rosen blühen, es wird wieder
- Geburtstag gefeiert, und niemand weiß an dem Tage, was in der
- Welt geschehen ist -- Der Lehrer erzählt von Deutschland, und
- Frau Fries hält ihr Herz fest und klagt nicht.
-
-
-Pfarrers Regine hatte ihren Geburtstag gefeiert, und die Sonne hatte
-dazu geschienen, wie es sich für einen rechten Frühlingstag schickt.
-Kein Wölkchen war zuerst am Himmel gewesen, aber plötzlich, am
-Nachmittag, waren schwere, dunkle Wolken aufgezogen, Sturm, Regen, ein
-Blitz, ein Donnerschlag, und im Umsehen war es wieder hell gewesen. Das
-erste Frühlingsgewitter war vorübergerauscht. Ein paar Tage lang hatte
-es im Pfarrhaus köstlich nach Veilchen geduftet, dann waren die kleinen
-blauen Frühlingskinder verwelkt, und droben auf dem Schafskopf sproßten
-Blätter und Knospen der Heckenröslein hervor. Die sagten: »Nun kommen
-wir bald dran.«
-
-»Nein, erst wir.« sagten im Wald die Maiglöckchen. In den Gärten
-blühten Narzissen, Tulpen, Schwertlilien, Stiefmütterchen, hängende
-Herzen und viele andere Blumen auf. Die drei Straßen hatten sich wieder
-in weiße, schimmernde Wege verwandelt, gerade wie vor einem Jahr, als
-Heinrich Fries Steinach am Wald zum erstenmal gesehen hatte. Er dachte
-daran und dachte dabei auch an seinen Reisegefährten, der ihm zuerst
-von den Schelmen erzählt hatte. Und ganz unvermutet lief ihm der alte
-Herr über den Weg, mitten auf der Apfelstraße. Sie erkannten sich
-beide, und der junge Lehrer erfuhr nun, sein Reisegefährte sei ein
-Freund des Pfarrers. »Ich flüchte mich immer mal für etliche Tage in
-Steinachs Stille, und dies Jahr war die Sehnsucht besonders groß. Es
-sieht nicht gut aus in der Welt.«
-
-»Nicht gut sieht es aus in der Welt? Wieso?« Der junge Lehrer fragte es
-erstaunt, nachdenklich.
-
-Der andere nickte: »Ja ja, mir will’s immer scheinen, als hinge Krieg
-über uns gleich einer Wetterwolke.«
-
-»Krieg!« Das Wort stimmte so gar nicht hinein in den heiteren
-Frühlingsfrieden von Steinach, und Heinrich Fries sagte abwehrend:
-»Ach Krieg, es wurde schon so oft davon gesprochen -- ich glaube nicht
-daran.«
-
-»Hurra, Hurra, bald ham’ mer se!« Wildes Geschrei gellte auf, und über
-die Apfelstraße hinweg rasten vier Buben, ein halbes Dutzend andere
-folgten ihnen, bewaffnet mit Blechsäbeln, einem Pusterohr und einem
-Ding, das ungemein viel Lärm machte. Eine Rassel war es von lauter
-alten Topfdeckeln.
-
-»Wen habt ihr bald, he?« Jackenknöpfle lief seinem Lehrer gerade in
-die Arme, und der hielt ihn fest. Doch der kleine, dicke Kerl mußte
-erst ein paarmal nach Luft schnappen, ehe er Antwort geben konnte.
-»Wen wollt ihr fangen?« Heinrich Fries fragte es noch einmal, und nun
-stieß Jackenknöpfle heraus: »Die Indianer! Wir spielen Indianers, und
-dahinten liegt Indien.«
-
-Er deutete nach dem Schelmenacker hin, und sein Lehrer meinte heiter:
-»Nenn’s Amerika, da nun doch einmal dort die Heimat der Indianer ist.«
-
-Er ließ Jackenknöpfle los, der stürzte eilfertig davon, und das
-Geschrei aller vereinte sich bald drüben am Schelmenacker. »Solchen
-Krieg gibt’s immer,« sagte der junge Mann zu dem Alten.
-
-Der sah ernst ins Weite. »Wer weiß, wie bald unsere Jungen gegen
-Franzosen, Russen und noch sonst welchen Feind ins Feld ziehen wollen!«
-
-»Glauben Sie das?« Nun lächelte auch Heinrich Fries nicht mehr. Er
-sah zum Himmel auf, der klar und blau war. Würde so schnell ein Wetter
-daherziehen wie an Fräulein Regines Geburtstag? --
-
-Wie schön war der Frühling, wie schön, selbst wenn der Regen warm und
-lind auf die Erde niedersank. Und wie leicht laufen trübe Gedanken
-im Frühling davon. Heinrich Fries erging es so. Als er dann mit
-seinem alten Reisegefährten am Pfarrhaus anlangte, stand Fräulein
-Regine da, die hatte sich mehr noch als sonst ihr liebliches Gesicht
-mit Frühlingssonne eingerieben, da liefen geschwinde alle trüben
-Kriegsgedanken davon.
-
-Das taten die bösen Gedanken noch manchmal in diesen Tagen, aber -- sie
-kamen doch immer wieder. Der alte Herr Berner, so hieß des Pfarrers
-Freund, war abgereist, beim Abschied hatte er gesagt: »Im August komme
-ich wieder -- vielleicht.«
-
-»Vielleicht, vielleicht,« sang Pfarrers Regine fröhlich, »vielleicht
-reise ich im August in die Schweiz, vielleicht sehe ich Schneeberge.«
-
-»Vielleicht, vielleicht baue ich mir ein Schloß im Monde,« neckte sie
-der Vater.
-
-»Vielleicht erhalte ich zum Herbst eine bessere Stelle in der Stadt,«
-sagte Heinrich Fries zu seiner Mutter. Er sagte es hoffnungsfroh, und
-die alte Dame unterdrückte den leisen Seufzer. Ach, sie wäre so gern
-in Steinach geblieben!
-
-Auch die Steinacher Buben und Mädel schmiedeten allerlei Pläne, die mit
-»vielleicht« begannen, und die so wundervoll lustig wie die Sommertage
-waren. »Vielleicht gibt’s diesmal länger Ferien,« sagten die Faulpelze,
-obgleich sie nicht zu sagen wußten, warum dies geschehen sollte.
-
-Vielleicht dürfen wir alle nach M. zum Jahrmarkt, hofften etliche.
-Vielleicht dies, vielleicht das. Eine Ferienfahrt, ein neues Kleid,
-ein riesengroßer Drache, ein langer Schulspaziergang, -- das waren
-alles Dinge, die mit »vielleicht« gesagt wurden. Und darüber reihte
-sich Tag an Tag. Flieder und Goldregen blühten auf und verblühten, die
-Rosen dehnten sich in ihren engen Knospenkleidern und riefen: »Endlich,
-endlich kommen wir an die Reihe!« Sie erblühten in köstlicher Schöne,
-kein Gärtlein gab’s in Steinach, in dem nicht ein Rosenbusch wie ein
-holdseliges Mädchen stand. Wer daran vorüberging und eine horchende
-Seele hatte, der hörte wohl, wie die Rosen sangen: »Sonne, küsse uns,
-Wind, streichle uns, Mensch, freue dich an uns!«
-
-»O ihr Rosen, ihr lieben Rosen!« sang Pfarrers Regine, wenn sie
-durch den Garten ging, und dann mahnte sie: »Vergeßt es nicht, am
-Johannistag recht schön zu blühen, das gehört sich so, und dann noch
-ein paar Tage länger, dann hat die alte Frau Lehrerin Geburtstag. Ihr
-erster ist’s in Steinach, den wollen wir recht feiern.«
-
-Der Johannistag kam, die Rosen blühten und dufteten, auf dem Schafskopf
-brannte ein Johannisfeuer, und Frau Besenmüller schalt: »So etwas weckt
-nur die alten Schelme auf, das is niche gut.«
-
-»Lydia, schimpf’ nicht,« sagte ihr Mann. »Denk’ daran, Sonntag hat
-unsere alte Frau Lehrerin Geburtstag.«
-
-Da wurde Frau Besenmüller sanft und freundlich und redete von allerlei
-Festvorbereitungen. Die alte Frau Lehrerin hatte sich längst viele
-Herzen in Steinach gewonnen. Wenn sie über die Gasse ging und in
-ihrer freundlichen, stillen Weise alle grüßte, dann sagten wohl die
-Steinacher: »Die paßt nu so recht scheen zu uns.«
-
-Und diese gütige, sanfte Frau hatte nun Geburtstag, an einem Sonntag
-dazu. Die großen Leute fanden dies paßlich, und die kleinen Leute
-ärgerten sich darüber. Warum nicht an einem Wochentag, der dann zu
-einem Feiertag wurde? Wie konnte ein Geburtstag nur so ungeschickt
-sein, auf einen Tag zu fallen, an dem es ohnehin Kuchen gab in den
-meisten Steinacher Häusern! Trotz dieses Ärgers wanderten aber alle
-Schulkinder in der rechten Geburtstagsstimmung am Morgen vor das
-Schulhaus und sangen dort einen Morgengruß. Die Brummer mit. Fräulein
-Regine hatte ihnen einen wundervollen Rat gegeben. Sie hatte gesagt:
-»Singt stumm, den Mund auf, Mund zu und nur im Herzen mitgesungen.« Das
-taten die Brummer nun auch voll Eifer, und Stipsels Oswald sah dabei
-aus wie ein Fisch, den man statt ins Wasser auf ein Sofa gelegt hatte.
-Schnapp auf, schnapp zu, so ging es bei ihm.
-
-»Der Oswald hat wohl was verschluckt? Der kriegt Zustände,« sagte Frau
-Besenmüller ängstlich. Mitten im Lied trat sie hinter den Buben und gab
-ihm einen kräftigen Stoß in den Rücken. »Ist’s raus?« flüsterte sie so
-laut, als müßte das Geflüster oben auf dem Schafskopf gehört werden.
-
-»Hup!« machte Oswald; er konnte vor Schreck nicht sprechen.
-Glücklicherweise ersah Fräulein Regine Frau Besenmüllers Tat, sie zog
-rasch die Frau aus dem Kreis und erklärte ihr das Mund auf, Mund zu.
-
-»I nä,« brummelte Frau Besenmüller, stumm singen, ja, das könnte sie
-auch. Sie trat an ihren Platz zurück, klappte nun auch ihren großen
-Mund auf und zu, und Webers Arne flüsterte Jackenknöpfle ins Ohr: »Wie
-’ne Brotschachtel.«
-
-Trotz dieser kleinen Zwischenfälle klang der Gesang festlich und
-rein in den hellen Sonntagmorgen hinaus, und Frau Fries freute sich.
-Sie freute sich auch über die Rosen, die Pfarrers Regine brachte,
-über all die bunten Sträuße aus den Steinacher Gärten, sie freute
-sich über die lachenden Gesichter der Kinder, und sie freute sich am
-meisten über die Liebe, die man ihr erzeigte. Dieser Tag ging zur
-Ruhe wie ein glückliches Kind, das sich müde gefreut hat und noch im
-Schlafe lächelt. Die Nacht blieb hell, die Sterne funkelten in ewiger
-Schönheit am Himmel, und im Grase wisperten die kleinen, lustigen
-Johanniswürmchen: »Seht nur, wir funkeln auch wie die Sterne!«
-
-»Noch mehr, noch mehr,« sagten die andern Käfer, die konnten nämlich
-nicht bis zum Himmel hinauf sehen.
-
-Im warmen Sommerfrieden schlief Steinach ein, und niemand darin ahnte
-etwas von dem schweren Geschehen draußen in der Welt. Da hatten im
-fernen Land ruchlose Buben Österreichs künftigen Kaiser und seine Frau
-ermordet. Als die Kunde von dem Mord durch die Lande lief, von Stadt zu
-Stadt, das einsamste Dorf nicht vergaß, erfaßte tiefes Entsetzen die
-Menschen. Ein dumpfes Ahnen kommenden Leides lag über den Landen.
-
-»Wir bekommen Krieg,« sagten manche. Aber jene, die nicht gern an
-Sorgen und kommendes Leid dachten, sagten: »Ach nein, wer wird unseren
-Frieden stören und unsere Sommerlust!«
-
-Die Buben und Mädel in Steinach redeten nicht von Krieg und dachten
-nicht an Krieg. Sie gingen in die Schule und freuten sich auf die
-großen Ferien. Am Montag freuten sie sich auf den Sonntag, am Morgen
-auf das Mittagessen, und zu Mittag redeten sie davon, wie sie abends
-auf der Gasse spielen wollten. Sie stiegen auf den Schafskopf, riefen
-und neckten die Geister der alten Schelme, zitterten, die könnten
-wirklich erscheinen, und ärgerten sich, daß sie nicht kamen. Sie
-zankten sich mit Frau Besenmüller und liefen dann schuldbewußt zu deren
-Mann; der mußte seine Frau »Lydia« nennen, damit sie wieder gut werde.
-Auf den Feldern reifte das Korn, und die Schnitter dengelten schon ihre
-Sensen: bald, bald fängt die Ernte an.
-
-So verging Tag um Tag. Das Jahr 1914 saß in seinem Himmelswinkel, es
-strich die Tage aus, und immer ernster wurde sein Gesicht.
-
-Der Juli neigte sich schon seinem Ende entgegen, da kamen Tage, an
-denen niemand Lust zur Arbeit und Freude hatte. Selbst in Steinach
-standen die Männer auf der Dorfstraße und redeten ernst und eifrig
-zusammen, und die Frauen sahen zu ihnen hin, und manch eine wischte
-sich heimlich eine Träne aus den Augen. Wer weiß, wie bald zog ihr Mann
-hinaus!
-
-Der junge Lehrer Heinrich Fries ließ jetzt immer Vaterlandslieder
-singen, und wenn die Kinder aus dem Schulhaus kamen, dann sangen sie:
-»Deutschland, Deutschland über alles,« und immer sang mit, wer es hörte.
-
-Jeden Tag fuhr jetzt jemand nach dem nächsten großen Ort, um dort
-die neuesten Telegramme zu lesen. Dann hieß es den einen Tag: Es
-gibt Krieg! den andern: Der Friede bleibt erhalten. Noch lag eine
-Lokalisierung des Krieges im Bereich der Möglichkeit. Die Diplomatie
-arbeitete fieberhaft. Telegramme flogen hinüber und herüber. Viele
-deutsche Herzen hofften noch, der Friede möchte der Welt erhalten
-bleiben. Aber mitten in alle heitere Sommerschönheit hinein gellte
-der Ruf: »Es gibt Krieg, Krieg mit Frankreich, Krieg mit Rußland, mit
-England, Krieg mit der halben Welt.«
-
-Die Buben und Mädel in Steinach hatten sich auf die Ferien gefreut,
-wie sich überall Buben und Mädel auf die Ferien freuen. Aber als sie da
-waren, dachte niemand an Ferienfreude. Am Samstag sollte Schulschluß
-sein, und an diesem Tag gab der junge Lehrer Heinrich Fries keine
-Stunde mehr. Er hatte die große Karte von Europa angehängt, und daran
-zeigte er den Kindern, wie riesengroß die Länder der Feinde waren gegen
-die der beiden treuen Bundesbrüder Deutschland und Österreich-Ungarn.
-Weit, weit über halb Asien hinweg dehnte sich das unermeßliche
-russische Reich, und Frankreich lag mit weiten Küsten am blauen Meer.
-Im Norden drohte England. Feinde, Feinde, wohin das Auge blickte. Die
-Brandfackel des Weltkriegs, des fürchterlichsten aller Kriege, war
-entzündet. Das Verhängnis nahm rasch und unaufhaltsam seinen Lauf.
-
-Armes Deutschland, armes Vaterland! Dem jungen Lehrer wurde das Herz
-schwer, als er an das furchtbare Ringen dachte, das nun beginnen
-würde. Doch größer noch als die Sorge war die Freude, daß auch er mit
-hinausziehen durfte in den Kampf für das Vaterland.
-
-Und an diesem letzten Schultag ließen die Kinder Bücher und Hefte in
-ihren Ranzen, und Heinrich Fries erzählte ihnen von Deutschland, von
-seiner Vergangenheit, seiner Herrlichkeit und seiner Not, wie es immer
-und immer wieder hatte kämpfen müssen um seine Freiheit. Auch von des
-Vaterlandes stiller Schönheit sprach der junge Lehrer, von seinen
-Städten, Dörfern, seinen Wäldern und Flüssen, seinen friedlichen Tälern
-und vom deutschen Heimatzauber.
-
-Es war mäuschenstill in der Schulstube. Noch nie hatten die Kinder so
-lautlos zugehört, und keines sehnte das Ende dieser letzten Schulstunde
-herbei. Und als draußen die Glocke ertönte, die Frau Besenmüller im
-Jammer ihres Herzens wilder denn je schwang, da baten all die braunen
-und blauen Kinderaugen, in die der Lehrer sah: »Weiter, weiter!«
-
-Heinrich Fries atmete tief. Das eine Fenster der Stube lag in der
-Sonne, und golden umwob der Schein die Buben- und Mädelköpfe. Das
-würde er nun lange nicht mehr sehen, vielleicht nie wieder. Er zog
-hinaus in den Kampf, vielleicht in den Tod! Er schwieg, atmete tief,
-und dann sagte er einfach: »Ich gehe nun von euch, Kinder; ob wir uns
-wiedersehen, steht in Gottes Hand. Er schütze unsere Heimat, er schütze
-euch. Werdet tapfere deutsche Männer und Frauen und vergeßt es nie,
-nie: Das Vaterland über alles!«
-
-Deutschland, Deutschland über alles! Jauchzend brauste der Gesang
-plötzlich auf, die Kinder wußten selbst kaum, wie es kam, daß sie
-auf einmal das Lied sangen. Wie ein Jubelruf klang es und ein Gebet
-zugleich. Draußen vor der Tür stand Frau Besenmüller, sie hielt die
-Schulglocke fest im Arm, und heiße, heiße Tränen rannen darauf nieder.
-»Das Herze bricht einem fast!« schluchzte sie. »Nä, der Jammer, nä, das
-Unglück!«
-
-»Schäm’ dich, Lydia, so redet keine deutsche Frau,« rief ihr Mann von
-der Treppe her. »Sieh unsere alte Frau Lehrerin an, die nimmt ihr Herze
-fest in die Hände.«
-
-Da schwieg Frau Besenmüller beschämt. Ihr Mann hatte recht, der hatte
-immer recht. Und stille nahm sie sich vor, so tapfer zu sein wie Frau
-Fries, die ihr Herz fest hielt und nicht weinte und nicht klagte.
-
-[Illustration]
-
-
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-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Elftes Kapitel
-
-Schwerer Abschied
-
- Die Steinacher ziehen auch hinaus, und Schwetzers Fritze will
- mit -- Auch Pfarrers Regine will hinaus, geht aber dann zu
- Traugotts -- Der alte Briefträger übt wieder sein Amt aus, und
- Fritze schreibt einen Brief und prügelt sich mit seinem Freund
- Arne
-
-
-Mobilmachung, Abschied!
-
-In jeder Stadt, in jedem Dorf in deutschen Landen war es in den ersten
-Augusttagen von 1914 das gleiche Bild. Stille legten viele, viele
-Männer ihre Arbeit nieder und verließen Haus und Hof, verließen die
-Heimat, um für den Frieden dieser Heimat zu kämpfen. In Steinach am
-Wald war es nicht anders. Da mußten Frauen ihre Männer ziehen lassen,
-die Kinder weinten den Vätern nach und die Mütter den Söhnen. Und wenn
-in diesen Tagen einer Mutter das Herz gar so schwer wurde und ihre
-Tränen nicht versiegen wollten, dann mahnte wohl der Mann oder der
-Sohn: »Sieh unsere alte Frau Lehrerin an, die ist tapfer, und ’s ist
-doch auch ihr Einziger.«
-
-Frau Fries nahm wirklich ihr Herz fest in beide Hände, sie klagte
-nicht und weinte nicht. Still und emsig half sie dem Sohn die Sachen
-rüsten, und sie half auch andern. In diesen Tagen begannen die Frauen
-von Steinach in das Schulhaus zu laufen, um sich Rat zu holen und
-Trost dazu. Die sanfte Frau, die noch kaum ein Jahr in ihrer Mitte
-lebte, wurde ihnen allen eine Helferin, und manch ein Mann sagte beim
-Abschied: »Na, Pfarrers sin ja da un die alte Frau Lehrerin, da frag’
-nur, die helfen schon.«
-
-Mann um Mann verließ das Dorf. Am zweiten Tage schon zog Heinrich Fries
-hinaus. Seine Schulkinder standen vor der Türe, die gaben ihm das
-Geleit bis zur Apfelstraße, da sandte er sie heim. Zum Bahnhof sollte
-ihn allein seine Mutter begleiten. Die ganze Straße entlang aber tönte
-es ihm nach: »Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen!«
-
-Endlich verhallten die Rufe, und ein paar Minuten waren Mutter und Sohn
-allein, die andern Abfahrenden waren schon vorangegangen. Wie sie aber
-beide an den Himbeerapfelbaum kamen, sahen sie dort einen Buben stehen,
-der hatte den Baum umschlungen, als müßte er von dem Abschied nehmen.
-
-»Holla, Fritz Schwetzer, was machst du hier?« Heinrich Fries trat
-allein auf den Buben zu; seine Mutter blieb ein paar Schritte zurück,
-sie dachte, mit dem Buben muß nur einer jetzt reden. »Sag’, was fehlt
-dir? Dein Vater zieht doch nicht hinaus?« forschte der junge Lehrer.
-
-Schwetzers Fritze schämte sich, daß er weinte, und er konnte doch
-nicht anders. Es gibt halt Stunden, in denen auch ein Bube nicht ohne
-Tränen fertig werden kann. Sein Lehrer spürte, hier gab es wirkliches
-Herzeleid, und viel freundlicher als sonst klang seine Frage: »Wo
-fehlt’s denn, Fritze, was bedrückt dich?«
-
-»Weil -- weil -- Sie in ’n Krieg gehen un -- nu totgeschossen werden!«
-Fritz stieß es heraus und umklammerte laut schluchzend des Lehrers
-Hand. Der strich ihm sacht über den Struwwelkopf. »Na, na, mein Junge,
-so schlimm braucht es doch nicht gleich zu werden. Tut’s dir denn so
-leid?«
-
-Der Bube nickte nur. Er rang mit den Worten, denn er hätte seinem
-Lehrer in dieser Abschiedsstunde gern gesagt, daß er ihm gut war und
-die Schule liebhatte, daß er sich sehnte, so zu werden wie dieser. Aber
-ach, einem Schweiger purzeln die Worte eben nicht so flink aus dem
-Munde!
-
-Ganz langsam kamen sie nur, tropfenweise, aber Heinrich Fries verstand
-auch jene, die ungesagt blieben, er verstand, daß Fritze ihn sehr
-liebhatte.
-
-Es war ihm eine Überraschung. Neun Monde lang war der Bube sein
-Schüler gewesen, und er hatte gar oft in der Zeit gedacht, der ist
-ein Trotzkopf, mit dem kann ich nicht viel anfangen. Und nun in der
-Abschiedsstunde tat sich ihm Fritzes Herz auf, und er lernte verstehen,
-wie schwer es ist, Schwetzer zu heißen und ein Schweiger zu sein.
-»Lieber, lieber Junge, du!« dachte der Lehrer, »dich hab’ ich nun so
-verkannt!«
-
-»Ich -- ich -- will mit.«
-
-»Mit in den Krieg? Das geht nun doch nicht, Fritz.« Heinrich Fries
-sah zu seiner Mutter hinüber. Die stand ein wenig gebeugt, wie
-niedergehalten von schwerer Last mitten auf der sonnigen Straße. Sie
-weinte nicht, aber der Sohn wußte, ihr blutete das Herz in dieser
-Abschiedsstunde. Da sagte er rasch: »Fritz, mitziehen kannst du nicht,
-das weißt du, aber du kannst mir etwas zuliebe tun. Willst du?«
-
-Fritz nickte heftig, ehe er aber noch eine Antwort geben konnte, bat
-sein Lehrer: »Geh oft zu meiner Mutter, besuche sie und habe sie lieb.
-Sieh mal, sie ist nun so allein. Sie braucht jemand in dieser Zeit!«
-
-Heinrich Fries hielt Fritz die Hand hin, und der schlug fest ein. »Ich
-will,« sprachen seine Augen, und der junge Lehrer sagte nur: »Ich danke
-dir.«
-
-Das war der Abschied zwischen den beiden. Fritz rannte davon,
-querfeldein, es brauchte keiner zu sehen, wie traurig er war. Heinrich
-Fries aber ging mit seiner Mutter die Apfelstraße hinab bis zu dem
-kleinen Bahnhof. Der war heute so voller Menschen, als sei Steinach auf
-einmal eine Stadt geworden. Aus ein paar Nachbardörfern trafen sie hier
-zusammen, zehn Mann waren es, die mit dem jungen Lehrer zusammen die
-Heimat verließen. Sie hatten Blumen an Röcken und Mützen stecken und
-sangen wie viele Millionen in diesen Tagen: »Deutschland, Deutschland
-über alles!«
-
-Das Bähnchen pustete heran, an drei Haltestellen hatte es schon
-Reisende aufgenommen. Die standen an den Fenstern, schwenkten die Hüte
-und riefen den Steinachern zu: »Hurra, nun kommen die Schelme von
-Steinach. Na, vor denen reißen die Franzmänner sicher aus.«
-
-Die Steinacher nahmen den Scherz nicht übel. Frohgemut kletterten sie
-in die Wagen. »Die Feinde sollen uns kennenlernen,« jauchzten sie, »die
-Schelme verstehen das Dreinschlagen!«
-
-Der Zug brauste davon. Der Gesang verhallte, und die Zurückbleibenden
-gingen still heim. Frau Fries blieb ein wenig zurück, sie wollte
-allein sein. Als sie aber dann, ein Stückchen hinter den andern, die
-Apfelstraße entlang ging, kletterte Schwetzers Fritze auf einmal aus
-dem Graben heraus. Er schob, ohne ein Wort zu sagen, seine Hand einfach
-in die der alten Frau. »Willst du mich heimbringen, mein Junge?« fragte
-diese.
-
-Fritze nickte und brummelte halblaut dazu: »Der Herr Lehrer hat’s
-gesagt.«
-
-Frau Fries dachte an ihres Sohnes Wort in letzter Minute: »Mutter, wenn
-Fritz Schwetzer zu dir kommt, denke, er kommt von mir.« Sie hielt die
-Bubenhand fest in der ihren, und so gingen sie beide still miteinander
-in das Dorf zurück. An der Haustüre trennten sie sich, und Frau Fries
-sagte laut: »Auf Wiedersehen!« Fritz dachte es nur, aber seine neue
-Freundin verstand ihn doch.
-
-Auch dieser Tag ging zu Ende. Der Abend dämmerte herauf, ruhvoll und
-schön glänzten die Sterne am Himmel, und viele, viele Seufzer, viele
-heiße Bitten stiegen zu ihnen empor. Die Züge fuhren unablässig durch
-das Land, und selbst in Steinachs Stille hinein tönte ihr Brausen.
-
-Frau Fries hörte es. Sie hörte das Ticken der Wanduhr, das schwere,
-lange Schlagen des eigenen Herzens die lange Nacht hindurch. Endlich,
-als der Morgen sich aus den Schleiern der Nacht löste, hielt sie es
-nicht mehr aus im Zimmer, sie rüstete sich zum Ausgang und stieg leise
-die Treppe hinab. Sie wollte Besenmüllers nicht stören, aber unten
-am Fuß der Treppe tat sie doch einen Schrei, denn sie stieß an einen
-weichen, dunklen Gegenstand. Zusammengerollt lag da etwas am Fuß der
-Treppe.
-
-»Meine Güte, nä, unsre alte Frau Lehrerin!« Frau Besenmüller hatte auch
-nicht schlafen können vor Herzeleid um den Krieg. Sie riß ihre Türe auf
-und zündete ein Streichholz an, der Flur lag noch in tiefem Schatten.
-»I nä, so was,« schrie sie, »da liegt ja woll ’n Junge und schläft.«
-Zisch, entzündete sie noch ein Hölzchen, und in dem kleinen Licht
-erkannte Frau Fries Fritze Schwetzer in dem Schlafenden.
-
-»Still, still, Frau Besenmüller,« mahnte sie rasch, »wir wollen den
-Buben nicht wecken, ich trag’ ihn in mein Zimmer.«
-
-»I nä!« Frau Besenmüller sperrte den Mund weit auf, noch schiefer als
-sonst wurde der. Sie war so verdutzt, daß sie nichts mehr zu sagen
-wußte, sondern vor lauter Verwunderung half, Fritze hinauf in das
-Wohnzimmer von Frau Fries zu tragen. Auf das schöne, moosgrüne Samtsofa
-wurde der Bube gelegt, und wieder sagte Frau Besenmüller nur »I nä!«
-Weiter nichts.
-
-»Gehen Sie leise aus dem Zimmer,« bat Frau Fries, und Frau Besenmüller
-tat, als wäre die Elfenkönigin ihre Muhme, so schwebte sie. Dabei stieß
-sie freilich an den Tisch, rannte zwei Stühle fast um, eckte am Schrank
-an, die Tür rutschte ihr aus und fiel krachend in das Schloß, und
-zuletzt purzelten noch ihre Holzpantoffeln die Treppe hinab, sie selbst
-glücklicherweise nicht. Aber all dies Gepolter, Gekrach und Gelärm
-störte Schwetzers Fritze nicht, der schlief ruhig weiter auf dem grünen
-Samtsofa, so ruhig, als wäre das sein Bett.
-
-Frau Fries saß neben ihm und freute sich über den kleinen stummen Gast.
-Wie er nur in das Schulhaus gekommen war? Ob er sie vielleicht hatte
-beschützen wollen und darum auf der Treppe geschlafen hatte? Trotz
-ihres Leides mußte die Frau lächeln, und sanft streichelte sie den
-Buben ein wenig. Von Frau Besenmüllers Gepolter war der nicht erwacht,
-aber das sachte Streicheln machte ihn munter, er reckte und streckte
-sich und sah dann die alte Frau Lehrerin namenlos verwundert an. Wo
-kam die nur auf einmal her, und warum war sein Bett ein grünes Sofa
-geworden? Aber Frau Fries verstand es mit einem zu reden, der für
-jedes Wort Vorspann braucht. So nach und nach kam es heraus, Fritze
-hatte wirklich seines Lehrers Mutter bewachen wollen und hatte sich
-darum an die Treppe gelegt. Daheim war er so in der Mitte drin. Ein
-paar große Schwestern gab es und ein paar winzige Brüderlein, und in
-dem lebhaften Haus hatte es wohl niemand gemerkt, daß er fehlte.
-
-»Wer im Schulhaus schläft, muß auch drin frühstücken,« meinte Frau
-Fries. Sie richtete den Kaffeetisch, und Fritz saß nachher daran
-wie ein Großer, nein, eigentlich wie ein Graf, dachte er. Und dann
-entdeckte seine neue Freundin ein Loch in seiner Jacke, das flickte
-sie ihm noch zu, und darüber wurde es dem Buben immer heimatlicher im
-Schulhaus. Er seufzte ein wenig, als Frau Fries sagte: »Nun mußt du
-aber nach Hause gehen.«
-
-»Hm!« -- eine lange Pause -- »nachmittag komm’ ich wieder.«
-
-»Das ist recht so, also auf Wiedersehen!« Frau Fries lächelte wieder,
-und als ihr Besuch die Treppe hinabstapfte, dachte sie: »Wenn es doch
-schon Nachmittag wäre!«
-
-Sie brauchte sich freilich nicht vor der Einsamkeit zu fürchten, denn
-sie blieb nicht allein. Kaum war Schwetzers Fritze mit hocherhobenem
-Kopf stolz an Frau Besenmüller vorbei zur Türe hinausgegangen, da tat
-sich die Türe schon wieder auf. »Als ob’s Schultag ist,« brummelte Frau
-Besenmüller. Diesmal war es Pfarrers Regine. Die kam in ihres Herzens
-Not zu Frau Fries. Sie wollte auch hinaus, wollte draußen pflegen,
-helfen, ihre Kräfte regen, den Sturm miterleben, nicht im Winkel in
-der Stille sitzen bleiben. Aber ihre Mutter war krank; konnte sie die
-verlassen?
-
-»Wie sollte das werden, wenn jeder von seinem Posten davonlaufen
-möchte?« gab ihre alte Freundin zur Antwort. »Wer daheim Pflichten hat,
-muß erst die erfüllen.«
-
-»Aber draußen wird es so viel Arbeit geben, so viel Leid und Not!«
-klagte Pfarrers Regine.
-
-»Warten Sie nur ab, mein Kind, das Leid kommt auch zu uns, auch hier
-wird es Arbeit geben, hier werden Sie trösten und helfen können.«
-
-Klipp, klapp ging’s draußen, und Frau Besenmüller lief ins Zimmer
-hinein. Sie vergaß alle Höflichkeit, vergaß anzuklopfen, sie jammerte
-laut: »Bei Traugotts, den Müller-Traugotts, ist ’n kleines Mädel
-angekommen, un nu muß heut’ der Mann weg un beide Knechte. Nä, und die
-Male, was das Mädchen ist, heult, weil ihr Schatz mit muß. Sie will
-nach Wiesen gehen, Abschied nehmen. Nä, so was!«
-
-Da küßte Pfarrers Regine die alte Frau Lehrerin und sagte tapfer: »Ich
-will zu Traugotts gehen und der Frau helfen. Ich will in Steinach
-bleiben auf meinem Posten.«
-
-Klipp, klapp ging’s wieder draußen. Diesmal klopfte der Besucher an,
-fest und laut, Frau Besenmüller riß die Türe auf und schrie: »Nä, so
-was, nu ist Schwetzers Fritze schon wieder da!«
-
-»Ich darf bleiben.« Fritze druckste die Worte heraus und sah strahlend
-zu seiner neuen Freundin auf.
-
-»Ih, das könnt’ uns gerade passen,« knurrte Frau Besenmüller, »so ’n
-Nichtsnutz zur Ferienzeit im Schulhaus! Nä, git’s nicht, raus mit dir!«
-
-»Frau Besenmüller möchte gern Wasser getragen haben, Fritze; willst du
-das wohl tun?« fragte Frau Fries in ihrer sanften Weise.
-
-»Hm,« Fritze nickte nur. Er wußte, wo die Eimer standen, wußte, wo der
-Brunnen war; die alte Frau Lehrerin wünschte es, also ging er und trug
-Wasser. Frau Besenmüller aber saß in ihrer Küche auf der Ofenbank und
-sagte nur immerzu: »Nä, so was, die Welt dreht sich um und um, nu trägt
-mir Schwetzers Fritze Wasser, und draußen ist Krieg.«
-
-Frau Besenmüller gab dann freilich das Verwundern bald auf, zu viele
-Wunder geschahen in dieser Zeit. Da schwiegen im Lande Streit und
-Hader, eigensüchtige Ichmenschen wurden freundliche Helfer, alle
-dachten sie nur: »Das Vaterland ist in Gefahr, Herr Gott, hilf uns!«
-
-Die Glocken sangen über die Lande, Fahnen wehten: Sieg, Sieg! In
-den Siegesjubel hinein aber tönte die Klage: »Ostpreußen in Not, in
-Ostpreußen hausen die Russen, als wären die Zeiten des Dreißigjährigen
-Krieges angebrochen.«
-
-Pfarrers Regine lüftete die Fremdenzimmer, überzog Betten, suchte
-Truhen und Schränke durch, das Pfarrhaus wollte Flüchtlinge aufnehmen.
-Frau Fries aber ging von Haus zu Haus, und Schwetzers Fritze folgte
-ihr. Sie bat um alles, was Hausfrauen entbehren konnten, der Landsleute
-Not in Ostpreußen zu lindern. Die Steinacher Bäuerinnen gaben gern, und
-im Schulhaus wurden Kisten gepackt für die Ostpreußen. Dazwischen kamen
-die Frauen aus dem Dorfe und fragten: »Wie machen wir’s, daß unsere
-Männer und Söhne alles richtig ins Feld bekommen? Dies soll verschickt
-werden und das; wie packen wir es ein? Was schreiben wir darauf?«
-
-Und immer wußte Frau Fries Rat. Frau Besenmüller brummelte freilich:
-»Unsere alte Frau Lehrerin soll ja wohl zehn Hände und fünf Köpfe
-hab’n. Nä, so was! Ein Getrample, ’s ist schlimmer, als wenn Schule
-wär’.«
-
-Und dabei rannte Frau Besenmüller doch selbst die Treppe auf, die
-Treppe ab, als wäre sie sechzehn Jahre, nur um ihrer Hausgenossin zu
-helfen. Am allerflinksten aber rannte sie, wenn sie von ferne den
-Briefträger erblickte, aber sie erreichte ihn nie zuerst, immer war
-Schwetzers Fritze schon da. Und Frau Fries erfuhr es schnell, wenn ein
-Brief von ihrem Sohne da war. »Ein Brief vom Herrn Lehrer,« gellte
-Fritzens Stimme auf. Vielfaches Echo antwortete, von da und dort kamen
-Mädel und Buben gelaufen, und der Brief war wie ein König, der mit
-großem Gefolge in sein Schloß einzieht.
-
-Doch wie im Lehrerhaus, so wartete beinahe in jedem Bauernhaus eine
-Mutter, eine Frau auf ein Wort, das von draußen hereinklang. Der alte
-Briefträger Klöppel hatte kurz vor dem Kriege sein Amt aufgegeben
-gehabt. Er lief nun aber wieder mit der Tasche, weil die jungen
-Männer alle draußen waren, dachte unterwegs immer an die Briefe und
-Karten, die er trug. Der hat geschrieben und der, überlegte er, aber
-die Knöpfle wird warten, je, je, so lange kein Brief! Von Pfarrers
-schreibt nur einer, eigentlich müßten’s zwei heute sein. Warum schreibt
-der andere nicht? Ist dem was zugestoßen?
-
-Früher hatten die Steinacher Mädel und Buben sich kein bißchen um
-Briefe gekümmert, das waren für sie Dinge, an denen nur Erwachsene
-Freude hatten. Jetzt war es auf einmal anders geworden, und als
-Schwetzers Fritze selbst vom Herrn Lehrer eine Feldpostkarte bekam, da
-beschlossen alle seine Kameraden und Kameradinnen: »Wir schreiben auch,
-wir woll’n auch was kriegen.«
-
-Etliche liefen auch geschwind zu der ganz kleinen, dicken Krämersfrau
-Laura Langbein und verlangten einen feinen Bogen, aber nur etliche
-feine Bogen wurden Briefe, die in den Krieg reisen konnten, auf den
-andern wimmelten die Kleckse nur so herum wie Fliegen auf einem
-Honigbrot.
-
-Schwetzers Fritze hatte zwar drei Bogen verschrieben, aber zuletzt
-hatte er doch einen vier Seiten langen Brief fertiggebracht.
-Freilich standen auf jeder Seite nur fünf Wörter, doch das schadete
-nichts. Brief ist Brief, und stolz zeigte er seinem Freund Arne das
-Schriftftstück.
-
-»Fein,« lobte der, »aber Briefe schreiben ist nischt, ich geh’ selbst
-raus. Willste mit?«
-
-»Nä.« Fritze sah den Freund verdutzt an, er schüttelte bedachtsam den
-Kopf, das ging doch nicht.
-
-Webers Arne war anderer Meinung. Er hatte sich schon alles fein
-ausgedacht, einen richtigen Kriegsplan hatte er entworfen, und eifrig
-erzählte er, wie er es machen wollte. Höchst einfach war es. »Gehste
-mit?« fragte er wieder.
-
-»Nä,« gab Fritze zur Antwort.
-
-»Bist dumm,« brummte Arne und erzählte weiter. »Gehste mit?« fragte er
-zum dritten Male, und wieder rief Fritze: »Nä.«
-
-»Och, so feige!« kreischte Arne. Doch da verlor Fritze die Geduld,
-puff, puff ging’s los. Einmal lag Arne unten, einmal Fritze. Weil
-sie ziemlich gleich stark waren, bekam jeder Prügel. Der Kampf blieb
-unentschieden, weil Frau Besenmüller mit ihrem Wappenzeichen, einem
-Besen, dazwischentrat; mit Frau Besenmüller wollten sie aber beide
-nicht kämpfen. Sie ließen sich los. Arne raffte seine Mütze vom Boden,
-Fritze nahm den Brief vom Fenstersims, auf das er ihn vorsichtig gelegt
-hatte, und im Davonlaufen schrie der eine noch: »Ich geh doch!« und der
-andere: »Nä.«
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Zwölftes Kapitel
-
-Zwei wollen Helden sein
-
- Frau Besenmüller sagt, es wären hundertvierunddreißig Strümpfe,
- und an einem Tag werden vier Strümpfe und zwei Buben vermißt --
- Zimplichs Max will auch hinaus -- Malchen Hinzpeter denkt nicht
- ans Mundhalten, und ein Bahnwagen fährt nicht immer dahin,
- wohin die Reisenden wollen -- Hindenburg unterhält sich nicht
- mit den Steinacher Buben, und Antwerpen fällt
-
-
-Die Ruhestunden waren knapp in diesen ersten Kriegswochen. Doppelte
-Last lag auf den Schultern der Daheimgebliebenen, und in Steinach
-mußten auch die Kinder helfen die Ernte einbringen. Die Ferien gingen
-vorbei, die keine Ferien gewesen waren, aber die Schule begann nicht,
-der Lehrer fehlte. Zum lustigen Spiel blieb freilich wenig Zeit. Der
-Schelmenacker lag öde, und auf dem Schafskopf hätten die Geister der
-alten Schelme nach Herzenslust spuken können, es störte sie niemand.
-Selbst Besenmüller saß nicht mehr auf der zerbröckelten Mauer im
-Sonnenschein, der blieb auf der Bank vor dem Schulhaus sitzen. Da
-hörte er es doch, wenn es wieder einen Sieg gab, oder wenn einer von
-draußen geschrieben hatte. Dazu strickte er Strumpf um Strumpf, kein
-Weiblein im Dorf konnte es flinker und besser als er. Hatte er wieder
-ein paar Strümpfe fertig, dann seufzte er wohl und sagte zu seiner
-Frau: »So hab’ ich’s mir nu mein Lebtag gewünscht, immer Wolle zu
-haben, viel Wolle und stricken zu können alle Tage. Nä, und nu macht’s
-mir kein rechtes Vergnügen.«
-
-Eines Tages wusch Frau Besenmüller siebenundsechzig Paar rosenrote und
-himmelblaue Strümpfe und hing sie vor dem Schulhaus zum Trocknen auf.
-Sie fürchtete, sie könnten abfärben, und rote und blaue Beine sollten
-die Feldgrauen draußen nicht bekommen. »Sie werden sich ohnehin ärgern
-über die bunten Strümpe,« klagte die Frau, als sie die stattliche Reihe
-überschaute.
-
-»I nä, Lydia,« tröstete Besenmüller, »ob ’n rotes oder blaues Bein im
-Stiefel steckt, ist gleich. So sehr ich for Strümpfe bin, Stiefeln sin
-die Hauptsache.«
-
-»Du hast alleweil recht,« sagte seine Frau. Sie schaute
-bewundernd auf die bunte Pracht, wie ein Festschmuck sah sie aus.
-»Hundertvierunddreißig Strümpe,« rief sie stolz, »nä, die beim Roten
-Kreuz werden staunen!«
-
-»Hundertdreißig,« brummelte Schwetzers Fritze von der Tür her. Dort
-saß er und wartete auf Frau Fries; inzwischen hatte er die Strümpfe
-gezählt. »Hundertvierunddreißig, du Naseweis,« rief Frau Besenmüller
-ärgerlich, »was ich weiß, das weiß ich.«
-
-»Nä, hundertdreißig.« Fritze blieb dabei.
-
-Traugotts Hanne ging just vorbei, und Frau Besenmüller rief ihr zu:
-»Hanne, wieviel Strümpe hängen hier?«
-
-Hanne zählte stöhnend. »Hundertachtzehn!« rief sie.
-
-»Hundertdreißig,« schrie Fritze.
-
-»Hundertvierunddreißig,« zeterte Besenmüller.
-
-»Hundertdreiundfünfzig.« Hinzpeters Malchen war dazugekommen; sie hatte
-auch gezählt.
-
-»Hundertdreißig,« rief nun auch Besenmüller, »Fritze hat recht.«
-
-»Hundertvierunddreißig!« Frau Lydia wurde rot wie ein Krebs vor Ärger.
-»Unsere alte Frau Lehrerin hat sie vorhin gezählt, und die kann’s.«
-
-Zur rechten Zeit, so fanden alle, kehrte Frau Fries heim. Die zählte
-noch einmal und noch einmal, es waren und blieben aber wirklich nur
-hundertunddreißig Strümpfe, vier fehlten, denn auch Frau Fries sagte
-es, vorhin wären es so viel gewesen.
-
-»Die sind weggeflogen,« sagte Hanne und sah sich rundum.
-
-»Da müßte der Wind gerade in deinem Korbe stecken,« spottete
-Besenmüller. Es wehte wirklich kein Lüftchen. Der Tag war warm und
-schön, er hätte ein Sommertag sein können, kaum war der Herbst zu
-spüren.
-
-»Die hat jemand geholt,« rief Frau Besenmüller zornig.
-
-»I nä, ich hab’ doch alleweil hier gesessen!« Ihr Mann schüttelte den
-Kopf. Wer sollte wohl in Steinach Strümpfe von der Leine wegtragen?
-Solche Untaten mochten in Städten vorkommen, in Steinach nicht.
-
-»Aber ’s waren doch hundertvierunddreißig,« jammerte Frau Besenmüller,
-als Frau Fries einwarf, sie könnte sich vielleicht auch verzählt haben.
-
-»Zählen, das kann ich, schreiben und lesen, nä, aber zählen fein. Und
-hundertvierunddreißig Strümpe waren’s.« Dabei blieb Frau Besenmüller,
-aber sooft sie es auch versicherte, die Strümpfe kamen nicht wieder,
-und es wußte ihr auch niemand zu sagen, wohin sie gekommen waren.
-
-Wenn vier Strümpfe auf einmal spurlos verschwinden, so ist das
-sonderbar, viel sonderbarer aber ist es, wenn am hellen Tag zwei Buben
-aus einem Dorf verschwinden, als hätte die Erde sie verschluckt.
-
-Am Abend dieses schönen Herbsttages sagte Arne Webers Mutter ärgerlich:
-»Der Junge ist nicht heimgekommen, seit Mittag sitzt er nun bei
-Knöpfles.«
-
-Knöpfles Haus lag am andern Dorfende, man ging sechs Minuten bis dahin,
-und in Steinach nannten sie das einen weiten Weg. Frau Weber schickte
-daher auch keinen Boten aus; kam Arne nicht heim, so schlief er wohl im
-Knöpfle-Haus. »Morgen gibt’s Geschimpfe,« drohte nur die Mutter. Und
-um die gleiche Stunde sagte dies Frau Knöpfle. Auch sie war ärgerlich,
-daß ihr Jakobus seit Mittag bei Webers war, denn dahin hatte er gehen
-wollen.
-
-In dieser Zeit bedrängten die Bäuerinnen mancherlei Sorgen, und um die
-Kinder, die daheim geblieben waren, konnten sie sich weniger kümmern.
-Erst am nächsten Morgen -- schon war viel Arbeit im Hause getan -- lief
-von Webers zu Knöpfles und von Knöpfles zu Webers je eine Magd, die
-Buben heimzuholen. Die Botinnen kamen mit viel Geschrei zurück. Arne
-war nicht bei Knöpfles und Jackenknöpfle nicht bei Webers.
-
-Vielleicht waren sie bei Zimplichs, vielleicht bei der kleinen
-Krämersfrau Langbein, vielleicht da, vielleicht dort? Erst war es ein
-Fragen ohne Sorgen, aber wie der Tag weiter vorschritt und immer mehr
-Leute im Dorf erklärten, sie hätten die Buben überhaupt nicht gesehen,
-da wurden die Mütter ängstlich. Wo waren die nur? »Vielleicht auf dem
-Schafskopf,« dachte der Bauer Weber, und er sagte nicht, wie jäh die
-Angst riesengroß in ihm wurde, die beiden könnten oben in dem alten
-Gemäuer verschüttet worden sein.
-
-Er stieg selbst hinauf mit seinem alten Knecht, so schnell er konnte,
-andere folgten, aber oben fanden sie alle nichts. Nicht einmal eine
-frische Fußspur war zu sehen. Die Hagebutten glänzten rot wie vor einem
-Jahr, als Heinrich Fries zum erstenmal auf dem Berg gewesen war.
-
-Waren die Buben in den Wald gelaufen und hatten sich dort verirrt?
-Steinacher Buben im Steinacher Wald verirrt! Es glaubte niemand
-recht daran, immerhin begann man im Walde zu suchen. Der Förster war
-eingezogen, nur der alte Waldhüter Michael war da, und der hatte an
-diesem Tage keinen Buben im Walde erblickt.
-
-Unten im Dorf vergaßen die Leute ihre Arbeit, je weiter der Tag
-vorschritt. Immer ungeheuerlicher erschien ihnen das Verschwinden der
-beiden Buben. Frau Besenmüller sagte wieder einmal zu ihrem Mann:
-»Wenn uf emal zwei Buben un vier Strümpe verschwinden, dann hängt das
-zusammen.«
-
-»Hm!« -- Besenmüller sah nachdenklich auf seinen Strumpf, aber
-plötzlich ließ er das Strickzeug fallen und schrie: »Lydia, die sind
-vielleicht zu den Soldaten gerannt!«
-
-Ein tiefer Seufzer gab Antwort. An der Türe stand Schwetzers Fritze,
-der hatte so schwer geseufzt. Besenmüller sah ihn durchdringend an.
-»Heda, mein Freund, du weißt etwas, raus mit der Sprache!«
-
-Das ging nun freilich nicht so flink, und Frau Besenmüller tat das
-Vernünftigste, was sie tun konnte, sie holte Frau Fries herbei. Die
-wußte so lind zu fragen, und nach etlichen schweren Seufzern gab Fritz
-endlich Antwort. »Die sin in ’n Krieg.«
-
-»Wie denn das?« rief Besenmüller. »Einfach so nein, haste nich geseh’n,
-da siehste, das geht doch niche. Wo sind sie hin?«
-
-»Weiß nich,« stöhnte Fritz, »in ’n Krieg.« Und dann heulte er auf
-einmal laut los, denn es tat ihm plötzlich bitter leid, daß er nicht
-mitgezogen war. Er wußte auch wirklich nicht viel mehr; schreiben
-wollten sie, wenn sie erst dort wären, und mit der Bahn fahren.
-
-»Gut, dann kriegen wir sie,« tröstete der Pfarrer, als er das hörte.
-»Irgendwo werden sie eines Tages hungrig und verzagt aufgefunden und
-nach Hause zurückbefördert werden.«
-
-Nun riefen es die Drähte ins Land hinaus: In Steinach haben zwei Buben
-in den Krieg gewollt, sucht, sucht, sucht!
-
-Ein Tag verging und noch ein Tag, keine Kunde von den Verlorenen
-kam. Der Bahnvorsteher in Steinach hatte die beiden nicht gesehen,
-aber in Rothaus, dem nächsten Ort, hatten sich an dem Tage zwei
-Buben Fahrkarten bis zur Schnellzugshaltestelle L. genommen. So viel
-Geld mochten sie gehabt haben, aber mehr nicht. Wo waren sie dann
-hingekommen?
-
-In L. wußte erst niemand etwas von den beiden. Der Pfarrer und Bauer
-Weber -- Jackenknöpfles Vater war auch im Feld -- fuhren selbst hin,
-forschten und fragten. Viel wußte niemand, nur ein Bahnwärter erzählte,
-er hatte die beiden Buben gesehen, einer hätte ein Gewehr gehabt und
-jeder einen Schulranzen.
-
-»Das wird meine alte Windbüchse sein,« brummte der Bauer, »vor der
-läuft kein Hase mehr davon, geschweige ’n Franzose.«
-
-Wo waren die Buben aber mit Ranzen und Schießgewehr hingekommen? In L.
-verlor sich ihre Spur, Fahrkarten hatten sie dort nicht gelöst. Waren
-sie geradeswegs in die fremde Welt hineingelaufen?
-
-»Die finden wir schon,« sagten die Bahnbeamten. Und wieder surrte der
-Telegraph: Sucht, sucht, sucht, hier weinen Mütter in Angst um ihre
-törichten Buben.
-
-»So eine Not fehlt uns auch noch!« schalten in Steinach die
-Erwachsenen. Die Buben, von den sechsjährigen an, die redeten anders.
-»Vielleicht kommen sie doch in den Krieg,« sagten sie untereinander.
-»Wenn sie hinkommen und mittun, dann geh’ ich auch,« erklärte Zimplichs
-Max.
-
-»Ich auch, ich auch,« riefen dann gleich ein paar andere. Alle wollten
-sie gehen, und die Mädel schalten darob, fuchswild wurden die, waren
-bitterböse auf Arne und Jackenknöpfle und weinten, wenn es hieß: »Noch
-immer keine Nachricht.«
-
-»Im Krieg müssen Mädel den Mund halten,« sagte Zimplichs Max einmal
-hochmütig, als Hinzpeters Malchen und ihre Freundinnen auf Arne
-schalten. Aber Zimplichs Max mußte dann bald einsehen, daß Malchen
-auch in Kriegszeiten nicht an das Mundhalten dachte. Zehnmal versuchte
-Max, ihr zu antworten, er kam aber nicht dazu, und zu guter Letzt rief
-Fräulein Regine noch, es sei Strickzeit. Da rannten alle Mädel wie der
-Wind davon, Malchen drehte sich noch auf den Hacken um und schrie
-verächtlich: »Wir stricken fürs Vaterland, aber ihr, ihr, was tut ihr
-denn?«
-
-Weg war Malchen, und alle Buben entrüsteten sich über diese Frechheit.
-Nä, die Mädel sollten nur sehen, wenn sie alle erst Arne und
-Jackenknöpfle folgten. Die kommen hin, ganz sicher, und vielleicht
-kriegen sie das Eiserne Kreuz, und vielleicht redet der Kaiser mit
-ihnen, und vielleicht fangen sie den Franzosenkaiser und --
-
-»Die haben doch keinen!«
-
-»Doch, sie haben einen!«
-
-»Ha, ich weiß es doch!« Zimplichs Max sah sich kampfbereit um, und
-Heine Langbein höhnte: »Nä, so dumm, das niche zu wissen!« Die Buben
-fuhren sich in die Haare, und Frau Besenmüller sagte zu Frau Fries:
-»Wenn nur erst wieder Schule wäre, ’s wird Zeit!«
-
-Und just um die gleiche Stunde ungefähr wurde in L. ein Güterzug
-zusammengekoppelt. Die Wagen wurden hin- und hergeschoben, sie
-pufften aneinander, endlich standen sie in Reih und Glied. Wie sie so
-stillhielten, klang aus dem einen heraus ein jämmerliches Gebrüll.
-
-»Je, je, was ist denn das?« Der Schaffner trat erstaunt an den Wagen,
-riß die Türe auf, und heraus purzelten und schwankten bleich, verheult
-und zitternd Webers Arne und Jackenknöpfle.
-
-»Hopsassa, das sind ja die beiden Steinacher!« schrie der Mann. »Ja, wo
-kommt ihr denn her?«
-
-»Wir woll’n in ’n Krieg!« riefen beide etwas kläglich.
-
-»Na, das ist der nächste Weg, wenn ihr drei Tage hier auf dem Bahnhof
-sitzt. Wie seid ihr denn in den Wagen hineingekommen?«
-
-Tief seufzend erzählten die beiden ihre Schicksale. Sie hatten kein
-Geld gehabt, Fahrkarten zu lösen, und hatten sich heimlich auf den
-Bahnhof geschlichen. Hier hatten sie einen Wagen gesehen, an dem stand
-Straßburg, in den waren sie hineingekrochen. Kaum waren sie drin, hatte
-jemand den Wagen zugeschlossen, und die Fahrt war losgegangen. »Wir
-sind immerzu gefahren,« versicherte Arne. »Sind wir nun bald im Krieg?«
-fragte er bedrückt.
-
-»Im Krieg? Seid froh, daß der so ferne ist! In einer halben Stunde
-fährt der Zug nach Steinach, da seid ihr zum Vesperbrot daheim.« Der
-Bahnvorsteher, der dazugekommen war, lachte und erklärte den Buben, der
-Wagen sei zwischen L. und M. ein paarmal leer hin und her gefahren. Nun
-waren sie wieder in L.
-
-Die beiden senkten die Köpfe wie die begossenen Pudel. So nahe waren
-sie der Heimat, waren gar nicht nach Frankreich gelangt. Heimlich
-frohlockte in ihren Herzen ein Stimmlein: »Wie gut, wie gut!« Aber
-darauf mochten sie nicht hören, und verzweifelt heulten sie los: »Wir
-woll’n in den Krieg!«
-
-»Wohin wollt ihr Dreikäsehoch?« Eine feste, starke Stimme fragte das;
-ein hochgewachsener, älterer Offizier war herangetreten, und der
-Vorsteher klärte ihm den Fall auf. »In den Krieg zieht man nicht mit
-dem Schulranzen.« Der Offizier sagte es ernst, aber er lächelte dabei.
-»Kommt einmal mit, ich will euch etwas vom Krieg erzählen, bis euer Zug
-kommt.«
-
-Die Bahnbeamten machten dem Offizier ehrerbietig Platz. Man sah es
-ihm an, er war schon draußen gewesen in Kampf und Not. Ganz verwirrt,
-geblendet von der Tageshelle nach dem langen Aufenthalt in dem
-dämmrigen Wagen, folgten die Buben. Sie bekamen Brot und Saftwasser,
-aber so hungrig und durstig sie auch waren, denn die Vorräte aus der
-Mütter Speisekammer hatten für die lange Reise nicht gereicht, sie
-vergaßen doch Essen und Trinken vor dem, was sie hörten. Von dem
-Krieg erzählte der fremde Offizier, von dem schweren, harten Kampf,
-dem verzweifelten Ringen gegen anstürmende Übermacht. Im Osten hatte
-der Erzähler mitgekämpft, und er erzählte von verbrannten Dörfern,
-zerstörten Heimstätten, fliehenden Bewohnern, und er erzählte, wie
-unermüdlich deutsche Männer das Land verteidigten. Im Kugelregen, im
-nimmerruhenden Feuer hatten sie gestanden Stunden und Tage, und dann
-waren sie marschiert, Stunden um Stunden, Tage um Tage, hungernd,
-dürstend, aber sie hatten alle nur das eine gedacht: »Es ist fürs
-Vaterland.« Es hatte keiner geklagt, es war keiner verzagt, singend
-waren sie in den Tod gegangen. Und ob die Sonne glühend über ihnen
-brannte, ob sie durch Moor und Wasser waten mußten, ob der Regen sie
-durchnäßte, in Wunden und Schmerzen hatten sie nur an ihr Vaterland
-gedacht. Das war der Krieg, in den die Buben mit dem Schulranzen ziehen
-wollten.
-
-Die beiden Buben saßen still mit gesenkten Köpfen am Tisch. Der Fremde
-sagte nicht: Ihr seid recht dumme, unbedachte Jungen gewesen, was wollt
-ihr mit euren schwachen Kräften da draußen? Aber sie hörten beide doch
-in ihren Herzen diese Worte.
-
-»Nach Steinach, einsteigen,« rief der Schaffner ihnen zu.
-
-Der Offizier sprang auf und schob sie beide rasch dem Zuge zu. Sie
-wurden in einen Wagen gehoben, die Türe wurde zugeschlagen, der Zug
-setzte sich in Bewegung, und die beiden sahen noch eine Weile den
-fremden Offizier groß und stattlich in der Sonne stehen. Wie ein
-rechter Held stand er da. Da stöhnte Arne schwer und sagte scheu: »Am
-Ende war das Hindenburg.«
-
-Jackenknöpfle schnappte nach Luft vor Überraschung. »Hindenburg!«
-Weiter konnte er zuerst nichts sagen, und auch Arne flüsterte es nur
-nach: »Hindenburg!«
-
-Der Gedanke an dieses ungeheure Erlebnis linderte ihren Kummer über die
-verfehlte Reise, auch die Angst vor dem Empfang daheim war nicht groß.
-Vielleicht hatten sie wirklich Hindenburg gesehen, nun konnten sie doch
-etwas erzählen. Zuletzt wuchs ihre Ungeduld, und sie konnten es kaum
-erwarten, wieder in Steinach zu sein. Als der Zug hielt, hatten sie es
-sehr eilig, den Wagen zu verlassen. Sie wollten rasch die Apfelstraße
-entlang laufen und ins Dorf stürmen mit dem Ruf: »Wir haben Hindenburg
-gesehen!« Fein würde das werden, -- es kam aber anders. Auf dem
-Bahnsteig standen Arnes Eltern, Jackenknöpfles Mutter und der Pfarrer,
-denen liefen die beiden Ausreißer gerade in die Arme.
-
-Der Schreck darob fuhr ihnen in die Glieder, und es dauerte ein
-Weilchen, ehe sie reden konnten.
-
-Wo sie gewesen wären, wollten die Erwachsenen wissen. Die hatten nur
-die Nachricht von L. bekommen, die Buben wären gefunden. Da mußten sie
-erzählen von ihrer Fahrt hin und her im Güterwagen von L. nach M. und
-wieder von M. nach L.
-
-»’n ganzen Tag sind wir gefahren,« versicherte Arne.
-
-»Unsinn, drei Tage! Ihr habt wohl immer geschlafen?«
-
-Ja, das mochte wohl sein, geschlafen hatten sie viel, auf Stroh und
-Decken, die im Wagen gelegen hatten.
-
-Was sie gegessen hätten, wollten die Mütter wissen.
-
-Das war eine peinliche Frage, denn Mütter lieben es nie sehr, wenn
-Kinder sich in die Vorratskammer schleichen. Arne half sich, er schrie:
-»Wir haben Hindenburg gesehen!«
-
-»Prahlhans!« Schwapp hatte er einen tüchtigen Katzenkopf weg. Sein
-Vater sah ihn zürnend an. »Geflunkert wird nicht!«
-
-»Vielleicht war er’s doch,« stammelte Jackenknöpfle. Recht kleinlaut
-erzählte er das letzte Erlebnis. »Ihr Dösköppe,« brummte Bauer Weber,
-»ein Hindenburg hat was anderes zu tun als mit zwei Ausreißern zu
-reden.«
-
-Der Pfarrer nickte ernst. »Der reist nicht im Lande herum, im Osten
-hält er Wacht. Gott sei Dank, der uns solchen Wächter gab!«
-
-Da war es nun nichts mit dem Sturm in das Dorf hinein, und doch
-kamen sie mit Jubel an. Denn kaum waren sie wenige Schritte von dem
-Bahnhöfchen entfernt, als der Vorsteher ihnen eiligst nachgelaufen kam.
-»Sie haben Antwerpen, Herr Pfarrer, Antwerpen ist unser, eben wird’s
-gemeldet.«
-
-Antwerpen erobert! Da vergaßen die Männer die Strafrede, und die Mütter
-hatten sie ohnehin schon vergessen in der Freude, ihre unnützen Buben
-heil wiederzuhaben.
-
-Froh ging’s ins Dorf hinein. Nun konnten die Glocken rufen und die
-Fahnen wehen: »Sieg, Sieg, Sieg!«
-
-Arne und Jackenknöpfle marschierten einher, als wären sie wirklich
-draußen gewesen, als hätten sie geholfen Antwerpen erobern. Sie hoben
-stolz die Nasen, und ein Weilchen fühlten sie sich beinahe als Helden,
-weil alle sie anstaunten. Aber nur ein Weilchen hielt der Stolz an,
-dann kam die Vergeltung für begangene Missetaten. Einem Racheengel
-gleich schoß Frau Besenmüller aus der Türe mit dem Rufe: »Meine Strümpe
-her! Wo habt ihr meine Strümpe?«
-
-Die Buben wurden feuerrot, himmelgern hätten sie jetzt wieder im
-verschlossenen Güterwagen gesessen, es half aber nichts. Sie mußten
-ihre Ranzen öffnen, und da kamen wirklich die vermißten Strümpfe zum
-Vorschein. »Die waren doch für Soldaten, und weil wir doch Soldaten
-werden wollten, darum -- --«
-
-»Darum lirumlarum! Setzt euch auf den Schafskopf. Da paßt ihr hin,
-da habt ihr gleich den rechten Namen,« schrie Frau Besenmüller
-erbost. »Nä, so was, die scheenen Strümpe! Und gestimmt hat’s doch,
-hundertvierunddreißig. Ja, zählen, das kann ich. Aber Zeit wär’s, die
-Schule finge an, sonst kommen noch mehr Buben auf dumme Gedanken.«
-
-[Illustration]
-
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-
-[Illustration]
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-
-Dreizehntes Kapitel
-
-Advent in Sorgen
-
- Jemand kommt auf der Apfelstraße daher, und der alte
- Briefträger Klöppel sagt: »Morgen, morgen!« -- Weihnachtspakete
- werden gepackt, und diesmal erzählt Vater Hiller eine
- Geschichte, und die Mütter denken an ihre Söhne, Malchen aber
- stimmt die Wacht am Rhein an
-
-
-Ein paar Tage nach Arnes und Jackenknöpfles Heimkehr war es, da kam
-vom Bahnhof her ein alter Mann die Apfelstraße entlang. Er ging ganz
-langsam, blieb auch einmal stehen und sah sich um, und obgleich es
-ein trüber Tag war und der Nebel die Ferne verhüllte, schien dem
-alten Mann doch alles sonderlich gut zu gefallen. Kurz vor dem Dorfe
-bogen von einem Feldweg etliche Kinder auf die Apfelstraße ein. Sie
-hatten Kartoffeln gegraben und sahen wie richtige Erdmännlein aus. Der
-Fremde blieb stehen und ließ die Kinder herankommen; die musterten ihn
-neugierig, aber nur wenige Augenblicke stutzten sie, dann schrieen sie
-plötzlich alle wie aus einem Munde: »Herr Hiller, unser Herr Hiller!«
-
-Es war wirklich Vater Hiller und kein anderer, der da auf der
-Apfelstraße von Steinach stand und all die kleinen schmutzigen Hände
-herzlich in die seinen nahm. Die Kinder meinten, er sei zu Besuch
-gekommen, aber bald erfuhren sie es, Vater Hiller wollte wieder ihr
-Lehrer sein. Er wollte seinen jungen Nachfolger vertreten, bis der
-heimkam.
-
-»Vater Hiller ist wieder da!« Der Ruf lief durch Steinach wie eine
-Siegesnachricht, und wie bei einer solchen strömten die Leute aus den
-Häusern. Vater Hiller war da, ihr alter, guter Vater Hiller, den mußten
-sie doch sehen. Dem alten Mann streckten sich so viele Hände entgegen,
-so viele Leute kamen, ihm guten Tag zu sagen, daß er nur ganz langsam
-vorwärts kam. Frau Besenmüller im Schulhaus verging fast vor Ungeduld.
-»Keinen Empfang, nischte nich hat er gewollt, un nu is ’n Lärm im Dorfe
-wie beim Vogelschießen,« schalt sie. Die große Schulglocke hatte sie im
-Arm, denn damit wollte sie den alten Lehrer begrüßen. Tüchtig klingeln
-wollte sie, die Glocke sollte rufen: »Hurra, hurra!« Endlich näherte
-sich der Zug langsam dem Schulhaus, und nun hielt es Frau Besenmüller
-nicht mehr aus, sie wollte ihr Freudenklingeln beginnen, aber ihre
-Hände zitterten vor Aufregung, die Klingel entrutschte ihr und kollerte
-Vater Hiller vor die Füße.
-
-Der hob sie lächelnd auf. »Ei, die kann es wohl nicht erwarten?« sagte
-er heiter und schwenkte sacht die Klingel. Die tönte ein wenig, nur als
-wollte sie fein bescheiden »Willkommen!« sagen.
-
-So zog Vater Hiller ohne stürmisches Klingelgeläut in seinem lieben
-Schulhaus wieder ein, und am nächsten Morgen stand Frau Besenmüller
-wieder vor der Türe, wie schon viele Jahre, und die Glocke schrie: »Es
-ist Zeit, Zeit, die Schule fängt an! Fleißige und Faule herbei, herbei!«
-
-Die Kinder kamen gern, und als die so lange verschlossene Schulstube
-sich wieder auftat, da wurde es ihnen ganz heimatlich zumute. Auf
-einmal behaupteten sie alle miteinander, sie hätten die Ferien schon
-recht satt gehabt; aber auf die Weihnachtsferien freuten sie sich doch
-alle.
-
-Den Erwachsenen war es nicht weihnachtlich ums Herz in diesem Jahr.
-Die horchten alle hinaus, hin nach des Reiches Grenzen. Immer weiter
-tobte dort der Kampf. Der November kam mit grauen, trüben Tagen, da
-kehrte Trauer ins Pfarrhaus ein: der älteste Sohn war gefallen. Der
-alte Briefträger sagte, als er die Nachricht überbrachte: »Es ist eine
-schwere Zeit für unsereinen, man trägt so viele Sorgen aus.« Dabei
-sah er trüb nach dem Schulhaus hinüber. Da drinnen wartete Frau Fries
-seit zehn Tagen auf einen Brief des Sohnes. »Morgen kommt der Brief,«
-versicherte der alte Briefträger, »morgen sicher.«
-
-Am nächsten Tage -- gegen Mittag kam die Post erst ins Dorf -- rannte
-Fritze Schwetzer weit hinaus auf die Birnenstraße; von dorther kam der
-Bote, vielleicht brachte er heute den ersehnten Brief.
-
-Der Alte winkte schon von weitem abwehrend mit der Hand. »Gibt nichts,
-morgen, morgen -- vielleicht.«
-
-Schwetzers Fritze raste zurück. Vor dem Schulhaus stand schon Frau
-Fries, da tat es der Bube dem alten Briefträger nach, schüttelte auch
-mit dem Kopf: »Morgen, morgen sicher!« Aber er sagte »sicher« dazu.
-
-Und wieder wurde es Mittag, und wieder wartete Schwetzers Fritze weit
-draußen auf der Straße, und der alte Bote schüttelte wieder den Kopf.
-»Heute nicht, aber morgen -- vielleicht.«
-
-So ging es fort Tag um Tag. Einmal stand Fritze nicht mehr allein weit
-draußen, Pfarrers Regine stand neben ihm, die wollte auch wissen, ob
-Heinrich Fries nicht geschrieben hatte. Aber wieder schüttelte der
-Briefträger den Kopf. »Morgen -- vielleicht,« sagte er, wie schon so
-viele Tage, und dann seufzte er: »Eine schwere Zeit, schlimm, schlimm!«
-
-Tag um Tag verging so. Immer wieder lief Schwetzers Fritze hinaus, und
-Fräulein Regine ging mit ihm, und immer kehrten sie beide enttäuscht
-heim und sahen die alte Frau aus dem Schulhaus schon den Weg entlang
-kommen. »Kein Brief, keine Nachricht!«
-
-Dann endlich eine Karte von einem Kameraden. Heinrich Fries wurde
-vermißt. War er tot, war er gefangen? Man wußte es nicht.
-
-»Vermißt!« Es sah niemand in Steinach die alte Frau Lehrerin weinen,
-still tat sie ihre Arbeit, still half sie andern, aber wenn die Leute
-diese stille Frau durch die Gasse schreiten sahen, dann sagten sie
-zueinander: »Der bricht das Herz.«
-
-Im Pfarrhaus trauerten sie um den einen Sohn, aber die Pfarrersleute
-waren noch reich, und die junge Regine tat den Eltern alle Liebe an.
-Sie hatte aber auch immer noch Zeit, in das Schulhaus hinüber zu
-laufen, gerade wie Schwetzers Fritze, der halb im Schulhaus wohnte. Er
-machte seine Arbeiten an Frau Fries’ Tisch, er half Frau Besenmüller,
-und wenn seine alte Freundin durch das Dorf ging, da ging er mit, immer
-drei Schritte hinterher. Redselig war Fritze noch immer nicht, aber mit
-Frau Fries unterhielt er sich doch gut, da brauchte er nur drei statt
-zehn Worte zu sagen, gleich verstand sie ihn. Und wenn er einmal später
-kam, dann sah sie schon nach ihm aus, atmete tief und sagte wohl: »Gut,
-daß du da bist, Fritz!«
-
-Der erste Schnee sank auf Steinach nieder, und er blieb liegen und
-schmolz nicht gleich wie wohl in den großen Städten. Die Adventszeit
-brach an, und wenn die Kinder untereinander waren, dann redeten sie
-doch von Weihnachten, aber je näher das Fest kam, desto weniger wollten
-die Erwachsenen davon wissen. Und doch lud auch dieses Jahr Frau
-Fries die Kinder wieder zur Adventsfeier ein. Zu einem Arbeitsfest,
-sagte sie, alle sollten ihr helfen, Weihnachtsgrüße zu packen. Nach
-Ostpreußen sollten noch Pakete gehen, ins Elsaß und zu den Feldgrauen
-in die Schützengräben, in denen sie in Regen, Schnee, Sturm und Kälte
-hausten.
-
-Diesmal kamen die Kinder nicht allein, auch die Mütter kamen mit, und
-das große Schulzimmer war fast zu klein für alle Gäste. Besenmüller saß
-wieder im Winkel und strickte, jetzt aber einen grauen Strumpf, und die
-Bäuerinnen strickten auch. Die Kinder dachten alle, Besenmüller würde
-vielleicht eine Geschichte erzählen. Erst warteten sie still, dann
-fragten sie laut, doch Besenmüller schüttelte traurig den Kopf: »Nä,
-nä, ich weiß nur was von den alten Schelmen, und das paßt nicht für
-heute.«
-
-»Keine Geschichte?« klagten die Kinder.
