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If you are not located in the United States, you -will have to check the laws of the country where you are located before -using this eBook. - -Title: Venusmärchen - Geschichten aus einer andern Welt - -Authors: Edna Fern - Fernande Richter - -Release Date: December 26, 2021 [eBook #67015] - -Language: German - -Produced by: the Online Distributed Proofreading Team at - https://www.pgdp.net (This file was produced from images - generously made available by The Internet Archive) - -*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK VENUSMÄRCHEN *** - - - - - - Venusmärchen. - - Geschichten aus einer andern Welt. - - - Von - - Edna Fern. - - - [Illustration] - - - Zürich 1899. - - Verlags-Magazin J. Schabelitz. - - - Alle Rechte vorbehalten. - - Druck von J. Schabelitz in Zürich. - - - - - Was ich als Kind einst von der alten Muhme - In märchengrauer Dämmerstund' erlauscht, - Was sonnenhell mir Wind und Wald gerauscht, - Was mir geduftet hat die stille Blume, - - Das wuchs in mir zu einem Heiligtume. -- - Da kam das Leben, wichtig aufgebauscht, - Und hätt' vernünftig thuend gern vertauscht - Das Märchen mir -- zu ernstem Wissens-Ruhme. - - Doch lächelnd ging das Flüchtige vor mir her - Und zeigte mir den Weg aus Tages Enge - Und hob empor mich aus der Welt Gedränge -- - - Der Märchen-Weisheit ewige Wiederkehr, - Die lehrt' es mich. -- Nun nimmt es seinen Lauf - Mild siegend weiter: Nehmt es bei euch auf! -- - - - - -Inhalt. - - - Seite - - Venus und Madonna 1 - - Der kleine Finger der Venus von Medici 5 - - Der gefesselte Cupido 18 - - Psyche 24 - - Unser Frühling 37 - - Frostiger Frühling 43 - - Das Märchen, das gar nicht kommen wollte 50 - - Klein Hildegard 58 - - Das Märchen, das verloren gegangen war 70 - - In der Gosse 81 - - Sonniger Winter 91 - - Ein Weihnachtsmärchen 99 - - Schneeflocken 108 - - Das Märchen von der weißen Stadt 120 - - Weltausstellung im Walde 130 - - Das Märchen von Einem, der auszog, ein Sonntagskind zu werden 141 - - Rauch 151 - - - - -Venus und Madonna. - - -Dunkel wölbt sich der Himmel über der Erde, und die Sterne grüßen -einander und winken -- das ist das Flimmern -- fassen einander bei den -Händen und tanzen einen feierlichen Reigen über die unermeßlichen -Himmelsbahnen, und »Seht, wie klar die Milchstraße heute Abend ist!« -sagen sie auf der Erde. -- - -Da löst sich ein großer, glänzender Stern vom Firmament, der hat -funkelnd im kalten Norden gestanden, zieht seine leuchtende Bahn über den -dunkeln Nachthimmel hinweg und fällt zur Erde nieder. -- - -Da löst sich ein anderer, ein flimmernder, unruhiger Stern vom Firmament, -der hat blitzend im Süden gestanden, zieht seine schimmernde Bahn über -den dunkeln Nachthimmel und fällt zur Erde nieder. -- - -Und die beiden schönen Sterne fallen auf die große, weite Erde, in einen -Wald voll mächtiger Bäume, süß duftender Blumen, singender Vögelein, -spielender Tiere. -- Und siehe! da stehen die ersten Menschen, ein Mann -und ein Weib, sie blicken einander an, reichen sich die Hände und küssen -sich. Die beiden vom Himmel gefallenen, Mensch gewordenen Sterne -- sie -sind der Glaube, der Glaube an das Schöne, und die Sehnsucht. -- - -Und wieder und wieder flimmern, zittern, funkeln die Sterne am Himmel. Im -Walde der Ewigkeit ruht das Weib in den Armen des Mannes; und sie gebiert -ihm die Liebe -- das Kind der Sehnsucht und des Glaubens. - -Da aber das schöne Menschenpaar ganz allein im großen, weiten Walde -wohnt, und nichts weiß von dem Gewimmel des Zwergengeschlechtes weit -draußen in der Welt, so wissen sie auch nicht, wen sie wohl zu Gevatter -bitten sollen, als sie ihr Kind, die holde Liebe, mit Himmelstau zu taufen -gedenken. Schon beginnen die Maiglöckchen ein wunderlieblich Geläut, -die Vöglein konzertieren und singen und flöten, und einherziehen -gravitätisch die Tiere des Waldes. - -Das anmutige Reh äugt mit klugen Augen, das Häslein putzt sich, das -Eichhörnchen tanzt, der Dachs lugt hervor aus seinem Versteck, die -Eidechsen und Käfer huschen und jagen, die Schmetterlinge gaukeln um die -Blätterwiege, in der die Liebe ruht -- --, aber niemand ist da, der -das Kindlein tauft, und keine Gevatterin, die Liebe über die Taufe zu -halten. -- - -»Ich,« spricht der Fuchs und kommt geschlichen und streckt sein spitzes -Näschen zur Wiege des Kindes empor, »ich versteh's, das Taufen, bin bei -den Jesuiten in die Lehre gegangen, bin gut katholisch und sehr schlau.« - -»Krah, krah!« krächzt ein großer, schwarzer Kolkrabe, »hier, nehmt -mich! Strengorthodox, schwarz, düster, wie meine Religion.« - -»Vielleicht alttestamentarisch?« fragt höflich ein Eidechslein, -glitzernd von Gold, und dreht und windet sich immer wieder heran. - -»Oder gar freisinnig?« klappert der Storch, spießt nach dem Eidechslein, -kröpft sich und schlägt sehr stolz und freisinnig mit den Flügeln. - -Vater Glaube und Mutter Sehnsucht schütteln die schönen Häupter und -blicken ratlos um sich -- doch sieh! Licht, Sonnenschein überall um sie -her, flutet über Blumen und Vöglein und Tiere hin, und - -»Ich,« spricht der Sonnenstrahl, »will die Liebe taufen. Ich dringe ihr -ins Herz hinein, ich wohne in ihren Augen. In jedem Lächeln ihres Mundes -zittere Sonnenschein, in jeder Bewegung ihrer Glieder herrsche Anmut, -Freude, Wärme.« Und - -»Wir,« klingen sanfte und wunderbar eindringliche Stimmen, »wir wollen -Paten sein.« Zwei Frauengestalten neigen sich zu jeder Seite der Wiege, -in der die Liebe schlummert, so schön, so überirdisch schön, daß Glaube -und Sehnsucht demütig niederknieen. Die wissen nicht, ist es ein und -dieselbe, die zwei Gestalten angenommen hat, oder sind es zwei hehre -Frauen, die da niedergestiegen sind aus den Wolken, die Liebe zu -segnen. Wunderbar ähnlich sind sich die Schwestern, nur trägt die eine -langwallende Gewänder, und sie hält ein lieblich Kindlein fest an -ihr Herz gedrückt, und mild und rein ist das Lächeln ihres Mundes. -Unverhüllt glänzen der andern herrliche Glieder, süß berauschend wirkt -ihre Nähe, und heiße Glut entströmt den Augen. - -Die beugt sich nieder zur Blätterwiege und küßt das schlummernd Kindlein -auf die unschuldigen Lippen, und spricht: - -»Deinen Körper gib hin, o Liebe, und all deine Sinne und jede Fiber -deines Herzens!« - -Da legt die Erste segnend die Hand auf des Kindes Haupt: - -»Deine Seele gib,« hauchte sie, »und Mutterliebe sei dein Glück!« -- - -Und siehe! Aus dem Kinde ist plötzlich ein Weib geworden, himmlisch -schön, wie das Schwesterpaar -- es steht allein in all seiner Pracht auf -der weiten, sonnigen Erde. So zieht die Liebe in die Welt hinaus, das Kind -der Sehnsucht und des Glaubens, keusch wie Madonna, wonnig wie Venus -- und -das Zwergengeschlecht wendet sich ab von ihr, denn es kennt sie nicht. -- -Weiche Lüfte aber wehen und tragen das Elternpaar, das der Welt die Liebe -geboren hat, hinan zum Himmel. Dort, zwischen den Sternen, wohnen nun -wieder die Sehnsucht nach dem Glück und der Glaube an das Schöne. -- - - - - -Der kleine Finger der Venus von Medici. - - -Es war einmal ein Sonntagskind, das wanderte in der Welt umher und suchte --- es wußte selber nicht was. Aber es blieb nicht auf dem schönen, -trockenen, breiten Wege, den schon so viele andere vor ihm gewandelt waren, -sondern mit der, den Kindern eigenen Passion für das Unbequeme, lief -es quer über die Straße, kletterte mühsam über einen großen Stein, -tappste in eine Pfütze, wie es ja deren so viele in der Welt gibt, und als -es erschrocken seine schönen, reinen Füßchen zurückzog, geriet es in -den Straßenkot; da eilte es entsetzt weiter, stolperte auf der anderen -Seite über einen noch größeren Stein und rannte mit dem Magen gegen -eines der eisernen Gitter, die überall in der Welt herumstehen. Nun -hatte vorläufig seine Reise ein Ende. Verdutzt sah es ein Weilchen das -häßliche Gitter an, dann um sich und nun über sich, und es erblickte -eine große, dunkle Wolke, die ballte sich zusammen aus all dem Dampf, der -aus den Häusern, den Fabrikschornsteinen, den Lokomotiven aufstieg, -und zog wie ein Heer Gespenster über den lieben Abendhimmel. Der schien -seltsam bunt drunter hervor -- glührot und rosenfarben und lichtgrau und -blau und zartes Grün -- wie als ob er dem schwarzen Gespensterheer mit -seinen Lichtelfen Trotz zu bieten gedächte. Aber die finstere Riesenwolke -ballt sich immer drohender und trotziger zusammen, und da wird es dem -Sonntagskinde ganz beklommen und bange ums Herz, und es stürzt davon, -durch die Straßen, so schnell es seine Füße tragen können, und über -ihm zieht die Wolke. Da aber verschwindet sie plötzlich, wie fortgeweht, -und das Kind hält inne in seinem tollen Lauf, denn es steht vor einem -goldenen Gitter, hinter dem hohe Bäume herüberwinken und ein süßer, -feiner Duft emporzieht. - -»Ach,« denkt das Sonntagskind, »da drinnen muß es gut sein, ich möchte -ausruhen, denn ich bin sehr müde -- ob ich wohl hineinschlüpfen dürfte? --- Ich will auch ganz leise sein.« - -Kaum hat es das gedacht, so öffnet sich die goldene Thür, sanft, wie -von Feenhand, und das Sonntagskind schleicht vorsichtig hinein, sich noch -einmal bang nach der schwarzen Wolke umschauend. -- Richtig, ganz in weiter -Ferne hängt sie und blickt drohend herüber. - -Nun ist das Sonntagskind drinnen in einem herrlichen Garten. Weg ist seine -Müdigkeit; mit weitgeöffneten, glänzenden Augen wandelt es auf weichen -Wegen unter hohen, ernsthaften Bäumen; mit zitternden Lippen saugt es -süße, berauschende Düfte ein, es lauscht mit Herzklopfen den wonnevollen -Tönen, von denen die Luft ringsum erfüllt ist. Wie tausend Nachtigallen -Gesang klingt es, aber es sind nicht allein die kleinen Vöglein in -den Zweigen, die so liebliche Melodieen erschallen lassen. Nein, -jedes Blättlein, jede Blüte ist wie ein Echo und trägt die weichen, -sehnsüchtigen Nachtigallentöne vieltausendfach weiter. Und all die Blumen --- die Hyacinthen läuten mit ihren Glöckchen »Klingling! Ach, wie wonnig -ist's hier!« und »Dingdang, dingdang!« antwortet die blaue Glockenblume, -»ich läute zur Abendmette der Natur!« -- - -Die hohen, schneeigen Lilien senden ihre schweren, süßen Düfte nach -oben, der sentimentale Jasmin, die neckische Syringe; und die schwermütige -Narcisse wendet ihr weißes Blumengesicht sehnsüchtig dem Monde zu. Denn -Nacht ist's geworden: Millionen blitzender Sterne sehen mit funkelnden -Augen vom Himmel hernieder, und der Mond gleitet mit ruhigem Schein über -den Garten hinweg, so hell und klar, daß das Sonntagskind die vielen -zierlichen Gestalten sehen kann, kleine Elfen und Kobolde, die sich im -Gras zwischen den Blumen tummeln, und die Nixen und Wasserelfen -- auf den -großen, grünen Blättern der Wasserrosen im See kauern sie und lassen -sich schaukelnd hin und her treiben und greifen jauchzend nach dem -glitzernden Sprühregen, den Tritonen im mächtigen Strahl gen Himmel -senden und der, leuchtend wie Diamanten im Mondesglanz, zu ihnen -niederfällt. - -In den lauschigen Ecken und Winkeln der Gebüsche stehen weiße Gestalten --- sind's Menschen? Sie sind nackt, kaum mit einem leichten Flor bekleidet. --- Sie sind schön, himmlisch schön, und das Sonntagskind tritt näher und -faßt Mut, weil sie so gar lieb und gut blicken, und es berührt sie ganz -vorsichtig und leise mit der Hand, streichelt die schönen, nackten Füße -und -- fährt erschrocken zurück, denn eiseskalt sind sie und tot. - -Doch sieh -- bewegen sie sich nicht? Und horch -- hörst Du nicht leises -Kichern, Flüstern, neckisches Lachen -- ach, und klagendes Schluchzen? -- -Die Hand des Sonntagskindes hat sie berührt -- sie leben, die schönen, -marmornen Menschenbilder, das rote, warme Blut rollt durch ihre Adern, -sie lächeln, es bebt ihr Fuß zum Weiterschreiten. Da neigen sie sich vor -ihrer Königin -- die steht in ihrer Mitte, ein wonnevoll Weib, zierlich -treten ihre schlanken Füße den Boden, die linke Hand deckt schamhaft den -Schoß, die rechte den schneeigen Busen, zur Seite geneigt hält sie das -liebliche Haupt, die holde Venus von Medici -- und nun fassen sie sich bei -den Händen, die herrlichen Göttergestalten und die Elfen und Nixen mit -ihrer weichen, eidechsenhaften Schmiegsamkeit und die komischen Kobolde mit -ihren langen Bärten und listigen Aeuglein und drolligen Bewegungen; sie -tanzen einen zierlichen, wunderlichen Reigen um das Sonntagskind im Kreise, -und sie singen: - -»Bleib' bei uns -- o hier ist's gut sein! Hier ist Schönheit, hier ist -Liebe -- zu süßer Freude wandelt die Lust sich, zu mildem Frieden Angst -und Unruh' -- -- Ach, und der Schmerz, der wild durchtobt des Menschen -Herz -- er löst sich auf in sanftes Klagen, die Sorge wird hier zu Grab' -getragen, und aller Kummer lind gestillt. -- - -»Hörst Du der Nachtigall Gesang? -- So singt die Sehnsucht in Deinem -Herzen. - -»Hörst Du der Blumen Geläut? -- So läuten sie Deine bange Seele zur -Ruh.« - -Und horch! Welch wunderlieblich Geklinge und Gesinge, wie Glockentöne in -weiter Ferne! Näher kommt's -- immer näher -- husch! der lustige -Kreis stiebt auseinander, blitzschnell, wie er gekommen, und vor dem -Sonntagskinde steht eine hehre, schöne Frau, deren zarten Leib umgibt -ein Kleid von Rosenblättern, auf dem wonnesamen Haupt strahlt eine -Sternenkrone, die Flügel des Königsfalters trägt sie an den Schultern, -und ihre Füße wandeln auf Blumen. - -Sie lächelt -- da zittert die Luft vor Freude -- Sie spricht -- da -lauschen Mond und Sterne. -- »Haben sie Dich erschreckt da draußen in der -Welt, Du Menschenkind?« sagt sie, »hat die große, schwere Wolke Dir das -Herz beklemmt und Dir den Atem genommen? Und bist Du zu mir geflüchtet, in -den Garten der Wonne, in mein Königreich, das Reich der Phantasie? -- Ich -wußte es wohl, Ihr Menschenkinder könnt ohne mich nicht bestehen. Da geht -ein lautes Gerede, ein wildes Geschrei durch die Welt: sie brauchen mich -nicht, _nur_ Natur wollen sie, und nur im groben Alltagskleid, nicht -im glänzenden Schmuck, im schimmernden Geschmeid, womit ich sie -überschütte. -- Aber siehst Du, Du Sonntagskind, kommst doch geflüchtet -zu Deiner Trösterin, ohne die Du die Natur nicht ertragen, ohne die Du -nicht leben kannst. -- Und wenn Du wieder hinausziehst, dann sag' es ihnen -draußen in der Welt, was Du geschaut in meinem Reich. -- Ach, gerade -jetzt sollten sie es wissen, wo die dunkle Wolke schwer über den Völkern -schwebt und sie darnieder drückt. - -»_Weißt_ Du, warum gerade jetzt? _Willst_ Du es wissen?« - -Sie blickt um sich und klatscht in die Hände. Und siehe -- ein -wunderlicher Geselle kommt gehüpft, getollt, gesprungen: nackt ist er und -zart von Gliedern, mit schelmischem Mund und ernsthaften Augen, einen Bogen -trägt er in der Hand und einen Köcher mit Pfeilen an der Hüfte. -- -Sah ihn das Sonntagskind nicht dort im Syringengebüsch auf einer Säule -stehen? - -Doch nun -- einen Purzelbaum schlägt er auf dem weichen Gras und ist zum -eisgrauen Männlein geworden, das lustig mit den Aeuglein zwinkert und -allerlei Kapriolen macht, und plötzlich schwebt er in der Luft, so -fein und zart, als sei er aus Mondenschein gewebt, als sei er auf Blumen -geboren, als sei er mit Tautropfen genährt. Und nun wieder trottelt er -daher wie ein kleiner Brummbär und schlägt mit einer Keule um sich, daß -die Nixchen und Elflein entsetzt zur Seite weichen. - -»O, laß die Possen, Du närrischer Kauz,« lächelt Frau Phantasie, -»nimm Deine wahre Gestalt an, mein Gesell« -- da klingelt's wie von -silbernen Glöckchen, die trägt das wunderliche Kerlchen an seiner -Schellenkappe auf dem Haupte, und legt sein Gesicht in ernsthaft-drollige -Falten, hängt seinen Bogen über den Rücken, als gebrauche er ihn nicht -mehr, und schreitet umher mit gravitätischen Schritten. - -»Ist das Deine wahre Gestalt?« Frau Phantasie schüttelt das schöne -Haupt ... »nun, sei es drum. Sieh',« sagt sie zum Sonntagskind gewandt, -»den Mittler zwischen mir und den Menschen. Nenne ihn Amor, Puck, Geist, -wie Du willst; kannst ihn auch Humor heißen, das hört er am liebsten. -Geh' mit ihm -- die Welt soll er Dir zeigen, wie sie uns Göttern -erscheint. An seiner Hand wird es Dich weniger schmerzen.« - -Sie gleitet dahin wie der Mondesstrahl, die hehre Königin, und ihr -nach durch Busch und Zweig, über Blumen und Moos huscht das lose Volk, -Leuchtkäfern gleich, die in Abendluft baden, und in der Ferne tönt -neckisch Gelache. -- - -»Komm',« sagt der närrische Geselle, und schüttelt seine Kappe, daß -die Glöckchen klingen, »reich' mir Deine Hand, armes Sonntagskind. Hab -Dich schon gesehen draußen in der Welt, wie Du über Steine gestolpert -bist und in Pfützen getreten hast. Ja, es ist immer sicherer, auf den -hübsch ausgetretenen Pfaden der Alltäglichkeit zu wandeln, als seinen -eigenen Weg gehen zu wollen. Hast Dich zur rechten Zeit in meiner Mutter -Phantasie Garten gerettet, sonst hättest Du Dir sicher noch einmal an -irgend einem Weltgitter Kopf und Herz eingerannt, Du dummes Sonntagskind, -Du. -- Also ich soll Dir zeigen, wie es in der Welt eigentlich aussieht. -Wohl kann ich Dir's erklären, denn ich treibe mich viel draußen herum. -Einige in der Welt schwärmen für mich, andere sagen, ich sei ein wahrer -Teufel. Wenn ich mit der Schellenkappe klingele, verstehen mich die -Wenigsten; da muß ich oft schon mit der Plumpkeule dreinschlagen, und dann -schreien sie und sagen, ich hätte ihnen weh gethan. -- Komisches Volk, -diese Menschen!« - -Jetzt sind sie am Ende des Gartens angelangt. Eine hohe Mauer scheidet ihn -von der Außenwelt; an der ranken sich wilder Wein und Epheu, und blaue -Clematis hängen hernieder und rote Trompetenblumen, so dicht, daß man von -den rauhen Steinen nichts gewahr wird, wie nur die runden Glasfensterchen, -die hie und da in die Quadern eingefügt sind. - -»Sieh,« sagt der närrische Sohn der Phantasie und reicht dem -Sonntagskind eine große Trompetenblume als Fernrohr, »die ganze Welt -zieht wie die Bilder eines Guckkastens an unsern Fensterchen vorüber. -Mußt aber nicht durch dieses hier sehen, das ist die rosenfarbene Brille, -durch das schauen nur die Faulen, die ihre Gedanken nicht anstrengen mögen --- ~nota bene~, wenn sie welche haben -- und jenes Fenster dort ist gelb -wie der Neid und dieses rot wie Blut, als ob die Welt in Feuer stünde. -Nein, schau hierher -- Clematis und Weinranken haben ein schönes, kleines -Guckloch gebildet, ein Vöglein, das früh morgens zur Sonne singt, hat -sich drüber ein Nestlein gebaut -- _das_ Glas ist klar und wahr wie meiner -Mutter Augen. Komm, Du Sonntagskind, laß mich über Deine Schulter lehnen -und Dir sehen helfen.« - -»Nein, wie ist die Welt klein!« ruft das Sonntagskind verwundert. - -»Nicht wahr?« antwortet der Geselle, »und Du hast sie immer für so -riesengroß und wichtig gehalten.« - -»Und die Menschen -- wie Zwerge! Sieh' nur das Gewimmel!« lacht das -Sonntagskind. - -»Ja, das macht Spaß, die Welt übersehen zu können,« nickt der Geselle -und die Glöckchen an seiner Schellenkappe klingeln dazu. - -Da draußen in der Welt krabbelt's, prustet's, keucht's und läuft und -schiebt und stößt -- die Großen drängen die Kleinen zur Seite, die -Starken schlagen die Schwachen tot, und die Armen wehklagen gen Himmel. -- - -»Wie eilig sie es alle haben!« wundert sich das Sonntagskind. - -»O sieh' nur, sieh' -- den alten Mann, einen Kahlkopf hat er und unterm -Kinn einen grauen Ziegenbart, und die Augenbrauen stehen wie Borsten in die -Höhe und die Augen glitzern gierig darunter hervor. -- Sieh', wie er an -dem Sack zerrt, wie Gold schimmert es durch die Löcher -- er kann ihn kaum -regieren und Angst und Zornesthränen rinnen aus seinen Augen.« - -»Ja, und er trägt rot und weiß gestreifte Hosen und einen blauen Rock,« -sagt Puck, »und er kaut Tabak, und er flucht englisch, wenn die andern -seinem Geldsack zu nahe kommen.« - -»Ach, und jener dort -- mit großen Sprüngen, mit ellenlangen Schritten -setzt er dem kleinen Irrlicht nach, das über Berg und Thal, durch Sumpf -und Morast vor ihm herhüpft, und sieh' nur, wie seine Frau sich anstrengt, -mitzukommen.« - -»Sieh, sie hebt ihre schönen, seidenen Kleider auf, daß sie nicht -schmutzig werden, und patsch! springt sie mit beiden Füßen in die -Wasserlache -- nachher läßt sie die Kleider wieder drüber hängen -- -dann sieht man ihre beschmutzten Füße nicht -- und guck! das Irrlicht -sieht aus wie ein Ordensbändchen.« - -»O, aber hier, wie schrecklich -- sie bücken sich tief zur Erde, damit -andere auf ihre Rücken treten können und weiter schreiten dort hinauf, wo -es so glitzert und gleißt wie von Prunk und Geschmeide. -- Und dort läßt -sich einer schlagen -- ach, geduldig und wehrt sich nicht!« - -»Liebes Kind,« sagt der Gesell, »die sind aus dem Land, wo die Bedienten -gut geraten.« - -»Lieber Gesell -- o siehst Du den Mann dort in der Ferne -- mit bleichen -Lippen, mit rollenden Augen? Siehst Du, wie er mordet und zittert und -flucht und betet, wie er angstvoll sich windet --« - -»Liebes Kind -- der sitzt auf einem Thron, der wackelt hin und her, und er -trägt den Wahnsinn als Krone und als Scepter eine blutrote Brandfackel -- -wenn er die von sich schleudert, dann bebt die Erde von Kanonendonner -und Menschengestöhn -- und ›Väterchen‹ nennt sich der Mann, liebes -Sonntagskind.« - -»Ach, mein Geselle, wo wollen die vielen Menschen hin, die dort mit den -feinen, kostbaren Kleidern angethan, die ein mit Silber beschlagenes Buch -und einen Geldbeutel in den Händen tragen, die, mit den frommen, ergebenen -Gesichtern --« - -»In die Kirche, Du dummes Sonntagskind, auf daß der Prediger ihnen in -tönenden, salbungsvollen Worten die Angst vom Herzen rede. Dann thun sie, -als ob sie's glauben, was er sagt, und gehen neugestärkt nach Hause und -- -leben weiter.« - -»Und siehst Du jene Schar dort, mein Geselle, Ballettänzer scheinen sie -zu sein. Hei! was sie für Sprünge machen! -- Schau, die wunderlichen -Gesten, und wie elegant sie zu posieren verstehen -- dem Publikum eine -rechte Augenweide. Aber doch -- ich glaube sie thun nur so, es ist ihnen -nicht wohl ums Herz -- sie schauen bleich aus, trotz Schminke und Puder. -- -Sag, mir, was sind's für Leute?« - -»Liebes Kind -- Litteraten sind's, moderne aus dem neunzehnten -Jahrhundert, und die barocken Sprünge und eleganten Posen machen sie aus -Angst, um sich und das Publikum d'rüber hinwegzutäuschen.« - -»Und, mein Geselle, sieh' den Mann dort hinter dem Ofen, in Schlafrock -und Pantoffeln, mit langer Pfeife und dem Bierseidel in der Hand. -- Recht -unzufrieden scheint er mir zu sein, er rückt unruhig hin und her -- horch! -er schilt und gebraucht böse Worte.« - -»Ja, liebes Kind -- das Bier schmeckt nicht, und die Kartoffeln sind -mißraten, und die Pfeife qualmt und durch die Schlafrockärmel pfeift -der Wind, und die Pantoffeln sind unbequem. Da hadert er mit seinem -langmütigen Herrgott im Himmel droben, mit dem Brauersknecht, dem Nigger, -dem Schuster und am meisten mit seiner lieben Frau -- und es ist doch nur -die Angst, die ihn in seiner eigenen Haut sich nicht wohl fühlen läßt. --- Ja, und ›Philister‹ nennt man den Mann, liebes Sonntagskind.« - -»Ach, und, mein Geselle, dort jene Hungernden, Darbenden, Elenden, jene -Neidischen, Unzufriedenen, Hassenden, auf was warten sie finstern Auges, -trotziger Stirn, rachsüchtigen Herzens? Und dort jene Ballgeschmückten, -die im Reigen sich drehen! Was ziehen sie in ihren Masken und Flittern -einher, als wollten sie die Freude zu Grabe tragen?« - -Da faßt der Geselle das Sonntagskind bei den Schultern und wendet es ein -wenig zur Seite: - -»Schau dort hinüber, liebes Kind,« sagt er, »sieh' weithin über die -Welt!« - -Da steht auf einem Berge, hoch über dem Gewirr, Gewimmel, Gehast, ein -großes, starkes Weib, das schwingt mit grimmigem Lächeln, mit finsterem -Angesicht eine Peitsche in ihren Händen, deren vielteilige, zackige -Enden zischend über die ganze Welt hinsausen -- und hohnlachend sieht das -Riesenweib, wie die Menschen angstvoll zusammenfahren und bei jedem Schlage -noch verwirrter durcheinander rennen. - -»Die Wolke, die große Wolke!« ruft das Sonntagskind entsetzt, »siehst -Du, wie sie über die Welt hinfährt? Hörst Du sie zischen und brausen? -Das ist sie, die mich so erschreckt!« - -»Ja,« antwortet der neben ihm und richtet sich auf zu voller Höhe und -seine Augen blitzen. - -»Das ist die Wolke -- das ist die große Angst, die schwer auf der Welt -liegt, die Angst der Völker vor etwas Entsetzlichem, etwas Furchtbarem, -das über sie kommen wird, wie der Blitz durch die Wolken fährt. -- Wird -es sie vernichten? Wird es die Welt zerschmettern, zu nichts zertrümmern --- oder wird aus dem Chaos ein Neues entstehen, ein Herrliches, wie der -Vogel Phönix aus der Asche! Sie wissen's nicht und beben vor Furcht und -wagen kaum, tief Atem zu holen.« - -»Gibt es denn gar kein Mittel, um die Welt von dieser wahnsinnigen Angst -zu befreien, auf daß sie ihr kühn entgegenblicke und ihre ganzen Kräfte -anstrenge, dem Schrecklichen mit Vernunft entgegen zu arbeiten?« fragt das -Sonntagskind schüchtern. - -»Ach, liebes Sonntagskind,« lächelt der Geselle und schüttelt seine -Glöckchen, »das Mittel ist schon da und die Menschen kennen's auch, nur -haben sie es vergessen. -- -- All die große, schwere Angst der Völker -würde sich in nichts verflüchtigen, wenn sie nur ein klein wenig mehr an --- den kleinen Finger der Venus von Medici denken wollten.« - -»An den kleinen Finger der Venus von Medici?« fragt das Sonntagskind mit -großen, verwunderten Augen. - -»Komm,« sagt der närrische Geselle, und schweigend wandern sie durch die -Nacht tief in den Garten hinein. Da stehen sie vor einem dichten Gebüsch, -von lauter seltsamen Sträuchern gebildet; Pinien wiegen ihre schlanken -Wipfel und dunkler Lorbeer schmiegt seine Zweige ineinander. Aber des -Mondes Strahl dringt doch hindurch -- oder ist es das schöne Weib dort, -das den wundersamen Glanz ausstrahlt? Da steht sie in ihrer schimmernden, -weißen Nacktheit inmitten all dem Grünen -- zierlich treten ihre -schlanken Füße den Boden, die linke Hand deckt schamhaft den Schoß, -die rechte den schneeigen Busen, und der wunderbare kleine Finger dieser -rechten Hand spreizt sich ein wenig von den andern ab, zur Seite geneigt -hält sie das schöne Haupt -- lauscht sie? -- - -Betäubt von all ihrer Schönheit sinkt das Sonntagskind in die Knie. Der -Geselle aber tritt bescheiden hin vor das wonnevolle Weib, schleudert seine -Narrenkappe zur Seite und faltet bittend die Hände: - -»Hehre Göttin, süße Königin, Dein Knecht, dem Du stets Dich huldvoll -geneigt hast, dem Du so manchesmal aus der Not geholfen, in die ihn sein -Uebermut gestürzt hat -- Dein dankbarer Liebling naht sich Dir mit einer -demütigen Bitte: Gib diesem Menschenkinde, das zu uns in seinem Kummer -geflüchtet ist, einen Trost auf seinen Weg, den es der Welt verkünden -kann. Laß es die Macht Deines vornehmen kleinen Fingers ahnen -- zeig' -ihm, warum Du ihn so entzückend neckisch gespreizt hältst.« - -Da lächelt Venus: »Nun, wozu sollte er denn sonst wohl gut sein,« -sagt sie schelmisch, erhebt die rechte Hand, läßt sanft den kleinen -gespreizten Finger in die zierliche Ohrmuschel gleiten und schüttelt ihn -ein wenig -- dann lauscht sie lächelnd freudig in die Ferne. - -»Ich höre wieder die bebenden Laute der Liebe und des Erbarmens -- -himmlisch wohllautend dringen sie in mein Ohr!« - -»Sieh', kleines Sonntagskind,« sagt der ernsthafte Geselle, »wie die -Venus mit ihrem kleinen Finger die Spinnenweben der Lüge und Heuchelei -und Hartherzigkeit aus ihrem Ohr hinaus schüttelt, so sollten es auch die -Völker thun, dann würde die große, schwere Angst von ihnen weichen und -die bebenden Laute der Liebe und des Erbarmens auch an ihr Ohr dringen. - -»Pah,« lacht er dann, nimmt seine Schellenkappe auf und wirft sie in die -Luft, daß die silbernen Glöckchen klingeln, »armes Sonntagskind -- die -Welt wird Dich steinigen, wirst Du ihnen das verkünden. Lache über sie, -so wie ich, das ist das Einzige, was sie fürchtet.« - -Und mit immer länger werdenden Schritten, riesengroß anwachsend, ist er -im Mondenlicht verschwunden. - -Dem Sonntagskinde aber hat die Venus gelächelt -- tiefer Friede deckt -seine schweren Augenlider. - -Hell scheint die Sonne ihm ins Angesicht, es steht auf, schaut verwundert -um sich -- dann erhebt es seine rechte Hand und schüttelt mit dem kleinen -Finger ein wenig im Ohr -- es lauscht -- eine Lerche steigt jubelnd gen -Himmel -- und in ganz weiter, weiter Ferne hängt ein dunkles Wölkchen am -Horizont. - - - - -Der gefesselte Cupido. - - -Eines Tages saß Cupido -- ich meine nicht den patentierten, -konzessionierten Heiratsvermittler und Rechenmeister des neunzehnten -Jahrhunderts, sondern das liebe, mutwillige Bübchen, von dem Anacreon -erzählt und Goethe in seiner »Brautnacht« --, der saß eines Tages im -Olymp und langweilte sich. Er hatte zwar eben erst allerlei Schabernack -verübt, hatte sogar dem Vater Zeus einen Brand-Pfeil ins Herz gesandt, -so daß er nicht wußte, nach welcher hübschen Erdentochter er zuerst -schmachten sollte, hatte versucht, die lange Artemis anzuschießen, aber -vergebens, ebenso die Athene; und aus Rache dafür, daß sie ihm ihren -kolossalen Minervaschild vorhielt, zupfte er ihre Eulen, die sie just -fütterte, am Schwanz, so daß sie entrüstet »Huhu« sagten. Tante -Juno hatte ihm sehr energisch auf die Finger geklopft, als er den Nymphen -allerlei süße Dummheiten ins Ohr flüsterte und schließlich sogar den -Dienerinnen der Vesta nachstellte; da war er zu seiner holdseligen Mutter -Aphrodite geflüchtet, und sie breitete ihm sehnsüchtig die Arme entgegen, -und schwirr, da flog der Pfeil und stak ihr im Herzen. Der böse, liebe -Junge -- aber Aphrodite lächelte -- sie war's ja gewohnt! -- Nun saß -Cupido auf einer Wolke und bammelte mit den Beinchen und guckte zur Erde -hinab und langweilte sich. Da kam Hermes daher geflogen, der hatte irgend -einer Schönen im Auftrage des Vaters Zeus eine Düte Ambrosia gebracht -und dafür ein Stelldichein verabredet. Er mochte den Cupido gut leiden und -hockte sich ein wenig zum Ausruhen neben ihn. - -»Du -- weißt Du, was sie da unten mit Dir gemacht haben?« fragte er ihn. - -»Nee -- was denn?« - -»Erst 'mal haben sie Dich riesig elegant angezogen, im schwarzen Frack -und Cylinder, und sie sagen, Du hießest gar nicht Amor, sondern Puck; und -außerdem wäre es unanständig, wenn man nackt ginge. Und dann haben sie -Dir eine große Brille aufgesetzt, weil Du blind wärest, sagten sie und -haben Dir Deinen Köcher mit Goldstücken statt mit Pfeilen gefüllt, das -zöge besser, sagten sie, und haben Dir statt eines Bogens ein Tintenfaß -in die Hand gegeben und Dir eine Feder hinters Ohr gesteckt, damit Du -gleich die Ehekontrakte ausschreiben könntest, sagten sie, und wenn Du -doch 'mal ganz splitterfadennackt, ganz natürlich, ohne alle Zuthaten zu -ihnen kommen wolltest -- sie möchten Dich eigentlich ganz gern so, sagten -sie -- dann müßtest Du aber durchs Hinterthürchen schlüpfen, damit dich -ja auch keiner sähe, denn sonst genierten sie sich, sagten sie.« - -»Beim heiligen Kriegsungewitter!« fluchte Cupido -- »das ist ja eine -ganz urweltliche Bande!« - -»Hör' nur weiter -- es kommt noch besser. Da hat sich einer -- so'n ganz -vertrocknetes Kerlchen mit einer Brille auf der Nase, auf einen hohen -Stuhl gesetzt, und hat mit dem Finger -- weißt Du, mit so einem langen -knöcherigen -- auf den Tisch geklopft und hat gesagt: Es gäbe Dich -gar nicht, Du wärest eine Mythe, und die Liebe, das wäre eine -Nervenaufregung, die leicht in Irrsinn übergehen könnte, und deshalb -hätten die weisen Männer Gesetze gemacht, nach denen die Gefühle -geregelt würden.« - -Da sprang aber Cupido in die Höhe: - -»Heilige Mutter Aphrodite! Gesetze? Für mich? -- Na -- das möchte ich -mal sehen. -- Liebster, bester Hermes, geh' -- sattle mir schnell den -blanken Stern da, ich will hinunterreiten, das muß ich mir aus nächster -Nähe betrachten!« - -Und da saß er schon auf seinem glänzenden Stern und fuhr hinab, und auf -der Erde sagten sie: Da fällt eine Sternschnuppe. - -Es kam aber dem Cupido furchtbar kalt vor im neunzehnten Jahrhundert, -obwohl es im August war, wo die meisten Sternschnuppen fallen, und bei -Sonnenaufgang fror es ihn ganz erbärmlich, trotz des Umschlagetuches, das -ihm das alte Hökerweib geschenkt hatte. Die saß schon am ganz frühen -Morgen mit ihren Körben auf dem Markte, und wie sie den nackten, kleinen -Gesellen daherkommen sah, da wurde es ihr so weich und sehnsüchtig ums -Herz, sie meinte, es wäre Mitleid -- es war aber die Erinnerung: sie -sah sich wieder jung und hübsch, sie war beim Tanz unter der Linde, der -schönste Bursche schwang sie im Reigen -- heißa! -- hoch in die Luft, -daß die Röcke flogen, und dann küßte er sie. Und da machte sie die -Augen auf, und vor ihr stand wieder der drollige kleine Junge. Der nahm -das Höckerweib frischweg beim Kopf und gab ihr einen Kuß für das -Umschlagetüchelchen, das sie ihm gegen die Kälte geschenkt, und die Alte -faltete die Hände und träumte von ihrer Jugend. -- -- Den Cupido fror es -aber doch an den nackten Beinchen, und er dachte: »Ich will doch sehen, ob -ich nicht irgendwo hineinschlüpfen kann und mich wärmen.« - -Doch da kam er schön an. - -»Was willst Du hier?« fuhren sie ihn im ersten Hause an -- »Du bist so -unbequem -- mach', daß Du fortkommst!« Im zweiten öffneten ihm zwei alte -Jungfern die Thür, liefen kreischend davon und schrieen: - -»Hülfe -- ein Sansculotte -- er hat nichts an!« Und der dicke Mops saß -auf dem Sofa und bellte ihm nach. Im dritten Hause fragten sie höflich -verwundert: »Was wollen Sie hier? Wir sind ja verheiratet.« - -Im vierten hielten sie ihm einen Ehekontrakt unter die Nase, und im -fünften sprachen sie von Gesetzen und -- da wurde Cupido böse und sagte: - -»Wartet, ich will Euch! Ihr wollt mich hier verleugnen? Bei unserer lieben -Frau von Milo -- Ihr sollt es büßen!« Er schwang sich in die Lüfte, -spannte den Bogen, und -- huidi! -- da schwirrten die Pfeile! Er schoß -blindlings drauf los, ganz einerlei, ob nach Grundsatz oder Gesetz -- aber -sie trafen. Und nun gab es eine heillose Verwirrung unter den Menschen; sie -hatten geglaubt, den Liebesgott hinwegspotten und -klügeln zu können, -und da war er plötzlich mitten unter ihnen und sie duckten sich, bange, -wehklagend und nach Hülfe wimmernd. -- Da ist ein Mägdlein gekommen. Wie -Cupido das erblickte, verschwand der Zorn aus seinem Angesicht, lächelnd -sah er es an -- und wählte seinen allerschönsten Pfeil, mit dem er -schon einmal seine holde Mutter geritzt hatte. -- Es war aber ein trotzig -Mägdelein. Keck schauten die Augen in die Welt hinein und sein roter Mund -sagte: - - »Was frag' ich nach Liebe? - Mir liegt's nicht im Sinn! - Wohl hab' ich ein Herzel -- - Doch pocht es nicht drinn! - Und daß Ihr's nur wißt, und daß Ihr's nur wißt: - Es hat mich noch keiner, noch keiner geküßt! - - Zwar hab' ich ein Mündlein - Und seht nur -- wie rot! - Und ach -- wie kann's lachen -- - Das macht Euch viel Not! - Doch daß Ihr's nur wißt, doch daß Ihr's nur wißt: - Es hat mich noch keiner, noch keiner geküßt!« - -Horch! -- da schwirrt es und singt und klingt! Und sieh' -- da steckt der -Pfeil in der schönen, weißen Mädchenbrust -- - -Das trotzige Mägdelein hat mit der Hand ans Herze gegriffen, ist glührot -geworden, ist scheu davon geschlichen. Aus der Ferne tönt es: - - »Nun frag' ich nach Liebe -- - Nun trag' ich's im Sinn! - Nun fühl' ich mein Herze! -- - Es pocht so darin!« - -Und Cupido lauscht, biegt sich vor und lächelt, blinkt mit den -Schelmenaugen, hebt deutend das weiße Fingerchen, und spitzbübisch singt -er ihr nach: - - »Und daß Ihr's nur wißt, und daß Ihr's nur wißt: - Just hat sie der Liebste, der Liebste geküßt!« -- - - * * * * * - -Gerade da kam ein Mann des Weges gegangen, der war ein Sonntagskind, der -konnte schauen, was andern verborgen war -- der hat den kleinen, herzigen -Schlingel stehen sehen, wie er dem trotzigen Mägdelein nachgehöhnt hat. -»So sollst du ewig sein!« sagte er. - -Cupido aber ist ihm entgegengehüpft, denn der Mann war ein Künstler, und -die Künstler stehen auf gar vertrautem Fuße mit all dem lustigen, -alten Göttergesindel -- er ist geduldig mit ihm gegangen und hat sich in -marmorne Fesseln schlagen lassen. Und so steht er da in der ganzen Pracht -seiner Schönheit, ein wenig nach vorn geneigt, das süße Schelmengesicht -voll Sonnenschein, das Fingerchen erhoben und deutet auf euch, die er -euch eben mitten ins Herz getroffen hat -- und lachend klingt's von seinen -Schelmenlippen: - - »Und daß Ihr's nur wißt, und daß Ihr's nur wißt: - Nun wird die Liebste vom Liebsten geküßt!« - - - - -Psyche. - - - »~Ich saz ûf eime steine, - und dahte bein mit beine: - dar ûf sazt ich den ellenbogen: - ich hete in mîne hant gesmogen - daz kinne und ein mîn wange~,« - -sagt Walter von der Vogelweide. So sitze ich im Gips-Museum und träume vor -mich hin und lasse mir von Antinous verliebte Blicke zuwerfen. - -O, Du Abbild erster, toller, süßer Liebe! - -Erste Liebe -- wo man liebt, ich möchte sagen, um zu lieben, um sein eigen -Herz einmal pochen zu hören, um voll Seligkeit zu verzweifeln, und weinend -zu jubeln -- wo ein liebes Auge, eine schöne Gestalt, ein lustig-gutes -Lachen, einem vollauf Grund genug zum Lieben scheint. - -Später freilich, dann, meine ich, wenn die wahre, einzige, ewige Liebe -über einen kommt, wenn man mit vollem Verstande, mit ganzer Ueberlegung, -mit festem Willen liebt, dann -- ja, dann verlangt man freilich mehr, wie -Du, schöner Antinous, bieten kannst. - -Sieh', der letzte, warme Sonnenstrahl hängt aufleuchtend, zögernd an -seinem holden Antlitze. - -Er lächelt. -- -- - -Der Faun da hinter ihm guckt schelmisch um die Ecke: »Reizender Bengel! -Nicht wahr?« grinst er vergnügt, und die zwölf Apostel am Sarge des -heiligen Sebald schüttelten vorwurfsvoll ihre bärtigen Häupter. Warum, -o meine hochverehrten Herren, begaben Sie sich auch in diese -heidnisch-vergnügte Gesellschaft? Wird es Ihnen nicht ganz sonderbar zu -Mute? - -Es geht ein wunderlich Flüstern durch den Saal und ein Beben durch die -nackten, weißen Götter-Menschenleiber. Mir schwimmt es vor den Augen und -mein Herz klopft. Soll ich fliehen? Schnell zur Türe! - -Ah, die ist geschlossen! Sie haben mich vergessen in meiner Ecke hinter den -zwölf Aposteln, und ich bin allein im ganzen Haus -- allein, und doch -in der allerbesten Gesellschaft. Mir ahnt, jetzt wird sich etwas begeben, -etwas wunderlich Liebliches, himmlisch Schönes. Ein seltsames Leben -und Weben zittert in der ganzen Luft, und ich verstecke mich still und -neugierig und warte -- worauf? Ich weiß es selber nicht. - -Doch -- was ist das? Träume ich? Wache ich? Ein zitternder Laut, halb -Seufzer, halb Jubel. -- Woher kommt er? Aus den Herzen der toten Gestalten? --- Sieh' -- sie leben! Sie heben die Arme, sie bewegen sich -- das Blut -rinnt durch die Adern, sie atmen, und doch sind's keine Menschen. Denn -durchsichtig werden die Glieder von Gips, sie schimmern und glänzen, -geisterhaft, geheimnisvoll -- das ist Ewigkeit, die von den weißen Stirnen -leuchtet, und sieghaft strahlen die klaren Augen. -- Ach, und demütig -beuge ich mein Knie. - -Lautlose Stille. -- Da ertönt mächtig, wie Donnerrollen, gewaltig, wie -Schlachtenruf, eine Stimme, die schallt durch den ganzen Saal: »Ist es -fort, das elende Gesindel, das sich Menschen nennt, und sich so unendlich -viel dünkt, daß es sich herausnimmt, uns stundenlang anzustarren und -unsere Götterleiber zu kritisieren? -- Sind wir allein? -- Gebt Antwort!« - -Apollo ist's, von Belvedere, er tritt hervor in Herrlichkeit und Majestät, -und zu ihm gesellt sich Mars, der da mit aller Arroganz auftritt, deren nur -ein Kürassier-Lieutenant fähig ist, sei es auch ein olympischer; und er -gähnt herzhaft und schüttelt die prächtigen Glieder, und die Venus von -Milo sieht ihn holdselig an. Er aber fährt sich mit der Hand durch die -krausen Locken, die Erinnerung an selige Stunden überkommt ihn, und -schmunzelnd nickt er ihr herablassend liebevoll zu: - -»Venuschen, kleiner Schatz, bist Du immer noch in meiner Nähe? Geh', -frage doch einmal Deinen niedlichen Schlingel von Jungen, ob die Luft ganz -rein ist, ob wir uns endlich ein bischen gehen lassen können, nachdem wir -den ganzen Tag so ehrbar dagesessen haben! Der kleine neugierige Bengel -hockt natürlich da, wo es am meisten zu gucken gibt.« - -Und wunderbar! Die hochmütige, vornehme Dame von Milo nimmt diese etwas -familiäre Anrede gar nicht übel, ja, ein Lächeln spielt sogar um -den stolzen Mund, der so oft verächtlich auf die Besucher des Museums -herunterblicken kann. - -»Mamachen, Mamachen,« ruft eine piepsige Stimme, und der pauspackige, -kleine Gesell, das Kind Amor, springt von seiner Marmorsäule herunter, -stellt sich dicht vor mich hin und nickt mir zu. - -»Mamachen, hier sitzt noch eine in der Ecke; aber sie sagt nichts. Ein -ganz kleines Mädchen ist es, und sie macht große, verwunderte Augen, und -ihre Stirn leuchtet eben so weiß, wie Deine!« - -»Hinaus mit ihr! Hier werden keine Sterblichen geduldet! Wir wollen keine -Lauscher,« sagt die lange Diana von Versailles mit ihrer scharfen Stimme, -»hetzt die Hunde auf die Unberufene.« - -»Willst Du hier das große Wort führen?« lächelt unsere liebe Frau von -Milo etwas höhnisch, »alte Jungfern sind freilich flink mit der Zunge, -aber ich denke, wir, die wir unsere Aufgabe im Leben -- Lieben und -Geliebtwerden -- erfüllt haben, wir gelten mehr hier im Reich der -Freude!« - -Diana zuckt die schlanken Schultern und hüllt sich keusch in vornehmes -Schweigen. - -»Geh', Amorchen,« schmeichelt die tanzende Bacchantin -- war sie nicht -eben noch kopflos? Jetzt trägt sie ein lieblich-übermütiges Haupt auf -dem zierlichen Hälschen. -- - -»Frag' sie einmal: Hast Du Jemanden lieb? Recht von Herzen, recht freudig? -Und wenn sie ›Ja‹ sagt, dann laßt sie nur immer hier. Denkt wohl, ich -sei ein dummes, kleines Ding, aber Amorchen, Du weißt, ich verstehe mich -auf solche Sachen!« - -Und sie dreht sich im Tanz und schüttelt die anmutigen Glieder, daß der -musikalische Faun neben ihr schnell ein lustiges »Klingkling« hören -läßt. -- Da erhebt sich eine Stimme, sanft, wie Windessäuseln, stark, -wie Sturmeswehen und ernst, wie das Grab: Hermes spricht. Majestätisch -ragt sein wunderbares Haupt über die andern hinweg, und seine armen -zertrümmerten Glieder umgibt Würde und Hoheit. - -Götterbote! Glück und Freude, Schmerz und Tod trugst Du hin über alle -Welt! Ich möchte niederknieen vor Dir und Deine ewige Schönheit anbeten -und über Deine verstümmelten Glieder meine armseligen Thränen weinen! - -»Laßt sie gewähren, Ihr Götter,« sprichst Du, und Deine Augen sehen -mich an, milde, verheißend -- »denn ich kenne sie. An ihrer Wiege stand -ich und brachte ihr das Geschenk des himmlischen Vaters, beugte mich über -sie, hauchte es in ihre Stirn, legte die Hand ihr auf's Herz, und da zog es -ein -- und küßte ihren Mund, und da lernte sie lächeln und -- lieben.« -Leise nickt er, und ich möchte weinen. -- - -Horch! Das seltsame Geräusch! Rollend, rasselnd, im Takt sich wiederholend --- dazwischen ein melodisches Pfeifen, ein kunstvoller Schnörkel am -Ausgang des tiefen, rollenden Tones, behaglich einschläfernd klingt's in -seinem rhythmischen Taktfall, seiner ruhigen Gleichmäßigkeit. - -Alle stehen und lauschen -- -- - -Da balanciert der alte, bärtige Silen das Bacchuskindlein geschickt auf -dem einen Arm und deutet mit dem andern lächelnd über die Schulter auf -den Faun hinter ihm, welcher, trunken von Wein und Freude, seine kolossalen -Glieder im tiefen Schlafe dehnt. -- Die kleine Bacchantin bricht in ein -schallendes Gelächter aus: »Der Faun schnarcht! Denkt Euch, er schnarcht! -Zuviel des feurigen Griechenweines hast Du getrunken, Du liederlicher, -großer Gesell Du!« schilt sie und kitzelt ihm neckisch die Fußsohlen. -Der Faun murmelt unverständliche Worte und bewegt die mächtigen Glieder -und versucht den Arm zu erheben. Aber schwer sinkt die Hand auf den -Felsen zurück, auf dem er ruht, und bald tönt wieder sein musikalisches -Schnarchen mit dem lustigen Endschnörkel durch den Saal. -- - -»Heraus aus den Schluchten, aus Klüften und Thälern, kommt hervor -aus den Quellen, huscht flink aus den Bäumen, ihr Nymphen, Dryaden, ihr -schelmischen Mädchen, ihr lustiges Volk! Tanzt, lacht und singt, und -hüpfet und springt! Weckt den faulen Schläfer dort und bittet Bacchos, -den süßen Wein Euch zu reichen!« - -Eine klangvolle, frische Stimme schallt von der Thür her. Diana ist es, -aber nicht die lange Versaillerin: eine liebliche, mädchenhafte Diana, -mit kurzem Röckchen, noch nicht ganz fertig mit der Toilette -- und sie -klatscht in die schlanken Hände, und unsere liebe Frau von Milo lächelt -ihr holdselig zu. - -Nun wird es lebendig um mich her; allüberall aus den Winkeln und Ecken, -die Treppen hinauf, hinunter kommt's gehuscht, geflogen, gekichert. Nackte, -liebliche Mädchengestalten, üppige Weiber, bockshörnige Faune, tapfere -Krieger, die vor Troja gefochten, ernstblickende Römer -- alles wirbelt -lustig durcheinander und sie umtanzen den schlafenden Faun, sie kitzeln -ihm die Seiten und zausen ihm die Haare, sie halten ihm den würzigen -Griechenwein unter die Nase und lachen ihm ein lustig Lachen in die Ohren, -bis er die sehnigen Glieder reckt und streckt -- da steht er mitten unter -ihnen und dreht sich im wilden Reigen. Wie der Jubel sie alle begeistert, -wie die tolle Lust sie hinzieht in ihr Freudenreich! Sieh' den alten -Sokrates -- mühsam kriecht er aus der Verzierung des römischen Sarkophags -heraus, umgeben von den lieblichen Musen; Terpsichore tanzt Ballett, und -da stehen Seneca und Demosthenes und Pindar und Cäsar und viele alte -Kahlköpfe und sehen zu. Mit mächtigem Satz springt der borghesische -Fechter in die Tanzenden hinein, eine weichhäutige Nymphe hoch in die -Lüfte schwingend, die Ringkämpfer lassen ihren Zorn und stimmen in das -fröhliche Gelächter ein; die beiden schlanken Discus-Werfer schleudern -ihre Metallscheibe geschickt über die Köpfe der neun Musen hinweg, -daß die alten Herren entsetzt von ihnen zurückweichen, und mein -schwermütiger, holder Antinous küßt die schwellenden Lippen der -liebetrunkenen, kleinen Bacchantin. - -Majestätisch ernst sehen die drei Parzen vom Parthenon in das Getümmel -und Helios lächelt siegreich von seinem Sonnenwagen hernieder. Frau Venus -steht als Sonnenkönigin mitten unter den Jubelnden in aller Pracht und -lächelt ihrem Volke voll Huld. - -Und die Dichterin Sappho öffnet ihren liederreichen, holdseligen Mund und -flüstert schmachtend: - - »Die Du thronst auf Blumen, o Schaumgeborene, - Tochter Zeus, listsinnende, höre mich rufen!« - -Und da, ach, siehe da -- die kokett verhüllte Göttin der Schamhaftigkeit -sinkt sehnsuchtsvoll in die geöffneten Arme eines kräftigen, -schöngestalteten Fauns. -- Dacht' ich's doch! -- - -Ja, sogar die Tiere stimmen ein in die allgemeine Fröhlichkeit: die -Schlangen des Laokoon lassen ab von ihren Opfern -- des Vaters Stirn -blickt heiter nun, und die sanften Knaben fürchten sich nicht mehr -- -und unterhalten sich mit der Eidechse des schönen Appollo, des -Eidechsentöters, dessen Körper etwas von der Geschmeidigkeit der Lacerte -an sich hat -- und der Panter des Bacchos (der Riesenkater) lauscht -grimmig-herablassend dem Gespräch. - -Doch, was ist das? Fürwahr, eine seltsame Prozession: langsam ziehen sie -einher, im ehrbaren Reigen sich schwingend, gravitätisch-lüstern -die Blicke um sich werfend, und jeder am Arme ein sittsam Dämchen mit -unendlich vielen Kleidern -- zimperlich geschürzt mit geübter Rechten. - -Wahrhaftig, die zwölf Apostel sind's an der St. Sebalds-Kirche und irgend -welche heilige Damen, die hoch oben im Christenhimmel thronen, haben sie -sich zum Heidentanz engagiert. - -So ist's recht! Hebt die Füße, streckt die Arme, hierhin, dorthin, auf -und ab! - -Tanzt lustig den Reigen und dreht Euch im Kreise. -- - -Mitten im zierlichen Tanz stehen die heiligen Weiblein bewundernd vor dem -schönen, nackten Leib des Antinous, dem offenbarenden Mund des -heiligen Johannes entströmen Worte der Begeisterung über die Wunder -der Weibesschönheit, der heilige Paulus seufzt: »Hieße ich -doch noch Saulus!«, und der heilige Petrus rasselt mit den -Himmelsschlüssel-Castagnetten dazu. Und sie schwingen sich im Kreise, daß -die heiligen Gewänder fliegen, die heiligen Bärte wehen und der heilige -Schweiß von den heiligen Stirnen rieselt. -- - -Bim, bim -- bim, bim! Horch! Ein Glöcklein! Das Vesperglöcklein der -St. Sebalds-Kirche. - -Schlaff sinkt der heiligen Schar der Arm, es stockt der Fuß -- starren -Auges schauen sie zur Thür. Da steht eine hagere Mönchsgestalt in brauner -Kutte und winkt mit langem, dürrem Finger und bim, bim, -- bim, bim, -tönt's Glöcklein wieder. Stark wie Riesenarme ist die Macht der -Gewohnheit! Dahin stürzen sie, die lieben Heiligen alle, in atemloser Hast -sich überstürzend, überkugelnd. -- - -»Zur Vesper, zur Vesper!« - -Und der heilige Paulus-Saulus wendet sein bärtig Antlitz: - -»Ueber ein Weilchen werdet Ihr uns nicht mehr sehen, und über ein -Weilchen werdet Ihr uns wiedersehen, wenn -- wir die Vesper gesungen!« - -Ein lustig schallendes »Evoe!« antwortet ihm und -- bim, bim -- bim, bim -tönt's Glöcklein von der St. Sebalds-Kirche. -- -- - -Banges Stöhnen, sanftes Klagen, todesmüde Laute dringen an mein Ohr: - -»Tod, was eilest Du? Nimmer begehr' ich Dein!« dringt's über die -bleichen Lippen des sterbenden Sklaven Michel Angelos, und bang sinken -seine schönen Glieder ineinander. - -»Wohl brannte die heiße Sonne Italiens erbarmungslos auf mich nieder, -wohl sengte sie mir mein Hirn, meine Seele; wohl fühlte ich die scharfe -Peitsche auf meinen nackten Schultern, wohl schnitten mir rauhe Flüche -ins Herz -- aber ich lebte doch, und mit mir die Hoffnung! Bei den -mitleidsvollen Strahlen der Sonne dachte ich an kühle Eichenhaine, beim -Brausen des Sirocco an das Rauschen meines Nordlandmeeres, unter Blüten -und Früchten und ewig blauem Himmel an Eis und Schnee, an Sturm und Regen. -Und wenn die Peitsche des Vogts klatschend auf mich fiel, da -- in meinen -Gedanken -- kühlte lieb Mütterleins Hand ihr Brennen und meines süßen -Liebs Mund küßte mein Herz gesund. -- - -»Tod, zögere noch! Laß mir die Hoffnung, laß mir das Leben! Tod, warum -kommst Du!« -- - -»Stirb doch! Dann bist Du frei!« antwortet ihm eine rauhe Stimme, und -es rasselt wie von Ketten, dumpfes Stöhnen entringt sich der Brust seines -gefesselten Kameraden neben ihm. -- - -»Freiheit, Freiheit! Gib mir Freiheit! Sie haben mich an diesen Felsen -geschmiedet, meine Hände, meine Füße, meinen Leib -- und ohnmächtig -schüttle ich meine Ketten. Und weißt Du, warum sie mich fesselten? -Warum sie mich des höchsten Gutes, der Freiheit, beraubten? Weil sie mich -fürchteten, weil die Angst, die wahnwitzige Todesangst sie dazu trieb. -Weil sie wußten, ich würde den Brand des Aufruhrs in die Welt hinaus -schleudern, würde nicht eher rasten und ruhen, bis ich die alte Erde -vernichtet, zertrümmert, daß eine neue aus ihr entsteht -- gut, rein, -stolz, wie _sie_ sie _nicht_ schaffen können. -- - -»Und darum nehmen sie mir meine Freiheit und werfen mich in Ketten, -schmieden mich an und hohnlachen in mein Gesicht. -- - -»Du allmächtiges Wesen, das Du da oben über den Wolken thronen sollst, -wenn Du mich verstehen kannst, so höre meinen Ruf: - -»Gib mir Freiheit -- oder laß mich sterben! -- -- Keine Antwort -- -ohnmächtig oder grausam bist Du -- denn sieh', stark bin ich noch, und -mein Herz schlägt, mein Kopf denkt noch, rastlos, unermüdlich, und -- -hörst Du's? -- meine Ketten klirren höhnisch, immer weiter, immerzu! -- O -Tod, warum kommst Du nicht!« - --- -- -- -- Lustig Rufen übertönt seine grollende Stimme, -Beifallklatschen, Jauchzen, und dazwischen der Ruf: »Bacchos, Bacchos!« -Und hierher wälzt sich der fröhliche Strom jubelnder Götter und Menschen -und »Dich wollen wir, Bacchos, Gott der Freude, wo weilst Du so lange!« -Sie knieen vor der schönen Jünglingsgestalt mit der berauschend -lieblichen Traube neben ihm, und sie nehmen ihn in ihre starken Arme, -und Nymphen und Göttinnen umschmeicheln, umkosen ihn. Da lassen sie ihn -nieder, auf die Kniee des egyptischen Götzenbildes -- denn das ist leblos -und von Stein geblieben -- und neigen sich huldigend vor ihm. Doch er -erhebt den Arm und deutet mit der Götterhand auf die Marmorgebilde -neuester Zeit, in der Mitte des Saales: - -»Was wollen die unter uns?« fragte er mit zorniger Stimme, »schafft -sie fort -- sie stören mich!« Athene steht neben ihm, die blauäugige, -siegende Göttin; sie hört ihn, sie winkt ihrem Liebling, dem starken, -schnellfüßigen Achill, und der -- - -»Naus da, 'naus da aus dem Haus da! Fort mit dir, Gesindel!« - -Und jubelnd sehen alle, wie Zenobia in voller Kleiderpracht, eine falsche -Oenone, ein paar weichliche Marmorkinder, eine vollbusige, schamlose -Schönheit, zertrümmert die Steintreppe hinunterfliegen. -- Dann aber -neigt sich Achilles voll Anstand vor der Statue des Lincoln mit dem Sklaven -und spricht mit Höflichkeit: - -»Mein Herr, gern mögen Sie unter Heroen weilen, aber Sie werden -begreifen, daß Sie dann auch in voller Heroen-Uniform zu erscheinen haben, -und die möchte Ihnen vielleicht nicht gut stehen. Entschieden aber können -wir in unserm Reich der Schönheit das Untier von Häßlichkeit da zu ihren -Füßen unmöglich dulden.« Und Lincoln verbeugt sich verständnisvoll und -verläßt den Saal. - -Da wankt eine müde Gestalt die Treppe herauf -- einst der Stolz der -Götter, immer die Freude der Menschen -- und läßt sich schwer auf die -Stufen nieder; die starken Schultern beugen sich, der Leib zieht sich -schmerzlich zusammen, ein mächtiges Haupt sitzt plötzlich auf dem starren -Nacken des Herkules-Torso und senkt sich matt, todesmatt; und klagend, -grollend erfüllt eine Stimme den Saal: »Müde bin ich -- endlich! Müde, -der Welt zu dienen, müde, Undank zu ernten, müde, zu lieben, müde, zu -leben -- -- - -Einst lag die Welt schön und gut vor mir, einst hatte ich Lebensmut, -Lebenslust, einst habe ich gekämpft, gestritten, gerungen -- und nun? Nun -bin ich müde und möchte schlafen!« -- -- - -Die starken, trotzigen Glieder sinken zusammen, und das starke Haupt -stützt sich schwer auf den kraftvollen Arm. - -Es nahen sich zwei schlanke, schöne Jünglingsgestalten, eng aneinander -geschmiegt, die Arme verschlungen, und ein mildes Licht strahlt von ihnen -aus. Da legt der eine ernst und leise die Hand auf die müde Stirn des -Herkules -- - -»Schlaf',« sagte er sanft. - -Da senkt der andere still die brennende Fackel zur Erde, daß sie -erlischt -- - -»Ewig,« lächelt er. - -Und voller Ehrfurcht beugt das lustige Göttervolk das Knie und huldigt dem -Toten. -- - -Liebliches Klingen, Singen, Getöne -- ein wunderbar Leuchten, hell, sanft -und mild -- - -Da schwebt etwas die Treppe hernieder, zartduftig, schimmernd in weißer -Pracht -- himmlisch lieblich, lebensvoll schön -- Ach, ich sinke in die -Kniee und blicke zagend zu der göttlichen Gestalt der Medicäerin empor, -denn _sie_ ist es -- Sie kommt zu mir, sie tritt vor mich hin, und ein -wundersames Schauern durchbebt mir Kopf und Herz. Sie neigt ihr holdseliges -Antlitz zu mir, und sie küßt mich auf den Mund, es rinnt wie Feuer durch -meine Glieder. Neben ihr steht ein schöner Jüngling, dem strahlen viele -kostbare Gedanken von der weißen Stirn. Er sieht mich an, ernst und voll -kindlicher Weisheit, und spannt seinen Bogen und zielt gut -- denn der -Pfeil dringt mir mitten ins Herz hinein. Und dann -- bin ich es noch? Lebe -ich? Mir ist's so groß ums Herz -- Sieh', meine Hände! Durchsichtig klar -sind sie, und mein Körper schimmert, wie die der Marmorgestalten -- Ach, -meine Glieder zittern -- -- - -Da faßt Aphrodite mich an der Hand und führt mich den Uebrigen entgegen --- Und Hermes lächelt zu mir: »Psyche, bist Du erstanden?« - -Jubelnd begrüßen mich alle, alle -- und sie heben mich empor zu Nike, der -Göttin des Sieges, und ich schmiege mich an ihren schönen Körper, der -kein Haupt mehr auf ihren Schultern trägt. - -Du schwebst zwischen Himmel und Erde, o hehre Göttin! Thörichte Menschen -schlugen Dir Dein stolzes Haupt ab, engherzige, fromme, nicht denkende -Menschen. Sie sagten: Du dürftest Dein Haupt nicht erheben, mit Deiner -freudigen Stimme die Menschen nicht begeistern, auf daß sie stumpfsinnig -würden, wie jene selber. Ach, Du Göttin, Deine ganze Gestalt, Deine -verstümmelten Arme, Deine stolzen Füße, die leisesten Falten Deines -Gewandes -- Alles spricht Sieg! Sieg über die Finsternis, die Kleinheit, -über freche Gewalt, und fromme Erbärmlichkeit. - -Und sieh', in Deinen Armen hältst Du Psyche, die Seele, die Ewigkeit --- und weit hinaus ragt Ihr, über alles herrscht Ihr, über Götter und -Menschen!« -- -- - -Da, Licht! Es fällt durch die Fenster -- es wird Tag -- -- - -Tiefe Stille -- -- Und ich fahre mit eisiger Hand über meine heiße Stirn --- -- und da stehe ich -- ein armes, sterbliches Kind des nüchternen, -kühlen, praktischen neunzehnten Jahrhunderts. - - - - -Unser Frühling. - - -»Ich bin da -- siehst Du mich?« sagte die Ranunkel zur Sonne, »sieh', -ich glänze -- bin ebenso golden wie Du!« - -Und sie richtete sich in die Höhe, spreizte ihre eigelben -Blütenblättchen auseinander und sah unglaublich frech in die Welt hinein. - -Der Sonnenstrahl aber glitt über sie hinweg, über die Anemonen hin. - -»Ihr seid schöner als die gelbe Blume,« flüsterte er ihnen zu, und sie -erröteten wie junge, bleichsüchtige Mädchen und wurden sehr stolz. - -»Was wollt Ihr hier?« riefen sie den Veilchen entgegen, die frisch und -munter im grünen Röckchen und blauer Blouse anmarschiert kamen. - -»Ihr habt hier nichts zu suchen -- das ist unser Boden.« Aber das -kümmerte das Veilchen gar wenig. Ueberall, wo es Wurzeln fassen konnte, -zwischen Ranunkeln und Anemonen und Kuhblumen, zwischen Moos und Gras, -unter Blättern und Reisig, sogar zwischen den vornehmen, sonderbaren -Frühlingsblumen, die erst vorsichtig einen Blätterregenschirm aufspannen, -damit ihre kleinen weißen Blüten, die sie unten am Stengel tragen, nicht -naß werden -- überall öffnete das Veilchen seine Blauaugen und lächelte -sanft dem Frühling entgegen. - -»Seid Ihr ein exklusives Volk,« sagte der. Er saß mit gekreuzten Beinen -auf einem allmächtig großen Schneckenhaus und hatte eine Blütenkrone auf -dem Haupt und eine Weidengerte mit lustigen Kätzchen daran in der Hand; -er spielte mit einem überjährigen Schneeballen, der irgendwo in einem -Waldwinkel, von der Sonne vergessen, liegen geblieben war, und der schmolz -jetzt und träufelte der Schnecke, die aus ihrem Fenster guckte und -schrecklich große Augen machte, gerade auf die Nase, daß sie entrüstet -ihre Fühlhörner einzog und das Fenster zumachte. Die Schmetterlinge, die -den Frühlingsknaben umgaukelten und wie Blumen aussahen, die von ihren -Stengeln geflogen und auf die Wanderschaft gegangen waren -- gerade wie -unsere sehnsüchtigen Gedanken mitunter -- machten vor Vergnügen die -lustigsten Capriolen in der Luft und schlugen übermütig-hastig mit den -kleinen, bunten Sammetflügeln. »Ihr seid ein exklusives Volk hier im -Walde,« sagte der Frühling, »jede Sippe hockt auf ihrem Fleckchen Erde -für sich und macht scheele Gesichter, kommt ihm ein anderes zu nahe. Und -erst die Bäume -- hier die Eichen, dort die Tannen, drüben die Birken --- die Weiden sind in die Wiese geflüchtet, damit sie's Reich für sich -allein haben, und die Obstbäume wollen erst recht nichts von den andern -wissen. Freilich -- seid auch auf verschiedenem Erdreich groß geworden. --- 'S wär' auch langweilig in der Welt, wär' alles über einen Kamm -geschoren! Und doch -- _Eine_ strahlende Sonne scheint über Euch alle, und -_ein_ gütiger Regen erquickt Euch!« -- Und der Frühling erhob sich -vom Schneckenhaus und schlenderte davon. Gern hätte er die Hände in die -Hosentaschen gesteckt, aber das ging nicht, denn -- er war ganz nackt und -bloß wie die Natur selber, und der Sonnenstrahl strich gleitend vor ihm -her und leuchtete ihm. Pfeifend und singend mit heller Stimme zog der -Frühling durch den Wald; unter seinen Tritten sprossen die Blumen und -sein Lachen -- das war der Frühlingswind, der warme Südwind, der belebend -über die Erde fuhr. Die Vöglein kamen und antworteten mit sehnsüchtigen -Lauten. -- Ueber den Wald hin schallt der starke Weckruf der Blauvögel. -Sieh' -- da blitzt es feuerrot auf -- das ist ein lieblicher Sänger! Und -horch! Hier die rostbraune Drossel -- Hörst Du, was sie sagt? »Tüterlü! -Der Frühling kommt! Siehst Du ihn -- Du, Du, Du, Du!« -- Und: »Komm' zu -mir, komm' zu mir! Zerr -- zeck, zeck, zeck, zeck!« bläst der Zaunkönig -sein Kehlchen auf -- wupp! schlüpft er durch die Hecke, und dahin geht's, -im Lauf, geschwind wie ein Mäuschen. -- Siehst Du den Specht? Weiße -Hosen, schwarzes Röcklein und auf dem Kopf ein tiefrot Käpplein über dem -schlauen, spitzen Näschen -- ist doch gar ein putzig Weschen! Sieh', -wie klug die schwarzen Augen funkeln, sieh' -- wie er mit dem Frühling -Verstecken spielt! Bald an dieser, bald an jener Seite des Stammes -schimmert sein rotes Köpfchen und wirft ihm der Frühling eine Hand voll -Blätter ins Gesicht, die sich schnell an die Zweige anklammern -- hei! Da -sitzt er schon ganz hoch oben im Baum und lugt schelmisch um die Ecke: - - »Pick, -- pick, -- pick, -- pick -- hier find' ich mein Mücklein! - Pick, -- pick, -- pick, -- pick -- hier schlag' ich mein Brücklein, - Von Baum zu Baum über Busch und Strauch -- - Ei, Frühling -- geschwinde! Nun folge Du auch.« - -»Hahaha,« lacht die Spottdrossel wie toll und gleich darauf klingen -langgezogene, friedliche Sehnsuchtslaute aus ihrer Nachtigallenkehle, -daß alle Vögel inne halten und dem Frühling die Thränen aus den Augen -rinnen. - -Wo hört' ich jüngst solch ein Spottdrossellied? -- Weich und schwül --- hohnlachend -- -- war's nicht in meinem Herzen? Ist's nicht das -Menschenherz selber -- in all seinem Leid, all seiner Sehnsucht, all seinem -Haß? -- - -»Sputet Euch,« sagt der Frühling zu den Eichen und schlägt sie -schmeichelnd mit seiner Weidengerte, »Ihr knorrigen Gesellen! Seid zwar -auch _so_ schön mit Euren kuriosen Knorpeln und verdrehten Aesten -- -gerade so knorpelig und verzwickt, wie ein Menschenhirn -- aber wenn Ihr -die zackigen Blätter von Euch spreizt, habe ich Euch noch lieber!« - -Und da sproßten die roten Keime und Blättchen, und nun hatten sie ein -noch wunderlicheres Ansehen, gerade wie ein Schalksnarr, dem die Liebe aus -den Augen guckt. -- - -»Ich,« sagt die Ulme, »ich bin vorgeschritten in der Kultur -- seht, -mein krauses, grünes Gewand ist schon fix und fertig.« -- - -Und der Frühling geht weiter: - -»Sieh', sieh', wie schön steht das maigrüne Kleidchen zu Deiner weißen -Haut, kleine Birke, -- bist fast die Schönste von allen! Alte Tanne« --- er streicht über der Tanne stattliche Haare -- »mußt immer dasselbe -dunkle Kleid tragen jahraus, jahrein -- bist wohl gar neidisch?« - -Aber die Tanne ist unartig, sie streckt dem Frühling und seiner Birke eine -lange, hellgrüne Zunge aus den dunkeln Nadeln heraus und antwortet noch -nicht einmal vor Trotz. - -»Böses, altes Ding Du,« schilt der Frühling, und um sie zu ärgern, -gibt er den Lärchen lauter kleine hellgrüne Federbüsche, kleinen Pinseln -gleich, die tragen sie stolz, wie ein angehender Maler seine Farbenpinsel -in der Brusttasche. -- Horch! Was regt sich hinter dem Tannendickicht? Ein -hübsches, verstecktes Plätzchen -- Taubengegirr, Vogelgesang -- ist's -Windessäuseln, rauschen die Zweige, geheimnis-ahnungsvoll! Leise schleicht -sich der Frühling heran, er verbirgt sich hinter einem Baumstamm -- er -lauscht -- er sieht -- -- - -Menschenkinder sind's, zwei junge, lachende, kosende Menschenkinder, den -ewigen Frühling, die Liebe, im Herzen, in den Augen. -- Sie ruht im -Gras, den Kopf gegen eine Tanne gelehnt, er zu ihren Füßen, den -braunen Lockenkopf in ihrem Schoß -- leises Lachen, halblautes Singen, -abgebrochene, unverständliche Laute -- halbgeflüsterte, halbgeküßte -Liebesworte. -- Glückliche, selige Menschenkinder -- was wißt Ihr -vom brennenden Sommer, vom welkenden Herbst, vom eisigen Winter? -- -Der Frühling streichelt Euch Stirn und Wangen. -- Blondes Mädchen, Du -streichst Dir die Löckchen aus der Stirn und schiltst über den Wind -- -oder den Geliebten, der Dir die Haare zerzaust hat -- und der Sonnenstrahl -küßt Euch und dringt Euch bis ins junge Herz hinein! -- - -Auf leisen, flüchtigen Sohlen eilt der Frühling von dannen: - -»Jetzt muß ich aber auch die Obstbäume anlächeln,« sagt er im raschen -Lauf, »daß sie treiben und blühen und Früchte tragen.« Aber die -waren voreilig gewesen, wie gewöhnlich, hatten nicht auf das Lächeln -des Frühlings gewartet, hatten sogar vergessen, sich erst die Blätter -anzuziehen. -- Da stehen sie in ihren schlohweißen Hemdchen und lächeln -verschämt, ach, und Apfelbäume und Pfirsiche werden ganz rot, als sie den -Frühling kommen sehen, und nur die Birne ruft triumphierend: »Ein paar -grüne Blättchen habe ich schon -- aber Du, Frühling, bist ja ganz -nackt!« Hei, wie sie sich alle schütteln vor Lachen, daß ihr -weicher, duftender Blütenschnee über die grüne Erde hinweht. -- Ganz -überschüttet wird der Frühling; in seinen Locken hängt die duftige -Ueberfülle, um Stirn und Wangen schmeicheln die süßen Boten -- da wird -es ihm ganz weh ums Herz vor Wonne und Jubel, sehnsüchtig breitet er seine -Arme der Geliebten entgegen, der leuchtenden Sonne -- und da wird er zum -Manne -- er vermählt sich mit der Sonnenglut -- und siehe, es war Sommer! - - - - -Frostiger Frühling. - - -Um unsere Blüten sind wir betrogen! -- Im März, als der warme -Sonnenstrahl die erwachende Erde überglänzte, da lag ein rötender Hauch -über den Obstbäumen, licht wie ein rosenfarbenes Wölkchen am Frühhimmel --- heute haben die Birnbäume und die knorrigen Apfelbäume ein festes -grünes Mieder angezogen, aus dem sie stramm und vernünftig herausschauen, -und das Mädchenerröten haben sie längst vergessen. - -Um unsere Blüten sind wir betrogen! -- Hat der Frost sie getötet, -der lauernd über die Erde schlich? Hat unsere schönen Hoffnungen der -Sturmwind verweht? Ist der Regen gekommen auf seinen grauen Rossen, den -Wolken, und hat sie mit seinem gleichförmigen Gedrissel -- patsch! -patsch! Tropfen auf Tropfen, wie die tägliche Langeweile, -- verwaschen, -verknittert, zerblättert? -- - -Nackt stehen die Magnolienbäume im botanischen Garten. Sie, die sonst im -Mai zum Frühlingsreigen in prächtigen Balltoiletten der verwunschenen -Prinzen harrten; sie, die sonst von der Ueberfülle ihrer Schönheit den -neckischen Winden preisgaben, daß die Blütenblätter und ihr Duft die -Luft erfüllte. Heute stehen sie kahl und düster und traurig da, kein -lächelnder Prinz wird um die südliche Schöne werben und der Frühling -hat die Prächtige, Ueppige, Duftende vergessen. -- Da gleitet ein -Sonnenstrahl über die schwarzen, vom Frost geknickten Spitzen der -Magnolien. Es ist, als lächle er. In seinem Flimmer tanzt ein gelber -kleiner Schmetterling, er taucht sich in die vergessene weiße Blüte eines -jungen Birnbaums, der schon winzige Früchte am andern Zweige trägt. Und -da lispeln sie alle heimliche Worte -- horch! - - Zur Blüte sprach der Schmetterling: »Was nützt mir's, daß ich - strahle? - Wenn meinen Schmelz ein Fingerdruck wegwischt mit einemmale?« - Da lachte der Sonnenschein. - - Es sprach die Blüte zum jungen Blatt: »Was nützt mir's, daß ich - blühe? - Wenn ich nach einer Regennacht verblätt're in der Frühe?« - Da lachte der Sonnenschein. - - Es sprach die Frucht zum grünen Baum: »Was nützt mir all mein Süßen? - In meinem Herzen nagt ein Wurm: tot fall' ich Dir zu Füßen.« - Da lachte der Sonnenschein. - - Ich rief wohl in die weite Welt: »Was nützt mir all das Klingen? - Die rauhe Hand, die Nacht, der Wurm -- Ein Sterbelied muß ich singen!« - Da lachte der Sonnenschein. - -Ich folge dem lachenden Sonnenstrahl. Er huscht über die Stiefmütterchen -am Wege, die ihm ihre großen bunten Augen zuwenden, über rote -dickköpfige Tulpen, die sich blähen vor lauter Vornehmheit; er klopft an -die Fenster des Treibhauses: ich bin da, ich bin da! -- Aber was kümmert -das nervöse Volk da drinnen in ihrem überheizten Haus der warme -Sonnenschein? -- Halt! du lockender Strahl! laß mich erst einmal -hineinschauen in die Blumen-Menagerie. Sehnsüchtig sehen die armen -Eingesperrten durch die Glasfenster, und schauern zusammen, wenn die kühle -Frühlingsluft durch die offene Thür sie trifft. Sie fühlen sich wohl in -der heißen, feuchten Luft künstlicher Bildung; einmal ihres heimatlichen -Bodens beraubt, gedeihen sie prächtig in der erstickenden Atmosphäre der -Ueberfeinerung -- oh, und diese höchste Kultur zeitigt bizarre Charaktere: -da die Kaktus mit ihren Stacheln über und über, an denen ein rauhes -Gewebe klebt wie graues Haar; dem bekannten Meergreis gleich, der »in -die Wüste ging und ein Wüstling ward«, frühzeitig gealtert wie unsere -nervös überfütterten Dandys ~fin de siècle~. Protzige Agaven mit -dicken, fleischigen, ausstreckenden Zeigefingern. Cochenille-Kaktus, -unansehnliche, häßliche Dinger, nur dazu gut, daß andere sich von ihnen -nähren -- die kleine, rote Blattlaus, die aus diesem Häßlichen das -Schöne bildet: das leuchtende Cochenille-Rot. Hier die Palmen, groß, -still, erhaben, die Löwen der Blumen-Menagerie. -- Die vielarmigen -Dracänen, die üppig wuchernden Schlinggewächse, die seltsamen stillen -Blumen mit Blättern und Blüten wie aus Wachs geformt, -- gleitet nicht -Scheherezade durch diese schwüle Luft und erzählt Märchen aus Tausend -und einer Nacht unter lispelnden Palmen und großen duftlosen Blumen? -- -Aber dort unter dem First des Glasdaches, dem Licht zustrebend -- dort -liegt es wie glänzend weißer Schnee, besäet mit funkelndem roten -Blutstropfen. »Weiß wie Schnee, rot wie Blut!« Schneewittchen aus -unserem lieben deutschen Märchen nickt hervor aus diesem lieblichen -Blumenmeer und lächelt uns an. Eine Schlingpflanze ist es mit -schwarzgrünen Blättern; sie rankt sich hoch und immer höher dem Himmel -entgegen, der blau durch die Fenster ihres Gefängnisses schimmert und -tausend weiße, stille Blumenherzen wenden sich ihrem Gott, dem Lichte, -zu, und rot und glühend entströmt ihnen ihr Gebet. -- Da öffnet sich die -Thür, der Sonnenstrahl huscht hinein und küßt die roten Blumenlippen, -und winkt mir: Komm, komm! Ich zeig' Dir viel Schönes, wenn auch die -Blüten Dir genommen sind. -- - -Draußen im botanischen Garten glänzen die feingeharkten Kieswege. -Zwischen wohlgepflegten Blumenbeeten wandeln wohlgepflegte Städterinnen. -Die ordentlichen Blumen auf den ordentlichen Beeten blühen noch nicht; die -ordentlichen Städterinnen haben schon geblüht. Deshalb strömen sie einen -künstlichen, starken Parfüm aus, der schlecht harmoniert mit der süßen, -berauschenden Frühlingsluft. - -»Vorüber, ihr Schafe, vorüber!« singt Goethes Schäfer, als ihm -»gar so weh« wird -- und wir huschen dem Sonnenstrahl nach, aus dem -ordentlichen Garten hinaus, hinter die hohe Mauer, wo die Wildnis anfängt. -Hier ist auch eine Menagerie, die der Bäume. Aber die Wildlinge aus Nord -und Süd haben in dem fremden Boden Wurzel gefaßt, ihn sich angeeignet, -und so gedeihen sie und wachsen und wachsen, als habe die neue Heimat ihnen -die alte ersetzt. -- Was es nicht alles zu sehen gibt unter den fremden -Bäumen: dort, wohin die Tannen nicht mehr gelangen können mit ihren -langen Armen, kriecht kleines, grünes Moos dicht an das Nadelbett heran, -das die Tanne, wie Frau Holle den Schnee, um sich ausgeschüttet; es -blüht, das Moos, mit lauter gelbgrünen Zäckchen, und zwischen den feinen -krausen Spitzen kriechen winzige Insekten, denen der Mooswald wohl so -gewaltig dünkt, wie uns jene blühende Kiefer. O wie blüht die Kiefer! -Ueberall, überall auf den starken Aesten, in den Stacheln verborgen, da -blüht es wie rotes Gold; sieben kleine Goldkätzchen in einem Nest -- und -rührst Du daran mit vorwitzigem Finger, dann rieselt ein feiner, gelber -Blütenstaub in Deine geöffnete Hand. Weich wie ein zartes Kinderbäckchen -berührt dich's, und ein würziger Duft erzählt dir von unendlichen -Kieferwäldern, in denen der Wind singt. - -»Bilde Dir nur nichts ein,« sagt die Nachbarin der Kiefer, die deutsche -Edeltanne, und sie reckt sich kerzengrade, so daß sie noch einen Finger -breit über jene hinweg schaut -- »Du mit Deinem Blühen! Sieh' mich -an: meine Orden, huldvollst verliehen von Sr. rauschenden Majestät dem -Frühling.« -- Und sie klappt ihre Zweige zusammen, daß ein feines -Nadelgeriesel zur Erde fällt. Ueber und über ist sie besäet mit -hellgrünen Knöpfchen, frischen Nadelspitzen, die vergnügt aus dem Dunkel -ihrer Wintertracht hervorblitzen. - -Zwischen den Bäumen, aus Gras und Moos erheben sich dunkle Blumenbeete. -Seltsame Blumen stehen darauf: aus dunklen Blättern hängt an -einem dünnen Stiel eine kleine, gelbe Tasche; -- ich bin immer die -vierundzwanzigste mit fünfundzwanzig Fehlern in der Botanik gewesen, und -nun möchte ich wissen, ob diese niedliche, kleine, gelbe Tasche nicht eine -Art von Venus-Fliegenfalle ist? Kriecht ein dummes Mückchen am Rand der -schönen Blüte hin und bleibt daran kleben: sacht schließt die schöne -Blüte ihre Tasche, und Mückchen ist gefangen und muß elend zu Grunde -gehen. Denn so eine Venus-Fliegenfalle gibt ihre Beute nicht wieder los; -ob's Mückchen auch zappelt -- es wird festgehalten bis an sein unseliges -Ende. -- - -Wenn nach einem deutschen Städtchen aus der nächsten Garnison die -Militärkapelle kommt und ein Biergartenkonzert abhält, dann sitzen die -unnützen Buben hinter der grünen Hecke des Gartens und gucken hindurch -und haben die prächtige Musik mit allem Tschingdara-Bumbum und die Herren- -und Damen-Honoratioren, die weißröckigen Mädchen, und all den Kaffee -und das Bier -- nämlich indem sie sehen, wie es getrunken wird -- ganz -umsonst. Sie nennen das: ein Heckenbillet nehmen. Ich habe auch ein -Heckenbillet genommen: ich sitze hinter der großen Mauer, an der sich -rotblühendes Gaisblatt rankt, und kein Mensch im gebildeten Garten weiß, -daß ich da bin, und ich höre das süße Vogelkonzert, ich sehe die -ernsthaften, andächtigen Bäume und das kindlich lustige Gras, in dem die -blauäugigen Veilchen grüßen, ich trinke die wonnige Frühlingsluft -- -alles umsonst. -- - -Vor mir an der Mauer hinauf, einer Weinranke entlang, läuft ein winzig -klein Vögelein, geschwind wie ein Mäuschen. Pick -- pick! hier wetzt es -sein Schnäbelein; husch -- husch! dort jagt es dem Käferchen nach -- und -es sieht mich an mit den klugen Augen, als rief' es: Guck, mach' mir das -nach! Da ist es oben, reckt die kleinen Flügel und mit einem jubelnden -Gekicher ist es davon. -- Horch! über mir: da lacht und küßt und tollt -ein braunes Drosselpaar. Kokett wiegt sich das Weibchen auf dem schwanken -Ast; der Liebste lugt um den Stamm und zwitschert zärtlich: Kind, sühst -meck nich? -- sühst Du meck nich? -- Hier bün eck! hier bün eck! lacht -das Weibchen, und fort sind sie, in das Dickicht hinein. - -Da kommt wieder mein Sonnenstrahl und lockt mich aus meiner Ruhe und -gleitet vor mir her -- und ist verschwunden. Wo bin ich? Was wölbt sich -über mir -- weit, groß, allmächtig. Ich schaue hinaus, und schaue: immer -höher, immer gewaltiger weitet sich der grüne Dom von Blättern. Die -Zweige der beiden norwegischen Baumriesen neigen sich gegen einander, sie -werden zu gothischen Spitzbögen, anstrebend in die Unendlichkeit. -Sanftes Dämmerlicht liegt in meiner Kirche. Durch das grüne, schimmernde -Blätterdach schaut der Himmel wie blaue, freundliche Sterne. Ein -lieblicher Weihrauch umweht mich. Es ist der Duft der kleinen weißen -Blüten des wilden Apfelbaumes, der meine Kirche mit wonniger Süße -erfüllt. Ich stehe und schaue. Ich breite die Arme aus nach der grünen -Unendlichkeit da droben, und es ist still, still, um mich, in mir. -- - -Als ich hinaustrete aus den dämmernden Bögen meines Domes, liegt die Welt -hell zu meinen Füßen. Ihr Duft umhüllt mich. Ihr Licht gleitet warm in -mein Herz. Es ist Frühling. - - In den Lüften singt es und klingt es -- und -- - - * * * * * - - Ich flüstere in die weite Welt: »Wohl süß ist es zu singen, - Wenn Vogelschlag und Frühlingsduft weich dir ins Herze klingen« -- - Da lachte der Sonnenschein. - - - - -Das Märchen, das gar nicht kommen wollte. - - -Es war einmal ein Märchen, das hatte sich eingepuppt wie eine -Schmetterlingsraupe und sich versteckt in dem Astloch einer alten Eiche im -Walde; nur zuweilen öffnete es die Augen ein wenig und blinzelte um sich, -und wenn es sah, daß die Welt immer noch grau und kahl und ungemütlich -war, dann machte es die Augen zu und schlief wieder ein. -- Während dessen -liefen die Menschen in dieser kalten Welt herum und jammerten nach dem -Märchen, das gar nicht kommen wollte. Das heißt, eigentlich waren es nur -ein kleiner Junge und ein kleines Mädchen, die überall nach dem Märchen -fragten. Sie hatten dicht bei einander auf dem Fußschemel gesessen und -zugehört, was die alte Märchenmuhme erzählte. Die großen Leute hatten -keine Zeit dazu, die hatten so viel zu sorgen und zu wirtschaften und zu -studieren, daß sie sich um ein Märchen nicht weiter bekümmern konnten; -außerdem sagten sie, so ein Märchen, das sei nur für Kinder und solche, -die es immer bleiben; dabei käme gar nichts heraus, und man sollte nur -einmal die gelehrten Leute fragen, die den täglichen Bildungsbedarf fürs -Volk liefern -- das viele Zeitungspapier -- die werden Euch schon sagen, -was man von dem Märchen zu halten hat. - -Da sagte der kleine Junge zu dem kleinen Mädchen: - -»Komm', wir wollen hingehen und sie fragen!« - -Als sie bis an eine große düstere Thür gekommen waren, -- da wären sie -am liebsten wieder umgekehrt; aber der kleine Junge war sehr mutig, und so -gingen sie hinein. Da saß der Gelehrte und las aus einem gewaltig großen -Stück Papier. -- - -»Sieh' 'mal, der hat vier Augen,« sagte das kleine Mädchen -- und dann -guckte er mit ein paar allmächtigen schwarzen Augen über die gläsernen -hinweg, die ihm unten auf der großen Nase saßen, und das kleine Mädchen -steckte schnell den Finger in den Mund und der kleine Junge ballte die -Faust, während der Gelehrte brummte (Gelehrte brummen meistens): - -»Sie haben zu viel Phantasie, meine Lieben, das hindert Sie durchaus -am logischen Denken und schwächt den Verstand. Doch, es wird sich schon -geben, darüber seien Sie nur unbesorgt.« - -Da gingen die Kinder nach dem andern Gelehrten, der war sehr freundlich, -tätschelte ihre blonden Köpfe und sagte: sie sollten nur wieder hingehen --- das sei Alles in schönster Ordnung. -- Dann nahm er des ersten Zeitung -und schnitt da ein Stück heraus, aber so, daß der Anfang fehlte und man -nicht wußte, um was es sich eigentlich handelte, und druckte es in seine -eigene Litteratursammlung hinein, und dann stand da zu lesen: Dieses -ist für die Kinder durchaus schädlich. Es verleitet sie zum Lügen -und könnte Veranlassung geben, daß sie sogar Phantasie bekämen. -- In -unserem heutigen realistischen Zeitalter ist es nicht angebracht, und -der Konflikt zwischen Konservativismus und Modernität wird immer wieder -aufgefrischt. -- - -Aber davon verstanden der kleine Junge und das kleine Mädchen gar nichts; -ganz traurig gingen sie wieder fort und suchten immer noch nach dem -Märchen, das gar nicht kommen wollte. Sie hauchten ein Guckloch in die -Eisblumen am Fenster, ob es vielleicht außen davor säße; wie der Schnee -mit geheimnisvollem Sausen vom Dache rutschte, öffneten sie das Fenster -und dachten, nun käme es ganz weiß hereingeflogen, und wie die Sonne -anfing zu scheinen, liefen sie hinter den Sonnenstrahlen her, um sie zu -haschen, denn sie meinten, das sei es nun; und dann schlichen sie auf den -Zehenspitzen ans Fenster, wo die großen, weißen Hyacinthen standen -und dufteten, und guckten zu, ob es vielleicht in einer der stillen -Blütenglocken zur Ruhe gegangen sei. - -Aber das Märchen wollte und wollte nicht kommen. Und unterdessen war es in -der Welt immer noch kalt und grau und trostlos. Die Menschen hasteten und -jagten und trieben einander und machten lauter dummes Zeug. Es war eine -häßliche Welt und häßliche Menschen darin, die sich viel Leides thaten, -und die beiden Kinder dachten oft, ob denn das Märchen noch immer nicht -kommen wollte und Ordnung schaffen und die Welt wieder gut und schön -machen. - -Da kam eines Tages der Südwind daher gefahren. Er stieg von den Bergen -hernieder, daß die Lawinen donnernd vor ihm niederkrachten; er jagte das -Eis auf den Flüssen vor sich her, daß es sich bog und knackte und schrie; -er pfiff durch die Tannenwälder, daß die Nadeln den alten Fichten um die -Ohren sausten, und knickte die dürren Aeste der Wälder, daß Platz wurde -für die jungen, neuen Triebe. Die Wolken trieb er vor sich her -- runde, -regenschwere Wolken, in wilder Jagd; sie drängten und schoben sich und -sprangen einander auf den Rücken, wie die Buben, wenn sie Haschen spielen. -Dann stob er in die Stadt mit wildem Jauchzen und Getöse; er blies in die -Kamine hinein, wie in ein Sprachrohr, und trieb Schabernack mit des Petrus -goldnem Hahn auf der Kirchturmspitze; er deckte die Dächer ab und guckte -den Leuten in die Häuser und blies sie an, daß es den dummen Menschen -angst und bange wurde. Ja, er fuhr sogar dem König um die Nase, als der -just vor seinem Königreiche stand und, die Hände in den Hosentaschen, -darüber nachdachte, wie sein Volk ihn wohl wieder einmal beglücken -könne; und er warf ihm sein Reichsaushängeschild gerade vor der Nase -herunter, so daß der König sich entrüstet umdrehte und in sein Reich -hineinging und die Thür zuwarf, daß es krachte. - -Aber der Wind lachte nur: »Puh! wenn ich nur wollte, dann brauste ich Dich -mit samt Deinem Königreich von der Erde hinweg, wie einen Strohhalm -- -aber ich will nicht! -- Bist mir viel zu klein, du Königlein!« -- - -Und dann warf er ein paar ehrsamen Bürgern, die des Weges kamen, die -blanken Cylinder von den gedankenschweren Häuptern, als wolle er sehen, -was in den Köpfen stecke; und wehte ein paar schlanken Jungfräulein die -langen Kleider eng um die schönen Glieder und freute sich darüber, -der wilde Geselle, wie die kleinen Frauenfüße so tapfer gegen ihn -ankämpften. - -Mit lustigem Gekicher fuhr er zu den Wolken auf und spielte Fangball mit -ihnen; die Wolken fangen an zu weinen und dann fällt ein weicher, warmer, -feiner Frühlingsregen auf die Erde nieder, eine zarte, graue Nebeldecke -breitet sich über die Welt aus, und unter dieser dampfenden feuchtwarmen -Decke da geht der Sturmwind zur Ruhe. - -Dort im Wald, in dem Astloch der großen Eiche regt sich etwas, das ist -das Märchen; das ist aufgewacht von des Südwinds wildem Gesang und merkt, -daß es nun Zeit ist, aufzustehen. Es gähnt noch einmal recht herzhaft und -reckt und plustert sich wie ein Vögelein im Nest; dann schiebt es erst -das eine rosige Füßchen heraus und dann das andere, dann gähnt es noch -einmal, und nun breitet es seine sammetenen Schmetterlingsflügel aus und -fliegt zur Erde nieder. Da leuchtet mit einemmal eine große, glänzende -Sonne durch den Nebel, und nun kann man erst sehen, was für ein -niedliches Märchen es ist. Es ist sehr klein und fein, hat schöne, -weiße Gliederchen und große, dunkelblaue Stiefmütterchenaugen und die -schönsten goldnen Haare von der Welt, die glänzen in der Sonne wie das -rote Gold, das die Schlangenkönigin bewacht; auf dem Köpfchen trägt es -eine blaue Glockenblume, die macht ein sanftes Geläute, wo das Märchen -geht und steht. - -Es mußte wohl von dem Getön und Geklinge sein, daß plötzlich alles -lebendig wurde im Wald, daß die Vögelein ein artig Konzertieren begannen -und die Blumen -- die Krokus und Anemonen und Schneeglöckchen und wie sie -alle heißen -- aus der Erde sprangen, wie kleine, weißhäutige Kobolde, -und ein duftiger Reigen begann in Wald und Flur. Ei! wie es die Bäume da -eilig hatten, ihr neues grünes Kleid anzulegen, und wie die alten Tannen -die spitzen, gelbgrünen Finger ausstreckten, als wollten sie sich auch -so ein grasgrünes Flörchen erhaschen. Am Waldteich der alte Erlenstumpf -sagte zu seinen grünen Jungen, die ihn dicht umstanden: - -»Reckt Euch in die Höhe, Jungens, damit das Märchen nicht sieht, wie alt -und vertrocknet ich bin.« - -Aber im Teich erhob sich plötzlich ein lautes Gequake und Gejohle. Das -waren die Frösche, die hielten einen Froschvolks-Thing ab und wollten -sich eine neue Verfassung gründen; sie sprachen sehr ernsthaft über -Kaulquappenerziehung, Schulvorlagen und Militärbudgets, und daß der -Storch und der Reiher von jetzt an unter froschlicher Oberhoheit stehen -sollten; und ein noch ganz grünes Fröschlein aus dem vornehmen Geschlecht -derer von Ochsenfrosch wollte immer alles besser wissen und durchaus einen -ganz uralten Kurs als das Neueste einführen im Froschteich. - -Es war wirklich sehr interessant, und es war gar nicht recht, daß der -Weidenbaum am Ufer plötzlich anfing zu jauchzen und zu lachen und zu -spotten, und sich geberdete, als hätte er zu viel Blütenwein getrunken. -Die gebildeten Frösche kamen ganz ärgerlich ans Ufer und glotzten ihn an, -und der tolle Geselle, dem die buschigen, hellgrünen Weidenkätzchen von -seiner Narrenkappe herunterbaumelten, schnitt höhnisch eine Fratze und -spreizte seine vielen grauen Finger von sich und hielt eine lange Rede, von -der die Frösche kein Wort verstanden; denn er sprach von Blütenwein und -Trunkenheit und Auferstehung und Frühlingsduft und Märchenaugen -- und -schloß mit: - -»Kinder und Narren sprechen die Wahrheit, und wahrlich, ich sage Euch, -so Ihr nicht werdet wie sie, so könnet Ihr nimmer in den Frühling -eingehen!« - -Hei! Da begann ein Geschelte und Gequake, ein Koaxkoax und Brekekekex, -daß die Vöglein in der Luft im Fliegen innehielten und verwundert zum -Waldteich herniederschauten. Und der Weidenbusch verbeugte sich lächelnd -nach allen Seiten und schüttelte seine Kätzchen lustig durcheinander und -sagte: - -»Verehrte Anwesende, ich glaube verstanden zu haben, daß Sie -mir vollständig beistimmen; und da oben kommt Se. Excellenz, der -Generalfeldmarschall Graf Storch, angeflogen, der wird Ihnen --« - -Quack! sagten die Frösche und tauchten unter, und lange herrschte -Totenstille im Teich, bis sie merkten, daß der tolle Weidenbusch sie -genasführt hatte; dann begann zögernd erst die eine Stimme und dann eine -zweite, und der grasgrüne Froschjüngling sagte: Kroax! und seine Base, -die gelehrte und tiefsinnige Schriftstellerin von Unke, antwortete: -P--unkt--um! -- und bald war der hochweise Disput mit These und Antithese -wieder im schönsten Gange. - -Das Märchen aber nickte lächelnd zum Weidenbusch hinüber und warf -Kußhändchen nach allen Seiten, dann flog es schnurstracks durch den -grünenden, blühenden, duftenden Wald, über Felder und Gärten, in die -Stadt, in das Haus, in die Stube hinein, wo der kleine Junge und das kleine -Mädchen auf dem Fußschemel saßen und aufmerksam zuhörten, wie die -Märchenmuhme ihnen die Geschichte von den Löwen- und den Bärenkindern -erzählte, und als sie gerade sagte: »Die Bärenkinder aber waren so -schrecklich unartig« -- da rief der kleine Junge: - -»Sieh', -- sieh' doch, da ist das Märchen!« - -Und das kleine Mädchen klatschte in die Hände und jubelte: »Das -Märchen! das Märchen!« - -Und wirklich, da stand das Märchen auf der Thürschwelle, seine Augen -leuchteten, seine Haare glänzten wie die Sonne, und dann nickte und winkte -es ihnen; die Kinder faßten sich bei den Händen, sprangen zur Thür -hinaus, hinter ihm her und riefen und sangen immerfort: - -»Das Märchen! Da ist das Märchen, das gar nicht kommen wollte!« - -Es waren aber viele Kinder auf der Straße, die sahen das Märchen zwar -nicht, aber sie riefen doch: Das Märchen, das Märchen! und tanzten hinter -dem kleinen Jungen und dem kleinen Mädchen her, und so ging der Zug durch -die Stadt zum Thore hinaus, als wenn der Rattenfänger von Hameln ihnen -aufspielte. Die großen Leute, denen sie begegneten, blieben stehen und -lachten und sagten: - -»Ach, das ist ja ein Schmetterling, der heißt --« und dann nannten sie -einen langen, lateinischen Namen. Und andere sprachen: - -»Das ist ja ein Sonnenstrahl, und nun ist es Frühling geworden. -Der Frühling ist eine natürliche, höchst angenehme, alljährlich -wiederkehrende Naturerscheinung. Es ist gar nichts Märchenhaftes daran.« - -Aber nun waren es der kleine Junge und das kleine Mädchen, welche lachten --- sie wußten es ja viel besser. Sie liefen in den Wald hinein -- da -tanzten die Blumen mit den Elfen und Kobolden, und die Kinder waren -mitten unter ihnen. Das Märchen schenkte ihnen den Frühlingswein aus -Blütenkelchen, und sie lagen auf weichem Moos und guckten in den blauen -Himmel hinein, von dem die weißen Wölkchen winkten und grüßten und -weiter segelten. - -Das Märchen aber wuchs und wurde größer und wurde eine liebliche -Jungfrau und ein blühendes Weib; und dann wurde es ein liebes, eisgraues -Mütterlein, und dann -- ja, dann spann es sich wieder ein, wie eine -Schmetterlingsraupe und kam lange, lange nicht mehr; nur zur Zeit der -Wintersonnenwende, als die weißen Grüße vom Himmel an der alten Eiche im -Walde vorüberwehten, da öffnete es die blauen Märchenaugen ein wenig -und blinzelte um sich, und dann schlief es wieder ein und wartete auf den -singenden, sausenden, brausenden Frühlingswind. - -Und der kleine Junge und das kleine Mädchen wuchsen auch und wurden -größer und schöner und wurden Mann und Weib; dann spannen sie sich -auch ein, in sich und ihre Welt; und dann erzählten sie ihren Kindern und -Kindeskindern das Märchen vom Märchen, das gar nicht kommen wollte, und -endlich, endlich doch gekommen war. -- -- - - - - -Klein Hildegard. - - - Klein Hildegard wollte zur Schule gehn, - Da blieb am Walde sie sinnend stehn; - Der sah sie mit winkenden Augen an, - Die Vöglein lockten aus dem Tann: - »Klein Hildegard, komm, so schön ist's hier, - Wir rauschen Dir Märchen, wir singen Dir - Von Elfenkönigs goldenem Thor - Viel Süßes, Geheimnisvolles ins Ohr; - Wir singen Dir von des Nixen Spiel -- - Tief unten im Wasser, da weint er so viel. - Wir streuen Dir duftende Blumen umher, - Der Wind regt die Zweige, brausend wie's Meer.« - -- Doch Hildegard richtet sich ernsthaft auf - Und schickt sich wieder an zum Lauf: - »Zur Schule, zur Schule!« die Mutter spricht, - »Im Walde spielen, das darfst Du nicht!« - Da fällt, plumps! von dem Tannenast - Ein Zapfen auf das Näschen fast: - »Au! böse Tanne!« schilt das Kind, - »Bist unartig, wie Kinder sind! - Willst mir wohl gar was sagen, gelt? -- - Ei nun, so rede, wenn's gefällt!« - Lieb schmiegt klein Hilde sich heran - Zum rauhen Stamm der alten Tann. - Vergessen ist Schule, der Mutter Gebot -- - Ja, Sonntagskinder machen viel Not. -- - Vom Tannenbaum fall'n -- tip, tip, tap, - Die würz'gen Nadeln sacht herab. - Und, wie sie rieseln, wie sie fallen, - Hört Hilde Stimmchen draus erschallen, - Die lullen's Kindchen kosend ein - In seltsamliche Träumerein; - »Zur Schule geh', mein liebes Kind, - Doch da nicht, wo die andern sind. - Geh' Du zur Schule in dem Wald; - Was Du da lernst, vergißst Du nicht bald. - Denn hier im Wald, da lernst Du verstehn, - Was Bäume rauschen und Blüten verwehn; - Warum am ewigen Himmelszelt - Die Wolken ziehen über die Welt; - Was Blumen duften, Vöglein singen, - Was Bächlein murmeln, Stürme klingen -- -- - Was unsere ganze schöne Welt, - Die kunterbunte, zusammenhält -- -- -- - Horch nur auf jedes Gezirpe fein, - So wirst Du bald klug wie Waldvöglein sein.« - So spricht im Walde die alte Tann', - Und Hilde hält den Atem an, - Daß ihr die Wörtlein nicht entrinnen. - Dann wandert lustig sie von hinnen. - - Es grüßen Blumen von allen Seiten, - Und Hilde nickt, als weitergleiten - Im weichen, kühlen Gras und Moos - Die kleinen Füße, nackt und bloß. - »Pflück' mich,« spricht die Königskerze, - »Sieh', wie ich gen Himmel schwanke, - Schlanker Stab aus Sammetblättern, - Bin ganz Sehnsucht, ganz Gedanke, -- - Vor Idealen, hoch und hehr, - Seh' ich den eignen Stamm nicht mehr!