-
-Frau Fries seufzte. Eine Geschichte erzählen, ja, das gehörte zu einer
-Adventsfeier, aber ihr Herz war ihr so schwer, es tropfte und rann
-unablässig darin, es weinte. Vater Hiller saß auch im Schulzimmer, und
-als die Kinder so um ihre Geschichte klagten, da nickte er Frau Fries
-zu und sagte: »Ich will euch heute eine Geschichte erzählen, eine
-selbsterlebte dazu. Besenmüller sagt, eine Schelmengeschichte paßt
-nicht in diese Zeit, aber eine aus dem Krieg von 1870/71, die kann es
-wohl sein.«
-
-»Vater Hiller war nämlich dabei,« flüsterten sich die Bäuerinnen zu,
-und die Kinder spitzten die Ohren; hoho, ihr alter Lehrer war auch im
-Krieg gewesen.
-
-Der begann: »Die großen Schlachten des Krieges waren schon geschlagen,
-ihr wißt: Gravelotte, Sedan, all die herrlichen Siege. Wir lagen vor
-Paris. Ein kalter Winter war’s, wir haben weidlich gefroren, und wir
-hatten viel auszustehen. In Frankreich kämpften auch jene gegen uns,
-die nicht Soldaten waren, Männer und Frauen. Heimlich, hinterlistig
-suchten sie uns zu verderben; es sind ihnen viele von uns zum Opfer
-gefallen.
-
-Im Quartier lag ich mit einem blutjungen Burschen zusammen. Heinrich
-will ich ihn nennen. Ein feiner, hübscher Junge war es, mit
-einem freien, hellen Blick. Dazu stimmte gar nicht sein stilles,
-verschlossenes Wesen. Es war leicht zu merken, er trug einen Kummer,
-der hatte ihn so ernst, fast finster gemacht. Durch einen Zufall erfuhr
-ich, was ihn quälte. Er war einer Witwe einziger Sohn, und er hatte
-sich das Hinausgehen ertrotzt. Von der Schule weg war er mitgegangen,
-nur kämpfen für das Vaterland, das war sein einziger Gedanke. Keine
-Mutterbitte hatte ihn gehalten.
-
-Seine Mutter war eine zarte Frau, die Sorge um ihr einziges Kind hatte
-sie aufgerieben. Sie war erkrankt, hatte es lange dem Sohn verborgen,
-bis der es durch Verwandte erfuhr. Da quälte ihn die Sorge so, daß er
-stumm und verschlossen darüber wurde. Immer wieder fragte er sich, ob
-er unrecht getan, daß er ging. Aber dem Vaterland zu dienen, war doch
-Pflicht und Ehre. Einen bitterschweren Kampf kämpfte der arme Junge in
-aller Stille durch.
-
-Es war um die Weihnachtszeit. Wir dachten viel an die Heimat,
-und manchmal, wenn wir so hinübersahen nach Paris, da sangen wir
-wohl halblaut die lieben deutschen Weihnachtslieder. Am dritten
-Adventssonntag war es, da mußte Heinrich Wache stehen. Er hatte vorher
-noch nachgefragt, ob ein Brief für ihn gekommen sei. Nein, es war
-keiner da. Ich sah es ihm an, wie groß seine Enttäuschung war, und als
-er fort war, fiel es mir ein, heute war sein Geburtstag. Einmal hatte
-er halb scherzend, halb traurig gesagt, er sei ein Adventskind.
-
-Am Geburtstag keinen Brief von der Mutter zu erhalten, von der Mutter,
-die krank war, ihm vielleicht zürnte, das mochte hart sein. An diesem
-Tag erhielten wir dann zufällig noch eine Postsendung, eine Anzahl
-Briefe, einer für Heinrich war auch dabei. Ich nahm ihn an mich und
-wollte ihn später abliefern, aber wunderlich, der Brief in meiner
-Tasche machte mich unruhig. Ich war frei, und so überlegte ich nicht
-lange, ich ging dahin, wo Heinrich die Wache hatte. Lesen konnte er den
-Brief dort nicht, so hell war der Abend nicht, aber er wußte doch, die
-Mutter hatte geschrieben, schon das mochte ihn freuen.
-
-Ich ging also den Weg, ging ganz allein und dachte an die Heimat. Würde
-ich nächstes Jahr Weihnachten wieder daheim sein? Ein leises Geräusch,
-wie ein huschen von Schritten, ließ mich aufsehen. Ich sah vor mir zwei
-dunkle Gestalten auftauchen und verschwinden -- Freischärler.
-
-Ich spannte mein Gewehr, schlich langsam vorsichtig weiter, leise, ganz
-leise, und dann plötzlich sah ich seitwärts jemand knien, eine Büchse
-zielend gespannt in der Richtung, wo Heinrich auf Wache stand. Ich habe
-nicht lange überlegen können, laut rief ich: »Wer da?«
-
-Ein Schuß von mir, einer von dort, noch einer, der Mann überschlug
-sich, aber er mußte noch nicht schwer verletzt sein, ich sah zwei
-fliehende Gestalten.
-
-Rasch vorwärts! Heinrich, war mein Gedanke. Er war unverletzt. Mein Ruf
-hatte ihn aufmerksam gemacht, er hatte noch Deckung suchen können, er
-hatte auch geschossen, wußte aber nicht, ob er jemand getroffen hatte.
-
-Die Schüsse waren von unsern Leuten gehört worden, Hilfe kam herbei.
-Wir durchsuchten die Gegend, fanden aber niemand. Die Wache wurde
-verstärkt, und die Nacht ging ruhig vorüber.
-
-Den Brief habe ich Heinrich gegeben, den Brief der Mutter, der ihm
-eigentlich das Leben gerettet hatte. Nur um des Briefes willen hatte
-ich ihn aufgesucht, und ohne mein Dazwischenkommen wäre der Anschlag
-sicher geglückt. Am nächsten Tage hat mir Heinrich den Brief gegeben,
-es war ein lieber, mutiger Brief, ein rechter, herzwarmer Mutterbrief.
-Die einsame Frau klagte nicht, mutig, tapfer schrieb sie dem Sohn.
-An seinem Geburtstag dankte sie ihm, daß er hinausgezogen war in den
-Kampf für das Vaterland. »Ich bin stolz auf dich, mein Junge,« schrieb
-sie ihm. »Und das ist so wundervoll, wenn eine Mutter dies an ihr Kind
-schreiben kann, schreiben darf: Ich bin stolz auf dich. Ich war schwach
-und kleinmütig, aber der Gedanke an meinen tapferen, pflichttreuen Sohn
-hat mich stark gemacht.«
-
-Heinrich ist heimgekehrt, seine Mutter hat auch sonst stolz auf ihn
-sein dürfen. Er lebt noch heute, das Vaterland nennt ihn einen seiner
-größten Gelehrten. Seine Mutter hat sich noch lange an ihm freuen
-können.«
-
-Der alte Lehrer schwieg. Die beiden Adventslichtchen auf dem dicken
-Kranz, der an roten Bändern von der Decke herabhing, flackerten, und
-ein Tannenzweiglein knisterte schwelend. Es war ganz still im Zimmer,
-feiertagsstill.
-
-Hinzpeters Malchen, die nicht singen konnte und doch so singlustig
-war, dachte, nun müsse man singen. Aber ein Weihnachtslied wollte ihr
-nicht aus der Kehle dringen, sie war viel zu kriegerisch gesinnt, und
-plötzlich tat sie ihren Mund auf und sang so falsch als möglich: Es
-braust ein Ruf wie Donnerhall ...
-
-»Falsch,« riefen ein paar. Aber die andern redeten nicht, sondern
-fielen richtig ein, übertönten Malchens falsche Töne, und der Gesang
-schallte hinaus in die Winterstille. Ein paar Mütter saßen mit
-gesenkten Häuptern, und jede dachte, vielleicht behütet auch meinen
-Sohn mein Denken und Gebet.
-
-Die Adventsfeier dehnte sich lange aus. So lustig war sie nicht wie vor
-einem Jahre, aber zuletzt gingen doch alle zufrieden heim. Sehr viele
-Pakete und Kisten waren gepackt worden, so viele fleißige Arbeit ruhte
-darin. Und doch sagte die alte Frau Lehrerin zu Pfarrers Regine: »Man
-muß noch mehr tun. Die Not ist groß!«
-
-Frau Weber, Arnes Mutter, war eine kluge, tätige Frau, die es auch
-verstand, über Steinachs Grenzen zu schauen. Sie hatte zudem Verwandte
-drinnen im Elsaß, und sie erzählte allerlei, wie es dort zuging.
-Befreien wollten die Franzosen das Land, so sagten sie, und hausten
-darin, daß es zum Erbarmen war.
-
-Pfarrers Regine hatte einen Brief mitgebracht, den eine Freundin der
-Mutter geschrieben hatte. Aus Ostpreußen kam er, darin wurde erzählt,
-wie die Russen gekommen waren über Nacht, und wie alles in Flammen
-aufgegangen war. Und von der Russennot kam das Gespräch wieder auf
-Held Hindenburg und auf andere Helden. Die Erwachsenen redeten, die
-Kinder hörten zu, die Weihnachtslieder wurden vergessen, und erst als
-spät alle auseinander gingen, rauschte noch einmal das alte, schöne
-Lied auf: »Wie soll ich dich empfangen und wie begegnen dir?«
-
-Und dann tat Frau Besenmüller die Haustür auf, und alle gingen heim.
-Am nächsten Tag erhielt Frau Fries die Nachricht, ihr Sohn sei
-schwerverwundet in französische Gefangenschaft geraten. Wo er sei, ob
-er noch lebe, wußte man nicht. Verwundet und gefangen!
-
-Die Frau preßte die Hände an ihr Herz, festhalten mußte sie es, stark
-und tapfer sein. Noch lebte vielleicht der Sohn, vielleicht kehrte er
-ihr doch zurück. Am gleichen Tage seufzte der alte Briefträger wieder:
-»So lange trag’ ich nun schon die Post herum, aber so schwer war’s noch
-nie, nä, noch nie.« Er hatte in ein Haus in Steinach die Nachricht
-gebracht, daß der Mann gefallen sei. Der Schmiede-Franz war es, eine
-junge Frau weinte sich fast die Augen aus, und Frau Fries ging zu ihr
-und stand ihr bei in ihrer Not.
-
-Und so kam Weihnachten heran, und es war still und feierlich. Es war
-kein Freudenfest, aber die Herzen taten sich viel, viel weiter als
-sonst auf, den Heiland zu empfangen.
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Vierzehntes Kapitel
-
-Silvias Tat für das Vaterland
-
- Warum Silvia Traugott keine Strümpfe strickt, und was sie
- alles tun will -- Malchen sieht beinahe wie ein Junge aus,
- die Öllampe zerbricht, Fräulein Regine kommt, und zwei werden
- wieder die allerbesten Freundinnen
-
-
-Unter den Kindern von Steinach gab es ein Mädchen, das redete nicht
-viel mehr als Schwetzers Fritze. Aber während sich der Bube manchmal
-ärgerte, daß ihm das Reden gar so schwer wurde, fühlte sich Silvia
-Traugott so wohl in ihrer schweigsamen Stille wie jemand, der viele
-Stunden seines Lebens in einem schönen, blumenreichen Garten verträumt.
-Silvia war das einzige Kind ihrer Eltern, sie hatte aber Vettern und
-Basen genug, denn in Steinach saßen auf vier Höfen Traugotts, die waren
-alle versippt miteinander. In den Krieg hatte Silvias Vater nicht
-mitziehen können, er hatte ein steifes Bein von einem Sturz vom Wagen
-her, aber trotzdem wurde bei den Traugotts nicht weniger vom Krieg
-gesprochen und nicht weniger daran gedacht als in andern Häusern.
-
-Immer saß Silvia still dabei. Sie fragte und sagte nichts, sie ging
-einher, als wäre kein Krieg auf der Welt. Ihre Mutter bekümmerte das
-manchmal, und sie mahnte oft: »Silvia, strick’ an deinem Strumpf, denk’
-an die Soldaten draußen!«
-
-Dann strickte die Kleine wohl rasch ein paar Nadeln, aber meist ließ
-sie die Arbeit bald wieder sinken und träumte vor sich hin. »Traumsuse«
-nannte ihr Vater sie, auch Fräulein Regine sagte manchmal so, auch die
-mahnte: »Silvia, dein Strumpf! Willst du gar nichts für die Soldaten
-tun?«
-
-Dann wurde Silvia feuerrot; sehr traurig machte sie so eine Frage,
-denn sie hatte den sehnsüchtigen Wunsch, viel, sehr viel für die
-Soldaten, für das Vaterland zu tun. Silvia hatte einmal von einem
-Mädchen gelesen, das in großer Kriegsnot erschienen und allen voran in
-die Schlacht gezogen sei, um ihr Volk zum Sieg zu führen. Daran mußte
-Silvia immer denken, und sie hätte himmelgern auch so etwas getan.
-Oder sie wäre gern mitten in die Schlacht hineingelaufen und hätte den
-Soldaten Wasser gebracht oder die Verwundeten gepflegt. Seit Krieg war,
-dachte Silvia nicht mehr an ihre Märchen wie früher, sie träumte nicht
-mehr mit offenen Augen von goldenen Schlössern, Königen, Prinzessinnen,
-von aller Lust und Pracht des Märchenlandes, sie dachte nur immer an
-den Krieg.
-
-Sie dachte, vielleicht kommen die Feinde einmal nach Steinach; ich
-merke es zuerst, dann rufe ich es im Dorfe aus, ganz laut, und in
-die Kirche renne ich und läute selbst die Glocke, und alle werden so
-gerettet.
-
-Die kleine Silvia wußte nicht viel von der Welt draußen, nicht, wie
-weit sich die Länder dehnen, sie dachte, im Kriege müßte es so zugehen
-wie in ihren Märchenbüchern: Puff, puff! und die Kriege waren gleich
-aus. Als dann Webers Arne und Jackenknöpfle ausgerissen waren, um
-geschwind in den Krieg hineinzulaufen, da klopfte ihr das Herz vor
-Sehnsucht. Sie wäre gern mitgezogen, und sie überlegte ganz ernsthaft,
-ob sie nicht nachrennen sollte. Sie lief auch die Birnenstraße entlang,
-denn Frau Besenmüller hatte gesagt, dorthin ginge es nach Frankreich.
-Wie sie aber so weit gelaufen war, daß sie Steinach nicht mehr sah,
-überfiel sie eine furchtbare Angst vor der weiten Fremde, und sie
-kehrte geschwind wieder um.
-
-Die Buben kamen zurück, und im Dorfe lachten sie über die verunglückte
-Reise in den Krieg. An diesem Tage gerade las Silvias Vater einen
-Brief aus dem Felde vor, darin stand: »Vier Tage sind wir bis hierher,
-bis an die russische Grenze gefahren!«
-
-Vier Tage! Der kleinen Silvia verging aller Mut, jemals in den Krieg zu
-kommen und draußen Heldentaten zu verrichten, und da Steinach wirklich
-inmitten des deutschen Vaterlandes lag, sagten alle: »Zu uns kommt nie
-der Krieg. Gott sei Dank!«
-
-»Man kann auch im Lande Kriegsarbeit tun,« sagten die großen Leute.
-Silvias Mutter meinte: »Strick’ fleißig, jeder Soldatenstrumpf hilft
-den Krieg gewinnen.«
-
-Das verstand Silvia nun ganz und gar nicht. Was hatten die dicken,
-grauen, häßlichen Strümpfe mit glänzenden Heldentaten, mit Sieg und
-Ruhm zu tun?
-
-Als daher die Weihnachtspakete gepackt wurden, lag von jedem Mädel, das
-in Steinach stricken konnte, eine Arbeit dabei, nur Silvia Traugotts
-Strümpfe waren nicht fertig. Alle sagten, das sei eine Schande. Silvia
-schämte sich auch sehr, aber trotzdem träumte sie weiter von großen
-Taten, wenn sie stricken sollte, und vergaß darüber ihre Arbeit.
-
-Die Kinder redeten viel davon, daß ihr junger Lehrer Heinrich Fries
-gefangen sei. Silvia weinte heiße Tränen um ihn. Sie meinte, er säße
-nun in einem finstern, dunklen Turm und müßte hungern. Wenn es nur
-nicht so weit gewesen wäre, und wenn sie nur den Weg gewußt hätte,
-sie wäre gleich zu ihm gewandert, hätte ihm Essen gebracht und ihn
-vielleicht auch befreit. Ja, wären nur die vielen dummen Wenn und Aber
-nicht gewesen, diese bösen Wörter, die sich stets so höhnisch in die
-allerschönsten Pläne hineinschieben! Immer, wenn Silvia sich etwas
-recht schön ausgedacht hatte, kam so ein Wort, nahm den Plan und riß
-ihn mitten durch, -- ritsch, ratsch, nichts war es damit.
-
-Weihnachten kam, und Weihnachten verging. Die laute Freude schwieg, und
-viele, viele Tränen flossen an dem sonst so frohen Fest. Gabentische,
-die fast brachen unter der Fülle, kannte man auch in guten Jahren in
-Steinach nicht, aber in diesem Jahr lagen in den meisten Häusern nur
-wenige Geschenke unter dem Baum. Silvia bekam eine neue Schürze und ein
-Buch, das hatte eine Base aus der Stadt geschickt. In dem Buch stand,
-wie es vor hundert Jahren in Deutschland gewesen war, als jahrelanger
-Krieg das blühende Land verwüstet hatte. Was Silvia da las, verwirrte
-ihren kleinen Kopf ganz und gar. Da stand von einem Mädchen, das als
-Soldat mit in den Krieg gezogen war, eine andere hatte sich ihre
-langen Haare abgeschnitten als Opfer für das Vaterland. Warum sie es
-getan, verstand Silvia zwar nicht recht, aber schön fand sie es, und
-sie träumte nun wieder davon, es dem schönen, blonden Edelfräulein von
-einst nachzutun. Es mußte doch etwas sehr Schönes, Großes sein, sich
-die Haare abzuschneiden, wenn es nach hundert Jahren noch in einem
-Buche erzählt wurde.
-
-Silvia dachte an die abgeschnittenen Zöpfe und nicht an ihren Strumpf,
-und als sie nach den Feiertagen zum erstenmal in die Strickstube ging,
-wie es Fräulein Regine nannte, da war der Strumpf noch immer nur ein
-unförmliches Ding. Die Strickstube tagte jetzt immer im Schulhaus,
-Frau Fries half dabei, und Besenmüller war Ehrengast. »Der sitzt da
-als Vorbild,« sagte seine Frau, »denn mein Besenmüller ist in der
-Strickerei, was Hindenburg for die Soldaten ist.«
-
-An diesem ersten Nachmittag las Frau Fries ein paar Briefe vor, die den
-weiten Weg von Frankreich und Rußland bis nach Steinach gereist waren,
-um den kleinen Mädeln von Steinach Dank für alle gestrickten Sachen zu
-sagen. Für alle war der Dank, nur für das Traumsuschen Silvia Traugott
-nicht. Ein Soldat schrieb, er hätte tagelang halb im Wasser gestanden,
-hätte keine trockenen Strümpfe, gar nichts mehr gehabt, da wäre das
-Paket von Steinach gekommen, und er hätte weinen müssen vor Freude über
-alle die schönen Weihnachtsgaben. Frau Fries tat das Herz weh, als sie
-es las, so wie jener hätte sich ihr Sohn wohl auch gefreut, aber ihr
-Sohn war gefangen, noch hatte kein Gruß ihn erreicht. Sie wußte nicht
-einmal, ob er noch lebte, ob er nicht schon einsam und verlassen im
-Feindesland gestorben war.
-
-Die Mädel hörten alle nicht, wie das Mutterherz weinte, sie waren alle
-glückselig über die Briefe. Nun hatten sie doch etwas getan, hatten für
-das Vaterland gearbeitet. Sie alle, alle, nur eine nicht, Silvia nicht.
-
-Die saß wie erstarrt. So war es, wie der Soldat schrieb, im Wasser
-standen sie, nicht trocken wurden sie, und sie freuten sich, wenn sie
-Strümpfe bekamen, sie dankten dafür, als wären es die allerköstlichsten
-Dinge.
-
-»Ich glaube,« las nun Pfarrers Regine aus einem andern Briefe vor,
-»in Steinach gibt es nur fleißige Mädchen. Wenn ich heimkomme aus dem
-Krieg, dann komme ich auch nach Steinach und bedanke mich bei allen.«
-
-»Bei dir nicht,« durchfuhr es Silvia, und ihr Kopf sank ganz tief auf
-den Strumpf herab. O die Schande! Sich verkriechen hätte sie mögen vor
-Scham.
-
-»Ich hab’ beinahe wieder ’n Paar fertig,« schwätzte neben ihr Malchen
-Hinzpeter. »Fein, was?«
-
-Silvia gab keine Antwort, Tränlein um Tränlein rann auf das graue
-Wollgespinst nieder. Ihre Hände zitterten, und auf einmal bekamen die
-Nadeln die ungeschickten Hände satt, sie rissen aus, eine, dann noch
-eine, die dritte hielt Malchen auf. Die sah das Unheil und sah Silvias
-Schmerz, und hilfsbereit sagte sie schnell: »Ich helfe dir.«
-
-Silvia hörte das kaum. In ihr stürmte es. Nichts, nichts hatte sie für
-das Vaterland getan, gar nichts, und doch hatte sie so viel tun wollen.
-Immer heftiger rannen ihre Tränen, und Malchen tröstete: »Die fang’ ich
-schon, wein’ doch nicht!«
-
-Aber Silvia dachte gar nicht an die entwischten Nadeln. Das Herz
-brannte ihr. Oh, nur etwas tun können für das Vaterland, nur zeigen
-dürfen, wie gut ihr Wille war! Ganz jäh kamen ihr die abgeschnittenen
-Zöpfe des blonden Edelfräuleins in den Sinn. Ihre waren zwar dunkel
-wie die von Malchen, aber das schadete gewiß nichts. Zopf ist Zopf.
-Ihre Nachbarin hatte eine Schere vor sich liegen, die sah sie, obgleich
-ihr die Tränen fast den Blick verdunkelten. Ach, ein Zopf ist schnell
-abgeschnitten! Eins, zwei, drei, ritsch! nur flink gleich alle beide.
-
-»Au!« kreischte Malchen neben ihr auf, »huhuhu, mein Zopf, mein Zopf!
-Silvia hat mei -- --,« weiter kam Malchen nicht, sie brach in ein
-wildes Jammergeheul aus.
-
-Es war, als wäre ein Wirbelsturm in die Strickstube gefahren. Zuerst
-wußte im wilden Hinundher niemand, was geschehen war. Malchen schrie
-vor Schreck und Empörung immer lauter, ihre Nachbarinnen zeterten:
-»Der Zopf, der Zopf!« Nur Silvia stand leichenblaß, stumm inmitten des
-Wirrwarrs, zwei Zöpfe hielt sie in der Hand, der eine war braun, der
-andere schwarz, aber rote Schleifen hatten sie beide.
-
-»Traugotts Silvia hat Hinzpeters Malchen einen Zopf abgeschnitten, sich
-selbst aber auch einen.« So nach und nach erst bekamen Frau Fries und
-Fräulein Regine heraus, daß dies geschehen war. »Warum? Silvia, warum
-hast du das getan?«
-
-Silvia gab keine Antwort. Sie konnte nicht, sie tat ein paarmal die
-blassen Lippen auseinander, aber kein Laut kam hervor. Frau Fries sah
-es, die Kleine konnte nicht sprechen, sie nahm sie sacht bei der Hand
-und führte sie zu sich hinauf. Vielleicht erschloß sich ihr allein das
-scheue Herz. Aber Silvia brach oben nur in ein verzweifeltes Weinen
-aus, sie weinte und weinte und hörte auch nicht auf, als ihre Mutter
-kam.
-
-Unten hatte sich Hinzpeters Malchen viel schneller über den verlorenen
-Zopf getröstet. Sie lachte schon wieder, als Silvia oben vor Leid
-noch fast verging. Zimplichs Lenchen hatte nämlich mitten in das
-Jammergeheul hineingerufen: »Jetzt biste beinahe wie ’n Junge.«
-
-Dies Wort trocknete wie der Wind Malchens Tränen. Wie ein Junge
-herumgehen dürfen, kurzgeschnitten, ohne Zöpfe, von denen man doch
-immer die Bänder verlor, das war noch eine Sache. Am liebsten hätte
-sie nun geschwind gleich den zweiten Zopf abgeschnitten, doch das
-litt Fräulein Regine nicht. Die schloß für heute die Strickstube und
-erklärte, sie selbst wolle Malchen heimbringen. Das wollten aber alle
-andern auch, und so wurde Hinzpeters Malchen wie eine Prinzessin
-heimgeleitet. Fräulein Regine trug selbst den abgeschnittenen Zopf und
-erzählte Frau Hinzpeter auch die merkwürdige Geschichte, und Malchen
-kam sich ungeheuer wichtig vor. Die Mutter sah nicht gerade erfreut
-aus, sie verwunderte sich sehr über Silvias Untat, aber sie war keine
-Frau, die viel unnütze Worte machte. »Meinetwegen mag auch der zweite
-Zopf herunter,« sagte sie, »so halbseitig kannste niche rumlaufen.« Und
-ritsch, ratsch schnitt sie den zweiten Zopf ab, und Malchen jauchzte
-laut, als wäre ihr das größte Glück widerfahren. --
-
-Inzwischen war auch Silvia heimgekehrt unter dem Schutz der Mutter. Die
-hatte das weinende, zitternde Kind zu Bett gebracht und hatte neben ihr
-gesessen, bis sie meinte, es schlief.
-
-Aber Silvia schlief nicht. Die lag wach im allergrößten Herzeleid.
-Sie wußte kaum, worüber sie trauriger war, über den Zopf, den sie der
-Kameradin abgeschnitten hatte, oder über ihre Faulheit. Plötzlich fiel
-es ihr ein, wenn sie nun strickte, immerzu strickte, Tag und Nacht,
-dann wurden doch die Strümpfe fertig. Sie stand auf und tastete sich
-vorsichtig hinaus; sie wußte, wo Zündhölzer lagen und ein Öllämpchen
-stand, das holte sie sich, nahm ihr Strickzeug und begann zu stricken,
-Nadel um Nadel. Und auf einmal war der Strumpf fertig und gleich wieder
-einer und immer mehr und mehr, die türmten sich auf, ein Berg wurde es,
-ein hoher, hoher Berg, und oben saß Malchen Hinzpeter und schwang ihren
-Zopf; sie schlug damit auf die Strümpfe, und merkwürdig, das klirrte
-und klang, und Silvia schrie laut vor Schreck.
-
-»Aber Silvia, um Gottes willen, was ist das?« Silvias Mutter war von
-einem Klirren aufgewacht und hinübergelaufen in ihres Mädels Kammer.
-Da lag das Laternchen zerbrochen am Boden; glücklicherweise war es
-ausgegangen, und Silvia lag auf dem Bett, ihren Strickstrumpf fest
-umklammernd. Sie war eiskalt, und danach wurde sie glühend heiß. Sie
-hatte heftiges Fieber, und in dem Fiebertraum klagte sie immer, sie
-wolle etwas für das Vaterland tun. Ein paar Tage war Silvia krank, und
-in dieser Zeit erschloß sich ihr Herzlein der Mutter, von ihrem Willen
-redete sie, viel, ja ungeheure Taten für das Vaterland zu vollbringen.
-
-»Lieber Himmel,« sagte Frau Traugott, »was kann so ein Dreikäsehoch in
-dieser furchtbaren Zeit tun!« Sie redete lind und gut zu ihrem Kind,
-und dann lief sie zu Pfarrers und holte Fräulein Regine herbei. Die
-kam auch, und sie wußte Silvia gut zu raten und zu helfen, sie hatte
-ja selbst anfangs gemeint, die stille Arbeit daheim in Steinach sei zu
-klein, zu unbedeutend.
-
-»Ich will stricken,« sagte Silvia demütig und sah sich wieder nach
-ihrem grauen Strumpf um.
-
-»Erst gesund werden,« riet Fräulein Regine, »dann kommst du wieder in
-die Strickstube.«
-
-Silvia seufzte bang. In der Strickstube war Malchen, da waren alle
-andern, die würden böse sein, würden spotten und lachen -- wie schwer
-würde das sein!
-
-Aber es wurde gar nicht schwer, denn Malchen Hinzpeter hatte ein gutes
-kleines Herz, und als sie von Fräulein Regine hörte, Silvia sei
-krank, da kam sie geschwind angelaufen. Sie versöhnten sich beide und
-waren Freundinnen wie zuvor nach Besenmüllers Wort, der immer sagte:
-»Beim Dummtun und Bösesein kommt nischte nich heraus.« Immer wieder
-versicherte auch Malchen: »Fein is das ohne Zöpfe!«
-
-Freilich, bei Silvias erstem Schulgang wollten die Buben spotten über
-die zopflosen Mädel, aber da kamen sie bei Malchen schlecht an. Der ihr
-flinkes Zünglein gab jedes Wort doppelt zurück, und zuletzt rief sie
-stolz: »Und die Zöpfe wer’n verkauft, un für das Geld gibt’s Wolle, und
-da stricken wir Strümpfe davon!« Sie sah die Necklustigen strafend an.
-»Könnt ihr so was?«
-
-Nein, Zöpfe konnten sie sich nicht abschneiden, und Strümpfe konnten
-sie auch nicht stricken; trotz Besenmüllers Vorbild.
-
-»Aber wir gehen selbst in ’n Krieg,« schrie Zimplichs Max.
-
-»Ja, und ihr schlaft bei Tage in der Eisenbahn, un denn seid ihr wieder
-da!« Da behielt Malchen das letzte Wort, und Silvia sah bewundernd
-zu der mutigen Freundin auf. Wie die wollte sie werden, und fortan
-strickte sie auch Strümpfe wie die andern Mädel von Steinach, dicke,
-graue Soldatenstrümpfe.
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Fünfzehntes Kapitel
-
-Die Krone
-
- Der alte Briefträger kommt nicht, und Fritze geht ihn suchen
- -- Das Wort von der Krone, und wie selbst Klöße mit Speck und
- Backbirnen nicht locken -- Fritze kehrt von Ringelheim zurück,
- und Frau Fries denkt: Der wird noch einmal ein rechter Mann
-
-
-An einem Februartag stand Schwetzers Fritze wieder auf der Birnenstraße
-und wartete wie schon so oft auf den Briefträger. Die Sonne schien
-hell, und ein sanfter Wind wehte, wie Frühling war es, aber darauf
-achtete Fritze gar nicht. Er dachte nur an den Brief, der immer und
-immer nicht kam. Seit Frau Fries die Nachricht erhalten hatte, ihr
-Sohn wäre schwerverwundet in die Hände der Franzosen gefallen, hatte
-sie nichts wieder von ihm gehört. Jeden Tag lief Fritz dem Briefträger
-entgegen, und jeden Tag stand Frau Fries am Schulhaus und sah den Buben
-mit leeren Händen kommen. Sie hatte nach Genf geschrieben, dahin und
-dorthin, aber noch nichts über den Sohn erfahren. Lebte er noch? Hatten
-ihn die Franzosen auch nach Afrika geschafft wie so viele andere?
-
-»Er kommt nicht wieder, er ist tot,« sagte die Mutter sich oft in den
-langen, langen Nächten, wo alles ruhte in dunkler Stille und nur die
-Sorgen wach waren.
-
-»Er kommt nicht wieder, er ist tot,« sprachen auch die Leute von
-Steinach untereinander. Nur Pfarrers Regine und Fritze Schwetzer
-sagten: »Er kommt wieder!« Und dieser beiden unverzagte Hoffnung
-richtete Frau Fries immer wieder auf. Dann läutete auch in ihrem Herzen
-das Hoffnungsglöcklein: »Er kommt wieder, er lebt!« --
-
-Wo nur der Briefträger blieb? Fritze spähte scharf in die Ferne. Einsam
-lag die Straße, niemand kam. Der Bube stapfte weiter. Es war zwar
-Mittagszeit, aber das bekümmerte ihn nicht, seine Mutter hatte ohnehin
-gesagt: »Wenn’s um den Brief für die alte Frau Lehrerin ist, nu, da mag
-das Spätkommen schon sein.«
-
-Fritze dachte nicht einmal daran, daß es heute eines seiner
-Leibgerichte gab: Klöße mit Speck und Backbirnen, er hatte nur den
-einen Gedanken, vielleicht kam heute, gerade heute der Brief. Aber
-soviel er auch lugte, der Briefträger kam nicht.
-
-Im Dorf schlug die Uhr. Ein Uhr schon! Das Mittagessen war vorbei,
-und fast eine Stunde wartete er schon. War der alte Bote so lange im
-nächsten Dorf geblieben? Fritzes Magen knurrte, aber der Bube trabte
-weiter. Wiesen, das Nachbardorf, lag noch eine halbe Stunde entfernt,
-vielleicht war der Briefträger dort, und er fand ihn, und wenn der
-Brief da war, dann wollte er zurück mit dem Wind rennen.
-
-Fritz rannte. Er sah nicht rechts, nicht links, und beinahe überhörte
-er die schwache Stimme, die seinen Namen rief: »Schwetzers Fritze, Gott
-sei Dank, lauf doch niche fort!«
-
-Verdutzt sah sich Fritz um. Da unter einem Baum kauerte der alte
-Briefträger, er hatte den Kopf an den rauhen Stamm gelegt, und selbst
-Fritz sah es, der alte Mann war krank. Mit einem Satz war der Bube
-neben ihm, sein Mund schwieg, aber seine Augen fragten, und der Kranke
-verstand diese stumme Frage. »Ich komm niche mehr weiter, aber der
-Brief ist da.«
-
-»Der Brief!« jauchzte Fritz und vergaß darüber des alten Mannes Not.
-Der lächelte matt. »Ja, er is da, und eures Herrn Lehrers Name steht
-darauf, also er lebt. Und siehste, das hätt’ ich nu zu gern der alten
-Mutter gebracht. Nä, nu is das niche!«
-
-Er seufzte tief und versuchte seine Tasche zu öffnen, aber die Hand
-sank ihm matt zurück. »Fritze«, stöhnte er, »jetzt gibste mir deine
-Hand, daß du alles tust, wie ich’s sage, nimm deinen Verstand zusammen!«
-
-[Illustration: Die Schelme von Steinach. Seite 229.]
-
-Fritze legte seine Hand in die des alten Boten, kraftlos war die und
-kühl, und nur mühsam redete der: »In Steinach gibste alles ab, was
-dahin gehört, un dann läufste nach Ringelheim, denn da warten auch ’n
-paar Frauen so arg auf Briefe, un grade heut’ sin se da. Verlier aber
-nischte! In Ringelheim gibste alles dem Küster, der macht’s schon, un
-denn kommste nach Steinach zurück -- -- un vielleicht bin ich dann da.«
-Er nestelte mühsam seine Tasche ab. Fritze wollte sie nehmen, aber der
-Alte hielt sie fest. »Niche so schnell! So ’ne Tasche is was Heiliges.
-Weißte, wenn dir ’n König seine Krone geben möcht’ und sagt: »Heb se
-auf!« das is justament so, als ob ich dir meine Tasche geb. Verstehste
-mich?«
-
-Fritz nickte. Es war ihm seltsam feierlich zumute. Auf einmal, er wußte
-nicht, wie es ihm in den Sinn kam, dachte er, der alte Briefträger
-Klöppel ist auch wie ein Soldat auf dem Schlachtfeld.
-
-»Fritze,« mahnte der Alte noch, »hörste, du mußt aber auch reden, in
-Steinach sagen, wie’s is mit mir, un in Ringelheim auch. Und rennen
-darfste niche, auch jetzt niche, ’s könnt was aus der Tasche fallen,
-aber dich auch niche aufhalten, ja niche! Versprichste mir das?«
-
-»Ja,« sagte Fritz und sah dem Alten fest in die Augen.
-
-»Un reden mußte, Fritze, alles sagen.«
-
-»Ja.« Fritz seufzte, das war schwer, aber es mußte sein. Er griff
-wieder nach der Tasche, und wieder hielt sie der alte Briefträger
-fest. »Wie ’n König seine Krone, justament so is das.« Er strich fast
-zärtlich über das abgeschabte Leder. »’s ist mir schwer geworden jetzt
-das Tragen. Ja ja, schwer. Aber weißte, Fritze, ’s war auch fürs
-Vaterland. Weil die Jungen fort sind, müssen’s die Alten tun. Ja ja! Un
-wenn du jetzt gehst, Fritze, denk’ dran, ’s ist auch fürs Vaterland.
-Niche rennen, un dann reden -- -- meine Krone trägste, Fritze, meine
-Krone, merk’ dir’s.«
-
-»Ja,« sagte Fritze wieder, und seine Stimme tönte wie eine Glocke.
-Da gab ihm der Alte die Tasche. »Um mich brauch’ keiner sorgen, das
-is ganz scheene so in der lieben Gottessonne« -- -- er sprach nicht
-weiter, er nickte nur dem Buben noch einmal zu.
-
-Der trabte von dannen. Er schritt rüstig aus, aber er rannte nicht, er
-rannte auch nicht, als er von weitem Frau Fries kommen sah. Es zuckte
-ihm freilich in den Füßen, er wäre ihr am liebsten entgegengestürmt,
-hätte ihr den Brief hingehalten, aber sein Versprechen zwang ihn, und
-er ging nicht einen Schritt rascher.
-
-»Fritze,« rief Frau Fries ihm entgegen, »wo bleibst du? Wo ist der alte
-Klöppel?«
-
-»Der Brief!« Fritz hielt ihn hoch empor, und da endlich konnte er ihn
-in die Hände der Mutter legen. Die faßte nach ihrem Herzen, das tat
-laute Freudenschläge, der Brief kam von ihrem Sohn -- er lebte.
-
-Sie konnte kaum mit ihren bebenden Fingern den Umschlag öffnen, und ein
-paar Augenblicke tanzten ihr die Worte vor den Augen, alles flimmerte
-und flirrte. »Er lebt, er lebt! Du gütiger Gott, mein Sohn lebt!«
-
-Nur einen Augenblick blieb Fritz stehen, einen sehnsüchtigen Blick
-warf er auf den Brief. Was mochte darin stehen? Doch sein Versprechen
-zwang ihn vorwärts, und sein Versprechen zwang ihn zu reden, er sagte:
-»Klöppel ist krank, ich muß die Briefe austragen und nach Ringelheim
-gehen.«
-
-Zum erstenmal achtete Frau Fries nicht auf das, was Fritze Schwetzer
-sagte, und der ging still weiter und ließ die Mutter mit dem
-Sohnesbrief allein.
-
-Vor dem Schulhaus stand Besenmüller, und auf den trat Fritze zu und
-erzählte das Geschehene. Er sparte Worte, aber er sagte alles. »Lieber
-Himmel,« rief Besenmüller, »der alte Klöppel liegt auf der Straße, den
-müssen wir reinholen.«
-
-Vater Hiller kam dazu, und noch einmal erstattete Fritze Bericht. »Ich
-muß nu weiter,« sagte er, »ich muß noch nach Ringelheim.«
-
-»Es mag jemand hinfahren,« meinte Vater Hiller, aber Fritze entgegnete
-ernsthaft: »Nä, ich hab’s versprochen, die Tasche niemand zu geben.«
-
-Der alte Lehrer spürte aus des Jungen kargen Worten die große Bürde
-heraus, die auf dessen Schultern lag, er sah aber auch, da war Wille
-und Kraft, die übernommene Aufgabe zu vollenden, und er sagte ruhig:
-»So geh! Wir wollen rasch dafür sorgen, daß Klöppel ins Dorf gebracht
-wird.«
-
-Schwetzers Fritze ging weiter, von Haus zu Haus. Überall mußte er
-sagen, was geschehen war, und immer sagte er gleich dazu: »Ich muß
-aber gehen.« Ins Pfarrhaus kam er, da rief er aber schon von weitem:
-»Fräulein Regine, der Brief ist da, der Herr Lehrer hat selbst
-geschrieben.«
-
-»Er lebt!« jubelte Fräulein Regine, und dann lief sie fort, lief nach
-dem Schulhaus hin und hörte nicht einmal darauf, was ihr Freund Fritz
-noch zu sagen hatte. Fritze ärgerte sich nicht darum, er fand es
-selbstverständlich, und dann -- er mußte ja auch weiter, die Briefe
-austragen und nach Ringelheim wandern.
-
-Er kam auch in sein Elternhaus, und seine Mutter eilte ihm ängstlich
-entgegen. »Fritze, wo bleibst du?«
-
-Der Bube gab Antwort, auch hier so knapp und kurz wie überall. Doch
-seine Mutter war nicht damit zufrieden, die meinte: »Erst mußte zu
-Mittag essen, und die Briefe, die kann unsere Emma nach Ringelheim
-tragen.«
-
-»Nä,« sagte Fritze, »ich hab’s versprochen.«
-
-»Aber essen mußte, dein Mittag steht warm.«
-
-Klöße mit Speck und Birnen dazu. Bei dem Gedanken daran spürte
-Fritze, wie leer sein Magen war, ganz leer, das Wasser lief ihm im
-Munde zusammen, er sagte aber fest: »Nä, kann nich essen. Ich hab’s
-versprochen, die Tasche kriegt niemand.«
-
-Die Mutter wollte widersprechen, aber als sie so in das entschlossene
-kleine Bubengesicht sah, fühlte sie es, sie durfte ihn nicht hindern,
-sein Wort zu halten. »Dann geh nur,« sagte sie, »trag’ die Briefe
-weiter.«
-
-Fritz tat einen Seufzer, nickte der Mutter zu und ging von Haus zu
-Haus. Als er ans Dorfende kam, wo die Pflaumenstraße nach Ringelheim
-abbog, stand seine Mutter dort, die steckte ihm einen Apfel in die
-Tasche und gab ihm eine tüchtige Schnitte in die Hand. »Wirst doch
-hungrig sein.«
-
-»Danke,« sagte Fritze nur und stapfte weiter, Schritt um Schritt,
-nicht zu schnell, nicht zu langsam. Einmal war’s ihm, als müßte er
-sich umsehen, und als er rasch im Weitergehen rückwärts schaute, stand
-seine Mutter noch am Wege und sah ihm nach. Das tat ihm gut, wie ein
-zärtliches Wort der Mutter empfand er das stille Nachschauen.
-
-Er mußte immer daran denken, was der alte Briefträger von der Krone
-gesagt hatte. War’s so? Die Krone war die Arbeit, die einer tat, sein
-Amt?
-
-Der Wind hatte sich gedreht, er blies jetzt scharf von Osten her, er
-brachte auch graue Wolken mit, die die glänzende Sonne überschatteten.
-Einzelne Flocken fielen, dann kam Regen, der wurde heftiger und schlug
-dem Buben ordentlich boshaft in das Gesicht. Den bekümmerte das nicht
-viel. Er knöpfte nur seine Jacke auf und schob, so gut es ging, die
-dicke, schwarze Tasche darunter. So erreichte er Ringelheim, und im
-Küsterhaus sagte er seine Botschaft. Der Küster war zur Hilfe bereit,
-die Post wurde ausgetragen, und Fritze konnte wieder heimwärts wandern.
-
-In Steinach sagte es ihm eine Frau beim ersten Haus im Dorf: »Der alte
-Klöppel liegt in der Schule, ach, er wird vielleicht schon tot sein.«
-
-Fritze erschrak. Wenn der Briefträger tot war, dann konnte er doch
-nicht mehr sehen, daß er die Tasche zurückbrachte, und unwillkürlich
-begann er zu rennen. Aber gleich fiel ihm des Alten Mahnung ein; in der
-Tasche waren noch allerlei Postsachen, die konnten verlorengehen, und
-gleich ging er langsamer. Er kam auch noch zur rechten Zeit, er konnte
-noch dem alten Briefträger die schwarze Tasche übergeben, und der gab
-ihm die Hand und murmelte leise: »Haste alles besorgt?«
-
-Fritz holte tief Atem und gab Bericht. Und dann, als er fertig war,
-rief er mit einer ihm fremden Raschheit: »Hat jeder so ’ne Krone,
-Klöppel? Wie ist das denn?«
-
-»Das ist jedem seine Arbeit, sein Amt, das, wofür einer lebt -- und
-stirbt.« Die letzten Worte klangen ganz matt, der alte Mann seufzte,
-nicht schwer, sondern wie einer, der sich einer getanen Arbeit freut.
-Er legte den Kopf zur Seite, faltete die Hände über der schwarzen
-Tasche und schloß die Augen.
-
-»Er will schlafen,« sagte Vater Hiller, der am Lager saß, »er ist müde
-vom Leben. Geh du nun heim, Fritz.«
-
-Der Bube ging nach der Tür, er trat so leise auf, so leise er konnte,
-aber er ging nicht die Treppe hinab, sondern den Gang bis zu dem
-Zimmer, in dem Frau Fries wohnte. Dort bekam er nun wirklich den Brief
-seines Lehrers zu hören. Viel stand nicht darin, denn viel durften
-die Gefangenen nicht schreiben. Heinrich Fries schrieb, es ginge ihm
-leidlich gut, er sei lange, lange krank gewesen, nun wäre er aber
-wieder ziemlich gesund. Daß er schon oft geschrieben hatte, teilte er
-mit. Von der Heimat schrieb er, vom Wiedersehen; ganz froh klang alles,
-und Fritze Schwetzer sah strahlend drein, ihm schien es, als sei nun
-alle Sorge gelöst. Und weil er an diesem Tage nun schon so viel geredet
-hatte, erzählte er auch seiner alten Freundin seine Erlebnisse. Auch
-das Wort von der Krone sagte er, nur scheu, undeutlich, aber Frau Fries
-verstand ihn doch. Sie beugte sich plötzlich über ihn und sagte mit
-einer seltsam schweren Stimme: »Unser Vaterland ist auch eine Krone,
-für die wir leben und sterben -- und leiden müssen.«
-
-Der Bube saß ganz still, er ahnte nicht, daß die Mutter Leiden,
-schweres Leiden aus dem Sohnesbrief herausgelesen hatte. Aber er
-fühlte, da war etwas nicht so wunderherrlich, wie er es sich gedacht
-hatte. Er wußte aber nichts zu sagen, und er sah die alte Frau
-Lehrerin nur treuherzig an. »Nu muß ich gehn,« brummte er endlich. Und
-nach einer Pause fügte er hinzu: »Ich komm’ noch mal wieder.«
-
-»Heute nicht, du wirst müde sein und hungrig, Fritz, ich danke dir.«
-
-Schwetzers Fritze stapfte zur Tür hinaus, und er ging so leise die
-Treppe hinab, so leise es seine knarrenden Stiefel erlaubten, der
-alte Klöppel schlief ja. Oben sah Frau Fries dem Jungen nach, und sie
-dachte, wie seine Mutter zu Mittag auf der Landstraße gedacht hatte:
-»Der wird noch einmal ein rechter Mann.«
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Sechzehntes Kapitel
-
-Heimkehr
-
- Es geschah viel, und Pfarrers Regine steigt auf den Schafskopf
- hinauf -- Fritze fährt nach L., es merkt aber niemand etwas
- davon, und Frau Besenmüller hält ihn für ein Gespenst -- Eine
- Unterredung im Holzstall -- In Steinach wird Hochzeit gefeiert,
- und die Kinder schreien hurra auf der Apfelstraße
-
-
-Der alte Briefträger Klöppel wanderte nun nicht mehr auf der
-Birnenstraße nach Steinach hin. Der war wirklich eingeschlafen für
-alle Zeit, und seine geliebte schwarze Tasche trug ein anderer. Der
-brachte die Nachrichten von Leid und Freud in die Dörfer, von großen
-Siegen, von stolzen Taten, aber immer und immer nicht die ersehnte
-Friedensbotschaft.
-
-In Steinach war es nicht anders als in allen deutschen Städten und
-Dörfern. Die Daheimgebliebenen schafften fleißig und sorgten um jene,
-die draußen standen. Ein paar Bäuerinnen trauerten um ihre Männer, und
-Hinzpeters Malchen kam eines Tages in großem Herzeleid in die Schule:
-ihr Vater war gefallen. Da hatte Silvia Traugott viel zu tun, um der
-Freundin beizustehen, und sie vergaß darüber noch mehr ihre Träume von
-großen Wundertaten. An herzhaftem Mitleid fehlte es nicht. Selbst die
-Buben sannen darüber nach, womit sie das Malchen wohl erfreuen könnten,
-und sie kamen schließlich überein, sie wollten Malchen ein Tier fangen,
-einen jungen Hasen, ein Rehlein vielleicht etwa, denn Malchen hatte an
-allem Getier eine besondere Freude.
-
-Es lenzte draußen schon an Hängen und Grabenrändern, an Büschen, die
-in der Sonne standen, grünten Knospen und winzige Blättchen, und manch
-ein kleines Hasenkind wurde um diese Zeit geboren. Im Walde war die
-Aufsicht jetzt nicht so streng, und eines Nachmittags zogen ein halbes
-Dutzend Steinacher Buben hinaus, um ein Tier zu fangen. Aber sie
-brachten nur einen Igel heim und einen Maulwurf, und vor beiden graulte
-sich Malchen schrecklich. Schelte gab’s obendrein. Das Tierfangen
-im Walde war streng verboten. Die Buben bekamen so schwere Strafen
-angedroht, daß ihnen die Lust zu weiteren Raubzügen verging. Also
-ließen sie das Trösten sein.
-
-Der Frühling kam, und er war so blütenreich, so voller Glanz und
-Schöne, als wollte er liebreich den Menschen in ihrem großen Jammer
-beistehen. Es blühte an allen Ecken und Enden, und kaum jemals hatte
-es auf dem Schafskopf so viele Veilchen gegeben wie in diesem Jahr.
-Aber Pfarrers Regine wollte in diesem Jahr keine Veilchenkränze zu
-ihrem Geburtstag haben, und die Veilchen verblühten ungepflückt. An
-ihrem Duft, ihrer Lieblichkeit freute sich Regine aber doch. Sie stieg
-an ihrem Geburtstag allein auf den Schafskopf hinauf; lange saß sie
-dort unter dem alten Gemäuer. Sie weinte bitterlich, denn sie trug ein
-heimliches Leid im Herzen. Wie sie aber so weinte, so unendlich traurig
-war, spürte sie den Veilchenduft. Der umschmeichelte sie, der zwang
-sie, an den Frühling zu denken, an Sonnenschein und an Freude. Und ganz
-leise sang sie vor sich hin, und im Singen löste sich ihre Traurigkeit.
-Sie sang:
-
- »Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
- Man weiß nicht, was noch werden mag,
- Das Blühen will nicht enden!
- Es blüht das fernste, tiefste Tal:
- Nun, armes Herz, vergiß die Qual,
- Es muß sich alles, alles wenden!«
-
-Um die gleiche Stunde wohl dachte ein Mann an Steinach am Wald, der
-in einem fremden Land in einem Zuge fuhr. Er trug einen abgetragenen
-feldgrauen Rock, und die mit ihm waren, glichen ihm. -- Ein seltsamer
-Zug war es. Lager reihte sich an Lager, Schwerverwundete, Krüppel
-durften heimkehren aus Frankreich ins deutsche Vaterland.
-
-Der Austausch der unheilbaren Kriegsverwundeten von Frankreich ging
-über die Schweiz, und nach langer, langer Fahrt, durch das herrliche,
-stets hilfsbereite Schweizer Land, das von den Schrecken des Krieges
-verschont geblieben war, langte der Zug in der Nacht an der Grenze
-an. Von Deutschland her kam um die gleiche Zeit auch ein solcher Zug.
-Einmal fuhren die beiden aneinander vorbei, sie wußten es nicht; die
-Männer, die jetzt todwund heimkehrten, hatten sich vielleicht schon im
-Kampf gegenübergestanden.
-
-Heinrich Fries, der Lehrer von Steinach, lehnte am Fenster. Er konnte
-nicht schlafen, vor Freude nicht und vor Leid nicht. So mußte er
-heimkehren, ein Krüppel! Ein Bein hatte er verloren, auch die linke
-Hand fehlte ihm, und über die Stirn lief ihm eine breite rote Narbe.
-Er dachte, mit welch hochfliegenden Plänen er einst im Leben gestanden
-hatte, wie unzufrieden er in Steinach gewesen war. Nun war das alles
-vorbei, selbst zum Lehrer in Steinach mochte er gewiß nicht mehr
-taugen. Wunderlich war ihm das oft gegangen draußen. An die Stadt,
-in der er so lange gelebt, hatte er wenig gedacht, immer, wenn er
-mit seinen Kameraden von der Heimat sprach, kehrten seine Gedanken in
-Steinach ein. In den heißen, blutigen Schlachten, mitten im Donnern
-und Brüllen der Geschütze sah er plötzlich das Dorf vor sich und die
-blühenden Straßen, so wie er es zuerst gesehen hatte. Er dachte an die
-Kinder; er hatte sie doch alle lieb, selbst so unnütze Wildfänge wie
-Jackenknöpfle und das lachlustige Malchen Hinzpeter. Einmal hatte er
-gerade wieder an allesamt einen Brief geschrieben, da war eine Granate
-neben ihm eingeschlagen, und er hatte die Stirnwunde bekommen.
-
-Ins Lazarett sollte er, in die Heimat zurück, aber er hatte nicht
-gewollt, und zwei Tage später hatte er, verwundet schon, mitten im
-furchtbaren Kampf gestanden. Neben ihm waren seine Kameraden gefallen,
-er war vorwärts gestürmt, immerzu, immerzu. Dann hatte ihn ein Schuß
-getroffen, er war zusammengebrochen, und als er nach vielen, vielen
-Stunden wieder zum Bewußtsein gelangte, war er in Gefangenschaft
-gewesen. Krank und gefangen! Es ahnen nicht alle, wie groß dies Elend
-ist.
-
-Nun kehrte er heim. Heinrich Fries sah hinaus. Es war Mondschein, und
-er sah im Silberglanz einen See, glatt wie ein Spiegel, und Berge,
-hohe, weiße Berge. Wie ein Märchenland war es, so wunderschön. Er
-hatte oft Sehnsucht gehabt, dies schöne Land zu durchwandern, das
-war nun auch vorbei, nun sah er es so. Ein fremdes Land, aber kein
-Feindesland. Ach nein, feindlich waren die Menschen nicht, die auf
-den Bahnhöfen waren, die liebevoll die Verwundeten versorgten. Gute,
-hilfsbereite Menschen waren es.
-
-Einer, der mit im Zuge fuhr, richtete sich ein wenig auf seinem Lager
-auf und flüsterte: »Kamerad, nun sind wir bald in Deutschland. Ich
-habe eine Frau daheim und einen Buben, Herrgott, die soll ich nun
-wiedersehen! Wen hast du?«
-
-»Eine Mutter,« sagte Heinrich Fries.
-
-»Da sind wir beide gut versorgt,« sagte der andere. »Sieh doch mal
-raus, ist’s noch nicht bald Deutschland?«
-
-»Es dauert noch ein paar Stunden.« Heinrich Fries sah wieder hinaus.
-Der Mond stand nur noch als blasse Scheibe am Himmel, der Morgen
-dämmerte herauf, und in dem fahlen, harten Licht des Morgens stiegen
-die Berge riesenhaft empor. Aber dann begannen sie zu glühen und zu
-schimmern, die Sonne ging auf.
-
-Und im hellen, strahlenden Licht der Frühlingssonne fuhr Heinrich
-Fries mit seinen Kameraden bei Konstanz über die deutsche Grenze. Ein
-brausender Jubel empfing sie. Fremde Menschen kamen auf sie zu und
-umarmten sie, Blumen wurden ihnen gebracht und Erfrischungen. Immer
-neue Hände streckten sich ihnen entgegen, alle wollten ihnen helfen,
-alle ihnen Liebes erweisen, alle, alle zeigten ihre Freude.
-
-O Vaterland, o Heimat!
-
-Die Todwunden, denen die Tage und Nächte in Schmerzen vergingen,
-die Blinden, die Krüppel, sie alle sangen dem Vaterland entgegen:
-»Deutschland, Deutschland über alles!«
-
-Heinrich Fries hatte seine Heimkehr nicht melden können. Seine
-Auslösung war überraschend gekommen, und seine Mutter ahnte nicht,
-daß er in Deutschland war. Er hatte ihr auch nie geschrieben, wie
-schwer seine Wunden gewesen, er wollte ihren Kummer nicht vergrößern.
-Nun dachte er, wenn ich in ein Lazarett komme, dann schreibe ich ihr.
-Noch wußte er ja nicht, wohin man ihn bringen würde. Nimmer hätte er
-gedacht, daß er so sehr in Steinachs Nähe kommen würde. Erholen sollte
-er sich nun, dann sollte er ein künstliches Bein bekommen, eine Hand,
-und der Arzt, der ihm das versprach, tröstete: »Dann ist’s nicht mehr
-schlimm.«
-
-Eines Tages liefen Pfarrers Regine und Fritze Schwetzer auf der
-Birnenstraße wieder dem Briefträger entgegen. Seit Wochen hatte der
-nun nichts aus Frankreich ins Schulhaus gebracht, und die alte Frau
-Lehrerin zagte und zitterte in Sorge. Der neue Briefträger, er hieß
-zu der Kinder Ärger Schmidt, was doch kein richtiger Name sei, so
-meinten sie, wußte nun auch schon, wer in Steinach um Briefe bangte. Er
-schüttelte also den Kopf: »Kein Brief aus Frankreich, ’n anderer nur.«
-
-Da rannte Fritze zurück, und Fräulein Regine ging ihm nach, der andere
-Brief war ihnen nicht wichtig. Den erhielt ein paar Minuten später Frau
-Besenmüller zur Besorgung. Die nahm ihn mit dem Schürzenzipfel, weil
-sie nasse Hände hatte, und trug ihn so in das Haus hinein. Drinnen kam
-ihr Mann ihr entgegen, und sie bat: »Besenmüller, trag’ du mal den
-Brief rauf, der rechte ist’s wieder niche.«
-
-Oben traf Besenmüller Vater Hiller, der gerade zum Mittagessen zu Frau
-Fries gehen wollte, der nahm ihm den Brief ab, und Besenmüller sagte:
-»Der rechte ist’s nicht.«
-
-Vater Hiller trug den Brief in die Stube, legte ihn vor Frau Fries hin
-und sagte auch bedauernd: »Ein Brief, leider nicht der rechte.«
-
-Und es war doch der rechte Brief. Nur in die Hand nahm ihn Frau Fries,
-dann wußte sie es. Mutteraugen sind scharf, Mutterherzen spüren des
-Kindes Nähe.
-
-Durch das Dorf lief die Kunde, der junge Herr Lehrer ist heimgekehrt
-aus Frankreich, in L. ist er, aber -- er ist ein Krüppel. Fritze
-Schwetzer raste zum Schulhaus hin. Und den Brief hatte er nun nicht
-gebracht, gerade den Brief nicht. Er polterte mal wieder ungeheuer
-auf der Treppe, aber Frau Besenmüller schalt nicht, die hörte es gar
-nicht, die scheuerte im Schulzimmer, denn irgendwie mußte sie ihre
-Freude zeigen, ritsch, ratsch mit der Bürste hin und her. »So recht
-ausscheuern tut gut,« brummelte sie.
-
-Fritz fand Frau Fries oben reisefertig. Die wollte gleich nach L.
-fahren mit dem nächsten Zug. »Lauf zu Pfarrers,« bat die Frau,
-»vielleicht kommt Fräulein Regine mit.«
-
-Nie hatte Frau Fries nach einer Stütze verlangt, jetzt, da sie den Sohn
-wiedersehen sollte, in der Freude verlangte sie Hilfe. Und Pfarrers
-Regine kam. Fritz hatte seine Botschaft noch nicht raus, da sagte sie
-schon: »Ich fahre mit, natürlich!«
-
-Sie lief dem Buben voran und meinte, der käme hinterher, aber der kam
-nicht. Der rannte heimwärts, fiel seiner Mutter beinahe ins Spülfaß und
-schrie so laut, wie es noch nie jemand von ihm gehört hatte: »Meine
-Sparbüchse!«
-
-»Junge, biste närrisch?« Seine Mutter trocknete sich ärgerlich die
-Hände ab. »Sag’, was soll das Geschrei?«
-
-»Ich muß nach L.«
-
-»So eins, zwei, drei im Handumdrehen?« Frau Schwetzer wollte nein
-sagen, aber dann sagte sie doch ja, ging und schüttelte die Büchse vor
-Fritz aus. »Viel ist nicht drin, ’n Groschen fehlt, den will ich dir
-schenken. Da nimm ’n Brot und geh!«
-
-Doch Fritze lief dem Brot davon. Er rannte die Apfelstraße entlang, bis
-er Frau Fries und Fräulein Regine sah, da ging er langsam nach. Und
-nach ihnen kletterte er in den Zug, und die beiden sahen ihn nicht.
-Sie sahen ihn auch nicht, als sie in L. ausstiegen. Und wieder trabte
-ihnen Fritz nach bis zu dem Lazarett, da gingen sie hinein, und --
-Fritz blieb draußen. Hier verließ ihn auf einmal sein Mut, er wußte
-nicht, wie er in das große Gebäude hineingehen sollte. Er ging auf und
-ab, durch die Türe da waren die beiden Frauen hineingegangen, das mußte
-doch der rechte Weg sein. Er rappelte sich endlich zusammen, trat auf
-das Tor zu, klinkte es auf, da tönte ihm ein Halt! entgegen.
-
-»Wo willst du hin?«
-
-»Da ’nein.«
-
-»Ei, da könnte jeder dumme Junge kommen; so was gibt’s nicht.«
-
-Ein anderer hätte nun dem gestrengen Wärter am Tor geschwinde erklärt,
-so ist die Sache und so, ich habe die Fahrt gemacht von Steinach
-hierher. Aber das brachte Schwetzers Fritze nicht fertig; ehe er eine
-Antwort heraus hatte, war das Tor geschlossen, klapp zu, ihm vor der
-Nase, er konnte draußen stehen. Er ging wieder auf und ab, hin und her.
-Drei Frauen kamen jetzt, dunkel gekleidet und ernst, die wollten auch
-in das Lazarett gehen. Vor ihnen tat die Türe sich auf. Fritz lief
-ihnen nach, aber klapp, schloß sich das Tor, und er stand wieder einsam
-auf der Straße.
-
-Noch einmal versuchte er es hineinzukommen, vergeblich. Endlich kamen
-Frau Fries und Fräulein Regine wieder heraus, und wieder lief Fritz
-ihnen stumm wie ein treuer Hund nach. Die Frauen gingen der Stadt zu.
-Vor einem Haus, an dem ein Wort stand, das Fritz zehnmal las und doch
-nicht verstand, es hieß »Hospiz«, nahmen sie Abschied voneinander. Frau
-Fries ging mit ihrer kleinen Tasche in der Hand in das Haus hinein.
-Fritz hörte sie noch sagen: »Bestelle, bitte, Frau Besenmüller, sie
-möchte ja nicht vergessen, für Herrn Hiller heute Brusttee zu kochen,
-er ist so erkältet,« dann trennten sich beide.
-
-Nun rannte Fräulein Regine nach dem Bahnhof, und Fritz rannte
-hinterdrein. Sie stiegen beide in den Zug, der fuhr davon, und in
-Steinach kletterten beide heraus.
-
-Es war schon dunkel, und Pfarrers Regine sah ihren kleinen Freund auch
-jetzt nicht. Der trabte ihr nach, als sie aber erst nach dem Pfarrhaus
-abbog, lief er gleich zum Schulhaus. Dort riß er die Türe auf, stürmte
-in Besenmüllers Stube und schrie: »Se möchten Tee kochen für Herrn
-Hiller.« Krach, schlug er die Türe zu und rannte davon.
-
-Eine halbe Stunde später kam Fräulein Regine ins Schulhaus. Sie wollte
-erzählen, wie es Heinrich Fries erging, und sie richtete auch den
-Auftrag aus. »Teekochen?« rief Besenmüller. »Schwetzers Fritze hat’s ja
-schon bestellt.«
-
-»Wie kann er, ich habe ihm ja nichts gesagt?« Das Fräulein wunderte
-sich, und Frau Besenmüller wunderte sich, ja Frau Besenmüller war
-geneigt, Fritz für einen Geist zu halten, aber ihr Mann sagte: »Nä, das
-war Fritze, und vielleicht hat’s ihm Frau Fries vorher bestellt.«
-
-Auf dem Heimweg ging Regine noch einmal zu Schwetzers hinein, da
-erfuhr sie Fritzens Reise. »Ein närrscher Junge,« klagte seine Mutter,
-»nich Stipp, nich Stapp hat er erzählt, nur gegessen, und dann ist er
-schlafen gegangen, aber geheult hat er in seinem Bette.«
-
-Ja, geheult hat Fritz, aber der Schlaf hatte ihm die Tränen schon
-wieder getrocknet, als Fräulein Regine an sein Bett trat. Und am
-nächsten Morgen erzählte er auch mit so wenig Worten als möglich
-seine Reise. Seine Mutter tat ihm schweigend so viel Geld in seine
-Sparbüchse, als das Fahrgeld nach L. betrug, aber Fritz fuhr nicht
-wieder hin. Er graute sich vor dem großen Haus und vor den vielen
-Menschen, die da aus- und eingingen. Er wartete in Steinach auf seinen
-Lehrer, und je näher der Tag kam, an dem er ihn sehen sollte, desto
-größer wurde die Scheu vor ihm. Ob der ihn noch kannte, noch mit ihm so
-sprach wie damals beim Abschied?
-
-Heinrich Fries kam, als in Steinach der Flieder blühte. In jedem
-Garten, in Hofwinkeln an der Kirche, da wo Heckenwege die Häuser
-trennten und verbanden, überall blühte der Flieder. Dichte, blaue
-Büsche, blaue Wände gab es und blaue Blumenberge, und ganz Steinach
-war eingehüllt in Duft und Glanz. Vom Schulhaus wehte die Fahne, denn
-ein Held kam ja heim, einer, der draußen gekämpft und gelitten hatte,
-einer, dem das Kreuz von Eisen die Brust schmückte.
-
-Heinrich Fries hatte gemeint, er würde still durch das Dorf fahren und
-still in sein stattliches Schulhaus treten. Aber vor dem standen die
-Kinder alle, auch die Brummer waren dabei, und alle sangen ihm das Lied
-entgegen, das im Leben und Sterben kein Deutscher vergißt. Und danach
-das schöne »Lobe den Herrn«.
-
-Mitten im Gesang brach Malchen Hinzpeter in Tränen aus. Sie dachte
-an den Vater, der nun nie wiederkehrte. Vater Hiller zog sie aus dem
-Kreise und nahm sie in seine Arme, am Herzen dieses treuen Freundes
-weinte sie sich ihren Kummer aus. Heinrich Fries hörte an diesem
-Tage keinen falschen Ton heraus, er meinte, noch nie einen schöneren
-Gesang gehört zu haben, und als ihn dann alle umdrängten, auch die
-Erwachsenen, und alle baten: »Sie bleiben doch wieder hier?« da rannen
-auch ihm die Tränen aus den Augen, und er schämte sich nicht.
-
-Nachher sagte er zu Vater Hiller: »Werde ich es können, ein Krüppel als
-Lehrer?«
-
-Der alte Mann nickte. »Sie werden es können, und viele, die heimkommen,
-werden siech sein und doch eintreten in ihren Beruf. Und unsere Jugend
-wird lernen, Geduld haben und Ehrfurcht vor jenen, die um unseren
-Frieden gekämpft haben. Ja, sie werden es können, wenn -- Sie in
-Steinach bleiben wollen.«
-
-»Wie gern!« Heinrich Fries hielt seiner Mutter Hand fest. »Du hast es
-früher erkannt als ich, wie gut Steinach am Wald zur Heimat taugt.«
-
-Es kamen viele an diesem Tag, um dem jungen Lehrer die Hand zu
-schütteln, nur Schwetzers Fritze kam nicht. Wo blieb nur der? Fräulein
-Regine ging ihn suchen, sie fand ihn nicht, die Kinder suchten ihn, er
-war nirgends zu sehen. Endlich schaute Frau Besenmüller nach, und die
-fand ihn in ihrem eigenen Holzstall.
-
-»Gleich kommste rauf,« rief sie ärgerlich.
-
-»Nä!« Fritze blieb auf seinem Holzstoß sitzen.
-
-Frau Besenmüller zürnte: »Was soll denn der Herr Lehrer denken?
-Geschwinde komm!«
-
-»Nä!« Der Bube rührte sich nicht, und Frau Besenmüller mußte
-unverrichteter Dinge wieder abziehen. Sie klagte oben über des Buben
-Trotz, da stand Heinrich Fries auf und sagte: »Ich werde ihn holen.«
-
-Er ging, obgleich es ihm noch arg schwer wurde, die Treppen zu steigen.
-Auf einen Stock gestützt, hinkte er über den Hof und kam zu Fritz in
-den Holzstall. »Fritz,« sagte er, »wenn du nicht zu mir kommst, muß
-ich dich suchen, denn ich habe dir viel zu danken. Du warst meiner
-Mutter ein rechter kleiner Freund, ein guter Trost in schwerer Zeit.«
-
-Der Bube schluchzte wild auf und umklammerte seinen geliebten Lehrer,
-und der redete mit ihm, lange, lange. Und sie schlossen beide
-Freundschaft in dieser Stunde, Freundschaft für das Leben.
-
-Frau Besenmüller lief unterdessen draußen scheltend auf und ab. »Im
-Holzstall, um so ’nes Buben willen, nä, was zuviel ist, das ist zuviel.«
-
-»Lydia,« mahnte ihr Mann endlich, »geh du da fort. Wenn einer was
-auf dem Herzen hat, dann kann er auch im Holzstall reden. Und der
-Fritze, um den lohnt’s schon. Den Besten hat sich der Herr Lehrer da
-ausgesucht, das is mal wahr.«
-
-»Wenn er sich nur die Beste aussuchte,« murrte Frau Besenmüller.
-Und das tat der junge Lehrer wirklich. Als auf dem Schafskopf die
-Heckenrosen blühten, gab es Hochzeit in Steinach. Eine stille nur,
-denn für Feste war es keine Zeit. Aber Glück und Freude blühen auch in
-Kriegszeiten, und Pfarrers Regine war eine glückliche und eine frohe
-Braut.
-
-»Der junge Herr Lehrer heiratet Pfarrers Regine!« Wenn die Spatzen
-von Steinach hätten singen können, dies hätten sie gesungen, so oft
-hörten sie es, von Mädeln und Buben, von Alten und Jungen. Am lautesten
-freute sich Frau Besenmüller und am meisten doch darüber, daß Vater
-Hiller in Steinach bleiben wollte. Er mochte nicht mehr zurückkehren in
-die Stadt, die ihm fremd geworden war. In dem großen Schulhaus gab es
-leere Zimmer, da wollte er wohnen, und Frau Fries und Frau Besenmüller
-versprachen ihm alle Pflege.
-
-Eine bittere Enttäuschung war es den Kindern, daß nach der Hochzeit ihr
-junger Lehrer wieder fortging. Erst gesund werden, dann arbeiten, hieß
-es, und mit dem Gesundwerden dauerte es noch an, so schnell lernt einer
-nicht mit zwei Gliedern weniger fortzukommen.
-
-Wieder reiften auf der Apfelstraße die Äpfel, und wieder mal hielt
-Besenmüller auf der verkehrten Straße Wache, da kamen Heinrich und
-Regine nach Steinach zurück. Draußen tobte noch der Krieg, aber
-Steinach lag im Frieden. »Vor zwei Jahren kam ich her, ein gesunder
-Mann mit einem mißmutigen Herzen, jetzt kehre ich zurück, ein Krüppel
-mit frohem Herzen,« sagte der junge Mann heiter. Sie hatten sich nicht
-angemeldet, sie wollten alle daheim überraschen. Wie sie aber so unter
-den ersten Bäumen hingingen, rauschte es in den Zweigen, und ein
-jauchzendes Gebrüll erhob sich: »Hurra, hurra, se sin da!«
-
-Purzel, purzel kam es von den Bäumen herab, es hopste aus den Gräben
-heraus, und jauchzend umdrängten die Kinder ihren Lehrer. »Hurra,
-hurra!«
-
-Bis zur Pflaumenstraße hin tönte das Geschrei, dort lauschte
-Besenmüller. »Nu haben se wieder etwas angestiftet. Nä, nä, Schelme sin
-se doch, was wahr ist, das ist wahr!«
-
-[Illustration]
-
-
-
-
-Lustige Erzählungen von Josephine Siebe:
-
-
-Oberheudorfer Buben- und Mädelgeschichten
-
-[Illustration]
-
-Mit vier farbig. Vollbildern und zahlreichen Textillustrationen
-
-Unter der Fülle von Jugendschriften verdient dieses Buch ganz besondere
-Beachtung. Was an den Erzählungen so sehr gefällt, das ist die Frische,
-Lebendigkeit und Anschaulichkeit der Darstellung und der köstliche
-Humor, der uns fast in allen begegnet. Sie wollen unsere Jugend
-erfreuen, und sie werden sie erfreuen. Wer also Kindern eine besondere
-Freude bereiten will, der schenke ihnen dieses Buch.
-
- (Casseler Allg. Ztg.)
-
-
-Lustige Fahrten ins Blaue hinein
-
-Heitere Erzählungen f. d. Jugend Mit sechs farbigen Vollbildern
-
-Alle Achtung vor diesem famosen Buche! Wenige Schriftstellerinnen
-wissen so zu erzählen wie Josephine Siebe. Ein Sonnenglanz liegt über
-allen kleinen und großen Begebenheiten, der Schelm Humor setzt überall
-helle Lichter auf. In einzelnen Stücken, wie »Das Feuermännchen« und
-in dem besonders wertvollen »Die Reise ins Graue«, erhebt sich die
-Erzählerin zur Dichterin. Möge sie der Kinderwelt noch recht oft solche
-urwüchsige und herzerfreuende Geschichten erzählen, sie sind dazu
-angetan, unsern Lieblingen fröhliche Gesichter und Herzen zu machen.
-Josephine Siebe hat’s von Gott, die rechte Heiterkeit nämlich, die sich
-fein unterscheidet von der lärmenden Lustigkeit.
-
- (Alton. Nachr.)
-
-
-Neue Kindergeschichten aus Oberheudorf
-
-[Illustration]
-
-Mit vier farbig. Vollbildern und zahlreichen Textillustrationen
-
-Die fünfzehn Geschichten haben es vorzugsweise auf das Fröhliche, die
-Komik, das drollig Vergnügliche abgesehen. Unsere Jugend muß sich
-wohlfühlen unter diesen Dorfkindern, die sich so herzensfroh ihres
-Daseins freuen, und die so lebenswahr vorgeführt werden in ihrer
-Harmlosigkeit und Natürlichkeit, in ihren unschuldigen Freuden und
-Vergnügungen, aber auch in ihren kleinen und großen Leiden und Sorgen.
-Es ist eine recht humorvolle Lektüre.
-
- (Die Gartenlaube)
-
-
-Die Oberheudorfer in der Stadt
-
-[Illustration]
-
-Reich illustriert
-
-Alle, die die Oberheudorfer Kinder aus den früheren Erzählungen
-von Josephine Siebe kennengelernt haben, werden sich freuen, ihnen
-hier wieder zu begegnen, freuen auch, daß es dieselben prächtigen,
-frischen Buben und Mädel sind, die in ihrem kleinen Dorf so viel echte
-Herzensbildung gewonnen, daß sie manch hochgebildeten Städter beschämen
-und ihm im Guten vorangehen können. Bei ihren Besuchen des alten
-Kameraden, der in der Stadt das Gymnasium besucht, erleben sie manches,
-bleiben aber immer in drolligster Art Herren der Lage.
-
- (Schwäbischer Merkur)
-
-
-Dudeleins Garten und Schippels Kinder
-
-Ein heiteres Kinderbuch mit vier farbigen Vollbildern
-
-Die beliebte Verfasserin führt hier eine Anzahl Kinder eines
-Mietshauses vor, deren Versammlungsort »das Himmelreich«, die Mauer
-eines an den Hof stoßenden Parkes ist. Wie die Sehnsucht der Kleinen
-nach den Schönheiten dieses prachtvollen Gartens gestillt wird, und
-wie eine einsame, alte Frau durch diese Kinder wieder Freude am Leben
-findet, das wird den jungen Lesern viel Vergnügen bereiten.
-
- (Reclams Universum)
-
-
-Im Hasenwunderland
-
-[Illustration]
-
-Ein fröhliches Kinderbuch mit zwölf farbigen Vollbildern und vielen
-Textillustrationen
-
-»Im Hasenwunderland« gehört zu den Büchern, die den Kleinen lieb werden
-müssen, zumal zu der glücklichen Idee, Meister Lampe zum Helden einer
-wunderbaren Geschichte zu wählen, eine ganz ausgezeichnete illustrative
-Ausstattung von Joseph Mauder hinzutritt, ausgezeichnet, weil echt
-kindlich empfunden, wie übrigens auch die ganze Erzählung, die
-schlicht und einfach die Abenteuer aus der Welt der Familie Hase nebst
-Anverwandten vorträgt. Wir können dieses ganz vorzügliche Kinderbuch
-nicht warm genug empfehlen.
-
- (Neue Zürcher Zeitung)
-
-
-Verlag von Levy & Müller in Stuttgart
-
-
-
-
-Lustige Erzählungen für die Jugend
-
-
-Rose, Linde und Silberner Stern
-
-[Illustration]
-
-Erzählung für die Jugend von Josephine Siebe
-
-Reich illustriert
-
-Mit viel Aufwand von Lustigkeit und Humor, dem ein schöner, tiefer
-Ernst nicht mangelt, erzählt hier Josephine Siebe von dem Leben und
-Treiben einer Kinderschar aus der Rose, der Linde und dem Silbernen
-Stern, drei befreundeten Häusern einer Kleinstadt, und weiß die
-drolligen Vorgänge mit so viel Spannung und guter Laune zu schildern,
-daß die kleinen Leser das Buch hochbefriedigt aus der Hand legen
-werden. Unter den Siebeschen Büchern steht diese Erzählung ohne Zweifel
-mit an erster Stelle.
-
-
-Das Mondscheinprinzeßchen
-
-Eine heitere Kindergeschichte von Thea von Harbou
-
-Mit vier bunten Vollbildern
-
-Taufrisch, voll warmer Lebensfreude und harmlosen Übermuts ist die
-Erzählung von der verzogenen, grämlichen Mondscheinprinzeß Johanna, die
-in das Forsthaus und in die derben Fäuste der Hubertusrangen gerät,
-die ihr den eigensinnigen Kopf zurechtsetzen und die steifen, matten
-Glieder durchkneten, bis sie straff und gelenkig werden. An der Hand
-der liebreichen Hausmutter entdeckt Mondscheinprinzeßchen ihr Herz und
-erfährt, daß man nicht immer an sich selbst denken, sondern andern
-Liebes erweisen soll. Ohne Zweifel wird diese Erzählung den Kleinen
-viel Freude bereiten.
-
- (General-Anzeiger für Hamburg)
-
-
-Frohe Jugend
-
-[Illustration]
-
-Hundertein schöne Kindergeschichten von Helene Stökl u. Frau Juliane
-
-Mit zahlreichen Illustrationen
-
-Und ein gar liebes, den ganz Kleinen gewidmetes Buch heißt »Frohe
-Jugend«. Es sollte in den Kinderstuben recht heimisch werden. Die
-kurzen, ganz reizend erzählten Geschichtchen aus den verschiedensten
-Gebieten, aber alle von einem warmen, poetischen Unterton getragen,
-sind wie wenige geeignet, Phantasie und Gemüt des kleinen Volkes zu
-beschenken. Vortrefflich eignen sie sich zum Vorlesen und Nacherzählen.
-
- (Leipziger Ill. Zeitung)
-
-
-Kasperle auf Reisen
-
-[Illustration]
-
-Eine lustige Geschichte von Josephine Siebe
-
-Mit vier farbigen Vollbildern
-
-Einen ganz eigenartigen Stoff hat sich die bewährte
-Jugendschriftstellerin diesmal erkoren. Der Puppenschnitzer Friedolin
-findet beim Stöbern in einem alten Schrank ein aus langem Zauberschlaf
-erwachendes Kasperle, das bereits seinen Vorfahren als Modell gedient
-hat. Die Wanderlust treibt Kasperle indes im Frühjahr aus dem Waldhaus
-in die weite Welt hinaus, wo der schnurrige Schelm die merkwürdigsten
-Abenteuer erlebt und sich in dem Schloßtöchterlein Rosemarie und dem
-Geißbuben Michele treue Freunde erwirbt, bis er schließlich nach
-allerlei lustigen Erlebnissen wieder ins Waldhaus heimfindet.
-
- (Breslauer Zeitung)
-
-
-Die Sternbuben in der Großstadt
-
-Eine heitere Geschichte von Josephine Siebe
-
-Mit vier Vollbildern
-
-Die beiden Buben der Wirtin vom »Silbernen Stern« in Breitenwert werden
-von ihrer Pate zum Besuch nach Leipzig eingeladen und erleben auf der
-Fahrt und in der Großstadt die drolligsten Abenteuer. Ihre Erlebnisse
-sind mit überwältigender Komik geschildert.
-
- (Reclams Universum)
-
-
-Kasperle auf Burg Himmelhoch
-
-[Illustration]
-
-Lustige Geschichte v. Josephine Siebe
-
-Mit farbigem Decken- u. Vollbild und zahlreichen Scherenschnitten
-
-Der Untertitel verspricht nicht zu viel: es ist wirklich eine lustige
-Geschichte, und vor allem weiß die Verfasserin so zu erzählen, wie man
-Kindern erzählen muß. Jede Mutter, die aus diesem Buch ihren Kleinen
-vorliest, wird ihre helle Freude daran haben, wie die Kinder mit
-gespanntem Blick an ihren Lippen hängen und immer wieder in fröhliches
-Gelächter ausbrechen, wenn der potzlustige kleine Spaßmacher wieder
-einen neuen Unfug ausgeheckt hat und sich in jeder Lebenslage zu helfen
-weiß. Die vielen Scherenschnitte, ganz im Ton der lustigen Geschichte
-gehalten, bedeuten eine wertvolle Bereicherung des Buches.
-
- (Revaler Bote)
-
-
-Verlag von Levy & Müller in Stuttgart
-
-
-
-
-Unsre illustrierte, billige Jugendschriftenreihe:
-
-
-Lieblingsbücher der Jugend
-
-Bisher erschienen:
-
- Bd. 1: Im Schlaraffenland
- und andere Märchen von Ludwig Bechstein
-
- Bd. 2: Die wilden Schwäne
- und andere Märchen von H. Chr. Andersen
-
- Bd. 3: Das Riesenspielzeug
- und andere deutsche Sagen von Grimm, Bechstein u. a.
-
- Bd. 4: Mein liebes Fabelbuch
- Mit Fabeln v. Aesop, Lessing, Gellert
-
- Bd. 5: Lustige Geschichten
- fürs kleine Volk. Beiträge von Stökl, Hebel, Schwab
-
- Bd. 6: Abenteuergeschichten
- aus fernen Ländern von Sealsfield, Cooper, Wörishöffer
- u. Zwilgmeyer
-
- Bd. 7: Der Knabe des Tell
- Erzählung für Jugend und Volk von Jeremias Gotthelf
-
- Bd. 8: Das Drachenried
- Schweizer Sagen und Heldengeschichten I von M. Lienert
-
- Bd. 9: Das tapfere Schneiderlein
- und andere deutsche Sagen aus Österreich
-
- Bd. 10: Die sieben Schwaben
- und der Spiegelschwab von L. Aurbacher
-
- Bd. 11: Der gehörnte Siegfried
- u. der arme Heinrich von G. Schwab
-
- Bd. 12: Die Schildbürger
- von Gustav Schwab
-
- Jeder Band mit buntem Einlagebild und vielen
- Textillustrationen
-
-[Illustration]
-
-Unter der bewährten Leitung Dr. Otto Brandstädters liegen die von
-verschiedenen Schriftstellern bearbeiteten schmucken Bändchen der
-»Lieblingsbücher der Jugend« vor, deren Inhalt in Märchen und
-Erzählungen, Sagen und Heldengeschichten gesunde Kost, Unterhaltung und
-Anregung bringt für Jugend und Volk.
-
- (Schwäbischer Merkur)
-
-
-Verlag von Levy & Müller in Stuttgart
-
-
-
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- Weitere Anmerkungen zur Transkription
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- Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht. Die ganzseitigen
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-<div lang='en' xml:lang='en'>
-<p style='text-align:center; font-size:1.2em; font-weight:bold'>The Project Gutenberg eBook of <span lang='de' xml:lang='de'>Die Schelme von Steinach</span>, by Josephine Siebe</p>
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
-most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
-whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
-of the Project Gutenberg License included with this eBook or online
-at <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. If you
-are not located in the United States, you will have to check the laws of the
-country where you are located before using this eBook.
-</div>
-</div>
-
-<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Title: <span lang='de' xml:lang='de'>Die Schelme von Steinach</span></p>
-<p style='display:block; margin-left:2em; text-indent:0; margin-top:0; margin-bottom:1em;'><span lang='de' xml:lang='de'>Erzählung für die Jugend</span></p>
-<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Author: Josephine Siebe</p>
-<p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Illustrator: Ernst Kutzer</p>
-<p style='display:block; text-indent:0; margin:1em 0'>Release Date: February 24, 2022 [eBook #67488]</p>
-<p style='display:block; text-indent:0; margin:1em 0'>Language: German</p>
- <p style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:0; margin-left:2em; text-indent:-2em; text-align:left'>Produced by: Peter Becker and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net</p>
-<div style='margin-top:2em; margin-bottom:4em'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK <span lang='de' xml:lang='de'>DIE SCHELME VON STEINACH</span> ***</div>
-<div class="transnote">
-<p class="h2">Anmerkungen zur Transkription</p>
-
-<p>Das Original ist in Fraktur gesetzt.
-Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich
-am <a href="#tnextra">Ende des Buches</a>.</p>
-</div>
-
-<div class="figcenter illowp60" id="cover">
- <img class="w100" src="images/cover.jpg" alt="Cover" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-<h1>Die Schelme von Steinach</h1>
-
-<p class="center">Erzählung für die Jugend</p>
-
-<p class="center smaller">von</p>
-
-<p class="h2">Josephine Siebe</p>
-
-<p class="center">Mit Buchschmuck von Ernst Kutzer</p>
-
-<p class="center smaller">Fünfte Auflage</p>
-
-<div class="figcenter" id="illu-002">
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-</div>
-
-<p class="center p2">Verlag von Levy &amp; Müller in Stuttgart
-</p>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-</div>
-
-<div class="chapter">
-<p class="center">Nachdruck verboten<br />
-Alle Rechte, insbesondere das Übersetzungsrecht, vorbehalten<br />
-Druck: Chr. Verlagshaus, G. m. b. H., Stuttgart
-</p>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-</div>
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_1">[1]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Erstes_Kapitel"><img src="images/illu-004.jpg" alt="" /><br />
-<span class="s80">Erstes Kapitel</span><br />
-Steinach am Wald</h2>
-
-<div class="h2cnt">
-
-<p>Zwei Reisegefährten erzählen sich etwas von den Schelmen von
-Steinach, und Heinrich Fries plant mit seiner Mutter eine
-Sommerreise</p>
-</div>
-</div>
-
-<p class="drop">In einem Bähnchen, das bedachtsam, ohne sonderliche
-Eile, aber mit viel Gepuff und Gestöhn durch
-das Land lief, saßen zwei Männer. Der eine war alt,
-der andere war jung. Der Alte kannte die Gegend, der
-Junge kannte sie nicht, und weil der Junge zu denen
-gehörte, die sich gern belehren lassen, fragte er dies und
-das. Der Alte gab ihm gern Auskunft, er gab sie wie
-einer, der Land und Leute liebhat.</p>
-
-<p>Das Bähnchen fuhr auch an einem Dorf vorbei,
-über dem das Gebirge dunkel bergan stieg. Von drei
-Seiten liefen Straßen auf das Dorf zu; sie waren mit
-Obstbäumen eingesäumt, die just in Blüte standen.<span class="pagenum" id="Seite_2">[2]</span>
-Wie weiße, schimmernde Bänder lagen die Straßen
-im Sonnenglanz, und ein weißer Blütenkranz umschmiegte
-auch das Dorf. Es sah hübsch aus, und der
-junge Mann im Zug beugte sich rasch hinaus und las,
-was an dem Bretterbudchen stand, das sich stolz Bahnhof
-nannte. »Steinach am Wald« hieß das Dorf.</p>
-
-<p>Auch der alte Mann schaute hinaus und nickte
-dem Dörfchen zu wie einer, der einen guten Freund
-grüßt, zu dem er sagen will: Wir haben uns lieb.</p>
-
-<p>»Da oben hat wohl einmal eine Burg gestanden?«
-fragte der junge Mann und deutete auf einen mäßig
-hohen, nach einer Seite steil abfallenden Berg, dessen
-Gipfel ein paar Mauerreste krönten.</p>
-
-<p>»Ja, dort oben &ndash; der Berg heißt der Schafskopf &ndash;
-hausten einst die Schelme von Steinach, das
-war ihre Stammburg.«</p>
-
-<p>»Die Schelme von Steinach auf dem Schafskopf!«
-Der junge Mann lachte und fragte: »Ein verlockender
-Name! Gibt es die Schelme noch?«</p>
-
-<p>»Nein, das Geschlecht ist ausgestorben, aber« &ndash;
-ein heiteres Schmunzeln lief über des Alten Gesicht &ndash;
-»die Geschichten von ihnen leben noch in der Erinnerung,
-und die Nachbarn ringsum nennen die Steinacher
-gern nach den alten Herren von einst die Schelme
-von Steinach.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_3">[3]</span></p>
-
-<p>Das Züglein hatte den kleinen Bahnhof verlassen.
-Pustend und stöhnend fuhr es weiter, und das Dorf
-mit den weißen, schimmernden Blütenstraßen entschwand
-allmählich den Blicken der Reisenden. Doch
-die Gedanken des jungen Mannes blieben noch daran
-hängen, er fragte: »Wie waren denn die Schelme von
-Steinach, daß man noch heute ihren Namen den Dörflern
-anhängt?«</p>
-
-<p>»Nun, beim richtigen Namen genannt waren es
-Raubritter. Sie hausten wie Habichte auf ihrem Bergnest
-und nahmen gern, was ihnen gefiel, auch wenn
-es anderen gehörte. Aber die Schlimmsten waren sie
-nicht, andere adelige Herren trieben es dazumal wohl
-ärger. Sie waren nicht hart, sondern gutmütig und
-voll lustiger Einfälle. Ein Raubzug war ihnen meist
-ein heiterer Spaß, und sie schädigten die Beraubten
-nicht an Leib und Leben. Ja, es kam vor, daß sie einen
-Kaufmann, den sie ausgeplündert hatten, noch gastlich
-auf ihrer Burg bewirteten, damit er sich vom
-Schreck erhole, und er von ihnen ging, als wäre er
-zu Besuch da droben gewesen.«</p>
-
-<p>»Und wieso gleichen die Steinacher von heute
-ihnen, daß man sie auch Schelme nennt? Rauben sie
-etwa auch?« fragte der junge Mann fröhlich.</p>
-
-<p>»Na, rauben und plündern tun sie freilich nicht,<span class="pagenum" id="Seite_4">[4]</span>
-sie sind ehrlich, einer wie der andere, aber für einen
-lustigen Spaß sind sie immer zu haben,« erwiderte
-der Alte lächelnd. »Die Steinacher sind ein sangesfrohes,
-heiteres Völkchen, und weil sie Sinn für Scherz
-und Fröhlichkeit haben, leben auch noch die Geschichten
-der Schelme in ihrer Erinnerung. Es geht damit wie
-bei manchen Dingen: das Schlimme wird vergessen,
-das Gute bleibt in der Erinnerung haften.«</p>
-
-<p>»Jetzt ist Steinach ganz verschwunden!« Der
-junge Mann rief’s bedauernd, denn auch das letzte
-Zipfelchen der weißen Blütenstraßen verhüllte nun die
-Ferne. »Man muß einmal hinfahren und den Spuren
-der Schelme nachgehen.«</p>
-
-<p>Der alte Herr sah den jungen Mann, der blaß
-und schmal war, prüfend an. »Ein paar Wochen in
-Steinach täten Ihnen wohl gut. Sichtbare Spuren
-der Schelme sind nicht mehr viele zu finden. An der
-Kirche steht außen ein Grabstein aufgerichtet, ein Herr
-Arnulf von Steinach liegt da begraben. Und weil
-den die Steinacher alltäglich sehen, erzählen sie die
-meisten Schelmengeschichten von diesem Herrn Arnulf.
-Die Burg selbst ist ein Trümmerhaufen, nur ein Turm
-steht noch halb. Aber natürlich,« der Alte schmunzelte
-wieder, »liegt oben ein Schatz begraben; die
-Steinacher sagen es wenigstens.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_5">[5]</span></p>
-
-<p>»Ich werde den Schatz suchen gehen,« sagte der
-junge Mann. Er sagte es heiter und seufzte doch
-dabei, denn er dachte an die kleine, enge Viertreppenwohnung,
-in der er mit seiner Mutter hauste, und in
-der es reichlich knapp herging.</p>
-
-<p>»Ja, ja, einen Schatz möchte wohl jeder gern
-finden, und doch gehen die Menschen an so vielen
-Schätzen der Welt achtlos vorbei. Just so wie einst
-Herr Arnulf von Steinach.«</p>
-
-<p>»Wie war denn das?« Der junge Mann machte
-ein Gesicht, daß der Alte neckte: »Ei, auch auf Geschichten
-hungrig?«</p>
-
-<p>»Geschichten höre ich wirklich gern,« bemerkte der
-andere, »und auf Steinach und die Schelme bin ich
-schon ganz neugierig geworden.«</p>
-
-<p>»Also die Geschichte ist so: Herr Arnulf hatte einst
-gehört, daß ein Kaufmann mit kostbarem Geschmeide
-von Köln am Rhein käme, an des Markgrafen von
-Meißen Hof wollte er. Den muß ich fangen, dann hat
-alle Not ein Ende, dachte der Schelm von Steinach.
-Er war nämlich nicht sehr begütert, und seine Standesgenossen
-pflegten zu sagen: ›Arm wie der Schelm von
-Steinach!‹ Herr Arnulf legte sich also auf die Lauer
-mit seinen Mannen, und richtig, der Kaufmann mit
-seinen Leuten zog auf der Straße einher. Es ging<span class="pagenum" id="Seite_6">[6]</span>
-wie immer in solchen Fällen: mit lautem Geschrei überfiel
-der Ritter mit seinen Knechten den Zug, der Kaufmann
-schrie und jammerte, seine Leute schrieen und
-jammerten noch lauter; es geschah aber keinem ein
-Leid, und der Kaufmann mit den Seinen wurde auf
-die Burg gebracht. Inzwischen ging ein armseliges
-Bäuerlein mit einem Sack auf der Landstraße dahin.
-Es grüßte demütig, und der Ritter, froh über den
-reichen Fang, warf ihm ein paar Batzen zu. »Was
-trägst du denn da?«</p>
-
-<p>»Schweinefutter,« stammelte das Bäuerlein und
-dankte untertänig für die milde Gabe.</p>
-
-<p>Herr Arnulf hatte keine Zeit, sich weiter um das
-Bäuerlein zu kümmern; froh über den reichen Fang,
-zog er zur Burg hinauf. Nach Schelmensitte wurden
-der Kaufmann und seine Leute in ein anständiges Gemach
-gebracht und mit Wildbret, Brot und Wein bewirtet,
-während der Ritter erst einmal die Beute betrachtete.
-Da war aber die Enttäuschung groß! Von
-dem kostbaren Geschmeide war nichts zu finden, einige
-Kasten waren ganz leer, und der ganze Raub bestand
-in einigen Ballen geringer Leinwand. Der Kaufmann
-wurde herbeigebracht, und Herr Arnulf fuhr ihn zornig
-an, wo denn das kostbare Geschmeide sei.</p>
-
-<p>»Ach du lieber Himmel,« rief der Mann klagend,<span class="pagenum" id="Seite_7">[7]</span>
-»so etwas habe ich nie besessen; aber Gewürze hatte
-ich und dergleichen, die hat mir schon jemand geraubt.
-Es gibt der Herren mehr, die auf uns arme Kaufleute
-fahnden. Ich bin ein armer, unglücklicher Mann!«</p>
-
-<p>»Potzwetter, da haben wir die falschen erwischt!«
-dachte Herr Arnulf grimmig. Er ließ aber den armen
-Kaufmann das nicht entgelten; der durfte noch am
-Abend mit den Seinen weiterziehen und sogar seinen
-Kram mitnehmen. Denn dazu war der Herr Arnulf
-zu stolz, zu nehmen, was einer übriggelassen hatte.</p>
-
-<p>Danach lag er viele Tage und Nächte auf der
-Lauer, aber kein Kaufmann zog vorbei, und von dem
-kostbaren Raub, den er zu machen gedachte, bekam er
-kein Ringlein zu sehen.</p>
-
-<p>Nach ein paar Monden kam ein Vetter, ein reiselustiger
-Herr, der wußte von einem Spottlied zu sagen,
-das man in Köln am Rheine auf den Gassen sang. Der
-reichste Kölner Kaufmann, so hieß es in dem Liede,
-sei den Schelmen von Steinach als Bäuerlein mit
-Schweinefutter an der Nase vorbeigezogen. Im Walde
-habe er dann auf sein Gefolge gewartet, und alle miteinander
-hätten sich weidlich gefreut über des Schelmen
-Reinfall, der das Märlein von den ausgeraubten Kisten
-und Ballen so leicht geglaubt habe.</p>
-
-<p>Da half nun dem Herrn Arnulf kein Wüten und<span class="pagenum" id="Seite_8">[8]</span>
-Zürnen mehr, der reiche Kaufmann saß in Köln sicher
-in seinem stattlichen Hause und zeigte den Batzen, den
-ihm der Schelm geschenkt hatte.</p>
-
-<p>Noch jetzt sagen sie in der Steinacher Gegend,
-wenn einer gar armselig tut und es nicht nötig hat:
-»Dem würde der Schelm auch einen Batzen schenken.««</p>
-
-<p>Es war, als hätte das Züglein darauf gewartet,
-bis die Schelmengeschichte zu Ende war, es hielt, und
-alle Leute mußten aussteigen. Die große Bahnlinie
-war erreicht, und etliche Reisende sagten: »Gut, daß
-die Bummelei ein Ende hat und wir in den Schnellzug
-steigen können.«</p>
-
-<p>Der junge Mann dachte das nicht, als er nun
-allein weiterfuhr, denn sein Reisegefährte hatte ein
-anderes Ziel. Er dachte an das Dorf im Kranz der
-blühenden Bäume; es mochte sich dort wohl gut
-wohnen. Nun lächelte er nicht mehr, nun seufzte er
-nur, weil es ihm einfiel, wie anders alles in seinem
-Leben gekommen war, als er es einst erhofft. Studieren
-hatte er wollen, da war sein Vater gestorben,
-just als er in der Prima saß. Seiner Mutter blieb
-so ein winziges Geldchen, daß sie gerade noch so lange
-davon leben konnte, bis sich ein kleiner Erwerb gefunden
-hatte. Er ging auf ein Seminar und wurde
-Lehrer, weil er dort eine Freistelle erhielt. Nun war<span class="pagenum" id="Seite_9">[9]</span>
-er Hilfslehrer in einer großen Stadt, seine Mutter
-stickte und nähte noch, und beide hofften, er würde
-bald eine bessere Stelle erhalten. Er hatte darum die
-Reise gemacht, aber sie war vergeblich gewesen, die
-Stelle war einem anderen zuerteilt worden, und er
-kehrte in die graue Stadt zurück. Trübe blickte er zum
-Fenster hinaus.</p>
-
-<p>Draußen lag die Welt im Frühlingsglanz, aber
-ihm war das Herz schwer. Er wußte wohl, er hatte
-es eigentlich ganz gut; sein Amt war zwar bescheiden,
-aber es nährte ihn doch, er war zudem jung und gesund,
-und die allerbeste Mutter umsorgte ihn. Doch
-er konnte es nicht vergessen, daß er hatte studieren
-wollen, und sehnte sich danach, noch immer mehr und
-mehr zu lernen, und sollte nun lehren, &ndash; das machte
-ihn unfroh. Er wollte höher hinaus im Leben, nach
-Ehre und Ansehen stand sein Sinn.</p>
-
-<p>An alles das dachte er auf der Bahnfahrt, er
-dachte auch noch daran, als er wieder die vier Treppen
-zu seiner Wohnung emporstieg, und oben las ihm
-seine Mutter die Gedanken von der Stirn und sagte
-wehmütig: »Mein armer Junge!«</p>
-
-<p>Da bezwang er sich, und heiter erzählte er von
-seiner Fahrt durch das frühlingsgrüne Land, und
-Steinach am Walde fiel ihm dabei ein. Er schilderte<span class="pagenum" id="Seite_10">[10]</span>
-das Dörfchen, zu dem drei weiße, schimmernde Straßen
-führten, und er erzählte auch von den Schelmen. Darüber
-wurde er ganz froh, und zuletzt sagte er: »Weißt
-du, Mutter, wir sparen recht, und dann machen wir
-einmal eine Ferienreise nach Steinach am Walde.«</p>
-
-<p>»Ach ja,« sagte die Mutter, und ein sehnsüchtiger
-Glanz trat in ihre sanften Augen, »das wird schön!«</p>
-
-<p>Sie dachte an ihre fröhliche Jugend, die sie auf
-dem Lande verlebt hatte, und der Sohn dachte auch
-daran, denn die Mutter hatte ihm viel erzählt. Und
-auf einmal verschwand seine trübe Stimmung, ein
-fröhlicher Arbeitsmut kam über ihn, vielleicht konnte
-er noch mehr durch Stundengeben verdienen, konnte
-wirklich einmal mit seiner Mutter verreisen.</p>
-
-<p>Herr Heinrich Fries, so hieß der junge Lehrer,
-reckte die Arme und rief heiter: »Es bleibt dabei,
-Mutterle, wir reisen einmal nach Steinach am Wald.
-Nächstes Jahr &ndash; oder vielleicht noch diesen Sommer.«</p>
-
-<p>Die Mutter mahnte lächelnd: »Bau’ dein Luftschloß
-nicht zu hoch!«</p>
-
-<p>»Ach, warum nicht? Wer weiß, wie schnell so
-etwas wird! Recht fleißig will ich sein, und in den
-großen Ferien reisen wir, &ndash; ja sicher, &ndash; schon in den
-großen Ferien.«</p>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_11">[11]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Zweites_Kapitel"><img src="images/illu-014.jpg" alt="" /><br />
-<span class="s80">Zweites Kapitel</span><br />
-Auf der Apfelstraße</h2>
-
-<div class="h2cnt">
-<p>Warum Besenmüller auf der Pflaumenstraße sitzt und Schwetzers
-Fritze seinen Himbeerapfel fortwirft &ndash; Der neue Lehrer
-findet die Begrüßung sehr seltsam, und Frau Besenmüller erscheint
-zur rechten Zeit</p>
-</div>
-</div>
-
-<p class="drop">In Steinach am Wald blühten die Bäume an den
-Straßen nicht mehr, denn es war Herbst geworden.
-Auf jeder Straße hatte ein anderer Baum die Herrschaft,
-und die Steinacher redeten darum von einer
-Apfelstraße, einer Birnen- und einer Pflaumenstraße.</p>
-
-<p>Die Bäume hingen voller Früchte, und keine
-Steinacher Hausfrau brauchte weder um Weihnachtsäpfel
-noch um Pflaumen zum Kuchen oder um Birnenschnitze
-für die Winterszeit in Sorge zu sein. Von
-allem gab es reichlich. Die Äste brachen fast unter der
-Last der reifen Früchte.</p>
-
-<p>»Destowegen braucht das Kindervolk aber nicht
-immer auf die Bäume zu klettern oder drumherum<span class="pagenum" id="Seite_12">[12]</span>
-zu kriechen,« sagte Besenmüller, der in dieser Zeit in
-Steinach das Amt eines Obstwärters ausübte. Das war
-nicht leicht. Spazierte nämlich Martin Besenmüller
-auf der Apfelstraße entlang, dann spielten die Kinder
-auf der Pflaumenstraße, und schrie da ein Bube
-»Besenmüller!«, flugs liefen alle zur Birnenstraße.</p>
-
-<p>An einem Herbsttag, der heiß und sonnenleuchtend
-war, &ndash; man hätte ihn für einen Sommertag halten
-können &ndash; saß um die erste frühe Nachmittagsstunde
-Besenmüller auf der Pflaumenstraße und strickte. Das
-war eine Arbeit, die ihm manchen Spott eintrug. Die
-Steinacher Kinder waren unnütz genug, ihn oft neckend
-zu bitten: »Besenmüller, ich hab’ ’n Loch im Strumpf,
-geh, schenk mer ’n neuen!«</p>
-
-<p>Dann tat Besenmüller zwar gewaltig böse, er
-schimpfte und schalt, und seine liebe Frau schalt noch
-mehr, aber der Mann blieb doch sitzen und strickte
-weiter. Und seine Frau sagte: »Strick’ nur, Besenmüller,
-was for ’s Gemüt muß der Mensch haben.
-Was für Stadtleute das Gelese und Klaviergespiele is,
-das is for dich das Gestricke. Laß dir deine Freude
-nicht verärgern!«</p>
-
-<p>Besenmüllers Ärger ging aber nicht tief, und
-wenn er zankte, lag wohl ein heimliches Lachen in
-seinen Augen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_13">[13]</span></p>
-
-<p>Ein Vergnügen war es nun wirklich, so im
-Sonnenschein unter einem Baum zu sitzen und zu
-stricken. Besenmüller hatte einen rosenroten Strumpf
-vor, und seine Laune war auch rosenrot; er rief herzvergnügt
-»Guten Tag!«, als ein Bauer vorbeikam.</p>
-
-<p>»Na, Besenmüller, hütest du die Zwetschen mal
-wieder?« fragte der Mann. »Freilich, freilich, se sin
-arg schene alleweil. Das Kindervolk möchte zu gern
-ran.«</p>
-
-<p>Besenmüller lächelte schadenfroh. Auf der Birnenstraße
-gab es nicht mehr viel zu holen, und die Winteräpfel,
-die noch auf den Bäumen saßen, lockten nicht
-so sehr. »Se sin jetzt sehre wilde, de Kinner,« brummelte
-er.</p>
-
-<p>»Jo, jo, wenn nur der neie Lehrer erst käme!«
-gab der Bauer zur Antwort. »Vater Hiller ist zu gut.«</p>
-
-<p>»Aus ’ner großen Stadt kommt der.« Besenmüller
-machte ein unzufriedenes Gesicht, und der
-Bauer fragte: »Is dir wohl niche recht?«</p>
-
-<p>»Nä, bewahre, ’n Städter ist ’n Städter, der wird
-nich nach Steinach passen. Iche bin unzufrieden.«</p>
-
-<p>Da ging der Bauer kopfschüttelnd weiter. Ja,
-wenn Besenmüller unzufrieden war, so war das eine
-schlimme Sache. Besenmüller war nicht allein Obstwächter,
-er war auch der Schul- und Kirchendiener.<span class="pagenum" id="Seite_14">[14]</span>
-Je ja, und der war nun mit dem neuen Lehrer unzufrieden!</p>
-
-<p>Besenmüllers Laune war nun nicht mehr so rosenrot
-wie sein Strumpf, der Gedanke an den neuen
-Lehrer hatte sie ihm ein bißchen verdorben. Fünfunddreißig
-Jahre hatte der alte Lehrer Hiller in Steinach
-sein Amt verwaltet, und auf einmal wollte er fort.
-Er brauche Ruhe, hatte der Arzt gesagt. Nun wollte
-Vater Hiller, so wurde er gern genannt, zu seinen Kindern
-ziehen, und ein neuer sollte an seine Stelle treten.</p>
-
-<p>Wie dieser neue Lehrer sein würde, daran dachte
-nicht allein Besenmüller an diesem Nachmittag, auch
-die Kinder redeten davon. Die saßen alle miteinander,
-Buben und Mädel, große und kleine, auf der Apfelstraße
-und fanden, daß Winteräpfel auch schon im
-Herbst ganz gut eßbar sind. Sie kannten auch genau
-die Bäume, auf denen die frühreifen Früchte hingen.
-Die Buben saßen auf den Bäumen, die Mädel darunter,
-und alle schmausten sie mit vollen Backen.</p>
-
-<p>Dort, wo sich die Apfelstraße schon dem kleinen
-Bahnhof näherte, &ndash; er lag etwa eine Viertelstunde
-vom Dorf entfernt &ndash; saß auf einem Himbeerapfelbaum
-Arnulf Weber. Schlank und rank war er;
-wenn er mit seinen Kameraden ging, ragte er immer
-ein Stückchen über sie hinaus. Und lärmten die Buben<span class="pagenum" id="Seite_15">[15]</span>
-auf der Straße gar zu arg, dann sagten die Steinacher:
-»Mer hört’s, Arne is dabei.«</p>
-
-<p>Arne saß oben auf dem Baum, und im untersten
-Geäst hing Fritze Schwetzer. Der war kurz und stämmig,
-und seinen Namen verdiente er gar nicht. Maulfauler
-als Fritze Schwetzer konnte nicht leicht einer sein. Wenn
-den seine Mutter mit einer Bestellung zu einer Nachbarin
-schickte, dann sagte er dort meist nur das letzte
-Wort, etwa »Kuchenblech«, die Nachbarin mußte es sich
-dann dazu denken, daß Frau Schwetzer ein Kuchenblech
-geliehen haben möchte. An diesem Herbstnachmittag
-sagte Fritze überhaupt nichts. Er aß nur einen
-Himbeerapfel nach dem andern, obgleich seine Mutter
-bei Tisch gesagt hatte: »Fritze, du wirst noch platzen,
-wenn du so arg stopfst.«</p>
-
-<p>Desto mehr redete Arne. Seine Stimme tönte
-hell die Apfelstraße entlang, und von einem Pfundapfelbaum
-und anderen Bäumen, auch aus dem Graben
-heraus, in dem die Mädel saßen, kam Antwort.
-Lustige Neckworte flogen hin und her. Manchmal sauste
-ein Apfel von Baum zu Baum, im Graben kicherte
-es, und in all den heiteren Lärm hinein schrie auf einmal
-Zimplichs Max: »Nu kommt er balde!«</p>
-
-<p>»Wer denn?« Die den Ruf gehört hatten, fragten
-es, und die anderen riefen: »Was hat er gesagt?«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_16">[16]</span></p>
-
-<p>»Der Neue.« Zimplichs Max brüllte es laut, und
-Ach- und Ohrufe tönten die Apfelstraße entlang. Auf
-einmal dachten sie alle an den neuen Lehrer, auf den
-sie ungeheuer neugierig waren. Ob er wohl sehr streng
-war? Strenger als Herr Hiller sicher! Und nun
-würden die schönen vielen Feiertage ein Ende haben,
-denn Vater Hiller hatte zuletzt nicht mehr soviel unterrichten
-können, er war lange leidend gewesen.</p>
-
-<p>»Ich fürcht’ mich niche!« Ein kleiner, dicker
-Stöpsel, der mit Müh und Not auf einen niedrigen
-Baum gekommen war, schrie es kühn und laut. Das
-Wort fand Beifall von da und dort, von oben und
-unten versicherten es Buben und Mädel: »Wir ferchten
-uns niche.«</p>
-
-<p>»Jackenknöpfle hat recht!« Webers Arne warf
-dem kleinen, dicken Burschen einen roten Himbeerapfel
-hinüber, der fing ihn auf, biß hinein und ärgerte sich
-dabei. Sein Spitzname kränkte ihn. Jakobus Knöpfle
-hieß er, daraus hatte ein Spaßvogel Jackenknöpfle
-gemacht, und dieser Name hing ihm nun an. Seine
-Mutter tröstete zwar: »Sei froh, daß sie nicht Hosenknöpfle
-sagen!« Aber das war doch nur ein schlechter
-Trost.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Während so die Kinder auf der Apfelstraße von
-dem neuen Lehrer redeten und Besenmüller auf der<span class="pagenum" id="Seite_17">[17]</span>
-Pflaumenstraße verdrießlich an ihn dachte, fuhr Herr
-Heinrich Fries im Zuge nach Steinach. Er war der
-neue Lehrer, und als er so das Land im Herbstschmuck
-sah und an seine Frühlingsreise dachte, kam es ihm
-ganz wunderbar vor, daß nun Steinach sein Ziel war.
-Wie es so kommt. Im Sommer hatten die Ersparnisse
-noch nicht zu einer Reise gereicht, und Mutter und
-Sohn hatten zueinander gesagt: »Nächstes Jahr vielleicht.«
-Und dann war Heinrich Fries eines Tages in
-die Schule gekommen, in der er als Hilfslehrer unterrichtete,
-da hatte sein Rektor zu ihm gesagt: »Wollen
-Sie auf das Land? Es ist schnell eine gute Stelle zu
-besetzen. Der dortige Lehrer ist krank, er will in den
-Ruhestand treten.«</p>
-
-<p>Auf das Land? Dorflehrer sollte er werden? Nur
-zögernd hatte er gefragt: »Wie heißt denn der Ort?«</p>
-
-<p>»Steinach am Wald.« Der junge Lehrer im Zug
-mußte wieder lächeln, als er an sein Erstaunen damals
-dachte und an das seiner Mutter über den seltsamen
-Zufall. Steinach am Wald, dorthin sollte er.
-Nur drei Tage blieben ihm Bedenkzeit, und in diesen
-Tagen hatten Mutter und Sohn viel von dem fernen
-Dorf gesprochen. Sehr froh waren sie beide nicht, sie
-wären gern in der Stadt geblieben.</p>
-
-<p>Frau Fries gehörte zu jenen Müttern, in deren<span class="pagenum" id="Seite_18">[18]</span>
-Herzstübchen die Wände voller Bilder hängen, fast
-alles Bilder ihrer Kinder. In diesem Stübchen stehen
-dann lauter Dinge, an denen die Kinder ihre Freude
-haben oder sie einst hatten. Auch ein großes Sorgenwinkelchen
-gibt es drin, dort liegt das Leid der Kinder.
-Manchmal ist dieser Sorgenwinkel recht groß, und die
-Mutter hat viel, viel damit zu tun. Auch Frau Fries’
-Herzstübchen war immer ausgefüllt von der Sorge und
-Freude um ihren Sohn. An sich selbst dachte sie nie,
-nur an den Sohn, und der sollte mehr werden als nur
-ein Dorflehrer, ein Gelehrter sollte er werden wie sein
-Vater. In der Stadt konnte er weiterarbeiten, auf
-dem Dorfe wohl nicht.</p>
-
-<p>Die gute Mutter! dachte Heinrich Fries, als er
-Steinach immer näher kam. Nun würde er bald dort
-sein, aber allein zuerst, so hatte es die Mutter verlangt.
-»Wenn es dir nicht gefällt, kommst du zurück,« waren
-ihre Worte gewesen. Und der Sohn wußte, sie würde
-in ihrer Einsamkeit von morgens bis abends arbeiten,
-nur für ihn. Sie würde für ihn sorgen unermüdlich,
-vielleicht kam er bald zurück und brauchte ihre Hilfe.</p>
-
-<p>Da hielt der Zug, Steinach am Wald war erreicht.
-Er stieg aus und sah, daß er der einzige Reisende war,
-der das tat. Der Zug fuhr weiter, und er schlug den
-Weg nach dem Dorfe ein. »Nur immer die Apfelstraße<span class="pagenum" id="Seite_19">[19]</span>
-hinunter,« sagte der Bahnbeamte freundlich.
-»Ihren Koffer lassen Sie nur hier, Herr Lehrer, &ndash;
-das sind Sie doch?«</p>
-
-<p>Der Mann grüßte und nickte, und Heinrich Fries
-ging die Apfelstraße entlang. In der großen Stadt,
-aus der er kam, konnte er durch viele Straßen gehen,
-niemand kannte ihn, und hier wußten sie gleich, wer
-er war. Es ist freilich ein Dorf, sagte er zu sich und
-seufzte im Herzen, nur ein Dorf!</p>
-
-<p>Um diese Zeit dachte Besenmüller gerade auf der
-Pflaumenstraße: »Heute sin se aber brav, die Kinner!«
-und die braven Kinder jauchzten, lärmten und
-schmausten vergnügt auf der Apfelstraße. Da tönte
-der schrille Pfiff einer Lokomotive in das fröhliche
-Gelärm hinein, und Arne schrie: »Vielleicht kommt
-jemand.«</p>
-
-<p>Geschwind verkrochen sich die Buben im dichteren
-Blattgewirr, und die Mädel duckten sich in den Graben.
-Es war doch möglich, daß jemand vom Bahnhof kam,
-und wenn sie auch alle meinten, im Recht zu sein mit
-dieser Schmauserei, erwischen lassen wollte sich keins.
-Ein paar meinten: »Arne, paß auf!«</p>
-
-<p>»Es kommt wer &ndash; ’n Fremder!« schrie der zurück,
-und der Ruf eilte die Apfelstraße entlang von Baum
-zu Baum.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_20">[20]</span></p>
-
-<p>Von den Bäumen herab, aus dem Straßengraben
-hinauf lugten schwarze und blaue Augen dem Ankommenden
-lustig entgegen. Wer mochte das sein?
-Ein Fremder in Steinach, welch ein Wunder!</p>
-
-<p>Fritz Schwetzer allein kümmerte sich nicht um den,
-der kam. Er hatte eben einen Himbeerapfel angebissen,
-der außen schön rot und glänzend, aber innen verfault
-und bitter war, das ärgerte ihn. Er drehte den Apfel
-rundum, biß noch einmal da an und dort, vielleicht
-gab es noch eine süße Stelle, aber da der Apfel bitter
-blieb, warf Fritze ihn in weitem Bogen auf die Landstraße,
-da mochte er liegen.</p>
-
-<p>»Holla, was ist denn das?« Heinrich Fries sah
-sich erstaunt um, ihm war etwas an den Kopf geflogen
-und hatte ihm den Hut heruntergerissen, und doch war
-es ganz windstill, kein Lufthauch war zu spüren. Aber
-freilich, in den Bäumen raschelte und zitterte das Laub,
-und der junge Lehrer sah da und dort Bubenbeine
-hängen, er sah auch neben seinem Hut einen angebissenen
-Apfel liegen. Rasch trat er auf den Himbeerapfelbaum
-zu, packte Fritzes Beine und rief: »He,
-du da oben, ist das Sitte hier, Fremden den Hut vom
-Kopf zu werfen?«</p>
-
-<p>Fritze erschrak. Er sagte aber nichts, sondern versuchte
-nur seine Beine zu befreien. Arne beugte sich<span class="pagenum" id="Seite_21">[21]</span>
-rasch hinab, um sich den Fremden näher anzusehen.
-Doch dabei entglitt ihm sein Apfel und traf Herrn
-Fries an die Nase.</p>
-
-<p>»Potzwetter,« rief der nun ärgerlich, »da sitzt ja
-noch so ’n heilloser Bube! Ihr scheint mir ja nette
-Rangen zu sein! Kommt mal gleich herunter.«</p>
-
-<p>»Nä,« rief Arne trotzig. Der hatte gar keine Lust,
-mit dem Fremden unten auf der Landstraße zu stehen.
-Auch Fritze Schwetzer verspürte dazu keine Neigung,
-aber ihn konnte der junge Mann leicht herunterholen.
-Das war bedenklich, und er überlegte, es wäre eigentlich
-ganz ratsam, dem fremden Mann einfach über den
-Kopf weg zu springen. Auf diese Weise entging er
-aller Fragerei. Gedacht, getan. Ehe Herr Heinrich
-Fries noch wußte, wie und was, sauste Fritze vom
-Baum herunter; aber hatte vorher sein Apfel des
-jungen Lehrers Hut mitgenommen, so nahm der Bube
-gleich diesen selbst. Pardauz lagen beide auf der
-Straße, Fritze überschlug sich zweimal, sprang auf und
-raste hinweg.</p>
-
-<p>Aus dem Graben schauten drei lachende kleine
-Mädel heraus, und oben auf dem Baume kreischte
-Arne laut vor Vergnügen. Sein Jubel fand ein Echo.
-Plötzlich lachte, schrie und kicherte es die ganze Apfelstraße
-entlang. Den Buben und Mädeln schien die<span class="pagenum" id="Seite_22">[22]</span>
-Purzelei des Fremden ein lustiger Spaß zu sein, dieser
-selbst freilich fand es gar nicht lustig, der war sehr verdrießlich.
-Er suchte mißmutig seine Sachen zusammen,
-die zerstreut am Boden lagen, und dachte dabei: »Das
-ist ja ein netter Anfang! Wenn das so weiter geht,
-wird es mir schwerlich gut in Steinach gefallen.«</p>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="illu-001">
- <img class="w100" src="images/illu-001.jpg" alt="" />
- <div class="caption"><span class="larger">Die Schelme von Steinach.</span> Seite 22.</div>
-</div>
-
-<p>Unschlüssig stand er eine Weile da und sah die
-lange Straße hinab. Kerzengerade lief sie bis zum
-Dorfe hin; an ihrem Ende ragte fein und schlank der
-Kirchturm in die Luft. Der junge Lehrer sah aber
-nicht allein das Dorf im Hintergrunde, er sah auch da
-und dort Bubenbeine von den Bäumen herabhängen,
-und kleine kecke Mädelnasen streckten sich aus dem
-Graben heraus. Recht seltsame Früchte waren das.
-Wie er noch so stand und sich seine zukünftigen Schulkinder
-betrachtete, tönte von unten herauf der Ruf:
-»Besenmüller, Besenmüller kommt!«</p>
-
-<p>Ritsch, ratsch verschwanden die Beine, wie reife
-Äpfel plumpsten die Buben von den Bäumen, aus dem
-Graben kamen die Mädel heraus, und heidi ging es
-nach rechts und nach links über die Stoppelfelder hinweg.
-Im Umsehen lag die Apfelstraße verlassen da,
-nur eine auffallend große Frau schritt dem jungen
-Lehrer entgegen.</p>
-
-<p>In der Mitte der Straße trafen sich beide. Die<span class="pagenum" id="Seite_23">[23]</span>
-Frau musterte rasch den Fremden, dann sagte sie: »Ich
-bin die Besenmüllern, Herr Lehrer!«</p>
-
-<p>»Ja, kennen Sie mich denn?«</p>
-
-<p>»Nu freilich, sonst kommt doch ’n Fremder nich
-her um die Zeit. Und Pflaumenkuchen hab’ ich schon
-gebacken, und unser alter Herr Lehrer erwartet Sie.
-Und mein Mann sitzt unten auf der Pflaumenstraße,
-und ich dachte gleich, de Kinner sin hier. Besenmüller
-is zu gut, viel zu gut, Herr Lehrer, so gut is keiner
-wie der. Er müßte strenger sein gegen die Kinner.
-Gelle, das meinen Sie auch?«</p>
-
-<p>»Hm,« sagte der junge Lehrer nur. Er kannte
-weder Besenmüller noch seine Frau, er wußte nichts
-von deren Güte oder Strenge. »Ich will nun gehen,«
-murmelte er.</p>
-
-<p>»Ich geh’ mit, und Ihr Zimmer ist schon fertig,
-Herr Lehrer.«</p>
-
-<p>So schwatzte Frau Besenmüller, des Kirchen- und
-Schuldieners Frau, unablässig weiter und führte den
-jungen Lehrer nach Steinach hinein. Der brauchte
-nichts zu fragen und zu sagen, Frau Besenmüller erzählte
-ihm alles, wie ein Mühlwerk ging ihre Rede,
-und dabei konnte ihr Begleiter nie sehen, weinte sie
-oder lachte sie, weil nämlich ihr Gesicht ganz merkwürdig
-schief war. Seltsame Leute und seltsame<span class="pagenum" id="Seite_24">[24]</span>
-Sitten scheint es hier in Steinach zu geben, dachte der
-junge Lehrer, als sie das Dorf erreichten. Ob ich hier
-wohl lange bleiben werde? Sicherlich nicht!</p>
-
-<p>»Nä, so was,« rief da Frau Besenmüller, »Webersch
-Wagen is umgepurzelt, nä aber!«</p>
-
-<p>Quer über die Straße lag ein umgestürzter
-Düngerwagen und versperrte den Zugang. Der Duft,
-der von ihm ausging, war nicht lieblich, und Heinrich
-Fries schickte sich seufzend an, in einem weiten Bogen
-herumzugehen, und so langte er endlich verdrießlich
-vor dem Schulhause an.</p>
-
-<div class="figcenter" id="illu-027">
- <img src="images/illu-027.jpg" alt="" />
-</div>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_25">[25]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Drittes_Kapitel"><img src="images/illu-028.jpg" alt="" /><br />
-<span class="s80">Drittes Kapitel</span><br />
-Der Empfang</h2>
-
-<div class="h2cnt">
-
-<p>Eine Ratssitzung auf dem Schelmenacker &ndash; Malchen gibt ein
-rotes Band, und Fritze Schwetzer zeigt, wie gut er werfen kann
-&ndash; Besenmüller nennt seine Frau Lydia, und Heinrich Fries
-lauscht dem Abendgesang</p>
-</div>
-</div>
-
-<p class="drop">»Da sin mer also!«</p>
-
-<p>Frau Besenmüller blieb vor einem großen,
-stattlichen, gelbgetünchten Hause stehen, und der junge
-Lehrer sah verwundert daran empor. Das sollte ein
-Dorfschulhaus sein?</p>
-
-<p>»Gelle, das ist mal fein?« Die Frau Besenmüller
-schmunzelte, und selbst ihre weinerliche Gesichtsseite
-wurde freundlich. Sie war ungemein stolz auf das
-Schulhaus und merkte gleich, dem neuen Lehrer gefiel
-es.</p>
-
-<p>Der maß das stattliche Gebäude mit hellen Blicken.
-Ja freilich, so ein Haus konnte einem schon gefallen.
-Es glich eher einem großen Gotteshaus, und es mochte
-anderthalb Jahrhunderte und mehr auf seinem Platze<span class="pagenum" id="Seite_26">[26]</span>
-stehen. Es war zweistöckig und hatte ein doppeltes
-Dach. Lustig, wie lauter vergnügte Kinderaugen, schauten
-die Dachaugen in die Welt hinein. An der Ostseite
-rankte sich wilder Wein am Hause empor, der
-glühte im Herbstrot, und so in farbiger Schöne prangte
-auch der Garten, der von zwei Seiten an das Haus
-grenzte.</p>
-
-<p>»Gelle ja, das is fein?« sagte Frau Besenmüller
-noch einmal und führte den jungen Lehrer in
-das Haus hinein. Dem weiten Hausflur und der schön
-gewundenen Treppe war es auch anzumerken, daß das
-Haus nicht als Schule gebaut worden war. »Ein Graf
-hat das Haus einmal gebaut,« erzählte denn auch des
-Schuldieners Frau eifrig, als sie die Treppe voran
-emporstieg. »Der hat gesagt, in der Stadt taugten die
-Leute nischte niche, womit er ja recht hatte, und daderum
-wollte er auf dem Dorfe leben. Wie nun das Haus
-fertig war, is er niche reingezogen, denn hat’s ihm gerade
-wieder in der Stadt gefallen. Da hat er gesagt,
-auf dem Dorf taugten sie nischte niche. Närrsch, gelle?
-Ja, so sin nu die Leute. Un hier is unser alter Herr
-Lehrer, un ich bring’ gleich den Kaffee.«</p>
-
-<p>Frau Besenmüller hatte eine Türe geöffnet und
-rief in das große, helle Gemach hinein: »Hier is er!«
-Dann verschwand sie eilig, und die beiden Lehrer standen<span class="pagenum" id="Seite_27">[27]</span>
-sich gegenüber. Der eine weißhaarig und gebückt,
-viele, viele Furchen im alten, milden Gesicht, der andere
-blond, groß und schlank, seine grauen Augen blitzten
-tatenlustig. Sie schüttelten sich die Hände, und jeder
-dachte vom andern: »Der gefällt mir.«</p>
-
-<p>Frau Besenmüller brachte wirklich sehr schnell
-Kaffee und einen ungeheuren Teller voll Pflaumenkuchen
-dazu, auch Brot, Butter und Wurst, gerade so,
-als hätte Heinrich Fries eine Weltreise gemacht. »Dieser
-Empfang gefällt mir besser,« sagte er heiter, und dann
-berichtete er Vater Hiller von seinem Erlebnis auf der
-Apfelstraße. Der lächelte dazu und erwiderte: »Böse
-gemeint war’s nicht, na ja, aber wild sind sie freilich,
-das ist schon wahr.«</p>
-
-<p>Er erzählte seinem jungen Nachfolger allerlei von
-Steinach und seinen Bewohnern, von den Kindern und
-dem Schulhaus. Das war wirklich ein altes Herrenhaus
-gewesen, wie es Frau Besenmüller erzählt hatte.
-Drei alte Gräfinnen, Schwestern, hatten zuletzt viele
-Jahre darin gewohnt, und es war nach ihrem Tode,
-weil ihr Erbe unauffindbar gewesen war, dem Dorf
-als Schulhaus gegeben worden.</p>
-
-<p>Während die beiden Lehrer so von alten und
-neuen Zeiten, vom Schulhaus und den Steinacher
-Kindern sprachen, saßen die letzteren auf dem sogenannten<span class="pagenum" id="Seite_28">[28]</span>
-Schelmenacker. Das war ein Stück Wiesenland
-zwischen der Apfelstraße und der Birnenstraße;
-dort lag inmitten ein großer Steinhaufen, auf dem es
-sich wunderbar saß, wenigstens sagte es Webers Arne.
-Alle die Buben und Mädel hatten sich hier versammelt,
-die auf der Apfelstraße gewesen waren. Dort hatten
-etliche Frau Besenmüllers laute Worte gehört, und
-sie wußten es jetzt, der Fremde war der neue Lehrer.</p>
-
-<p>Sie waren sehr niedergeschlagen, denn so seltsam
-hatten sie den neuen Lehrer doch nicht empfangen
-wollen. »Du bist dran schuld,« sagten sie alle einmütig
-zu Fritze Schwetzer.</p>
-
-<p>»Nä.« Fritze sagte weiter nichts, aber dies eine
-Wort ärgerte die andern, sie riefen entrüstet: »Leugne
-nich, du hast’n Hut runtergeschmissen!«</p>
-
-<p>»Ja.« Fritze seufzte, das viele Reden war doch
-beschwerlich.</p>
-
-<p>»Wir wollen was singen.« Ein Mädel mit Augen
-und Haaren, wie Tinte so schwarz, rief das.</p>
-
-<p>»Jetzt?« Ein paar Stimmen fragten es mißmutig.
-»Warum denn?«</p>
-
-<p>»Hier doch nicht!« Hinzpeters Malchen, so wurde
-die Kleine genannt, kicherte in ihre Schürze hinein.
-»Hihihi, ich meine &ndash; nä &ndash; so nich, hihihi, wir wollen
-dem neuen Herrn Lehrer was singen.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_29">[29]</span></p>
-
-<p>»Nä.« Fritze Schwetzer sah Malchen ganz wütend
-an. Singen, das könnte ihm passen!</p>
-
-<p>Die andern fanden den Plan aber nicht so dumm,
-einige sagten ja, andere nein, bis Arne alle überschrie:
-»Wir wollen doch in der Schule singen, beim ersten
-Mal, Herr Hiller hat’s gesagt.«</p>
-
-<p>Freilich, so war’s, Arne hatte recht. In der
-Schule sollten sie den Lehrer mit Gesang begrüßen.</p>
-
-<p>»Wir bringen ihm ’nen Strauß.« Malchen kicherte
-wieder, und wieder sagten etliche ja und etliche nein.</p>
-
-<p>Die Buben waren die Neinsager, die Mädel die
-Jasagerinnen. »Blumen sind Quatsch,« erklärte der
-kleine dicke Jakobus.</p>
-
-<p>»Och, Jackenknöpfle, sei doch stille, Blumen sind
-fein! Und Stadtleute lieben Blumen.«</p>
-
-<p>Vier Mädel redeten auf einmal, und sie hörten
-auch nicht gleich auf, sie erzählten von allerlei Blumenempfängen,
-von denen sie wußten oder gehört hatten.</p>
-
-<p>Eine Weile wogte der Streit hin und her, aber
-zuletzt fanden die Buben den Blumenstrauß ganz gut,
-und sie beschlossen, jeder sollte rasch laufen und Blumen
-holen, und dann wollten sie hier einen schönen
-Strauß binden. Malchen Hinzpeter versprach ein rotes
-Band dazu.</p>
-
-<p>Nun der Plan gefaßt war, gingen alle sehr eilig<span class="pagenum" id="Seite_30">[30]</span>
-an die Ausführung. Das Blumenholen war nicht so
-einfach. In den kleinen Gärten, die so freundlich die
-Häuser von Steinach schmückten, gab es zwar noch
-allerlei Blumen, aber die Bäuerinnen hüteten sie ängstlich.
-In Steinach gingen die Frauen Sonntags noch
-mit einem Strauß zur Kirche, und jede wollte einen
-schönen Kirchenstrauß haben. Weil es im Herbst auch
-allerlei Feste gab, Hochzeiten und Kirmesfeiern, darum
-hüteten die Steinacherinnen im Herbst ihre Gärten
-besonders gut. Heimlich huschten die Buben und Mädel
-hinein, pflückten von den nur noch spärlichen Blumen
-ab, was sie erreichen konnten, und kehrten mit ihrem
-Raube vergnügt zum Schelmenacker zurück.</p>
-
-<p>Dort wanden die Mädel den Strauß, alles kunterbunt
-durcheinander: Astern, späte Levkoien, gelbe Studentenblumen
-und Georginen, so dick wie Pfannkuchen;
-auch ein paar Reseden und Rosen kamen noch hinein,
-dazu Spargelkraut, und das rote Band umschloß das
-Ganze zuletzt feierlich.</p>
-
-<p>Als der Strauß fertig war, entstand eine große
-Frage: Wer sollte ihn überreichen?</p>
-
-<p>»Ich, ich, ich!« schrieen geschwinde etliche Stimmen,
-aber schnell kam es ihnen in den Sinn, daß es ein
-schweres Werk sei, dem neuen, fremden Lehrer den
-Strauß zu geben, und alle riefen einmütig: »Ich nicht!«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_31">[31]</span></p>
-
-<p>»Webers Arne soll’s tun,« sagten die Mädel.</p>
-
-<p>»Hinzpeters Malchen ist die Rechte dazu,« erklärten
-die Buben. Aber die beiden wollten auch nicht.
-Sie redeten alle hin und her, bis zuletzt Arne sagte, er
-wolle es tun, aber Malchen müsse den Strauß tragen,
-und alle sollten mitgehen. Damit waren denn die
-andern einverstanden, und sie zogen nach dem Schulhause,
-Malchen mit dem Strauß, den sie ängstlich
-unter ihrer Schürze verbarg.</p>
-
-<p>Sie beschrieben einen Umweg und langten so
-ziemlich unbemerkt vor dem Schulhaus an. Dort
-schubsten sie sich vor der Türe herum und wagten
-nicht hineinzugehen; die Allerfurchtsamsten mahnten
-ärgerlich: »Arne, geh doch! Hinzpeters Male ist ’n
-Furchthase.«</p>
-
-<p>Auf einmal rief aus einem der oberen Fenster
-Frau Besenmüller herab: »Nu, was soll’s denn? Was
-wollt ihr?«</p>
-
-<p>Husch, husch, rissen alle aus. Wie die Hasen liefen
-sie davon, denn vor der Schuldienersfrau hatten sie
-gewaltige Angst. Frau Besenmüller schalt noch eine
-Weile, dann klappte sie das Fenster zu, und es war
-wieder still. Die Kinder standen alle hinter dem
-Hause und sahen zu den Fenstern empor. Jackenknöpfle<span class="pagenum" id="Seite_32">[32]</span>
-zeigte auf ein Fenster, das offen stand; er
-flüsterte geheimnisvoll: »Dort wohnt er!«</p>
-
-<p>»Fein!« jubelte Arne. »Wir werfen den Strauß
-rein.«</p>
-
-<p>»Nä!« murrte Fritze Schwetzer, aber gleich fragten
-fünf zugleich: »Willst du ihn reintragen?«</p>
-
-<p>»Nä!« Fritze verzog sich. So ging es immer:
-Wenn er einmal was sagte oder sagen wollte, schrieen
-die andern so sehr, das war wirklich anstrengend.</p>
-
-<p>»Ich werfe!« Webers Arne nahm Malchen den
-Strauß aus der Hand, zielte, und bums schlug der
-Strauß an ein anderes Fenster an.</p>
-
-<p>»Ich kann’s besser!« Heine Langbein griff nach
-dem Strauß, und die Mädel kreischten: »Ihr zerhaut
-ihn noch!«</p>
-
-<p>Richtig, pardauz klatschte der Strauß an die
-Mauer an und fiel zurück, und Röse Traugott ergriff
-ihn noch, ehe er auf die Erde fiel.</p>
-
-<p>»Ich will werfen!« &ndash; »Nä, ich!«</p>
-
-<p>Ein paar Bubenhände griffen nach dem Strauß,
-aber Röse wehrte ab und klagte: »Da, die Rose ist
-schon abgebrochen und die auch.«</p>
-
-<p>»Schwetzers Fritze, wirf du doch, du kannst das
-so fein!« rief Arne. Das war nicht Spott, Fritze war
-als guter Werfer bekannt, und wirklich kam er wieder<span class="pagenum" id="Seite_33">[33]</span>
-herbei, und ihm gab Röse auch den Strauß. »Nimm
-ihn recht in acht!«</p>
-
-<p>»Hm!« Fritze wog den Strauß prüfend in der
-Hand, dann zielte er, trat drei Schritte zurück, zielte
-wieder, und hoch im Bogen sauste der Strauß durch
-die Luft. Wutsch, flog er in das offene Fenster hinein.
-Drinnen erklang ein lautes Klirren, ein Rufen, und
-unten flohen die Kinder entsetzt nach allen Seiten hin
-und schrieen: »Er hat das Fenster eingeschlagen!«</p>
-
-<p>»Nä, drinne etwas!« Husch, husch, husch waren
-alle fort, nur Fritze Schwetzer stand wie erstarrt vor
-dem Hause, er war so tief erschrocken, daß er nicht
-einmal an das Ausreißen dachte. Was war da oben
-geschehen?</p>
-
-<p>Vater Hiller hatte seinen jungen Nachfolger gerade
-in das Zimmer gebracht, in dem er vorläufig
-wohnen sollte. Zur Einrichtung hatte Frau Besenmüller
-überall im Dorfe Hausrat zusammengeborgt.
-Ein wenig zusammengewürfelt sah daher das Zimmer
-innen aus, aber doch freundlich und behaglich, und Heinrich
-Fries meinte, bis seine Mutter nachkäme, würde es
-schon gut gehen. Aus dem Tische stand Frau Besenmüllers
-Glanzstück, eine himmelblaue Glasvase, die
-ihr gehörte. Und just als der junge Lehrer die ansah
-und dachte: »Nein, so ein häßliches Ding!« kam etwas<span class="pagenum" id="Seite_34">[34]</span>
-in das Zimmer geflogen. Klirr ging’s in eine Scheibe
-des Fensters hinein, und klirr, bums, klatsch! lag auch
-die himmelblaue Vase zerschmettert am Boden. Frau
-Besenmüller kreischte entsetzlich. Heinrich Fries eilte
-zum Fenster und sah hinaus. Dort unten stand
-Schwetzers Fritze unbeweglich wie ein Baum. »He
-du,« rief der junge Lehrer hinab, »was soll der Unsinn?
-Hast du geworfen?«</p>
-
-<p>Dem Fritze war die Stimme bis in den Magen
-gerutscht, dort saß sie, und Fritze konnte sich noch so
-abquälen, kein Wörtlein kam heraus.</p>
-
-<p>»Nun, sehen Sie nur, Herr Hiller den Jungen da
-unten, wie frech er dasteht! Ob er geworfen hat?«</p>
-
-<p>Der alte Mann hatte den Strauß erblickt, der in
-eine Ecke gefallen war, er hatte ihn aufgehoben und
-strich nun liebevoll über die zerknickten Blumen. Er
-sah auch Fritze unten stehen und ahnte, die andern
-waren ausgerissen. Milde sagte er: »Es sollte wohl
-ein Willkommensgruß für Sie sein, Herr Kollege.«</p>
-
-<p>»Ein eingeschlagenes Fenster, eine zerbrochene
-Vase und&nbsp;&ndash;,« Heinrich Fries sah nun auch den Strauß
-mit dem roten Bande, da mußte er lächeln. »Ein
-wenig seltsam ist ja die Art, mir die Blumen zu
-bringen.«</p>
-
-<p>»Aber gut gemeint. Ich kenne meine Steinacher<span class="pagenum" id="Seite_35">[35]</span>
-Kinder, sie haben gedacht, es sei sehr schlau so.« Vater
-Hiller lächelte gütig, und sein Lächeln fand auch auf
-dem Gesicht seines Nachfolgers heiteren Widerschein.</p>
-
-<p>Frau Besenmüller dagegen sah nicht allein grimmig
-drein, sie schalt auch für drei, und als sie die
-Scherben ihrer himmelblauen Vase auflas, drohte sie
-bei jedem Stück: »Na, wartet nur, Besenmüller soll
-euch schon strafen, wartet, wartet!«</p>
-
-<p>Es wartete aber keiner von den Missetätern ab,
-was geschehen würde, selbst Schwetzers Fritze war auch
-davongelaufen. Auf dem Schelmenacker fanden sich
-alle wieder zusammen, und sie berieten, was zu tun sei.
-Zerschlagen hatte Fritz mit dem Strauß etwas, das
-stand fest. Etliche wollten ihm darum Vorwürfe
-machen, aber da erhoben Arne und Malchen laut ihre
-Stimmen: »Er kann nischte dafor.«</p>
-
-<p>»Nä,« sagte Jackenknöpfle in edler Selbsterkenntnis,
-»ich hätte noch mehr zerschmissen.«</p>
-
-<p>Sie überlegten ernsthaft, was sie tun sollten, und
-alle meinten, Frau Besenmüller müßte versöhnt werden;
-denn war Frau Besenmüller böse, dann ging sie
-sicherlich von Haus zu Haus und erzählte die Geschichte,
-oder sie stellte sich morgen an die Schultüre und gab
-jedem einen Katzenkopf, ob groß, ob klein, ihr war es<span class="pagenum" id="Seite_36">[36]</span>
-gleich, die stärksten Buben duckten sich vor Frau Besenmüller.</p>
-
-<p>»Wir sagen’s Besenmüller, der hilft uns schon,«
-riefen nach etlichem Hin- und Herreden ein paar Stimmen.
-Der Vorschlag fand gleich ungeteilten Beifall,
-und die Kinder wunderten sich schließlich alle, daß sie
-nicht gleich auf den Gedanken gekommen waren.</p>
-
-<p>»Hurra, zu Besenmüller! Hurra, hurra!«</p>
-
-<p>»Auf der Pflaumenstraße sitzt er.«</p>
-
-<p>Auf der Pflaumenstraße saß Besenmüller wirklich.
-Sein rosenroter Strumpf war ziemlich vollendet,
-keine Bäuerin hätte ihn glatter und sauberer stricken
-können. Aber beinahe entfiel die rosenrote Herrlichkeit
-Besenmüllers Händen, so eilig, mit so viel Geschrei
-und Geschwätz kamen die Kinder alle an.</p>
-
-<p>»Holla, an die Zwetschen geht mir keins!«</p>
-
-<p>»Nä, Besenmüller, nä, wir kommen nur mal so.«</p>
-
-<p>»So, ih nä!« Besenmüller zwinkerte mit den
-Augen. »Was ist denn? Warum ist meine Frau denn
-so böse?«</p>
-
-<p>»Ach, nur wegen dem Strauß!«</p>
-
-<p>»Was ist mit dem Strauß?«</p>
-
-<p>»Wir wollten dem neuen Herrn Lehrer einen
-schenken.«</p>
-
-<p>»Und Schwetzers Fritze hat ihn geworfen.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_37">[37]</span></p>
-
-<p>»Das Fenster war offen.«</p>
-
-<p>»Nur&nbsp;&ndash;.« Da schwiegen alle, und Besenmüller
-strickte klapp, klapp, Nadel um Nadel. Endlich sagte
-er: »Das Fenster ist wohl zerschmissen?«</p>
-
-<p>»Ja &ndash; aa,« ertönte es kleinlaut, »und &ndash; und&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Was denn noch?«</p>
-
-<p>»Das wissen wir niche!«</p>
-
-<p>»Hm, und nun ist Frau Besenmüller böse?«</p>
-
-<p>»Ja, Besenmüller. Wir haben sie noch schimpfen
-hören.«</p>
-
-<p>»Ihr seid wohl gleich ausgerissen, haste nich,
-kannste nich?«</p>
-
-<p>»Ja.« Sie drängten sich alle lachend dichter und
-dichter an Besenmüller heran. »Sag’s ihr doch, sie soll
-wieder gut sein.«</p>
-
-<p>»So fix geht das niche. Erst versprecht, Zwetschen
-werden nich genommen heute.«</p>
-
-<p>»Nä,« riefen alle einstimmig; sie sahen aber gar
-nicht erst zu den Bäumen hinan, so voll hingen sie,
-so köstlich blau schimmerten die Früchte.</p>
-
-<p>»Also euer Wort?«</p>
-
-<p>»Ja!« Sie schrieen es wieder im Chor, und Besenmüller
-wickelte darauf sorgsam seinen Strumpf zusammen,
-nahm seinen Stock und verließ für diesen Tag
-die Pflaumenstraße. Er wußte, die Kinder hielten ihr<span class="pagenum" id="Seite_38">[38]</span>
-Versprechen, also mußte er nun auch das seine halten
-und seine Frau versöhnen. Bis in die Nähe des Schulhauses
-gab die Schar dem alten Manne das Geleit,
-weiter nicht; Frau Besenmüller könnte sie ja sehen.
-Die hatte freilich längst den Zug erblickt, und als ihr
-Mann das Haus betrat, kam sie ihm entgegen und rief
-vorwurfsvoll: »Besenmüller, du bist zu gut, nä, die
-Kinner verdienen’s nicht!«</p>
-
-<p>»Aber Lydia, Kinner sin Kinner!« Weiter sagte
-der Schuldiener gar nichts. Es war auch nicht nötig.