« - Da lacht das kecke Heidekraut: - »Ich wurzle in der Erde traut; - Und wie ich dufte, wie ich blühe, - Und wie ich stark und kräftig bin, - Und wie ich feurig rot erglühe -- - All das gab mir die Erde hin!« -- - Horch! Welch ein feines Stimmchen schallt - Vom nahen Eichstamm durch den Wald? - Die wilde Weinblüt' ist's, die spricht - Ganz spöttisch: »O, Ihr dummen Wicht'! - Vom Himmel träufelt uns der Regen, - Vom Himmel wärmt die liebe Sonn', - Und Mutter Erde will uns hegen, - Wenn Frost und Eise starren schon. - Ich lieb', was mir der Himmel gab, - Die Erd', in der ich Wurzeln hab'.« - So flüstert's, lacht es auf und an; - Klein Hilde pflückt so viel sie kann. - Schau! Dieses bunte Blumenmeer! -- - Fast wird's dem Aermchen gar zu schwer. - Im schilfigen Gras glüht rot es auf. - Pechnelken stehen da zu Hauf, - Und schütteln ihre Federköpfe, - Und spreizen sich, die eitlen Tröpfe. - »Ei, liebes Kind, mußt mich ansehn,« - Die Eine spricht, »bin wunderschön! - Brichst mich in meinem Purpur-Prangen, - So bleibst an meinem Stengel fein - Unwiderstehlich daran hangen - Mit Deinen Kinderhändchen rein; - Wer mich nur einmal hat berührt, - Stets neue Lust nach mir verspürt.« - Doch -- »Bim -- bam!« klingelt da die Blaue, - Die Glockenblum', »Nur der nicht traue! - Denn Lüg' ist Alles, was sie spricht -- - Kennst Du das alte Sprüchwort nicht? - Wer Pech anfaßt, besudelt sich! - Und das ist richtig, sicherlich! - Hör', rote Nelke, das ist schlimm! - Das Glöcklein läutet stets: Bim -- bim! - Und öffnest Du den Lügenmund, - So klingelt es ganz kunterbunt: - »Bimbam, bimbam, bimbam, bimbum! - Du Federnelke, bist Du dumm!« - Und lachend steht Klein Hildegard - Und droht dem blauen Glöcklein: »Wart', - Du lieber Schelm, jetzt pflück' ich Dich, - Dann läutest Du »Bimbim!« für mich, - Und läutest artig mich nach Haus; - Doch jetzt ruh' ich mich erst 'mal aus.« - Es winkt der gelbe Ginsterbusch, - Und wie das graue Häslein -- husch! -- - Schlüpft unser Kind geschwind hinein - Ins goldne Blütenbettelein, - Und dehnet wohlig sich zur Ruh', - Und schließt die müden Aeuglein zu. - Die Blumen hält im Arm sie fest, - Denn wenn man die gewähren läßt, - So fangen sie zu leben an - Und wandern fort durch Wald und Tann. - Es ist just um die Mittagsstunde. - Wo Waldesgeister ziehn die Runde. - Kennst nicht das Waldesweben Du? - Wenn rings im Wald ist tiefe Ruh', - Und doch ein seltsamliches Weben - Ein raunend, flüsternd Zauberleben? - Die Bäume stehen still und stumm, - Kein Blättlein reget sich ringsum. - Im Schatten schläft das Vöglein lieb, - Reckt sich einmal, sagt leise: »Piep!« - Und plustert seine Federlein - Und schläft dann sänftlich wieder ein. - Doch die Frau Sonne, die ist wach - Und luget durch das Blätterdach. - Es tanzt auf ihrem Flimmerstrahl - Der blanken Sonnengeister Zahl. - Im hohen Grase zirpt die Grille -- - Nun zirpt es Antwort -- dann wird's stille. - Der Falter taumelt über Blüten, - Das sind die Schäflein, die muß er hüten; - Doch in dem heißen Sonnenschein - Da schläfert's ihn mitunter ein; - Und ist er wieder aufgewacht, - Dann hat sie sich davon gemacht, - Die Blüten-Herde, und fliegt wie er, - Im hellen Sonnenglanz umher. - Dann hebet an ein Singen, Klingen, - Von Märchen, wunderlichen Dingen; - Das Bächlein gluckst sein schelmisch Lied, - Und Moos und Steinchen singen mit. - Vergißmeinnicht am Rande träumt: - »Hat's Wiederkommen er versäumt? - Ich rief so oft: Vergißmeinnicht! - In weiter Ferne -- hört er's nicht?« - Der Ginster winket zu ihr her: - »Klein Blümchen, was verlangst Du mehr? - Kannst, kleine Blaue, Du's verstehn? - Die Lieb' soll nie von Liebe gehn -- - Sonst geht die Treue hinterdrein. - Ich sing' ein Lied Dir -- lausche fein: - - Ueber die Heide weht der Wind, - Da sitzt das blasse Königskind, - Singt: Leide, leide, leide -- - - Bei Sonnenlicht und Sternenschein - Da suche ich den Buhlen mein -- - Wo weilt er auch am Wege? - - Ach, wollt', er wäre noch bei mir, - Ich wollt' ihn küssen und herzen schier - Auf stiller, stiller Heide. - - Ach, wollt', ich läg' in seinem Arm, - Ich wollt' vergessen allen Harm, - Wollt' lachen nur und kosen. - - Ueber die Heide weht der Wind, - Da sitzt das blasse Königskind, - Singt: Leide, leide, leide. - - Und wartet noch gar manches Jahr -- - Und kämmet ihr langes, goldnes Haar, - Das wehet in dem Winde. - - Und als der Bub dann kommen ist, - Der sie so oftmals hat geküßt, - Da sucht er auf der Heide. - - War da ein feiner Ginsterstrauch, - Des gelbe Blumen strahlten auch - Wie lauter lichtes Golde. - - Da hat er so viel weinen 'müßt, - Und hat die Ginsterblumen 'küßt -- -- - Dann ist er fortgezogen.« - - Und als verklungen ist die Weise, - Da reget sich Klein Hilde leise: - In ihrem Arm die Blümelein, - Die fangen an zu reden fein. - Das Löwenzähnchen schilt: »O Ginster, - Wie sind doch Deine Träume finster!« - »~Noblesse oblige!~« ruft Rittersporn, - »Auch in der Lieb' -- bei meinem Zorn!« - Und trotzig mit gar mut'gem Sinn - Grüßt er zur Wickenblüte hin; - Verschämt senkt die das Köpfchen tief, - Ein lieblich Rot sie überlief. -- - Da lacht es plötzlich neben ihr: - »Ich halt' die Liebe weg von mir! - Ich wehre mich vor jedermann -- - Und fühlt, wie ich doch brennen kann!« - Da jubeln alle auf und sagen: - »Hört -- Brennessel will auch was wagen! - Geh', Unkraut, pfeife uns ein Lied, - Im Chorus singen wir dann mit.« - Und neckisch stimmt die Grüne dann - Das Nessellied, und hebet an: - - »Ich wollt' einmal spazieren gehn, - Am Rain, wo bunte Blumen stehn.« - - Und jauchzend fällt der Chorus ein: - »Nessel, Nesselbusch am Rain!« - - »Da schaut ein weißes Blümlein 'raus, - Und ach -- so schämig sah es aus.« - - Und jauchzend fällt der Chorus ein: - »Nessel sieht so schämig drein!« - - »Und als ich bückte mich danach, -- - Gar plötzlich mir's den Finger stach.« - - Und jauchzend fällt der Chorus ein: - »Nessel, Nessel, wehr' Dich fein!« - - »Ei, böse Blume, halt' doch still - Wie die andern, wenn ich Dich brechen will!« - - Und jauchzend fällt der Chorus ein: - »Nessel, -- hörst -- sollst stille sein!« - - Da lacht die grüne Blum' und spricht: - »Ja Brennesselblüten, die pflückt man nicht!« - - Und jauchzend fällt der Chorus ein: - »Brennt die Nessel -- laß sie sein!« - - Nun reichen alle sich die Hände, - Und singen's Tanzlied: »Wende, wende - Dich her zu mir, und auf und ab. - Zieh' die Kreise, zart und leise, - Sing' die alte Wunderweise, - Wie die Blumenfee sie gab. - In den Blüten schläft das Kind -- - Küsse, küsse es geschwind, - Daß es eins der unsern werde; - Daß es blumenduftig schwebe, - Daß es waldesselig lebe - Auf der hellen, grünen Erde.« - Da ist klein Hilde aufgewacht, - Und hat die Aeuglein aufgemacht: - Und all die Sonnenpracht umher! - Und all das Duften, süß und schwer! - Und sieh' -- die Blumen neigen sich, - Umkreisen sie gar seltsamlich -- - Sie trägt ein rosenfarben Kleid, - Das strahlet hell von Taugeschmeid'. - Und Rosen trägt sie in dem Haar, - Und Rosen in den Händen gar. - Die Blumen knieen vor ihr hin: - Heil unsrer Rosenkönigin! - Und eh' sie weiß, wie ihr geschah, - So ruhet sie auf Rosen da; - Und allgewärtig ihren Winken - Die Blumen stehn zur Rechten und Linken, - Und Hilde grüßt nach allen Seiten - Huldvoll, wie sie vorüberschreiten. - Aus Blumen trinkt sie den Blütenwein - Und nascht den goldnen Honigseim. - Die Sonne wirkt ihr die goldne Kron' - Und die glänzenden Flitter für den Königsthron. - Die Schmetterlinge tanzen vor ihr, - Die Grillen spielen auf dafür. - So ruhet sie an Baches Rand - Als Königin übers ganze Land. - - Da -- horch! was rauscht es ihr zu Füßen? - Und welch ein Nicken, Winken, Grüßen - Von Blum' und Moos am Ufer dort? - Das Wasser schwillet fort und fort -- - Und aus den grauen Nebelwogen, - Da kommt es zu ihr hergezogen - So wunderselig. Aus dem Fluß - Erhebet sich mit süßem Gruß - Der Nix in silbernem Gewand - Und hält die Harfe in der Hand - Die gibt gar traurig hellen Ton -- - Ob's Glück mit Thränen gemischt sei schon. - Er breitet die Arme aus nach ihr: - »O Rosenkönigin, komm' zu mir! - Ich will in meinem Arm Dich hegen, - Ich will Dich schaukeln auf der Flut; - Die zarten Glieder sollst Du legen - Auf Wasserrosen, -- da ruht sich's gut. - Mit meinen Fischlein sollst Du spielen, - Ein neckisch Haschen, her und hin -- - Die kleinen, weißen Füßchen kühlen - In klaren Silberwellen drin. - Es ist so einsam in der Tiefe, - Im Wasserhaus so kalt für mich --. - Und kämst Du wohl, wenn ich Dich riefe? - O Königin, ich hole Dich!« - - Da wird Klein Hilde das Herz so weh -- - Es ruft in ihr: O geh', o geh'! - Wie wird es ihr so seltsam kalt? - Was zieht es sie mit solcher Gewalt? - Wie schwillt das Wasser immer mehr -- - Da kommt der Nix gar zu ihr her, - Und faßt sie mit feuchten Armen an -- - Klein Hilde sich kaum noch regen kann. - Vor Angst, vor Glück? -- Sie weiß es nicht, - Es küßt der Nix ihr blasses Gesicht; - Er wieget sie in seinem Arm, - Es wird ihm -- ach -- so wohlig warm; - Er will sich rauben das junge Blut - In tiefe, rauschende Silberflut. - Klein Hilde schaudert -- an seine Brust - Zieht er sie eng mit sehnender Lust -- - Schon netzt das Wasser ihr Gewand, - Er zieht sie hin mit zwingender Hand -- - Nun sinkt Klein Hilde sacht hinab - In des Nixen stilles Wassergrab. -- - Und horch! wie's um sie rauscht und singt! - Wie's brausend durch die Lüfte klingt! - Klein Hilde, wache auf geschwind, - Sonst weht der wilde Brausewind - Dich wirklich in das Bächlein dort -- - Zum Schlafen einen bösen Ort - Hast Du Dir eben ausersehn. - Und dann mußt Du nach Hause gehn: - Die Schule ist schon lange aus, - Und alle Kinder schon zu Haus. - Da hat Klein Hilde sich erhoben - Und schaut verwundert hin nach oben, - Wo Wolken ziehen kreuz und quer, - Gar über die liebe Sonne her. - Wie war doch alles das geschehn? - Hat sie den Nixen nicht gesehn? - Ist nicht am Saum ihr Röckchen naß? - Das ist doch nicht vom feuchten Gras? - Wo ist ihr Rosenkleidchen hin? - War sie denn nicht die Königin? - Die Bäume neigen sich um sie her, - Das kommt vom Wind, der wehet sehr, - Der pfeifet ängstlich durch den Tann; - Klein Hilde hält den Atem an -- - Es wird ihr plötzlich so beklommen - Da hat sie hurtig aufgenommen - Die Blumen alle nebendran, - Und springt davon so schnell sie kann. - Jetzt ist sie auf der kleinen Brücke, - Da rauscht es unter ihr voll Tücke: - »Da, Wassermann,« ruft sie geschwind, - »Da, nimm das bunte Blumenkind!« - Und wirft ein schönes Blümelein - In Wassermannes Haus hinein. - Mit weißer Hand greift der es an, - Und strudelnd sinkt's zur Tiefe dann. - - Und als Klein Hilde kam nach Haus - Und hat gesagt, was sie gesehn, - Und hat erzählt, was ihr geschehn -- - Da lachen sie Klein Hilde aus. - Und scheltend streng die Mutter spricht: - »Im Walde spielen sollst Du nicht!« - Und Hilde setzt ins Eckchen sich - Und weinet, weinet bitterlich. - - Klein Hilde, werde wieder froh; - Uns Großen geht es ebenso: - Wenn wir im Walde etwas sehen, - Was all die andern nicht verstehen, - So lachen sie uns auch nur aus - In diesem weisen Weltenhaus. - Und Mutter Ordnung ernsthaft spricht: - »Der Phantasie bedarf man nicht! - Die Poesie -- die braucht man nicht! - Mehr sehn, wie andre, soll man nicht! --« - - - - -Das Märchen, das verloren gegangen war. - - -Das war, als ich einmal spazieren ging und tiefsinnige Gedanken hatte -- -worüber? -- Sie waren zu tief, um das ergründen zu können. Vielleicht -war's, ob die Welt da um mich her mit ihren langen Straßen und engen -Häusern eine wirkliche Welt sei oder ob ich sie mir bloß einbilde, und -ob die Menschen, die mir begegnen, wirklich so blödgesichtig dreinschauen, -oder ob ich bloß Schwingungen in meinem Gehirn und Augen habe, die mir -das alles so erscheinen lassen -- ja, vielleicht war's das, worüber ich -nachdachte. Und neben mir her trippelte ein feines Etwas mit großen Augen, -und das kicherte und plapperte mit einem leisen murmelnden Stimmchen wie -ein kleiner Bach; und weil mich das in meinem tiefsinnigen Denken störte, -sagte ich: - -»Ei, so sei doch ruhig und stör' mich nicht!« - -Da schwieg das feine Etwas erschrocken still. Aber als das liebliche -Gemurmel nicht mehr neben mir einherging, konnte ich erst recht nicht -denken, und als ich mich ungeduldig umwandte, da hatte ich das Märchen -verloren. Nun war mir's ganz ungemütlich zu Mut. Ich ging gleich wieder -zurück, blickte rechts und links, hinter jeden Baum, und unter die -trockenen Blätter, die darunter lagen, aber nirgends leuchteten die -Zauberaugen meines Märchens. - -Da fragte ich die Uhr, die vor mir hoch oben in einem langen, spitzen -Kirchturm saß: - -»Du wohnst so hoch und hast einen weiten Ausblick -- hast du mein Märchen -nicht gesehen?« - -Aber die Uhr sagte nur: Tick-tack-tick-tack! Und als sie schnarrend zu -einer Antwort einsetzte, da sagte sie mit rasselnder Stimme eine ganze -Menge Zahlen her -- als ob Zahlen etwas mit einem Märchen zu thun hätten! -Nun fragte ich die Leute auf der Straße: - -»Ihr seid so klein, und guckt immer auf die Erde -- habt Ihr mein Märchen -nicht gesehen?« - -Aber die antworteten: »Eine solche Person kennen wir nicht. Und wenn sie -Dir gehört und weggelaufen ist, so zeige es doch bei der Polizei an« --- -- als ob eine blauröckige Polizei mit einem Knüppel ein Märchen -einfangen könnte! - -Nun fragte ich die Bäume im Park, an dem ich vorüberging. Aber die -standen ganz still und regten sich nicht und ließen nur zwei, drei gelbe -Blätter vor mir niedersinken. Da merkte ich, daß es Stadtbäume waren und -zu gebildet zum Antworten auf eine Märchenfrage, und weil ich nun durchaus -mein Märchen, das ich so leichtsinnig verloren hatte, wieder haben mußte, -so ging ich auf Reisen, ihm nach. - -Ich kam an ein großes Wasser, das lag friedlich da, wie eine -grünsammetene Wiese, auf der kleine Grabhügel sich wölben, über und -über bedeckt von weißen Maßliebchen. Mir war es, als ob mein Märchen -sein goldenes Haupt lächelnd aus diesen Grabhügeln strecke, und als ob -es kichere: »Nicht in Gräbern findest Du mich -- ich bin das Leben!« -- -Aber da kam ein zarter, grauer Nebel und deckte die grüne Sammetwiese und -die Maßliebchenhügel zu, und nur ganz in der Ferne sah ich es aufblitzen -wie weiße Mövenflügel. - -Ich kam an eine Insel, darüber flutete ein warmes Abendrot, und ein -Rauschen, ein bedeutsames Raunen zog durch die Wipfel der hohen, stillen -Bäume, als spräche mein Märchen zu mir aus tausend Zungen. Bunte Blumen -standen auf der Insel, die sie die »Schöne« nannten, und sahen mit -stillen Augen zu den Sternen auf, die ganz zart und licht am Abendhimmel -aufleuchteten, wie die ersten Liebesgedanken in einer weichen -Mädchenseele. Leise glucksten kleine lustige Wellchen gegen das Ufer, als -lachten sie über die Wassernixen, die mit ihren weißen Entenfüßchen das -Ufer heranklimmen wollten und immer wieder ins laue Wasser plumpsten. Wie -nah', wie nah' war mir mein Märchen! Ich fühlte es mich umwehn -- aber -als ich danach haschte, sah es mich mit tiefen Augen spottend an, und ich -griff in die Luft. - -Danach sah ich mein Märchen wieder in einem Krankenzimmer; da saß es tief -verborgen in dem großen weißen Kelch einer Lilie. Aus deren sammetigen, -weißen Blütenblättern lagen rote Tropfen, als habe das Märchen blutige -Thränen geweint, und es sah mit himmlisch klaren Augen in die Weite. Wie -ein Hauch flog es durch das Gemach: »Hier kannst Du mich nicht halten, -da würde ich vergehen vor Traurigkeit« -- -- und husch! wie ein -Flügelschlag -- da war's aus dem Fenster, und die Menschen um mich sahen -sich fragend an: Was war das? - -Eines Morgens, ganz, ganz früh, als die Nacht auf ihrem Lager flehend die -Arme hob, den leuchtenden, ihr entfliehenden Tag zu halten, da erwachte ich -und sah etwas Weißes, Flüchtiges von meiner Seite davonschweben. Und es -umgab mich ein leises Klingen, und Worte tönten -- war's in mir? war's um -mich? -- Horch: - - Die Nacht, als ich geschlafen hab', - Da lag das Glück bei mir; - Im Morgenschimmer sah ich nur - Entfliehn die weiße Zier. - - Es lächelt, nickt und winkt mir zu: - »Du hast es nicht gewußt, - Daß schlummernd ich mein Köpfchen hab' - Gelegt auf Deine Brust; - - Wärst Du erwacht, hätt'st mich gefaßt, - So wär's um mich geschehn -- - Nur leis, nur heimlich darf das Glück - An Deiner Seite gehn.« - -Nun hatten es viele gute Menschen gehört, daß ich mein Märchen nicht -wieder finden könnte, und weil sie ein verloren gegangenes Märchen für -etwas sehr Trauriges hielten -- ganz anders als die in der Philisterstadt, -die gar nicht recht wußten, was ein Märchen war -- da wollten sie -mir alle suchen helfen. Aber sie thaten es mit so viel Bewußtsein und -Ueberlegung, daß das Märchen sich immer tiefer versteckte; und selbst -der rauschige Weinduft, der ausgesandt wurde, nach ihm zu forschen, kehrte -statt mit meinem lieblich plappernden Märchenkinde mit einem wolligen, -miauenden Kätzchen zurück, das gar scharfe Krallen zeigte. - -Da ging ich in die Einsamkeit. Ich kam an wildes, weites Wasser, das -rauscht und brodelt und donnert, als wolle es eine Welt vernichten -- oder -emporheben. Und eine Brücke führt über die weiße Gischt, die ging ich -hinüber. Da war ich auf einer Insel mit hohen, wiegenden Bäumen; -die hielten Felsblöcke mit ihren Wurzeln umklammert wie mit riesigen -Greifenklauen. Und da war noch eine Insel, und noch eine, und noch eine. -Zwischen ihnen drängte sich überall das weiße Wasser hindurch; es war -so klar, daß man die kleinen Mooswälder auf dem Gestein unter ihm -sehen konnte, und die Höhlen, dunkelblau und tiefgolden, in denen die -Wasserkobolde wohnen. Wie ich nun an der äußersten Spitze der letzten -kleinen Insel angekommen bin und hinsehe über das weite, schäumende -Wasser, da sitzt dicht vor mir, nahe am brausenden Wasserabsturz, -mein Märchen auf einem Felsblock. Es hat seine nackten Beinchen hoch -heraufgezogen, damit sie nicht naß werden, und umschlingt die Kniee mit -den weißen Armen; das Haar rollt silberglänzend um die kleine Gestalt, -wie der sonnendurchleuchtete Kamm einer Woge, und die meergrünen -Zauberaugen sehen zwingend zu mir hinüber. So sitzen wir beide und -lächeln uns an, so froh, daß wir uns wieder haben, und dann erzählt das -Märchen: - -Weit droben im großen See tief auf dem Grund, da steht das Schloß des -alten Wasserkönigs. Von grünem, strahlendem Krystall ist es erbaut, und -die Wände sind so klar, daß der Wasserkönig mit seinen seegrünen Augen -hindurchschauen kann und alles sieht, was in seinem Reiche vorgeht. Wenn -die Fische rebellieren wollen, dann weiß er es schon, noch ehe sie den -revolutionären Gedanken gefaßt haben, und der Kopf wird ihnen abgebissen, -ehe sie wissen, wo er ihnen eigentlich sitzt. Ja, der König führt ein -strenges Regiment, sogar unter den weiblichen Unterthanen, und manch -hübschem Nixlein bebt das goldschillernde Schwänzchen, wenn der König -musternd die Reihen durchschreitet; denn manch Nixlein hat ein böses -Gewissen, und -- ach, die königlichen Zwillingssöhne sind gar so -herzliebe Gesellen. - -Da berief der König eines Tages seinen Hofstaat um sich. Er saß auf -einem Thron von goldglänzendem Kiesel, auf dem weißen Haupte trug er die -Seekrone von Smaragden, und in den langen silbernen Bartwellen funkelten -die Schaumperlen. Ringsum harrte das Gesinde in ehrfürchtigem Schweigen, -kaum, daß die beweglichen Schwänzchen hin und her zuckten. Vor ihm -aber standen die Zwillinge und warteten des königlichen Vaters Befehle. -Schöne, schlanke Burschen sind's, mit festen Gliedern und kühnen Augen. -Die des einen mit der gedankenvollen Stirn hingen an den Lippen des Vaters; -die des andern, Rastlosen, Trotzigen, flogen lächelnd und kosend über die -Schar der Nixlein, durch deren Reihen eine plötzliche schillernde Bewegung -ging. Der Wasserkönig aber sprach: - -»Prinzen, Ihr habt gelernt, wie man im Wasser lebt, herrscht und richtet. -Es ist Zeit, daß Ihr Euch die Wasserfläche draußen anseht. Bahnt Euch -eine Straße, zerschmettert, was Euch im Wege ist, und erobert Euch Euer -Reich. Ziehet hin in Frieden und beherrschet künftig Eure Unterthanen mit -Zucht und Strenge.« - -Unwillkürlich ruckten die Fische mit ihren Köpfen bei dieser Rede, ob sie -auch noch festsäßen, und die Nixen und Wassermänner zupften sich an den -Flossen, ob sie die auch noch hätten. -- Die schönen Zwillingsbrüder -aber schwammen Hand in Hand in die Welt hinaus. Zuerst waren sie -sehr übermütig, schlugen Purzelbäume, daß die Wellen in die -Höhe klatschten, und neckten die Fische, die pfeilschnell an ihnen -vorüberflohen. Dann wurden sie stiller und träumerisch, wiegten sich Hand -in Hand an der spiegelglatten Oberfläche des Wassers und sprachen von den -Heldenthaten, die sie verrichten wollten. Der mit der hohen Stirn und den -schwärmerischen Augen lispelte von der hohen, der herrlichen Welt, die -er sich erträume und die er besitzen müsse, koste es, was es wolle. Der -Trotzige aber lachte dazu: »Leben will ich -- und lieben und genießen!« -rief er und schüttelte übermütig eine ganze Welle voll Flußsand über -des Bruders schönem Haupte aus, daß der prustete und sich schüttelte wie -ein nasses Menschenkind. -- Nun kamen sie an einen hohen, grünen Wald, der -lag mitten in ihrem Weg und machte auch keine Miene, ihnen auszuweichen. - -»Zerschmettert, was im Wege steht!« wiederholte der mit der hohen Stirn. -»Komm, laß uns die Bäume niederreißen, und die Felsen zerbröckeln.« - -»Pah,« lachte der Wilde, »wozu die Arbeit, die eine Ewigkeit dauert? -- -Weiter, weiter will ich, ins Leben hinein! -- Hör', laß uns den Bäumen -aus dem Wege gehen, Du dort herum, und ich hier, und dann wollen wir sehen, -wer zuerst ankommt, zuerst sein Ziel erreicht -- Du oder ich!« - -Das reizte den Zwillingsbruder; wußte er doch, daß er natürlich der -Erste sein würde. Ein flüchtiges Lebewohl nur, und er brauste dahin, -ungestüm, hier ein Stück Fels wegreißend, dort einen Baumstamm mit sich -zerrend. Er sah nicht die Welt um ihn; er sah nur in die Ferne, wo seine -Welt liegen mußte, die er erträumt, die er besitzen, beherrschen wollte. -Nur immer weiter, weiter, dahin, wo der zarte Dunst aufsteigt, wo ein -erster Sonnenstrahl glitzert wie auf Türmen -- die seines neuen Reiches --- und in wilden Sprüngen, brausend und jauchzend, setzt er der Traumwelt -nach, bis er schwankt und schwankt und ihm schwindelt, und er den Boden -unter den Füßen verliert, und er in den Abgrund stürzt, in den Abgrund -von erträumter Leidenschaft. Es war ein jäher Sturz. In ihm zerschellen -alle seine Träume, alle seine erhabenen Gedanken. Voll Grausen blickt er -hinauf zu der schwindelnden Höhe, auf der er einst geweilt hatte: so groß -und erhaben hatte er sich das Leben gedacht, nichts hatte er haben wollen, -keine Freude, keine Liebe, nur Größe und immer mehr Größe. Nun trieb -er dahin in einem breiten, gemächlichen Strombett, immer mehr wiegend, -erschlaffend, duselnd -- und nur wie weißer, kreisender Schaum trieb die -Erinnerung auf seinen langsam sich wälzenden Fluten. Einmal schaute er -sich um nach seinem Bruder: eine brausende, dampfende Gischt in der Ferne -verhüllte alles hinter ihm. - -Der trotzige, lächelnde, genußsüchtige Zwillingsbruder aber war gar -gemütlich seines Weges gezogen, hatte die Bäume auf der schwimmenden -Insel neckisch an den Zweigen gezupft, wie die unnützen Buben die -schmollenden Schulmädchen an den Zöpfen, hatte seine neugierigen, -geschwätzigen Fluten durch jeden kleinen Felsengang geschickt, bis er -mitten durch die Insel hindurchlugen konnte, und da sah er etwas sehr -Liebliches. Nicht eine Insel war es nämlich, sondern neben der großen, -die das Königreich einer vornehmen alten Waldnymphe war, wie die -Wasserboten berichteten, lagen noch drei kleinere, und jede von ihnen hatte -ein Töchterlein der Waldkönigin zur Herrin, und sie lebten da in eitel -Freude und Lustbarkeit. Keinen Gebieter wollten sie über sich erkennen und -frei wie die Luft leben, so lange die Welt steht. Da kam jetzt der schöne -Flußheld geschwommen, ganz nahe an die Insel der ersten Schwester heran, -siehe, da steht ein wunderschön Jungfräulein, mit Guirlanden von Blumen -umwunden und ein fröhlich Liedchen summend. Und horch! wie die Antwort zu -ihr aufsteigt aus den weißen Wassern, die plötzlich aus dem Dunkel der -Felsen hervorbrechen und sie erschrecken, daß sie schreiend davonläuft. -Er aber schwimmt ihr nach, rund um die Insel, siehe -- da sitzt auf einem -Felsblock der zweiten kleinen Insel ein noch viel schöneres Jungfräulein, -die schüttelt ihr lockiges Haar, als sie die weißen, starken Arme des -Flußhelden sieht, die er nach ihr ausstreckt. Und sie lacht höhnisch und -nimmt spitzes Gestein und wirft es nach ihm, daß ihn die scharfen Kanten -ritzen. Da wird er zornig und will aufwallen -- doch ach, drüben auf -der letzten, kleinsten Insel, da sitzt am Ufer, mit den Füßen die neuen -Wellen patschend, das dritte Prinzeßchen; und sie hat langes, güldenes -Haar, und die meerblauen Augen sehen neugierig zu ihm hinüber, und die -schönen Glieder wiegen sich mit den Wellen. Da schwimmt er ganz nahe zu -ihr, legt seine große Männerhand um ihr weißes, weiches Füßchen, -und sie lächelt nur -- da zieht er sie hinab in seine schaukelnde, weite -Wasserwiege. Wie eine Wehklage braust es durch die Waldwipfel; aber sein -Jubelruf übertönt die Klage, und weit enteilt er, seine Beute bergend vor -Fels und Abgründen. Regungslos liegt die Schlanke, Weiße in seinen Armen. -Sie kann ja nicht sprechen im Wasser, nur die meerblauen Augen sehen -ihn an, und tief drin liegt eine stille Klage: Warum hast du mich in ein -fremdes Element gezogen? Warum dich zum Herrn gemacht über ein freies -Geschöpf? - -Nun wußte er eine Grotte, darin sollte die stille, weiße Geliebte wohnen. -Tiefgrün war es darin von lauter Smaragden, und das Edelgestein leuchtete -und funkelte wie von tausend Lampen. Der trotzige Held aber webt und webt, -und webt mit seinen Wasserfäden den schönsten Brautschleier von kostbaren -Spitzen, und er hängt das duftige zarte Gewebe, so hoch, so fein, rund im -Halbkreis vor das smaragdene Wasserschloß, daß niemand seine Heimlichkeit -störe, keiner seine weiße Braut, zu deren Füßen er ruht, ihm rauben -könne. Sie aber spielt in seinen langen Haaren, küßt seinen roten Mund, -legt ihr Köpfchen an seine breite Brust -- aber immer wieder fragt sie: Wo -ist die Sonne? die goldene Sonne? - -Und eines Tages, als er fern ist, da wird die Sehnsucht nach dem Licht so -mächtig in ihr, daß sie der Wasserkobolde und neckischen Nixen vergißt, -die draußen ihr Wesen treiben und die Spitzenschleier immer wieder -erneuern und verdichten. Ganz nahe tritt sie heran an die zauberischen -Vorhänge -- wie hell, wie licht es da ist; sie rückt ein wenig daran, sie -lüpft ein zartes Eckchen. -- Siehe, da über den wogenden Wasserdünsten -steht die Sonne, ihre Sonne in strahlender Pracht -- und die Arme -sehnsüchtig ihr entgegenbreitend, sinkt das Waldkind, eingehüllt in -die Brautschleier, zur tosenden, unbarmherzigen Tiefe nieder. Wie ein -leuchtender Strahl fliegt es an dem Trotzigen vorbei, der seine starken -Glieder im wildesten Flutengetos kühlt, und da vor ihm, da im Strudel -treibt der weiße, weiche Leib seiner stillen Waldlilie. -- Es überkommt -ihn ein großer Zorn. Brüllend vor Schmerz und Wut, daß es wie Donner -grollt, wirft er die Wasser gen Himmel, damit ihr Schaum, ihr wilder Gischt -die Sonne, die verhaßte, verdecke. So steht er im Strudel und rast und -trotzt gen Himmel. Er sendet seine Fluten auf zu der Insel, wo seine -Waldlilie wuchs; sie zerren und wühlen an dem Gestein, ein Stück nach -dem andern sinkt in die Tiefe und ein höhnender Schrei gellt von Welle -zu Welle, wenn ein Baum mit hinabgerissen wird und hülflos in den Fluten -treibt. Oben in den Wipfeln der Bäume aber rauscht eine wehmütige Klage -um die Waldlilie, die an der Sonnensehnsucht verging. - -Doch die wundersamen Spitzenschleier, die das Brautgemach bargen, wallen -immer noch nieder vor dem smaragdenen Schloß und verhüllen in zarter -Weiße seine erbarmungslose Leere. Die goldene Sonne aber taucht ihre -Strahlen tief in das Wassergebrodel, läßt sie niedergleiten an den -Schleiern, als suche sie die, die aus Sehnsucht nach dem Lichte gestorben -ist; und die Strahlen bauen von Tag zu Tag eine wunderleuchtende Brücke -hinauf, hinauf zur Sonne. - -Da endete das Märchen und es breitete seine Arme aus nach den fallenden -Wassern. Ein leises, wehmütiges Klingen zog herüber von den Inseln der -drei Schwestern. - -Das Märchen erhob sich, flog mit breiten, weißen Mövenflügeln hin über -die Fluten, die wild aufschäumten und es haschen wollten. Aber sie netzten -nur seine Füße. Und mit leisem Gekicher kreiste es über meinem Haupte -- -mein verlorenes und wiedergefundenes Märchen -- an den fallenden Wassern -des Niagara. - - - - -In der Gosse. - - -»Hei! Der hat's eilig!« sagten die trockenen Blätter, als der Wind -sie packte und die glatte Straße hinunterwirbelte, daß sie den Atem -anhielten. - -»Nein, ich will nicht!« raschelte das eine ganz große Blatt, das, trotz -seiner verkrümpelten Gestalt, noch einen grünlichen Schimmer auf sich -hatte und sogar noch einen ordentlichen Stiel besaß. Und es hob sich -erst von der einen Seite, und dann von der andern -- wie ein ungeschickter -Bauernbursche, der zum Tanze antritt; aber es half ihm nichts: der Wind -blies die Backen auf, und heidi! da sauste es davon, so viel es auch -versuchte, an allen Steinchen und Schmutzhaufen hängen zu bleiben. Wütend -sprang es schließlich noch toller wie die andern und legte sich oben -auf die kleinen Blätter, um sie festzuhalten. -- Da plötzlich -- an -der Straßenecke stieß der Westwind laut jubelnd den Nordwind an -- so -spielten sie immer, die beiden wilden Gesellen, und wollten sich dann -schier totlachen, wenn sie alles Lebendige mit in ihren tollen Reigen -hineinzerrten. -- Und nun wirbelten sie zusammen die trockenen Blätter -in die Höhe, daß sie den Bäumen entgegenflogen, die sehnsüchtig die -leeren, nackten Arme nach ihnen ausstreckten. Aber da lagen sie schon -wieder auf der Erde, küselten verwirrt umeinander und schleiften, -schlürften, raschelten über die glatten Steine hinab in die Gosse. - -Da lagen sie nun und dachten nach. Und dachten, wie sie -- es war schon -lange, lange her -- die braunen Köpfchen einst vorsichtig aus der -Baumrinde hervorgestreckt hatten, und in die Welt hinein geguckt, wie sie -dann groß und grün und schön geworden waren, wie die Spatzen in -ihnen gehuscht, wie der Mond zwischen ihnen hindurchgelugt, und wie -die Menschenkinder in ihrem Schatten sich geküßt hatten. Dann war der -Herbstwind gekommen und hatte sie selber geküßt, und sie waren gestorben -an seinen eisigen Küssen -- hatten sich erst so herrlich geschmückt für -ihn, die armen Dinger, rot und gelb und violett und braun, und dann fielen -sie ohnmächtig aus seiner wilden Umarmung zur Erde nieder, wurden hin und -her gejagt von den Winden, und nun? Nun liegen sie in der Gosse und denken -nach. - -Hei! Wie der Wind bläst! Die Kleider der schönen Frauen, welche die -Straße entlang gehen, schlägt er zur Seite, daß die schlanken Füße -sichtbar werden. Und die Blätter in der Gosse flüstern einander zu: -»Jetzt werden sie auch anfangen zu tanzen und rascheln und schleifen die -glatte Straße hinab in die Gosse!« - -Aber nein, die kleinen Füße schreiten fest und sicher weiter, der Wind -kann ihnen nichts anhaben -- aber der andere, der im Herzen weht, durch das -Leben stürmt, ob der die schlanken Frauenfüße wohl nicht vom glatten Weg -hinabwirbelt -- in die Gosse? - -Davon freilich wußten die trockenen Blätter nichts: sie lagen in der -Gosse und dachten nach; und der Wind strich jauchzend über sie hin. Es -wäre ihm ein Leichtes gewesen, die ganze Gesellschaft aus dem Rinnstein -hinauszuwirbeln, über alle Welt zu jagen. Doch er that es nicht; lauernd -hing er über ihnen und sang sein Lied: - -»Jetzt schirre ich meine Wolkenrosse und stürme dahin und brause -über die Stadt und über das Land in den Wald. Eure Schwestern will -ich besuchen, die glührot an den Bäumen hängen. Und ich hause in den -Zweigen, und ich brause über die Wipfel, und ich schüttle die bunte -Pracht. -- Seht Ihr den bunten Blätterregen? - -Und seht Ihr die Trauerweiden, wie sie den Waldteich bewachen, düster, -schwermut-geheimnisvoll? Ich peitsche ihre niederhängenden Haare, daß sie -wie graue Schlangen zischeln und züngeln. Ich wühle die schwarzen Fluten -des Waldteichs auf, daß die Wellen schäumen und sich kräuseln und mit -nassen, starken Armen die Wasserrosen hinabziehen in das dunkle, dunkle -Grab. -- - -Nur die Königin -- sieh', da ruht sie auf schwarzgrünen Blättern, und -sehnsüchtig leuchtet ihr weißes Blumengesicht mir entgegen. Ich fliege zu -ihr, und ich reiße sie an mich in wilder Lust, kosend schaukle ich sie hin -und her, ich sauge wollüstig den Duft aus ihrem weißen Kelche, ich küsse -sie mit zärtlich stürmischen Küssen -- sie stirbt an diesen Küssen -- -und ich trage ihre Blumenblätter hin über den schwarzen Waldesteich, -hin über die Welt -- -- Ist es süß, zu sterben an den Küssen des -Gewaltigen? -- -- - -Heiho! -- Ihr Wolkenrosse -- graue, schwarze! senkt Euch tiefer, daß -ich Euch besteige, daß ich Euch zügle hin über die Erde -- der ich -Vernichtung bringe -- --« - -Raschelnd flogen die trockenen Blätter ihm nach, aber nur eine Spanne -hoch, dann fielen sie wieder herunter in den Rinnstein. Und da lagen sie -wieder mit ihren Gedanken. - -Es hatte sich eine sehr gemischte Gesellschaft in der Gosse -zusammengefunden. Da waren Blätter von allen Größen und jedes sah ganz -anders aus. Sie gehörten zwar alle entweder zu der großen Familie »Derer -von Baum« oder zu der »Von dem Busche« -- aber eine rechte Einigkeit -konnte nicht erzielt werden, da sich die vom Baum viel vornehmer dünkten, -als die von dem Busche, und daher wurde so viel von Stammbäumen, -Wappenschildern und dem Gothaer geredet, den die Firma Frühling, Sommer -u. Co. herausgab, daß die übrige Gesellschaft im Rinnstein, die nicht -von so hoher Abkunft war, in tiefster Ergebenheit erstarb. Darin waren sie -sich jedoch alle einig, daß sie nur durch unverschuldetes Unglück, durch -widrige Winde und plötzliche Regengüsse so heruntergekommen waren, daß -sie sich nun in der Gosse befanden. - -Da stak mitten unter dem Blätterhaufen ein langer, schlanker Strohhalm, -hineingeflogen wie ein Pfeil -- die Blätter hatten ihn immer für etwas -ganz Unbedeutendes gehalten -- der that jetzt den Mund auf und begann zu -erzählen: »Ich bin sehr vornehm,« sagte er, »ich bin ein Prinz. Ich -bin Oberst gewesen in Ihrer Majestät der Frau Königin Erde Weizenfeld, -Allerfeinste-Mehlsorte No. I. Ich trug eine gelbe Uniform und einen -prächtigen Raupenhelm auf dem Kopfe. -- Ihr hättet es sehen sollen, unser -Regiment! Wie wir in Reih' und Glied standen -- fest wie eine Mauer! Wie -wir exercierten -- hierhin, dorthin, auf und nieder, wenn unser Kommandant, -Generalissimus Wind, seine brausende Stimme erschallen ließ. Hei! das -war eine Freude, uns anzuschauen! -- Und dann kam der Krieg, das war ein -schneidiger Krieg! Erbarmungslos mähte der Feind, jenes uncivilisierte -raubgierige Gesindel, das sie Menschen nennen, uns nieder, und wir fielen -ebenso schön in Reih' und Glied, wie wir gestanden hatten. -- Aber tot -waren wir nicht -- bewahre! (denn sonst könnte ich es Euch ja -nicht erzählen). Wir gerieten nur in Gefangenschaft, und in bittere -Gefangenschaft. Sie banden uns zusammen, wie die Indianer, und schleppten -uns fort und steckten uns in die Folter, bis sie all den Reichtum, den wir -in unserm Raupenhelm trugen, herausgequetscht hatten, und dann, ja dann -sollten wir erniedrigt werden, den Pferden Dienste zu leisten, den Pferden -unserer Feinde. Die wollten auf uns herumtrampeln, die wollten uns als -Lager benutzen, die wollten -- mit einem Wort -- Mist sollten wir werden! --- Ich, Prinz von Halm-Halm -- auf Aehre -- Oberst in Ihrer Majestät der -Königin Erde Regiment Weizenfeld-Allerfeinste-Mehlsorte No. I. - -Da, als wir gefesselt, geknebelt, aufeinandergepackt, in dem -Transport-Wagen lagen -- da habe ich zum erstenmal in meinem Leben die -Subordination vergessen -- ich, dem die Subordination alles war, und bin -ausgerissen. - -Und die Folge davon? -- Ich liege in der Gosse -- -- - -Ja, Subordination muß sein!« sagte der Strohhalm, grub sich mit seiner -leeren Kornähre, seiner Raupe, in den Gossenschlamm und philosophierte -über die Gefahren der Unbotmäßigkeit. -- »Siehst Du, Prinz Halm-Halm: -Schmieg' Dich dem Schicksal an, so kriegst Du einen warmen Pferdestall -- -lehn' Dich dagegen auf und Du fällst in die Gosse -- auf Aehre! -- Burrrr --- brumm!« schnarrte es neben ihm. Ein richtiger, bunter Brummkreisel war -es, der auf irgend eine Weise in die Gosse geraten, unter die Blätter, und -von den Kindern vergessen worden war. - -»Subordination. -- Ich brumme was auf die Subordination! Wer wie ich -zeitlebens von allen unnützen Buben auf den Straßen herumgepeitscht -worden ist -- zuweilen waren ein halbes Dutzend hinter mir, und dann mußte -ich tanzen und brummen, bis mir der Atem ausging -- der ist froh, wenn er -auskratzen kann und sein Leben gemütlich in der Gosse beschließen darf. - -Wie habe ich mich gesträubt und gewehrt, all' mein Leben lang! Ich habe -den Bindfaden, der an mir saß, so fest um mich herumgewickelt, daß er -beinahe mit keiner Macht der Erde wieder loszumachen war; ich habe mich mit -meinem einzigen spitzen Bein in die Ritzen der Steine geklemmt, daß sie -mich beinahe nicht wieder herauskriegen konnten; ich bin allen Jungen und -Mädchen zwischen die Füße gefahren, daß sie stolperten, und habe dabei -gebrummt, daß mir selber angst und bange wurde. Aber es half mir nichts. -Ich mußte tanzen und schnurren und Kapriolen machen mit der bittersten -Empörung in meinem Brummkreiselherzen. Sie hatten die Peitsche und -folglich auch die Macht und ich mußte tanzen, bis ich eines schönen Tages -in der Gosse lag -- -- -- Brrrrr -- brumm!« sagte der Kreisel, als der -Wind über ihn hinfuhr und ihn zwang, sich um sich selbst zu drehen. - -»Ja, mein lieber Herr Kreisel,« sprach da salbungsvoll ein weißes, -bedrucktes Stück Papier, das die Schulkinder aus einem ihrer Bücher -verloren hatten. Die Blätter wollten es nicht für voll anerkennen -- es -war zwar auch ein Blatt und auch trocken, aber es gehörte zu einer ganz -andern Familie -- sie waren gar nicht verwandt. Es hielt sich deshalb ein -wenig abseits und sprach in gebildetem Tone: - -»Sehen Sie, mein lieber Herr Kreisel,« sagte es, »das ist von alters her -so gewesen -- ich muß das wissen, denn ich bin aus einem Geschichtsbuche --- die Starken hatten die Macht und, wie Sie so sehr richtig bemerkten, -folglich auch die Peitsche, mit der sie sehr energisch umzugehen wußten, -und die Schwachen -- nun, die wurden gepeitscht. Da hilft kein Auflehnen -gegen den Willen von oben und gegen die Peitsche der Straßenjungen; die -Kreisel wie alle Armen und Schwachen müssen tanzen -- so ist es immer -gewesen, so ist es heute noch, und so wird es bleiben. Wir haben uns einmal -daran gewöhnt, und wir Gebildeten sehen auch ein, daß es nicht anders -sein kann und daß es so am besten ist.« - -Da fuhr aber der Kreisel auf: - -»Daran gewöhnt? Fällt uns gar nicht ein! Denken gar nicht daran! Und -wenn wir uns einmal alle zusammenrotteten -- die Bäume und die Büsche und -die Strohhalme, und alles, was so herumliegt, und wir Kreisel und -- und so -weiter -- und wir machten 'mal so eine kleine, lustige Revolu-- --« - -Hui! Da faßte ihn der Wind und schüttelte ihn, und da duckte er sich und -sagte: »Brumm!« -- - -»Ach,« jammerte da ein feines, zärtliches Stimmchen, »was ist das alles -gegen den Kummer, den ich erlebt habe?« - -Das war ein Stückchen Papier, lachsfarben, gepreßt, mit Tinte beschrieben --- man sah, es war etwas Feines. Der Wind hatte es eben erst in wilder Jagd -die Straße hinuntergepustet, und atemlos war es mit einem Purzelbaum in -der Gosse gelandet. - -»Ich war rein und hellblank, und ich duftete stärker wie die Veilchen -in der Vase, die vor dem Fenster stand; und ich lag auf einem zierlichen -Schreibtisch und ein reizender, goldener Federhalter kritzelte über -mich hin. -- Ach, dieser Federhalter! Etwas Glänzenderes, Schlankeres, -Zierlicheres habe ich nie gesehen. Und alle die süßen, zärtlichen -Worte, die er mir ins Ohr flüsterte -- war es ein Wunder, daß ich -seinen Schwüren glaubte, daß ich ihn liebte mit all der Glut, deren mein -papierenes Herz fähig war? -- Ach, wie war das Leben schön! - -Aber da kritzelte er mir eines Tages mit einem großen dicken Tintenstrich -etwas ganz Unheimliches, Unverständliches zu, so daß ich erschrak, und -dann ergriffen mich plötzlich kleine, weiße Fingerchen, und ich knickte -vor Angst in der Mitte durch, und sie sperrten mich in einen dunklen -Behälter, der wurde fest zugemacht, und eine glockenhelle Stimme trillerte -dazu: - - Such' ich mir 'nen andern Schatz -- - juhu -- andern Schatz -- - -und dann reiste ich fort, weit fort, und mein schlanker, goldener Geliebter -blieb zurück, und ich habe ihn nie wieder gesehen. Ach, ich war wie in -einer Betäubung und kam erst wieder zur Besinnung, als mein Gefängnis -sich öffnete und ich herausgeholt wurde -- und da -- da geschah etwas -Schreckliches: ich hörte eine wuterstickte Stimme, die mich fürchterlich -ausschalt, und große, rauhe Finger nahmen mich und rissen mich mitten -durch, nicht nur einmal, nein, in lauter kleine Fetzen, und wir flatterten -zur Erde nieder und der Wind kam und nahm uns mit sich fort. -- Ach, und -wenn nun mein Federhalter mich sucht, dann erkennt er in diesem kleinen, -schmutzigen Flecken seine schöne lachsfarbene Geliebte nicht wieder. --- -- -- Ach, was sind alle Leiden und Kümmernisse der Welt gegen die -Schmerzen unglücklicher Liebe!« - -Als das traurige Papierchen geendet hatte, entstand eine tiefe Stille in -dem Rinnstein. Sie waren alle gerührt und kämpften mit den Thränen -- - -»Denn eigenes Unglück und eigener Kummer machen das Herz empfänglich -für die Leiden anderer!« sagte das Blatt aus dem Geschichtsbuche für die -Jugend gebildeter Stände. Nur das große Blatt mit dem Stiel, eines -der vornehmsten aus dem Hause derer vom Baume, murmelte etwas von -»plebejischer Gefühlsduselei!« und der Brummkreisel sagte: »Bitte, -meine Herrschaften, werden Sie nicht sentimental -- das ist veraltet -- -und von Liebe halten wir heutzutage nicht viel, die Wissenschaft hat -diesen geheimnisvollen Vorgang in unserem Innern mit grausamer Deutlichkeit -aufgeklärt -- brrrr--brumm!« Da aber gab es einen großen Disput, wie -in einer politischen Sitzung, und wie sie noch im besten Zanken waren, -öffnete sich in dem nächsten Hause eine Thür und ein junges Mädchen -trat heraus mit einem Besen in der Hand, denn es war Sonnabend, und die -Straße sollte gekehrt werden. Mit kleinen lustigen Schritten trippelte sie -daher und die braunen Augen sahen zuversichtlich in die Welt hinein. Sie -begann mit kräftigen Bewegungen den Rinnstein auszukehren und summte -halblaut dazu: - - Wenn ich wüßt', wenn ich wüßt', - Wo mein Schatzerl ist -- - Ist wohl in die weite Welt -- - juhu -- weite Welt -- - Ist wohl fortgezogen! - - Wenn ich wüßt', wenn ich wüßt', - Wo mein Schatzerl ist -- - Wär' ich in die weite Welt -- - juhu -- weite Welt -- - Wär' ihm nachgezogen! - - Da er mir nun nichts gesagt, - Warte ich wohl über Nacht -- - Such' mir dann ein andern Bub -- - juhu -- andern Bub' -- - Muß mich nit verlassen!« -- -- - -Und nun purzelte alles durcheinander: die Blätter und der Strohhalm und -das Papier und der Kreisel. Das Mädchen kehrte sie zusammen auf einen -großen Haufen, und jubelnd kamen die Kinder herbei und zündeten das -trockene Laub an -- -- - -»Burrr!« sagte der Kreisel, »mein revolutionäres Feuer schmilzt mich -auf!« - -Und knisternd flog die lachsfarbene Schönheit in die Höhe; denn der Wind -blies in den Scheiterhaufen, daß die Funken stoben, er trug sie mit sich -fort, wie die weißen Blätter der Wasserrosenkönigin, und streute sie -aus auf seinem Wege, daß ein Feuerregen niederfiel. Die braunen Augen des -Mädchens sahen ihnen nach, und sie sang: - - »Ist wohl in die weite Welt -- juhu -- - juhu -- weite Welt -- - Ist wohl fortgezogen!« - - - - -Sonniger Winter. - - -Sie sagten, es sei Winter. Da ging ich hinaus, ihn zu begrüßen. Denn hier -drinnen in der engen Stadt hat er ein gar häßliches Aussehen, rauchig -und schmutzig, und er blickt dich an mit den Augen des Hungers. -- Draußen -aber lag der lachende Sonnenschein. War das der Winter? Er hat ja kein -weißes Kleid an. Die Bäume recken ihre nackten Zweige kraus und zackig -in den blauen Himmel hinein, und ihre Rinde schimmert rötlich, oder weiß, -oder stahlgrau in der schwimmenden, flockigen Luft. Ah, die Luft! -Das weitet die Brust -- wie du mit einem tiefen Atemzug alle den Wald -einhauchst, daß er die Stadt, die rauchige, schmutzige, in dir verzehrt! --- Mein Fuß wühlt im langen, zottigen Gras. Wenn du nicht hinsiehst -im Park, wo die glatten Wege sind, wo die feinen Karossen fahren, wo die -Menschen auf ebenen Pfaden wandeln, dann meinst du im Wald zu sein -- still -ringsum, nur hohe Bäume, nur das Lispeln, das seltsame, traurige Lispeln -in den nackten Zweigen, die ohne Blätter nicht rauschen und raunen -können, wie sie im Sommer, im Herbst es thaten. Nur die Prärie vor dir, -durch die sich das geschäftige Bächlein im Sonnenschein dahinschlängelt. -Ein zaubrisch Bächlein -- wie es lockt und winkt, eilig über die blanken, -feuchten Steine kollert, und immer raunt und murmelt und erzählt -- was es -nur immer sagt? Ich klettere den Abhang hinunter, tiefgrün schimmert das -Wasser von den bemoosten Steinen herauf. Einzelne ragen draus hervor, sie -sehen mich lockend an -- soll ich hinüber klettern auf den Springsteinen, -zum andern Ufer des Bächleins, dorthin, wo stille, grüne Tannen stehen, -wo es ganz einsam ist? -- Da -- mitten drin -- du böser Nix, was hast du -an dem Stein zu rütteln? Das hält ja so ein tappig Menschenkind nicht -aus! Natürlich, da patsche ich mit den Füßen im Wasser -- und nun -schnell gesprungen, in den Sonnenschein, in das hohe Gras hinein, daß ich -wieder trocken werde. Böser Bach mit deinem Nixen. -- Aber was ist das? -War es Zauberwasser, das mich berührt hat? -- Der Wald ist lebendig -geworden, die Bäume fangen an zu reden, ich verstehe, was die Vöglein -zwitschern, die kleinen, grauen, die Waldvagabonden, die einzigen, die -geblieben sind. Piep! sagen sie, uns ist's einerlei, ob die Blumen blühen -und die Bäume Blätter haben. Dann bauen wir unser Nest in den kahlen -Zweigen, und zwitschern von den zukünftigen Blüten, und die Nahrung -- -nun, die stehlen wir uns irgendwo -- nur Freiheit, Freiheit wollen wir -haben! -- Au! sagt das Gras unter meinen Füßen, warum trittst du mich? --- Ich bin nicht tot. Da, sieh' einmal her -- Und wie ich dann die langen, -zerzausten Haare vorsichtig zur Seite schiebe, da lugt frischer, grüner -Klee schelmisch hervor. Der grüne, grüne Klee -- Weißt du noch, grüner -Klee, wie es war zur Sommerszeit? - - Es war zur goldnen Sommerszeit, - Die Welt war groß und war so weit -- - Und grüner, grüner Klee. - - Der blühte still im Waldesthal - Wie Tropfen Blutes allzumal - Die Blüten stehn im Klee. - - Und Falter spielen drüber hin. - Und wir? Wir lagern uns tiefdrin, - Im grünen, grünen Klee. - - Dein Aug' ist wie der Falter blau, - Dein Mund rot wie die Blüt' im Tau, - Die Blüte rot im Klee. - - Dein Haar ist wie das Sonnenlicht, - Das gleitet durch die Zweige dicht - Wohl über grünen Klee. - - Dein lieber Hals, der luget leis, - Wie die Maßlieben wunderweiß, - Aus grünem, grünem Klee. - - Da hab' ich mich geneigt zur Stund' - Und hab geküßt den roten Mund - Im grünen, grünen Klee. - - Und nur ein Vöglein sah's mit an, - Das lockte süß aus dunklem Tann - Ganz nah beim grünen Klee. - - Da war es, wo im Waldesthal - Ich fand zum allererstenmal - Der Blätter vier am Klee. - - Merkt ihr, was das bedeuten soll? - Mein Lieb und ich -- wir wissen's wohl -- - Ja -- und der grüne Klee. -- - -Hat mir das Bächlein das Lied gegluckst? Haben's die kleinen Waldtramps -gezwitschert? Hat es der Klee gelispelt -- oder hauchten es die -Sonnenstrahlen in die Welt hinein? Rings um mich singt es und klingt es. -Und plötzlich trottet eine kleine Schar neben mir, putzige Gesellen mit -feinen Gliederchen und lustigem Wesen. Sie laufen neben mir wie eine Schar -Hündchen, sie klettern die platten Baumstämme hinauf und wiegen sich -in dem weiten Geäst hurtig wie die Eichkätzchen, und sie tragen kleine -Narrenkappen auf den Krausköpfchen, damit klingeln sie: Gedanken! -Gedanken! Wir sind deine Gedanken. -- - -Aber, ihr flinken Gesellchen -- Gedanken? Ich meinte Gedanken, die hätten -schwere Köpfe, und Brillen auf der Nase, und gingen mit gewichtigen -Schritten in den Büchern auf und ab spazieren. Was wollt ihr im Wald mit -mir? - -»Wir wollen hören, was er rauscht, was die Bäume sagen, und der Wind -weht. Wir wollen sehen, wo der Winter ist? -- Da, siehst du.« -- Mitten -auf der Wiese war das lange Gras fein säuberlich zur Seite gewachsen und -hatte einem grünen Moosteppich Platz gemacht, der sich glatt und fein -ausbreitete: »Sieh',« flüsterte mir ein Gedanke ins Ohr, »siehst du -die Elfen tanzen, und die Gnomen mit den weißen, zottigen Bärten und -den spitzen, haarigen Oehrlein? Wie die weißen Leiber der Winterelfen -schimmern, wie ihre flockigen Schleier wehen und wie die Lüfte aufspielen -zum Tanz. -- Horch! Wie Schneeknirschen klingt's, und wie die Eiszapfen, -wenn sie klirrend von den Bäumen brechen. Und siehst du, da mitten im -Gewirr den sonnigen Winter stehn? Seine Augen glänzen und er lacht, daß -die weißen Zähne aus dem feurigen Barte blitzen.« -- In den starken -Armen hält er die Winde; wie sie zappeln und die Backen aufblasen vor Wut, -daß sie nicht loskommen können -- da schlägt er den Nordwind und den -Westwind mit den Köpfen zusammen, die bösen Gesellen, und stößt sie -mitten unter das Elfengesindel, das sie jauchzend mit Tannenkränzen -umwindet und fesselt; oben auf des sonnigen Winters Schultern aber steht -der Südwind und stößt jubelnd ins Horn, daß es von den Bergen ringsum -widerklingt. Und jauchzend fallen die Gedanken um mich herum in das tolle -Treiben -- so daß ich mich ordentlich schäme für sie -- was sollen nur -die Menschen davon denken? »Ihr solltet auch nicht denken, ihr Menschen,« -lachten meine wilden Gesellchen -- »denn wenn ihr denkt, dann denkt ihr -immer was Dummes. Es wäre überhaupt viel besser, ihr dächtet gar nicht, -und überließet es uns, euch plötzlich mit etwas Gescheitem durch den -Kopf zu fahren -- wie ein Blitz.« - -»Da sieh' hin, die zwei Bäumchen, die da angewackelt kommen,« sagte ein -spöttischer kleiner Gedanke und überschlug sich wie ein Kobold im Gras -vor Vergnügen. »Du denkst, es wären Fichten, aber schau sie einmal an: -sie kommen in kurzem Lauf, ein wenig vornüber, dahergetrottet, ihre Nadeln -stehen zierlich nach beiden Seiten, wie lauter gewichste Schnurrbärtchen, -die Kronen sind ihnen ins Gesicht gerutscht, so daß es aussieht, als wenn -sie die großen Hüte bis tief auf die Nase sitzen hätten, und da die -Zweige just ein bischen über dem Erdboden beginnen, scheint es, als -hätten sie sich die schloddrigen Hosen sorgfältig aufgekrempelt. -- - -»Ei! wie die Herrchen laufen,« höhnt der lustige Gedanke und zupfte an -ihren Nadeln, worauf sie sich wütend umdrehen und mit den jungen Birken, -die sie als Spazierstöcke mit sich schleppen, nach ihm schlagen -- »sie -thun, als wollten sie dem sonnigen Winter eine Referenz machen, und dabei -schielen sie doch nur nach den weißhäutigen Elfendirnen.« - -Nun kommen sie von allen Seiten gewandert: die breitästigen Eichen, die -schlanken Birken im weißen Hemdchen, knorrige Burschen vom Geschlecht der -Baumriesen; und eine nackte Trauerweide tänzelt so lustig daher, daß die -langen, fast bis auf die Füße hängenden Haarsträhne im Winde flattern. --- Ei, sieh', wen haben wir hier? -- Eine Prozession ehrbarer Herren in -dunkelgrünen Röcken, die bis zur Erde reichen; und aus den stachligen -Kapuzen schauen lustige Mönchsgesichter, und die Aeuglein blinzeln über -die feisten Wangen hinweg nach den schlanken, grünen Nönnchen, die ihre -Kiefernkleidchen gar züchtig geschürzt haben und sittsam kokett neben -der Tannenprozession einhertrippeln. Voran schreitet ein baumlanger -Tannenriese, stark wie Rabelais' Mönch Johann. »Halt da!« kommandiert -er, »hübsch paarweise antreten!« und er bombardiert die letzten in der -Reihe mit Tannenzapfen, damit sie ihn besser verständen -- »und wem's -nicht recht ist, hier im Wald, dem schlage ich die Knochen im Leibe -entzwei!« - -Da faßt ein Mönch je ein Nönnchen bei der Hand, und, die grünen Röcke -ein wenig lüpfend, tänzeln sie im Menuettschritt über die Wiese hin zum -lachenden, sonnigen Winter und beginnen artig zu psalmodieren, daß es in -den Wald hineinschallt: - - »Brave Mönche sind wir Tannen, - Brummeln unser Mönchsgebet -- - Und wenn es zum Schlucken geht, - Laufen nimmer wir von dannen -- - Eia, Hallelujah! - - »Nönnchen sind wir, Nönnchen heiter, - Leben gottgefällig weiter, - Putzen unser grünes Kleid -- - 's Himmelreich ist auch nicht weit -- - Eia, Hallelujah! - - »Und so leben wir gar traulich, - Brüder, Schwestern, Hand in Hand -- - -- Unsre Kutten sind verwandt -- - Unser Trachten ist beschaulich -- - Eia, Halleluja!« - -»Ei, so hört auf zu plärren,« dröhnt Bruder Johanns mächtige Stimme -dazwischen -- - - »Kurze Worte dringen zum Himmel eh'r, - Lange Züge machen die Kanne leer -- - Eia, Halleluja!« - -Und mit tollem Jubel drehn sie sich mit im Elfenreigen, daß die grünen -Kutten im Winde wehn. - -»Hast du nun den Winter gefunden?« flüstert mir ein Gedanke ins Ohr, -»sieh', wie die Sonne über ihm steht, lichtspendend, milde lächelnd, -als ob all das Weh in der Welt nur ein Wassertröpfchen wäre, das sie -lächelnd aufsaugt.« - -»Sagtest du: Weh, kleiner Gedanke?« haucht es neben mir, »weißt du, was -das ist?« - -Ich wandte mich; da steht unter den hohen Bäumen des sonnigen Winters der -allerhöchste und breitet seine mächtigen Zweige aus, als wolle er die -Welt an seine Brust ziehn. »Sieh',« sagt er und senkt das starke Haupt, -»meine Krone haben sie mir geraubt, der Sturm, als er hinzog mit seinen -weißen Jägern über mein Reich -- meine Aeste haben sie zerschlagen und -die Augen mir geblendet. Weißt du, was es heißt, leben, und die Sonne -nicht mehr sehn, nie mehr!« - -Es geht ein Aechzen durch den zersplitterten Stamm, die Zweige bewegen sich -schwankend hin und her -- es ist, als wolle sich der Riese zur Erde neigen. -Aber noch ist er stark, noch steht er aufrecht, bis der Sturm wieder einmal -gegen ihn zu Felde zieht -- und nur wie ein »Weh -- das thut weh!« -- -zittert es durch die Luft. - -Mich fröstelte es, die Sonne sank tiefer, ich ging dem Heimweg zu. -Einzelne Gedanken blieben im Wald beim Tanz auf dem Elfenteppich, bei dem -sonnigen Winter, andere sprangen mir flüsternd, raunend, kichernd -zur Seite; bis zum Hügel hinauf, am Rand des Waldes, da waren sie -verschwunden. Einige waren den eleganten Karossen nachgelaufen und -guckten spöttisch grinsend in die Wagenfenster, andere hatten sich den -Heimatlosen, vagabondierenden Menschenkindern angeschlossen, die unter -den Büschen des sonnigen Winters ihr Nachtlager suchten. Nur Einer, -ein ernsthafter, blasser, kleiner Geselle stand neben mir, als ich mich -umwandte am Berg und mein Auge die Sonne suchte -- wie seltsam! Die Sonne, -die goldene, große, strahlende, hing herrlich am Himmel -- aber der Wald, -die Welt? Was eben noch leuchtete, schimmerte, in wunderbarsten Farben, das -lag tot und kalt und schwarz zu ihren Füßen. - -»Siehst du,« sagte der ernsthafte Gedanke neben mir, »so wollt ihr die -Wahrheit suchen mit eurem Verstand und eurer Tüftelei, so seht ihr in die -Sonne mit der Brille der kalten Berechnung auf der Nase -- ja die Sonne -steht dort am Firmament, strahlend, so himmlisch leuchtend, daß euer -blödes Auge sie nicht ertragen kann, und die Welt, über die ihr die -Wahrheit ergründen wollt, liegt schwarz und tot da. Aber schau dich um, -schau mit der Sonne, schau dahin, wo nur die Strahlen der Sonne hindringen, -wohin die Wahrheit ihr goldenes Licht wirft -- siehst du nun, wie herrlich -die Welt daliegt, in Farbe, in Glut gehüllt, verklärt? Fühle nur die -weiche, flimmernde, golddurchglühte Luft, die dich mit linden Armen -umfängt -- schaue die jauchzende, die lebende, lichte Welt! -- - -Und weißt du nun, was Poesie ist?« flüsterte der ernsthafte, kleine -Gedanke mir ins Ohr. - - - - -Ein Weihnachtsmärchen. - - -Weit, weit hinter den Wolkenbergen, da, wo der Sonne Heimat ist, die zu -verlassen ihr so schwer fällt, daß sie Tauthränen weinen muß, da, wo -gut sein, fromm sein ist, und die Religion die Liebe, da, wo es keinen -Neid, keine Polizei und keine Geldnöten gibt, da ist das Reich der -Träume, das Wunderland, wo die schöne Frau Phantasie als Königin -herrscht. Da sitzt sie auf ihrem goldenen Sonnenthron, umgeben von all' dem -lustigen und luftigen Volk, den Elfen, Nixen und Kobolden, die durch das -Christentum und das Geld aus der Welt vertrieben wurden, und hält Hof, und -die Blümelein sind ihre Vasallen und die Bäume ihre Schildwachen, und -die Vögelein jubilieren und konzertieren, und die Mücken und Grillen und -Heimchen tanzen Ballett; und der Wind, der säuselnde, sanfte, der starke, -stürmische, immer gewaltige Sänger, ist zum Hofpoeten ernannt. Aber die -mitleidige Königin, so gut sie es auch in ihrem wonnigen Traumland hat -- -sie ist nimmer zufrieden damit. -- - -Sie gedenkt ihres Sorgenkindes, der Welt, die ihr schon manch' bitteres Weh -bereitet hat, sie hüllt sich in ihren blauen Himmelsmantel, mit goldenen -Sternlein besäet, und fliegt mit geheimnisvoll leisem Flügelschlag -über die Erde, und wenn sie sieht, daß ihr Sorgenkind immer noch so -verdrießlich und wetterwendisch und eigensinnig-dumm und boshaft und -lieblos ist, dann fließen Thränen der Wehmut und des Zornes und des -Mitleids aus ihren schönen Augen, vermischt mit Hoffnungsbalsam und -Sehnsuchtslauten nach ihrem Traumland, und diese kostbaren Thränen fallen -zur Erde hinunter in die Herzen ahnungsvoller Menschen, die von Liebe -entbrennen zur herrlichen Göttin Phantasie; sie singen dann, was ihr Herz -bewegt, und die Welt nennt sie Dichter. - -Aber Frau Phantasie verhüllt sich mit ihrem blauen Himmelsmantel, so -daß nur die kleinen nackten Füßchen wie zartrosa Wölkchen darunter -hervorgucken, der Wind nimmt sie auf seine Flügel und trägt sie in ihr -Königreich, und dann geht die Sonne auf. - -Lange schon ist es her, daß die Königin ihre letzte Reise unternommen -hat; sie hat über den Wolken gethront im Traumland; aber Wehegeschrei und -Kanonendonner sind bis zu ihr hinaufgedrungen und Zornesrufe nach Freiheit -und Fluchworte gegen Lüge und Heuchelei, und dann wurde es ruhig, ganz -ruhig unter ihr -- da erhob sie sich von ihrem Thron, legte die weiße -Hand gegen das rosige Ohr, lauschte in die Ferne, und sie sprach zu ihrem -versammelten Volke: - -»Horch, so friedlich ist's da drunten! Sollte wohl jetzt die Zeit gekommen -sein, wo ich meine Lieblinge hinaussenden kann, auf daß sie der Welt -Erlösung bringen? Meine Kinder, meine weißen, süßen, unschuldigen -Kinder: Wahrheit und Liebe, die ich mit dem Sonnengott, dem ewigen Licht, -gezeugt; sie schlummern unter Blumen nun seit vielen tausend Jahren und -immer wollte ich sie wecken und immer noch war es zu früh; immer begann es -wieder zu lärmen auf der Welt, wenn ich gerade mich niederbeugen wollte, -um sie wachzuküssen -- die beiden Zwillingsrosen. Nun aber ist's Zeit. - -Geschwinde, Ihr lustiges Volk, geschwinde, Ihr meine Treuen -- kommt, -kommt, laßt sie uns wecken!« - -Und da huscht es, und haucht es und weht und faucht es über sie hin, um -sie her, und da singt es und saust es und klingt es und braust es, und die -Blümlein duften süß und die Zweige neigen sich flüsternd und leise. --- Da stehen zwei holde Kinder mitten unter ihnen, ein Knabe und ein -Mägdelein -- sein Antlitz ist ernst und klar und trotzig und sonnig, in -ihrem rosigen Gesichtchen lacht der Frühling, und doch thront auf der -Stirn eine leise Schwermut und in den Augen wohnt die Sehnsucht. Und die -Königin zieht ihre holden Lieblinge an ihr Herz und weint Glücksthränen -auf ihre jungen Häupter, und all ihr Volk steht erwartungsvoll schweigend -um sie her. Da spricht sie: - -»Ihr meine jungen Helden, mein ernster Knabe, mein lachend Mägdelein -- -steigt nieder zur Erde, zieht hin über die Welt und verkündet ihr das -neue Evangelium, bringt ihr die Liebe, lehrt sie die Wahrheit. Ach, sie -ist arm, arm an Glück und Liebe -- lehrt sie, daß nur durch Liebe die -Seligkeit zu erringen ist, von der sie so viel gehört und die sie nicht -verstanden hat. - -Laßt Euch nicht abschrecken durch rauhe Worte, durch herzlose That -- -predigt immer wieder, ruft in die Welt, in ihre Herzen hinein, jubelt ihr -entgegen das Evangelium von der Liebe, ohne die nichts ist, hier nicht, wie -auf Erden. - -O meine Kinder, vor allem trennt Euch nicht, faltet Eure Händchen -zusammen, verlaßt Euch nicht, denn die Wahrheit ist nicht ohne die Liebe, -und die Liebe tot ohne die Wahrheit. -- - -Allein seid Ihr nichts, vereint alles!« - -Da gab man ihnen Oelzweige in die Hände, Mutter Phantasie nahm die Kinder -in ihren Himmelsmantel und trug sie zur Erde nieder, und die Elfchen und -Nixchen und Kobolde huschten um sie her, die Vöglein zogen mit ihnen und -sangen und alles war voll Freude. - -Aber der alte, weltweise, vernünftige Uhu saß in dem Eichbaum, unter -welchem Wahrheit und Liebe, von duftenden Blumen zugedeckt, viele tausend -Jahre geschlummert hatten, klappte seine großen Augen auf und zu und -seufzte, daß es in den Klüften und Schluchten wiederhallte: - -»Zu früh, viel zu früh, ach, es ist zu früh!« - -Hand in Hand irrte nun das Zwillingspaar durch die Lande, über Berg und -Thal, über Fluß und Steg, an all den vielen Städten und Burgen vorüber, -mit ihren vielen tausend Bewohnern, aber keiner wollte so recht etwas -von ihnen wissen. Da waren wohl viele, die sagten: »Ach, wie schön seid -Ihr!« Das waren lauter junge Leute, die Kopf und Herz noch voll herrlicher -Gedanken und beseligender Empfindungen trugen, aber sie hielten sich doch -in scheuer Entfernung, denn sie kannten die Kinder nicht. Da waren Andere, -die tätschelten sie gönnerhaft auf die lockigen Häupter und sagten: -»Ja, recht schön, aber unpraktisch!« Das waren alte, weißhaarige -Männer und Frauen. Da waren noch Andere, die wollten mit lustigen, -bunten, lügnerischen Lappen die schöne, reine Nacktheit der beiden Kinder -bedecken, aber da eilten diese angstvoll von dannen und hinter ihnen her -gellte höhnisches Gelächter. - -So kamen sie eines Tages durch einen schönen großen Wald, darin -zwitscherte es gar lieblich von Vogelgesang und duftete es süß von -Blumenduft, die Bäume neigten ihre Zweige vor ihnen, und der Vater, der -Sonnengott, liebkoste sie mit seinen warmen Armen. - -Die Tiere des Waldes kamen, die scheuen Rehe, die flinken Füchse, die -leichtfüßigen Eichhörnchen, sie sahen sie mit klugen Augen an, und -plötzlich klang's von fern und nah, in allen Zweigen, in allen Lüften: - -»Bleibt hier, o bleibt hier! Bei uns ist's gut sein, aber draußen ist's -Winter; die kalte, böse Welt, sie thut Euch weh und treibt Euch fort, und -dann müßt Ihr leiden!« - -Aber ein kleines, grünes Tannenbäumchen neigte sich zu ihnen hin und -sprach: »Jetzt bin ich allein; eine schöne Tanne stand bis gestern noch -neben mir; die haben die Menschen geholt, denn Weihnacht ist draußen, -sagen sie, das Fest der Liebe, und da ist die Tanne gern mit ihnen -gegangen, denn dann wird sie geschmückt, geputzt und geliebt. Nun stehe -ich allein und möchte wissen, wohin sie gegangen ist.« - -Da blickten die Kinder zu ihrem Sonnenvater hinauf -- der nickte lächelnd, -und sie zogen weiter. - -Draußen, jenseits des Waldes, war Schnee und Eis und die Bäume senkten -matt ihre dürren Aeste unter der Last, die ihnen aufgebürdet war; kein -grünes Hälmchen sah unter der Schneedecke hervor und die kleinen Spatzen -piepsten traurig auf der Hecke am Wege. Das liebe Zwillingspaar aber war -ganz warm und der Schnee that ihren nackten Füßchen nicht weh, denn -des Vaters Sonnenstrahlen hüpften um sie her und schützten sie vor der -Kälte. - -Nun kamen sie an ein großes, hohes Schloß, das blitzte, funkelte -und strahlte von lauter Gold und von Edelgestein, und wie sie die hohe -Marmortreppe hinaufstiegen, da kamen sie in einen großen Saal, darin stand -ein wunderschöner Tannenbaum mit vielen, vielen Lichtern, und um ihn -her sprangen und lachten und scherzten fröhliche Kinder und freundliche -Menschen -- ach, da ging ihnen das Herz auf und sie traten dicht vor den -stattlichen Mann hin, der eine schöne Frau am Arme führte, und öffneten -ihre lieblichen Lippen: - -»Wahrheit und Liebe heißen wir,« sagten sie, »das neue Evangelium -wollen wir verkündigen, daß es weit hinschalle über alle Welt!« - -Da schüttelte der stattliche Mann den Kopf und die schöne Frau wich -ängstlich zurück und rief ihre Kinder zu sich, daß sie nicht den kleinen -Fremdlingen zu nahe kämen. - -»Ein neues Evangelium! Damit seid Ihr nicht am rechten Platz. Nur keine -Neuerungen! Festhalten am Alten, Hergebrachten, das ist eines Edelmannes -würdig. Und Wahrheit und Liebe? Gewiß! aber streng nach den Regeln der -Etikette müssen sie sein.« - -»Komm, Schwesterchen,« sagte der Knabe Wahrheit zur Liebe, »hier ist -nicht gut sein.« - -Und sie gingen weiter. -- Da kamen sie in eine große Stadt. Da waren so -viele Häuser und so viele Menschen, daß sie gar nicht wußten, wohin sie -gehen und an wen sie sich wenden sollten. - -So schritten sie kühn in ein vornehmes Haus hinein, darin war es gar warm -und behaglich, und sie stiegen die teppichbedeckten Stufen hinan und kamen -in ein schönes Gemach, das war reich und bunt ausgestattet, und in der -Mitte auf einem Tisch stand ein großer Weihnachtsbaum, der leuchtete -von vielen, vielen Lichtern, lauter geputzte Leute standen um ihn und -bewunderten die kostbaren Sachen, die darunter lagen. Das Zwillingspaar -hielt sich fest an den Händen, und sie traten zu dem Herrn des Hauses, -der neben einer schönen Dame im Sofa saß, und öffneten ihre lieblichen -Lippen: - -»Wahrheit und Liebe heißen wir,« sagten sie, »das neue Evangelium -wollen wir verkünden, auf daß es Lüge und Unglück aus der Welt von -hinnen treibe.« - -Da wollte sich der Herr des reichen Hauses schier von Sinnen lachen: -»Wahrheit,« sagte er, »mein Junge, damit kann man nicht handeln« und -»Liebe,« lachte die schöne Dame neben ihm, »~quelle idée!~ Die ist gar -so unbequem und aufreibend --!« - -»Komm, Schwesterchen,« sagte der Knabe und sah trotzig um sich, »hier -ist nicht gut sein.« - -Die Kleine schmiegte sich dicht an seine warme Seite und sie zogen weiter. - -Nun kamen sie in ein ganz kleines, unscheinbares Häuschen, da brannte auch -ein Tannenbäumchen, aber nur ein ganz winziges, mit zwei kleinen Lichtchen -und ein paar Aepfeln und Nüssen daran. - -Neben dem Baum saß eine junge blasse Frau mit zwei Kinderchen im Arm -und am Fenster ein finsterer Mann, der brütete vor sich hin und sah das -Weihnachtsbäumchen kaum. - -Und das Zwillingspaar trat ein und lächelte dem anderen Pärchen zu: - -»Weihnachten ist heute, das Fest der Liebe. Vom Traumhimmel sind wir -gesandt, die neue Religion zu verkündigen, das Evangelium der Liebe und -Wahrheit.« - -Aber die angeredeten Kinderchen wandten sich verschüchtert zur Seite, und -der blassen Frau liefen die Thränen über die schmalen Wangen. - -»Liebe,« schluchzte sie, »Liebe ist nur vom Uebel, denn sie hängt -schwer an Einem, und von Liebe kann man nicht leben.« - -»Und Wahrheit?« fragte der Mann mit bitterem Lachen, »wenn man die -Wahrheit sagt, wird man mit Hunden gehetzt. Geht weiter, Euer Evangelium -ist nicht für Arme.« - -Da zogen sie traurig von dannen und irrten in den Straßen umher und wagten -nicht mehr in die Häuser einzutreten. Sie kamen an ein großes, großes -Haus, das hatte einen Turm, der ragte bis in den Himmel hinein und aus den -geöffneten Fenstern drang freundlicher Lichtschein von vielen Lichtern, -Orgelklang und Gesang von vielen frommen Stimmen; sie schlüpften hinein -und standen in einer Kirche voll frommer Menschen und vor dem Altare stand -eine Krippe, darin lag ein kleines Kindlein, nackt, wie sie selber, mit -einem goldenen Krönchen auf dem Haupte. - -Und sie liefen hin und freuten sich und wandten sich zum Volk und -verkündeten mit lauter Stimme das neue Evangelium; denn sie dachten, hier -wäre es gut und fromm und hier würden die Menschen auf sie hören. - -Kaum aber hatten die von einer neuen Religion vernommen, da erhob sich ein -böses Geschrei und wütendes Toben, und an der Spitze der Mann, der an der -Krippe des Jesukindes schöne Worte gesprochen hatte, und: - -»Neuerer, Ketzer! steinigt sie, treibt sie hinaus!« -- riefen sie. - -Ach, die armen Sonnenkinder, sie wußten nicht, wie ihnen geschah, als sie -plötzlich draußen vor der Kirchenthür sich befanden, die krachend hinter -ihnen zufiel. - -»Ach wären wir im Traumland,« seufzten sie, »unter Blumen und -Vögelein, unter der Königin blauem Sternenmantel -- uns friert, ach so -sehr.« - -Da, fern von der Stadt, begegneten ihnen zwei hohe, schlanke Gestalten, ein -Mann und ein Weib -- die hielten sich eng umschlungen und von ihren Stirnen -ging ein Leuchten aus, daß es die Kinder wundersam durchschauerte. Sie -faßten Mut und gingen jenen entgegen und fragten: - -»Was thut Ihr hier draußen?« - -»Wir feiern Weihnachten,« sagten jene beiden lächelnd. - -»Ohne Baum und Menschen?« - -»Für uns allein; in unserem Herzen, denn die Menschen haben uns von sich -gestoßen!« - -»Was thatet Ihr?« - -»Wir sprachen die Wahrheit und in unserem Herzem thronte die Liebe,« -sagten jene beiden und ihre Augen leuchteten. »Das aber kann die Welt -nicht dulden, es ist gegen ihr Gesetz, und darum haben sie uns von sich -gestoßen.« - -Da sangen und jubelten die Kinder ihr neues Evangelium in alle Winde hinaus -und der Mann zog sein Weib in seine Arme und sie lauschten der Lehre -von der Wahrheit und der Liebe, die die Kinder der ewigen Sonne und der -Phantasie ihnen predigten. - -Da aber kam der Wind und trug die Sonnenkinder über die Wolken ins Land -der Träume. - -Und wie sie der schönen Mutter ihre Leiden, ihren Kummer und ihre -Seligkeit vertrauten, da weinte sie goldene Thränen und sie fielen in die -Herzen jener seligen Menschenkinder, die die Welt von sich gestoßen hatte. - -Die Elfen und Gnomen und die Vöglein alle, das lustige, leichtlebige Volk, -tanzten und jubilierten, und nur der große Uhu saß im Eichbaum, unter -dem die Sonnenkinder wieder schliefen, unter Blumen zugedeckt, und knurrte -prophetisch: - -»Zu früh, viel zu früh, die Welt ist noch nicht reif für das Evangelium -der Liebe und Wahrheit!« - - - - -Schneeflocken. - - -Die Schneeflocken haben Ball heute Abend. Hei! Wie sie sich schwingen in -tollem Reigen da oben auf den Bergen, wie sie durcheinander wirbeln und auf -und niederspringen, daß einem ganz schwindelig wird beim Hereinschauen. -Und der Wind spielt ihnen auf dazu; er saust durch die Tannenwipfel und -schüttelt die Kronen der alten Waldriesen, daß sie die Zweige pfeifend -gegen einander schlagen; er braust durch die Schluchten und gellt durch die -Felsenklüfte, daß es fast wie Hohngelächter klingt, er singt ihnen ein -Nordlandslied, wild wie sein Brausen und Toben. Er singt ihnen von den -eisigen Gletschern da oben im Norden, und von der Eisjungfrau, die da haust -mit Augen, klar und doch unergründlich, wie der Bergsee; er singt, wie sie -mit schrillem Lachen die weißen Arme ausbreitet und an den Schneewänden -ihres Eispalastes rüttelt -- dann stürzen die Lawinen krachend zu Thal -und begraben das Menschenvolk da unten. Von den lustigen Gesellen, den -Eisbären, erzählt er, seinen Freunden, wie sie im täppischen Tanz -umeinander sich drehen, fast wie riesengroße, weiße Schneeflocken, -daß es gar komisch anzusehen ist; und von den Schiffen, die zwischen den -Eisblöcken stecken, und den Menschen darauf, deren heißes Menschenherz -langsam zu starrem Eise wird; von den flimmernden, glitzernden, -funkelnden, kalten Sternen da oben am Himmel, die todesruhig lächelnd -herniederschauen; von dem Nordlicht, das aufflammt mit trotziger Glut und -der Eisjungfrau auf ihrem Gletscher einen rosigen Schleier überwirft, -aus dem sie herauslächelt, fast wie ein Menschenbild -- so lockt sie -die Menschen an, die kühnen Jäger, und sie steigen hinauf zu ihr, immer -höher und höher, und sie winkt ihnen und lächelt süß, verheißend -- -und dann stürzt sie die thörichten Gesellen hinab, in die eisige Tiefe. --- Hoiho! jauchzt der Wind, wild ist mein Nordlandslied! Wild, wie der -Eiskönigin Lachen, wie der Lawinendonner! Und hoch empor wirbelt er die -armen Flöckchen, bis sie sich ermattet an den Tannenzweigen festklammern. - -Da ist's gut ruhen; sie schmiegen sich eng an die Nadeln hin -- die -flüstern und kosen mit ihnen, die wiegen sie hin und her und erzählen -ihnen Waldmärlein: von dem naseweisen Tannenbäumchen, das gar nicht -zufrieden gewesen damit, daß es im schönen grünen Wald gewohnt und die -Füßlein im weichen Moos gebettet hat; gelangweilt hat es sich auf seinem -heimatlichen Stückchen Erde und hat hinausgewollt in die weite, weite Welt -und gejammert und geschluchzt: O Wind, nimm mich mit! O Quell, rausch' mich -zu Thal! - -Da hat mit einemmal die Waldfee vor ihm gestanden im grünen Gewand und -lockigen Haar, hat es mit den Blumenaugen angeschaut, mit den zarten -Händen berührt und gesagt: »Geh', mein Bäumchen, reise zu Thal. -- -Sie werden Dir weh tun, Dich von Ort zu Ort schleppen, und doch bringst Du -ihnen von den Bergen herunter die Sehnsucht mit -- den Tannenduft, damit -sollst Du ihnen die Seele erfüllen, daß sie gut werden und sich freuen -wie die Kinder.« - -Dann hat sie das Bäumchen geküßt und ist im Wald verschwunden. -- - -Danach sind eines Tages zwei Männer gekommen und haben sich das -Tannenbäumchen von allen Seiten angeguckt und zufrieden mit den Köpfen -genickt. Dann haben sie ihre Pelzkappen zurückgeschoben und sich die -Hände gerieben und die blanken Aexte genommen und haben die Füßchen der -Tanne geschlagen, daß es durch den Wald gedröhnt hat, haben sie zur -Erde geworfen, ihr einen Strick um den Leib gebunden und sie hinter -sich hergeschleift über Stock und Stein, durch Schnee und Eis. Und das -Tannenbäumchen hat leise vor sich hingeweint, und die großen Bäume auch; -aber die Männer haben das nicht gehört, die meinten: Horch -- wie der -Wind pfeift! - -So ist die kleine Tanne zum Weihnachtsbäumchen geworden, wie die Waldfee -sagt -- denn da unten im Thal feiern sie Weihnacht -- -- - -»Was ist das?« fragten zwei neugierige kleine Schneeflocken, die sich -angefaßt hatten und mit ihren zarten, weißen Gliederchen auf den Zweigen -der alten Tanne auf und nieder wippten. - -»Ja, was ist das!« sagte die alte Tanne, »Wintersonnenwende nennen -wir's, und die Waldfee sagt: Jetzt wacht die Sonne auf und nun beginnt tief -unten in der Erde das Keimen und Wachsen, bis es schließlich herauf dringt -zu uns und die ganze Welt erfüllt. Aber da unten im Thal nennen sie's -Weihnacht und sagen, die Liebe wäre ihnen geboren -- und dann schmücken -sie das Tannenbäumchen mit vielen, vielen Lichtern und zünden sie an, -daß man meint, der ganze Baum stände in Flammen, und läuten mit ihren -Glocken dazu -- da -- hört Ihr's?« - -»Bim bam bum!« singen die kleinen Schneeflocken, »da möchten wir hin!« -und sie bitten den Wind: »Wind, fahr' uns hinab!« -- Der breitet seine -großen, weißen Schwingen aus, die beiden Flöckchen klammern sich mit -ihren vielen Fingerchen daran fest und nesteln sich in ihren Zottelpelzen -tief in die Fittige ein, und heidi! da ging's zu Thale. - -»Grüßt mir das Tannenbäumchen!« rief die alte Tanne ihnen nach -- und -sie brummte in den Schneemantel hinein, der sich allgemach um ihre starken -Glieder gelegt hatte: »Komisches Volk, diese Menschen! Mußte ihnen die -Liebe erst geboren werden? Ist sie denn nicht so alt, wie die Welt steht?« - -Und dann schüttelte sie ihre Nadeln, daß die Schneeflocken, die schon -darauf eingeschlafen waren, erschrocken in die Höhe fuhren. - -Die beiden neugierigen Schnee-Engelchen aber flogen zu Thal, und der Wind -war bös und pfiff ihnen in die kleinen Ohren, daß es gellte: Puh -- da -unten ist's schlecht. Was wollt Ihr bei den Menschen? Entweder sie ballen -Euch zusammen und werfen sich mit Euch gegenseitig an die Köpfe, oder sie -kehren Euch auf einen Haufen, daß ihr ganz schmutzig werdet und die Sonne -Euch aufschmilzt -- umkommen thut Ihr jedenfalls! - -Doch da waren sie schon im Thal angelangt, vor einem großen, schönen -Hause; das lag still und dunkel und allein. Nur aus einem Fenster -schimmerte ein roter Schein, dahin flog der Wind, und sieh'! von dem -Fenster her grüßte und winkte es den Flöckchen entgegen -- das waren -ihre Basen, die Eisblumen, die an den Glasscheiben in die Höhe wuchsen -und allerlei wunderliche Gestalten angenommen hatten, und die Flöckchen -setzten sich zu ihnen und guckten in's Haus hinein. Da drinnen ist's -prächtig: ein hohes, weites Gemach, und aus einem großen, weißen -Marmorkamin flutet der rote Feuerschein drüber hin, über den Tannenbaum, -der schön geschmückt und glänzend dasteht, über die vielen bunten -Spielsachen und all die kleinen Figürchen, die da unter'm Tannenbaum ihr -Wesen treiben. - -Die Eisblumen erzählten, wie schön es gewesen sei, als das -Tannenbäumchen ganz in Flammen gestanden und die Kinder um es -herumgesprungen wären und gelacht und getollt und gejubelt hätten. Dann -haben sie die Lichter gelöscht und ein Duft ist durch das Zimmer -gezogen, so würzig, so zart, so wunderstark, noch riecht's in allen Ecken -darnach -- - -Die Schneeflöckchen vergingen fast vor Sehnsucht nach all dem Schönen. -Mitleidig verrieten ihnen die Eisblumen, daß ganz, ganz unten am Fenster -eine schmale Ritze offen wäre, da könnten sie noch besser hineingucken, -und vorsichtig kletterten die Flöckchen an den glatten Scheiben hinunter -und nun stehen sie vor der Fensterritze -- -- -- - -»Also, so sieht Weihnacht aus!« flüstern sie einander zu, »komm', wir -wollen uns an die Händchen fassen und hineingehen und den Weihnachtsduft -einatmen.« - -»Thut das nicht,« antworteten die Eisblumen, »Ihr seid Kinder der Luft, -Ihr gehört nicht zu denen dadrinnen -- Ihr werdet hinsterben vor Sehnsucht -zu ihnen.« - -Aber die Flöckchen hörten nicht auf die Erfahrenen; sie zogen sich -ihre kleinen Schneemützchen über die Ohren, damit sie auch hübsch kalt -blieben und schlüpften durch die Fensterritze. -- Da schlug's Zwölf. -Das kleine Männchen in der bunten Uhr, die auf dem Kaminsims stand, -kam zwölfmal herausspaziert und beim letzten Mal nahm es seinen kleinen -Dreimaster ab und verbeugte sich und sagte: »Meine Herrschaften, die -Geisterstunde hat geschlagen!« -- - -Dann verschwand es wieder in seinem Glashäuschen, und klirrend schlug die -Thür hinter ihm zu. - -Nun begann ein wunderliches Wispern und Tustern in allen Ecken und Winkeln --- alles im Zimmer wurde lebendig und es war plötzlich ein Stimmengewirr -wie beim Turmbau zu Babel. Alle die vielen Deckchen und Schleifen, die an -den Stühlen und Lehnen herumhingen, fingen an, eine der andern Vorwürfe -zu machen, daß sie sich immer den Menschen auf den Rücken setzten oder -auf der Erde herumtrieben, und wurden so heftig dabei, daß sie sich -schließlich gegenseitig mit sich selber bombardierten. -- Das Sofakissen -wurde elegisch und machte der Schlummerrolle eine Liebeserklärung. -- -»Sie haben eine so schöne Gestalt!« sagte es, -- »von oben bis unten -egal!« Und die Feuerzange beim Ofen wollte die Schaufel umarmen und kniff -ihr dabei derb in die Nase. Die kleinen Sèvres-Figürchen auf dem Kamin -schürzten ihre Rokokokleidchen zum Tanz und der Nußknacker, der in der -Uniform eines Gardelieutenants auf dem Weihnachtstische stand, klemmte sein -Monocle ins Auge, näselte: »Charmant, auf Taille!« und klappte seine -Kinnladen mit einem gefährlichen Ruck wieder zu. Dieser Nußknacker war -überhaupt ein Don Juan; just hatte er der niedlichen kleinen Puppendame, -die in Balltoilette auf einem rotsammetenen Lehnstuhl saß, versichert, -sie sei seine erste und einzige Liebe, und nun warf er der porzellanenen -Schäferin da oben Kußhände zu und entschuldigte sich damit, daß es ja -Weihnachten sei. - -Da entdeckte er plötzlich die beiden kleinen Fremdlinge, die sich in ihren -weißen Schwanenpelzchen scheu in die Fensterbank gedrückt hielten. - -»Das ist ja etwas sehr Niedliches!« Und der Lieutenant klemmte seine -Monocle ein und beeilte sich, mit allersteifsten Gardebeinen durch den Saal -zu marschieren. - -»Premier-Lieutenant Knack von Mandelkern, I. Rrrment, Bleisoldaten -zu Fuß,« schnarrte er und schlug die Hacken aneinander, daß unsere -Schneeflöckchen erstaunt seine Füße anguckten. -- »Damen fremd hier? -- -äh -- dürfte Ehre haben, Chaperoneur zu sein?« - -»Ach,« sagten die Flöckchen schüchtern, »wir gehören hier eigentlich -gar nicht her -- wir sind nur hereingekommen -- wir wollten gern wissen -- -können Sie uns vielleicht sagen, was Weihnacht ist?« - -»Wa -- wa -- was -- Weihnachten?« Dem Herrn Gardelieutenant fiel vor -Erstaunen das Monocle weg, ohne daß er erst dazu eine Fratze zu schneiden -brauchte, und sein Nußknackermund blieb ihm offen stehen, worüber die -Flöckchen so erschraken, daß sie aufsprangen und von der Fensterbank auf -die Erde flogen. - -»Weihnachten? -- Weihnachten ist Weihnachten,« brummte Lieutenant Knack -von Mandelkern entrüstet, nachdem er vorher seinen Mund wieder zugeklappt -hatte -- dann klemmte er das Glas wieder ein und sah den Flöckchen nach --- »nette Pusselchen -- aber noch sehr jrün -- die reene Unschuld vom -Lande.« -- -- - -Die Schneeflöckchen aber waren geradewegs auf ein schönes Buch mit -Goldschnitt gesunken, das vom Tisch auf die Erde gefallen war -- auf dem -stand mit großen bunten Lettern als Titel gedruckt: Weihnacht und unsere -Vorfahren! Das sprach jetzt mit gewählten Worten: »Was Weihnachten ist, -wünschen Sie zu wissen, meine Lieben? -- Sehen Sie mich an.« Und dabei -schlug es sich auf und begann zu lesen: »Schon zur Zeit Winfrieds, des -hl. Bonifacius, des großen Heidenbekehrers, feierten unsere Altvordern, -beseelt von einem dunklen Drange, der sie zur Verehrung eines unbestimmten -Etwas antrieb, im Winter, unter Schnee und Eis, ein Fest.« - -»Altes Buch, schweig' doch still! -- Hüh! Hoh! Wollt Ihr wohl laufen, Ihr -faulen Tierchen!« klang es da unter dem Tischdeckenzipfel hervor, und als -die Schneeflöckchen, die sich große Mühe gaben, die weisen Worte des -Buches zu verstehen, sich umschauten, kam pfeilgeschwind eine -drollige kleine Equipage herangesaust, schnurgerade über das gelehrte -Goldschnittbuch hinweg, das sich voller Entrüstung erhob und mit Würde -von dannen wandelte. -- In dem von sechs weißen Mäuschen gezogenen -Wägelchen stand ein kleiner nackter Junge, mit Flügeln an den Schultern -und einem Bogen in der Hand, und sang und jubelte in die Welt hinein. Der -hat auf einer schönen Dose gesessen, in der allerlei bunte, glänzende -Steine und Goldsachen blitzten, und als der alte Herr in der Uhr die -Geisterstunde verkündete, da ist er heruntergesprungen und hat sein -lustiges Wesen getrieben. - -Ei, wie ihn die Rubinenaugen des Schlangenarmbandes anfunkelten, und so -viel die Schlange auch nach ihm mit dem Goldzünglein gezischelt, -- »ich -bin die Schlangenkönigin,« sagte sie, »ich ringele mich um weiße Arme, -weiße Nacken, ich ringele mich bis ins Herz hinein und bringe ihm den -Schlangenzauber, dem niemand wiedersteht,« -- es half ihr nichts: das -kecke Bürschchen schlang sie sich um die kleine weiße Brust, und die -Rubinenaugen funkelten ihm von der Schulter herunter. - -»Pah!« lachte er, »mein Pfeilgift ist viel stärker als Deins, -- Du -kannst mir nichts anhaben.« - -Nun setzte er sich in die große Walnußschale, die ihm der Nußknacker -geschenkt hatte dafür, daß er der niedlichen Rokokodame einen Pfeil ins -Sèvresherzchen geschossen. - -Aber er hatte keine Pferde zum Vorspannen. Da war er auf den -Weihnachtstisch spaziert, wo die heilige Krippe aufgebaut war, und hatte -den hl. Joseph um das Oechslein und das Eselein gebeten, sein Wägelchen -zu ziehen; aber der hl. Joseph hatte die Hände über dem Kopf -zusammengeschlagen über solch ein Ansinnen, obgleich Mutter Maria mit dem -Kindlein auf dem Schoß ihre Freude an dem kecken Gesellen gehabt hatte. - -Da war er den hl. Drei Königen aus dem Morgenlande entgegengegangen, -die gar bedächtig mit prächtigem Gefolge heranmarschiert kamen. -»Majestät,« sagte das Gesellchen höflich, »dürfte ich vielleicht -eines Ihrer Kamele für mein Wägelchen benutzen? -- Sie haben ja deren so -viele.« - -Aber der schwarze Balthasar, der Mohrenkönig, fletschte ihm seine weißen -Zähne entgegen, und Kaspar und Melchior hielten ihm das Weihrauchfaß mit -Myrrhen unter die Nase, daß er niesen mußte -- da sprang er davon und bat -den Tannenbaum, und der schenkte ihm sechs kleine, weiße Zuckermäuse, die -an seinen Zweigen hingen. - -Nun hielt er mit seinem flinken Gespann vor den Schneeflöckchen und -lachte: »Ach, was seid Ihr für herzige Dingerchen. -- Gleich möchte -ich mit meinem Goldpfeil durch Eure Schwanenpelzchen in die Herzchen -hineinschießen. Kommt, steigt ein -- wir fahren zum Weihnachtsball in -die Puppenstube; da tanzen Sie gravitätisch und mit Anstand ein würdiges -Menuett und sind brav und gesittet -- aber Ihr sollt 'mal sehen, was ich da -für einen Wirrwarr anrichte.« - -Den Schnee-Engelchen gefiel zwar der kleine Bursche sehr gut, aber sie -schüttelten doch die Köpfe, daß die Pelzkapuzchen hin und her wackelten. - -»Ach nein,« sagten sie, »hier können wir nicht tanzen -- hier ist es -uns viel zu warm. Wir sind auch nur hereingekommen, um zu lernen, was wohl -eigentlich Weihnacht ist.« - -Da setzte sich das Gesellchen auf den Rand seiner Nußschale, schlug -ein Bein über das andere und legte simulierend den Finger an das kecke -Näschen: - -»Ja, sehen Sie, meine kleinen Engelchen -- das ist eine kuriose -Geschichte. Da unter dem Weihnachtsbaum liegt ein kleines, nacktes Kindchen -in einer Krippe, dessen Geburtstag feiern sie, und sie sagen, er sei der -Gott der Liebe. -- Nun aber hat mir mein heidnischer Vater im Olymp -- ich -bin nämlich ein Heide, mein Name ist Amor -- immer gesagt, ich wäre der -Gott der Liebe, und ich wäre, trotz meiner Jugend, so alt wie der Olymp -und die Welt und das große, große Meer selber. -- Da muß also irgendwo -eine Verwechselung sein. -- Ich schlage vor, wir feiern das ganze Jahr -Weihnacht und halten mein Schwesterchen Freude, wenn sie davon fliegen -will, am Gewandzipfel fest. -- Ich kehre mich so wie so nicht viel an die -Jahreszeiten -- meine Pfeile fliegen das ganze Jahr durch, und die Küsse -sind immer am süßesten, wenn sie geküßt werden.« -- Und dabei breitete -der kleine Schlingel die Arme aus und wollte die hübschen Flöckchen -küssen; die aber faßten sich an die Hände und flogen ihm davon, -geradeswegs auf die Tanne zu und klammerten sich an ihre Zweige fest und -schaukelten sich und sangen: - - Von den Bergen, wo der Wind, - Wo die Tannenschwestern sind, - Sind wir hergeflogen, - Sind wir hergezogen -- - -Sag' uns, was ist Weihnacht? - -Da ging ein Leben durch die Zweige der Tanne, all' das Rauschegold, mit dem -sie geschmückt, knisterte und raschelte, die Krystallkugeln klirrten -- -stärker denn je dufteten die Tannennadeln, und horch! mit dem Tannenduft -ziehen Sehnsuchtslaute durch den Saal: - -»Ach, meine Flöckchen, wohl bin ich geschmückt, wohl trage ich -eine Krone, wohl habe ich geflammt in vieler Kerzen Schein -- für die -Weihnacht. -- Aber gebt mir die Wintersonnenwende wieder, laßt -mich umbrausen, umtosen vom Wind, laßt den ersten Sonnenstrahl mich -umschmeicheln und mir ins Herz hineinlachen. -- Nehmt mir Alles dafür hin! - -Was die Weihnacht ist? - -Kummer und Trübsal, und Haß und Neid und Mißgunst, und Heuchelei und -Geldstolz -- das ist Weihnacht unter den Menschen; und zum Hohn nennen -sie's das Fest der Liebe! Schneeflöckchen, wenn Ihr die Liebe sucht, -fliegt nimmer zu Thal. Und eines doch: Wenn das Kinderauge uns anlacht -- -wenn wir in seinem reinen Glanz uns spiegeln, wenn die Kinderärmchen sich -nach uns ausstrecken, die Kinderstimme uns anjauchzt --« - -Da öffnete sich leise, leise die Thür, und auf der Schwelle stand ein -Kindchen und blickte verschlafen um sich und strich sich die blonden -Härchen aus dem heißen Gesicht. -- Nicht schlafen konnte das Kind vor -Freude über Weihnacht, und es hatte ein Geraune und Geflüster gehört -neben dran und war aufgestanden, ganz leise, daß es die Eltern nicht -gestört, und schlich mit den bloßen Füßchen über den Teppich hin, und -stand mitten unter dem lustigen Volk. -- - -Aber da schnarrte die Uhr und das alte Männchen kam wieder herausspaziert -und sagte mit dumpfer Stimme: Eins! und nun war alles wieder still und -stumm und leblos, wie es vorher gewesen. Nur die Schnee-Engelchen konnten -nicht so schnell zum Fenster hinfliegen -- da erblickte sie das Kind: -»Das sind die Engelein vom Himmel,« jauchzte es, »Tanne, die hast du mir -mitgebracht!« - -Und mit beiden Armen griff es nach den Flöckchen und preßte sie an sich -und drückte und herzte sie -- ach -- und da vergingen sie ihm unter den -Händen, und das Kind betrachtete verwundert seine leeren feuchten -Aermchen -- da schlich es betrübt in sein kleines Bett und weinte, weinte -bitterlich. - -Aber die Tannennadeln, die sich in seinem Kraushaar gefangen hatten -beim Spielen, die neigten sich an des Kindes Ohr und erzählten ihm vom -Tannenwald und dem Wind und der Schneeflöckchen-Reise, das ganze Märlein, -da schliefs Kindchen ein. - -Und wann es aufgewacht ist, und wieder und wieder aufgewacht, und größer -und älter geworden, wann die Wintersonnenwende ihm gekommen ist, da zieht -ihm, dem großen Kind, zu Weihnacht mit dem Tannenduft immer wieder -das Märchen durch die Seele -- das Märchen von den Schneeflocken, die -ausgezogen, die Liebe zu suchen, und an der Liebe gestorben sind. - - - - -Das Märchen von der weißen Stadt. - - -Es lag ein Mensch zu sterben. Der hatte all seine Gedanken, all seinen -Willen hergegeben, die eine große That seines Lebens zu vollenden. Aber -der Griffel entsank seiner Hand, und die Seele entfloh dem Leibe. Es hatte -dieser Mensch die Fluten sehr geliebt. Er konnte stundenlang am Ufer des -Sees sitzen und die blauen Wasser betrachten, wie sie kamen und gingen, -immerzu, immerzu; und aus den Wassern sahen ihn seine Gedanken an. Als -seine Seele nun ohne Körper umherirrte, da kamen die Luftgeister -und trugen die Menschenseele hin über den See. Aus ihren wehenden, -silbergrauen Gewändern troff es wie Nebel zum Wasser nieder, und ein -leiser Wind bewegte die Fluten, daß sie sich kräuselten. Oben auf -den Wogenkämmen schaukelten die weißen Leiber der Seejungfrauen; sie -streckten die Arme aus nach der Seele des Menschen und zogen sie hinab in -die weichen, wiegenden, schmeichelnden Gewässer. -- Drunten in der Tiefe -saß der Seekönig und hielt Hof. Er war ein kleiner Mann mit starken Armen -und langem, weißem Bart. Auf dem weißen Haupte trug er eine Krone von -hellroten Korallen; die hatte ihm sein Vetter, der Meerkaiser, geschickt, -aus Anerkennung, weil der kleine Seekönig manchmal seine Gewässer mit -den starken Armen so aufrührt, daß viele Schiffe und Menschen umkommen -müssen, gerade wie auf dem Meere. Denn die Meerleute mögen es gern, wenn -Menschenkinder zu ihnen hinuntersteigen müssen. Sie stellen die weißen -Körper in ihren wundersamen Meergärten auf, wie wir die Marmorstatuen. -Die Menschen können nicht leben bei ihnen; nur wenn einer die Fluten sehr -geliebt hat, dessen Seele gleitet des Nachts in den Wellen als weißer -Schaum. Kommt ihn aber die Sehnsucht an, den Tag zu sehen, und es berührt -ihn die Sonne, in deren Licht er geatmet, dann muß er für immer zur -Leiche werden. -- - -Der kleine Seekönig hielt also Hof. Sechs große Räte mit wunderlichen -Fischgesichtern saßen im Kreise um ein großes Blatt Papier, das ganz bunt -vor lauter Strichelchen und Pünktchen aussah; vier dicke Büffelfische -trugen es auf ihren Rücken, sie hielten es fischchenstill; nur zuweilen -zuckte einer mit dem beweglichen Schwanz oder pustete die Kiefern auf -und zu, als ob er Wasser rauche; und dann zupfte ihn der Herr Rat mit dem -Karauschengesicht mahnend an den Flossen, worauf er gehorsam still hielt. -Die Menschenseele, die als zarter, weißer Schaum auf der Schulter der -Seejungfrau lag, sah neugierig das weiße Papier an; es kam ihr so bekannt -vor. Das hatte sie schon gesehen, als sie noch Mensch war. Es war ihr, -als müsse sie eine Hand danach ausstrecken. -- »Still!