-Seine Frau vergaß die himmelblaue Vase, das zerschlagene
-Fenster, ihren Zorn und alles; wenn ihr
-Mann sie Lydia nannte, dann war es ihr immer gleich
-wie Feiertag, pflegte sie zu sagen. Es gab nämlich
-auf der ganzen weiten Welt keinen Menschen, den die
-Schuldienersfrau mehr bewunderte als ihren Mann.
-Was der sagte, galt. Wenn der Herr Schulrat gekommen
-wäre und hätte Besenmüller du genannt und ihn zum
-Schulvorstand ernannt, Frau Besenmüller hätte sich kein
-bißchen darüber verwundert. Höchstens hätte sie gesagt:
-»So was ist richtig!«</p>
-
-<p>Die Kinder sahen den Schuldiener in das Haus
-treten, hörten drinnen die Stimme der Frau, dann
-liefen sie beruhigt von dannen &ndash; nun war Frau Besenmüller
-versöhnt.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_39">[39]</span></p>
-
-<p>Sie schliefen alle trotz ihrer verschiedenen Dummheiten,
-die sie tagsüber begangen hatten, sehr gut.
-Nur Schwetzers Fritze träumte schwer, er war im
-Traum als riesengroßer Blumenstrauß dem neuen
-Lehrer selbst vor die Füße gefallen. Doch Träume sind
-Schäume, sie vergehen im Lichte des neuen Tages.</p>
-
-<p>Ernste Gedanken vergehen nicht so leicht, die verscheuchen
-selbst den Schlaf. Während in Steinach am
-Wald alles in tiefer Ruhe lag, strahlten im Schulhaus
-noch lange zwei Fenster hell in die Nacht hinaus.
-Der alte und der junge Lehrer, sie wachten beide, jeder
-saß einsam in seinem Zimmer, der eine sann der Vergangenheit,
-der andere der Zukunft nach. »Ich wollte,
-ich könnte in meinem Steinach bleiben,« dachte Vater
-Hiller wehmütig; es wurde ihm schwer, aus seinem
-lieben Amt zu scheiden. Sein junger Nachfolger aber
-seufzte: »Werde ich es je in diesem Steinach aushalten?«
-Er stand am offenen Fenster, ringsherum
-lag alles im Schweigen. Bis auf einmal ein fernes
-Sausen durch die Nacht kam; es klang näher, ein Pfiff
-ertönte, dann verhallte das Sausen wieder: ein Zug
-war vorbeigefahren. »Könnte ich doch wieder mit hinaus
-aus dieser Enge!« entfuhr es dem jungen Lehrer,
-und er seufzte abermals.</p>
-
-<p>Heinrich Fries streckte die Arme aus, aber plötzlich<span class="pagenum" id="Seite_40">[40]</span>
-ließ er sie sinken und lauschte, ein anderer Ton
-wurde laut, ein feines, süßes Singen rauschte auf.</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">»Breit aus die Flügel beide,</div>
- <div class="verse indent0">O Jesu, meine Freude,</div>
- <div class="verse indent0">Und nimm dein Küchlein ein!</div>
- <div class="verse indent0">Will Satan mich verschlingen,</div>
- <div class="verse indent0">So laß die Englein singen:</div>
- <div class="verse indent0">Dies Kind soll unverletzet sein.</div>
- <div class="verse indent0">Auch euch, ihr meine Lieben,</div>
- <div class="verse indent0">Soll heute nicht betrüben</div>
- <div class="verse indent0">Ein Unfall noch Gefahr,</div>
- <div class="verse indent0">Gott laß euch ruhig schlafen&nbsp;…«</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Die Stimme verhallte, und nichts regte sich mehr
-im Dorf. Heinrich Fries stand noch lange am Fenster.
-Er war aber nicht mehr unruhig und niedergedrückt,
-das holde Singen hatte ihn froh gemacht, und er dachte
-an die neue Arbeit, und daß er sein Amt mit frischem
-Mut antreten wolle.</p>
-
-<div class="figcenter" id="illu-043">
- <img src="images/illu-043.jpg" alt="" />
-</div>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_41">[41]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Viertes_Kapitel"><img src="images/illu-044.jpg" alt="" /><br />
-<span class="s80">Viertes Kapitel</span><br />
-Ein letzter Schultag</h2>
-
-<div class="h2cnt">
-
-<p>Die Brummer wollen auch singen, und die Katze Minchen will
-in die Schule gehen &ndash; Die Hohenstaufen sollen Berge sein, und
-Frau Besenmüller redet von der rechten Liebe</p>
-</div>
-</div>
-
-<p class="drop">Am nächsten Morgen lag Steinach im Nebel. Die
-Sonne wollte zwar sehr gern scheinen, sie bezeigte
-die allergrößte Lust dazu, aber der Nebel ließ sich nicht
-so schnell verjagen. Der hatte das ganze Dorf in dichte,
-weißgraue Schleier gehüllt, und es konnte gerade jeder
-noch seinen Nachbar sehen, mehr nicht. Es sah sehr
-lustig aus, wenn auf der Dorfstraße Gestalten im
-Nebel auftauchten und gleich darin wieder verschwanden.
-»Wie Rosinen im Mehl,« sagte Frau Knöpfle,
-des Jakobus Mutter.</p>
-
-<p>Den Kindern schien der Nebel ein vergnügliches
-Ding zu sein, und Jackenknöpfle stellte die nachdenkliche
-Frage: »Ob’s mal so dicken Nebel gibt, daß mer
-die Schule nich findet?«</p>
-
-<p>Die andern meinten zwar alle, dies würde sehr<span class="pagenum" id="Seite_42">[42]</span>
-fein sein, und etliche strengten sich auch an, die Schule
-nicht zu sehen, sie sahen sie aber doch. Zum Überfluß
-klingelte Frau Besenmüller auch noch lauter als sonst,
-und die Kinder dachten schon: »Oje, vielleicht ist sie
-doch böse!« Aber die Schuldienersfrau war nicht mehr
-böse. Die hatte schon am frühen Morgen das Klassenzimmer
-blitzblank geputzt, hatte ein Blumengewinde
-um die Türe angebracht und einen Strauß auf das
-Pult gestellt. Es sah sehr festlich aus, und die Kinder
-staunten ehrfürchtig ihr Schulzimmer an; es wurde
-ihnen darüber auch ganz festlich zumute, und alle
-nahmen sich vor, sehr gut zu singen. Die Steinacher
-waren ein sangeslustiges Völkchen. Sie sangen gern
-und gut, aber Brummer gab es auch unter ihnen
-und solche, die nicht singen konnten, so gern sie vielleicht
-auch wollten. Unter den Kindern war Schwetzers Fritze
-ein rechter Brummer. Alle meinten, dem Buben wäre
-das gleich, aber da irrten sie alle, denn heimlich im
-Herzen bekümmerte es Fritze sehr, daß er so schlecht
-singen konnte. Er hätte manchmal gern recht aus dem
-Herzen heraus gesungen, wie er sich auch sehnte zu
-schwatzen wie die andern. Es war aber damit schlimm.
-Wenn er was sagen wollte, hatten es zwei andere schon
-gesagt, und wenn er singen wollte, rief selbst der gute
-Vater Hiller: »Hör’ auf!«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_43">[43]</span></p>
-
-<p>Schweigsam war Hinzpeters Malchen nun freilich
-nicht, und wenn sie sprach, hatte sie auch ein glockenhelles
-Stimmlein, aber singen, das konnte sie nicht.
-Sie sang immer ein paar Töne zu tief oder ein paar
-Töne zu hoch, sie rutschte mit ihrem Singsang immer
-aus, und wenn die andern in die Höhe kletterten, saß
-sie im Graben. Sie wurde darum die »Krähe« genannt,
-ein Name, der Malchen bitter kränkte, denn
-sie war so singlustig wie eine rechte Lerche. Daheim
-sang sie auch nach Herzenslust, und niemand störte sie.
-Ihr Vater meinte: »Ein Hahn kräht ja auch, die Schafe
-blöken, die Gänse schnattern, ja, warum soll da mein
-Malchen niche singen?«</p>
-
-<p>Auch die alte Großmuhme sagte das. Sie war
-freilich ziemlich taub, sie erklärte aber doch: »Malchen
-singt sehre scheene, fast wie ’n Engel. Vielleicht gefällt’s
-auch dem neuen Herrn Lehrer besser, mer kann
-so was niche wissen.«</p>
-
-<p>Daran nun dachte Malchen, als sie an diesem
-Nebelmorgen zur Schule wanderte. Ach, vielleicht
-konnte sie auch noch einmal so singen wie Pastors
-Regine. Sehr froh, sehr hoffnungsvoll trat sie in das
-Schulzimmer, und dort setzte sie sich so brav an ihren
-Platz, wie es an diesem Tag alle taten. Sie waren alle
-schrecklich neugierig, wie der neue Herr Lehrer sein<span class="pagenum" id="Seite_44">[44]</span>
-würde, und als Vater Hiller mit seinem jungen Nachfolger
-das Zimmer betrat, war es, als wollten alle
-blauen, grauen und braunen Augen den neuen Herrn
-Lehrer verschlingen, selbst die Schüchternen starrten ihn
-unentwegt an. Der mußte ein wenig lächeln, als er
-die Kinder alle so vor sich sah, rechts die Großen, links
-die Kleinen, da die Buben, dort die Mädel. Er sah
-sich auch in dem großen Klassenzimmer um, das blinkte
-vor Sauberkeit, und seine schön mit Stuck verzierte
-Decke erzählte von glanzvoller Vergangenheit.</p>
-
-<p>Vater Hiller sprach das Gebet, und dann begann
-der Gesang. Sorgsam hatte der alte Lehrer das Loblied
-eingeübt, festlich und rein sollte es klingen, dem
-neuen Lehrer zum Gruß. Daran, daß an einem
-solchen Tag die Brummer teilnehmen wollten an
-der allgemeinen Freude, hatte er freilich nicht gedacht.
-Malchen schmetterte zuerst los, Schwetzers Fritze folgte
-ihr, und als das die andern Brummer hörten, sangen
-sie unverzagt mit. Hui ging’s in die Höhe, bums saß
-Schwetzers Fritze in der Tiefe; Malchen war einen
-halben Takt voraus, Hans Neuber schleppte dreiviertel
-Takte hinterher.</p>
-
-<p>Klapp! schlug Vater Hiller auf das Pult. »Stille!
-Was ist das für eine Singerei? Es darf nur mitsingen,
-wer es kann.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_45">[45]</span></p>
-
-<p>Ein paar senkten verlegen ihre Köpfe, nur Malchen
-nicht, die dachte: »Ich kann’s doch, ich habe fein gesungen!«</p>
-
-<p>Das Lied begann noch einmal, und hui entwischte
-Malchens Stimme wieder, die kletterte gleich bis aufs
-Dach. Die andern stockten, und ein paar murrten:
-»Die Krähe singt so falsch!«</p>
-
-<p>Malchen wurde blutrot vor Schreck und Scham,
-und die Tränen stürzten ihr aus den Augen. Malchen
-weinte gleich sehr heftig los, und Heines Marlise tat
-es ihr nach, und Vater Hiller ließ verdrießlich den Taktstock
-sinken. »Aber Kinder,« rief er ärgerlich, »was
-soll das? Schämt euch, so das Festlied zu singen! Wer
-heult, muß raus. Also eins, zwei, drei, jetzt noch einmal!«</p>
-
-<p>Das half, die Mädel stellten das Weinen ein, die
-schlechten Sänger schwiegen, und nun brauste feierlich
-und rein im Klang der Lobgesang auf. Es ging glatt,
-nur beim letzten Vers mischte sich ein seltsamer Ton,
-ein Schnurren, Scharren und Schreien hinein. Kaum
-war das Lied verklungen, da riefen ein paar Stimmen:
-»Eine Katze, eine Katze!«</p>
-
-<p>Vater Hiller war sehr sanftmütig und geduldig,
-er war auch immer mit seinen Schulkindern gut fertig
-geworden. An diesem Tage wurde er aber doch ärgerlich.<span class="pagenum" id="Seite_46">[46]</span>
-Er hatte seinem jungen Nachfolger recht zeigen
-wollen, wie nett und brav seine Schulkinder waren.
-Nun gab es erst die verkehrte Singerei und jetzt das
-Geschrei einer Katze wegen. Er rief darum strenger
-als sonst: »Wo steckt denn die Katze? Wer hat eine
-mit?«</p>
-
-<p>Alle schwiegen, eines sah das andere an, und
-merkwürdig, die Katze schwieg auch.</p>
-
-<p>»Es ist ja keine hier,« brummte der alte Lehrer,
-»irgend jemand&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Miauau, raurau, miau!« schrie es jämmerlich,
-und Kinder und Lehrer sahen sich an und im Zimmer
-herum.</p>
-
-<p>»Vielleicht im Schrank,« sagte Heinrich Fries, der
-daran dachte, daß auch in der Stadt mitunter eine
-Maus auf seltsame Weise in den Schulschrank geriet.
-Vater Hiller sah prüfend die Kinder an. Offen, zutraulich,
-sehr erstaunt waren aller Augen zu ihm aufgeschlagen,
-er sah es gleich, keins hatte ein schlechtes
-Gewissen. Er trat aber doch an den Schrank und
-schloß ihn auf. Keine Katze war darin.</p>
-
-<p>»Miauau, raurau, miau!« quäkte es wieder, und
-ein paar Stimmen zugleich schrieen: »Im Pulte ist
-das!«</p>
-
-<p>»Ach Unsinn!« Der alte Lehrer klappte das Pult<span class="pagenum" id="Seite_47">[47]</span>
-auf, keine Katze war zu sehen. »Es wird vor der Türe
-sein. Also aufgepaßt, wir fangen an!«</p>
-
-<p>»Miauau, raurau, miauau!« Noch kläglicher
-klang’s, und Heinrich Fries sah sich verdutzt um, das
-kam doch von unten herauf.</p>
-
-<p>Aller Augen starrten zu dem neuen Lehrer hin,
-das klang ja gerade, als käme das Miauzen von dessen
-Platz.</p>
-
-<p>Vater Hiller schritt zur Türe, öffnete sie, sah hinaus,
-&ndash; nirgends war eine Katze zu sehen, und auf
-einmal war alles still. War es doch ein dummer Bubenspaß,
-das Gemauze?</p>
-
-<p>»Miauau!« quäkte es drinnen immer jämmerlicher.
-Er hörte es nun genau, es kam aus dem
-Zimmer. »Frau Besenmüller, Frau Besenmüller!«
-rief er laut. »Kommen Sie einmal her, hier schreit
-eine Katze irgendwo.«</p>
-
-<p>Frau Besenmüller kam mit unheimlicher Eile angelaufen,
-und noch an der Türe rief sie atemlos: »Das
-ist sicher so ’n dummer Bube, der das macht. Webers
-Arne kann gut mauzen.«</p>
-
-<p>»Ich mauze nicht!« Arne kreischte ordentlich vor
-Entrüstung, und gleich riefen ein paar Stimmen: »Nä,
-Arne war’s nicht!«</p>
-
-<p>»Unterm Pult scheint etwas zu sein.« Heinrich<span class="pagenum" id="Seite_48">[48]</span>
-Fries hatte es genau gehört; er versuchte, das Pult
-wegzuschieben, aber Frau Besenmüller sagte ordentlich
-ein wenig gekränkt: »So was is niche möglich.
-Erst vorhin hab’ ich darunter und darüber gewischt.
-Ach nä, Herr Lehrer, Katzen sitzen in Steinach niche
-im Schulzimmer. Die Buben sind’s, die machen immer
-so ’ne Dummheit. Niche auszuhalten ist das manchmal
-mit denen.«</p>
-
-<p>»Nä,« schrieen die Buben und Mädel wie aus
-einem Munde, »Frau Besenmüller verklatscht uns nur.«</p>
-
-<p>»Klatsch, patsch, ich weiß, was ich weiß.«</p>
-
-<p>Rutsch, schob der junge Lehrer das Pult zur Seite,
-und &ndash; hervor spazierte kläglich mauzend ein schneeweißes
-Kätzchen.</p>
-
-<p>Erst starrte Frau Besenmüller mit offenem Munde
-das Tierchen an, dann aber stürzte sie mit einem Schrei
-darauf los, hob es auf und sagte im Tone allerbitterster
-Anklage: »Dich haben se unner’s Pult getan, mein
-Minchen! Nä, aber auch so ’ne ungezogene Kinner!«</p>
-
-<p>»Wir waren’s doch nicht!«</p>
-
-<p>»Stille!« Vater Hiller hob den Taktstock. »Wer’s
-getan hat, kommt vor.« Keins rührte sich, und wieder
-las der alte Mann in all den blühenden Gesichtern, &ndash;
-nein, es hatte keins ein schlechtes Gewissen. »Frau
-Besenmüller,« sagte er gütig, »besinnen Sie sich mal,<span class="pagenum" id="Seite_49">[49]</span>
-die Katze wird Ihnen wohl nachgelaufen und selbst
-unter das Pult gekrochen sein.«</p>
-
-<p>»Hm!« Die Schuldienersfrau sah ihr Kätzchen an,
-dann nickte sie langsam. »Ja, erstaunlich klug ist’s
-freilich, da kommt kein so ’n Dickkopp von Bube gegen
-auf, nä, nä! ’s ist schon möglich, se hat zuhören
-wollen.«</p>
-
-<p>»Aber Besenmüllern!« Die Kinder kreischten vor
-Vergnügen, daß die Katze hatte zuhören wollen, und
-Frau Besenmüller zog schmunzelnd mit ihr zum Zimmer
-hinaus.</p>
-
-<p>Der Friede war wiederhergestellt, und Vater
-Hiller sagte ernsthaft: »Doch jetzt Ruhe!«</p>
-
-<p>Der alte Lehrer war verstimmt, daß dieser erste
-Schultag so laut und zerfahren begann. Er sah wohl
-das leise Lachen in den Augen des andern. Wehmütig
-überschaute er seine Schar, und Mädel und Buben
-spürten es, ihr guter, alter Freund war unzufrieden.
-Da nahmen sie sich zusammen; ganz still und feierlich
-saßen sie da, und so begann der Unterricht. Es ging
-nun alles glatt und gut, die Kinder wußten viel, wenn
-auch nicht alles. Manch einem wollte und wollte die
-Antwort nicht zum Munde heraus, was natürlich von
-der Antwort schnöde Bosheit war. Mitunter klang
-auch wohl die Antwort so verkehrt, als wäre sie vom<span class="pagenum" id="Seite_50">[50]</span>
-Monde herabgefallen. So kam der Stille Ozean auf
-einmal in die Nähe von Berlin, und die Donau bezeigte
-die allergrößte Lust, vom Gotthard herunter
-zu rinnen. Die Hohenstaufen sollten durchaus Berge
-sein, und Kaiser Friedrich Barbarossa saß auf einmal
-mitten im Siebenjährigen Kriege drin, und niemand
-wußte, wie er hineingekommen war.</p>
-
-<p>Sonst ging es aber ganz gut, Vater Hiller war
-leidlich zufrieden, und die Kinder waren es ungemein,
-und weil der neue Lehrer lächelte, meinten sie alle:
-»Der findet’s fein bei uns.«</p>
-
-<p>Frau Besenmüller klingelte draußen, grell und
-laut fuhr der Ton durch das weite Haus.</p>
-
-<p>Der alte Lehrer erschrak. Das hörte er nun zum
-letztenmal. Morgen war Sonntag, und am Montag
-in aller Morgenfrühe wollte er abreisen. Wenn die
-Klingel wieder ertönte, dann trug ihn der Zug schon
-von Steinach fort. Er stand ein wenig geneigt, weil
-ihn das Alter müde gemacht hatte, vor den Kindern,
-zu ihnen sprechen wollte er, gütige Worte sagen, aber
-die Stimme versagte ihm.</p>
-
-<p>»Liebe Kinder!« setzte er an, und dann noch einmal:
-»Liebe, liebe Kinder!«</p>
-
-<p>Da war es Hinzpeters Malchen, als müsse ihr das
-kleine, zärtliche Herz brechen vor Kummer, sie schluchzte<span class="pagenum" id="Seite_51">[51]</span>
-laut auf und rief flehend: »Ach, bleiben Sie doch bei
-uns, lieber Vater Hiller!«</p>
-
-<p>»Ach bitte, bitte, ja, Vater Hiller!« tönten alle
-andern Stimmen nach. Sonst hatten die Kinder »Herr
-Lehrer« gesagt, in der Abschiedsstunde kam ihnen das
-trauliche »Vater« auf die Lippen. Und wie einen
-gütigen Vater umdrängten sie jäh den alten Mann.
-Sie sprangen über Tische und Bänke hinweg, krochen
-unten durch, um nur ja schnell des alten Freundes
-Hand fassen zu können.</p>
-
-<p>Die Mädel heulten, die Buben schnitten so widerborstige
-Gesichter, als wäre ihnen ein bitteres Tränklein
-im Halse stecken geblieben, und immer wieder
-bettelten sie: »Bleiben Sie doch da, Vater Hiller, ach
-bitte, bitte!«</p>
-
-<p>»Ich reise ja erst übermorgen, Kinder.« Ein paar
-helle, glänzende Tropfen rannen dem alten Mann über
-die Backen. Die Kinder sahen es, aber sie hörten zugleich
-das verheißungsvolle »Übermorgen«. Da war
-ja noch viel Zeit, da konnten sie Vater Hiller noch oft
-besuchen, konnten ihn sehen, wenn er durch das Dorf
-ging. Sie konnten ihn auch zur Bahn bringen. Das
-sagten sie gleich laut: »Wir gehn mit auf ’n Bahnhof,
-alle!«</p>
-
-<p>»Dann müßt ihr aber alle früh aufstehen.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_52">[52]</span></p>
-
-<p>»Ach ja, das wird fein! Hurra, wir gehn mit
-auf ’n Bahnhof!«</p>
-
-<p>»Und Sie besuchen uns bald, Vater Hiller, ja?«
-bettelte Malchen.</p>
-
-<p>»Ja freilich, ich besuche euch bald.«</p>
-
-<p>»Hurra, Vater Hiller besucht uns!« In den Augen
-standen noch Tränen, die Münder lachten schon, und
-immer wieder drückten die kleinen derben, braunen
-Hände die welke Hand des treuen Freundes. Sonst
-liefen Buben und Mädel immer alle, so flink sie nur
-konnten, zur Schule hinaus, heute konnten sie sich gar
-nicht trennen. Vater Hiller mußte sie selbst mit sanfter
-Gewalt bis zur Haustüre geleiten, und draußen ging
-es nochmals an das Abschiednehmen.</p>
-
-<p>In einem Winkel stand Frau Besenmüller, sie
-hatte die große Schulglocke mit beiden Händen an ihr
-Herz gedrückt, und ihre Tränen fielen darauf nieder.</p>
-
-<p>»So ist’s recht, so muß nu ’n Abschied sein,«
-brummelte sie vor sich hin. »Da sieht man doch, ’s
-war die rechte Liebe.«</p>
-
-<p>Die rechte Liebe! Das Wort tönte wie ein silbernes
-mahnendes Glöcklein im Herzen des jungen
-Lehrers. Still entfernte er sich, und niemand merkte
-es. Er stieg die Treppe hinauf, betrat sein Zimmer,
-und dort öffnete er weit das Fenster. Er sah, wie sich<span class="pagenum" id="Seite_53">[53]</span>
-draußen der Nebel löste und die letzten Fetzen zerflossen.
-Die Sonne ging siegreich hervor, und schimmernd
-glänzten Büsche und Bäume im goldenen Herbstkleid.
-Die rechte Liebe, dachte Heinrich Fries, &ndash;
-würde sie ihm auch wachsen zu Steinach und seinen
-Kindern?</p>
-
-<div class="figcenter" id="illu-056">
- <img src="images/illu-056.jpg" alt="" />
-</div>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_54">[54]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Fuenftes_Kapitel"><img src="images/illu-057.jpg" alt="" /><br />
-<span class="s80">Fünftes Kapitel</span><br />
-Auf der Schelmenburg</h2>
-
-<div class="h2cnt">
-
-<p>Frau Besenmüller erlebt eine ganz schauerliche Gespenstergeschichte
-&ndash; Ihr Korb füllt sich geschwinde, und Webers Arne
-und Schwetzers Fritze bekommen Zwetschgenkuchen zu essen &ndash;
-Der neue Lehrer aber denkt an die alten Schelme von Steinach</p>
-</div>
-</div>
-
-<p class="drop">»Besenmüllern«, wie die Kinder die Schuldienersfrau
-nannten, hatte viele vortreffliche Eigenschaften,
-aber auch zwei Fehler: sie war neugierig und
-sehr abergläubisch. Zwar sagten die Kinder, Frau
-Besenmüller scheure auch zuviel, das hielten sie für
-deren allergrößten Fehler, aber die Erwachsenen waren
-anderer Meinung. Vater Hiller nannte Frau Besenmüller
-eine tüchtige, saubere Frau, während besonders
-die Buben es höchst überflüssig fanden, wenn Frau
-Besenmüller sie immer ermahnte: »Putzt eure Schuhe
-ab, tragt mir nicht die ganze Dorfstraße ins Haus!«</p>
-
-<p>Zimplichs Max knurrte immer: »Um so ’n bißchen
-Dreck!« Aber wie es halt ist, Frau Besenmüller hatte<span class="pagenum" id="Seite_55">[55]</span>
-andere Ansichten. Sehr lustig dagegen fanden die
-Kinder es, wenn die Frau ihnen allerlei erzählte, was
-sie vorausgeahnt hatte, und was sonderbarerweise
-immer ganz anders in Erfüllung ging. Es sah Frau
-Besenmüller zum Beispiel aus allerlei Zeichen und
-Andeutungen, auch aus ihren Träumen, daß sie einen
-Unfall erleiden würde; dann fiel vielleicht Hinzpeters
-Malchen auf die Nase, und das war weder für Malchen
-noch für Frau Besenmüller ein großes Unglück.</p>
-
-<p>Aber die Frau blieb dabei, dies und das als besonderes
-Zeichen zu deuten, und darum sagte sie auch
-nach Heinrich Fries’ erstem Schulvormittag zu ihrem
-Mann: »Paß auf, mit dem neuen Herrn Lehrer wird
-das nischt hier!«</p>
-
-<p>»Warum denn niche, Frau?«</p>
-
-<p>»Na, da ist das zerbrochene Fenster und dann &ndash;
-die Katze. Nä, das wird nischt!«</p>
-
-<p>»Aber Frau!« Der Schuldiener lachte. »Scherben
-bedeuten Glück, und die Katze, die war doch weiß,
-und nur die schwarze Katze bringt Unglück, und stimmen
-tut das nicht emal. Mir hat noch nie ’ne Katze
-Verdruß gebracht. Nur einmal hat mir eine meine
-Wurst gestohlen, und die war grau, die Katze nämlich.«</p>
-
-<p>»Hm!« Frau Besenmüller seufzte, sie hätte ihres
-Mannes Worten schon gern vertraut, aber sie konnte<span class="pagenum" id="Seite_56">[56]</span>
-nicht. »Nä, nä, Scherben und ’ne Katze, was zuviel
-is, is zuviel!« murmelte sie.</p>
-
-<p>Während Frau Besenmüller so geheimnisvoll allerlei
-Ungemach vorausahnte, ging Heinrich Fries sehr
-vergnügt in Steinach spazieren. Das Dorf gefiel ihm
-immer besser. Es war sauber und wohlhäbig. Die
-kleinen, weißen Häuser waren alle mit Schiefer gedeckt,
-und diese dunklen Dächer glänzten in der Sonne
-wie edles Gestein. Ein Gärtchen schmiegte sich an
-jedes Haus an, und hinter den Fenstern blühten noch
-Geranien und manche andere feine Blumen. Der
-junge Lehrer ging bis zur Kirche, die inmitten des
-Dorfes lag; sie war grau und alt, Efeu war an ihr
-emporgewachsen, und ein wenig hatte der auch den
-Grabstein des Schelmen umrankt, der hier begraben
-lag. Die Inschrift war schwer zu lesen, und der Ritter,
-der fromm die Hände gefaltet hatte, sah gar nicht so
-schelmisch drein, wie das doch eigentlich ein Held so
-vieler Schelmengeschichten tun müßte.</p>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="illu-060">
- <img class="w100" src="images/illu-060.jpg" alt="" />
- <div class="caption"><span class="larger">Die Schelme von Steinach.</span> Seite 56.</div>
-</div>
-
-<p>Von der Kirche aus führte ein schmaler Weg zum
-Pfarrhaus hinüber. Das lag weiß und still in einem
-großen Garten, die Fenster standen offen, und die
-weißen Vorhänge flatterten und wehten, als wollten
-sie winken: »Komm herein, komm herein!« Doch Samstag
-nachmittag war keine Besuchszeit für ein Pfarrhaus,<span class="pagenum" id="Seite_57">[57]</span>
-und darum blieb der junge Lehrer auch nur
-draußen am Zaun stehen. Vater Hiller hatte ihm
-viel Liebes und Freundliches von den Pfarrersleuten
-erzählt. Sieben Kinder waren in dem weißen Haus
-groß geworden. Sechs waren draußen in der Welt,
-lernten und schafften dort, und nur die Jüngste war
-noch daheim.</p>
-
-<p>Ob das wohl die Sängerin war, die mir gestern
-einen so guten Trost ins Herz gesungen hat? dachte
-Heinrich Fries. Er brauchte nicht lange auf eine Antwort
-zu warten, denn drinnen im Garten hub die
-gleiche Stimme ein lustiges Liedchen an. Kinderstimmen
-fielen ein, und als der junge Lehrer weiterging,
-da sah er auf zwei langen Bänken viele kleine
-Mädel sitzen, die strickten und nähten, und ein junges
-Mädchen saß vor ihnen, schön und anmutig anzuschauen:
-Pfarrers Regine. Eine allzu strenge Lehrerin
-mußte sie nicht sein, denn man konnte nicht leicht etwas
-Vergnüglicheres sehen als diese Nähstunde im herbstlich
-bunten Garten.</p>
-
-<p>Die Mädel saßen alle dort, aber wo mochten die
-Buben sein? Heinrich Fries sann darüber nach, als
-er weiterging. Er sah nur die Allerkleinsten auf der
-Gasse spielen, jene, die noch nicht am ersten Schultag
-zu seufzen brauchten: »Wenn doch erst wieder Ferien<span class="pagenum" id="Seite_58">[58]</span>
-wären!« Die großen Buben waren alle unsichtbar,
-sie mochten wohl wieder auf einer der Obststraßen sein,
-denn nicht einmal ihr Rufen ertönte. Da und dort
-grüßte man den jungen Lehrer freundlich, der redete
-mit dem und jenem, und dabei wunderte er sich, daß
-niemand die Frage tat, wie es ihm hier gefalle. Er
-wußte nicht, daß die Steinacher meinten, ihr Dorf
-müsse eben jedem gefallen, weil es gar so hübsch war.</p>
-
-<p>Als Heinrich Fries es nach allen Seiten hin durchwandert
-hatte, beschloß er, da die Sonne noch hoch
-stand, gleich noch den Schafskopf zu besteigen, um von
-dort aus das Land zu überschauen. Eine halbe Stunde,
-länger währte der Weg wohl nicht. Ein Bauersmann
-gab ihm bereitwillig Auskunft, welcher Weg zu gehen
-sei, und versicherte dabei: »’s ist recht sehre scheene
-oben, nur niche, wenn’s dunkel ist.«</p>
-
-<p>»Warum? Spukt es vielleicht?«</p>
-
-<p>Der junge Lehrer lachte, und der Bauer lachte
-auch. Er sagte nicht ja, er sagte nicht nein, in seinen
-Augen aber war ein lustiges Blinken, und Heinrich
-Fries dachte: »Wirklich, die Schelme scheinen noch nicht
-ausgestorben zu sein.« Er schlug den Weg nach dem
-Schafskopf ein, und um die gleiche Zeit tat dies Frau
-Besenmüller auch. Oben am Berghang gab es viele
-wilde Rosen, und ihre kleinen roten Früchte wollte<span class="pagenum" id="Seite_59">[59]</span>
-Frau Besenmüller pflücken. Ihr Mann liebte den
-Hagebuttentee, meinte, er sei gut für allerlei Gebreste
-im Winter, und darum sorgte die Frau immer beizeiten
-für einen rechten Wintervorrat. Es war ihr immer
-ein schwerer Weg; sie ging nicht gern auf den Schafskopf,
-selbst nicht am Tage, abends wäre sie um keine
-Königskrone gegangen. Sie graulte sich, sie meinte
-immer, von den Schelmen säße noch etwa ein halbes
-Dutzend in irgendeinem Mauerloch zu allerlei Untaten
-bereit.</p>
-
-<p>Weil sie sich fürchtete, rannte Frau Besenmüller;
-je schneller sie oben war, desto schneller war sie wieder
-unten. Sie kam daher auch viel früher oben an als
-der neue Lehrer und begann eilfertig zu pflücken. Die
-wilden Rosen hatten das alte Gemäuer dicht umzogen.
-Wo nur ein freies, sonniges Plätzchen war, gleich hatte
-sich so ein Rosenbusch hingesetzt und gedacht: Da bin
-ich und bleib’ ich, das ist nun mein Reich. Weil die
-Sonne immer so warm auf dem Schafskopf ruhte und
-niemand den Frieden dieses stillen Fleckchens störte,
-blühten die Rosen meist in üppiger Fülle, und ebenso
-ungestört wurden kleine, rote Hagebutten daraus.</p>
-
-<p>Frau Besenmüller brauchte nur zuzugreifen, ribsch,
-rabsch, da füllte sich ihr Korb. Um den Turm herum,
-von dem freilich nur noch ein kümmerliches Restlein<span class="pagenum" id="Seite_60">[60]</span>
-stand, wuchsen die meisten Rosen, und die größten
-Hagebutten gab es da. Wie sich die Schuldienersfrau
-nun dem Turme näherte, graulte sie sich wie immer
-etwas. Sie blickte an dem grauen Gemäuer empor.
-Nur auf der einen Seite gab es noch eine Fensteröffnung,
-und aus diesem Loch heraus hing ein Strick.</p>
-
-<p>Frau Besenmüller schrie laut auf, als sie das sah.
-Sie rannte gleich den Berg wieder ein Stück abwärts.
-Wo kam der Strick her in dem verfallenen Turm?
-Von unten herauf starrte die Frau zu dem Strick empor,
-&ndash; ganz ruhig, unbewegt hing er da. Von den
-alten Herren von Steinach konnte er nicht mehr übrig
-geblieben sein, denn sooft Frau Besenmüller auch schon
-hier gewesen war, den Strick hatte sie noch nie gesehen.</p>
-
-<p>Also war jemand oben gewesen, jemand hatte den
-Strick dorthin getan. Wozu? Warum? und wer war
-es gewesen? Die Frau seufzte schwer. Sie graulte
-sich und war neugierig, die Furcht trieb sie zurück, die
-Neugier wieder vorwärts. Sie stand und überlegte,
-sah auf den Strick, der seltsam in der Sonne glänzte
-und dahing, als müßte es so sein. Und just über den
-allerschönsten Rosenbüschen hing er, an denen die roten
-Früchte schimmerten und lockten.</p>
-
-<p>Und Frau Besenmüller ließ sich locken. Schritt
-um Schritt kam sie näher, bis sie vor den Büschen<span class="pagenum" id="Seite_61">[61]</span>
-stand. Sie pflückte rasch und eilfertig, rupfte und
-rupfte, und dabei blinzelte sie immer wieder nach dem
-Strick. Was tat denn der? Er schwankte und zitterte
-doch hin und her!</p>
-
-<p>»Was nur damit ist? Müßte mal dran ziehen!«
-Frau Besenmüller überlegte das eben, als sie Schritte
-hörte; trapp, trapp kamen sie den Berg herauf.</p>
-
-<p>Sie erschrak sehr, aber da begann ein lustiges
-Singen, und da Gespenster am hellichten Tage nicht
-Wanderlieder zu singen pflegen, beruhigte sie sich gleich
-wieder. Ein Weilchen lauschte sie dann, da sah sie
-Heinrich Fries den Weg emporkommen, und sie brummelte
-zufrieden: »Das ist mal recht, der sieht sich gleich
-gut um.« Alle Furcht war wie weggeblasen, nur die
-Neugierde war geblieben, und die trieb sie noch
-näher zu dem Stricke hin. Sie mußte doch sehen,
-wie der hierher kam. Was hatte so ein Strick hier
-zu diesem Loch, das früher ein Fenster gewesen war,
-herauszuhängen?</p>
-
-<p>»Überall Unordnung! Ärgern muß mer sich alleweil,«
-schalt die Frau, griff rasch nach dem Strick und
-zog fest daran und&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Heinrich Fries hörte auf einmal ein lautes Geschrei,
-ein Poltern und Rasseln. Er brach jäh sein
-Lied ab und war mit ein paar Sätzen im Burghof.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_62">[62]</span></p>
-
-<p>»Hilfe, Hiiiilfe, uuh, uuh!« kreischte Frau Besenmüller.
-Die hielt den Strick in der Hand, schwankte mit
-ihm wie eine Fahne im Winde, während unaufhörlich
-Mauergeröll purzelnd von oben herabrieselte.</p>
-
-<p>»Lieber Himmel, was ist das?« Der junge Lehrer
-hatte die Frau erreicht, er hielt sie fest. »Was ist geschehen?
-Lassen Sie doch den Strick los!«</p>
-
-<p>»Huuhhu,« heulte Frau Besenmüller, »er &ndash; er &ndash;
-is &ndash; ja verhext!«</p>
-
-<p>»Was, der Strick?« Heinrich Fries wollte auch
-danach greifen, aber er zog rasch seine Hand zurück.
-»Der klebt ja, der ist mit Vogelleim eingeschmiert.«</p>
-
-<p>»Huuhhuuh, drinne sitzt &ndash; huhuhuh &ndash; so ’n
-Graul!« Frau Besenmüller zog angstvoll am Stricke,
-der gab jäh nach, und plumps saß die Schuldienersfrau
-halb in den Rosenbüschen drin. Von dem alten
-Mauerwerk bröckelte wieder etwas ab, das rieselte zu
-Boden, und eine Staubwolke stieg empor.</p>
-
-<p>»Holla, das Gespenst wollen wir mal fangen!«
-Der junge Lehrer hatte flinke Beine, er lief um den
-Turm herum, fand den Eingang und fand auch die
-bösen Neckgeister. Ein ganzes Nest voll war es. In
-dem von drei Seiten nur mit ganz niedrigem Gemäuer
-umschlossenen Turmviereck wimmelte es von Buben,
-und Arne Weber hatte Schwetzers Fritze auf den Schultern,<span class="pagenum" id="Seite_63">[63]</span>
-und der trug wieder das Jackenknöpfle; so reichte
-es knapp bis zum Fensterloch. Jackenknöpfle wollte
-gerade herabklettern, als der neue Lehrer erschien. Da
-wackelte die lebendige Leiter, und Heinrich Fries konnte
-das Jackenknöpfle noch eben auffangen und es vor
-einem vielleicht schlimmen Fall bewahren.</p>
-
-<p>Draußen jammerte und schrie Frau Besenmüller
-noch immer angstvoll um Hilfe, innen starrten die Buben
-den neuen Lehrer an, als wäre nun der das Gespenst,
-mit dem sie die Schuldienersfrau hatten schrecken wollen.</p>
-
-<p>»Kommt mal mit!« Kurz und scharf klang der
-Befehl, und kein Bube wagte es, auszureißen. Wie
-eine Schafherde, die in einen Gewittersturm geraten
-ist, so folgten sie alle ihrem neuen Lehrer. Der führte
-sie um den Turm herum bis dahin, wo Frau Besenmüller
-noch immer einen wilden Kampf mit dem geleimten
-Strick ausfocht.</p>
-
-<p>»Da sind die Gespenster, Frau Besenmüller.«</p>
-
-<p>»I du meine Güte, nä, so was!«</p>
-
-<p>Die Frau wäre weniger verdutzt gewesen, wenn
-Heinrich Fries ein in weiße Bettücher gewickeltes
-Gespenst oder einen alten, mit Ketten, Schwertern,
-Schlössern und sonst was für Eisenkram rasselnden
-Ritter angebracht hätte. »I du meine Güte, die verflixten
-Bengel!«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_64">[64]</span></p>
-
-<p>»So, jetzt helft einmal Frau Besenmüller vom
-Strick loskommen. Schnell, eins, zwei, drei!«</p>
-
-<p>Zehn Bubenhände und mehr griffen nach dem
-ungeleimten Ende, sie zerrten und zogen. »Herrje,«
-schrie Frau Besenmüller, die vorwärtsgezogen wurde,
-»nicht so rasch, du meine Güte!« Plumps, saß sie noch
-einmal in den Rosenbüschen, aber sie war doch den
-unheimlichen Strick los.</p>
-
-<p>»Und nun geschwind, Buben, alle heran und Hagebutten
-gepflückt! In einer halben Stunde muß der
-Korb voll sein.«</p>
-
-<p>Wieder klang der Befehl kurz und scharf, und
-wieder folgten die Buben ohne Besinnen. Sie stürzten
-sich mit wildem Eifer auf die Büsche, rissen ab, was
-ihnen unter die Finger kam, und Heinrich Fries mahnte:
-»Nur die Früchte, keine Blätter, Äste oder gar die
-halben Büsche!«</p>
-
-<p>Da blinzelten die Buben ein wenig nach dem
-neuen Lehrer hin. Das letzte Wort klang ihnen fast
-wie ein Spaß, aber zu lachen wagten sie doch nicht,
-und obgleich sie eine Hagebuttenernte wenig lustig
-fanden, pflückten sie doch wie die Heinzelmännchen.
-Frau Besenmüller vergaß darüber vor Staunen jegliche
-Strafrede, trotzdem sie sich von ihrem Schreck schon
-wieder völlig erholt hatte. Sie saß auf einem Mauerrest,<span class="pagenum" id="Seite_65">[65]</span>
-rieb sich die Hände mit der Schürze sauber und sah
-zu. »Wie ’ne leibhaftige Prinzessin,« dachte sie, obgleich
-sie mit ihrem blauen Kopftuch und der großen Küchenschürze
-nicht gerade einer Prinzessin glich.</p>
-
-<p>Von den Buben kam auch keiner auf den Gedanken,
-Frau Besenmüller mit einer Prinzessin zu vergleichen,
-sie waren sogar alle miteinander etwas böse
-auf die arme Frau. Warum hatte sie nur gleich so
-geschrieen? Wegen so ’nem bißchen Vogelleim? »Sie
-brauchte doch nicht dranzufassen!« brummelte Jackenknöpfle.
-Aber er pflückte trotzdem so geschwind wie
-die andern. Ritsch, ratsch, da! Die roten Früchte
-kollerten in den Korb, und sehr bald war der voll und
-die Rosenbüsche kahl.</p>
-
-<p>»So ist’s recht!« lobte der Lehrer. »Und nun
-tragen zwei der Frau Besenmüller den Korb nach
-Hause. Wer hat den Plan gehabt, den Strick zu
-leimen?«</p>
-
-<p>Einen Augenblick herrschte tiefe Stille, dann trat
-Arne vor. Er trug den blonden Kopf ganz hoch, und
-der junge Lehrer lächelte ein wenig, ein Heimlicher
-war der Bube nicht. Aber noch war Arne nicht am
-Korb, da faßte schon Schwetzers Fritze mit an.</p>
-
-<p>»Also ihr beide seid die Anstifter? Na, gut&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Nä, Schwetzers Fritze nich, der niche!« Sechs<span class="pagenum" id="Seite_66">[66]</span>
-Stimmen riefen es auf einmal, und Heinrich Fries
-sah etwas erstaunt auf Fritz. »Warum trittst du denn
-dann vor?«</p>
-
-<p>Fritz hätte schon gern eine Antwort gegeben, aber
-so etwas mußte doch Zeit haben. Er blickte in die Luft,
-als käme eine Antwort vom Himmel herunter, und da
-sagte auch schon der neue Lehrer: »Vielleicht hast du’s
-gedacht?« Er nickte dabei den beiden ganz freundlich
-zu und mahnte nur noch: »Tragt den Korb aber vorsichtig,
-damit nichts verschüttet wird.«</p>
-
-<p>Die beiden trabten los, Frau Besenmüller wanderte
-hinterher. Sie kam sich nun wirklich wie eine
-leibhaftige Prinzessin vor. Weil sie so schnell und
-sonder Plage ihre Hagebutten geerntet hatte, war ihr
-Herz mild und versöhnlich gestimmt, und vor dem
-Schulhaus sagte sie gnädig: »Wartet e’ bißchen, ihr
-sollt ’n Kuchen haben!«</p>
-
-<p>Sie holte zwei mächtige Stücke herbei, von dem
-angeleimten Strick sagte sie nichts mehr, und Arne und
-Fritze fanden den Lohn auch nur gerecht. Sie zogen
-vergnügt von dannen, kauten mit vollen Backen und
-ahnten, sie würden bald ihre Gefährten treffen. So
-war es auch. Die kamen ihnen auf halbem Weg entgegen,
-und sie schrieen gleich: »Ihr eßt ja Quetschenkuchen!«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_67">[67]</span></p>
-
-<p>»Na ja, von Besenmüllern!« Urne stopfte schnell
-sein letztes Stück in den Mund, Fritze war schon fertig.
-Das war sicherer.</p>
-
-<p>»Haste denn das wirklich gedacht mit ’m Strick?«
-forschte Jackenknöpfle eifrig, während die andern maulten:
-»Wir hab’n keinen Kuchen gekriegt!«</p>
-
-<p>»Hm, na ja!« Schwetzers Fritze nickte strahlend.
-Ihm gefiel der neue Lehrer sehr gut. Bei dem brauchte
-er sich gewiß nicht mit Reden anzustrengen, der las
-einem ja die Gedanken an der Nasenspitze ab. »Hurra!«
-schrie er plötzlich und machte einen Luftsprung.</p>
-
-<p>»Hurra!« schrieen die andern und taten es ihm
-nach. Und dann trabten sie alle vergnügt dem Walde
-zu. Es war ja Samstag, und die Sonne stand noch
-am Himmel, da konnten noch immer die allerschönsten
-Spiele gespielt werden.</p>
-
-<p>»Hurra, hurra!«</p>
-
-<p>Der junge Lehrer Heinrich Fries hörte das
-Freudenrufen oben auf dem Burgberg. Lächelnd
-schaute er ins Tal und dachte: »Wirklich, es scheint
-so, die Schelme von Steinach leben noch immer!«</p>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_68">[68]</span></p>
-<h2 class="nobreak" id="Sechstes_Kapitel"><img src="images/illu-073.jpg" alt="" /><br />
-<span class="s80">Sechstes Kapitel</span><br />
-Die Mutter kommt</h2>
-
-<div class="h2cnt">
-
-<p>Die Steinacher Frauen haben Angst, Vater Hiller könnte Not
-leiden &ndash; Dem jungen Lehrer verderben die Novembertage die
-Laune, und Fritze Schwetzer erfährt, was alles bei einem
-Schweineschlachten herauskommen kann &ndash; Eine Maus zieht
-aus dem Schulhaus aus und wird eine Kirchenmaus und sieht
-gleich am ersten Sonntag etwas, das ihr und andern Leuten
-gut gefällt</p>
-</div>
-</div>
-
-<p class="drop">Tal und Höhen lagen noch im grauen Morgennebel,
-als Vater Hiller Steinach verließ. Dem alten
-Mann war das Herz schwer, als er zum letzten Mal
-die Schwelle des lieben, schönen Schulhauses überschritt.
-Wie er aber so hinaustrat, grüßte ihn draußen
-ein lautes Singen: alle seine Schulkinder standen da,
-bereit, ihn zum Bahnhof zu begleiten. Die Brummer
-sangen auch diesmal mit, sie ließen sich nicht den Mund
-verbieten, und wunderlich, dem alten Lehrer klang es
-hold und lieblich in die Ohren. Er, der sonst so fein
-gehört hatte, vernahm diesmal kein einziges falsches
-Tönlein.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_69">[69]</span></p>
-
-<p>Es war ein langer Zug, der sich durch die Apfelstraße
-hin nach dem Bahnhof bewegte. Auch viele
-Erwachsene kamen mit. Jedes trug einen Korb oder
-ein Päckchen, denn auf einmal war es den Steinacher
-Bäuerinnen schwer auf das Herz gefallen, ihr lieber
-Vater Hiller könnte gar Hunger leiden in der Fremde,
-könnte nicht so gute Butter, so frische Eier, so goldgelben
-Honig und prächtigen Kuchen, so rundliche
-Würste und köstliche Äpfel haben wie in Steinach.
-Für alles hatten sie gesorgt. Als der Zug auf dem
-kleinen Bahnhof einlief und ein bitterschweres Abschiednehmen
-begann, da füllte sich das Abteil mit
-Schachteln, Körben und Paketen, und Vater Hiller
-wehrte erschrocken: »Das kann ich doch nicht alles mitnehmen!«</p>
-
-<p>»Ich helf’ beim Umsteigen!« Der Schaffner lachte
-über das ganze Gesicht, er war doch ein Steinacher
-Kind, er war doch auch zu Vater Hiller in die Schule
-gegangen. Die Kinder jammerten laut, als die Tür
-geschlossen wurde und der Zug davonfuhr. Ein Weilchen
-konnten sie noch das freundliche Gesicht ihres alten
-Lehrers sehen, dann entschwand es ihren Blicken, und
-traurig zogen alle heimwärts. Die Großen redeten
-unterwegs von dem Abgereisten; nur Gutes wußten
-sie alle von ihm zu sagen.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_70">[70]</span></p>
-
-<p>Die Kinder aber tuschelten zusammen von dem
-neuen Lehrer. Wie würde er sein? Vor der Hagebuttenernte
-hatte Frau Besenmüller gesagt: »Böse
-wird’s!« Seit gestern sagte sie: »Gut wird’s!« Was
-war nun das Rechte?</p>
-
-<p>»Simeliert nich so lange, geht nein!« riet Frau
-Hinzpeter, Malchens Mutter, den Kindern vor dem
-Schulhause. Und wie sie schien innen auch Frau Besenmüller
-zu denken; die klingelte laut, arg laut, dachten
-die Kinder. Ein wenig seufzend zogen sie in das Schulhaus
-hinein, sie meinten, Abreisetag könnte gut Ferientag
-sein, aber die Erwachsenen waren alle miteinander
-anders gesonnen. Am wenigsten dachte Heinrich Fries
-an Ferien, und schon an diesem ersten Tag spürten es
-die Kinder, bei ihm mußten sie aufpassen. Ob er bös
-werden würde oder gut, wußten sie diesen ersten Tag
-aber noch nicht, und noch viele weitere Tage vergingen,
-ehe sie es erkannten.</p>
-
-<p>Dem jungen Lehrer Heinrich Fries erging es in
-den ersten Wochen in Steinach am Wald genau so wie
-seinen Kindern, er wußte auch nicht, ob er bös werden
-würde oder gut. Es gefiel ihm manchmal recht gut
-in der neuen Heimat und manchmal herzlich schlecht.
-Wenn er die Gegend durchwanderte, zum Walde emporstieg,
-oder wenn er durch die weiten schönen Räume<span class="pagenum" id="Seite_71">[71]</span>
-seines Schulhauses ging und die Sonne zu den Fenstern
-hineinschien, oh, dann gefiel es ihm. Als aber der November
-mit Sturm, Regen und kurzen, grauen Tagen
-anrückte und man auf der Dorfstraße nur die Wahl
-hatte, in eine Pfütze oder in den Schlamm zu treten,
-da gefiel es ihm gar nicht. Es war ihm einsam und
-unbehaglich, er ärgerte sich über Frau Besenmüllers
-Schelten und fand doch auch, die Kinder brauchten nicht
-die halbe Dorfstraße mit ihren Schuhen ins Haus zu
-tragen. Nur an einem Ort im Dorf war es ihm immer
-gemütlich: im Pfarrhaus.</p>
-
-<p>Das Fräulein Regine sah immer aus, als hätte
-ihr die liebe Sonne einen Kuß auf den Mund gegeben.
-Wenn sie lachte, dann war es wie Frühling, und wer
-ins Pfarrhaus kam, der vergaß schlechtes Wetter,
-schlechte Laune und alle andern bösen Dinge, dem
-wurde es warm ums Herz.</p>
-
-<p>Doch Heinrich Fries wohnte im großen Schulhaus,
-und da war es einsam. Sein Zimmer war
-kahl und unwohnlich, und Frau Besenmüller ging
-nicht so sacht und leis einher wie seine Mutter. Sie
-hatte auch nicht eine so liebe, sanfte Stimme, sondern
-redete laut, es dröhnte immer durch das ganze Haus.
-»Wie ein alter Landsknecht schreit sie,« dachte der neue
-Hausbewohner wohl.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_72">[72]</span></p>
-
-<p>Und am allerwenigsten gefielen die Kinder an
-solchen Tagen dem jungen Lehrer. Die schienen ihm
-besonders ungezogen zu sein und gar nicht lernlustig.
-Er ärgerte sich und redete streng zu ihnen, verlangte,
-sie sollten allerlei wissen, was sie nicht konnten. Eins
-um das andere fehlte in dieser Zeit, und wenn er wissen
-wollte, warum, sagten sie, daheim sei Schlachttag. Da
-schalt er, dies sei nicht so wichtig, um die Schule zu
-versäumen. Da kränkten sich die Kinder, denn in Steinach
-wußte es jeder, ein Schlachtfest ist eine wichtige
-Sache, eine ungeheuer wichtige sogar.</p>
-
-<p>Schwetzers Fritze dachte das auch, und seine
-Mutter dachte ebenso, und darum kam Fritze eines
-Tages nicht in die Schule. Und am nächsten Tage
-kam er und brachte, wie es Sitte war, dem Herrn
-Lehrer eine frische Wurst und einen Topf der schönsten
-Wurstsuppe mit. Seine Mutter schärfte ihm noch
-ein: »Sag’s ja recht höflich zum neuen Herrn Lehrer!«
-Sie schmückte ihm auch die Wurst noch mit einem dicken
-Petersilienbüschel, und darüber verging die Zeit, und
-da ein Topf mit Wurstsuppe vorsichtig getragen werden
-muß, kam Fritze am Schulhaus an, als Frau Besenmüller
-schon dreimal kräftig die Klingel geschwungen
-hatte.</p>
-
-<p>Auf dem Wege hatte Fritze sich ein gutes Sprüchlein<span class="pagenum" id="Seite_73">[73]</span>
-vorgesagt. Immer wieder hatte er sich die Worte
-überlegt, und er war sicher, diesmal würde er reden
-können. »Einen schönen Gruß von meiner Mutter,
-und der Herr Lehrer möchte entschuldigen, bei uns ist
-Schweineschlachten gewesen,« so wollte er sprechen.
-Dazu wollte er einen Diener machen, nicht so tief, damit
-die Suppe nicht überschweppte, und&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Nä, Fritze, du schleichst ja, kommst nich heute,
-da kommste morgen. So was!« Frau Besenmüller
-rief es ihm böse entgegen, und verwirrt betrat er das
-Schulhaus. »Man schnell, man schnell!« Die Frau
-riß die Tür auf, und Fritze platzte in das Klassenzimmer,
-just als sie sich alle nach dem Morgengebet
-setzten. »So spät?«</p>
-
-<p>Heinrich Fries runzelte die Stirn. Er sah Fritze
-drohend an. Jedesmal, wenn er den Buben sah, mußte
-er an den Empfang auf der Apfelstraße denken, und
-er hielt Fritze für einen besonders Unnützen und einen
-Heimlichen dazu. »Warum so spät?«</p>
-
-<p>Schwetzers Fritze wurde puterrot, und wie immer
-in solchen Augenblicken versagte ihm die Stimme.
-Seine ganze schöne Rede hatte er vergessen, die Worte
-liefen ihm davon, er konnte sie nicht aufhalten. Nur
-eines fing er noch, das schrie er hinaus und verneigte
-sich dazu. »Schweineschlachten« hallte es durch das<span class="pagenum" id="Seite_74">[74]</span>
-Zimmer, und klatsch fiel Wurstsuppe und die schön geschmückte
-Wurst dem Herrn Lehrer vor die Füße.</p>
-
-<p>»Bengel du!« Der junge Lehrer hielt’s für Frechheit,
-was Ungeschicklichkeit war; er ärgerte sich, statt
-zu lachen, desto mehr lachten die Kinder, aber sie schwiegen
-rasch, als Heinrich Fries mit scharfer Stimme Ruhe
-bot. Er ging zur Türe und rief Frau Besenmüller,
-und als die Frau eine lange Rede halten wollte ob der
-vergeudeten guten Suppe, gebot er kurz Ruhe, und
-ebenso kurz sagte er zu Schwetzers Fritze: »Du bleibst
-heute und morgen da.«</p>
-
-<p>Nachsitzen hielten die Steinacher Kinder für eine
-ungeheure Schande. Nur selten hatte Vater Hiller so
-gestraft, und daß einer zwei Tage nacheinander dableiben
-mußte, so etwas war noch gar nicht vorgekommen.
-Sie waren alle fast erstarrt vor Schreck,
-und weil sie gar so erschrocken waren, gaben sie an
-diesem Tage unglaublich dumme Antworten. Schwetzers
-Fritze gab überhaupt keine. Schnapp, war dem
-der Mund zugeklappt wie ein Schloß, und niemand
-hatte den Schlüssel, es wieder aufzuschließen.</p>
-
-<p>Wenn er um Verzeihung bittet, erlaß ich ihm die
-Strafe, dachte der Lehrer, der sich überlegt hatte, Wurst
-und Suppe seien doch wohl eine gutgemeinte Gabe.
-Aber Fritze bat nicht. Wie himmelgern er es getan<span class="pagenum" id="Seite_75">[75]</span>
-hätte, ahnte Heinrich Fries nicht, der nahm es für
-Trotz. Und der arme Fritze mußte dableiben und
-mußte doppelte Last tragen, denn auch daheim bekam
-er Schelte, aber auch hier tat sich das Schloß vor seinem
-Munde nicht auf.</p>
-
-<p>Strafe erleiden ist nicht vergnüglich, aber strafen
-müssen auch nicht. Heinrich Fries war an diesem
-Tage geradeso niedergeschlagen wie die Buben und
-Mädel. Er stieg nach Schulschluß mit einem so finsteren
-Gesicht zu seiner Wohnung empor, daß Frau
-Besenmüller kein Wort wagte. Nachher sagte sie zu
-ihrem Manne: »Es wird doch nichts mit dem neuen
-Herrn Lehrer, nä, nä!«</p>
-
-<p>Heinrich Fries hatte nicht gehört, was Frau Besenmüller
-sagte, aber als er durch seine kahlen Zimmer
-schritt und hinaussah, wie der Regen langsam herniederrann,
-da dachte er auch: »Es wird nichts, hier
-halte ich es nicht lange aus.« Und weil er Sehnsucht
-hatte nach eines lieben Menschen Trost, setzte er sich
-hin und schrieb an seine Mutter einen langen, langen
-Brief, wie es sei in Steinach am Wald, und daß es
-gut wäre, sie käme nicht her, lange würde er doch nicht
-bleiben.</p>
-
-<p>Als Frau Fries den Brief bekam, dachte sie gleich:
-»Ich muß zu ihm, er braucht mich. Er ist zu einsam<span class="pagenum" id="Seite_76">[76]</span>
-am fremden Ort, darum bleibt der ihm fremd.« Und
-feinhörig, wie Mütter sind, las sie auch aus dem Brief
-heraus, daß es dem Sohn eigentlich ganz gut in Steinach
-gefiel. Es ging ihm damit wie mit manchen
-Menschen, von denen man nicht weiß, daß man sie
-im Grunde seines Herzens eigentlich recht liebhat,
-weil man sich über allerlei kleine Fehler an ihnen zuviel
-ärgert.</p>
-
-<p>Wenn die Mutter Fries einmal etwas für richtig
-hielt, dann tat sie es auch und wartete nicht lange.
-Sie schrieb also ihrem Sohn: »Ich komme zu dir, hab’
-es mir überlegt. Der Winter ohne dich ist mir zu einsam.«</p>
-
-<p>Oho, die Mutter hält es nicht aus, dachte der
-Sohn und ahnte nicht, daß die Mutter nur um seinetwillen
-kam. Er freute sich unbändig über seiner
-Mutter Sehnsucht; freilich, wenn sie es nicht aushielt,
-mußte sie kommen. Es war ein so ungemütlicher Tag,
-wie sie fast nur im November zu finden sind, Regen,
-Sturm, Schnee, Kälte, alles kam zusammen; gerade
-da erhielt Heinrich Fries den Brief seiner Mutter.
-Und an diesem Tage staunten die Kinder, als sie nachmittags
-in die Schule kamen. Ihr Lehrer schaute
-drein, als wäre Maientag draußen, oder als hätte er
-sich von Fräulein Regine im Pfarrhaus mit Gutwetterlaune<span class="pagenum" id="Seite_77">[77]</span>
-versorgen lassen. Die Mutter kam, die Mutter
-kam! Wie ein Lied klang ihm das fort und fort im
-Herzen.</p>
-
-<p>In Steinach am Wald wußten die Nachbarn
-schnell, was in des andern Haus vorging. Das war
-nun einmal so. In welchem Hause große Wäsche,
-Schweineschlachten oder Kuchenbacken war, wußte jeder
-im Dorf, und für wen Zimplichs Hulda, die Dorfschneiderin,
-gerade ein Kleid nähte, wußten auch alle.
-Und so redeten auch schon am andern Tag die Großen
-und Kleinen im Dorf: »Die Mutter vom neuen Herrn
-Lehrer kommt!«</p>
-
-<p>Frau Besenmüller hatte diese Neuigkeit von Haus
-zu Haus getragen. Mit Sack und Pack wollte sie
-kommen. Und der Herr Lehrer hatte selbst die große
-Hinterstube bestimmt, in der sollte seine Mutter wohnen,
-weil man von da aus den Wald sehen konnte und in
-den Garten hinein.</p>
-
-<p>»Kurios so was,« meinte Besenmüllern, »mir ist’s
-alleweil lustiger, auf die Straße zu gucken.« Aber sie
-scheuerte und putzte in der großen Stube herum, so
-sehr, als müßte sie noch sauberer als sauber werden.
-Kein Spinnchen wagte es darin zu bleiben, die holte
-Frau Besenmüllers Scheuerlappen aus jedem Winkel
-heraus, und ganz schlimm erging es einer kleinen<span class="pagenum" id="Seite_78">[78]</span>
-Maus. Die hatte sich ein Loch genagt und hatte gemeint,
-die große Stube würde eine gute Winterwohnung
-werden. Doch hui, da kam Frau Besenmüller.
-Sie stopfte spitzige, scharfe Glasscherben in das Loch
-und verkittete und verklebte es, &ndash; nun mochte die
-Maus sehen, wo sie blieb. Vielleicht war es die, die
-am nächsten Tage in das Schulzimmer gelaufen kam.
-Sicher wollte sie Frau Besenmüller verklagen, aber
-weil die Kinder gleich lachend ihren Namen schrieen,
-erschrak sie und kletterte an Toni Hases Röckchen empor.
-Nun war Toni zwar kein Hase, wenn sie auch den
-Namen trug, aber eine Maus, die den Weg zu ihrer
-Nase nahm, war ihr doch greulich. Sie quietschte,
-schüttelte sich, schlug um sich, traf ihre Nachbarin, warf
-die Bücher vom Tisch, und heilloser Wirrwarr entstand.</p>
-
-<p>Um eine Maus! Der junge Lehrer schalt an
-diesem Tage nicht, obgleich er den Lärm doch recht
-überflüssig fand. Er fing selbst die Maus und warf
-sie zum Hause hinaus; ein Tier zu töten tat ihm leid.
-Die arme hinausgeworfene Maus erlebte an diesem
-Tage noch allerlei seltsame Abenteuer, bis sie schließlich
-in die Kirche geriet. Sie wurde nun dort eine
-arme Kirchenmaus, aber ihr neues Leben gefiel ihr
-gut, und sie sah sich nie wieder nach einer andern
-Wohnung um.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_79">[79]</span></p>
-
-<p>Gleich am ersten Sonntag sah die kleine, graue
-Bewohnerin in der Kirche etwas, das ihr besonders
-gut gefiel. Da saß eine schlichte ältere Dame vorn auf
-der ersten Bank, und ein heiteres, frohes Scheinen lag
-in ihren Augen, als die Orgel erbrauste. Droben spielte
-ihr Sohn schöne, feierliche Weisen, und in der Kirche
-reckten und streckten alle die Hälse vor und schauten
-auf die Fremde. »Die alte Frau Lehrerin ist’s,« sagten
-sie. Es lag Neugier in den Blicken, aber auch viel
-herzliche Freude, und Frau Fries spürte mehr die
-Freude, und wie sie so still in der kleinen alten Kirche
-saß, dachte sie: »Hier gefällt es mir!«</p>
-
-<p>Am Abend vorher war Frau Fries gekommen.
-Frau Besenmüller war sehr zufrieden gewesen, daß jemand
-am Samstag kam, da war doch alles blitzblank
-geputzt. Nur den Himmel hatte Frau Besenmüller
-nicht scheuern können, so gern sie dies auch getan hätte.
-Der hing voller grauer Wolken, und die Steinacher
-sagten: »Es gibt Schnee.« Es gab aber nur einen
-Mischmasch von Schnee und Regen, und um die Geschichte
-noch ungemütlicher zu machen, heulte der Wind
-wie ein ganzer Chor böser Buben. Wirklich, es war
-höchst ungemütlich, und als Frau Fries in der Dämmerung
-auf Bauer Hinzpeters Wagen in das Dorf einfuhr,
-schauerte sie leicht zusammen; nein, schön war es<span class="pagenum" id="Seite_80">[80]</span>
-wohl in Steinach am Wald nicht. Aber schön war die
-große Freude ihres Sohnes, und die war es auch, die
-es der Mutter behaglich in dem alten Hause machte.</p>
-
-<p>In der Nacht hatte sich dann das Wetter besonnen,
-es zeigte ein freundlicheres Gesicht. Der Sturm riß
-aus, und der Mond kam hervor. Der hielt um die
-erste Tagesstunde Zwiesprache mit der Sonne, und
-diese etwas launenhafte Dame erklärte sich bereit zu
-scheinen, weil doch erster Advent war, und weil doch
-die alte Frau Lehrerin Steinach im Sonnenglanz sehen
-wollte. Am nächsten Morgen lag eine zarte weiße
-Schneedecke über dem Land. Wie versilbert standen
-die Bäume da, und über alles breitete die Sonne goldenen
-Schein. Es schimmerte und glänzte schöner als
-im Juwelenkästlein einer Königin. Als Frau Fries
-hinaussah, erst hinüber nach den dunklen Waldbergen
-und dann hinweg über das Dorf, sagte sie heiter: »Hier
-gefällt es mir!«</p>
-
-<p>Die Steinacher mußten es wohl spüren: »Der
-Frau gefällt es unter uns.« Sie grüßten sie, und
-viele reichten ihr die Hand. Sie taten das treuherzig
-und freundlich, und Frau Hinzpeter sagte: »Es ist
-eben nich Mode bei uns, fremde tun.«</p>
-
-<p>Daß Fremdtun nicht Mode war, sah Frau Fries
-auch an den Kindern. Die standen freilich erst scheu<span class="pagenum" id="Seite_81">[81]</span>
-zur Seite, aber als sie ein paar kleinen Mädeln die
-Hand gab, kamen geschwind andere herbei, und immer
-mehr kleine, braune Hände, auch derbe Jungenpatschen,
-streckten sich ihr zutraulich entgegen. Sie wollten alle
-gern der alten Frau Lehrerin guten Tag sagen. Die
-Sonne strahlte hell, aber noch heller schien ihr Glänzen
-zu werden, als Pfarrers Regine aus der Kirche trat.
-Gerade neben dem alten steinernen Schelm von Steinach
-stand sie, als Frau Fries sie erblickte. Die alte
-Frau und das junge Mädchen sahen sich an, und
-beide spürten es gleich: wir werden uns liebhaben.
-Sie schüttelten sich die Hände wie gute Bekannte, und
-dann gingen sie ein Stück die Dorfstraße entlang heimwärts,
-und Frau Fries versprach zum Nachmittagskaffee
-in das Pfarrhaus zu kommen. Regines Mutter
-war viel krank; die freue sich schon auf den Besuch,
-sagte das junge Mädchen, sehr sogar freue sie sich.</p>
-
-<p>Da verging denn dieser erste Sonntag in Steinach
-am Wald für Frau Fries hell und heiter, und sie nahm
-es als ein gutes Zeichen für kommende Tage.</p>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_82">[82]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Siebentes_Kapitel"><img src="images/illu-087.jpg" alt="" /><br />
-<span class="s80">Siebentes Kapitel</span><br />
-Schloß Moorheide</h2>
-
-<div class="h2cnt">
-
-<p>Es weihnachtet sehr &ndash; Frau Fries ladet zu einer Adventfeier
-ein, und Frau Besenmüller läßt die Schulglocke stehen &ndash; Eine
-Geschichte wird erzählt, die im Sommer beginnt und in der
-Adventszeit endet, und die schon hundert Jahre alt ist</p>
-</div>
-</div>
-
-<p class="drop">Ob es in der zweiten Nacht, die Frau Fries in
-Steinach zubrachte, der Mond vergaß, mit der
-Sonne zu reden, ob sie sich stritten, &ndash; wer kann es
-wissen? &ndash; jedenfalls blieb die Sonne am nächsten
-Morgen in ihrer warmen Sonnenstube. Grau hing
-der Himmel über dem Dorf, und dann begann es zu
-schneien. Erst sacht und sanft, dann wurden die Flocken
-größer, sie wirbelten und tanzten in der Luft herum,
-und ganz Steinach versank allmählich in ein weiches,
-weißes Schneebett. Es wurde so huschelig, so weihnachtlich,
-und man hätte das ganze Dorf mit seinen
-weißbeschneiten Dächern, den hohen Schneewällen
-ringsum gleich in ein Weihnachtsbilderbuch setzen
-können, so sah es aus. Durch den Schnee kamen<span class="pagenum" id="Seite_83">[83]</span>
-eines Tages ein paar große Wagen gefahren vom
-Bahnhof her, der Hausrat der alten Frau Lehrerin.
-Und nun schaffte diese emsig im Haus, Frau Besenmüller
-half ihr, und selbst der Schuldiener mußte mit
-eingreifen. Aus dem Pfarrhaus kam Fräulein Regine,
-und die rief einmal über das andere: »Wie hübsch
-das ist, wie hübsch!«</p>
-
-<p>Manch Stück aus der Großmutterzeit war unter
-den Sachen, das paßte gut in die großen Stuben des
-Schulhauses, viel besser als in die enge, kleine Viertreppenwohnung
-der grauen Stadt. Mutter und Sohn
-staunten selbst, wie hübsch es wurde, und als dann die
-Bücherkisten kamen und Heinrich Fries die lieben gedruckten
-Freunde wiedersah, da fand auch er es nicht
-mehr so einsam in Steinach.</p>
-
-<p>Draußen wurde es immer weihnachtlicher. Die
-Kinder sangen Weihnachtslieder, wo sie gingen und
-standen, und keiner schalt, wenn die Brummer auch
-sangen. Hinzpeters Malchen sang manchmal noch im
-Bett ihre kleinen frohen Lieder. Im Schulhaus hörte
-die alte Frau Lehrerin das frohe Singen auch, und
-sie meinte, seit vielen, vielen Jahren sei es ihr noch
-nicht so weihnachtlich zumute gewesen wie hier in
-Steinach. Ihr fielen allerlei heitere Dinge ein, die
-sie einst im Elternhaus unter der Adventskrone getan<span class="pagenum" id="Seite_84">[84]</span>
-hatte, und eines Tages wanderte sie selbst in den Wald,
-holte sich Tannengrün, wand eine Adventskrone, steckte
-drei Lichter darauf, denn so weit war die Zeit vorgeschritten,
-und dann lud sie die Schulkinder zu einer
-Adventsfeier ein.</p>
-
-<p>So etwas hatte es noch nie in Steinach gegeben,
-und sämtliche Spatzen im lieben deutschen Land zusammen
-konnten nicht so neugierig sein wie die Steinacher
-Kinder. Die hatten es an diesem Sonntagnachmittag
-ungeheuer eilig, in das Schulhaus zu kommen.
-Eine Stunde früher als angesagt waren sie schon da.