« flüsterte die -Seejungfrau, »gleich wirst du hören.« -- Und dann sagte der Seekönig: - -»Die Menschen da oben auf der Erde machen uns alles nach. Gerade wie wir -zuweilen Besuch bekommen von den Bewohnern anderer Seen und Meere, die dann -allerlei Kostbarkeiten mitbringen, um sie uns zu zeigen, so macht es das -Volk da oben auch. Nur sind sie sehr arm. Während wir alle die -fremden Seltenheiten und unsere eigenen dazu, einfach in unserem ewigen -Krystallpalast aufstellen, müssen die sich erst Häuser dazu bauen. Und -das Bauen -- welche Umständlichkeit! Erst kommt einer und denkt sichs aus -und zeichnet es auf, und dann geht es an viele Leute, die alle etwas zu -mäkeln und zu ändern haben. Schließlich soll es dann wirklich gebaut -werden, aber wie lange das alles dauert, dazu habe ich nicht Zeit genug, -das zu erzählen. Seht, da hat auch so ein armer Mensch mit kurzem -Gedächtnis seine Gedanken auf das Papier geschrieben; ein guter Mensch, -der uns sehr geliebt hat. Denn er hat gesagt: »Wenn ich meinen See nicht -hätte! Der muß das Beste thun.« Und dann hat er unsere Fluten überall -eindringen lassen in seine Pläne, damit wir seine Paläste wie mit -Silberarmen umschlingen und ihre Schönheit wiederspiegeln. -- Dann ist -er gestorben. -- Und jetzt werden andere kommen und seine Pläne zunichte -machen und uns vielleicht einengen und tyrannisieren. Wollen wir das -dulden? Nein!« rief der Seekönig und hob die starken Arme, daß oben -die Wellen klatschend gegen das Ufer schlugen. Und die Räte schüttelten -heftig ihre Fischköpfe. Die Seejungfrau lächelte der horchenden -Menschenseele zu. -- - -»Kommt herbei, ihr Seevolk, und hört, was ich euch sagen werde,« fuhr -der Seekönig fort: »Die Luftgeister, unsere Freunde, haben dieses Papier, -das der tote Mensch mit seinen Gedanken beschrieben und dem Großen Rat -da oben auf der Erde vorgelegt hat, aus seinen Händen weg und zu uns -herabgeweht. Schwimmt, ihr Fische, bis ans Meer, lasset die im Meere es -weitertragen zu den Geistern der Völker an der andern Seite des großen -Wassers, wie das Seevolk der Menschenseele Werk erfüllen will.« -- Da -schlugen die vier Büffelfische mit dem Schwanz unter das Papier, daß es -auf in die Wellen flog; die fischköpfigen Räte griffen entsetzt danach: -»Erst sehen, sehen!« Aber der kleine Seekönig lachte, daß es ein -Seebeben gab, und zerriß das Papier in tausend Fetzen: »Wir sehen nicht --- wir bauen!« sagte er. - -»Siehst du?« lächelte die Seejungfrau und neigte ihr Antlitz der -Menschenseele zu, »jetzt werden deine Gedanken, die du ins Wasser -hineingeträumt hast, doch wirklich. Ich habe dich oft gesehen, habe vor -dir geschaukelt, wenn du dachtest, es seien die weißen Wellenkämme. Ich -hätte dich mir geholt -- ach so gern! Jetzt bist du bei mir. Die Menschen -denken, sie haben dich begraben; aber ich halte dich in meinen Armen -- -ewig. Du darfst nicht hinaufschwimmen und dein Werk beschauen, nicht so -lange die Sonne scheint. Dann würdest du zur Leiche. Ich will nicht, daß -dich die Schwestern in ihre Gärten stellen. Ich will dich behalten -- für -mich.« -- Dann glitt sie zum Seekönig hin und schmeichelte: »Väterchen, -mach' es recht schön!« -- Er aber streichelte ihr langes Haar, das -glänzte wie Sonnenstrahlen auf dem Wasser, und sagte ernsthaft: »Du -darfst die Menschenseele hüten, daß sie uns nicht entflieht; denn nur -durch sie können wir das Große vollenden.« - -Nun beginnt die Arbeit. Ei, wie flink die Fischlein dabei sind, das blaue -Wasser zu kommandieren, daß es in langen, glänzenden Streifen zwischen -grünen Inseln sich durchzwängt, alles Land verschlingend, das ihm im -Wege ist, daß es unter wölbende Brücken sich duckt und schmeichelnd zu -Füßen schlanker Säulenhallen sich schmiegt. Und die Nixen kommen und -spielen mit den Fluten, daß sie in glitzernden, schillernden Farben zu den -Luftgeistern emporsprühen. Wie geschickt die Gnomen und Kobolde Stein auf -Stein, Bogen an Bogen zu fügen wissen, daß es sich erhebt aus der Tiefe -des Sees -- eine weiße, wundersame Wunschstadt. Da tauchen Türme auf mit -seltsam zackigen Verzierungen; ein kleiner Nix sitzt darauf und lehrt sie -allerlei alte Weisen mit seiner Glockenstimme, und nun singen die Türme -sie weiter. Hier schwimmt eine schneeweiße Rotunde mit lauter kleinen -Fensterchen rundum; und die Fische leiten das klare Wasser hinein und -tummeln sich darin. Und still und groß und schön wächst es und wächst -es, schier in die Ewigkeit hinein. -- In einer großen Muschel, davor -sechs buntscheckige Forellen geschirrt sind, durchzieht der Seekönig die -Wasserkanäle, mit scharfen Augen Umschau haltend. Hier zwickt er ein paar -faulen Weißfischen aufmunternd die platten Schwänzchen; dort schilt -er zwei streitlustige Hechte, die beide denselben Riesenpalast errichten -wollen und ihn dabei unsanft hinfallen lassen. Ein energisches Nixlein ruft -er herbei als Oberaufseher, und das lenkt mit seinen weißen Fäustchen die -störrischen Gesellen wie ein paar gutmütige Oechslein. -- -- Als -aber der Seekönig sieht, wie alles gut ist, taucht er unter in seine -Schatzkammer, füllt seine Muschel mit Gold, so viel sie tragen kann, -schüttet es am Ufer aus und befiehlt: »Da -- krönt das Ganze damit! daß -die Kuppel weithin leuchte wie eine Sonne!« - -In der Tiefe des Sees ruht die Seejungfrau, regungslos, daß sie die zarten -Fäden nicht zerreiße, die von dem weißen Schaum an ihrer schönen -Brust aufsteigen zu dem Werk da oben. Und die Menschenseele harret der -Vollendung. - -Da wallt ein Zug daher über das Wasser. Nebelschleier spinnen ihn ein, -daß er wie eine Wolke über dem See schwebt, und er zieht eine Bahn, -silbern wie der Mond auf dem Wasser liegt. Schweigend klimmt er das Ufer -hinan, wo droben der Seekönig seiner harrt, und über ihm schwebt -die goldene Kuppel wie eine große Krone. -- Nachts, wenn die Menschen -schlafen, ergeht sich das Wasservolk oftmals am Ufer und pflegt Zwiesprache -mit Mond und Sternen. -- Voran im Zuge schreiten Patres mit fahlen -Gesichtern in schwarzer, spanischer Mönchstracht. Sie tragen gewaltige -Lasten auf ihren Schultern: Türme und Türmchen, spitze und runde, -Mauern so dick wie Gefängnismauern mit tiefen Kreuzgängen und -schweren Wölbungen. Sie keuchen unter ihrer Last; ein lustiges, weißes -Elfengesindel kommt neckisch gesprungen und weist ihnen den Weg unter -hohen Bäumen, und hilft ihnen, das wunderliche Ding, das einem spanischen -Kloster ähnelt, von den gebeugten Rücken abzuladen. Da richten sich -die schwarzen Geister der Patres zufrieden auf, und sie bauen mit dem -geschmeidigen Nixenvolk, dessen Listen sie wohl gewachsen sind, vergnügt -weiter. - -Eine mächtige Gestalt schreitet auf dem Wasser; ein Gewand von Gold -umstarrt sie; sie trägt einen goldenen Helm; golden leuchtet ihr strenges -Antlitz daraus hervor. Siegesgewiß, siegesbewußt geht sie mit großen -Schritten an dem Seekönig vorüber, ihm herablassend huldvoll zuwinkend. -Der lächelt fein ihr nach, wie sie sich gravitätisch aufpflanzt inmitten -all des Schönen -- ein wenig zimperlich, ein wenig ungelenk. »Laßt sie -nur dastehen,« nickt er, »man wird schon sehen, daß es nicht unsere -wirkliche Athene ist -- nur eine große, große, goldene, emancipierte -Alte-Kunst-Jungfer.« -- Und dann streckt er freudig seine Hände -den schlanken Gestalten entgegen, die aus dem Nebel sich loslösen, -einherwallen in faltigen Gewändern, die sich feucht um die herrlichen -Glieder schmiegen; und sie tragen auf den stolzen Häuptern die weißen, -strahlenden, wundervollen Trümmer der Heimat. »Du Land der Sehnsucht!« -flüstert der Seekönig. Sie lächeln ihm zu mit den schönen, traurigen -Gesichtern. Sie pflanzen Säulen in die Erde, rein und schön, wie sie -selber, sie breiten die Hände aus, und eine erhabene Harmonie lagert sich -über der Wunschstadt. Sie erheben die kraftvollen Arme und sprechen: »Du -lässest uns, o Vater Zeus, die Schönheit schauen, nicht zertrümmert, -nicht zerschlagen, nein, in ihrer ganzen siegenden Gewalt.« -- Und -demütig neigen die Karyatiden die stolzen Häupter unter der Last der -Schönheit, die sie tragen. - -Wunderlich Volk zieht im Zuge einher, der übers Wasser wallt. Ein kleiner, -nackter Bub, der nur einen Frack und Cylinderhut trägt für seine -Blöße, bietet zierlich einer Rokokodame den Arm, die gar stattlich in -Hackenschuhen und Reifrock mit einer Trikolore auf dem hochfrisierten -Köpfchen einherstolziert: »Wir sind barock, nicht wahr?« nickte der -kleine Schelm dem alten Seekönig zu. -- »Wir, Puck Amor und Dame la -France!« -- In einem muschelförmigen Wagen, schimmernd von Gold und -Edelgestein, kommt ein ernsthafter Mann. Er hat ein braunes Gesicht, aus -dem seltsam überirdische Augen schauen, trägt nur einen schlichten, -weißen Kaftan um die Hüften gegürtet, und doch neigt Seekönig sich -tief vor ihm, und eine zarte, braune Elfe, schön wie des Gottes Bajadere, -geheimnisvoll wie die Wunder Indiens, gleitet vor ihm her, ihm seinen -Wohnort zeigend. -- - -Und so kommen sie alle, die Geister der Völker, die der Seekönig -entboten hat. Plumpe nordische Burschen tragen Paläste von plumper Pracht. -Ernsthafte, blondköpfige Gesellen bringen ein seltsam Häuschen mit -spitzragendem Turm, mit schönen Gewölben, durch deren bunte Glasfenster -es lieblich leuchtet, wie eine Geistessonne. Zierliche, dunkeläugige -Mädchen kommen im Tanz geflogen: ihre Gewänder flattern im Wind, sie -streuen Rosen aus, duftende Rosen der Anmut. -- Seltsame Fahrzeuge gleiten -im Nebel im Geisterzug. Unbeholfen, schwankend die einen. Schwarze, -düsterblickende Gesellen stehen darin und blicken drohend hinüber zu dem -schlanken Schiffchen, das, seinen Drachenkopf vorgestreckt, wie ein Renner -durch die Fluten schießt, pfeilgeschwind, die andern weit hinter sich -lassend. Wie nur das Schifflein die Hünengestalten seiner Mannschaft, die -mit sehnigen Armen die Ruder führen, birgt in dem schlanken Rumpf?! Hoch -richten sich die Gestalten auf, sie wachsen und wachsen, daß ihre Leiber -dunkle Schatten werfen weithin über den See. Und sieh' nur -- wie -die geisterhaften Schwarzen in den schweren Kreuzesschiffen zum Himmel -hinaufragen, fanatisch glühen ihre Augen durch den Nebel -- der beginnt -wunderlich zu leben, wogt und zerrt her und hin, bis er die Riesengestalten -verschlungen hat. Dann gleiten Karavelen und Vikinger in glatte Buchten, -gezogen von muntern Fischlein, gesteuert von weißarmigen Wassernixen. - -Da bebt der See. Hoch sprühen die Wasser auf. In den schäumenden, -singenden Strudel steigt der Seekönig hinab in sein Reich, gefolgt von -seinem fleißigen Volke. Drunten in der Tiefe ruht die Menschenseele. -»Wann wird es vollendet sein?« fragt sie sehnsüchtig. »Es ist -vollendet,« sagt der Seekönig. »Sobald der erste Sonnenstrahl die -goldene Kuppel trifft, wird es den Augen der Menschen sichtbar sein.« -»Und sichtbar bleiben? Immer?« fragt die Menschenseele. »Nur eine kurze -Spanne Zeit hat das Wasservolk Macht über die Erde. Nur bis die Sonne -in die Fluten sinkt und die Zauberwelt, die wir gebaut haben, mit sich -hinabreißt. Aber wenn dein Seelenauge dein Werk erschaut, ehe die Sonne -die goldene Krone bestrahlt hat -- dann wird es ewig sein. Dann aber wirst -du sterben und dein Name wird vergessen werden unter den Menschen.« -- Die -Menschenseele lächelte. Eng schmiegte sie sich an die atmende Brust der -Seejungfrau. - -Droben, von der verschlafenen Erde, erhob sich die Nacht und zog ihre -schwarzen Schleier schleppend hinter sich her, über den Himmel. Da ward -es Licht auf der Erde. -- Es war aber alles noch den Augen der Menschen -verborgen; denn die Menschen sind ein blödsichtig Geschlecht, und sie -sehen nur, was ihre Augen ihnen zeigen. Aber die Tiere öffneten -ihre klugen Augen. Die Vöglein in der Luft flatterten hin über -die Wunschstadt, setzten sich neugierig auf die zackigen Türme und -zwitscherten hernieder von den Stangen der bunten Fahnen. Die klugen -kleinen Enten schwammen in den Wasserkanälen und erzählten schnatternd -von dem Schloß der Wasserfrauen, das sich zur Nacht aus Busch und Schilf -erhoben hatte. -- Verwundert blickte der Ackersmann, der mit seinem Gaul -dahergeschritten kam, Furche auf Furche durch die wilde Erde zu ziehen, -zu den Vöglein auf: wie konnten sie nur mit geschlossenen Flügeln in der -Luft schweben, als ob sie auf Bäumen säßen? -- Und die zwei Reiter, die -dort hintereinander über die Prärie jagten, sahen die Entlein auf dem -hohen Präriegras schwimmen wie im Wasser. Aber sie haben nicht Zeit, sich -lange zu verwundern -- da -- der gelbe Rücken des Puma taucht auf, den -sie gejagt -- der Schuß kracht aus der Büchse des Trappers -- der Pfeil -schnellt von dem Bogen des roten Mannes: gilt er dem König seines eigenen -Landes? gilt er dem weißen Fremdling da vor ihm? -- Hoch richtet er sich -im Sattel auf, daß die Adlerfedern in seinem schwarzen Schopfe nicken. -Was ist das? -- da -- glitt nicht der Puma hinab in blaues, kräuselndes -Wasser? Was ringt sich los aus den Nebeln? Das Roß des Trappers bäumt -sich, geblendet schützt der Indianer die Augen mit der Hand, und späht -und späht. -- Still lehnt der Ackersmann an seinem Gaul, sein Blick -sucht die Erde, seine Erde, die er bebauen muß. Und sie schauen, wie es -herauswächst aus dem Morgengrauen, weiß und still; wie es emporstrebt zum -Himmel, eine wundersame, andere Welt, die sie mit erhabenen Augen anschaut, -sie mit weißen Armen umfängt, sich wie weiße, stille, reine Gedanken in -ihre Seele senkt. Wie sie stehen und schauen, umweht es sie lind und kühl --- ein Hauch der Ewigkeit. - -Ein klein lustig Elflein aber zerrt den Puma, der verdutzt da kauert in -der Wunderwelt, an den Ohren zu einem Marmorsockel hin. »Da lieg', du -Wilder!« lacht es, und der Tiere König läßt willig sich in die Fesseln -der Schönheit schlagen. -- - -Horch! Es geht ein Brausen durch die Lüfte, ein Singen, Klingen, lieblich -Geläute: aus dem Morgengrauen erhebt sich der junge Tag, und sein -leuchtendes Auge weilt liebend auf dem weißen Wunder. - -Auf den blauen Fluten des Sees trieb ein zarter weißer Schaum. Ein -Sonnenstrahl irrte zu ihm hin und küßte ihn bebend. Da ward er zur -Leiche. Die Menschenseele war aufgestiegen aus den geliebten Wassern, um -zu sterben. Der See bebt, als sei er in seinen Tiefen erschüttert. In den -sprühenden Wogen aber taucht die Seejungfrau auf, an deren weißer Brust -des Toten Seele geruht hat. Ihr goldenes Haar glitzert auf den Fluten. -Klagend schlingt sie die weißen Arme um ihn, sein schönes, bleiches -Antlitz über Wasser haltend. So gleiten sie dahin über die murmelnde, -singende Fläche -- weit, weit hin, den weißen Tempeln zu. Und das Licht, -das die Seele getötet, liegt liebkosend auf der stolzen Stirn. -- -- -- - -Es kamen die Menschen und nahmen Besitz von der Wunschstadt in der neuen -Welt. - - - - -Welt-Ausstellung im Walde. - - -Draußen im Wald flüstern die bunten Bäume miteinander und streuen gelbe -und rote Blätter auf die braun sich färbende Erde, wie der Frühling -Rosen streut; der Herbstwind rauscht und raunt in den Zweigen, und eine -milde Herbstsonne glüht auf die Weinblätter am Eichenstamm, daß sie -tiefrot schimmern, wie lauter Blutstropfen. - -Am träge über Kiesel und trockene Aeste dahin murmelnden Bächlein nickt -ein grüner Zweig -- da leuchtet etwas Blaues auf, dann tönt ein Lockruf, -sanft, zärtlich, dringend -- jetzt die Antwort -- noch etwas Blaues -- -- -Zwei Vöglein sind's: blaue Flügel schwirren durch die Luft, und zartgrau -glänzt der Leib. - -»Was nur heute los ist!« sagte der eine Blauvogel zum andern, »keine -Fliege, kein Käferchen läßt sich sehen, alle ziehen dort hinein in's -Tannendickicht, und selbst die Mücken machen ganz ernsthafte Gesichter!« - -»Guten Abend, guten Abend, meine Herrschaften,« schnarrt es über ihnen. -Da hängt am Baumstamm ein goldgelbes Vögelchen. Zu welcher Klasse es -gehört, das weiß ich nicht (schlagt einmal in Nehrling's amerikanischem -Vogelbuch nach), aber es hämmert in die harte Baumrinde, daß es durch den -ganzen Wald schallt, und so wollen wir es kühn »Gelbspecht« titulieren. - -»Ja, ja, Sie haben Recht, es muß etwas im Walde sein bei dem kleinen -Getier,« sagt der Specht, »ich habe schon dieselben Beobachtungen -gemacht. Aber sehen Sie einmal da -- die Spinne!« An einem trockenen -Zweiglein hängt eine große Spinne, eifrig beschäftigt, silberglänzende -Fäden zu einem kunstvollen Netz zu verweben. - -»Was machen Sie denn da, Verehrteste?« fragt der Specht, als der -Zudringlichste; denn die Blauvögelein haben etwas Schüchternes, sie -mischen sich nicht gern in anderer Leute Angelegenheiten und sind nicht -weltgewandt wie der Herr Gelbspecht. - -»Ich spinne,« sagt die Spinne ernsthaft. - -»Ja, das sehen wir,« entgegnete der Specht, »aber, meine Gnädigste, was -spinnen Sie?« - -»Ein Netz,« sagt die Spinne. - -Die Blauvögel stoßen ein leises, glucksendes Lachen aus, und der Specht -hämmert entrüstet gegen den Baum. - -Jetzt schlingt die Spinne einen letzten Knoten und krabbelt langbeinig -davon: »Es muß fertig werden zur Ausstellung, die wird heute Abend -eröffnet,« ruft sie zurück. - -»Ausstellung?« fragen die poetisch-unwissenden Blauvögel und schlagen -verwundert mit den Flügeln. »Von was? Wozu? Davon haben wir noch nie -etwas gehört.« - -»Ja, das glaube ich,« lächelt der Specht mitleidig, »Ihr schwebt -ja immer in den Lüften und schwärmt für Sonnenuntergänge, düstere -Waldpartien mit Lichteffekten und dergleichen Humbug. Ich weiß wohl, das -Getier da unten auf der Erde hält eine Weltausstellung --« - -»O, da laßt uns hingehen,« jubeln die Blauvögel. »Aber wo ist sie -denn?« - -In der Nähe erhebt sich plötzlich ein nimmer endenwollendes Geschrei, -Gekrächze, Gejohle -- - -Der Specht wiegt überlegend sein gelbes Köpfchen: »Wißt Ihr was? Wir -wollen die Schwarzvögel fragen -- die wissen alles! Hört, wie sie -reden und schnattern? Die haben wieder Kaffeegesellschaft oder Loge oder -Gesangverein -- die ganze Eiche dort ist ja schwarz von lauter Staarherren -und Damen, und wenn ihre Sitzungen vorüber sind, wissen sie alles, was im -ganzen Walde passiert ist: wie viele Kinder die Madame Maus das letzte Mal -zur Welt gebracht hat, und wie es auf dem Grashüpferball hergegangen ist, -daß sie im Eichhörnchenturnverein sich fast geprügelt haben bei der -Sprecherwahl und daß der Gesangverein der Locusts sich geeinigt -- --« - -»Gibt's nicht, gibt's nicht! Nee, so blau,« piepst ein unverschämter -Spatz und fliegt dem Specht dicht vor dem Schnabel her in den nächsten -Baum. - -Der aber beachtet den naseweisen Gesellen gar nicht und spricht ruhig -weiter. - -»Ach, hören Sie auf, bitte, Herr Specht,« rufen die Blauvögel, »das -ist ja wie ein ›Eingesandt‹ in der Zeitung!« - -»Aber Kaffernreligion,« lacht der Specht. - -»Seht, da kommt Ihr Bruder -- »Ober-Edel-Erz« angeflogen! Halt, den -wollen wir uns kaufen!« - -»Oh, Herr Staar, wollen Sie nicht die Güte haben, sich hier ein wenig auf -diesen bequemen Baum zu bemühen?« - -»Man muß immer höflich sein mit den Leuten, wenn man etwas von ihnen -will,« flüstert der Schlaue den simplen Blauvögelchen zu, die vor -Erstaunen den Schnabel aufsperren. - -Der Staar krächzt freundlich der Bitte Gewährung, läßt sich auf einem -Ast etwas erhöht über den andern Vögeln nieder, wirft den Kopf in -den Nacken und dreht und wendet sich, daß seine roten und gelben -Logenabzeichen auf den Schultern in der Sonne schillern. Nachdem die -Vorstellung glücklich vorübergegangen ist, bei der der Herr Staar -herablassend den spitzen Schnabel gesenkt und die Blauvögelchen verlegen -die niedlichen Köpfchen geduckt haben, erkundigt sich der Gelbspecht in -den gewähltesten Ausdrücken nach der internationalen Ausstellung. - -»Jawohl, jawohl,« entgegnete Herr Staar würdevoll, »heute Abend ist -Eröffnung. Es soll ja etwas Großartiges werden. - -Sehen Sie, meine verehrten Zuhörer, es geht ein neuer Zug durch den -ganzen, alten Schlendrian, namentlich was Kunst anbelangt. Ich bin -ein weitgereister Mann, ich höre und sehe mancherlei. Ein krankhaftes -Verlangen nach etwas Neuem, Sensationellem, ein Hunger nach Aufregung, nach -Vernichtung des Alten, Hergebrachten, zieht durch die ganze Welt. Und wenn -sie auch auf Abwege geraten, in Irrtümer verfallen, das Falsche dem -Wahren vorziehen -- es ist doch alles nur der durch Jahrtausende immer -wiederkehrende und immer bleibende, große, unersättliche Durst nach --- Freiheit, der Angstschrei der Völker, der zum stillen, hohen Himmel -dringt. Und das macht sich auch in der Kunst bemerkbar -- -- ob zu ihrem -Nutzen und Frommen? Und in der Musik, ja, in der Musik --« hier räuspert -sich der Staar und blickt gen Himmel -- »ja, auch in der Musik gellt und -dröhnt und paukt und trompetet jener Freiheitsschrei in die Lüfte, die -Ohren der Zuhörer mächtig mit sich fortreißend. -- Nein, das geht -ja nicht. Ich -- ich -- ich lasse mich immer so von meinen Gefühlen -überwältigen, meine Lieben -- und« -- Ja, da bleibt der gebildete Staar -stecken. Mit Gesichtern voll Ehrfurcht und inniger Verständnislosigkeit -haben unsere Blauvögel die lange Rede angehört, während der Gelbspecht -mit philosophischer Gelassenheit äußert: »Das mag alles recht schön und -ersprießlich sein, verehrter Redner, aber so lange wie es genug Mücken -und Fliegen in der Luft gibt und wie ich nach Herzenslust an den Bäumen -herumhämmern kann, ist mir die ganze Wirtschaft furchtbar egal und um den -allgemeinen Freiheitsdrang kümmere sich der Kuckuck! - -Vorläufig wollen wir aber einmal diese merkwürdige Ausstellung ansehen, -wenn Sie, verehrter Herr Staar, uns gütigst führen wollen.« - -»Ja, ja,« rufen die Blauvögel und schlagen mit den Flügeln, und - -»Hier hinein, ins Tannendickicht, liebe Leute,« belehrt sie der Staar. -Und dann fliegen alle vier davon. Der Zweig über'm Bächlein nickt -gedankenverloren auf und ab, und das Bächlein murmelt und kichert dazu. - -Drinnen im Tannendickicht herrscht schon reges Leben, die Ausstellung -scheint im vollen Gange zu sein. Ein geschniegeltes Mäuseherrchen, den -Schnurrbart gewichst, die Oehrlein gespitzt, steht am Eingang als Portier. -Der Eintritt ist frei -- wie nach Bellamy im Jahre 2000 bei den Menschen, -gibt es im Tierstaate kein Geld -- und unsere vier Vögel flattern in das -Dickicht. - -»Ah, guten Tag, Herr Mäuserich,« sagt der Staar, der alle Welt zu kennen -scheint, »was macht die Frau Gemahlin? Hat sie sich vom letzten Wochenbett -erholt?« - -»Schönen Dank, bester Herr Staar,« entgegnete der glückliche -Mäusepapa, »alle zwölf wohlauf, aber es ist 'ne Last, die lieben -Kinderchen großzuziehen.« - -»Können Sie denn das nicht per Elektricität besorgen lassen? Heutzutage -sollte doch alles möglich sein -- Eier ausbrüten -- Kleinigkeit! -Warum nicht auch Kinderfüttern, Kinderprügeln, Kinderkriegen etc.?« -Mittlerweile hüpften sie weiter durch die verschlungenen Wege des -Tannendickichts. Zwar sind die Plätze einiger Nachzügler noch unbesetzt, -Vieles ist nicht ganz vollendet, wie ein halbfertiger Maulwurfshaufen -z. B., ein Sprungbrett, eine angefangene Wendeltreppe für Eichhörnchen, -ein prachtvoller Bau mit geheimnisvollen, unterirdischen Gängen, in -welchen Kaninchen noch eifrig beschäftigt sind, zu graben, und dergl. -mehr, aber im Ganzen scheint die Sache recht gelungen zu sein. - -Zwei wohlgenährte, etwas verschwiemelt aussehende Ratten, kleine Knüppel -in der Hand, Mützchen von im Wald gefundenem blauem Butterbrotspapier -über den dicken Nasen, eine weiße Sternblume auf der Brust befestigt, -marschieren würdevoll und bedächtig als heilige Wächter der Ordnung oder -Wächter der heiligen Ordnung umher. Und es ist auch nötig: das schwirrt -und summt und brummt durcheinander, und hüpft und tanzt und zirpt, daß -es wahrhaftig einer energischen Rattenpolizei bedarf, um das leichtfüßige -Gesindel in Ordnung zu halten. Doch vor unserer Vogelgesellschaft bezeigen -die Tierlein großen Respekt; sie halten sich in gewisser Entfernung -und verneigen sich achtungsvoll, sobald ein Blick aus Vogelaugen auf sie -fällt. Nur ein großer Hirschkäfer mit stattlichem Geweih nähert sich -mit höflich-gemessener Verbeugung und bietet sich den hohen Herrschaften -als Führer an, was mit Dank angenommen wird. - -»Sehen Sie, meine Hochverehrten, hier unser Kunstdepartement. Alles neu, -noch nie dagewesen. Sehen Sie, dies Spinnengewebe« -- die langbeinige -Spinne, die es vorhin so eilig hatte, steht daneben und begrüßt sie -mit einem Auskratzen ihrer langen Spinnenbeine -- »wie fein, wie zart, -geschickt die Fäden verknüpft! Und die fette, zappelnde Fliege darin, -jeden Tag wird eine frische gefangen und hineingesetzt -- das nenne ich -Naturalismus. - -»Schrecken der Hinterlist« ist es betitelt. - -Hier die noch lebende, schwer am Licht verbrannte Motte -- »Schrecken der -Aufklärungssucht«. - -Jener Schmetterling, dem eine rauhe Menschenhand den Duft von den zarten -Flügeln gewischt, nun kann er nicht mehr fliegen -- »Schrecken des -Freiheitsdranges«. Ach, und noch so vieles Traurig-Schauderhaft-Schöne! -Sehen Sie, die von Ameisen abgenagte Drosselleiche« -- die Vögel -schütteln sich und machen unangenehme Gesichter -- »und der glänzend -reine Katzenschädel« -- die Vögel nicken befriedigt mit den Köpfen, und -der Gelbspecht macht eine Bewegung, als wolle er die leeren Augenhöhlen -auspicken -- »wirklich eine recht sinnige Zusammenstellung. - -Bitte, blicken Sie hierher -- lauter Raritäten -- da, das so natürliche -Loch in der Erde, hier eine kleine Blätterhütte, ein Einsiedler-Heimchen -wohnt darin und zirpt bescheiden für sich allein, dort jene sorgfältig -getrockneten Heuschreckenleichen, eine Reminiscenz aus dem großen -Heuschrecken-Grashüpferkrieg. -- Und hier, bitte, sehen Sie einmal durch -dies Loch im Tannendickicht -- nicht wahr, ein reizendes Panorama: im -Hintergrund die Wolken als Schneeberge, davor ein einsamer, schwebender -Rabe -- großartig, nicht wahr?« - -»Aeußerst großartig,« meint der Specht, »aber was stellt es vor?« - -»Es ist auch ein Kriegsbild: Eine vergessene Heuschreckenleiche!« (Frei -nach Wereschagin.) - -Die Vögel sehen sich erstaunt unter einander an, suchen die Leiche und -erklären, nun einmal etwas Anderes sehen zu wollen. Das gibt es ja auch -in Hülle und Fülle für jede Geschmacksrichtung. Hier, ein Eiffelturm -aus Eicheln, ein Eichhörnchen sitzt oben drauf, zeigt auf Kommando sein -buschiges Schwänzchen und knackt Nüsse zur allgemeinen Belustigung, -dazu marschieren allerliebste kleine Nagetierchen kauend durch die -Zuschauermenge und bieten goldgelben Harz-Chewing-Gum als Erfrischung -an. Da ist eine Grotte aus kleinen Tropfsteinen und Tannenzapfen, -geheimnisvolles Dämmerlicht; einige Glühlichtwürmchen leuchten dazu, -auf grauen, trockenen Blättern und Gräsern sind vorgestrige -Regentropfen gesammelt, die schimmern wie Wasserfluten, und ein schlankes -Grillenfräulein, die Grillenbeine mit Schleiern aus glänzendem, -flatterndem Altweibersommer bewickelt, als Fischschwanz, bewegt sich -rhythmisch hin und her und fährt mit den langen Vorderbeinen sich graziös -über den Kopf, als kämme sie sich. - -»Was macht die da drinnen?« fragt der eine Blauvogel neugierig, während -der andere starr vor Erstaunen dasteht. - -»Ich bin unten Melusine und oben Loreley,« sagt das Grillenfräulein, -»denn ich habe einen Fischschwanz und kämme dazu mein goldenes Haar.« - -»Ja so,« sagt der Specht. - -Dicht daneben tanzen ein paar Grashüpferdamen Ballett auf einer Schaukel -von Grashalmen, und springen so hoch, daß man sie kaum noch sehen kann, -während auf der andern Seite ein paar Mäusejünglinge in grauen Tricots -mit aus Nußschalen gedrechselten Bällen auf kunstgerechte Weise Baseball -spielen. - -Dieser ganze Wirrwarr, der Lärm und das Getöse, dies Hin und Her, -wirkt ungeheuer ermüdend auf die Nerven ungeübter Zuschauer, und unsere -Blauvögel piepsen und flüstern miteinander, und fühlen sich recht -ungemütlich. - -»Musik, meine Herrschaften, hören Sie unsere allermodernsten Vorträge,« -ruft jetzt der Hirschkäfer. Alles stürzt nach einem hübsch mit -Tannennadeln bestreuten freien Platz. Auf einem Tannenzapfen steht -erhobenen Armes eine große Locuste, so eifrig gestikulierend, daß ihr die -Augen vor den Kopf treten; und um sie her scharen sich allerlei musikalisch -beanlagte Tiere. Nun gibt der Herr Kapellmeister das Zeichen, indem er -seine Fühlhörner weit ausstreckt, und das Konzert braust durch das -Tannendickicht. Sämtliche Grillen des Waldes zirpen so laut sie können, -dazu schnarren die Locusts, pfeifen die Mücken, brummen die Käfer -aller Art; die Kaninchen gebrauchen kräftig ihre Trommelstöcke -- ein -Höllenlärm! - -»Ist das nicht herrlich?« fragt der Hirschkäfer unsere Vögel. - -»Sehr schön,« entgegnete der Gelbspecht, »nur etwas unverständlich.« -Der Staar macht ein sehr gebildetes Gesicht, und die Blauvögel meinen -schüchtern: - -»Es ist aber recht eintönig, und immer so dudelig.« - -»Das ist ja gerade das Schöne,« sagt stolz Kapellmeister Locuste, -»sehen Sie, wie gut Sie es verstanden haben? Es war unsere Nationalhymne --- der Moskito-Doodle!« - -Den Blauvögeln kam die Sache immer problematischer vor, und als vollends -der Herr Mistkäfer mit der ganzen Familie auf sie zukommt und sie -freundlich auch mit dem Nützlichen der Ausstellung bekannt machen will --- die verschiedenen Blätterpräparate, wie Regenmäntel, Schirme und -schützende Laubdächer und Haushaltungsgegenstände aller Art; ferner -Delikatessen: Tauwein über Grashalme abgezogen, dazu Konfekt mit dem -kuriosen Namen Fliegendreck, Misthäufchen, Schneckengelee etc. -- da -fliegen unsere Blauvögel entsetzt kerzengerade in die Höhe und davon, und -auch der Herr Staar, trotz seiner Gleichheitsideen, meint: »es wäre doch -recht gemischte Gesellschaft, und überhaupt vertrüge sich die Heiterkeit -dieser Ausstellung nicht mit seiner ernsten Geistesrichtung,« während -Herr Gelbspecht übermütig erklärt: - -»Nein, mir gefällt es hier famos! Ich will erst den ganzen Schwindel -sehen, und wenn mir die dicke, fette Fliege da morgen im Sonnenschein -begegnet, so fresse ich sie auf vor lauter Liebe.« - -Hoch oben auf einer Berghöhe, von wo man weit über Baum und Strauch -hinüberblickt -- dahin haben sich die Blauvögelein geflüchtet, und der -Staar gesellt sich zu ihnen, weil er just nichts Besseres zu thun hat. -Außerdem hält er die Blauvögel für recht belehrungsbedürftige Wesen, -denen eine kleine Pauke über »die langsam sich vollziehende Umwälzung -der Weltordnung« gar nichts schaden kann. - -Aber unsere blauen Waldvögelein werden hier oben in der Einsamkeit -selber so beredt, daß dem wohlmeinenden Staar nichts übrig bleibt, als -zuzuhören. - -»Blick' um Dich,« singen sie, »das ist unsere Ausstellung, das ist -unsere Freude und die Freude der ganzen Welt. Sieh', wie die bunten -Blätter die Bäume schmücken, wie die glührote Weinranke die dunkle -Tanne zärtlich umfängt. Horch! _Unser_ Konzert! Wie das rauscht und -flüstert in den Zweigen, wie der stürmische Herbstwind in den Blättern -tost, und sieh', wie der schönfarbige Schmetterling die geliebten -Herbstblumen umgaukelt! Und blick' um Dich: die Sonne geht zur Rüste, sie -glüht und leuchtet noch einmal und dann sinkt sie in ihr zartes, graues -Wolkenbett und vergoldet es mit ihrem Schein, und ein strahlender Rand -zieht sich um die seltsamen Wolkengebilde. Ist das nicht schön? Ist das -nicht herrlich! - -Und horch! da unter uns am Fuß des Baumes -- das sind Menschen! Ein -seltsam Geschlecht -- kluge Gedanken und weiche Herzen -- Ich liebe sie, -wenn sie zu Zweien im Walde wandern, wie diese hier. Hör', was sagen -sie?« -- Ja, es sind Menschen -- ein Mann und ein Weib. Und durch des -Mannes dunkles Haar ziehen sich Silberfäden, und auf des Weibes glatter -Stirn hat das Leben zarte Furchen gezogen. -- - -»Sieh', liebes Weib,« sagte der Mann, »diese frühen Herbstblätter -in dem grünen Wald erinnern mich an meine weißen Haare, an Deine ersten -Falten auf der Stirn. Ach, Kind, spät ist's schon im Leben, und jetzt erst -lernen wir das Glück kennen!« - -»Liebster,« entgegnet sie, »sieh', wie die Sonne strahlend und -liebkosend über die Baumstämme gleitet, wie alles noch einmal in voller -Pracht glänzt, glüht und leuchtet -- zum letztenmal, ehe es Winter wird. -So freuen wir uns jetzt noch einmal des Glückes und der Liebe, ehe _unser_ -Winter kommt. Liebster, wie schön ist die Welt und das Leben!« - -Da zieht der Mann das holde, ernste Weib an sein Herz und küßt die Falten -auf der blassen Stirn, und das Gesicht des Weibes glüht und blüht nun, -wie die Rose in ihrem Lebensfrühling. - -Sie sehen hinüber, bis die Sonne verlischt. -- Und die Vöglein lauschen, -und der Staar meint: - -»Die verlangt's auch nicht nach Veränderung, und die denken auch, gerade -wie ihr dummen, kleinen Dinger, das Leben sei doch schön. Merkwürdig! Und -die Welt soll doch so schlecht sein, sagen sie im Verein für Freiheit und -sittlichen Umsturz. Was ist nun wahr? Darüber muß ich auf einem einsamen -Eichenwipfel etwas näher nachdenken.« - -Er spreizt seine dekorierten Flügel und fliegt von dannen. Blauvöglein -aber locken in den Abend hinein und setzen sich dicht nebeneinander auf -einen Zweig und plustern sich und träumen. Die sanfte Nacht kommt gezogen -und breitet ihre schwarzen Fittiche lind über die müde Erde -- -- über -selige, herbstliche Menschenkinder, über plusternde Blauvögelein und -melancholische Staare -- ja, und über all das kriechende, sich duckende, -hochmütige, aberwitzige Volk und den weltklugen Gelbspecht in der -Weltausstellung im Tannendickicht. -- - - - - -Das Märchen von Einem, der auszog, ein Sonntagskind zu werden. - - -Die braune Drossel saß auf einem hohen Baume im Garten und zwitscherte: -»Es ist Sonntag heute. Der Sonntag sitzt mitten im Frühling und hat eine -Krone von Blüten auf dem Haupte, und --« - -Weiter konnte man nichts hören, denn die Sperlinge, denen die Drossel das -erzählte, piepsten und schrieen und zankten so durcheinander, daß die -Drossel auf und davon flog. Was ging es auch die Stadtspatzen an, was die -Walddrossel zu erzählen hatte! - -Die bleiche Frau Sehnsucht aber stand am geöffneten Fenster ihres Hauses -und sah der Drossel nach. »Ach,« seufzte sie, »wer doch ein Sonntagskind -wäre und verstehen könnte, was die Vögel singen! Ach, und wenn nur das -Kind, das ich gebären werde, ein Sonntagskind würde, dann wollte ich gern -glücklich und zufrieden sein.« - -Als aber ihre schwere Stunde kam, da war der lachende Sonntag noch nicht -aufgestanden, und der stille Sonnabend lehnte noch an der kleinen Wiege mit -großen, müden Augen. Er legte eine kühle Hand auf die Stirn des kleinen, -roten, zappelnden Dinges, das mit geballten Fäustchen unter dem Deckchen -herumarbeitete und mit Zornesfalten im Gesicht in die Welt hinausschrie. - -»Nur eine Viertelstunde zu früh,« seufzte die blasse Frau Sehnsucht, und -zwei heiße Thränen fielen auf die geschlossenen Augen des Bübchens in -ihrem Arm. - -Der kleine Bursche aber wuchs kräftig heran und wurde so stark, daß die -ungezogenen Buben in der Nachbarschaft ihm gern aus dem Wege schlichen. -Er stand an seiner Mutter Knie gelehnt und lauschte mit leuchtenden, -wundersamen Augen, wenn sie von den Sonntagskindern erzählte, wie sie gar -so klug sind und wissen, wie die Welt geht, und verstehen, was die Tiere -sprechen, und wie sie den Wolkenflug deuten können. -- »Warum kann ich -nicht jetzt noch ein Sonntagskind werden?« rief er zornig. Dann sprang er -hinaus in den Garten und legte das Ohr auf die Erde, ob er nicht das Gras -wachsen höre, wie ein richtiges Sonntagskind. Er hörte wohl ein zartes, -leises Murmeln, aber ob es nicht die kleinen Käfer und Ameisen waren, die -da raschelten, das wußte er nicht zu sagen. Er stand unter den Bäumen und -hörte zu, was die Vögel sangen; es war ihm, als verstände er einzelne -Worte, wie Sonnenschein, Glück, Blütenduft; aber er war doch nicht -sicher, ob es ihm nicht sein eigenes Herz zugeflüstert hatte. Und weinend -lief er hin zu seiner Mutter und trotzte: »Ich will doch ein Sonntagskind -werden!« - -»Der Sonnabend leidet's nicht,« sagte Frau Sehnsucht traurig. »Und es -war doch nur eine Viertelstunde!« - -»Es muß in den Büchern stehen,« sagte der Knabe, als er in die -Schule ging. Und er lernte alles, was in den Büchern stand und wurde ein -berühmter Mann. Von weit, weit her kamen die Menschen nach dem kleinen -Häuschen der Frau Sehnsucht und wollten von dem jungen Gesellen Antwort -haben auf ihre neugierigen Fragen, und er sagte ihnen alles. Aber insgeheim -glaubte er selber nicht an das, was er ihnen so gelehrt auseinandersetzte; -hatte er doch in keinem Buche Bescheid auf seine einzige Frage erhalten: -Wie er es anfangen könne, ein Sonntagskind zu werden? -- Als nun eines -Tages wieder einmal ein paar kluge Professoren kamen, die aber doch nicht -so klug waren, wie er, und die spitzigen Zeigefinger an die spitzigen Nasen -legten, und ihm die wichtige Frage stellten: Wie kommt es, daß der -Mensch die Nase mitten im Gesicht hat? -- da fielen dem Gesellen seine -Riesenkräfte ein. Er warf die Professoren mitsamt der ganzen Universität -zur Thür hinaus, reckte und streckte sich einmal, that einen tüchtigen -Jauchzer und sagte zur Frau Sehnsucht: - -»Mutter, jetzt ziehe ich in die Welt hinaus, dem Sonntag nach, und komme -nicht eher wieder, bis ich ihn eingeholt habe.« - -Frau Sehnsucht legte ihre weißen Hände auf sein lockiges Haupt und -küßte ihn. Dann schloß sie die schönen, traurigen Augen für immer. - -Der Geselle aber zog in die Welt hinaus. Er sah die goldene Sonne am Himmel -stehen und er sagte: »O Sonne, güldene Sonne du -- ich suche, suche immer -zu. Zeig mir den Weg, wohin ich geh', o Sonne, güldene Sonne du!« Aber -die Sonne lachte ihn aus und antwortete nicht und ging weiter, immer -weiter, bis er sie zuletzt gar nicht mehr sehen konnte. Da kam er in einen -großen Wald, darin reichten die Bäume bis in den Himmel, seltsam große -Blumen standen am Wege und sahen ihn an, und bunte Vögel flogen sprechend -von einem Ast zum andern. - -»Sagt mir's, ihr Bäume, duftet, Blumen, rauscht mir's, ihr Winde, -murmelt, ihr Quellen -- wie fange ich es an, daß ich ein Sonntagskind -werde?« rief der Geselle. - -Da kicherte und lachte es an allen Ecken und Enden. Schelmische -Mädchengesichter tauchten aus den Kelchen der seltsamen Blumen empor und -nickten ihm lächelnd zu. An den Schlinggewächsen turnten winzige nackte -Engelsbübchen, die warfen mit duftenden Blütenblättern nach ihm, und -ein Rauschen und Raunen zog durch den ganzen Wald, daß der Geselle gewiß -alles erfahren hätte, was er wissen wollte, wenn er nur eine Viertelstunde -später auf die Welt gekommen wäre. Zuweilen war es ihm wieder, als -verstände er ein paar Worte, und horch! klang's nicht im Windesrauschen, -wie: Bis an's Ende der Welt? Kopfschüttelnd ging der Geselle weiter. - -Da wurde mit einemmal der Wald hell und licht; das kam von einem schönen -Stern, der fiel vom Himmel nieder, und sieh' -- der Stern nahm Gestalt -an, so schön und sanft wie die Mutter ausgesehen hatte, und seine Augen -strahlten still und traurig, wie die der Frau Sehnsucht. Die schöne -Sternenfrau aber sprach: »Ich will dir Antwort auf deine Frage geben. Gehe -weiter, immer weiter, bis du ans Ende der Welt kommst. Dort wirst du den -Baum der Erkenntnis finden. Wenn du von diesem ein Blatt brichst, dann -wirst du erfahren, was du wissen willst. Aber spute dich! der Weg ist -weit.« - -Der Stern stieg langsam auf gen Himmel, es wurde immer lichter, der Wald -verschwand und der Geselle stand ganz allein auf einer großen Heide, über -die der Wind pfiff. - -»Bis ans Ende der Welt? -- da kann ich meine Füße in die Hand nehmen, -wenn ich noch ankommen will,« sagte er und wanderte fürbaß. Weil's ihm -aber einsam am Wege war, sang er sich das Liedel von dem andern Gesellen: - - »Ein fahrender Geselle durchzog die weite Welt, - Zu suchen nach der Stelle, wo's immer ihm gefällt. - - Doch nimmer mocht er rasten, und nirgend fand er Ruh, - Ihn trieb's zum Weiterhasten, nur weiter! immer zu! - - Er hatte durchstudieret den ganzen Bücherwust, - Mit Wissen ausstaffieret das Herz in seiner Brust -- - - Da fluchte er dem Buche, sah an es nimmermehr: - Das ist's nicht, was ich suche! Das Glück, das Glück gebt her! - - Und kommt er in das Städtchen und winkt ihm aus dem Thor - Das liebe braune Mädchen mit Schelmenaug' hervor -- - - Laß küssen dich, du Feine! -- Schaut ihr ins Angesicht; - Du bist's nicht, die ich meine! -- er da voll Trauer spricht. - - Da ward aus dem Scholaren ein flotter Kriegersmann, - Auch lernt er mit den Jahren, daß man sich bücken kann, - - Und fromme Verse schmieden von Freiheit und von Blut, - Und vor dem Bürgerfrieden voll Ehrfurcht zieh'n den Hut. - - Doch alles wollt nicht frommen, was er sich auch erdacht. - Das Glück wollt ihm nicht kommen -- hörst, wie's von Ferne lacht? - - Da ward aus ihm ein Zecher, der zecht' von früh bis spat, - Bis ihm der leere Becher vom Munde sinken that. - - Lag denn das Glück im Weine? -- Der heilte allen Gram. - Doch weh -- auch nur zum Scheine, nur bis der Morgen kam; - - In seinem grauen Schimmer, wie lag so leer die Welt! -- - Die Nacht verheißt uns immer, was nie der Morgen hält.« - -Als der Geselle sein Liedlein ausgepfiffen hatte, da führte ihn der Weg an -einem Königreich vorbei, und weil die Thür bloß eingeklinkt war, ging er -hinein. Die alte Reichsmauer wackelte hin und her, als er eintrat, und das -Thürschloß behielt er gar in der Hand, so morsch war der Griff. In dem -Königreich saß der König auf einem Throne, der wackelte, und hatte eine -Krone auf dem alten, wackligen Haupt, die wackelte auch. Die Räte um ihn -her hatten kleine Zöpfchen im Nacken, die wackelten, und die Räte selber -wackelten, und das ganze Königreich wackelte. Und weil nun alles so -wacklig war, da nahm der Geselle sein Bein und gab der ganzen Wackelei -einen Tritt; da fiel alles um, und der Geselle sah lachend zu, wie der -König und die Krone und die Räte mit ihren Zöpfen und das ganze morsche -Königreich durcheinander purzelten. Des Königs schöne Tochter aber fing -er in seinen Armen auf; doch als er sie küssen wollte, da welkte sie hin -und lag tot an seiner Brust. Ihre Seele verwandelte sich in einen schönen -weißen Vogel, der kreiste über des Gesellen Haupt und sang ihm zu: - - »Weil' nicht am Wege, - Er ist noch weit; - Noch ist die neue, die selige Zeit, - Noch ist sie nimmer geboren.« - -Als der Geselle nun weiter ging, kam er an eine große, große Stadt, -darin war eitel Freude und Lustigkeit, das ganze Volk tanzte und sprang -und geberdete sich wie toll. In den Moscheen, Kirchen, Freiheitstempeln -läuteten die Glocken und große Götzen saßen darin, die machten mit -schrecklichen Grimassen die Mäuler auf, und dann warf das Volk alles -Schöne und Gute den Götzen in den Schlund, und das Häßliche und Gemeine -stand grinsend auf den Schultern der Götzen, und das Volk jubelte ihm zu. --- Da faßte den Gesellen ein grimmer Zorn, er hob sein gutes Schwert und -schlug zu, und schlug den Götzen die Köpfe ab. Aus den Rümpfen stieg ein -starker, grauer Dunst auf, wie eine Weihrauchwolke, der lagerte sich hin -über die Stadt und erstickte all das lärmende Volk, daß es tot dalag. -Ueber der Nebelwolke aber schwebte ein neuer, schöner, weißer Vogel und -gesellte sich dem andern zu; sie umkreisten den Gesellen und sangen ihm zu: - - »Weil' nicht am Wege, - Er ist noch weit; - Noch ist die neue, die selige Zeit, - Noch ist sie nimmer geboren.« - -Als der Geselle nun weiter ging, kam er an einen hohen, hohen Berg, darauf -wimmelte es von Menschen. »Ist hier das Ende der Welt?« fragte er. -»Was?« riefen sie ihm von der Spitze des Berges zu, »das Ende der -Welt? Bewahre! Hier fängt die Welt erst an!« -- Als nun der Geselle oben -angekommen war, sah er, daß all' die Menschen ihr eigenes Ich genommen und -es vor sich hingestellt hatten; und nun drehten sich die Körper um das Ich -in der Runde und sangen feierliche Weisen und beteten es an. »Siehst du,« -riefen sie ihm zu, »das ist es, was du suchst. Wir sind die Welt, wir sind -das All, wir, unser eigenstes Ich. Wir wissen alles, wir können alles, wir -lieben uns, wir beten uns an.« -- Voll Verwunderung stand der Geselle und -sah dem seltsamen Treiben zu. »Aber wie könnt ihr denn leben, wenn ihr -euer eigenes Ich aus euch herausgenommen habt?« -- »Wir zehren von seinem -Anblick, er ist uns Nahrung, Luft und Licht. Wenn wir unser Ich ansehen, -werden wir so von seiner Größe und Erhabenheit durchdrungen, daß wir -unsere körperlichen Beine aufheben und tanzen müssen, und dann schreien -wir von diesem hohen Berge das Heil des Ichs in die Welt unter uns hinaus, -damit auch sie daran glaube und selig werde.« - -Da faßte den Gesellen, als er ihre seelenlosen Köpfe und verdrehten -Glieder sah, ein ungeheurer Ekel. Er nahm seine starken Fäuste und -schleuderte einen der tanzenden Körper nach dem andern in die Tiefe, und -wenn sie gegen die Felsblöcke, die am Fuße des Berges lagen, anprallten, -dann platzten sie mit einem Knall, wie ein aufgeblasener Pilz im Walde, auf -den du unversehens trittst. »Jetzt spiele ich Kegel mit den Püstern!« -sagte der Geselle. -- Dann nahm er alle die angebeteten Ichs, die entseelt -zu Boden gesunken waren, schichtete sie aufeinander, wie einen Holzstoß, -und zündete sie an, daß die rote Lohe weithin in die Welt schien. Aus den -Flammen aber flog wieder ein schöner, weißer Vogel -- denn aus allem, was -zu Grunde geht, wächst doch noch ein Schönes -- und er gesellte sich -zu den andern, und sie umkreisten ihn. Aber sie sangen nicht mehr, ihr -Flügelschlag wurde immer lautloser. Und doch war es dem Gesellen, als -trieben diese weichen Flügel ihn weiter, hin über trotzige Felsblöcke, -an denen sich seine Füße blutig stießen, über weite gefrorene Seen, -über denen er hinglitt wie über einen Spiegel. Er wußte nicht mehr, -ob er schon lange gewandert sei oder eben erst die schlanke, kühle Hand -seiner Mutter, der Frau Sehnsucht, auf seiner Stirn gefühlt hatte. Er -wußte nur noch, daß er weiter, immer weiter getrieben wurde. Endlich sank -er erschöpft zu Boden. Als er die Augen öffnete, lag er auf einer weiten -Ebene. Schöne Tiere traten an ihn heran und betrachteten ihn mit stillen, -klaren Augen; aber sie waren stumm. Vögel schwebten über ihn hin; aber -sie sangen nicht. Blumen blühten an glänzenden Bächen, aber das Wasser -murmelte nicht; der Wind, der durch die Zweige strich, rauschte nicht -- -es war tiefe, tiefe Stille. Lautlos flogen die drei weißen Vögel vor -dem Gesellen her. -- In der Ferne, am Ende der Ebene, schwebte eine weiße -Wolke. Als der Geselle näher kam, sah er, daß es tausend und aber tausend -von ebensolchen großen, weißen Vögeln waren, wie die, die ihn begleitet -hatten, und er dachte daran, wie viele Menschen wohl gleich ihm denselben -Weg gemacht hatten, wie viel erst zertrümmert werden mußte, damit diese -Wolke sich hatte bilden können. Die weißen Vögel umkreisten leise, leise -einen starken, grünen Baum, dessen viele Zweige gingen auf und nieder -zwischen Erd' und Himmel. Der Baum blühte nicht und trug keine Früchte, -er hatte nur unzählige grüne, kraftstrotzende Blätter. Die drei weißen -Vögel aber, die den Gesellen begleitet hatten, mischten sich unter die -andern, die in den Zweigen des Baumes nisteten, so daß er sie nicht mehr -unterscheiden konnte. Und wie er so in der weißen Wolke stand, und der -weiche Flügelschlag der schönen Vögel seine Stirn fächelte, da war es -ihm, als höre er die Worte: - - »Weil' nicht am Wege, - Nicht ist er mehr weit. - Wir kreisen und hüten die kommende Zeit, - Wir weben ihr reines, ihr glänzendes Kleid -- - Im Baum schläft sie sicher geborgen.« - -Da streckte der Geselle die Hand aus und brach eines der saftgrünen -Blätter. Es fiel ein Tropfen, rot wie Blut, in seine Hand. Da zog sein -ganzes Leben an ihm vorüber: er sah sich, wie er immer dem Sonntag -nachgejagt war, alles andere darüber vergessend; er sah, wie er nicht die -Welt und sie nicht ihn verstanden hatte, denn er war ja eine Viertelstunde -zu früh geboren. Wie er auf das Blatt in seiner Hand hinschaute, lange, -lange, da bleichte sein Haar, seine Stirn begann sich zu runzeln, sein -starker Körper bog sich zur Erde. Aus dem Manne ward ein Greis, und nun -wußte er, wann er den Sonntag einholen würde. -- Er sah auf und sah die -weißen Vögel, die mit ihren stillen, großen Flügeln einen starken Wind -erhoben; der wehte ihn fort, weit fort, den Weg zurück, den er gekommen -war. Auf dem Berge glühte noch das Feuer, über der Stadt lag der Dunst, -das zerfallene Königreich bröckelte am Wege -- er schaute nicht um -danach. Er ging durch den dunklen Wald, darin die Bäume regungslos -standen. Er ging und ging, bis er in das Stübchen kam, in dem Frau -Sehnsucht die schönen, traurigen Augen für immer geschlossen hatte. -Da setzte sich der greise Geselle ans Fenster und schaute in den Garten -hinein. - -Auf dem Apfelbaum saß die braune Drossel und erzählte den Spatzen: »Es -ist Sonntag heute. Der Sonntag sitzt mitten im Frühling und hat eine -Blütenkrone auf dem lachenden Haupte, und die Blumen bringen ihm ihre -Düfte, und die Winde tragen den Duft hin über die Stirnen der Kinder, die -heute geboren werden.« - -Da nickte der Greis am Fenster und lächelte. Er schloß die Augen, und -seine Seele zog vor des Sonntags Thron, damit sie als Duft auf die Stirn -eines neugeborenen Sonntagkindes gelegt werde. -- Im Tode war der Geselle -ein Sonntagskind geworden. - -»Es ist Sonntag!« sang die Drossel. »Das ist etwas ganz Alltägliches,« -piepsten die Spatzen, »das passiert jede Woche einmal.« - - - - -Rauch. - - -Es war einmal ein kleiner Schmiedegeselle, der war es müde, immer am -Amboß zu stehen und Gedanken zu hämmern. Er hätte gar zu gern gesehen, -wie sich die Gedanken ausnahmen, noch ehe sie zum Schmiedematerial -zusammengegossen waren. Eines Tages hatte er mit heller Lust ein paar -kräftige Gedanken, die im Feuer glührot und geschmeidig geworden waren, -zu ein paar starken Hufeisen zusammengeschweißt; die Funken sprühten, -wenn man damit auf einen Stein schlug. Da klopfte ihm der große Meister -auf die Schulter und sagte: - -»Geselle, geh' auf die Wanderschaft.« - -Und da zog er aus. -- Als er wegging, schien die Sonne hell, obwohl es -mitten im Winter war; der Himmel hatte überall blaue Batzen auf die -Wolkenlöcher gesetzt, und der Wind hatte dazu gefiedelt: - - Die Erde hat sich schlafen gelegt, - Mit weißem Lailach zugedeckt, - Der rasche Wind den Himmel fegt, - Bis er die Sonne hat erweckt. - - Nun scheint sie hinunter auf den Schnee - Und lacht hinweg ihn nach und nach: - Wenn auch die Welt sich duckt in Weh; - Sie wird doch einmal wieder wach. - - Dann jauchzt sie auf in grüner Lust, - Hüllt sich in lauter Liebe ein -- - Und ahnend klingt's in deiner Brust: - Im Winter ist es auch gut sein! -- - -Als aber der kleine Schmiedegeselle ein Stücklein Wegs gegangen war, da -sah er eine schwere dunkle Wolke in der Ferne schweben, und je näher er -kam, desto trüber wurde es um ihn her, bis schließlich Himmel und -Erde und die ganze Welt schmutzig aussah; und er sah, daß es ein ganzes -Sammelsurium von Häusern war, das alles so finster machte. Die Häuser -waren so hoch, daß sie die Wolken an den Fußsohlen kitzeln konnten. - -Der kleine Schmiedgeselle stand und guckte an so einem hohen Kasten in die -Höhe: - -»Könnt ihr da oben durch die Wolken sehen?« fragte er, »und die Sonne -auf der andern Seite scheinen sehen? -- Eia, das muß schön sein!« - -»Da, komm nur mit in das Loch hinein, kleiner Wurm,« sagte ein Mann neben -ihm, schob ihn vor sich her, und schwupp! flogen sie in einem viereckigen -kleinen Kasten so schnell himmelan, daß es dem Gesellen ganz übel wurde. - -Der Mann lachte spöttisch aus ein paar klugen Augen. - -»Ja früher,« sagte er, »wenn der Teufel einen armen Handwerksgesellen -holte, da flogen sie miteinander auf schwarzen Gespensterflügeln in die -Tiefe hinab. Wir machen das jetzt per Elektricität und fliegen himmelan.« - -Erschrocken sah das Gesellchen zur Seite, erblickte aber nur einen ganz -einfachen Menschen, der ein ganz klein wenig hinkte. Nur seine Ohren waren -so sonderbar lang und schmal; wenn er lachte, schienen sie sich zu spitzen, -und er lachte so, daß der Schmiedegeselle mitlachen mußte, und das Ding, -in dem sie saßen, vor Vergnügen in die Höhe sprang. - -Dann waren sie oben. Das war ein großes, flaches Dach mit Kieselsteinchen -bedeckt, als ob sie drauf geregnet wären. Allerlei Verzierungen sprangen -an den Ecken auf und auf zwei kleinen Säulchen saßen vergoldete Zierate, -die sahen aus wie Champagnerpfropfen. - -»I, da schlag' doch der Teufel den Herrgott tot!« rief der Mann mit einem -vergnügten Grinsen, »da hab' ich doch gedacht, ich könnte dem kleinen -Wurm das ganze Riesentreibhaus auf einmal zeigen, und nebendran das -große Wasser, in dem man eigentlich die nichtsnutzige Brut gleich wieder -ersäufen sollte, nachdem man sie hervorgebracht hat -- und da -- nichts, -aber auch rein gar nichts, als das wüste Gebrodel, das mein Vetter, der -große Nebel, so erstaunlich schön herauszukriegen versteht. Er ist ein -ganz gelungener Kerl, sage ich dir, und dabei ein Phantast, trotz seiner -Schwere. Und unbeständig ist er, nirgends zu fassen. Der geht in einer -Minute alle Ideen der Welt durch, um schließlich mit seinem grauen -Einerlei platt über die ganze Erde hinzufallen, daß man drunter ersticken -sollte. Uff! wie schwer er schon wieder herunterhängt. -- Und siehst du, -mit einemmal reißt er sein langes Hemd in Fetzen entzwei und tanzt herum -wie ein toller Bacchant. Zum Verzweifeln für einen feierlichen Kerl!« - -Dabei nahm er einen gespreizten Ton an, schob die linke Hand zwischen die -Brustknöpfe seines Rockes und hob das Haupt mit einem idealischen Schwung. -Als das Gesellchen ihn entsetzt ansah, schnitt er plötzlich allerlei -Grimassen, liebkoste ein paar kleine, niedliche Bockshörnchen, die -zwischen dem Kraushaar über der Stirn hervorwuchsen, und spitzte seine -Faunsohren nach dem Wind. Nachdem er den kleinen Schmiedegesellen genügend -verwirrt hatte, fing er an, ihm ernsthaft allerlei Erklärungen zu geben. - -»Sieh',« sagte er, »das ist der große Hexenkessel, Höllengebrodel, da -werden alle die Gedanken ausgekocht von dem Menschenpack, das tief unten -mit Beinen, Händen, Köpfen oder Magen schuftet; und die nehmen dann -Gestalt an, und paß einmal auf, da aus den Tausenden von Schlöten fahren -sie hinaus in den Nebel, der verschlingt sie, wird groß und stark daran, -wächst und wächst bis einmal die Welt ein großer Gedanken-Nebel geworden -ist. Dann kommt die Zeit für uns Faune, uns Satanskerle, Teufelsstricke, -und wir ziehen gegen den Nebel zu Felde, gegen meinen großen Vetter -- -da kämpfen wir, das ewige, blühende, lachende Leben gegen die blassen, -umnebelten und vernebelten Gedanken. -- Sieh', da fliegen sie --« - -Der kleine Schmiedegeselle hatte derweilen stumm in das graue Meer -geschaut, drin es wogte und zerrte, drin die Schornsteine und Schlöte der -vielen, vielen Häuser hineinragten und schwere Dampfwolken entsendeten, -schwarze, dicke, schmierige, lichte, flinke, weiße oder rötlich -scheinende, von den Flammen tief drunten, die zuweilen bis zum Kamin -herausschlugen. Es sah aus, als ob die himmelhohen Häuser der Riesenstadt -eigentlich ganz klein hoch in der Luft ständen, nur mit den großen -Schlöten daran; als ob da unten auf der Straße eine ganz andere Welt sei, -und nur ganz fern, fern, wie das Bienengesummse an einem Sommermittag am -Kornfeld, drang das Getrappel, Gerolle, Getose herauf zu dem Dach, wo die -Wolken mit ihren schweren Fittichen des kleinen Gesellen Haupt streiften. -Der stand und schaute. Der wunderliche Mann saß neben ihm, deckte ein Bein -mit dem andern und deutete mit dem langen, ausgestreckten Zeigefinger bald -auf diesen, bald auf jenen Schornstein, und er grinste spöttisch dazu, -oder lachte ingrimmig, oder seine Augen leuchteten, wie in stiller Wonne. -So jetzt eben wieder. - -Da stieg aus einem schlanken Rauchfang ein silberweißes Rauchsäulchen -auf, kräuselte sich lustig, ehe es im Nebel zerging, und auf dem -schaumigen Gezausel tanzten putzige kleine Kerle mit runden Bäuchlein -und weinroten Gesichtern, sie hatten Weinreben sich umwunden und lallten -allerlei tolles Zeug und schrieen dem lächelnden Manne, Faun, Mephisto, -was immer er sich nannte, ein jauchzendes ~Evoë Bacche!~ - -Und sobald die einen im Nebel vergangen waren, wurden neue aus den Ringeln -der Rauchsäule geboren, schöne und drollige, große und kleine, Männlein -und Fräulein, und ob auch aus den Augen eines Alten ein ernstes Denken -sprach, ob die weichen Glieder einer jungen Bacchantin im Wirbel sich -drehten -- gleichsam aus ihnen heraus über die ganze Erde hin leuchtete, -strahlte eine selige, mutige, weinduftende Begeisterung. - -Jetzt lachte der Geselle laut auf. Da hatten ein paar trunkene kleine -Satyrn die Nebelfetzen zusammengeballt wie Schneebälle, schnitten wütende -Gesichter nach einem andern Schlot hin, streckten denen, die da oben -aufstiegen, die Zunge heraus, und begannen sie zu bombardieren. Es war -ein weiter Kamin, nicht sehr hoch, der Rauch, der da herauskam, hatte eine -eklige, semmelblonde Farbe, die Gedanken, die drauf ritten, auch, und -sie waren feist und schwammig. Sie versuchten, recht forsch und protzig -aufzutreten, aber sie krümmten sich dabei, als wenn sie Bauchgrimmen -hätten, und sie streckten flehentlich die Arme aus, so gut es eben ging, -nach einem andern Schornstein und stöhnten: - -»Gebt uns was ab! Gebt uns was ab!« - -Das war ein mächtiger, weiter Schlot, und der Rauch und Qualm, der ihm -entquoll, schwarz, finster, beklemmend. Bleiche Gestalten stiegen drauf -zur Höhe, hohlwangig wie eine durchwachte Nacht, finster wie eine -Gewitterwolke. Immer mehr, Millionen von ihnen tauchten auf aus dem -Dunkel, nicht aus einem, nein, aus hundert Schlöten, ganze Heere von -Elendsgestalten, ganze Heere von drohenden Fäusten, von rachedurstenden -Augen, von verzweifelten Gesichtern. - -Und der kleine Geselle drückte sich scheu an den Mann, der ingrimmig -hohnlachte. - -»Wo kommen die her, alle, alle, ohne Ende?« fragte der Geselle bebend. - -»Aus den Fabriken, aus den Werkstätten, aus den Mietskasernen, aus den -Spelunken da unten,« knurrte der mit den Bockshörnchen. »Bande, elendes -Pack, warum drücken sie die andern nicht tot, schaffen sich Platz in der -Welt, so viele, wie sie sind! Aber sie haben Furcht, gerade so viel Furcht, -wie die da drüben -- sieh' -- da aus dem himmelhohen Rauchfang, der -so kerzengerade aufwächst -- Mitleid haben. Prrr -- Puah -- Mitleid, -Mitgefühl, Menschenliebe, Gleichheit, Brüderlichkeit -- sieh', wie sie da -alle schweben, die schönen Gedanken! Schau einmal genau hin! Glaubst du, -sie kämen alle aus demselben hohen, ragenden, lichten, freundlichen Kamin? -Ist schön gebaut, der Rauchfang! Aber schließ' dein Auge ab von all dem -andern, indem du die Hand krümmst wie ein Fernrohr davor -- das gibt mehr -Perspektive. Siehst du nun wohl, daß jeder der schönen Gedanken -seinen Privatschlot hat, der nur an den andern sich anlehnt? -- Und die -Rauchsäulchen, -- recht fein hell anzusehen -- dürfen sich mit keinen -von den andern vermischen, beileibe nicht, und der Kamin muß immer mit -demselben Heizmaterial gefüttert werden, und jedes Rauchwölkchen hat -seinen Parteinebel, in den es sich auflöst.« - -Aber immer und immer wieder stieg das bleiche, finstere Heer auf, auf, -stetig, unverdrossen. - -»Da, sieh' her, du kleiner Wurm, der du die Gedanken nackt und -unverarbeitet in der Welt herumlaufen sehen wolltest,« schrie der -Mann-Faun-Mephisto, »siehst du jene dort drüben aus dem Marmorkamin sich -entwirren? -- Wohlgenährte Gestalten sind drunter mit schwimmenden Augen, -magere Kerle mit Beil-Gesichtern, und alle mit so einem Air um sich herum, -als wollten sie auf alles andere spucken. Kapitalsbestien nennt man sie mit -dem Kunstausdruck, d. h. die Kapitäler sind ihnen jetzt da oben im Rauch -abhanden gekommen, und nur die Bestien sind übrig geblieben. Und nun -schau die guten, mitleidigen, allesliebenden, weltbeglückenden -Fanatikergedanken, die eigene kleine Weltbegriffe auf Silberrauchsäulchen -ausdünsten -- schau auch alle die winzigen Nebengedanken, die von der -Silbersäule abspringen, ihre Nachbarn zerren und stoßen, zu Boden -schlagen, ins Gesicht treten -- kommt es dir nicht schließlich vor, als -wäre der eine wie der andere: Fanatiker seines eigenen Ichs? Und sie -verteidigen dieses ihr Besitztum, die einen mit nackter Brutalität, die -andern mit alles überwältigendem Mitleid für die Menschheit. Ist recht, -ist ja recht so. Nur sollen sie nicht das Du-Geschrei erheben, wenn sie das -Ich meinen. Aber guck einmal da!« -- - -Aus dem lichten, ragenden Schornstein, dessen viele Teile das Gesellchen -jetzt deutlich erblickte, war eine Schar Gedanken-Geister aufgetaucht, die -sich mit Mäulern, Fäusten und Füßen ingrimmig bearbeiteten: die einen -suchten die nächsten unter sich zu ducken, zerrend, heulend, schimpfend; -die zarten Gestalten aus demselben Rauchfang, die über ihnen schwebten, -rangen traurig die Hände; die Bestien aus dem Marmorkamin sahen behaglich -zu, und die kleinen Weinkameraden ritten auf ihrem Rauchgekräusel herzu, -jauchzten und lachten, schütteten duftenden Rheinwein über sie aus, -wie man über die beißenden Hunde Wasser gießt, und trieben allerhand -Allotria. - -Die hungrige, bleiche, verzweifelte Schreckensschar aber stieg immerfort, -stetig auf; auf aus den Tausenden von Schlöten und verzehrte sich im -Nebel, immerzu, regelmäßig, wie ein grauenhaftes Uhrwerk. - -»Bande, Bande!« knurrte der neben dem Gesellchen. »Wann kommt's? -- Wann -kommt's und schlägt den Kram in Fetzen? -- Ist ein lustig Leben, kleines -Wurm, so hoch über ihnen, was? -- Und doch mitten drunter. Die da tief -drunten, alle, glauben, sie kennen, sie haben mich, und ahnen nicht, -daß ich es bin, der ihre Gedanken hier oben spuken läßt zur eigenen -Verlustierung, wie Nero einst Rom in Brand setzte! _Nicht_ sie mich -- -_ich_ hab' _sie_! -- Hoho -- aber da -- da, meine Braven!« - -Da schlug aus einem mächtigen Rauchfang eine hohe Feuersäule auf, -glührot, wie aus einer Schmiede-Esse, und darauf schwebte, nein, stampfte -eine gewichtige Schar, die zog den Ambos und dröhnte die Schmiedehämmer -nieder, daß es durch die Lüfte klang. Riesengestalten mit mächtigen -Köpfen und lustigen Augen. Bei jedem Hammerschlag von ihren Fäusten -stoben die Funken, und in jedem Funken sang es: - - »Mir sein die Hammerschmiedsgsölln, Hammerschmiedsgsölln, - Mir könn' dableiben, mir könn' furtgeh'n, - Mir könn' dhun, was mer wöll'n, dhun, was mer wöll'n!« - -Schritt vor Schritt weitergreifend, die rußigen Gesichter umglüht -vom Flammenschein, stampften sie alles unter ihre Füße, Bestien und -Mitleidsgedanken und Elendsgestalten, was ihnen in den Weg kam, trieben -die Rauchwolken zur Seite und machten Bahn frei -- bis endlich, nach langem -Kampf, auch sie der große Nebel verschlang. - -Aber dort, wo sie verschwunden waren, da lag in lichter Ferne -- das -Gesellchen sah es ganz deutlich, und der Mann breitete seine Arme aus -- -der silberne See, der hob und senkte sich leise. -- Möven flogen -drüber hin, die tauchten mit der weißen Brust ein in die Silberflut und -schüttelten die leuchtenden Tropfen von den Flügeln. - -Wo sie das Wasser berührten, tauchte ein Wunderwesen nach dem andern -auf; diese reihten sich aneinander, und bald wimmelte der See von zarten, -lieblichen, von starken, gewaltigen Wesen. Auf ihren ausgestreckten Armen -kamen zwei wunderselige Frauengestalten einhergeschwebt, ein leiser, -flüchtiger Gesang zog ihnen voran: - - »Wir geleiten hohe Frauen, - Die den Wassern sind entstiegen, - Die sich auf den Nebeln wiegen, - Und die Wellen stets durchwallen, - Unerkannt von allen, allen, - Denn von zwei'n ist eine keine: - Diese Hehre, Hohe, Reine, - Jene, die da gleißt im Scheine -- - Nur zusammen kannst sie schauen. - Wie die Sonne aus dem Meere - Ihre Strahlen weiter sendet, - So zieh'n im Gedankenheere - Sie, bis ihre Bahn vollendet. - Sinken in die Wasser nieder, - Kommen mit der Sonne wieder.« - -So schwebten sie hin über das Häusermeer der Riesenstadt. Die schönen -Frauen glichen sich eine der andern so, daß man sie nicht unterscheiden -konnte, und das Gesellchen hätte gar zu gern gewußt, wer sie seien. - -Der Mann sah mit verschränkten Armen den Zug an sich vorüber wallen, -musterte mit kritischen Augen die weißen Nixenglieder, lächelte -vertraulich dem schönen Frauenpaar zu. -- Da war es dem Gesellen, als habe -die eine listig gewinkt, die andere nur milde gelächelt. Aus dem Nebel, -der sie umwogte, aber tönte das Lied der Hammerschmiedsgesellen: - - »Mir könn' dhun, mir könn' treiben, mir könn' loss'n, was mer - wöll'n!« - -»Ja, ja,« nickte der Mann, »wenn's alle Hammerschmiedsgesellen wären! -Aber doch, kleines Wurm, wissen auch sie nicht genau, gerade wie du -und alle die andern es gar nicht wissen, wer von den beiden lieben -Frauenzimmerchen da -- die Wahrheit und welches die Lüge ist.« - -Als er das sagte und der kleine Schmiedsgeselle flehend die Arme hob, da -schauten die beiden herrlichen Frauen zurück -- die eine milde lächelnd: - -»_Du_ bist die Wahrheit!« jauchzte der Geselle. - -Da hob die andere sachte und ernst den Finger an den Mund. -- - -Und der Geselle barg das Gesicht in die Hände und weinte. - -Als er wieder aufschaute, sah er den Mann vor dem Champagnerkorken stehen -und Zwiesprache halten mit einem nackten, kleinen Schlingel, der rittlings -auf dem einen goldenen Pfropfen saß, Bogen und Köcher umgehängt hatte -und blutrote Pfeile nach allen Richtungen verschoß; sein Krauskopf -glänzte voll goldener Locken und trotz der Lachgrübchen saßen ein paar -bitterernste Augen in dem jungen Gesicht. - -»Ich bin echt!« sagte er und zielte auf den Gesellen, und dem wurde es -plötzlich ganz leicht um's Herz. Da lachte der kleine, nackte Bub ein -tolles, befreiendes Lachen, und der Mann fiel ein, und das Gesellchen -mußte mitlachen, bis ihm die Thränen aus den Augen liefen. - -Dicht hing der Nebel herunter. Die Wolken rieben sich die Fußsohlen an den -Champagnerkorken. Rauch, schwerer, schwarzer, lichter, semmelblonder stieg -auf aus allen Schlöten. In der Ferne sah der Geselle einen silbernen -Streifen, auf dem ein Mövenflügel blitzte. Ein dumpfes Gegroll wogte zu -ihnen herüber. Ein Amboßschlag dröhnte. - -Fest mit den Füßen aufstampfend, ging der wunderliche Mann mit dem -kleinen Schmiedegesellen viele Stufen hinab, und es klang, als ob jede -Stufe knurrte: - - »Hammerschmiedsg'söll'n -- dhun, was mer wöll'n!« - -Unten angekommen, sah der Mann wieder aus wie ein gewöhnlicher -Europäer, und die Stube, in die sie eintraten, wie eine ganz gewöhnliche -Kaufmannsstube. - -»Hör',« sagte der Mann zu einem andern, der da saß und schrieb, »wir -müssen die Champagnerpropfen da oben an dem Dach neu vergolden, die hat -der Nebel ganz blind gemacht.« - -Der andere nickte und schrieb weiter. - -Der Mann aber sah den kleinen Schmiedegesellen an und zupfte sich an den -spitzen Oehrchen. Und dann lachten sie. - - - - -Druckfehler. - - - Seite 24, Zeile 4 von oben, lies: ~hant~ statt ~hante~. - " 68, " 3 " " " : Silberflut statt Silberglut. - " 97, " 15 " " " : Weh _in der_ Welt. - " 118, " 8 " " " : _ni_mmer statt immer. - " 122, " 26 " " " : aus _seinen_ Händen. - " 129, " 10 " " " : _sein_ leuchtendes Auge. - " 155, " 23 " " " : _drauf_ ritten. - - - - -Im _Verlags-Magazin J. Schabelitz_ in _Zürich_ ist erschienen und durch -alle Buchhandlungen zu beziehen: - - - #Amerikanische Lebensbilder.# Skizzen und Tagebuchblätter. Von _Karl - Knortz_. -- 2 Mk. = 2 Fr. 50 Cts. - - #Eines deutschen Matrosen Nordpolfahrten.# Wilhelm Nindemann's - Erinnerungen an die Nordpolexpedition der »Polaris« und »Jeanette«. - Von _Karl Knortz_. -- 70 Pf. = 85 Cts. - - #Hamlet und Faust.# Von _Karl Knortz_. -- 1 Mk. = 1 Fr. 25 Cts. - - #Irländische Märchen.# Von _Karl Knortz_. -- Mk. 1.60. = 2 Fr. - - #Nokomis.# Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer. Von - _Karl Knortz_. -- 1 Mk. 60 Pf. = 2 Fr. - - #Neue Epigramme.# Von _Karl Knortz_. -- 1 Mk. = 1 Fr. 25 Cts. - - #Goethe und die Wertherzeit.# Ein Vortrag. Von _Karl Knortz_. Mit dem - Anhange: Goethe in Amerika. -- 80 Pf. = 1 Fr. - - #Grashalme.# Gedichte von _Walt Whitman_. In Auswahl übersetzt von - _Karl Knortz_ und _T. W. Rolleston_. -- 2 Mk. 50 Pf. = 3 Fr. - - #Vom Hudson bis zum goldenen Thor.# Ernste und heitere Erzählungen aus - dem amerikanischen Leben. Von _Joseph Treumann_. 2 Bände. -- 5 Mk. - = 6 Fr. 25 Cts. - - #Ueberseeische Reisen.# Von _Amand Goegg_. -- 2 Mk. 40 Pf. = 3 Fr. - - #Bilder aus den Vereinigten Staaten.# Von ~Dr.~ _J. Richter_. -- - 1 Mk. 60 Pf. = 2 Fr. - - #Aus dem Reiche des Tantalus.# Alfresco-Skizzen von _W. L. Rosenberg_. - -- 1 Mk. 60 Pf. = 2 Fr. - - #Zweierlei Hoheit.# Roman von _Juvenalis Minor_. -- 3 Mk. 60 Pf. - = 4 Fr. 50 Cts. - - #Heißes Blut.# Roman aus der französischen Provinz. 2 Theile. Von - _Hermann Gosseck_. -- 5 Mk. = 6 Fr. 25 Cts. - - #Scherben.# Gesammelt vom müden Manne (_Richard Voß_.) Zweite, stark - vermehrte Auflage. -- 5 Mk. = 6 Fr. 25 Cts. - - #Schlimme Geschichten.# Drei Novellen. Von _Gustav Adolf_. -- - 1 Mk. 60 Pf. = 2 Fr. - - #Ueber Graphologie# oder die Kunst, die Geistes- und - Gemüthseigenschaften eines Menschen aus seiner Handschrift zu - erkennen. Von _Fritz Machmer_. -- 2 Mk. = 2 Fr. 50 Cts. - - - - -[ Hinweise zur Transkription - - -Der Schmutztitel wurde entfernt. - -Im Originalbuch tragen die Kapitel jeweils am Anfang ornamentalen und am -Ende floralen Schmuck, auf den in dieser Transkription verzichtet wurde. - -Die im Buch enthaltene Verlagswerbung wurde von der Rückseite des vorderen -Einbanddeckels an das Buchende verschoben. - -Das Originalbuch ist in Fraktur gesetzt. - -Darstellung abweichender Schriftarten: _gesperrt_, ~Antiqua~, #fett#. - -Der Text des Originalbuchs wurde grundsätzlich beibehalten, -einschließlich uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise "Apollo" --- "Appollo", "Bacchus" -- "Bacchos", "Höckerweib" -- "Hökerweib", -"Schmiedegeselle" -- "Schmiedgeselle", "Sonntagkind" -- "Sonntagskind", - -mit folgenden Ausnahmen, - -entsprechend dem Korrekturverzeichnis des Originalbuchs - - Seite 24: - im Original "ich hete in mîne hante gesmogen" - geändert in "ich hete in mîne hant gesmogen" - - Seite 68: - im Original "In tiefe, rauschende Silberglut" - geändert in "In tiefe, rauschende Silberflut" - - Seite 97: - im Original "als ob all das Weh in Welt" - geändert in "als ob all das Weh in der Welt" - - Seite 118: - im Original "wenn Ihr die Liebe sucht, fliegt immer zu Thal" - geändert in "wenn Ihr die Liebe sucht, fliegt nimmer zu Thal" - - Seite 122: - im Original "aus ihren Händen weg und zu uns" - geändert in "aus seinen Händen weg und zu uns" - - Seite 129: - im Original "und ein leuchtendes Auge weilt" - geändert in "und sein leuchtendes Auge weilt" - - Seite 155: - im Original "die Gedanken, die draus ritten" - geändert in "die Gedanken, die drauf ritten" - -und außerdem - - Seite 13: - im Original "wo wollen die vielen Menschen hin die dort" - geändert in "wo wollen die vielen Menschen hin, die dort" - - Seite 25: - im Original "Flüstern durch den Saal und und ein Beben" - geändert in "Flüstern durch den Saal und ein Beben" - - Seite 39: - im Original "Weise Hosen, schwarzes Röcklein und auf dem Kopf" - geändert in "Weiße Hosen, schwarzes Röcklein und auf dem Kopf" - - Seite 40: - im Original "wenn ihr die zackigen Blätter" - geändert in "wenn Ihr die zackigen Blätter" - - Seite 45: - im Original "Cochenille -- Kaktus, unansehnliche, häßliche Dinger" - geändert in "Cochenille-Kaktus, unansehnliche, häßliche Dinger" - - Seite 49: - im Original "Wohl süß ist es zu singen" - geändert in "»Wohl süß ist es zu singen" - - Seite 56: - im Original "sieh', doch, da ist das Märchen!" - geändert in "sieh' doch, da ist das Märchen!" - - Seite 56: - im Original "die Kinder faßten sich bei deu Händen" - geändert in "die Kinder faßten sich bei den Händen" - - Seite 76: - im Original "den Bäuuen aus dem Wege gehen" - geändert in "den Bäumen aus dem Wege gehen" - - Seite 85: - im Original "Regiment Weizenfeld-Allerfeinste-Mehlsorte No. 1" - geändert in "Regiment Weizenfeld-Allerfeinste-Mehlsorte No. I" - - Seite 108: - im Original "deren heißes Menschenherz langsam, zu" - geändert in "deren heißes Menschenherz langsam zu" - - Seite 135: - im Original "wie zart, geschickt die Fäden verknüpft!«" - geändert in "wie zart, geschickt die Fäden verknüpft!" - - Seite 139: - im Original "Mannes dunkles Haar ziehen sich Silderfäden" - geändert in "Mannes dunkles Haar ziehen sich Silberfäden" - - Seite 140: - im Original "dekorierten Flügel und fliegt von dannen" - geändert in "dekorierten Flügel und fliegt von dannen." - - Seite 146: - im Original "Seele verwandelte sich einen" - geändert in "Seele verwandelte sich in einen" - - Seite 155: - im Original "finster, beklemmend, Bleiche Gestalten" - geändert in "finster, beklemmend. Bleiche Gestalten" - - Seite 157: - im Original "Aus dem lichten, ragenden, Schornstein" - geändert in "Aus dem lichten, ragenden Schornstein" - - in der Verlagswerbung: - im Original "Rosenberg. -- 1 Mk. 60 Pf. = 2 Fr. = 1 Fr." - geändert in "Rosenberg. -- 1 Mk. 60 Pf. = 2 Fr." ] - - - -*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK VENUSMÄRCHEN *** - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the -United States without permission and without paying copyright -royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part -of this license, apply to copying and distributing Project -Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm -concept and trademark. 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Hart was the originator of the Project -Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be -freely shared with anyone. For forty years, he produced and -distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of -volunteer support. - -Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in -the U.S. unless a copyright notice is included. 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You may copy it, give it away or re-use it under the terms -of the Project Gutenberg License included with this eBook or online -at <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. 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Schabelitz.</p> - -<p class="mt2 ce lh1">Alle Rechte vorbehalten.<br /> -<span class="fss">Druck von J. Schabelitz in Zürich.</span></p> - - - - -<div class="pb mt6"> -<table summary=""> - <tr><td class="tdl"><b>W</b>as ich als Kind einst von der alten Muhme</td></tr> - <tr><td class="tdl">In märchengrauer Dämmerstund' erlauscht,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Was sonnenhell mir Wind und Wald gerauscht,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Was mir geduftet hat die stille Blume,</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Das wuchs in mir zu einem Heiligtume. –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da kam das Leben, wichtig aufgebauscht,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und hätt' vernünftig thuend gern vertauscht</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das Märchen mir – zu ernstem Wissens-Ruhme.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Doch lächelnd ging das Flüchtige vor mir her</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und zeigte mir den Weg aus Tages Enge</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und hob empor mich aus der Welt Gedränge –</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Der Märchen-Weisheit ewige Wiederkehr,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die lehrt' es mich. – Nun nimmt es seinen Lauf</td></tr> - <tr><td class="tdl">Mild siegend weiter: Nehmt es bei euch auf! –</td></tr> -</table> -</div> - -<hr /> - - - - -<h2>Inhalt.</h2> - - -<table cellpadding="2" summary=""> - <tr> - <td class="tdl"> </td> - <td class="tdr fss">Seite</td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Venus und Madonna</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_001">1</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Der kleine Finger der Venus von Medici</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_005">5</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Der gefesselte Cupido</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_018">18</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Psyche</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_024">24</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Unser Frühling</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_037">37</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Frostiger Frühling</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_043">43</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Das Märchen, das gar nicht kommen wollte</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_050">50</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Klein Hildegard</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_058">58</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Das Märchen, das verloren gegangen war</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_070">70</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">In der Gosse</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_081">81</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Sonniger Winter</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_091">91</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Ein Weihnachtsmärchen</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_099">99</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Schneeflocken</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_108">108</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Das Märchen von der weißen Stadt</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_120">120</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Weltausstellung im Walde</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_130">130</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Das Märchen von Einem, der auszog, ein Sonntagskind zu werden </td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_141">141</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Rauch</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_151">151</a></td> - </tr> -</table> - -<hr /> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_001" title="1"> </a> -Venus und Madonna.</h2> - - -<p>Dunkel wölbt sich der Himmel über der Erde, und die -Sterne grüßen einander und winken – das ist das Flimmern -– fassen einander bei den Händen und tanzen einen feierlichen -Reigen über die unermeßlichen Himmelsbahnen, -und »Seht, wie klar die Milchstraße heute Abend ist!« -sagen sie auf der Erde. –</p> - -<p>Da löst sich ein großer, glänzender Stern vom Firmament, -der hat funkelnd im kalten Norden gestanden, zieht -seine leuchtende Bahn über den dunkeln Nachthimmel hinweg -und fällt zur Erde nieder. –</p> - -<p>Da löst sich ein anderer, ein flimmernder, unruhiger -Stern vom Firmament, der hat blitzend im Süden gestanden, -zieht seine schimmernde Bahn über den dunkeln -Nachthimmel und fällt zur Erde nieder. –</p> - -<p>Und die beiden schönen Sterne fallen auf die große, -weite Erde, in einen Wald voll mächtiger Bäume, süß -duftender Blumen, singender Vögelein, spielender Tiere. – -Und siehe! da stehen die ersten Menschen, ein Mann und -ein Weib, sie blicken einander an, reichen sich die Hände -und küssen sich. Die beiden vom Himmel gefallenen, Mensch -gewordenen Sterne – sie sind der Glaube, der Glaube an -das Schöne, und die Sehnsucht. –</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_002" title="2"> </a> -Und wieder und wieder flimmern, zittern, funkeln die -Sterne am Himmel. Im Walde der Ewigkeit ruht das -Weib in den Armen des Mannes; und sie gebiert ihm die -Liebe – das Kind der Sehnsucht und des Glaubens.</p> - -<p>Da aber das schöne Menschenpaar ganz allein im großen, -weiten Walde wohnt, und nichts weiß von dem Gewimmel -des Zwergengeschlechtes weit draußen in der Welt, so wissen -sie auch nicht, wen sie wohl zu Gevatter bitten sollen, -als sie ihr Kind, die holde Liebe, mit Himmelstau zu -taufen gedenken. Schon beginnen die Maiglöckchen ein -wunderlieblich Geläut, die Vöglein konzertieren und singen -und flöten, und einherziehen gravitätisch die Tiere des -Waldes.</p> - -<p>Das anmutige Reh äugt mit klugen Augen, das Häslein -putzt sich, das Eichhörnchen tanzt, der Dachs lugt hervor -aus seinem Versteck, die Eidechsen und Käfer huschen -und jagen, die Schmetterlinge gaukeln um die Blätterwiege, -in der die Liebe ruht – –, aber niemand ist da, der -das Kindlein tauft, und keine Gevatterin, die Liebe über -die Taufe zu halten. –</p> - -<p>»Ich,« spricht der Fuchs und kommt geschlichen und -streckt sein spitzes Näschen zur Wiege des Kindes empor, -»ich versteh's, das Taufen, bin bei den Jesuiten in die -Lehre gegangen, bin gut katholisch und sehr schlau.«</p> - -<p>»Krah, krah!« krächzt ein großer, schwarzer Kolkrabe, -»hier, nehmt mich! Strengorthodox, schwarz, düster, wie -meine Religion.«</p> - -<p>»Vielleicht alttestamentarisch?« fragt höflich ein Eidechslein, -glitzernd von Gold, und dreht und windet sich immer -wieder heran.</p> - -<p>»Oder gar freisinnig?« klappert der Storch, spießt nach -dem Eidechslein, kröpft sich und schlägt sehr stolz und freisinnig -mit den Flügeln.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_003" title="3"> </a> -Vater Glaube und Mutter Sehnsucht schütteln die -schönen Häupter und blicken ratlos um sich – doch sieh! -Licht, Sonnenschein überall um sie her, flutet über Blumen -und Vöglein und Tiere hin, und</p> - -<p>»Ich,« spricht der Sonnenstrahl, »will die Liebe taufen. -Ich dringe ihr ins Herz hinein, ich wohne in ihren Augen. -In jedem Lächeln ihres Mundes zittere Sonnenschein, in -jeder Bewegung ihrer Glieder herrsche Anmut, Freude, -Wärme.« Und</p> - -<p>»Wir,« klingen sanfte und wunderbar eindringliche -Stimmen, »wir wollen Paten sein.« Zwei Frauengestalten -neigen sich zu jeder Seite der Wiege, in der die Liebe -schlummert, so schön, so überirdisch schön, daß Glaube und -Sehnsucht demütig niederknieen. Die wissen nicht, ist es -ein und dieselbe, die zwei Gestalten angenommen hat, oder -sind es zwei hehre Frauen, die da niedergestiegen sind aus -den Wolken, die Liebe zu segnen. Wunderbar ähnlich sind -sich die Schwestern, nur trägt die eine langwallende Gewänder, -und sie hält ein lieblich Kindlein fest an ihr Herz -gedrückt, und mild und rein ist das Lächeln ihres Mundes. -Unverhüllt glänzen der andern herrliche Glieder, süß berauschend -wirkt ihre Nähe, und heiße Glut entströmt den -Augen.</p> - -<p>Die beugt sich nieder zur Blätterwiege und küßt das -schlummernd Kindlein auf die unschuldigen Lippen, und -spricht:</p> - -<p>»Deinen Körper gib hin, o Liebe, und all deine Sinne -und jede Fiber deines Herzens!«</p> - -<p>Da legt die Erste segnend die Hand auf des Kindes Haupt:</p> - -<p>»Deine Seele gib,« hauchte sie, »und Mutterliebe sei -dein Glück!« –</p> - -<p>Und siehe! Aus dem Kinde ist plötzlich ein Weib geworden, -himmlisch schön, wie das Schwesterpaar – -<a class="pagenum" id="page_004" title="4"> </a> -es steht allein in all seiner Pracht auf der weiten, sonnigen -Erde. So zieht die Liebe in die Welt hinaus, das Kind -der Sehnsucht und des Glaubens, keusch wie Madonna, -wonnig wie Venus – und das Zwergengeschlecht wendet -sich ab von ihr, denn es kennt sie nicht. – Weiche Lüfte -aber wehen und tragen das Elternpaar, das der Welt die -Liebe geboren hat, hinan zum Himmel. Dort, zwischen -den Sternen, wohnen nun wieder die Sehnsucht nach dem -Glück und der Glaube an das Schöne. –</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_005" title="5"> </a> -Der kleine Finger der Venus -von Medici.</h2> - - -<p>Es war einmal ein Sonntagskind, das wanderte in der -Welt umher und suchte – es wußte selber nicht was. -Aber es blieb nicht auf dem schönen, trockenen, breiten -Wege, den schon so viele andere vor ihm gewandelt waren, -sondern mit der, den Kindern eigenen Passion für das Unbequeme, -lief es quer über die Straße, kletterte mühsam -über einen großen Stein, tappste in eine Pfütze, wie es ja -deren so viele in der Welt gibt, und als es erschrocken seine -schönen, reinen Füßchen zurückzog, geriet es in den Straßenkot; -da eilte es entsetzt weiter, stolperte auf der anderen -Seite über einen noch größeren Stein und rannte mit dem -Magen gegen eines der eisernen Gitter, die überall in der -Welt herumstehen. Nun hatte vorläufig seine Reise ein -Ende. Verdutzt sah es ein Weilchen das häßliche Gitter -an, dann um sich und nun über sich, und es erblickte eine -große, dunkle Wolke, die ballte sich zusammen aus all dem -Dampf, der aus den Häusern, den Fabrikschornsteinen, den -Lokomotiven aufstieg, und zog wie ein Heer Gespenster -über den lieben Abendhimmel. Der schien seltsam bunt -drunter hervor – glührot und rosenfarben und lichtgrau -<a class="pagenum" id="page_006" title="6"> </a> -und blau und zartes Grün – wie als ob er dem schwarzen -Gespensterheer mit seinen Lichtelfen Trotz zu bieten gedächte. -Aber die finstere Riesenwolke ballt sich immer -drohender und trotziger zusammen, und da wird es dem -Sonntagskinde ganz beklommen und bange ums Herz, und -es stürzt davon, durch die Straßen, so schnell es seine Füße -tragen können, und über ihm zieht die Wolke. Da aber -verschwindet sie plötzlich, wie fortgeweht, und das Kind -hält inne in seinem tollen Lauf, denn es steht vor einem -goldenen Gitter, hinter dem hohe Bäume herüberwinken -und ein süßer, feiner Duft emporzieht.</p> - -<p>»Ach,« denkt das Sonntagskind, »da drinnen muß es -gut sein, ich möchte ausruhen, denn ich bin sehr müde – -ob ich wohl hineinschlüpfen dürfte? – Ich will auch ganz -leise sein.«</p> - -<p>Kaum hat es das gedacht, so öffnet sich die goldene -Thür, sanft, wie von Feenhand, und das Sonntagskind -schleicht vorsichtig hinein, sich noch einmal bang nach der -schwarzen Wolke umschauend. – Richtig, ganz in weiter -Ferne hängt sie und blickt drohend herüber.</p> - -<p>Nun ist das Sonntagskind drinnen in einem herrlichen -Garten. Weg ist seine Müdigkeit; mit weitgeöffneten, -glänzenden Augen wandelt es auf weichen Wegen unter -hohen, ernsthaften Bäumen; mit zitternden Lippen saugt -es süße, berauschende Düfte ein, es lauscht mit Herzklopfen -den wonnevollen Tönen, von denen die Luft ringsum erfüllt -ist. Wie tausend Nachtigallen Gesang klingt es, aber -es sind nicht allein die kleinen Vöglein in den Zweigen, -die so liebliche Melodieen erschallen lassen. Nein, jedes -Blättlein, jede Blüte ist wie ein Echo und trägt die -weichen, sehnsüchtigen Nachtigallentöne vieltausendfach weiter. -Und all die Blumen – die Hyacinthen läuten mit ihren -Glöckchen »Klingling! Ach, wie wonnig ist's hier!« und -<a class="pagenum" id="page_007" title="7"> </a> -»Dingdang, dingdang!« antwortet die blaue Glockenblume, -»ich läute zur Abendmette der Natur!« –</p> - -<p>Die hohen, schneeigen Lilien senden ihre schweren, süßen -Düfte nach oben, der sentimentale Jasmin, die neckische -Syringe; und die schwermütige Narcisse wendet ihr weißes -Blumengesicht sehnsüchtig dem Monde zu. Denn Nacht -ist's geworden: Millionen blitzender Sterne sehen mit -funkelnden Augen vom Himmel hernieder, und der Mond -gleitet mit ruhigem Schein über den Garten hinweg, so -hell und klar, daß das Sonntagskind die vielen zierlichen -Gestalten sehen kann, kleine Elfen und Kobolde, die sich im -Gras zwischen den Blumen tummeln, und die Nixen und -Wasserelfen – auf den großen, grünen Blättern der Wasserrosen -im See kauern sie und lassen sich schaukelnd hin und -her treiben und greifen jauchzend nach dem glitzernden -Sprühregen, den Tritonen im mächtigen Strahl gen Himmel -senden und der, leuchtend wie Diamanten im Mondesglanz, -zu ihnen niederfällt.</p> - -<p>In den lauschigen Ecken und Winkeln der Gebüsche -stehen weiße Gestalten – sind's Menschen? Sie sind nackt, -kaum mit einem leichten Flor bekleidet. – Sie sind schön, -himmlisch schön, und das Sonntagskind tritt näher und -faßt Mut, weil sie so gar lieb und gut blicken, und es berührt -sie ganz vorsichtig und leise mit der Hand, streichelt -die schönen, nackten Füße und – fährt erschrocken zurück, -denn eiseskalt sind sie und tot.</p> - -<p>Doch sieh – bewegen sie sich nicht? Und horch – -hörst Du nicht leises Kichern, Flüstern, neckisches Lachen -– ach, und klagendes Schluchzen? – Die Hand des Sonntagskindes -hat sie berührt – sie leben, die schönen, marmornen -Menschenbilder, das rote, warme Blut rollt durch -ihre Adern, sie lächeln, es bebt ihr Fuß zum Weiterschreiten. -Da neigen sie sich vor ihrer Königin – die steht in ihrer -<a class="pagenum" id="page_008" title="8"> </a> -Mitte, ein wonnevoll Weib, zierlich treten ihre schlanken -Füße den Boden, die linke Hand deckt schamhaft den Schoß, -die rechte den schneeigen Busen, zur Seite geneigt hält sie -das liebliche Haupt, die holde Venus von Medici – und -nun fassen sie sich bei den Händen, die herrlichen Göttergestalten -und die Elfen und Nixen mit ihrer weichen, -eidechsenhaften Schmiegsamkeit und die komischen Kobolde -mit ihren langen Bärten und listigen Aeuglein und drolligen -Bewegungen; sie tanzen einen zierlichen, wunderlichen -Reigen um das Sonntagskind im Kreise, und sie singen:</p> - -<p>»Bleib' bei uns – o hier ist's gut sein! Hier ist Schönheit, -hier ist Liebe – zu süßer Freude wandelt die Lust -sich, zu mildem Frieden Angst und Unruh' – – Ach, und -der Schmerz, der wild durchtobt des Menschen Herz – er -löst sich auf in sanftes Klagen, die Sorge wird hier zu -Grab' getragen, und aller Kummer lind gestillt. –</p> - -<p>»Hörst Du der Nachtigall Gesang? – So singt die -Sehnsucht in Deinem Herzen.</p> - -<p>»Hörst Du der Blumen Geläut? – So läuten sie Deine -bange Seele zur Ruh.«</p> - -<p>Und horch! Welch wunderlieblich Geklinge und Gesinge, -wie Glockentöne in weiter Ferne! Näher kommt's – immer -näher – husch! der lustige Kreis stiebt auseinander, -blitzschnell, wie er gekommen, und vor dem Sonntagskinde -steht eine hehre, schöne Frau, deren zarten Leib umgibt ein -Kleid von Rosenblättern, auf dem wonnesamen Haupt -strahlt eine Sternenkrone, die Flügel des Königsfalters -trägt sie an den Schultern, und ihre Füße wandeln auf -Blumen.</p> - -<p>Sie lächelt – da zittert die Luft vor Freude – Sie -spricht – da lauschen Mond und Sterne. – »Haben sie -Dich erschreckt da draußen in der Welt, Du Menschenkind?