-Aber Frau Besenmüller war auch da, und die fand
-gar nicht, daß es nötig sei, nur eine Minute früher
-zu kommen. »Geht nur wieder,« sagte sie, hartherzig,
-wie die Kinder meinten, »ich bimmle schon!« Und
-klapp schloß sie ihnen die Türe vor der Nase zu.</p>
-
-<p>»Frech!« rief Arne.</p>
-
-<p>»Besenmüllern ist komisch!« brummten etliche.</p>
-
-<p>»Huje, da is die Bimmel!«</p>
-
-<p>Zimplichs Max jauchzte es laut. Die andern
-folgten mit ihren Blicken seinem Zeigefinger, und da
-sahen sie wirklich alle außen im Türwinkel die große
-Schulglocke stehen. Frau Besenmüller hatte sie am
-Morgen in Gedanken außen statt innen in die Ecke
-gestellt.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_85">[85]</span></p>
-
-<p>Die Schulklingel! Die liebten die Kinder und haßten
-sie. Wie manchmal, wenn sie ertönte, atmeten
-besonders die Faulpelze auf, daß endlich die Stunde
-aus war. Und dann wieder ärgerten sie sich über den
-hellen Ton, wenn er ihnen mitten in ein lustiges Spiel
-hineinfuhr. Und nun stand dieses Ding, das eine
-Stimme hatte und beinahe wie ein lebendiges Wesen
-war, vor ihnen, von Frau Besenmüller unbeschützt.</p>
-
-<p>»Wir bimmeln,« riefen Arne und Malchen.</p>
-
-<p>»Ach ja, wir bimmeln,« schrieen ein paar andere.</p>
-
-<p>»Nä, wir verstecken sie.« Zimplichs Max und
-Jackenknöpfle schrieen es, und gleich schrieen die andern:
-»Wir verstecken sie, fein, hurra!«</p>
-
-<p>Ein paar stürzten auf die Klingel los, und
-Schmiedemeister Traugotts Hans warnte: »Laßt ’n
-Klöppel niche los!«</p>
-
-<p>Die Warnung kam zu rechter Zeit, der Klöppel
-wurde festgehalten, die Schulklingel mußte stumm
-bleiben. Sie konnte nicht rufen und nicht anklagen,
-sie mußte es leiden, daß sie von unnützen Buben und
-kichernden Mädeln in Besenmüllers Holzschuppen getragen
-wurde. Dort erhielt sie ihren Platz auf einem
-hochgeschichteten Holzstoß, und da saß sie und mußte
-schweigend warten, bis Frau Besenmüller Holz holen
-kam.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_86">[86]</span></p>
-
-<p>Die Kinder zogen wieder vor das Schulhaus zurück,
-sie freuten sich schon über Frau Besenmüllers Erstaunen,
-wenn sie die Klingel nicht fand. Sie wollten
-ihr dann suchen helfen, das gab gewiß einen Hauptspaß.
-Es kam aber anders. Fräulein Regine aus dem
-Pfarrhaus kam, auch ehe es Zeit war. Und Fräulein
-Regine ließ Frau Besenmüller nicht draußen stehen,
-und weil das junge Mädchen sagte, es sei so kalt draußen,
-die Kinder könnten doch mit hinein, tat die Schuldienersfrau
-wirklich weit die Tür auf, und alle liefen
-schwatzend und vergnügt in das schöne, alte Haus hinein.
-Einige dachten: »Nun braucht Besenmüllern die
-Bimmel nicht zu suchen, schade!« Aber dann vergaßen
-sie gleich den andern die arme, verstoßene Schulklingel
-im Holzstall, denn es wurde sehr fein.</p>
-
-<p>Frau Fries hatte lange keine Adventsfeste gefeiert,
-und sie hätte wohl auch die Kinder nicht zur
-Adventsfeier eingeladen, wenn nicht Fräulein Regine
-ihr geholfen hätte. Aber Fräulein Regine konnte
-singen, die allerlieblichsten Lieder, sie konnte erzählen
-und plaudern, und dann konnte sie lachen. So mit
-dem Herzen zu lachen wie Fräulein Regine verstand
-nicht leicht jemand, und dieses Lachen steckte an. Die
-große Schulstube sah an diesem Nachmittag lauter
-heitere, lachende Gesichter, trotzdem der neue Lehrer,<span class="pagenum" id="Seite_87">[87]</span>
-vor dem die Kinder immer noch ein wenig Angst hatten,
-auch im Zimmer blieb. Und Frau Besenmüller saß mit
-darin und ihr Mann, der emsig an einem rosenroten
-Strumpf strickte. Frau Fries zeigte es den Kindern,
-wie sie alle die bunten Papierstreifen, von denen sie
-eine große Schachtel voll vor sich stehen hatte, zu Ketten
-zusammenkleben konnten. So etwas hatten die Steinacher
-Kinder noch nie getan, und sie fanden, es sei eine
-vergnügliche Arbeit.</p>
-
-<p>Fräulein Regine erzählte dazu das lustige Märlein
-vom Vater Strohwisch, und dazwischen wurden
-Lieder gesungen. An einer Geschichte hatten die Kinder
-aber nicht genug, und sie baten um mehr. Da erzählte
-ihnen der junge Lehrer etwas aus der Zeit der Befreiungskriege,
-von der Schlacht bei Leipzig am 18.
-Oktober 1813.</p>
-
-<p>»Ach Krieg,« rief Hinzpeters Malchen, »den gibt’s
-nicht mehr!«</p>
-
-<p>»Na, du,« schrieen die Buben empört, »der kommt
-schon noch mal.«</p>
-
-<p>»Krieg ist schwer,« seufzte Frau Fries. »Als ich
-ein junges Mädel war, etwas älter als Malchen, hatten
-wir Krieg mit Frankreich.«</p>
-
-<p>»Mutter, erzähle den Kindern doch einmal die
-Geschichte aus Urgroßvaters Jugendzeit,« bat Heinrich<span class="pagenum" id="Seite_88">[88]</span>
-Fries. »Sie ist zwar ernst, aber eigentlich ist es eine
-Adventsgeschichte, wenn sie auch im Sommer beginnt.«</p>
-
-<p>»Sie ist zu lang,« warf die Mutter ein.</p>
-
-<p>»Och nä,« schrieen die Kinder, just als wüßten
-sie genau, wie lang die unbekannte Geschichte sei. Und
-selbst Besenmüller, der bis dahin unentwegt und stumm
-an seinem rosenroten Strumpf gestrickt hatte, tat seinen
-Mund auf und sprach: »Zu lang is ’ne Geschichte niche
-leicht, wenn se scheene is.«</p>
-
-<p>»Ob sie schön ist, mögt ihr alle nachher entscheiden,«
-sagte Frau Fries lächelnd. »Sie ist lustig und
-ernst, und der Försterbube darin war mein Großvater.
-Es ist also eine wahre Geschichte, und das ist auch etwas
-wert. Nennen werde ich sie</p>
-
-<div class="chapter">
-<h3>Schloß Moorheide.</h3>
-</div>
-
-<p>An einem See, den dunkler Tannenwald umschloß,
-lag ein graues Haus. Schloß Moorheide wurde
-es genannt, obgleich der einfache, gerade Bau, dem jeglicher
-Zierat fehlte, nichts Schloßartiges an sich hatte.
-Nur die breite Freitreppe, die vom Eingang hinab
-in einen ziemlich wilden Garten führte, verlieh dem
-Haus ein vornehmes Aussehen. Am Fuße dieser
-Treppe stand an einem Sommertag des Jahres 1812
-ein kleines Mädchen, ein feines, zierliches Ding mit
-braunen Locken und veilchenblauen Augen.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_89">[89]</span></p>
-
-<p>Vor ihr stand, die Hände in den Hosentaschen, ein
-etwas größerer Bube. Er war halb städtisch, halb
-bäurisch gekleidet, und sein braungebranntes Gesicht
-stach drollig gegen die flachsblonden Haare ab. Dem
-ganzen kleinen Kerl sah man an, daß er in Wind und
-Wetter draußen war, und seine blitzenden Augen verrieten,
-daß er zu allerlei tollkühnen Unternehmungen
-gern bereit war.</p>
-
-<p>»Du bist feige,« sprach er grollend zu seiner Gefährtin.</p>
-
-<p>Sabina von Hartenstein, den Namen führte das
-zierliche Mädchen, schüttelte traurig den Kopf. »Ich
-darf doch nicht,« sagte sie, und ein sehnsüchtiger Blick
-flog nach dem Walde hin; in den Augen stand: »Ich
-möchte schon.«</p>
-
-<p>»Frag’ nur deine Frau Mutter,« drängte der
-Bube. »Pah, mit mir kannst du doch in den Wald
-gehen!« fügte er ein bißchen prahlerisch hinzu und
-reckte die Stupsnase gewaltig in die Höhe.</p>
-
-<p>Babinchen, so wurde Sabina gerufen, lachte schelmisch:
-»Du tust gerade, als wärst du mindestens ein
-Ritter, Heine. Großvater sagt, es sei jetzt so unsicher,
-man könnte immer Soldaten erwarten, und du
-weißt« &ndash; sie sprach das Wort nicht aus, aber ein
-scheuer Blick flog nach dem Hause hinauf. Oben stand<span class="pagenum" id="Seite_90">[90]</span>
-ein Fenster offen, und manchmal hörte man ein paar
-Männerstimmen in der friedlichen Nachmittagsstille
-aufklingen.</p>
-
-<p>Heine Strohmanns hellblaue Augen blitzten, und
-er schaute mit ehrfurchtsvoller Bewunderung zu dem
-Hause hinauf.</p>
-
-<p>Der Bube war der Sohn des Försters, sein Vater
-wohnte nicht allzuweit vom Schloß entfernt im Walde.
-Fast täglich kam Heine in das Schloß, denn Babinchen
-war seine liebste Spielgefährtin; die beiden streiften
-dann oft stundenlang in den weiten, sich bis an die
-russische Grenze hinziehenden Wäldern umher. Heine
-kannte Weg und Steg so gut, daß er sich selbst im
-Dunkeln zurechtfand. Er kannte aber auch jeden Vogelruf,
-er wußte, wo die Rehe ästen, wo Füchse, Dachse
-und anderes Getier hausten, und oft genug hatte er
-seiner kleinen Freundin schon allerlei Wunder des Waldes
-gezeigt. Heute hatte er ihr einen Fuchsbau weisen
-wollen, er hatte vor etlichen Tagen die jungen Füchslein
-gesehen; morgen wollte der Vater das ganze Nest
-ausheben, da sollte es nun Babinchen noch rasch sehen.
-Es kam ihm sehr ungelegen, daß Frau von Hartenstein
-ihrem Mädel verboten hatte, im Wald herumzustreifen.
-Noch waren nämlich die Truppen des
-Kaisers Napoleon auf dem Durchmarsch nach Rußland<span class="pagenum" id="Seite_91">[91]</span>
-begriffen. Dieses große Reich sollte Napoleons
-unersättlicher Ländergier auch zum Opfer fallen, und
-das arme Preußen, halb vernichtet in dem unglücklichen
-Krieg von 1806&ndash;1807, mußte sich den Durchzug
-der Truppen gefallen lassen. Napoleon nannte
-den König von Preußen zwar jetzt seinen Freund und
-Bundesgenossen, aber dabei glich der Durchmarsch
-seines Heeres eher einem großen Raubzug.</p>
-
-<p>Nach Schloß Moorheide, das abseits von der
-großen Heerstraße lag, waren bisher noch keine Soldaten
-gekommen. Auch das nahe Dorf war noch davon
-verschont geblieben, Vorspanne, Schlachtvieh und
-Lebensmittel aller Art liefern zu müssen.</p>
-
-<p>Auf Moorheide wohnten schon seit etlichen Geschlechtern
-die Hartensteins. Der alte Herr Jobst von
-Hartenstein, der derzeitige Besitzer, war schon lange
-verwitwet. Bei ihm lebte seine Schwiegertochter mit
-ihrem Töchterchen Sabina. Auch ihr Mann war tot;
-wenige Wochen nach Babinchens Geburt war er gestorben.
-Die Kleine dachte oft sehnsüchtig an den
-Vater, den sie nie gekannt hatte, und den sie doch so
-liebte, weil alle Menschen, die von ihm sprachen, nur
-Gutes zu erzählen wußten. Wenn aber auf den Nachbargütern
-der Name Ferdinand von Hartenstein genannt
-wurde, dann schwiegen meist alle dazu, die<span class="pagenum" id="Seite_92">[92]</span>
-Männer schauten ernst und trübe drein, und die
-Frauen hatten Mitleidstränen in den Augen. Auch in
-dem etwas düsteren Schloß am See wurde dieser
-Name nur in leiser, weher Trauer genannt, und der
-Großvater, der seit einem Jagdunfall lahm war, sprach
-fast nie den Namen aus. Ferdinand war sein Enkelsohn,
-Sabinas vierzehn Jahre älterer Bruder. Der
-feurige, leidenschaftliche Jüngling hatte sich in seiner
-heißen Vaterlandsliebe dem Schillschen Korps angeschlossen,
-er hatte fliehen müssen und war in einer
-grauen Nebelnacht nach Schweden entkommen. Die
-Mutter trauerte tief um den letzten Sohn. Der älteste
-war einst bei Jena gefallen. Der Großvater sehnte
-sich nach dem fernen Enkel, und Babinchen hatte dem
-Bruder schon viele heiße Tränen nachgeweint. Mit
-ihrem Freund, Heine Strohmann, sprach sie oft von
-dem Bruder. Der Bube bewunderte in dem Flüchtling
-einen Helden, und er wurde nie müde, von ihm
-zu hören. Wie der Bruder aussah, wußte Babinchen
-freilich selbst nicht mehr genau. Schon seit sieben
-Jahren hatte sie ihn nicht mehr gesehen, und sein Bild
-hielt die Mutter verborgen. So wußte auch niemand
-von den Hausgenossen sich recht an den jungen Herrn
-zu erinnern.</p>
-
-<p>»Ob er es wirklich ist?« fragte Heine jetzt voll ehrfürchtiger<span class="pagenum" id="Seite_93">[93]</span>
-Scheu, und sein Blick streifte wieder rasch
-das offene Fenster. Babinchen legte ihre Arme um
-den Hals des Kameraden und flüsterte leise, obgleich
-nirgends ein Lauscher zu sehen war: »Ich denke, er
-muß es sein. Und weißt du, er ist gekommen, weil
-Großvater so lange, lange krank war.«</p>
-
-<p>»Wenn ich ihn nur einmal sehen könnte, nur ein
-einziges Mal!« rief Heine laut und aufgeregt.</p>
-
-<p>Babinchen hielt ihm rasch den Mund zu. »Schrei
-doch nicht so, Stepke!« schalt sie ärgerlich.</p>
-
-<p>Heine wurde ein bißchen verlegen. Stepke nannte
-ihn seine kleine Freundin immer, wenn er gar zu wild
-und jungenhaft war, und darum mochte er den Namen
-nicht leiden. Er grollte auch jetzt: »Brauchst mich nicht
-gleich Stepke zu nennen, wenn ich mal ’n bißchen laut
-rede. Ihr Mariellen seid auch zu zimperlich!«</p>
-
-<p>Mariell ließ sich nun wieder Babinchen sonst nicht
-gern nennen, sie war an diesem Tag aber viel zu
-aufgeregt, um auf eine solche Kleinigkeit zu achten.
-»Wenn du ganz leise gehst, weißt du, auf den Zehenspitzen
-und ohne Stiefel, dann führe ich dich in die
-blaue Stube. Die hat nämlich ein Fenster nach Großvaters
-Zimmer hin, und wenn wir recht leise sind,
-dann können wir da rasch einmal hindurchsehen; der
-Vorhang ist nur halb zu.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_94">[94]</span></p>
-
-<p>Heine hätte beinahe einen lauten Jauchzer ausgestoßen,
-er besann sich aber noch rechtzeitig auf Babinchens
-Mahnung zur Stille und hielt sich geschwind
-seine kleine, braune Hand vor den Mund.</p>
-
-<p>Einige Minuten später schlichen die Kinder auf
-Strümpfen durch das Haus, während ihre Schuhe einträchtig
-nebeneinander in einem dichten Holunderbusch
-im Garten standen. Babinchen führte Heine Strohmann
-durch einige Zimmer, bis sie aufatmend einige
-Augenblicke stillstand. Nebenan war das blaue Zimmer,
-und von dort aus konnten sie in Großvaters Arbeitsstube
-sehen. Es hatte ihr niemand verboten, das blaue
-Zimmer zu betreten, sie hatte schon oft durch das
-Fenster geschaut und dem lieben Großvater zugenickt
-und zugelacht. Dennoch zögerte sie jetzt. War es nicht
-doch etwas Heimliches, was sie nun tun wollte? Warum
-wagte sie eigentlich nicht, Heine einfach in das
-Zimmer zu führen?</p>
-
-<p>Seit zwei Tagen waren Gäste im Haus, ein paar
-junge Männer. Ihre Namen wußten außer dem
-Großvater und der Mutter wohl nur noch Förster
-Strohmann und die alte, treue Marinka. Die aber
-waren beide verschwiegen und hätten sich eher die
-Zunge abgebissen, ehe sie ein ihnen anvertrautes Geheimnis
-verraten hätten. Trotzdem niemand über<span class="pagenum" id="Seite_95">[95]</span>
-das Woher und Wohin der Fremden etwas wußte,
-sagten es doch alle im Hause, von der Köchin Lisabetha
-an bis hinab zu dem kleinen frechen Pferdeknecht
-Michael, daß der Jüngere der Fremden kein anderer
-sei als Junker Ferdinand, der geflüchtete Sohn des
-Hauses. Auch Babinchen glaubte es halb und halb,
-und sie hätte so gern den Fremden als Bruder angeredet,
-aber sie sah ihn wenig; fast immer waren die
-beiden Gäste in des kranken Großvaters Zimmer.
-Kam er aber einmal in das Wohnzimmer und sprach
-zu ihr, dann schwieg sie befangen, ja dann schien es
-ihr kaum möglich, daß dieser Mann mit dem ernsten
-Gesicht, der breiten, roten Narbe über der rechten
-Wange, ihr Bruder sein sollte, so fremd kam er ihr
-vor, und sie meinte, der fröhliche Jüngling, der sie als
-ein noch viel kleineres dummes Mariellchen oft samt
-ihrer Puppe Rosalinde spazierengefahren hatte, sei
-doch ein ganz anderer gewesen.</p>
-
-<p>Babinchen hatte auch ihrem Freund Heine ihren
-Zweifel nicht verschwiegen, der aber hatte versichert:
-»Wenn ich ihn nur eine Minute sehen könnte, ich
-wüßte ganz genau, ob er’s ist.« Und dabei war der
-Bube bei des Junkers Abschied auch erst ein rechter
-Dreikäsehoch gewesen!</p>
-
-<p>Aber die Kleine glaubte dem Freunde seine kühne<span class="pagenum" id="Seite_96">[96]</span>
-Behauptung, und darum schlichen sie jetzt alle beide
-in die blaue Stube, um den geheimnisvollen Fremden
-zu sehen. Babinchens Herzlein schlug so laut, daß sie
-meinte, man müsse sein Pochen drin im Nebenzimmer
-hören; sie wagte kaum einen scheuen Blick durch das
-nur lose verhängte kleine Fenster, das nach altmodischer
-Bauweise in die Stubenwand eingelassen war.
-»Guckerchen« nannte man es im Hause, und am Guckerchen
-stand nun Heine und starrte mit heißen Augen
-hinüber. »Er ist’s,« flüsterte er der Freundin zu, die
-ihm rasch und angstvoll den Mund zuhielt, während
-ihre Augen flehten: »Sprich nicht, sei leise!«</p>
-
-<p>Drinnen in dem Zimmer saß in einem Lehnstuhl
-Babinchens Großvater. Sein bleiches Gesicht trug die
-Spuren langer Krankheit, und blaß und schmal lagen
-die Hände auf der dicken Decke, in die er sich trotz
-der Sonnenwärme gehüllt hatte. Die schönen, klaren
-Augen des alten Herrn ruhten liebevoll auf einem
-jungen Mann, der auf einem niedrigen Schemel vor
-ihm saß und ihm etwas zu erzählen schien. Was er
-sagte, verstanden die beiden Eindringlinge am Guckerchen
-nicht. Babinchen zitterte wie ein Grasstenglein
-im Wind vor Aufregung, ihr Freund aber hatte ganz
-vergessen, wo er sich befand. Der braunlockige junge
-Mann mit den grauen, kühn blitzenden Augen, der zu<span class="pagenum" id="Seite_97">[97]</span>
-den Füßen des Gutsherrn saß, das mußte er sein, er,
-der Held.</p>
-
-<p>Doch da zupfte ihn Babinchen am Jackenzipfel,
-das sollte heißen: »Komm, komm!« Die Kleine hatte
-gesehen, daß nur noch der andere Gast, ein hochgewachsener,
-schlanker, blonder Mann, der aber wohl erheblich
-älter als sein Freund sein mochte, im Zimmer war.
-Die Mutter fehlte, und Babinchen war besorgt, sie
-könnte kommen und sie beide am Guckerchen finden.
-Endlich gelang es ihr mit Zupfen und zaghaft geflüsterter
-Bitte, den Kameraden fortzulocken. Auf
-leisen Sohlen huschten beide wieder hinaus, unten im
-Garten aber sprang Heine Strohmann hoch vor Freude
-und rief: »Er ist’s, ganz gewiß, er ist’s! Den erkennt&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Babinchen, Heine!« rief Frau von Hartenstein.
-Babinchen konnte noch gerade in ihre Schuhe schlüpfen,
-ehe die Mutter aus dem Hause trat.</p>
-
-<p>»Frag’ wegen der Füchse!« tuschelte ihr Heine so
-laut zu, daß seine kleine Freundin gar nicht erst zu
-fragen brauchte. Die Mutter hatte es gehört und
-wollte nun wissen, was mit den Füchsen sei. Sie lachte,
-als Heine Strohmann die Fuchsfamilie begeistert pries
-und treuherzig hinzusetzte, mit ihm könne Babinchen
-schon gehen, es sei kaum eine halbe Stunde weit; außerdem<span class="pagenum" id="Seite_98">[98]</span>
-werde sein Vater vielleicht ganz in der Nähe sein,
-er habe heute früh davon gesprochen.</p>
-
-<p>»Nun, meinetwegen lauft,« sagte Frau von Hartenstein
-freundlich, »aber bleibt nicht zu lange. Bittet
-Marinka, daß sie euch ein Vesperbrot mitgibt.«</p>
-
-<p>Die Kinder jauchzten auf, Babinchen umarmte die
-Mutter stürmisch, und weil ihr das Gewissen beschwert
-war ob des heimlichen Schauens durch das Guckerchen,
-nahm sie einen so zärtlichen Abschied, als ginge
-sie auf eine große Reise. Da wurde der Frau das
-Herz seltsam schwer. Sie preßte ihr Kind fest an sich
-und sagte mit leiser Bangigkeit: »Gib mir gut acht auf
-mein Mädel, Heine!«</p>
-
-<p>Das versprach der Bube wichtig, und bald darauf
-trabten die beiden Kinder dem Walde zu. Die halbe
-Stunde, die Heine angegeben, hatte ein recht tüchtiges
-Schwänzlein. So geschwind die Buben- und Mädelbeine
-auch über den grünen Waldboden liefen, es
-dauerte doch über eine Stunde, ehe sie am Fuchsbau
-anlangten. Sie hatten zuletzt die Landstraße überschreiten
-müssen, die in einem Bogen um Schloß Moorheide
-herum nach der nächsten Stadt führte. Eine
-Seitenstraße ging von ihr aus nach dem einsamen
-Gutshof und dem nachbarlich gelegenen Dorf.</p>
-
-<p>»Bis an die Landstraße sollte ich aber nicht,« sagte<span class="pagenum" id="Seite_99">[99]</span>
-Babinchen zaghaft beim Überschreiten, »Mutter hat es
-streng verboten!«</p>
-
-<p>»Pah, was ist dabei!« meinte Heine. »Komm
-nur rasch! Eins, zwei, drei sind wir drüben. Wir
-gehen doch nicht die Straße entlang, und ob wir jenseits
-durch den Wald laufen oder hier, ist gleich.« Babinchen
-ließ sich nur zu gern bereden, und husch liefen
-sie beide hinüber. Die breiten Graben am Wegrand
-wurden mit kühnem Sprung genommen, und dann
-tauchten die Kinder drüben in der grünen Dämmerung
-wieder unter. Üppiger Laubwald drängte sich zwischen
-den Nadelwald hinein. Weil die Vögel hier gut Nester
-bauen konnten und ein kleiner Waldsee auch allerlei
-Wasservögeln Wohnung gab, so schwirrte, sang,
-kreischte, rohrte und schnatterte das oben und unten
-lustig durcheinander. In all das Vogelgeschwätz hinein
-aber sagte Babinchen: »Es klingt wie Donner, was
-ist das nur?«</p>
-
-<p>»Es wird ein Wagen auf der Landstraße sein,«
-sagte Heine achtlos, denn seine ganze Aufmerksamkeit
-galt dem Fuchsbau. Dort mußte er doch sein, dort,
-wo die Sonne durch eine Lücke drang und einen großen
-hellen, runden Fleck auf den Waldboden malte. Aber
-die Füchslein lagen nicht wie am Tage vorher draußen
-und sonnten sich. Alle miteinander steckten sie in ihrer<span class="pagenum" id="Seite_100">[100]</span>
-dunklen Wohnstube, und nicht eine einzige rote Fuchsrute
-war zu sehen.</p>
-
-<p>»Das ist doch zu dumm,« brummte Heine, »was
-ihnen nur einfällt!«</p>
-
-<p>»Wir müssen warten,« tuschelte er. »Komm, wir
-legen uns hier lang auf den Boden. Ich habe aber
-auch Stein und Zunder mit, und wenn sie nicht
-kommen, dann räuchere ich sie heraus.«</p>
-
-<p>Dieser Plan war Babinchen etwas zu abenteuerlich;
-sie meinte, sie wollten es lieber mit dem Warten
-versuchen. Erst steckte sie aber neugierig ihr Näslein
-in den Fuchsbau hinein, sie fuhr aber geschwind wieder
-zurück und rief verächtlich: »Pfui, wie das da drin
-riecht, brr! Na, weißt du, deine Füchse sind auch was
-Rechtes, darum brauchten wir nicht so weit zu laufen!«</p>
-
-<p>»Wart’ es doch ab, bis sie herauskommen, nachher
-werden sie dir schon gefallen!« murrte Heine Strohmann
-gekränkt. »Aber wenn du schwätzt und schreist
-wie eine Elster, dann natürlich, dann können wir lange
-warten. Auf der Jagd hält man den Schnabel!«</p>
-
-<p>Des Freundes Strafrede verfehlte ihre Wirkung,
-denn Babinchen kicherte so vergnügt darüber, daß es
-die Fuchsfamilie im Bau sicher hören mußte. Endlich
-tat ihr aber Heine, der ein betrübtes Gesicht machte,
-leid, sie verhieß still zu sein, und beide legten sich dann<span class="pagenum" id="Seite_101">[101]</span>
-wie ein paar richtige eifrige Jäger lang auf den grünen,
-weichen Waldboden nieder, um die Füchse zu belauschen.
-Doch kaum hatten sie sich recht hingelegt, da
-sprangen sie auch schon wieder entsetzt auf und starrten
-einander schreckensbleich an. Der ganze Boden dröhnte
-nämlich. Das konnte nicht nur ein Wagen sein, der
-die Landstraße entlang fuhr, viele mußten es sein und
-viele Menschen, die da marschierten.</p>
-
-<p>»Feinde sind’s,« stammelte Heine, »Franzosen!«
-Alle Schreckensgeschichten fielen ihm ein, die man sich
-noch in der Gegend erzählte.</p>
-
-<p>Babinchen wiederholte angstvoll die Worte:
-»Feinde sind’s!«</p>
-
-<p>»Wir müssen uns verstecken,« sagte Heine rasch,
-ohne Besinnen, »wir sind so nahe, dein weißes Kleid
-kann man sonst sehen.« Er zog seine kleine Freundin
-mit kräftigem Ruck in einen Graben hinein, der den
-Wald durchlief. Er war trocken und von bunten
-Blumen überwachsen; in dieses duftige Blütenbett
-versanken die Kinder, und einige Minuten saßen sie
-stumm, fast betäubt von dem Schreck darin, während
-durch den Wald lauter, unheimlicher das dumpfe
-Dröhnen klang.</p>
-
-<p>»Wenn sie nach Hause kommen, unser Haus
-finden!« flüsterte Babinchen zitternd.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_102">[102]</span></p>
-
-<p>»Und deinen Bruder! Den &ndash; den nehmen sie
-gefangen, er ist doch ein Flüchtling,« sagte Heine
-Strohmann, und sein sonst so vergnügtes Bubengesicht
-war tief ernst geworden.</p>
-
-<p>Das Mädchen schmiegte sich bebend an den Freund
-und schluchzte leise: »O der arme Ferdinand! Ach
-Heine, wir müssen zu ihm und es ihm sagen!«</p>
-
-<p>Sie wußte nur zu gut, daß Heine mit seiner Angst
-recht hatte. Erst gestern hatte sie gehört, wie Lisabetha
-erzählte: »Wenn nur keine Franzosen kommen!
-Die nehmen den jungen Herrn gleich mit oder schießen
-ihn mausetot.« Und dann hatten die Mägde und
-Knechte sich allerlei schauerliche Geschichten erzählt,
-von den jungen Offizieren, die Napoleon in Wesel
-hatte erschießen lassen, und noch manche andere trübe
-Begebnisse. Babinchen hatte schaudernd im Winkel
-gesessen und gelauscht &ndash; jetzt kam ihr alles wieder ins
-Gedächtnis, und aufgeregt flehte sie: »Komm doch,
-Heine, komm, wir müssen zurück!«</p>
-
-<p>Heine schüttelte nachdenklich, finster den Kopf.
-»Hör’ nur, sie müssen schon nahe sein, und wenn wir
-zurück über die Straße laufen, dann sieht man uns,
-und dann &ndash; nein, das geht nicht.«</p>
-
-<p>»Wir rennen eine Weile am Rand des Waldes
-entlang und dann fix hinüber,« riet Babinchen.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_103">[103]</span></p>
-
-<p>Der Bube betrachtete seine Gefährtin. »Dein
-weißes Kleid verrät uns!« Er wußte als Förstersohn
-zu gut, daß etwas Weißes im Walde weithin leuchtet,
-deshalb wagte er sich mit seiner Freundin nicht nahe
-an den Rand. Er allein wäre ohne Besinnen nach
-dem jenseitigen Wald gelaufen, aber verlassen durfte
-er Babinchen nicht. Er fühlte sich als ihr Beschützer,
-hatte er doch versprochen, sie sicher heimzubringen.</p>
-
-<p>»Ach, wenn ich doch braun wäre,« schluchzte das
-Mädel, »dann liefen wir schnell vierbeinig über die
-Straße, und die Franzosen dächten, es wären Rehe,
-und&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Schießen auf uns,« vollendete Heine. Da schwieg
-Babinchen verzagt und lauschte bebend auf den Lärm,
-der mehr und mehr die Waldstille übertönte.</p>
-
-<p>»Wir müssen hinüber,« überlegte Heine, »rasch
-hinüber, müssen die zu Hause warnen!« Und er
-meinte, das einzige Hindernis sei Babinchens weißes
-Kleid. Daß den Soldaten auch dunkle, über den Weg
-huschende Gestalten verdächtig sein könnten, das überlegte
-er gar nicht.</p>
-
-<p>Auf einmal aber kam ihm ein rettender Gedanke;
-ja, so mußte es gehen, so. Hier ganz nahe war ein
-Moorloch. Sein Vater hatte ihn einmal gewarnt, auf
-den dunklen Grund zu treten, er hatte ihm auch die<span class="pagenum" id="Seite_104">[104]</span>
-Stelle gezeigt, wo der feste Grund begann. In das
-Moor mußte Babinchen ihr weißes Kleid tauchen, es
-darin dunkel färben, dann war die Sache ungefährlich.
-Hastig teilte er seiner Gefährtin den Plan mit, und die
-fand ihn über alle Maßen klug. »Ausziehen tu ich
-mich nicht erst, das dauert zu lange, ich steig’ gleich
-so hinein,« sagte sie entschlossen.</p>
-
-<p>Heine nickte. Ja, so war es gut; er wollte sie
-halten, damit sie nicht im Moor versinken konnte,
-denn wirklich, das Umziehen hätte zu lange gedauert.
-Babinchen war sonst ein rechtes Furchthäschen, aber in
-dieser Stunde vergaß sie alle Angst. Sie war zu allem
-bereit, nur heim mußte sie so rasch wie möglich, heim,
-alle warnen und bei der Mutter sein. Wie sehr sie
-sich nach der Mutter sehnte! In wenigen Minuten
-waren die Kinder am Moorbach angelangt; wie die
-Böcklein sprangen sie durch den Wald und vergaßen
-in ihrem Eifer ganz, daß scharfe Augen sie jetzt gut
-von der Straße aus hätten sehen können.</p>
-
-<p>Doch dort zogen noch keine Soldaten, nur der
-Schall ihrer Schritte, das Rasseln und Rollen ihrer
-schweren Wagen kam immer näher wie ein aufziehendes
-Unwetter.</p>
-
-<p>»Hier ist das Loch!« frohlockte Heine und führte
-seine kleine Freundin ein Stück auf dem festen Boden<span class="pagenum" id="Seite_105">[105]</span>
-entlang ins Moor hinein. Ein Busch stand am Rand,
-an dem machte Heine halt und sagte: »Hier mußt du
-hinein, ich halt’ dich fest. Hab’ keine Angst, du fällst
-nicht!«</p>
-
-<p>Und Babinchen trat in ihrem weißen Kleidchen
-ganz still und ergeben auf das Moor. Sie stand ein
-Weilchen drauf wie eine weiße, helle Blüte, auf einmal
-aber begann sie zu sinken, nicht tief, nur etwa bis
-an die Knie, da fühlte sie schon wieder festen Boden
-unter sich. »Es geht nicht weiter!« klagte sie. Aber
-Heine, über den in dem Augenblick, da Babinchen zu
-sinken begann, eine jähe Angst gekommen war, sagte
-ganz beruhigt: »Das ist gut, dann legst du dich hin,
-dabei ist keine Gefahr. Dreh’ dich ein bißchen im Moor
-herum, dann bist du dunkel genug.«</p>
-
-<p>Babinchen befolgte auch diesen Rat des Freundes.
-Sie drehte sich geschwind im Moor herum, kam mit
-dem Gesicht hinein, aber da riß Heine sie schon wieder
-mit kühnem Griff empor und zog sie auf den Steg
-zurück. Aus der weißen, feinen Lilie war nun auf einmal
-ein kleines, grünbraunes Ungeheuer geworden.
-Ein dicklicher Brei rann an ihr herunter, klebte im Gesicht,
-an den Händen und troff aus den dunklen Locken.</p>
-
-<p>»Himmel,« stammelte Heine, nun doch entsetzt von
-dem Anblick, »du siehst ja gräßlich aus!«&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_106">[106]</span></p>
-
-<p>»Fein is das!« rief hier Jackenknöpfle andächtig;
-ihm gefiel dies Moorbad ungemein.</p>
-
-<p>Die andern tuschelten: »Sei doch still, jetzt wollen
-sie doch rüberlaufen!«</p>
-
-<p>Frau Fries hielt einen Augenblick an, und dann
-fuhr sie fort, während ihr Blick gut und froh über die
-Kinder ging: »Babinchen schluckte und pustete, weil ihr
-der Schlamm in den Mund gekommen war; als sie
-endlich Luft bekam, sagte sie tapfer: »Ach, was schadet
-das, komm nur schnell, schnell heim!« &ndash; »Wirst du
-laufen können?« fragte der Bube besorgt. Die Kleine
-aber nickte nur, denn das Sprechen war beschwerlich:
-wenn sie den Mund auftat, lief ihr Schlamm hinein.
-Heine sah die Freundin stolz an, und er fand, weil diese
-so tapfer war, sein Plan sei doch ausnehmend gescheit
-gewesen. »Komm!« sagte er rasch, faßte Babinchens
-Hand, und beide eilten durch den Wald.</p>
-
-<p>Nach einem Weilchen gebot der Bube: »Leg’ dich
-einmal auf die Erde, ich klettere geschwind auf einen
-Baum und sehe, ob wir hier hinüberkommen.« Und
-wieder gehorchte Babinchen wortlos; in ihrer großen,
-heißen Angst hätte sie alles getan.</p>
-
-<p>Heine kletterte unbekümmert um Hose und Jacke
-eine hochgewachsene Tanne empor. Er riß sich die
-Hände blutig am rauhen Stamm, die schlanke Tanne<span class="pagenum" id="Seite_107">[107]</span>
-bog sich unter seiner Last, aber der Försterbube hatte
-noch jeden Baum bezwungen, auf den er klettern
-wollte, er kam auch hier hinauf. Nur einige Augenblicke
-spähten seine falkenscharfen Augen über die
-Wipfel der niedrigen Bäume hinweg, dann sah er,
-was da heranzog: eine ungeheure Staubwolke, in der
-blitzte und blinkte es, er sah Pferde und Menschen:
-es war kein Zweifel mehr, die Feinde kamen. Aber
-noch waren sie nicht ganz nahe, noch konnten es die
-Kinder wagen über die Straße zu laufen. Heine sauste
-so blitzschnell den Stamm hinunter, daß er unten das
-Gleichgewicht verlor, Babinchen mitriß und mit ihr
-etwas unsanft auf dem Waldboden ankam.</p>
-
-<p>Pah, ein paar Löcher, darum kümmerten sich
-Mädel und Bube in dieser Stunde der Angst nicht, sie
-schnellten beide wie Gummibälle empor, und fort ging
-es im Galopp. »Noch ein paar Schritte hinauf,« sagte
-Heine im Laufen, »dann kommen wir hinüber.« Er
-hatte Babinchens Hand erfaßt und zog die Freundin
-mit sich fort.</p>
-
-<p>Nun standen sie am Graben, und es galt, die
-breite, sonnenbeschienene Landstraße zu überschreiten.</p>
-
-<p>Einige Augenblicke zögerten die Kinder. Ihre
-Herzen schlugen laut, ihre Knie zitterten, und mit
-bangen Augen sahen sie auf den sonnigen Weg hinaus.<span class="pagenum" id="Seite_108">[108]</span>
-Sie hatten beide in ihrem jungen Leben schon zuviel
-von der Not und dem Jammer des Krieges gehört,
-um nicht zu wissen, wie groß die Gefahr war, in der
-sie sich befanden. Heine legte schützend seinen Arm
-um Babinchen, er fühlte sich verantwortlich für die
-Freundin. Aber die sonst so zaghafte Kleine war in
-dieser Stunde wirklich eine rechte Heldin. Sie dachte
-nur immer an die Lieben daheim, und sie meinte
-wieder durch das Guckerchen zu sehen, wie der Bruder
-zu des kranken Großvaters Füßen saß. Ach, sie wußte,
-wie viele, viele Tränen die Mutter um den fernen
-Bruder geweint hatte! Sie erinnerte sich noch, wie
-einst die Mutter sie in die Arme genommen und mit
-tränenerstickter Stimme gesagt hatte: »Laß uns beten,
-mein Mariellchen, und dem lieben Gott danken, dein
-Bruder ist gerettet!«</p>
-
-<p>Babinchen umfaßte fest des Freundes Hand, und
-aus ihrem braunen Schlammgesicht schauten ihn die
-Augen zuversichtlich an. Heine nickte: »Komm, wir
-müssen hinüber. Bücke dich etwas und renne, so schnell
-du kannst, ich will zuerst hinaus!«</p>
-
-<p>Nun waren sie in dem Graben, den sie kaum eine
-Stunde vorher lachend übersprungen hatten. Diesmal
-sprangen sie nicht, sie kletterten hindurch, holten noch
-einmal tief Atem, und los ging es.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_109">[109]</span></p>
-
-<p>War die Straße hell, war die Straße breit!</p>
-
-<p>Die Kinder rasten mit vorgebeugtem Oberkörper
-hinüber, ihre Füße flogen, aber wie weit schien doch
-der jenseitige Wald entfernt zu sein!</p>
-
-<p>Heine wagte einen einzigen scheuen Blick zur
-Seite. Dort in der Ferne blitzte es, dort kam etwas
-schnell heran. Wie ein Ruf klang es, nun fiel ein
-Schuß.</p>
-
-<p>Aber da war schon der Graben. Heine sprang
-hinüber, Babinchen kollerte und fiel, der Bube riß sie
-empor. Nur hinein in den Wald, hinein in das
-schützende Dunkel!</p>
-
-<p>Keuchend rasten sie vorwärts, sprangen über
-Baumwurzeln, zwängten sich durch dichtes Gebüsch,
-unbekümmert darum, daß Dornen ihre Kleider zerrissen.
-Feucht und schwer schlug Babinchen das Kleid
-um den Körper, aber die Kleine hielt doch neben dem
-Freunde aus.</p>
-
-<p>Klangen dort nicht Stimmen? Hörte man nicht
-Pferdegetrappel? Kam nicht der Lärm näher und
-näher?</p>
-
-<p>»Sie haben uns gesehen,« dachte Heine Strohmann
-angstvoll und griff nach Babinchens Hand.
-»Komm, komm, hier müssen wir durch!« Sie krochen
-durch dichtes Buschwerk, dahinter war ein kleiner<span class="pagenum" id="Seite_110">[110]</span>
-Kiefernwald, in dem sie leichter vorwärtskamen, und
-endlich erreichten sie einen schmalen Fußweg. Hier
-blieben sie aufatmend stehen und lauschten in den Wald
-hinein. Ferner klang schon das Rollen und Stampfen,
-es wurde mehr und mehr übertönt von dem Jubilieren
-und Zwitschern der Vögel.</p>
-
-<p>Aber die Kinder hörten weder auf den Gesang
-der Vögel, noch achteten sie auf die Blumen, die dort,
-wo die Sonne in den Wald hineinscheinen konnte, ihre
-zarten, bunten Kelche geöffnet hatten.</p>
-
-<p>»Wir müssen weiter,« sagte Heine rasch, er hatte
-nur Angst um seine Freundin.</p>
-
-<p>Babinchen nickte stumm. Sie fühlte jetzt auf einmal,
-wie schwer ihr moorgetränktes Kleid war, und
-der angetrocknete Schlamm brannte auf ihrem Gesicht.
-Dennoch folgte sie mutig dem Freund und rannte hinter
-ihm drein mit flinken Füßen auf dem schmalen Weg.
-Sie sprachen beide nicht viel zusammen, nur einmal
-sagte Heine: »Jetzt links!« dann nach einer Weile:
-»Wir kommen noch zur rechten Zeit!«</p>
-
-<p>Es war still geworden, nur ein ganz fernes, leises
-Grollen hörte man noch. Aber die Kinder rannten in
-gleicher Hast weiter, bis auf einmal die Stille wieder
-gestört wurde und Laute ertönten. Wie aus einem
-Munde jauchzten sie beide: »Wir sind da!«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_111">[111]</span></p>
-
-<p>Wirklich, nach wenigen Minuten standen sie vor
-dem Schloß Moorheide, in das Babinchen wie ein richtiges
-Moorfräulein zurückkehrte. Die alte Marinka sah
-die Kinder zuerst, sie schlug die Hände über dem Kopf
-zusammen und wollte eine lange Strafrede beginnen,
-aber zu ihrer grenzenlosen Verwunderung rasten
-die Kinder einfach in das Haus hinein. Sie liefen
-die Treppe hinauf, über die Gänge, den gleichen Weg,
-den sie vor wenigen Stunden heimlich und leise geschlichen
-waren. In das Zimmer des Großvaters rannten
-sie, und dort rief Heine Strohmann mit seiner
-klingenden, hellen Knabenstimme: »Die Franzosen
-kommen!«</p>
-
-<p>Der alte Herr von Hartenstein richtete sich jäh in
-seinem Stuhl auf und sah die Kinder an, sein Enkeltöchterchen
-und den Buben, der vor Aufregung bebte.
-»Erzähl’! Wo?« fragte er kurz.</p>
-
-<p>Und Heine Strohmann erzählte alles ganz kurz
-und eilig, Babinchen gab atemlos ein paar Wörtlein
-dazu, und nach wenigen Augenblicken wußten die Erwachsenen
-alles.</p>
-
-<p>»Ferdinand,« stammelte Frau von Hartenstein
-totenbleich, und der, denn er war wirklich der flüchtige
-Sohn des Hauses, nahm sein kleines, schmutziges
-Schwesterlein in den Arm und sagte bewegt: »O ihr<span class="pagenum" id="Seite_112">[112]</span>
-Kinder, ihr tapfern Kinder, du liebes, braves Schwesterherz
-du!«</p>
-
-<p>Die Mutter schlang die Hände fest ineinander,
-bezwang die Tränen und fragte zitternd: »Was tun
-wir?«</p>
-
-<p>»Förster Strohmann muß kommen,« gebot der
-Großvater. »Geh, Heine, wenn du noch laufen kannst,
-und hol’ deinen Vater her, und deine Mutter soll sich
-geschwind rüsten und mit den andern Kindern zu uns
-kommen.«</p>
-
-<p>Heine lief schon, da hörte er noch nachklingend das
-Wort: »Ein Prachtbengel!« Hei, das fuhr ihm ordentlich
-in die Beine, er merkte nichts mehr von Müdigkeit,
-sondern raste den kurzen Weg bis zum Forsthaus
-hin wie ein Windhund.</p>
-
-<p>Der alte Gutsherr gab inzwischen kurz und bündig
-seine Befehle, kein Wort zuviel, keins zuwenig. Es
-war, als sei auf einmal alle Schwäche und Krankheit
-von ihm gewichen, und seine Gelassenheit beruhigte
-alle Hausgenossen.</p>
-
-<p>Dann kam Förster Strohmann und sprach mit
-seinem Herrn, und wenige Minuten später zog er mit
-den beiden Gästen davon. Vorher aber umarmte der
-Bruder seine tapfere kleine Schwester noch einmal.
-»Auf Wiedersehen!«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_113">[113]</span></p>
-
-<p>»Auf Wiedersehen!« wiederholte Babinchen, die
-alle Scheu vor dem großen, ihr eigentlich so fremden
-Bruder verloren hatte. »Verstecke dich, verstecke dich!«
-bat sie flehend.</p>
-
-<p>Ferdinand von Hartenstein nickte schwermütig.
-Wirklich, er mußte sich in seiner eigenen Heimat wie
-ein Verbrecher verbergen, nur weil er sein Vaterland
-so heiß und treu liebte.</p>
-
-<p>Als er ging, sahen Heine und Babinchen ihm nach.
-Mit Förster Strohmann schritt er in den Wald hinein,
-und Heines Augen blitzten. »In Vaters Schutz sind
-sie sicher,« sagte er, und gar zu gern wäre er mitgelaufen.
-Aber da kam seine Mutter mit den drei
-kleinen Geschwistern, die alle drei geradeso flachsblond
-und stupsnasig waren wie er selbst. Nun fühlte er sich
-wieder als Beschützer, und auch Babinchen, die sich
-gewaschen hatte und wieder fein und sauber aussah,
-kam sich den heulenden Försterkindern gegenüber sehr
-verständig vor. Sie nahm sie mit in die Wohnstube,
-dort sollten die Kinder bleiben, und dort beschrieben
-sie und Heine ihren Gang zu den Füchslein so
-spannend, daß die Kleinen das heulen darüber vergaßen.</p>
-
-<p>»Ich denk’ immer, die Franzosen kommen gar
-nicht,« prophezeite Lisabetha, »hierher finden die nicht!«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_114">[114]</span></p>
-
-<p>Aber sie fanden doch den Weg in diese friedliche
-Waldeinsamkeit. Etwa dreißig Mann, geführt von
-zwei Offizieren, rückten gegen Abend im Schlosse ein.
-Sie verlangten in ziemlich barschem Ton den Hausherrn
-zu sprechen, verlangten von diesem Pferde,
-Schlachtvieh und Lebensmittel aller Art. Herr von
-Hartenstein erfüllte schweigend die Wünsche, er wußte,
-ein Widerstand würde doch nichts nützen. Wohl betonten
-die Offiziere, daß sie Freunde wären, aber dabei
-sahen sie so drohend aus, daß die alte Marinka sagte:
-»Der liebe Gott schütze uns vor so ’ner Freundschaft,
-davon halte ich nichts, rein gar nichts!«</p>
-
-<p>Drei Wagen waren beladen, Pferde und Rinder
-standen zum Fortzug bereit, denn die ungebetenen
-Gäste wollten noch am Abend weiterziehen, als plötzlich
-ein neuer Trupp Soldaten ankam. Der Offizier,
-der sie führte, war ein hochgewachsener, stattlicher
-Mann, der den alten Gutsherrn deutsch anredete. Es
-war einer der vielen Deutschen, die unter des französischen
-Kaisers Fahnen fechten mußten. Höflich, aber
-streng erklärte er, er hätte Befehl, das Haus zu durchsuchen.</p>
-
-<p>»Nach was?« fragte der Gutsherr gelassen.</p>
-
-<p>»Nach Ihrem Enkelsohn,« erklärte der Offizier,
-»man hat Verdacht, daß er sich hier aufhält.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_115">[115]</span></p>
-
-<p>»Bitte, suchen Sie,« sagte Herr von Hartenstein
-ruhig.</p>
-
-<p>Diese Ruhe verwirrte den Offizier. Forschend sah
-er die Hausfrau an, aber auch sie, obgleich ihr Herz
-in heißer Angst um den Sohn schlug, sagte gelassen:
-»Bitte, suchen Sie!«</p>
-
-<p>»Er ist nicht hier,« dachte der Offizier und frohlockte
-innerlich, denn die Erfüllung dieses Auftrages
-war ihm schwer genug geworden. Einen Mann suchen
-und verhaften müssen, der sein Vaterland so treu liebte,
-wie dieser Ferdinand von Hartenstein es tat, das schien
-ihm eine harte Aufgabe zu sein. Er mußte aber seine
-Pflicht erfüllen, und so ließ er denn auch das Haus
-von oben bis unten durchsuchen. Kein Winkel blieb
-unbeachtet, kein Kleiderschrank, keine Truhe, kein Bett
-undurchwühlt, sogar in die Mehlkiste schauten ein paar
-Soldaten zu Lisabethas Empörung hinein. Aus der
-Räucherkammer nahmen sie dabei gleich noch die letzten
-Würste und Speckseiten mit. Gut war es nur, daß sie
-der Wohnstube bloß einen kurzen Besuch abstatteten;
-darin gab es keine großen Kisten und Wandschränke,
-in die hineinzusehen sich lohnte. In die blitzenden,
-triumphierenden Augen Heines und Babinchens schauten
-sie glücklicherweise nicht.</p>
-
-<p>Im Haus fand sich keine Spur des Gesuchten, und<span class="pagenum" id="Seite_116">[116]</span>
-von den Dienstboten verriet niemand ein Wort von
-den geheimnisvollen Gästen, die so plötzlich verschwunden
-waren. Auch das Forsthaus wurde durchsucht, der
-Wald durchstreift, nirgends wurde eine Spur gefunden.
-Babinchen zitterte und zagte, denn sie sah auch
-in der Mutter Augen Angst und Sorge stehen. Doch
-Heine Strohmann tröstete: »Die werden nicht gefunden,
-mein Vater hat sie geführt, da sind sie sicher!«</p>
-
-<p>Des Buben felsenfestes Vertrauen auf seines
-Vaters Klugheit und Treue gab Babinchen den Mut
-zurück. Als einer der französischen Offiziere sie ansprach,
-da flüchtete sie nicht schreiend wie die kleinen
-Förstermädel, sondern schaute zu dem Fremden so
-furchtlos auf und antwortete so ruhig, daß Heine mal
-wieder sehr stolz auf seine kleine Freundin war.</p>
-
-<p>Am nächsten Morgen kam Förster Strohmann
-wieder. Er hatte allerlei Raubtiere geschossen, einen
-Marder, ein paar Habichte und sogar einen Fuchs.
-Den französischen Offizieren war das Verschwinden des
-Försters aufgefallen. Wo war er? Warum weilte
-seine Familie im Herrenhaus? Als nun aber der
-Mann so schwerbeladen und jagdmüde heimkam und
-die unwillkommenen Gäste recht erstaunt und unwillig
-zu betrachten schien, schwand ihr Mißtrauen, und sie
-gaben das Suchen nach dem Flüchtling auf.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_117">[117]</span></p>
-
-<p>Am Nachmittag zogen die Soldaten ab. In den
-Ställen fehlten Pferde und Rinder, die Vorratskammern
-waren leer geworden, und mancher Bauer im
-Dorf dachte sorgenvoll an kommende Zeiten. Hunger
-und Not würden nun wieder ihren Einzug halten. Mit
-derlei Sorgen plagten sich Babinchen und Heine nicht,
-sie dachten nur an Ferdinand und seinen Freund.
-Waren sie noch in der Nähe, im Wald verborgen, wie
-Heine meinte, oder waren sie schon wieder in ein fremdes
-Land geflüchtet?</p>
-
-<p>Einmal fragte Babinchen die Mutter; da strich ihr
-diese lind über die Locken und sagte seufzend: »Wir
-wollen hoffen, mein Kind, daß alles gut wird. Noch
-ist dein Bruder nicht in Sicherheit.«</p>
-
-<p>Es vergingen einige Tage. In der Umgegend war
-es wieder ruhig geworden. An einem schönen Sommermorgen
-weckte Frau von Hartenstein Babinchen mit
-der Frage: »Wollen wir heute zusammen eine weite,
-weite Waldwanderung unternehmen?«</p>
-
-<p>Das Mädchen sprang geschwind mit beiden Beinen
-zum Bett heraus. »Zu Ferdinand?« fragte es ahnungsvoll,
-hoffnungsfroh.</p>
-
-<p>Die Mutter nickte, sie gebot aber Stillesein, denn
-nur der Großvater und Marinka wußten etwas, und
-ermahnte ihr Mädel zur Eile. Eine Weile später stand<span class="pagenum" id="Seite_118">[118]</span>
-dann Babinchen heiß und aufgeregt vor dem Großvater,
-der sagte herzlich: »Grüße deinen Bruder, Kind,
-bringe ihm meinen Segen.« Und leiser, halb zu sich
-selbst sprechend, fügte der alte Mann hinzu: »Ich
-wollte, es dächten viele so und liebten ihr Vaterland
-so wie er, wären so treu in den Tagen der Not!« Dem
-Babinchen fiel das Wort des Großvaters in ihr Herzlein
-wie ein köstlicher Edelstein.</p>
-
-<p>Frau von Hartenstein trug einen Korb mit Eßwaren
-gefüllt, auch Babinchen hatte einen zu tragen
-bekommen. Still bogen Mutter und Tochter gleich
-dicht am Haus in einen schmalen Waldweg ein, nicht
-jenen, den die Kinder vor wenigen Tagen gelaufen
-waren. Kaum waren die beiden ein Stück Wegs gegangen,
-als ein lautes Hallo sie grüßte. Da stand
-Förster Strohmann mit Heine, und der Bube schrie
-seiner kleinen Freundin entgegen: »Wir gehen mit!«</p>
-
-<p>Babinchen hätte sich nicht gefürchtet, mit der
-Mutter allein zu gehen, sie fand es aber doch behaglicher,
-unter Förster Strohmanns Schutz zu sein. Bald
-bogen die vier Wanderer von dem breiten Wege ab,
-und es ging pfadlos quer durch den Wald, und nur
-jemand, der so gut im Wald Bescheid wußte, konnte
-so unverzagt, ohne einmal zu irren, mitten hindurchgehen.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_119">[119]</span></p>
-
-<p>Die vier Wanderer schritten kräftig aus. Nach
-zwei Stunden etwa hörte der Hochwald auf, nur niedriges
-Gebüsch und Gestrüpp kam, der Bruch, das
-Sumpfland; über dem stand hell und golden die
-Sonne. Hier hieß es vorsichtig gehen, denn es gab
-tiefe Moorlöcher, in die ein Unkundiger leicht versinken
-konnte, da man sie unter der schimmernden
-grünen Pflanzendecke nicht bemerkte. Förster Strohmann
-führte die kleine Gesellschaft am Rande entlang,
-und als Heine, seiner Ortskenntnis froh, sagte: »Hier
-geht es nach dem Torfstich,« nickte der Vater und wies
-nach einer Stelle. Dort arbeiteten zwei Männer. Sie
-stachen aus dem schwarzen Boden etwa ziegelsteingroße
-Stücke aus und schichteten sie zum Trocknen übereinander.
-Mit diesem trockenen Torf wurden nachher
-im Winter die Öfen geheizt. An der Arbeitsstelle war
-eine kleine Holzhütte, und daneben schwelte ein Feuerchen.
-Babinchen wunderte sich, daß die Mutter auf
-einmal so eilig lief, und plötzlich begann sie gar zu
-winken; der eine der Männer ließ seine Schaufel sinken
-und kam in schnellen Schritten dahergesprungen &ndash; es
-war Ferdinand.</p>
-
-<p>Heine und Babinchen hatten gemeint, sie würden
-die Flüchtlinge tief im Wald geheimnisvoll verborgen
-finden, nun standen beide da im hellen Sonnenlicht;<span class="pagenum" id="Seite_120">[120]</span>
-ach &ndash; und wie sahen sie aus! Mit Moor beschmiert
-von oben bis unten. Selbst die Mutter schaute den
-Sohn erstaunt an. Der war wirklich von einem echten
-Torfstecher nicht zu unterscheiden, auch der Freund
-nicht, der nun gleichfalls herankam. Die beiden Männer
-lachten fröhlich, und Ferdinand nahm Babinchens beide
-Hände und sagte schelmisch: »Weißt du auch, kleine
-Schwester, daß dein Moorkleid neulich unsern guten
-Strohmann auf den Gedanken gebracht hat, uns hier
-einfach als Torfarbeiter herzustellen, weil wir da am
-sichersten wären? Unter dieser Verkleidung sucht uns
-niemand.«</p>
-
-<p>»Und geschafft haben die Herren, alle Achtung!«
-rief Förster Strohmann und schaute behaglich auf die
-großen Haufen aufgeschichteter Torfstücke. »Das nenne
-ich arbeiten!«</p>
-
-<p>»Will’s meinen,« sagte Ferdinands Freund stolz.
-Er erzählte noch, daß ein paar französische Soldaten
-auch am Torfstich vorbeigekommen wären und nach
-dem nächsten Weg zur Landstraße gefragt hätten, sie
-hätten aber weder ihn noch den Freund recht genau
-oder forschend angeschaut.</p>
-
-<p>Ein paar Stunden blieb Frau von Hartenstein
-mit den Kindern, dann mußten sie Abschied nehmen.</p>
-
-<p>»Und du?« fragte sie den Sohn traurig.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_121">[121]</span></p>
-
-<p>»Wir bleiben hier.« Der nickte seinem Freunde
-zu. »Ein paar Wochen wollen wir noch Torfarbeiter
-sein, nachher finden wir wohl einen Weg zur Flucht.«</p>
-
-<p>»Komm doch mit,« flehte Babinchen, »es sind doch
-keine Feinde mehr da!«</p>
-
-<p>Aber der Bruder schüttelte den Kopf. »Sie haben
-Späher ringsum, noch kann ich’s nicht wagen.«</p>
-
-<p>Der Abschied wurde allen schwer; die Kinder versprachen
-eifrig, sie würden bald wiederkommen, und
-nahmen sich dies auch fest vor. Doch Tag um Tag
-verging, die Tage wandelten sich zu Wochen, Förster
-Strohmann führte die Kinder nicht mehr ins Moor
-hinaus. Aber manchmal in der Nacht hörte Babinchen
-sprechen in des Großvaters Zimmer. Einmal kam auch
-Ferdinand an ihr Bett und küßte die kleine Schwester;
-da wußte sie, er kam zu nächtlichen Besuchen. Am
-Tag konnte er nicht kommen, denn immerfort zogen
-Truppen die Landstraße daher, immer wieder suchten
-Franzosen das einsame Schloß heim.</p>
-
-<p>Der Sommer verging, der Herbst kam an. Der
-brachte klare, helle Tage, aber auch frühe Kälte. Die
-Wetterkundigen sagten einen harten Winter voraus,
-und oft sah Babinchen in diesen ersten kalten Tagen
-die Mutter traurig hinausschauen. Weilt der Bruder
-noch in der kleinen Hütte im Moor? Sie wagte es<span class="pagenum" id="Seite_122">[122]</span>
-endlich, die Mutter zu fragen. Die sah sie tieftraurig
-an. »Der Großvater ist sehr krank, darum will dein
-Bruder nicht das Land verlassen. Er ist noch im Moor,
-und sein Freund hält bei ihm aus.«</p>
-
-<p>Babinchen und Heine redeten oft von den beiden
-Freunden im Moor. Sie konnten es gar nicht begreifen,
-warum die nicht doch irgendwo versteckt im
-Hause wohnten. Aber da kamen wieder unerwartet
-von der nahen Festung ein paar Offiziere, und die
-Kinder merkten nun doch, der Bruder tat wohl gut,
-sich verborgen zu halten.</p>
-
-<p>Weihnachten rückte näher, aber Weihnachtsjubel,
-Weihnachtsfreude gab es nicht. Es gab viel Armut
-und Not im Land, und immer heißer brannte die Sehnsucht,
-das Joch der Fremdherrschaft abzuschütteln, in
-den deutschen Herzen. Zur Sorge der Zeit kam für
-Frau von Hartenstein noch die Sorge um den Vater.
-Seine Krankheit hatte sich verschlimmert, und wer das
-bleiche, abgezehrte Gesicht sah, ahnte wohl, der Tod
-würde bald im Schloß Moorheide einziehen.</p>
-
-<p>Es war am letzten Adventssonntag. Nicht wie
-sonst brannten vier Adventslichter, und nicht wie sonst
-erzählte die Mutter Babinchen freundliche, liebe Weihnachtsgeschichten.
-Sie saßen alle beieinander im Krankenzimmer,
-lauschten auf des Großvaters matte Atemzüge,<span class="pagenum" id="Seite_123">[123]</span>
-und Heine saß dabei, als müßte es so sein. Und
-eigentlich hätte er zu Hause Mutter und Geschwister
-beschützen sollen, denn seit mehreren Tagen war sein
-Vater fort. Niemand ahnte, wohin, selbst Frau von
-Hartenstein schien es diesmal nicht zu wissen, sie hatte
-schon etliche Male gefragt: »Wo mag nur der Förster
-sein?«</p>
-
-<p>Die alte Kastenuhr an der Wand tickte laut und
-schwer, kein Laut unterbrach sonst die Stille.</p>
-
-<p>Doch plötzlich schlugen auf dem Hofe die Hunde
-an, kurz und scharf; sie schwiegen gleich wieder, sie
-mußten den kennen, der kam. »Ferdinand!« Der
-Kranke richtete sich plötzlich im Bett auf, laut und froh
-klang seine Stimme.</p>
-
-<p>»Ferdinand ist nicht hier,« sagte Frau von Hartenstein.
-Doch noch hatte sie nicht recht ausgesprochen, da
-erklangen draußen Schritte, und über die Schwelle
-traten wirklich die beiden Freunde und Förster Strohmann.</p>
-
-<p>»Ferdinand, was bringst du?« Der Großvater sah
-dem Enkel entgegen, und der sank mit einem Jubelruf
-an dem Bett nieder. »Großvater,« stammelte er, »das
-französische Heer ist in Rußland vernichtet, der Kaiser
-nach Frankreich entflohen.«</p>
-
-<p>»Das ist Freiheit für uns!« Der alte Mann sagte<span class="pagenum" id="Seite_124">[124]</span>
-es laut und feierlich. Er legte die Hand auf des Enkels
-Scheitel. »Gott segne dich für diese Botschaft! &ndash; Nun
-erzähle!«</p>
-
-<p>Und Ferdinand berichtete. Mit seinem Freund
-und dem Förster waren sie in Rußland gewesen, dort
-hatten sie Kunde erhalten von dem Untergang des
-Heeres an der Beresina. Mit ihren eigenen Augen
-hatten sie schon die Jammergestalten der Heimkehrenden
-gesehen. Napoleons Heer vernichtet! Vielleicht
-schlug nun für Preußen die Stunde der Befreiung!</p>
-
-<p>Der Großvater lag still mit gefalteten Händen da,
-und die Mutter flüsterte: »Er stirbt!« Aber wunderbar,
-von jener Stunde an wurde es besser mit ihm.
-»Mein Gott läßt mich noch leben, bis das Vaterland
-frei ist,« sagte er freudig.</p>
-
-<p>So wurde es auch. Das neue Jahr brachte die
-Freiheit. Bei Leipzig kämpfte Ferdinand von Hartenstein
-als ein Held wie Tausende und Tausende mit ihm.</p>
-
-<p>Er wurde verwundet und lag lange schwer darnieder;
-aber als wieder die Adventsglocken tönten und
-zum vierten Mal mahnten, an das hohe Fest der Liebe
-zu denken, kehrte Ferdinand heim. Der Großvater
-lebte nur noch wenige Tage. Er schlief friedlich ein
-mit dem Bewußtsein, daß sein geliebtes Vaterland frei
-wurde von fremder Herrschaft.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_125">[125]</span></p>
-
-<p>Frau Fries schwieg, und ein Weilchen war alles
-ganz still im Zimmer. Endlich tat Frau Besenmüller
-einen tiefen Atemzug und sagte feierlich: »Gott behüte
-uns vor solchen Zeiten!«</p>
-
-<p>»Sie sind uns vielleicht näher, als wir ahnen,«
-sagte der junge Lehrer schwer. Aber das hörte nur
-seine Mutter und Besenmüller. Fräulein Regine hatte
-einen kleinen Stab geschwungen, und jauchzend tönte
-es durch das Schulzimmer:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">»Es gibt nichts Schönres auf der Welt,</div>
- <div class="verse indent0">Als wenn das Christkind Einzug hält</div>
- <div class="verse indent0">Ins Haus, ins liebe Vaterhaus,</div>
- <div class="verse indent0">Trotz Sturmgetön und Wetterbraus.</div>
- <div class="verse indent0">Es kommt so still in heil’ger Nacht</div>
- <div class="verse indent0">Durch Schneegeflock und Eises Pracht.</div>
- <div class="verse indent0">Begleiter ist der Weihnachtsmann,</div>
- <div class="verse indent0">Der trägt, was er nur tragen kann.</div>
- <div class="verse indent0">Wenn’s Kindlein noch so arm und klein,</div>
- <div class="verse indent0">Das Christkindlein gedenket sein:</div>
- <div class="verse indent0">Im Hüttlein schlecht, im reichen Haus</div>
- <div class="verse indent0">Teilt es die Liebesgaben aus.</div>
- <div class="verse indent0">Drum gibt’s nichts Schönres auf der Welt,</div>
- <div class="verse indent0">Als wenn das Christkind Einzug hält.«</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>»Und nun geht’s heim!« Frau Fries sagte es,
-als das Lied verklungen war. Ein paar Minuten später
-liefen die Kinder jauchzend die Dorfstraße entlang, und
-Frau Besenmüller räumte auf. Sie brummte dabei
-nicht wie sonst, sondern sagte vergnügt: »Scheene war’s,
-sehr scheene!«</p>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_126">[126]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Achtes_Kapitel"><img src="images/illu-131.jpg" alt="" /><br />
-<span class="s80">Achtes Kapitel</span><br />
-Geburtstagsveilchen</h2>
-
-<div class="h2cnt">
-
-<p>Warum die Schulglocke einer entthronten Königin gleicht und
-Frau Besenmüller nicht mehr Reisig zu holen braucht &ndash; Die
-Zeit läuft, auf dem Schafskopf blühen die Veilchen, und Besenmüller,
-der kein Gespenst ist, erzählt eine Geschichte, die erst
-im nächsten Kapitel steht</p>
-</div>
-</div>
-
-<p class="drop">Über der Adventsfeier hatten die Kinder alle miteinander
-die Schulklingel im Holzstall vergessen.
-Nur Schwetzers Fritze dachte daran. Wenn nun
-Frau Besenmüller die Klingel nicht fand! Dann
-würde sie schelten und schreien, und der Herr Lehrer
-würde es hören und die alte Frau Lehrerin, und
-sie würden böse werden. Nein, das durfte nicht
-sein. Zwischen Abendessen und Zubettgehen schlich
-sich Fritze noch einmal zum Schulhaus hin. Vielleicht
-fand er einen Kameraden, der ihm half. Aber
-es war kein Bube weit und breit zu sehen, dafür kam
-jemand anders, als Fritze gerade am Holzstall anlangte:
-der Herr Lehrer selbst. Fritze erschrak heftig
-und blieb wie erstarrt stehen.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_127">[127]</span></p>
-
-<p>»Na du, was tust du denn hier?« Heinrich Fries
-sah erstaunt drein. »Warum bist du denn noch nicht
-daheim?«</p>
-
-<p>Fritze hätte nun gern die Wahrheit gesagt, aber
-vor Schreck war ihm der Mund noch fester verklebt
-als sonst, und in seiner Verlegenheit drehte er sich um
-und rannte, ohne Antwort zu geben, davon. Der junge
-Lehrer sah ihm ärgerlich nach. »Der ist verstockt!«
-dachte er, und oben erzählte er dann seiner Mutter,
-Schwetzers Fritze sei ein Heimlicher, von ihm wüßte
-er nie recht, was er im Sinne habe. Fritze lief heimwärts,
-sehr bedrückt, aber dicht am Haus traf er Arne.
-Sie waren Nachbarn und hielten auch gute Nachbarschaft.
-Dem Freund gegenüber tat sich sein Mund auf,
-und er sprach von seiner Sorge.</p>
-
-<p>Arne lachte ihn aus. »Besenmüllern muß doch
-früh Holz holen, da sieht sie ja die Bimmel!«</p>
-
-<p>Freilich, das stimmte. Fritze atmete auf und vergaß
-nun ebenfalls die Klingel. Er träumte auch in dieser
-Nacht nicht von der großen, strengen Ruferin zur
-Schule, von dem Kaiser Napoleon selbst träumte er.
-Der verlangte von ihm, er solle geschwind nach Rußland
-laufen. Fritze ängstigte sich sehr und sträubte
-sich, da wurde Napoleon fuchsteufelswild, und wer
-weiß, was geschehen wäre, wenn nicht gerade die<span class="pagenum" id="Seite_128">[128]</span>
-Mutter gerufen hätte: »Aufstehen, ’s is balde Schulzeit!«</p>
-
-<p>Es gab an diesem Morgen noch viel zu reden von
-gestern. Mädel und Buben standen auf dem Dorfplatze
-zusammen und schwätzten und freuten sich, daß
-sie alle so früh gekommen waren. Frau Besenmüller
-klingelte immer dreimal, das erste Mal hieß: »Nun
-rüstet euch, es ist Zeit!« Das zweite Mal wollte
-sagen: »Geschwind, geschwind ins Haus hinein!« und
-das dritte Mal verkündigte: »Aufgepaßt, der Herr
-Lehrer kommt!«</p>
-
-<p>Noch hatte die Klingel nicht einmal getönt, und
-die Kinder schwätzten und vergaßen es, sich zu wundern,
-wie lange es heute währte, ehe es bimmelte.</p>
-
-<p>Frau Besenmüller aber rannte inzwischen im
-Haus aufgeregt treppauf, treppab, &ndash; wo war nur die
-Klingel? Gestern noch hatte sie unten im Türwinkel
-gestanden, nun fehlte sie. »Wie närrsch bin ich,« brummelte
-die Frau, »so ’ne Klingel is doch niche wie ’ne
-Stecknadel, die in ’ne Ritze fällt. Nä, so was!«</p>
-
-<p>Ihr Mann kam heim, der war schon beim Ortsvorsteher
-gewesen, er fragte verwundert: »Du klingelst
-ja niche!«</p>
-
-<p>»Die Bimmel fehlt.«</p>
-
-<p>»I nä!«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_129">[129]</span></p>
-
-<p>»Frau Besenmüller, warum klingeln Sie nicht?«
-ertönte da die Stimme des jungen Lehrers.</p>
-
-<p>»Die Bimmel fehlt,« jammerte Frau Besenmüller.
-Und klagend beschrieb sie, wo die Klingel gestanden
-habe, und auf einmal sei sie verschwunden.</p>
-
-<p>»Die haben se versteckt,« knurrte der Mann. »Ich
-hol’ se alle rein.«</p>
-
-<p>Heinrich Fries kam plötzlich die Begegnung mit
-Schwetzers Fritze gestern am Holzstall in Erinnerung,
-und er sagte rasch: »Sehen Sie mal im Holzstall nach.«</p>
-
-<p>Und richtig, da war sie. Wie eine entthronte
-Fürstin saß die dicke Klingel auf dem Holzstoß, und
-Frau Besenmüller nahm sie und schwang sie, da gellte
-ihre Stimme in die Weite.</p>
-
-<p>»Es bimmelt!« In all die Buben- und Mädelbeine
-auf der Dorfstraße fuhr der Ton. »Bimbimbimbim!«
-Das schrie und schalt, so laut, so böse hatte
-die Schulglocke noch nie getönt. »Bimbimbimbim!«
-Das hörte gar nicht auf, und die Kinder rannten alle
-in der größten Eile ins Schulhaus.</p>
-
-<p>Dort fanden sie zu ihrer Überraschung ihren
-Lehrer schon im Schulzimmer. Der hielt seine Uhr
-in der Hand, zeigte darauf und sagte streng: »Ihr
-kommt alle zu spät.«</p>
-
-<p>»Es hat doch erst gebimmelt!« verteidigten sich etliche.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_130">[130]</span></p>
-
-<p>»Ja freilich, die Klingel war versteckt. Fritz
-Schwetzer, hast du die Klingel versteckt?« Fritze sank
-fast zu Boden vor Schreck, als ihn der Herr Lehrer
-so drohend ansah. Er klappte den Mund auf und
-zu, aber er brachte kein Wort heraus.</p>
-
-<p>»Dir steht das schlechte Gewissen an der Stirn
-geschrieben, und da du mir keine Antwort gibst, bist
-du es jedenfalls gewesen. Du warst gestern noch spät
-an Besenmüllers Holzstall. Du wirst jeden Tag in
-dieser Woche eine halbe Stunde nachsitzen.«</p>
-
-<p>Wieder klappte Fritze den Mund auf und zu, und
-wieder brachte er kein Wort heraus. Dafür aber trat
-Arne vor, und Jackenknöpfle, Zimplichs Max und ein
-paar andere folgten. »Ich war’s, Herr Lehrer,« rief
-Arne mit heller Stimme.</p>
-
-<p>»Ich auch.« &ndash; »Ich auch.« &ndash; »Ich auch,« klang
-es nach, und nun endlich fand Fritze seine Sprache
-wieder, und im Baß brummte er nach: »Ich auch.«</p>
-
-<p>»Also ihr waret es alle!« Prüfend überschaute
-der Lehrer die Buben, er schaute schon viel milder
-drein. »Wie war denn das? Arnulf Weber, erzähle
-du einmal!«</p>
-
-<p>Und Arne erzählte frank und freimütig, auch von
-Fritzens abendlichem Gang nach dem Holzstall.</p>
-
-<p>»So äne ausgesuchte Bosheit!« schrie Frau Besenmüller.<span class="pagenum" id="Seite_131">[131]</span>
-Die hatte ganz leise die Türe ein Ritzchen
-aufgemacht und hatte draußen gehorcht. »Wartet ihr
-nur, ihr Rasselbande!« Sie streckte den Kopf zur Türe
-hinein, drohte mit der Hand und fuhr blitzschnell
-wieder zurück. Von der Treppe her sagte ihr Mann
-vorwurfsvoll: »Na, wenn nu das de Kinner täten,
-Lydia!«</p>
-
-<p>Tief beschämt zog Frau Besenmüller ab, und innen
-sagte der junge Lehrer: »Für diesmal sei euch die
-Strafe geschenkt, weil ihr es eingestanden habt. Aber
-wem es recht leid tut, der sammelt heute nachmittag
-für Frau Besenmüller ein Bund Reisig im Walde; ihr
-selbst wird das Bücken schwer.«</p>
-
-<p>Danach begann der Unterricht. Die Kinder waren
-alle mäuschenstill und sehr eifrig. In der letzten halben
-Stunde erzählte ihnen Heinrich Fries noch etwas von
-der Zeit vor hundert Jahren. Das tat er jetzt oft, und
-die Kinder meinten, zwischen 1913 und 1813 sei die
-Zeit gar nicht lang, sie lauschten, als wären es Taten
-von heute. Darüber verrann ihnen allen die Zeit gar
-geschwind. Auf einmal ertönte draußen die Klingel,
-als wäre sie noch immer böse, so laut gellte ihre
-Stimme, und Fritze Schwetzer dachte seufzend: »Wenn
-sie doch noch im Holzstall säße!«</p>
-
-<p>Sie hatten alle gedacht, Frau Besenmüller würde<span class="pagenum" id="Seite_132">[132]</span>
-noch schelten, aber die ließ sich gar nicht sehen, sie saß
-in ihrer Küche und schämte sich ihrer Horcherei. Der
-Nachmittag brachte ihr noch eine große Überraschung.