« -sagt sie, »hat die große, schwere Wolke Dir das Herz -<a class="pagenum" id="page_009" title="9"> </a> -beklemmt und Dir den Atem genommen? Und bist Du -zu mir geflüchtet, in den Garten der Wonne, in mein -Königreich, das Reich der Phantasie? – Ich wußte es -wohl, Ihr Menschenkinder könnt ohne mich nicht bestehen. -Da geht ein lautes Gerede, ein wildes Geschrei durch die -Welt: sie brauchen mich nicht, <em class="ge">nur</em> Natur wollen sie, und -nur im groben Alltagskleid, nicht im glänzenden Schmuck, -im schimmernden Geschmeid, womit ich sie überschütte. – -Aber siehst Du, Du Sonntagskind, kommst doch geflüchtet -zu Deiner Trösterin, ohne die Du die Natur nicht ertragen, -ohne die Du nicht leben kannst. – Und wenn Du wieder -hinausziehst, dann sag' es ihnen draußen in der Welt, was -Du geschaut in meinem Reich. – Ach, gerade jetzt sollten -sie es wissen, wo die dunkle Wolke schwer über den Völkern -schwebt und sie darnieder drückt.</p> - -<p>»<em class="ge">Weißt</em> Du, warum gerade jetzt? <em class="ge">Willst</em> Du es -wissen?«</p> - -<p>Sie blickt um sich und klatscht in die Hände. Und -siehe – ein wunderlicher Geselle kommt gehüpft, getollt, -gesprungen: nackt ist er und zart von Gliedern, mit schelmischem -Mund und ernsthaften Augen, einen Bogen trägt -er in der Hand und einen Köcher mit Pfeilen an der -Hüfte. – Sah ihn das Sonntagskind nicht dort im Syringengebüsch -auf einer Säule stehen?</p> - -<p>Doch nun – einen Purzelbaum schlägt er auf dem -weichen Gras und ist zum eisgrauen Männlein geworden, -das lustig mit den Aeuglein zwinkert und allerlei Kapriolen -macht, und plötzlich schwebt er in der Luft, so fein und -zart, als sei er aus Mondenschein gewebt, als sei er auf -Blumen geboren, als sei er mit Tautropfen genährt. Und -nun wieder trottelt er daher wie ein kleiner Brummbär -und schlägt mit einer Keule um sich, daß die Nixchen und -Elflein entsetzt zur Seite weichen.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_010" title="10"> </a> -»O, laß die Possen, Du närrischer Kauz,« lächelt Frau -Phantasie, »nimm Deine wahre Gestalt an, mein Gesell« -– da klingelt's wie von silbernen Glöckchen, die trägt das -wunderliche Kerlchen an seiner Schellenkappe auf dem -Haupte, und legt sein Gesicht in ernsthaft-drollige Falten, -hängt seinen Bogen über den Rücken, als gebrauche er ihn -nicht mehr, und schreitet umher mit gravitätischen Schritten.</p> - -<p>»Ist das Deine wahre Gestalt?« Frau Phantasie -schüttelt das schöne Haupt ... »nun, sei es drum. Sieh',« -sagt sie zum Sonntagskind gewandt, »den Mittler zwischen -mir und den Menschen. Nenne ihn Amor, Puck, Geist, -wie Du willst; kannst ihn auch Humor heißen, das hört -er am liebsten. Geh' mit ihm – die Welt soll er Dir -zeigen, wie sie uns Göttern erscheint. An seiner Hand -wird es Dich weniger schmerzen.«</p> - -<p>Sie gleitet dahin wie der Mondesstrahl, die hehre -Königin, und ihr nach durch Busch und Zweig, über -Blumen und Moos huscht das lose Volk, Leuchtkäfern gleich, -die in Abendluft baden, und in der Ferne tönt neckisch -Gelache. –</p> - -<p>»Komm',« sagt der närrische Geselle, und schüttelt seine -Kappe, daß die Glöckchen klingen, »reich' mir Deine Hand, -armes Sonntagskind. Hab Dich schon gesehen draußen in -der Welt, wie Du über Steine gestolpert bist und in Pfützen -getreten hast. Ja, es ist immer sicherer, auf den hübsch -ausgetretenen Pfaden der Alltäglichkeit zu wandeln, als -seinen eigenen Weg gehen zu wollen. Hast Dich zur rechten -Zeit in meiner Mutter Phantasie Garten gerettet, sonst -hättest Du Dir sicher noch einmal an irgend einem Weltgitter -Kopf und Herz eingerannt, Du dummes Sonntagskind, -Du. – Also ich soll Dir zeigen, wie es in der Welt -eigentlich aussieht. Wohl kann ich Dir's erklären, denn -ich treibe mich viel draußen herum. Einige in der Welt -<a class="pagenum" id="page_011" title="11"> </a> -schwärmen für mich, andere sagen, ich sei ein wahrer Teufel. -Wenn ich mit der Schellenkappe klingele, verstehen mich die -Wenigsten; da muß ich oft schon mit der Plumpkeule dreinschlagen, -und dann schreien sie und sagen, ich hätte ihnen -weh gethan. – Komisches Volk, diese Menschen!«</p> - -<p>Jetzt sind sie am Ende des Gartens angelangt. Eine -hohe Mauer scheidet ihn von der Außenwelt; an der ranken -sich wilder Wein und Epheu, und blaue Clematis hängen -hernieder und rote Trompetenblumen, so dicht, daß man -von den rauhen Steinen nichts gewahr wird, wie nur die -runden Glasfensterchen, die hie und da in die Quadern -eingefügt sind.</p> - -<p>»Sieh,« sagt der närrische Sohn der Phantasie und reicht -dem Sonntagskind eine große Trompetenblume als Fernrohr, -»die ganze Welt zieht wie die Bilder eines Guckkastens -an unsern Fensterchen vorüber. Mußt aber nicht durch -dieses hier sehen, das ist die rosenfarbene Brille, durch das -schauen nur die Faulen, die ihre Gedanken nicht anstrengen -mögen – <i>nota bene</i>, wenn sie welche haben – und jenes -Fenster dort ist gelb wie der Neid und dieses rot wie Blut, -als ob die Welt in Feuer stünde. Nein, schau hierher – -Clematis und Weinranken haben ein schönes, kleines Guckloch -gebildet, ein Vöglein, das früh morgens zur Sonne -singt, hat sich drüber ein Nestlein gebaut – <em class="ge">das</em> Glas -ist klar und wahr wie meiner Mutter Augen. Komm, Du -Sonntagskind, laß mich über Deine Schulter lehnen und Dir -sehen helfen.«</p> - -<p>»Nein, wie ist die Welt klein!« ruft das Sonntagskind -verwundert.</p> - -<p>»Nicht wahr?« antwortet der Geselle, »und Du hast sie -immer für so riesengroß und wichtig gehalten.«</p> - -<p>»Und die Menschen – wie Zwerge! Sieh' nur das -Gewimmel!« lacht das Sonntagskind.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_012" title="12"> </a> -»Ja, das macht Spaß, die Welt übersehen zu können,« -nickt der Geselle und die Glöckchen an seiner Schellenkappe -klingeln dazu.</p> - -<p>Da draußen in der Welt krabbelt's, prustet's, keucht's -und läuft und schiebt und stößt – die Großen drängen -die Kleinen zur Seite, die Starken schlagen die Schwachen -tot, und die Armen wehklagen gen Himmel. –</p> - -<p>»Wie eilig sie es alle haben!« wundert sich das Sonntagskind.</p> - -<p>»O sieh' nur, sieh' – den alten Mann, einen Kahlkopf -hat er und unterm Kinn einen grauen Ziegenbart, und die -Augenbrauen stehen wie Borsten in die Höhe und die Augen -glitzern gierig darunter hervor. – Sieh', wie er an dem -Sack zerrt, wie Gold schimmert es durch die Löcher – er -kann ihn kaum regieren und Angst und Zornesthränen -rinnen aus seinen Augen.«</p> - -<p>»Ja, und er trägt rot und weiß gestreifte Hosen und -einen blauen Rock,« sagt Puck, »und er kaut Tabak, und -er flucht englisch, wenn die andern seinem Geldsack zu nahe -kommen.«</p> - -<p>»Ach, und jener dort – mit großen Sprüngen, mit -ellenlangen Schritten setzt er dem kleinen Irrlicht nach, -das über Berg und Thal, durch Sumpf und Morast vor -ihm herhüpft, und sieh' nur, wie seine Frau sich anstrengt, -mitzukommen.«</p> - -<p>»Sieh, sie hebt ihre schönen, seidenen Kleider auf, daß -sie nicht schmutzig werden, und patsch! springt sie mit -beiden Füßen in die Wasserlache – nachher läßt sie die -Kleider wieder drüber hängen – dann sieht man ihre -beschmutzten Füße nicht – und guck! das Irrlicht sieht -aus wie ein Ordensbändchen.«</p> - -<p>»O, aber hier, wie schrecklich – sie bücken sich tief zur -Erde, damit andere auf ihre Rücken treten können und -<a class="pagenum" id="page_013" title="13"> </a> -weiter schreiten dort hinauf, wo es so glitzert und gleißt -wie von Prunk und Geschmeide. – Und dort läßt sich -einer schlagen – ach, geduldig und wehrt sich nicht!«</p> - -<p>»Liebes Kind,« sagt der Gesell, »die sind aus dem -Land, wo die Bedienten gut geraten.«</p> - -<p>»Lieber Gesell – o siehst Du den Mann dort in der -Ferne – mit bleichen Lippen, mit rollenden Augen? Siehst -Du, wie er mordet und zittert und flucht und betet, wie -er angstvoll sich windet –«</p> - -<p>»Liebes Kind – der sitzt auf einem Thron, der wackelt -hin und her, und er trägt den Wahnsinn als Krone und -als Scepter eine blutrote Brandfackel – wenn er die von -sich schleudert, dann bebt die Erde von Kanonendonner und -Menschengestöhn – und ›Väterchen‹ nennt sich der Mann, -liebes Sonntagskind.«</p> - -<p>»Ach, mein Geselle, wo wollen die vielen Menschen hin, -die dort mit den feinen, kostbaren Kleidern angethan, die -ein mit Silber beschlagenes Buch und einen Geldbeutel in -den Händen tragen, die, mit den frommen, ergebenen Gesichtern –«</p> - -<p>»In die Kirche, Du dummes Sonntagskind, auf daß -der Prediger ihnen in tönenden, salbungsvollen Worten -die Angst vom Herzen rede. Dann thun sie, als ob sie's -glauben, was er sagt, und gehen neugestärkt nach Hause -und – leben weiter.«</p> - -<p>»Und siehst Du jene Schar dort, mein Geselle, Ballettänzer -scheinen sie zu sein. Hei! was sie für Sprünge -machen! – Schau, die wunderlichen Gesten, und wie elegant -sie zu posieren verstehen – dem Publikum eine rechte -Augenweide. Aber doch – ich glaube sie thun nur so, es -ist ihnen nicht wohl ums Herz – sie schauen bleich aus, -trotz Schminke und Puder. – Sag, mir, was sind's für -Leute?«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_014" title="14"> </a> -»Liebes Kind – Litteraten sind's, moderne aus dem -neunzehnten Jahrhundert, und die barocken Sprünge und -eleganten Posen machen sie aus Angst, um sich und das -Publikum d'rüber hinwegzutäuschen.«</p> - -<p>»Und, mein Geselle, sieh' den Mann dort hinter dem -Ofen, in Schlafrock und Pantoffeln, mit langer Pfeife und -dem Bierseidel in der Hand. – Recht unzufrieden scheint -er mir zu sein, er rückt unruhig hin und her – horch! er -schilt und gebraucht böse Worte.«</p> - -<p>»Ja, liebes Kind – das Bier schmeckt nicht, und die -Kartoffeln sind mißraten, und die Pfeife qualmt und durch -die Schlafrockärmel pfeift der Wind, und die Pantoffeln -sind unbequem. Da hadert er mit seinem langmütigen -Herrgott im Himmel droben, mit dem Brauersknecht, dem -Nigger, dem Schuster und am meisten mit seiner lieben -Frau – und es ist doch nur die Angst, die ihn in seiner -eigenen Haut sich nicht wohl fühlen läßt. – Ja, und -›Philister‹ nennt man den Mann, liebes Sonntagskind.«</p> - -<p>»Ach, und, mein Geselle, dort jene Hungernden, Darbenden, -Elenden, jene Neidischen, Unzufriedenen, Hassenden, -auf was warten sie finstern Auges, trotziger Stirn, rachsüchtigen -Herzens? Und dort jene Ballgeschmückten, die -im Reigen sich drehen! Was ziehen sie in ihren Masken -und Flittern einher, als wollten sie die Freude zu Grabe -tragen?«</p> - -<p>Da faßt der Geselle das Sonntagskind bei den Schultern -und wendet es ein wenig zur Seite:</p> - -<p>»Schau dort hinüber, liebes Kind,« sagt er, »sieh' weithin -über die Welt!«</p> - -<p>Da steht auf einem Berge, hoch über dem Gewirr, Gewimmel, -Gehast, ein großes, starkes Weib, das schwingt -mit grimmigem Lächeln, mit finsterem Angesicht eine Peitsche -in ihren Händen, deren vielteilige, zackige Enden zischend -<a class="pagenum" id="page_015" title="15"> </a> -über die ganze Welt hinsausen – und hohnlachend sieht -das Riesenweib, wie die Menschen angstvoll zusammenfahren -und bei jedem Schlage noch verwirrter durcheinander -rennen.</p> - -<p>»Die Wolke, die große Wolke!« ruft das Sonntagskind -entsetzt, »siehst Du, wie sie über die Welt hinfährt? Hörst -Du sie zischen und brausen? Das ist sie, die mich so erschreckt!«</p> - -<p>»Ja,« antwortet der neben ihm und richtet sich auf -zu voller Höhe und seine Augen blitzen.</p> - -<p>»Das ist die Wolke – das ist die große Angst, die -schwer auf der Welt liegt, die Angst der Völker vor etwas -Entsetzlichem, etwas Furchtbarem, das über sie kommen -wird, wie der Blitz durch die Wolken fährt. – Wird es -sie vernichten? Wird es die Welt zerschmettern, zu nichts -zertrümmern – oder wird aus dem Chaos ein Neues entstehen, -ein Herrliches, wie der Vogel Phönix aus der Asche! -Sie wissen's nicht und beben vor Furcht und wagen kaum, -tief Atem zu holen.«</p> - -<p>»Gibt es denn gar kein Mittel, um die Welt von dieser -wahnsinnigen Angst zu befreien, auf daß sie ihr kühn entgegenblicke -und ihre ganzen Kräfte anstrenge, dem Schrecklichen -mit Vernunft entgegen zu arbeiten?« fragt das -Sonntagskind schüchtern.</p> - -<p>»Ach, liebes Sonntagskind,« lächelt der Geselle und -schüttelt seine Glöckchen, »das Mittel ist schon da und die -Menschen kennen's auch, nur haben sie es vergessen. – -– All die große, schwere Angst der Völker würde sich in -nichts verflüchtigen, wenn sie nur ein klein wenig mehr -an – den kleinen Finger der Venus von Medici denken -wollten.«</p> - -<p>»An den kleinen Finger der Venus von Medici?« fragt -das Sonntagskind mit großen, verwunderten Augen.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_016" title="16"> </a> -»Komm,« sagt der närrische Geselle, und schweigend -wandern sie durch die Nacht tief in den Garten hinein. -Da stehen sie vor einem dichten Gebüsch, von lauter seltsamen -Sträuchern gebildet; Pinien wiegen ihre schlanken -Wipfel und dunkler Lorbeer schmiegt seine Zweige ineinander. -Aber des Mondes Strahl dringt doch hindurch – -oder ist es das schöne Weib dort, das den wundersamen -Glanz ausstrahlt? Da steht sie in ihrer schimmernden, -weißen Nacktheit inmitten all dem Grünen – zierlich treten -ihre schlanken Füße den Boden, die linke Hand deckt schamhaft -den Schoß, die rechte den schneeigen Busen, und der -wunderbare kleine Finger dieser rechten Hand spreizt sich -ein wenig von den andern ab, zur Seite geneigt hält sie -das schöne Haupt – lauscht sie? –</p> - -<p>Betäubt von all ihrer Schönheit sinkt das Sonntagskind -in die Knie. Der Geselle aber tritt bescheiden hin -vor das wonnevolle Weib, schleudert seine Narrenkappe -zur Seite und faltet bittend die Hände:</p> - -<p>»Hehre Göttin, süße Königin, Dein Knecht, dem Du -stets Dich huldvoll geneigt hast, dem Du so manchesmal -aus der Not geholfen, in die ihn sein Uebermut gestürzt -hat – Dein dankbarer Liebling naht sich Dir mit einer -demütigen Bitte: Gib diesem Menschenkinde, das zu uns -in seinem Kummer geflüchtet ist, einen Trost auf seinen -Weg, den es der Welt verkünden kann. Laß es die Macht -Deines vornehmen kleinen Fingers ahnen – zeig' ihm, -warum Du ihn so entzückend neckisch gespreizt hältst.«</p> - -<p>Da lächelt Venus: »Nun, wozu sollte er denn sonst -wohl gut sein,« sagt sie schelmisch, erhebt die rechte Hand, -läßt sanft den kleinen gespreizten Finger in die zierliche -Ohrmuschel gleiten und schüttelt ihn ein wenig – dann -lauscht sie lächelnd freudig in die Ferne.</p> - -<p>»Ich höre wieder die bebenden Laute der Liebe und -<a class="pagenum" id="page_017" title="17"> </a> -des Erbarmens – himmlisch wohllautend dringen sie in -mein Ohr!«</p> - -<p>»Sieh', kleines Sonntagskind,« sagt der ernsthafte Geselle, -»wie die Venus mit ihrem kleinen Finger die Spinnenweben -der Lüge und Heuchelei und Hartherzigkeit aus -ihrem Ohr hinaus schüttelt, so sollten es auch die Völker -thun, dann würde die große, schwere Angst von ihnen -weichen und die bebenden Laute der Liebe und des Erbarmens -auch an ihr Ohr dringen.</p> - -<p>»Pah,« lacht er dann, nimmt seine Schellenkappe auf -und wirft sie in die Luft, daß die silbernen Glöckchen -klingeln, »armes Sonntagskind – die Welt wird Dich -steinigen, wirst Du ihnen das verkünden. Lache über sie, -so wie ich, das ist das Einzige, was sie fürchtet.«</p> - -<p>Und mit immer länger werdenden Schritten, riesengroß -anwachsend, ist er im Mondenlicht verschwunden.</p> - -<p>Dem Sonntagskinde aber hat die Venus gelächelt – -tiefer Friede deckt seine schweren Augenlider.</p> - -<p>Hell scheint die Sonne ihm ins Angesicht, es steht auf, -schaut verwundert um sich – dann erhebt es seine rechte -Hand und schüttelt mit dem kleinen Finger ein wenig im -Ohr – es lauscht – eine Lerche steigt jubelnd gen Himmel -– und in ganz weiter, weiter Ferne hängt ein dunkles -Wölkchen am Horizont.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_018" title="18"> </a> -Der gefesselte Cupido.</h2> - - -<p>Eines Tages saß Cupido – ich meine nicht den patentierten, -konzessionierten Heiratsvermittler und Rechenmeister -des neunzehnten Jahrhunderts, sondern das liebe, mutwillige -Bübchen, von dem Anacreon erzählt und Goethe in -seiner »Brautnacht« –, der saß eines Tages im Olymp -und langweilte sich. Er hatte zwar eben erst allerlei -Schabernack verübt, hatte sogar dem Vater Zeus einen -Brand-Pfeil ins Herz gesandt, so daß er nicht wußte, nach -welcher hübschen Erdentochter er zuerst schmachten sollte, -hatte versucht, die lange Artemis anzuschießen, aber vergebens, -ebenso die Athene; und aus Rache dafür, daß sie -ihm ihren kolossalen Minervaschild vorhielt, zupfte er ihre -Eulen, die sie just fütterte, am Schwanz, so daß sie entrüstet -»Huhu« sagten. Tante Juno hatte ihm sehr energisch -auf die Finger geklopft, als er den Nymphen allerlei -süße Dummheiten ins Ohr flüsterte und schließlich sogar -den Dienerinnen der Vesta nachstellte; da war er zu seiner -holdseligen Mutter Aphrodite geflüchtet, und sie breitete -ihm sehnsüchtig die Arme entgegen, und schwirr, da flog -der Pfeil und stak ihr im Herzen. Der böse, liebe Junge -– aber Aphrodite lächelte – sie war's ja gewohnt! – -<a class="pagenum" id="page_019" title="19"> </a> -Nun saß Cupido auf einer Wolke und bammelte mit den -Beinchen und guckte zur Erde hinab und langweilte sich. -Da kam Hermes daher geflogen, der hatte irgend einer -Schönen im Auftrage des Vaters Zeus eine Düte Ambrosia -gebracht und dafür ein Stelldichein verabredet. Er -mochte den Cupido gut leiden und hockte sich ein wenig -zum Ausruhen neben ihn.</p> - -<p>»Du – weißt Du, was sie da unten mit Dir gemacht -haben?« fragte er ihn.</p> - -<p>»Nee – was denn?«</p> - -<p>»Erst 'mal haben sie Dich riesig elegant angezogen, im -schwarzen Frack und Cylinder, und sie sagen, Du hießest -gar nicht Amor, sondern Puck; und außerdem wäre es unanständig, -wenn man nackt ginge. Und dann haben sie -Dir eine große Brille aufgesetzt, weil Du blind wärest, sagten -sie und haben Dir Deinen Köcher mit Goldstücken statt mit -Pfeilen gefüllt, das zöge besser, sagten sie, und haben Dir -statt eines Bogens ein Tintenfaß in die Hand gegeben und -Dir eine Feder hinters Ohr gesteckt, damit Du gleich die -Ehekontrakte ausschreiben könntest, sagten sie, und wenn Du -doch 'mal ganz splitterfadennackt, ganz natürlich, ohne alle -Zuthaten zu ihnen kommen wolltest – sie möchten Dich -eigentlich ganz gern so, sagten sie – dann müßtest Du aber -durchs Hinterthürchen schlüpfen, damit dich ja auch keiner -sähe, denn sonst genierten sie sich, sagten sie.«</p> - -<p>»Beim heiligen Kriegsungewitter!« fluchte Cupido – -»das ist ja eine ganz urweltliche Bande!«</p> - -<p>»Hör' nur weiter – es kommt noch besser. Da hat -sich einer – so'n ganz vertrocknetes Kerlchen mit einer -Brille auf der Nase, auf einen hohen Stuhl gesetzt, und -hat mit dem Finger – weißt Du, mit so einem langen -knöcherigen – auf den Tisch geklopft und hat gesagt: Es -gäbe Dich gar nicht, Du wärest eine Mythe, und die Liebe, -<a class="pagenum" id="page_020" title="20"> </a> -das wäre eine Nervenaufregung, die leicht in Irrsinn übergehen -könnte, und deshalb hätten die weisen Männer Gesetze -gemacht, nach denen die Gefühle geregelt würden.«</p> - -<p>Da sprang aber Cupido in die Höhe:</p> - -<p>»Heilige Mutter Aphrodite! Gesetze? Für mich? – -Na – das möchte ich mal sehen. – Liebster, bester Hermes, -geh' – sattle mir schnell den blanken Stern da, ich will -hinunterreiten, das muß ich mir aus nächster Nähe betrachten!«</p> - -<p>Und da saß er schon auf seinem glänzenden Stern und -fuhr hinab, und auf der Erde sagten sie: Da fällt eine -Sternschnuppe.</p> - -<p>Es kam aber dem Cupido furchtbar kalt vor im neunzehnten -Jahrhundert, obwohl es im August war, wo die -meisten Sternschnuppen fallen, und bei Sonnenaufgang fror -es ihn ganz erbärmlich, trotz des Umschlagetuches, das ihm -das alte Hökerweib geschenkt hatte. Die saß schon am -ganz frühen Morgen mit ihren Körben auf dem Markte, -und wie sie den nackten, kleinen Gesellen daherkommen sah, -da wurde es ihr so weich und sehnsüchtig ums Herz, sie -meinte, es wäre Mitleid – es war aber die Erinnerung: -sie sah sich wieder jung und hübsch, sie war beim Tanz -unter der Linde, der schönste Bursche schwang sie im Reigen -– heißa! – hoch in die Luft, daß die Röcke flogen, und dann -küßte er sie. Und da machte sie die Augen auf, und vor -ihr stand wieder der drollige kleine Junge. Der nahm -das Höckerweib frischweg beim Kopf und gab ihr einen -Kuß für das Umschlagetüchelchen, das sie ihm gegen die -Kälte geschenkt, und die Alte faltete die Hände und träumte -von ihrer Jugend. – – Den Cupido fror es aber doch -an den nackten Beinchen, und er dachte: »Ich will doch -sehen, ob ich nicht irgendwo hineinschlüpfen kann und mich -wärmen.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_021" title="21"> </a> -Doch da kam er schön an.</p> - -<p>»Was willst Du hier?« fuhren sie ihn im ersten Hause -an – »Du bist so unbequem – mach', daß Du fortkommst!« -Im zweiten öffneten ihm zwei alte Jungfern die Thür, -liefen kreischend davon und schrieen:</p> - -<p>»Hülfe – ein Sansculotte – er hat nichts an!« Und -der dicke Mops saß auf dem Sofa und bellte ihm nach. -Im dritten Hause fragten sie höflich verwundert: »Was -wollen Sie hier? Wir sind ja verheiratet.«</p> - -<p>Im vierten hielten sie ihm einen Ehekontrakt unter die -Nase, und im fünften sprachen sie von Gesetzen und – -da wurde Cupido böse und sagte:</p> - -<p>»Wartet, ich will Euch! Ihr wollt mich hier verleugnen? -Bei unserer lieben Frau von Milo – Ihr sollt es büßen!« -Er schwang sich in die Lüfte, spannte den Bogen, und – -huidi! – da schwirrten die Pfeile! Er schoß blindlings -drauf los, ganz einerlei, ob nach Grundsatz oder Gesetz – -aber sie trafen. Und nun gab es eine heillose Verwirrung -unter den Menschen; sie hatten geglaubt, den Liebesgott -hinwegspotten und -klügeln zu können, und da war er plötzlich -mitten unter ihnen und sie duckten sich, bange, wehklagend -und nach Hülfe wimmernd. – Da ist ein Mägdlein -gekommen. Wie Cupido das erblickte, verschwand der -Zorn aus seinem Angesicht, lächelnd sah er es an – und -wählte seinen allerschönsten Pfeil, mit dem er schon einmal -seine holde Mutter geritzt hatte. – Es war aber ein trotzig -Mägdelein. Keck schauten die Augen in die Welt hinein -und sein roter Mund sagte:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">   »Was frag' ich nach Liebe?</td></tr> - <tr><td class="tdl">   Mir liegt's nicht im Sinn!</td></tr> - <tr><td class="tdl">   Wohl hab' ich ein Herzel –</td></tr> - <tr><td class="tdl">   Doch pocht es nicht drinn!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und daß Ihr's nur wißt, und daß Ihr's nur wißt:</td></tr> - <tr><td class="tdl">Es hat mich noch keiner, noch keiner geküßt!</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">   Zwar hab' ich ein Mündlein<a class="pagenum" id="page_022" title="22"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">   Und seht nur – wie rot!</td></tr> - <tr><td class="tdl">   Und ach – wie kann's lachen –</td></tr> - <tr><td class="tdl">   Das macht Euch viel Not!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Doch daß Ihr's nur wißt, doch daß Ihr's nur wißt:</td></tr> - <tr><td class="tdl">Es hat mich noch keiner, noch keiner geküßt!«</td></tr> -</table> - -<p>Horch! – da schwirrt es und singt und klingt! Und -sieh' – da steckt der Pfeil in der schönen, weißen Mädchenbrust –</p> - -<p>Das trotzige Mägdelein hat mit der Hand ans Herze -gegriffen, ist glührot geworden, ist scheu davon geschlichen. -Aus der Ferne tönt es:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Nun frag' ich nach Liebe –  </td></tr> - <tr><td class="tdl">Nun trag' ich's im Sinn!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Nun fühl' ich mein Herze! –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Es pocht so darin!«</td></tr> -</table> - -<p>Und Cupido lauscht, biegt sich vor und lächelt, blinkt -mit den Schelmenaugen, hebt deutend das weiße Fingerchen, -und spitzbübisch singt er ihr nach:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Und daß Ihr's nur wißt, und daß Ihr's nur wißt:</td></tr> - <tr><td class="tdl">Just hat sie der Liebste, der Liebste geküßt!« –</td></tr> -</table> - -<hr /> - -<p>Gerade da kam ein Mann des Weges gegangen, der -war ein Sonntagskind, der konnte schauen, was andern -verborgen war – der hat den kleinen, herzigen Schlingel -stehen sehen, wie er dem trotzigen Mägdelein nachgehöhnt -hat. »So sollst du ewig sein!« sagte er.</p> - -<p>Cupido aber ist ihm entgegengehüpft, denn der Mann -war ein Künstler, und die Künstler stehen auf gar vertrautem -Fuße mit all dem lustigen, alten Göttergesindel – -<a class="pagenum" id="page_023" title="23"> </a> -er ist geduldig mit ihm gegangen und hat sich in marmorne -Fesseln schlagen lassen. Und so steht er da in der ganzen -Pracht seiner Schönheit, ein wenig nach vorn geneigt, das -süße Schelmengesicht voll Sonnenschein, das Fingerchen erhoben -und deutet auf euch, die er euch eben mitten ins Herz -getroffen hat – und lachend klingt's von seinen Schelmenlippen:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Und daß Ihr's nur wißt, und daß Ihr's nur wißt:</td></tr> - <tr><td class="tdl">Nun wird die Liebste vom Liebsten geküßt!«</td></tr> -</table> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_024" title="24"> </a> -Psyche.</h2> - - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl"><i>»Ich saz ûf eime steine,</i></td></tr> - <tr><td class="tdl"><i>und dahte bein mit beine:</i></td></tr> - <tr><td class="tdl"><i>dar ûf sazt ich den ellenbogen:</i></td></tr> - <tr><td class="tdl"><i>ich hete in mîne hant gesmogen</i></td></tr> - <tr><td class="tdl"><i>daz kinne und ein mîn wange,«</i></td></tr> -</table> - -<p class="in0">sagt Walter von der Vogelweide. So sitze ich im Gips-Museum -und träume vor mich hin und lasse mir von -Antinous verliebte Blicke zuwerfen.</p> - -<p>O, Du Abbild erster, toller, süßer Liebe!</p> - -<p>Erste Liebe – wo man liebt, ich möchte sagen, um zu -lieben, um sein eigen Herz einmal pochen zu hören, um -voll Seligkeit zu verzweifeln, und weinend zu jubeln – -wo ein liebes Auge, eine schöne Gestalt, ein lustig-gutes -Lachen, einem vollauf Grund genug zum Lieben scheint.</p> - -<p>Später freilich, dann, meine ich, wenn die wahre, einzige, -ewige Liebe über einen kommt, wenn man mit vollem -Verstande, mit ganzer Ueberlegung, mit festem Willen liebt, -dann – ja, dann verlangt man freilich mehr, wie Du, -schöner Antinous, bieten kannst.</p> - -<p>Sieh', der letzte, warme Sonnenstrahl hängt aufleuchtend, -zögernd an seinem holden Antlitze.</p> - -<p>Er lächelt. – –</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_025" title="25"> </a> -Der Faun da hinter ihm guckt schelmisch um die Ecke: -»Reizender Bengel! Nicht wahr?« grinst er vergnügt, und -die zwölf Apostel am Sarge des heiligen Sebald schüttelten -vorwurfsvoll ihre bärtigen Häupter. Warum, o meine -hochverehrten Herren, begaben Sie sich auch in diese heidnisch-vergnügte -Gesellschaft? Wird es Ihnen nicht ganz -sonderbar zu Mute?</p> - -<p>Es geht ein wunderlich Flüstern durch den Saal und -ein Beben durch die nackten, weißen Götter-Menschenleiber. -Mir schwimmt es vor den Augen und mein Herz -klopft. Soll ich fliehen? Schnell zur Türe!</p> - -<p>Ah, die ist geschlossen! Sie haben mich vergessen in -meiner Ecke hinter den zwölf Aposteln, und ich bin allein -im ganzen Haus – allein, und doch in der allerbesten -Gesellschaft. Mir ahnt, jetzt wird sich etwas begeben, etwas -wunderlich Liebliches, himmlisch Schönes. Ein seltsames -Leben und Weben zittert in der ganzen Luft, und ich verstecke -mich still und neugierig und warte – worauf? Ich -weiß es selber nicht.</p> - -<p>Doch – was ist das? Träume ich? Wache ich? Ein -zitternder Laut, halb Seufzer, halb Jubel. – Woher kommt -er? Aus den Herzen der toten Gestalten? – Sieh' – sie -leben! Sie heben die Arme, sie bewegen sich – das Blut -rinnt durch die Adern, sie atmen, und doch sind's keine -Menschen. Denn durchsichtig werden die Glieder von Gips, -sie schimmern und glänzen, geisterhaft, geheimnisvoll – -das ist Ewigkeit, die von den weißen Stirnen leuchtet, und -sieghaft strahlen die klaren Augen. – Ach, und demütig -beuge ich mein Knie.</p> - -<p>Lautlose Stille. – Da ertönt mächtig, wie Donnerrollen, -gewaltig, wie Schlachtenruf, eine Stimme, die schallt -durch den ganzen Saal: »Ist es fort, das elende Gesindel, -das sich Menschen nennt, und sich so unendlich viel dünkt, -<a class="pagenum" id="page_026" title="26"> </a> -daß es sich herausnimmt, uns stundenlang anzustarren und -unsere Götterleiber zu kritisieren? – Sind wir allein? – -Gebt Antwort!«</p> - -<p>Apollo ist's, von Belvedere, er tritt hervor in Herrlichkeit -und Majestät, und zu ihm gesellt sich Mars, der da -mit aller Arroganz auftritt, deren nur ein Kürassier-Lieutenant -fähig ist, sei es auch ein olympischer; und er gähnt -herzhaft und schüttelt die prächtigen Glieder, und die Venus -von Milo sieht ihn holdselig an. Er aber fährt sich mit -der Hand durch die krausen Locken, die Erinnerung an -selige Stunden überkommt ihn, und schmunzelnd nickt er -ihr herablassend liebevoll zu:</p> - -<p>»Venuschen, kleiner Schatz, bist Du immer noch in -meiner Nähe? Geh', frage doch einmal Deinen niedlichen -Schlingel von Jungen, ob die Luft ganz rein ist, ob wir -uns endlich ein bischen gehen lassen können, nachdem wir -den ganzen Tag so ehrbar dagesessen haben! Der kleine -neugierige Bengel hockt natürlich da, wo es am meisten -zu gucken gibt.«</p> - -<p>Und wunderbar! Die hochmütige, vornehme Dame von -Milo nimmt diese etwas familiäre Anrede gar nicht übel, -ja, ein Lächeln spielt sogar um den stolzen Mund, der so -oft verächtlich auf die Besucher des Museums herunterblicken -kann.</p> - -<p>»Mamachen, Mamachen,« ruft eine piepsige Stimme, -und der pauspackige, kleine Gesell, das Kind Amor, springt -von seiner Marmorsäule herunter, stellt sich dicht vor mich -hin und nickt mir zu.</p> - -<p>»Mamachen, hier sitzt noch eine in der Ecke; aber sie -sagt nichts. Ein ganz kleines Mädchen ist es, und sie -macht große, verwunderte Augen, und ihre Stirn leuchtet -eben so weiß, wie Deine!«</p> - -<p>»Hinaus mit ihr! Hier werden keine Sterblichen geduldet! -<a class="pagenum" id="page_027" title="27"> </a> -Wir wollen keine Lauscher,« sagt die lange Diana -von Versailles mit ihrer scharfen Stimme, »hetzt die Hunde -auf die Unberufene.«</p> - -<p>»Willst Du hier das große Wort führen?« lächelt unsere -liebe Frau von Milo etwas höhnisch, »alte Jungfern -sind freilich flink mit der Zunge, aber ich denke, wir, die -wir unsere Aufgabe im Leben – Lieben und Geliebtwerden -– erfüllt haben, wir gelten mehr hier im Reich der -Freude!«</p> - -<p>Diana zuckt die schlanken Schultern und hüllt sich keusch -in vornehmes Schweigen.</p> - -<p>»Geh', Amorchen,« schmeichelt die tanzende Bacchantin -– war sie nicht eben noch kopflos? Jetzt trägt sie ein -lieblich-übermütiges Haupt auf dem zierlichen Hälschen. –</p> - -<p>»Frag' sie einmal: Hast Du Jemanden lieb? Recht von -Herzen, recht freudig? Und wenn sie ›Ja‹ sagt, dann laßt -sie nur immer hier. Denkt wohl, ich sei ein dummes, kleines -Ding, aber Amorchen, Du weißt, ich verstehe mich auf -solche Sachen!«</p> - -<p>Und sie dreht sich im Tanz und schüttelt die anmutigen -Glieder, daß der musikalische Faun neben ihr schnell ein -lustiges »Klingkling« hören läßt. – Da erhebt sich eine -Stimme, sanft, wie Windessäuseln, stark, wie Sturmeswehen -und ernst, wie das Grab: Hermes spricht. Majestätisch -ragt sein wunderbares Haupt über die andern hinweg, -und seine armen zertrümmerten Glieder umgibt Würde -und Hoheit.</p> - -<p>Götterbote! Glück und Freude, Schmerz und Tod trugst -Du hin über alle Welt! Ich möchte niederknieen vor Dir -und Deine ewige Schönheit anbeten und über Deine verstümmelten -Glieder meine armseligen Thränen weinen!</p> - -<p>»Laßt sie gewähren, Ihr Götter,« sprichst Du, und -Deine Augen sehen mich an, milde, verheißend – »denn ich -<a class="pagenum" id="page_028" title="28"> </a> -kenne sie. An ihrer Wiege stand ich und brachte ihr das -Geschenk des himmlischen Vaters, beugte mich über sie, -hauchte es in ihre Stirn, legte die Hand ihr auf's Herz, -und da zog es ein – und küßte ihren Mund, und da -lernte sie lächeln und – lieben.« Leise nickt er, und ich -möchte weinen. –</p> - -<p>Horch! Das seltsame Geräusch! Rollend, rasselnd, im -Takt sich wiederholend – dazwischen ein melodisches Pfeifen, -ein kunstvoller Schnörkel am Ausgang des tiefen, -rollenden Tones, behaglich einschläfernd klingt's in seinem -rhythmischen Taktfall, seiner ruhigen Gleichmäßigkeit.</p> - -<p>Alle stehen und lauschen – –</p> - -<p>Da balanciert der alte, bärtige Silen das Bacchuskindlein -geschickt auf dem einen Arm und deutet mit dem andern -lächelnd über die Schulter auf den Faun hinter ihm, -welcher, trunken von Wein und Freude, seine kolossalen -Glieder im tiefen Schlafe dehnt. – Die kleine Bacchantin -bricht in ein schallendes Gelächter aus: »Der Faun schnarcht! -Denkt Euch, er schnarcht! Zuviel des feurigen Griechenweines -hast Du getrunken, Du liederlicher, großer Gesell -Du!« schilt sie und kitzelt ihm neckisch die Fußsohlen. Der -Faun murmelt unverständliche Worte und bewegt die mächtigen -Glieder und versucht den Arm zu erheben. Aber -schwer sinkt die Hand auf den Felsen zurück, auf dem er -ruht, und bald tönt wieder sein musikalisches Schnarchen -mit dem lustigen Endschnörkel durch den Saal. –</p> - -<p>»Heraus aus den Schluchten, aus Klüften und Thälern, -kommt hervor aus den Quellen, huscht flink aus den Bäumen, -ihr Nymphen, Dryaden, ihr schelmischen Mädchen, -ihr lustiges Volk! Tanzt, lacht und singt, und hüpfet und -springt! Weckt den faulen Schläfer dort und bittet Bacchos, -den süßen Wein Euch zu reichen!«</p> - -<p>Eine klangvolle, frische Stimme schallt von der Thür -<a class="pagenum" id="page_029" title="29"> </a> -her. Diana ist es, aber nicht die lange Versaillerin: eine -liebliche, mädchenhafte Diana, mit kurzem Röckchen, noch -nicht ganz fertig mit der Toilette – und sie klatscht in die -schlanken Hände, und unsere liebe Frau von Milo lächelt -ihr holdselig zu.</p> - -<p>Nun wird es lebendig um mich her; allüberall aus den -Winkeln und Ecken, die Treppen hinauf, hinunter kommt's -gehuscht, geflogen, gekichert. Nackte, liebliche Mädchengestalten, -üppige Weiber, bockshörnige Faune, tapfere Krieger, -die vor Troja gefochten, ernstblickende Römer – alles wirbelt -lustig durcheinander und sie umtanzen den schlafenden -Faun, sie kitzeln ihm die Seiten und zausen ihm die Haare, -sie halten ihm den würzigen Griechenwein unter die Nase -und lachen ihm ein lustig Lachen in die Ohren, bis er die -sehnigen Glieder reckt und streckt – da steht er mitten -unter ihnen und dreht sich im wilden Reigen. Wie der -Jubel sie alle begeistert, wie die tolle Lust sie hinzieht in -ihr Freudenreich! Sieh' den alten Sokrates – mühsam -kriecht er aus der Verzierung des römischen Sarkophags -heraus, umgeben von den lieblichen Musen; Terpsichore -tanzt Ballett, und da stehen Seneca und Demosthenes und -Pindar und Cäsar und viele alte Kahlköpfe und sehen zu. -Mit mächtigem Satz springt der borghesische Fechter in die -Tanzenden hinein, eine weichhäutige Nymphe hoch in die -Lüfte schwingend, die Ringkämpfer lassen ihren Zorn und -stimmen in das fröhliche Gelächter ein; die beiden schlanken -Discus-Werfer schleudern ihre Metallscheibe geschickt über -die Köpfe der neun Musen hinweg, daß die alten Herren -entsetzt von ihnen zurückweichen, und mein schwermütiger, -holder Antinous küßt die schwellenden Lippen der liebetrunkenen, -kleinen Bacchantin.</p> - -<p>Majestätisch ernst sehen die drei Parzen vom Parthenon -in das Getümmel und Helios lächelt siegreich von -<a class="pagenum" id="page_030" title="30"> </a> -seinem Sonnenwagen hernieder. Frau Venus steht als -Sonnenkönigin mitten unter den Jubelnden in aller Pracht -und lächelt ihrem Volke voll Huld.</p> - -<p>Und die Dichterin Sappho öffnet ihren liederreichen, -holdseligen Mund und flüstert schmachtend:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Die Du thronst auf Blumen, o Schaumgeborene,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Tochter Zeus, listsinnende, höre mich rufen!«</td></tr> -</table> - -<p>Und da, ach, siehe da – die kokett verhüllte Göttin der -Schamhaftigkeit sinkt sehnsuchtsvoll in die geöffneten Arme -eines kräftigen, schöngestalteten Fauns. – Dacht' ich's -doch! –</p> - -<p>Ja, sogar die Tiere stimmen ein in die allgemeine -Fröhlichkeit: die Schlangen des Laokoon lassen ab von -ihren Opfern – des Vaters Stirn blickt heiter nun, und -die sanften Knaben fürchten sich nicht mehr – und unterhalten -sich mit der Eidechse des schönen Appollo, des -Eidechsentöters, dessen Körper etwas von der Geschmeidigkeit -der Lacerte an sich hat – und der Panter des Bacchos -(der Riesenkater) lauscht grimmig-herablassend dem Gespräch.</p> - -<p>Doch, was ist das? Fürwahr, eine seltsame Prozession: -langsam ziehen sie einher, im ehrbaren Reigen sich schwingend, -gravitätisch-lüstern die Blicke um sich werfend, und jeder -am Arme ein sittsam Dämchen mit unendlich vielen Kleidern -– zimperlich geschürzt mit geübter Rechten.</p> - -<p>Wahrhaftig, die zwölf Apostel sind's an der St. Sebalds-Kirche -und irgend welche heilige Damen, die hoch oben im -Christenhimmel thronen, haben sie sich zum Heidentanz -engagiert.</p> - -<p>So ist's recht! Hebt die Füße, streckt die Arme, hierhin, -dorthin, auf und ab!</p> - -<p>Tanzt lustig den Reigen und dreht Euch im Kreise. –</p> - -<p>Mitten im zierlichen Tanz stehen die heiligen Weiblein -<a class="pagenum" id="page_031" title="31"> </a> -bewundernd vor dem schönen, nackten Leib des Antinous, -dem offenbarenden Mund des heiligen Johannes entströmen -Worte der Begeisterung über die Wunder der Weibesschönheit, -der heilige Paulus seufzt: »Hieße ich doch noch Saulus!«, -und der heilige Petrus rasselt mit den Himmelsschlüssel-Castagnetten -dazu. Und sie schwingen sich im Kreise, daß -die heiligen Gewänder fliegen, die heiligen Bärte wehen -und der heilige Schweiß von den heiligen Stirnen rieselt. –</p> - -<p>Bim, bim – bim, bim! Horch! Ein Glöcklein! Das -Vesperglöcklein der St. Sebalds-Kirche.</p> - -<p>Schlaff sinkt der heiligen Schar der Arm, es stockt der -Fuß – starren Auges schauen sie zur Thür. Da steht -eine hagere Mönchsgestalt in brauner Kutte und winkt mit -langem, dürrem Finger und bim, bim, – bim, bim, tönt's -Glöcklein wieder. Stark wie Riesenarme ist die Macht der -Gewohnheit! Dahin stürzen sie, die lieben Heiligen alle, -in atemloser Hast sich überstürzend, überkugelnd. –</p> - -<p>»Zur Vesper, zur Vesper!«</p> - -<p>Und der heilige Paulus-Saulus wendet sein bärtig -Antlitz:</p> - -<p>»Ueber ein Weilchen werdet Ihr uns nicht mehr sehen, -und über ein Weilchen werdet Ihr uns wiedersehen, wenn -– wir die Vesper gesungen!«</p> - -<p>Ein lustig schallendes »Evoe!« antwortet ihm und – -bim, bim – bim, bim tönt's Glöcklein von der St. Sebalds-Kirche. – –</p> - -<p>Banges Stöhnen, sanftes Klagen, todesmüde Laute -dringen an mein Ohr:</p> - -<p>»Tod, was eilest Du? Nimmer begehr' ich Dein!« dringt's -über die bleichen Lippen des sterbenden Sklaven Michel Angelos, -und bang sinken seine schönen Glieder ineinander.</p> - -<p>»Wohl brannte die heiße Sonne Italiens erbarmungslos -auf mich nieder, wohl sengte sie mir mein Hirn, meine -<a class="pagenum" id="page_032" title="32"> </a> -Seele; wohl fühlte ich die scharfe Peitsche auf meinen -nackten Schultern, wohl schnitten mir rauhe Flüche ins -Herz – aber ich lebte doch, und mit mir die Hoffnung! -Bei den mitleidsvollen Strahlen der Sonne dachte ich an -kühle Eichenhaine, beim Brausen des Sirocco an das Rauschen -meines Nordlandmeeres, unter Blüten und Früchten -und ewig blauem Himmel an Eis und Schnee, an Sturm -und Regen. Und wenn die Peitsche des Vogts klatschend -auf mich fiel, da – in meinen Gedanken – kühlte lieb -Mütterleins Hand ihr Brennen und meines süßen Liebs -Mund küßte mein Herz gesund. –</p> - -<p>»Tod, zögere noch! Laß mir die Hoffnung, laß mir das -Leben! Tod, warum kommst Du!« –</p> - -<p>»Stirb doch! Dann bist Du frei!« antwortet ihm eine -rauhe Stimme, und es rasselt wie von Ketten, dumpfes -Stöhnen entringt sich der Brust seines gefesselten Kameraden -neben ihm. –</p> - -<p>»Freiheit, Freiheit! Gib mir Freiheit! Sie haben mich -an diesen Felsen geschmiedet, meine Hände, meine Füße, -meinen Leib – und ohnmächtig schüttle ich meine Ketten. -Und weißt Du, warum sie mich fesselten? Warum sie -mich des höchsten Gutes, der Freiheit, beraubten? Weil -sie mich fürchteten, weil die Angst, die wahnwitzige Todesangst -sie dazu trieb. Weil sie wußten, ich würde den -Brand des Aufruhrs in die Welt hinaus schleudern, würde -nicht eher rasten und ruhen, bis ich die alte Erde vernichtet, -zertrümmert, daß eine neue aus ihr entsteht – -gut, rein, stolz, wie <em class="ge">sie</em> sie <em class="ge">nicht</em> schaffen können. –</p> - -<p>»Und darum nehmen sie mir meine Freiheit und werfen -mich in Ketten, schmieden mich an und hohnlachen in mein -Gesicht. –</p> - -<p>»Du allmächtiges Wesen, das Du da oben über den -Wolken thronen sollst, wenn Du mich verstehen kannst, so -höre meinen Ruf:</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_033" title="33"> </a> -»Gib mir Freiheit – oder laß mich sterben! – – -Keine Antwort – ohnmächtig oder grausam bist Du – -denn sieh', stark bin ich noch, und mein Herz schlägt, mein -Kopf denkt noch, rastlos, unermüdlich, und – hörst Du's? -– meine Ketten klirren höhnisch, immer weiter, immerzu! -– O Tod, warum kommst Du nicht!«</p> - -<p>– – – – Lustig Rufen übertönt seine grollende Stimme, -Beifallklatschen, Jauchzen, und dazwischen der Ruf: »Bacchos, -Bacchos!« Und hierher wälzt sich der fröhliche Strom -jubelnder Götter und Menschen und »Dich wollen wir, -Bacchos, Gott der Freude, wo weilst Du so lange!« Sie -knieen vor der schönen Jünglingsgestalt mit der berauschend -lieblichen Traube neben ihm, und sie nehmen ihn in ihre -starken Arme, und Nymphen und Göttinnen umschmeicheln, -umkosen ihn. Da lassen sie ihn nieder, auf die Kniee des -egyptischen Götzenbildes – denn das ist leblos und von -Stein geblieben – und neigen sich huldigend vor ihm. -Doch er erhebt den Arm und deutet mit der Götterhand -auf die Marmorgebilde neuester Zeit, in der Mitte des Saales:</p> - -<p>»Was wollen die unter uns?« fragte er mit zorniger -Stimme, »schafft sie fort – sie stören mich!« Athene steht -neben ihm, die blauäugige, siegende Göttin; sie hört ihn, sie -winkt ihrem Liebling, dem starken, schnellfüßigen Achill, -und der –</p> - -<p>»Naus da, 'naus da aus dem Haus da! Fort mit -dir, Gesindel!«</p> - -<p>Und jubelnd sehen alle, wie Zenobia in voller Kleiderpracht, -eine falsche Oenone, ein paar weichliche Marmorkinder, -eine vollbusige, schamlose Schönheit, zertrümmert -die Steintreppe hinunterfliegen. – Dann aber neigt sich -Achilles voll Anstand vor der Statue des Lincoln mit dem -Sklaven und spricht mit Höflichkeit:</p> - -<p>»Mein Herr, gern mögen Sie unter Heroen weilen, aber -<a class="pagenum" id="page_034" title="34"> </a> -Sie werden begreifen, daß Sie dann auch in voller Heroen-Uniform -zu erscheinen haben, und die möchte Ihnen vielleicht -nicht gut stehen. Entschieden aber können wir in -unserm Reich der Schönheit das Untier von Häßlichkeit da -zu ihren Füßen unmöglich dulden.« Und Lincoln verbeugt -sich verständnisvoll und verläßt den Saal.</p> - -<p>Da wankt eine müde Gestalt die Treppe herauf – -einst der Stolz der Götter, immer die Freude der Menschen -– und läßt sich schwer auf die Stufen nieder; die starken -Schultern beugen sich, der Leib zieht sich schmerzlich zusammen, -ein mächtiges Haupt sitzt plötzlich auf dem starren -Nacken des Herkules-Torso und senkt sich matt, todesmatt; -und klagend, grollend erfüllt eine Stimme den Saal: -»Müde bin ich – endlich! Müde, der Welt zu dienen, -müde, Undank zu ernten, müde, zu lieben, müde, zu leben – –</p> - -<p>Einst lag die Welt schön und gut vor mir, einst hatte -ich Lebensmut, Lebenslust, einst habe ich gekämpft, gestritten, -gerungen – und nun? Nun bin ich müde und -möchte schlafen!« – –</p> - -<p>Die starken, trotzigen Glieder sinken zusammen, und -das starke Haupt stützt sich schwer auf den kraftvollen Arm.</p> - -<p>Es nahen sich zwei schlanke, schöne Jünglingsgestalten, -eng aneinander geschmiegt, die Arme verschlungen, und ein -mildes Licht strahlt von ihnen aus. Da legt der eine ernst -und leise die Hand auf die müde Stirn des Herkules –</p> - -<p>»Schlaf',« sagte er sanft.</p> - -<p>Da senkt der andere still die brennende Fackel zur Erde, -daß sie erlischt –</p> - -<p>»Ewig,« lächelt er.</p> - -<p>Und voller Ehrfurcht beugt das lustige Göttervolk das -Knie und huldigt dem Toten. –</p> - -<p>Liebliches Klingen, Singen, Getöne – ein wunderbar -Leuchten, hell, sanft und mild –</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_035" title="35"> </a> -Da schwebt etwas die Treppe hernieder, zartduftig, -schimmernd in weißer Pracht – himmlisch lieblich, lebensvoll -schön – Ach, ich sinke in die Kniee und blicke zagend -zu der göttlichen Gestalt der Medicäerin empor, denn <em class="ge">sie</em> -ist es – Sie kommt zu mir, sie tritt vor mich hin, und -ein wundersames Schauern durchbebt mir Kopf und Herz. -Sie neigt ihr holdseliges Antlitz zu mir, und sie küßt mich -auf den Mund, es rinnt wie Feuer durch meine Glieder. -Neben ihr steht ein schöner Jüngling, dem strahlen viele -kostbare Gedanken von der weißen Stirn. Er sieht mich -an, ernst und voll kindlicher Weisheit, und spannt seinen -Bogen und zielt gut – denn der Pfeil dringt mir mitten -ins Herz hinein. Und dann – bin ich es noch? Lebe ich? -Mir ist's so groß ums Herz – Sieh', meine Hände! Durchsichtig -klar sind sie, und mein Körper schimmert, wie die -der Marmorgestalten – Ach, meine Glieder zittern – –</p> - -<p>Da faßt Aphrodite mich an der Hand und führt mich -den Uebrigen entgegen – Und Hermes lächelt zu mir: -»Psyche, bist Du erstanden?«</p> - -<p>Jubelnd begrüßen mich alle, alle – und sie heben mich -empor zu Nike, der Göttin des Sieges, und ich schmiege -mich an ihren schönen Körper, der kein Haupt mehr auf -ihren Schultern trägt.</p> - -<p>Du schwebst zwischen Himmel und Erde, o hehre Göttin! -Thörichte Menschen schlugen Dir Dein stolzes Haupt ab, -engherzige, fromme, nicht denkende Menschen. Sie sagten: -Du dürftest Dein Haupt nicht erheben, mit Deiner freudigen -Stimme die Menschen nicht begeistern, auf daß sie -stumpfsinnig würden, wie jene selber. Ach, Du Göttin, -Deine ganze Gestalt, Deine verstümmelten Arme, Deine stolzen -Füße, die leisesten Falten Deines Gewandes – Alles spricht -Sieg! Sieg über die Finsternis, die Kleinheit, über freche -Gewalt, und fromme Erbärmlichkeit.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_036" title="36"> </a> -Und sieh', in Deinen Armen hältst Du Psyche, die -Seele, die Ewigkeit – und weit hinaus ragt Ihr, über -alles herrscht Ihr, über Götter und Menschen!« – –</p> - -<p>Da, Licht! Es fällt durch die Fenster – es wird -Tag – –</p> - -<p>Tiefe Stille – – Und ich fahre mit eisiger Hand über -meine heiße Stirn – – und da stehe ich – ein armes, -sterbliches Kind des nüchternen, kühlen, praktischen neunzehnten -Jahrhunderts.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_037" title="37"> </a> -Unser Frühling.</h2> - - -<p>»Ich bin da – siehst Du mich?« sagte die Ranunkel -zur Sonne, »sieh', ich glänze – bin ebenso golden wie Du!«</p> - -<p>Und sie richtete sich in die Höhe, spreizte ihre eigelben -Blütenblättchen auseinander und sah unglaublich frech in -die Welt hinein.</p> - -<p>Der Sonnenstrahl aber glitt über sie hinweg, über die -Anemonen hin.</p> - -<p>»Ihr seid schöner als die gelbe Blume,« flüsterte er -ihnen zu, und sie erröteten wie junge, bleichsüchtige Mädchen -und wurden sehr stolz.</p> - -<p>»Was wollt Ihr hier?« riefen sie den Veilchen entgegen, -die frisch und munter im grünen Röckchen und blauer -Blouse anmarschiert kamen.</p> - -<p>»Ihr habt hier nichts zu suchen – das ist unser Boden.« -Aber das kümmerte das Veilchen gar wenig. Ueberall, wo -es Wurzeln fassen konnte, zwischen Ranunkeln und Anemonen -und Kuhblumen, zwischen Moos und Gras, unter -Blättern und Reisig, sogar zwischen den vornehmen, sonderbaren -Frühlingsblumen, die erst vorsichtig einen Blätterregenschirm -aufspannen, damit ihre kleinen weißen Blüten, -<a class="pagenum" id="page_038" title="38"> </a> -die sie unten am Stengel tragen, nicht naß werden – -überall öffnete das Veilchen seine Blauaugen und lächelte -sanft dem Frühling entgegen.</p> - -<p>»Seid Ihr ein exklusives Volk,« sagte der. Er saß mit -gekreuzten Beinen auf einem allmächtig großen Schneckenhaus -und hatte eine Blütenkrone auf dem Haupt und eine -Weidengerte mit lustigen Kätzchen daran in der Hand; er -spielte mit einem überjährigen Schneeballen, der irgendwo -in einem Waldwinkel, von der Sonne vergessen, liegen geblieben -war, und der schmolz jetzt und träufelte der Schnecke, -die aus ihrem Fenster guckte und schrecklich große Augen -machte, gerade auf die Nase, daß sie entrüstet ihre Fühlhörner -einzog und das Fenster zumachte. Die Schmetterlinge, -die den Frühlingsknaben umgaukelten und wie Blumen -aussahen, die von ihren Stengeln geflogen und auf die -Wanderschaft gegangen waren – gerade wie unsere sehnsüchtigen -Gedanken mitunter – machten vor Vergnügen -die lustigsten Capriolen in der Luft und schlugen übermütig-hastig -mit den kleinen, bunten Sammetflügeln. »Ihr -seid ein exklusives Volk hier im Walde,« sagte der Frühling, -»jede Sippe hockt auf ihrem Fleckchen Erde für sich -und macht scheele Gesichter, kommt ihm ein anderes zu -nahe. Und erst die Bäume – hier die Eichen, dort die -Tannen, drüben die Birken – die Weiden sind in die -Wiese geflüchtet, damit sie's Reich für sich allein haben, -und die Obstbäume wollen erst recht nichts von den andern -wissen. Freilich – seid auch auf verschiedenem Erdreich -groß geworden. – 'S wär' auch langweilig in der Welt, -wär' alles über einen Kamm geschoren! Und doch – <em class="ge">Eine</em> -strahlende Sonne scheint über Euch alle, und <em class="ge">ein</em> gütiger -Regen erquickt Euch!« – Und der Frühling erhob sich vom -Schneckenhaus und schlenderte davon. Gern hätte er die -Hände in die Hosentaschen gesteckt, aber das ging nicht, -<a class="pagenum" id="page_039" title="39"> </a> -denn – er war ganz nackt und bloß wie die Natur selber, -und der Sonnenstrahl strich gleitend vor ihm her und -leuchtete ihm. Pfeifend und singend mit heller Stimme -zog der Frühling durch den Wald; unter seinen Tritten -sprossen die Blumen und sein Lachen – das war der -Frühlingswind, der warme Südwind, der belebend über -die Erde fuhr. Die Vöglein kamen und antworteten -mit sehnsüchtigen Lauten. – Ueber den Wald hin schallt -der starke Weckruf der Blauvögel. Sieh' – da blitzt es -feuerrot auf – das ist ein lieblicher Sänger! Und horch! -Hier die rostbraune Drossel – Hörst Du, was sie sagt? -»Tüterlü! Der Frühling kommt! Siehst Du ihn – Du, -Du, Du, Du!« – Und: »Komm' zu mir, komm' zu mir! -Zerr – zeck, zeck, zeck, zeck!« bläst der Zaunkönig sein -Kehlchen auf – wupp! schlüpft er durch die Hecke, und dahin -geht's, im Lauf, geschwind wie ein Mäuschen. – Siehst -Du den Specht? Weiße Hosen, schwarzes Röcklein und auf -dem Kopf ein tiefrot Käpplein über dem schlauen, spitzen -Näschen – ist doch gar ein putzig Weschen! Sieh', wie -klug die schwarzen Augen funkeln, sieh' – wie er mit dem -Frühling Verstecken spielt! Bald an dieser, bald an jener -Seite des Stammes schimmert sein rotes Köpfchen und -wirft ihm der Frühling eine Hand voll Blätter ins Gesicht, -die sich schnell an die Zweige anklammern – hei! -Da sitzt er schon ganz hoch oben im Baum und lugt -schelmisch um die Ecke:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Pick, – pick, – pick, – pick – hier find' ich mein Mücklein!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Pick, – pick, – pick, – pick – hier schlag' ich mein Brücklein,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Von Baum zu Baum über Busch und Strauch –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ei, Frühling – geschwinde! Nun folge Du auch.«</td></tr> -</table> - -<p>»Hahaha,« lacht die Spottdrossel wie toll und gleich -darauf klingen langgezogene, friedliche Sehnsuchtslaute aus -<a class="pagenum" id="page_040" title="40"> </a> -ihrer Nachtigallenkehle, daß alle Vögel inne halten und -dem Frühling die Thränen aus den Augen rinnen.</p> - -<p>Wo hört' ich jüngst solch ein Spottdrossellied? – Weich -und schwül – hohnlachend – – war's nicht in meinem -Herzen? Ist's nicht das Menschenherz selber – in all -seinem Leid, all seiner Sehnsucht, all seinem Haß? –</p> - -<p>»Sputet Euch,« sagt der Frühling zu den Eichen und -schlägt sie schmeichelnd mit seiner Weidengerte, »Ihr knorrigen -Gesellen! Seid zwar auch <em class="ge">so</em> schön mit Euren kuriosen -Knorpeln und verdrehten Aesten – gerade so knorpelig und -verzwickt, wie ein Menschenhirn – aber wenn Ihr die zackigen -Blätter von Euch spreizt, habe ich Euch noch lieber!«</p> - -<p>Und da sproßten die roten Keime und Blättchen, und -nun hatten sie ein noch wunderlicheres Ansehen, gerade -wie ein Schalksnarr, dem die Liebe aus den Augen -guckt. –</p> - -<p>»Ich,« sagt die Ulme, »ich bin vorgeschritten in der -Kultur – seht, mein krauses, grünes Gewand ist schon fix -und fertig.« –</p> - -<p>Und der Frühling geht weiter:</p> - -<p>»Sieh', sieh', wie schön steht das maigrüne Kleidchen -zu Deiner weißen Haut, kleine Birke, – bist fast die Schönste -von allen! Alte Tanne« – er streicht über der Tanne -stattliche Haare – »mußt immer dasselbe dunkle Kleid -tragen jahraus, jahrein – bist wohl gar neidisch?«</p> - -<p>Aber die Tanne ist unartig, sie streckt dem Frühling -und seiner Birke eine lange, hellgrüne Zunge aus den dunkeln -Nadeln heraus und antwortet noch nicht einmal vor -Trotz.</p> - -<p>»Böses, altes Ding Du,« schilt der Frühling, und um -sie zu ärgern, gibt er den Lärchen lauter kleine hellgrüne -Federbüsche, kleinen Pinseln gleich, die tragen sie stolz, wie -ein angehender Maler seine Farbenpinsel in der Brusttasche. -<a class="pagenum" id="page_041" title="41"> </a> -– Horch! Was regt sich hinter dem Tannendickicht? -Ein hübsches, verstecktes Plätzchen – Taubengegirr, Vogelgesang -– ist's Windessäuseln, rauschen die Zweige, geheimnis-ahnungsvoll! -Leise schleicht sich der Frühling heran, -er verbirgt sich hinter einem Baumstamm – er lauscht – -er sieht – –</p> - -<p>Menschenkinder sind's, zwei junge, lachende, kosende -Menschenkinder, den ewigen Frühling, die Liebe, im Herzen, -in den Augen. – Sie ruht im Gras, den Kopf gegen eine -Tanne gelehnt, er zu ihren Füßen, den braunen Lockenkopf -in ihrem Schoß – leises Lachen, halblautes Singen, -abgebrochene, unverständliche Laute – halbgeflüsterte, halbgeküßte -Liebesworte. – Glückliche, selige Menschenkinder – -was wißt Ihr vom brennenden Sommer, vom welkenden -Herbst, vom eisigen Winter? – Der Frühling streichelt -Euch Stirn und Wangen. – Blondes Mädchen, Du streichst -Dir die Löckchen aus der Stirn und schiltst über den Wind -– oder den Geliebten, der Dir die Haare zerzaust hat – -und der Sonnenstrahl küßt Euch und dringt Euch bis ins -junge Herz hinein! –</p> - -<p>Auf leisen, flüchtigen Sohlen eilt der Frühling von -dannen:</p> - -<p>»Jetzt muß ich aber auch die Obstbäume anlächeln,« -sagt er im raschen Lauf, »daß sie treiben und blühen und -Früchte tragen.« Aber die waren voreilig gewesen, wie -gewöhnlich, hatten nicht auf das Lächeln des Frühlings -gewartet, hatten sogar vergessen, sich erst die Blätter anzuziehen. -– Da stehen sie in ihren schlohweißen Hemdchen -und lächeln verschämt, ach, und Apfelbäume und Pfirsiche -werden ganz rot, als sie den Frühling kommen sehen, und -nur die Birne ruft triumphierend: »Ein paar grüne Blättchen -habe ich schon – aber Du, Frühling, bist ja ganz -nackt!« Hei, wie sie sich alle schütteln vor Lachen, daß ihr -<a class="pagenum" id="page_042" title="42"> </a> -weicher, duftender Blütenschnee über die grüne Erde hinweht. -– Ganz überschüttet wird der Frühling; in seinen -Locken hängt die duftige Ueberfülle, um Stirn und Wangen -schmeicheln die süßen Boten – da wird es ihm ganz weh -ums Herz vor Wonne und Jubel, sehnsüchtig breitet er -seine Arme der Geliebten entgegen, der leuchtenden Sonne -– und da wird er zum Manne – er vermählt sich mit der -Sonnenglut – und siehe, es war Sommer!</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_043" title="43"> </a> -Frostiger Frühling.</h2> - - -<p>Um unsere Blüten sind wir betrogen! – Im März, -als der warme Sonnenstrahl die erwachende Erde überglänzte, -da lag ein rötender Hauch über den Obstbäumen, -licht wie ein rosenfarbenes Wölkchen am Frühhimmel – -heute haben die Birnbäume und die knorrigen Apfelbäume -ein festes grünes Mieder angezogen, aus dem sie stramm -und vernünftig herausschauen, und das Mädchenerröten -haben sie längst vergessen.</p> - -<p>Um unsere Blüten sind wir betrogen! – Hat der Frost -sie getötet, der lauernd über die Erde schlich? Hat unsere -schönen Hoffnungen der Sturmwind verweht? Ist der -Regen gekommen auf seinen grauen Rossen, den Wolken, -und hat sie mit seinem gleichförmigen Gedrissel – patsch! -patsch! Tropfen auf Tropfen, wie die tägliche Langeweile, -– verwaschen, verknittert, zerblättert? –</p> - -<p>Nackt stehen die Magnolienbäume im botanischen Garten. -Sie, die sonst im Mai zum Frühlingsreigen in prächtigen -Balltoiletten der verwunschenen Prinzen harrten; sie, die -sonst von der Ueberfülle ihrer Schönheit den neckischen -Winden preisgaben, daß die Blütenblätter und ihr Duft -die Luft erfüllte. Heute stehen sie kahl und düster und -traurig da, kein lächelnder Prinz wird um die südliche -<a class="pagenum" id="page_044" title="44"> </a> -Schöne werben und der Frühling hat die Prächtige, Ueppige, -Duftende vergessen. – Da gleitet ein Sonnenstrahl über die -schwarzen, vom Frost geknickten Spitzen der Magnolien. -Es ist, als lächle er. In seinem Flimmer tanzt ein gelber -kleiner Schmetterling, er taucht sich in die vergessene weiße -Blüte eines jungen Birnbaums, der schon winzige Früchte -am andern Zweige trägt. Und da lispeln sie alle heimliche -Worte – horch!</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">Zur Blüte sprach der Schmetterling: »Was nützt mir's, daß ich strahle?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wenn meinen Schmelz ein Fingerdruck wegwischt mit einemmale?«</td></tr> - <tr><td class="tdl">  Da lachte der Sonnenschein.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Es sprach die Blüte zum jungen Blatt: »Was nützt mir's, daß ich blühe?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wenn ich nach einer Regennacht verblätt're in der Frühe?«</td></tr> - <tr><td class="tdl">  Da lachte der Sonnenschein.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Es sprach die Frucht zum grünen Baum: »Was nützt mir all mein Süßen?</td></tr> - <tr><td class="tdl">In meinem Herzen nagt ein Wurm: tot fall' ich Dir zu Füßen.«</td></tr> - <tr><td class="tdl">  Da lachte der Sonnenschein.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Ich rief wohl in die weite Welt: »Was nützt mir all das Klingen?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die rauhe Hand, die Nacht, der Wurm – Ein Sterbelied muß ich singen!«</td></tr> - <tr><td class="tdl">  Da lachte der Sonnenschein.</td></tr> -</table> - -<p>Ich folge dem lachenden Sonnenstrahl. Er huscht über -die Stiefmütterchen am Wege, die ihm ihre großen bunten -Augen zuwenden, über rote dickköpfige Tulpen, die sich -blähen vor lauter Vornehmheit; er klopft an die Fenster -des Treibhauses: ich bin da, ich bin da! – Aber was -kümmert das nervöse Volk da drinnen in ihrem überheizten -Haus der warme Sonnenschein? – Halt! du lockender -Strahl! laß mich erst einmal hineinschauen in die Blumen-Menagerie. -<a class="pagenum" id="page_045" title="45"> </a> -Sehnsüchtig sehen die armen Eingesperrten -durch die Glasfenster, und schauern zusammen, wenn die -kühle Frühlingsluft durch die offene Thür sie trifft. Sie -fühlen sich wohl in der heißen, feuchten Luft künstlicher -Bildung; einmal ihres heimatlichen Bodens beraubt, gedeihen -sie prächtig in der erstickenden Atmosphäre der Ueberfeinerung -– oh, und diese höchste Kultur zeitigt bizarre -Charaktere: da die Kaktus mit ihren Stacheln über und -über, an denen ein rauhes Gewebe klebt wie graues Haar; -dem bekannten Meergreis gleich, der »in die Wüste ging -und ein Wüstling ward«, frühzeitig gealtert wie unsere -nervös überfütterten Dandys <i>fin de siècle</i>. Protzige Agaven -mit dicken, fleischigen, ausstreckenden Zeigefingern. Cochenille-Kaktus, -unansehnliche, häßliche Dinger, nur dazu -gut, daß andere sich von ihnen nähren – die kleine, rote -Blattlaus, die aus diesem Häßlichen das Schöne bildet: -das leuchtende Cochenille-Rot. Hier die Palmen, groß, still, -erhaben, die Löwen der Blumen-Menagerie. – Die vielarmigen -Dracänen, die üppig wuchernden Schlinggewächse, -die seltsamen stillen Blumen mit Blättern und Blüten wie -aus Wachs geformt, – gleitet nicht Scheherezade durch diese -schwüle Luft und erzählt Märchen aus Tausend und einer -Nacht unter lispelnden Palmen und großen duftlosen Blumen? -– Aber dort unter dem First des Glasdaches, dem Licht -zustrebend – dort liegt es wie glänzend weißer Schnee, -besäet mit funkelndem roten Blutstropfen. »Weiß wie -Schnee, rot wie Blut!« Schneewittchen aus unserem lieben -deutschen Märchen nickt hervor aus diesem lieblichen Blumenmeer -und lächelt uns an. Eine Schlingpflanze ist es mit -schwarzgrünen Blättern; sie rankt sich hoch und immer höher -dem Himmel entgegen, der blau durch die Fenster ihres -Gefängnisses schimmert und tausend weiße, stille Blumenherzen -wenden sich ihrem Gott, dem Lichte, zu, und rot und -<a class="pagenum" id="page_046" title="46"> </a> -glühend entströmt ihnen ihr Gebet. – Da öffnet sich die -Thür, der Sonnenstrahl huscht hinein und küßt die roten -Blumenlippen, und winkt mir: Komm, komm! Ich zeig' -Dir viel Schönes, wenn auch die Blüten Dir genommen -sind. –</p> - -<p>Draußen im botanischen Garten glänzen die feingeharkten -Kieswege. Zwischen wohlgepflegten Blumenbeeten -wandeln wohlgepflegte Städterinnen. Die ordentlichen -Blumen auf den ordentlichen Beeten blühen noch nicht; die -ordentlichen Städterinnen haben schon geblüht. Deshalb -strömen sie einen künstlichen, starken Parfüm aus, der -schlecht harmoniert mit der süßen, berauschenden Frühlingsluft.</p> - -<p>»Vorüber, ihr Schafe, vorüber!« singt Goethes Schäfer, -als ihm »gar so weh« wird – und wir huschen dem -Sonnenstrahl nach, aus dem ordentlichen Garten hinaus, -hinter die hohe Mauer, wo die Wildnis anfängt. Hier -ist auch eine Menagerie, die der Bäume. Aber die Wildlinge -aus Nord und Süd haben in dem fremden Boden -Wurzel gefaßt, ihn sich angeeignet, und so gedeihen sie und -wachsen und wachsen, als habe die neue Heimat ihnen die -alte ersetzt. – Was es nicht alles zu sehen gibt unter den -fremden Bäumen: dort, wohin die Tannen nicht mehr gelangen -können mit ihren langen Armen, kriecht kleines, -grünes Moos dicht an das Nadelbett heran, das die Tanne, -wie Frau Holle den Schnee, um sich ausgeschüttet; es -blüht, das Moos, mit lauter gelbgrünen Zäckchen, und -zwischen den feinen krausen Spitzen kriechen winzige Insekten, -denen der Mooswald wohl so gewaltig dünkt, wie -uns jene blühende Kiefer. O wie blüht die Kiefer! Ueberall, -überall auf den starken Aesten, in den Stacheln verborgen, -da blüht es wie rotes Gold; sieben kleine Goldkätzchen -in einem Nest – und rührst Du daran mit vorwitzigem -<a class="pagenum" id="page_047" title="47"> </a> -Finger, dann rieselt ein feiner, gelber Blütenstaub -in Deine geöffnete Hand. Weich wie ein zartes Kinderbäckchen -berührt dich's, und ein würziger Duft erzählt dir -von unendlichen Kieferwäldern, in denen der Wind singt.</p> - -<p>»Bilde Dir nur nichts ein,« sagt die Nachbarin der -Kiefer, die deutsche Edeltanne, und sie reckt sich kerzengrade, -so daß sie noch einen Finger breit über jene hinweg schaut -– »Du mit Deinem Blühen! Sieh' mich an: meine Orden, -huldvollst verliehen von Sr. rauschenden Majestät dem -Frühling.« – Und sie klappt ihre Zweige zusammen, daß -ein feines Nadelgeriesel zur Erde fällt. Ueber und über ist -sie besäet mit hellgrünen Knöpfchen, frischen Nadelspitzen, -die vergnügt aus dem Dunkel ihrer Wintertracht hervorblitzen.</p> - -<p>Zwischen den Bäumen, aus Gras und Moos erheben -sich dunkle Blumenbeete. Seltsame Blumen stehen darauf: -aus dunklen Blättern hängt an einem dünnen Stiel eine -kleine, gelbe Tasche; – ich bin immer die vierundzwanzigste -mit fünfundzwanzig Fehlern in der Botanik gewesen, und -nun möchte ich wissen, ob diese niedliche, kleine, gelbe Tasche -nicht eine Art von Venus-Fliegenfalle ist? Kriecht ein -dummes Mückchen am Rand der schönen Blüte hin und -bleibt daran kleben: sacht schließt die schöne Blüte ihre -Tasche, und Mückchen ist gefangen und muß elend zu Grunde -gehen. Denn so eine Venus-Fliegenfalle gibt ihre Beute -nicht wieder los; ob's Mückchen auch zappelt – es wird -festgehalten bis an sein unseliges Ende. –</p> - -<p>Wenn nach einem deutschen Städtchen aus der nächsten -Garnison die Militärkapelle kommt und ein Biergartenkonzert -abhält, dann sitzen die unnützen Buben hinter der -grünen Hecke des Gartens und gucken hindurch und haben -die prächtige Musik mit allem Tschingdara-Bumbum und -die Herren- und Damen-Honoratioren, die weißröckigen -<a class="pagenum" id="page_048" title="48"> </a> -Mädchen, und all den Kaffee und das Bier – nämlich -indem sie sehen, wie es getrunken wird – ganz umsonst. -Sie nennen das: ein Heckenbillet nehmen. Ich habe auch -ein Heckenbillet genommen: ich sitze hinter der großen Mauer, -an der sich rotblühendes Gaisblatt rankt, und kein Mensch -im gebildeten Garten weiß, daß ich da bin, und ich höre -das süße Vogelkonzert, ich sehe die ernsthaften, andächtigen -Bäume und das kindlich lustige Gras, in dem die blauäugigen -Veilchen grüßen, ich trinke die wonnige Frühlingsluft -– alles umsonst. –</p> - -<p>Vor mir an der Mauer hinauf, einer Weinranke entlang, -läuft ein winzig klein Vögelein, geschwind wie ein -Mäuschen. Pick – pick! hier wetzt es sein Schnäbelein; -husch – husch! dort jagt es dem Käferchen nach – und -es sieht mich an mit den klugen Augen, als rief' es: Guck, -mach' mir das nach! Da ist es oben, reckt die kleinen Flügel -und mit einem jubelnden Gekicher ist es davon. – Horch! -über mir: da lacht und küßt und tollt ein braunes Drosselpaar. -Kokett wiegt sich das Weibchen auf dem schwanken -Ast; der Liebste lugt um den Stamm und zwitschert zärtlich: -Kind, sühst meck nich? – sühst Du meck nich? – Hier bün -eck! hier bün eck! lacht das Weibchen, und fort sind sie, in -das Dickicht hinein.</p> - -<p>Da kommt wieder mein Sonnenstrahl und lockt mich -aus meiner Ruhe und gleitet vor mir her – und ist verschwunden. -Wo bin ich? Was wölbt sich über mir – -weit, groß, allmächtig. Ich schaue hinaus, und schaue: -immer höher, immer gewaltiger weitet sich der grüne Dom -von Blättern. Die Zweige der beiden norwegischen Baumriesen -neigen sich gegen einander, sie werden zu gothischen -Spitzbögen, anstrebend in die Unendlichkeit. Sanftes -Dämmerlicht liegt in meiner Kirche. Durch das grüne, -schimmernde Blätterdach schaut der Himmel wie blaue, -<a class="pagenum" id="page_049" title="49"> </a> -freundliche Sterne. Ein lieblicher Weihrauch umweht mich. -Es ist der Duft der kleinen weißen Blüten des wilden -Apfelbaumes, der meine Kirche mit wonniger Süße erfüllt. -Ich stehe und schaue. Ich breite die Arme aus nach der -grünen Unendlichkeit da droben, und es ist still, still, um -mich, in mir. –</p> - -<p>Als ich hinaustrete aus den dämmernden Bögen meines -Domes, liegt die Welt hell zu meinen Füßen. Ihr Duft -umhüllt mich. Ihr Licht gleitet warm in mein Herz. Es -ist Frühling.</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">In den Lüften singt es und klingt es – und –</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"><hr /></td></tr> - <tr><td class="tdl">Ich flüstere in die weite Welt: »Wohl süß ist es zu singen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wenn Vogelschlag und Frühlingsduft weich dir ins Herze klingen« –</td></tr> - <tr><td class="tdl">  Da lachte der Sonnenschein.</td></tr> -</table> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_050" title="50"> </a> -Das Märchen, das gar nicht -kommen wollte.</h2> - - -<p>Es war einmal ein Märchen, das hatte sich eingepuppt -wie eine Schmetterlingsraupe und sich versteckt in dem Astloch -einer alten Eiche im Walde; nur zuweilen öffnete es -die Augen ein wenig und blinzelte um sich, und wenn es -sah, daß die Welt immer noch grau und kahl und ungemütlich -war, dann machte es die Augen zu und schlief -wieder ein. – Während dessen liefen die Menschen in dieser -kalten Welt herum und jammerten nach dem Märchen, das -gar nicht kommen wollte. Das heißt, eigentlich waren es -nur ein kleiner Junge und ein kleines Mädchen, die überall -nach dem Märchen fragten. Sie hatten dicht bei einander -auf dem Fußschemel gesessen und zugehört, was die -alte Märchenmuhme erzählte. Die großen Leute hatten -keine Zeit dazu, die hatten so viel zu sorgen und zu wirtschaften -und zu studieren, daß sie sich um ein Märchen nicht -weiter bekümmern konnten; außerdem sagten sie, so ein -Märchen, das sei nur für Kinder und solche, die es immer -bleiben; dabei käme gar nichts heraus, und man sollte nur -einmal die gelehrten Leute fragen, die den täglichen Bildungsbedarf -<a class="pagenum" id="page_051" title="51"> </a> -fürs Volk liefern – das viele Zeitungspapier -– die werden Euch schon sagen, was man von dem Märchen -zu halten hat.</p> - -<p>Da sagte der kleine Junge zu dem kleinen Mädchen:</p> - -<p>»Komm', wir wollen hingehen und sie fragen!«</p> - -<p>Als sie bis an eine große düstere Thür gekommen -waren, – da wären sie am liebsten wieder umgekehrt; aber -der kleine Junge war sehr mutig, und so gingen sie hinein. -Da saß der Gelehrte und las aus einem gewaltig großen -Stück Papier. –</p> - -<p>»Sieh' 'mal, der hat vier Augen,« sagte das kleine Mädchen -– und dann guckte er mit ein paar allmächtigen -schwarzen Augen über die gläsernen hinweg, die ihm unten -auf der großen Nase saßen, und das kleine Mädchen steckte -schnell den Finger in den Mund und der kleine Junge -ballte die Faust, während der Gelehrte brummte (Gelehrte -brummen meistens):</p> - -<p>»Sie haben zu viel Phantasie, meine Lieben, das hindert -Sie durchaus am logischen Denken und schwächt den Verstand. -Doch, es wird sich schon geben, darüber seien Sie -nur unbesorgt.«</p> - -<p>Da gingen die Kinder nach dem andern Gelehrten, -der war sehr freundlich, tätschelte ihre blonden Köpfe und -sagte: sie sollten nur wieder hingehen – das sei Alles in -schönster Ordnung. – Dann nahm er des ersten Zeitung -und schnitt da ein Stück heraus, aber so, daß der Anfang -fehlte und man nicht wußte, um was es sich eigentlich -handelte, und druckte es in seine eigene Litteratursammlung -hinein, und dann stand da zu lesen: Dieses ist für die -Kinder durchaus schädlich. Es verleitet sie zum Lügen und -könnte Veranlassung geben, daß sie sogar Phantasie bekämen. -– In unserem heutigen realistischen Zeitalter ist es nicht -<a class="pagenum" id="page_052" title="52"> </a> -angebracht, und der Konflikt zwischen Konservativismus -und Modernität wird immer wieder aufgefrischt. –</p> - -<p>Aber davon verstanden der kleine Junge und das kleine -Mädchen gar nichts; ganz traurig gingen sie wieder fort -und suchten immer noch nach dem Märchen, das gar nicht -kommen wollte. Sie hauchten ein Guckloch in die Eisblumen -am Fenster, ob es vielleicht außen davor säße; wie der -Schnee mit geheimnisvollem Sausen vom Dache rutschte, -öffneten sie das Fenster und dachten, nun käme es ganz -weiß hereingeflogen, und wie die Sonne anfing zu scheinen, -liefen sie hinter den Sonnenstrahlen her, um sie zu haschen, -denn sie meinten, das sei es nun; und dann schlichen sie -auf den Zehenspitzen ans Fenster, wo die großen, weißen -Hyacinthen standen und dufteten, und guckten zu, ob es -vielleicht in einer der stillen Blütenglocken zur Ruhe gegangen -sei.</p> - -<p>Aber das Märchen wollte und wollte nicht kommen. -Und unterdessen war es in der Welt immer noch kalt und -grau und trostlos. Die Menschen hasteten und jagten und -trieben einander und machten lauter dummes Zeug. Es -war eine häßliche Welt und häßliche Menschen darin, die -sich viel Leides thaten, und die beiden Kinder dachten oft, -ob denn das Märchen noch immer nicht kommen wollte und -Ordnung schaffen und die Welt wieder gut und schön machen.</p> - -<p>Da kam eines Tages der Südwind daher gefahren. -Er stieg von den Bergen hernieder, daß die Lawinen -donnernd vor ihm niederkrachten; er jagte das Eis auf den -Flüssen vor sich her, daß es sich bog und knackte und schrie; -er pfiff durch die Tannenwälder, daß die Nadeln den alten -Fichten um die Ohren sausten, und knickte die dürren Aeste -der Wälder, daß Platz wurde für die jungen, neuen Triebe. -Die Wolken trieb er vor sich her – runde, regenschwere -Wolken, in wilder Jagd; sie drängten und schoben sich -<a class="pagenum" id="page_053" title="53"> </a> -und sprangen einander auf den Rücken, wie die Buben, -wenn sie Haschen spielen. Dann stob er in die Stadt -mit wildem Jauchzen und Getöse; er blies in die Kamine -hinein, wie in ein Sprachrohr, und trieb Schabernack mit -des Petrus goldnem Hahn auf der Kirchturmspitze; er -deckte die Dächer ab und guckte den Leuten in die Häuser -und blies sie an, daß es den dummen Menschen angst und -bange wurde. Ja, er fuhr sogar dem König um die Nase, -als der just vor seinem Königreiche stand und, die Hände -in den Hosentaschen, darüber nachdachte, wie sein Volk ihn -wohl wieder einmal beglücken könne; und er warf ihm sein -Reichsaushängeschild gerade vor der Nase herunter, so daß -der König sich entrüstet umdrehte und in sein Reich hineinging -und die Thür zuwarf, daß es krachte.</p> - -<p>Aber der Wind lachte nur: »Puh! wenn ich nur wollte, -dann brauste ich Dich mit samt Deinem Königreich von der -Erde hinweg, wie einen Strohhalm – aber ich will nicht! -– Bist mir viel zu klein, du Königlein!« –</p> - -<p>Und dann warf er ein paar ehrsamen Bürgern, die des -Weges kamen, die blanken Cylinder von den gedankenschweren -Häuptern, als wolle er sehen, was in den Köpfen stecke; -und wehte ein paar schlanken Jungfräulein die langen -Kleider eng um die schönen Glieder und freute sich darüber, -der wilde Geselle, wie die kleinen Frauenfüße so tapfer -gegen ihn ankämpften.</p> - -<p>Mit lustigem Gekicher fuhr er zu den Wolken auf und -spielte Fangball mit ihnen; die Wolken fangen an zu weinen -und dann fällt ein weicher, warmer, feiner Frühlingsregen -auf die Erde nieder, eine zarte, graue Nebeldecke breitet sich -über die Welt aus, und unter dieser dampfenden feuchtwarmen -Decke da geht der Sturmwind zur Ruhe.</p> - -<p>Dort im Wald, in dem Astloch der großen Eiche regt -sich etwas, das ist das Märchen; das ist aufgewacht von -<a class="pagenum" id="page_054" title="54"> </a> -des Südwinds wildem Gesang und merkt, daß es nun Zeit -ist, aufzustehen. Es gähnt noch einmal recht herzhaft und -reckt und plustert sich wie ein Vögelein im Nest; dann -schiebt es erst das eine rosige Füßchen heraus und dann -das andere, dann gähnt es noch einmal, und nun -breitet es seine sammetenen Schmetterlingsflügel aus und -fliegt zur Erde nieder. Da leuchtet mit einemmal eine -große, glänzende Sonne durch den Nebel, und nun kann -man erst sehen, was für ein niedliches Märchen es ist. Es -ist sehr klein und fein, hat schöne, weiße Gliederchen und -große, dunkelblaue Stiefmütterchenaugen und die schönsten -goldnen Haare von der Welt, die glänzen in der Sonne -wie das rote Gold, das die Schlangenkönigin bewacht; auf -dem Köpfchen trägt es eine blaue Glockenblume, die macht -ein sanftes Geläute, wo das Märchen geht und steht.</p> - -<p>Es mußte wohl von dem Getön und Geklinge sein, -daß plötzlich alles lebendig wurde im Wald, daß die Vögelein -ein artig Konzertieren begannen und die Blumen – die -Krokus und Anemonen und Schneeglöckchen und wie sie alle -heißen – aus der Erde sprangen, wie kleine, weißhäutige -Kobolde, und ein duftiger Reigen begann in Wald und -Flur. Ei! wie es die Bäume da eilig hatten, ihr neues -grünes Kleid anzulegen, und wie die alten Tannen die -spitzen, gelbgrünen Finger ausstreckten, als wollten sie sich -auch so ein grasgrünes Flörchen erhaschen. Am Waldteich -der alte Erlenstumpf sagte zu seinen grünen Jungen, die -ihn dicht umstanden:</p> - -<p>»Reckt Euch in die Höhe, Jungens, damit das Märchen -nicht sieht, wie alt und vertrocknet ich bin.«</p> - -<p>Aber im Teich erhob sich plötzlich ein lautes Gequake -und Gejohle. Das waren die Frösche, die hielten einen -Froschvolks-Thing ab und wollten sich eine neue Verfassung -gründen; sie sprachen sehr ernsthaft über Kaulquappenerziehung, -<a class="pagenum" id="page_055" title="55"> </a> -Schulvorlagen und Militärbudgets, und daß der -Storch und der Reiher von jetzt an unter froschlicher Oberhoheit -stehen sollten; und ein noch ganz grünes Fröschlein -aus dem vornehmen Geschlecht derer von Ochsenfrosch wollte -immer alles besser wissen und durchaus einen ganz uralten -Kurs als das Neueste einführen im Froschteich.</p> - -<p>Es war wirklich sehr interessant, und es war gar nicht -recht, daß der Weidenbaum am Ufer plötzlich anfing zu -jauchzen und zu lachen und zu spotten, und sich geberdete, -als hätte er zu viel Blütenwein getrunken. Die gebildeten -Frösche kamen ganz ärgerlich ans Ufer und glotzten ihn an, -und der tolle Geselle, dem die buschigen, hellgrünen Weidenkätzchen -von seiner Narrenkappe herunterbaumelten, schnitt -höhnisch eine Fratze und spreizte seine vielen grauen Finger -von sich und hielt eine lange Rede, von der die Frösche -kein Wort verstanden; denn er sprach von Blütenwein und -Trunkenheit und Auferstehung und Frühlingsduft und -Märchenaugen – und schloß mit:</p> - -<p>»Kinder und Narren sprechen die Wahrheit, und wahrlich, -ich sage Euch, so Ihr nicht werdet wie sie, so könnet -Ihr nimmer in den Frühling eingehen!«</p> - -<p>Hei! Da begann ein Geschelte und Gequake, ein Koaxkoax -und Brekekekex, daß die Vöglein in der Luft im Fliegen -innehielten und verwundert zum Waldteich herniederschauten. -Und der Weidenbusch verbeugte sich lächelnd nach allen -Seiten und schüttelte seine Kätzchen lustig durcheinander -und sagte:</p> - -<p>»Verehrte Anwesende, ich glaube verstanden zu haben, -daß Sie mir vollständig beistimmen; und da oben kommt -Se. Excellenz, der Generalfeldmarschall Graf Storch, angeflogen, -der wird Ihnen –«</p> - -<p>Quack! sagten die Frösche und tauchten unter, und -lange herrschte Totenstille im Teich, bis sie merkten, daß -<a class="pagenum" id="page_056" title="56"> </a> -der tolle Weidenbusch sie genasführt hatte; dann begann -zögernd erst die eine Stimme und dann eine zweite, -und der grasgrüne Froschjüngling sagte: Kroax! und seine -Base, die gelehrte und tiefsinnige Schriftstellerin von Unke, -antwortete: P–unkt–um! – und bald war der hochweise -Disput mit These und Antithese wieder im schönsten Gange.</p> - -<p>Das Märchen aber nickte lächelnd zum Weidenbusch -hinüber und warf Kußhändchen nach allen Seiten, dann -flog es schnurstracks durch den grünenden, blühenden, duftenden -Wald, über Felder und Gärten, in die Stadt, in -das Haus, in die Stube hinein, wo der kleine Junge und -das kleine Mädchen auf dem Fußschemel saßen und aufmerksam -zuhörten, wie die Märchenmuhme ihnen die Geschichte -von den Löwen- und den Bärenkindern erzählte, -und als sie gerade sagte: »Die Bärenkinder aber waren so -schrecklich unartig« – da rief der kleine Junge:</p> - -<p>»Sieh', – sieh' doch, da ist das Märchen!«</p> - -<p>Und das kleine Mädchen klatschte in die Hände und -jubelte: »Das Märchen! das Märchen!«</p> - -<p>Und wirklich, da stand das Märchen auf der Thürschwelle, -seine Augen leuchteten, seine Haare glänzten wie -die Sonne, und dann nickte und winkte es ihnen; die Kinder -faßten sich bei den Händen, sprangen zur Thür hinaus, -hinter ihm her und riefen und sangen immerfort:</p> - -<p>»Das Märchen! Da ist das Märchen, das gar nicht -kommen wollte!«</p> - -<p>Es waren aber viele Kinder auf der Straße, die sahen -das Märchen zwar nicht, aber sie riefen doch: Das Märchen, -das Märchen! und tanzten hinter dem kleinen Jungen und -dem kleinen Mädchen her, und so ging der Zug durch die -Stadt zum Thore hinaus, als wenn der Rattenfänger von -Hameln ihnen aufspielte. Die großen Leute, denen sie begegneten, -blieben stehen und lachten und sagten:</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_057" title="57"> </a> -»Ach, das ist ja ein Schmetterling, der heißt –« und -dann nannten sie einen langen, lateinischen Namen. Und -andere sprachen:</p> - -<p>»Das ist ja ein Sonnenstrahl, und nun ist es Frühling -geworden. Der Frühling ist eine natürliche, höchst angenehme, -alljährlich wiederkehrende Naturerscheinung. Es ist -gar nichts Märchenhaftes daran.«</p> - -<p>Aber nun waren es der kleine Junge und das kleine -Mädchen, welche lachten – sie wußten es ja viel besser. -Sie liefen in den Wald hinein – da tanzten die Blumen -mit den Elfen und Kobolden, und die Kinder waren mitten -unter ihnen. Das Märchen schenkte ihnen den Frühlingswein -aus Blütenkelchen, und sie lagen auf weichem Moos -und guckten in den blauen Himmel hinein, von dem die -weißen Wölkchen winkten und grüßten und weiter segelten.</p> - -<p>Das Märchen aber wuchs und wurde größer und wurde -eine liebliche Jungfrau und ein blühendes Weib; und dann -wurde es ein liebes, eisgraues Mütterlein, und dann – -ja, dann spann es sich wieder ein, wie eine Schmetterlingsraupe -und kam lange, lange nicht mehr; nur zur Zeit der -Wintersonnenwende, als die weißen Grüße vom Himmel -an der alten Eiche im Walde vorüberwehten, da öffnete -es die blauen Märchenaugen ein wenig und blinzelte um -sich, und dann schlief es wieder ein und wartete auf den -singenden, sausenden, brausenden Frühlingswind.</p> - -<p>Und der kleine Junge und das kleine Mädchen wuchsen -auch und wurden größer und schöner und wurden Mann -und Weib; dann spannen sie sich auch ein, in sich und ihre -Welt; und dann erzählten sie ihren Kindern und Kindeskindern -das Märchen vom Märchen, das gar nicht kommen -wollte, und endlich, endlich doch gekommen war. – –</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_058" title="58"> </a> -Klein Hildegard.</h2> - - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">Klein Hildegard wollte zur Schule gehn,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da blieb am Walde sie sinnend stehn;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Der sah sie mit winkenden Augen an,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Vöglein lockten aus dem Tann:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Klein Hildegard, komm, so schön ist's hier,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wir rauschen Dir Märchen, wir singen Dir</td></tr> - <tr><td class="tdl">Von Elfenkönigs goldenem Thor</td></tr> - <tr><td class="tdl">Viel Süßes, Geheimnisvolles ins Ohr;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wir singen Dir von des Nixen Spiel –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Tief unten im Wasser, da weint er so viel.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wir streuen Dir duftende Blumen umher,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Der Wind regt die Zweige, brausend wie's Meer.«</td></tr> - <tr><td class="tdl">– Doch Hildegard richtet sich ernsthaft auf</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und schickt sich wieder an zum Lauf:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Zur Schule, zur Schule!« die Mutter spricht,</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Im Walde spielen, das darfst Du nicht!«</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da fällt, plumps! von dem Tannenast</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ein Zapfen auf das Näschen fast:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Au! böse Tanne!« schilt das Kind,</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Bist unartig, wie Kinder sind!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Willst mir wohl gar was sagen, gelt? –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ei nun, so rede, wenn's gefällt!«</td></tr> - <tr><td class="tdl">Lieb schmiegt klein Hilde sich heran<a class="pagenum" id="page_059" title="59"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">Zum rauhen Stamm der alten Tann.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Vergessen ist Schule, der Mutter Gebot –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ja, Sonntagskinder machen viel Not. –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Vom Tannenbaum fall'n – tip, tip, tap,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die würz'gen Nadeln sacht herab.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und, wie sie rieseln, wie sie fallen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Hört Hilde Stimmchen draus erschallen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die lullen's Kindchen kosend ein</td></tr> - <tr><td class="tdl">In seltsamliche Träumerein;</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Zur Schule geh', mein liebes Kind,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Doch da nicht, wo die andern sind.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Geh' Du zur Schule in dem Wald;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Was Du da lernst, vergißst Du nicht bald.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Denn hier im Wald, da lernst Du verstehn,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Was Bäume rauschen und Blüten verwehn;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Warum am ewigen Himmelszelt</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Wolken ziehen über die Welt;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Was Blumen duften, Vöglein singen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Was Bächlein murmeln, Stürme klingen – –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Was unsere ganze schöne Welt,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die kunterbunte, zusammenhält – – –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Horch nur auf jedes Gezirpe fein,</td></tr> - <tr><td class="tdl">So wirst Du bald klug wie Waldvöglein sein.«</td></tr> - <tr><td class="tdl">So spricht im Walde die alte Tann',</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und Hilde hält den Atem an,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Daß ihr die Wörtlein nicht entrinnen.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Dann wandert lustig sie von hinnen.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Es grüßen Blumen von allen Seiten,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und Hilde nickt, als weitergleiten</td></tr> - <tr><td class="tdl">Im weichen, kühlen Gras und Moos</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die kleinen Füße, nackt und bloß.</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Pflück' mich,« spricht die Königskerze,<a class="pagenum" id="page_060" title="60"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">»Sieh', wie ich gen Himmel schwanke,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Schlanker Stab aus Sammetblättern,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Bin ganz Sehnsucht, ganz Gedanke, –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Vor Idealen, hoch und hehr,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Seh' ich den eignen Stamm nicht mehr!«</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da lacht das kecke Heidekraut:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Ich wurzle in der Erde traut;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und wie ich dufte, wie ich blühe,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und wie ich stark und kräftig bin,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und wie ich feurig rot erglühe –</td></tr> - <tr><td class="tdl">All das gab mir die Erde hin!« –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Horch! Welch ein feines Stimmchen schallt</td></tr> - <tr><td class="tdl">Vom nahen Eichstamm durch den Wald?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die wilde Weinblüt' ist's, die spricht</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ganz spöttisch: »O, Ihr dummen Wicht'!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Vom Himmel träufelt uns der Regen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Vom Himmel wärmt die liebe Sonn',</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und Mutter Erde will uns hegen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wenn Frost und Eise starren schon.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ich lieb', was mir der Himmel gab,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Erd', in der ich Wurzeln hab'.«</td></tr> - <tr><td class="tdl">So flüstert's, lacht es auf und an;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Klein Hilde pflückt so viel sie kann.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Schau! Dieses bunte Blumenmeer! –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Fast wird's dem Aermchen gar zu schwer.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Im schilfigen Gras glüht rot es auf.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Pechnelken stehen da zu Hauf,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und schütteln ihre Federköpfe,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und spreizen sich, die eitlen Tröpfe.</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Ei, liebes Kind, mußt mich ansehn,«</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Eine spricht, »bin wunderschön!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Brichst mich in meinem Purpur-Prangen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">So bleibst an meinem Stengel fein<a class="pagenum" id="page_061" title="61"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">Unwiderstehlich daran hangen</td></tr> - <tr><td class="tdl">Mit Deinen Kinderhändchen rein;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wer mich nur einmal hat berührt,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Stets neue Lust nach mir verspürt.«</td></tr> - <tr><td class="tdl">Doch – »Bim – bam!« klingelt da die Blaue,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Glockenblum', »Nur der nicht traue!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Denn Lüg' ist Alles, was sie spricht –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Kennst Du das alte Sprüchwort nicht?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wer Pech anfaßt, besudelt sich!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und das ist richtig, sicherlich!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Hör', rote Nelke, das ist schlimm!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das Glöcklein läutet stets: Bim – bim!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und öffnest Du den Lügenmund,</td></tr> - <tr><td class="tdl">So klingelt es ganz kunterbunt:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Bimbam, bimbam, bimbam, bimbum!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Du Federnelke, bist Du dumm!«</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und lachend steht Klein Hildegard</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und droht dem blauen Glöcklein: »Wart',</td></tr> - <tr><td class="tdl">Du lieber Schelm, jetzt pflück' ich Dich,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Dann läutest Du »Bimbim!« für mich,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und läutest artig mich nach Haus;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Doch jetzt ruh' ich mich erst 'mal aus.«</td></tr> - <tr><td class="tdl">Es winkt der gelbe Ginsterbusch,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und wie das graue Häslein – husch! –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Schlüpft unser Kind geschwind hinein</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ins goldne Blütenbettelein,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und dehnet wohlig sich zur Ruh',</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und schließt die müden Aeuglein zu.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Blumen hält im Arm sie fest,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Denn wenn man die gewähren läßt,</td></tr> - <tr><td class="tdl">So fangen sie zu leben an</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und wandern fort durch Wald und Tann.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Es ist just um die Mittagsstunde.<a class="pagenum" id="page_062" title="62"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">Wo Waldesgeister ziehn die Runde.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Kennst nicht das Waldesweben Du?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wenn rings im Wald ist tiefe Ruh',</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und doch ein seltsamliches Weben</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ein raunend, flüsternd Zauberleben?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Bäume stehen still und stumm,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Kein Blättlein reget sich ringsum.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Im Schatten schläft das Vöglein lieb,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Reckt sich einmal, sagt leise: »Piep!«</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und plustert seine Federlein</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und schläft dann sänftlich wieder ein.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Doch die Frau Sonne, die ist wach</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und luget durch das Blätterdach.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Es tanzt auf ihrem Flimmerstrahl</td></tr> - <tr><td class="tdl">Der blanken Sonnengeister Zahl.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Im hohen Grase zirpt die Grille –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Nun zirpt es Antwort – dann wird's stille.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Der Falter taumelt über Blüten,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das sind die Schäflein, die muß er hüten;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Doch in dem heißen Sonnenschein</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da schläfert's ihn mitunter ein;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und ist er wieder aufgewacht,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Dann hat sie sich davon gemacht,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Blüten-Herde, und fliegt wie er,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Im hellen Sonnenglanz umher.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Dann hebet an ein Singen, Klingen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Von Märchen, wunderlichen Dingen;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das Bächlein gluckst sein schelmisch Lied,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und Moos und Steinchen singen mit.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Vergißmeinnicht am Rande träumt:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Hat's Wiederkommen er versäumt?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ich rief so oft: Vergißmeinnicht!</td></tr> - <tr><td class="tdl">In weiter Ferne – hört er's nicht?«<a class="pagenum" id="page_063" title="63"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">Der Ginster winket zu ihr her:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Klein Blümchen, was verlangst Du mehr?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Kannst, kleine Blaue, Du's verstehn?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Lieb' soll nie von Liebe gehn –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Sonst geht die Treue hinterdrein.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ich sing' ein Lied Dir – lausche fein:</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Ueber die Heide weht der Wind,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da sitzt das blasse Königskind,</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Singt: Leide, leide, leide –</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Bei Sonnenlicht und Sternenschein</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da suche ich den Buhlen mein –</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Wo weilt er auch am Wege?</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Ach, wollt', er wäre noch bei mir,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ich wollt' ihn küssen und herzen schier</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Auf stiller, stiller Heide.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Ach, wollt', ich läg' in seinem Arm,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ich wollt' vergessen allen Harm,</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Wollt' lachen nur und kosen.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Ueber die Heide weht der Wind,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da sitzt das blasse Königskind,</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Singt: Leide, leide, leide.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Und wartet noch gar manches Jahr –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und kämmet ihr langes, goldnes Haar,</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Das wehet in dem Winde.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Und als der Bub dann kommen ist,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Der sie so oftmals hat geküßt,</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Da sucht er auf der Heide.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">War da ein feiner Ginsterstrauch,<a class="pagenum" id="page_064" title="64"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">Des gelbe Blumen strahlten auch</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Wie lauter lichtes Golde.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Da hat er so viel weinen 'müßt,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und hat die Ginsterblumen 'küßt – –</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Dann ist er fortgezogen.«</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Und als verklungen ist die Weise,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da reget sich Klein Hilde leise:</td></tr> - <tr><td class="tdl">In ihrem Arm die Blümelein,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die fangen an zu reden fein.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das Löwenzähnchen schilt: »O Ginster,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wie sind doch Deine Träume finster!«</td></tr> - <tr><td class="tdl">»<i>Noblesse oblige!</i>« ruft Rittersporn,</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Auch in der Lieb' – bei meinem Zorn!«</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und trotzig mit gar mut'gem Sinn</td></tr> - <tr><td class="tdl">Grüßt er zur Wickenblüte hin;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Verschämt senkt die das Köpfchen tief,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ein lieblich Rot sie überlief. –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da lacht es plötzlich neben ihr:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Ich halt' die Liebe weg von mir!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ich wehre mich vor jedermann –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und fühlt, wie ich doch brennen kann!«</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da jubeln alle auf und sagen:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Hört – Brennessel will auch was wagen!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Geh', Unkraut, pfeife uns ein Lied,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Im Chorus singen wir dann mit.«</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und neckisch stimmt die Grüne dann</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das Nessellied, und hebet an:</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">»Ich wollt' einmal spazieren gehn,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Am Rain, wo bunte Blumen stehn.«</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Und jauchzend fällt der Chorus ein:<a class="pagenum" id="page_065" title="65"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">»Nessel, Nesselbusch am Rain!«</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">»Da schaut ein weißes Blümlein 'raus,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und ach – so schämig sah es aus.«</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Und jauchzend fällt der Chorus ein:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Nessel sieht so schämig drein!«</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">»Und als ich bückte mich danach, –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Gar plötzlich mir's den Finger stach.«</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Und jauchzend fällt der Chorus ein:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Nessel, Nessel, wehr' Dich fein!«</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">»Ei, böse Blume, halt' doch still</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wie die andern, wenn ich Dich brechen will!«</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Und jauchzend fällt der Chorus ein:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Nessel, – hörst – sollst stille sein!«</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Da lacht die grüne Blum' und spricht:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Ja Brennesselblüten, die pflückt man nicht!«</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Und jauchzend fällt der Chorus ein:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Brennt die Nessel – laß sie sein!«</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Nun reichen alle sich die Hände,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und singen's Tanzlied: »Wende, wende</td></tr> - <tr><td class="tdl">Dich her zu mir, und auf und ab.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Zieh' die Kreise, zart und leise,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Sing' die alte Wunderweise,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wie die Blumenfee sie gab.</td></tr> - <tr><td class="tdl">In den Blüten schläft das Kind –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Küsse, küsse es geschwind,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Daß es eins der unsern werde;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Daß es blumenduftig schwebe,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Daß es waldesselig lebe</td></tr> - <tr><td class="tdl">Auf der hellen, grünen Erde.«<a class="pagenum" id="page_066" title="66"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">Da ist klein Hilde aufgewacht,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und hat die Aeuglein aufgemacht:</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und all die Sonnenpracht umher!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und all das Duften, süß und schwer!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und sieh' – die Blumen neigen sich,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Umkreisen sie gar seltsamlich –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Sie trägt ein rosenfarben Kleid,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das strahlet hell von Taugeschmeid'.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und Rosen trägt sie in dem Haar,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und Rosen in den Händen gar.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Blumen knieen vor ihr hin:</td></tr> - <tr><td class="tdl">Heil unsrer Rosenkönigin!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und eh' sie weiß, wie ihr geschah,</td></tr> - <tr><td class="tdl">So ruhet sie auf Rosen da;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und allgewärtig ihren Winken</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Blumen stehn zur Rechten und Linken,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und Hilde grüßt nach allen Seiten</td></tr> - <tr><td class="tdl">Huldvoll, wie sie vorüberschreiten.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Aus Blumen trinkt sie den Blütenwein</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und nascht den goldnen Honigseim.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Sonne wirkt ihr die goldne Kron'</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und die glänzenden Flitter für den Königsthron.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Schmetterlinge tanzen vor ihr,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Grillen spielen auf dafür.</td></tr> - <tr><td class="tdl">So ruhet sie an Baches Rand</td></tr> - <tr><td class="tdl">Als Königin übers ganze Land.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Da – horch! was rauscht es ihr zu Füßen?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und welch ein Nicken, Winken, Grüßen</td></tr> - <tr><td class="tdl">Von Blum' und Moos am Ufer dort?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das Wasser schwillet fort und fort –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und aus den grauen Nebelwogen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da kommt es zu ihr hergezogen<a class="pagenum" id="page_067" title="67"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">So wunderselig. Aus dem Fluß</td></tr> - <tr><td class="tdl">Erhebet sich mit süßem Gruß</td></tr> - <tr><td class="tdl">Der Nix in silbernem Gewand</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und hält die Harfe in der Hand</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die gibt gar traurig hellen Ton –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ob's Glück mit Thränen gemischt sei schon.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Er breitet die Arme aus nach ihr:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»O Rosenkönigin, komm' zu mir!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ich will in meinem Arm Dich hegen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ich will Dich schaukeln auf der Flut;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die zarten Glieder sollst Du legen</td></tr> - <tr><td class="tdl">Auf Wasserrosen, – da ruht sich's gut.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Mit meinen Fischlein sollst Du spielen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ein neckisch Haschen, her und hin –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die kleinen, weißen Füßchen kühlen</td></tr> - <tr><td class="tdl">In klaren Silberwellen drin.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Es ist so einsam in der Tiefe,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Im Wasserhaus so kalt für mich –.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und kämst Du wohl, wenn ich Dich riefe?</td></tr> - <tr><td class="tdl">O Königin, ich hole Dich!«</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Da wird Klein Hilde das Herz so weh –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Es ruft in ihr: O geh', o geh'!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wie wird es ihr so seltsam kalt?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Was zieht es sie mit solcher Gewalt?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wie schwillt das Wasser immer mehr –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da kommt der Nix gar zu ihr her,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und faßt sie mit feuchten Armen an –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Klein Hilde sich kaum noch regen kann.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Vor Angst, vor Glück? – Sie weiß es nicht,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Es küßt der Nix ihr blasses Gesicht;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Er wieget sie in seinem Arm,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Es wird ihm – ach – so wohlig warm;<a class="pagenum" id="page_068" title="68"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">Er will sich rauben das junge Blut</td></tr> - <tr><td class="tdl">In tiefe, rauschende Silberflut.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Klein Hilde schaudert – an seine Brust</td></tr> - <tr><td class="tdl">Zieht er sie eng mit sehnender Lust –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Schon netzt das Wasser ihr Gewand,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Er zieht sie hin mit zwingender Hand –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Nun sinkt Klein Hilde sacht hinab</td></tr> - <tr><td class="tdl">In des Nixen stilles Wassergrab. –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und horch! wie's um sie rauscht und singt!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wie's brausend durch die Lüfte klingt!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Klein Hilde, wache auf geschwind,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Sonst weht der wilde Brausewind</td></tr> - <tr><td class="tdl">Dich wirklich in das Bächlein dort –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Zum Schlafen einen bösen Ort</td></tr> - <tr><td class="tdl">Hast Du Dir eben ausersehn.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und dann mußt Du nach Hause gehn:</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Schule ist schon lange aus,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und alle Kinder schon zu Haus.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da hat Klein Hilde sich erhoben</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und schaut verwundert hin nach oben,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wo Wolken ziehen kreuz und quer,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Gar über die liebe Sonne her.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wie war doch alles das geschehn?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Hat sie den Nixen nicht gesehn?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ist nicht am Saum ihr Röckchen naß?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das ist doch nicht vom feuchten Gras?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wo ist ihr Rosenkleidchen hin?</td></tr> - <tr><td class="tdl">War sie denn nicht die Königin?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Bäume neigen sich um sie her,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das kommt vom Wind, der wehet sehr,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Der pfeifet ängstlich durch den Tann;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Klein Hilde hält den Atem an –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Es wird ihr plötzlich so beklommen<a class="pagenum" id="page_069" title="69"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">Da hat sie hurtig aufgenommen</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Blumen alle nebendran,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und springt davon so schnell sie kann.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Jetzt ist sie auf der kleinen Brücke,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da rauscht es unter ihr voll Tücke:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Da, Wassermann,« ruft sie geschwind,</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Da, nimm das bunte Blumenkind!«</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und wirft ein schönes Blümelein</td></tr> - <tr><td class="tdl">In Wassermannes Haus hinein.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Mit weißer Hand greift der es an,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und strudelnd sinkt's zur Tiefe dann.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Und als Klein Hilde kam nach Haus</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und hat gesagt, was sie gesehn,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und hat erzählt, was ihr geschehn –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da lachen sie Klein Hilde aus.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und scheltend streng die Mutter spricht:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Im Walde spielen sollst Du nicht!«</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und Hilde setzt ins Eckchen sich</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und weinet, weinet bitterlich.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Klein Hilde, werde wieder froh;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Uns Großen geht es ebenso:</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wenn wir im Walde etwas sehen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Was all die andern nicht verstehen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">So lachen sie uns auch nur aus</td></tr> - <tr><td class="tdl">In diesem weisen Weltenhaus.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und Mutter Ordnung ernsthaft spricht:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Der Phantasie bedarf man nicht!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Poesie – die braucht man nicht!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Mehr sehn, wie andre, soll man nicht! –«</td></tr> -</table> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_070" title="70"> </a> -Das Märchen, -das verloren gegangen war.</h2> - - -<p>Das war, als ich einmal spazieren ging und tiefsinnige -Gedanken hatte – worüber? – Sie waren zu tief, um das -ergründen zu können. Vielleicht war's, ob die Welt da um -mich her mit ihren langen Straßen und engen Häusern eine -wirkliche Welt sei oder ob ich sie mir bloß einbilde, und ob -die Menschen, die mir begegnen, wirklich so blödgesichtig dreinschauen, -oder ob ich bloß Schwingungen in meinem Gehirn -und Augen habe, die mir das alles so erscheinen lassen – -ja, vielleicht war's das, worüber ich nachdachte. Und neben -mir her trippelte ein feines Etwas mit großen Augen, -und das kicherte und plapperte mit einem leisen murmelnden -Stimmchen wie ein kleiner Bach; und weil mich das -in meinem tiefsinnigen Denken störte, sagte ich:</p> - -<p>»Ei, so sei doch ruhig und stör' mich nicht!«</p> - -<p>Da schwieg das feine Etwas erschrocken still. Aber -als das liebliche Gemurmel nicht mehr neben mir einherging, -konnte ich erst recht nicht denken, und als ich mich -ungeduldig umwandte, da hatte ich das Märchen verloren. -Nun war mir's ganz ungemütlich zu Mut. Ich ging gleich -wieder zurück, blickte rechts und links, hinter jeden Baum, -<a class="pagenum" id="page_071" title="71"> </a> -und unter die trockenen Blätter, die darunter lagen, aber -nirgends leuchteten die Zauberaugen meines Märchens.</p> - -<p>Da fragte ich die Uhr, die vor mir hoch oben in einem -langen, spitzen Kirchturm saß:</p> - -<p>»Du wohnst so hoch und hast einen weiten Ausblick – -hast du mein Märchen nicht gesehen?«</p> - -<p>Aber die Uhr sagte nur: Tick-tack-tick-tack! Und -als sie schnarrend zu einer Antwort einsetzte, da sagte sie -mit rasselnder Stimme eine ganze Menge Zahlen her – -als ob Zahlen etwas mit einem Märchen zu thun hätten! -Nun fragte ich die Leute auf der Straße:</p> - -<p>»Ihr seid so klein, und guckt immer auf die Erde – -habt Ihr mein Märchen nicht gesehen?«</p> - -<p>Aber die antworteten: »Eine solche Person kennen wir -nicht. Und wenn sie Dir gehört und weggelaufen ist, so -zeige es doch bei der Polizei an« – – als ob eine blauröckige -Polizei mit einem Knüppel ein Märchen einfangen könnte!</p> - -<p>Nun fragte ich die Bäume im Park, an dem ich vorüberging. -Aber die standen ganz still und regten sich nicht -und ließen nur zwei, drei gelbe Blätter vor mir niedersinken. -Da merkte ich, daß es Stadtbäume waren und zu gebildet -zum Antworten auf eine Märchenfrage, und weil ich -nun durchaus mein Märchen, das ich so leichtsinnig verloren -hatte, wieder haben mußte, so ging ich auf Reisen, -ihm nach.</p> - -<p>Ich kam an ein großes Wasser, das lag friedlich da, -wie eine grünsammetene Wiese, auf der kleine Grabhügel -sich wölben, über und über bedeckt von weißen Maßliebchen. -Mir war es, als ob mein Märchen sein goldenes -Haupt lächelnd aus diesen Grabhügeln strecke, und als ob -es kichere: »Nicht in Gräbern findest Du mich – ich bin -das Leben!« – Aber da kam ein zarter, grauer Nebel und -deckte die grüne Sammetwiese und die Maßliebchenhügel -<a class="pagenum" id="page_072" title="72"> </a> -zu, und nur ganz in der Ferne sah ich es aufblitzen wie -weiße Mövenflügel.</p> - -<p>Ich kam an eine Insel, darüber flutete ein warmes -Abendrot, und ein Rauschen, ein bedeutsames Raunen zog -durch die Wipfel der hohen, stillen Bäume, als spräche mein -Märchen zu mir aus tausend Zungen. Bunte Blumen standen -auf der Insel, die sie die »Schöne« nannten, und sahen -mit stillen Augen zu den Sternen auf, die ganz zart und -licht am Abendhimmel aufleuchteten, wie die ersten Liebesgedanken -in einer weichen Mädchenseele. Leise glucksten -kleine lustige Wellchen gegen das Ufer, als lachten sie über -die Wassernixen, die mit ihren weißen Entenfüßchen das -Ufer heranklimmen wollten und immer wieder ins laue -Wasser plumpsten. Wie nah', wie nah' war mir mein Märchen! -Ich fühlte es mich umwehn – aber als ich danach -haschte, sah es mich mit tiefen Augen spottend an, und ich -griff in die Luft.</p> - -<p>Danach sah ich mein Märchen wieder in einem Krankenzimmer; -da saß es tief verborgen in dem großen weißen -Kelch einer Lilie. Aus deren sammetigen, weißen Blütenblättern -lagen rote Tropfen, als habe das Märchen blutige -Thränen geweint, und es sah mit himmlisch klaren Augen -in die Weite. Wie ein Hauch flog es durch das Gemach: -»Hier kannst Du mich nicht halten, da würde ich vergehen -vor Traurigkeit« – – und husch! wie ein Flügelschlag – -da war's aus dem Fenster, und die Menschen um mich -sahen sich fragend an: Was war das?</p> - -<p>Eines Morgens, ganz, ganz früh, als die Nacht auf -ihrem Lager flehend die Arme hob, den leuchtenden, ihr -entfliehenden Tag zu halten, da erwachte ich und sah etwas -Weißes, Flüchtiges von meiner Seite davonschweben. Und -es umgab mich ein leises Klingen, und Worte tönten – -war's in mir? war's um mich? – Horch:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">Die Nacht, als ich geschlafen hab',<a class="pagenum" id="page_073" title="73"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">Da lag das Glück bei mir;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Im Morgenschimmer sah ich nur</td></tr> - <tr><td class="tdl">Entfliehn die weiße Zier.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Es lächelt, nickt und winkt mir zu:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Du hast es nicht gewußt,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Daß schlummernd ich mein Köpfchen hab'</td></tr> - <tr><td class="tdl">Gelegt auf Deine Brust;</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Wärst Du erwacht, hätt'st mich gefaßt,</td></tr> - <tr><td class="tdl">So wär's um mich geschehn –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Nur leis, nur heimlich darf das Glück</td></tr> - <tr><td class="tdl">An Deiner Seite gehn.«</td></tr> -</table> - -<p>Nun hatten es viele gute Menschen gehört, daß ich -mein Märchen nicht wieder finden könnte, und weil sie ein -verloren gegangenes Märchen für etwas sehr Trauriges -hielten – ganz anders als die in der Philisterstadt, die -gar nicht recht wußten, was ein Märchen war – da wollten -sie mir alle suchen helfen. Aber sie thaten es mit so viel -Bewußtsein und Ueberlegung, daß das Märchen sich immer -tiefer versteckte; und selbst der rauschige Weinduft, der ausgesandt -wurde, nach ihm zu forschen, kehrte statt mit meinem -lieblich plappernden Märchenkinde mit einem wolligen, miauenden -Kätzchen zurück, das gar scharfe Krallen zeigte.</p> - -<p>Da ging ich in die Einsamkeit. Ich kam an wildes, -weites Wasser, das rauscht und brodelt und donnert, als -wolle es eine Welt vernichten – oder emporheben. Und -eine Brücke führt über die weiße Gischt, die ging ich hinüber. -Da war ich auf einer Insel mit hohen, wiegenden -Bäumen; die hielten Felsblöcke mit ihren Wurzeln umklammert -wie mit riesigen Greifenklauen. Und da war -noch eine Insel, und noch eine, und noch eine. Zwischen -ihnen drängte sich überall das weiße Wasser hindurch; es -<a class="pagenum" id="page_074" title="74"> </a> -war so klar, daß man die kleinen Mooswälder auf dem -Gestein unter ihm sehen konnte, und die Höhlen, dunkelblau -und tiefgolden, in denen die Wasserkobolde wohnen. -Wie ich nun an der äußersten Spitze der letzten kleinen -Insel angekommen bin und hinsehe über das weite, schäumende -Wasser, da sitzt dicht vor mir, nahe am brausenden -Wasserabsturz, mein Märchen auf einem Felsblock. Es -hat seine nackten Beinchen hoch heraufgezogen, damit sie -nicht naß werden, und umschlingt die Kniee mit den weißen -Armen; das Haar rollt silberglänzend um die kleine Gestalt, -wie der sonnendurchleuchtete Kamm einer Woge, und -die meergrünen Zauberaugen sehen zwingend zu mir hinüber. -So sitzen wir beide und lächeln uns an, so froh, -daß wir uns wieder haben, und dann erzählt das Märchen:</p> - -<p>Weit droben im großen See tief auf dem Grund, da -steht das Schloß des alten Wasserkönigs. Von grünem, -strahlendem Krystall ist es erbaut, und die Wände sind so -klar, daß der Wasserkönig mit seinen seegrünen Augen hindurchschauen -kann und alles sieht, was in seinem Reiche -vorgeht. Wenn die Fische rebellieren wollen, dann weiß -er es schon, noch ehe sie den revolutionären Gedanken gefaßt -haben, und der Kopf wird ihnen abgebissen, ehe sie -wissen, wo er ihnen eigentlich sitzt. Ja, der König führt -ein strenges Regiment, sogar unter den weiblichen Unterthanen, -und manch hübschem Nixlein bebt das goldschillernde -Schwänzchen, wenn der König musternd die Reihen durchschreitet; -denn manch Nixlein hat ein böses Gewissen, und -– ach, die königlichen Zwillingssöhne sind gar so herzliebe -Gesellen.</p> - -<p>Da berief der König eines Tages seinen Hofstaat um -sich. Er saß auf einem Thron von goldglänzendem Kiesel, -auf dem weißen Haupte trug er die Seekrone von Smaragden, -und in den langen silbernen Bartwellen funkelten -<a class="pagenum" id="page_075" title="75"> </a> -die Schaumperlen. Ringsum harrte das Gesinde in ehrfürchtigem -Schweigen, kaum, daß die beweglichen Schwänzchen -hin und her zuckten. Vor ihm aber standen die Zwillinge -und warteten des königlichen Vaters Befehle. Schöne, -schlanke Burschen sind's, mit festen Gliedern und kühnen -Augen. Die des einen mit der gedankenvollen Stirn -hingen an den Lippen des Vaters; die des andern, Rastlosen, -Trotzigen, flogen lächelnd und kosend über die Schar -der Nixlein, durch deren Reihen eine plötzliche schillernde -Bewegung ging. Der Wasserkönig aber sprach:</p> - -<p>»Prinzen, Ihr habt gelernt, wie man im Wasser lebt, -herrscht und richtet. Es ist Zeit, daß Ihr Euch die Wasserfläche -draußen anseht. Bahnt Euch eine Straße, zerschmettert, -was Euch im Wege ist, und erobert Euch Euer Reich. -Ziehet hin in Frieden und beherrschet künftig Eure Unterthanen -mit Zucht und Strenge.«</p> - -<p>Unwillkürlich ruckten die Fische mit ihren Köpfen bei -dieser Rede, ob sie auch noch festsäßen, und die Nixen und -Wassermänner zupften sich an den Flossen, ob sie die auch -noch hätten. – Die schönen Zwillingsbrüder aber schwammen -Hand in Hand in die Welt hinaus. Zuerst waren sie sehr -übermütig, schlugen Purzelbäume, daß die Wellen in die Höhe -klatschten, und neckten die Fische, die pfeilschnell an ihnen -vorüberflohen. Dann wurden sie stiller und träumerisch, -wiegten sich Hand in Hand an der spiegelglatten Oberfläche -des Wassers und sprachen von den Heldenthaten, die sie -verrichten wollten. Der mit der hohen Stirn und den -schwärmerischen Augen lispelte von der hohen, der herrlichen -Welt, die er sich erträume und die er besitzen müsse, koste -es, was es wolle. Der Trotzige aber lachte dazu: »Leben -will ich – und lieben und genießen!« rief er und schüttelte -übermütig eine ganze Welle voll Flußsand über des Bruders -schönem Haupte aus, daß der prustete und sich schüttelte -<a class="pagenum" id="page_076" title="76"> </a> -wie ein nasses Menschenkind. – Nun kamen sie an einen -hohen, grünen Wald, der lag mitten in ihrem Weg und -machte auch keine Miene, ihnen auszuweichen.</p> - -<p>»Zerschmettert, was im Wege steht!« wiederholte der -mit der hohen Stirn. »Komm, laß uns die Bäume niederreißen, -und die Felsen zerbröckeln.«</p> - -<p>»Pah,« lachte der Wilde, »wozu die Arbeit, die eine -Ewigkeit dauert? – Weiter, weiter will ich, ins Leben -hinein! – Hör', laß uns den Bäumen aus dem Wege -gehen, Du dort herum, und ich hier, und dann wollen wir -sehen, wer zuerst ankommt, zuerst sein Ziel erreicht – Du -oder ich!«</p> - -<p>Das reizte den Zwillingsbruder; wußte er doch, daß -er natürlich der Erste sein würde. Ein flüchtiges Lebewohl -nur, und er brauste dahin, ungestüm, hier ein Stück Fels -wegreißend, dort einen Baumstamm mit sich zerrend. Er -sah nicht die Welt um ihn; er sah nur in die Ferne, wo -seine Welt liegen mußte, die er erträumt, die er besitzen, -beherrschen wollte. Nur immer weiter, weiter, dahin, wo -der zarte Dunst aufsteigt, wo ein erster Sonnenstrahl glitzert -wie auf Türmen – die seines neuen Reiches – und in -wilden Sprüngen, brausend und jauchzend, setzt er der -Traumwelt nach, bis er schwankt und schwankt und ihm -schwindelt, und er den Boden unter den Füßen verliert, -und er in den Abgrund stürzt, in den Abgrund von erträumter -Leidenschaft. Es war ein jäher Sturz. In ihm -zerschellen alle seine Träume, alle seine erhabenen Gedanken. -Voll Grausen blickt er hinauf zu der schwindelnden Höhe, -auf der er einst geweilt hatte: so groß und erhaben hatte -er sich das Leben gedacht, nichts hatte er haben wollen, -keine Freude, keine Liebe, nur Größe und immer mehr -Größe. Nun trieb er dahin in einem breiten, gemächlichen -Strombett, immer mehr wiegend, erschlaffend, duselnd – -<a class="pagenum" id="page_077" title="77"> </a> -und nur wie weißer, kreisender Schaum trieb die Erinnerung -auf seinen langsam sich wälzenden Fluten. Einmal -schaute er sich um nach seinem Bruder: eine brausende, -dampfende Gischt in der Ferne verhüllte alles hinter ihm.</p> - -<p>Der trotzige, lächelnde, genußsüchtige Zwillingsbruder -aber war gar gemütlich seines Weges gezogen, hatte die Bäume -auf der schwimmenden Insel neckisch an den Zweigen gezupft, -wie die unnützen Buben die schmollenden Schulmädchen -an den Zöpfen, hatte seine neugierigen, geschwätzigen Fluten -durch jeden kleinen Felsengang geschickt, bis er mitten durch -die Insel hindurchlugen konnte, und da sah er etwas sehr -Liebliches. Nicht eine Insel war es nämlich, sondern neben -der großen, die das Königreich einer vornehmen alten -Waldnymphe war, wie die Wasserboten berichteten, lagen -noch drei kleinere, und jede von ihnen hatte ein Töchterlein -der Waldkönigin zur Herrin, und sie lebten da in -eitel Freude und Lustbarkeit. Keinen Gebieter wollten sie -über sich erkennen und frei wie die Luft leben, so lange -die Welt steht. Da kam jetzt der schöne Flußheld geschwommen, -ganz nahe an die Insel der ersten Schwester -heran, siehe, da steht ein wunderschön Jungfräulein, mit Guirlanden -von Blumen umwunden und ein fröhlich Liedchen -summend. Und horch! wie die Antwort zu ihr aufsteigt -aus den weißen Wassern, die plötzlich aus dem Dunkel der -Felsen hervorbrechen und sie erschrecken, daß sie schreiend -davonläuft. Er aber schwimmt ihr nach, rund um die -Insel, siehe – da sitzt auf einem Felsblock der zweiten -kleinen Insel ein noch viel schöneres Jungfräulein, die -schüttelt ihr lockiges Haar, als sie die weißen, starken Arme -des Flußhelden sieht, die er nach ihr ausstreckt. Und sie -lacht höhnisch und nimmt spitzes Gestein und wirft es nach -ihm, daß ihn die scharfen Kanten ritzen. Da wird er -zornig und will aufwallen – doch ach, drüben auf der -<a class="pagenum" id="page_078" title="78"> </a> -letzten, kleinsten Insel, da sitzt am Ufer, mit den Füßen -die neuen Wellen patschend, das dritte Prinzeßchen; und -sie hat langes, güldenes Haar, und die meerblauen Augen -sehen neugierig zu ihm hinüber, und die schönen Glieder -wiegen sich mit den Wellen. Da schwimmt er ganz nahe -zu ihr, legt seine große Männerhand um ihr weißes, weiches -Füßchen, und sie lächelt nur – da zieht er sie hinab in -seine schaukelnde, weite Wasserwiege. Wie eine Wehklage -braust es durch die Waldwipfel; aber sein Jubelruf übertönt -die Klage, und weit enteilt er, seine Beute bergend -vor Fels und Abgründen. Regungslos liegt die Schlanke, -Weiße in seinen Armen. Sie kann ja nicht sprechen im -Wasser, nur die meerblauen Augen sehen ihn an, und -tief drin liegt eine stille Klage: Warum hast du mich in -ein fremdes Element gezogen? Warum dich zum Herrn -gemacht über ein freies Geschöpf?</p> - -<p>Nun wußte er eine Grotte, darin sollte die stille, weiße -Geliebte wohnen. Tiefgrün war es darin von lauter Smaragden, -und das Edelgestein leuchtete und funkelte wie von -tausend Lampen. Der trotzige Held aber webt und webt, -und webt mit seinen Wasserfäden den schönsten Brautschleier -von kostbaren Spitzen, und er hängt das duftige -zarte Gewebe, so hoch, so fein, rund im Halbkreis vor das -smaragdene Wasserschloß, daß niemand seine Heimlichkeit -störe, keiner seine weiße Braut, zu deren Füßen er ruht, -ihm rauben könne. Sie aber spielt in seinen langen Haaren, -küßt seinen roten Mund, legt ihr Köpfchen an seine breite -Brust – aber immer wieder fragt sie: Wo ist die Sonne? -die goldene Sonne?</p> - -<p>Und eines Tages, als er fern ist, da wird die Sehnsucht -nach dem Licht so mächtig in ihr, daß sie der Wasserkobolde -und neckischen Nixen vergißt, die draußen ihr Wesen -treiben und die Spitzenschleier immer wieder erneuern und -<a class="pagenum" id="page_079" title="79"> </a> -verdichten. Ganz nahe tritt sie heran an die zauberischen -Vorhänge – wie hell, wie licht es da ist; sie rückt ein -wenig daran, sie lüpft ein zartes Eckchen. – Siehe, da über -den wogenden Wasserdünsten steht die Sonne, ihre Sonne -in strahlender Pracht – und die Arme sehnsüchtig ihr entgegenbreitend, -sinkt das Waldkind, eingehüllt in die Brautschleier, -zur tosenden, unbarmherzigen Tiefe nieder. Wie -ein leuchtender Strahl fliegt es an dem Trotzigen vorbei, -der seine starken Glieder im wildesten Flutengetos kühlt, -und da vor ihm, da im Strudel treibt der weiße, weiche -Leib seiner stillen Waldlilie. – Es überkommt ihn ein großer -Zorn. Brüllend vor Schmerz und Wut, daß es wie Donner -grollt, wirft er die Wasser gen Himmel, damit ihr Schaum, -ihr wilder Gischt die Sonne, die verhaßte, verdecke. So -steht er im Strudel und rast und trotzt gen Himmel. Er -sendet seine Fluten auf zu der Insel, wo seine Waldlilie -wuchs; sie zerren und wühlen an dem Gestein, ein Stück -nach dem andern sinkt in die Tiefe und ein höhnender -Schrei gellt von Welle zu Welle, wenn ein Baum mit -hinabgerissen wird und hülflos in den Fluten treibt. Oben -in den Wipfeln der Bäume aber rauscht eine wehmütige -Klage um die Waldlilie, die an der Sonnensehnsucht verging.</p> - -<p>Doch die wundersamen Spitzenschleier, die das Brautgemach -bargen, wallen immer noch nieder vor dem smaragdenen -Schloß und verhüllen in zarter Weiße seine erbarmungslose -Leere. Die goldene Sonne aber taucht ihre -Strahlen tief in das Wassergebrodel, läßt sie niedergleiten -an den Schleiern, als suche sie die, die aus Sehnsucht nach -dem Lichte gestorben ist; und die Strahlen bauen von Tag -zu Tag eine wunderleuchtende Brücke hinauf, hinauf zur -Sonne.</p> - -<p>Da endete das Märchen und es breitete seine Arme -<a class="pagenum" id="page_080" title="80"> </a> -aus nach den fallenden Wassern. Ein leises, wehmütiges -Klingen zog herüber von den Inseln der drei Schwestern.</p> - -<p>Das Märchen erhob sich, flog mit breiten, weißen -Mövenflügeln hin über die Fluten, die wild aufschäumten -und es haschen wollten. Aber sie netzten nur seine Füße. -Und mit leisem Gekicher kreiste es über meinem Haupte – -mein verlorenes und wiedergefundenes Märchen – an den -fallenden Wassern des Niagara.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_081" title="81"> </a> -In der Gosse.</h2> - - -<p>»Hei! Der hat's eilig!« sagten die trockenen Blätter, -als der Wind sie packte und die glatte Straße hinunterwirbelte, -daß sie den Atem anhielten.</p> - -<p>»Nein, ich will nicht!« raschelte das eine ganz große -Blatt, das, trotz seiner verkrümpelten Gestalt, noch einen -grünlichen Schimmer auf sich hatte und sogar noch einen -ordentlichen Stiel besaß. Und es hob sich erst von der -einen Seite, und dann von der andern – wie ein ungeschickter -Bauernbursche, der zum Tanze antritt; aber es -half ihm nichts: der Wind blies die Backen auf, und heidi! -da sauste es davon, so viel es auch versuchte, an allen -Steinchen und Schmutzhaufen hängen zu bleiben. Wütend -sprang es schließlich noch toller wie die andern und legte -sich oben auf die kleinen Blätter, um sie festzuhalten. – -Da plötzlich – an der Straßenecke stieß der Westwind -laut jubelnd den Nordwind an – so spielten sie immer, -die beiden wilden Gesellen, und wollten sich dann schier -totlachen, wenn sie alles Lebendige mit in ihren tollen -Reigen hineinzerrten. – Und nun wirbelten sie zusammen -die trockenen Blätter in die Höhe, daß sie den Bäumen -entgegenflogen, die sehnsüchtig die leeren, nackten Arme -nach ihnen ausstreckten. Aber da lagen sie schon wieder -<a class="pagenum" id="page_082" title="82"> </a> -auf der Erde, küselten verwirrt umeinander und schleiften, -schlürften, raschelten über die glatten Steine hinab in die -Gosse.</p> - -<p>Da lagen sie nun und dachten nach. Und dachten, -wie sie – es war schon lange, lange her – die braunen -Köpfchen einst vorsichtig aus der Baumrinde hervorgestreckt -hatten, und in die Welt hinein geguckt, wie sie dann groß -und grün und schön geworden waren, wie die Spatzen in -ihnen gehuscht, wie der Mond zwischen ihnen hindurchgelugt, -und wie die Menschenkinder in ihrem Schatten sich geküßt -hatten. Dann war der Herbstwind gekommen und hatte -sie selber geküßt, und sie waren gestorben an seinen eisigen -Küssen – hatten sich erst so herrlich geschmückt für ihn, -die armen Dinger, rot und gelb und violett und braun, -und dann fielen sie ohnmächtig aus seiner wilden Umarmung -zur Erde nieder, wurden hin und her gejagt von den -Winden, und nun? Nun liegen sie in der Gosse und -denken nach.</p> - -<p>Hei! Wie der Wind bläst! Die Kleider der schönen -Frauen, welche die Straße entlang gehen, schlägt er zur -Seite, daß die schlanken Füße sichtbar werden. Und die -Blätter in der Gosse flüstern einander zu: »Jetzt werden -sie auch anfangen zu tanzen und rascheln und schleifen die -glatte Straße hinab in die Gosse!«</p> - -<p>Aber nein, die kleinen Füße schreiten fest und sicher -weiter, der Wind kann ihnen nichts anhaben – aber der -andere, der im Herzen weht, durch das Leben stürmt, ob -der die schlanken Frauenfüße wohl nicht vom glatten Weg -hinabwirbelt – in die Gosse?</p> - -<p>Davon freilich wußten die trockenen Blätter nichts: -sie lagen in der Gosse und dachten nach; und der Wind -strich jauchzend über sie hin. Es wäre ihm ein Leichtes -gewesen, die ganze Gesellschaft aus dem Rinnstein hinauszuwirbeln, -<a class="pagenum" id="page_083" title="83"> </a> -über alle Welt zu jagen. Doch er that es nicht; -lauernd hing er über ihnen und sang sein Lied:</p> - -<p>»Jetzt schirre ich meine Wolkenrosse und stürme dahin -und brause über die Stadt und über das Land in den -Wald. Eure Schwestern will ich besuchen, die glührot an -den Bäumen hängen. Und ich hause in den Zweigen, und -ich brause über die Wipfel, und ich schüttle die bunte Pracht. -– Seht Ihr den bunten Blätterregen?</p> - -<p>Und seht Ihr die Trauerweiden, wie sie den Waldteich -bewachen, düster, schwermut-geheimnisvoll? Ich peitsche -ihre niederhängenden Haare, daß sie wie graue Schlangen -zischeln und züngeln. Ich wühle die schwarzen Fluten des -Waldteichs auf, daß die Wellen schäumen und sich kräuseln -und mit nassen, starken Armen die Wasserrosen hinabziehen -in das dunkle, dunkle Grab. –</p> - -<p>Nur die Königin – sieh', da ruht sie auf schwarzgrünen -Blättern, und sehnsüchtig leuchtet ihr weißes Blumengesicht -mir entgegen. Ich fliege zu ihr, und ich reiße sie -an mich in wilder Lust, kosend schaukle ich sie hin und -her, ich sauge wollüstig den Duft aus ihrem weißen Kelche, -ich küsse sie mit zärtlich stürmischen Küssen – sie stirbt an -diesen Küssen – und ich trage ihre Blumenblätter hin über -den schwarzen Waldesteich, hin über die Welt – – Ist -es süß, zu sterben an den Küssen des Gewaltigen? – –</p> - -<p>Heiho! – Ihr Wolkenrosse – graue, schwarze! senkt -Euch tiefer, daß ich Euch besteige, daß ich Euch zügle hin -über die Erde – der ich Vernichtung bringe – –«</p> - -<p>Raschelnd flogen die trockenen Blätter ihm nach, aber -nur eine Spanne hoch, dann fielen sie wieder herunter in -den Rinnstein. Und da lagen sie wieder mit ihren Gedanken.</p> - -<p>Es hatte sich eine sehr gemischte Gesellschaft in der -Gosse zusammengefunden. Da waren Blätter von allen -<a class="pagenum" id="page_084" title="84"> </a> -Größen und jedes sah ganz anders aus. Sie gehörten zwar -alle entweder zu der großen Familie »Derer von Baum« -oder zu der »Von dem Busche« – aber eine rechte Einigkeit -konnte nicht erzielt werden, da sich die vom Baum -viel vornehmer dünkten, als die von dem Busche, und daher -wurde so viel von Stammbäumen, Wappenschildern und -dem Gothaer geredet, den die Firma Frühling, Sommer -u. Co. herausgab, daß die übrige Gesellschaft im Rinnstein, -die nicht von so hoher Abkunft war, in tiefster Ergebenheit -erstarb. Darin waren sie sich jedoch alle einig, daß sie nur -durch unverschuldetes Unglück, durch widrige Winde und -plötzliche Regengüsse so heruntergekommen waren, daß sie -sich nun in der Gosse befanden.</p> - -<p>Da stak mitten unter dem Blätterhaufen ein langer, -schlanker Strohhalm, hineingeflogen wie ein Pfeil – die -Blätter hatten ihn immer für etwas ganz Unbedeutendes -gehalten – der that jetzt den Mund auf und begann zu -erzählen: »Ich bin sehr vornehm,« sagte er, »ich bin ein -Prinz. Ich bin Oberst gewesen in Ihrer Majestät der -Frau Königin Erde Weizenfeld, Allerfeinste-Mehlsorte No. I. -Ich trug eine gelbe Uniform und einen prächtigen Raupenhelm -auf dem Kopfe. – Ihr hättet es sehen sollen, unser -Regiment! Wie wir in Reih' und Glied standen – fest -wie eine Mauer! Wie wir exercierten – hierhin, dorthin, -auf und nieder, wenn unser Kommandant, Generalissimus -Wind, seine brausende Stimme erschallen ließ. Hei! das -war eine Freude, uns anzuschauen! – Und dann kam der -Krieg, das war ein schneidiger Krieg! Erbarmungslos -mähte der Feind, jenes uncivilisierte raubgierige Gesindel, -das sie Menschen nennen, uns nieder, und wir fielen ebenso -schön in Reih' und Glied, wie wir gestanden hatten. – -Aber tot waren wir nicht – bewahre! (denn sonst könnte -ich es Euch ja nicht erzählen). Wir gerieten nur in Gefangenschaft, -<a class="pagenum" id="page_085" title="85"> </a> -und in bittere Gefangenschaft. Sie banden -uns zusammen, wie die Indianer, und schleppten uns fort -und steckten uns in die Folter, bis sie all den Reichtum, -den wir in unserm Raupenhelm trugen, herausgequetscht -hatten, und dann, ja dann sollten wir erniedrigt werden, -den Pferden Dienste zu leisten, den Pferden unserer Feinde. -Die wollten auf uns herumtrampeln, die wollten uns als -Lager benutzen, die wollten – mit einem Wort – Mist -sollten wir werden! – Ich, Prinz von Halm-Halm – -auf Aehre – Oberst in Ihrer Majestät der Königin Erde -Regiment Weizenfeld-Allerfeinste-Mehlsorte No. I.</p> - -<p>Da, als wir gefesselt, geknebelt, aufeinandergepackt, in -dem Transport-Wagen lagen – da habe ich zum erstenmal -in meinem Leben die Subordination vergessen – ich, -dem die Subordination alles war, und bin ausgerissen.</p> - -<p>Und die Folge davon? – Ich liege in der Gosse – –</p> - -<p>Ja, Subordination muß sein!« sagte der Strohhalm, -grub sich mit seiner leeren Kornähre, seiner Raupe, in den -Gossenschlamm und philosophierte über die Gefahren der Unbotmäßigkeit. -– »Siehst Du, Prinz Halm-Halm: Schmieg' -Dich dem Schicksal an, so kriegst Du einen warmen Pferdestall -– lehn' Dich dagegen auf und Du fällst in die Gosse -– auf Aehre! – Burrrr – brumm!« schnarrte es neben -ihm. Ein richtiger, bunter Brummkreisel war es, der auf -irgend eine Weise in die Gosse geraten, unter die Blätter, -und von den Kindern vergessen worden war.</p> - -<p>»Subordination. – Ich brumme was auf die Subordination! -Wer wie ich zeitlebens von allen unnützen -Buben auf den Straßen herumgepeitscht worden ist – zuweilen -waren ein halbes Dutzend hinter mir, und dann -mußte ich tanzen und brummen, bis mir der Atem ausging -– der ist froh, wenn er auskratzen kann und sein -Leben gemütlich in der Gosse beschließen darf.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_086" title="86"> </a> -Wie habe ich mich gesträubt und gewehrt, all' mein -Leben lang! Ich habe den Bindfaden, der an mir saß, -so fest um mich herumgewickelt, daß er beinahe mit keiner -Macht der Erde wieder loszumachen war; ich habe mich -mit meinem einzigen spitzen Bein in die Ritzen der Steine -geklemmt, daß sie mich beinahe nicht wieder herauskriegen -konnten; ich bin allen Jungen und Mädchen zwischen die -Füße gefahren, daß sie stolperten, und habe dabei gebrummt, -daß mir selber angst und bange wurde. Aber es half mir -nichts. Ich mußte tanzen und schnurren und Kapriolen -machen mit der bittersten Empörung in meinem Brummkreiselherzen. -Sie hatten die Peitsche und folglich auch die -Macht und ich mußte tanzen, bis ich eines schönen Tages -in der Gosse lag – – – Brrrrr – brumm!« sagte der -Kreisel, als der Wind über ihn hinfuhr und ihn zwang, sich -um sich selbst zu drehen.</p> - -<p>»Ja, mein lieber Herr Kreisel,« sprach da salbungsvoll -ein weißes, bedrucktes Stück Papier, das die Schulkinder -aus einem ihrer Bücher verloren hatten. Die Blätter -wollten es nicht für voll anerkennen – es war zwar auch -ein Blatt und auch trocken, aber es gehörte zu einer ganz -andern Familie – sie waren gar nicht verwandt. Es -hielt sich deshalb ein wenig abseits und sprach in gebildetem -Tone:</p> - -<p>»Sehen Sie, mein lieber Herr Kreisel,« sagte es, »das -ist von alters her so gewesen – ich muß das wissen, denn -ich bin aus einem Geschichtsbuche – die Starken hatten -die Macht und, wie Sie so sehr richtig bemerkten, folglich -auch die Peitsche, mit der sie sehr energisch umzugehen -wußten, und die Schwachen – nun, die wurden gepeitscht. -Da hilft kein Auflehnen gegen den Willen von oben und -gegen die Peitsche der Straßenjungen; die Kreisel wie alle -Armen und Schwachen müssen tanzen – so ist es immer -<a class="pagenum" id="page_087" title="87"> </a> -gewesen, so ist es heute noch, und so wird es bleiben. Wir -haben uns einmal daran gewöhnt, und wir Gebildeten -sehen auch ein, daß es nicht anders sein kann und daß -es so am besten ist.«</p> - -<p>Da fuhr aber der Kreisel auf:</p> - -<p>»Daran gewöhnt? Fällt uns gar nicht ein! Denken -gar nicht daran! Und wenn wir uns einmal alle zusammenrotteten -– die Bäume und die Büsche und die Strohhalme, -und alles, was so herumliegt, und wir Kreisel und – und -so weiter – und wir machten 'mal so eine kleine, lustige -Revolu– –«</p> - -<p>Hui! Da faßte ihn der Wind und schüttelte ihn, und -da duckte er sich und sagte: »Brumm!« –</p> - -<p>»Ach,« jammerte da ein feines, zärtliches Stimmchen, -»was ist das alles gegen den Kummer, den ich erlebt habe?«</p> - -<p>Das war ein Stückchen Papier, lachsfarben, gepreßt, -mit Tinte beschrieben – man sah, es war etwas Feines. -Der Wind hatte es eben erst in wilder Jagd die Straße -hinuntergepustet, und atemlos war es mit einem Purzelbaum -in der Gosse gelandet.</p> - -<p>»Ich war rein und hellblank, und ich duftete stärker -wie die Veilchen in der Vase, die vor dem Fenster stand; -und ich lag auf einem zierlichen Schreibtisch und ein reizender, -goldener Federhalter kritzelte über mich hin. – Ach, -dieser Federhalter! Etwas Glänzenderes, Schlankeres, Zierlicheres -habe ich nie gesehen. Und alle die süßen, zärtlichen -Worte, die er mir ins Ohr flüsterte – war es ein Wunder, -daß ich seinen Schwüren glaubte, daß ich ihn liebte mit -all der Glut, deren mein papierenes Herz fähig war? – -Ach, wie war das Leben schön!</p> - -<p>Aber da kritzelte er mir eines Tages mit einem großen -dicken Tintenstrich etwas ganz Unheimliches, Unverständliches -zu, so daß ich erschrak, und dann ergriffen mich -<a class="pagenum" id="page_088" title="88"> </a> -plötzlich kleine, weiße Fingerchen, und ich knickte vor Angst -in der Mitte durch, und sie sperrten mich in einen dunklen -Behälter, der wurde fest zugemacht, und eine glockenhelle -Stimme trillerte dazu:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">Such' ich mir 'nen andern Schatz –</td></tr> - <tr><td class="tdl">   juhu – andern Schatz –</td></tr> -</table> - -<p class="in0">und dann reiste ich fort, weit fort, und mein schlanker, -goldener Geliebter blieb zurück, und ich habe ihn nie wieder -gesehen. Ach, ich war wie in einer Betäubung und kam -erst wieder zur Besinnung, als mein Gefängnis sich öffnete -und ich herausgeholt wurde – und da – da geschah etwas -Schreckliches: ich hörte eine wuterstickte Stimme, die mich -fürchterlich ausschalt, und große, rauhe Finger nahmen -mich und rissen mich mitten durch, nicht nur einmal, nein, -in lauter kleine Fetzen, und wir flatterten zur Erde nieder -und der Wind kam und nahm uns mit sich fort. – Ach, -und wenn nun mein Federhalter mich sucht, dann erkennt -er in diesem kleinen, schmutzigen Flecken seine schöne lachsfarbene -Geliebte nicht wieder. – – – Ach, was sind alle -Leiden und Kümmernisse der Welt gegen die Schmerzen -unglücklicher Liebe!«</p> - -<p>Als das traurige Papierchen geendet hatte, entstand -eine tiefe Stille in dem Rinnstein. Sie waren alle gerührt -und kämpften mit den Thränen –</p> - -<p>»Denn eigenes Unglück und eigener Kummer machen -das Herz empfänglich für die Leiden anderer!« sagte das -Blatt aus dem Geschichtsbuche für die Jugend gebildeter -Stände. Nur das große Blatt mit dem Stiel, eines der -vornehmsten aus dem Hause derer vom Baume, murmelte -etwas von »plebejischer Gefühlsduselei!« und der Brummkreisel -sagte: »Bitte, meine Herrschaften, werden Sie nicht -sentimental – das ist veraltet – und von Liebe halten -wir heutzutage nicht viel, die Wissenschaft hat diesen geheimnisvollen -<a class="pagenum" id="page_089" title="89"> </a> -Vorgang in unserem Innern mit grausamer -Deutlichkeit aufgeklärt – brrrr–brumm!« Da aber gab es -einen großen Disput, wie in einer politischen Sitzung, und -wie sie noch im besten Zanken waren, öffnete sich in dem -nächsten Hause eine Thür und ein junges Mädchen trat -heraus mit einem Besen in der Hand, denn es war Sonnabend, -und die Straße sollte gekehrt werden. Mit kleinen -lustigen Schritten trippelte sie daher und die braunen -Augen sahen zuversichtlich in die Welt hinein. Sie begann -mit kräftigen Bewegungen den Rinnstein auszukehren und -summte halblaut dazu:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">Wenn ich wüßt', wenn ich wüßt', </td></tr> - <tr><td class="tdl">Wo mein Schatzerl ist –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ist wohl in die weite Welt –</td></tr> - <tr><td class="tdl">   juhu – weite Welt –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ist wohl fortgezogen!</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Wenn ich wüßt', wenn ich wüßt',</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wo mein Schatzerl ist –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wär' ich in die weite Welt –</td></tr> - <tr><td class="tdl">   juhu – weite Welt –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wär' ihm nachgezogen!</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Da er mir nun nichts gesagt,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Warte ich wohl über Nacht –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Such' mir dann ein andern Bub –</td></tr> - <tr><td class="tdl">   juhu – andern Bub' –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Muß mich nit verlassen!« – –</td></tr> -</table> - -<p>Und nun purzelte alles durcheinander: die Blätter -und der Strohhalm und das Papier und der Kreisel. Das -Mädchen kehrte sie zusammen auf einen großen Haufen, -und jubelnd kamen die Kinder herbei und zündeten das -trockene Laub an – –</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_090" title="90"> </a> -»Burrr!« sagte der Kreisel, »mein revolutionäres Feuer -schmilzt mich auf!«</p> - -<p>Und knisternd flog die lachsfarbene Schönheit in die -Höhe; denn der Wind blies in den Scheiterhaufen, daß die -Funken stoben, er trug sie mit sich fort, wie die weißen -Blätter der Wasserrosenkönigin, und streute sie aus auf -seinem Wege, daß ein Feuerregen niederfiel. Die braunen -Augen des Mädchens sahen ihnen nach, und sie sang:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Ist wohl in die weite Welt – juhu –</td></tr> - <tr><td class="tdl">   juhu – weite Welt –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ist wohl fortgezogen!«</td></tr> -</table> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_091" title="91"> </a> -Sonniger Winter.</h2> - - -<p>Sie sagten, es sei Winter. Da ging ich hinaus, ihn -zu begrüßen. Denn hier drinnen in der engen Stadt hat -er ein gar häßliches Aussehen, rauchig und schmutzig, und -er blickt dich an mit den Augen des Hungers. – Draußen -aber lag der lachende Sonnenschein. War das der Winter? -Er hat ja kein weißes Kleid an. Die Bäume recken ihre -nackten Zweige kraus und zackig in den blauen Himmel -hinein, und ihre Rinde schimmert rötlich, oder weiß, oder -stahlgrau in der schwimmenden, flockigen Luft. Ah, die -Luft! Das weitet die Brust – wie du mit einem tiefen -Atemzug alle den Wald einhauchst, daß er die Stadt, die -rauchige, schmutzige, in dir verzehrt! – Mein Fuß wühlt -im langen, zottigen Gras. Wenn du nicht hinsiehst im -Park, wo die glatten Wege sind, wo die feinen Karossen -fahren, wo die Menschen auf ebenen Pfaden wandeln, dann -meinst du im Wald zu sein – still ringsum, nur hohe -Bäume, nur das Lispeln, das seltsame, traurige Lispeln -in den nackten Zweigen, die ohne Blätter nicht rauschen -und raunen können, wie sie im Sommer, im Herbst es -thaten. Nur die Prärie vor dir, durch die sich das geschäftige -Bächlein im Sonnenschein dahinschlängelt. Ein -<a class="pagenum" id="page_092" title="92"> </a> -zaubrisch Bächlein – wie es lockt und winkt, eilig über -die blanken, feuchten Steine kollert, und immer raunt und -murmelt und erzählt – was es nur immer sagt? Ich -klettere den Abhang hinunter, tiefgrün schimmert das Wasser -von den bemoosten Steinen herauf. Einzelne ragen draus -hervor, sie sehen mich lockend an – soll ich hinüber klettern -auf den Springsteinen, zum andern Ufer des Bächleins, -dorthin, wo stille, grüne Tannen stehen, wo es ganz einsam -ist? – Da – mitten drin – du böser Nix, was hast du -an dem Stein zu rütteln? Das hält ja so ein tappig -Menschenkind nicht aus! Natürlich, da patsche ich mit den -Füßen im Wasser – und nun schnell gesprungen, in den -Sonnenschein, in das hohe Gras hinein, daß ich wieder trocken -werde. Böser Bach mit deinem Nixen. – Aber was ist -das? War es Zauberwasser, das mich berührt hat? – -Der Wald ist lebendig geworden, die Bäume fangen an -zu reden, ich verstehe, was die Vöglein zwitschern, die -kleinen, grauen, die Waldvagabonden, die einzigen, die geblieben -sind. Piep! sagen sie, uns ist's einerlei, ob die -Blumen blühen und die Bäume Blätter haben. Dann -bauen wir unser Nest in den kahlen Zweigen, und zwitschern -von den zukünftigen Blüten, und die Nahrung – -nun, die stehlen wir uns irgendwo – nur Freiheit, Freiheit -wollen wir haben! – Au! sagt das Gras unter meinen -Füßen, warum trittst du mich? – Ich bin nicht tot. Da, -sieh' einmal her – Und wie ich dann die langen, zerzausten -Haare vorsichtig zur Seite schiebe, da lugt frischer, grüner -Klee schelmisch hervor. Der grüne, grüne Klee – Weißt -du noch, grüner Klee, wie es war zur Sommerszeit?</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">Es war zur goldnen Sommerszeit,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Welt war groß und war so weit –</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Und grüner, grüner Klee.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Der blühte still im Waldesthal<a class="pagenum" id="page_093" title="93"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">Wie Tropfen Blutes allzumal</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Die Blüten stehn im Klee.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Und Falter spielen drüber hin.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und wir? Wir lagern uns tiefdrin,</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Im grünen, grünen Klee.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Dein Aug' ist wie der Falter blau,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Dein Mund rot wie die Blüt' im Tau,</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Die Blüte rot im Klee.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Dein Haar ist wie das Sonnenlicht,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das gleitet durch die Zweige dicht</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Wohl über grünen Klee.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Dein lieber Hals, der luget leis,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wie die Maßlieben wunderweiß,</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Aus grünem, grünem Klee.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Da hab' ich mich geneigt zur Stund'</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und hab geküßt den roten Mund</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Im grünen, grünen Klee.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Und nur ein Vöglein sah's mit an,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das lockte süß aus dunklem Tann</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Ganz nah beim grünen Klee.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Da war es, wo im Waldesthal</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ich fand zum allererstenmal</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Der Blätter vier am Klee.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Merkt ihr, was das bedeuten soll?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Mein Lieb und ich – wir wissen's wohl –</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Ja – und der grüne Klee. –</td></tr> -</table> - -<p><a class="pagenum" id="page_094" title="94"> </a> -Hat mir das Bächlein das Lied gegluckst? Haben's -die kleinen Waldtramps gezwitschert? Hat es der Klee gelispelt -– oder hauchten es die Sonnenstrahlen in die Welt -hinein? Rings um mich singt es und klingt es. Und -plötzlich trottet eine kleine Schar neben mir, putzige Gesellen -mit feinen Gliederchen und lustigem Wesen. Sie -laufen neben mir wie eine Schar Hündchen, sie klettern -die platten Baumstämme hinauf und wiegen sich in dem -weiten Geäst hurtig wie die Eichkätzchen, und sie tragen -kleine Narrenkappen auf den Krausköpfchen, damit klingeln -sie: Gedanken! Gedanken! Wir sind deine Gedanken. –</p> - -<p>Aber, ihr flinken Gesellchen – Gedanken? Ich meinte -Gedanken, die hätten schwere Köpfe, und Brillen auf der -Nase, und gingen mit gewichtigen Schritten in den Büchern -auf und ab spazieren. Was wollt ihr im Wald mit mir?</p> - -<p>»Wir wollen hören, was er rauscht, was die Bäume -sagen, und der Wind weht. Wir wollen sehen, wo der -Winter ist? – Da, siehst du.« – Mitten auf der Wiese -war das lange Gras fein säuberlich zur Seite gewachsen -und hatte einem grünen Moosteppich Platz gemacht, der -sich glatt und fein ausbreitete: »Sieh',« flüsterte mir ein -Gedanke ins Ohr, »siehst du die Elfen tanzen, und die -Gnomen mit den weißen, zottigen Bärten und den spitzen, -haarigen Oehrlein? Wie die weißen Leiber der Winterelfen -schimmern, wie ihre flockigen Schleier wehen und wie -die Lüfte aufspielen zum Tanz. – Horch! Wie Schneeknirschen -klingt's, und wie die Eiszapfen, wenn sie klirrend -von den Bäumen brechen. Und siehst du, da mitten im -Gewirr den sonnigen Winter stehn? Seine Augen glänzen -und er lacht, daß die weißen Zähne aus dem feurigen -Barte blitzen.« – In den starken Armen hält er die Winde; -wie sie zappeln und die Backen aufblasen vor Wut, daß -sie nicht loskommen können – da schlägt er den Nordwind -<a class="pagenum" id="page_095" title="95"> </a> -und den Westwind mit den Köpfen zusammen, die bösen -Gesellen, und stößt sie mitten unter das Elfengesindel, das -sie jauchzend mit Tannenkränzen umwindet und fesselt; -oben auf des sonnigen Winters Schultern aber steht der -Südwind und stößt jubelnd ins Horn, daß es von den -Bergen ringsum widerklingt. Und jauchzend fallen die -Gedanken um mich herum in das tolle Treiben – so daß -ich mich ordentlich schäme für sie – was sollen nur die -Menschen davon denken? »Ihr solltet auch nicht denken, -ihr Menschen,« lachten meine wilden Gesellchen – »denn -wenn ihr denkt, dann denkt ihr immer was Dummes. Es -wäre überhaupt viel besser, ihr dächtet gar nicht, und überließet -es uns, euch plötzlich mit etwas Gescheitem durch -den Kopf zu fahren – wie ein Blitz.«</p> - -<p>»Da sieh' hin, die zwei Bäumchen, die da angewackelt -kommen,« sagte ein spöttischer kleiner Gedanke und überschlug -sich wie ein Kobold im Gras vor Vergnügen. »Du -denkst, es wären Fichten, aber schau sie einmal an: sie -kommen in kurzem Lauf, ein wenig vornüber, dahergetrottet, -ihre Nadeln stehen zierlich nach beiden Seiten, wie lauter -gewichste Schnurrbärtchen, die Kronen sind ihnen ins Gesicht -gerutscht, so daß es aussieht, als wenn sie die großen -Hüte bis tief auf die Nase sitzen hätten, und da die Zweige -just ein bischen über dem Erdboden beginnen, scheint es, -als hätten sie sich die schloddrigen Hosen sorgfältig aufgekrempelt. –</p> - -<p>»Ei! wie die Herrchen laufen,« höhnt der lustige Gedanke -und zupfte an ihren Nadeln, worauf sie sich wütend -umdrehen und mit den jungen Birken, die sie als Spazierstöcke -mit sich schleppen, nach ihm schlagen – »sie thun, als -wollten sie dem sonnigen Winter eine Referenz machen, -und dabei schielen sie doch nur nach den weißhäutigen -Elfendirnen.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_096" title="96"> </a> -Nun kommen sie von allen Seiten gewandert: die -breitästigen Eichen, die schlanken Birken im weißen Hemdchen, -knorrige Burschen vom Geschlecht der Baumriesen; und -eine nackte Trauerweide tänzelt so lustig daher, daß die -langen, fast bis auf die Füße hängenden Haarsträhne im -Winde flattern. – Ei, sieh', wen haben wir hier? – Eine -Prozession ehrbarer Herren in dunkelgrünen Röcken, die -bis zur Erde reichen; und aus den stachligen Kapuzen -schauen lustige Mönchsgesichter, und die Aeuglein blinzeln -über die feisten Wangen hinweg nach den schlanken, grünen -Nönnchen, die ihre Kiefernkleidchen gar züchtig geschürzt -haben und sittsam kokett neben der Tannenprozession einhertrippeln. -Voran schreitet ein baumlanger Tannenriese, -stark wie Rabelais' Mönch Johann. »Halt da!« kommandiert -er, »hübsch paarweise antreten!« und er bombardiert -die letzten in der Reihe mit Tannenzapfen, damit sie ihn -besser verständen – »und wem's nicht recht ist, hier im -Wald, dem schlage ich die Knochen im Leibe entzwei!«</p> - -<p>Da faßt ein Mönch je ein Nönnchen bei der Hand, -und, die grünen Röcke ein wenig lüpfend, tänzeln sie im -Menuettschritt über die Wiese hin zum lachenden, sonnigen -Winter und beginnen artig zu psalmodieren, daß es in den -Wald hineinschallt:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Brave Mönche sind wir Tannen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Brummeln unser Mönchsgebet –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und wenn es zum Schlucken geht,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Laufen nimmer wir von dannen –</td></tr> - <tr><td class="tdl">   Eia, Hallelujah!</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">»Nönnchen sind wir, Nönnchen heiter, </td></tr> - <tr><td class="tdl">Leben gottgefällig weiter,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Putzen unser grünes Kleid –</td></tr> - <tr><td class="tdl">'s Himmelreich ist auch nicht weit –</td></tr> - <tr><td class="tdl">   Eia, Hallelujah!</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">»Und so leben wir gar traulich,<a class="pagenum" id="page_097" title="97"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">Brüder, Schwestern, Hand in Hand –</td></tr> - <tr><td class="tdl">– Unsre Kutten sind verwandt –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Unser Trachten ist beschaulich –</td></tr> - <tr><td class="tdl">   Eia, Halleluja!«</td></tr> -</table> - -<p>»Ei, so hört auf zu plärren,« dröhnt Bruder Johanns -mächtige Stimme dazwischen –</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Kurze Worte dringen zum Himmel eh'r,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Lange Züge machen die Kanne leer –</td></tr> - <tr><td class="tdl">   Eia, Halleluja!«</td></tr> -</table> - -<p>Und mit tollem Jubel drehn sie sich mit im Elfenreigen, -daß die grünen Kutten im Winde wehn.</p> - -<p>»Hast du nun den Winter gefunden?« flüstert mir -ein Gedanke ins Ohr, »sieh', wie die Sonne über ihm steht, -lichtspendend, milde lächelnd, als ob all das Weh in der -Welt nur ein Wassertröpfchen wäre, das sie lächelnd aufsaugt.«</p> - -<p>»Sagtest du: Weh, kleiner Gedanke?« haucht es neben -mir, »weißt du, was das ist?«</p> - -<p>Ich wandte mich; da steht unter den hohen Bäumen -des sonnigen Winters der allerhöchste und breitet seine -mächtigen Zweige aus, als wolle er die Welt an seine -Brust ziehn. »Sieh',« sagt er und senkt das starke Haupt, -»meine Krone haben sie mir geraubt, der Sturm, als er -hinzog mit seinen weißen Jägern über mein Reich – meine -Aeste haben sie zerschlagen und die Augen mir geblendet. -Weißt du, was es heißt, leben, und die Sonne nicht mehr -sehn, nie mehr!«</p> - -<p>Es geht ein Aechzen durch den zersplitterten Stamm, -die Zweige bewegen sich schwankend hin und her – es ist, als -wolle sich der Riese zur Erde neigen. Aber noch ist er stark, -noch steht er aufrecht, bis der Sturm wieder einmal gegen ihn -zu Felde zieht – und nur wie ein »Weh – das thut weh!« -– zittert es durch die Luft.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_098" title="98"> </a> -Mich fröstelte es, die Sonne sank tiefer, ich ging dem -Heimweg zu. Einzelne Gedanken blieben im Wald beim -Tanz auf dem Elfenteppich, bei dem sonnigen Winter, andere -sprangen mir flüsternd, raunend, kichernd zur Seite; -bis zum Hügel hinauf, am Rand des Waldes, da waren -sie verschwunden. Einige waren den eleganten Karossen -nachgelaufen und guckten spöttisch grinsend in die Wagenfenster, -andere hatten sich den Heimatlosen, vagabondierenden -Menschenkindern angeschlossen, die unter den Büschen des -sonnigen Winters ihr Nachtlager suchten. Nur Einer, ein -ernsthafter, blasser, kleiner Geselle stand neben mir, als ich -mich umwandte am Berg und mein Auge die Sonne suchte -– wie seltsam! Die Sonne, die goldene, große, strahlende, -hing herrlich am Himmel – aber der Wald, die Welt? -Was eben noch leuchtete, schimmerte, in wunderbarsten -Farben, das lag tot und kalt und schwarz zu ihren Füßen.</p> - -<p>»Siehst du,« sagte der ernsthafte Gedanke neben mir, -»so wollt ihr die Wahrheit suchen mit eurem Verstand und -eurer Tüftelei, so seht ihr in die Sonne mit der Brille der -kalten Berechnung auf der Nase – ja die Sonne steht dort -am Firmament, strahlend, so himmlisch leuchtend, daß euer -blödes Auge sie nicht ertragen kann, und die Welt, über -die ihr die Wahrheit ergründen wollt, liegt schwarz und -tot da. Aber schau dich um, schau mit der Sonne, schau -dahin, wo nur die Strahlen der Sonne hindringen, wohin -die Wahrheit ihr goldenes Licht wirft – siehst du nun, wie -herrlich die Welt daliegt, in Farbe, in Glut gehüllt, verklärt? -Fühle nur die weiche, flimmernde, golddurchglühte Luft, die -dich mit linden Armen umfängt – schaue die jauchzende, -die lebende, lichte Welt! –</p> - -<p>Und weißt du nun, was Poesie ist?« flüsterte der -ernsthafte, kleine Gedanke mir ins Ohr.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_099" title="99"> </a> -Ein Weihnachtsmärchen.</h2> - - -<p>Weit, weit hinter den Wolkenbergen, da, wo der Sonne -Heimat ist, die zu verlassen ihr so schwer fällt, daß sie -Tauthränen weinen muß, da, wo gut sein, fromm sein ist, -und die Religion die Liebe, da, wo es keinen Neid, keine -Polizei und keine Geldnöten gibt, da ist das Reich der -Träume, das Wunderland, wo die schöne Frau Phantasie -als Königin herrscht. Da sitzt sie auf ihrem goldenen -Sonnenthron, umgeben von all' dem lustigen und luftigen -Volk, den Elfen, Nixen und Kobolden, die durch das -Christentum und das Geld aus der Welt vertrieben wurden, -und hält Hof, und die Blümelein sind ihre Vasallen und -die Bäume ihre Schildwachen, und die Vögelein jubilieren -und konzertieren, und die Mücken und Grillen und Heimchen -tanzen Ballett; und der Wind, der säuselnde, sanfte, der -starke, stürmische, immer gewaltige Sänger, ist zum Hofpoeten -ernannt. Aber die mitleidige Königin, so gut sie -es auch in ihrem wonnigen Traumland hat – sie ist -nimmer zufrieden damit. –</p> - -<p>Sie gedenkt ihres Sorgenkindes, der Welt, die ihr -schon manch' bitteres Weh bereitet hat, sie hüllt sich in ihren -blauen Himmelsmantel, mit goldenen Sternlein besäet, und -fliegt mit geheimnisvoll leisem Flügelschlag über die Erde, -<a class="pagenum" id="page_100" title="100"> </a> -und wenn sie sieht, daß ihr Sorgenkind immer noch so -verdrießlich und wetterwendisch und eigensinnig-dumm und -boshaft und lieblos ist, dann fließen Thränen der Wehmut -und des Zornes und des Mitleids aus ihren schönen Augen, -vermischt mit Hoffnungsbalsam und Sehnsuchtslauten nach -ihrem Traumland, und diese kostbaren Thränen fallen zur -Erde hinunter in die Herzen ahnungsvoller Menschen, die -von Liebe entbrennen zur herrlichen Göttin Phantasie; sie -singen dann, was ihr Herz bewegt, und die Welt nennt sie -Dichter.</p> - -<p>Aber Frau Phantasie verhüllt sich mit ihrem blauen -Himmelsmantel, so daß nur die kleinen nackten Füßchen -wie zartrosa Wölkchen darunter hervorgucken, der Wind -nimmt sie auf seine Flügel und trägt sie in ihr Königreich, -und dann geht die Sonne auf.</p> - -<p>Lange schon ist es her, daß die Königin ihre letzte -Reise unternommen hat; sie hat über den Wolken gethront -im Traumland; aber Wehegeschrei und Kanonendonner -sind bis zu ihr hinaufgedrungen und Zornesrufe nach -Freiheit und Fluchworte gegen Lüge und Heuchelei, und -dann wurde es ruhig, ganz ruhig unter ihr – da erhob -sie sich von ihrem Thron, legte die weiße Hand gegen das -rosige Ohr, lauschte in die Ferne, und sie sprach zu ihrem -versammelten Volke:</p> - -<p>»Horch, so friedlich ist's da drunten! Sollte wohl -jetzt die Zeit gekommen sein, wo ich meine Lieblinge hinaussenden -kann, auf daß sie der Welt Erlösung bringen? -Meine Kinder, meine weißen, süßen, unschuldigen Kinder: -Wahrheit und Liebe, die ich mit dem Sonnengott, dem -ewigen Licht, gezeugt; sie schlummern unter Blumen nun -seit vielen tausend Jahren und immer wollte ich sie wecken -und immer noch war es zu früh; immer begann es wieder -zu lärmen auf der Welt, wenn ich gerade mich niederbeugen -<a class="pagenum" id="page_101" title="101"> </a> -wollte, um sie wachzuküssen – die beiden Zwillingsrosen. -Nun aber ist's Zeit.</p> - -<p>Geschwinde, Ihr lustiges Volk, geschwinde, Ihr meine -Treuen – kommt, kommt, laßt sie uns wecken!«</p> - -<p>Und da huscht es, und haucht es und weht und faucht -es über sie hin, um sie her, und da singt es und saust es -und klingt es und braust es, und die Blümlein duften süß -und die Zweige neigen sich flüsternd und leise. – Da stehen -zwei holde Kinder mitten unter ihnen, ein Knabe und ein -Mägdelein – sein Antlitz ist ernst und klar und trotzig -und sonnig, in ihrem rosigen Gesichtchen lacht der Frühling, -und doch thront auf der Stirn eine leise Schwermut und -in den Augen wohnt die Sehnsucht. Und die Königin -zieht ihre holden Lieblinge an ihr Herz und weint Glücksthränen -auf ihre jungen Häupter, und all ihr Volk steht -erwartungsvoll schweigend um sie her. Da spricht sie:</p> - -<p>»Ihr meine jungen Helden, mein ernster Knabe, mein -lachend Mägdelein – steigt nieder zur Erde, zieht hin -über die Welt und verkündet ihr das neue Evangelium, -bringt ihr die Liebe, lehrt sie die Wahrheit. Ach, sie ist -arm, arm an Glück und Liebe – lehrt sie, daß nur durch -Liebe die Seligkeit zu erringen ist, von der sie so viel gehört -und die sie nicht verstanden hat.</p> - -<p>Laßt Euch nicht abschrecken durch rauhe Worte, durch -herzlose That – predigt immer wieder, ruft in die Welt, -in ihre Herzen hinein, jubelt ihr entgegen das Evangelium -von der Liebe, ohne die nichts ist, hier nicht, wie auf Erden.</p> - -<p>O meine Kinder, vor allem trennt Euch nicht, faltet -Eure Händchen zusammen, verlaßt Euch nicht, denn die -Wahrheit ist nicht ohne die Liebe, und die Liebe tot ohne -die Wahrheit. –</p> - -<p>Allein seid Ihr nichts, vereint alles!«</p> - -<p>Da gab man ihnen Oelzweige in die Hände, Mutter -<a class="pagenum" id="page_102" title="102"> </a> -Phantasie nahm die Kinder in ihren Himmelsmantel und -trug sie zur Erde nieder, und die Elfchen und Nixchen und -Kobolde huschten um sie her, die Vöglein zogen mit ihnen -und sangen und alles war voll Freude.</p> - -<p>Aber der alte, weltweise, vernünftige Uhu saß in dem -Eichbaum, unter welchem Wahrheit und Liebe, von duftenden -Blumen zugedeckt, viele tausend Jahre geschlummert hatten, -klappte seine großen Augen auf und zu und seufzte, daß -es in den Klüften und Schluchten wiederhallte:</p> - -<p>»Zu früh, viel zu früh, ach, es ist zu früh!«</p> - -<p>Hand in Hand irrte nun das Zwillingspaar durch -die Lande, über Berg und Thal, über Fluß und Steg, an -all den vielen Städten und Burgen vorüber, mit ihren -vielen tausend Bewohnern, aber keiner wollte so recht etwas -von ihnen wissen. Da waren wohl viele, die sagten: »Ach, -wie schön seid Ihr!« Das waren lauter junge Leute, die -Kopf und Herz noch voll herrlicher Gedanken und beseligender -Empfindungen trugen, aber sie hielten sich doch in -scheuer Entfernung, denn sie kannten die Kinder nicht. Da -waren Andere, die tätschelten sie gönnerhaft auf die lockigen -Häupter und sagten: »Ja, recht schön, aber unpraktisch!« -Das waren alte, weißhaarige Männer und Frauen. Da -waren noch Andere, die wollten mit lustigen, bunten, lügnerischen -Lappen die schöne, reine Nacktheit der beiden -Kinder bedecken, aber da eilten diese angstvoll von dannen -und hinter ihnen her gellte höhnisches Gelächter.</p> - -<p>So kamen sie eines Tages durch einen schönen großen -Wald, darin zwitscherte es gar lieblich von Vogelgesang -und duftete es süß von Blumenduft, die Bäume neigten -ihre Zweige vor ihnen, und der Vater, der Sonnengott, -liebkoste sie mit seinen warmen Armen.</p> - -<p>Die Tiere des Waldes kamen, die scheuen Rehe, die -flinken Füchse, die leichtfüßigen Eichhörnchen, sie sahen sie -<a class="pagenum" id="page_103" title="103"> </a> -mit klugen Augen an, und plötzlich klang's von fern und -nah, in allen Zweigen, in allen Lüften:</p> - -<p>»Bleibt hier, o bleibt hier! Bei uns ist's gut sein, -aber draußen ist's Winter; die kalte, böse Welt, sie -thut Euch weh und treibt Euch fort, und dann müßt Ihr -leiden!«</p> - -<p>Aber ein kleines, grünes Tannenbäumchen neigte sich -zu ihnen hin und sprach: »Jetzt bin ich allein; eine schöne -Tanne stand bis gestern noch neben mir; die haben die -Menschen geholt, denn Weihnacht ist draußen, sagen sie, das -Fest der Liebe, und da ist die Tanne gern mit ihnen gegangen, -denn dann wird sie geschmückt, geputzt und geliebt. Nun -stehe ich allein und möchte wissen, wohin sie gegangen ist.«</p> - -<p>Da blickten die Kinder zu ihrem Sonnenvater hinauf -– der nickte lächelnd, und sie zogen weiter.</p> - -<p>Draußen, jenseits des Waldes, war Schnee und Eis -und die Bäume senkten matt ihre dürren Aeste unter der -Last, die ihnen aufgebürdet war; kein grünes Hälmchen -sah unter der Schneedecke hervor und die kleinen Spatzen -piepsten traurig auf der Hecke am Wege. Das liebe Zwillingspaar -aber war ganz warm und der Schnee that ihren nackten -Füßchen nicht weh, denn des Vaters Sonnenstrahlen hüpften -um sie her und schützten sie vor der Kälte.</p> - -<p>Nun kamen sie an ein großes, hohes Schloß, das blitzte, -funkelte und strahlte von lauter Gold und von Edelgestein, -und wie sie die hohe Marmortreppe hinaufstiegen, da kamen -sie in einen großen Saal, darin stand ein wunderschöner -Tannenbaum mit vielen, vielen Lichtern, und um ihn her -sprangen und lachten und scherzten fröhliche Kinder und -freundliche Menschen – ach, da ging ihnen das Herz auf -und sie traten dicht vor den stattlichen Mann hin, der eine -schöne Frau am Arme führte, und öffneten ihre lieblichen -Lippen:</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_104" title="104"> </a> -»Wahrheit und Liebe heißen wir,« sagten sie, »das neue -Evangelium wollen wir verkündigen, daß es weit hinschalle -über alle Welt!«</p> - -<p>Da schüttelte der stattliche Mann den Kopf und die -schöne Frau wich ängstlich zurück und rief ihre Kinder zu -sich, daß sie nicht den kleinen Fremdlingen zu nahe kämen.</p> - -<p>»Ein neues Evangelium! Damit seid Ihr nicht am -rechten Platz. Nur keine Neuerungen! Festhalten am Alten, -Hergebrachten, das ist eines Edelmannes würdig. Und -Wahrheit und Liebe? Gewiß! aber streng nach den Regeln -der Etikette müssen sie sein.«</p> - -<p>»Komm, Schwesterchen,« sagte der Knabe Wahrheit zur -Liebe, »hier ist nicht gut sein.«</p> - -<p>Und sie gingen weiter. – Da kamen sie in eine große -Stadt. Da waren so viele Häuser und so viele Menschen, -daß sie gar nicht wußten, wohin sie gehen und an wen sie -sich wenden sollten.</p> - -<p>So schritten sie kühn in ein vornehmes Haus hinein, -darin war es gar warm und behaglich, und sie stiegen die -teppichbedeckten Stufen hinan und kamen in ein schönes -Gemach, das war reich und bunt ausgestattet, und in der -Mitte auf einem Tisch stand ein großer Weihnachtsbaum, -der leuchtete von vielen, vielen Lichtern, lauter geputzte -Leute standen um ihn und bewunderten die kostbaren Sachen, -die darunter lagen. Das Zwillingspaar hielt sich fest an -den Händen, und sie traten zu dem Herrn des Hauses, der -neben einer schönen Dame im Sofa saß, und öffneten ihre -lieblichen Lippen:</p> - -<p>»Wahrheit und Liebe heißen wir,« sagten sie, »das neue -Evangelium wollen wir verkünden, auf daß es Lüge und -Unglück aus der Welt von hinnen treibe.«</p> - -<p>Da wollte sich der Herr des reichen Hauses schier von -Sinnen lachen: »Wahrheit,« sagte er, »mein Junge, damit -<a class="pagenum" id="page_105" title="105"> </a> -kann man nicht handeln« und »Liebe,« lachte die schöne -Dame neben ihm, »<i>quelle idée!</i> Die ist gar so unbequem -und aufreibend –!«</p> - -<p>»Komm, Schwesterchen,« sagte der Knabe und sah trotzig -um sich, »hier ist nicht gut sein.«</p> - -<p>Die Kleine schmiegte sich dicht an seine warme Seite -und sie zogen weiter.</p> - -<p>Nun kamen sie in ein ganz kleines, unscheinbares -Häuschen, da brannte auch ein Tannenbäumchen, aber nur -ein ganz winziges, mit zwei kleinen Lichtchen und ein paar -Aepfeln und Nüssen daran.</p> - -<p>Neben dem Baum saß eine junge blasse Frau mit zwei -Kinderchen im Arm und am Fenster ein finsterer Mann, -der brütete vor sich hin und sah das Weihnachtsbäumchen -kaum.</p> - -<p>Und das Zwillingspaar trat ein und lächelte dem -anderen Pärchen zu:</p> - -<p>»Weihnachten ist heute, das Fest der Liebe. Vom -Traumhimmel sind wir gesandt, die neue Religion zu verkündigen, -das Evangelium der Liebe und Wahrheit.«</p> - -<p>Aber die angeredeten Kinderchen wandten sich verschüchtert -zur Seite, und der blassen Frau liefen die Thränen -über die schmalen Wangen.</p> - -<p>»Liebe,« schluchzte sie, »Liebe ist nur vom Uebel, denn -sie hängt schwer an Einem, und von Liebe kann man nicht -leben.«</p> - -<p>»Und Wahrheit?« fragte der Mann mit bitterem -Lachen, »wenn man die Wahrheit sagt, wird man mit Hunden -gehetzt. Geht weiter, Euer Evangelium ist nicht für Arme.«</p> - -<p>Da zogen sie traurig von dannen und irrten in den -Straßen umher und wagten nicht mehr in die Häuser einzutreten. -Sie kamen an ein großes, großes Haus, das -hatte einen Turm, der ragte bis in den Himmel hinein -<a class="pagenum" id="page_106" title="106"> </a> -und aus den geöffneten Fenstern drang freundlicher Lichtschein -von vielen Lichtern, Orgelklang und Gesang von vielen -frommen Stimmen; sie schlüpften hinein und standen in -einer Kirche voll frommer Menschen und vor dem Altare -stand eine Krippe, darin lag ein kleines Kindlein, nackt, -wie sie selber, mit einem goldenen Krönchen auf dem Haupte.</p> - -<p>Und sie liefen hin und freuten sich und wandten sich -zum Volk und verkündeten mit lauter Stimme das neue -Evangelium; denn sie dachten, hier wäre es gut und fromm -und hier würden die Menschen auf sie hören.</p> - -<p>Kaum aber hatten die von einer neuen Religion vernommen, -da erhob sich ein böses Geschrei und wütendes -Toben, und an der Spitze der Mann, der an der Krippe -des Jesukindes schöne Worte gesprochen hatte, und:</p> - -<p>»Neuerer, Ketzer! steinigt sie, treibt sie hinaus!« – -riefen sie.</p> - -<p>Ach, die armen Sonnenkinder, sie wußten nicht, wie -ihnen geschah, als sie plötzlich draußen vor der Kirchenthür -sich befanden, die krachend hinter ihnen zufiel.</p> - -<p>»Ach wären wir im Traumland,« seufzten sie, »unter -Blumen und Vögelein, unter der Königin blauem Sternenmantel -– uns friert, ach so sehr.«</p> - -<p>Da, fern von der Stadt, begegneten ihnen zwei hohe, -schlanke Gestalten, ein Mann und ein Weib – die hielten -sich eng umschlungen und von ihren Stirnen ging ein -Leuchten aus, daß es die Kinder wundersam durchschauerte. -Sie faßten Mut und gingen jenen entgegen und fragten:</p> - -<p>»Was thut Ihr hier draußen?«</p> - -<p>»Wir feiern Weihnachten,« sagten jene beiden lächelnd.</p> - -<p>»Ohne Baum und Menschen?«</p> - -<p>»Für uns allein; in unserem Herzen, denn die Menschen -haben uns von sich gestoßen!«</p> - -<p>»Was thatet Ihr?«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_107" title="107"> </a> -»Wir sprachen die Wahrheit und in unserem Herzem -thronte die Liebe,« sagten jene beiden und ihre Augen -leuchteten. »Das aber kann die Welt nicht dulden, es ist -gegen ihr Gesetz, und darum haben sie uns von sich gestoßen.«</p> - -<p>Da sangen und jubelten die Kinder ihr neues Evangelium -in alle Winde hinaus und der Mann zog sein -Weib in seine Arme und sie lauschten der Lehre von der -Wahrheit und der Liebe, die die Kinder der ewigen Sonne -und der Phantasie ihnen predigten.</p> - -<p>Da aber kam der Wind und trug die Sonnenkinder -über die Wolken ins Land der Träume.</p> - -<p>Und wie sie der schönen Mutter ihre Leiden, ihren -Kummer und ihre Seligkeit vertrauten, da weinte sie goldene -Thränen und sie fielen in die Herzen jener seligen Menschenkinder, -die die Welt von sich gestoßen hatte.</p> - -<p>Die Elfen und Gnomen und die Vöglein alle, das -lustige, leichtlebige Volk, tanzten und jubilierten, und nur -der große Uhu saß im Eichbaum, unter dem die Sonnenkinder -wieder schliefen, unter Blumen zugedeckt, und knurrte -prophetisch:</p> - -<p>»Zu früh, viel zu früh, die Welt ist noch nicht reif -für das Evangelium der Liebe und Wahrheit!«</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_108" title="108"> </a> -Schneeflocken.</h2> - - -<p>Die Schneeflocken haben Ball heute Abend. Hei! Wie -sie sich schwingen in tollem Reigen da oben auf den Bergen, -wie sie durcheinander wirbeln und auf und niederspringen, -daß einem ganz schwindelig wird beim Hereinschauen. Und -der Wind spielt ihnen auf dazu; er saust durch die Tannenwipfel -und schüttelt die Kronen der alten Waldriesen, daß -sie die Zweige pfeifend gegen einander schlagen; er braust -durch die Schluchten und gellt durch die Felsenklüfte, daß -es fast wie Hohngelächter klingt, er singt ihnen ein Nordlandslied, -wild wie sein Brausen und Toben. Er singt -ihnen von den eisigen Gletschern da oben im Norden, und -von der Eisjungfrau, die da haust mit Augen, klar und -doch unergründlich, wie der Bergsee; er singt, wie sie mit -schrillem Lachen die weißen Arme ausbreitet und an den -Schneewänden ihres Eispalastes rüttelt – dann stürzen -die Lawinen krachend zu Thal und begraben das Menschenvolk -da unten. Von den lustigen Gesellen, den Eisbären, -erzählt er, seinen Freunden, wie sie im täppischen Tanz -umeinander sich drehen, fast wie riesengroße, weiße Schneeflocken, -daß es gar komisch anzusehen ist; und von den -Schiffen, die zwischen den Eisblöcken stecken, und den -Menschen darauf, deren heißes Menschenherz langsam zu -<a class="pagenum" id="page_109" title="109"> </a> -starrem Eise wird; von den flimmernden, glitzernden, -funkelnden, kalten Sternen da oben am Himmel, die -todesruhig lächelnd herniederschauen; von dem Nordlicht, -das aufflammt mit trotziger Glut und der Eisjungfrau auf -ihrem Gletscher einen rosigen Schleier überwirft, aus dem -sie herauslächelt, fast wie ein Menschenbild – so lockt sie -die Menschen an, die kühnen Jäger, und sie steigen hinauf -zu ihr, immer höher und höher, und sie winkt ihnen und -lächelt süß, verheißend – und dann stürzt sie die thörichten -Gesellen hinab, in die eisige Tiefe. – Hoiho! jauchzt der -Wind, wild ist mein Nordlandslied! Wild, wie der Eiskönigin -Lachen, wie der Lawinendonner! Und hoch empor -wirbelt er die armen Flöckchen, bis sie sich ermattet an -den Tannenzweigen festklammern.</p> - -<p>Da ist's gut ruhen; sie schmiegen sich eng an die -Nadeln hin – die flüstern und kosen mit ihnen, die wiegen -sie hin und her und erzählen ihnen Waldmärlein: von -dem naseweisen Tannenbäumchen, das gar nicht zufrieden -gewesen damit, daß es im schönen grünen Wald gewohnt -und die Füßlein im weichen Moos gebettet hat; gelangweilt -hat es sich auf seinem heimatlichen Stückchen Erde -und hat hinausgewollt in die weite, weite Welt und gejammert -und geschluchzt: O Wind, nimm mich mit! O -Quell, rausch' mich zu Thal!</p> - -<p>Da hat mit einemmal die Waldfee vor ihm gestanden -im grünen Gewand und lockigen Haar, hat es mit den -Blumenaugen angeschaut, mit den zarten Händen berührt -und gesagt: »Geh', mein Bäumchen, reise zu Thal. – Sie -werden Dir weh tun, Dich von Ort zu Ort schleppen, und -doch bringst Du ihnen von den Bergen herunter die Sehnsucht -mit – den Tannenduft, damit sollst Du ihnen die -Seele erfüllen, daß sie gut werden und sich freuen wie -die Kinder.