-Der kurze Wintertag verdämmerte just zum Abend,
-als in langem Zug Buben und Mädel daherkamen.
-Jedes trug ein Reisigbündel, und diese vielen Bündel
-schichteten sie alle vor Besenmüllers Holzstall auf.</p>
-
-<p>Die Frau lief hinaus, und ihr Mann vergaß für
-einige Minuten sogar Strickstrumpf und Pfeife, er
-rannte ihr nach. Draußen stand Heinrich Fries,
-der lachte über das ganze Gesicht und erklärte die
-Sache.</p>
-
-<p>»Nä, so was, so was!« Frau Besenmüller führte
-die Schürze an die Augen, sie war tief gerührt, ganz
-stumm blieb sie vor lauter Rührung. Erst oben bei
-sich fand sie die Worte wieder, und sie sagte zu ihrem
-Mann: »Paß auf, mit dem neuen Herrn Lehrer wird’s
-gut.«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Daß es schon gut geworden sei, meinten viele
-Leute im Dorf. Die Mädel und Buben sagten nichts
-dazu, wenn sie aber ihren Lehrer die Straße daherkommen
-sahen, dann rannten sie nicht mehr weg,
-sondern liefen ihm entgegen und grüßten ihn mit
-frohem Lachen. »So muß es sein,« dachte die alte
-Frau Fries, und sie seufzte doch leise dazu. Ihr<span class="pagenum" id="Seite_133">[133]</span>
-Sohn freute sich wohl über das wachsende Zutrauen
-der Steinacher, aber an ihm zehrte doch die Sehnsucht
-nach der großen Stadt. Er zeigte es nicht, aber die
-Mutter spürte es, und das Herz tat ihr darum weh.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Auch in der Stille von Steinach hatte jeder Tag
-nur vierundzwanzig Stunden, und Tag reihte sich an
-Tag. Eine Woche vorbei, Weihnachten da, Weihnachten
-vorüber. Das neue Jahr stand vor der Tür,
-das alte Jahr nickte noch einmal in alle Häuser hinein;
-es sah, wie in Steinach die Christbäume brannten, wie
-Blei gegossen wurde und die Kinder auf Waschschüsseln
-Lebensschifflein schwimmen ließen, &ndash; vorbei, vorbei!</p>
-
-<p>Das neue Jahr rief die Kinder wieder in die
-Schule, und Frau Besenmüller seufzte: »Nu geht das
-Geschrei wieder los.« Aber das neue Jahr, das sich
-stolz 1914 nannte, hatte ein strenges Gesicht aufgesetzt,
-es dachte »nicht verwöhnen«, und Meister Januar kam
-mit viel Schnee und Eis einher. Er blieb, solange er
-durfte, er zwackte seinem Bruder Februar noch einen
-Tag ab, dann erst ließ er ihn herein. Der nun liebäugelte
-schon ein wenig mit dem Frühling; warme,
-sonnige Tage kamen, ein milder Wind wehte, bis es
-dem Februar wieder einfiel, daß er eigentlich ein
-Wintermonat sei. Und schwuppdirwupp schüttelte er
-ein paar Schneesäcke aus, überzog die Wässer mit Eis<span class="pagenum" id="Seite_134">[134]</span>
-und schnob die Menschen an: »Geschwind hinter eure
-Kachelöfen, da gehört ihr hin!«</p>
-
-<p>Doch vorbei, vorbei! Der März löste den Februar
-ab, und je länger er auf der Erde war, desto milder
-wurde sein Lächeln. Und dies milde, sonnige Lächeln
-lernte der April von ihm, der sonst ein rechter Bube
-in der Zeit der Flegeljahre ist. Den Schnee trank die
-Sonne auf, das Eis zerfloß, und unversehens blühten
-in Steinach die Veilchen. Und nirgends blühten sie
-reicher als auf dem Schafskopf.</p>
-
-<p>Eines Tages wanderte Heinrich Fries mit seiner
-Mutter zur Schelmenburg empor, und dort sahen sie
-beide das holde Frühlingswunder: Heckenrosen im
-Sommer, Veilchen im Lenz, das waren die Blumen
-des Schafskopfes.</p>
-
-<p>Es war ein sonnenheller Frühlingstag, und der
-junge Lehrer sagte droben am Ziel laut das kleine
-Lied:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">»Saatengrün, Veilchenduft,</div>
- <div class="verse indent0">Lerchenwirbel, Amselschlag,</div>
- <div class="verse indent0">Sonnenregen, linde Luft!</div>
- <div class="verse indent0">Wenn ich solche Worte singe,</div>
- <div class="verse indent0">Braucht es dann noch großer Dinge,</div>
- <div class="verse indent0">Dich zu preisen, Frühlingstag?«</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Ganz still schauten Mutter und Sohn von der
-Höhe nieder in die liebliche Landschaft. Da wurde<span class="pagenum" id="Seite_135">[135]</span>
-plötzlich die Stille durch hellen Singsang unterbrochen,
-aber Lerchen und Amseln waren es nicht, und Heinrich
-Fries kannte seine Vöglein wohl, die da zwitscherten.
-Die Steinacher Kinder kamen den Berg herauf.
-Die Schelme wollten die Schelmenburg besuchen. Sie
-kamen aber nicht sacht und gemessen, wie man wohl
-zu vornehmen Leuten geht, ihre Stimmen klangen
-immer lauter, und es war eigentlich ein Wunder,
-daß der alte Turm nicht vor Schreck über den Lärm
-umpurzelte.</p>
-
-<p>»Holla, wo kommt ihr denn her?« Heinrich Fries
-stand vor Mädeln und Buben, und jäh verstummten
-alle. Doch nur für einen Augenblick, dann schnatterten
-sie los. »Wir wollen Veilchen suchen. Fräulein
-Regine hat Geburtstag morgen, und die kriegt immer
-Veilchen, allemal.«</p>
-
-<p>»Wenn se nämlich blühen,« fügte Jackenknöpfle
-vorsichtig hinzu.</p>
-
-<p>Nun, blühen taten sie in diesem Jahr in reicher
-Fülle. Da und dort schimmerte es ganz blau, und es
-war nicht schwer, die Körbchen zu füllen. Malchen
-trug eins, ebenso die Freundin Sylvie, Rosine und
-Trude Weber auch; da hinein kamen alle Blüten.
-Später sollten dann Sträuße und Kränze gewunden
-werden. »Faden haben wir mit, aber die Kränze<span class="pagenum" id="Seite_136">[136]</span>
-wollen immer nicht werden,« erzählte Hinzpeters
-Malchen.</p>
-
-<p>»Pflückt nur schnell, ich helfe euch dann,« versprach
-die alte Frau Lehrerin. Da gingen die Kinder eifrig
-ans Werk, während Heinrich Fries seine Mutter auf
-dem Berg herumführte. Sie war noch nicht oben gewesen,
-denn der Weg war im Winter schwer begehbar.
-Plaudernd schritten sie zwischen den Trümmern dahin,
-als ein lauter Schrei aufgellte; er kam aus einem
-Winkel, wo noch ein Mauerviereck stand. Von allen
-Seiten her eilten die Kinder dem Schrei nach. Der
-junge Lehrer machte lange Schritte, und seine Mutter
-folgte, so schnell sie nur konnte.</p>
-
-<p>Was war geschehen? War ein Kind gefallen, ein
-Stück Mauer herabgestürzt? Bleich und zitternd kam
-Zimplichs Lenchen aus dem Winkel heraus. »Da &ndash;
-da,« stammelte sie, »sitzt der Alte!«</p>
-
-<p>»Welcher Alte, Kind?« Der junge Lehrer nahm
-die Hand der Kleinen und fragte noch einmal freundlich:
-»Welcher Alte?«</p>
-
-<p>»Der alte Schelm, der immer spukt,« schluchzte
-Lenchen, die auch so ein Angsthäslein war, »und &ndash;
-und eine große Blume &ndash; oder so was &ndash; hat er.«</p>
-
-<p>»Komm mit, und ihr alle auch, wir wollen uns
-den alten Schelm mal ansehen.« Heinrich Fries lachte,<span class="pagenum" id="Seite_137">[137]</span>
-und sein heiteres Lachen gab den Kindern Mut. Sie
-folgten mehr neugierig als bänglich, nur Lenchen
-zitterte wie eine Feder im Wind.</p>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="illu-142">
- <img class="w100" src="images/illu-142.jpg" alt="" />
- <div class="caption"><span class="larger">Die Schelme von Steinach.</span> Seite 137.</div>
-</div>
-
-<p>Ein Stück Mauer lag völlig in der Sonne, und auf
-dieser Mauer saß &ndash; Besenmüller. Er strickte wieder
-an seinem rosenroten Strumpf und schmunzelte über
-das ganze Gesicht, als er alle daherkommen sah. »Oh,
-Besenmüller ist’s nur!« schrieen die Kinder enttäuscht.</p>
-
-<p>»Nu freilich, iche bin’s.« Der Alte zog seinen
-Mund in die Breite, als wäre der aus Gummi. »Ihr
-dachtet wohl, hier säße der Herr Arnulf und dächte
-an alle dummen Streiche, die er gemacht hat in seinem
-Leben? Nä, so etwas is niche.«</p>
-
-<p>»Besenmüller, ach, erzähl’ uns mal von dem!«
-bettelten die Kinder.</p>
-
-<p>»Heute niche,« brummelte der Alte, er warf dabei
-einen etwas scheuen Blick auf Frau Fries und ihren
-Sohn. Doch auch die baten: »Erzählen Sie, Besenmüller.«
-Heinrich Fries fügte hinzu: »Ich wollte schon
-lange darum bitten. Der Herr Pfarrer sagte, es wüßte
-niemand so viel Schelmengeschichten wie Sie.«</p>
-
-<p>»Na ja, Geschichten sin was Feines!« Besenmüller
-nickte. Er sah auf die Kinder und auf die noch halb
-leeren Körbchen. »Aber erst pflückt die Veilchen, denn
-sonst kriegt ’s Fräulein Regine nischt.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_138">[138]</span></p>
-
-<p>»Ja, erst pflücken. Wenn wir dann den Kranz
-und die Sträußchen winden, erzählt Besenmüller,«
-sagte auch Frau Fries. Zur Eile brauchte sie nicht erst
-zu mahnen. Die Kinder stoben davon und pflückten
-nun wirklich mit der allergrößten Emsigkeit. Die Körbchen
-füllten sich, und es dauerte nicht lange, da
-konnten sie die Blumen Frau Fries bringen, die sich
-auf das sonnenbeschienene Mäuerlein gesetzt hatte.
-Mit flinken Händen wand sie den Kranz. Die Mädel,
-denn dazu waren die Buben zu tolpatschig, reichten
-ihr die Veilchen in kleinen Büscheln zu. Besenmüller
-strickte emsig seinen rosenroten Strumpf, und dabei
-erzählte er, wie einst Herr Arnulf von Steinach an
-des Kaisers Hof gereist war. Die Kinder paßten alle
-sehr gut auf, am allerbesten aber paßte ihr Lehrer auf.
-Der schrieb nach, so wie Besenmüller erzählte, denn
-Besenmüller hatte seine eigene Weise, Geschichten zu
-erzählen. Wort um Wort kam die Geschichte in Herrn
-Heinrichs Taschenbüchlein zu stehen, und während er
-so zwischen den Trümmern der alten Schelmenburg
-saß, kam es ihm in den Sinn, er möchte ein Buch von
-den Schelmen schreiben.</p>
-
-<p>»Fertig die Geschichte.«</p>
-
-<p>»Fertig der Kranz,« sagten Besenmüller und Frau
-Fries fast zu gleicher Zeit. »Fein!« schrieen die Kinder<span class="pagenum" id="Seite_139">[139]</span>
-im Chor, und es war nicht recht zu unterscheiden, ob
-sie die Geschichte oder den Kranz meinten.</p>
-
-<p>Mutter und Sohn aber sagten, die Geschichte habe
-ihnen sehr gut gefallen. »Ja, und derweile is mein
-Strumpf fertig geworden. Das is nu en Jammer.«</p>
-
-<p>»Warum denn?« fragte Frau Fries erstaunt. »Ein
-fertiger Strumpf ist doch ein gutes Ding.« Doch da
-fiel ihr ein, Frau Besenmüller hatte schon manchmal
-über ihres Mannes flinkes Stricken geklagt, über die
-viele Wolle, die es kostete. Nur in Steinach gab
-es etliche Leute, die rosenrote und kornblumenblaue
-Strümpfe tragen mochten, in der Stadt wollte sie
-niemand kaufen. Besenmüllers hatten eine ganze
-Truhe voller Strümpfe liegen, und am liebsten hätte
-er jeden Tag einen Strumpf gestrickt.</p>
-
-<p>Frau Fries versprach neue Wolle, da hellte sich
-Besenmüllers Gesicht wieder auf, und vergnügt wandelten
-nun alle bergabwärts. Der Lehrer stimmte ein
-Lied an, die Kinder sangen, es wurde ein lustiger
-Heimweg. Dicht vor dem Dorfe erblickten sie alle auf
-einmal Fräulein Regine, die durfte sie nicht sehen.
-Eins, zwei, drei rannten die Kinder dahin und dorthin,
-nur die Erwachsenen blieben stehen. Erst schaute
-Fräulein Regine erstaunt den Kindern nach, die liefen
-doch sonst nicht vor ihr davon, aber plötzlich glänzte<span class="pagenum" id="Seite_140">[140]</span>
-ihr Gesicht in heller Freude, und sie sagte schelmisch:
-»Ach so, auf dem Schafskopf blühen die Veilchen.«</p>
-
-<p>»Jawohl, und morgen hat unsere Fräulein Regine
-Geburtstag,« brummelte Besenmüller schmunzelnd.</p>
-
-<div class="figcenter" id="illu-147">
- <img src="images/illu-147.jpg" alt="" />
-</div>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_141">[141]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Neuntes_Kapitel"><img src="images/illu-148.jpg" alt="" /><br />
-<span class="s80">Neuntes Kapitel</span><br />
-Besenmüllers Geschichte</h2>
-
-<div class="h2cnt">
-
-<p>Frau Mechthild findet, dreizehn Flicken auf dem Wams und
-neunzehn auf den Hosen wären zuviel, um damit an des
-Kaisers Hof zu reisen, aber Herr Arnulf weiß sich zu helfen,
-und der Graf von Gehlingsberg geht ihm fortan aus dem Wege</p>
-</div>
-</div>
-
-<p class="drop">»Als die Schelme von Steinach noch lebten, haben
-die Leute noch keine Strümpfe gestrickt. So
-dumm waren sie noch, aber ganz schön muß es gewesen
-sein, ja ja, ganz schön.</p>
-
-<p>Dem Herrn Arnulf von Steinach hat’s auch auf
-der Welt gefallen, das ist ein lustiger Herr gewesen.
-Er ist auch immer ’n bißchen gern im Lande rumkarriolt.
-Ja ja, das tat er gern. Auf seinem Schafskopf
-hielt er es nie lange aus. Einmal sagte er zu
-seiner Frau Mechthild: »Frau, ich will nach Wien an
-des Kaisers Hof reiten.«</p>
-
-<p>Sagt Frau Mechthild: »Das kostet Geld.«</p>
-
-<p>Sagt Herr Arnulf: »Ja, das weiß ich.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_142">[142]</span></p>
-
-<p>Sagt Frau Mechthild: »Aber du hast keins.«</p>
-
-<p>Sagt Herr Arnulf: »Ich werd’s schon kriegen.«</p>
-
-<p>Sagt Frau Mechthild: »Und dein Wams, dein
-allerbestes, hat dreizehn Flicke.«</p>
-
-<p>Sagt Herr Arnulf: »Schaff ich mir ein anderes.«</p>
-
-<p>Sagt Frau Mechthild: »Und deine Hosen haben
-neunzehn Flicke, und deine güldene Halskette hast du
-verkauft, und deine Rüstung ist verbeult, daß Gott erbarm,
-und dein Barett ist neulich in den Brunnen gefallen.«</p>
-
-<p>Schreit Herr Arnulf: »Hör’ auf, hör’ auf!«</p>
-
-<p>Klagt Frau Mechthild: »Also kannst du nicht
-reiten.«</p>
-
-<p>Brüllt Herr Arnulf: »Und ich muß doch reiten!«
-Ja ja, das sagte er. Herr Arnulf überlegte nun alle
-Tage: Wie komme ich in Glanz und Pracht an des
-Kaisers Hof? Denn mit dreizehn Flicken auf dem
-Wams und neunzehn auf den Hosen konnt’ er nicht
-reiten, das sah er ein.</p>
-
-<p>Er seufzte nun schrecklich jeden Tag, und seine
-liebe Frau seufzte auch schrecklich jeden Tag. Sie war
-ein gutes Weib, und ihr Mann tat ihr leid; sie hätte
-ihm schon gern geholfen und hätte gern ihr Staatskleid
-für ihn zu Wams und Hose zerschnitten. Es
-war nur &ndash; sie hatte kein Staatskleid.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_143">[143]</span></p>
-
-<p>Eines Tages reitet jemand den Schafskopf hinan:
-ein Bote war’s von dem reichen Grafen auf dem Gehlingsberg.
-Der Mann stellt sich steif vor den Herrn
-Arnulf, Schelm von Steinach, hin und sagt: »Mein
-Herr Graf will an des Kaisers Hof reiten, er läßt den
-Herrn von Steinach fragen, ob er mitreiten will.«</p>
-
-<p>Sagt Herr Arnulf: »Ja, das will ich tun. Muß
-nur eiligst meine Prunkgewänder richten.«</p>
-
-<p>Sagt der Bote: »Mein Herr Graf reitet schon
-morgen.«</p>
-
-<p>Sagt Herr Arnulf: »Ist mir auch recht.«</p>
-
-<p>Der Bote geht nun wieder. Frau Mechthild aber
-jammert: »Mann, liebster Mann, dich weisen sie ja
-mit Schimpf und Schande von des Kaisers Hofe. Mit
-dreizehn Flicken auf dem Wams und neunzehn auf
-den Hosen!«</p>
-
-<p>Doch Herr Arnulf lachte dazu. Er ließ die Pferde
-satteln und ließ ein paar Betten zu großen Ballen zusammenschnüren.
-Das sei sein Gepäck, erzählte er.
-Dann ging’s los. Hoppla hopp! Drei Knappen und
-der alte Burgwart Berthold, die ritten mit. Frau
-Mechthild hatte gesagt: »Gib fein acht, Berthold, daß
-sich mein Gemahl nicht noch ein Löchlein reißt. Geflickt
-ist schon schlimm, aber Löcher sind noch schlimmer.«
-Ja ja, das hat sie gesagt.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_144">[144]</span></p>
-
-<p>Hier hatte Besenmüller Zimplichs Max scharf angesehen,
-und der war feuerrot geworden. Er hatte
-geschwind die Hand auf sein Knie gelegt, das Dreieck
-da im Hosenbein hätte Besenmüller auch nicht zu sehen
-brauchen. Der erzählte weiter: »Hoppla hopp! Auf
-halbem Weg von Burg zu Burg trafen die Ritter zusammen.
-Der von Gehlingsberg war reich, geizig und
-faul, und neidisch war er auch, hochmütig und dumm
-dazu. Er hatte den Schelmen von Steinach nur zu
-dem Ritte fordern lassen, um den wegen seiner Armut
-zu verhöhnen.</p>
-
-<p>Aber wie Herr Arnulf ihn sah, schrie er gleich:
-»Ei, lieber Freund und Gevatter, so fein angetan?
-Zum Reisen trage ich immer nur alte Kleider. Seht
-da die Ballen, die allerschönsten Gewänder hat meine
-Frau Mechthild hineingetan.«</p>
-
-<p>Der Graf erschrak. Er wurde gleich grün, gelb,
-rot, blau und braun vor Neid. Weg war seine gute
-Laune, ganz weg.</p>
-
-<p>Na, und nun ritten sie.</p>
-
-<p>»Heiliger Severinus,« seufzte Berthold, »mein Herr
-hat ein neues Loch in der Hose, wie soll das enden!«</p>
-
-<p>Den Herrn Arnulf aber bekümmerte der neue
-Schaden kein bißchen. Der erzählte, ein grünes
-Sammetwams sei in dem Ballen, ein rotes aus<span class="pagenum" id="Seite_145">[145]</span>
-Brabanter Tuch, eins, das sei braun wie die Eichenblätter
-im Herbst, und alles sei gar köstlich gestickt und
-verziert.</p>
-
-<p>So ritten sie. Und wie sie eine Stunde etwa
-geritten sind, da jackert ihnen auf einem mageren
-Pferd ein Bursche nach. Der verneigt sich vor Herrn
-Arnulf und ruft: »Die gnädige Frau Mechthild schickt
-Euch dieses Amulett, möchtet es immer tragen, es soll
-Euch wohl schützen.«</p>
-
-<p>Sagt Herr Arnulf: »Das war wohlgetan.«</p>
-
-<p>Sagt der Graf von Gehlingsberg: »Was soll die
-Narretei?«</p>
-
-<p>Sagt Herr Arnulf: »Das ist ein gutes Ding.
-Schlimm, schlimm, wenn Euch Eure liebe Frau nicht
-auch ein Amulettlein gab!«</p>
-
-<p>Das ärgerte nun den Grafen gewaltig. Er sagte
-grollend: »Ich lasse es noch holen.« Sagt Herr Arnulf:
-»Tut das, viellieber Freund. Im Kloster zu St. Kilian
-da warten wir auf den Boten.«</p>
-
-<p>Sagt der Graf: »Der Kunz soll reiten.«</p>
-
-<p>Sagt Herr Arnulf: »Eure Frau wird Euch gewiß
-ein gar köstlich wertvolles Amulettlein senden, laßt
-zweie reiten, das ist sicherer, oder dreie.«</p>
-
-<p>Schreit der Graf: »Dreie, bei meiner Seel’!«</p>
-
-<p>Also ritten dreie, Jörg, Hinz und Kunz. Zurück<span class="pagenum" id="Seite_146">[146]</span>
-blieb nur der Damian, der war so dumm wie dick, so
-faul wie lang.</p>
-
-<p>Na, und dann kamen sie an das Kloster von St.
-Kilian, und die frommen Mönche nahmen sie wohl
-auf. Die rüsteten ein Mahl, und dabei aß der Graf
-von Gehlingsberg einen Rehschlegel, sechs Rebhühner,
-sechzehn Krautklöße, eine Schweinspastete, einen gedünsteten
-Hecht, eine Schüssel gedämpften Kohl, drei
-Teller voll Backwerk und dreizehn« &ndash; »Besenmüller,
-das ist zu viel,« riefen die Kinder entrüstet, und Arne
-fügte keck hinzu: »Da wäre ihm ja der Bauch geplatzt.«</p>
-
-<p>»Na ja, meinetwegen, wenn ihr’s ihm nicht gönnt,
-mag er weniger gegessen haben.« Besenmüller ließ
-sich nicht aus seiner Ruhe bringen, gemächlich fuhr er
-fort: »Aber plumpsatt war er, das steht nu mal feste.
-Kaum schnaufen konnt’ er. Ja ja, so war’s.</p>
-
-<p>Der Graf müsse in ein pechdunkles Kämmerlein
-zu liegen kommen, riet der Schelm von Steinach, da
-könnte er sich gut ausschlafen.</p>
-
-<p>Sagten die Mönche: »Soll uns wohl recht sein.«</p>
-
-<p>Meinte Herr Arnulf: »Den Damian müßten sie
-dazu legen.«</p>
-
-<p>Sagten die Mönche: »Ei freilich, der soll seinem
-Herrn aufwarten.« Sie führten denn nun den Grafen<span class="pagenum" id="Seite_147">[147]</span>
-in ein fensterloses Kämmerlein, und weil sie mit
-brennenden Kienspänen leuchteten, merkte der es nicht.
-Und Damian merkte überhaupt nie etwas.</p>
-
-<p>Der Graf von Gehlingsberg tat einen mächtigen
-Gähner, und plumps fiel er auf sein Lager und schlief.
-Damian tat einen noch lauteren Gähner, und er schlief
-schon, ehe er auf sein Lager kam.</p>
-
-<p>Sagten die Mönche: »Unserem Gast wird nichts
-die Nachtruhe stören.«</p>
-
-<p>Sagte Herr Arnulf: »Wäre auch schlimm. Wird
-der im Schlaf gestört, haut er um sich wie weiland St.
-Georg der Drachentöter.«</p>
-
-<p>Die Mönche erschraken sehr und versprachen,
-nichts, auch nichts sollte ihren werten, vornehmen Gast
-stören.</p>
-
-<p>Sagte Herr Arnulf: »Und verwahret seine Reisesäcke
-wohl. Ich muß mit dem Frühesten davonreiten.«</p>
-
-<p>Sagten die Mönche: »Wir wollen tun, wie du es
-befohlen.«</p>
-
-<p>Als das Morgenglöcklein läutete, ritt Herr Arnulf
-mit den Seinen von dannen. Seine Bettsäcke ließ er
-den Mönchen da, und er hieß seine Knechte des Grafen
-wohlgefüllte Truhen aufladen. Die Mönche meinten,
-so sei es richtig, und verwahrten die Bettsäcke in des
-Klosters reicher Schatzkammer. Also ritt Herr Arnulf,<span class="pagenum" id="Seite_148">[148]</span>
-der Schelm von Steinach, geschwind hinweg. Der Graf
-von Gehlingsberg aber schlief zwölf Stunden, da drehte
-er sich das erste Mal um. Er tat seine Augen ein
-viertel auf, blinzte und dachte, ’s ist ja noch Nacht. Ja
-ja, das dachte er.</p>
-
-<p>Darauf schlief der Graf wieder zwölf Stunden,
-drehte sich wieder um, tat seine Augen halb auf und
-dachte, ’s ist ja noch Nacht. Ja ja, das dachte er
-wieder.</p>
-
-<p>Damian aber rührte sich nicht, tat seine Augen
-nicht auf, und denken tat er erst recht nichts.</p>
-
-<p>Inzwischen langten die drei Knappen Hinz, Kunz
-und Jörg am Kloster St. Kilian an und begehrten, vor
-ihren Herrn geführt zu werden.</p>
-
-<p>Sagten die Mönche: Nein, das ginge nicht, der
-müßte seine Ruhe haben.</p>
-
-<p>Nun, die Knappen waren’s zufrieden. Der Bruder
-Küchenmeister wartete ihnen gut auf. Der Bruder
-Kellermeister schenkte ihnen manche Kanne Wein, da
-ließen sie sich’s wohl sein.</p>
-
-<p>Zwei Nächte und einen Tag schlief der Graf von
-Gehlingsberg, dann wachte er auf. Er brummte: »So
-einen unruhigen Schlaf habe ich lange nicht getan;
-nun bin ich schon dreimal aufgewacht, und immer ist’s
-noch Nacht.« Er seufzte schwer, und auf einmal fing<span class="pagenum" id="Seite_149">[149]</span>
-ihm sein Magen zu knurren an. Rrrrrrrrrrrrrruh
-ging es.</p>
-
-<p>Schrie der Graf von Gehlingsberg: »Ich bin
-krank, ich bin krank. Oh, wie tut mir das im Magen
-weh!«</p>
-
-<p>Die Mönche hörten das mächtige Schreien und
-liefen angstvoll herbei. Taten die Türe auf, und das
-helle Sonnenlicht strömte in das fensterlose Kämmerlein.</p>
-
-<p>Riefen die Mönche: »Ei, Herr, was habt Ihr für
-einen guten Schlaf getan! Sechsunddreißig Stunden
-pflegtet Ihr der Ruhe.«</p>
-
-<p>Schrie der Graf: »Was schwätzt ihr da, sechsunddreißig
-Stunden hätte ich geschlafen? Wirklich,
-sechsunddreißig Stunden?« Ja ja, das fragte er.</p>
-
-<p>Seufzte der Damian: »Man kann sich auch niemals
-im Leben ordentlich ausschlafen.«</p>
-
-<p>Rief der Graf: »Oho, nun weiß ich’s, woher mir
-das Grimmen im Magen kommt, ich habe Hunger!«</p>
-
-<p>»Ich auch, ich auch!« stöhnte Damian, der wurde
-da ganz munter. Der Bruder Küchenmeister aber lief
-eilig, um ein gutes Mahl zu rüsten. Der Graf von
-Gehlingsberg ließ sich das Frühstück wohl schmecken,
-und erst als er satt war, fragte er nach seinem Reisegenossen.
-Der sei schon lange fort, hieß es, aber des<span class="pagenum" id="Seite_150">[150]</span>
-Grafen Reisegut liege wohlverwahrt in des Klosters
-Schatzkammer.</p>
-
-<p>Sagte der Graf nachdenklich: »Ei, dann ist auch
-Zeit, wenn ich morgen mit dem Frühesten reite. Will
-mich noch einmal ordentlich ausruhen für den langen
-Ritt.«</p>
-
-<p>Rief Damian: »Das ist wohlgetan. Ich spüre das
-erste Reiten noch in allen Knochen. Umfallen könnte
-ich vor Müdigkeit.«</p>
-
-<p>Also blieben der Graf und die Knappen noch den
-Tag und die nächste Nacht im Kloster und ließen es
-sich wohl sein.</p>
-
-<p>Seufzte der Bruder Küchenmeister: »O weh, sie
-essen alle meine Vorräte auf!«</p>
-
-<p>Klagte der Bruder Kellermeister: »O weh, mein
-schöner Wein, sie trinken ihn allen aus!«</p>
-
-<p>Am nächsten Morgen entstand ein lautes Geschrei,
-denn da merkte der Graf von Gehlingsberg den Tausch
-des Schelmen von Steinach. Frau Mechthild hatte
-ihre allerältesten Betten zur Reise hergegeben, und soviel
-der Graf, seine Knappen und die Mönche auch
-suchten, die köstlichen Gewänder, von denen der Schelm
-von Steinach erzählt hatte, die waren nicht zu finden.
-Der Graf wurde fuchsteufelswild, und selbst Damian
-vergaß vor Zorn seine Schläfrigkeit. Sie setzten sich<span class="pagenum" id="Seite_151">[151]</span>
-auf ihre Pferde und ritten eilfertig davon, um nur
-rasch an des Kaisers Hof zu kommen und dem Schelmen
-seinen Raub wieder abzujagen.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Herr Arnulf war unterdessen einen andern Weg
-geritten. Als das Kloster St. Kilian hinter ihnen lag,
-sagte er zu Berthold, seinem Burgwart: »Wie rede ich
-mich aus, wenn nun der Herr von Gehlingsberg auch
-an des Kaisers Hof kommt?«</p>
-
-<p>Sagte Berthold: »Reitet nicht an des Kaisers Hof.«</p>
-
-<p>Zürnte Herr Arnulf: »Was soll der dumme Rat?«</p>
-
-<p>Sagte Berthold: »Ein Kaiser ist freilich ein Kaiser,
-aber ein Herzog ist auch ein hoher Herr. Reitet an
-eines Herzogs Hof.«</p>
-
-<p>Sagte Herr Arnulf: »Das Wort läßt sich hören.«</p>
-
-<p>Sagte Berthold: »An des bayrischen Herzogs Hof
-wird’s Euch wohlgehen.«</p>
-
-<p>Sagte Herr Arnulf: »Das gilt. Kurzweil und
-ritterliche Spiele gibt’s dort auch. Des Herzogs Sohn
-soll Hochzeit halten, da wird es gut sein. Also reiten
-wir.« Ja ja, so sagte er.</p>
-
-<p>Nun ritten sie und kamen auch an den Hof des
-Herzogs von Bayern. Dort war ein lustiges Leben,
-und der Schelm von Steinach, der stattlich in des
-Grafen von Gehlingsberg Kleidern einherging, wurde
-wohl aufgenommen. Er gewann güldene Preise im<span class="pagenum" id="Seite_152">[152]</span>
-ritterlichen Spiel, und weil der Herzog um der Hochzeit
-willen seine Gäste freihielt, brauchte der Schelm
-keinen Batzen und kein Hellerlein auszugeben. Auch
-ein reiches Gastgeschenk erhielt er noch. Die güldenen
-Preise verkaufte er, und so zog er mit wohlgefülltem
-Säcklein nach etlichen Wochen von dannen. Ja ja,
-so war’s.</p>
-
-<p>Inzwischen war der Graf von Gehlingsberg an
-des Kaisers Hof gewesen, hatte dort den Schelm nicht
-gefunden und hatte dort viel Spott und Neckerei erfahren.
-Es glaubte ihm niemand sein Märlein, und
-weil er auch ein einfältiger Herr war, meinten alle, sie
-hätten einen Narren vor sich. Der Graf vertat sein
-Geld und gewann nicht Ehre und nicht Freunde, und
-mißmutig kehrte er nach etlichen Wochen heim. Im
-Kloster zu St. Kilian gedachte er seine letzte Rast zu
-halten, und der Zufall führte am nächsten Morgen den
-Schelmen vor das Kloster. Als dies der Schelm hörte,
-ritt er eiligst von dannen, und an der Stelle, an der
-er einst den Grafen getroffen hatte, sagte er zu Berthold,
-seinem Burgwart: »Nun reite geschwind nach
-Gehlingsberg, bringe der Frau Gräfin ihres Mannes
-Reisetruhen und dieses goldene Ringlein als Reisegeschenk.
-Sag’ ihr, mit hohen Ehren sei ihr Mann
-an des Kaisers Hof empfangen worden, und er sei<span class="pagenum" id="Seite_153">[153]</span>
-nun schon auf dem Heimweg, sie möge ihn wohl empfangen.«</p>
-
-<p>Sagte Berthold: »Das will ich recht ausrichten.«
-Er ritt mit den Knappen nach Gehlingsberg, während
-der Schelm heimwärts ritt im neuen Wams, sein gutgefülltes
-Beutelchen in der Tasche.</p>
-
-<p>Als er am Tor anlangte, lief Frau Mechthild ihm
-entgegen und klagte: »O du armer Mann, ohne deine
-Knechte kehrst du heim! Dir mag es übel ergangen
-sein.« Ja ja, so klagte sie.</p>
-
-<p>Rief Herr Arnulf: »Schau her!« Er wies ihr das
-neue Wams, das Geld und eine feine Gürtelschnalle.</p>
-
-<p>Lachte Frau Mechthild: »Ich sehe schon, die
-Schelme verderben nimmer.«</p>
-
-<p>Mißmutig kehrte der Graf zu seiner Burg zurück.
-Doch dort empfingen ihn alle festlich geschmückt, und
-seine Frau Gräfin rief: »Willkommen, edler Held!«
-Sie dankte ihm gar herzlich für das güldene Geschenk.</p>
-
-<p>Sagte der Graf brummig: »Was soll das Geschrei?«</p>
-
-<p>Schrie Damian: »Herr, da stehen unsere Truhen.«</p>
-
-<p>Sagte die Gräfin: »Die sandtest du mit des Schelmen
-Knechten. Die haben auch gesagt, wie reich du
-geehrt worden bist an des Kaisers Hof.« Da schwieg
-der Graf mäuschenstill und verbot auch seinen Knechten<span class="pagenum" id="Seite_154">[154]</span>
-zu sagen, wie es ihnen ergangen war. Ja ja, das
-tat er.</p>
-
-<p>Er erzählte viel von des Kaisers Hof, zuletzt
-glaubte er selbst, ihm sei es gut gegangen dort, und
-schließlich glaubten alle, der Kaiser würde wohl auch
-bald zu Besuch kommen, weil er dem Grafen so gut
-war.</p>
-
-<p>Aber mit dem Schelmen von Steinach tat der
-Gehlingsberger nie mehr eine Reise zusammen. Mit
-Fehde überzog er freilich auch nicht seine Burg, wie
-er es sich vorgenommen hatte. Sah er von fern den
-Schelmen kommen, dann beschrieb er einen großen
-Bogen um ihn, er fürchtete dessen Spott. Ja ja, den
-fürchtete er.«</p>
-
-<div class="figcenter" id="illu-161">
- <img src="images/illu-161.jpg" alt="" />
-</div>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_155">[155]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Zehntes_Kapitel"><img src="images/illu-162.jpg" alt="" /><br />
-<span class="s80">Zehntes Kapitel</span><br />
-Sommertage</h2>
-
-<div class="h2cnt">
-
-<p>Des Pfarrers Freund redet vom Krieg, aber dem jungen Lehrer
-laufen die trüben Kriegsgedanken davon &ndash; Auf dem Schafskopf
-brennt das Johannisfeuer, die Rosen blühen, es wird wieder Geburtstag
-gefeiert, und niemand weiß an dem Tage, was in der
-Welt geschehen ist &ndash; Der Lehrer erzählt von Deutschland, und
-Frau Fries hält ihr Herz fest und klagt nicht.</p>
-</div>
-</div>
-
-<p class="drop">Pfarrers Regine hatte ihren Geburtstag gefeiert,
-und die Sonne hatte dazu geschienen, wie es sich
-für einen rechten Frühlingstag schickt. Kein Wölkchen
-war zuerst am Himmel gewesen, aber plötzlich, am Nachmittag,
-waren schwere, dunkle Wolken aufgezogen,
-Sturm, Regen, ein Blitz, ein Donnerschlag, und im
-Umsehen war es wieder hell gewesen. Das erste Frühlingsgewitter
-war vorübergerauscht. Ein paar Tage
-lang hatte es im Pfarrhaus köstlich nach Veilchen geduftet,
-dann waren die kleinen blauen Frühlingskinder
-verwelkt, und droben auf dem Schafskopf sproßten
-Blätter und Knospen der Heckenröslein hervor. Die
-sagten: »Nun kommen wir bald dran.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_156">[156]</span></p>
-
-<p>»Nein, erst wir.« sagten im Wald die Maiglöckchen.
-In den Gärten blühten Narzissen, Tulpen,
-Schwertlilien, Stiefmütterchen, hängende Herzen und
-viele andere Blumen auf. Die drei Straßen hatten
-sich wieder in weiße, schimmernde Wege verwandelt,
-gerade wie vor einem Jahr, als Heinrich Fries Steinach
-am Wald zum erstenmal gesehen hatte. Er dachte
-daran und dachte dabei auch an seinen Reisegefährten,
-der ihm zuerst von den Schelmen erzählt hatte. Und
-ganz unvermutet lief ihm der alte Herr über den Weg,
-mitten auf der Apfelstraße. Sie erkannten sich beide,
-und der junge Lehrer erfuhr nun, sein Reisegefährte
-sei ein Freund des Pfarrers. »Ich flüchte mich immer
-mal für etliche Tage in Steinachs Stille, und dies Jahr
-war die Sehnsucht besonders groß. Es sieht nicht gut
-aus in der Welt.«</p>
-
-<p>»Nicht gut sieht es aus in der Welt? Wieso?«
-Der junge Lehrer fragte es erstaunt, nachdenklich.</p>
-
-<p>Der andere nickte: »Ja ja, mir will’s immer
-scheinen, als hinge Krieg über uns gleich einer Wetterwolke.«</p>
-
-<p>»Krieg!« Das Wort stimmte so gar nicht hinein in
-den heiteren Frühlingsfrieden von Steinach, und Heinrich
-Fries sagte abwehrend: »Ach Krieg, es wurde schon
-so oft davon gesprochen &ndash; ich glaube nicht daran.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_157">[157]</span></p>
-
-<p>»Hurra, Hurra, bald ham’ mer se!« Wildes Geschrei
-gellte auf, und über die Apfelstraße hinweg
-rasten vier Buben, ein halbes Dutzend andere folgten
-ihnen, bewaffnet mit Blechsäbeln, einem Pusterohr und
-einem Ding, das ungemein viel Lärm machte. Eine
-Rassel war es von lauter alten Topfdeckeln.</p>
-
-<p>»Wen habt ihr bald, he?« Jackenknöpfle lief
-seinem Lehrer gerade in die Arme, und der hielt ihn
-fest. Doch der kleine, dicke Kerl mußte erst ein paarmal
-nach Luft schnappen, ehe er Antwort geben konnte.
-»Wen wollt ihr fangen?« Heinrich Fries fragte es
-noch einmal, und nun stieß Jackenknöpfle heraus: »Die
-Indianer! Wir spielen Indianers, und dahinten liegt
-Indien.«</p>
-
-<p>Er deutete nach dem Schelmenacker hin, und sein
-Lehrer meinte heiter: »Nenn’s Amerika, da nun doch
-einmal dort die Heimat der Indianer ist.«</p>
-
-<p>Er ließ Jackenknöpfle los, der stürzte eilfertig davon,
-und das Geschrei aller vereinte sich bald drüben
-am Schelmenacker. »Solchen Krieg gibt’s immer,«
-sagte der junge Mann zu dem Alten.</p>
-
-<p>Der sah ernst ins Weite. »Wer weiß, wie bald
-unsere Jungen gegen Franzosen, Russen und noch sonst
-welchen Feind ins Feld ziehen wollen!«</p>
-
-<p>»Glauben Sie das?« Nun lächelte auch Heinrich<span class="pagenum" id="Seite_158">[158]</span>
-Fries nicht mehr. Er sah zum Himmel auf, der klar
-und blau war. Würde so schnell ein Wetter daherziehen
-wie an Fräulein Regines Geburtstag?&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Wie schön war der Frühling, wie schön, selbst
-wenn der Regen warm und lind auf die Erde niedersank.
-Und wie leicht laufen trübe Gedanken im Frühling
-davon. Heinrich Fries erging es so. Als er dann
-mit seinem alten Reisegefährten am Pfarrhaus anlangte,
-stand Fräulein Regine da, die hatte sich mehr
-noch als sonst ihr liebliches Gesicht mit Frühlingssonne
-eingerieben, da liefen geschwinde alle trüben Kriegsgedanken
-davon.</p>
-
-<p>Das taten die bösen Gedanken noch manchmal in
-diesen Tagen, aber &ndash; sie kamen doch immer wieder.
-Der alte Herr Berner, so hieß des Pfarrers Freund,
-war abgereist, beim Abschied hatte er gesagt: »Im
-August komme ich wieder &ndash; vielleicht.«</p>
-
-<p>»Vielleicht, vielleicht,« sang Pfarrers Regine fröhlich,
-»vielleicht reise ich im August in die Schweiz, vielleicht
-sehe ich Schneeberge.«</p>
-
-<p>»Vielleicht, vielleicht baue ich mir ein Schloß im
-Monde,« neckte sie der Vater.</p>
-
-<p>»Vielleicht erhalte ich zum Herbst eine bessere
-Stelle in der Stadt,« sagte Heinrich Fries zu seiner
-Mutter. Er sagte es hoffnungsfroh, und die alte Dame<span class="pagenum" id="Seite_159">[159]</span>
-unterdrückte den leisen Seufzer. Ach, sie wäre so gern
-in Steinach geblieben!</p>
-
-<p>Auch die Steinacher Buben und Mädel schmiedeten
-allerlei Pläne, die mit »vielleicht« begannen, und
-die so wundervoll lustig wie die Sommertage waren.
-»Vielleicht gibt’s diesmal länger Ferien,« sagten die
-Faulpelze, obgleich sie nicht zu sagen wußten, warum
-dies geschehen sollte.</p>
-
-<p>Vielleicht dürfen wir alle nach M. zum Jahrmarkt,
-hofften etliche. Vielleicht dies, vielleicht das.
-Eine Ferienfahrt, ein neues Kleid, ein riesengroßer
-Drache, ein langer Schulspaziergang, &ndash; das waren
-alles Dinge, die mit »vielleicht« gesagt wurden. Und
-darüber reihte sich Tag an Tag. Flieder und Goldregen
-blühten auf und verblühten, die Rosen dehnten
-sich in ihren engen Knospenkleidern und riefen: »Endlich,
-endlich kommen wir an die Reihe!« Sie erblühten
-in köstlicher Schöne, kein Gärtlein gab’s in Steinach,
-in dem nicht ein Rosenbusch wie ein holdseliges Mädchen
-stand. Wer daran vorüberging und eine horchende
-Seele hatte, der hörte wohl, wie die Rosen
-sangen: »Sonne, küsse uns, Wind, streichle uns, Mensch,
-freue dich an uns!«</p>
-
-<p>»O ihr Rosen, ihr lieben Rosen!« sang Pfarrers
-Regine, wenn sie durch den Garten ging, und dann<span class="pagenum" id="Seite_160">[160]</span>
-mahnte sie: »Vergeßt es nicht, am Johannistag recht
-schön zu blühen, das gehört sich so, und dann noch ein
-paar Tage länger, dann hat die alte Frau Lehrerin
-Geburtstag. Ihr erster ist’s in Steinach, den wollen
-wir recht feiern.«</p>
-
-<p>Der Johannistag kam, die Rosen blühten und
-dufteten, auf dem Schafskopf brannte ein Johannisfeuer,
-und Frau Besenmüller schalt: »So etwas weckt
-nur die alten Schelme auf, das is niche gut.«</p>
-
-<p>»Lydia, schimpf’ nicht,« sagte ihr Mann. »Denk’
-daran, Sonntag hat unsere alte Frau Lehrerin Geburtstag.«</p>
-
-<p>Da wurde Frau Besenmüller sanft und freundlich
-und redete von allerlei Festvorbereitungen. Die alte
-Frau Lehrerin hatte sich längst viele Herzen in Steinach
-gewonnen. Wenn sie über die Gasse ging und in
-ihrer freundlichen, stillen Weise alle grüßte, dann sagten
-wohl die Steinacher: »Die paßt nu so recht scheen
-zu uns.«</p>
-
-<p>Und diese gütige, sanfte Frau hatte nun Geburtstag,
-an einem Sonntag dazu. Die großen Leute
-fanden dies paßlich, und die kleinen Leute ärgerten
-sich darüber. Warum nicht an einem Wochentag, der
-dann zu einem Feiertag wurde? Wie konnte ein Geburtstag
-nur so ungeschickt sein, auf einen Tag zu<span class="pagenum" id="Seite_161">[161]</span>
-fallen, an dem es ohnehin Kuchen gab in den meisten
-Steinacher Häusern! Trotz dieses Ärgers wanderten
-aber alle Schulkinder in der rechten Geburtstagsstimmung
-am Morgen vor das Schulhaus und sangen dort
-einen Morgengruß. Die Brummer mit. Fräulein Regine
-hatte ihnen einen wundervollen Rat gegeben. Sie
-hatte gesagt: »Singt stumm, den Mund auf, Mund
-zu und nur im Herzen mitgesungen.« Das taten die
-Brummer nun auch voll Eifer, und Stipsels Oswald
-sah dabei aus wie ein Fisch, den man statt ins Wasser
-auf ein Sofa gelegt hatte. Schnapp auf, schnapp zu,
-so ging es bei ihm.</p>
-
-<p>»Der Oswald hat wohl was verschluckt? Der
-kriegt Zustände,« sagte Frau Besenmüller ängstlich.
-Mitten im Lied trat sie hinter den Buben und gab ihm
-einen kräftigen Stoß in den Rücken. »Ist’s raus?«
-flüsterte sie so laut, als müßte das Geflüster oben auf
-dem Schafskopf gehört werden.</p>
-
-<p>»Hup!« machte Oswald; er konnte vor Schreck nicht
-sprechen. Glücklicherweise ersah Fräulein Regine Frau
-Besenmüllers Tat, sie zog rasch die Frau aus dem Kreis
-und erklärte ihr das Mund auf, Mund zu.</p>
-
-<p>»I nä,« brummelte Frau Besenmüller, stumm
-singen, ja, das könnte sie auch. Sie trat an ihren Platz
-zurück, klappte nun auch ihren großen Mund auf und<span class="pagenum" id="Seite_162">[162]</span>
-zu, und Webers Arne flüsterte Jackenknöpfle ins Ohr:
-»Wie ’ne Brotschachtel.«</p>
-
-<p>Trotz dieser kleinen Zwischenfälle klang der Gesang
-festlich und rein in den hellen Sonntagmorgen
-hinaus, und Frau Fries freute sich. Sie freute sich
-auch über die Rosen, die Pfarrers Regine brachte,
-über all die bunten Sträuße aus den Steinacher
-Gärten, sie freute sich über die lachenden Gesichter der
-Kinder, und sie freute sich am meisten über die Liebe,
-die man ihr erzeigte. Dieser Tag ging zur Ruhe wie
-ein glückliches Kind, das sich müde gefreut hat und
-noch im Schlafe lächelt. Die Nacht blieb hell, die
-Sterne funkelten in ewiger Schönheit am Himmel,
-und im Grase wisperten die kleinen, lustigen Johanniswürmchen:
-»Seht nur, wir funkeln auch wie die
-Sterne!«</p>
-
-<p>»Noch mehr, noch mehr,« sagten die andern Käfer,
-die konnten nämlich nicht bis zum Himmel hinauf
-sehen.</p>
-
-<p>Im warmen Sommerfrieden schlief Steinach ein,
-und niemand darin ahnte etwas von dem schweren
-Geschehen draußen in der Welt. Da hatten im fernen
-Land ruchlose Buben Österreichs künftigen Kaiser und
-seine Frau ermordet. Als die Kunde von dem Mord
-durch die Lande lief, von Stadt zu Stadt, das einsamste<span class="pagenum" id="Seite_163">[163]</span>
-Dorf nicht vergaß, erfaßte tiefes Entsetzen die
-Menschen. Ein dumpfes Ahnen kommenden Leides
-lag über den Landen.</p>
-
-<p>»Wir bekommen Krieg,« sagten manche. Aber
-jene, die nicht gern an Sorgen und kommendes Leid
-dachten, sagten: »Ach nein, wer wird unseren Frieden
-stören und unsere Sommerlust!«</p>
-
-<p>Die Buben und Mädel in Steinach redeten nicht
-von Krieg und dachten nicht an Krieg. Sie gingen in
-die Schule und freuten sich auf die großen Ferien. Am
-Montag freuten sie sich auf den Sonntag, am Morgen
-auf das Mittagessen, und zu Mittag redeten sie davon,
-wie sie abends auf der Gasse spielen wollten. Sie
-stiegen auf den Schafskopf, riefen und neckten die
-Geister der alten Schelme, zitterten, die könnten wirklich
-erscheinen, und ärgerten sich, daß sie nicht kamen.
-Sie zankten sich mit Frau Besenmüller und liefen dann
-schuldbewußt zu deren Mann; der mußte seine Frau
-»Lydia« nennen, damit sie wieder gut werde. Auf
-den Feldern reifte das Korn, und die Schnitter dengelten
-schon ihre Sensen: bald, bald fängt die Ernte an.</p>
-
-<p>So verging Tag um Tag. Das Jahr 1914 saß
-in seinem Himmelswinkel, es strich die Tage aus, und
-immer ernster wurde sein Gesicht.</p>
-
-<p>Der Juli neigte sich schon seinem Ende entgegen,<span class="pagenum" id="Seite_164">[164]</span>
-da kamen Tage, an denen niemand Lust zur Arbeit
-und Freude hatte. Selbst in Steinach standen die
-Männer auf der Dorfstraße und redeten ernst und
-eifrig zusammen, und die Frauen sahen zu ihnen hin,
-und manch eine wischte sich heimlich eine Träne aus
-den Augen. Wer weiß, wie bald zog ihr Mann
-hinaus!</p>
-
-<p>Der junge Lehrer Heinrich Fries ließ jetzt immer
-Vaterlandslieder singen, und wenn die Kinder aus
-dem Schulhaus kamen, dann sangen sie: »Deutschland,
-Deutschland über alles,« und immer sang mit, wer es
-hörte.</p>
-
-<p>Jeden Tag fuhr jetzt jemand nach dem nächsten
-großen Ort, um dort die neuesten Telegramme zu
-lesen. Dann hieß es den einen Tag: Es gibt Krieg! den
-andern: Der Friede bleibt erhalten. Noch lag eine
-Lokalisierung des Krieges im Bereich der Möglichkeit.
-Die Diplomatie arbeitete fieberhaft. Telegramme flogen
-hinüber und herüber. Viele deutsche Herzen hofften
-noch, der Friede möchte der Welt erhalten bleiben.
-Aber mitten in alle heitere Sommerschönheit hinein
-gellte der Ruf: »Es gibt Krieg, Krieg mit Frankreich,
-Krieg mit Rußland, mit England, Krieg mit der
-halben Welt.«</p>
-
-<p>Die Buben und Mädel in Steinach hatten sich auf<span class="pagenum" id="Seite_165">[165]</span>
-die Ferien gefreut, wie sich überall Buben und Mädel
-auf die Ferien freuen. Aber als sie da waren, dachte
-niemand an Ferienfreude. Am Samstag sollte Schulschluß
-sein, und an diesem Tag gab der junge Lehrer
-Heinrich Fries keine Stunde mehr. Er hatte die große
-Karte von Europa angehängt, und daran zeigte er
-den Kindern, wie riesengroß die Länder der Feinde
-waren gegen die der beiden treuen Bundesbrüder
-Deutschland und Österreich-Ungarn. Weit, weit über
-halb Asien hinweg dehnte sich das unermeßliche russische
-Reich, und Frankreich lag mit weiten Küsten am
-blauen Meer. Im Norden drohte England. Feinde,
-Feinde, wohin das Auge blickte. Die Brandfackel des
-Weltkriegs, des fürchterlichsten aller Kriege, war entzündet.
-Das Verhängnis nahm rasch und unaufhaltsam
-seinen Lauf.</p>
-
-<p>Armes Deutschland, armes Vaterland! Dem jungen
-Lehrer wurde das Herz schwer, als er an das
-furchtbare Ringen dachte, das nun beginnen würde.
-Doch größer noch als die Sorge war die Freude, daß
-auch er mit hinausziehen durfte in den Kampf für
-das Vaterland.</p>
-
-<p>Und an diesem letzten Schultag ließen die Kinder
-Bücher und Hefte in ihren Ranzen, und Heinrich Fries
-erzählte ihnen von Deutschland, von seiner Vergangenheit,<span class="pagenum" id="Seite_166">[166]</span>
-seiner Herrlichkeit und seiner Not, wie es immer
-und immer wieder hatte kämpfen müssen um seine
-Freiheit. Auch von des Vaterlandes stiller Schönheit
-sprach der junge Lehrer, von seinen Städten, Dörfern,
-seinen Wäldern und Flüssen, seinen friedlichen Tälern
-und vom deutschen Heimatzauber.</p>
-
-<p>Es war mäuschenstill in der Schulstube. Noch
-nie hatten die Kinder so lautlos zugehört, und keines
-sehnte das Ende dieser letzten Schulstunde herbei. Und
-als draußen die Glocke ertönte, die Frau Besenmüller
-im Jammer ihres Herzens wilder denn je schwang, da
-baten all die braunen und blauen Kinderaugen, in die
-der Lehrer sah: »Weiter, weiter!«</p>
-
-<p>Heinrich Fries atmete tief. Das eine Fenster der
-Stube lag in der Sonne, und golden umwob der
-Schein die Buben- und Mädelköpfe. Das würde er
-nun lange nicht mehr sehen, vielleicht nie wieder. Er
-zog hinaus in den Kampf, vielleicht in den Tod! Er
-schwieg, atmete tief, und dann sagte er einfach: »Ich
-gehe nun von euch, Kinder; ob wir uns wiedersehen,
-steht in Gottes Hand. Er schütze unsere Heimat, er
-schütze euch. Werdet tapfere deutsche Männer und
-Frauen und vergeßt es nie, nie: Das Vaterland über
-alles!«</p>
-
-<p>Deutschland, Deutschland über alles! Jauchzend<span class="pagenum" id="Seite_167">[167]</span>
-brauste der Gesang plötzlich auf, die Kinder wußten
-selbst kaum, wie es kam, daß sie auf einmal das Lied
-sangen. Wie ein Jubelruf klang es und ein Gebet
-zugleich. Draußen vor der Tür stand Frau Besenmüller,
-sie hielt die Schulglocke fest im Arm, und heiße,
-heiße Tränen rannen darauf nieder. »Das Herze bricht
-einem fast!« schluchzte sie. »Nä, der Jammer, nä,
-das Unglück!«</p>
-
-<p>»Schäm’ dich, Lydia, so redet keine deutsche Frau,«
-rief ihr Mann von der Treppe her. »Sieh unsere alte
-Frau Lehrerin an, die nimmt ihr Herze fest in die
-Hände.«</p>
-
-<p>Da schwieg Frau Besenmüller beschämt. Ihr
-Mann hatte recht, der hatte immer recht. Und stille
-nahm sie sich vor, so tapfer zu sein wie Frau Fries, die
-ihr Herz fest hielt und nicht weinte und nicht klagte.</p>
-
-<div class="figcenter" id="illu-174">
- <img src="images/illu-174.jpg" alt="" />
-</div>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_168">[168]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Elftes_Kapitel"><img src="images/illu-175.jpg" alt="" /><br />
-<span class="s80">Elftes Kapitel</span><br />
-Schwerer Abschied</h2>
-
-<div class="h2cnt">
-
-<p>Die Steinacher ziehen auch hinaus, und Schwetzers Fritze will
-mit &ndash; Auch Pfarrers Regine will hinaus, geht aber dann zu
-Traugotts &ndash; Der alte Briefträger übt wieder sein Amt aus,
-und Fritze schreibt einen Brief und prügelt sich mit seinem
-Freund Arne</p>
-</div>
-</div>
-
-<p class="drop">Mobilmachung, Abschied!</p>
-
-<p>In jeder Stadt, in jedem Dorf in deutschen
-Landen war es in den ersten Augusttagen von 1914
-das gleiche Bild. Stille legten viele, viele Männer ihre
-Arbeit nieder und verließen Haus und Hof, verließen
-die Heimat, um für den Frieden dieser Heimat zu
-kämpfen. In Steinach am Wald war es nicht anders.
-Da mußten Frauen ihre Männer ziehen lassen, die
-Kinder weinten den Vätern nach und die Mütter den
-Söhnen. Und wenn in diesen Tagen einer Mutter
-das Herz gar so schwer wurde und ihre Tränen nicht
-versiegen wollten, dann mahnte wohl der Mann oder<span class="pagenum" id="Seite_169">[169]</span>
-der Sohn: »Sieh unsere alte Frau Lehrerin an, die
-ist tapfer, und ’s ist doch auch ihr Einziger.«</p>
-
-<p>Frau Fries nahm wirklich ihr Herz fest in beide
-Hände, sie klagte nicht und weinte nicht. Still und
-emsig half sie dem Sohn die Sachen rüsten, und sie
-half auch andern. In diesen Tagen begannen die
-Frauen von Steinach in das Schulhaus zu laufen, um
-sich Rat zu holen und Trost dazu. Die sanfte Frau,
-die noch kaum ein Jahr in ihrer Mitte lebte, wurde
-ihnen allen eine Helferin, und manch ein Mann sagte
-beim Abschied: »Na, Pfarrers sin ja da un die alte
-Frau Lehrerin, da frag’ nur, die helfen schon.«</p>
-
-<p>Mann um Mann verließ das Dorf. Am zweiten
-Tage schon zog Heinrich Fries hinaus. Seine Schulkinder
-standen vor der Türe, die gaben ihm das Geleit
-bis zur Apfelstraße, da sandte er sie heim. Zum
-Bahnhof sollte ihn allein seine Mutter begleiten. Die
-ganze Straße entlang aber tönte es ihm nach: »Auf
-Wiedersehen, auf Wiedersehen!«</p>
-
-<p>Endlich verhallten die Rufe, und ein paar Minuten
-waren Mutter und Sohn allein, die andern Abfahrenden
-waren schon vorangegangen. Wie sie aber beide
-an den Himbeerapfelbaum kamen, sahen sie dort einen
-Buben stehen, der hatte den Baum umschlungen, als
-müßte er von dem Abschied nehmen.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_170">[170]</span></p>
-
-<p>»Holla, Fritz Schwetzer, was machst du hier?«
-Heinrich Fries trat allein auf den Buben zu; seine
-Mutter blieb ein paar Schritte zurück, sie dachte, mit
-dem Buben muß nur einer jetzt reden. »Sag’, was
-fehlt dir? Dein Vater zieht doch nicht hinaus?« forschte
-der junge Lehrer.</p>
-
-<p>Schwetzers Fritze schämte sich, daß er weinte, und
-er konnte doch nicht anders. Es gibt halt Stunden,
-in denen auch ein Bube nicht ohne Tränen fertig
-werden kann. Sein Lehrer spürte, hier gab es wirkliches
-Herzeleid, und viel freundlicher als sonst klang
-seine Frage: »Wo fehlt’s denn, Fritze, was bedrückt
-dich?«</p>
-
-<p>»Weil &ndash; weil &ndash; Sie in ’n Krieg gehen un &ndash;
-nu totgeschossen werden!« Fritz stieß es heraus und
-umklammerte laut schluchzend des Lehrers Hand. Der
-strich ihm sacht über den Struwwelkopf. »Na, na,
-mein Junge, so schlimm braucht es doch nicht gleich
-zu werden. Tut’s dir denn so leid?«</p>
-
-<p>Der Bube nickte nur. Er rang mit den Worten,
-denn er hätte seinem Lehrer in dieser Abschiedsstunde
-gern gesagt, daß er ihm gut war und die Schule liebhatte,
-daß er sich sehnte, so zu werden wie dieser. Aber
-ach, einem Schweiger purzeln die Worte eben nicht so
-flink aus dem Munde!</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_171">[171]</span></p>
-
-<p>Ganz langsam kamen sie nur, tropfenweise, aber
-Heinrich Fries verstand auch jene, die ungesagt blieben,
-er verstand, daß Fritze ihn sehr liebhatte.</p>
-
-<p>Es war ihm eine Überraschung. Neun Monde
-lang war der Bube sein Schüler gewesen, und er hatte
-gar oft in der Zeit gedacht, der ist ein Trotzkopf, mit
-dem kann ich nicht viel anfangen. Und nun in der
-Abschiedsstunde tat sich ihm Fritzes Herz auf, und er
-lernte verstehen, wie schwer es ist, Schwetzer zu heißen
-und ein Schweiger zu sein. »Lieber, lieber Junge, du!«
-dachte der Lehrer, »dich hab’ ich nun so verkannt!«</p>
-
-<p>»Ich &ndash; ich &ndash; will mit.«</p>
-
-<p>»Mit in den Krieg? Das geht nun doch nicht,
-Fritz.« Heinrich Fries sah zu seiner Mutter hinüber.
-Die stand ein wenig gebeugt, wie niedergehalten von
-schwerer Last mitten auf der sonnigen Straße. Sie
-weinte nicht, aber der Sohn wußte, ihr blutete das
-Herz in dieser Abschiedsstunde. Da sagte er rasch:
-»Fritz, mitziehen kannst du nicht, das weißt du, aber
-du kannst mir etwas zuliebe tun. Willst du?«</p>
-
-<p>Fritz nickte heftig, ehe er aber noch eine Antwort
-geben konnte, bat sein Lehrer: »Geh oft zu meiner
-Mutter, besuche sie und habe sie lieb. Sieh mal, sie
-ist nun so allein. Sie braucht jemand in dieser Zeit!«</p>
-
-<p>Heinrich Fries hielt Fritz die Hand hin, und der<span class="pagenum" id="Seite_172">[172]</span>
-schlug fest ein. »Ich will,« sprachen seine Augen, und
-der junge Lehrer sagte nur: »Ich danke dir.«</p>
-
-<p>Das war der Abschied zwischen den beiden. Fritz
-rannte davon, querfeldein, es brauchte keiner zu sehen,
-wie traurig er war. Heinrich Fries aber ging mit
-seiner Mutter die Apfelstraße hinab bis zu dem kleinen
-Bahnhof. Der war heute so voller Menschen, als sei
-Steinach auf einmal eine Stadt geworden. Aus ein
-paar Nachbardörfern trafen sie hier zusammen, zehn
-Mann waren es, die mit dem jungen Lehrer zusammen
-die Heimat verließen. Sie hatten Blumen an Röcken
-und Mützen stecken und sangen wie viele Millionen
-in diesen Tagen: »Deutschland, Deutschland über alles!«</p>
-
-<p>Das Bähnchen pustete heran, an drei Haltestellen
-hatte es schon Reisende aufgenommen. Die standen
-an den Fenstern, schwenkten die Hüte und riefen den
-Steinachern zu: »Hurra, nun kommen die Schelme
-von Steinach. Na, vor denen reißen die Franzmänner
-sicher aus.«</p>
-
-<p>Die Steinacher nahmen den Scherz nicht übel.
-Frohgemut kletterten sie in die Wagen. »Die Feinde
-sollen uns kennenlernen,« jauchzten sie, »die Schelme
-verstehen das Dreinschlagen!«</p>
-
-<p>Der Zug brauste davon. Der Gesang verhallte,
-und die Zurückbleibenden gingen still heim. Frau<span class="pagenum" id="Seite_173">[173]</span>
-Fries blieb ein wenig zurück, sie wollte allein sein.
-Als sie aber dann, ein Stückchen hinter den andern,
-die Apfelstraße entlang ging, kletterte Schwetzers
-Fritze auf einmal aus dem Graben heraus. Er schob,
-ohne ein Wort zu sagen, seine Hand einfach in die
-der alten Frau. »Willst du mich heimbringen, mein
-Junge?« fragte diese.</p>
-
-<p>Fritze nickte und brummelte halblaut dazu: »Der
-Herr Lehrer hat’s gesagt.«</p>
-
-<p>Frau Fries dachte an ihres Sohnes Wort in
-letzter Minute: »Mutter, wenn Fritz Schwetzer zu
-dir kommt, denke, er kommt von mir.« Sie hielt die
-Bubenhand fest in der ihren, und so gingen sie beide
-still miteinander in das Dorf zurück. An der Haustüre
-trennten sie sich, und Frau Fries sagte laut: »Auf
-Wiedersehen!« Fritz dachte es nur, aber seine neue
-Freundin verstand ihn doch.</p>
-
-<p>Auch dieser Tag ging zu Ende. Der Abend dämmerte
-herauf, ruhvoll und schön glänzten die Sterne
-am Himmel, und viele, viele Seufzer, viele heiße Bitten
-stiegen zu ihnen empor. Die Züge fuhren unablässig
-durch das Land, und selbst in Steinachs Stille hinein
-tönte ihr Brausen.</p>
-
-<p>Frau Fries hörte es. Sie hörte das Ticken der
-Wanduhr, das schwere, lange Schlagen des eigenen<span class="pagenum" id="Seite_174">[174]</span>
-Herzens die lange Nacht hindurch. Endlich, als der
-Morgen sich aus den Schleiern der Nacht löste, hielt
-sie es nicht mehr aus im Zimmer, sie rüstete sich zum
-Ausgang und stieg leise die Treppe hinab. Sie wollte
-Besenmüllers nicht stören, aber unten am Fuß der
-Treppe tat sie doch einen Schrei, denn sie stieß an
-einen weichen, dunklen Gegenstand. Zusammengerollt
-lag da etwas am Fuß der Treppe.</p>
-
-<p>»Meine Güte, nä, unsre alte Frau Lehrerin!«
-Frau Besenmüller hatte auch nicht schlafen können
-vor Herzeleid um den Krieg. Sie riß ihre Türe auf
-und zündete ein Streichholz an, der Flur lag noch in
-tiefem Schatten. »I nä, so was,« schrie sie, »da liegt
-ja woll ’n Junge und schläft.« Zisch, entzündete sie
-noch ein Hölzchen, und in dem kleinen Licht erkannte
-Frau Fries Fritze Schwetzer in dem Schlafenden.</p>
-
-<p>»Still, still, Frau Besenmüller,« mahnte sie rasch,
-»wir wollen den Buben nicht wecken, ich trag’ ihn in
-mein Zimmer.«</p>
-
-<p>»I nä!« Frau Besenmüller sperrte den Mund
-weit auf, noch schiefer als sonst wurde der. Sie war
-so verdutzt, daß sie nichts mehr zu sagen wußte, sondern
-vor lauter Verwunderung half, Fritze hinauf in das
-Wohnzimmer von Frau Fries zu tragen. Auf das
-schöne, moosgrüne Samtsofa wurde der Bube gelegt,<span class="pagenum" id="Seite_175">[175]</span>
-und wieder sagte Frau Besenmüller nur »I nä!«
-Weiter nichts.</p>
-
-<p>»Gehen Sie leise aus dem Zimmer,« bat Frau
-Fries, und Frau Besenmüller tat, als wäre die Elfenkönigin
-ihre Muhme, so schwebte sie. Dabei stieß sie
-freilich an den Tisch, rannte zwei Stühle fast um, eckte
-am Schrank an, die Tür rutschte ihr aus und fiel
-krachend in das Schloß, und zuletzt purzelten noch ihre
-Holzpantoffeln die Treppe hinab, sie selbst glücklicherweise
-nicht. Aber all dies Gepolter, Gekrach und Gelärm
-störte Schwetzers Fritze nicht, der schlief ruhig
-weiter auf dem grünen Samtsofa, so ruhig, als wäre
-das sein Bett.</p>
-
-<p>Frau Fries saß neben ihm und freute sich über
-den kleinen stummen Gast. Wie er nur in das Schulhaus
-gekommen war? Ob er sie vielleicht hatte beschützen
-wollen und darum auf der Treppe geschlafen
-hatte? Trotz ihres Leides mußte die Frau lächeln,
-und sanft streichelte sie den Buben ein wenig. Von
-Frau Besenmüllers Gepolter war der nicht erwacht,
-aber das sachte Streicheln machte ihn munter, er reckte
-und streckte sich und sah dann die alte Frau Lehrerin
-namenlos verwundert an. Wo kam die nur auf einmal
-her, und warum war sein Bett ein grünes Sofa
-geworden? Aber Frau Fries verstand es mit einem<span class="pagenum" id="Seite_176">[176]</span>
-zu reden, der für jedes Wort Vorspann braucht. So
-nach und nach kam es heraus, Fritze hatte wirklich
-seines Lehrers Mutter bewachen wollen und hatte sich
-darum an die Treppe gelegt. Daheim war er so in
-der Mitte drin. Ein paar große Schwestern gab es
-und ein paar winzige Brüderlein, und in dem lebhaften
-Haus hatte es wohl niemand gemerkt, daß er
-fehlte.</p>
-
-<p>»Wer im Schulhaus schläft, muß auch drin frühstücken,«
-meinte Frau Fries. Sie richtete den Kaffeetisch,
-und Fritz saß nachher daran wie ein Großer,
-nein, eigentlich wie ein Graf, dachte er. Und dann
-entdeckte seine neue Freundin ein Loch in seiner Jacke,
-das flickte sie ihm noch zu, und darüber wurde es dem
-Buben immer heimatlicher im Schulhaus. Er seufzte
-ein wenig, als Frau Fries sagte: »Nun mußt du aber
-nach Hause gehen.«</p>
-
-<p>»Hm!« &ndash; eine lange Pause &ndash; »nachmittag komm’
-ich wieder.«</p>
-
-<p>»Das ist recht so, also auf Wiedersehen!« Frau
-Fries lächelte wieder, und als ihr Besuch die Treppe
-hinabstapfte, dachte sie: »Wenn es doch schon Nachmittag
-wäre!«</p>
-
-<p>Sie brauchte sich freilich nicht vor der Einsamkeit
-zu fürchten, denn sie blieb nicht allein. Kaum war<span class="pagenum" id="Seite_177">[177]</span>
-Schwetzers Fritze mit hocherhobenem Kopf stolz an
-Frau Besenmüller vorbei zur Türe hinausgegangen,
-da tat sich die Türe schon wieder auf. »Als ob’s Schultag
-ist,« brummelte Frau Besenmüller. Diesmal war es
-Pfarrers Regine. Die kam in ihres Herzens Not zu
-Frau Fries. Sie wollte auch hinaus, wollte draußen
-pflegen, helfen, ihre Kräfte regen, den Sturm miterleben,
-nicht im Winkel in der Stille sitzen bleiben.