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_110" title="110"> </a> -Dann hat sie das Bäumchen geküßt und ist im Wald -verschwunden. –</p> - -<p>Danach sind eines Tages zwei Männer gekommen und -haben sich das Tannenbäumchen von allen Seiten angeguckt -und zufrieden mit den Köpfen genickt. Dann haben sie -ihre Pelzkappen zurückgeschoben und sich die Hände gerieben -und die blanken Aexte genommen und haben die Füßchen -der Tanne geschlagen, daß es durch den Wald gedröhnt -hat, haben sie zur Erde geworfen, ihr einen Strick um -den Leib gebunden und sie hinter sich hergeschleift über Stock -und Stein, durch Schnee und Eis. Und das Tannenbäumchen -hat leise vor sich hingeweint, und die großen -Bäume auch; aber die Männer haben das nicht gehört, -die meinten: Horch – wie der Wind pfeift!</p> - -<p>So ist die kleine Tanne zum Weihnachtsbäumchen geworden, -wie die Waldfee sagt – denn da unten im Thal -feiern sie Weihnacht – –</p> - -<p>»Was ist das?« fragten zwei neugierige kleine Schneeflocken, -die sich angefaßt hatten und mit ihren zarten, weißen -Gliederchen auf den Zweigen der alten Tanne auf und nieder -wippten.</p> - -<p>»Ja, was ist das!« sagte die alte Tanne, »Wintersonnenwende -nennen wir's, und die Waldfee sagt: Jetzt -wacht die Sonne auf und nun beginnt tief unten in der -Erde das Keimen und Wachsen, bis es schließlich herauf -dringt zu uns und die ganze Welt erfüllt. Aber da unten -im Thal nennen sie's Weihnacht und sagen, die Liebe wäre -ihnen geboren – und dann schmücken sie das Tannenbäumchen -mit vielen, vielen Lichtern und zünden sie an, -daß man meint, der ganze Baum stände in Flammen, und -läuten mit ihren Glocken dazu – da – hört Ihr's?«</p> - -<p>»Bim bam bum!« singen die kleinen Schneeflocken, -»da möchten wir hin!« und sie bitten den Wind: »Wind, -<a class="pagenum" id="page_111" title="111"> </a> -fahr' uns hinab!« – Der breitet seine großen, weißen -Schwingen aus, die beiden Flöckchen klammern sich mit -ihren vielen Fingerchen daran fest und nesteln sich in ihren -Zottelpelzen tief in die Fittige ein, und heidi! da ging's -zu Thale.</p> - -<p>»Grüßt mir das Tannenbäumchen!« rief die alte Tanne -ihnen nach – und sie brummte in den Schneemantel hinein, -der sich allgemach um ihre starken Glieder gelegt hatte: -»Komisches Volk, diese Menschen! Mußte ihnen die Liebe -erst geboren werden? Ist sie denn nicht so alt, wie die -Welt steht?«</p> - -<p>Und dann schüttelte sie ihre Nadeln, daß die Schneeflocken, -die schon darauf eingeschlafen waren, erschrocken -in die Höhe fuhren.</p> - -<p>Die beiden neugierigen Schnee-Engelchen aber flogen zu -Thal, und der Wind war bös und pfiff ihnen in die kleinen -Ohren, daß es gellte: Puh – da unten ist's schlecht. Was -wollt Ihr bei den Menschen? Entweder sie ballen Euch -zusammen und werfen sich mit Euch gegenseitig an die -Köpfe, oder sie kehren Euch auf einen Haufen, daß ihr ganz -schmutzig werdet und die Sonne Euch aufschmilzt – umkommen -thut Ihr jedenfalls!</p> - -<p>Doch da waren sie schon im Thal angelangt, vor einem -großen, schönen Hause; das lag still und dunkel und allein. -Nur aus einem Fenster schimmerte ein roter Schein, dahin -flog der Wind, und sieh'! von dem Fenster her grüßte und -winkte es den Flöckchen entgegen – das waren ihre Basen, -die Eisblumen, die an den Glasscheiben in die Höhe wuchsen -und allerlei wunderliche Gestalten angenommen hatten, und -die Flöckchen setzten sich zu ihnen und guckten in's Haus -hinein. Da drinnen ist's prächtig: ein hohes, weites -Gemach, und aus einem großen, weißen Marmorkamin -flutet der rote Feuerschein drüber hin, über den Tannenbaum, -<a class="pagenum" id="page_112" title="112"> </a> -der schön geschmückt und glänzend dasteht, über die -vielen bunten Spielsachen und all die kleinen Figürchen, -die da unter'm Tannenbaum ihr Wesen treiben.</p> - -<p>Die Eisblumen erzählten, wie schön es gewesen sei, -als das Tannenbäumchen ganz in Flammen gestanden und -die Kinder um es herumgesprungen wären und gelacht -und getollt und gejubelt hätten. Dann haben sie die -Lichter gelöscht und ein Duft ist durch das Zimmer gezogen, -so würzig, so zart, so wunderstark, noch riecht's in allen -Ecken darnach –</p> - -<p>Die Schneeflöckchen vergingen fast vor Sehnsucht nach -all dem Schönen. Mitleidig verrieten ihnen die Eisblumen, -daß ganz, ganz unten am Fenster eine schmale Ritze offen -wäre, da könnten sie noch besser hineingucken, und vorsichtig -kletterten die Flöckchen an den glatten Scheiben hinunter -und nun stehen sie vor der Fensterritze – – –</p> - -<p>»Also, so sieht Weihnacht aus!« flüstern sie einander -zu, »komm', wir wollen uns an die Händchen fassen und -hineingehen und den Weihnachtsduft einatmen.«</p> - -<p>»Thut das nicht,« antworteten die Eisblumen, »Ihr -seid Kinder der Luft, Ihr gehört nicht zu denen dadrinnen -– Ihr werdet hinsterben vor Sehnsucht zu ihnen.«</p> - -<p>Aber die Flöckchen hörten nicht auf die Erfahrenen; -sie zogen sich ihre kleinen Schneemützchen über die Ohren, -damit sie auch hübsch kalt blieben und schlüpften durch die -Fensterritze. – Da schlug's Zwölf. Das kleine Männchen -in der bunten Uhr, die auf dem Kaminsims stand, kam -zwölfmal herausspaziert und beim letzten Mal nahm es -seinen kleinen Dreimaster ab und verbeugte sich und sagte: -»Meine Herrschaften, die Geisterstunde hat geschlagen!« –</p> - -<p>Dann verschwand es wieder in seinem Glashäuschen, -und klirrend schlug die Thür hinter ihm zu.</p> - -<p>Nun begann ein wunderliches Wispern und Tustern -<a class="pagenum" id="page_113" title="113"> </a> -in allen Ecken und Winkeln – alles im Zimmer wurde -lebendig und es war plötzlich ein Stimmengewirr wie beim -Turmbau zu Babel. Alle die vielen Deckchen und Schleifen, -die an den Stühlen und Lehnen herumhingen, fingen an, -eine der andern Vorwürfe zu machen, daß sie sich immer den -Menschen auf den Rücken setzten oder auf der Erde herumtrieben, -und wurden so heftig dabei, daß sie sich schließlich -gegenseitig mit sich selber bombardierten. – Das Sofakissen -wurde elegisch und machte der Schlummerrolle eine -Liebeserklärung. – »Sie haben eine so schöne Gestalt!« -sagte es, – »von oben bis unten egal!« Und die Feuerzange -beim Ofen wollte die Schaufel umarmen und kniff -ihr dabei derb in die Nase. Die kleinen Sèvres-Figürchen -auf dem Kamin schürzten ihre Rokokokleidchen zum Tanz -und der Nußknacker, der in der Uniform eines Gardelieutenants -auf dem Weihnachtstische stand, klemmte sein -Monocle ins Auge, näselte: »Charmant, auf Taille!« und -klappte seine Kinnladen mit einem gefährlichen Ruck wieder -zu. Dieser Nußknacker war überhaupt ein Don Juan; -just hatte er der niedlichen kleinen Puppendame, die in -Balltoilette auf einem rotsammetenen Lehnstuhl saß, versichert, -sie sei seine erste und einzige Liebe, und nun warf -er der porzellanenen Schäferin da oben Kußhände zu und -entschuldigte sich damit, daß es ja Weihnachten sei.</p> - -<p>Da entdeckte er plötzlich die beiden kleinen Fremdlinge, -die sich in ihren weißen Schwanenpelzchen scheu in die -Fensterbank gedrückt hielten.</p> - -<p>»Das ist ja etwas sehr Niedliches!« Und der Lieutenant -klemmte seine Monocle ein und beeilte sich, mit -allersteifsten Gardebeinen durch den Saal zu marschieren.</p> - -<p>»Premier-Lieutenant Knack von Mandelkern, I. Rrrment, -Bleisoldaten zu Fuß,« schnarrte er und schlug die Hacken -aneinander, daß unsere Schneeflöckchen erstaunt seine Füße -<a class="pagenum" id="page_114" title="114"> </a> -anguckten. – »Damen fremd hier? – äh – dürfte Ehre -haben, Chaperoneur zu sein?«</p> - -<p>»Ach,« sagten die Flöckchen schüchtern, »wir gehören -hier eigentlich gar nicht her – wir sind nur hereingekommen -– wir wollten gern wissen – können Sie uns vielleicht -sagen, was Weihnacht ist?«</p> - -<p>»Wa – wa – was – Weihnachten?« Dem Herrn -Gardelieutenant fiel vor Erstaunen das Monocle weg, ohne -daß er erst dazu eine Fratze zu schneiden brauchte, und -sein Nußknackermund blieb ihm offen stehen, worüber die -Flöckchen so erschraken, daß sie aufsprangen und von der -Fensterbank auf die Erde flogen.</p> - -<p>»Weihnachten? – Weihnachten ist Weihnachten,« -brummte Lieutenant Knack von Mandelkern entrüstet, -nachdem er vorher seinen Mund wieder zugeklappt hatte -– dann klemmte er das Glas wieder ein und sah den -Flöckchen nach – »nette Pusselchen – aber noch sehr jrün -– die reene Unschuld vom Lande.« – –</p> - -<p>Die Schneeflöckchen aber waren geradewegs auf ein -schönes Buch mit Goldschnitt gesunken, das vom Tisch auf -die Erde gefallen war – auf dem stand mit großen bunten -Lettern als Titel gedruckt: Weihnacht und unsere Vorfahren! -Das sprach jetzt mit gewählten Worten: »Was -Weihnachten ist, wünschen Sie zu wissen, meine Lieben? -– Sehen Sie mich an.« Und dabei schlug es sich auf -und begann zu lesen: »Schon zur Zeit Winfrieds, des hl. Bonifacius, -des großen Heidenbekehrers, feierten unsere Altvordern, -beseelt von einem dunklen Drange, der sie zur -Verehrung eines unbestimmten Etwas antrieb, im Winter, -unter Schnee und Eis, ein Fest.«</p> - -<p>»Altes Buch, schweig' doch still! – Hüh! Hoh! -Wollt Ihr wohl laufen, Ihr faulen Tierchen!« klang es -da unter dem Tischdeckenzipfel hervor, und als die Schneeflöckchen, -<a class="pagenum" id="page_115" title="115"> </a> -die sich große Mühe gaben, die weisen Worte -des Buches zu verstehen, sich umschauten, kam pfeilgeschwind -eine drollige kleine Equipage herangesaust, schnurgerade -über das gelehrte Goldschnittbuch hinweg, das sich voller -Entrüstung erhob und mit Würde von dannen wandelte. – -In dem von sechs weißen Mäuschen gezogenen Wägelchen -stand ein kleiner nackter Junge, mit Flügeln an den -Schultern und einem Bogen in der Hand, und sang und -jubelte in die Welt hinein. Der hat auf einer schönen -Dose gesessen, in der allerlei bunte, glänzende Steine und -Goldsachen blitzten, und als der alte Herr in der Uhr die -Geisterstunde verkündete, da ist er heruntergesprungen und -hat sein lustiges Wesen getrieben.</p> - -<p>Ei, wie ihn die Rubinenaugen des Schlangenarmbandes -anfunkelten, und so viel die Schlange auch nach ihm mit -dem Goldzünglein gezischelt, – »ich bin die Schlangenkönigin,« -sagte sie, »ich ringele mich um weiße Arme, weiße -Nacken, ich ringele mich bis ins Herz hinein und bringe -ihm den Schlangenzauber, dem niemand wiedersteht,« – -es half ihr nichts: das kecke Bürschchen schlang sie sich um -die kleine weiße Brust, und die Rubinenaugen funkelten -ihm von der Schulter herunter.</p> - -<p>»Pah!« lachte er, »mein Pfeilgift ist viel stärker als -Deins, – Du kannst mir nichts anhaben.«</p> - -<p>Nun setzte er sich in die große Walnußschale, die ihm -der Nußknacker geschenkt hatte dafür, daß er der niedlichen -Rokokodame einen Pfeil ins Sèvresherzchen geschossen.</p> - -<p>Aber er hatte keine Pferde zum Vorspannen. Da war -er auf den Weihnachtstisch spaziert, wo die heilige Krippe -aufgebaut war, und hatte den hl. Joseph um das Oechslein -und das Eselein gebeten, sein Wägelchen zu ziehen; aber -der hl. Joseph hatte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen -über solch ein Ansinnen, obgleich Mutter Maria -<a class="pagenum" id="page_116" title="116"> </a> -mit dem Kindlein auf dem Schoß ihre Freude an dem -kecken Gesellen gehabt hatte.</p> - -<p>Da war er den hl. Drei Königen aus dem Morgenlande -entgegengegangen, die gar bedächtig mit prächtigem Gefolge -heranmarschiert kamen. »Majestät,« sagte das Gesellchen -höflich, »dürfte ich vielleicht eines Ihrer Kamele für mein -Wägelchen benutzen? – Sie haben ja deren so viele.«</p> - -<p>Aber der schwarze Balthasar, der Mohrenkönig, fletschte -ihm seine weißen Zähne entgegen, und Kaspar und Melchior -hielten ihm das Weihrauchfaß mit Myrrhen unter die Nase, -daß er niesen mußte – da sprang er davon und bat den -Tannenbaum, und der schenkte ihm sechs kleine, weiße Zuckermäuse, -die an seinen Zweigen hingen.</p> - -<p>Nun hielt er mit seinem flinken Gespann vor den -Schneeflöckchen und lachte: »Ach, was seid Ihr für herzige -Dingerchen. – Gleich möchte ich mit meinem Goldpfeil -durch Eure Schwanenpelzchen in die Herzchen hineinschießen. -Kommt, steigt ein – wir fahren zum Weihnachtsball in -die Puppenstube; da tanzen Sie gravitätisch und mit Anstand -ein würdiges Menuett und sind brav und gesittet -– aber Ihr sollt 'mal sehen, was ich da für einen Wirrwarr -anrichte.«</p> - -<p>Den Schnee-Engelchen gefiel zwar der kleine Bursche -sehr gut, aber sie schüttelten doch die Köpfe, daß die Pelzkapuzchen -hin und her wackelten.</p> - -<p>»Ach nein,« sagten sie, »hier können wir nicht tanzen -– hier ist es uns viel zu warm. Wir sind auch nur -hereingekommen, um zu lernen, was wohl eigentlich Weihnacht -ist.«</p> - -<p>Da setzte sich das Gesellchen auf den Rand seiner -Nußschale, schlug ein Bein über das andere und legte -simulierend den Finger an das kecke Näschen:</p> - -<p>»Ja, sehen Sie, meine kleinen Engelchen – das ist eine -<a class="pagenum" id="page_117" title="117"> </a> -kuriose Geschichte. Da unter dem Weihnachtsbaum liegt -ein kleines, nacktes Kindchen in einer Krippe, dessen Geburtstag -feiern sie, und sie sagen, er sei der Gott der Liebe. -– Nun aber hat mir mein heidnischer Vater im Olymp – -ich bin nämlich ein Heide, mein Name ist Amor – immer -gesagt, ich wäre der Gott der Liebe, und ich wäre, trotz -meiner Jugend, so alt wie der Olymp und die Welt und das -große, große Meer selber. – Da muß also irgendwo eine -Verwechselung sein. – Ich schlage vor, wir feiern das -ganze Jahr Weihnacht und halten mein Schwesterchen -Freude, wenn sie davon fliegen will, am Gewandzipfel fest. -– Ich kehre mich so wie so nicht viel an die Jahreszeiten -– meine Pfeile fliegen das ganze Jahr durch, und die -Küsse sind immer am süßesten, wenn sie geküßt werden.« -– Und dabei breitete der kleine Schlingel die Arme aus -und wollte die hübschen Flöckchen küssen; die aber faßten -sich an die Hände und flogen ihm davon, geradeswegs auf -die Tanne zu und klammerten sich an ihre Zweige fest und -schaukelten sich und sangen:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">Von den Bergen, wo der Wind,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wo die Tannenschwestern sind,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Sind wir hergeflogen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Sind wir hergezogen –</td></tr> -</table> - -<p>Sag' uns, was ist Weihnacht?</p> - -<p>Da ging ein Leben durch die Zweige der Tanne, all' -das Rauschegold, mit dem sie geschmückt, knisterte und -raschelte, die Krystallkugeln klirrten – stärker denn je -dufteten die Tannennadeln, und horch! mit dem Tannenduft -ziehen Sehnsuchtslaute durch den Saal:</p> - -<p>»Ach, meine Flöckchen, wohl bin ich geschmückt, wohl -trage ich eine Krone, wohl habe ich geflammt in vieler -Kerzen Schein – für die Weihnacht. – Aber gebt mir die -Wintersonnenwende wieder, laßt mich umbrausen, umtosen -<a class="pagenum" id="page_118" title="118"> </a> -vom Wind, laßt den ersten Sonnenstrahl mich umschmeicheln -und mir ins Herz hineinlachen. – Nehmt mir Alles -dafür hin!</p> - -<p>Was die Weihnacht ist?</p> - -<p>Kummer und Trübsal, und Haß und Neid und Mißgunst, -und Heuchelei und Geldstolz – das ist Weihnacht unter den -Menschen; und zum Hohn nennen sie's das Fest der Liebe! -Schneeflöckchen, wenn Ihr die Liebe sucht, fliegt nimmer zu -Thal. Und eines doch: Wenn das Kinderauge uns anlacht -– wenn wir in seinem reinen Glanz uns spiegeln, wenn -die Kinderärmchen sich nach uns ausstrecken, die Kinderstimme -uns anjauchzt –«</p> - -<p>Da öffnete sich leise, leise die Thür, und auf der -Schwelle stand ein Kindchen und blickte verschlafen um sich -und strich sich die blonden Härchen aus dem heißen Gesicht. – -Nicht schlafen konnte das Kind vor Freude über Weihnacht, -und es hatte ein Geraune und Geflüster gehört neben dran -und war aufgestanden, ganz leise, daß es die Eltern nicht -gestört, und schlich mit den bloßen Füßchen über den Teppich -hin, und stand mitten unter dem lustigen Volk. –</p> - -<p>Aber da schnarrte die Uhr und das alte Männchen -kam wieder herausspaziert und sagte mit dumpfer Stimme: -Eins! und nun war alles wieder still und stumm und -leblos, wie es vorher gewesen. Nur die Schnee-Engelchen -konnten nicht so schnell zum Fenster hinfliegen – da erblickte -sie das Kind: »Das sind die Engelein vom Himmel,« -jauchzte es, »Tanne, die hast du mir mitgebracht!«</p> - -<p>Und mit beiden Armen griff es nach den Flöckchen -und preßte sie an sich und drückte und herzte sie – ach – -und da vergingen sie ihm unter den Händen, und das Kind -betrachtete verwundert seine leeren feuchten Aermchen – -da schlich es betrübt in sein kleines Bett und weinte, weinte -bitterlich.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_119" title="119"> </a> -Aber die Tannennadeln, die sich in seinem Kraushaar -gefangen hatten beim Spielen, die neigten sich an des -Kindes Ohr und erzählten ihm vom Tannenwald und dem -Wind und der Schneeflöckchen-Reise, das ganze Märlein, -da schliefs Kindchen ein.</p> - -<p>Und wann es aufgewacht ist, und wieder und wieder -aufgewacht, und größer und älter geworden, wann die -Wintersonnenwende ihm gekommen ist, da zieht ihm, dem -großen Kind, zu Weihnacht mit dem Tannenduft immer -wieder das Märchen durch die Seele – das Märchen von -den Schneeflocken, die ausgezogen, die Liebe zu suchen, und -an der Liebe gestorben sind.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_120" title="120"> </a> -Das Märchen -von der weißen Stadt.</h2> - - -<p>Es lag ein Mensch zu sterben. Der hatte all seine -Gedanken, all seinen Willen hergegeben, die eine große That -seines Lebens zu vollenden. Aber der Griffel entsank seiner -Hand, und die Seele entfloh dem Leibe. Es hatte dieser -Mensch die Fluten sehr geliebt. Er konnte stundenlang am -Ufer des Sees sitzen und die blauen Wasser betrachten, wie -sie kamen und gingen, immerzu, immerzu; und aus den -Wassern sahen ihn seine Gedanken an. Als seine Seele -nun ohne Körper umherirrte, da kamen die Luftgeister und -trugen die Menschenseele hin über den See. Aus ihren -wehenden, silbergrauen Gewändern troff es wie Nebel zum -Wasser nieder, und ein leiser Wind bewegte die Fluten, -daß sie sich kräuselten. Oben auf den Wogenkämmen -schaukelten die weißen Leiber der Seejungfrauen; sie streckten -die Arme aus nach der Seele des Menschen und zogen sie -hinab in die weichen, wiegenden, schmeichelnden Gewässer. – -Drunten in der Tiefe saß der Seekönig und hielt Hof. -Er war ein kleiner Mann mit starken Armen und langem, -weißem Bart. Auf dem weißen Haupte trug er eine Krone -von hellroten Korallen; die hatte ihm sein Vetter, der Meerkaiser, -geschickt, aus Anerkennung, weil der kleine Seekönig -<a class="pagenum" id="page_121" title="121"> </a> -manchmal seine Gewässer mit den starken Armen so aufrührt, -daß viele Schiffe und Menschen umkommen müssen, -gerade wie auf dem Meere. Denn die Meerleute mögen -es gern, wenn Menschenkinder zu ihnen hinuntersteigen -müssen. Sie stellen die weißen Körper in ihren wundersamen -Meergärten auf, wie wir die Marmorstatuen. Die -Menschen können nicht leben bei ihnen; nur wenn einer -die Fluten sehr geliebt hat, dessen Seele gleitet des Nachts -in den Wellen als weißer Schaum. Kommt ihn aber die -Sehnsucht an, den Tag zu sehen, und es berührt ihn die -Sonne, in deren Licht er geatmet, dann muß er für immer -zur Leiche werden. –</p> - -<p>Der kleine Seekönig hielt also Hof. Sechs große Räte -mit wunderlichen Fischgesichtern saßen im Kreise um ein -großes Blatt Papier, das ganz bunt vor lauter Strichelchen -und Pünktchen aussah; vier dicke Büffelfische trugen es auf -ihren Rücken, sie hielten es fischchenstill; nur zuweilen zuckte -einer mit dem beweglichen Schwanz oder pustete die Kiefern -auf und zu, als ob er Wasser rauche; und dann zupfte -ihn der Herr Rat mit dem Karauschengesicht mahnend an -den Flossen, worauf er gehorsam still hielt. Die Menschenseele, -die als zarter, weißer Schaum auf der Schulter der -Seejungfrau lag, sah neugierig das weiße Papier an; es -kam ihr so bekannt vor. Das hatte sie schon gesehen, als -sie noch Mensch war. Es war ihr, als müsse sie eine Hand -danach ausstrecken. – »Still!« flüsterte die Seejungfrau, -»gleich wirst du hören.« – Und dann sagte der Seekönig:</p> - -<p>»Die Menschen da oben auf der Erde machen uns -alles nach. Gerade wie wir zuweilen Besuch bekommen -von den Bewohnern anderer Seen und Meere, die dann -allerlei Kostbarkeiten mitbringen, um sie uns zu zeigen, so -macht es das Volk da oben auch. Nur sind sie sehr arm. -Während wir alle die fremden Seltenheiten und unsere -<a class="pagenum" id="page_122" title="122"> </a> -eigenen dazu, einfach in unserem ewigen Krystallpalast aufstellen, -müssen die sich erst Häuser dazu bauen. Und das -Bauen – welche Umständlichkeit! Erst kommt einer und -denkt sichs aus und zeichnet es auf, und dann geht es an -viele Leute, die alle etwas zu mäkeln und zu ändern haben. -Schließlich soll es dann wirklich gebaut werden, aber wie -lange das alles dauert, dazu habe ich nicht Zeit genug, das -zu erzählen. Seht, da hat auch so ein armer Mensch mit -kurzem Gedächtnis seine Gedanken auf das Papier geschrieben; -ein guter Mensch, der uns sehr geliebt hat. Denn er hat -gesagt: »Wenn ich meinen See nicht hätte! Der muß das -Beste thun.« Und dann hat er unsere Fluten überall eindringen -lassen in seine Pläne, damit wir seine Paläste wie -mit Silberarmen umschlingen und ihre Schönheit wiederspiegeln. -– Dann ist er gestorben. – Und jetzt werden -andere kommen und seine Pläne zunichte machen und uns -vielleicht einengen und tyrannisieren. Wollen wir das -dulden? Nein!« rief der Seekönig und hob die starken -Arme, daß oben die Wellen klatschend gegen das Ufer schlugen. -Und die Räte schüttelten heftig ihre Fischköpfe. Die Seejungfrau -lächelte der horchenden Menschenseele zu. –</p> - -<p>»Kommt herbei, ihr Seevolk, und hört, was ich euch -sagen werde,« fuhr der Seekönig fort: »Die Luftgeister, -unsere Freunde, haben dieses Papier, das der tote Mensch -mit seinen Gedanken beschrieben und dem Großen Rat da -oben auf der Erde vorgelegt hat, aus seinen Händen weg -und zu uns herabgeweht. Schwimmt, ihr Fische, bis ans -Meer, lasset die im Meere es weitertragen zu den Geistern -der Völker an der andern Seite des großen Wassers, wie -das Seevolk der Menschenseele Werk erfüllen will.« – Da -schlugen die vier Büffelfische mit dem Schwanz unter das -Papier, daß es auf in die Wellen flog; die fischköpfigen -Räte griffen entsetzt danach: »Erst sehen, sehen!« Aber -<a class="pagenum" id="page_123" title="123"> </a> -der kleine Seekönig lachte, daß es ein Seebeben gab, und -zerriß das Papier in tausend Fetzen: »Wir sehen nicht – -wir bauen!« sagte er.</p> - -<p>»Siehst du?« lächelte die Seejungfrau und neigte ihr -Antlitz der Menschenseele zu, »jetzt werden deine Gedanken, -die du ins Wasser hineingeträumt hast, doch wirklich. Ich -habe dich oft gesehen, habe vor dir geschaukelt, wenn du -dachtest, es seien die weißen Wellenkämme. Ich hätte dich -mir geholt – ach so gern! Jetzt bist du bei mir. Die -Menschen denken, sie haben dich begraben; aber ich halte -dich in meinen Armen – ewig. Du darfst nicht hinaufschwimmen -und dein Werk beschauen, nicht so lange die -Sonne scheint. Dann würdest du zur Leiche. Ich will nicht, -daß dich die Schwestern in ihre Gärten stellen. Ich will -dich behalten – für mich.« – Dann glitt sie zum Seekönig -hin und schmeichelte: »Väterchen, mach' es recht schön!« – -Er aber streichelte ihr langes Haar, das glänzte wie Sonnenstrahlen -auf dem Wasser, und sagte ernsthaft: »Du darfst -die Menschenseele hüten, daß sie uns nicht entflieht; denn -nur durch sie können wir das Große vollenden.«</p> - -<p>Nun beginnt die Arbeit. Ei, wie flink die Fischlein -dabei sind, das blaue Wasser zu kommandieren, daß es in -langen, glänzenden Streifen zwischen grünen Inseln sich -durchzwängt, alles Land verschlingend, das ihm im Wege -ist, daß es unter wölbende Brücken sich duckt und schmeichelnd -zu Füßen schlanker Säulenhallen sich schmiegt. Und die -Nixen kommen und spielen mit den Fluten, daß sie in -glitzernden, schillernden Farben zu den Luftgeistern emporsprühen. -Wie geschickt die Gnomen und Kobolde Stein auf -Stein, Bogen an Bogen zu fügen wissen, daß es sich erhebt -aus der Tiefe des Sees – eine weiße, wundersame Wunschstadt. -Da tauchen Türme auf mit seltsam zackigen Verzierungen; -ein kleiner Nix sitzt darauf und lehrt sie allerlei -<a class="pagenum" id="page_124" title="124"> </a> -alte Weisen mit seiner Glockenstimme, und nun singen die -Türme sie weiter. Hier schwimmt eine schneeweiße Rotunde -mit lauter kleinen Fensterchen rundum; und die Fische -leiten das klare Wasser hinein und tummeln sich darin. -Und still und groß und schön wächst es und wächst es, -schier in die Ewigkeit hinein. – In einer großen Muschel, -davor sechs buntscheckige Forellen geschirrt sind, durchzieht -der Seekönig die Wasserkanäle, mit scharfen Augen Umschau -haltend. Hier zwickt er ein paar faulen Weißfischen -aufmunternd die platten Schwänzchen; dort schilt er zwei -streitlustige Hechte, die beide denselben Riesenpalast errichten -wollen und ihn dabei unsanft hinfallen lassen. Ein energisches -Nixlein ruft er herbei als Oberaufseher, und das lenkt -mit seinen weißen Fäustchen die störrischen Gesellen -wie ein paar gutmütige Oechslein. – – Als aber der -Seekönig sieht, wie alles gut ist, taucht er unter in seine -Schatzkammer, füllt seine Muschel mit Gold, so viel sie -tragen kann, schüttet es am Ufer aus und befiehlt: »Da – -krönt das Ganze damit! daß die Kuppel weithin leuchte -wie eine Sonne!«</p> - -<p>In der Tiefe des Sees ruht die Seejungfrau, regungslos, -daß sie die zarten Fäden nicht zerreiße, die von dem -weißen Schaum an ihrer schönen Brust aufsteigen zu dem -Werk da oben. Und die Menschenseele harret der Vollendung.</p> - -<p>Da wallt ein Zug daher über das Wasser. Nebelschleier -spinnen ihn ein, daß er wie eine Wolke über dem -See schwebt, und er zieht eine Bahn, silbern wie der Mond -auf dem Wasser liegt. Schweigend klimmt er das Ufer hinan, -wo droben der Seekönig seiner harrt, und über ihm schwebt -die goldene Kuppel wie eine große Krone. – Nachts, wenn -die Menschen schlafen, ergeht sich das Wasservolk oftmals -am Ufer und pflegt Zwiesprache mit Mond und Sternen. -– Voran im Zuge schreiten Patres mit fahlen Gesichtern -<a class="pagenum" id="page_125" title="125"> </a> -in schwarzer, spanischer Mönchstracht. Sie tragen gewaltige -Lasten auf ihren Schultern: Türme und Türmchen, spitze -und runde, Mauern so dick wie Gefängnismauern mit tiefen -Kreuzgängen und schweren Wölbungen. Sie keuchen unter -ihrer Last; ein lustiges, weißes Elfengesindel kommt -neckisch gesprungen und weist ihnen den Weg unter hohen -Bäumen, und hilft ihnen, das wunderliche Ding, das einem -spanischen Kloster ähnelt, von den gebeugten Rücken abzuladen. -Da richten sich die schwarzen Geister der Patres -zufrieden auf, und sie bauen mit dem geschmeidigen Nixenvolk, -dessen Listen sie wohl gewachsen sind, vergnügt weiter.</p> - -<p>Eine mächtige Gestalt schreitet auf dem Wasser; ein -Gewand von Gold umstarrt sie; sie trägt einen goldenen -Helm; golden leuchtet ihr strenges Antlitz daraus hervor. -Siegesgewiß, siegesbewußt geht sie mit großen Schritten an -dem Seekönig vorüber, ihm herablassend huldvoll zuwinkend. -Der lächelt fein ihr nach, wie sie sich gravitätisch aufpflanzt -inmitten all des Schönen – ein wenig zimperlich, ein -wenig ungelenk. »Laßt sie nur dastehen,« nickt er, »man -wird schon sehen, daß es nicht unsere wirkliche Athene ist -– nur eine große, große, goldene, emancipierte Alte-Kunst-Jungfer.« -– Und dann streckt er freudig seine Hände den -schlanken Gestalten entgegen, die aus dem Nebel sich loslösen, -einherwallen in faltigen Gewändern, die sich feucht -um die herrlichen Glieder schmiegen; und sie tragen auf -den stolzen Häuptern die weißen, strahlenden, wundervollen -Trümmer der Heimat. »Du Land der Sehnsucht!« flüstert -der Seekönig. Sie lächeln ihm zu mit den schönen, traurigen -Gesichtern. Sie pflanzen Säulen in die Erde, rein und -schön, wie sie selber, sie breiten die Hände aus, und eine -erhabene Harmonie lagert sich über der Wunschstadt. Sie -erheben die kraftvollen Arme und sprechen: »Du lässest uns, -o Vater Zeus, die Schönheit schauen, nicht zertrümmert, -<a class="pagenum" id="page_126" title="126"> </a> -nicht zerschlagen, nein, in ihrer ganzen siegenden Gewalt.« -– Und demütig neigen die Karyatiden die stolzen Häupter -unter der Last der Schönheit, die sie tragen.</p> - -<p>Wunderlich Volk zieht im Zuge einher, der übers Wasser -wallt. Ein kleiner, nackter Bub, der nur einen Frack und -Cylinderhut trägt für seine Blöße, bietet zierlich einer Rokokodame -den Arm, die gar stattlich in Hackenschuhen und Reifrock -mit einer Trikolore auf dem hochfrisierten Köpfchen einherstolziert: -»Wir sind barock, nicht wahr?« nickte der kleine -Schelm dem alten Seekönig zu. – »Wir, Puck Amor und -Dame la France!« – In einem muschelförmigen Wagen, -schimmernd von Gold und Edelgestein, kommt ein ernsthafter -Mann. Er hat ein braunes Gesicht, aus dem seltsam überirdische -Augen schauen, trägt nur einen schlichten, weißen -Kaftan um die Hüften gegürtet, und doch neigt Seekönig -sich tief vor ihm, und eine zarte, braune Elfe, schön wie -des Gottes Bajadere, geheimnisvoll wie die Wunder Indiens, -gleitet vor ihm her, ihm seinen Wohnort zeigend. –</p> - -<p>Und so kommen sie alle, die Geister der Völker, die -der Seekönig entboten hat. Plumpe nordische Burschen -tragen Paläste von plumper Pracht. Ernsthafte, blondköpfige -Gesellen bringen ein seltsam Häuschen mit spitzragendem -Turm, mit schönen Gewölben, durch deren bunte -Glasfenster es lieblich leuchtet, wie eine Geistessonne. Zierliche, -dunkeläugige Mädchen kommen im Tanz geflogen: -ihre Gewänder flattern im Wind, sie streuen Rosen aus, -duftende Rosen der Anmut. – Seltsame Fahrzeuge gleiten -im Nebel im Geisterzug. Unbeholfen, schwankend die einen. -Schwarze, düsterblickende Gesellen stehen darin und blicken -drohend hinüber zu dem schlanken Schiffchen, das, seinen -Drachenkopf vorgestreckt, wie ein Renner durch die Fluten -schießt, pfeilgeschwind, die andern weit hinter sich lassend. -Wie nur das Schifflein die Hünengestalten seiner Mannschaft, -<a class="pagenum" id="page_127" title="127"> </a> -die mit sehnigen Armen die Ruder führen, birgt in -dem schlanken Rumpf?! Hoch richten sich die Gestalten auf, -sie wachsen und wachsen, daß ihre Leiber dunkle Schatten -werfen weithin über den See. Und sieh' nur – wie die -geisterhaften Schwarzen in den schweren Kreuzesschiffen zum -Himmel hinaufragen, fanatisch glühen ihre Augen durch -den Nebel – der beginnt wunderlich zu leben, wogt und -zerrt her und hin, bis er die Riesengestalten verschlungen -hat. Dann gleiten Karavelen und Vikinger in glatte -Buchten, gezogen von muntern Fischlein, gesteuert von weißarmigen -Wassernixen.</p> - -<p>Da bebt der See. Hoch sprühen die Wasser auf. In -den schäumenden, singenden Strudel steigt der Seekönig -hinab in sein Reich, gefolgt von seinem fleißigen Volke. -Drunten in der Tiefe ruht die Menschenseele. »Wann -wird es vollendet sein?« fragt sie sehnsüchtig. »Es ist vollendet,« -sagt der Seekönig. »Sobald der erste Sonnenstrahl -die goldene Kuppel trifft, wird es den Augen der Menschen -sichtbar sein.« »Und sichtbar bleiben? Immer?« fragt die -Menschenseele. »Nur eine kurze Spanne Zeit hat das -Wasservolk Macht über die Erde. Nur bis die Sonne in -die Fluten sinkt und die Zauberwelt, die wir gebaut haben, -mit sich hinabreißt. Aber wenn dein Seelenauge dein Werk -erschaut, ehe die Sonne die goldene Krone bestrahlt hat – -dann wird es ewig sein. Dann aber wirst du sterben und -dein Name wird vergessen werden unter den Menschen.« – -Die Menschenseele lächelte. Eng schmiegte sie sich an die -atmende Brust der Seejungfrau.</p> - -<p>Droben, von der verschlafenen Erde, erhob sich die -Nacht und zog ihre schwarzen Schleier schleppend hinter -sich her, über den Himmel. Da ward es Licht auf der -Erde. – Es war aber alles noch den Augen der Menschen -verborgen; denn die Menschen sind ein blödsichtig Geschlecht, -<a class="pagenum" id="page_128" title="128"> </a> -und sie sehen nur, was ihre Augen ihnen zeigen. Aber -die Tiere öffneten ihre klugen Augen. Die Vöglein in der -Luft flatterten hin über die Wunschstadt, setzten sich neugierig -auf die zackigen Türme und zwitscherten hernieder -von den Stangen der bunten Fahnen. Die klugen kleinen -Enten schwammen in den Wasserkanälen und erzählten -schnatternd von dem Schloß der Wasserfrauen, das sich -zur Nacht aus Busch und Schilf erhoben hatte. – Verwundert -blickte der Ackersmann, der mit seinem Gaul -dahergeschritten kam, Furche auf Furche durch die wilde -Erde zu ziehen, zu den Vöglein auf: wie konnten sie nur -mit geschlossenen Flügeln in der Luft schweben, als ob sie -auf Bäumen säßen? – Und die zwei Reiter, die dort -hintereinander über die Prärie jagten, sahen die Entlein -auf dem hohen Präriegras schwimmen wie im Wasser. -Aber sie haben nicht Zeit, sich lange zu verwundern – -da – der gelbe Rücken des Puma taucht auf, den sie -gejagt – der Schuß kracht aus der Büchse des Trappers -– der Pfeil schnellt von dem Bogen des roten Mannes: -gilt er dem König seines eigenen Landes? gilt er dem -weißen Fremdling da vor ihm? – Hoch richtet er sich im -Sattel auf, daß die Adlerfedern in seinem schwarzen Schopfe -nicken. Was ist das? – da – glitt nicht der Puma hinab -in blaues, kräuselndes Wasser? Was ringt sich los aus -den Nebeln? Das Roß des Trappers bäumt sich, geblendet -schützt der Indianer die Augen mit der Hand, und späht -und späht. – Still lehnt der Ackersmann an seinem Gaul, -sein Blick sucht die Erde, seine Erde, die er bebauen muß. -Und sie schauen, wie es herauswächst aus dem Morgengrauen, -weiß und still; wie es emporstrebt zum Himmel, -eine wundersame, andere Welt, die sie mit erhabenen Augen -anschaut, sie mit weißen Armen umfängt, sich wie weiße, -stille, reine Gedanken in ihre Seele senkt. Wie sie stehen -<a class="pagenum" id="page_129" title="129"> </a> -und schauen, umweht es sie lind und kühl – ein Hauch -der Ewigkeit.</p> - -<p>Ein klein lustig Elflein aber zerrt den Puma, der verdutzt -da kauert in der Wunderwelt, an den Ohren zu einem -Marmorsockel hin. »Da lieg', du Wilder!« lacht es, und -der Tiere König läßt willig sich in die Fesseln der Schönheit -schlagen. –</p> - -<p>Horch! Es geht ein Brausen durch die Lüfte, ein -Singen, Klingen, lieblich Geläute: aus dem Morgengrauen -erhebt sich der junge Tag, und sein leuchtendes Auge weilt -liebend auf dem weißen Wunder.</p> - -<p>Auf den blauen Fluten des Sees trieb ein zarter -weißer Schaum. Ein Sonnenstrahl irrte zu ihm hin und -küßte ihn bebend. Da ward er zur Leiche. Die Menschenseele -war aufgestiegen aus den geliebten Wassern, um zu -sterben. Der See bebt, als sei er in seinen Tiefen erschüttert. -In den sprühenden Wogen aber taucht die Seejungfrau auf, -an deren weißer Brust des Toten Seele geruht hat. Ihr -goldenes Haar glitzert auf den Fluten. Klagend schlingt -sie die weißen Arme um ihn, sein schönes, bleiches Antlitz -über Wasser haltend. So gleiten sie dahin über die murmelnde, -singende Fläche – weit, weit hin, den weißen -Tempeln zu. Und das Licht, das die Seele getötet, liegt -liebkosend auf der stolzen Stirn. – – –</p> - -<p>Es kamen die Menschen und nahmen Besitz von der -Wunschstadt in der neuen Welt.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_130" title="130"> </a> -Welt-Ausstellung im Walde.</h2> - - -<p>Draußen im Wald flüstern die bunten Bäume miteinander -und streuen gelbe und rote Blätter auf die braun -sich färbende Erde, wie der Frühling Rosen streut; der -Herbstwind rauscht und raunt in den Zweigen, und eine -milde Herbstsonne glüht auf die Weinblätter am Eichenstamm, -daß sie tiefrot schimmern, wie lauter Blutstropfen.</p> - -<p>Am träge über Kiesel und trockene Aeste dahin murmelnden -Bächlein nickt ein grüner Zweig – da leuchtet -etwas Blaues auf, dann tönt ein Lockruf, sanft, zärtlich, -dringend – jetzt die Antwort – noch etwas Blaues – – -Zwei Vöglein sind's: blaue Flügel schwirren durch die -Luft, und zartgrau glänzt der Leib.</p> - -<p>»Was nur heute los ist!« sagte der eine Blauvogel -zum andern, »keine Fliege, kein Käferchen läßt sich sehen, -alle ziehen dort hinein in's Tannendickicht, und selbst die -Mücken machen ganz ernsthafte Gesichter!«</p> - -<p>»Guten Abend, guten Abend, meine Herrschaften,« -schnarrt es über ihnen. Da hängt am Baumstamm ein goldgelbes -Vögelchen. Zu welcher Klasse es gehört, das weiß -ich nicht (schlagt einmal in Nehrling's amerikanischem -Vogelbuch nach), aber es hämmert in die harte Baumrinde, -<a class="pagenum" id="page_131" title="131"> </a> -daß es durch den ganzen Wald schallt, und so wollen wir -es kühn »Gelbspecht« titulieren.</p> - -<p>»Ja, ja, Sie haben Recht, es muß etwas im Walde -sein bei dem kleinen Getier,« sagt der Specht, »ich habe -schon dieselben Beobachtungen gemacht. Aber sehen Sie einmal -da – die Spinne!« An einem trockenen Zweiglein -hängt eine große Spinne, eifrig beschäftigt, silberglänzende -Fäden zu einem kunstvollen Netz zu verweben.</p> - -<p>»Was machen Sie denn da, Verehrteste?« fragt der -Specht, als der Zudringlichste; denn die Blauvögelein haben -etwas Schüchternes, sie mischen sich nicht gern in anderer -Leute Angelegenheiten und sind nicht weltgewandt wie der -Herr Gelbspecht.</p> - -<p>»Ich spinne,« sagt die Spinne ernsthaft.</p> - -<p>»Ja, das sehen wir,« entgegnete der Specht, »aber, -meine Gnädigste, was spinnen Sie?«</p> - -<p>»Ein Netz,« sagt die Spinne.</p> - -<p>Die Blauvögel stoßen ein leises, glucksendes Lachen -aus, und der Specht hämmert entrüstet gegen den Baum.</p> - -<p>Jetzt schlingt die Spinne einen letzten Knoten und -krabbelt langbeinig davon: »Es muß fertig werden zur -Ausstellung, die wird heute Abend eröffnet,« ruft sie zurück.</p> - -<p>»Ausstellung?« fragen die poetisch-unwissenden Blauvögel -und schlagen verwundert mit den Flügeln. »Von was? -Wozu? Davon haben wir noch nie etwas gehört.«</p> - -<p>»Ja, das glaube ich,« lächelt der Specht mitleidig, -»Ihr schwebt ja immer in den Lüften und schwärmt für -Sonnenuntergänge, düstere Waldpartien mit Lichteffekten -und dergleichen Humbug. Ich weiß wohl, das Getier da -unten auf der Erde hält eine Weltausstellung –«</p> - -<p>»O, da laßt uns hingehen,« jubeln die Blauvögel. »Aber -wo ist sie denn?«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_132" title="132"> </a> -In der Nähe erhebt sich plötzlich ein nimmer endenwollendes -Geschrei, Gekrächze, Gejohle –</p> - -<p>Der Specht wiegt überlegend sein gelbes Köpfchen: -»Wißt Ihr was? Wir wollen die Schwarzvögel fragen -– die wissen alles! Hört, wie sie reden und schnattern? -Die haben wieder Kaffeegesellschaft oder Loge oder Gesangverein -– die ganze Eiche dort ist ja schwarz von lauter -Staarherren und Damen, und wenn ihre Sitzungen vorüber -sind, wissen sie alles, was im ganzen Walde passiert -ist: wie viele Kinder die Madame Maus das letzte Mal -zur Welt gebracht hat, und wie es auf dem Grashüpferball -hergegangen ist, daß sie im Eichhörnchenturnverein sich fast -geprügelt haben bei der Sprecherwahl und daß der Gesangverein -der Locusts sich geeinigt – –«</p> - -<p>»Gibt's nicht, gibt's nicht! Nee, so blau,« piepst ein -unverschämter Spatz und fliegt dem Specht dicht vor dem -Schnabel her in den nächsten Baum.</p> - -<p>Der aber beachtet den naseweisen Gesellen gar nicht -und spricht ruhig weiter.</p> - -<p>»Ach, hören Sie auf, bitte, Herr Specht,« rufen die -Blauvögel, »das ist ja wie ein ›Eingesandt‹ in der Zeitung!«</p> - -<p>»Aber Kaffernreligion,« lacht der Specht.</p> - -<p>»Seht, da kommt Ihr Bruder – »Ober-Edel-Erz« angeflogen! -Halt, den wollen wir uns kaufen!«</p> - -<p>»Oh, Herr Staar, wollen Sie nicht die Güte haben, -sich hier ein wenig auf diesen bequemen Baum zu bemühen?«</p> - -<p>»Man muß immer höflich sein mit den Leuten, wenn -man etwas von ihnen will,« flüstert der Schlaue den simplen -Blauvögelchen zu, die vor Erstaunen den Schnabel aufsperren.</p> - -<p>Der Staar krächzt freundlich der Bitte Gewährung, -läßt sich auf einem Ast etwas erhöht über den andern -Vögeln nieder, wirft den Kopf in den Nacken und dreht -<a class="pagenum" id="page_133" title="133"> </a> -und wendet sich, daß seine roten und gelben Logenabzeichen -auf den Schultern in der Sonne schillern. Nachdem die -Vorstellung glücklich vorübergegangen ist, bei der der Herr -Staar herablassend den spitzen Schnabel gesenkt und die -Blauvögelchen verlegen die niedlichen Köpfchen geduckt haben, -erkundigt sich der Gelbspecht in den gewähltesten Ausdrücken -nach der internationalen Ausstellung.</p> - -<p>»Jawohl, jawohl,« entgegnete Herr Staar würdevoll, -»heute Abend ist Eröffnung. Es soll ja etwas Großartiges -werden.</p> - -<p>Sehen Sie, meine verehrten Zuhörer, es geht ein neuer -Zug durch den ganzen, alten Schlendrian, namentlich was -Kunst anbelangt. Ich bin ein weitgereister Mann, ich höre -und sehe mancherlei. Ein krankhaftes Verlangen nach etwas -Neuem, Sensationellem, ein Hunger nach Aufregung, nach -Vernichtung des Alten, Hergebrachten, zieht durch die ganze -Welt. Und wenn sie auch auf Abwege geraten, in Irrtümer -verfallen, das Falsche dem Wahren vorziehen – es -ist doch alles nur der durch Jahrtausende immer wiederkehrende -und immer bleibende, große, unersättliche Durst -nach – Freiheit, der Angstschrei der Völker, der zum stillen, -hohen Himmel dringt. Und das macht sich auch in der -Kunst bemerkbar – – ob zu ihrem Nutzen und Frommen? -Und in der Musik, ja, in der Musik –« hier räuspert sich -der Staar und blickt gen Himmel – »ja, auch in der -Musik gellt und dröhnt und paukt und trompetet jener -Freiheitsschrei in die Lüfte, die Ohren der Zuhörer mächtig -mit sich fortreißend. – Nein, das geht ja nicht. Ich – -ich – ich lasse mich immer so von meinen Gefühlen überwältigen, -meine Lieben – und« – Ja, da bleibt der gebildete -Staar stecken. Mit Gesichtern voll Ehrfurcht und -inniger Verständnislosigkeit haben unsere Blauvögel die -lange Rede angehört, während der Gelbspecht mit philosophischer -<a class="pagenum" id="page_134" title="134"> </a> -Gelassenheit äußert: »Das mag alles recht schön -und ersprießlich sein, verehrter Redner, aber so lange wie -es genug Mücken und Fliegen in der Luft gibt und wie -ich nach Herzenslust an den Bäumen herumhämmern kann, -ist mir die ganze Wirtschaft furchtbar egal und um den -allgemeinen Freiheitsdrang kümmere sich der Kuckuck!</p> - -<p>Vorläufig wollen wir aber einmal diese merkwürdige -Ausstellung ansehen, wenn Sie, verehrter Herr Staar, uns -gütigst führen wollen.«</p> - -<p>»Ja, ja,« rufen die Blauvögel und schlagen mit den -Flügeln, und</p> - -<p>»Hier hinein, ins Tannendickicht, liebe Leute,« belehrt -sie der Staar. Und dann fliegen alle vier davon. Der -Zweig über'm Bächlein nickt gedankenverloren auf und ab, -und das Bächlein murmelt und kichert dazu.</p> - -<p>Drinnen im Tannendickicht herrscht schon reges Leben, -die Ausstellung scheint im vollen Gange zu sein. Ein geschniegeltes -Mäuseherrchen, den Schnurrbart gewichst, die -Oehrlein gespitzt, steht am Eingang als Portier. Der -Eintritt ist frei – wie nach Bellamy im Jahre 2000 bei -den Menschen, gibt es im Tierstaate kein Geld – und -unsere vier Vögel flattern in das Dickicht.</p> - -<p>»Ah, guten Tag, Herr Mäuserich,« sagt der Staar, -der alle Welt zu kennen scheint, »was macht die Frau Gemahlin? -Hat sie sich vom letzten Wochenbett erholt?«</p> - -<p>»Schönen Dank, bester Herr Staar,« entgegnete der -glückliche Mäusepapa, »alle zwölf wohlauf, aber es ist 'ne -Last, die lieben Kinderchen großzuziehen.«</p> - -<p>»Können Sie denn das nicht per Elektricität besorgen -lassen? Heutzutage sollte doch alles möglich sein – -Eier ausbrüten – Kleinigkeit! Warum nicht auch Kinderfüttern, -Kinderprügeln, Kinderkriegen etc.?« Mittlerweile -hüpften sie weiter durch die verschlungenen Wege des -<a class="pagenum" id="page_135" title="135"> </a> -Tannendickichts. Zwar sind die Plätze einiger Nachzügler -noch unbesetzt, Vieles ist nicht ganz vollendet, wie ein halbfertiger -Maulwurfshaufen z. B., ein Sprungbrett, eine angefangene -Wendeltreppe für Eichhörnchen, ein prachtvoller -Bau mit geheimnisvollen, unterirdischen Gängen, in welchen -Kaninchen noch eifrig beschäftigt sind, zu graben, und dergl. -mehr, aber im Ganzen scheint die Sache recht gelungen -zu sein.</p> - -<p>Zwei wohlgenährte, etwas verschwiemelt aussehende -Ratten, kleine Knüppel in der Hand, Mützchen von im -Wald gefundenem blauem Butterbrotspapier über den dicken -Nasen, eine weiße Sternblume auf der Brust befestigt, -marschieren würdevoll und bedächtig als heilige Wächter -der Ordnung oder Wächter der heiligen Ordnung umher. -Und es ist auch nötig: das schwirrt und summt und -brummt durcheinander, und hüpft und tanzt und zirpt, daß -es wahrhaftig einer energischen Rattenpolizei bedarf, um -das leichtfüßige Gesindel in Ordnung zu halten. Doch vor -unserer Vogelgesellschaft bezeigen die Tierlein großen Respekt; -sie halten sich in gewisser Entfernung und verneigen -sich achtungsvoll, sobald ein Blick aus Vogelaugen auf sie -fällt. Nur ein großer Hirschkäfer mit stattlichem Geweih -nähert sich mit höflich-gemessener Verbeugung und bietet sich -den hohen Herrschaften als Führer an, was mit Dank angenommen -wird.</p> - -<p>»Sehen Sie, meine Hochverehrten, hier unser Kunstdepartement. -Alles neu, noch nie dagewesen. Sehen Sie, -dies Spinnengewebe« – die langbeinige Spinne, die es -vorhin so eilig hatte, steht daneben und begrüßt sie mit -einem Auskratzen ihrer langen Spinnenbeine – »wie fein, -wie zart, geschickt die Fäden verknüpft! Und die fette, -zappelnde Fliege darin, jeden Tag wird eine frische gefangen -und hineingesetzt – das nenne ich Naturalismus.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_136" title="136"> </a> -»Schrecken der Hinterlist« ist es betitelt.</p> - -<p>Hier die noch lebende, schwer am Licht verbrannte -Motte – »Schrecken der Aufklärungssucht«.</p> - -<p>Jener Schmetterling, dem eine rauhe Menschenhand -den Duft von den zarten Flügeln gewischt, nun kann er -nicht mehr fliegen – »Schrecken des Freiheitsdranges«. -Ach, und noch so vieles Traurig-Schauderhaft-Schöne! -Sehen Sie, die von Ameisen abgenagte Drosselleiche« – -die Vögel schütteln sich und machen unangenehme Gesichter -– »und der glänzend reine Katzenschädel« – die Vögel -nicken befriedigt mit den Köpfen, und der Gelbspecht macht -eine Bewegung, als wolle er die leeren Augenhöhlen auspicken -– »wirklich eine recht sinnige Zusammenstellung.</p> - -<p>Bitte, blicken Sie hierher – lauter Raritäten – da, -das so natürliche Loch in der Erde, hier eine kleine Blätterhütte, -ein Einsiedler-Heimchen wohnt darin und zirpt bescheiden -für sich allein, dort jene sorgfältig getrockneten Heuschreckenleichen, -eine Reminiscenz aus dem großen Heuschrecken-Grashüpferkrieg. -– Und hier, bitte, sehen Sie einmal -durch dies Loch im Tannendickicht – nicht wahr, ein -reizendes Panorama: im Hintergrund die Wolken als -Schneeberge, davor ein einsamer, schwebender Rabe – großartig, -nicht wahr?«</p> - -<p>»Aeußerst großartig,« meint der Specht, »aber was -stellt es vor?«</p> - -<p>»Es ist auch ein Kriegsbild: Eine vergessene Heuschreckenleiche!« -(Frei nach Wereschagin.)</p> - -<p>Die Vögel sehen sich erstaunt unter einander an, -suchen die Leiche und erklären, nun einmal etwas Anderes -sehen zu wollen. Das gibt es ja auch in Hülle und Fülle -für jede Geschmacksrichtung. Hier, ein Eiffelturm aus -Eicheln, ein Eichhörnchen sitzt oben drauf, zeigt auf Kommando -sein buschiges Schwänzchen und knackt Nüsse zur -<a class="pagenum" id="page_137" title="137"> </a> -allgemeinen Belustigung, dazu marschieren allerliebste kleine -Nagetierchen kauend durch die Zuschauermenge und bieten -goldgelben Harz-Chewing-Gum als Erfrischung an. Da ist -eine Grotte aus kleinen Tropfsteinen und Tannenzapfen, -geheimnisvolles Dämmerlicht; einige Glühlichtwürmchen -leuchten dazu, auf grauen, trockenen Blättern und Gräsern -sind vorgestrige Regentropfen gesammelt, die schimmern wie -Wasserfluten, und ein schlankes Grillenfräulein, die Grillenbeine -mit Schleiern aus glänzendem, flatterndem Altweibersommer -bewickelt, als Fischschwanz, bewegt sich rhythmisch -hin und her und fährt mit den langen Vorderbeinen sich -graziös über den Kopf, als kämme sie sich.</p> - -<p>»Was macht die da drinnen?« fragt der eine Blauvogel -neugierig, während der andere starr vor Erstaunen dasteht.</p> - -<p>»Ich bin unten Melusine und oben Loreley,« sagt das -Grillenfräulein, »denn ich habe einen Fischschwanz und -kämme dazu mein goldenes Haar.«</p> - -<p>»Ja so,« sagt der Specht.</p> - -<p>Dicht daneben tanzen ein paar Grashüpferdamen Ballett -auf einer Schaukel von Grashalmen, und springen so hoch, -daß man sie kaum noch sehen kann, während auf der andern -Seite ein paar Mäusejünglinge in grauen Tricots mit aus -Nußschalen gedrechselten Bällen auf kunstgerechte Weise -Baseball spielen.</p> - -<p>Dieser ganze Wirrwarr, der Lärm und das Getöse, dies -Hin und Her, wirkt ungeheuer ermüdend auf die Nerven -ungeübter Zuschauer, und unsere Blauvögel piepsen und -flüstern miteinander, und fühlen sich recht ungemütlich.</p> - -<p>»Musik, meine Herrschaften, hören Sie unsere allermodernsten -Vorträge,« ruft jetzt der Hirschkäfer. Alles stürzt -nach einem hübsch mit Tannennadeln bestreuten freien Platz. -Auf einem Tannenzapfen steht erhobenen Armes eine große -Locuste, so eifrig gestikulierend, daß ihr die Augen vor den -<a class="pagenum" id="page_138" title="138"> </a> -Kopf treten; und um sie her scharen sich allerlei musikalisch -beanlagte Tiere. Nun gibt der Herr Kapellmeister das -Zeichen, indem er seine Fühlhörner weit ausstreckt, und das -Konzert braust durch das Tannendickicht. Sämtliche Grillen -des Waldes zirpen so laut sie können, dazu schnarren die -Locusts, pfeifen die Mücken, brummen die Käfer aller Art; -die Kaninchen gebrauchen kräftig ihre Trommelstöcke – ein -Höllenlärm!</p> - -<p>»Ist das nicht herrlich?« fragt der Hirschkäfer unsere Vögel.</p> - -<p>»Sehr schön,« entgegnete der Gelbspecht, »nur etwas -unverständlich.« Der Staar macht ein sehr gebildetes Gesicht, -und die Blauvögel meinen schüchtern:</p> - -<p>»Es ist aber recht eintönig, und immer so dudelig.«</p> - -<p>»Das ist ja gerade das Schöne,« sagt stolz Kapellmeister -Locuste, »sehen Sie, wie gut Sie es verstanden haben? -Es war unsere Nationalhymne – der Moskito-Doodle!«</p> - -<p>Den Blauvögeln kam die Sache immer problematischer -vor, und als vollends der Herr Mistkäfer mit der ganzen -Familie auf sie zukommt und sie freundlich auch mit dem -Nützlichen der Ausstellung bekannt machen will – die verschiedenen -Blätterpräparate, wie Regenmäntel, Schirme und -schützende Laubdächer und Haushaltungsgegenstände aller -Art; ferner Delikatessen: Tauwein über Grashalme abgezogen, -dazu Konfekt mit dem kuriosen Namen Fliegendreck, -Misthäufchen, Schneckengelee etc. – da fliegen unsere -Blauvögel entsetzt kerzengerade in die Höhe und davon, -und auch der Herr Staar, trotz seiner Gleichheitsideen, meint: -»es wäre doch recht gemischte Gesellschaft, und überhaupt -vertrüge sich die Heiterkeit dieser Ausstellung nicht mit seiner -ernsten Geistesrichtung,« während Herr Gelbspecht übermütig -erklärt:</p> - -<p>»Nein, mir gefällt es hier famos! Ich will erst den -ganzen Schwindel sehen, und wenn mir die dicke, fette Fliege -<a class="pagenum" id="page_139" title="139"> </a> -da morgen im Sonnenschein begegnet, so fresse ich sie auf -vor lauter Liebe.«</p> - -<p>Hoch oben auf einer Berghöhe, von wo man weit über -Baum und Strauch hinüberblickt – dahin haben sich die -Blauvögelein geflüchtet, und der Staar gesellt sich zu ihnen, -weil er just nichts Besseres zu thun hat. Außerdem hält er -die Blauvögel für recht belehrungsbedürftige Wesen, denen -eine kleine Pauke über »die langsam sich vollziehende Umwälzung -der Weltordnung« gar nichts schaden kann.</p> - -<p>Aber unsere blauen Waldvögelein werden hier oben -in der Einsamkeit selber so beredt, daß dem wohlmeinenden -Staar nichts übrig bleibt, als zuzuhören.</p> - -<p>»Blick' um Dich,« singen sie, »das ist unsere Ausstellung, -das ist unsere Freude und die Freude der ganzen Welt. -Sieh', wie die bunten Blätter die Bäume schmücken, wie -die glührote Weinranke die dunkle Tanne zärtlich umfängt. -Horch! <em class="ge">Unser</em> Konzert! Wie das rauscht und flüstert in -den Zweigen, wie der stürmische Herbstwind in den Blättern -tost, und sieh', wie der schönfarbige Schmetterling die geliebten -Herbstblumen umgaukelt! Und blick' um Dich: die -Sonne geht zur Rüste, sie glüht und leuchtet noch einmal -und dann sinkt sie in ihr zartes, graues Wolkenbett und -vergoldet es mit ihrem Schein, und ein strahlender Rand -zieht sich um die seltsamen Wolkengebilde. Ist das nicht -schön? Ist das nicht herrlich!</p> - -<p>Und horch! da unter uns am Fuß des Baumes – -das sind Menschen! Ein seltsam Geschlecht – kluge Gedanken -und weiche Herzen – Ich liebe sie, wenn sie zu -Zweien im Walde wandern, wie diese hier. Hör', was -sagen sie?« – Ja, es sind Menschen – ein Mann und -ein Weib. Und durch des Mannes dunkles Haar ziehen -sich Silberfäden, und auf des Weibes glatter Stirn hat -das Leben zarte Furchen gezogen. –</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_140" title="140"> </a> -»Sieh', liebes Weib,« sagte der Mann, »diese frühen -Herbstblätter in dem grünen Wald erinnern mich an meine -weißen Haare, an Deine ersten Falten auf der Stirn. Ach, -Kind, spät ist's schon im Leben, und jetzt erst lernen wir -das Glück kennen!«</p> - -<p>»Liebster,« entgegnet sie, »sieh', wie die Sonne strahlend -und liebkosend über die Baumstämme gleitet, wie alles noch -einmal in voller Pracht glänzt, glüht und leuchtet – zum -letztenmal, ehe es Winter wird. So freuen wir uns jetzt -noch einmal des Glückes und der Liebe, ehe <em class="ge">unser</em> Winter -kommt. Liebster, wie schön ist die Welt und das Leben!«</p> - -<p>Da zieht der Mann das holde, ernste Weib an sein Herz -und küßt die Falten auf der blassen Stirn, und das Gesicht -des Weibes glüht und blüht nun, wie die Rose in ihrem -Lebensfrühling.</p> - -<p>Sie sehen hinüber, bis die Sonne verlischt. – Und -die Vöglein lauschen, und der Staar meint:</p> - -<p>»Die verlangt's auch nicht nach Veränderung, und die -denken auch, gerade wie ihr dummen, kleinen Dinger, das -Leben sei doch schön. Merkwürdig! Und die Welt soll doch so -schlecht sein, sagen sie im Verein für Freiheit und sittlichen Umsturz. -Was ist nun wahr? Darüber muß ich auf einem -einsamen Eichenwipfel etwas näher nachdenken.«</p> - -<p>Er spreizt seine dekorierten Flügel und fliegt von dannen. -Blauvöglein aber locken in den Abend hinein und setzen sich -dicht nebeneinander auf einen Zweig und plustern sich und -träumen. Die sanfte Nacht kommt gezogen und breitet ihre -schwarzen Fittiche lind über die müde Erde – – über selige, -herbstliche Menschenkinder, über plusternde Blauvögelein und -melancholische Staare – ja, und über all das kriechende, sich -duckende, hochmütige, aberwitzige Volk und den weltklugen -Gelbspecht in der Weltausstellung im Tannendickicht. –</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_141" title="141"> </a> -Das Märchen von Einem, -der auszog, -ein Sonntagskind zu werden.</h2> - - -<p>Die braune Drossel saß auf einem hohen Baume im -Garten und zwitscherte: »Es ist Sonntag heute. Der Sonntag -sitzt mitten im Frühling und hat eine Krone von -Blüten auf dem Haupte, und –«</p> - -<p>Weiter konnte man nichts hören, denn die Sperlinge, -denen die Drossel das erzählte, piepsten und schrieen und -zankten so durcheinander, daß die Drossel auf und davon -flog. Was ging es auch die Stadtspatzen an, was die -Walddrossel zu erzählen hatte!</p> - -<p>Die bleiche Frau Sehnsucht aber stand am geöffneten -Fenster ihres Hauses und sah der Drossel nach. »Ach,« -seufzte sie, »wer doch ein Sonntagskind wäre und verstehen -könnte, was die Vögel singen! Ach, und wenn nur -das Kind, das ich gebären werde, ein Sonntagskind würde, -dann wollte ich gern glücklich und zufrieden sein.«</p> - -<p>Als aber ihre schwere Stunde kam, da war der lachende -Sonntag noch nicht aufgestanden, und der stille Sonnabend -lehnte noch an der kleinen Wiege mit großen, müden Augen. -Er legte eine kühle Hand auf die Stirn des kleinen, roten, -<a class="pagenum" id="page_142" title="142"> </a> -zappelnden Dinges, das mit geballten Fäustchen unter dem -Deckchen herumarbeitete und mit Zornesfalten im Gesicht -in die Welt hinausschrie.</p> - -<p>»Nur eine Viertelstunde zu früh,« seufzte die blasse -Frau Sehnsucht, und zwei heiße Thränen fielen auf die -geschlossenen Augen des Bübchens in ihrem Arm.</p> - -<p>Der kleine Bursche aber wuchs kräftig heran und -wurde so stark, daß die ungezogenen Buben in der Nachbarschaft -ihm gern aus dem Wege schlichen. Er stand an -seiner Mutter Knie gelehnt und lauschte mit leuchtenden, -wundersamen Augen, wenn sie von den Sonntagskindern -erzählte, wie sie gar so klug sind und wissen, wie die Welt -geht, und verstehen, was die Tiere sprechen, und wie sie -den Wolkenflug deuten können. – »Warum kann ich nicht -jetzt noch ein Sonntagskind werden?« rief er zornig. Dann -sprang er hinaus in den Garten und legte das Ohr auf -die Erde, ob er nicht das Gras wachsen höre, wie ein -richtiges Sonntagskind. Er hörte wohl ein zartes, leises -Murmeln, aber ob es nicht die kleinen Käfer und Ameisen -waren, die da raschelten, das wußte er nicht zu sagen. Er -stand unter den Bäumen und hörte zu, was die Vögel -sangen; es war ihm, als verstände er einzelne Worte, wie -Sonnenschein, Glück, Blütenduft; aber er war doch nicht -sicher, ob es ihm nicht sein eigenes Herz zugeflüstert hatte. -Und weinend lief er hin zu seiner Mutter und trotzte: -»Ich will doch ein Sonntagskind werden!«</p> - -<p>»Der Sonnabend leidet's nicht,« sagte Frau Sehnsucht -traurig. »Und es war doch nur eine Viertelstunde!«</p> - -<p>»Es muß in den Büchern stehen,« sagte der Knabe, -als er in die Schule ging. Und er lernte alles, was in -den Büchern stand und wurde ein berühmter Mann. Von -weit, weit her kamen die Menschen nach dem kleinen Häuschen -der Frau Sehnsucht und wollten von dem jungen -<a class="pagenum" id="page_143" title="143"> </a> -Gesellen Antwort haben auf ihre neugierigen Fragen, und -er sagte ihnen alles. Aber insgeheim glaubte er selber -nicht an das, was er ihnen so gelehrt auseinandersetzte; -hatte er doch in keinem Buche Bescheid auf seine einzige -Frage erhalten: Wie er es anfangen könne, ein Sonntagskind -zu werden? – Als nun eines Tages wieder einmal -ein paar kluge Professoren kamen, die aber doch nicht so -klug waren, wie er, und die spitzigen Zeigefinger an die -spitzigen Nasen legten, und ihm die wichtige Frage stellten: -Wie kommt es, daß der Mensch die Nase mitten im Gesicht -hat? – da fielen dem Gesellen seine Riesenkräfte -ein. Er warf die Professoren mitsamt der ganzen Universität -zur Thür hinaus, reckte und streckte sich einmal, -that einen tüchtigen Jauchzer und sagte zur Frau Sehnsucht:</p> - -<p>»Mutter, jetzt ziehe ich in die Welt hinaus, dem Sonntag -nach, und komme nicht eher wieder, bis ich ihn eingeholt -habe.«</p> - -<p>Frau Sehnsucht legte ihre weißen Hände auf sein -lockiges Haupt und küßte ihn. Dann schloß sie die schönen, -traurigen Augen für immer.</p> - -<p>Der Geselle aber zog in die Welt hinaus. Er sah die -goldene Sonne am Himmel stehen und er sagte: »O Sonne, -güldene Sonne du – ich suche, suche immer zu. Zeig -mir den Weg, wohin ich geh', o Sonne, güldene Sonne -du!« Aber die Sonne lachte ihn aus und antwortete -nicht und ging weiter, immer weiter, bis er sie zuletzt gar -nicht mehr sehen konnte. Da kam er in einen großen -Wald, darin reichten die Bäume bis in den Himmel, seltsam -große Blumen standen am Wege und sahen ihn an, -und bunte Vögel flogen sprechend von einem Ast zum -andern.</p> - -<p>»Sagt mir's, ihr Bäume, duftet, Blumen, rauscht -<a class="pagenum" id="page_144" title="144"> </a> -mir's, ihr Winde, murmelt, ihr Quellen – wie fange ich -es an, daß ich ein Sonntagskind werde?« rief der Geselle.</p> - -<p>Da kicherte und lachte es an allen Ecken und Enden. -Schelmische Mädchengesichter tauchten aus den Kelchen der -seltsamen Blumen empor und nickten ihm lächelnd zu. An -den Schlinggewächsen turnten winzige nackte Engelsbübchen, -die warfen mit duftenden Blütenblättern nach ihm, und -ein Rauschen und Raunen zog durch den ganzen Wald, -daß der Geselle gewiß alles erfahren hätte, was er wissen -wollte, wenn er nur eine Viertelstunde später auf die Welt -gekommen wäre. Zuweilen war es ihm wieder, als verstände -er ein paar Worte, und horch! klang's nicht im -Windesrauschen, wie: Bis an's Ende der Welt? Kopfschüttelnd -ging der Geselle weiter.</p> - -<p>Da wurde mit einemmal der Wald hell und licht; -das kam von einem schönen Stern, der fiel vom Himmel -nieder, und sieh' – der Stern nahm Gestalt an, so schön -und sanft wie die Mutter ausgesehen hatte, und seine -Augen strahlten still und traurig, wie die der Frau Sehnsucht. -Die schöne Sternenfrau aber sprach: »Ich will dir -Antwort auf deine Frage geben. Gehe weiter, immer -weiter, bis du ans Ende der Welt kommst. Dort wirst -du den Baum der Erkenntnis finden. Wenn du von diesem -ein Blatt brichst, dann wirst du erfahren, was du wissen -willst. Aber spute dich! der Weg ist weit.«</p> - -<p>Der Stern stieg langsam auf gen Himmel, es wurde -immer lichter, der Wald verschwand und der Geselle stand -ganz allein auf einer großen Heide, über die der Wind -pfiff.</p> - -<p>»Bis ans Ende der Welt? – da kann ich meine Füße -in die Hand nehmen, wenn ich noch ankommen will,« sagte -er und wanderte fürbaß. Weil's ihm aber einsam am Wege -war, sang er sich das Liedel von dem andern Gesellen:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Ein fahrender Geselle durchzog die weite Welt,<a class="pagenum" id="page_145" title="145"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">Zu suchen nach der Stelle, wo's immer ihm gefällt.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Doch nimmer mocht er rasten, und nirgend fand er Ruh,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ihn trieb's zum Weiterhasten, nur weiter! immer zu!</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Er hatte durchstudieret den ganzen Bücherwust,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Mit Wissen ausstaffieret das Herz in seiner Brust –</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Da fluchte er dem Buche, sah an es nimmermehr:</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das ist's nicht, was ich suche! Das Glück, das Glück gebt her!</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Und kommt er in das Städtchen und winkt ihm aus dem Thor</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das liebe braune Mädchen mit Schelmenaug' hervor –</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Laß küssen dich, du Feine! – Schaut ihr ins Angesicht;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Du bist's nicht, die ich meine! – er da voll Trauer spricht.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Da ward aus dem Scholaren ein flotter Kriegersmann,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Auch lernt er mit den Jahren, daß man sich bücken kann,</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Und fromme Verse schmieden von Freiheit und von Blut,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und vor dem Bürgerfrieden voll Ehrfurcht zieh'n den Hut.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Doch alles wollt nicht frommen, was er sich auch erdacht.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das Glück wollt ihm nicht kommen – hörst, wie's von Ferne lacht?</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Da ward aus ihm ein Zecher, der zecht' von früh bis spat,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Bis ihm der leere Becher vom Munde sinken that.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Lag denn das Glück im Weine? – Der heilte allen Gram.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Doch weh – auch nur zum Scheine, nur bis der Morgen kam;</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">In seinem grauen Schimmer, wie lag so leer die Welt! –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Nacht verheißt uns immer, was nie der Morgen hält.«</td></tr> -</table> - -<p>Als der Geselle sein Liedlein ausgepfiffen hatte, da -führte ihn der Weg an einem Königreich vorbei, und weil -die Thür bloß eingeklinkt war, ging er hinein. Die alte -Reichsmauer wackelte hin und her, als er eintrat, und das -Thürschloß behielt er gar in der Hand, so morsch war der -Griff. In dem Königreich saß der König auf einem -Throne, der wackelte, und hatte eine Krone auf dem alten, -<a class="pagenum" id="page_146" title="146"> </a> -wackligen Haupt, die wackelte auch. Die Räte um ihn -her hatten kleine Zöpfchen im Nacken, die wackelten, und -die Räte selber wackelten, und das ganze Königreich wackelte. -Und weil nun alles so wacklig war, da nahm der Geselle -sein Bein und gab der ganzen Wackelei einen Tritt; da -fiel alles um, und der Geselle sah lachend zu, wie der -König und die Krone und die Räte mit ihren Zöpfen und -das ganze morsche Königreich durcheinander purzelten. Des -Königs schöne Tochter aber fing er in seinen Armen auf; -doch als er sie küssen wollte, da welkte sie hin und lag tot -an seiner Brust. Ihre Seele verwandelte sich in einen schönen -weißen Vogel, der kreiste über des Gesellen Haupt und -sang ihm zu:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Weil' nicht am Wege,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Er ist noch weit;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Noch ist die neue, die selige Zeit,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Noch ist sie nimmer geboren.«</td></tr> -</table> - -<p>Als der Geselle nun weiter ging, kam er an eine große, -große Stadt, darin war eitel Freude und Lustigkeit, das -ganze Volk tanzte und sprang und geberdete sich wie toll. -In den Moscheen, Kirchen, Freiheitstempeln läuteten die -Glocken und große Götzen saßen darin, die machten mit -schrecklichen Grimassen die Mäuler auf, und dann warf -das Volk alles Schöne und Gute den Götzen in den Schlund, -und das Häßliche und Gemeine stand grinsend auf den -Schultern der Götzen, und das Volk jubelte ihm zu. – -Da faßte den Gesellen ein grimmer Zorn, er hob sein gutes -Schwert und schlug zu, und schlug den Götzen die Köpfe -ab. Aus den Rümpfen stieg ein starker, grauer Dunst -auf, wie eine Weihrauchwolke, der lagerte sich hin über die -Stadt und erstickte all das lärmende Volk, daß es tot -dalag. Ueber der Nebelwolke aber schwebte ein neuer, -<a class="pagenum" id="page_147" title="147"> </a> -schöner, weißer Vogel und gesellte sich dem andern zu; sie -umkreisten den Gesellen und sangen ihm zu:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Weil' nicht am Wege,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Er ist noch weit;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Noch ist die neue, die selige Zeit,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Noch ist sie nimmer geboren.«</td></tr> -</table> - -<p>Als der Geselle nun weiter ging, kam er an einen -hohen, hohen Berg, darauf wimmelte es von Menschen. -»Ist hier das Ende der Welt?« fragte er. »Was?« riefen -sie ihm von der Spitze des Berges zu, »das Ende der -Welt? Bewahre! Hier fängt die Welt erst an!« – Als -nun der Geselle oben angekommen war, sah er, daß all' -die Menschen ihr eigenes Ich genommen und es vor sich -hingestellt hatten; und nun drehten sich die Körper um das -Ich in der Runde und sangen feierliche Weisen und beteten -es an. »Siehst du,« riefen sie ihm zu, »das ist es, was -du suchst. Wir sind die Welt, wir sind das All, wir, unser -eigenstes Ich. Wir wissen alles, wir können alles, wir -lieben uns, wir beten uns an.« – Voll Verwunderung -stand der Geselle und sah dem seltsamen Treiben zu. »Aber -wie könnt ihr denn leben, wenn ihr euer eigenes Ich aus -euch herausgenommen habt?« – »Wir zehren von seinem -Anblick, er ist uns Nahrung, Luft und Licht. Wenn wir -unser Ich ansehen, werden wir so von seiner Größe und -Erhabenheit durchdrungen, daß wir unsere körperlichen -Beine aufheben und tanzen müssen, und dann schreien wir -von diesem hohen Berge das Heil des Ichs in die Welt -unter uns hinaus, damit auch sie daran glaube und selig -werde.«</p> - -<p>Da faßte den Gesellen, als er ihre seelenlosen Köpfe -und verdrehten Glieder sah, ein ungeheurer Ekel. Er nahm -seine starken Fäuste und schleuderte einen der tanzenden -Körper nach dem andern in die Tiefe, und wenn sie gegen -<a class="pagenum" id="page_148" title="148"> </a> -die Felsblöcke, die am Fuße des Berges lagen, anprallten, -dann platzten sie mit einem Knall, wie ein aufgeblasener -Pilz im Walde, auf den du unversehens trittst. »Jetzt -spiele ich Kegel mit den Püstern!« sagte der Geselle. – -Dann nahm er alle die angebeteten Ichs, die entseelt zu -Boden gesunken waren, schichtete sie aufeinander, wie einen -Holzstoß, und zündete sie an, daß die rote Lohe weithin in -die Welt schien. Aus den Flammen aber flog wieder ein -schöner, weißer Vogel – denn aus allem, was zu Grunde -geht, wächst doch noch ein Schönes – und er gesellte sich -zu den andern, und sie umkreisten ihn. Aber sie sangen -nicht mehr, ihr Flügelschlag wurde immer lautloser. Und -doch war es dem Gesellen, als trieben diese weichen Flügel -ihn weiter, hin über trotzige Felsblöcke, an denen sich seine -Füße blutig stießen, über weite gefrorene Seen, über denen -er hinglitt wie über einen Spiegel. Er wußte nicht mehr, -ob er schon lange gewandert sei oder eben erst die schlanke, -kühle Hand seiner Mutter, der Frau Sehnsucht, auf seiner -Stirn gefühlt hatte. Er wußte nur noch, daß er weiter, -immer weiter getrieben wurde. Endlich sank er erschöpft -zu Boden. Als er die Augen öffnete, lag er auf einer -weiten Ebene. Schöne Tiere traten an ihn heran und betrachteten -ihn mit stillen, klaren Augen; aber sie waren -stumm. Vögel schwebten über ihn hin; aber sie sangen -nicht. Blumen blühten an glänzenden Bächen, aber das -Wasser murmelte nicht; der Wind, der durch die Zweige -strich, rauschte nicht – es war tiefe, tiefe Stille. Lautlos -flogen die drei weißen Vögel vor dem Gesellen her. – In -der Ferne, am Ende der Ebene, schwebte eine weiße Wolke. -Als der Geselle näher kam, sah er, daß es tausend und -aber tausend von ebensolchen großen, weißen Vögeln waren, -wie die, die ihn begleitet hatten, und er dachte daran, wie -viele Menschen wohl gleich ihm denselben Weg gemacht -<a class="pagenum" id="page_149" title="149"> </a> -hatten, wie viel erst zertrümmert werden mußte, damit -diese Wolke sich hatte bilden können. Die weißen Vögel -umkreisten leise, leise einen starken, grünen Baum, dessen -viele Zweige gingen auf und nieder zwischen Erd' und -Himmel. Der Baum blühte nicht und trug keine Früchte, -er hatte nur unzählige grüne, kraftstrotzende Blätter. Die -drei weißen Vögel aber, die den Gesellen begleitet hatten, -mischten sich unter die andern, die in den Zweigen des -Baumes nisteten, so daß er sie nicht mehr unterscheiden -konnte. Und wie er so in der weißen Wolke stand, und -der weiche Flügelschlag der schönen Vögel seine Stirn -fächelte, da war es ihm, als höre er die Worte:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl"> »Weil' nicht am Wege,</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Nicht ist er mehr weit.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wir kreisen und hüten die kommende Zeit,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wir weben ihr reines, ihr glänzendes Kleid –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Im Baum schläft sie sicher geborgen.«</td></tr> -</table> - -<p>Da streckte der Geselle die Hand aus und brach eines -der saftgrünen Blätter. Es fiel ein Tropfen, rot wie Blut, -in seine Hand. Da zog sein ganzes Leben an ihm vorüber: -er sah sich, wie er immer dem Sonntag nachgejagt -war, alles andere darüber vergessend; er sah, wie er nicht -die Welt und sie nicht ihn verstanden hatte, denn er war -ja eine Viertelstunde zu früh geboren. Wie er auf das -Blatt in seiner Hand hinschaute, lange, lange, da bleichte -sein Haar, seine Stirn begann sich zu runzeln, sein starker -Körper bog sich zur Erde. Aus dem Manne ward ein -Greis, und nun wußte er, wann er den Sonntag einholen -würde. – Er sah auf und sah die weißen Vögel, die mit -ihren stillen, großen Flügeln einen starken Wind erhoben; -der wehte ihn fort, weit fort, den Weg zurück, den er gekommen -war. Auf dem Berge glühte noch das Feuer, über -der Stadt lag der Dunst, das zerfallene Königreich bröckelte -<a class="pagenum" id="page_150" title="150"> </a> -am Wege – er schaute nicht um danach. Er ging durch -den dunklen Wald, darin die Bäume regungslos standen. -Er ging und ging, bis er in das Stübchen kam, in dem -Frau Sehnsucht die schönen, traurigen Augen für immer -geschlossen hatte. Da setzte sich der greise Geselle ans Fenster -und schaute in den Garten hinein.</p> - -<p>Auf dem Apfelbaum saß die braune Drossel und erzählte -den Spatzen: »Es ist Sonntag heute. Der Sonntag -sitzt mitten im Frühling und hat eine Blütenkrone auf -dem lachenden Haupte, und die Blumen bringen ihm ihre -Düfte, und die Winde tragen den Duft hin über die Stirnen -der Kinder, die heute geboren werden.«</p> - -<p>Da nickte der Greis am Fenster und lächelte. Er -schloß die Augen, und seine Seele zog vor des Sonntags -Thron, damit sie als Duft auf die Stirn eines neugeborenen -Sonntagkindes gelegt werde. – Im Tode war der -Geselle ein Sonntagskind geworden.</p> - -<p>»Es ist Sonntag!« sang die Drossel. »Das ist etwas -ganz Alltägliches,« piepsten die Spatzen, »das passiert jede -Woche einmal.«</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_151" title="151"> </a> -Rauch.</h2> - - -<p>Es war einmal ein kleiner Schmiedegeselle, der war -es müde, immer am Amboß zu stehen und Gedanken zu -hämmern. Er hätte gar zu gern gesehen, wie sich die Gedanken -ausnahmen, noch ehe sie zum Schmiedematerial zusammengegossen -waren. Eines Tages hatte er mit heller -Lust ein paar kräftige Gedanken, die im Feuer glührot und -geschmeidig geworden waren, zu ein paar starken Hufeisen -zusammengeschweißt; die Funken sprühten, wenn man damit -auf einen Stein schlug. Da klopfte ihm der große Meister -auf die Schulter und sagte:</p> - -<p>»Geselle, geh' auf die Wanderschaft.«</p> - -<p>Und da zog er aus. – Als er wegging, schien die -Sonne hell, obwohl es mitten im Winter war; der Himmel -hatte überall blaue Batzen auf die Wolkenlöcher gesetzt, -und der Wind hatte dazu gefiedelt:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">Die Erde hat sich schlafen gelegt,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Mit weißem Lailach zugedeckt,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Der rasche Wind den Himmel fegt,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Bis er die Sonne hat erweckt.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Nun scheint sie hinunter auf den Schnee</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und lacht hinweg ihn nach und nach:</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wenn auch die Welt sich duckt in Weh;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Sie wird doch einmal wieder wach.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Dann jauchzt sie auf in grüner Lust,<a class="pagenum" id="page_152" title="152"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">Hüllt sich in lauter Liebe ein –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und ahnend klingt's in deiner Brust:</td></tr> - <tr><td class="tdl">Im Winter ist es auch gut sein! –</td></tr> -</table> - -<p>Als aber der kleine Schmiedegeselle ein Stücklein Wegs -gegangen war, da sah er eine schwere dunkle Wolke in der -Ferne schweben, und je näher er kam, desto trüber wurde -es um ihn her, bis schließlich Himmel und Erde und die -ganze Welt schmutzig aussah; und er sah, daß es ein ganzes -Sammelsurium von Häusern war, das alles so finster -machte. Die Häuser waren so hoch, daß sie die Wolken -an den Fußsohlen kitzeln konnten.</p> - -<p>Der kleine Schmiedgeselle stand und guckte an so einem -hohen Kasten in die Höhe:</p> - -<p>»Könnt ihr da oben durch die Wolken sehen?« fragte -er, »und die Sonne auf der andern Seite scheinen sehen? -– Eia, das muß schön sein!«</p> - -<p>»Da, komm nur mit in das Loch hinein, kleiner Wurm,« -sagte ein Mann neben ihm, schob ihn vor sich her, und -schwupp! flogen sie in einem viereckigen kleinen Kasten so -schnell himmelan, daß es dem Gesellen ganz übel wurde.</p> - -<p>Der Mann lachte spöttisch aus ein paar klugen Augen.</p> - -<p>»Ja früher,« sagte er, »wenn der Teufel einen armen -Handwerksgesellen holte, da flogen sie miteinander auf -schwarzen Gespensterflügeln in die Tiefe hinab. Wir machen -das jetzt per Elektricität und fliegen himmelan.«</p> - -<p>Erschrocken sah das Gesellchen zur Seite, erblickte aber -nur einen ganz einfachen Menschen, der ein ganz klein -wenig hinkte. Nur seine Ohren waren so sonderbar lang -und schmal; wenn er lachte, schienen sie sich zu spitzen, -und er lachte so, daß der Schmiedegeselle mitlachen mußte, -und das Ding, in dem sie saßen, vor Vergnügen in die -Höhe sprang.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_153" title="153"> </a> -Dann waren sie oben. Das war ein großes, flaches -Dach mit Kieselsteinchen bedeckt, als ob sie drauf geregnet -wären. Allerlei Verzierungen sprangen an den Ecken auf -und auf zwei kleinen Säulchen saßen vergoldete Zierate, -die sahen aus wie Champagnerpfropfen.</p> - -<p>»I, da schlag' doch der Teufel den Herrgott tot!« rief -der Mann mit einem vergnügten Grinsen, »da hab' ich doch -gedacht, ich könnte dem kleinen Wurm das ganze Riesentreibhaus -auf einmal zeigen, und nebendran das große -Wasser, in dem man eigentlich die nichtsnutzige Brut gleich -wieder ersäufen sollte, nachdem man sie hervorgebracht hat -– und da – nichts, aber auch rein gar nichts, als das -wüste Gebrodel, das mein Vetter, der große Nebel, so erstaunlich -schön herauszukriegen versteht. Er ist ein ganz -gelungener Kerl, sage ich dir, und dabei ein Phantast, trotz -seiner Schwere. Und unbeständig ist er, nirgends zu fassen. -Der geht in einer Minute alle Ideen der Welt durch, um -schließlich mit seinem grauen Einerlei platt über die ganze -Erde hinzufallen, daß man drunter ersticken sollte. Uff! -wie schwer er schon wieder herunterhängt. – Und siehst -du, mit einemmal reißt er sein langes Hemd in Fetzen -entzwei und tanzt herum wie ein toller Bacchant. Zum -Verzweifeln für einen feierlichen Kerl!«</p> - -<p>Dabei nahm er einen gespreizten Ton an, schob die -linke Hand zwischen die Brustknöpfe seines Rockes und hob -das Haupt mit einem idealischen Schwung. Als das Gesellchen -ihn entsetzt ansah, schnitt er plötzlich allerlei Grimassen, -liebkoste ein paar kleine, niedliche Bockshörnchen, -die zwischen dem Kraushaar über der Stirn hervorwuchsen, -und spitzte seine Faunsohren nach dem Wind. Nachdem -er den kleinen Schmiedegesellen genügend verwirrt hatte, -fing er an, ihm ernsthaft allerlei Erklärungen zu geben.</p> - -<p>»Sieh',« sagte er, »das ist der große Hexenkessel, Höllengebrodel, -<a class="pagenum" id="page_154" title="154"> </a> -da werden alle die Gedanken ausgekocht von dem -Menschenpack, das tief unten mit Beinen, Händen, Köpfen -oder Magen schuftet; und die nehmen dann Gestalt an, -und paß einmal auf, da aus den Tausenden von Schlöten -fahren sie hinaus in den Nebel, der verschlingt sie, wird -groß und stark daran, wächst und wächst bis einmal die -Welt ein großer Gedanken-Nebel geworden ist. Dann -kommt die Zeit für uns Faune, uns Satanskerle, Teufelsstricke, -und wir ziehen gegen den Nebel zu Felde, gegen -meinen großen Vetter – da kämpfen wir, das ewige, -blühende, lachende Leben gegen die blassen, umnebelten und -vernebelten Gedanken. – Sieh', da fliegen sie –«</p> - -<p>Der kleine Schmiedegeselle hatte derweilen stumm in -das graue Meer geschaut, drin es wogte und zerrte, drin -die Schornsteine und Schlöte der vielen, vielen Häuser -hineinragten und schwere Dampfwolken entsendeten, schwarze, -dicke, schmierige, lichte, flinke, weiße oder rötlich scheinende, -von den Flammen tief drunten, die zuweilen bis zum Kamin -herausschlugen. Es sah aus, als ob die himmelhohen -Häuser der Riesenstadt eigentlich ganz klein hoch in der -Luft ständen, nur mit den großen Schlöten daran; als ob -da unten auf der Straße eine ganz andere Welt sei, und -nur ganz fern, fern, wie das Bienengesummse an einem -Sommermittag am Kornfeld, drang das Getrappel, Gerolle, -Getose herauf zu dem Dach, wo die Wolken mit ihren -schweren Fittichen des kleinen Gesellen Haupt streiften. -Der stand und schaute. Der wunderliche Mann saß neben -ihm, deckte ein Bein mit dem andern und deutete mit dem -langen, ausgestreckten Zeigefinger bald auf diesen, bald auf -jenen Schornstein, und er grinste spöttisch dazu, oder lachte -ingrimmig, oder seine Augen leuchteten, wie in stiller Wonne. -So jetzt eben wieder.</p> - -<p>Da stieg aus einem schlanken Rauchfang ein silberweißes -<a class="pagenum" id="page_155" title="155"> </a> -Rauchsäulchen auf, kräuselte sich lustig, ehe es im -Nebel zerging, und auf dem schaumigen Gezausel tanzten -putzige kleine Kerle mit runden Bäuchlein und weinroten -Gesichtern, sie hatten Weinreben sich umwunden und lallten -allerlei tolles Zeug und schrieen dem lächelnden Manne, -Faun, Mephisto, was immer er sich nannte, ein jauchzendes -<i>Evoë Bacche!</i></p> - -<p>Und sobald die einen im Nebel vergangen waren, -wurden neue aus den Ringeln der Rauchsäule geboren, -schöne und drollige, große und kleine, Männlein und Fräulein, -und ob auch aus den Augen eines Alten ein ernstes -Denken sprach, ob die weichen Glieder einer jungen Bacchantin -im Wirbel sich drehten – gleichsam aus ihnen -heraus über die ganze Erde hin leuchtete, strahlte eine selige, -mutige, weinduftende Begeisterung.</p> - -<p>Jetzt lachte der Geselle laut auf. Da hatten ein paar -trunkene kleine Satyrn die Nebelfetzen zusammengeballt wie -Schneebälle, schnitten wütende Gesichter nach einem andern -Schlot hin, streckten denen, die da oben aufstiegen, die -Zunge heraus, und begannen sie zu bombardieren. Es war -ein weiter Kamin, nicht sehr hoch, der Rauch, der da herauskam, -hatte eine eklige, semmelblonde Farbe, die Gedanken, -die drauf ritten, auch, und sie waren feist und schwammig. -Sie versuchten, recht forsch und protzig aufzutreten, aber -sie krümmten sich dabei, als wenn sie Bauchgrimmen hätten, -und sie streckten flehentlich die Arme aus, so gut es eben -ging, nach einem andern Schornstein und stöhnten:</p> - -<p>»Gebt uns was ab! Gebt uns was ab!«</p> - -<p>Das war ein mächtiger, weiter Schlot, und der Rauch -und Qualm, der ihm entquoll, schwarz, finster, beklemmend. -Bleiche Gestalten stiegen drauf zur Höhe, hohlwangig wie -eine durchwachte Nacht, finster wie eine Gewitterwolke. -Immer mehr, Millionen von ihnen tauchten auf aus dem -<a class="pagenum" id="page_156" title="156"> </a> -Dunkel, nicht aus einem, nein, aus hundert Schlöten, ganze -Heere von Elendsgestalten, ganze Heere von drohenden -Fäusten, von rachedurstenden Augen, von verzweifelten -Gesichtern.</p> - -<p>Und der kleine Geselle drückte sich scheu an den Mann, -der ingrimmig hohnlachte.</p> - -<p>»Wo kommen die her, alle, alle, ohne Ende?« fragte -der Geselle bebend.</p> - -<p>»Aus den Fabriken, aus den Werkstätten, aus den -Mietskasernen, aus den Spelunken da unten,« knurrte der -mit den Bockshörnchen. »Bande, elendes Pack, warum -drücken sie die andern nicht tot, schaffen sich Platz in der -Welt, so viele, wie sie sind! Aber sie haben Furcht, gerade -so viel Furcht, wie die da drüben – sieh' – da aus dem -himmelhohen Rauchfang, der so kerzengerade aufwächst – -Mitleid haben. Prrr – Puah – Mitleid, Mitgefühl, -Menschenliebe, Gleichheit, Brüderlichkeit – sieh', wie sie da -alle schweben, die schönen Gedanken! Schau einmal genau -hin! Glaubst du, sie kämen alle aus demselben hohen, ragenden, -lichten, freundlichen Kamin? Ist schön gebaut, der -Rauchfang! Aber schließ' dein Auge ab von all dem andern, -indem du die Hand krümmst wie ein Fernrohr davor – -das gibt mehr Perspektive. Siehst du nun wohl, daß jeder -der schönen Gedanken seinen Privatschlot hat, der nur an -den andern sich anlehnt? – Und die Rauchsäulchen, – -recht fein hell anzusehen – dürfen sich mit keinen von den -andern vermischen, beileibe nicht, und der Kamin muß -immer mit demselben Heizmaterial gefüttert werden, und jedes -Rauchwölkchen hat seinen Parteinebel, in den es sich auflöst.«</p> - -<p>Aber immer und immer wieder stieg das bleiche, finstere -Heer auf, auf, stetig, unverdrossen.</p> - -<p>»Da, sieh' her, du kleiner Wurm, der du die Gedanken -nackt und unverarbeitet in der Welt herumlaufen sehen -<a class="pagenum" id="page_157" title="157"> </a> -wolltest,« schrie der Mann-Faun-Mephisto, »siehst du jene -dort drüben aus dem Marmorkamin sich entwirren? – -Wohlgenährte Gestalten sind drunter mit schwimmenden -Augen, magere Kerle mit Beil-Gesichtern, und alle mit so -einem Air um sich herum, als wollten sie auf alles andere -spucken. Kapitalsbestien nennt man sie mit dem Kunstausdruck, -d. h. die Kapitäler sind ihnen jetzt da oben im -Rauch abhanden gekommen, und nur die Bestien sind übrig -geblieben. Und nun schau die guten, mitleidigen, allesliebenden, -weltbeglückenden Fanatikergedanken, die eigene -kleine Weltbegriffe auf Silberrauchsäulchen ausdünsten – -schau auch alle die winzigen Nebengedanken, die von der -Silbersäule abspringen, ihre Nachbarn zerren und stoßen, -zu Boden schlagen, ins Gesicht treten – kommt es dir nicht -schließlich vor, als wäre der eine wie der andere: Fanatiker -seines eigenen Ichs? Und sie verteidigen dieses ihr Besitztum, -die einen mit nackter Brutalität, die andern mit alles -überwältigendem Mitleid für die Menschheit. Ist recht, -ist ja recht so. Nur sollen sie nicht das Du-Geschrei erheben, -wenn sie das Ich meinen. Aber guck einmal -da!« –</p> - -<p>Aus dem lichten, ragenden Schornstein, dessen viele -Teile das Gesellchen jetzt deutlich erblickte, war eine Schar -Gedanken-Geister aufgetaucht, die sich mit Mäulern, Fäusten -und Füßen ingrimmig bearbeiteten: die einen suchten die -nächsten unter sich zu ducken, zerrend, heulend, schimpfend; -die zarten Gestalten aus demselben Rauchfang, die über -ihnen schwebten, rangen traurig die Hände; die Bestien -aus dem Marmorkamin sahen behaglich zu, und die kleinen -Weinkameraden ritten auf ihrem Rauchgekräusel herzu, -jauchzten und lachten, schütteten duftenden Rheinwein über -sie aus, wie man über die beißenden Hunde Wasser gießt, -und trieben allerhand Allotria.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_158" title="158"> </a> -Die hungrige, bleiche, verzweifelte Schreckensschar aber -stieg immerfort, stetig auf; auf aus den Tausenden von -Schlöten und verzehrte sich im Nebel, immerzu, regelmäßig, -wie ein grauenhaftes Uhrwerk.</p> - -<p>»Bande, Bande!« knurrte der neben dem Gesellchen. -»Wann kommt's? – Wann kommt's und schlägt den Kram -in Fetzen? – Ist ein lustig Leben, kleines Wurm, so hoch -über ihnen, was? – Und doch mitten drunter. Die da -tief drunten, alle, glauben, sie kennen, sie haben mich, und -ahnen nicht, daß ich es bin, der ihre Gedanken hier oben -spuken läßt zur eigenen Verlustierung, wie Nero einst Rom -in Brand setzte! <em class="ge">Nicht</em> sie mich – <em class="ge">ich</em> hab' <em class="ge">sie</em>! – Hoho -– aber da – da, meine Braven!«</p> - -<p>Da schlug aus einem mächtigen Rauchfang eine hohe -Feuersäule auf, glührot, wie aus einer Schmiede-Esse, und -darauf schwebte, nein, stampfte eine gewichtige Schar, die -zog den Ambos und dröhnte die Schmiedehämmer nieder, -daß es durch die Lüfte klang. Riesengestalten mit mächtigen -Köpfen und lustigen Augen. Bei jedem Hammerschlag -von ihren Fäusten stoben die Funken, und in jedem -Funken sang es:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Mir sein die Hammerschmiedsgsölln, Hammerschmiedsgsölln,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Mir könn' dableiben, mir könn' furtgeh'n,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Mir könn' dhun, was mer wöll'n, dhun, was mer wöll'n!«</td></tr> -</table> - -<p>Schritt vor Schritt weitergreifend, die rußigen Gesichter -umglüht vom Flammenschein, stampften sie alles -unter ihre Füße, Bestien und Mitleidsgedanken und Elendsgestalten, -was ihnen in den Weg kam, trieben die Rauchwolken -zur Seite und machten Bahn frei – bis endlich, -nach langem Kampf, auch sie der große Nebel verschlang.</p> - -<p>Aber dort, wo sie verschwunden waren, da lag in -lichter Ferne – das Gesellchen sah es ganz deutlich, und -der Mann breitete seine Arme aus – der silberne See, -<a class="pagenum" id="page_159" title="159"> </a> -der hob und senkte sich leise. – Möven flogen drüber hin, -die tauchten mit der weißen Brust ein in die Silberflut -und schüttelten die leuchtenden Tropfen von den Flügeln.</p> - -<p>Wo sie das Wasser berührten, tauchte ein Wunderwesen -nach dem andern auf; diese reihten sich aneinander, -und bald wimmelte der See von zarten, lieblichen, von -starken, gewaltigen Wesen. Auf ihren ausgestreckten Armen -kamen zwei wunderselige Frauengestalten einhergeschwebt, -ein leiser, flüchtiger Gesang zog ihnen voran:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Wir geleiten hohe Frauen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die den Wassern sind entstiegen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die sich auf den Nebeln wiegen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und die Wellen stets durchwallen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Unerkannt von allen, allen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Denn von zwei'n ist eine keine:</td></tr> - <tr><td class="tdl">Diese Hehre, Hohe, Reine,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Jene, die da gleißt im Scheine –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Nur zusammen kannst sie schauen.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wie die Sonne aus dem Meere</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ihre Strahlen weiter sendet,</td></tr> - <tr><td class="tdl">So zieh'n im Gedankenheere</td></tr> - <tr><td class="tdl">Sie, bis ihre Bahn vollendet.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Sinken in die Wasser nieder,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Kommen mit der Sonne wieder.«</td></tr> -</table> - -<p>So schwebten sie hin über das Häusermeer der Riesenstadt. -Die schönen Frauen glichen sich eine der andern so, -daß man sie nicht unterscheiden konnte, und das Gesellchen -hätte gar zu gern gewußt, wer sie seien.</p> - -<p>Der Mann sah mit verschränkten Armen den Zug an -sich vorüber wallen, musterte mit kritischen Augen die weißen -Nixenglieder, lächelte vertraulich dem schönen Frauenpaar -zu. – Da war es dem Gesellen, als habe die eine listig -gewinkt, die andere nur milde gelächelt. Aus dem Nebel, -<a class="pagenum" id="page_160" title="160"> </a> -der sie umwogte, aber tönte das Lied der Hammerschmiedsgesellen:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Mir könn' dhun, mir könn' treiben, mir könn' loss'n, was mer wöll'n!«</td></tr> -</table> - -<p>»Ja, ja,« nickte der Mann, »wenn's alle Hammerschmiedsgesellen -wären! Aber doch, kleines Wurm, wissen -auch sie nicht genau, gerade wie du und alle die andern -es gar nicht wissen, wer von den beiden lieben Frauenzimmerchen -da – die Wahrheit und welches die Lüge ist.«</p> - -<p>Als er das sagte und der kleine Schmiedsgeselle flehend -die Arme hob, da schauten die beiden herrlichen Frauen -zurück – die eine milde lächelnd:</p> - -<p>»<em class="ge">Du</em> bist die Wahrheit!« jauchzte der Geselle.</p> - -<p>Da hob die andere sachte und ernst den Finger an -den Mund. –</p> - -<p>Und der Geselle barg das Gesicht in die Hände und -weinte.</p> - -<p>Als er wieder aufschaute, sah er den Mann vor dem -Champagnerkorken stehen und Zwiesprache halten mit einem -nackten, kleinen Schlingel, der rittlings auf dem einen goldenen -Pfropfen saß, Bogen und Köcher umgehängt hatte -und blutrote Pfeile nach allen Richtungen verschoß; sein -Krauskopf glänzte voll goldener Locken und trotz der Lachgrübchen -saßen ein paar bitterernste Augen in dem jungen -Gesicht.</p> - -<p>»Ich bin echt!« sagte er und zielte auf den Gesellen, -und dem wurde es plötzlich ganz leicht um's Herz. Da -lachte der kleine, nackte Bub ein tolles, befreiendes Lachen, -und der Mann fiel ein, und das Gesellchen mußte mitlachen, -bis ihm die Thränen aus den Augen liefen.</p> - -<p>Dicht hing der Nebel herunter. Die Wolken rieben -sich die Fußsohlen an den Champagnerkorken. Rauch, -schwerer, schwarzer, lichter, semmelblonder stieg auf aus -<a class="pagenum" id="page_161" title="161"> </a> -allen Schlöten. In der Ferne sah der Geselle einen silbernen -Streifen, auf dem ein Mövenflügel blitzte. Ein -dumpfes Gegroll wogte zu ihnen herüber. Ein Amboßschlag -dröhnte.</p> - -<p>Fest mit den Füßen aufstampfend, ging der wunderliche -Mann mit dem kleinen Schmiedegesellen viele Stufen -hinab, und es klang, als ob jede Stufe knurrte:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Hammerschmiedsg'söll'n – dhun, was mer wöll'n!«</td></tr> -</table> - -<p>Unten angekommen, sah der Mann wieder aus wie -ein gewöhnlicher Europäer, und die Stube, in die sie eintraten, -wie eine ganz gewöhnliche Kaufmannsstube.</p> - -<p>»Hör',« sagte der Mann zu einem andern, der da saß -und schrieb, »wir müssen die Champagnerpropfen da oben -an dem Dach neu vergolden, die hat der Nebel ganz blind -gemacht.«</p> - -<p>Der andere nickte und schrieb weiter.</p> - -<p>Der Mann aber sah den kleinen Schmiedegesellen an -und zupfte sich an den spitzen Oehrchen. Und dann lachten -sie.</p> - -<hr /> - - - - -<div class="fss"> -<h2><a class="pagenum" id="page_162" title="162"> </a> -Druckfehler.</h2> - - -<table summary="" class="pa2"> - <tr> - <td class="tdc">Seite</td> - <td class="tdr">24,</td> - <td class="tdc">Zeile</td> - <td class="tdr">4</td> - <td class="tdc">von</td> - <td class="tdc">oben,</td> - <td class="tdc">lies</td> - <td class="tdc">:</td> - <td class="tdl"><i>hant</i> statt <i>hante</i>.</td> - </tr> - <tr> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdr">68,</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdr">3</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">:</td> - <td class="tdl">Silberflut statt Silberglut.</td> - </tr> - <tr> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdr">97,</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdr">15</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">:</td> - <td class="tdl">Weh <em class="ge">in der</em> Welt.</td> - </tr> - <tr> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdr">118,</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdr">8</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">:</td> - <td class="tdl"><em class="ge">ni</em>mmer statt immer.</td> - </tr> - <tr> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdr">122,</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdr">26</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">:</td> - <td class="tdl">aus <em class="ge">seinen</em> Händen.</td> - </tr> - <tr> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdr">129,</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdr">10</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">:</td> - <td class="tdl"><em class="ge">sein</em> leuchtendes Auge.</td> - </tr> - <tr> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdr">155,</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdr">23</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">:</td> - <td class="tdl"><em class="ge">drauf</em> ritten.</td> - </tr> -</table> -</div> - -<hr class="mb4"/> - - - - -<div class="mw30 fss mb4"> -<h2 class="mt0">Im <em class="ge">Verlags-Magazin J. Schabelitz</em> in <em class="ge">Zürich</em> ist -erschienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen:</h2> - - -<p class="tdl"><b>Amerikanische Lebensbilder.</b> Skizzen und Tagebuchblätter. Von -<em class="ge">Karl Knortz</em>. – 2 Mk. = 2 Fr. 50 Cts.</p> - -<p class="tdl"><b>Eines deutschen Matrosen Nordpolfahrten.</b> Wilhelm Nindemann's -Erinnerungen an die Nordpolexpedition der »Polaris« -und »Jeanette«. Von <em class="ge">Karl Knortz</em>. – 70 Pf. = 85 Cts.</p> - -<p class="tdl"><b>Hamlet und Faust.</b> Von <em class="ge">Karl Knortz</em>. – 1 Mk. = 1 Fr. 25 Cts.</p> - -<p class="tdl"><b>Irländische Märchen.</b> Von <em class="ge">Karl Knortz</em>. – Mk. 1.60. = 2 Fr.</p> - -<p class="tdl"><b>Nokomis.</b> Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer. -Von <em class="ge">Karl Knortz</em>. – 1 Mk. 60 Pf. = 2 Fr.</p> - -<p class="tdl"><b>Neue Epigramme.</b> Von <em class="ge">Karl Knortz</em>. – 1 Mk. = 1 Fr. 25 Cts.</p> - -<p class="tdl"><b>Goethe und die Wertherzeit.</b> Ein Vortrag. Von <em class="ge">Karl Knortz</em>. -Mit dem Anhange: Goethe in Amerika. – 80 Pf. = 1 Fr.</p> - -<p class="tdl"><b>Grashalme.</b> Gedichte von <em class="ge">Walt Whitman</em>. In Auswahl -übersetzt von <em class="ge">Karl Knortz</em> und <em class="ge">T. W. Rolleston</em>. – 2 Mk. 50 Pf. -= 3 Fr.</p> - -<p class="tdl"><b>Vom Hudson bis zum goldenen Thor.</b> Ernste und heitere -Erzählungen aus dem amerikanischen Leben. Von <em class="ge">Joseph -Treumann</em>. 2 Bände. – 5 Mk. = 6 Fr. 25 Cts.</p> - -<p class="tdl"><b>Ueberseeische Reisen.</b> Von <em class="ge">Amand Goegg</em>. – 2 Mk. 40 Pf. -= 3 Fr.</p> - -<p class="tdl"><b>Bilder aus den Vereinigten Staaten.</b> Von <i>Dr.</i> <em class="ge">J. Richter</em>. -– 1 Mk. 60 Pf. = 2 Fr.</p> - -<p class="tdl"><b>Aus dem Reiche des Tantalus.</b> Alfresco-Skizzen von <em class="ge">W. L. -Rosenberg</em>. – 1 Mk. 60 Pf. = 2 Fr.</p> - -<p class="tdl"><b>Zweierlei Hoheit.</b> Roman von <em class="ge">Juvenalis Minor</em>. – 3 Mk. 60 Pf. -= 4 Fr. 50 Cts.</p> - -<p class="tdl"><b>Heißes Blut.</b> Roman aus der französischen Provinz. 2 Theile. -Von <em class="ge">Hermann Gosseck</em>. – 5 Mk. = 6 Fr. 25 Cts.</p> - -<p class="tdl"><b>Scherben.</b> Gesammelt vom müden Manne (<em class="ge">Richard Voß</em>.) -Zweite, stark vermehrte Auflage. – 5 Mk. = 6 Fr. 25 Cts.</p> - -<p class="tdl"><b>Schlimme Geschichten.</b> Drei Novellen. Von <em class="ge">Gustav Adolf</em>. -– 1 Mk. 60 Pf. = 2 Fr.</p> - -<p class="tdl"><b>Ueber Graphologie</b> oder die Kunst, die Geistes- und Gemüthseigenschaften -eines Menschen aus seiner Handschrift zu erkennen. -Von <em class="ge">Fritz Machmer</em>. – 2 Mk. = 2 Fr. 50 Cts.</p> -</div> - - - - -<div class="mw36 bo"> -<h2 class="mt0">Hinweise zur Transkription</h2> - - -<p class="in0">Der Schmutztitel wurde entfernt.</p> - -<p class="in0">Im Originalbuch tragen die Kapitel jeweils am Anfang ornamentalen -und am Ende floralen Schmuck, auf den in dieser Transkription verzichtet wurde.</p> - -<p class="in0">Die im Buch enthaltene Verlagswerbung wurde von der Rückseite des -vorderen Einbanddeckels an das Buchende verschoben.</p> - -<p class="in0">Das Originalbuch ist in Fraktur gesetzt.</p> - -<p class="in0">Darstellung abweichender Schriftarten: <em class="ge">gesperrt</em>, <i>Antiqua</i>, <b>fett</b>.</p> - -<p class="in0">Der Text des Originalbuchs wurde grundsätzlich beibehalten, -einschließlich uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise -"Apollo" – "Appollo", "Bacchus" – "Bacchos", "Höckerweib" – "Hökerweib", -"Schmiedegeselle" – "Schmiedgeselle", "Sonntagkind" – "Sonntagskind",</p> - -<p class="in0">mit folgenden Ausnahmen,</p> - -<p class="in0">entsprechend dem Korrekturverzeichnis des Originalbuchs</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_024">24</a>:<br /> -im Original "ich hete in mîne hante gesmogen"<br /> -geändert in "ich hete in mîne hant gesmogen"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_068">68</a>:<br /> -im Original "In tiefe, rauschende Silberglut"<br /> -geändert in "In tiefe, rauschende Silberflut"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_097">97</a>:<br /> -im Original "als ob all das Weh in Welt"<br /> -geändert in "als ob all das Weh in der Welt"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_118">118</a>:<br /> -im Original "wenn Ihr die Liebe sucht, fliegt immer zu Thal"<br /> -geändert in "wenn Ihr die Liebe sucht, fliegt nimmer zu Thal"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_122">122</a>:<br /> -im Original "aus ihren Händen weg und zu uns"<br /> -geändert in "aus seinen Händen weg und zu uns"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_129">129</a>:<br /> -im Original "und ein leuchtendes Auge weilt"<br /> -geändert in "und sein leuchtendes Auge weilt"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_155">155</a>:<br /> -im Original "die Gedanken, die draus ritten"<br /> -geändert in "die Gedanken, die drauf ritten"</p> - -<p class="in0">und außerdem</p> - -<p class="ci">Seite 13:<br /> -im Original "wo wollen die vielen Menschen hin die dort"<br /> -geändert in "wo wollen die vielen Menschen hin, die dort"</p> - -<p class="ci">Seite 25:<br /> -im Original "Flüstern durch den Saal und und ein Beben"<br /> -geändert in "Flüstern durch den Saal und ein Beben"</p> - -<p class="ci">Seite 39:<br /> -im Original "Weise Hosen, schwarzes Röcklein und auf dem Kopf"<br /> -geändert in "Weiße Hosen, schwarzes Röcklein und auf dem Kopf"</p> - -<p class="ci">Seite 40:<br /> -im Original "wenn ihr die zackigen Blätter"<br /> -geändert in "wenn Ihr die zackigen Blätter"</p> - -<p class="ci">Seite 45:<br /> -im Original "Cochenille – Kaktus, unansehnliche, häßliche Dinger"<br /> -geändert in "Cochenille-Kaktus, unansehnliche, häßliche Dinger"</p> - -<p class="ci">Seite 49:<br /> -im Original "Wohl süß ist es zu singen"<br /> -geändert in "»Wohl süß ist es zu singen"</p> - -<p class="ci">Seite 56:<br /> -im Original "sieh', doch, da ist das Märchen!"<br /> -geändert in "sieh' doch, da ist das Märchen!"</p> - -<p class="ci">Seite 56:<br /> -im Original "die Kinder faßten sich bei deu Händen"<br /> -geändert in "die Kinder faßten sich bei den Händen"</p> - -<p class="ci">Seite 76:<br /> -im Original "den Bäuuen aus dem Wege gehen"<br /> -geändert in "den Bäumen aus dem Wege gehen"</p> - -<p class="ci">Seite 85:<br /> -im Original "Regiment Weizenfeld-Allerfeinste-Mehlsorte No. 1"<br /> -geändert in "Regiment Weizenfeld-Allerfeinste-Mehlsorte No. I"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_108">108</a>:<br /> -im Original "deren heißes Menschenherz langsam, zu"<br /> -geändert in "deren heißes Menschenherz langsam zu"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_135">135</a>:<br /> -im Original "wie zart, geschickt die Fäden verknüpft!«"<br /> -geändert in "wie zart, geschickt die Fäden verknüpft!"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_139">139</a>:<br /> -im Original "Mannes dunkles Haar ziehen sich Silderfäden"<br /> -geändert in "Mannes dunkles Haar ziehen sich Silberfäden"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_140">140</a>:<br /> -im Original "dekorierten Flügel und fliegt von dannen"<br /> -geändert in "dekorierten Flügel und fliegt von dannen."</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_146">146</a>:<br /> -im Original "Seele verwandelte sich einen"<br /> -geändert in "Seele verwandelte sich in einen"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_155">155</a>:<br /> -im Original "finster, beklemmend, Bleiche Gestalten"<br /> -geändert in "finster, beklemmend. Bleiche Gestalten"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_157">157</a>:<br /> -im Original "Aus dem lichten, ragenden, Schornstein"<br /> -geändert in "Aus dem lichten, ragenden Schornstein"</p> - -<p class="ci">in der Verlagswerbung:<br /> -im Original "Rosenberg. – 1 Mk. 60 Pf. = 2 Fr. = 1 Fr."<br /> -geändert in "Rosenberg. – 1 Mk. 60 Pf. = 2 Fr."</p> -</div> - -<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK VENUSMÄRCHEN ***</div> -<div style='text-align:left'> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Updated editions will replace the previous one—the old editions will -be renamed. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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Redistribution is subject to the trademark -license, especially commercial redistribution. -</div> - -<div style='margin:0.83em 0; font-size:1.1em; text-align:center'>START: FULL LICENSE<br /> -<span style='font-size:smaller'>THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE<br /> -PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK</span> -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free -distribution of electronic works, by using or distributing this work -(or any other work associated in any way with the phrase “Project -Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full -Project Gutenberg™ License available with this file or online at -www.gutenberg.org/license. -</div> - -<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'> -Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ -electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to -and accept all the terms of this license and intellectual property -(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all -the terms of this agreement, you must cease using and return or -destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your -possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a -Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound -by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person -or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. It may only be -used on or associated in any way with an electronic work by people who -agree to be bound by the terms of this agreement. 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The following sentence, with active links to, or other -immediate access to, the full Project Gutenberg™ License must appear -prominently whenever any copy of a Project Gutenberg™ work (any work -on which the phrase “Project Gutenberg” appears, or with which the -phrase “Project Gutenberg” is associated) is accessed, displayed, -performed, viewed, copied or distributed: -</div> - -<blockquote> - <div style='display:block; margin:1em 0'> - This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most - other parts of the world at no cost and with almost no restrictions - whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms - of the Project Gutenberg License included with this eBook or online - at <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. 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Information about the Mission of Project Gutenberg™ -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of -electronic works in formats readable by the widest variety of -computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It -exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations -from people in all walks of life. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Volunteers and financial support to provide volunteers with the -assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s -goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will -remain freely available for generations to come. In 2001, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure -and permanent future for Project Gutenberg™ and future -generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see -Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. -</div> - -<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'> -Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by -U.S. federal laws and your state’s laws. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, -Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up -to date contact information can be found at the Foundation’s website -and official page at www.gutenberg.org/contact -</div> - -<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'> -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread -public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine-readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. Compliance requirements are not uniform and it takes a -considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up -with these requirements. 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Thus, we do not -necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper -edition. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Most people start at our website which has the main PG search -facility: <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -This website includes information about Project Gutenberg™, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. -</div> - -</div> -</body> -</html> - - diff --git a/old/67015-h/images/cover.jpg b/old/67015-h/images/cover.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 64de37e..0000000 --- a/old/67015-h/images/cover.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/67015-h/images/emblem.jpg b/old/67015-h/images/emblem.jpg Binary files differdeleted file mode 100644 index 46bb3c9..0000000 --- a/old/67015-h/images/emblem.jpg +++ /dev/null diff --git a/old/old/67015-0.txt b/old/old/67015-0.txt deleted file mode 100644 index f7c6501..0000000 --- a/old/old/67015-0.txt +++ /dev/null @@ -1,5415 +0,0 @@ -The Project Gutenberg eBook of Venusmärchen, by Edna Fern - -This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and -most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions -whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms -of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at -www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you -will have to check the laws of the country where you are located before -using this eBook. - -Title: Venusmärchen - Geschichten aus einer andern Welt - -Authors: Edna Fern - Fernande Richter - -Release Date: December 26, 2021 [eBook #67015] - -Language: German - -Produced by: the Online Distributed Proofreading Team at - https://www.pgdp.net (This file was produced from images - generously made available by The Internet Archive) - -*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK VENUSMäRCHEN *** - - - - - - Venusmärchen. - - Geschichten aus einer andern Welt. - - - Von - - Edna Fern. - - - [Illustration] - - - Zürich 1899. - - Verlags-Magazin J. Schabelitz. - - - Alle Rechte vorbehalten. - - Druck von J. Schabelitz in Zürich. - - - - - Was ich als Kind einst von der alten Muhme - In märchengrauer Dämmerstund' erlauscht, - Was sonnenhell mir Wind und Wald gerauscht, - Was mir geduftet hat die stille Blume, - - Das wuchs in mir zu einem Heiligtume. -- - Da kam das Leben, wichtig aufgebauscht, - Und hätt' vernünftig thuend gern vertauscht - Das Märchen mir -- zu ernstem Wissens-Ruhme. - - Doch lächelnd ging das Flüchtige vor mir her - Und zeigte mir den Weg aus Tages Enge - Und hob empor mich aus der Welt Gedränge -- - - Der Märchen-Weisheit ewige Wiederkehr, - Die lehrt' es mich. -- Nun nimmt es seinen Lauf - Mild siegend weiter: Nehmt es bei euch auf! -- - - - - -Inhalt. - - - Seite - - Venus und Madonna 1 - - Der kleine Finger der Venus von Medici 5 - - Der gefesselte Cupido 18 - - Psyche 24 - - Unser Frühling 37 - - Frostiger Frühling 43 - - Das Märchen, das gar nicht kommen wollte 50 - - Klein Hildegard 58 - - Das Märchen, das verloren gegangen war 70 - - In der Gosse 81 - - Sonniger Winter 91 - - Ein Weihnachtsmärchen 99 - - Schneeflocken 108 - - Das Märchen von der weißen Stadt 120 - - Weltausstellung im Walde 130 - - Das Märchen von Einem, der auszog, ein Sonntagskind zu werden 141 - - Rauch 151 - - - - -Venus und Madonna. - - -Dunkel wölbt sich der Himmel über der Erde, und die Sterne grüßen -einander und winken -- das ist das Flimmern -- fassen einander bei den -Händen und tanzen einen feierlichen Reigen über die unermeßlichen -Himmelsbahnen, und »Seht, wie klar die Milchstraße heute Abend ist!« -sagen sie auf der Erde. -- - -Da löst sich ein großer, glänzender Stern vom Firmament, der hat -funkelnd im kalten Norden gestanden, zieht seine leuchtende Bahn über den -dunkeln Nachthimmel hinweg und fällt zur Erde nieder. -- - -Da löst sich ein anderer, ein flimmernder, unruhiger Stern vom Firmament, -der hat blitzend im Süden gestanden, zieht seine schimmernde Bahn über -den dunkeln Nachthimmel und fällt zur Erde nieder. -- - -Und die beiden schönen Sterne fallen auf die große, weite Erde, in einen -Wald voll mächtiger Bäume, süß duftender Blumen, singender Vögelein, -spielender Tiere. -- Und siehe! da stehen die ersten Menschen, ein Mann -und ein Weib, sie blicken einander an, reichen sich die Hände und küssen -sich. Die beiden vom Himmel gefallenen, Mensch gewordenen Sterne -- sie -sind der Glaube, der Glaube an das Schöne, und die Sehnsucht. -- - -Und wieder und wieder flimmern, zittern, funkeln die Sterne am Himmel. Im -Walde der Ewigkeit ruht das Weib in den Armen des Mannes; und sie gebiert -ihm die Liebe -- das Kind der Sehnsucht und des Glaubens. - -Da aber das schöne Menschenpaar ganz allein im großen, weiten Walde -wohnt, und nichts weiß von dem Gewimmel des Zwergengeschlechtes weit -draußen in der Welt, so wissen sie auch nicht, wen sie wohl zu Gevatter -bitten sollen, als sie ihr Kind, die holde Liebe, mit Himmelstau zu taufen -gedenken. Schon beginnen die Maiglöckchen ein wunderlieblich Geläut, -die Vöglein konzertieren und singen und flöten, und einherziehen -gravitätisch die Tiere des Waldes. - -Das anmutige Reh äugt mit klugen Augen, das Häslein putzt sich, das -Eichhörnchen tanzt, der Dachs lugt hervor aus seinem Versteck, die -Eidechsen und Käfer huschen und jagen, die Schmetterlinge gaukeln um die -Blätterwiege, in der die Liebe ruht -- --, aber niemand ist da, der -das Kindlein tauft, und keine Gevatterin, die Liebe über die Taufe zu -halten. -- - -»Ich,« spricht der Fuchs und kommt geschlichen und streckt sein spitzes -Näschen zur Wiege des Kindes empor, »ich versteh's, das Taufen, bin bei -den Jesuiten in die Lehre gegangen, bin gut katholisch und sehr schlau.« - -»Krah, krah!« krächzt ein großer, schwarzer Kolkrabe, »hier, nehmt -mich! Strengorthodox, schwarz, düster, wie meine Religion.« - -»Vielleicht alttestamentarisch?« fragt höflich ein Eidechslein, -glitzernd von Gold, und dreht und windet sich immer wieder heran. - -»Oder gar freisinnig?« klappert der Storch, spießt nach dem Eidechslein, -kröpft sich und schlägt sehr stolz und freisinnig mit den Flügeln. - -Vater Glaube und Mutter Sehnsucht schütteln die schönen Häupter und -blicken ratlos um sich -- doch sieh! Licht, Sonnenschein überall um sie -her, flutet über Blumen und Vöglein und Tiere hin, und - -»Ich,« spricht der Sonnenstrahl, »will die Liebe taufen. Ich dringe ihr -ins Herz hinein, ich wohne in ihren Augen. In jedem Lächeln ihres Mundes -zittere Sonnenschein, in jeder Bewegung ihrer Glieder herrsche Anmut, -Freude, Wärme.« Und - -»Wir,« klingen sanfte und wunderbar eindringliche Stimmen, »wir wollen -Paten sein.« Zwei Frauengestalten neigen sich zu jeder Seite der Wiege, -in der die Liebe schlummert, so schön, so überirdisch schön, daß Glaube -und Sehnsucht demütig niederknieen. Die wissen nicht, ist es ein und -dieselbe, die zwei Gestalten angenommen hat, oder sind es zwei hehre -Frauen, die da niedergestiegen sind aus den Wolken, die Liebe zu -segnen. Wunderbar ähnlich sind sich die Schwestern, nur trägt die eine -langwallende Gewänder, und sie hält ein lieblich Kindlein fest an -ihr Herz gedrückt, und mild und rein ist das Lächeln ihres Mundes. -Unverhüllt glänzen der andern herrliche Glieder, süß berauschend wirkt -ihre Nähe, und heiße Glut entströmt den Augen. - -Die beugt sich nieder zur Blätterwiege und küßt das schlummernd Kindlein -auf die unschuldigen Lippen, und spricht: - -»Deinen Körper gib hin, o Liebe, und all deine Sinne und jede Fiber -deines Herzens!« - -Da legt die Erste segnend die Hand auf des Kindes Haupt: - -»Deine Seele gib,« hauchte sie, »und Mutterliebe sei dein Glück!« -- - -Und siehe! Aus dem Kinde ist plötzlich ein Weib geworden, himmlisch -schön, wie das Schwesterpaar -- es steht allein in all seiner Pracht auf -der weiten, sonnigen Erde. So zieht die Liebe in die Welt hinaus, das Kind -der Sehnsucht und des Glaubens, keusch wie Madonna, wonnig wie Venus -- und -das Zwergengeschlecht wendet sich ab von ihr, denn es kennt sie nicht. -- -Weiche Lüfte aber wehen und tragen das Elternpaar, das der Welt die Liebe -geboren hat, hinan zum Himmel. Dort, zwischen den Sternen, wohnen nun -wieder die Sehnsucht nach dem Glück und der Glaube an das Schöne. -- - - - - -Der kleine Finger der Venus von Medici. - - -Es war einmal ein Sonntagskind, das wanderte in der Welt umher und suchte --- es wußte selber nicht was. Aber es blieb nicht auf dem schönen, -trockenen, breiten Wege, den schon so viele andere vor ihm gewandelt waren, -sondern mit der, den Kindern eigenen Passion für das Unbequeme, lief -es quer über die Straße, kletterte mühsam über einen großen Stein, -tappste in eine Pfütze, wie es ja deren so viele in der Welt gibt, und als -es erschrocken seine schönen, reinen Füßchen zurückzog, geriet es in -den Straßenkot; da eilte es entsetzt weiter, stolperte auf der anderen -Seite über einen noch größeren Stein und rannte mit dem Magen gegen -eines der eisernen Gitter, die überall in der Welt herumstehen. Nun -hatte vorläufig seine Reise ein Ende. Verdutzt sah es ein Weilchen das -häßliche Gitter an, dann um sich und nun über sich, und es erblickte -eine große, dunkle Wolke, die ballte sich zusammen aus all dem Dampf, der -aus den Häusern, den Fabrikschornsteinen, den Lokomotiven aufstieg, -und zog wie ein Heer Gespenster über den lieben Abendhimmel. Der schien -seltsam bunt drunter hervor -- glührot und rosenfarben und lichtgrau und -blau und zartes Grün -- wie als ob er dem schwarzen Gespensterheer mit -seinen Lichtelfen Trotz zu bieten gedächte. Aber die finstere Riesenwolke -ballt sich immer drohender und trotziger zusammen, und da wird es dem -Sonntagskinde ganz beklommen und bange ums Herz, und es stürzt davon, -durch die Straßen, so schnell es seine Füße tragen können, und über -ihm zieht die Wolke. Da aber verschwindet sie plötzlich, wie fortgeweht, -und das Kind hält inne in seinem tollen Lauf, denn es steht vor einem -goldenen Gitter, hinter dem hohe Bäume herüberwinken und ein süßer, -feiner Duft emporzieht. - -»Ach,« denkt das Sonntagskind, »da drinnen muß es gut sein, ich möchte -ausruhen, denn ich bin sehr müde -- ob ich wohl hineinschlüpfen dürfte? --- Ich will auch ganz leise sein.« - -Kaum hat es das gedacht, so öffnet sich die goldene Thür, sanft, wie -von Feenhand, und das Sonntagskind schleicht vorsichtig hinein, sich noch -einmal bang nach der schwarzen Wolke umschauend. -- Richtig, ganz in weiter -Ferne hängt sie und blickt drohend herüber. - -Nun ist das Sonntagskind drinnen in einem herrlichen Garten. Weg ist seine -Müdigkeit; mit weitgeöffneten, glänzenden Augen wandelt es auf weichen -Wegen unter hohen, ernsthaften Bäumen; mit zitternden Lippen saugt es -süße, berauschende Düfte ein, es lauscht mit Herzklopfen den wonnevollen -Tönen, von denen die Luft ringsum erfüllt ist. Wie tausend Nachtigallen -Gesang klingt es, aber es sind nicht allein die kleinen Vöglein in -den Zweigen, die so liebliche Melodieen erschallen lassen. Nein, -jedes Blättlein, jede Blüte ist wie ein Echo und trägt die weichen, -sehnsüchtigen Nachtigallentöne vieltausendfach weiter. Und all die Blumen --- die Hyacinthen läuten mit ihren Glöckchen »Klingling! Ach, wie wonnig -ist's hier!« und »Dingdang, dingdang!« antwortet die blaue Glockenblume, -»ich läute zur Abendmette der Natur!« -- - -Die hohen, schneeigen Lilien senden ihre schweren, süßen Düfte nach -oben, der sentimentale Jasmin, die neckische Syringe; und die schwermütige -Narcisse wendet ihr weißes Blumengesicht sehnsüchtig dem Monde zu. Denn -Nacht ist's geworden: Millionen blitzender Sterne sehen mit funkelnden -Augen vom Himmel hernieder, und der Mond gleitet mit ruhigem Schein über -den Garten hinweg, so hell und klar, daß das Sonntagskind die vielen -zierlichen Gestalten sehen kann, kleine Elfen und Kobolde, die sich im -Gras zwischen den Blumen tummeln, und die Nixen und Wasserelfen -- auf den -großen, grünen Blättern der Wasserrosen im See kauern sie und lassen -sich schaukelnd hin und her treiben und greifen jauchzend nach dem -glitzernden Sprühregen, den Tritonen im mächtigen Strahl gen Himmel -senden und der, leuchtend wie Diamanten im Mondesglanz, zu ihnen -niederfällt. - -In den lauschigen Ecken und Winkeln der Gebüsche stehen weiße Gestalten --- sind's Menschen? Sie sind nackt, kaum mit einem leichten Flor bekleidet. --- Sie sind schön, himmlisch schön, und das Sonntagskind tritt näher und -faßt Mut, weil sie so gar lieb und gut blicken, und es berührt sie ganz -vorsichtig und leise mit der Hand, streichelt die schönen, nackten Füße -und -- fährt erschrocken zurück, denn eiseskalt sind sie und tot. - -Doch sieh -- bewegen sie sich nicht? Und horch -- hörst Du nicht leises -Kichern, Flüstern, neckisches Lachen -- ach, und klagendes Schluchzen? -- -Die Hand des Sonntagskindes hat sie berührt -- sie leben, die schönen, -marmornen Menschenbilder, das rote, warme Blut rollt durch ihre Adern, -sie lächeln, es bebt ihr Fuß zum Weiterschreiten. Da neigen sie sich vor -ihrer Königin -- die steht in ihrer Mitte, ein wonnevoll Weib, zierlich -treten ihre schlanken Füße den Boden, die linke Hand deckt schamhaft den -Schoß, die rechte den schneeigen Busen, zur Seite geneigt hält sie das -liebliche Haupt, die holde Venus von Medici -- und nun fassen sie sich bei -den Händen, die herrlichen Göttergestalten und die Elfen und Nixen mit -ihrer weichen, eidechsenhaften Schmiegsamkeit und die komischen Kobolde mit -ihren langen Bärten und listigen Aeuglein und drolligen Bewegungen; sie -tanzen einen zierlichen, wunderlichen Reigen um das Sonntagskind im Kreise, -und sie singen: - -»Bleib' bei uns -- o hier ist's gut sein! Hier ist Schönheit, hier ist -Liebe -- zu süßer Freude wandelt die Lust sich, zu mildem Frieden Angst -und Unruh' -- -- Ach, und der Schmerz, der wild durchtobt des Menschen -Herz -- er löst sich auf in sanftes Klagen, die Sorge wird hier zu Grab' -getragen, und aller Kummer lind gestillt. -- - -»Hörst Du der Nachtigall Gesang? -- So singt die Sehnsucht in Deinem -Herzen. - -»Hörst Du der Blumen Geläut? -- So läuten sie Deine bange Seele zur -Ruh.« - -Und horch! Welch wunderlieblich Geklinge und Gesinge, wie Glockentöne in -weiter Ferne! Näher kommt's -- immer näher -- husch! der lustige -Kreis stiebt auseinander, blitzschnell, wie er gekommen, und vor dem -Sonntagskinde steht eine hehre, schöne Frau, deren zarten Leib umgibt -ein Kleid von Rosenblättern, auf dem wonnesamen Haupt strahlt eine -Sternenkrone, die Flügel des Königsfalters trägt sie an den Schultern, -und ihre Füße wandeln auf Blumen. - -Sie lächelt -- da zittert die Luft vor Freude -- Sie spricht -- da -lauschen Mond und Sterne. -- »Haben sie Dich erschreckt da draußen in der -Welt, Du Menschenkind?« sagt sie, »hat die große, schwere Wolke Dir das -Herz beklemmt und Dir den Atem genommen? Und bist Du zu mir geflüchtet, in -den Garten der Wonne, in mein Königreich, das Reich der Phantasie? -- Ich -wußte es wohl, Ihr Menschenkinder könnt ohne mich nicht bestehen. Da geht -ein lautes Gerede, ein wildes Geschrei durch die Welt: sie brauchen mich -nicht, _nur_ Natur wollen sie, und nur im groben Alltagskleid, nicht -im glänzenden Schmuck, im schimmernden Geschmeid, womit ich sie -überschütte. -- Aber siehst Du, Du Sonntagskind, kommst doch geflüchtet -zu Deiner Trösterin, ohne die Du die Natur nicht ertragen, ohne die Du -nicht leben kannst. -- Und wenn Du wieder hinausziehst, dann sag' es ihnen -draußen in der Welt, was Du geschaut in meinem Reich. -- Ach, gerade -jetzt sollten sie es wissen, wo die dunkle Wolke schwer über den Völkern -schwebt und sie darnieder drückt. - -»_Weißt_ Du, warum gerade jetzt? _Willst_ Du es wissen?« - -Sie blickt um sich und klatscht in die Hände. Und siehe -- ein -wunderlicher Geselle kommt gehüpft, getollt, gesprungen: nackt ist er und -zart von Gliedern, mit schelmischem Mund und ernsthaften Augen, einen Bogen -trägt er in der Hand und einen Köcher mit Pfeilen an der Hüfte. -- -Sah ihn das Sonntagskind nicht dort im Syringengebüsch auf einer Säule -stehen? - -Doch nun -- einen Purzelbaum schlägt er auf dem weichen Gras und ist zum -eisgrauen Männlein geworden, das lustig mit den Aeuglein zwinkert und -allerlei Kapriolen macht, und plötzlich schwebt er in der Luft, so -fein und zart, als sei er aus Mondenschein gewebt, als sei er auf Blumen -geboren, als sei er mit Tautropfen genährt. Und nun wieder trottelt er -daher wie ein kleiner Brummbär und schlägt mit einer Keule um sich, daß -die Nixchen und Elflein entsetzt zur Seite weichen. - -»O, laß die Possen, Du närrischer Kauz,« lächelt Frau Phantasie, -»nimm Deine wahre Gestalt an, mein Gesell« -- da klingelt's wie von -silbernen Glöckchen, die trägt das wunderliche Kerlchen an seiner -Schellenkappe auf dem Haupte, und legt sein Gesicht in ernsthaft-drollige -Falten, hängt seinen Bogen über den Rücken, als gebrauche er ihn nicht -mehr, und schreitet umher mit gravitätischen Schritten. - -»Ist das Deine wahre Gestalt?« Frau Phantasie schüttelt das schöne -Haupt ... »nun, sei es drum. Sieh',« sagt sie zum Sonntagskind gewandt, -»den Mittler zwischen mir und den Menschen. Nenne ihn Amor, Puck, Geist, -wie Du willst; kannst ihn auch Humor heißen, das hört er am liebsten. -Geh' mit ihm -- die Welt soll er Dir zeigen, wie sie uns Göttern -erscheint. An seiner Hand wird es Dich weniger schmerzen.« - -Sie gleitet dahin wie der Mondesstrahl, die hehre Königin, und ihr -nach durch Busch und Zweig, über Blumen und Moos huscht das lose Volk, -Leuchtkäfern gleich, die in Abendluft baden, und in der Ferne tönt -neckisch Gelache. -- - -»Komm',« sagt der närrische Geselle, und schüttelt seine Kappe, daß -die Glöckchen klingen, »reich' mir Deine Hand, armes Sonntagskind. Hab -Dich schon gesehen draußen in der Welt, wie Du über Steine gestolpert -bist und in Pfützen getreten hast. Ja, es ist immer sicherer, auf den -hübsch ausgetretenen Pfaden der Alltäglichkeit zu wandeln, als seinen -eigenen Weg gehen zu wollen. Hast Dich zur rechten Zeit in meiner Mutter -Phantasie Garten gerettet, sonst hättest Du Dir sicher noch einmal an -irgend einem Weltgitter Kopf und Herz eingerannt, Du dummes Sonntagskind, -Du. -- Also ich soll Dir zeigen, wie es in der Welt eigentlich aussieht. -Wohl kann ich Dir's erklären, denn ich treibe mich viel draußen herum. -Einige in der Welt schwärmen für mich, andere sagen, ich sei ein wahrer -Teufel. Wenn ich mit der Schellenkappe klingele, verstehen mich die -Wenigsten; da muß ich oft schon mit der Plumpkeule dreinschlagen, und dann -schreien sie und sagen, ich hätte ihnen weh gethan. -- Komisches Volk, -diese Menschen!« - -Jetzt sind sie am Ende des Gartens angelangt. Eine hohe Mauer scheidet ihn -von der Außenwelt; an der ranken sich wilder Wein und Epheu, und blaue -Clematis hängen hernieder und rote Trompetenblumen, so dicht, daß man von -den rauhen Steinen nichts gewahr wird, wie nur die runden Glasfensterchen, -die hie und da in die Quadern eingefügt sind. - -»Sieh,« sagt der närrische Sohn der Phantasie und reicht dem -Sonntagskind eine große Trompetenblume als Fernrohr, »die ganze Welt -zieht wie die Bilder eines Guckkastens an unsern Fensterchen vorüber. -Mußt aber nicht durch dieses hier sehen, das ist die rosenfarbene Brille, -durch das schauen nur die Faulen, die ihre Gedanken nicht anstrengen mögen --- ~nota bene~, wenn sie welche haben -- und jenes Fenster dort ist gelb -wie der Neid und dieses rot wie Blut, als ob die Welt in Feuer stünde. -Nein, schau hierher -- Clematis und Weinranken haben ein schönes, kleines -Guckloch gebildet, ein Vöglein, das früh morgens zur Sonne singt, hat -sich drüber ein Nestlein gebaut -- _das_ Glas ist klar und wahr wie meiner -Mutter Augen. Komm, Du Sonntagskind, laß mich über Deine Schulter lehnen -und Dir sehen helfen.« - -»Nein, wie ist die Welt klein!« ruft das Sonntagskind verwundert. - -»Nicht wahr?« antwortet der Geselle, »und Du hast sie immer für so -riesengroß und wichtig gehalten.« - -»Und die Menschen -- wie Zwerge! Sieh' nur das Gewimmel!« lacht das -Sonntagskind. - -»Ja, das macht Spaß, die Welt übersehen zu können,« nickt der Geselle -und die Glöckchen an seiner Schellenkappe klingeln dazu. - -Da draußen in der Welt krabbelt's, prustet's, keucht's und läuft und -schiebt und stößt -- die Großen drängen die Kleinen zur Seite, die -Starken schlagen die Schwachen tot, und die Armen wehklagen gen Himmel. -- - -»Wie eilig sie es alle haben!« wundert sich das Sonntagskind. - -»O sieh' nur, sieh' -- den alten Mann, einen Kahlkopf hat er und unterm -Kinn einen grauen Ziegenbart, und die Augenbrauen stehen wie Borsten in die -Höhe und die Augen glitzern gierig darunter hervor. -- Sieh', wie er an -dem Sack zerrt, wie Gold schimmert es durch die Löcher -- er kann ihn kaum -regieren und Angst und Zornesthränen rinnen aus seinen Augen.« - -»Ja, und er trägt rot und weiß gestreifte Hosen und einen blauen Rock,« -sagt Puck, »und er kaut Tabak, und er flucht englisch, wenn die andern -seinem Geldsack zu nahe kommen.« - -»Ach, und jener dort -- mit großen Sprüngen, mit ellenlangen Schritten -setzt er dem kleinen Irrlicht nach, das über Berg und Thal, durch Sumpf -und Morast vor ihm herhüpft, und sieh' nur, wie seine Frau sich anstrengt, -mitzukommen.« - -»Sieh, sie hebt ihre schönen, seidenen Kleider auf, daß sie nicht -schmutzig werden, und patsch! springt sie mit beiden Füßen in die -Wasserlache -- nachher läßt sie die Kleider wieder drüber hängen -- -dann sieht man ihre beschmutzten Füße nicht -- und guck! das Irrlicht -sieht aus wie ein Ordensbändchen.« - -»O, aber hier, wie schrecklich -- sie bücken sich tief zur Erde, damit -andere auf ihre Rücken treten können und weiter schreiten dort hinauf, wo -es so glitzert und gleißt wie von Prunk und Geschmeide. -- Und dort läßt -sich einer schlagen -- ach, geduldig und wehrt sich nicht!« - -»Liebes Kind,« sagt der Gesell, »die sind aus dem Land, wo die Bedienten -gut geraten.« - -»Lieber Gesell -- o siehst Du den Mann dort in der Ferne -- mit bleichen -Lippen, mit rollenden Augen? Siehst Du, wie er mordet und zittert und -flucht und betet, wie er angstvoll sich windet --« - -»Liebes Kind -- der sitzt auf einem Thron, der wackelt hin und her, und er -trägt den Wahnsinn als Krone und als Scepter eine blutrote Brandfackel -- -wenn er die von sich schleudert, dann bebt die Erde von Kanonendonner -und Menschengestöhn -- und ›Väterchen‹ nennt sich der Mann, liebes -Sonntagskind.« - -»Ach, mein Geselle, wo wollen die vielen Menschen hin, die dort mit den -feinen, kostbaren Kleidern angethan, die ein mit Silber beschlagenes Buch -und einen Geldbeutel in den Händen tragen, die, mit den frommen, ergebenen -Gesichtern --« - -»In die Kirche, Du dummes Sonntagskind, auf daß der Prediger ihnen in -tönenden, salbungsvollen Worten die Angst vom Herzen rede. Dann thun sie, -als ob sie's glauben, was er sagt, und gehen neugestärkt nach Hause und -- -leben weiter.« - -»Und siehst Du jene Schar dort, mein Geselle, Ballettänzer scheinen sie -zu sein. Hei! was sie für Sprünge machen! -- Schau, die wunderlichen -Gesten, und wie elegant sie zu posieren verstehen -- dem Publikum eine -rechte Augenweide. Aber doch -- ich glaube sie thun nur so, es ist ihnen -nicht wohl ums Herz -- sie schauen bleich aus, trotz Schminke und Puder. -- -Sag, mir, was sind's für Leute?« - -»Liebes Kind -- Litteraten sind's, moderne aus dem neunzehnten -Jahrhundert, und die barocken Sprünge und eleganten Posen machen sie aus -Angst, um sich und das Publikum d'rüber hinwegzutäuschen.« - -»Und, mein Geselle, sieh' den Mann dort hinter dem Ofen, in Schlafrock -und Pantoffeln, mit langer Pfeife und dem Bierseidel in der Hand. -- Recht -unzufrieden scheint er mir zu sein, er rückt unruhig hin und her -- horch! -er schilt und gebraucht böse Worte.« - -»Ja, liebes Kind -- das Bier schmeckt nicht, und die Kartoffeln sind -mißraten, und die Pfeife qualmt und durch die Schlafrockärmel pfeift -der Wind, und die Pantoffeln sind unbequem. Da hadert er mit seinem -langmütigen Herrgott im Himmel droben, mit dem Brauersknecht, dem Nigger, -dem Schuster und am meisten mit seiner lieben Frau -- und es ist doch nur -die Angst, die ihn in seiner eigenen Haut sich nicht wohl fühlen läßt. --- Ja, und ›Philister‹ nennt man den Mann, liebes Sonntagskind.« - -»Ach, und, mein Geselle, dort jene Hungernden, Darbenden, Elenden, jene -Neidischen, Unzufriedenen, Hassenden, auf was warten sie finstern Auges, -trotziger Stirn, rachsüchtigen Herzens? Und dort jene Ballgeschmückten, -die im Reigen sich drehen! Was ziehen sie in ihren Masken und Flittern -einher, als wollten sie die Freude zu Grabe tragen?« - -Da faßt der Geselle das Sonntagskind bei den Schultern und wendet es ein -wenig zur Seite: - -»Schau dort hinüber, liebes Kind,« sagt er, »sieh' weithin über die -Welt!« - -Da steht auf einem Berge, hoch über dem Gewirr, Gewimmel, Gehast, ein -großes, starkes Weib, das schwingt mit grimmigem Lächeln, mit finsterem -Angesicht eine Peitsche in ihren Händen, deren vielteilige, zackige -Enden zischend über die ganze Welt hinsausen -- und hohnlachend sieht das -Riesenweib, wie die Menschen angstvoll zusammenfahren und bei jedem Schlage -noch verwirrter durcheinander rennen. - -»Die Wolke, die große Wolke!« ruft das Sonntagskind entsetzt, »siehst -Du, wie sie über die Welt hinfährt? Hörst Du sie zischen und brausen? -Das ist sie, die mich so erschreckt!« - -»Ja,« antwortet der neben ihm und richtet sich auf zu voller Höhe und -seine Augen blitzen. - -»Das ist die Wolke -- das ist die große Angst, die schwer auf der Welt -liegt, die Angst der Völker vor etwas Entsetzlichem, etwas Furchtbarem, -das über sie kommen wird, wie der Blitz durch die Wolken fährt. -- Wird -es sie vernichten? Wird es die Welt zerschmettern, zu nichts zertrümmern --- oder wird aus dem Chaos ein Neues entstehen, ein Herrliches, wie der -Vogel Phönix aus der Asche! Sie wissen's nicht und beben vor Furcht und -wagen kaum, tief Atem zu holen.« - -»Gibt es denn gar kein Mittel, um die Welt von dieser wahnsinnigen Angst -zu befreien, auf daß sie ihr kühn entgegenblicke und ihre ganzen Kräfte -anstrenge, dem Schrecklichen mit Vernunft entgegen zu arbeiten?« fragt das -Sonntagskind schüchtern. - -»Ach, liebes Sonntagskind,« lächelt der Geselle und schüttelt seine -Glöckchen, »das Mittel ist schon da und die Menschen kennen's auch, nur -haben sie es vergessen. -- -- All die große, schwere Angst der Völker -würde sich in nichts verflüchtigen, wenn sie nur ein klein wenig mehr an --- den kleinen Finger der Venus von Medici denken wollten.« - -»An den kleinen Finger der Venus von Medici?« fragt das Sonntagskind mit -großen, verwunderten Augen. - -»Komm,« sagt der närrische Geselle, und schweigend wandern sie durch die -Nacht tief in den Garten hinein. Da stehen sie vor einem dichten Gebüsch, -von lauter seltsamen Sträuchern gebildet; Pinien wiegen ihre schlanken -Wipfel und dunkler Lorbeer schmiegt seine Zweige ineinander. Aber des -Mondes Strahl dringt doch hindurch -- oder ist es das schöne Weib dort, -das den wundersamen Glanz ausstrahlt? Da steht sie in ihrer schimmernden, -weißen Nacktheit inmitten all dem Grünen -- zierlich treten ihre -schlanken Füße den Boden, die linke Hand deckt schamhaft den Schoß, -die rechte den schneeigen Busen, und der wunderbare kleine Finger dieser -rechten Hand spreizt sich ein wenig von den andern ab, zur Seite geneigt -hält sie das schöne Haupt -- lauscht sie? -- - -Betäubt von all ihrer Schönheit sinkt das Sonntagskind in die Knie. Der -Geselle aber tritt bescheiden hin vor das wonnevolle Weib, schleudert seine -Narrenkappe zur Seite und faltet bittend die Hände: - -»Hehre Göttin, süße Königin, Dein Knecht, dem Du stets Dich huldvoll -geneigt hast, dem Du so manchesmal aus der Not geholfen, in die ihn sein -Uebermut gestürzt hat -- Dein dankbarer Liebling naht sich Dir mit einer -demütigen Bitte: Gib diesem Menschenkinde, das zu uns in seinem Kummer -geflüchtet ist, einen Trost auf seinen Weg, den es der Welt verkünden -kann. Laß es die Macht Deines vornehmen kleinen Fingers ahnen -- zeig' -ihm, warum Du ihn so entzückend neckisch gespreizt hältst.« - -Da lächelt Venus: »Nun, wozu sollte er denn sonst wohl gut sein,« -sagt sie schelmisch, erhebt die rechte Hand, läßt sanft den kleinen -gespreizten Finger in die zierliche Ohrmuschel gleiten und schüttelt ihn -ein wenig -- dann lauscht sie lächelnd freudig in die Ferne. - -»Ich höre wieder die bebenden Laute der Liebe und des Erbarmens -- -himmlisch wohllautend dringen sie in mein Ohr!« - -»Sieh', kleines Sonntagskind,« sagt der ernsthafte Geselle, »wie die -Venus mit ihrem kleinen Finger die Spinnenweben der Lüge und Heuchelei -und Hartherzigkeit aus ihrem Ohr hinaus schüttelt, so sollten es auch die -Völker thun, dann würde die große, schwere Angst von ihnen weichen und -die bebenden Laute der Liebe und des Erbarmens auch an ihr Ohr dringen. - -»Pah,« lacht er dann, nimmt seine Schellenkappe auf und wirft sie in die -Luft, daß die silbernen Glöckchen klingeln, »armes Sonntagskind -- die -Welt wird Dich steinigen, wirst Du ihnen das verkünden. Lache über sie, -so wie ich, das ist das Einzige, was sie fürchtet.« - -Und mit immer länger werdenden Schritten, riesengroß anwachsend, ist er -im Mondenlicht verschwunden. - -Dem Sonntagskinde aber hat die Venus gelächelt -- tiefer Friede deckt -seine schweren Augenlider. - -Hell scheint die Sonne ihm ins Angesicht, es steht auf, schaut verwundert -um sich -- dann erhebt es seine rechte Hand und schüttelt mit dem kleinen -Finger ein wenig im Ohr -- es lauscht -- eine Lerche steigt jubelnd gen -Himmel -- und in ganz weiter, weiter Ferne hängt ein dunkles Wölkchen am -Horizont. - - - - -Der gefesselte Cupido. - - -Eines Tages saß Cupido -- ich meine nicht den patentierten, -konzessionierten Heiratsvermittler und Rechenmeister des neunzehnten -Jahrhunderts, sondern das liebe, mutwillige Bübchen, von dem Anacreon -erzählt und Goethe in seiner »Brautnacht« --, der saß eines Tages im -Olymp und langweilte sich. Er hatte zwar eben erst allerlei Schabernack -verübt, hatte sogar dem Vater Zeus einen Brand-Pfeil ins Herz gesandt, -so daß er nicht wußte, nach welcher hübschen Erdentochter er zuerst -schmachten sollte, hatte versucht, die lange Artemis anzuschießen, aber -vergebens, ebenso die Athene; und aus Rache dafür, daß sie ihm ihren -kolossalen Minervaschild vorhielt, zupfte er ihre Eulen, die sie just -fütterte, am Schwanz, so daß sie entrüstet »Huhu« sagten. Tante -Juno hatte ihm sehr energisch auf die Finger geklopft, als er den Nymphen -allerlei süße Dummheiten ins Ohr flüsterte und schließlich sogar den -Dienerinnen der Vesta nachstellte; da war er zu seiner holdseligen Mutter -Aphrodite geflüchtet, und sie breitete ihm sehnsüchtig die Arme entgegen, -und schwirr, da flog der Pfeil und stak ihr im Herzen. Der böse, liebe -Junge -- aber Aphrodite lächelte -- sie war's ja gewohnt! -- Nun saß -Cupido auf einer Wolke und bammelte mit den Beinchen und guckte zur Erde -hinab und langweilte sich. Da kam Hermes daher geflogen, der hatte irgend -einer Schönen im Auftrage des Vaters Zeus eine Düte Ambrosia gebracht -und dafür ein Stelldichein verabredet. Er mochte den Cupido gut leiden und -hockte sich ein wenig zum Ausruhen neben ihn. - -»Du -- weißt Du, was sie da unten mit Dir gemacht haben?« fragte er ihn. - -»Nee -- was denn?« - -»Erst 'mal haben sie Dich riesig elegant angezogen, im schwarzen Frack -und Cylinder, und sie sagen, Du hießest gar nicht Amor, sondern Puck; und -außerdem wäre es unanständig, wenn man nackt ginge. Und dann haben sie -Dir eine große Brille aufgesetzt, weil Du blind wärest, sagten sie und -haben Dir Deinen Köcher mit Goldstücken statt mit Pfeilen gefüllt, das -zöge besser, sagten sie, und haben Dir statt eines Bogens ein Tintenfaß -in die Hand gegeben und Dir eine Feder hinters Ohr gesteckt, damit Du -gleich die Ehekontrakte ausschreiben könntest, sagten sie, und wenn Du -doch 'mal ganz splitterfadennackt, ganz natürlich, ohne alle Zuthaten zu -ihnen kommen wolltest -- sie möchten Dich eigentlich ganz gern so, sagten -sie -- dann müßtest Du aber durchs Hinterthürchen schlüpfen, damit dich -ja auch keiner sähe, denn sonst genierten sie sich, sagten sie.« - -»Beim heiligen Kriegsungewitter!« fluchte Cupido -- »das ist ja eine -ganz urweltliche Bande!« - -»Hör' nur weiter -- es kommt noch besser. Da hat sich einer -- so'n ganz -vertrocknetes Kerlchen mit einer Brille auf der Nase, auf einen hohen -Stuhl gesetzt, und hat mit dem Finger -- weißt Du, mit so einem langen -knöcherigen -- auf den Tisch geklopft und hat gesagt: Es gäbe Dich -gar nicht, Du wärest eine Mythe, und die Liebe, das wäre eine -Nervenaufregung, die leicht in Irrsinn übergehen könnte, und deshalb -hätten die weisen Männer Gesetze gemacht, nach denen die Gefühle -geregelt würden.« - -Da sprang aber Cupido in die Höhe: - -»Heilige Mutter Aphrodite! Gesetze? Für mich? -- Na -- das möchte ich -mal sehen. -- Liebster, bester Hermes, geh' -- sattle mir schnell den -blanken Stern da, ich will hinunterreiten, das muß ich mir aus nächster -Nähe betrachten!« - -Und da saß er schon auf seinem glänzenden Stern und fuhr hinab, und auf -der Erde sagten sie: Da fällt eine Sternschnuppe. - -Es kam aber dem Cupido furchtbar kalt vor im neunzehnten Jahrhundert, -obwohl es im August war, wo die meisten Sternschnuppen fallen, und bei -Sonnenaufgang fror es ihn ganz erbärmlich, trotz des Umschlagetuches, das -ihm das alte Hökerweib geschenkt hatte. Die saß schon am ganz frühen -Morgen mit ihren Körben auf dem Markte, und wie sie den nackten, kleinen -Gesellen daherkommen sah, da wurde es ihr so weich und sehnsüchtig ums -Herz, sie meinte, es wäre Mitleid -- es war aber die Erinnerung: sie -sah sich wieder jung und hübsch, sie war beim Tanz unter der Linde, der -schönste Bursche schwang sie im Reigen -- heißa! -- hoch in die Luft, -daß die Röcke flogen, und dann küßte er sie. Und da machte sie die -Augen auf, und vor ihr stand wieder der drollige kleine Junge. Der nahm -das Höckerweib frischweg beim Kopf und gab ihr einen Kuß für das -Umschlagetüchelchen, das sie ihm gegen die Kälte geschenkt, und die Alte -faltete die Hände und träumte von ihrer Jugend. -- -- Den Cupido fror es -aber doch an den nackten Beinchen, und er dachte: »Ich will doch sehen, ob -ich nicht irgendwo hineinschlüpfen kann und mich wärmen.« - -Doch da kam er schön an. - -»Was willst Du hier?« fuhren sie ihn im ersten Hause an -- »Du bist so -unbequem -- mach', daß Du fortkommst!« Im zweiten öffneten ihm zwei alte -Jungfern die Thür, liefen kreischend davon und schrieen: - -»Hülfe -- ein Sansculotte -- er hat nichts an!« Und der dicke Mops saß -auf dem Sofa und bellte ihm nach. Im dritten Hause fragten sie höflich -verwundert: »Was wollen Sie hier? Wir sind ja verheiratet.« - -Im vierten hielten sie ihm einen Ehekontrakt unter die Nase, und im -fünften sprachen sie von Gesetzen und -- da wurde Cupido böse und sagte: - -»Wartet, ich will Euch! Ihr wollt mich hier verleugnen? Bei unserer lieben -Frau von Milo -- Ihr sollt es büßen!« Er schwang sich in die Lüfte, -spannte den Bogen, und -- huidi! -- da schwirrten die Pfeile! Er schoß -blindlings drauf los, ganz einerlei, ob nach Grundsatz oder Gesetz -- aber -sie trafen. Und nun gab es eine heillose Verwirrung unter den Menschen; sie -hatten geglaubt, den Liebesgott hinwegspotten und -klügeln zu können, -und da war er plötzlich mitten unter ihnen und sie duckten sich, bange, -wehklagend und nach Hülfe wimmernd. -- Da ist ein Mägdlein gekommen. Wie -Cupido das erblickte, verschwand der Zorn aus seinem Angesicht, lächelnd -sah er es an -- und wählte seinen allerschönsten Pfeil, mit dem er -schon einmal seine holde Mutter geritzt hatte. -- Es war aber ein trotzig -Mägdelein. Keck schauten die Augen in die Welt hinein und sein roter Mund -sagte: - - »Was frag' ich nach Liebe? - Mir liegt's nicht im Sinn! - Wohl hab' ich ein Herzel -- - Doch pocht es nicht drinn! - Und daß Ihr's nur wißt, und daß Ihr's nur wißt: - Es hat mich noch keiner, noch keiner geküßt! - - Zwar hab' ich ein Mündlein - Und seht nur -- wie rot! - Und ach -- wie kann's lachen -- - Das macht Euch viel Not! - Doch daß Ihr's nur wißt, doch daß Ihr's nur wißt: - Es hat mich noch keiner, noch keiner geküßt!« - -Horch! -- da schwirrt es und singt und klingt! Und sieh' -- da steckt der -Pfeil in der schönen, weißen Mädchenbrust -- - -Das trotzige Mägdelein hat mit der Hand ans Herze gegriffen, ist glührot -geworden, ist scheu davon geschlichen. Aus der Ferne tönt es: - - »Nun frag' ich nach Liebe -- - Nun trag' ich's im Sinn! - Nun fühl' ich mein Herze! -- - Es pocht so darin!« - -Und Cupido lauscht, biegt sich vor und lächelt, blinkt mit den -Schelmenaugen, hebt deutend das weiße Fingerchen, und spitzbübisch singt -er ihr nach: - - »Und daß Ihr's nur wißt, und daß Ihr's nur wißt: - Just hat sie der Liebste, der Liebste geküßt!« -- - - * * * * * - -Gerade da kam ein Mann des Weges gegangen, der war ein Sonntagskind, der -konnte schauen, was andern verborgen war -- der hat den kleinen, herzigen -Schlingel stehen sehen, wie er dem trotzigen Mägdelein nachgehöhnt hat. -»So sollst du ewig sein!« sagte er. - -Cupido aber ist ihm entgegengehüpft, denn der Mann war ein Künstler, und -die Künstler stehen auf gar vertrautem Fuße mit all dem lustigen, -alten Göttergesindel -- er ist geduldig mit ihm gegangen und hat sich in -marmorne Fesseln schlagen lassen. Und so steht er da in der ganzen Pracht -seiner Schönheit, ein wenig nach vorn geneigt, das süße Schelmengesicht -voll Sonnenschein, das Fingerchen erhoben und deutet auf euch, die er -euch eben mitten ins Herz getroffen hat -- und lachend klingt's von seinen -Schelmenlippen: - - »Und daß Ihr's nur wißt, und daß Ihr's nur wißt: - Nun wird die Liebste vom Liebsten geküßt!« - - - - -Psyche. - - - »~Ich saz ûf eime steine, - und dahte bein mit beine: - dar ûf sazt ich den ellenbogen: - ich hete in mîne hant gesmogen - daz kinne und ein mîn wange~,« - -sagt Walter von der Vogelweide. So sitze ich im Gips-Museum und träume vor -mich hin und lasse mir von Antinous verliebte Blicke zuwerfen. - -O, Du Abbild erster, toller, süßer Liebe! - -Erste Liebe -- wo man liebt, ich möchte sagen, um zu lieben, um sein eigen -Herz einmal pochen zu hören, um voll Seligkeit zu verzweifeln, und weinend -zu jubeln -- wo ein liebes Auge, eine schöne Gestalt, ein lustig-gutes -Lachen, einem vollauf Grund genug zum Lieben scheint. - -Später freilich, dann, meine ich, wenn die wahre, einzige, ewige Liebe -über einen kommt, wenn man mit vollem Verstande, mit ganzer Ueberlegung, -mit festem Willen liebt, dann -- ja, dann verlangt man freilich mehr, wie -Du, schöner Antinous, bieten kannst. - -Sieh', der letzte, warme Sonnenstrahl hängt aufleuchtend, zögernd an -seinem holden Antlitze. - -Er lächelt. -- -- - -Der Faun da hinter ihm guckt schelmisch um die Ecke: »Reizender Bengel! -Nicht wahr?« grinst er vergnügt, und die zwölf Apostel am Sarge des -heiligen Sebald schüttelten vorwurfsvoll ihre bärtigen Häupter. Warum, -o meine hochverehrten Herren, begaben Sie sich auch in diese -heidnisch-vergnügte Gesellschaft? Wird es Ihnen nicht ganz sonderbar zu -Mute? - -Es geht ein wunderlich Flüstern durch den Saal und ein Beben durch die -nackten, weißen Götter-Menschenleiber. Mir schwimmt es vor den Augen und -mein Herz klopft. Soll ich fliehen? Schnell zur Türe! - -Ah, die ist geschlossen! Sie haben mich vergessen in meiner Ecke hinter den -zwölf Aposteln, und ich bin allein im ganzen Haus -- allein, und doch -in der allerbesten Gesellschaft. Mir ahnt, jetzt wird sich etwas begeben, -etwas wunderlich Liebliches, himmlisch Schönes. Ein seltsames Leben -und Weben zittert in der ganzen Luft, und ich verstecke mich still und -neugierig und warte -- worauf? Ich weiß es selber nicht. - -Doch -- was ist das? Träume ich? Wache ich? Ein zitternder Laut, halb -Seufzer, halb Jubel. -- Woher kommt er? Aus den Herzen der toten Gestalten? --- Sieh' -- sie leben! Sie heben die Arme, sie bewegen sich -- das Blut -rinnt durch die Adern, sie atmen, und doch sind's keine Menschen. Denn -durchsichtig werden die Glieder von Gips, sie schimmern und glänzen, -geisterhaft, geheimnisvoll -- das ist Ewigkeit, die von den weißen Stirnen -leuchtet, und sieghaft strahlen die klaren Augen. -- Ach, und demütig -beuge ich mein Knie. - -Lautlose Stille. -- Da ertönt mächtig, wie Donnerrollen, gewaltig, wie -Schlachtenruf, eine Stimme, die schallt durch den ganzen Saal: »Ist es -fort, das elende Gesindel, das sich Menschen nennt, und sich so unendlich -viel dünkt, daß es sich herausnimmt, uns stundenlang anzustarren und -unsere Götterleiber zu kritisieren? -- Sind wir allein? -- Gebt Antwort!« - -Apollo ist's, von Belvedere, er tritt hervor in Herrlichkeit und Majestät, -und zu ihm gesellt sich Mars, der da mit aller Arroganz auftritt, deren nur -ein Kürassier-Lieutenant fähig ist, sei es auch ein olympischer; und er -gähnt herzhaft und schüttelt die prächtigen Glieder, und die Venus von -Milo sieht ihn holdselig an. Er aber fährt sich mit der Hand durch die -krausen Locken, die Erinnerung an selige Stunden überkommt ihn, und -schmunzelnd nickt er ihr herablassend liebevoll zu: - -»Venuschen, kleiner Schatz, bist Du immer noch in meiner Nähe? Geh', -frage doch einmal Deinen niedlichen Schlingel von Jungen, ob die Luft ganz -rein ist, ob wir uns endlich ein bischen gehen lassen können, nachdem wir -den ganzen Tag so ehrbar dagesessen haben! Der kleine neugierige Bengel -hockt natürlich da, wo es am meisten zu gucken gibt.« - -Und wunderbar! Die hochmütige, vornehme Dame von Milo nimmt diese etwas -familiäre Anrede gar nicht übel, ja, ein Lächeln spielt sogar um -den stolzen Mund, der so oft verächtlich auf die Besucher des Museums -herunterblicken kann. - -»Mamachen, Mamachen,« ruft eine piepsige Stimme, und der pauspackige, -kleine Gesell, das Kind Amor, springt von seiner Marmorsäule herunter, -stellt sich dicht vor mich hin und nickt mir zu. - -»Mamachen, hier sitzt noch eine in der Ecke; aber sie sagt nichts. Ein -ganz kleines Mädchen ist es, und sie macht große, verwunderte Augen, und -ihre Stirn leuchtet eben so weiß, wie Deine!« - -»Hinaus mit ihr! Hier werden keine Sterblichen geduldet! Wir wollen keine -Lauscher,« sagt die lange Diana von Versailles mit ihrer scharfen Stimme, -»hetzt die Hunde auf die Unberufene.« - -»Willst Du hier das große Wort führen?« lächelt unsere liebe Frau von -Milo etwas höhnisch, »alte Jungfern sind freilich flink mit der Zunge, -aber ich denke, wir, die wir unsere Aufgabe im Leben -- Lieben und -Geliebtwerden -- erfüllt haben, wir gelten mehr hier im Reich der -Freude!« - -Diana zuckt die schlanken Schultern und hüllt sich keusch in vornehmes -Schweigen. - -»Geh', Amorchen,« schmeichelt die tanzende Bacchantin -- war sie nicht -eben noch kopflos? Jetzt trägt sie ein lieblich-übermütiges Haupt auf -dem zierlichen Hälschen. -- - -»Frag' sie einmal: Hast Du Jemanden lieb? Recht von Herzen, recht freudig? -Und wenn sie ›Ja‹ sagt, dann laßt sie nur immer hier. Denkt wohl, ich -sei ein dummes, kleines Ding, aber Amorchen, Du weißt, ich verstehe mich -auf solche Sachen!« - -Und sie dreht sich im Tanz und schüttelt die anmutigen Glieder, daß der -musikalische Faun neben ihr schnell ein lustiges »Klingkling« hören -läßt. -- Da erhebt sich eine Stimme, sanft, wie Windessäuseln, stark, -wie Sturmeswehen und ernst, wie das Grab: Hermes spricht. Majestätisch -ragt sein wunderbares Haupt über die andern hinweg, und seine armen -zertrümmerten Glieder umgibt Würde und Hoheit. - -Götterbote! Glück und Freude, Schmerz und Tod trugst Du hin über alle -Welt! Ich möchte niederknieen vor Dir und Deine ewige Schönheit anbeten -und über Deine verstümmelten Glieder meine armseligen Thränen weinen! - -»Laßt sie gewähren, Ihr Götter,« sprichst Du, und Deine Augen sehen -mich an, milde, verheißend -- »denn ich kenne sie. An ihrer Wiege stand -ich und brachte ihr das Geschenk des himmlischen Vaters, beugte mich über -sie, hauchte es in ihre Stirn, legte die Hand ihr auf's Herz, und da zog es -ein -- und küßte ihren Mund, und da lernte sie lächeln und -- lieben.« -Leise nickt er, und ich möchte weinen. -- - -Horch! Das seltsame Geräusch! Rollend, rasselnd, im Takt sich wiederholend --- dazwischen ein melodisches Pfeifen, ein kunstvoller Schnörkel am -Ausgang des tiefen, rollenden Tones, behaglich einschläfernd klingt's in -seinem rhythmischen Taktfall, seiner ruhigen Gleichmäßigkeit. - -Alle stehen und lauschen -- -- - -Da balanciert der alte, bärtige Silen das Bacchuskindlein geschickt auf -dem einen Arm und deutet mit dem andern lächelnd über die Schulter auf -den Faun hinter ihm, welcher, trunken von Wein und Freude, seine kolossalen -Glieder im tiefen Schlafe dehnt. -- Die kleine Bacchantin bricht in ein -schallendes Gelächter aus: »Der Faun schnarcht! Denkt Euch, er schnarcht! -Zuviel des feurigen Griechenweines hast Du getrunken, Du liederlicher, -großer Gesell Du!« schilt sie und kitzelt ihm neckisch die Fußsohlen. -Der Faun murmelt unverständliche Worte und bewegt die mächtigen Glieder -und versucht den Arm zu erheben. Aber schwer sinkt die Hand auf den -Felsen zurück, auf dem er ruht, und bald tönt wieder sein musikalisches -Schnarchen mit dem lustigen Endschnörkel durch den Saal. -- - -»Heraus aus den Schluchten, aus Klüften und Thälern, kommt hervor -aus den Quellen, huscht flink aus den Bäumen, ihr Nymphen, Dryaden, ihr -schelmischen Mädchen, ihr lustiges Volk! Tanzt, lacht und singt, und -hüpfet und springt! Weckt den faulen Schläfer dort und bittet Bacchos, -den süßen Wein Euch zu reichen!« - -Eine klangvolle, frische Stimme schallt von der Thür her. Diana ist es, -aber nicht die lange Versaillerin: eine liebliche, mädchenhafte Diana, -mit kurzem Röckchen, noch nicht ganz fertig mit der Toilette -- und sie -klatscht in die schlanken Hände, und unsere liebe Frau von Milo lächelt -ihr holdselig zu. - -Nun wird es lebendig um mich her; allüberall aus den Winkeln und Ecken, -die Treppen hinauf, hinunter kommt's gehuscht, geflogen, gekichert. Nackte, -liebliche Mädchengestalten, üppige Weiber, bockshörnige Faune, tapfere -Krieger, die vor Troja gefochten, ernstblickende Römer -- alles wirbelt -lustig durcheinander und sie umtanzen den schlafenden Faun, sie kitzeln -ihm die Seiten und zausen ihm die Haare, sie halten ihm den würzigen -Griechenwein unter die Nase und lachen ihm ein lustig Lachen in die Ohren, -bis er die sehnigen Glieder reckt und streckt -- da steht er mitten unter -ihnen und dreht sich im wilden Reigen. Wie der Jubel sie alle begeistert, -wie die tolle Lust sie hinzieht in ihr Freudenreich! Sieh' den alten -Sokrates -- mühsam kriecht er aus der Verzierung des römischen Sarkophags -heraus, umgeben von den lieblichen Musen; Terpsichore tanzt Ballett, und -da stehen Seneca und Demosthenes und Pindar und Cäsar und viele alte -Kahlköpfe und sehen zu. Mit mächtigem Satz springt der borghesische -Fechter in die Tanzenden hinein, eine weichhäutige Nymphe hoch in die -Lüfte schwingend, die Ringkämpfer lassen ihren Zorn und stimmen in das -fröhliche Gelächter ein; die beiden schlanken Discus-Werfer schleudern -ihre Metallscheibe geschickt über die Köpfe der neun Musen hinweg, -daß die alten Herren entsetzt von ihnen zurückweichen, und mein -schwermütiger, holder Antinous küßt die schwellenden Lippen der -liebetrunkenen, kleinen Bacchantin. - -Majestätisch ernst sehen die drei Parzen vom Parthenon in das Getümmel -und Helios lächelt siegreich von seinem Sonnenwagen hernieder. Frau Venus -steht als Sonnenkönigin mitten unter den Jubelnden in aller Pracht und -lächelt ihrem Volke voll Huld. - -Und die Dichterin Sappho öffnet ihren liederreichen, holdseligen Mund und -flüstert schmachtend: - - »Die Du thronst auf Blumen, o Schaumgeborene, - Tochter Zeus, listsinnende, höre mich rufen!« - -Und da, ach, siehe da -- die kokett verhüllte Göttin der Schamhaftigkeit -sinkt sehnsuchtsvoll in die geöffneten Arme eines kräftigen, -schöngestalteten Fauns. -- Dacht' ich's doch! -- - -Ja, sogar die Tiere stimmen ein in die allgemeine Fröhlichkeit: die -Schlangen des Laokoon lassen ab von ihren Opfern -- des Vaters Stirn -blickt heiter nun, und die sanften Knaben fürchten sich nicht mehr -- -und unterhalten sich mit der Eidechse des schönen Appollo, des -Eidechsentöters, dessen Körper etwas von der Geschmeidigkeit der Lacerte -an sich hat -- und der Panter des Bacchos (der Riesenkater) lauscht -grimmig-herablassend dem Gespräch. - -Doch, was ist das? Fürwahr, eine seltsame Prozession: langsam ziehen sie -einher, im ehrbaren Reigen sich schwingend, gravitätisch-lüstern -die Blicke um sich werfend, und jeder am Arme ein sittsam Dämchen mit -unendlich vielen Kleidern -- zimperlich geschürzt mit geübter Rechten. - -Wahrhaftig, die zwölf Apostel sind's an der St. Sebalds-Kirche und irgend -welche heilige Damen, die hoch oben im Christenhimmel thronen, haben sie -sich zum Heidentanz engagiert. - -So ist's recht! Hebt die Füße, streckt die Arme, hierhin, dorthin, auf -und ab! - -Tanzt lustig den Reigen und dreht Euch im Kreise. -- - -Mitten im zierlichen Tanz stehen die heiligen Weiblein bewundernd vor dem -schönen, nackten Leib des Antinous, dem offenbarenden Mund des -heiligen Johannes entströmen Worte der Begeisterung über die Wunder -der Weibesschönheit, der heilige Paulus seufzt: »Hieße ich -doch noch Saulus!«, und der heilige Petrus rasselt mit den -Himmelsschlüssel-Castagnetten dazu. Und sie schwingen sich im Kreise, daß -die heiligen Gewänder fliegen, die heiligen Bärte wehen und der heilige -Schweiß von den heiligen Stirnen rieselt. -- - -Bim, bim -- bim, bim! Horch! Ein Glöcklein! Das Vesperglöcklein der -St. Sebalds-Kirche. - -Schlaff sinkt der heiligen Schar der Arm, es stockt der Fuß -- starren -Auges schauen sie zur Thür. Da steht eine hagere Mönchsgestalt in brauner -Kutte und winkt mit langem, dürrem Finger und bim, bim, -- bim, bim, -tönt's Glöcklein wieder. Stark wie Riesenarme ist die Macht der -Gewohnheit! Dahin stürzen sie, die lieben Heiligen alle, in atemloser Hast -sich überstürzend, überkugelnd. -- - -»Zur Vesper, zur Vesper!« - -Und der heilige Paulus-Saulus wendet sein bärtig Antlitz: - -»Ueber ein Weilchen werdet Ihr uns nicht mehr sehen, und über ein -Weilchen werdet Ihr uns wiedersehen, wenn -- wir die Vesper gesungen!« - -Ein lustig schallendes »Evoe!« antwortet ihm und -- bim, bim -- bim, bim -tönt's Glöcklein von der St. Sebalds-Kirche. -- -- - -Banges Stöhnen, sanftes Klagen, todesmüde Laute dringen an mein Ohr: - -»Tod, was eilest Du? Nimmer begehr' ich Dein!« dringt's über die -bleichen Lippen des sterbenden Sklaven Michel Angelos, und bang sinken -seine schönen Glieder ineinander. - -»Wohl brannte die heiße Sonne Italiens erbarmungslos auf mich nieder, -wohl sengte sie mir mein Hirn, meine Seele; wohl fühlte ich die scharfe -Peitsche auf meinen nackten Schultern, wohl schnitten mir rauhe Flüche -ins Herz -- aber ich lebte doch, und mit mir die Hoffnung! Bei den -mitleidsvollen Strahlen der Sonne dachte ich an kühle Eichenhaine, beim -Brausen des Sirocco an das Rauschen meines Nordlandmeeres, unter Blüten -und Früchten und ewig blauem Himmel an Eis und Schnee, an Sturm und Regen. -Und wenn die Peitsche des Vogts klatschend auf mich fiel, da -- in meinen -Gedanken -- kühlte lieb Mütterleins Hand ihr Brennen und meines süßen -Liebs Mund küßte mein Herz gesund. -- - -»Tod, zögere noch! Laß mir die Hoffnung, laß mir das Leben! Tod, warum -kommst Du!« -- - -»Stirb doch! Dann bist Du frei!« antwortet ihm eine rauhe Stimme, und -es rasselt wie von Ketten, dumpfes Stöhnen entringt sich der Brust seines -gefesselten Kameraden neben ihm. -- - -»Freiheit, Freiheit! Gib mir Freiheit! Sie haben mich an diesen Felsen -geschmiedet, meine Hände, meine Füße, meinen Leib -- und ohnmächtig -schüttle ich meine Ketten. Und weißt Du, warum sie mich fesselten? -Warum sie mich des höchsten Gutes, der Freiheit, beraubten? Weil sie mich -fürchteten, weil die Angst, die wahnwitzige Todesangst sie dazu trieb. -Weil sie wußten, ich würde den Brand des Aufruhrs in die Welt hinaus -schleudern, würde nicht eher rasten und ruhen, bis ich die alte Erde -vernichtet, zertrümmert, daß eine neue aus ihr entsteht -- gut, rein, -stolz, wie _sie_ sie _nicht_ schaffen können. -- - -»Und darum nehmen sie mir meine Freiheit und werfen mich in Ketten, -schmieden mich an und hohnlachen in mein Gesicht. -- - -»Du allmächtiges Wesen, das Du da oben über den Wolken thronen sollst, -wenn Du mich verstehen kannst, so höre meinen Ruf: - -»Gib mir Freiheit -- oder laß mich sterben! -- -- Keine Antwort -- -ohnmächtig oder grausam bist Du -- denn sieh', stark bin ich noch, und -mein Herz schlägt, mein Kopf denkt noch, rastlos, unermüdlich, und -- -hörst Du's? -- meine Ketten klirren höhnisch, immer weiter, immerzu! -- O -Tod, warum kommst Du nicht!« - --- -- -- -- Lustig Rufen übertönt seine grollende Stimme, -Beifallklatschen, Jauchzen, und dazwischen der Ruf: »Bacchos, Bacchos!« -Und hierher wälzt sich der fröhliche Strom jubelnder Götter und Menschen -und »Dich wollen wir, Bacchos, Gott der Freude, wo weilst Du so lange!« -Sie knieen vor der schönen Jünglingsgestalt mit der berauschend -lieblichen Traube neben ihm, und sie nehmen ihn in ihre starken Arme, -und Nymphen und Göttinnen umschmeicheln, umkosen ihn. Da lassen sie ihn -nieder, auf die Kniee des egyptischen Götzenbildes -- denn das ist leblos -und von Stein geblieben -- und neigen sich huldigend vor ihm. Doch er -erhebt den Arm und deutet mit der Götterhand auf die Marmorgebilde -neuester Zeit, in der Mitte des Saales: - -»Was wollen die unter uns?« fragte er mit zorniger Stimme, »schafft -sie fort -- sie stören mich!« Athene steht neben ihm, die blauäugige, -siegende Göttin; sie hört ihn, sie winkt ihrem Liebling, dem starken, -schnellfüßigen Achill, und der -- - -»Naus da, 'naus da aus dem Haus da! Fort mit dir, Gesindel!« - -Und jubelnd sehen alle, wie Zenobia in voller Kleiderpracht, eine falsche -Oenone, ein paar weichliche Marmorkinder, eine vollbusige, schamlose -Schönheit, zertrümmert die Steintreppe hinunterfliegen. -- Dann aber -neigt sich Achilles voll Anstand vor der Statue des Lincoln mit dem Sklaven -und spricht mit Höflichkeit: - -»Mein Herr, gern mögen Sie unter Heroen weilen, aber Sie werden -begreifen, daß Sie dann auch in voller Heroen-Uniform zu erscheinen haben, -und die möchte Ihnen vielleicht nicht gut stehen. Entschieden aber können -wir in unserm Reich der Schönheit das Untier von Häßlichkeit da zu ihren -Füßen unmöglich dulden.« Und Lincoln verbeugt sich verständnisvoll und -verläßt den Saal. - -Da wankt eine müde Gestalt die Treppe herauf -- einst der Stolz der -Götter, immer die Freude der Menschen -- und läßt sich schwer auf die -Stufen nieder; die starken Schultern beugen sich, der Leib zieht sich -schmerzlich zusammen, ein mächtiges Haupt sitzt plötzlich auf dem starren -Nacken des Herkules-Torso und senkt sich matt, todesmatt; und klagend, -grollend erfüllt eine Stimme den Saal: »Müde bin ich -- endlich! Müde, -der Welt zu dienen, müde, Undank zu ernten, müde, zu lieben, müde, zu -leben -- -- - -Einst lag die Welt schön und gut vor mir, einst hatte ich Lebensmut, -Lebenslust, einst habe ich gekämpft, gestritten, gerungen -- und nun? Nun -bin ich müde und möchte schlafen!« -- -- - -Die starken, trotzigen Glieder sinken zusammen, und das starke Haupt -stützt sich schwer auf den kraftvollen Arm. - -Es nahen sich zwei schlanke, schöne Jünglingsgestalten, eng aneinander -geschmiegt, die Arme verschlungen, und ein mildes Licht strahlt von ihnen -aus. Da legt der eine ernst und leise die Hand auf die müde Stirn des -Herkules -- - -»Schlaf',« sagte er sanft. - -Da senkt der andere still die brennende Fackel zur Erde, daß sie -erlischt -- - -»Ewig,« lächelt er. - -Und voller Ehrfurcht beugt das lustige Göttervolk das Knie und huldigt dem -Toten. -- - -Liebliches Klingen, Singen, Getöne -- ein wunderbar Leuchten, hell, sanft -und mild -- - -Da schwebt etwas die Treppe hernieder, zartduftig, schimmernd in weißer -Pracht -- himmlisch lieblich, lebensvoll schön -- Ach, ich sinke in die -Kniee und blicke zagend zu der göttlichen Gestalt der Medicäerin empor, -denn _sie_ ist es -- Sie kommt zu mir, sie tritt vor mich hin, und ein -wundersames Schauern durchbebt mir Kopf und Herz. Sie neigt ihr holdseliges -Antlitz zu mir, und sie küßt mich auf den Mund, es rinnt wie Feuer durch -meine Glieder. Neben ihr steht ein schöner Jüngling, dem strahlen viele -kostbare Gedanken von der weißen Stirn. Er sieht mich an, ernst und voll -kindlicher Weisheit, und spannt seinen Bogen und zielt gut -- denn der -Pfeil dringt mir mitten ins Herz hinein. Und dann -- bin ich es noch? Lebe -ich? Mir ist's so groß ums Herz -- Sieh', meine Hände! Durchsichtig klar -sind sie, und mein Körper schimmert, wie die der Marmorgestalten -- Ach, -meine Glieder zittern -- -- - -Da faßt Aphrodite mich an der Hand und führt mich den Uebrigen entgegen --- Und Hermes lächelt zu mir: »Psyche, bist Du erstanden?« - -Jubelnd begrüßen mich alle, alle -- und sie heben mich empor zu Nike, der -Göttin des Sieges, und ich schmiege mich an ihren schönen Körper, der -kein Haupt mehr auf ihren Schultern trägt. - -Du schwebst zwischen Himmel und Erde, o hehre Göttin! Thörichte Menschen -schlugen Dir Dein stolzes Haupt ab, engherzige, fromme, nicht denkende -Menschen. Sie sagten: Du dürftest Dein Haupt nicht erheben, mit Deiner -freudigen Stimme die Menschen nicht begeistern, auf daß sie stumpfsinnig -würden, wie jene selber. Ach, Du Göttin, Deine ganze Gestalt, Deine -verstümmelten Arme, Deine stolzen Füße, die leisesten Falten Deines -Gewandes -- Alles spricht Sieg! Sieg über die Finsternis, die Kleinheit, -über freche Gewalt, und fromme Erbärmlichkeit. - -Und sieh', in Deinen Armen hältst Du Psyche, die Seele, die Ewigkeit --- und weit hinaus ragt Ihr, über alles herrscht Ihr, über Götter und -Menschen!« -- -- - -Da, Licht! Es fällt durch die Fenster -- es wird Tag -- -- - -Tiefe Stille -- -- Und ich fahre mit eisiger Hand über meine heiße Stirn --- -- und da stehe ich -- ein armes, sterbliches Kind des nüchternen, -kühlen, praktischen neunzehnten Jahrhunderts. - - - - -Unser Frühling. - - -»Ich bin da -- siehst Du mich?« sagte die Ranunkel zur Sonne, »sieh', -ich glänze -- bin ebenso golden wie Du!« - -Und sie richtete sich in die Höhe, spreizte ihre eigelben -Blütenblättchen auseinander und sah unglaublich frech in die Welt hinein. - -Der Sonnenstrahl aber glitt über sie hinweg, über die Anemonen hin. - -»Ihr seid schöner als die gelbe Blume,« flüsterte er ihnen zu, und sie -erröteten wie junge, bleichsüchtige Mädchen und wurden sehr stolz. - -»Was wollt Ihr hier?« riefen sie den Veilchen entgegen, die frisch und -munter im grünen Röckchen und blauer Blouse anmarschiert kamen. - -»Ihr habt hier nichts zu suchen -- das ist unser Boden.« Aber das -kümmerte das Veilchen gar wenig. Ueberall, wo es Wurzeln fassen konnte, -zwischen Ranunkeln und Anemonen und Kuhblumen, zwischen Moos und Gras, -unter Blättern und Reisig, sogar zwischen den vornehmen, sonderbaren -Frühlingsblumen, die erst vorsichtig einen Blätterregenschirm aufspannen, -damit ihre kleinen weißen Blüten, die sie unten am Stengel tragen, nicht -naß werden -- überall öffnete das Veilchen seine Blauaugen und lächelte -sanft dem Frühling entgegen. - -»Seid Ihr ein exklusives Volk,« sagte der. Er saß mit gekreuzten Beinen -auf einem allmächtig großen Schneckenhaus und hatte eine Blütenkrone auf -dem Haupt und eine Weidengerte mit lustigen Kätzchen daran in der Hand; -er spielte mit einem überjährigen Schneeballen, der irgendwo in einem -Waldwinkel, von der Sonne vergessen, liegen geblieben war, und der schmolz -jetzt und träufelte der Schnecke, die aus ihrem Fenster guckte und -schrecklich große Augen machte, gerade auf die Nase, daß sie entrüstet -ihre Fühlhörner einzog und das Fenster zumachte. Die Schmetterlinge, die -den Frühlingsknaben umgaukelten und wie Blumen aussahen, die von ihren -Stengeln geflogen und auf die Wanderschaft gegangen waren -- gerade wie -unsere sehnsüchtigen Gedanken mitunter -- machten vor Vergnügen die -lustigsten Capriolen in der Luft und schlugen übermütig-hastig mit den -kleinen, bunten Sammetflügeln. »Ihr seid ein exklusives Volk hier im -Walde,« sagte der Frühling, »jede Sippe hockt auf ihrem Fleckchen Erde -für sich und macht scheele Gesichter, kommt ihm ein anderes zu nahe. Und -erst die Bäume -- hier die Eichen, dort die Tannen, drüben die Birken --- die Weiden sind in die Wiese geflüchtet, damit sie's Reich für sich -allein haben, und die Obstbäume wollen erst recht nichts von den andern -wissen. Freilich -- seid auch auf verschiedenem Erdreich groß geworden. --- 'S wär' auch langweilig in der Welt, wär' alles über einen Kamm -geschoren! Und doch -- _Eine_ strahlende Sonne scheint über Euch alle, und -_ein_ gütiger Regen erquickt Euch!« -- Und der Frühling erhob sich -vom Schneckenhaus und schlenderte davon. Gern hätte er die Hände in die -Hosentaschen gesteckt, aber das ging nicht, denn -- er war ganz nackt und -bloß wie die Natur selber, und der Sonnenstrahl strich gleitend vor ihm -her und leuchtete ihm. Pfeifend und singend mit heller Stimme zog der -Frühling durch den Wald; unter seinen Tritten sprossen die Blumen und -sein Lachen -- das war der Frühlingswind, der warme Südwind, der belebend -über die Erde fuhr. Die Vöglein kamen und antworteten mit sehnsüchtigen -Lauten. -- Ueber den Wald hin schallt der starke Weckruf der Blauvögel. -Sieh' -- da blitzt es feuerrot auf -- das ist ein lieblicher Sänger! Und -horch! Hier die rostbraune Drossel -- Hörst Du, was sie sagt? »Tüterlü! -Der Frühling kommt! Siehst Du ihn -- Du, Du, Du, Du!« -- Und: »Komm' zu -mir, komm' zu mir! Zerr -- zeck, zeck, zeck, zeck!« bläst der Zaunkönig -sein Kehlchen auf -- wupp! schlüpft er durch die Hecke, und dahin geht's, -im Lauf, geschwind wie ein Mäuschen. -- Siehst Du den Specht? Weiße -Hosen, schwarzes Röcklein und auf dem Kopf ein tiefrot Käpplein über dem -schlauen, spitzen Näschen -- ist doch gar ein putzig Weschen! Sieh', -wie klug die schwarzen Augen funkeln, sieh' -- wie er mit dem Frühling -Verstecken spielt! Bald an dieser, bald an jener Seite des Stammes -schimmert sein rotes Köpfchen und wirft ihm der Frühling eine Hand voll -Blätter ins Gesicht, die sich schnell an die Zweige anklammern -- hei! Da -sitzt er schon ganz hoch oben im Baum und lugt schelmisch um die Ecke: - - »Pick, -- pick, -- pick, -- pick -- hier find' ich mein Mücklein! - Pick, -- pick, -- pick, -- pick -- hier schlag' ich mein Brücklein, - Von Baum zu Baum über Busch und Strauch -- - Ei, Frühling -- geschwinde! Nun folge Du auch.« - -»Hahaha,« lacht die Spottdrossel wie toll und gleich darauf klingen -langgezogene, friedliche Sehnsuchtslaute aus ihrer Nachtigallenkehle, -daß alle Vögel inne halten und dem Frühling die Thränen aus den Augen -rinnen. - -Wo hört' ich jüngst solch ein Spottdrossellied? -- Weich und schwül --- hohnlachend -- -- war's nicht in meinem Herzen? Ist's nicht das -Menschenherz selber -- in all seinem Leid, all seiner Sehnsucht, all seinem -Haß? -- - -»Sputet Euch,« sagt der Frühling zu den Eichen und schlägt sie -schmeichelnd mit seiner Weidengerte, »Ihr knorrigen Gesellen! Seid zwar -auch _so_ schön mit Euren kuriosen Knorpeln und verdrehten Aesten -- -gerade so knorpelig und verzwickt, wie ein Menschenhirn -- aber wenn Ihr -die zackigen Blätter von Euch spreizt, habe ich Euch noch lieber!« - -Und da sproßten die roten Keime und Blättchen, und nun hatten sie ein -noch wunderlicheres Ansehen, gerade wie ein Schalksnarr, dem die Liebe aus -den Augen guckt. -- - -»Ich,« sagt die Ulme, »ich bin vorgeschritten in der Kultur -- seht, -mein krauses, grünes Gewand ist schon fix und fertig.« -- - -Und der Frühling geht weiter: - -»Sieh', sieh', wie schön steht das maigrüne Kleidchen zu Deiner weißen -Haut, kleine Birke, -- bist fast die Schönste von allen! Alte Tanne« --- er streicht über der Tanne stattliche Haare -- »mußt immer dasselbe -dunkle Kleid tragen jahraus, jahrein -- bist wohl gar neidisch?« - -Aber die Tanne ist unartig, sie streckt dem Frühling und seiner Birke eine -lange, hellgrüne Zunge aus den dunkeln Nadeln heraus und antwortet noch -nicht einmal vor Trotz. - -»Böses, altes Ding Du,« schilt der Frühling, und um sie zu ärgern, -gibt er den Lärchen lauter kleine hellgrüne Federbüsche, kleinen Pinseln -gleich, die tragen sie stolz, wie ein angehender Maler seine Farbenpinsel -in der Brusttasche. -- Horch! Was regt sich hinter dem Tannendickicht? Ein -hübsches, verstecktes Plätzchen -- Taubengegirr, Vogelgesang -- ist's -Windessäuseln, rauschen die Zweige, geheimnis-ahnungsvoll! Leise schleicht -sich der Frühling heran, er verbirgt sich hinter einem Baumstamm -- er -lauscht -- er sieht -- -- - -Menschenkinder sind's, zwei junge, lachende, kosende Menschenkinder, den -ewigen Frühling, die Liebe, im Herzen, in den Augen. -- Sie ruht im -Gras, den Kopf gegen eine Tanne gelehnt, er zu ihren Füßen, den -braunen Lockenkopf in ihrem Schoß -- leises Lachen, halblautes Singen, -abgebrochene, unverständliche Laute -- halbgeflüsterte, halbgeküßte -Liebesworte. -- Glückliche, selige Menschenkinder -- was wißt Ihr -vom brennenden Sommer, vom welkenden Herbst, vom eisigen Winter? -- -Der Frühling streichelt Euch Stirn und Wangen. -- Blondes Mädchen, Du -streichst Dir die Löckchen aus der Stirn und schiltst über den Wind -- -oder den Geliebten, der Dir die Haare zerzaust hat -- und der Sonnenstrahl -küßt Euch und dringt Euch bis ins junge Herz hinein! -- - -Auf leisen, flüchtigen Sohlen eilt der Frühling von dannen: - -»Jetzt muß ich aber auch die Obstbäume anlächeln,« sagt er im raschen -Lauf, »daß sie treiben und blühen und Früchte tragen.« Aber die -waren voreilig gewesen, wie gewöhnlich, hatten nicht auf das Lächeln -des Frühlings gewartet, hatten sogar vergessen, sich erst die Blätter -anzuziehen. -- Da stehen sie in ihren schlohweißen Hemdchen und lächeln -verschämt, ach, und Apfelbäume und Pfirsiche werden ganz rot, als sie den -Frühling kommen sehen, und nur die Birne ruft triumphierend: »Ein paar -grüne Blättchen habe ich schon -- aber Du, Frühling, bist ja ganz -nackt!« Hei, wie sie sich alle schütteln vor Lachen, daß ihr -weicher, duftender Blütenschnee über die grüne Erde hinweht. -- Ganz -überschüttet wird der Frühling; in seinen Locken hängt die duftige -Ueberfülle, um Stirn und Wangen schmeicheln die süßen Boten -- da wird -es ihm ganz weh ums Herz vor Wonne und Jubel, sehnsüchtig breitet er seine -Arme der Geliebten entgegen, der leuchtenden Sonne -- und da wird er zum -Manne -- er vermählt sich mit der Sonnenglut -- und siehe, es war Sommer! - - - - -Frostiger Frühling. - - -Um unsere Blüten sind wir betrogen! -- Im März, als der warme -Sonnenstrahl die erwachende Erde überglänzte, da lag ein rötender Hauch -über den Obstbäumen, licht wie ein rosenfarbenes Wölkchen am Frühhimmel --- heute haben die Birnbäume und die knorrigen Apfelbäume ein festes -grünes Mieder angezogen, aus dem sie stramm und vernünftig herausschauen, -und das Mädchenerröten haben sie längst vergessen. - -Um unsere Blüten sind wir betrogen! -- Hat der Frost sie getötet, -der lauernd über die Erde schlich? Hat unsere schönen Hoffnungen der -Sturmwind verweht? Ist der Regen gekommen auf seinen grauen Rossen, den -Wolken, und hat sie mit seinem gleichförmigen Gedrissel -- patsch! -patsch! Tropfen auf Tropfen, wie die tägliche Langeweile, -- verwaschen, -verknittert, zerblättert? -- - -Nackt stehen die Magnolienbäume im botanischen Garten. Sie, die sonst im -Mai zum Frühlingsreigen in prächtigen Balltoiletten der verwunschenen -Prinzen harrten; sie, die sonst von der Ueberfülle ihrer Schönheit den -neckischen Winden preisgaben, daß die Blütenblätter und ihr Duft die -Luft erfüllte. Heute stehen sie kahl und düster und traurig da, kein -lächelnder Prinz wird um die südliche Schöne werben und der Frühling -hat die Prächtige, Ueppige, Duftende vergessen. -- Da gleitet ein -Sonnenstrahl über die schwarzen, vom Frost geknickten Spitzen der -Magnolien. Es ist, als lächle er. In seinem Flimmer tanzt ein gelber -kleiner Schmetterling, er taucht sich in die vergessene weiße Blüte eines -jungen Birnbaums, der schon winzige Früchte am andern Zweige trägt. Und -da lispeln sie alle heimliche Worte -- horch! - - Zur Blüte sprach der Schmetterling: »Was nützt mir's, daß ich - strahle? - Wenn meinen Schmelz ein Fingerdruck wegwischt mit einemmale?« - Da lachte der Sonnenschein. - - Es sprach die Blüte zum jungen Blatt: »Was nützt mir's, daß ich - blühe? - Wenn ich nach einer Regennacht verblätt're in der Frühe?« - Da lachte der Sonnenschein. - - Es sprach die Frucht zum grünen Baum: »Was nützt mir all mein Süßen? - In meinem Herzen nagt ein Wurm: tot fall' ich Dir zu Füßen.« - Da lachte der Sonnenschein. - - Ich rief wohl in die weite Welt: »Was nützt mir all das Klingen? - Die rauhe Hand, die Nacht, der Wurm -- Ein Sterbelied muß ich singen!« - Da lachte der Sonnenschein. - -Ich folge dem lachenden Sonnenstrahl. Er huscht über die Stiefmütterchen -am Wege, die ihm ihre großen bunten Augen zuwenden, über rote -dickköpfige Tulpen, die sich blähen vor lauter Vornehmheit; er klopft an -die Fenster des Treibhauses: ich bin da, ich bin da! -- Aber was kümmert -das nervöse Volk da drinnen in ihrem überheizten Haus der warme -Sonnenschein? -- Halt! du lockender Strahl! laß mich erst einmal -hineinschauen in die Blumen-Menagerie. Sehnsüchtig sehen die armen -Eingesperrten durch die Glasfenster, und schauern zusammen, wenn die kühle -Frühlingsluft durch die offene Thür sie trifft. Sie fühlen sich wohl in -der heißen, feuchten Luft künstlicher Bildung; einmal ihres heimatlichen -Bodens beraubt, gedeihen sie prächtig in der erstickenden Atmosphäre der -Ueberfeinerung -- oh, und diese höchste Kultur zeitigt bizarre Charaktere: -da die Kaktus mit ihren Stacheln über und über, an denen ein rauhes -Gewebe klebt wie graues Haar; dem bekannten Meergreis gleich, der »in -die Wüste ging und ein Wüstling ward«, frühzeitig gealtert wie unsere -nervös überfütterten Dandys ~fin de siècle~. Protzige Agaven mit -dicken, fleischigen, ausstreckenden Zeigefingern. Cochenille-Kaktus, -unansehnliche, häßliche Dinger, nur dazu gut, daß andere sich von ihnen -nähren -- die kleine, rote Blattlaus, die aus diesem Häßlichen das -Schöne bildet: das leuchtende Cochenille-Rot. Hier die Palmen, groß, -still, erhaben, die Löwen der Blumen-Menagerie. -- Die vielarmigen -Dracänen, die üppig wuchernden Schlinggewächse, die seltsamen stillen -Blumen mit Blättern und Blüten wie aus Wachs geformt, -- gleitet nicht -Scheherezade durch diese schwüle Luft und erzählt Märchen aus Tausend -und einer Nacht unter lispelnden Palmen und großen duftlosen Blumen? -- -Aber dort unter dem First des Glasdaches, dem Licht zustrebend -- dort -liegt es wie glänzend weißer Schnee, besäet mit funkelndem roten -Blutstropfen. »Weiß wie Schnee, rot wie Blut!« Schneewittchen aus -unserem lieben deutschen Märchen nickt hervor aus diesem lieblichen -Blumenmeer und lächelt uns an. Eine Schlingpflanze ist es mit -schwarzgrünen Blättern; sie rankt sich hoch und immer höher dem Himmel -entgegen, der blau durch die Fenster ihres Gefängnisses schimmert und -tausend weiße, stille Blumenherzen wenden sich ihrem Gott, dem Lichte, -zu, und rot und glühend entströmt ihnen ihr Gebet. -- Da öffnet sich die -Thür, der Sonnenstrahl huscht hinein und küßt die roten Blumenlippen, -und winkt mir: Komm, komm! Ich zeig' Dir viel Schönes, wenn auch die -Blüten Dir genommen sind. -- - -Draußen im botanischen Garten glänzen die feingeharkten Kieswege. -Zwischen wohlgepflegten Blumenbeeten wandeln wohlgepflegte Städterinnen. -Die ordentlichen Blumen auf den ordentlichen Beeten blühen noch nicht; die -ordentlichen Städterinnen haben schon geblüht. Deshalb strömen sie einen -künstlichen, starken Parfüm aus, der schlecht harmoniert mit der süßen, -berauschenden Frühlingsluft. - -»Vorüber, ihr Schafe, vorüber!« singt Goethes Schäfer, als ihm -»gar so weh« wird -- und wir huschen dem Sonnenstrahl nach, aus dem -ordentlichen Garten hinaus, hinter die hohe Mauer, wo die Wildnis anfängt. -Hier ist auch eine Menagerie, die der Bäume. Aber die Wildlinge aus Nord -und Süd haben in dem fremden Boden Wurzel gefaßt, ihn sich angeeignet, -und so gedeihen sie und wachsen und wachsen, als habe die neue Heimat ihnen -die alte ersetzt. -- Was es nicht alles zu sehen gibt unter den fremden -Bäumen: dort, wohin die Tannen nicht mehr gelangen können mit ihren -langen Armen, kriecht kleines, grünes Moos dicht an das Nadelbett heran, -das die Tanne, wie Frau Holle den Schnee, um sich ausgeschüttet; es -blüht, das Moos, mit lauter gelbgrünen Zäckchen, und zwischen den feinen -krausen Spitzen kriechen winzige Insekten, denen der Mooswald wohl so -gewaltig dünkt, wie uns jene blühende Kiefer. O wie blüht die Kiefer! -Ueberall, überall auf den starken Aesten, in den Stacheln verborgen, da -blüht es wie rotes Gold; sieben kleine Goldkätzchen in einem Nest -- und -rührst Du daran mit vorwitzigem Finger, dann rieselt ein feiner, gelber -Blütenstaub in Deine geöffnete Hand. Weich wie ein zartes Kinderbäckchen -berührt dich's, und ein würziger Duft erzählt dir von unendlichen -Kieferwäldern, in denen der Wind singt. - -»Bilde Dir nur nichts ein,« sagt die Nachbarin der Kiefer, die deutsche -Edeltanne, und sie reckt sich kerzengrade, so daß sie noch einen Finger -breit über jene hinweg schaut -- »Du mit Deinem Blühen! Sieh' mich -an: meine Orden, huldvollst verliehen von Sr. rauschenden Majestät dem -Frühling.