-Aber ihre Mutter war krank; konnte sie die verlassen?</p>
-
-<p>»Wie sollte das werden, wenn jeder von seinem
-Posten davonlaufen möchte?« gab ihre alte Freundin
-zur Antwort. »Wer daheim Pflichten hat, muß erst
-die erfüllen.«</p>
-
-<p>»Aber draußen wird es so viel Arbeit geben, so
-viel Leid und Not!« klagte Pfarrers Regine.</p>
-
-<p>»Warten Sie nur ab, mein Kind, das Leid kommt
-auch zu uns, auch hier wird es Arbeit geben, hier
-werden Sie trösten und helfen können.«</p>
-
-<p>Klipp, klapp ging’s draußen, und Frau Besenmüller
-lief ins Zimmer hinein. Sie vergaß alle Höflichkeit,
-vergaß anzuklopfen, sie jammerte laut: »Bei Traugotts,
-den Müller-Traugotts, ist ’n kleines Mädel angekommen,
-un nu muß heut’ der Mann weg un beide
-Knechte. Nä, und die Male, was das Mädchen ist,<span class="pagenum" id="Seite_178">[178]</span>
-heult, weil ihr Schatz mit muß. Sie will nach Wiesen
-gehen, Abschied nehmen. Nä, so was!«</p>
-
-<p>Da küßte Pfarrers Regine die alte Frau Lehrerin
-und sagte tapfer: »Ich will zu Traugotts gehen und
-der Frau helfen. Ich will in Steinach bleiben auf
-meinem Posten.«</p>
-
-<p>Klipp, klapp ging’s wieder draußen. Diesmal
-klopfte der Besucher an, fest und laut, Frau Besenmüller
-riß die Türe auf und schrie: »Nä, so was, nu
-ist Schwetzers Fritze schon wieder da!«</p>
-
-<p>»Ich darf bleiben.« Fritze druckste die Worte heraus
-und sah strahlend zu seiner neuen Freundin auf.</p>
-
-<p>»Ih, das könnt’ uns gerade passen,« knurrte Frau
-Besenmüller, »so ’n Nichtsnutz zur Ferienzeit im Schulhaus!
-Nä, git’s nicht, raus mit dir!«</p>
-
-<p>»Frau Besenmüller möchte gern Wasser getragen
-haben, Fritze; willst du das wohl tun?« fragte Frau
-Fries in ihrer sanften Weise.</p>
-
-<p>»Hm,« Fritze nickte nur. Er wußte, wo die Eimer
-standen, wußte, wo der Brunnen war; die alte Frau
-Lehrerin wünschte es, also ging er und trug Wasser.
-Frau Besenmüller aber saß in ihrer Küche auf der
-Ofenbank und sagte nur immerzu: »Nä, so was, die
-Welt dreht sich um und um, nu trägt mir Schwetzers
-Fritze Wasser, und draußen ist Krieg.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_179">[179]</span></p>
-
-<p>Frau Besenmüller gab dann freilich das Verwundern
-bald auf, zu viele Wunder geschahen in dieser
-Zeit. Da schwiegen im Lande Streit und Hader, eigensüchtige
-Ichmenschen wurden freundliche Helfer, alle
-dachten sie nur: »Das Vaterland ist in Gefahr, Herr
-Gott, hilf uns!«</p>
-
-<p>Die Glocken sangen über die Lande, Fahnen
-wehten: Sieg, Sieg! In den Siegesjubel hinein aber
-tönte die Klage: »Ostpreußen in Not, in Ostpreußen
-hausen die Russen, als wären die Zeiten des Dreißigjährigen
-Krieges angebrochen.«</p>
-
-<p>Pfarrers Regine lüftete die Fremdenzimmer,
-überzog Betten, suchte Truhen und Schränke durch,
-das Pfarrhaus wollte Flüchtlinge aufnehmen. Frau
-Fries aber ging von Haus zu Haus, und Schwetzers
-Fritze folgte ihr. Sie bat um alles, was Hausfrauen
-entbehren konnten, der Landsleute Not in Ostpreußen
-zu lindern. Die Steinacher Bäuerinnen gaben gern,
-und im Schulhaus wurden Kisten gepackt für die Ostpreußen.
-Dazwischen kamen die Frauen aus dem
-Dorfe und fragten: »Wie machen wir’s, daß unsere
-Männer und Söhne alles richtig ins Feld bekommen?
-Dies soll verschickt werden und das; wie packen wir es
-ein? Was schreiben wir darauf?«</p>
-
-<p>Und immer wußte Frau Fries Rat. Frau Besenmüller<span class="pagenum" id="Seite_180">[180]</span>
-brummelte freilich: »Unsere alte Frau Lehrerin
-soll ja wohl zehn Hände und fünf Köpfe hab’n. Nä,
-so was! Ein Getrample, ’s ist schlimmer, als wenn
-Schule wär’.«</p>
-
-<p>Und dabei rannte Frau Besenmüller doch selbst
-die Treppe auf, die Treppe ab, als wäre sie sechzehn
-Jahre, nur um ihrer Hausgenossin zu helfen. Am
-allerflinksten aber rannte sie, wenn sie von ferne den
-Briefträger erblickte, aber sie erreichte ihn nie zuerst,
-immer war Schwetzers Fritze schon da. Und Frau
-Fries erfuhr es schnell, wenn ein Brief von ihrem
-Sohne da war. »Ein Brief vom Herrn Lehrer,« gellte
-Fritzens Stimme auf. Vielfaches Echo antwortete, von
-da und dort kamen Mädel und Buben gelaufen, und
-der Brief war wie ein König, der mit großem Gefolge
-in sein Schloß einzieht.</p>
-
-<p>Doch wie im Lehrerhaus, so wartete beinahe in
-jedem Bauernhaus eine Mutter, eine Frau auf ein
-Wort, das von draußen hereinklang. Der alte Briefträger
-Klöppel hatte kurz vor dem Kriege sein Amt
-aufgegeben gehabt. Er lief nun aber wieder mit der
-Tasche, weil die jungen Männer alle draußen waren,
-dachte unterwegs immer an die Briefe und Karten, die
-er trug. Der hat geschrieben und der, überlegte er,
-aber die Knöpfle wird warten, je, je, so lange kein<span class="pagenum" id="Seite_181">[181]</span>
-Brief! Von Pfarrers schreibt nur einer, eigentlich müßten’s
-zwei heute sein. Warum schreibt der andere
-nicht? Ist dem was zugestoßen?</p>
-
-<p>Früher hatten die Steinacher Mädel und Buben
-sich kein bißchen um Briefe gekümmert, das waren für
-sie Dinge, an denen nur Erwachsene Freude hatten.
-Jetzt war es auf einmal anders geworden, und als
-Schwetzers Fritze selbst vom Herrn Lehrer eine Feldpostkarte
-bekam, da beschlossen alle seine Kameraden
-und Kameradinnen: »Wir schreiben auch, wir woll’n
-auch was kriegen.«</p>
-
-<p>Etliche liefen auch geschwind zu der ganz kleinen,
-dicken Krämersfrau Laura Langbein und verlangten
-einen feinen Bogen, aber nur etliche feine Bogen
-wurden Briefe, die in den Krieg reisen konnten, auf
-den andern wimmelten die Kleckse nur so herum wie
-Fliegen auf einem Honigbrot.</p>
-
-<p>Schwetzers Fritze hatte zwar drei Bogen verschrieben,
-aber zuletzt hatte er doch einen vier Seiten
-langen Brief fertiggebracht. Freilich standen auf jeder
-Seite nur fünf Wörter, doch das schadete nichts. Brief
-ist Brief, und stolz zeigte er seinem Freund Arne das
-Schriftftstück.</p>
-
-<p>»Fein,« lobte der, »aber Briefe schreiben ist nischt,
-ich geh’ selbst raus. Willste mit?«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_182">[182]</span></p>
-
-<p>»Nä.« Fritze sah den Freund verdutzt an, er
-schüttelte bedachtsam den Kopf, das ging doch nicht.</p>
-
-<p>Webers Arne war anderer Meinung. Er hatte
-sich schon alles fein ausgedacht, einen richtigen Kriegsplan
-hatte er entworfen, und eifrig erzählte er, wie
-er es machen wollte. Höchst einfach war es. »Gehste
-mit?« fragte er wieder.</p>
-
-<p>»Nä,« gab Fritze zur Antwort.</p>
-
-<p>»Bist dumm,« brummte Arne und erzählte weiter.
-»Gehste mit?« fragte er zum dritten Male, und wieder
-rief Fritze: »Nä.«</p>
-
-<p>»Och, so feige!« kreischte Arne. Doch da verlor
-Fritze die Geduld, puff, puff ging’s los. Einmal lag
-Arne unten, einmal Fritze. Weil sie ziemlich gleich
-stark waren, bekam jeder Prügel. Der Kampf blieb
-unentschieden, weil Frau Besenmüller mit ihrem
-Wappenzeichen, einem Besen, dazwischentrat; mit
-Frau Besenmüller wollten sie aber beide nicht kämpfen.
-Sie ließen sich los. Arne raffte seine Mütze vom
-Boden, Fritze nahm den Brief vom Fenstersims, auf
-das er ihn vorsichtig gelegt hatte, und im Davonlaufen
-schrie der eine noch: »Ich geh doch!« und der andere:
-»Nä.«</p>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_183">[183]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Zwoelftes_Kapitel"><img src="images/illu-190.jpg" alt="" /><br />
-<span class="s80">Zwölftes Kapitel</span><br />
-Zwei wollen Helden sein</h2>
-
-<div class="h2cnt">
-<p>Frau Besenmüller sagt, es wären hundertvierunddreißig
-Strümpfe, und an einem Tag werden vier Strümpfe und
-zwei Buben vermißt &ndash; Zimplichs Max will auch hinaus &ndash;
-Malchen Hinzpeter denkt nicht ans Mundhalten, und ein Bahnwagen
-fährt nicht immer dahin, wohin die Reisenden wollen &ndash;
-Hindenburg unterhält sich nicht mit den Steinacher Buben,
-und Antwerpen fällt</p>
-</div>
-</div>
-
-<p class="drop">Die Ruhestunden waren knapp in diesen ersten
-Kriegswochen. Doppelte Last lag auf den Schultern
-der Daheimgebliebenen, und in Steinach mußten
-auch die Kinder helfen die Ernte einbringen. Die
-Ferien gingen vorbei, die keine Ferien gewesen waren,
-aber die Schule begann nicht, der Lehrer fehlte. Zum
-lustigen Spiel blieb freilich wenig Zeit. Der Schelmenacker
-lag öde, und auf dem Schafskopf hätten die
-Geister der alten Schelme nach Herzenslust spuken
-können, es störte sie niemand. Selbst Besenmüller saß
-nicht mehr auf der zerbröckelten Mauer im Sonnenschein,
-der blieb auf der Bank vor dem Schulhaus<span class="pagenum" id="Seite_184">[184]</span>
-sitzen. Da hörte er es doch, wenn es wieder einen
-Sieg gab, oder wenn einer von draußen geschrieben
-hatte. Dazu strickte er Strumpf um Strumpf, kein
-Weiblein im Dorf konnte es flinker und besser als er.
-Hatte er wieder ein paar Strümpfe fertig, dann seufzte
-er wohl und sagte zu seiner Frau: »So hab’ ich’s mir
-nu mein Lebtag gewünscht, immer Wolle zu haben,
-viel Wolle und stricken zu können alle Tage. Nä, und
-nu macht’s mir kein rechtes Vergnügen.«</p>
-
-<p>Eines Tages wusch Frau Besenmüller siebenundsechzig
-Paar rosenrote und himmelblaue Strümpfe und
-hing sie vor dem Schulhaus zum Trocknen auf. Sie
-fürchtete, sie könnten abfärben, und rote und blaue
-Beine sollten die Feldgrauen draußen nicht bekommen.
-»Sie werden sich ohnehin ärgern über die bunten
-Strümpe,« klagte die Frau, als sie die stattliche Reihe
-überschaute.</p>
-
-<p>»I nä, Lydia,« tröstete Besenmüller, »ob ’n rotes
-oder blaues Bein im Stiefel steckt, ist gleich. So sehr
-ich for Strümpfe bin, Stiefeln sin die Hauptsache.«</p>
-
-<p>»Du hast alleweil recht,« sagte seine Frau. Sie
-schaute bewundernd auf die bunte Pracht, wie ein Festschmuck
-sah sie aus. »Hundertvierunddreißig Strümpe,«
-rief sie stolz, »nä, die beim Roten Kreuz werden
-staunen!«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_185">[185]</span></p>
-
-<p>»Hundertdreißig,« brummelte Schwetzers Fritze
-von der Tür her. Dort saß er und wartete auf Frau
-Fries; inzwischen hatte er die Strümpfe gezählt.
-»Hundertvierunddreißig, du Naseweis,« rief Frau
-Besenmüller ärgerlich, »was ich weiß, das weiß ich.«</p>
-
-<p>»Nä, hundertdreißig.« Fritze blieb dabei.</p>
-
-<p>Traugotts Hanne ging just vorbei, und Frau
-Besenmüller rief ihr zu: »Hanne, wieviel Strümpe
-hängen hier?«</p>
-
-<p>Hanne zählte stöhnend. »Hundertachtzehn!« rief sie.</p>
-
-<p>»Hundertdreißig,« schrie Fritze.</p>
-
-<p>»Hundertvierunddreißig,« zeterte Besenmüller.</p>
-
-<p>»Hundertdreiundfünfzig.« Hinzpeters Malchen
-war dazugekommen; sie hatte auch gezählt.</p>
-
-<p>»Hundertdreißig,« rief nun auch Besenmüller,
-»Fritze hat recht.«</p>
-
-<p>»Hundertvierunddreißig!« Frau Lydia wurde rot
-wie ein Krebs vor Ärger. »Unsere alte Frau Lehrerin
-hat sie vorhin gezählt, und die kann’s.«</p>
-
-<p>Zur rechten Zeit, so fanden alle, kehrte Frau Fries
-heim. Die zählte noch einmal und noch einmal, es
-waren und blieben aber wirklich nur hundertunddreißig
-Strümpfe, vier fehlten, denn auch Frau Fries
-sagte es, vorhin wären es so viel gewesen.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_186">[186]</span></p>
-
-<p>»Die sind weggeflogen,« sagte Hanne und sah sich
-rundum.</p>
-
-<p>»Da müßte der Wind gerade in deinem Korbe
-stecken,« spottete Besenmüller. Es wehte wirklich kein
-Lüftchen. Der Tag war warm und schön, er hätte ein
-Sommertag sein können, kaum war der Herbst zu
-spüren.</p>
-
-<p>»Die hat jemand geholt,« rief Frau Besenmüller
-zornig.</p>
-
-<p>»I nä, ich hab’ doch alleweil hier gesessen!« Ihr
-Mann schüttelte den Kopf. Wer sollte wohl in Steinach
-Strümpfe von der Leine wegtragen? Solche Untaten
-mochten in Städten vorkommen, in Steinach
-nicht.</p>
-
-<p>»Aber ’s waren doch hundertvierunddreißig,«
-jammerte Frau Besenmüller, als Frau Fries einwarf,
-sie könnte sich vielleicht auch verzählt haben.</p>
-
-<p>»Zählen, das kann ich, schreiben und lesen, nä,
-aber zählen fein. Und hundertvierunddreißig Strümpe
-waren’s.« Dabei blieb Frau Besenmüller, aber sooft
-sie es auch versicherte, die Strümpfe kamen nicht wieder,
-und es wußte ihr auch niemand zu sagen, wohin sie
-gekommen waren.</p>
-
-<p>Wenn vier Strümpfe auf einmal spurlos verschwinden,
-so ist das sonderbar, viel sonderbarer aber<span class="pagenum" id="Seite_187">[187]</span>
-ist es, wenn am hellen Tag zwei Buben aus einem
-Dorf verschwinden, als hätte die Erde sie verschluckt.</p>
-
-<p>Am Abend dieses schönen Herbsttages sagte Arne
-Webers Mutter ärgerlich: »Der Junge ist nicht heimgekommen,
-seit Mittag sitzt er nun bei Knöpfles.«</p>
-
-<p>Knöpfles Haus lag am andern Dorfende, man
-ging sechs Minuten bis dahin, und in Steinach nannten
-sie das einen weiten Weg. Frau Weber schickte
-daher auch keinen Boten aus; kam Arne nicht heim,
-so schlief er wohl im Knöpfle-Haus. »Morgen gibt’s
-Geschimpfe,« drohte nur die Mutter. Und um die
-gleiche Stunde sagte dies Frau Knöpfle. Auch sie war
-ärgerlich, daß ihr Jakobus seit Mittag bei Webers war,
-denn dahin hatte er gehen wollen.</p>
-
-<p>In dieser Zeit bedrängten die Bäuerinnen mancherlei
-Sorgen, und um die Kinder, die daheim geblieben
-waren, konnten sie sich weniger kümmern. Erst
-am nächsten Morgen &ndash; schon war viel Arbeit im Hause
-getan &ndash; lief von Webers zu Knöpfles und von Knöpfles
-zu Webers je eine Magd, die Buben heimzuholen.
-Die Botinnen kamen mit viel Geschrei zurück. Arne
-war nicht bei Knöpfles und Jackenknöpfle nicht bei
-Webers.</p>
-
-<p>Vielleicht waren sie bei Zimplichs, vielleicht bei
-der kleinen Krämersfrau Langbein, vielleicht da, vielleicht<span class="pagenum" id="Seite_188">[188]</span>
-dort? Erst war es ein Fragen ohne Sorgen,
-aber wie der Tag weiter vorschritt und immer mehr
-Leute im Dorf erklärten, sie hätten die Buben überhaupt
-nicht gesehen, da wurden die Mütter ängstlich.
-Wo waren die nur? »Vielleicht auf dem Schafskopf,«
-dachte der Bauer Weber, und er sagte nicht, wie jäh
-die Angst riesengroß in ihm wurde, die beiden könnten
-oben in dem alten Gemäuer verschüttet worden sein.</p>
-
-<p>Er stieg selbst hinauf mit seinem alten Knecht, so
-schnell er konnte, andere folgten, aber oben fanden sie
-alle nichts. Nicht einmal eine frische Fußspur war zu
-sehen. Die Hagebutten glänzten rot wie vor einem
-Jahr, als Heinrich Fries zum erstenmal auf dem Berg
-gewesen war.</p>
-
-<p>Waren die Buben in den Wald gelaufen und
-hatten sich dort verirrt? Steinacher Buben im Steinacher
-Wald verirrt! Es glaubte niemand recht daran,
-immerhin begann man im Walde zu suchen. Der
-Förster war eingezogen, nur der alte Waldhüter
-Michael war da, und der hatte an diesem Tage keinen
-Buben im Walde erblickt.</p>
-
-<p>Unten im Dorf vergaßen die Leute ihre Arbeit,
-je weiter der Tag vorschritt. Immer ungeheuerlicher
-erschien ihnen das Verschwinden der beiden Buben.
-Frau Besenmüller sagte wieder einmal zu ihrem Mann:<span class="pagenum" id="Seite_189">[189]</span>
-»Wenn uf emal zwei Buben un vier Strümpe verschwinden,
-dann hängt das zusammen.«</p>
-
-<p>»Hm!« &ndash; Besenmüller sah nachdenklich auf seinen
-Strumpf, aber plötzlich ließ er das Strickzeug fallen
-und schrie: »Lydia, die sind vielleicht zu den Soldaten
-gerannt!«</p>
-
-<p>Ein tiefer Seufzer gab Antwort. An der Türe
-stand Schwetzers Fritze, der hatte so schwer geseufzt.
-Besenmüller sah ihn durchdringend an. »Heda, mein
-Freund, du weißt etwas, raus mit der Sprache!«</p>
-
-<p>Das ging nun freilich nicht so flink, und Frau
-Besenmüller tat das Vernünftigste, was sie tun konnte,
-sie holte Frau Fries herbei. Die wußte so lind zu
-fragen, und nach etlichen schweren Seufzern gab Fritz
-endlich Antwort. »Die sin in ’n Krieg.«</p>
-
-<p>»Wie denn das?« rief Besenmüller. »Einfach so
-nein, haste nich geseh’n, da siehste, das geht doch niche.
-Wo sind sie hin?«</p>
-
-<p>»Weiß nich,« stöhnte Fritz, »in ’n Krieg.« Und
-dann heulte er auf einmal laut los, denn es tat ihm
-plötzlich bitter leid, daß er nicht mitgezogen war. Er
-wußte auch wirklich nicht viel mehr; schreiben wollten
-sie, wenn sie erst dort wären, und mit der Bahn
-fahren.</p>
-
-<p>»Gut, dann kriegen wir sie,« tröstete der Pfarrer,<span class="pagenum" id="Seite_190">[190]</span>
-als er das hörte. »Irgendwo werden sie eines Tages
-hungrig und verzagt aufgefunden und nach Hause zurückbefördert
-werden.«</p>
-
-<p>Nun riefen es die Drähte ins Land hinaus: In
-Steinach haben zwei Buben in den Krieg gewollt, sucht,
-sucht, sucht!</p>
-
-<p>Ein Tag verging und noch ein Tag, keine Kunde
-von den Verlorenen kam. Der Bahnvorsteher in Steinach
-hatte die beiden nicht gesehen, aber in Rothaus,
-dem nächsten Ort, hatten sich an dem Tage zwei Buben
-Fahrkarten bis zur Schnellzugshaltestelle L. genommen.
-So viel Geld mochten sie gehabt haben, aber mehr nicht.
-Wo waren sie dann hingekommen?</p>
-
-<p>In L. wußte erst niemand etwas von den beiden.
-Der Pfarrer und Bauer Weber &ndash; Jackenknöpfles
-Vater war auch im Feld &ndash; fuhren selbst hin, forschten
-und fragten. Viel wußte niemand, nur ein Bahnwärter
-erzählte, er hatte die beiden Buben gesehen,
-einer hätte ein Gewehr gehabt und jeder einen Schulranzen.</p>
-
-<p>»Das wird meine alte Windbüchse sein,« brummte
-der Bauer, »vor der läuft kein Hase mehr davon, geschweige
-’n Franzose.«</p>
-
-<p>Wo waren die Buben aber mit Ranzen und
-Schießgewehr hingekommen? In L. verlor sich ihre<span class="pagenum" id="Seite_191">[191]</span>
-Spur, Fahrkarten hatten sie dort nicht gelöst. Waren
-sie geradeswegs in die fremde Welt hineingelaufen?</p>
-
-<p>»Die finden wir schon,« sagten die Bahnbeamten.
-Und wieder surrte der Telegraph: Sucht, sucht, sucht,
-hier weinen Mütter in Angst um ihre törichten Buben.</p>
-
-<p>»So eine Not fehlt uns auch noch!« schalten in
-Steinach die Erwachsenen. Die Buben, von den sechsjährigen
-an, die redeten anders. »Vielleicht kommen
-sie doch in den Krieg,« sagten sie untereinander.
-»Wenn sie hinkommen und mittun, dann geh’ ich
-auch,« erklärte Zimplichs Max.</p>
-
-<p>»Ich auch, ich auch,« riefen dann gleich ein paar
-andere. Alle wollten sie gehen, und die Mädel schalten
-darob, fuchswild wurden die, waren bitterböse auf Arne
-und Jackenknöpfle und weinten, wenn es hieß: »Noch
-immer keine Nachricht.«</p>
-
-<p>»Im Krieg müssen Mädel den Mund halten,«
-sagte Zimplichs Max einmal hochmütig, als Hinzpeters
-Malchen und ihre Freundinnen auf Arne schalten.
-Aber Zimplichs Max mußte dann bald einsehen, daß
-Malchen auch in Kriegszeiten nicht an das Mundhalten
-dachte. Zehnmal versuchte Max, ihr zu antworten,
-er kam aber nicht dazu, und zu guter Letzt rief
-Fräulein Regine noch, es sei Strickzeit. Da rannten
-alle Mädel wie der Wind davon, Malchen drehte sich<span class="pagenum" id="Seite_192">[192]</span>
-noch auf den Hacken um und schrie verächtlich: »Wir
-stricken fürs Vaterland, aber ihr, ihr, was tut ihr
-denn?«</p>
-
-<p>Weg war Malchen, und alle Buben entrüsteten
-sich über diese Frechheit. Nä, die Mädel sollten nur
-sehen, wenn sie alle erst Arne und Jackenknöpfle folgten.
-Die kommen hin, ganz sicher, und vielleicht kriegen
-sie das Eiserne Kreuz, und vielleicht redet der Kaiser
-mit ihnen, und vielleicht fangen sie den Franzosenkaiser
-und&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>»Die haben doch keinen!«</p>
-
-<p>»Doch, sie haben einen!«</p>
-
-<p>»Ha, ich weiß es doch!« Zimplichs Max sah sich
-kampfbereit um, und Heine Langbein höhnte: »Nä,
-so dumm, das niche zu wissen!« Die Buben fuhren
-sich in die Haare, und Frau Besenmüller sagte zu Frau
-Fries: »Wenn nur erst wieder Schule wäre, ’s wird
-Zeit!«</p>
-
-<p>Und just um die gleiche Stunde ungefähr wurde
-in L. ein Güterzug zusammengekoppelt. Die Wagen
-wurden hin- und hergeschoben, sie pufften aneinander,
-endlich standen sie in Reih und Glied. Wie sie so stillhielten,
-klang aus dem einen heraus ein jämmerliches
-Gebrüll.</p>
-
-<p>»Je, je, was ist denn das?« Der Schaffner trat<span class="pagenum" id="Seite_193">[193]</span>
-erstaunt an den Wagen, riß die Türe auf, und heraus
-purzelten und schwankten bleich, verheult und zitternd
-Webers Arne und Jackenknöpfle.</p>
-
-<p>»Hopsassa, das sind ja die beiden Steinacher!«
-schrie der Mann. »Ja, wo kommt ihr denn her?«</p>
-
-<p>»Wir woll’n in ’n Krieg!« riefen beide etwas
-kläglich.</p>
-
-<p>»Na, das ist der nächste Weg, wenn ihr drei Tage
-hier auf dem Bahnhof sitzt. Wie seid ihr denn in den
-Wagen hineingekommen?«</p>
-
-<p>Tief seufzend erzählten die beiden ihre Schicksale.
-Sie hatten kein Geld gehabt, Fahrkarten zu lösen, und
-hatten sich heimlich auf den Bahnhof geschlichen. Hier
-hatten sie einen Wagen gesehen, an dem stand Straßburg,
-in den waren sie hineingekrochen. Kaum waren
-sie drin, hatte jemand den Wagen zugeschlossen, und
-die Fahrt war losgegangen. »Wir sind immerzu gefahren,«
-versicherte Arne. »Sind wir nun bald im
-Krieg?« fragte er bedrückt.</p>
-
-<p>»Im Krieg? Seid froh, daß der so ferne ist! In
-einer halben Stunde fährt der Zug nach Steinach, da
-seid ihr zum Vesperbrot daheim.« Der Bahnvorsteher,
-der dazugekommen war, lachte und erklärte den Buben,
-der Wagen sei zwischen L. und M. ein paarmal leer
-hin und her gefahren. Nun waren sie wieder in L.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_194">[194]</span></p>
-
-<p>Die beiden senkten die Köpfe wie die begossenen
-Pudel. So nahe waren sie der Heimat, waren gar
-nicht nach Frankreich gelangt. Heimlich frohlockte in
-ihren Herzen ein Stimmlein: »Wie gut, wie gut!«
-Aber darauf mochten sie nicht hören, und verzweifelt
-heulten sie los: »Wir woll’n in den Krieg!«</p>
-
-<p>»Wohin wollt ihr Dreikäsehoch?« Eine feste, starke
-Stimme fragte das; ein hochgewachsener, älterer Offizier
-war herangetreten, und der Vorsteher klärte ihm
-den Fall auf. »In den Krieg zieht man nicht mit
-dem Schulranzen.« Der Offizier sagte es ernst, aber
-er lächelte dabei. »Kommt einmal mit, ich will euch
-etwas vom Krieg erzählen, bis euer Zug kommt.«</p>
-
-<p>Die Bahnbeamten machten dem Offizier ehrerbietig
-Platz. Man sah es ihm an, er war schon
-draußen gewesen in Kampf und Not. Ganz verwirrt,
-geblendet von der Tageshelle nach dem langen Aufenthalt
-in dem dämmrigen Wagen, folgten die Buben.
-Sie bekamen Brot und Saftwasser, aber so hungrig
-und durstig sie auch waren, denn die Vorräte aus der
-Mütter Speisekammer hatten für die lange Reise nicht
-gereicht, sie vergaßen doch Essen und Trinken vor
-dem, was sie hörten. Von dem Krieg erzählte der
-fremde Offizier, von dem schweren, harten Kampf, dem
-verzweifelten Ringen gegen anstürmende Übermacht.<span class="pagenum" id="Seite_195">[195]</span>
-Im Osten hatte der Erzähler mitgekämpft, und er
-erzählte von verbrannten Dörfern, zerstörten Heimstätten,
-fliehenden Bewohnern, und er erzählte, wie
-unermüdlich deutsche Männer das Land verteidigten.
-Im Kugelregen, im nimmerruhenden Feuer hatten sie
-gestanden Stunden und Tage, und dann waren sie
-marschiert, Stunden um Stunden, Tage um Tage,
-hungernd, dürstend, aber sie hatten alle nur das eine
-gedacht: »Es ist fürs Vaterland.« Es hatte keiner geklagt,
-es war keiner verzagt, singend waren sie in den
-Tod gegangen. Und ob die Sonne glühend über ihnen
-brannte, ob sie durch Moor und Wasser waten mußten,
-ob der Regen sie durchnäßte, in Wunden und Schmerzen
-hatten sie nur an ihr Vaterland gedacht. Das war
-der Krieg, in den die Buben mit dem Schulranzen
-ziehen wollten.</p>
-
-<p>Die beiden Buben saßen still mit gesenkten Köpfen
-am Tisch. Der Fremde sagte nicht: Ihr seid recht dumme,
-unbedachte Jungen gewesen, was wollt ihr mit euren
-schwachen Kräften da draußen? Aber sie hörten beide
-doch in ihren Herzen diese Worte.</p>
-
-<p>»Nach Steinach, einsteigen,« rief der Schaffner
-ihnen zu.</p>
-
-<p>Der Offizier sprang auf und schob sie beide rasch
-dem Zuge zu. Sie wurden in einen Wagen gehoben,<span class="pagenum" id="Seite_196">[196]</span>
-die Türe wurde zugeschlagen, der Zug setzte sich in Bewegung,
-und die beiden sahen noch eine Weile den
-fremden Offizier groß und stattlich in der Sonne stehen.
-Wie ein rechter Held stand er da. Da stöhnte Arne
-schwer und sagte scheu: »Am Ende war das Hindenburg.«</p>
-
-<p>Jackenknöpfle schnappte nach Luft vor Überraschung.
-»Hindenburg!« Weiter konnte er zuerst
-nichts sagen, und auch Arne flüsterte es nur nach:
-»Hindenburg!«</p>
-
-<p>Der Gedanke an dieses ungeheure Erlebnis linderte
-ihren Kummer über die verfehlte Reise, auch
-die Angst vor dem Empfang daheim war nicht groß.
-Vielleicht hatten sie wirklich Hindenburg gesehen, nun
-konnten sie doch etwas erzählen. Zuletzt wuchs ihre
-Ungeduld, und sie konnten es kaum erwarten, wieder
-in Steinach zu sein. Als der Zug hielt, hatten sie es
-sehr eilig, den Wagen zu verlassen. Sie wollten rasch
-die Apfelstraße entlang laufen und ins Dorf stürmen
-mit dem Ruf: »Wir haben Hindenburg gesehen!«
-Fein würde das werden, &ndash; es kam aber anders. Auf
-dem Bahnsteig standen Arnes Eltern, Jackenknöpfles
-Mutter und der Pfarrer, denen liefen die beiden Ausreißer
-gerade in die Arme.</p>
-
-<p>Der Schreck darob fuhr ihnen in die Glieder, und
-es dauerte ein Weilchen, ehe sie reden konnten.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_197">[197]</span></p>
-
-<p>Wo sie gewesen wären, wollten die Erwachsenen
-wissen. Die hatten nur die Nachricht von L. bekommen,
-die Buben wären gefunden. Da mußten sie erzählen
-von ihrer Fahrt hin und her im Güterwagen von L.
-nach M. und wieder von M. nach L.</p>
-
-<p>»’n ganzen Tag sind wir gefahren,« versicherte
-Arne.</p>
-
-<p>»Unsinn, drei Tage! Ihr habt wohl immer geschlafen?«</p>
-
-<p>Ja, das mochte wohl sein, geschlafen hatten sie viel,
-auf Stroh und Decken, die im Wagen gelegen hatten.</p>
-
-<p>Was sie gegessen hätten, wollten die Mütter
-wissen.</p>
-
-<p>Das war eine peinliche Frage, denn Mütter lieben
-es nie sehr, wenn Kinder sich in die Vorratskammer
-schleichen. Arne half sich, er schrie: »Wir haben Hindenburg
-gesehen!«</p>
-
-<p>»Prahlhans!« Schwapp hatte er einen tüchtigen
-Katzenkopf weg. Sein Vater sah ihn zürnend an.
-»Geflunkert wird nicht!«</p>
-
-<p>»Vielleicht war er’s doch,« stammelte Jackenknöpfle.
-Recht kleinlaut erzählte er das letzte Erlebnis.
-»Ihr Dösköppe,« brummte Bauer Weber, »ein
-Hindenburg hat was anderes zu tun als mit zwei Ausreißern
-zu reden.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_198">[198]</span></p>
-
-<p>Der Pfarrer nickte ernst. »Der reist nicht im
-Lande herum, im Osten hält er Wacht. Gott sei Dank,
-der uns solchen Wächter gab!«</p>
-
-<p>Da war es nun nichts mit dem Sturm in das
-Dorf hinein, und doch kamen sie mit Jubel an. Denn
-kaum waren sie wenige Schritte von dem Bahnhöfchen
-entfernt, als der Vorsteher ihnen eiligst nachgelaufen
-kam. »Sie haben Antwerpen, Herr Pfarrer, Antwerpen
-ist unser, eben wird’s gemeldet.«</p>
-
-<p>Antwerpen erobert! Da vergaßen die Männer
-die Strafrede, und die Mütter hatten sie ohnehin schon
-vergessen in der Freude, ihre unnützen Buben heil
-wiederzuhaben.</p>
-
-<p>Froh ging’s ins Dorf hinein. Nun konnten die
-Glocken rufen und die Fahnen wehen: »Sieg, Sieg,
-Sieg!«</p>
-
-<p>Arne und Jackenknöpfle marschierten einher, als
-wären sie wirklich draußen gewesen, als hätten sie geholfen
-Antwerpen erobern. Sie hoben stolz die Nasen,
-und ein Weilchen fühlten sie sich beinahe als Helden,
-weil alle sie anstaunten. Aber nur ein Weilchen hielt
-der Stolz an, dann kam die Vergeltung für begangene
-Missetaten. Einem Racheengel gleich schoß Frau Besenmüller
-aus der Türe mit dem Rufe: »Meine Strümpe
-her! Wo habt ihr meine Strümpe?«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_199">[199]</span></p>
-
-<p>Die Buben wurden feuerrot, himmelgern hätten
-sie jetzt wieder im verschlossenen Güterwagen gesessen,
-es half aber nichts. Sie mußten ihre Ranzen öffnen,
-und da kamen wirklich die vermißten Strümpfe zum
-Vorschein. »Die waren doch für Soldaten, und weil
-wir doch Soldaten werden wollten, darum&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;«</p>
-
-<p>»Darum lirumlarum! Setzt euch auf den Schafskopf.
-Da paßt ihr hin, da habt ihr gleich den rechten
-Namen,« schrie Frau Besenmüller erbost. »Nä, so was,
-die scheenen Strümpe! Und gestimmt hat’s doch, hundertvierunddreißig.
-Ja, zählen, das kann ich. Aber
-Zeit wär’s, die Schule finge an, sonst kommen noch
-mehr Buben auf dumme Gedanken.«</p>
-
-<div class="figcenter" id="illu-206">
- <img src="images/illu-206.jpg" alt="" />
-</div>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_200">[200]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Dreizehntes_Kapitel"><img src="images/illu-207.jpg" alt="" /><br />
-<span class="s80">Dreizehntes Kapitel</span><br />
-Advent in Sorgen</h2>
-
-<div class="h2cnt">
-
-<p>Jemand kommt auf der Apfelstraße daher, und der alte Briefträger
-Klöppel sagt: »Morgen, morgen!« &ndash; Weihnachtspakete
-werden gepackt, und diesmal erzählt Vater Hiller eine Geschichte,
-und die Mütter denken an ihre Söhne, Malchen aber
-stimmt die Wacht am Rhein an</p>
-</div>
-</div>
-
-<p class="drop">Ein paar Tage nach Arnes und Jackenknöpfles
-Heimkehr war es, da kam vom Bahnhof her ein
-alter Mann die Apfelstraße entlang. Er ging ganz
-langsam, blieb auch einmal stehen und sah sich um,
-und obgleich es ein trüber Tag war und der Nebel
-die Ferne verhüllte, schien dem alten Mann doch alles
-sonderlich gut zu gefallen. Kurz vor dem Dorfe bogen
-von einem Feldweg etliche Kinder auf die Apfelstraße
-ein. Sie hatten Kartoffeln gegraben und sahen wie
-richtige Erdmännlein aus. Der Fremde blieb stehen
-und ließ die Kinder herankommen; die musterten ihn
-neugierig, aber nur wenige Augenblicke stutzten sie,<span class="pagenum" id="Seite_201">[201]</span>
-dann schrieen sie plötzlich alle wie aus einem Munde:
-»Herr Hiller, unser Herr Hiller!«</p>
-
-<p>Es war wirklich Vater Hiller und kein anderer,
-der da auf der Apfelstraße von Steinach stand und
-all die kleinen schmutzigen Hände herzlich in die seinen
-nahm. Die Kinder meinten, er sei zu Besuch gekommen,
-aber bald erfuhren sie es, Vater Hiller wollte wieder
-ihr Lehrer sein. Er wollte seinen jungen Nachfolger
-vertreten, bis der heimkam.</p>
-
-<p>»Vater Hiller ist wieder da!« Der Ruf lief durch
-Steinach wie eine Siegesnachricht, und wie bei einer
-solchen strömten die Leute aus den Häusern. Vater
-Hiller war da, ihr alter, guter Vater Hiller, den mußten
-sie doch sehen. Dem alten Mann streckten sich so
-viele Hände entgegen, so viele Leute kamen, ihm guten
-Tag zu sagen, daß er nur ganz langsam vorwärts kam.
-Frau Besenmüller im Schulhaus verging fast vor Ungeduld.
-»Keinen Empfang, nischte nich hat er gewollt,
-un nu is ’n Lärm im Dorfe wie beim Vogelschießen,«
-schalt sie. Die große Schulglocke hatte sie im Arm,
-denn damit wollte sie den alten Lehrer begrüßen.
-Tüchtig klingeln wollte sie, die Glocke sollte rufen:
-»Hurra, hurra!« Endlich näherte sich der Zug langsam
-dem Schulhaus, und nun hielt es Frau Besenmüller
-nicht mehr aus, sie wollte ihr Freudenklingeln<span class="pagenum" id="Seite_202">[202]</span>
-beginnen, aber ihre Hände zitterten vor Aufregung,
-die Klingel entrutschte ihr und kollerte Vater Hiller
-vor die Füße.</p>
-
-<p>Der hob sie lächelnd auf. »Ei, die kann es wohl
-nicht erwarten?« sagte er heiter und schwenkte sacht
-die Klingel. Die tönte ein wenig, nur als wollte sie
-fein bescheiden »Willkommen!« sagen.</p>
-
-<p>So zog Vater Hiller ohne stürmisches Klingelgeläut
-in seinem lieben Schulhaus wieder ein, und am
-nächsten Morgen stand Frau Besenmüller wieder vor
-der Türe, wie schon viele Jahre, und die Glocke schrie:
-»Es ist Zeit, Zeit, die Schule fängt an! Fleißige und
-Faule herbei, herbei!«</p>
-
-<p>Die Kinder kamen gern, und als die so lange verschlossene
-Schulstube sich wieder auftat, da wurde es
-ihnen ganz heimatlich zumute. Auf einmal behaupteten
-sie alle miteinander, sie hätten die Ferien schon
-recht satt gehabt; aber auf die Weihnachtsferien freuten
-sie sich doch alle.</p>
-
-<p>Den Erwachsenen war es nicht weihnachtlich ums
-Herz in diesem Jahr. Die horchten alle hinaus, hin
-nach des Reiches Grenzen. Immer weiter tobte dort
-der Kampf. Der November kam mit grauen, trüben
-Tagen, da kehrte Trauer ins Pfarrhaus ein: der älteste
-Sohn war gefallen. Der alte Briefträger sagte, als er<span class="pagenum" id="Seite_203">[203]</span>
-die Nachricht überbrachte: »Es ist eine schwere Zeit
-für unsereinen, man trägt so viele Sorgen aus.« Dabei
-sah er trüb nach dem Schulhaus hinüber. Da
-drinnen wartete Frau Fries seit zehn Tagen auf einen
-Brief des Sohnes. »Morgen kommt der Brief,« versicherte
-der alte Briefträger, »morgen sicher.«</p>
-
-<p>Am nächsten Tage &ndash; gegen Mittag kam die Post
-erst ins Dorf &ndash; rannte Fritze Schwetzer weit hinaus
-auf die Birnenstraße; von dorther kam der Bote, vielleicht
-brachte er heute den ersehnten Brief.</p>
-
-<p>Der Alte winkte schon von weitem abwehrend mit
-der Hand. »Gibt nichts, morgen, morgen &ndash; vielleicht.«</p>
-
-<p>Schwetzers Fritze raste zurück. Vor dem Schulhaus
-stand schon Frau Fries, da tat es der Bube dem
-alten Briefträger nach, schüttelte auch mit dem Kopf:
-»Morgen, morgen sicher!« Aber er sagte »sicher« dazu.</p>
-
-<p>Und wieder wurde es Mittag, und wieder wartete
-Schwetzers Fritze weit draußen auf der Straße, und
-der alte Bote schüttelte wieder den Kopf. »Heute nicht,
-aber morgen &ndash; vielleicht.«</p>
-
-<p>So ging es fort Tag um Tag. Einmal stand Fritze
-nicht mehr allein weit draußen, Pfarrers Regine stand
-neben ihm, die wollte auch wissen, ob Heinrich Fries
-nicht geschrieben hatte. Aber wieder schüttelte der
-Briefträger den Kopf. »Morgen &ndash; vielleicht,« sagte<span class="pagenum" id="Seite_204">[204]</span>
-er, wie schon so viele Tage, und dann seufzte er: »Eine
-schwere Zeit, schlimm, schlimm!«</p>
-
-<p>Tag um Tag verging so. Immer wieder lief
-Schwetzers Fritze hinaus, und Fräulein Regine ging
-mit ihm, und immer kehrten sie beide enttäuscht heim
-und sahen die alte Frau aus dem Schulhaus schon den
-Weg entlang kommen. »Kein Brief, keine Nachricht!«</p>
-
-<p>Dann endlich eine Karte von einem Kameraden.
-Heinrich Fries wurde vermißt. War er tot, war er
-gefangen? Man wußte es nicht.</p>
-
-<p>»Vermißt!« Es sah niemand in Steinach die alte
-Frau Lehrerin weinen, still tat sie ihre Arbeit, still
-half sie andern, aber wenn die Leute diese stille Frau
-durch die Gasse schreiten sahen, dann sagten sie zueinander:
-»Der bricht das Herz.«</p>
-
-<p>Im Pfarrhaus trauerten sie um den einen Sohn,
-aber die Pfarrersleute waren noch reich, und die junge
-Regine tat den Eltern alle Liebe an. Sie hatte aber
-auch immer noch Zeit, in das Schulhaus hinüber zu
-laufen, gerade wie Schwetzers Fritze, der halb im Schulhaus
-wohnte. Er machte seine Arbeiten an Frau Fries’
-Tisch, er half Frau Besenmüller, und wenn seine alte
-Freundin durch das Dorf ging, da ging er mit, immer
-drei Schritte hinterher. Redselig war Fritze noch
-immer nicht, aber mit Frau Fries unterhielt er sich<span class="pagenum" id="Seite_205">[205]</span>
-doch gut, da brauchte er nur drei statt zehn Worte zu
-sagen, gleich verstand sie ihn. Und wenn er einmal
-später kam, dann sah sie schon nach ihm aus, atmete
-tief und sagte wohl: »Gut, daß du da bist, Fritz!«</p>
-
-<p>Der erste Schnee sank auf Steinach nieder, und
-er blieb liegen und schmolz nicht gleich wie wohl in
-den großen Städten. Die Adventszeit brach an, und
-wenn die Kinder untereinander waren, dann redeten
-sie doch von Weihnachten, aber je näher das Fest kam,
-desto weniger wollten die Erwachsenen davon wissen.
-Und doch lud auch dieses Jahr Frau Fries die Kinder
-wieder zur Adventsfeier ein. Zu einem Arbeitsfest,
-sagte sie, alle sollten ihr helfen, Weihnachtsgrüße zu
-packen. Nach Ostpreußen sollten noch Pakete gehen,
-ins Elsaß und zu den Feldgrauen in die Schützengräben,
-in denen sie in Regen, Schnee, Sturm und
-Kälte hausten.</p>
-
-<p>Diesmal kamen die Kinder nicht allein, auch die
-Mütter kamen mit, und das große Schulzimmer war
-fast zu klein für alle Gäste. Besenmüller saß wieder
-im Winkel und strickte, jetzt aber einen grauen Strumpf,
-und die Bäuerinnen strickten auch. Die Kinder dachten
-alle, Besenmüller würde vielleicht eine Geschichte erzählen.
-Erst warteten sie still, dann fragten sie laut,
-doch Besenmüller schüttelte traurig den Kopf: »Nä,<span class="pagenum" id="Seite_206">[206]</span>
-nä, ich weiß nur was von den alten Schelmen, und
-das paßt nicht für heute.«</p>
-
-<p>»Keine Geschichte?« klagten die Kinder.</p>
-
-<p>Frau Fries seufzte. Eine Geschichte erzählen, ja,
-das gehörte zu einer Adventsfeier, aber ihr Herz war
-ihr so schwer, es tropfte und rann unablässig darin,
-es weinte. Vater Hiller saß auch im Schulzimmer,
-und als die Kinder so um ihre Geschichte klagten,
-da nickte er Frau Fries zu und sagte: »Ich will euch
-heute eine Geschichte erzählen, eine selbsterlebte dazu.
-Besenmüller sagt, eine Schelmengeschichte paßt nicht in
-diese Zeit, aber eine aus dem Krieg von 1870/71, die
-kann es wohl sein.«</p>
-
-<p>»Vater Hiller war nämlich dabei,« flüsterten sich
-die Bäuerinnen zu, und die Kinder spitzten die Ohren;
-hoho, ihr alter Lehrer war auch im Krieg gewesen.</p>
-
-<p>Der begann: »Die großen Schlachten des Krieges
-waren schon geschlagen, ihr wißt: Gravelotte, Sedan,
-all die herrlichen Siege. Wir lagen vor Paris. Ein
-kalter Winter war’s, wir haben weidlich gefroren, und
-wir hatten viel auszustehen. In Frankreich kämpften
-auch jene gegen uns, die nicht Soldaten waren, Männer
-und Frauen. Heimlich, hinterlistig suchten sie uns zu
-verderben; es sind ihnen viele von uns zum Opfer
-gefallen.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_207">[207]</span></p>
-
-<p>Im Quartier lag ich mit einem blutjungen Burschen
-zusammen. Heinrich will ich ihn nennen. Ein
-feiner, hübscher Junge war es, mit einem freien,
-hellen Blick. Dazu stimmte gar nicht sein stilles, verschlossenes
-Wesen. Es war leicht zu merken, er trug
-einen Kummer, der hatte ihn so ernst, fast finster gemacht.
-Durch einen Zufall erfuhr ich, was ihn quälte.
-Er war einer Witwe einziger Sohn, und er hatte sich
-das Hinausgehen ertrotzt. Von der Schule weg war
-er mitgegangen, nur kämpfen für das Vaterland, das
-war sein einziger Gedanke. Keine Mutterbitte hatte
-ihn gehalten.</p>
-
-<p>Seine Mutter war eine zarte Frau, die Sorge um
-ihr einziges Kind hatte sie aufgerieben. Sie war erkrankt,
-hatte es lange dem Sohn verborgen, bis der es
-durch Verwandte erfuhr. Da quälte ihn die Sorge so,
-daß er stumm und verschlossen darüber wurde. Immer
-wieder fragte er sich, ob er unrecht getan, daß er ging.
-Aber dem Vaterland zu dienen, war doch Pflicht und
-Ehre. Einen bitterschweren Kampf kämpfte der arme
-Junge in aller Stille durch.</p>
-
-<p>Es war um die Weihnachtszeit. Wir dachten viel
-an die Heimat, und manchmal, wenn wir so hinübersahen
-nach Paris, da sangen wir wohl halblaut die
-lieben deutschen Weihnachtslieder. Am dritten Adventssonntag<span class="pagenum" id="Seite_208">[208]</span>
-war es, da mußte Heinrich Wache stehen. Er
-hatte vorher noch nachgefragt, ob ein Brief für ihn gekommen
-sei. Nein, es war keiner da. Ich sah es ihm
-an, wie groß seine Enttäuschung war, und als er fort
-war, fiel es mir ein, heute war sein Geburtstag. Einmal
-hatte er halb scherzend, halb traurig gesagt, er sei
-ein Adventskind.</p>
-
-<p>Am Geburtstag keinen Brief von der Mutter zu
-erhalten, von der Mutter, die krank war, ihm vielleicht
-zürnte, das mochte hart sein. An diesem Tag
-erhielten wir dann zufällig noch eine Postsendung, eine
-Anzahl Briefe, einer für Heinrich war auch dabei. Ich
-nahm ihn an mich und wollte ihn später abliefern, aber
-wunderlich, der Brief in meiner Tasche machte mich
-unruhig. Ich war frei, und so überlegte ich nicht lange,
-ich ging dahin, wo Heinrich die Wache hatte. Lesen
-konnte er den Brief dort nicht, so hell war der Abend
-nicht, aber er wußte doch, die Mutter hatte geschrieben,
-schon das mochte ihn freuen.</p>
-
-<p>Ich ging also den Weg, ging ganz allein und dachte
-an die Heimat. Würde ich nächstes Jahr Weihnachten
-wieder daheim sein? Ein leises Geräusch, wie ein
-huschen von Schritten, ließ mich aufsehen. Ich sah
-vor mir zwei dunkle Gestalten auftauchen und verschwinden
-&ndash; Freischärler.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_209">[209]</span></p>
-
-<p>Ich spannte mein Gewehr, schlich langsam vorsichtig
-weiter, leise, ganz leise, und dann plötzlich sah
-ich seitwärts jemand knien, eine Büchse zielend gespannt
-in der Richtung, wo Heinrich auf Wache stand.
-Ich habe nicht lange überlegen können, laut rief ich:
-»Wer da?«</p>
-
-<p>Ein Schuß von mir, einer von dort, noch einer,
-der Mann überschlug sich, aber er mußte noch nicht
-schwer verletzt sein, ich sah zwei fliehende Gestalten.</p>
-
-<p>Rasch vorwärts! Heinrich, war mein Gedanke.
-Er war unverletzt. Mein Ruf hatte ihn aufmerksam
-gemacht, er hatte noch Deckung suchen können, er hatte
-auch geschossen, wußte aber nicht, ob er jemand getroffen
-hatte.</p>
-
-<p>Die Schüsse waren von unsern Leuten gehört
-worden, Hilfe kam herbei. Wir durchsuchten die Gegend,
-fanden aber niemand. Die Wache wurde verstärkt, und
-die Nacht ging ruhig vorüber.</p>
-
-<p>Den Brief habe ich Heinrich gegeben, den Brief
-der Mutter, der ihm eigentlich das Leben gerettet
-hatte. Nur um des Briefes willen hatte ich ihn aufgesucht,
-und ohne mein Dazwischenkommen wäre der
-Anschlag sicher geglückt. Am nächsten Tage hat mir
-Heinrich den Brief gegeben, es war ein lieber, mutiger
-Brief, ein rechter, herzwarmer Mutterbrief. Die einsame<span class="pagenum" id="Seite_210">[210]</span>
-Frau klagte nicht, mutig, tapfer schrieb sie dem
-Sohn. An seinem Geburtstag dankte sie ihm, daß er
-hinausgezogen war in den Kampf für das Vaterland.
-»Ich bin stolz auf dich, mein Junge,« schrieb sie ihm.
-»Und das ist so wundervoll, wenn eine Mutter dies
-an ihr Kind schreiben kann, schreiben darf: Ich bin
-stolz auf dich. Ich war schwach und kleinmütig, aber
-der Gedanke an meinen tapferen, pflichttreuen Sohn
-hat mich stark gemacht.«</p>
-
-<p>Heinrich ist heimgekehrt, seine Mutter hat auch
-sonst stolz auf ihn sein dürfen. Er lebt noch heute,
-das Vaterland nennt ihn einen seiner größten Gelehrten.
-Seine Mutter hat sich noch lange an ihm
-freuen können.«</p>
-
-<p>Der alte Lehrer schwieg. Die beiden Adventslichtchen
-auf dem dicken Kranz, der an roten Bändern
-von der Decke herabhing, flackerten, und ein Tannenzweiglein
-knisterte schwelend. Es war ganz still im
-Zimmer, feiertagsstill.</p>
-
-<p>Hinzpeters Malchen, die nicht singen konnte und
-doch so singlustig war, dachte, nun müsse man singen.
-Aber ein Weihnachtslied wollte ihr nicht aus der Kehle
-dringen, sie war viel zu kriegerisch gesinnt, und plötzlich
-tat sie ihren Mund auf und sang so falsch als möglich:
-Es braust ein Ruf wie Donnerhall&nbsp;…</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_211">[211]</span></p>
-
-<p>»Falsch,« riefen ein paar. Aber die andern redeten
-nicht, sondern fielen richtig ein, übertönten Malchens
-falsche Töne, und der Gesang schallte hinaus in
-die Winterstille. Ein paar Mütter saßen mit gesenkten
-Häuptern, und jede dachte, vielleicht behütet auch
-meinen Sohn mein Denken und Gebet.</p>
-
-<p>Die Adventsfeier dehnte sich lange aus. So lustig
-war sie nicht wie vor einem Jahre, aber zuletzt gingen
-doch alle zufrieden heim. Sehr viele Pakete und Kisten
-waren gepackt worden, so viele fleißige Arbeit ruhte
-darin. Und doch sagte die alte Frau Lehrerin zu Pfarrers
-Regine: »Man muß noch mehr tun. Die Not
-ist groß!«</p>
-
-<p>Frau Weber, Arnes Mutter, war eine kluge,
-tätige Frau, die es auch verstand, über Steinachs
-Grenzen zu schauen. Sie hatte zudem Verwandte
-drinnen im Elsaß, und sie erzählte allerlei, wie es
-dort zuging. Befreien wollten die Franzosen das Land,
-so sagten sie, und hausten darin, daß es zum Erbarmen
-war.</p>
-
-<p>Pfarrers Regine hatte einen Brief mitgebracht,
-den eine Freundin der Mutter geschrieben hatte. Aus
-Ostpreußen kam er, darin wurde erzählt, wie die
-Russen gekommen waren über Nacht, und wie alles
-in Flammen aufgegangen war. Und von der Russennot<span class="pagenum" id="Seite_212">[212]</span>
-kam das Gespräch wieder auf Held Hindenburg
-und auf andere Helden. Die Erwachsenen redeten, die
-Kinder hörten zu, die Weihnachtslieder wurden vergessen,
-und erst als spät alle auseinander gingen,
-rauschte noch einmal das alte, schöne Lied auf: »Wie
-soll ich dich empfangen und wie begegnen dir?«</p>
-
-<p>Und dann tat Frau Besenmüller die Haustür auf,
-und alle gingen heim. Am nächsten Tag erhielt Frau
-Fries die Nachricht, ihr Sohn sei schwerverwundet in
-französische Gefangenschaft geraten. Wo er sei, ob er
-noch lebe, wußte man nicht. Verwundet und gefangen!</p>
-
-<p>Die Frau preßte die Hände an ihr Herz, festhalten
-mußte sie es, stark und tapfer sein. Noch lebte vielleicht
-der Sohn, vielleicht kehrte er ihr doch zurück.
-Am gleichen Tage seufzte der alte Briefträger wieder:
-»So lange trag’ ich nun schon die Post herum, aber
-so schwer war’s noch nie, nä, noch nie.« Er hatte in
-ein Haus in Steinach die Nachricht gebracht, daß der
-Mann gefallen sei. Der Schmiede-Franz war es, eine
-junge Frau weinte sich fast die Augen aus, und Frau
-Fries ging zu ihr und stand ihr bei in ihrer Not.</p>
-
-<p>Und so kam Weihnachten heran, und es war still
-und feierlich. Es war kein Freudenfest, aber die Herzen
-taten sich viel, viel weiter als sonst auf, den Heiland zu
-empfangen.</p>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_213">[213]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Vierzehntes_Kapitel"><img src="images/illu-220.jpg" alt="" /><br />
-<span class="s80">Vierzehntes Kapitel</span><br />
-Silvias Tat für das Vaterland</h2>
-
-<div class="h2cnt">
-
-<p>Warum Silvia Traugott keine Strümpfe strickt, und was sie
-alles tun will &ndash; Malchen sieht beinahe wie ein Junge aus,
-die Öllampe zerbricht, Fräulein Regine kommt, und zwei
-werden wieder die allerbesten Freundinnen</p>
-</div>
-</div>
-
-<p class="drop">Unter den Kindern von Steinach gab es ein Mädchen,
-das redete nicht viel mehr als Schwetzers
-Fritze. Aber während sich der Bube manchmal ärgerte,
-daß ihm das Reden gar so schwer wurde, fühlte sich
-Silvia Traugott so wohl in ihrer schweigsamen Stille
-wie jemand, der viele Stunden seines Lebens in einem
-schönen, blumenreichen Garten verträumt. Silvia war
-das einzige Kind ihrer Eltern, sie hatte aber Vettern
-und Basen genug, denn in Steinach saßen auf vier
-Höfen Traugotts, die waren alle versippt miteinander.
-In den Krieg hatte Silvias Vater nicht mitziehen
-können, er hatte ein steifes Bein von einem Sturz vom
-Wagen her, aber trotzdem wurde bei den Traugotts<span class="pagenum" id="Seite_214">[214]</span>
-nicht weniger vom Krieg gesprochen und nicht weniger
-daran gedacht als in andern Häusern.</p>
-
-<p>Immer saß Silvia still dabei. Sie fragte und
-sagte nichts, sie ging einher, als wäre kein Krieg auf
-der Welt. Ihre Mutter bekümmerte das manchmal,
-und sie mahnte oft: »Silvia, strick’ an deinem Strumpf,
-denk’ an die Soldaten draußen!«</p>
-
-<p>Dann strickte die Kleine wohl rasch ein paar
-Nadeln, aber meist ließ sie die Arbeit bald wieder
-sinken und träumte vor sich hin. »Traumsuse« nannte
-ihr Vater sie, auch Fräulein Regine sagte manchmal
-so, auch die mahnte: »Silvia, dein Strumpf! Willst
-du gar nichts für die Soldaten tun?«</p>
-
-<p>Dann wurde Silvia feuerrot; sehr traurig machte
-sie so eine Frage, denn sie hatte den sehnsüchtigen
-Wunsch, viel, sehr viel für die Soldaten, für das Vaterland
-zu tun. Silvia hatte einmal von einem Mädchen
-gelesen, das in großer Kriegsnot erschienen und allen
-voran in die Schlacht gezogen sei, um ihr Volk zum
-Sieg zu führen. Daran mußte Silvia immer denken,
-und sie hätte himmelgern auch so etwas getan. Oder
-sie wäre gern mitten in die Schlacht hineingelaufen
-und hätte den Soldaten Wasser gebracht oder die Verwundeten
-gepflegt. Seit Krieg war, dachte Silvia
-nicht mehr an ihre Märchen wie früher, sie träumte<span class="pagenum" id="Seite_215">[215]</span>
-nicht mehr mit offenen Augen von goldenen Schlössern,
-Königen, Prinzessinnen, von aller Lust und Pracht
-des Märchenlandes, sie dachte nur immer an den
-Krieg.</p>
-
-<p>Sie dachte, vielleicht kommen die Feinde einmal
-nach Steinach; ich merke es zuerst, dann rufe ich es
-im Dorfe aus, ganz laut, und in die Kirche renne ich
-und läute selbst die Glocke, und alle werden so gerettet.</p>
-
-<p>Die kleine Silvia wußte nicht viel von der Welt
-draußen, nicht, wie weit sich die Länder dehnen, sie
-dachte, im Kriege müßte es so zugehen wie in ihren
-Märchenbüchern: Puff, puff! und die Kriege waren
-gleich aus. Als dann Webers Arne und Jackenknöpfle
-ausgerissen waren, um geschwind in den Krieg hineinzulaufen,
-da klopfte ihr das Herz vor Sehnsucht. Sie
-wäre gern mitgezogen, und sie überlegte ganz ernsthaft,
-ob sie nicht nachrennen sollte. Sie lief auch die
-Birnenstraße entlang, denn Frau Besenmüller hatte
-gesagt, dorthin ginge es nach Frankreich. Wie sie aber
-so weit gelaufen war, daß sie Steinach nicht mehr sah,
-überfiel sie eine furchtbare Angst vor der weiten Fremde,
-und sie kehrte geschwind wieder um.</p>
-
-<p>Die Buben kamen zurück, und im Dorfe lachten sie
-über die verunglückte Reise in den Krieg. An diesem<span class="pagenum" id="Seite_216">[216]</span>
-Tage gerade las Silvias Vater einen Brief aus dem
-Felde vor, darin stand: »Vier Tage sind wir bis hierher,
-bis an die russische Grenze gefahren!«</p>
-
-<p>Vier Tage! Der kleinen Silvia verging aller Mut,
-jemals in den Krieg zu kommen und draußen Heldentaten
-zu verrichten, und da Steinach wirklich inmitten
-des deutschen Vaterlandes lag, sagten alle: »Zu uns
-kommt nie der Krieg. Gott sei Dank!«</p>
-
-<p>»Man kann auch im Lande Kriegsarbeit tun,«
-sagten die großen Leute. Silvias Mutter meinte:
-»Strick’ fleißig, jeder Soldatenstrumpf hilft den Krieg
-gewinnen.«</p>
-
-<p>Das verstand Silvia nun ganz und gar nicht.
-Was hatten die dicken, grauen, häßlichen Strümpfe
-mit glänzenden Heldentaten, mit Sieg und Ruhm
-zu tun?</p>
-
-<p>Als daher die Weihnachtspakete gepackt wurden,
-lag von jedem Mädel, das in Steinach stricken konnte,
-eine Arbeit dabei, nur Silvia Traugotts Strümpfe
-waren nicht fertig. Alle sagten, das sei eine Schande.
-Silvia schämte sich auch sehr, aber trotzdem träumte
-sie weiter von großen Taten, wenn sie stricken sollte,
-und vergaß darüber ihre Arbeit.</p>
-
-<p>Die Kinder redeten viel davon, daß ihr junger
-Lehrer Heinrich Fries gefangen sei. Silvia weinte<span class="pagenum" id="Seite_217">[217]</span>
-heiße Tränen um ihn. Sie meinte, er säße nun in
-einem finstern, dunklen Turm und müßte hungern.
-Wenn es nur nicht so weit gewesen wäre, und wenn
-sie nur den Weg gewußt hätte, sie wäre gleich zu ihm
-gewandert, hätte ihm Essen gebracht und ihn vielleicht
-auch befreit. Ja, wären nur die vielen dummen Wenn
-und Aber nicht gewesen, diese bösen Wörter, die sich
-stets so höhnisch in die allerschönsten Pläne hineinschieben!
-Immer, wenn Silvia sich etwas recht schön
-ausgedacht hatte, kam so ein Wort, nahm den Plan
-und riß ihn mitten durch, &ndash; ritsch, ratsch, nichts war
-es damit.</p>
-
-<p>Weihnachten kam, und Weihnachten verging. Die
-laute Freude schwieg, und viele, viele Tränen flossen
-an dem sonst so frohen Fest. Gabentische, die fast
-brachen unter der Fülle, kannte man auch in guten
-Jahren in Steinach nicht, aber in diesem Jahr lagen
-in den meisten Häusern nur wenige Geschenke unter
-dem Baum. Silvia bekam eine neue Schürze und
-ein Buch, das hatte eine Base aus der Stadt geschickt.
-In dem Buch stand, wie es vor hundert Jahren in
-Deutschland gewesen war, als jahrelanger Krieg das
-blühende Land verwüstet hatte. Was Silvia da las,
-verwirrte ihren kleinen Kopf ganz und gar. Da stand
-von einem Mädchen, das als Soldat mit in den Krieg<span class="pagenum" id="Seite_218">[218]</span>
-gezogen war, eine andere hatte sich ihre langen Haare
-abgeschnitten als Opfer für das Vaterland. Warum
-sie es getan, verstand Silvia zwar nicht recht, aber
-schön fand sie es, und sie träumte nun wieder davon,
-es dem schönen, blonden Edelfräulein von einst nachzutun.
-Es mußte doch etwas sehr Schönes, Großes
-sein, sich die Haare abzuschneiden, wenn es nach hundert
-Jahren noch in einem Buche erzählt wurde.</p>
-
-<p>Silvia dachte an die abgeschnittenen Zöpfe und
-nicht an ihren Strumpf, und als sie nach den Feiertagen
-zum erstenmal in die Strickstube ging, wie es
-Fräulein Regine nannte, da war der Strumpf noch
-immer nur ein unförmliches Ding. Die Strickstube
-tagte jetzt immer im Schulhaus, Frau Fries half dabei,
-und Besenmüller war Ehrengast. »Der sitzt da
-als Vorbild,« sagte seine Frau, »denn mein Besenmüller
-ist in der Strickerei, was Hindenburg for die
-Soldaten ist.«</p>
-
-<p>An diesem ersten Nachmittag las Frau Fries ein
-paar Briefe vor, die den weiten Weg von Frankreich
-und Rußland bis nach Steinach gereist waren, um den
-kleinen Mädeln von Steinach Dank für alle gestrickten
-Sachen zu sagen. Für alle war der Dank, nur für
-das Traumsuschen Silvia Traugott nicht. Ein Soldat
-schrieb, er hätte tagelang halb im Wasser gestanden,<span class="pagenum" id="Seite_219">[219]</span>
-hätte keine trockenen Strümpfe, gar nichts mehr
-gehabt, da wäre das Paket von Steinach gekommen,
-und er hätte weinen müssen vor Freude über alle
-die schönen Weihnachtsgaben. Frau Fries tat das
-Herz weh, als sie es las, so wie jener hätte sich ihr
-Sohn wohl auch gefreut, aber ihr Sohn war gefangen,
-noch hatte kein Gruß ihn erreicht. Sie wußte nicht
-einmal, ob er noch lebte, ob er nicht schon einsam und
-verlassen im Feindesland gestorben war.</p>
-
-<p>Die Mädel hörten alle nicht, wie das Mutterherz
-weinte, sie waren alle glückselig über die Briefe. Nun
-hatten sie doch etwas getan, hatten für das Vaterland
-gearbeitet. Sie alle, alle, nur eine nicht, Silvia nicht.</p>
-
-<p>Die saß wie erstarrt. So war es, wie der Soldat
-schrieb, im Wasser standen sie, nicht trocken wurden sie,
-und sie freuten sich, wenn sie Strümpfe bekamen, sie
-dankten dafür, als wären es die allerköstlichsten Dinge.</p>
-
-<p>»Ich glaube,« las nun Pfarrers Regine aus einem
-andern Briefe vor, »in Steinach gibt es nur fleißige
-Mädchen. Wenn ich heimkomme aus dem Krieg, dann
-komme ich auch nach Steinach und bedanke mich bei
-allen.«</p>
-
-<p>»Bei dir nicht,« durchfuhr es Silvia, und ihr Kopf
-sank ganz tief auf den Strumpf herab. O die Schande!
-Sich verkriechen hätte sie mögen vor Scham.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_220">[220]</span></p>
-
-<p>»Ich hab’ beinahe wieder ’n Paar fertig,« schwätzte
-neben ihr Malchen Hinzpeter. »Fein, was?«</p>
-
-<p>Silvia gab keine Antwort, Tränlein um Tränlein
-rann auf das graue Wollgespinst nieder. Ihre
-Hände zitterten, und auf einmal bekamen die Nadeln
-die ungeschickten Hände satt, sie rissen aus, eine, dann
-noch eine, die dritte hielt Malchen auf. Die sah das
-Unheil und sah Silvias Schmerz, und hilfsbereit sagte
-sie schnell: »Ich helfe dir.«</p>
-
-<p>Silvia hörte das kaum. In ihr stürmte es. Nichts,
-nichts hatte sie für das Vaterland getan, gar nichts,
-und doch hatte sie so viel tun wollen. Immer heftiger
-rannen ihre Tränen, und Malchen tröstete: »Die fang’
-ich schon, wein’ doch nicht!«</p>
-
-<p>Aber Silvia dachte gar nicht an die entwischten
-Nadeln. Das Herz brannte ihr. Oh, nur etwas tun
-können für das Vaterland, nur zeigen dürfen, wie gut
-ihr Wille war! Ganz jäh kamen ihr die abgeschnittenen
-Zöpfe des blonden Edelfräuleins in den Sinn. Ihre
-waren zwar dunkel wie die von Malchen, aber das
-schadete gewiß nichts. Zopf ist Zopf. Ihre Nachbarin
-hatte eine Schere vor sich liegen, die sah sie, obgleich
-ihr die Tränen fast den Blick verdunkelten. Ach, ein
-Zopf ist schnell abgeschnitten! Eins, zwei, drei, ritsch!
-nur flink gleich alle beide.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_221">[221]</span></p>
-
-<p>»Au!« kreischte Malchen neben ihr auf, »huhuhu,
-mein Zopf, mein Zopf! Silvia hat mei&nbsp;&ndash;&nbsp;&ndash;,« weiter
-kam Malchen nicht, sie brach in ein wildes Jammergeheul
-aus.</p>
-
-<p>Es war, als wäre ein Wirbelsturm in die Strickstube
-gefahren. Zuerst wußte im wilden Hinundher
-niemand, was geschehen war. Malchen schrie vor
-Schreck und Empörung immer lauter, ihre Nachbarinnen
-zeterten: »Der Zopf, der Zopf!« Nur Silvia
-stand leichenblaß, stumm inmitten des Wirrwarrs,
-zwei Zöpfe hielt sie in der Hand, der eine war braun,
-der andere schwarz, aber rote Schleifen hatten sie beide.</p>
-
-<p>»Traugotts Silvia hat Hinzpeters Malchen einen
-Zopf abgeschnitten, sich selbst aber auch einen.« So
-nach und nach erst bekamen Frau Fries und Fräulein
-Regine heraus, daß dies geschehen war. »Warum?
-Silvia, warum hast du das getan?«</p>
-
-<p>Silvia gab keine Antwort. Sie konnte nicht, sie
-tat ein paarmal die blassen Lippen auseinander, aber
-kein Laut kam hervor. Frau Fries sah es, die Kleine
-konnte nicht sprechen, sie nahm sie sacht bei der Hand
-und führte sie zu sich hinauf. Vielleicht erschloß sich
-ihr allein das scheue Herz. Aber Silvia brach oben
-nur in ein verzweifeltes Weinen aus, sie weinte und
-weinte und hörte auch nicht auf, als ihre Mutter kam.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_222">[222]</span></p>
-
-<p>Unten hatte sich Hinzpeters Malchen viel schneller
-über den verlorenen Zopf getröstet. Sie lachte schon
-wieder, als Silvia oben vor Leid noch fast verging.
-Zimplichs Lenchen hatte nämlich mitten in das Jammergeheul
-hineingerufen: »Jetzt biste beinahe wie ’n Junge.«</p>
-
-<p>Dies Wort trocknete wie der Wind Malchens
-Tränen. Wie ein Junge herumgehen dürfen, kurzgeschnitten,
-ohne Zöpfe, von denen man doch immer
-die Bänder verlor, das war noch eine Sache. Am
-liebsten hätte sie nun geschwind gleich den zweiten Zopf
-abgeschnitten, doch das litt Fräulein Regine nicht. Die
-schloß für heute die Strickstube und erklärte, sie selbst
-wolle Malchen heimbringen. Das wollten aber alle
-andern auch, und so wurde Hinzpeters Malchen wie
-eine Prinzessin heimgeleitet. Fräulein Regine trug
-selbst den abgeschnittenen Zopf und erzählte Frau Hinzpeter
-auch die merkwürdige Geschichte, und Malchen
-kam sich ungeheuer wichtig vor. Die Mutter sah nicht
-gerade erfreut aus, sie verwunderte sich sehr über Silvias
-Untat, aber sie war keine Frau, die viel unnütze
-Worte machte. »Meinetwegen mag auch der zweite
-Zopf herunter,« sagte sie, »so halbseitig kannste niche
-rumlaufen.« Und ritsch, ratsch schnitt sie den zweiten
-Zopf ab, und Malchen jauchzte laut, als wäre ihr das
-größte Glück widerfahren.&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_223">[223]</span></p>
-
-<p>Inzwischen war auch Silvia heimgekehrt unter dem
-Schutz der Mutter. Die hatte das weinende, zitternde
-Kind zu Bett gebracht und hatte neben ihr gesessen, bis
-sie meinte, es schlief.</p>
-
-<p>Aber Silvia schlief nicht. Die lag wach im allergrößten
-Herzeleid. Sie wußte kaum, worüber sie
-trauriger war, über den Zopf, den sie der Kameradin
-abgeschnitten hatte, oder über ihre Faulheit. Plötzlich
-fiel es ihr ein, wenn sie nun strickte, immerzu strickte,
-Tag und Nacht, dann wurden doch die Strümpfe fertig.
-Sie stand auf und tastete sich vorsichtig hinaus; sie
-wußte, wo Zündhölzer lagen und ein Öllämpchen stand,
-das holte sie sich, nahm ihr Strickzeug und begann zu
-stricken, Nadel um Nadel. Und auf einmal war der
-Strumpf fertig und gleich wieder einer und immer
-mehr und mehr, die türmten sich auf, ein Berg wurde
-es, ein hoher, hoher Berg, und oben saß Malchen Hinzpeter
-und schwang ihren Zopf; sie schlug damit auf die
-Strümpfe, und merkwürdig, das klirrte und klang, und
-Silvia schrie laut vor Schreck.</p>
-
-<p>»Aber Silvia, um Gottes willen, was ist das?«
-Silvias Mutter war von einem Klirren aufgewacht
-und hinübergelaufen in ihres Mädels Kammer. Da
-lag das Laternchen zerbrochen am Boden; glücklicherweise
-war es ausgegangen, und Silvia lag auf dem<span class="pagenum" id="Seite_224">[224]</span>
-Bett, ihren Strickstrumpf fest umklammernd. Sie war
-eiskalt, und danach wurde sie glühend heiß. Sie hatte
-heftiges Fieber, und in dem Fiebertraum klagte sie
-immer, sie wolle etwas für das Vaterland tun. Ein
-paar Tage war Silvia krank, und in dieser Zeit erschloß
-sich ihr Herzlein der Mutter, von ihrem Willen
-redete sie, viel, ja ungeheure Taten für das Vaterland
-zu vollbringen.</p>
-
-<p>»Lieber Himmel,« sagte Frau Traugott, »was
-kann so ein Dreikäsehoch in dieser furchtbaren Zeit
-tun!« Sie redete lind und gut zu ihrem Kind, und
-dann lief sie zu Pfarrers und holte Fräulein Regine
-herbei. Die kam auch, und sie wußte Silvia gut zu
-raten und zu helfen, sie hatte ja selbst anfangs gemeint,
-die stille Arbeit daheim in Steinach sei zu klein,
-zu unbedeutend.</p>
-
-<p>»Ich will stricken,« sagte Silvia demütig und sah
-sich wieder nach ihrem grauen Strumpf um.</p>
-
-<p>»Erst gesund werden,« riet Fräulein Regine, »dann
-kommst du wieder in die Strickstube.«</p>
-
-<p>Silvia seufzte bang. In der Strickstube war Malchen,
-da waren alle andern, die würden böse sein, würden
-spotten und lachen &ndash; wie schwer würde das sein!</p>
-
-<p>Aber es wurde gar nicht schwer, denn Malchen
-Hinzpeter hatte ein gutes kleines Herz, und als sie von<span class="pagenum" id="Seite_225">[225]</span>
-Fräulein Regine hörte, Silvia sei krank, da kam sie
-geschwind angelaufen. Sie versöhnten sich beide und
-waren Freundinnen wie zuvor nach Besenmüllers
-Wort, der immer sagte: »Beim Dummtun und Bösesein
-kommt nischte nich heraus.« Immer wieder versicherte
-auch Malchen: »Fein is das ohne Zöpfe!«</p>
-
-<p>Freilich, bei Silvias erstem Schulgang wollten die
-Buben spotten über die zopflosen Mädel, aber da kamen
-sie bei Malchen schlecht an. Der ihr flinkes Zünglein
-gab jedes Wort doppelt zurück, und zuletzt rief sie stolz:
-»Und die Zöpfe wer’n verkauft, un für das Geld gibt’s
-Wolle, und da stricken wir Strümpfe davon!« Sie sah
-die Necklustigen strafend an. »Könnt ihr so was?«</p>
-
-<p>Nein, Zöpfe konnten sie sich nicht abschneiden, und
-Strümpfe konnten sie auch nicht stricken; trotz Besenmüllers
-Vorbild.</p>
-
-<p>»Aber wir gehen selbst in ’n Krieg,« schrie Zimplichs
-Max.</p>
-
-<p>»Ja, und ihr schlaft bei Tage in der Eisenbahn,
-un denn seid ihr wieder da!« Da behielt Malchen das
-letzte Wort, und Silvia sah bewundernd zu der mutigen
-Freundin auf. Wie die wollte sie werden, und fortan
-strickte sie auch Strümpfe wie die andern Mädel von
-Steinach, dicke, graue Soldatenstrümpfe.</p>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_226">[226]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Fuenfzehntes_Kapitel"><img src="images/illu-233.jpg" alt="" /><br />
-<span class="s80">Fünfzehntes Kapitel</span><br />
-Die Krone</h2>
-
-<div class="h2cnt">
-
-<p>Der alte Briefträger kommt nicht, und Fritze geht ihn suchen &ndash;
-Das Wort von der Krone, und wie selbst Klöße mit Speck und
-Backbirnen nicht locken &ndash; Fritze kehrt von Ringelheim zurück,
-und Frau Fries denkt: Der wird noch einmal ein rechter Mann</p>
-</div>
-</div>
-
-<p class="drop">An einem Februartag stand Schwetzers Fritze
-wieder auf der Birnenstraße und wartete wie
-schon so oft auf den Briefträger. Die Sonne schien
-hell, und ein sanfter Wind wehte, wie Frühling war
-es, aber darauf achtete Fritze gar nicht. Er dachte
-nur an den Brief, der immer und immer nicht kam.
-Seit Frau Fries die Nachricht erhalten hatte, ihr Sohn
-wäre schwerverwundet in die Hände der Franzosen gefallen,
-hatte sie nichts wieder von ihm gehört. Jeden
-Tag lief Fritz dem Briefträger entgegen, und jeden
-Tag stand Frau Fries am Schulhaus und sah den
-Buben mit leeren Händen kommen. Sie hatte nach
-Genf geschrieben, dahin und dorthin, aber noch nichts
-über den Sohn erfahren. Lebte er noch? Hatten ihn<span class="pagenum" id="Seite_227">[227]</span>
-die Franzosen auch nach Afrika geschafft wie so viele
-andere?</p>
-
-<p>»Er kommt nicht wieder, er ist tot,« sagte die
-Mutter sich oft in den langen, langen Nächten, wo
-alles ruhte in dunkler Stille und nur die Sorgen wach
-waren.</p>
-
-<p>»Er kommt nicht wieder, er ist tot,« sprachen auch
-die Leute von Steinach untereinander. Nur Pfarrers
-Regine und Fritze Schwetzer sagten: »Er kommt wieder!«
-Und dieser beiden unverzagte Hoffnung richtete
-Frau Fries immer wieder auf. Dann läutete auch
-in ihrem Herzen das Hoffnungsglöcklein: »Er kommt
-wieder, er lebt!«&nbsp;&ndash;</p>
-
-<p>Wo nur der Briefträger blieb? Fritze spähte scharf
-in die Ferne. Einsam lag die Straße, niemand kam.
-Der Bube stapfte weiter. Es war zwar Mittagszeit,
-aber das bekümmerte ihn nicht, seine Mutter hatte
-ohnehin gesagt: »Wenn’s um den Brief für die alte
-Frau Lehrerin ist, nu, da mag das Spätkommen
-schon sein.«</p>
-
-<p>Fritze dachte nicht einmal daran, daß es heute
-eines seiner Leibgerichte gab: Klöße mit Speck und
-Backbirnen, er hatte nur den einen Gedanken, vielleicht
-kam heute, gerade heute der Brief. Aber soviel
-er auch lugte, der Briefträger kam nicht.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_228">[228]</span></p>
-
-<p>Im Dorf schlug die Uhr. Ein Uhr schon! Das
-Mittagessen war vorbei, und fast eine Stunde wartete
-er schon. War der alte Bote so lange im nächsten Dorf
-geblieben? Fritzes Magen knurrte, aber der Bube
-trabte weiter. Wiesen, das Nachbardorf, lag noch eine
-halbe Stunde entfernt, vielleicht war der Briefträger
-dort, und er fand ihn, und wenn der Brief da war,
-dann wollte er zurück mit dem Wind rennen.</p>
-
-<p>Fritz rannte. Er sah nicht rechts, nicht links, und
-beinahe überhörte er die schwache Stimme, die seinen
-Namen rief: »Schwetzers Fritze, Gott sei Dank, lauf
-doch niche fort!«</p>
-
-<p>Verdutzt sah sich Fritz um. Da unter einem
-Baum kauerte der alte Briefträger, er hatte den Kopf
-an den rauhen Stamm gelegt, und selbst Fritz sah es,
-der alte Mann war krank. Mit einem Satz war der
-Bube neben ihm, sein Mund schwieg, aber seine Augen
-fragten, und der Kranke verstand diese stumme Frage.
-»Ich komm niche mehr weiter, aber der Brief
-ist da.«</p>
-
-<p>»Der Brief!« jauchzte Fritz und vergaß darüber
-des alten Mannes Not. Der lächelte matt. »Ja, er
-is da, und eures Herrn Lehrers Name steht darauf,
-also er lebt. Und siehste, das hätt’ ich nu zu gern der
-alten Mutter gebracht. Nä, nu is das niche!«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_229">[229]</span></p>
-
-<p>Er seufzte tief und versuchte seine Tasche zu
-öffnen, aber die Hand sank ihm matt zurück. »Fritze«,
-stöhnte er, »jetzt gibste mir deine Hand, daß du alles
-tust, wie ich’s sage, nimm deinen Verstand zusammen!«</p>
-
-<div class="figcenter illowp80" id="illu-236">
- <img class="w100" src="images/illu-236.jpg" alt="" />
- <div class="caption"><span class="larger">Die Schelme von Steinach.</span> Seite 229.</div>
-</div>
-
-<p>Fritze legte seine Hand in die des alten Boten,
-kraftlos war die und kühl, und nur mühsam redete der:
-»In Steinach gibste alles ab, was dahin gehört, un
-dann läufste nach Ringelheim, denn da warten auch
-’n paar Frauen so arg auf Briefe, un grade heut’
-sin se da. Verlier aber nischte! In Ringelheim gibste
-alles dem Küster, der macht’s schon, un denn kommste
-nach Steinach zurück &ndash;&nbsp;&ndash; un vielleicht bin ich dann
-da.« Er nestelte mühsam seine Tasche ab. Fritze wollte
-sie nehmen, aber der Alte hielt sie fest. »Niche so
-schnell! So ’ne Tasche is was Heiliges. Weißte, wenn
-dir ’n König seine Krone geben möcht’ und sagt: »Heb
-se auf!« das is justament so, als ob ich dir meine Tasche
-geb. Verstehste mich?«</p>
-
-<p>Fritz nickte. Es war ihm seltsam feierlich zumute.
-Auf einmal, er wußte nicht, wie es ihm in den Sinn
-kam, dachte er, der alte Briefträger Klöppel ist auch
-wie ein Soldat auf dem Schlachtfeld.</p>
-
-<p>»Fritze,« mahnte der Alte noch, »hörste, du mußt
-aber auch reden, in Steinach sagen, wie’s is mit mir,<span class="pagenum" id="Seite_230">[230]</span>
-un in Ringelheim auch. Und rennen darfste niche, auch
-jetzt niche, ’s könnt was aus der Tasche fallen, aber
-dich auch niche aufhalten, ja niche! Versprichste mir
-das?«</p>
-
-<p>»Ja,« sagte Fritz und sah dem Alten fest in die
-Augen.</p>
-
-<p>»Un reden mußte, Fritze, alles sagen.«</p>
-
-<p>»Ja.« Fritz seufzte, das war schwer, aber es mußte
-sein. Er griff wieder nach der Tasche, und wieder hielt
-sie der alte Briefträger fest. »Wie ’n König seine Krone,
-justament so is das.« Er strich fast zärtlich über das
-abgeschabte Leder. »’s ist mir schwer geworden jetzt
-das Tragen. Ja ja, schwer. Aber weißte, Fritze, ’s
-war auch fürs Vaterland. Weil die Jungen fort sind,
-müssen’s die Alten tun. Ja ja! Un wenn du jetzt
-gehst, Fritze, denk’ dran, ’s ist auch fürs Vaterland.
-Niche rennen, un dann reden &ndash;&nbsp;&ndash; meine Krone
-trägste, Fritze, meine Krone, merk’ dir’s.«</p>
-
-<p>»Ja,« sagte Fritze wieder, und seine Stimme tönte
-wie eine Glocke. Da gab ihm der Alte die Tasche. »Um
-mich brauch’ keiner sorgen, das is ganz scheene so in
-der lieben Gottessonne« &ndash;&nbsp;&ndash; er sprach nicht weiter,
-er nickte nur dem Buben noch einmal zu.</p>
-
-<p>Der trabte von dannen. Er schritt rüstig aus,
-aber er rannte nicht, er rannte auch nicht, als er von<span class="pagenum" id="Seite_231">[231]</span>
-weitem Frau Fries kommen sah. Es zuckte ihm freilich
-in den Füßen, er wäre ihr am liebsten entgegengestürmt,
-hätte ihr den Brief hingehalten, aber sein
-Versprechen zwang ihn, und er ging nicht einen Schritt
-rascher.</p>
-
-<p>»Fritze,« rief Frau Fries ihm entgegen, »wo
-bleibst du? Wo ist der alte Klöppel?«</p>
-
-<p>»Der Brief!« Fritz hielt ihn hoch empor, und da
-endlich konnte er ihn in die Hände der Mutter legen.
-Die faßte nach ihrem Herzen, das tat laute Freudenschläge,
-der Brief kam von ihrem Sohn &ndash; er lebte.</p>
-
-<p>Sie konnte kaum mit ihren bebenden Fingern den
-Umschlag öffnen, und ein paar Augenblicke tanzten
-ihr die Worte vor den Augen, alles flimmerte und
-flirrte. »Er lebt, er lebt! Du gütiger Gott, mein
-Sohn lebt!«</p>
-
-<p>Nur einen Augenblick blieb Fritz stehen, einen
-sehnsüchtigen Blick warf er auf den Brief. Was mochte
-darin stehen? Doch sein Versprechen zwang ihn vorwärts,
-und sein Versprechen zwang ihn zu reden, er
-sagte: »Klöppel ist krank, ich muß die Briefe austragen
-und nach Ringelheim gehen.«</p>
-
-<p>Zum erstenmal achtete Frau Fries nicht auf das,
-was Fritze Schwetzer sagte, und der ging still weiter
-und ließ die Mutter mit dem Sohnesbrief allein.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_232">[232]</span></p>
-
-<p>Vor dem Schulhaus stand Besenmüller, und auf
-den trat Fritze zu und erzählte das Geschehene. Er
-sparte Worte, aber er sagte alles. »Lieber Himmel,«
-rief Besenmüller, »der alte Klöppel liegt auf der
-Straße, den müssen wir reinholen.«</p>
-
-<p>Vater Hiller kam dazu, und noch einmal erstattete
-Fritze Bericht. »Ich muß nu weiter,« sagte er, »ich
-muß noch nach Ringelheim.«</p>
-
-<p>»Es mag jemand hinfahren,« meinte Vater Hiller,
-aber Fritze entgegnete ernsthaft: »Nä, ich hab’s versprochen,
-die Tasche niemand zu geben.«</p>
-
-<p>Der alte Lehrer spürte aus des Jungen kargen
-Worten die große Bürde heraus, die auf dessen Schultern
-lag, er sah aber auch, da war Wille und Kraft,
-die übernommene Aufgabe zu vollenden, und er sagte
-ruhig: »So geh! Wir wollen rasch dafür sorgen, daß
-Klöppel ins Dorf gebracht wird.«</p>
-
-<p>Schwetzers Fritze ging weiter, von Haus zu Haus.
-Überall mußte er sagen, was geschehen war, und immer
-sagte er gleich dazu: »Ich muß aber gehen.« Ins
-Pfarrhaus kam er, da rief er aber schon von weitem:
-»Fräulein Regine, der Brief ist da, der Herr Lehrer
-hat selbst geschrieben.«</p>
-
-<p>»Er lebt!« jubelte Fräulein Regine, und dann lief
-sie fort, lief nach dem Schulhaus hin und hörte nicht<span class="pagenum" id="Seite_233">[233]</span>
-einmal darauf, was ihr Freund Fritz noch zu sagen
-hatte. Fritze ärgerte sich nicht darum, er fand es selbstverständlich,
-und dann &ndash; er mußte ja auch weiter, die
-Briefe austragen und nach Ringelheim wandern.</p>
-
-<p>Er kam auch in sein Elternhaus, und seine Mutter
-eilte ihm ängstlich entgegen. »Fritze, wo bleibst du?«</p>
-
-<p>Der Bube gab Antwort, auch hier so knapp und
-kurz wie überall. Doch seine Mutter war nicht damit
-zufrieden, die meinte: »Erst mußte zu Mittag essen,
-und die Briefe, die kann unsere Emma nach Ringelheim
-tragen.«</p>
-
-<p>»Nä,« sagte Fritze, »ich hab’s versprochen.«</p>
-
-<p>»Aber essen mußte, dein Mittag steht warm.«</p>
-
-<p>Klöße mit Speck und Birnen dazu. Bei dem Gedanken
-daran spürte Fritze, wie leer sein Magen war,
-ganz leer, das Wasser lief ihm im Munde zusammen,
-er sagte aber fest: »Nä, kann nich essen. Ich hab’s
-versprochen, die Tasche kriegt niemand.«</p>
-
-<p>Die Mutter wollte widersprechen, aber als sie so
-in das entschlossene kleine Bubengesicht sah, fühlte sie
-es, sie durfte ihn nicht hindern, sein Wort zu halten.
-»Dann geh nur,« sagte sie, »trag’ die Briefe weiter.«</p>
-
-<p>Fritz tat einen Seufzer, nickte der Mutter zu und
-ging von Haus zu Haus. Als er ans Dorfende kam,
-wo die Pflaumenstraße nach Ringelheim abbog, stand<span class="pagenum" id="Seite_234">[234]</span>
-seine Mutter dort, die steckte ihm einen Apfel in die
-Tasche und gab ihm eine tüchtige Schnitte in die Hand.
-»Wirst doch hungrig sein.«</p>
-
-<p>»Danke,« sagte Fritze nur und stapfte weiter,
-Schritt um Schritt, nicht zu schnell, nicht zu langsam.
-Einmal war’s ihm, als müßte er sich umsehen, und
-als er rasch im Weitergehen rückwärts schaute, stand
-seine Mutter noch am Wege und sah ihm nach. Das
-tat ihm gut, wie ein zärtliches Wort der Mutter empfand
-er das stille Nachschauen.</p>
-
-<p>Er mußte immer daran denken, was der alte
-Briefträger von der Krone gesagt hatte. War’s so? Die
-Krone war die Arbeit, die einer tat, sein Amt?</p>
-
-<p>Der Wind hatte sich gedreht, er blies jetzt scharf
-von Osten her, er brachte auch graue Wolken mit, die
-die glänzende Sonne überschatteten. Einzelne Flocken
-fielen, dann kam Regen, der wurde heftiger und schlug
-dem Buben ordentlich boshaft in das Gesicht. Den
-bekümmerte das nicht viel. Er knöpfte nur seine Jacke
-auf und schob, so gut es ging, die dicke, schwarze Tasche
-darunter. So erreichte er Ringelheim, und im Küsterhaus
-sagte er seine Botschaft. Der Küster war zur
-Hilfe bereit, die Post wurde ausgetragen, und Fritze
-konnte wieder heimwärts wandern.</p>
-
-<p>In Steinach sagte es ihm eine Frau beim ersten<span class="pagenum" id="Seite_235">[235]</span>
-Haus im Dorf: »Der alte Klöppel liegt in der Schule,
-ach, er wird vielleicht schon tot sein.«</p>
-
-<p>Fritze erschrak. Wenn der Briefträger tot war,
-dann konnte er doch nicht mehr sehen, daß er die
-Tasche zurückbrachte, und unwillkürlich begann er zu
-rennen. Aber gleich fiel ihm des Alten Mahnung ein;
-in der Tasche waren noch allerlei Postsachen, die konnten
-verlorengehen, und gleich ging er langsamer. Er
-kam auch noch zur rechten Zeit, er konnte noch dem
-alten Briefträger die schwarze Tasche übergeben, und
-der gab ihm die Hand und murmelte leise: »Haste
-alles besorgt?«</p>
-
-<p>Fritz holte tief Atem und gab Bericht. Und dann,
-als er fertig war, rief er mit einer ihm fremden Raschheit:
-»Hat jeder so ’ne Krone, Klöppel? Wie ist das
-denn?«</p>
-
-<p>»Das ist jedem seine Arbeit, sein Amt, das, wofür
-einer lebt &ndash; und stirbt.« Die letzten Worte klangen
-ganz matt, der alte Mann seufzte, nicht schwer,
-sondern wie einer, der sich einer getanen Arbeit freut.
-Er legte den Kopf zur Seite, faltete die Hände über
-der schwarzen Tasche und schloß die Augen.</p>
-
-<p>»Er will schlafen,« sagte Vater Hiller, der am
-Lager saß, »er ist müde vom Leben. Geh du nun
-heim, Fritz.«</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_236">[236]</span></p>
-
-<p>Der Bube ging nach der Tür, er trat so leise auf,
-so leise er konnte, aber er ging nicht die Treppe hinab,
-sondern den Gang bis zu dem Zimmer, in dem Frau
-Fries wohnte. Dort bekam er nun wirklich den Brief
-seines Lehrers zu hören. Viel stand nicht darin, denn
-viel durften die Gefangenen nicht schreiben. Heinrich
-Fries schrieb, es ginge ihm leidlich gut, er sei lange,
-lange krank gewesen, nun wäre er aber wieder ziemlich
-gesund. Daß er schon oft geschrieben hatte, teilte
-er mit. Von der Heimat schrieb er, vom Wiedersehen;
-ganz froh klang alles, und Fritze Schwetzer sah strahlend
-drein, ihm schien es, als sei nun alle Sorge gelöst.
-Und weil er an diesem Tage nun schon so viel
-geredet hatte, erzählte er auch seiner alten Freundin
-seine Erlebnisse. Auch das Wort von der Krone sagte
-er, nur scheu, undeutlich, aber Frau Fries verstand
-ihn doch. Sie beugte sich plötzlich über ihn und sagte
-mit einer seltsam schweren Stimme: »Unser Vaterland
-ist auch eine Krone, für die wir leben und sterben &ndash;
-und leiden müssen.«</p>
-
-<p>Der Bube saß ganz still, er ahnte nicht, daß die
-Mutter Leiden, schweres Leiden aus dem Sohnesbrief
-herausgelesen hatte. Aber er fühlte, da war etwas
-nicht so wunderherrlich, wie er es sich gedacht hatte.
-Er wußte aber nichts zu sagen, und er sah die alte<span class="pagenum" id="Seite_237">[237]</span>
-Frau Lehrerin nur treuherzig an. »Nu muß ich gehn,«
-brummte er endlich. Und nach einer Pause fügte er
-hinzu: »Ich komm’ noch mal wieder.«</p>
-
-<p>»Heute nicht, du wirst müde sein und hungrig,
-Fritz, ich danke dir.«</p>
-
-<p>Schwetzers Fritze stapfte zur Tür hinaus, und
-er ging so leise die Treppe hinab, so leise es seine
-knarrenden Stiefel erlaubten, der alte Klöppel schlief
-ja. Oben sah Frau Fries dem Jungen nach, und sie
-dachte, wie seine Mutter zu Mittag auf der Landstraße
-gedacht hatte: »Der wird noch einmal ein rechter
-Mann.«</p>
-
-<div class="figcenter" id="illu-246">
- <img src="images/illu-246.jpg" alt="" />
-</div>
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p><span class="pagenum" id="Seite_238">[238]</span></p>
-
-<h2 class="nobreak" id="Sechzehntes_Kapitel"><img src="images/illu-247.jpg" alt="" /><br />
-<span class="s80">Sechzehntes Kapitel</span><br />
-Heimkehr</h2>
-
-<div class="h2cnt">
-
-<p>Es geschah viel, und Pfarrers Regine steigt auf den Schafskopf
-hinauf &ndash; Fritze fährt nach L., es merkt aber niemand
-etwas davon, und Frau Besenmüller hält ihn für ein Gespenst &ndash;
-Eine Unterredung im Holzstall &ndash; In Steinach wird Hochzeit
-gefeiert, und die Kinder schreien hurra auf der Apfelstraße</p>
-</div>
-</div>
-
-<p class="drop">Der alte Briefträger Klöppel wanderte nun nicht
-mehr auf der Birnenstraße nach Steinach hin.
-Der war wirklich eingeschlafen für alle Zeit, und seine
-geliebte schwarze Tasche trug ein anderer. Der brachte
-die Nachrichten von Leid und Freud in die Dörfer,
-von großen Siegen, von stolzen Taten, aber immer
-und immer nicht die ersehnte Friedensbotschaft.</p>
-
-<p>In Steinach war es nicht anders als in allen
-deutschen Städten und Dörfern. Die Daheimgebliebenen
-schafften fleißig und sorgten um jene, die
-draußen standen. Ein paar Bäuerinnen trauerten
-um ihre Männer, und Hinzpeters Malchen kam eines
-Tages in großem Herzeleid in die Schule: ihr Vater<span class="pagenum" id="Seite_239">[239]</span>
-war gefallen. Da hatte Silvia Traugott viel zu tun,
-um der Freundin beizustehen, und sie vergaß darüber
-noch mehr ihre Träume von großen Wundertaten. An
-herzhaftem Mitleid fehlte es nicht. Selbst die Buben
-sannen darüber nach, womit sie das Malchen wohl
-erfreuen könnten, und sie kamen schließlich überein, sie
-wollten Malchen ein Tier fangen, einen jungen Hasen,
-ein Rehlein vielleicht etwa, denn Malchen hatte an
-allem Getier eine besondere Freude.</p>
-
-<p>Es lenzte draußen schon an Hängen und Grabenrändern,
-an Büschen, die in der Sonne standen, grünten
-Knospen und winzige Blättchen, und manch ein
-kleines Hasenkind wurde um diese Zeit geboren. Im
-Walde war die Aufsicht jetzt nicht so streng, und eines
-Nachmittags zogen ein halbes Dutzend Steinacher
-Buben hinaus, um ein Tier zu fangen. Aber sie brachten
-nur einen Igel heim und einen Maulwurf, und vor
-beiden graulte sich Malchen schrecklich. Schelte gab’s
-obendrein. Das Tierfangen im Walde war streng verboten.
-Die Buben bekamen so schwere Strafen angedroht,
-daß ihnen die Lust zu weiteren Raubzügen
-verging. Also ließen sie das Trösten sein.</p>
-
-<p>Der Frühling kam, und er war so blütenreich, so
-voller Glanz und Schöne, als wollte er liebreich den
-Menschen in ihrem großen Jammer beistehen. Es<span class="pagenum" id="Seite_240">[240]</span>
-blühte an allen Ecken und Enden, und kaum jemals
-hatte es auf dem Schafskopf so viele Veilchen gegeben
-wie in diesem Jahr. Aber Pfarrers Regine wollte in
-diesem Jahr keine Veilchenkränze zu ihrem Geburtstag
-haben, und die Veilchen verblühten ungepflückt. An
-ihrem Duft, ihrer Lieblichkeit freute sich Regine aber
-doch. Sie stieg an ihrem Geburtstag allein auf den
-Schafskopf hinauf; lange saß sie dort unter dem alten
-Gemäuer. Sie weinte bitterlich, denn sie trug ein
-heimliches Leid im Herzen. Wie sie aber so weinte,
-so unendlich traurig war, spürte sie den Veilchenduft.
-Der umschmeichelte sie, der zwang sie, an den Frühling
-zu denken, an Sonnenschein und an Freude. Und
-ganz leise sang sie vor sich hin, und im Singen löste
-sich ihre Traurigkeit. Sie sang:</p>
-
-<div class="poetry-container">
-<div class="poetry">
- <div class="stanza">
- <div class="verse indent0">»Die Welt wird schöner mit jedem Tag,</div>
- <div class="verse indent0">Man weiß nicht, was noch werden mag,</div>
- <div class="verse indent0">Das Blühen will nicht enden!</div>
- <div class="verse indent0">Es blüht das fernste, tiefste Tal:</div>
- <div class="verse indent0">Nun, armes Herz, vergiß die Qual,</div>
- <div class="verse indent0">Es muß sich alles, alles wenden!«</div>
- </div>
-</div>
-</div>
-
-<p>Um die gleiche Stunde wohl dachte ein Mann an
-Steinach am Wald, der in einem fremden Land in
-einem Zuge fuhr. Er trug einen abgetragenen feldgrauen
-Rock, und die mit ihm waren, glichen ihm. &ndash;
-Ein seltsamer Zug war es. Lager reihte sich an Lager,<span class="pagenum" id="Seite_241">[241]</span>
-Schwerverwundete, Krüppel durften heimkehren aus
-Frankreich ins deutsche Vaterland.</p>
-
-<p>Der Austausch der unheilbaren Kriegsverwundeten
-von Frankreich ging über die Schweiz, und nach langer,
-langer Fahrt, durch das herrliche, stets hilfsbereite
-Schweizer Land, das von den Schrecken des Krieges
-verschont geblieben war, langte der Zug in der Nacht
-an der Grenze an. Von Deutschland her kam um
-die gleiche Zeit auch ein solcher Zug. Einmal
-fuhren die beiden aneinander vorbei, sie wußten
-es nicht; die Männer, die jetzt todwund heimkehrten,
-hatten sich vielleicht schon im Kampf gegenübergestanden.</p>
-
-<p>Heinrich Fries, der Lehrer von Steinach, lehnte
-am Fenster. Er konnte nicht schlafen, vor Freude
-nicht und vor Leid nicht. So mußte er heimkehren,
-ein Krüppel! Ein Bein hatte er verloren, auch die
-linke Hand fehlte ihm, und über die Stirn lief ihm
-eine breite rote Narbe. Er dachte, mit welch hochfliegenden
-Plänen er einst im Leben gestanden hatte,
-wie unzufrieden er in Steinach gewesen war. Nun
-war das alles vorbei, selbst zum Lehrer in Steinach
-mochte er gewiß nicht mehr taugen. Wunderlich war
-ihm das oft gegangen draußen. An die Stadt, in der<span class="pagenum" id="Seite_242">[242]</span>
-er so lange gelebt, hatte er wenig gedacht, immer,
-wenn er mit seinen Kameraden von der Heimat sprach,
-kehrten seine Gedanken in Steinach ein. In den heißen,
-blutigen Schlachten, mitten im Donnern und Brüllen
-der Geschütze sah er plötzlich das Dorf vor sich und die
-blühenden Straßen, so wie er es zuerst gesehen hatte.
-Er dachte an die Kinder; er hatte sie doch alle lieb,
-selbst so unnütze Wildfänge wie Jackenknöpfle und das
-lachlustige Malchen Hinzpeter. Einmal hatte er gerade
-wieder an allesamt einen Brief geschrieben, da war
-eine Granate neben ihm eingeschlagen, und er hatte
-die Stirnwunde bekommen.</p>
-
-<p>Ins Lazarett sollte er, in die Heimat zurück, aber
-er hatte nicht gewollt, und zwei Tage später hatte er,
-verwundet schon, mitten im furchtbaren Kampf gestanden.
-Neben ihm waren seine Kameraden gefallen,
-er war vorwärts gestürmt, immerzu, immerzu. Dann
-hatte ihn ein Schuß getroffen, er war zusammengebrochen,
-und als er nach vielen, vielen Stunden
-wieder zum Bewußtsein gelangte, war er in Gefangenschaft
-gewesen. Krank und gefangen! Es
-ahnen nicht alle, wie groß dies Elend ist.</p>
-
-<p>Nun kehrte er heim. Heinrich Fries sah hinaus.
-Es war Mondschein, und er sah im Silberglanz einen
-See, glatt wie ein Spiegel, und Berge, hohe, weiße<span class="pagenum" id="Seite_243">[243]</span>
-Berge. Wie ein Märchenland war es, so wunderschön.
-Er hatte oft Sehnsucht gehabt, dies schöne Land
-zu durchwandern, das war nun auch vorbei, nun sah
-er es so. Ein fremdes Land, aber kein Feindesland.
-Ach nein, feindlich waren die Menschen nicht, die auf
-den Bahnhöfen waren, die liebevoll die Verwundeten
-versorgten. Gute, hilfsbereite Menschen waren es.</p>
-
-<p>Einer, der mit im Zuge fuhr, richtete sich ein wenig
-auf seinem Lager auf und flüsterte: »Kamerad, nun
-sind wir bald in Deutschland. Ich habe eine Frau daheim
-und einen Buben, Herrgott, die soll ich nun wiedersehen!
-Wen hast du?«</p>
-
-<p>»Eine Mutter,« sagte Heinrich Fries.</p>
-
-<p>»Da sind wir beide gut versorgt,« sagte der andere.
-»Sieh doch mal raus, ist’s noch nicht bald Deutschland?«</p>
-
-<p>»Es dauert noch ein paar Stunden.« Heinrich
-Fries sah wieder hinaus. Der Mond stand nur noch
-als blasse Scheibe am Himmel, der Morgen dämmerte
-herauf, und in dem fahlen, harten Licht des Morgens
-stiegen die Berge riesenhaft empor. Aber dann begannen
-sie zu glühen und zu schimmern, die Sonne
-ging auf.</p>
-
-<p>Und im hellen, strahlenden Licht der Frühlingssonne
-fuhr Heinrich Fries mit seinen Kameraden bei<span class="pagenum" id="Seite_244">[244]</span>
-Konstanz über die deutsche Grenze. Ein brausender
-Jubel empfing sie. Fremde Menschen kamen auf sie
-zu und umarmten sie, Blumen wurden ihnen gebracht
-und Erfrischungen. Immer neue Hände streckten sich
-ihnen entgegen, alle wollten ihnen helfen, alle ihnen
-Liebes erweisen, alle, alle zeigten ihre Freude.</p>
-
-<p>O Vaterland, o Heimat!</p>
-
-<p>Die Todwunden, denen die Tage und Nächte in
-Schmerzen vergingen, die Blinden, die Krüppel, sie
-alle sangen dem Vaterland entgegen: »Deutschland,
-Deutschland über alles!«</p>
-
-<p>Heinrich Fries hatte seine Heimkehr nicht melden
-können. Seine Auslösung war überraschend gekommen,
-und seine Mutter ahnte nicht, daß er in Deutschland
-war. Er hatte ihr auch nie geschrieben, wie schwer
-seine Wunden gewesen, er wollte ihren Kummer nicht
-vergrößern. Nun dachte er, wenn ich in ein Lazarett
-komme, dann schreibe ich ihr. Noch wußte er ja nicht,
-wohin man ihn bringen würde. Nimmer hätte er gedacht,
-daß er so sehr in Steinachs Nähe kommen
-würde. Erholen sollte er sich nun, dann sollte er ein
-künstliches Bein bekommen, eine Hand, und der Arzt,
-der ihm das versprach, tröstete: »Dann ist’s nicht mehr
-schlimm.«</p>
-
-<p>Eines Tages liefen Pfarrers Regine und Fritze<span class="pagenum" id="Seite_245">[245]</span>
-Schwetzer auf der Birnenstraße wieder dem Briefträger
-entgegen. Seit Wochen hatte der nun nichts
-aus Frankreich ins Schulhaus gebracht, und die alte
-Frau Lehrerin zagte und zitterte in Sorge. Der neue
-Briefträger, er hieß zu der Kinder Ärger Schmidt,
-was doch kein richtiger Name sei, so meinten sie,
-wußte nun auch schon, wer in Steinach um Briefe
-bangte. Er schüttelte also den Kopf: »Kein Brief aus
-Frankreich, ’n anderer nur.«</p>
-
-<p>Da rannte Fritze zurück, und Fräulein Regine
-ging ihm nach, der andere Brief war ihnen nicht
-wichtig. Den erhielt ein paar Minuten später Frau
-Besenmüller zur Besorgung. Die nahm ihn mit dem
-Schürzenzipfel, weil sie nasse Hände hatte, und trug
-ihn so in das Haus hinein. Drinnen kam ihr Mann
-ihr entgegen, und sie bat: »Besenmüller, trag’ du mal
-den Brief rauf, der rechte ist’s wieder niche.«</p>
-
-<p>Oben traf Besenmüller Vater Hiller, der gerade
-zum Mittagessen zu Frau Fries gehen wollte, der
-nahm ihm den Brief ab, und Besenmüller sagte: »Der
-rechte ist’s nicht.«</p>
-
-<p>Vater Hiller trug den Brief in die Stube, legte
-ihn vor Frau Fries hin und sagte auch bedauernd:
-»Ein Brief, leider nicht der rechte.«</p>
-
-<p>Und es war doch der rechte Brief. Nur in die<span class="pagenum" id="Seite_246">[246]</span>
-Hand nahm ihn Frau Fries, dann wußte sie es.
-Mutteraugen sind scharf, Mutterherzen spüren des
-Kindes Nähe.</p>
-
-<p>Durch das Dorf lief die Kunde, der junge Herr
-Lehrer ist heimgekehrt aus Frankreich, in L. ist er,
-aber &ndash; er ist ein Krüppel. Fritze Schwetzer raste zum
-Schulhaus hin. Und den Brief hatte er nun nicht gebracht,
-gerade den Brief nicht. Er polterte mal wieder
-ungeheuer auf der Treppe, aber Frau Besenmüller
-schalt nicht, die hörte es gar nicht, die scheuerte im
-Schulzimmer, denn irgendwie mußte sie ihre Freude
-zeigen, ritsch, ratsch mit der Bürste hin und her. »So
-recht ausscheuern tut gut,« brummelte sie.</p>
-
-<p>Fritz fand Frau Fries oben reisefertig. Die wollte
-gleich nach L. fahren mit dem nächsten Zug. »Lauf zu
-Pfarrers,« bat die Frau, »vielleicht kommt Fräulein
-Regine mit.«</p>
-
-<p>Nie hatte Frau Fries nach einer Stütze verlangt,
-jetzt, da sie den Sohn wiedersehen sollte, in der Freude
-verlangte sie Hilfe. Und Pfarrers Regine kam. Fritz
-hatte seine Botschaft noch nicht raus, da sagte sie schon:
-»Ich fahre mit, natürlich!«</p>
-
-<p>Sie lief dem Buben voran und meinte, der käme
-hinterher, aber der kam nicht. Der rannte heimwärts,
-fiel seiner Mutter beinahe ins Spülfaß und schrie so<span class="pagenum" id="Seite_247">[247]</span>
-laut, wie es noch nie jemand von ihm gehört hatte:
-»Meine Sparbüchse!«</p>
-
-<p>»Junge, biste närrisch?« Seine Mutter trocknete
-sich ärgerlich die Hände ab. »Sag’, was soll das Geschrei?«</p>
-
-<p>»Ich muß nach L.«</p>
-
-<p>»So eins, zwei, drei im Handumdrehen?« Frau
-Schwetzer wollte nein sagen, aber dann sagte sie doch
-ja, ging und schüttelte die Büchse vor Fritz aus. »Viel
-ist nicht drin, ’n Groschen fehlt, den will ich dir schenken.
-Da nimm ’n Brot und geh!«</p>
-
-<p>Doch Fritze lief dem Brot davon. Er rannte die
-Apfelstraße entlang, bis er Frau Fries und Fräulein
-Regine sah, da ging er langsam nach. Und nach ihnen
-kletterte er in den Zug, und die beiden sahen ihn nicht.
-Sie sahen ihn auch nicht, als sie in L. ausstiegen. Und
-wieder trabte ihnen Fritz nach bis zu dem Lazarett,
-da gingen sie hinein, und &ndash; Fritz blieb draußen. Hier
-verließ ihn auf einmal sein Mut, er wußte nicht, wie
-er in das große Gebäude hineingehen sollte. Er ging
-auf und ab, durch die Türe da waren die beiden
-Frauen hineingegangen, das mußte doch der rechte
-Weg sein. Er rappelte sich endlich zusammen, trat
-auf das Tor zu, klinkte es auf, da tönte ihm ein Halt!
-entgegen.</p>
-
-<p><span class="pagenum" id="Seite_248">[248]</span></p>
-
-<p>»Wo willst du hin?«</p>
-
-<p>»Da ’nein.«</p>
-
-<p>»Ei, da könnte jeder dumme Junge kommen; so
-was gibt’s nicht.«</p>
-
-<p>Ein anderer hätte nun dem gestrengen Wärter
-am Tor geschwinde erklärt, so ist die Sache und so,
-ich habe die Fahrt gemacht von Steinach hierher. Aber
-das brachte Schwetzers Fritze nicht fertig; ehe er eine
-Antwort heraus hatte, war das Tor geschlossen, klapp
-zu, ihm vor der Nase, er konnte draußen stehen. Er
-ging wieder auf und ab, hin und her. Drei Frauen
-kamen jetzt, dunkel gekleidet und ernst, die wollten auch
-in das Lazarett gehen. Vor ihnen tat die Türe sich
-auf. Fritz lief ihnen nach, aber klapp, schloß sich das
-Tor, und er stand wieder einsam auf der Straße.</p>
-
-<p>Noch einmal versuchte er es hineinzukommen, vergeblich.
-Endlich kamen Frau Fries und Fräulein Regine
-wieder heraus, und wieder lief Fritz ihnen stumm
-wie ein treuer Hund nach. Die Frauen gingen der
-Stadt zu. Vor einem Haus, an dem ein Wort stand,
-das Fritz zehnmal las und doch nicht verstand, es hieß
-»Hospiz«, nahmen sie Abschied voneinander. Frau
-Fries ging mit ihrer kleinen Tasche in der Hand in
-das Haus hinein. Fritz hörte sie noch sagen: »Bestelle,
-bitte, Frau Besenmüller, sie möchte ja nicht vergessen,<span class="pagenum" id="Seite_249">[249]</span>
-für Herrn Hiller heute Brusttee zu kochen, er ist so erkältet,«
-dann trennten sich beide.</p>
-
-<p>Nun rannte Fräulein Regine nach dem Bahnhof,
-und Fritz rannte hinterdrein. Sie stiegen beide in den
-Zug, der fuhr davon, und in Steinach kletterten beide
-heraus.</p>
-
-<p>Es war schon dunkel, und Pfarrers Regine sah
-ihren kleinen Freund auch jetzt nicht. Der trabte ihr
-nach, als sie aber erst nach dem Pfarrhaus abbog, lief
-er gleich zum Schulhaus. Dort riß er die Türe auf,
-stürmte in Besenmüllers Stube und schrie: »Se möchten
-Tee kochen für Herrn Hiller.« Krach, schlug er die Türe
-zu und rannte davon.</p>
-
-<p>Eine halbe Stunde später kam Fräulein Regine
-ins Schulhaus. Sie wollte erzählen, wie es Heinrich
-Fries erging, und sie richtete auch den Auftrag aus.
-»Teekochen?« rief Besenmüller. »Schwetzers Fritze
-hat’s ja schon bestellt.«</p>
-
-<p>»Wie kann er, ich habe ihm ja nichts gesagt?«
-Das Fräulein wunderte sich, und Frau Besenmüller
-wunderte sich, ja Frau Besenmüller war geneigt, Fritz
-für einen Geist zu halten, aber ihr Mann sagte: »Nä,
-das war Fritze, und vielleicht hat’s ihm Frau Fries
-vorher bestellt.«</p>
-
-<p>Auf dem Heimweg ging Regine noch einmal zu<span class="pagenum" id="Seite_250">[250]</span>
-Schwetzers hinein, da erfuhr sie Fritzens Reise. »Ein
-närrscher Junge,« klagte seine Mutter, »nich Stipp,
-nich Stapp hat er erzählt, nur gegessen, und dann ist
-er schlafen gegangen, aber geheult hat er in seinem
-Bette.«</p>
-
-<p>Ja, geheult hat Fritz, aber der Schlaf hatte ihm
-die Tränen schon wieder getrocknet, als Fräulein Regine
-an sein Bett trat. Und am nächsten Morgen erzählte
-er auch mit so wenig Worten als möglich seine
-Reise. Seine Mutter tat ihm schweigend so viel Geld
-in seine Sparbüchse, als das Fahrgeld nach L. betrug,
-aber Fritz fuhr nicht wieder hin. Er graute sich vor
-dem großen Haus und vor den vielen Menschen, die
-da aus- und eingingen. Er wartete in Steinach auf
-seinen Lehrer, und je näher der Tag kam, an dem er
-ihn sehen sollte, desto größer wurde die Scheu vor ihm.
-Ob der ihn noch kannte, noch mit ihm so sprach wie
-damals beim Abschied?</p>
-
-<p>Heinrich Fries kam, als in Steinach der Flieder
-blühte. In jedem Garten, in Hofwinkeln an der
-Kirche, da wo Heckenwege die Häuser trennten und
-verbanden, überall blühte der Flieder. Dichte, blaue
-Büsche, blaue Wände gab es und blaue Blumenberge,
-und ganz Steinach war eingehüllt in Duft und Glanz.
-Vom Schulhaus wehte die Fahne, denn ein Held kam<span class="pagenum" id="Seite_251">[251]</span>
-ja heim, einer, der draußen gekämpft und gelitten
-hatte, einer, dem das Kreuz von Eisen die Brust
-schmückte.</p>
-
-<p>Heinrich Fries hatte gemeint, er würde still durch
-das Dorf fahren und still in sein stattliches Schulhaus
-treten. Aber vor dem standen die Kinder alle, auch
-die Brummer waren dabei, und alle sangen ihm das
-Lied entgegen, das im Leben und Sterben kein
-Deutscher vergißt. Und danach das schöne »Lobe den
-Herrn«.</p>
-
-<p>Mitten im Gesang brach Malchen Hinzpeter in
-Tränen aus. Sie dachte an den Vater, der nun nie
-wiederkehrte. Vater Hiller zog sie aus dem Kreise
-und nahm sie in seine Arme, am Herzen dieses treuen
-Freundes weinte sie sich ihren Kummer aus. Heinrich
-Fries hörte an diesem Tage keinen falschen Ton heraus,
-er meinte, noch nie einen schöneren Gesang gehört
-zu haben, und als ihn dann alle umdrängten, auch die
-Erwachsenen, und alle baten: »Sie bleiben doch wieder
-hier?« da rannen auch ihm die Tränen aus den Augen,
-und er schämte sich nicht.</p>
-
-<p>Nachher sagte er zu Vater Hiller: »Werde ich es
-können, ein Krüppel als Lehrer?«</p>
-
-<p>Der alte Mann nickte. »Sie werden es können,
-und viele, die heimkommen, werden siech sein und doch<span class="pagenum" id="Seite_252">[252]</span>
-eintreten in ihren Beruf. Und unsere Jugend wird
-lernen, Geduld haben und Ehrfurcht vor jenen, die
-um unseren Frieden gekämpft haben. Ja, sie werden
-es können, wenn &ndash; Sie in Steinach bleiben wollen.«</p>
-
-<p>»Wie gern!« Heinrich Fries hielt seiner Mutter
-Hand fest. »Du hast es früher erkannt als ich, wie
-gut Steinach am Wald zur Heimat taugt.«</p>
-
-<p>Es kamen viele an diesem Tag, um dem jungen
-Lehrer die Hand zu schütteln, nur Schwetzers Fritze
-kam nicht. Wo blieb nur der? Fräulein Regine ging
-ihn suchen, sie fand ihn nicht, die Kinder suchten ihn,
-er war nirgends zu sehen. Endlich schaute Frau Besenmüller
-nach, und die fand ihn in ihrem eigenen Holzstall.</p>
-
-<p>»Gleich kommste rauf,« rief sie ärgerlich.</p>
-
-<p>»Nä!« Fritze blieb auf seinem Holzstoß sitzen.</p>
-
-<p>Frau Besenmüller zürnte: »Was soll denn der
-Herr Lehrer denken? Geschwinde komm!«</p>
-
-<p>»Nä!« Der Bube rührte sich nicht, und Frau
-Besenmüller mußte unverrichteter Dinge wieder abziehen.
-Sie klagte oben über des Buben Trotz, da stand
-Heinrich Fries auf und sagte: »Ich werde ihn holen.«</p>
-
-<p>Er ging, obgleich es ihm noch arg schwer wurde,
-die Treppen zu steigen. Auf einen Stock gestützt, hinkte
-er über den Hof und kam zu Fritz in den Holzstall.<span class="pagenum" id="Seite_253">[253]</span>
-»Fritz,« sagte er, »wenn du nicht zu mir kommst, muß
-ich dich suchen, denn ich habe dir viel zu danken. Du
-warst meiner Mutter ein rechter kleiner Freund, ein
-guter Trost in schwerer Zeit.«</p>
-
-<p>Der Bube schluchzte wild auf und umklammerte
-seinen geliebten Lehrer, und der redete mit ihm, lange,
-lange. Und sie schlossen beide Freundschaft in dieser
-Stunde, Freundschaft für das Leben.</p>
-
-<p>Frau Besenmüller lief unterdessen draußen scheltend
-auf und ab. »Im Holzstall, um so ’nes Buben
-willen, nä, was zuviel ist, das ist zuviel.«</p>
-
-<p>»Lydia,« mahnte ihr Mann endlich, »geh du da
-fort. Wenn einer was auf dem Herzen hat, dann
-kann er auch im Holzstall reden. Und der Fritze, um
-den lohnt’s schon. Den Besten hat sich der Herr Lehrer
-da ausgesucht, das is mal wahr.«</p>
-
-<p>»Wenn er sich nur die Beste aussuchte,« murrte
-Frau Besenmüller. Und das tat der junge Lehrer
-wirklich. Als auf dem Schafskopf die Heckenrosen
-blühten, gab es Hochzeit in Steinach. Eine stille nur,
-denn für Feste war es keine Zeit. Aber Glück und
-Freude blühen auch in Kriegszeiten, und Pfarrers Regine
-war eine glückliche und eine frohe Braut.</p>
-
-<p>»Der junge Herr Lehrer heiratet Pfarrers Regine!«
-Wenn die Spatzen von Steinach hätten singen<span class="pagenum" id="Seite_254">[254]</span>
-können, dies hätten sie gesungen, so oft hörten sie es,
-von Mädeln und Buben, von Alten und Jungen. Am
-lautesten freute sich Frau Besenmüller und am meisten
-doch darüber, daß Vater Hiller in Steinach bleiben
-wollte. Er mochte nicht mehr zurückkehren in die
-Stadt, die ihm fremd geworden war. In dem großen
-Schulhaus gab es leere Zimmer, da wollte er wohnen,
-und Frau Fries und Frau Besenmüller versprachen
-ihm alle Pflege.</p>
-
-<p>Eine bittere Enttäuschung war es den Kindern,
-daß nach der Hochzeit ihr junger Lehrer wieder fortging.
-Erst gesund werden, dann arbeiten, hieß es,
-und mit dem Gesundwerden dauerte es noch an, so
-schnell lernt einer nicht mit zwei Gliedern weniger
-fortzukommen.</p>
-
-<p>Wieder reiften auf der Apfelstraße die Äpfel, und
-wieder mal hielt Besenmüller auf der verkehrten Straße
-Wache, da kamen Heinrich und Regine nach Steinach
-zurück. Draußen tobte noch der Krieg, aber Steinach
-lag im Frieden. »Vor zwei Jahren kam ich her, ein
-gesunder Mann mit einem mißmutigen Herzen, jetzt
-kehre ich zurück, ein Krüppel mit frohem Herzen,« sagte
-der junge Mann heiter. Sie hatten sich nicht angemeldet,
-sie wollten alle daheim überraschen. Wie sie aber
-so unter den ersten Bäumen hingingen, rauschte es in<span class="pagenum" id="Seite_255">[255]</span>
-den Zweigen, und ein jauchzendes Gebrüll erhob sich:
-»Hurra, hurra, se sin da!«</p>
-
-<p>Purzel, purzel kam es von den Bäumen herab,
-es hopste aus den Gräben heraus, und jauchzend umdrängten
-die Kinder ihren Lehrer. »Hurra, hurra!«</p>
-
-<p>Bis zur Pflaumenstraße hin tönte das Geschrei,
-dort lauschte Besenmüller. »Nu haben se wieder etwas
-angestiftet. Nä, nä, Schelme sin se doch, was wahr
-ist, das ist wahr!«</p>
-
-<div class="figcenter" id="illu-264">
- <img src="images/illu-264.jpg" alt="" />
-</div>
-
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p class="center">Lustige Erzählungen von Josephine Siebe:</p>
-</div>
-
-<div class="figleft illowp25" id="illu-265a">
- <img class="w100" src="images/illu-265a.jpg" alt="Cover" />
-</div>
-<p class="h2">Oberheudorfer Buben-
-und Mädelgeschichten</p>
-
-<p class="center">Mit vier farbig. Vollbildern und
-zahlreichen Textillustrationen</p>
-
-<p class="s80">Unter der Fülle von Jugendschriften verdient
-dieses Buch ganz besondere Beachtung.
-Was an den Erzählungen so sehr gefällt, das
-ist die Frische, Lebendigkeit und Anschaulichkeit
-der Darstellung und der köstliche Humor,
-der uns fast in allen begegnet. Sie wollen
-unsere Jugend erfreuen, und sie werden sie
-erfreuen. Wer also Kindern eine besondere
-Freude bereiten will, der schenke ihnen dieses
-Buch.</p>
-
-<p class="s80 right">
-(Casseler Allg. Ztg.)
-</p>
-
-<p class="h2 p2">Lustige Fahrten ins
-Blaue hinein</p>
-
-<p class="center">Heitere Erzählungen f. d. Jugend
-Mit sechs farbigen Vollbildern</p>
-
-<p class="s80">Alle Achtung vor diesem famosen Buche! Wenige Schriftstellerinnen wissen so
-zu erzählen wie Josephine Siebe. Ein Sonnenglanz liegt über allen kleinen und
-großen Begebenheiten, der Schelm Humor setzt überall helle Lichter auf. In einzelnen
-Stücken, wie »Das Feuermännchen« und in dem besonders wertvollen »Die
-Reise ins Graue«, erhebt sich die Erzählerin zur Dichterin. Möge sie der Kinderwelt
-noch recht oft solche urwüchsige und herzerfreuende Geschichten erzählen, sie sind
-dazu angetan, unsern Lieblingen fröhliche Gesichter und Herzen zu machen. Josephine
-Siebe hat’s von Gott, die rechte Heiterkeit
-nämlich, die sich fein unterscheidet von
-der lärmenden Lustigkeit.</p>
-
-<p class="s80 right">
-(Alton. Nachr.)
-</p>
-
-<div class="figleft illowp25" id="illu-265b">
- <img class="w100" src="images/illu-265b.jpg" alt="Cover" />
-</div>
-
-<p class="h2 p2">Neue Kindergeschichten
-aus Oberheudorf</p>
-
-<p class="center">Mit vier farbig. Vollbildern und
-zahlreichen Textillustrationen</p>
-
-<p class="s80">Die fünfzehn Geschichten haben es vorzugsweise
-auf das Fröhliche, die Komik, das
-drollig Vergnügliche abgesehen. Unsere Jugend
-muß sich wohlfühlen unter diesen
-Dorfkindern, die sich so herzensfroh ihres
-Daseins freuen, und die so lebenswahr vorgeführt
-werden in ihrer Harmlosigkeit und
-Natürlichkeit, in ihren unschuldigen Freuden
-und Vergnügungen, aber auch in ihren
-kleinen und großen Leiden und Sorgen.
-Es ist eine recht humorvolle Lektüre.</p>
-
-<p class="s80 right">
-(Die Gartenlaube)
-</p>
-
-<p class="h2 p2 clear">Die Oberheudorfer in
-der Stadt</p>
-
-<div class="figleft illowp25" id="illu-266a">
- <img class="w100" src="images/illu-266a.jpg" alt="Cover" />
-</div>
-
-<p class="center">Reich illustriert</p>
-
-<p class="s80">Alle, die die Oberheudorfer Kinder aus
-den früheren Erzählungen von Josephine
-Siebe kennengelernt haben, werden sich
-freuen, ihnen hier wieder zu begegnen, freuen
-auch, daß es dieselben prächtigen, frischen
-Buben und Mädel sind, die in ihrem kleinen
-Dorf so viel echte Herzensbildung gewonnen,
-daß sie manch hochgebildeten Städter beschämen
-und ihm im Guten vorangehen
-können. Bei ihren Besuchen des alten Kameraden,
-der in der Stadt das Gymnasium
-besucht, erleben sie manches, bleiben aber
-immer in drolligster Art Herren der Lage.</p>
-
-<p class="s80 right">
-(Schwäbischer Merkur)
-</p>
-
-<p class="h2 p2">Dudeleins Garten und
-Schippels Kinder</p>
-
-<p class="center">Ein heiteres Kinderbuch mit vier farbigen Vollbildern</p>
-
-<p class="s80">Die beliebte Verfasserin führt hier eine Anzahl Kinder eines Mietshauses vor,
-deren Versammlungsort »das Himmelreich«, die Mauer eines an den Hof stoßenden
-Parkes ist. Wie die Sehnsucht der Kleinen nach den Schönheiten dieses prachtvollen
-Gartens gestillt wird, und wie eine einsame, alte Frau durch diese Kinder
-wieder Freude am Leben findet, das wird
-den jungen Lesern viel Vergnügen bereiten.</p>
-
-<p class="s80 right">
-(Reclams Universum)
-</p>
-
-<p class="h2 p2 clear">Im Hasenwunderland</p>
-
-<div class="figleft illowp25" id="illu-266b">
- <img class="w100" src="images/illu-266b.jpg" alt="Cover" />
-</div>
-
-<p class="center">Ein fröhliches Kinderbuch mit
-zwölf farbigen Vollbildern und
-vielen Textillustrationen</p>
-
-<p class="s80">»Im Hasenwunderland« gehört zu den
-Büchern, die den Kleinen lieb werden müssen,
-zumal zu der glücklichen Idee, Meister Lampe
-zum Helden einer wunderbaren Geschichte zu
-wählen, eine ganz ausgezeichnete illustrative
-Ausstattung von Joseph Mauder hinzutritt,
-ausgezeichnet, weil echt kindlich empfunden,
-wie übrigens auch die ganze Erzählung,
-die schlicht und einfach die Abenteuer aus
-der Welt der Familie Hase nebst Anverwandten
-vorträgt. Wir können dieses ganz
-vorzügliche Kinderbuch nicht warm genug
-empfehlen.</p>
-
-<p class="s80 right">
-(Neue Zürcher Zeitung)
-</p>
-
-<p class="center p2 clear">Verlag von Levy &amp; Müller in Stuttgart</p>
-
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p class="center">Lustige Erzählungen für die Jugend</p>
-</div>
-
-<div class="figleft illowp25" id="illu-267a">
- <img class="w100" src="images/illu-267a.jpg" alt="Cover" />
-</div>
-
-<p class="h2 p2">Rose, Linde
-und Silberner Stern</p>
-
-<p class="center">Erzählung für die Jugend
-von Josephine Siebe</p>
-
-<p class="center">Reich illustriert</p>
-
-<p class="s80">Mit viel Aufwand von Lustigkeit und
-Humor, dem ein schöner, tiefer Ernst nicht
-mangelt, erzählt hier Josephine Siebe von
-dem Leben und Treiben einer Kinderschar
-aus der Rose, der Linde und dem Silbernen
-Stern, drei befreundeten Häusern einer Kleinstadt,
-und weiß die drolligen Vorgänge mit
-so viel Spannung und guter Laune zu schildern,
-daß die kleinen Leser das Buch hochbefriedigt
-aus der Hand legen werden. Unter
-den Siebeschen Büchern steht diese Erzählung
-ohne Zweifel mit an erster Stelle.</p>
-
-<p class="h2 p2">Das
-Mondscheinprinzeßchen</p>
-
-<p class="center">Eine heitere Kindergeschichte von Thea von Harbou</p>
-
-<p class="center">Mit vier bunten Vollbildern</p>
-
-<p class="s80">Taufrisch, voll warmer Lebensfreude und harmlosen Übermuts ist die Erzählung
-von der verzogenen, grämlichen Mondscheinprinzeß Johanna, die in das
-Forsthaus und in die derben Fäuste der Hubertusrangen gerät, die ihr den eigensinnigen
-Kopf zurechtsetzen und die steifen, matten Glieder durchkneten, bis sie
-straff und gelenkig werden. An der Hand der
-liebreichen Hausmutter entdeckt Mondscheinprinzeßchen
-ihr Herz und erfährt, daß man
-nicht immer an sich selbst denken, sondern
-andern Liebes erweisen soll. Ohne Zweifel
-wird diese Erzählung den Kleinen viel Freude
-bereiten.</p>
-
-<p class="s80 right">
-(General-Anzeiger für Hamburg)
-</p>
-
-<p class="h2 p2 clear">Frohe Jugend</p>
-
-<div class="figleft illowp25" id="illu-267b">
- <img class="w100" src="images/illu-267b.jpg" alt="Cover" />
-</div>
-
-<p class="center">Hundertein schöne Kindergeschichten
-von Helene Stökl u. Frau Juliane</p>
-
-<p class="center">Mit zahlreichen Illustrationen</p>
-
-<p class="s80">Und ein gar liebes, den ganz Kleinen gewidmetes
-Buch heißt »Frohe Jugend«. Es sollte
-in den Kinderstuben recht heimisch werden.
-Die kurzen, ganz reizend erzählten Geschichtchen
-aus den verschiedensten Gebieten, aber
-alle von einem warmen, poetischen Unterton
-getragen, sind wie wenige geeignet, Phantasie
-und Gemüt des kleinen Volkes zu beschenken.
-Vortrefflich eignen sie sich zum Vorlesen und
-Nacherzählen.</p>
-
-<p class="s80 right">
-(Leipziger Ill. Zeitung)
-</p>
-
-<p class="h2 p2 clear">Kasperle auf Reisen</p>
-
-<div class="figleft illowp25" id="illu-268a">
- <img class="w100" src="images/illu-268a.jpg" alt="Cover" />
-</div>
-
-<p class="center">Eine lustige Geschichte
-von Josephine Siebe</p>
-
-<p class="center">Mit vier farbigen Vollbildern</p>
-
-<p class="s80">Einen ganz eigenartigen Stoff hat sich die bewährte
-Jugendschriftstellerin diesmal erkoren. Der
-Puppenschnitzer Friedolin findet beim Stöbern in
-einem alten Schrank ein aus langem Zauberschlaf
-erwachendes Kasperle, das bereits seinen Vorfahren
-als Modell gedient hat. Die Wanderlust treibt
-Kasperle indes im Frühjahr aus dem Waldhaus in
-die weite Welt hinaus, wo der schnurrige Schelm
-die merkwürdigsten Abenteuer erlebt und sich in
-dem Schloßtöchterlein Rosemarie und dem Geißbuben
-Michele treue Freunde erwirbt, bis er schließlich
-nach allerlei lustigen Erlebnissen wieder ins
-Waldhaus heimfindet.</p>
-
-<p class="s80 right">
-(Breslauer Zeitung)
-</p>
-
-<p class="h2 p2">Die Sternbuben in der Großstadt</p>
-
-<p class="center">Eine heitere Geschichte von Josephine Siebe</p>
-
-<p class="center">Mit vier Vollbildern</p>
-
-<p class="s80">Die beiden Buben der Wirtin vom »Silbernen Stern« in Breitenwert werden
-von ihrer Pate zum Besuch nach Leipzig eingeladen und erleben auf der Fahrt
-und in der Großstadt die drolligsten Abenteuer. Ihre Erlebnisse sind mit überwältigender
-Komik geschildert.</p>
-
-<p class="s80 right">
-(Reclams Universum)
-</p>
-
-<p class="h2 p2 clear">Kasperle
-auf Burg Himmelhoch</p>
-
-<div class="figleft illowp25" id="illu-268b">
- <img class="w100" src="images/illu-268b.jpg" alt="Cover" />
-</div>
-
-<p class="center">Lustige Geschichte v. Josephine Siebe</p>
-
-<p class="center">Mit farbigem Decken- u. Vollbild und
-zahlreichen Scherenschnitten</p>
-
-<p class="s80">Der Untertitel verspricht nicht zu viel: es ist
-wirklich eine lustige Geschichte, und vor allem
-weiß die Verfasserin so zu erzählen, wie man
-Kindern erzählen muß. Jede Mutter, die aus
-diesem Buch ihren Kleinen vorliest, wird ihre
-helle Freude daran haben, wie die Kinder mit
-gespanntem Blick an ihren Lippen hängen und
-immer wieder in fröhliches Gelächter ausbrechen,
-wenn der potzlustige kleine Spaßmacher wieder
-einen neuen Unfug ausgeheckt hat und sich in
-jeder Lebenslage zu helfen weiß. Die vielen
-Scherenschnitte, ganz im Ton der lustigen Geschichte
-gehalten, bedeuten eine wertvolle Bereicherung
-des Buches.</p>
-
-<p class="s80 right">
-(Revaler Bote)
-</p>
-
-<p class="center p2 clear">Verlag von Levy &amp; Müller in Stuttgart</p>
-
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter">
-<p class="center">Unsre illustrierte, billige Jugendschriftenreihe:</p>
-</div>
-
-<p class="h2">Lieblingsbücher
-der Jugend</p>
-
-<p class="center">Bisher erschienen:</p>
-
-<div class="hang">
-<p>Bd. 1: <span class="larger">Im Schlaraffenland</span></p>
-<p class="noind">und andere Märchen von Ludwig
-Bechstein</p>
-
-<p>Bd. 2: <span class="larger">Die wilden Schwäne</span></p>
-<p class="noind">und andere Märchen von H. Chr. Andersen</p>
-
-<p>Bd. 3: <span class="larger">Das Riesenspielzeug</span></p>
-<p class="noind">und andere deutsche Sagen von
-Grimm, Bechstein u. a.</p>
-
-<p>Bd. 4: <span class="larger">Mein liebes Fabelbuch</span></p>
-<p class="noind">Mit Fabeln v. Aesop, Lessing, Gellert</p>
-
-<p>Bd. 5: <span class="larger">Lustige Geschichten</span></p>
-<p class="noind">fürs kleine Volk. Beiträge von Stökl,
-Hebel, Schwab</p>
-
-<p>Bd. 6: <span class="larger">Abenteuergeschichten</span></p>
-<p class="noind">aus fernen Ländern von Sealsfield,
-Cooper, Wörishöffer u. Zwilgmeyer</p>
-
-<p>Bd. 7: <span class="larger">Der Knabe des Tell</span></p>
-<p class="noind">Erzählung für Jugend und Volk von
-Jeremias Gotthelf</p>
-
-<p>Bd. 8: <span class="larger">Das Drachenried</span></p>
-<p class="noind">Schweizer Sagen und Heldengeschichten
-I von M. Lienert</p>
-
-<p>Bd. 9: <span class="larger">Das tapfere Schneiderlein</span></p>
-<p class="noind">und andere deutsche Sagen
-aus Österreich</p>
-
-<p>Bd. 10: <span class="larger">Die sieben Schwaben</span></p>
-<p class="noind">und der Spiegelschwab von L. Aurbacher</p>
-
-<p>Bd. 11: <span class="larger">Der gehörnte Siegfried</span></p>
-<p class="noind">u. der arme Heinrich von G. Schwab</p>
-
-<p>Bd. 12: <span class="larger">Die Schildbürger</span></p>
-<p class="noind">von Gustav Schwab</p>
-</div>
-
-<p class="center p2">Jeder Band mit buntem Einlagebild und vielen
-Textillustrationen</p>
-
-<div class="figcenter" id="illu-269">
- <img src="images/illu-269.jpg" alt="" />
-</div>
-
-<p>Unter der bewährten Leitung Dr. Otto Brandstädters liegen die von verschiedenen
-Schriftstellern bearbeiteten schmucken Bändchen der »Lieblingsbücher
-der Jugend« vor, deren Inhalt in Märchen und Erzählungen, Sagen und
-Heldengeschichten gesunde Kost, Unterhaltung und Anregung bringt für Jugend
-und Volk.</p>
-
-<p class="right">
-(Schwäbischer Merkur)
-</p>
-
-<p class="center p2">Verlag von Levy &amp; Müller in Stuttgart</p>
-
-<hr class="chap x-ebookmaker-drop" />
-
-<div class="chapter transnote" id="tnextra">
-
-<p class="h2">Weitere Anmerkungen zur Transkription</p>
-
-<p>Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.
-Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.
-Die ganzseitigen Abbildungen wurden auf die referenzierte Seite
-verschoben.</p>
-</div>
-
-<div lang='en' xml:lang='en'>
-<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK <span lang='de' xml:lang='de'>DIE SCHELME VON STEINACH</span> ***</div>
-<div style='text-align:left'>
-
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-Updated editions will replace the previous one&#8212;the old editions will
-be renamed.
-</div>
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-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg&#8482;
-</div>
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-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; is synonymous with the free distribution of
-electronic works in formats readable by the widest variety of
-computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
-exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
-from people in all walks of life.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Volunteers and financial support to provide volunteers with the
-assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg&#8482;&#8217;s
-goals and ensuring that the Project Gutenberg&#8482; collection will
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-Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
-and permanent future for Project Gutenberg&#8482; and future
-generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
-Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
-501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
-state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
-Revenue Service. The Foundation&#8217;s EIN or federal tax identification
-number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
-U.S. federal laws and your state&#8217;s laws.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Foundation&#8217;s business office is located at 809 North 1500 West,
-Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
-to date contact information can be found at the Foundation&#8217;s website
-and official page at www.gutenberg.org/contact
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; depends upon and cannot survive without widespread
-public support and donations to carry out its mission of
-increasing the number of public domain and licensed works that can be
-freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
-array of equipment including outdated equipment. Many small donations
-($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
-status with the IRS.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-The Foundation is committed to complying with the laws regulating
-charities and charitable donations in all 50 states of the United
-States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
-considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
-with these requirements. We do not solicit donations in locations
-where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
-DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
-visit <a href="https://www.gutenberg.org/donate/">www.gutenberg.org/donate</a>.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-While we cannot and do not solicit contributions from states where we
-have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
-against accepting unsolicited donations from donors in such states who
-approach us with offers to donate.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-International donations are gratefully accepted, but we cannot make
-any statements concerning tax treatment of donations received from
-outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
-methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
-ways including checks, online payments and credit card donations. To
-donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
-</div>
-
-<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'>
-Section 5. General Information About Project Gutenberg&#8482; electronic works
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
-Gutenberg&#8482; concept of a library of electronic works that could be
-freely shared with anyone. For forty years, he produced and
-distributed Project Gutenberg&#8482; eBooks with only a loose network of
-volunteer support.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Project Gutenberg&#8482; eBooks are often created from several printed
-editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
-the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
-necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
-edition.
-</div>
-
-<div style='display:block; margin:1em 0'>
-Most people start at our website which has the main PG search
-facility: <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>.
-</div>
-
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-This website includes information about Project Gutenberg&#8482;,
-including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
-Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
-subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
-</div>
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-</div>
-</div>
-</body>
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Binary files differ
diff --git a/old/67488-h/images/illu-264.jpg b/old/67488-h/images/illu-264.jpg
deleted file mode 100644
index 0f9c205..0000000
--- a/old/67488-h/images/illu-264.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/67488-h/images/illu-265a.jpg b/old/67488-h/images/illu-265a.jpg
deleted file mode 100644
index a625d4d..0000000
--- a/old/67488-h/images/illu-265a.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/67488-h/images/illu-265b.jpg b/old/67488-h/images/illu-265b.jpg
deleted file mode 100644
index 8fdfe37..0000000
--- a/old/67488-h/images/illu-265b.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/67488-h/images/illu-266a.jpg b/old/67488-h/images/illu-266a.jpg
deleted file mode 100644
index 05569dc..0000000
--- a/old/67488-h/images/illu-266a.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/67488-h/images/illu-266b.jpg b/old/67488-h/images/illu-266b.jpg
deleted file mode 100644
index f721e2b..0000000
--- a/old/67488-h/images/illu-266b.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/67488-h/images/illu-267a.jpg b/old/67488-h/images/illu-267a.jpg
deleted file mode 100644
index a43d0cf..0000000
--- a/old/67488-h/images/illu-267a.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/67488-h/images/illu-267b.jpg b/old/67488-h/images/illu-267b.jpg
deleted file mode 100644
index ac770d0..0000000
--- a/old/67488-h/images/illu-267b.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/67488-h/images/illu-268a.jpg b/old/67488-h/images/illu-268a.jpg
deleted file mode 100644
index 3759d26..0000000
--- a/old/67488-h/images/illu-268a.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/67488-h/images/illu-268b.jpg b/old/67488-h/images/illu-268b.jpg
deleted file mode 100644
index bfefeb0..0000000
--- a/old/67488-h/images/illu-268b.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ
diff --git a/old/67488-h/images/illu-269.jpg b/old/67488-h/images/illu-269.jpg
deleted file mode 100644
index 382e1ef..0000000
--- a/old/67488-h/images/illu-269.jpg
+++ /dev/null
Binary files differ