« -- Und sie klappt ihre Zweige zusammen, daß ein feines -Nadelgeriesel zur Erde fällt. Ueber und über ist sie besäet mit -hellgrünen Knöpfchen, frischen Nadelspitzen, die vergnügt aus dem Dunkel -ihrer Wintertracht hervorblitzen. - -Zwischen den Bäumen, aus Gras und Moos erheben sich dunkle Blumenbeete. -Seltsame Blumen stehen darauf: aus dunklen Blättern hängt an -einem dünnen Stiel eine kleine, gelbe Tasche; -- ich bin immer die -vierundzwanzigste mit fünfundzwanzig Fehlern in der Botanik gewesen, und -nun möchte ich wissen, ob diese niedliche, kleine, gelbe Tasche nicht eine -Art von Venus-Fliegenfalle ist? Kriecht ein dummes Mückchen am Rand der -schönen Blüte hin und bleibt daran kleben: sacht schließt die schöne -Blüte ihre Tasche, und Mückchen ist gefangen und muß elend zu Grunde -gehen. Denn so eine Venus-Fliegenfalle gibt ihre Beute nicht wieder los; -ob's Mückchen auch zappelt -- es wird festgehalten bis an sein unseliges -Ende. -- - -Wenn nach einem deutschen Städtchen aus der nächsten Garnison die -Militärkapelle kommt und ein Biergartenkonzert abhält, dann sitzen die -unnützen Buben hinter der grünen Hecke des Gartens und gucken hindurch -und haben die prächtige Musik mit allem Tschingdara-Bumbum und die Herren- -und Damen-Honoratioren, die weißröckigen Mädchen, und all den Kaffee -und das Bier -- nämlich indem sie sehen, wie es getrunken wird -- ganz -umsonst. Sie nennen das: ein Heckenbillet nehmen. Ich habe auch ein -Heckenbillet genommen: ich sitze hinter der großen Mauer, an der sich -rotblühendes Gaisblatt rankt, und kein Mensch im gebildeten Garten weiß, -daß ich da bin, und ich höre das süße Vogelkonzert, ich sehe die -ernsthaften, andächtigen Bäume und das kindlich lustige Gras, in dem die -blauäugigen Veilchen grüßen, ich trinke die wonnige Frühlingsluft -- -alles umsonst. -- - -Vor mir an der Mauer hinauf, einer Weinranke entlang, läuft ein winzig -klein Vögelein, geschwind wie ein Mäuschen. Pick -- pick! hier wetzt es -sein Schnäbelein; husch -- husch! dort jagt es dem Käferchen nach -- und -es sieht mich an mit den klugen Augen, als rief' es: Guck, mach' mir das -nach! Da ist es oben, reckt die kleinen Flügel und mit einem jubelnden -Gekicher ist es davon. -- Horch! über mir: da lacht und küßt und tollt -ein braunes Drosselpaar. Kokett wiegt sich das Weibchen auf dem schwanken -Ast; der Liebste lugt um den Stamm und zwitschert zärtlich: Kind, sühst -meck nich? -- sühst Du meck nich? -- Hier bün eck! hier bün eck! lacht -das Weibchen, und fort sind sie, in das Dickicht hinein. - -Da kommt wieder mein Sonnenstrahl und lockt mich aus meiner Ruhe und -gleitet vor mir her -- und ist verschwunden. Wo bin ich? Was wölbt sich -über mir -- weit, groß, allmächtig. Ich schaue hinaus, und schaue: immer -höher, immer gewaltiger weitet sich der grüne Dom von Blättern. Die -Zweige der beiden norwegischen Baumriesen neigen sich gegen einander, sie -werden zu gothischen Spitzbögen, anstrebend in die Unendlichkeit. -Sanftes Dämmerlicht liegt in meiner Kirche. Durch das grüne, schimmernde -Blätterdach schaut der Himmel wie blaue, freundliche Sterne. Ein -lieblicher Weihrauch umweht mich. Es ist der Duft der kleinen weißen -Blüten des wilden Apfelbaumes, der meine Kirche mit wonniger Süße -erfüllt. Ich stehe und schaue. Ich breite die Arme aus nach der grünen -Unendlichkeit da droben, und es ist still, still, um mich, in mir. -- - -Als ich hinaustrete aus den dämmernden Bögen meines Domes, liegt die Welt -hell zu meinen Füßen. Ihr Duft umhüllt mich. Ihr Licht gleitet warm in -mein Herz. Es ist Frühling. - - In den Lüften singt es und klingt es -- und -- - - * * * * * - - Ich flüstere in die weite Welt: »Wohl süß ist es zu singen, - Wenn Vogelschlag und Frühlingsduft weich dir ins Herze klingen« -- - Da lachte der Sonnenschein. - - - - -Das Märchen, das gar nicht kommen wollte. - - -Es war einmal ein Märchen, das hatte sich eingepuppt wie eine -Schmetterlingsraupe und sich versteckt in dem Astloch einer alten Eiche im -Walde; nur zuweilen öffnete es die Augen ein wenig und blinzelte um sich, -und wenn es sah, daß die Welt immer noch grau und kahl und ungemütlich -war, dann machte es die Augen zu und schlief wieder ein. -- Während dessen -liefen die Menschen in dieser kalten Welt herum und jammerten nach dem -Märchen, das gar nicht kommen wollte. Das heißt, eigentlich waren es nur -ein kleiner Junge und ein kleines Mädchen, die überall nach dem Märchen -fragten. Sie hatten dicht bei einander auf dem Fußschemel gesessen und -zugehört, was die alte Märchenmuhme erzählte. Die großen Leute hatten -keine Zeit dazu, die hatten so viel zu sorgen und zu wirtschaften und zu -studieren, daß sie sich um ein Märchen nicht weiter bekümmern konnten; -außerdem sagten sie, so ein Märchen, das sei nur für Kinder und solche, -die es immer bleiben; dabei käme gar nichts heraus, und man sollte nur -einmal die gelehrten Leute fragen, die den täglichen Bildungsbedarf fürs -Volk liefern -- das viele Zeitungspapier -- die werden Euch schon sagen, -was man von dem Märchen zu halten hat. - -Da sagte der kleine Junge zu dem kleinen Mädchen: - -»Komm', wir wollen hingehen und sie fragen!« - -Als sie bis an eine große düstere Thür gekommen waren, -- da wären sie -am liebsten wieder umgekehrt; aber der kleine Junge war sehr mutig, und so -gingen sie hinein. Da saß der Gelehrte und las aus einem gewaltig großen -Stück Papier. -- - -»Sieh' 'mal, der hat vier Augen,« sagte das kleine Mädchen -- und dann -guckte er mit ein paar allmächtigen schwarzen Augen über die gläsernen -hinweg, die ihm unten auf der großen Nase saßen, und das kleine Mädchen -steckte schnell den Finger in den Mund und der kleine Junge ballte die -Faust, während der Gelehrte brummte (Gelehrte brummen meistens): - -»Sie haben zu viel Phantasie, meine Lieben, das hindert Sie durchaus -am logischen Denken und schwächt den Verstand. Doch, es wird sich schon -geben, darüber seien Sie nur unbesorgt.« - -Da gingen die Kinder nach dem andern Gelehrten, der war sehr freundlich, -tätschelte ihre blonden Köpfe und sagte: sie sollten nur wieder hingehen --- das sei Alles in schönster Ordnung. -- Dann nahm er des ersten Zeitung -und schnitt da ein Stück heraus, aber so, daß der Anfang fehlte und man -nicht wußte, um was es sich eigentlich handelte, und druckte es in seine -eigene Litteratursammlung hinein, und dann stand da zu lesen: Dieses -ist für die Kinder durchaus schädlich. Es verleitet sie zum Lügen -und könnte Veranlassung geben, daß sie sogar Phantasie bekämen. -- In -unserem heutigen realistischen Zeitalter ist es nicht angebracht, und -der Konflikt zwischen Konservativismus und Modernität wird immer wieder -aufgefrischt. -- - -Aber davon verstanden der kleine Junge und das kleine Mädchen gar nichts; -ganz traurig gingen sie wieder fort und suchten immer noch nach dem -Märchen, das gar nicht kommen wollte. Sie hauchten ein Guckloch in die -Eisblumen am Fenster, ob es vielleicht außen davor säße; wie der Schnee -mit geheimnisvollem Sausen vom Dache rutschte, öffneten sie das Fenster -und dachten, nun käme es ganz weiß hereingeflogen, und wie die Sonne -anfing zu scheinen, liefen sie hinter den Sonnenstrahlen her, um sie zu -haschen, denn sie meinten, das sei es nun; und dann schlichen sie auf den -Zehenspitzen ans Fenster, wo die großen, weißen Hyacinthen standen -und dufteten, und guckten zu, ob es vielleicht in einer der stillen -Blütenglocken zur Ruhe gegangen sei. - -Aber das Märchen wollte und wollte nicht kommen. Und unterdessen war es in -der Welt immer noch kalt und grau und trostlos. Die Menschen hasteten und -jagten und trieben einander und machten lauter dummes Zeug. Es war eine -häßliche Welt und häßliche Menschen darin, die sich viel Leides thaten, -und die beiden Kinder dachten oft, ob denn das Märchen noch immer nicht -kommen wollte und Ordnung schaffen und die Welt wieder gut und schön -machen. - -Da kam eines Tages der Südwind daher gefahren. Er stieg von den Bergen -hernieder, daß die Lawinen donnernd vor ihm niederkrachten; er jagte das -Eis auf den Flüssen vor sich her, daß es sich bog und knackte und schrie; -er pfiff durch die Tannenwälder, daß die Nadeln den alten Fichten um die -Ohren sausten, und knickte die dürren Aeste der Wälder, daß Platz wurde -für die jungen, neuen Triebe. Die Wolken trieb er vor sich her -- runde, -regenschwere Wolken, in wilder Jagd; sie drängten und schoben sich und -sprangen einander auf den Rücken, wie die Buben, wenn sie Haschen spielen. -Dann stob er in die Stadt mit wildem Jauchzen und Getöse; er blies in die -Kamine hinein, wie in ein Sprachrohr, und trieb Schabernack mit des Petrus -goldnem Hahn auf der Kirchturmspitze; er deckte die Dächer ab und guckte -den Leuten in die Häuser und blies sie an, daß es den dummen Menschen -angst und bange wurde. Ja, er fuhr sogar dem König um die Nase, als der -just vor seinem Königreiche stand und, die Hände in den Hosentaschen, -darüber nachdachte, wie sein Volk ihn wohl wieder einmal beglücken -könne; und er warf ihm sein Reichsaushängeschild gerade vor der Nase -herunter, so daß der König sich entrüstet umdrehte und in sein Reich -hineinging und die Thür zuwarf, daß es krachte. - -Aber der Wind lachte nur: »Puh! wenn ich nur wollte, dann brauste ich Dich -mit samt Deinem Königreich von der Erde hinweg, wie einen Strohhalm -- -aber ich will nicht! -- Bist mir viel zu klein, du Königlein!« -- - -Und dann warf er ein paar ehrsamen Bürgern, die des Weges kamen, die -blanken Cylinder von den gedankenschweren Häuptern, als wolle er sehen, -was in den Köpfen stecke; und wehte ein paar schlanken Jungfräulein die -langen Kleider eng um die schönen Glieder und freute sich darüber, -der wilde Geselle, wie die kleinen Frauenfüße so tapfer gegen ihn -ankämpften. - -Mit lustigem Gekicher fuhr er zu den Wolken auf und spielte Fangball mit -ihnen; die Wolken fangen an zu weinen und dann fällt ein weicher, warmer, -feiner Frühlingsregen auf die Erde nieder, eine zarte, graue Nebeldecke -breitet sich über die Welt aus, und unter dieser dampfenden feuchtwarmen -Decke da geht der Sturmwind zur Ruhe. - -Dort im Wald, in dem Astloch der großen Eiche regt sich etwas, das ist -das Märchen; das ist aufgewacht von des Südwinds wildem Gesang und merkt, -daß es nun Zeit ist, aufzustehen. Es gähnt noch einmal recht herzhaft und -reckt und plustert sich wie ein Vögelein im Nest; dann schiebt es erst -das eine rosige Füßchen heraus und dann das andere, dann gähnt es noch -einmal, und nun breitet es seine sammetenen Schmetterlingsflügel aus und -fliegt zur Erde nieder. Da leuchtet mit einemmal eine große, glänzende -Sonne durch den Nebel, und nun kann man erst sehen, was für ein -niedliches Märchen es ist. Es ist sehr klein und fein, hat schöne, -weiße Gliederchen und große, dunkelblaue Stiefmütterchenaugen und die -schönsten goldnen Haare von der Welt, die glänzen in der Sonne wie das -rote Gold, das die Schlangenkönigin bewacht; auf dem Köpfchen trägt es -eine blaue Glockenblume, die macht ein sanftes Geläute, wo das Märchen -geht und steht. - -Es mußte wohl von dem Getön und Geklinge sein, daß plötzlich alles -lebendig wurde im Wald, daß die Vögelein ein artig Konzertieren begannen -und die Blumen -- die Krokus und Anemonen und Schneeglöckchen und wie sie -alle heißen -- aus der Erde sprangen, wie kleine, weißhäutige Kobolde, -und ein duftiger Reigen begann in Wald und Flur. Ei! wie es die Bäume da -eilig hatten, ihr neues grünes Kleid anzulegen, und wie die alten Tannen -die spitzen, gelbgrünen Finger ausstreckten, als wollten sie sich auch -so ein grasgrünes Flörchen erhaschen. Am Waldteich der alte Erlenstumpf -sagte zu seinen grünen Jungen, die ihn dicht umstanden: - -»Reckt Euch in die Höhe, Jungens, damit das Märchen nicht sieht, wie alt -und vertrocknet ich bin.« - -Aber im Teich erhob sich plötzlich ein lautes Gequake und Gejohle. Das -waren die Frösche, die hielten einen Froschvolks-Thing ab und wollten -sich eine neue Verfassung gründen; sie sprachen sehr ernsthaft über -Kaulquappenerziehung, Schulvorlagen und Militärbudgets, und daß der -Storch und der Reiher von jetzt an unter froschlicher Oberhoheit stehen -sollten; und ein noch ganz grünes Fröschlein aus dem vornehmen Geschlecht -derer von Ochsenfrosch wollte immer alles besser wissen und durchaus einen -ganz uralten Kurs als das Neueste einführen im Froschteich. - -Es war wirklich sehr interessant, und es war gar nicht recht, daß der -Weidenbaum am Ufer plötzlich anfing zu jauchzen und zu lachen und zu -spotten, und sich geberdete, als hätte er zu viel Blütenwein getrunken. -Die gebildeten Frösche kamen ganz ärgerlich ans Ufer und glotzten ihn an, -und der tolle Geselle, dem die buschigen, hellgrünen Weidenkätzchen von -seiner Narrenkappe herunterbaumelten, schnitt höhnisch eine Fratze und -spreizte seine vielen grauen Finger von sich und hielt eine lange Rede, von -der die Frösche kein Wort verstanden; denn er sprach von Blütenwein und -Trunkenheit und Auferstehung und Frühlingsduft und Märchenaugen -- und -schloß mit: - -»Kinder und Narren sprechen die Wahrheit, und wahrlich, ich sage Euch, -so Ihr nicht werdet wie sie, so könnet Ihr nimmer in den Frühling -eingehen!« - -Hei! Da begann ein Geschelte und Gequake, ein Koaxkoax und Brekekekex, -daß die Vöglein in der Luft im Fliegen innehielten und verwundert zum -Waldteich herniederschauten. Und der Weidenbusch verbeugte sich lächelnd -nach allen Seiten und schüttelte seine Kätzchen lustig durcheinander und -sagte: - -»Verehrte Anwesende, ich glaube verstanden zu haben, daß Sie -mir vollständig beistimmen; und da oben kommt Se. Excellenz, der -Generalfeldmarschall Graf Storch, angeflogen, der wird Ihnen --« - -Quack! sagten die Frösche und tauchten unter, und lange herrschte -Totenstille im Teich, bis sie merkten, daß der tolle Weidenbusch sie -genasführt hatte; dann begann zögernd erst die eine Stimme und dann eine -zweite, und der grasgrüne Froschjüngling sagte: Kroax! und seine Base, -die gelehrte und tiefsinnige Schriftstellerin von Unke, antwortete: -P--unkt--um! -- und bald war der hochweise Disput mit These und Antithese -wieder im schönsten Gange. - -Das Märchen aber nickte lächelnd zum Weidenbusch hinüber und warf -Kußhändchen nach allen Seiten, dann flog es schnurstracks durch den -grünenden, blühenden, duftenden Wald, über Felder und Gärten, in die -Stadt, in das Haus, in die Stube hinein, wo der kleine Junge und das kleine -Mädchen auf dem Fußschemel saßen und aufmerksam zuhörten, wie die -Märchenmuhme ihnen die Geschichte von den Löwen- und den Bärenkindern -erzählte, und als sie gerade sagte: »Die Bärenkinder aber waren so -schrecklich unartig« -- da rief der kleine Junge: - -»Sieh', -- sieh' doch, da ist das Märchen!« - -Und das kleine Mädchen klatschte in die Hände und jubelte: »Das -Märchen! das Märchen!« - -Und wirklich, da stand das Märchen auf der Thürschwelle, seine Augen -leuchteten, seine Haare glänzten wie die Sonne, und dann nickte und winkte -es ihnen; die Kinder faßten sich bei den Händen, sprangen zur Thür -hinaus, hinter ihm her und riefen und sangen immerfort: - -»Das Märchen! Da ist das Märchen, das gar nicht kommen wollte!« - -Es waren aber viele Kinder auf der Straße, die sahen das Märchen zwar -nicht, aber sie riefen doch: Das Märchen, das Märchen! und tanzten hinter -dem kleinen Jungen und dem kleinen Mädchen her, und so ging der Zug durch -die Stadt zum Thore hinaus, als wenn der Rattenfänger von Hameln ihnen -aufspielte. Die großen Leute, denen sie begegneten, blieben stehen und -lachten und sagten: - -»Ach, das ist ja ein Schmetterling, der heißt --« und dann nannten sie -einen langen, lateinischen Namen. Und andere sprachen: - -»Das ist ja ein Sonnenstrahl, und nun ist es Frühling geworden. -Der Frühling ist eine natürliche, höchst angenehme, alljährlich -wiederkehrende Naturerscheinung. Es ist gar nichts Märchenhaftes daran.« - -Aber nun waren es der kleine Junge und das kleine Mädchen, welche lachten --- sie wußten es ja viel besser. Sie liefen in den Wald hinein -- da -tanzten die Blumen mit den Elfen und Kobolden, und die Kinder waren -mitten unter ihnen. Das Märchen schenkte ihnen den Frühlingswein aus -Blütenkelchen, und sie lagen auf weichem Moos und guckten in den blauen -Himmel hinein, von dem die weißen Wölkchen winkten und grüßten und -weiter segelten. - -Das Märchen aber wuchs und wurde größer und wurde eine liebliche -Jungfrau und ein blühendes Weib; und dann wurde es ein liebes, eisgraues -Mütterlein, und dann -- ja, dann spann es sich wieder ein, wie eine -Schmetterlingsraupe und kam lange, lange nicht mehr; nur zur Zeit der -Wintersonnenwende, als die weißen Grüße vom Himmel an der alten Eiche im -Walde vorüberwehten, da öffnete es die blauen Märchenaugen ein wenig -und blinzelte um sich, und dann schlief es wieder ein und wartete auf den -singenden, sausenden, brausenden Frühlingswind. - -Und der kleine Junge und das kleine Mädchen wuchsen auch und wurden -größer und schöner und wurden Mann und Weib; dann spannen sie sich -auch ein, in sich und ihre Welt; und dann erzählten sie ihren Kindern und -Kindeskindern das Märchen vom Märchen, das gar nicht kommen wollte, und -endlich, endlich doch gekommen war. -- -- - - - - -Klein Hildegard. - - - Klein Hildegard wollte zur Schule gehn, - Da blieb am Walde sie sinnend stehn; - Der sah sie mit winkenden Augen an, - Die Vöglein lockten aus dem Tann: - »Klein Hildegard, komm, so schön ist's hier, - Wir rauschen Dir Märchen, wir singen Dir - Von Elfenkönigs goldenem Thor - Viel Süßes, Geheimnisvolles ins Ohr; - Wir singen Dir von des Nixen Spiel -- - Tief unten im Wasser, da weint er so viel. - Wir streuen Dir duftende Blumen umher, - Der Wind regt die Zweige, brausend wie's Meer.« - -- Doch Hildegard richtet sich ernsthaft auf - Und schickt sich wieder an zum Lauf: - »Zur Schule, zur Schule!« die Mutter spricht, - »Im Walde spielen, das darfst Du nicht!« - Da fällt, plumps! von dem Tannenast - Ein Zapfen auf das Näschen fast: - »Au! böse Tanne!« schilt das Kind, - »Bist unartig, wie Kinder sind! - Willst mir wohl gar was sagen, gelt? -- - Ei nun, so rede, wenn's gefällt!« - Lieb schmiegt klein Hilde sich heran - Zum rauhen Stamm der alten Tann. - Vergessen ist Schule, der Mutter Gebot -- - Ja, Sonntagskinder machen viel Not. -- - Vom Tannenbaum fall'n -- tip, tip, tap, - Die würz'gen Nadeln sacht herab. - Und, wie sie rieseln, wie sie fallen, - Hört Hilde Stimmchen draus erschallen, - Die lullen's Kindchen kosend ein - In seltsamliche Träumerein; - »Zur Schule geh', mein liebes Kind, - Doch da nicht, wo die andern sind. - Geh' Du zur Schule in dem Wald; - Was Du da lernst, vergißst Du nicht bald. - Denn hier im Wald, da lernst Du verstehn, - Was Bäume rauschen und Blüten verwehn; - Warum am ewigen Himmelszelt - Die Wolken ziehen über die Welt; - Was Blumen duften, Vöglein singen, - Was Bächlein murmeln, Stürme klingen -- -- - Was unsere ganze schöne Welt, - Die kunterbunte, zusammenhält -- -- -- - Horch nur auf jedes Gezirpe fein, - So wirst Du bald klug wie Waldvöglein sein.« - So spricht im Walde die alte Tann', - Und Hilde hält den Atem an, - Daß ihr die Wörtlein nicht entrinnen. - Dann wandert lustig sie von hinnen. - - Es grüßen Blumen von allen Seiten, - Und Hilde nickt, als weitergleiten - Im weichen, kühlen Gras und Moos - Die kleinen Füße, nackt und bloß. - »Pflück' mich,« spricht die Königskerze, - »Sieh', wie ich gen Himmel schwanke, - Schlanker Stab aus Sammetblättern, - Bin ganz Sehnsucht, ganz Gedanke, -- - Vor Idealen, hoch und hehr, - Seh' ich den eignen Stamm nicht mehr!« - Da lacht das kecke Heidekraut: - »Ich wurzle in der Erde traut; - Und wie ich dufte, wie ich blühe, - Und wie ich stark und kräftig bin, - Und wie ich feurig rot erglühe -- - All das gab mir die Erde hin!« -- - Horch! Welch ein feines Stimmchen schallt - Vom nahen Eichstamm durch den Wald? - Die wilde Weinblüt' ist's, die spricht - Ganz spöttisch: »O, Ihr dummen Wicht'! - Vom Himmel träufelt uns der Regen, - Vom Himmel wärmt die liebe Sonn', - Und Mutter Erde will uns hegen, - Wenn Frost und Eise starren schon. - Ich lieb', was mir der Himmel gab, - Die Erd', in der ich Wurzeln hab'.« - So flüstert's, lacht es auf und an; - Klein Hilde pflückt so viel sie kann. - Schau! Dieses bunte Blumenmeer! -- - Fast wird's dem Aermchen gar zu schwer. - Im schilfigen Gras glüht rot es auf. - Pechnelken stehen da zu Hauf, - Und schütteln ihre Federköpfe, - Und spreizen sich, die eitlen Tröpfe. - »Ei, liebes Kind, mußt mich ansehn,« - Die Eine spricht, »bin wunderschön! - Brichst mich in meinem Purpur-Prangen, - So bleibst an meinem Stengel fein - Unwiderstehlich daran hangen - Mit Deinen Kinderhändchen rein; - Wer mich nur einmal hat berührt, - Stets neue Lust nach mir verspürt.« - Doch -- »Bim -- bam!« klingelt da die Blaue, - Die Glockenblum', »Nur der nicht traue! - Denn Lüg' ist Alles, was sie spricht -- - Kennst Du das alte Sprüchwort nicht? - Wer Pech anfaßt, besudelt sich! - Und das ist richtig, sicherlich! - Hör', rote Nelke, das ist schlimm! - Das Glöcklein läutet stets: Bim -- bim! - Und öffnest Du den Lügenmund, - So klingelt es ganz kunterbunt: - »Bimbam, bimbam, bimbam, bimbum! - Du Federnelke, bist Du dumm!« - Und lachend steht Klein Hildegard - Und droht dem blauen Glöcklein: »Wart', - Du lieber Schelm, jetzt pflück' ich Dich, - Dann läutest Du »Bimbim!« für mich, - Und läutest artig mich nach Haus; - Doch jetzt ruh' ich mich erst 'mal aus.« - Es winkt der gelbe Ginsterbusch, - Und wie das graue Häslein -- husch! -- - Schlüpft unser Kind geschwind hinein - Ins goldne Blütenbettelein, - Und dehnet wohlig sich zur Ruh', - Und schließt die müden Aeuglein zu. - Die Blumen hält im Arm sie fest, - Denn wenn man die gewähren läßt, - So fangen sie zu leben an - Und wandern fort durch Wald und Tann. - Es ist just um die Mittagsstunde. - Wo Waldesgeister ziehn die Runde. - Kennst nicht das Waldesweben Du? - Wenn rings im Wald ist tiefe Ruh', - Und doch ein seltsamliches Weben - Ein raunend, flüsternd Zauberleben? - Die Bäume stehen still und stumm, - Kein Blättlein reget sich ringsum. - Im Schatten schläft das Vöglein lieb, - Reckt sich einmal, sagt leise: »Piep!« - Und plustert seine Federlein - Und schläft dann sänftlich wieder ein. - Doch die Frau Sonne, die ist wach - Und luget durch das Blätterdach. - Es tanzt auf ihrem Flimmerstrahl - Der blanken Sonnengeister Zahl. - Im hohen Grase zirpt die Grille -- - Nun zirpt es Antwort -- dann wird's stille. - Der Falter taumelt über Blüten, - Das sind die Schäflein, die muß er hüten; - Doch in dem heißen Sonnenschein - Da schläfert's ihn mitunter ein; - Und ist er wieder aufgewacht, - Dann hat sie sich davon gemacht, - Die Blüten-Herde, und fliegt wie er, - Im hellen Sonnenglanz umher. - Dann hebet an ein Singen, Klingen, - Von Märchen, wunderlichen Dingen; - Das Bächlein gluckst sein schelmisch Lied, - Und Moos und Steinchen singen mit. - Vergißmeinnicht am Rande träumt: - »Hat's Wiederkommen er versäumt? - Ich rief so oft: Vergißmeinnicht! - In weiter Ferne -- hört er's nicht?« - Der Ginster winket zu ihr her: - »Klein Blümchen, was verlangst Du mehr? - Kannst, kleine Blaue, Du's verstehn? - Die Lieb' soll nie von Liebe gehn -- - Sonst geht die Treue hinterdrein. - Ich sing' ein Lied Dir -- lausche fein: - - Ueber die Heide weht der Wind, - Da sitzt das blasse Königskind, - Singt: Leide, leide, leide -- - - Bei Sonnenlicht und Sternenschein - Da suche ich den Buhlen mein -- - Wo weilt er auch am Wege? - - Ach, wollt', er wäre noch bei mir, - Ich wollt' ihn küssen und herzen schier - Auf stiller, stiller Heide. - - Ach, wollt', ich läg' in seinem Arm, - Ich wollt' vergessen allen Harm, - Wollt' lachen nur und kosen. - - Ueber die Heide weht der Wind, - Da sitzt das blasse Königskind, - Singt: Leide, leide, leide. - - Und wartet noch gar manches Jahr -- - Und kämmet ihr langes, goldnes Haar, - Das wehet in dem Winde. - - Und als der Bub dann kommen ist, - Der sie so oftmals hat geküßt, - Da sucht er auf der Heide. - - War da ein feiner Ginsterstrauch, - Des gelbe Blumen strahlten auch - Wie lauter lichtes Golde. - - Da hat er so viel weinen 'müßt, - Und hat die Ginsterblumen 'küßt -- -- - Dann ist er fortgezogen.« - - Und als verklungen ist die Weise, - Da reget sich Klein Hilde leise: - In ihrem Arm die Blümelein, - Die fangen an zu reden fein. - Das Löwenzähnchen schilt: »O Ginster, - Wie sind doch Deine Träume finster!« - »~Noblesse oblige!~« ruft Rittersporn, - »Auch in der Lieb' -- bei meinem Zorn!« - Und trotzig mit gar mut'gem Sinn - Grüßt er zur Wickenblüte hin; - Verschämt senkt die das Köpfchen tief, - Ein lieblich Rot sie überlief. -- - Da lacht es plötzlich neben ihr: - »Ich halt' die Liebe weg von mir! - Ich wehre mich vor jedermann -- - Und fühlt, wie ich doch brennen kann!« - Da jubeln alle auf und sagen: - »Hört -- Brennessel will auch was wagen! - Geh', Unkraut, pfeife uns ein Lied, - Im Chorus singen wir dann mit.« - Und neckisch stimmt die Grüne dann - Das Nessellied, und hebet an: - - »Ich wollt' einmal spazieren gehn, - Am Rain, wo bunte Blumen stehn.« - - Und jauchzend fällt der Chorus ein: - »Nessel, Nesselbusch am Rain!« - - »Da schaut ein weißes Blümlein 'raus, - Und ach -- so schämig sah es aus.« - - Und jauchzend fällt der Chorus ein: - »Nessel sieht so schämig drein!« - - »Und als ich bückte mich danach, -- - Gar plötzlich mir's den Finger stach.« - - Und jauchzend fällt der Chorus ein: - »Nessel, Nessel, wehr' Dich fein!« - - »Ei, böse Blume, halt' doch still - Wie die andern, wenn ich Dich brechen will!« - - Und jauchzend fällt der Chorus ein: - »Nessel, -- hörst -- sollst stille sein!« - - Da lacht die grüne Blum' und spricht: - »Ja Brennesselblüten, die pflückt man nicht!« - - Und jauchzend fällt der Chorus ein: - »Brennt die Nessel -- laß sie sein!« - - Nun reichen alle sich die Hände, - Und singen's Tanzlied: »Wende, wende - Dich her zu mir, und auf und ab. - Zieh' die Kreise, zart und leise, - Sing' die alte Wunderweise, - Wie die Blumenfee sie gab. - In den Blüten schläft das Kind -- - Küsse, küsse es geschwind, - Daß es eins der unsern werde; - Daß es blumenduftig schwebe, - Daß es waldesselig lebe - Auf der hellen, grünen Erde.« - Da ist klein Hilde aufgewacht, - Und hat die Aeuglein aufgemacht: - Und all die Sonnenpracht umher! - Und all das Duften, süß und schwer! - Und sieh' -- die Blumen neigen sich, - Umkreisen sie gar seltsamlich -- - Sie trägt ein rosenfarben Kleid, - Das strahlet hell von Taugeschmeid'. - Und Rosen trägt sie in dem Haar, - Und Rosen in den Händen gar. - Die Blumen knieen vor ihr hin: - Heil unsrer Rosenkönigin! - Und eh' sie weiß, wie ihr geschah, - So ruhet sie auf Rosen da; - Und allgewärtig ihren Winken - Die Blumen stehn zur Rechten und Linken, - Und Hilde grüßt nach allen Seiten - Huldvoll, wie sie vorüberschreiten. - Aus Blumen trinkt sie den Blütenwein - Und nascht den goldnen Honigseim. - Die Sonne wirkt ihr die goldne Kron' - Und die glänzenden Flitter für den Königsthron. - Die Schmetterlinge tanzen vor ihr, - Die Grillen spielen auf dafür. - So ruhet sie an Baches Rand - Als Königin übers ganze Land. - - Da -- horch! was rauscht es ihr zu Füßen? - Und welch ein Nicken, Winken, Grüßen - Von Blum' und Moos am Ufer dort? - Das Wasser schwillet fort und fort -- - Und aus den grauen Nebelwogen, - Da kommt es zu ihr hergezogen - So wunderselig. Aus dem Fluß - Erhebet sich mit süßem Gruß - Der Nix in silbernem Gewand - Und hält die Harfe in der Hand - Die gibt gar traurig hellen Ton -- - Ob's Glück mit Thränen gemischt sei schon. - Er breitet die Arme aus nach ihr: - »O Rosenkönigin, komm' zu mir! - Ich will in meinem Arm Dich hegen, - Ich will Dich schaukeln auf der Flut; - Die zarten Glieder sollst Du legen - Auf Wasserrosen, -- da ruht sich's gut. - Mit meinen Fischlein sollst Du spielen, - Ein neckisch Haschen, her und hin -- - Die kleinen, weißen Füßchen kühlen - In klaren Silberwellen drin. - Es ist so einsam in der Tiefe, - Im Wasserhaus so kalt für mich --. - Und kämst Du wohl, wenn ich Dich riefe? - O Königin, ich hole Dich!« - - Da wird Klein Hilde das Herz so weh -- - Es ruft in ihr: O geh', o geh'! - Wie wird es ihr so seltsam kalt? - Was zieht es sie mit solcher Gewalt? - Wie schwillt das Wasser immer mehr -- - Da kommt der Nix gar zu ihr her, - Und faßt sie mit feuchten Armen an -- - Klein Hilde sich kaum noch regen kann. - Vor Angst, vor Glück? -- Sie weiß es nicht, - Es küßt der Nix ihr blasses Gesicht; - Er wieget sie in seinem Arm, - Es wird ihm -- ach -- so wohlig warm; - Er will sich rauben das junge Blut - In tiefe, rauschende Silberflut. - Klein Hilde schaudert -- an seine Brust - Zieht er sie eng mit sehnender Lust -- - Schon netzt das Wasser ihr Gewand, - Er zieht sie hin mit zwingender Hand -- - Nun sinkt Klein Hilde sacht hinab - In des Nixen stilles Wassergrab. -- - Und horch! wie's um sie rauscht und singt! - Wie's brausend durch die Lüfte klingt! - Klein Hilde, wache auf geschwind, - Sonst weht der wilde Brausewind - Dich wirklich in das Bächlein dort -- - Zum Schlafen einen bösen Ort - Hast Du Dir eben ausersehn. - Und dann mußt Du nach Hause gehn: - Die Schule ist schon lange aus, - Und alle Kinder schon zu Haus. - Da hat Klein Hilde sich erhoben - Und schaut verwundert hin nach oben, - Wo Wolken ziehen kreuz und quer, - Gar über die liebe Sonne her. - Wie war doch alles das geschehn? - Hat sie den Nixen nicht gesehn? - Ist nicht am Saum ihr Röckchen naß? - Das ist doch nicht vom feuchten Gras? - Wo ist ihr Rosenkleidchen hin? - War sie denn nicht die Königin? - Die Bäume neigen sich um sie her, - Das kommt vom Wind, der wehet sehr, - Der pfeifet ängstlich durch den Tann; - Klein Hilde hält den Atem an -- - Es wird ihr plötzlich so beklommen - Da hat sie hurtig aufgenommen - Die Blumen alle nebendran, - Und springt davon so schnell sie kann. - Jetzt ist sie auf der kleinen Brücke, - Da rauscht es unter ihr voll Tücke: - »Da, Wassermann,« ruft sie geschwind, - »Da, nimm das bunte Blumenkind!« - Und wirft ein schönes Blümelein - In Wassermannes Haus hinein. - Mit weißer Hand greift der es an, - Und strudelnd sinkt's zur Tiefe dann. - - Und als Klein Hilde kam nach Haus - Und hat gesagt, was sie gesehn, - Und hat erzählt, was ihr geschehn -- - Da lachen sie Klein Hilde aus. - Und scheltend streng die Mutter spricht: - »Im Walde spielen sollst Du nicht!« - Und Hilde setzt ins Eckchen sich - Und weinet, weinet bitterlich. - - Klein Hilde, werde wieder froh; - Uns Großen geht es ebenso: - Wenn wir im Walde etwas sehen, - Was all die andern nicht verstehen, - So lachen sie uns auch nur aus - In diesem weisen Weltenhaus. - Und Mutter Ordnung ernsthaft spricht: - »Der Phantasie bedarf man nicht! - Die Poesie -- die braucht man nicht! - Mehr sehn, wie andre, soll man nicht! --« - - - - -Das Märchen, das verloren gegangen war. - - -Das war, als ich einmal spazieren ging und tiefsinnige Gedanken hatte -- -worüber? -- Sie waren zu tief, um das ergründen zu können. Vielleicht -war's, ob die Welt da um mich her mit ihren langen Straßen und engen -Häusern eine wirkliche Welt sei oder ob ich sie mir bloß einbilde, und -ob die Menschen, die mir begegnen, wirklich so blödgesichtig dreinschauen, -oder ob ich bloß Schwingungen in meinem Gehirn und Augen habe, die mir -das alles so erscheinen lassen -- ja, vielleicht war's das, worüber ich -nachdachte. Und neben mir her trippelte ein feines Etwas mit großen Augen, -und das kicherte und plapperte mit einem leisen murmelnden Stimmchen wie -ein kleiner Bach; und weil mich das in meinem tiefsinnigen Denken störte, -sagte ich: - -»Ei, so sei doch ruhig und stör' mich nicht!« - -Da schwieg das feine Etwas erschrocken still. Aber als das liebliche -Gemurmel nicht mehr neben mir einherging, konnte ich erst recht nicht -denken, und als ich mich ungeduldig umwandte, da hatte ich das Märchen -verloren. Nun war mir's ganz ungemütlich zu Mut. Ich ging gleich wieder -zurück, blickte rechts und links, hinter jeden Baum, und unter die -trockenen Blätter, die darunter lagen, aber nirgends leuchteten die -Zauberaugen meines Märchens. - -Da fragte ich die Uhr, die vor mir hoch oben in einem langen, spitzen -Kirchturm saß: - -»Du wohnst so hoch und hast einen weiten Ausblick -- hast du mein Märchen -nicht gesehen?« - -Aber die Uhr sagte nur: Tick-tack-tick-tack! Und als sie schnarrend zu -einer Antwort einsetzte, da sagte sie mit rasselnder Stimme eine ganze -Menge Zahlen her -- als ob Zahlen etwas mit einem Märchen zu thun hätten! -Nun fragte ich die Leute auf der Straße: - -»Ihr seid so klein, und guckt immer auf die Erde -- habt Ihr mein Märchen -nicht gesehen?« - -Aber die antworteten: »Eine solche Person kennen wir nicht. Und wenn sie -Dir gehört und weggelaufen ist, so zeige es doch bei der Polizei an« --- -- als ob eine blauröckige Polizei mit einem Knüppel ein Märchen -einfangen könnte! - -Nun fragte ich die Bäume im Park, an dem ich vorüberging. Aber die -standen ganz still und regten sich nicht und ließen nur zwei, drei gelbe -Blätter vor mir niedersinken. Da merkte ich, daß es Stadtbäume waren und -zu gebildet zum Antworten auf eine Märchenfrage, und weil ich nun durchaus -mein Märchen, das ich so leichtsinnig verloren hatte, wieder haben mußte, -so ging ich auf Reisen, ihm nach. - -Ich kam an ein großes Wasser, das lag friedlich da, wie eine -grünsammetene Wiese, auf der kleine Grabhügel sich wölben, über und -über bedeckt von weißen Maßliebchen. Mir war es, als ob mein Märchen -sein goldenes Haupt lächelnd aus diesen Grabhügeln strecke, und als ob -es kichere: »Nicht in Gräbern findest Du mich -- ich bin das Leben!« -- -Aber da kam ein zarter, grauer Nebel und deckte die grüne Sammetwiese und -die Maßliebchenhügel zu, und nur ganz in der Ferne sah ich es aufblitzen -wie weiße Mövenflügel. - -Ich kam an eine Insel, darüber flutete ein warmes Abendrot, und ein -Rauschen, ein bedeutsames Raunen zog durch die Wipfel der hohen, stillen -Bäume, als spräche mein Märchen zu mir aus tausend Zungen. Bunte Blumen -standen auf der Insel, die sie die »Schöne« nannten, und sahen mit -stillen Augen zu den Sternen auf, die ganz zart und licht am Abendhimmel -aufleuchteten, wie die ersten Liebesgedanken in einer weichen -Mädchenseele. Leise glucksten kleine lustige Wellchen gegen das Ufer, als -lachten sie über die Wassernixen, die mit ihren weißen Entenfüßchen das -Ufer heranklimmen wollten und immer wieder ins laue Wasser plumpsten. Wie -nah', wie nah' war mir mein Märchen! Ich fühlte es mich umwehn -- aber -als ich danach haschte, sah es mich mit tiefen Augen spottend an, und ich -griff in die Luft. - -Danach sah ich mein Märchen wieder in einem Krankenzimmer; da saß es tief -verborgen in dem großen weißen Kelch einer Lilie. Aus deren sammetigen, -weißen Blütenblättern lagen rote Tropfen, als habe das Märchen blutige -Thränen geweint, und es sah mit himmlisch klaren Augen in die Weite. Wie -ein Hauch flog es durch das Gemach: »Hier kannst Du mich nicht halten, -da würde ich vergehen vor Traurigkeit« -- -- und husch! wie ein -Flügelschlag -- da war's aus dem Fenster, und die Menschen um mich sahen -sich fragend an: Was war das? - -Eines Morgens, ganz, ganz früh, als die Nacht auf ihrem Lager flehend die -Arme hob, den leuchtenden, ihr entfliehenden Tag zu halten, da erwachte ich -und sah etwas Weißes, Flüchtiges von meiner Seite davonschweben. Und es -umgab mich ein leises Klingen, und Worte tönten -- war's in mir? war's um -mich? -- Horch: - - Die Nacht, als ich geschlafen hab', - Da lag das Glück bei mir; - Im Morgenschimmer sah ich nur - Entfliehn die weiße Zier. - - Es lächelt, nickt und winkt mir zu: - »Du hast es nicht gewußt, - Daß schlummernd ich mein Köpfchen hab' - Gelegt auf Deine Brust; - - Wärst Du erwacht, hätt'st mich gefaßt, - So wär's um mich geschehn -- - Nur leis, nur heimlich darf das Glück - An Deiner Seite gehn.« - -Nun hatten es viele gute Menschen gehört, daß ich mein Märchen nicht -wieder finden könnte, und weil sie ein verloren gegangenes Märchen für -etwas sehr Trauriges hielten -- ganz anders als die in der Philisterstadt, -die gar nicht recht wußten, was ein Märchen war -- da wollten sie -mir alle suchen helfen. Aber sie thaten es mit so viel Bewußtsein und -Ueberlegung, daß das Märchen sich immer tiefer versteckte; und selbst -der rauschige Weinduft, der ausgesandt wurde, nach ihm zu forschen, kehrte -statt mit meinem lieblich plappernden Märchenkinde mit einem wolligen, -miauenden Kätzchen zurück, das gar scharfe Krallen zeigte. - -Da ging ich in die Einsamkeit. Ich kam an wildes, weites Wasser, das -rauscht und brodelt und donnert, als wolle es eine Welt vernichten -- oder -emporheben. Und eine Brücke führt über die weiße Gischt, die ging ich -hinüber. Da war ich auf einer Insel mit hohen, wiegenden Bäumen; -die hielten Felsblöcke mit ihren Wurzeln umklammert wie mit riesigen -Greifenklauen. Und da war noch eine Insel, und noch eine, und noch eine. -Zwischen ihnen drängte sich überall das weiße Wasser hindurch; es war -so klar, daß man die kleinen Mooswälder auf dem Gestein unter ihm -sehen konnte, und die Höhlen, dunkelblau und tiefgolden, in denen die -Wasserkobolde wohnen. Wie ich nun an der äußersten Spitze der letzten -kleinen Insel angekommen bin und hinsehe über das weite, schäumende -Wasser, da sitzt dicht vor mir, nahe am brausenden Wasserabsturz, -mein Märchen auf einem Felsblock. Es hat seine nackten Beinchen hoch -heraufgezogen, damit sie nicht naß werden, und umschlingt die Kniee mit -den weißen Armen; das Haar rollt silberglänzend um die kleine Gestalt, -wie der sonnendurchleuchtete Kamm einer Woge, und die meergrünen -Zauberaugen sehen zwingend zu mir hinüber. So sitzen wir beide und -lächeln uns an, so froh, daß wir uns wieder haben, und dann erzählt das -Märchen: - -Weit droben im großen See tief auf dem Grund, da steht das Schloß des -alten Wasserkönigs. Von grünem, strahlendem Krystall ist es erbaut, und -die Wände sind so klar, daß der Wasserkönig mit seinen seegrünen Augen -hindurchschauen kann und alles sieht, was in seinem Reiche vorgeht. Wenn -die Fische rebellieren wollen, dann weiß er es schon, noch ehe sie den -revolutionären Gedanken gefaßt haben, und der Kopf wird ihnen abgebissen, -ehe sie wissen, wo er ihnen eigentlich sitzt. Ja, der König führt ein -strenges Regiment, sogar unter den weiblichen Unterthanen, und manch -hübschem Nixlein bebt das goldschillernde Schwänzchen, wenn der König -musternd die Reihen durchschreitet; denn manch Nixlein hat ein böses -Gewissen, und -- ach, die königlichen Zwillingssöhne sind gar so -herzliebe Gesellen. - -Da berief der König eines Tages seinen Hofstaat um sich. Er saß auf -einem Thron von goldglänzendem Kiesel, auf dem weißen Haupte trug er die -Seekrone von Smaragden, und in den langen silbernen Bartwellen funkelten -die Schaumperlen. Ringsum harrte das Gesinde in ehrfürchtigem Schweigen, -kaum, daß die beweglichen Schwänzchen hin und her zuckten. Vor ihm -aber standen die Zwillinge und warteten des königlichen Vaters Befehle. -Schöne, schlanke Burschen sind's, mit festen Gliedern und kühnen Augen. -Die des einen mit der gedankenvollen Stirn hingen an den Lippen des Vaters; -die des andern, Rastlosen, Trotzigen, flogen lächelnd und kosend über die -Schar der Nixlein, durch deren Reihen eine plötzliche schillernde Bewegung -ging. Der Wasserkönig aber sprach: - -»Prinzen, Ihr habt gelernt, wie man im Wasser lebt, herrscht und richtet. -Es ist Zeit, daß Ihr Euch die Wasserfläche draußen anseht. Bahnt Euch -eine Straße, zerschmettert, was Euch im Wege ist, und erobert Euch Euer -Reich. Ziehet hin in Frieden und beherrschet künftig Eure Unterthanen mit -Zucht und Strenge.« - -Unwillkürlich ruckten die Fische mit ihren Köpfen bei dieser Rede, ob sie -auch noch festsäßen, und die Nixen und Wassermänner zupften sich an den -Flossen, ob sie die auch noch hätten. -- Die schönen Zwillingsbrüder -aber schwammen Hand in Hand in die Welt hinaus. Zuerst waren sie -sehr übermütig, schlugen Purzelbäume, daß die Wellen in die -Höhe klatschten, und neckten die Fische, die pfeilschnell an ihnen -vorüberflohen. Dann wurden sie stiller und träumerisch, wiegten sich Hand -in Hand an der spiegelglatten Oberfläche des Wassers und sprachen von den -Heldenthaten, die sie verrichten wollten. Der mit der hohen Stirn und den -schwärmerischen Augen lispelte von der hohen, der herrlichen Welt, die -er sich erträume und die er besitzen müsse, koste es, was es wolle. Der -Trotzige aber lachte dazu: »Leben will ich -- und lieben und genießen!« -rief er und schüttelte übermütig eine ganze Welle voll Flußsand über -des Bruders schönem Haupte aus, daß der prustete und sich schüttelte wie -ein nasses Menschenkind. -- Nun kamen sie an einen hohen, grünen Wald, der -lag mitten in ihrem Weg und machte auch keine Miene, ihnen auszuweichen. - -»Zerschmettert, was im Wege steht!« wiederholte der mit der hohen Stirn. -»Komm, laß uns die Bäume niederreißen, und die Felsen zerbröckeln.« - -»Pah,« lachte der Wilde, »wozu die Arbeit, die eine Ewigkeit dauert? -- -Weiter, weiter will ich, ins Leben hinein! -- Hör', laß uns den Bäumen -aus dem Wege gehen, Du dort herum, und ich hier, und dann wollen wir sehen, -wer zuerst ankommt, zuerst sein Ziel erreicht -- Du oder ich!« - -Das reizte den Zwillingsbruder; wußte er doch, daß er natürlich der -Erste sein würde. Ein flüchtiges Lebewohl nur, und er brauste dahin, -ungestüm, hier ein Stück Fels wegreißend, dort einen Baumstamm mit sich -zerrend. Er sah nicht die Welt um ihn; er sah nur in die Ferne, wo seine -Welt liegen mußte, die er erträumt, die er besitzen, beherrschen wollte. -Nur immer weiter, weiter, dahin, wo der zarte Dunst aufsteigt, wo ein -erster Sonnenstrahl glitzert wie auf Türmen -- die seines neuen Reiches --- und in wilden Sprüngen, brausend und jauchzend, setzt er der Traumwelt -nach, bis er schwankt und schwankt und ihm schwindelt, und er den Boden -unter den Füßen verliert, und er in den Abgrund stürzt, in den Abgrund -von erträumter Leidenschaft. Es war ein jäher Sturz. In ihm zerschellen -alle seine Träume, alle seine erhabenen Gedanken. Voll Grausen blickt er -hinauf zu der schwindelnden Höhe, auf der er einst geweilt hatte: so groß -und erhaben hatte er sich das Leben gedacht, nichts hatte er haben wollen, -keine Freude, keine Liebe, nur Größe und immer mehr Größe. Nun trieb -er dahin in einem breiten, gemächlichen Strombett, immer mehr wiegend, -erschlaffend, duselnd -- und nur wie weißer, kreisender Schaum trieb die -Erinnerung auf seinen langsam sich wälzenden Fluten. Einmal schaute er -sich um nach seinem Bruder: eine brausende, dampfende Gischt in der Ferne -verhüllte alles hinter ihm. - -Der trotzige, lächelnde, genußsüchtige Zwillingsbruder aber war gar -gemütlich seines Weges gezogen, hatte die Bäume auf der schwimmenden -Insel neckisch an den Zweigen gezupft, wie die unnützen Buben die -schmollenden Schulmädchen an den Zöpfen, hatte seine neugierigen, -geschwätzigen Fluten durch jeden kleinen Felsengang geschickt, bis er -mitten durch die Insel hindurchlugen konnte, und da sah er etwas sehr -Liebliches. Nicht eine Insel war es nämlich, sondern neben der großen, -die das Königreich einer vornehmen alten Waldnymphe war, wie die -Wasserboten berichteten, lagen noch drei kleinere, und jede von ihnen hatte -ein Töchterlein der Waldkönigin zur Herrin, und sie lebten da in eitel -Freude und Lustbarkeit. Keinen Gebieter wollten sie über sich erkennen und -frei wie die Luft leben, so lange die Welt steht. Da kam jetzt der schöne -Flußheld geschwommen, ganz nahe an die Insel der ersten Schwester heran, -siehe, da steht ein wunderschön Jungfräulein, mit Guirlanden von Blumen -umwunden und ein fröhlich Liedchen summend. Und horch! wie die Antwort zu -ihr aufsteigt aus den weißen Wassern, die plötzlich aus dem Dunkel der -Felsen hervorbrechen und sie erschrecken, daß sie schreiend davonläuft. -Er aber schwimmt ihr nach, rund um die Insel, siehe -- da sitzt auf einem -Felsblock der zweiten kleinen Insel ein noch viel schöneres Jungfräulein, -die schüttelt ihr lockiges Haar, als sie die weißen, starken Arme des -Flußhelden sieht, die er nach ihr ausstreckt. Und sie lacht höhnisch und -nimmt spitzes Gestein und wirft es nach ihm, daß ihn die scharfen Kanten -ritzen. Da wird er zornig und will aufwallen -- doch ach, drüben auf -der letzten, kleinsten Insel, da sitzt am Ufer, mit den Füßen die neuen -Wellen patschend, das dritte Prinzeßchen; und sie hat langes, güldenes -Haar, und die meerblauen Augen sehen neugierig zu ihm hinüber, und die -schönen Glieder wiegen sich mit den Wellen. Da schwimmt er ganz nahe zu -ihr, legt seine große Männerhand um ihr weißes, weiches Füßchen, -und sie lächelt nur -- da zieht er sie hinab in seine schaukelnde, weite -Wasserwiege. Wie eine Wehklage braust es durch die Waldwipfel; aber sein -Jubelruf übertönt die Klage, und weit enteilt er, seine Beute bergend vor -Fels und Abgründen. Regungslos liegt die Schlanke, Weiße in seinen Armen. -Sie kann ja nicht sprechen im Wasser, nur die meerblauen Augen sehen -ihn an, und tief drin liegt eine stille Klage: Warum hast du mich in ein -fremdes Element gezogen? Warum dich zum Herrn gemacht über ein freies -Geschöpf? - -Nun wußte er eine Grotte, darin sollte die stille, weiße Geliebte wohnen. -Tiefgrün war es darin von lauter Smaragden, und das Edelgestein leuchtete -und funkelte wie von tausend Lampen. Der trotzige Held aber webt und webt, -und webt mit seinen Wasserfäden den schönsten Brautschleier von kostbaren -Spitzen, und er hängt das duftige zarte Gewebe, so hoch, so fein, rund im -Halbkreis vor das smaragdene Wasserschloß, daß niemand seine Heimlichkeit -störe, keiner seine weiße Braut, zu deren Füßen er ruht, ihm rauben -könne. Sie aber spielt in seinen langen Haaren, küßt seinen roten Mund, -legt ihr Köpfchen an seine breite Brust -- aber immer wieder fragt sie: Wo -ist die Sonne? die goldene Sonne? - -Und eines Tages, als er fern ist, da wird die Sehnsucht nach dem Licht so -mächtig in ihr, daß sie der Wasserkobolde und neckischen Nixen vergißt, -die draußen ihr Wesen treiben und die Spitzenschleier immer wieder -erneuern und verdichten. Ganz nahe tritt sie heran an die zauberischen -Vorhänge -- wie hell, wie licht es da ist; sie rückt ein wenig daran, sie -lüpft ein zartes Eckchen. -- Siehe, da über den wogenden Wasserdünsten -steht die Sonne, ihre Sonne in strahlender Pracht -- und die Arme -sehnsüchtig ihr entgegenbreitend, sinkt das Waldkind, eingehüllt in -die Brautschleier, zur tosenden, unbarmherzigen Tiefe nieder. Wie ein -leuchtender Strahl fliegt es an dem Trotzigen vorbei, der seine starken -Glieder im wildesten Flutengetos kühlt, und da vor ihm, da im Strudel -treibt der weiße, weiche Leib seiner stillen Waldlilie. -- Es überkommt -ihn ein großer Zorn. Brüllend vor Schmerz und Wut, daß es wie Donner -grollt, wirft er die Wasser gen Himmel, damit ihr Schaum, ihr wilder Gischt -die Sonne, die verhaßte, verdecke. So steht er im Strudel und rast und -trotzt gen Himmel. Er sendet seine Fluten auf zu der Insel, wo seine -Waldlilie wuchs; sie zerren und wühlen an dem Gestein, ein Stück nach -dem andern sinkt in die Tiefe und ein höhnender Schrei gellt von Welle -zu Welle, wenn ein Baum mit hinabgerissen wird und hülflos in den Fluten -treibt. Oben in den Wipfeln der Bäume aber rauscht eine wehmütige Klage -um die Waldlilie, die an der Sonnensehnsucht verging. - -Doch die wundersamen Spitzenschleier, die das Brautgemach bargen, wallen -immer noch nieder vor dem smaragdenen Schloß und verhüllen in zarter -Weiße seine erbarmungslose Leere. Die goldene Sonne aber taucht ihre -Strahlen tief in das Wassergebrodel, läßt sie niedergleiten an den -Schleiern, als suche sie die, die aus Sehnsucht nach dem Lichte gestorben -ist; und die Strahlen bauen von Tag zu Tag eine wunderleuchtende Brücke -hinauf, hinauf zur Sonne. - -Da endete das Märchen und es breitete seine Arme aus nach den fallenden -Wassern. Ein leises, wehmütiges Klingen zog herüber von den Inseln der -drei Schwestern. - -Das Märchen erhob sich, flog mit breiten, weißen Mövenflügeln hin über -die Fluten, die wild aufschäumten und es haschen wollten. Aber sie netzten -nur seine Füße. Und mit leisem Gekicher kreiste es über meinem Haupte -- -mein verlorenes und wiedergefundenes Märchen -- an den fallenden Wassern -des Niagara. - - - - -In der Gosse. - - -»Hei! Der hat's eilig!« sagten die trockenen Blätter, als der Wind -sie packte und die glatte Straße hinunterwirbelte, daß sie den Atem -anhielten. - -»Nein, ich will nicht!« raschelte das eine ganz große Blatt, das, trotz -seiner verkrümpelten Gestalt, noch einen grünlichen Schimmer auf sich -hatte und sogar noch einen ordentlichen Stiel besaß. Und es hob sich -erst von der einen Seite, und dann von der andern -- wie ein ungeschickter -Bauernbursche, der zum Tanze antritt; aber es half ihm nichts: der Wind -blies die Backen auf, und heidi! da sauste es davon, so viel es auch -versuchte, an allen Steinchen und Schmutzhaufen hängen zu bleiben. Wütend -sprang es schließlich noch toller wie die andern und legte sich oben -auf die kleinen Blätter, um sie festzuhalten. -- Da plötzlich -- an -der Straßenecke stieß der Westwind laut jubelnd den Nordwind an -- so -spielten sie immer, die beiden wilden Gesellen, und wollten sich dann -schier totlachen, wenn sie alles Lebendige mit in ihren tollen Reigen -hineinzerrten. -- Und nun wirbelten sie zusammen die trockenen Blätter -in die Höhe, daß sie den Bäumen entgegenflogen, die sehnsüchtig die -leeren, nackten Arme nach ihnen ausstreckten. Aber da lagen sie schon -wieder auf der Erde, küselten verwirrt umeinander und schleiften, -schlürften, raschelten über die glatten Steine hinab in die Gosse. - -Da lagen sie nun und dachten nach. Und dachten, wie sie -- es war schon -lange, lange her -- die braunen Köpfchen einst vorsichtig aus der -Baumrinde hervorgestreckt hatten, und in die Welt hinein geguckt, wie sie -dann groß und grün und schön geworden waren, wie die Spatzen in -ihnen gehuscht, wie der Mond zwischen ihnen hindurchgelugt, und wie -die Menschenkinder in ihrem Schatten sich geküßt hatten. Dann war der -Herbstwind gekommen und hatte sie selber geküßt, und sie waren gestorben -an seinen eisigen Küssen -- hatten sich erst so herrlich geschmückt für -ihn, die armen Dinger, rot und gelb und violett und braun, und dann fielen -sie ohnmächtig aus seiner wilden Umarmung zur Erde nieder, wurden hin und -her gejagt von den Winden, und nun? Nun liegen sie in der Gosse und denken -nach. - -Hei! Wie der Wind bläst! Die Kleider der schönen Frauen, welche die -Straße entlang gehen, schlägt er zur Seite, daß die schlanken Füße -sichtbar werden. Und die Blätter in der Gosse flüstern einander zu: -»Jetzt werden sie auch anfangen zu tanzen und rascheln und schleifen die -glatte Straße hinab in die Gosse!« - -Aber nein, die kleinen Füße schreiten fest und sicher weiter, der Wind -kann ihnen nichts anhaben -- aber der andere, der im Herzen weht, durch das -Leben stürmt, ob der die schlanken Frauenfüße wohl nicht vom glatten Weg -hinabwirbelt -- in die Gosse? - -Davon freilich wußten die trockenen Blätter nichts: sie lagen in der -Gosse und dachten nach; und der Wind strich jauchzend über sie hin. Es -wäre ihm ein Leichtes gewesen, die ganze Gesellschaft aus dem Rinnstein -hinauszuwirbeln, über alle Welt zu jagen. Doch er that es nicht; lauernd -hing er über ihnen und sang sein Lied: - -»Jetzt schirre ich meine Wolkenrosse und stürme dahin und brause -über die Stadt und über das Land in den Wald. Eure Schwestern will -ich besuchen, die glührot an den Bäumen hängen. Und ich hause in den -Zweigen, und ich brause über die Wipfel, und ich schüttle die bunte -Pracht. -- Seht Ihr den bunten Blätterregen? - -Und seht Ihr die Trauerweiden, wie sie den Waldteich bewachen, düster, -schwermut-geheimnisvoll? Ich peitsche ihre niederhängenden Haare, daß sie -wie graue Schlangen zischeln und züngeln. Ich wühle die schwarzen Fluten -des Waldteichs auf, daß die Wellen schäumen und sich kräuseln und mit -nassen, starken Armen die Wasserrosen hinabziehen in das dunkle, dunkle -Grab. -- - -Nur die Königin -- sieh', da ruht sie auf schwarzgrünen Blättern, und -sehnsüchtig leuchtet ihr weißes Blumengesicht mir entgegen. Ich fliege zu -ihr, und ich reiße sie an mich in wilder Lust, kosend schaukle ich sie hin -und her, ich sauge wollüstig den Duft aus ihrem weißen Kelche, ich küsse -sie mit zärtlich stürmischen Küssen -- sie stirbt an diesen Küssen -- -und ich trage ihre Blumenblätter hin über den schwarzen Waldesteich, -hin über die Welt -- -- Ist es süß, zu sterben an den Küssen des -Gewaltigen? -- -- - -Heiho! -- Ihr Wolkenrosse -- graue, schwarze! senkt Euch tiefer, daß -ich Euch besteige, daß ich Euch zügle hin über die Erde -- der ich -Vernichtung bringe -- --« - -Raschelnd flogen die trockenen Blätter ihm nach, aber nur eine Spanne -hoch, dann fielen sie wieder herunter in den Rinnstein. Und da lagen sie -wieder mit ihren Gedanken. - -Es hatte sich eine sehr gemischte Gesellschaft in der Gosse -zusammengefunden. Da waren Blätter von allen Größen und jedes sah ganz -anders aus. Sie gehörten zwar alle entweder zu der großen Familie »Derer -von Baum« oder zu der »Von dem Busche« -- aber eine rechte Einigkeit -konnte nicht erzielt werden, da sich die vom Baum viel vornehmer dünkten, -als die von dem Busche, und daher wurde so viel von Stammbäumen, -Wappenschildern und dem Gothaer geredet, den die Firma Frühling, Sommer -u. Co. herausgab, daß die übrige Gesellschaft im Rinnstein, die nicht -von so hoher Abkunft war, in tiefster Ergebenheit erstarb. Darin waren sie -sich jedoch alle einig, daß sie nur durch unverschuldetes Unglück, durch -widrige Winde und plötzliche Regengüsse so heruntergekommen waren, daß -sie sich nun in der Gosse befanden. - -Da stak mitten unter dem Blätterhaufen ein langer, schlanker Strohhalm, -hineingeflogen wie ein Pfeil -- die Blätter hatten ihn immer für etwas -ganz Unbedeutendes gehalten -- der that jetzt den Mund auf und begann zu -erzählen: »Ich bin sehr vornehm,« sagte er, »ich bin ein Prinz. Ich -bin Oberst gewesen in Ihrer Majestät der Frau Königin Erde Weizenfeld, -Allerfeinste-Mehlsorte No. I. Ich trug eine gelbe Uniform und einen -prächtigen Raupenhelm auf dem Kopfe. -- Ihr hättet es sehen sollen, unser -Regiment! Wie wir in Reih' und Glied standen -- fest wie eine Mauer! Wie -wir exercierten -- hierhin, dorthin, auf und nieder, wenn unser Kommandant, -Generalissimus Wind, seine brausende Stimme erschallen ließ. Hei! das -war eine Freude, uns anzuschauen! -- Und dann kam der Krieg, das war ein -schneidiger Krieg! Erbarmungslos mähte der Feind, jenes uncivilisierte -raubgierige Gesindel, das sie Menschen nennen, uns nieder, und wir fielen -ebenso schön in Reih' und Glied, wie wir gestanden hatten. -- Aber tot -waren wir nicht -- bewahre! (denn sonst könnte ich es Euch ja -nicht erzählen). Wir gerieten nur in Gefangenschaft, und in bittere -Gefangenschaft. Sie banden uns zusammen, wie die Indianer, und schleppten -uns fort und steckten uns in die Folter, bis sie all den Reichtum, den wir -in unserm Raupenhelm trugen, herausgequetscht hatten, und dann, ja dann -sollten wir erniedrigt werden, den Pferden Dienste zu leisten, den Pferden -unserer Feinde. Die wollten auf uns herumtrampeln, die wollten uns als -Lager benutzen, die wollten -- mit einem Wort -- Mist sollten wir werden! --- Ich, Prinz von Halm-Halm -- auf Aehre -- Oberst in Ihrer Majestät der -Königin Erde Regiment Weizenfeld-Allerfeinste-Mehlsorte No. I. - -Da, als wir gefesselt, geknebelt, aufeinandergepackt, in dem -Transport-Wagen lagen -- da habe ich zum erstenmal in meinem Leben die -Subordination vergessen -- ich, dem die Subordination alles war, und bin -ausgerissen. - -Und die Folge davon? -- Ich liege in der Gosse -- -- - -Ja, Subordination muß sein!« sagte der Strohhalm, grub sich mit seiner -leeren Kornähre, seiner Raupe, in den Gossenschlamm und philosophierte -über die Gefahren der Unbotmäßigkeit. -- »Siehst Du, Prinz Halm-Halm: -Schmieg' Dich dem Schicksal an, so kriegst Du einen warmen Pferdestall -- -lehn' Dich dagegen auf und Du fällst in die Gosse -- auf Aehre! -- Burrrr --- brumm!« schnarrte es neben ihm. Ein richtiger, bunter Brummkreisel war -es, der auf irgend eine Weise in die Gosse geraten, unter die Blätter, und -von den Kindern vergessen worden war. - -»Subordination. -- Ich brumme was auf die Subordination! Wer wie ich -zeitlebens von allen unnützen Buben auf den Straßen herumgepeitscht -worden ist -- zuweilen waren ein halbes Dutzend hinter mir, und dann mußte -ich tanzen und brummen, bis mir der Atem ausging -- der ist froh, wenn er -auskratzen kann und sein Leben gemütlich in der Gosse beschließen darf. - -Wie habe ich mich gesträubt und gewehrt, all' mein Leben lang! Ich habe -den Bindfaden, der an mir saß, so fest um mich herumgewickelt, daß er -beinahe mit keiner Macht der Erde wieder loszumachen war; ich habe mich mit -meinem einzigen spitzen Bein in die Ritzen der Steine geklemmt, daß sie -mich beinahe nicht wieder herauskriegen konnten; ich bin allen Jungen und -Mädchen zwischen die Füße gefahren, daß sie stolperten, und habe dabei -gebrummt, daß mir selber angst und bange wurde. Aber es half mir nichts. -Ich mußte tanzen und schnurren und Kapriolen machen mit der bittersten -Empörung in meinem Brummkreiselherzen. Sie hatten die Peitsche und -folglich auch die Macht und ich mußte tanzen, bis ich eines schönen Tages -in der Gosse lag -- -- -- Brrrrr -- brumm!« sagte der Kreisel, als der -Wind über ihn hinfuhr und ihn zwang, sich um sich selbst zu drehen. - -»Ja, mein lieber Herr Kreisel,« sprach da salbungsvoll ein weißes, -bedrucktes Stück Papier, das die Schulkinder aus einem ihrer Bücher -verloren hatten. Die Blätter wollten es nicht für voll anerkennen -- es -war zwar auch ein Blatt und auch trocken, aber es gehörte zu einer ganz -andern Familie -- sie waren gar nicht verwandt. Es hielt sich deshalb ein -wenig abseits und sprach in gebildetem Tone: - -»Sehen Sie, mein lieber Herr Kreisel,« sagte es, »das ist von alters her -so gewesen -- ich muß das wissen, denn ich bin aus einem Geschichtsbuche --- die Starken hatten die Macht und, wie Sie so sehr richtig bemerkten, -folglich auch die Peitsche, mit der sie sehr energisch umzugehen wußten, -und die Schwachen -- nun, die wurden gepeitscht. Da hilft kein Auflehnen -gegen den Willen von oben und gegen die Peitsche der Straßenjungen; die -Kreisel wie alle Armen und Schwachen müssen tanzen -- so ist es immer -gewesen, so ist es heute noch, und so wird es bleiben. Wir haben uns einmal -daran gewöhnt, und wir Gebildeten sehen auch ein, daß es nicht anders -sein kann und daß es so am besten ist.« - -Da fuhr aber der Kreisel auf: - -»Daran gewöhnt? Fällt uns gar nicht ein! Denken gar nicht daran! Und -wenn wir uns einmal alle zusammenrotteten -- die Bäume und die Büsche und -die Strohhalme, und alles, was so herumliegt, und wir Kreisel und -- und so -weiter -- und wir machten 'mal so eine kleine, lustige Revolu-- --« - -Hui! Da faßte ihn der Wind und schüttelte ihn, und da duckte er sich und -sagte: »Brumm!« -- - -»Ach,« jammerte da ein feines, zärtliches Stimmchen, »was ist das alles -gegen den Kummer, den ich erlebt habe?« - -Das war ein Stückchen Papier, lachsfarben, gepreßt, mit Tinte beschrieben --- man sah, es war etwas Feines. Der Wind hatte es eben erst in wilder Jagd -die Straße hinuntergepustet, und atemlos war es mit einem Purzelbaum in -der Gosse gelandet. - -»Ich war rein und hellblank, und ich duftete stärker wie die Veilchen -in der Vase, die vor dem Fenster stand; und ich lag auf einem zierlichen -Schreibtisch und ein reizender, goldener Federhalter kritzelte über -mich hin. -- Ach, dieser Federhalter! Etwas Glänzenderes, Schlankeres, -Zierlicheres habe ich nie gesehen. Und alle die süßen, zärtlichen -Worte, die er mir ins Ohr flüsterte -- war es ein Wunder, daß ich -seinen Schwüren glaubte, daß ich ihn liebte mit all der Glut, deren mein -papierenes Herz fähig war? -- Ach, wie war das Leben schön! - -Aber da kritzelte er mir eines Tages mit einem großen dicken Tintenstrich -etwas ganz Unheimliches, Unverständliches zu, so daß ich erschrak, und -dann ergriffen mich plötzlich kleine, weiße Fingerchen, und ich knickte -vor Angst in der Mitte durch, und sie sperrten mich in einen dunklen -Behälter, der wurde fest zugemacht, und eine glockenhelle Stimme trillerte -dazu: - - Such' ich mir 'nen andern Schatz -- - juhu -- andern Schatz -- - -und dann reiste ich fort, weit fort, und mein schlanker, goldener Geliebter -blieb zurück, und ich habe ihn nie wieder gesehen. Ach, ich war wie in -einer Betäubung und kam erst wieder zur Besinnung, als mein Gefängnis -sich öffnete und ich herausgeholt wurde -- und da -- da geschah etwas -Schreckliches: ich hörte eine wuterstickte Stimme, die mich fürchterlich -ausschalt, und große, rauhe Finger nahmen mich und rissen mich mitten -durch, nicht nur einmal, nein, in lauter kleine Fetzen, und wir flatterten -zur Erde nieder und der Wind kam und nahm uns mit sich fort. -- Ach, und -wenn nun mein Federhalter mich sucht, dann erkennt er in diesem kleinen, -schmutzigen Flecken seine schöne lachsfarbene Geliebte nicht wieder. --- -- -- Ach, was sind alle Leiden und Kümmernisse der Welt gegen die -Schmerzen unglücklicher Liebe!« - -Als das traurige Papierchen geendet hatte, entstand eine tiefe Stille in -dem Rinnstein. Sie waren alle gerührt und kämpften mit den Thränen -- - -»Denn eigenes Unglück und eigener Kummer machen das Herz empfänglich -für die Leiden anderer!« sagte das Blatt aus dem Geschichtsbuche für die -Jugend gebildeter Stände. Nur das große Blatt mit dem Stiel, eines -der vornehmsten aus dem Hause derer vom Baume, murmelte etwas von -»plebejischer Gefühlsduselei!« und der Brummkreisel sagte: »Bitte, -meine Herrschaften, werden Sie nicht sentimental -- das ist veraltet -- -und von Liebe halten wir heutzutage nicht viel, die Wissenschaft hat -diesen geheimnisvollen Vorgang in unserem Innern mit grausamer Deutlichkeit -aufgeklärt -- brrrr--brumm!« Da aber gab es einen großen Disput, wie -in einer politischen Sitzung, und wie sie noch im besten Zanken waren, -öffnete sich in dem nächsten Hause eine Thür und ein junges Mädchen -trat heraus mit einem Besen in der Hand, denn es war Sonnabend, und die -Straße sollte gekehrt werden. Mit kleinen lustigen Schritten trippelte sie -daher und die braunen Augen sahen zuversichtlich in die Welt hinein. Sie -begann mit kräftigen Bewegungen den Rinnstein auszukehren und summte -halblaut dazu: - - Wenn ich wüßt', wenn ich wüßt', - Wo mein Schatzerl ist -- - Ist wohl in die weite Welt -- - juhu -- weite Welt -- - Ist wohl fortgezogen! - - Wenn ich wüßt', wenn ich wüßt', - Wo mein Schatzerl ist -- - Wär' ich in die weite Welt -- - juhu -- weite Welt -- - Wär' ihm nachgezogen! - - Da er mir nun nichts gesagt, - Warte ich wohl über Nacht -- - Such' mir dann ein andern Bub -- - juhu -- andern Bub' -- - Muß mich nit verlassen!« -- -- - -Und nun purzelte alles durcheinander: die Blätter und der Strohhalm und -das Papier und der Kreisel. Das Mädchen kehrte sie zusammen auf einen -großen Haufen, und jubelnd kamen die Kinder herbei und zündeten das -trockene Laub an -- -- - -»Burrr!« sagte der Kreisel, »mein revolutionäres Feuer schmilzt mich -auf!« - -Und knisternd flog die lachsfarbene Schönheit in die Höhe; denn der Wind -blies in den Scheiterhaufen, daß die Funken stoben, er trug sie mit sich -fort, wie die weißen Blätter der Wasserrosenkönigin, und streute sie -aus auf seinem Wege, daß ein Feuerregen niederfiel. Die braunen Augen des -Mädchens sahen ihnen nach, und sie sang: - - »Ist wohl in die weite Welt -- juhu -- - juhu -- weite Welt -- - Ist wohl fortgezogen!« - - - - -Sonniger Winter. - - -Sie sagten, es sei Winter. Da ging ich hinaus, ihn zu begrüßen. Denn hier -drinnen in der engen Stadt hat er ein gar häßliches Aussehen, rauchig -und schmutzig, und er blickt dich an mit den Augen des Hungers. -- Draußen -aber lag der lachende Sonnenschein. War das der Winter? Er hat ja kein -weißes Kleid an. Die Bäume recken ihre nackten Zweige kraus und zackig -in den blauen Himmel hinein, und ihre Rinde schimmert rötlich, oder weiß, -oder stahlgrau in der schwimmenden, flockigen Luft. Ah, die Luft! -Das weitet die Brust -- wie du mit einem tiefen Atemzug alle den Wald -einhauchst, daß er die Stadt, die rauchige, schmutzige, in dir verzehrt! --- Mein Fuß wühlt im langen, zottigen Gras. Wenn du nicht hinsiehst -im Park, wo die glatten Wege sind, wo die feinen Karossen fahren, wo die -Menschen auf ebenen Pfaden wandeln, dann meinst du im Wald zu sein -- still -ringsum, nur hohe Bäume, nur das Lispeln, das seltsame, traurige Lispeln -in den nackten Zweigen, die ohne Blätter nicht rauschen und raunen -können, wie sie im Sommer, im Herbst es thaten. Nur die Prärie vor dir, -durch die sich das geschäftige Bächlein im Sonnenschein dahinschlängelt. -Ein zaubrisch Bächlein -- wie es lockt und winkt, eilig über die blanken, -feuchten Steine kollert, und immer raunt und murmelt und erzählt -- was es -nur immer sagt? Ich klettere den Abhang hinunter, tiefgrün schimmert das -Wasser von den bemoosten Steinen herauf. Einzelne ragen draus hervor, sie -sehen mich lockend an -- soll ich hinüber klettern auf den Springsteinen, -zum andern Ufer des Bächleins, dorthin, wo stille, grüne Tannen stehen, -wo es ganz einsam ist? -- Da -- mitten drin -- du böser Nix, was hast du -an dem Stein zu rütteln? Das hält ja so ein tappig Menschenkind nicht -aus! Natürlich, da patsche ich mit den Füßen im Wasser -- und nun -schnell gesprungen, in den Sonnenschein, in das hohe Gras hinein, daß ich -wieder trocken werde. Böser Bach mit deinem Nixen. -- Aber was ist das? -War es Zauberwasser, das mich berührt hat? -- Der Wald ist lebendig -geworden, die Bäume fangen an zu reden, ich verstehe, was die Vöglein -zwitschern, die kleinen, grauen, die Waldvagabonden, die einzigen, die -geblieben sind. Piep! sagen sie, uns ist's einerlei, ob die Blumen blühen -und die Bäume Blätter haben. Dann bauen wir unser Nest in den kahlen -Zweigen, und zwitschern von den zukünftigen Blüten, und die Nahrung -- -nun, die stehlen wir uns irgendwo -- nur Freiheit, Freiheit wollen wir -haben! -- Au! sagt das Gras unter meinen Füßen, warum trittst du mich? --- Ich bin nicht tot. Da, sieh' einmal her -- Und wie ich dann die langen, -zerzausten Haare vorsichtig zur Seite schiebe, da lugt frischer, grüner -Klee schelmisch hervor. Der grüne, grüne Klee -- Weißt du noch, grüner -Klee, wie es war zur Sommerszeit? - - Es war zur goldnen Sommerszeit, - Die Welt war groß und war so weit -- - Und grüner, grüner Klee. - - Der blühte still im Waldesthal - Wie Tropfen Blutes allzumal - Die Blüten stehn im Klee. - - Und Falter spielen drüber hin. - Und wir? Wir lagern uns tiefdrin, - Im grünen, grünen Klee. - - Dein Aug' ist wie der Falter blau, - Dein Mund rot wie die Blüt' im Tau, - Die Blüte rot im Klee. - - Dein Haar ist wie das Sonnenlicht, - Das gleitet durch die Zweige dicht - Wohl über grünen Klee. - - Dein lieber Hals, der luget leis, - Wie die Maßlieben wunderweiß, - Aus grünem, grünem Klee. - - Da hab' ich mich geneigt zur Stund' - Und hab geküßt den roten Mund - Im grünen, grünen Klee. - - Und nur ein Vöglein sah's mit an, - Das lockte süß aus dunklem Tann - Ganz nah beim grünen Klee. - - Da war es, wo im Waldesthal - Ich fand zum allererstenmal - Der Blätter vier am Klee. - - Merkt ihr, was das bedeuten soll? - Mein Lieb und ich -- wir wissen's wohl -- - Ja -- und der grüne Klee. -- - -Hat mir das Bächlein das Lied gegluckst? Haben's die kleinen Waldtramps -gezwitschert? Hat es der Klee gelispelt -- oder hauchten es die -Sonnenstrahlen in die Welt hinein? Rings um mich singt es und klingt es. -Und plötzlich trottet eine kleine Schar neben mir, putzige Gesellen mit -feinen Gliederchen und lustigem Wesen. Sie laufen neben mir wie eine Schar -Hündchen, sie klettern die platten Baumstämme hinauf und wiegen sich -in dem weiten Geäst hurtig wie die Eichkätzchen, und sie tragen kleine -Narrenkappen auf den Krausköpfchen, damit klingeln sie: Gedanken! -Gedanken! Wir sind deine Gedanken. -- - -Aber, ihr flinken Gesellchen -- Gedanken? Ich meinte Gedanken, die hätten -schwere Köpfe, und Brillen auf der Nase, und gingen mit gewichtigen -Schritten in den Büchern auf und ab spazieren. Was wollt ihr im Wald mit -mir? - -»Wir wollen hören, was er rauscht, was die Bäume sagen, und der Wind -weht. Wir wollen sehen, wo der Winter ist? -- Da, siehst du.« -- Mitten -auf der Wiese war das lange Gras fein säuberlich zur Seite gewachsen und -hatte einem grünen Moosteppich Platz gemacht, der sich glatt und fein -ausbreitete: »Sieh',« flüsterte mir ein Gedanke ins Ohr, »siehst du -die Elfen tanzen, und die Gnomen mit den weißen, zottigen Bärten und -den spitzen, haarigen Oehrlein? Wie die weißen Leiber der Winterelfen -schimmern, wie ihre flockigen Schleier wehen und wie die Lüfte aufspielen -zum Tanz. -- Horch! Wie Schneeknirschen klingt's, und wie die Eiszapfen, -wenn sie klirrend von den Bäumen brechen. Und siehst du, da mitten im -Gewirr den sonnigen Winter stehn? Seine Augen glänzen und er lacht, daß -die weißen Zähne aus dem feurigen Barte blitzen.« -- In den starken -Armen hält er die Winde; wie sie zappeln und die Backen aufblasen vor Wut, -daß sie nicht loskommen können -- da schlägt er den Nordwind und den -Westwind mit den Köpfen zusammen, die bösen Gesellen, und stößt sie -mitten unter das Elfengesindel, das sie jauchzend mit Tannenkränzen -umwindet und fesselt; oben auf des sonnigen Winters Schultern aber steht -der Südwind und stößt jubelnd ins Horn, daß es von den Bergen ringsum -widerklingt. Und jauchzend fallen die Gedanken um mich herum in das tolle -Treiben -- so daß ich mich ordentlich schäme für sie -- was sollen nur -die Menschen davon denken? »Ihr solltet auch nicht denken, ihr Menschen,« -lachten meine wilden Gesellchen -- »denn wenn ihr denkt, dann denkt ihr -immer was Dummes. Es wäre überhaupt viel besser, ihr dächtet gar nicht, -und überließet es uns, euch plötzlich mit etwas Gescheitem durch den -Kopf zu fahren -- wie ein Blitz.« - -»Da sieh' hin, die zwei Bäumchen, die da angewackelt kommen,« sagte ein -spöttischer kleiner Gedanke und überschlug sich wie ein Kobold im Gras -vor Vergnügen. »Du denkst, es wären Fichten, aber schau sie einmal an: -sie kommen in kurzem Lauf, ein wenig vornüber, dahergetrottet, ihre Nadeln -stehen zierlich nach beiden Seiten, wie lauter gewichste Schnurrbärtchen, -die Kronen sind ihnen ins Gesicht gerutscht, so daß es aussieht, als wenn -sie die großen Hüte bis tief auf die Nase sitzen hätten, und da die -Zweige just ein bischen über dem Erdboden beginnen, scheint es, als -hätten sie sich die schloddrigen Hosen sorgfältig aufgekrempelt. -- - -»Ei! wie die Herrchen laufen,« höhnt der lustige Gedanke und zupfte an -ihren Nadeln, worauf sie sich wütend umdrehen und mit den jungen Birken, -die sie als Spazierstöcke mit sich schleppen, nach ihm schlagen -- »sie -thun, als wollten sie dem sonnigen Winter eine Referenz machen, und dabei -schielen sie doch nur nach den weißhäutigen Elfendirnen.« - -Nun kommen sie von allen Seiten gewandert: die breitästigen Eichen, die -schlanken Birken im weißen Hemdchen, knorrige Burschen vom Geschlecht der -Baumriesen; und eine nackte Trauerweide tänzelt so lustig daher, daß die -langen, fast bis auf die Füße hängenden Haarsträhne im Winde flattern. --- Ei, sieh', wen haben wir hier? -- Eine Prozession ehrbarer Herren in -dunkelgrünen Röcken, die bis zur Erde reichen; und aus den stachligen -Kapuzen schauen lustige Mönchsgesichter, und die Aeuglein blinzeln über -die feisten Wangen hinweg nach den schlanken, grünen Nönnchen, die ihre -Kiefernkleidchen gar züchtig geschürzt haben und sittsam kokett neben -der Tannenprozession einhertrippeln. Voran schreitet ein baumlanger -Tannenriese, stark wie Rabelais' Mönch Johann. »Halt da!« kommandiert -er, »hübsch paarweise antreten!« und er bombardiert die letzten in der -Reihe mit Tannenzapfen, damit sie ihn besser verständen -- »und wem's -nicht recht ist, hier im Wald, dem schlage ich die Knochen im Leibe -entzwei!« - -Da faßt ein Mönch je ein Nönnchen bei der Hand, und, die grünen Röcke -ein wenig lüpfend, tänzeln sie im Menuettschritt über die Wiese hin zum -lachenden, sonnigen Winter und beginnen artig zu psalmodieren, daß es in -den Wald hineinschallt: - - »Brave Mönche sind wir Tannen, - Brummeln unser Mönchsgebet -- - Und wenn es zum Schlucken geht, - Laufen nimmer wir von dannen -- - Eia, Hallelujah! - - »Nönnchen sind wir, Nönnchen heiter, - Leben gottgefällig weiter, - Putzen unser grünes Kleid -- - 's Himmelreich ist auch nicht weit -- - Eia, Hallelujah! - - »Und so leben wir gar traulich, - Brüder, Schwestern, Hand in Hand -- - -- Unsre Kutten sind verwandt -- - Unser Trachten ist beschaulich -- - Eia, Halleluja!« - -»Ei, so hört auf zu plärren,« dröhnt Bruder Johanns mächtige Stimme -dazwischen -- - - »Kurze Worte dringen zum Himmel eh'r, - Lange Züge machen die Kanne leer -- - Eia, Halleluja!« - -Und mit tollem Jubel drehn sie sich mit im Elfenreigen, daß die grünen -Kutten im Winde wehn. - -»Hast du nun den Winter gefunden?« flüstert mir ein Gedanke ins Ohr, -»sieh', wie die Sonne über ihm steht, lichtspendend, milde lächelnd, -als ob all das Weh in der Welt nur ein Wassertröpfchen wäre, das sie -lächelnd aufsaugt.« - -»Sagtest du: Weh, kleiner Gedanke?« haucht es neben mir, »weißt du, was -das ist?« - -Ich wandte mich; da steht unter den hohen Bäumen des sonnigen Winters der -allerhöchste und breitet seine mächtigen Zweige aus, als wolle er die -Welt an seine Brust ziehn. »Sieh',« sagt er und senkt das starke Haupt, -»meine Krone haben sie mir geraubt, der Sturm, als er hinzog mit seinen -weißen Jägern über mein Reich -- meine Aeste haben sie zerschlagen und -die Augen mir geblendet. Weißt du, was es heißt, leben, und die Sonne -nicht mehr sehn, nie mehr!« - -Es geht ein Aechzen durch den zersplitterten Stamm, die Zweige bewegen sich -schwankend hin und her -- es ist, als wolle sich der Riese zur Erde neigen. -Aber noch ist er stark, noch steht er aufrecht, bis der Sturm wieder einmal -gegen ihn zu Felde zieht -- und nur wie ein »Weh -- das thut weh!« -- -zittert es durch die Luft. - -Mich fröstelte es, die Sonne sank tiefer, ich ging dem Heimweg zu. -Einzelne Gedanken blieben im Wald beim Tanz auf dem Elfenteppich, bei dem -sonnigen Winter, andere sprangen mir flüsternd, raunend, kichernd -zur Seite; bis zum Hügel hinauf, am Rand des Waldes, da waren sie -verschwunden. Einige waren den eleganten Karossen nachgelaufen und -guckten spöttisch grinsend in die Wagenfenster, andere hatten sich den -Heimatlosen, vagabondierenden Menschenkindern angeschlossen, die unter -den Büschen des sonnigen Winters ihr Nachtlager suchten. Nur Einer, -ein ernsthafter, blasser, kleiner Geselle stand neben mir, als ich mich -umwandte am Berg und mein Auge die Sonne suchte -- wie seltsam! Die Sonne, -die goldene, große, strahlende, hing herrlich am Himmel -- aber der Wald, -die Welt? Was eben noch leuchtete, schimmerte, in wunderbarsten Farben, das -lag tot und kalt und schwarz zu ihren Füßen. - -»Siehst du,« sagte der ernsthafte Gedanke neben mir, »so wollt ihr die -Wahrheit suchen mit eurem Verstand und eurer Tüftelei, so seht ihr in die -Sonne mit der Brille der kalten Berechnung auf der Nase -- ja die Sonne -steht dort am Firmament, strahlend, so himmlisch leuchtend, daß euer -blödes Auge sie nicht ertragen kann, und die Welt, über die ihr die -Wahrheit ergründen wollt, liegt schwarz und tot da. Aber schau dich um, -schau mit der Sonne, schau dahin, wo nur die Strahlen der Sonne hindringen, -wohin die Wahrheit ihr goldenes Licht wirft -- siehst du nun, wie herrlich -die Welt daliegt, in Farbe, in Glut gehüllt, verklärt? Fühle nur die -weiche, flimmernde, golddurchglühte Luft, die dich mit linden Armen -umfängt -- schaue die jauchzende, die lebende, lichte Welt! -- - -Und weißt du nun, was Poesie ist?« flüsterte der ernsthafte, kleine -Gedanke mir ins Ohr. - - - - -Ein Weihnachtsmärchen. - - -Weit, weit hinter den Wolkenbergen, da, wo der Sonne Heimat ist, die zu -verlassen ihr so schwer fällt, daß sie Tauthränen weinen muß, da, wo -gut sein, fromm sein ist, und die Religion die Liebe, da, wo es keinen -Neid, keine Polizei und keine Geldnöten gibt, da ist das Reich der -Träume, das Wunderland, wo die schöne Frau Phantasie als Königin -herrscht. Da sitzt sie auf ihrem goldenen Sonnenthron, umgeben von all' dem -lustigen und luftigen Volk, den Elfen, Nixen und Kobolden, die durch das -Christentum und das Geld aus der Welt vertrieben wurden, und hält Hof, und -die Blümelein sind ihre Vasallen und die Bäume ihre Schildwachen, und -die Vögelein jubilieren und konzertieren, und die Mücken und Grillen und -Heimchen tanzen Ballett; und der Wind, der säuselnde, sanfte, der starke, -stürmische, immer gewaltige Sänger, ist zum Hofpoeten ernannt. Aber die -mitleidige Königin, so gut sie es auch in ihrem wonnigen Traumland hat -- -sie ist nimmer zufrieden damit. -- - -Sie gedenkt ihres Sorgenkindes, der Welt, die ihr schon manch' bitteres Weh -bereitet hat, sie hüllt sich in ihren blauen Himmelsmantel, mit goldenen -Sternlein besäet, und fliegt mit geheimnisvoll leisem Flügelschlag -über die Erde, und wenn sie sieht, daß ihr Sorgenkind immer noch so -verdrießlich und wetterwendisch und eigensinnig-dumm und boshaft und -lieblos ist, dann fließen Thränen der Wehmut und des Zornes und des -Mitleids aus ihren schönen Augen, vermischt mit Hoffnungsbalsam und -Sehnsuchtslauten nach ihrem Traumland, und diese kostbaren Thränen fallen -zur Erde hinunter in die Herzen ahnungsvoller Menschen, die von Liebe -entbrennen zur herrlichen Göttin Phantasie; sie singen dann, was ihr Herz -bewegt, und die Welt nennt sie Dichter. - -Aber Frau Phantasie verhüllt sich mit ihrem blauen Himmelsmantel, so -daß nur die kleinen nackten Füßchen wie zartrosa Wölkchen darunter -hervorgucken, der Wind nimmt sie auf seine Flügel und trägt sie in ihr -Königreich, und dann geht die Sonne auf. - -Lange schon ist es her, daß die Königin ihre letzte Reise unternommen -hat; sie hat über den Wolken gethront im Traumland; aber Wehegeschrei und -Kanonendonner sind bis zu ihr hinaufgedrungen und Zornesrufe nach Freiheit -und Fluchworte gegen Lüge und Heuchelei, und dann wurde es ruhig, ganz -ruhig unter ihr -- da erhob sie sich von ihrem Thron, legte die weiße -Hand gegen das rosige Ohr, lauschte in die Ferne, und sie sprach zu ihrem -versammelten Volke: - -»Horch, so friedlich ist's da drunten! Sollte wohl jetzt die Zeit gekommen -sein, wo ich meine Lieblinge hinaussenden kann, auf daß sie der Welt -Erlösung bringen? Meine Kinder, meine weißen, süßen, unschuldigen -Kinder: Wahrheit und Liebe, die ich mit dem Sonnengott, dem ewigen Licht, -gezeugt; sie schlummern unter Blumen nun seit vielen tausend Jahren und -immer wollte ich sie wecken und immer noch war es zu früh; immer begann es -wieder zu lärmen auf der Welt, wenn ich gerade mich niederbeugen wollte, -um sie wachzuküssen -- die beiden Zwillingsrosen. Nun aber ist's Zeit. - -Geschwinde, Ihr lustiges Volk, geschwinde, Ihr meine Treuen -- kommt, -kommt, laßt sie uns wecken!« - -Und da huscht es, und haucht es und weht und faucht es über sie hin, um -sie her, und da singt es und saust es und klingt es und braust es, und die -Blümlein duften süß und die Zweige neigen sich flüsternd und leise. --- Da stehen zwei holde Kinder mitten unter ihnen, ein Knabe und ein -Mägdelein -- sein Antlitz ist ernst und klar und trotzig und sonnig, in -ihrem rosigen Gesichtchen lacht der Frühling, und doch thront auf der -Stirn eine leise Schwermut und in den Augen wohnt die Sehnsucht. Und die -Königin zieht ihre holden Lieblinge an ihr Herz und weint Glücksthränen -auf ihre jungen Häupter, und all ihr Volk steht erwartungsvoll schweigend -um sie her. Da spricht sie: - -»Ihr meine jungen Helden, mein ernster Knabe, mein lachend Mägdelein -- -steigt nieder zur Erde, zieht hin über die Welt und verkündet ihr das -neue Evangelium, bringt ihr die Liebe, lehrt sie die Wahrheit. Ach, sie -ist arm, arm an Glück und Liebe -- lehrt sie, daß nur durch Liebe die -Seligkeit zu erringen ist, von der sie so viel gehört und die sie nicht -verstanden hat. - -Laßt Euch nicht abschrecken durch rauhe Worte, durch herzlose That -- -predigt immer wieder, ruft in die Welt, in ihre Herzen hinein, jubelt ihr -entgegen das Evangelium von der Liebe, ohne die nichts ist, hier nicht, wie -auf Erden. - -O meine Kinder, vor allem trennt Euch nicht, faltet Eure Händchen -zusammen, verlaßt Euch nicht, denn die Wahrheit ist nicht ohne die Liebe, -und die Liebe tot ohne die Wahrheit. -- - -Allein seid Ihr nichts, vereint alles!« - -Da gab man ihnen Oelzweige in die Hände, Mutter Phantasie nahm die Kinder -in ihren Himmelsmantel und trug sie zur Erde nieder, und die Elfchen und -Nixchen und Kobolde huschten um sie her, die Vöglein zogen mit ihnen und -sangen und alles war voll Freude. - -Aber der alte, weltweise, vernünftige Uhu saß in dem Eichbaum, unter -welchem Wahrheit und Liebe, von duftenden Blumen zugedeckt, viele tausend -Jahre geschlummert hatten, klappte seine großen Augen auf und zu und -seufzte, daß es in den Klüften und Schluchten wiederhallte: - -»Zu früh, viel zu früh, ach, es ist zu früh!« - -Hand in Hand irrte nun das Zwillingspaar durch die Lande, über Berg und -Thal, über Fluß und Steg, an all den vielen Städten und Burgen vorüber, -mit ihren vielen tausend Bewohnern, aber keiner wollte so recht etwas -von ihnen wissen. Da waren wohl viele, die sagten: »Ach, wie schön seid -Ihr!« Das waren lauter junge Leute, die Kopf und Herz noch voll herrlicher -Gedanken und beseligender Empfindungen trugen, aber sie hielten sich doch -in scheuer Entfernung, denn sie kannten die Kinder nicht. Da waren Andere, -die tätschelten sie gönnerhaft auf die lockigen Häupter und sagten: -»Ja, recht schön, aber unpraktisch!« Das waren alte, weißhaarige -Männer und Frauen. Da waren noch Andere, die wollten mit lustigen, -bunten, lügnerischen Lappen die schöne, reine Nacktheit der beiden Kinder -bedecken, aber da eilten diese angstvoll von dannen und hinter ihnen her -gellte höhnisches Gelächter. - -So kamen sie eines Tages durch einen schönen großen Wald, darin -zwitscherte es gar lieblich von Vogelgesang und duftete es süß von -Blumenduft, die Bäume neigten ihre Zweige vor ihnen, und der Vater, der -Sonnengott, liebkoste sie mit seinen warmen Armen. - -Die Tiere des Waldes kamen, die scheuen Rehe, die flinken Füchse, die -leichtfüßigen Eichhörnchen, sie sahen sie mit klugen Augen an, und -plötzlich klang's von fern und nah, in allen Zweigen, in allen Lüften: - -»Bleibt hier, o bleibt hier! Bei uns ist's gut sein, aber draußen ist's -Winter; die kalte, böse Welt, sie thut Euch weh und treibt Euch fort, und -dann müßt Ihr leiden!« - -Aber ein kleines, grünes Tannenbäumchen neigte sich zu ihnen hin und -sprach: »Jetzt bin ich allein; eine schöne Tanne stand bis gestern noch -neben mir; die haben die Menschen geholt, denn Weihnacht ist draußen, -sagen sie, das Fest der Liebe, und da ist die Tanne gern mit ihnen -gegangen, denn dann wird sie geschmückt, geputzt und geliebt. Nun stehe -ich allein und möchte wissen, wohin sie gegangen ist.« - -Da blickten die Kinder zu ihrem Sonnenvater hinauf -- der nickte lächelnd, -und sie zogen weiter. - -Draußen, jenseits des Waldes, war Schnee und Eis und die Bäume senkten -matt ihre dürren Aeste unter der Last, die ihnen aufgebürdet war; kein -grünes Hälmchen sah unter der Schneedecke hervor und die kleinen Spatzen -piepsten traurig auf der Hecke am Wege. Das liebe Zwillingspaar aber war -ganz warm und der Schnee that ihren nackten Füßchen nicht weh, denn -des Vaters Sonnenstrahlen hüpften um sie her und schützten sie vor der -Kälte. - -Nun kamen sie an ein großes, hohes Schloß, das blitzte, funkelte -und strahlte von lauter Gold und von Edelgestein, und wie sie die hohe -Marmortreppe hinaufstiegen, da kamen sie in einen großen Saal, darin stand -ein wunderschöner Tannenbaum mit vielen, vielen Lichtern, und um ihn -her sprangen und lachten und scherzten fröhliche Kinder und freundliche -Menschen -- ach, da ging ihnen das Herz auf und sie traten dicht vor den -stattlichen Mann hin, der eine schöne Frau am Arme führte, und öffneten -ihre lieblichen Lippen: - -»Wahrheit und Liebe heißen wir,« sagten sie, »das neue Evangelium -wollen wir verkündigen, daß es weit hinschalle über alle Welt!« - -Da schüttelte der stattliche Mann den Kopf und die schöne Frau wich -ängstlich zurück und rief ihre Kinder zu sich, daß sie nicht den kleinen -Fremdlingen zu nahe kämen. - -»Ein neues Evangelium! Damit seid Ihr nicht am rechten Platz. Nur keine -Neuerungen! Festhalten am Alten, Hergebrachten, das ist eines Edelmannes -würdig. Und Wahrheit und Liebe? Gewiß! aber streng nach den Regeln der -Etikette müssen sie sein.« - -»Komm, Schwesterchen,« sagte der Knabe Wahrheit zur Liebe, »hier ist -nicht gut sein.« - -Und sie gingen weiter. -- Da kamen sie in eine große Stadt. Da waren so -viele Häuser und so viele Menschen, daß sie gar nicht wußten, wohin sie -gehen und an wen sie sich wenden sollten. - -So schritten sie kühn in ein vornehmes Haus hinein, darin war es gar warm -und behaglich, und sie stiegen die teppichbedeckten Stufen hinan und kamen -in ein schönes Gemach, das war reich und bunt ausgestattet, und in der -Mitte auf einem Tisch stand ein großer Weihnachtsbaum, der leuchtete -von vielen, vielen Lichtern, lauter geputzte Leute standen um ihn und -bewunderten die kostbaren Sachen, die darunter lagen. Das Zwillingspaar -hielt sich fest an den Händen, und sie traten zu dem Herrn des Hauses, -der neben einer schönen Dame im Sofa saß, und öffneten ihre lieblichen -Lippen: - -»Wahrheit und Liebe heißen wir,« sagten sie, »das neue Evangelium -wollen wir verkünden, auf daß es Lüge und Unglück aus der Welt von -hinnen treibe.« - -Da wollte sich der Herr des reichen Hauses schier von Sinnen lachen: -»Wahrheit,« sagte er, »mein Junge, damit kann man nicht handeln« und -»Liebe,« lachte die schöne Dame neben ihm, »~quelle idée!~ Die ist gar -so unbequem und aufreibend --!« - -»Komm, Schwesterchen,« sagte der Knabe und sah trotzig um sich, »hier -ist nicht gut sein.« - -Die Kleine schmiegte sich dicht an seine warme Seite und sie zogen weiter. - -Nun kamen sie in ein ganz kleines, unscheinbares Häuschen, da brannte auch -ein Tannenbäumchen, aber nur ein ganz winziges, mit zwei kleinen Lichtchen -und ein paar Aepfeln und Nüssen daran. - -Neben dem Baum saß eine junge blasse Frau mit zwei Kinderchen im Arm -und am Fenster ein finsterer Mann, der brütete vor sich hin und sah das -Weihnachtsbäumchen kaum. - -Und das Zwillingspaar trat ein und lächelte dem anderen Pärchen zu: - -»Weihnachten ist heute, das Fest der Liebe. Vom Traumhimmel sind wir -gesandt, die neue Religion zu verkündigen, das Evangelium der Liebe und -Wahrheit.« - -Aber die angeredeten Kinderchen wandten sich verschüchtert zur Seite, und -der blassen Frau liefen die Thränen über die schmalen Wangen. - -»Liebe,« schluchzte sie, »Liebe ist nur vom Uebel, denn sie hängt -schwer an Einem, und von Liebe kann man nicht leben.« - -»Und Wahrheit?« fragte der Mann mit bitterem Lachen, »wenn man die -Wahrheit sagt, wird man mit Hunden gehetzt. Geht weiter, Euer Evangelium -ist nicht für Arme.« - -Da zogen sie traurig von dannen und irrten in den Straßen umher und wagten -nicht mehr in die Häuser einzutreten. Sie kamen an ein großes, großes -Haus, das hatte einen Turm, der ragte bis in den Himmel hinein und aus den -geöffneten Fenstern drang freundlicher Lichtschein von vielen Lichtern, -Orgelklang und Gesang von vielen frommen Stimmen; sie schlüpften hinein -und standen in einer Kirche voll frommer Menschen und vor dem Altare stand -eine Krippe, darin lag ein kleines Kindlein, nackt, wie sie selber, mit -einem goldenen Krönchen auf dem Haupte. - -Und sie liefen hin und freuten sich und wandten sich zum Volk und -verkündeten mit lauter Stimme das neue Evangelium; denn sie dachten, hier -wäre es gut und fromm und hier würden die Menschen auf sie hören. - -Kaum aber hatten die von einer neuen Religion vernommen, da erhob sich ein -böses Geschrei und wütendes Toben, und an der Spitze der Mann, der an der -Krippe des Jesukindes schöne Worte gesprochen hatte, und: - -»Neuerer, Ketzer! steinigt sie, treibt sie hinaus!« -- riefen sie. - -Ach, die armen Sonnenkinder, sie wußten nicht, wie ihnen geschah, als sie -plötzlich draußen vor der Kirchenthür sich befanden, die krachend hinter -ihnen zufiel. - -»Ach wären wir im Traumland,« seufzten sie, »unter Blumen und -Vögelein, unter der Königin blauem Sternenmantel -- uns friert, ach so -sehr.« - -Da, fern von der Stadt, begegneten ihnen zwei hohe, schlanke Gestalten, ein -Mann und ein Weib -- die hielten sich eng umschlungen und von ihren Stirnen -ging ein Leuchten aus, daß es die Kinder wundersam durchschauerte. Sie -faßten Mut und gingen jenen entgegen und fragten: - -»Was thut Ihr hier draußen?« - -»Wir feiern Weihnachten,« sagten jene beiden lächelnd. - -»Ohne Baum und Menschen?« - -»Für uns allein; in unserem Herzen, denn die Menschen haben uns von sich -gestoßen!« - -»Was thatet Ihr?« - -»Wir sprachen die Wahrheit und in unserem Herzem thronte die Liebe,« -sagten jene beiden und ihre Augen leuchteten. »Das aber kann die Welt -nicht dulden, es ist gegen ihr Gesetz, und darum haben sie uns von sich -gestoßen.« - -Da sangen und jubelten die Kinder ihr neues Evangelium in alle Winde hinaus -und der Mann zog sein Weib in seine Arme und sie lauschten der Lehre -von der Wahrheit und der Liebe, die die Kinder der ewigen Sonne und der -Phantasie ihnen predigten. - -Da aber kam der Wind und trug die Sonnenkinder über die Wolken ins Land -der Träume. - -Und wie sie der schönen Mutter ihre Leiden, ihren Kummer und ihre -Seligkeit vertrauten, da weinte sie goldene Thränen und sie fielen in die -Herzen jener seligen Menschenkinder, die die Welt von sich gestoßen hatte. - -Die Elfen und Gnomen und die Vöglein alle, das lustige, leichtlebige Volk, -tanzten und jubilierten, und nur der große Uhu saß im Eichbaum, unter -dem die Sonnenkinder wieder schliefen, unter Blumen zugedeckt, und knurrte -prophetisch: - -»Zu früh, viel zu früh, die Welt ist noch nicht reif für das Evangelium -der Liebe und Wahrheit!« - - - - -Schneeflocken. - - -Die Schneeflocken haben Ball heute Abend. Hei! Wie sie sich schwingen in -tollem Reigen da oben auf den Bergen, wie sie durcheinander wirbeln und auf -und niederspringen, daß einem ganz schwindelig wird beim Hereinschauen. -Und der Wind spielt ihnen auf dazu; er saust durch die Tannenwipfel und -schüttelt die Kronen der alten Waldriesen, daß sie die Zweige pfeifend -gegen einander schlagen; er braust durch die Schluchten und gellt durch die -Felsenklüfte, daß es fast wie Hohngelächter klingt, er singt ihnen ein -Nordlandslied, wild wie sein Brausen und Toben. Er singt ihnen von den -eisigen Gletschern da oben im Norden, und von der Eisjungfrau, die da haust -mit Augen, klar und doch unergründlich, wie der Bergsee; er singt, wie sie -mit schrillem Lachen die weißen Arme ausbreitet und an den Schneewänden -ihres Eispalastes rüttelt -- dann stürzen die Lawinen krachend zu Thal -und begraben das Menschenvolk da unten. Von den lustigen Gesellen, den -Eisbären, erzählt er, seinen Freunden, wie sie im täppischen Tanz -umeinander sich drehen, fast wie riesengroße, weiße Schneeflocken, -daß es gar komisch anzusehen ist; und von den Schiffen, die zwischen den -Eisblöcken stecken, und den Menschen darauf, deren heißes Menschenherz -langsam zu starrem Eise wird; von den flimmernden, glitzernden, -funkelnden, kalten Sternen da oben am Himmel, die todesruhig lächelnd -herniederschauen; von dem Nordlicht, das aufflammt mit trotziger Glut und -der Eisjungfrau auf ihrem Gletscher einen rosigen Schleier überwirft, -aus dem sie herauslächelt, fast wie ein Menschenbild -- so lockt sie -die Menschen an, die kühnen Jäger, und sie steigen hinauf zu ihr, immer -höher und höher, und sie winkt ihnen und lächelt süß, verheißend -- -und dann stürzt sie die thörichten Gesellen hinab, in die eisige Tiefe. --- Hoiho! jauchzt der Wind, wild ist mein Nordlandslied! Wild, wie der -Eiskönigin Lachen, wie der Lawinendonner! Und hoch empor wirbelt er die -armen Flöckchen, bis sie sich ermattet an den Tannenzweigen festklammern. - -Da ist's gut ruhen; sie schmiegen sich eng an die Nadeln hin -- die -flüstern und kosen mit ihnen, die wiegen sie hin und her und erzählen -ihnen Waldmärlein: von dem naseweisen Tannenbäumchen, das gar nicht -zufrieden gewesen damit, daß es im schönen grünen Wald gewohnt und die -Füßlein im weichen Moos gebettet hat; gelangweilt hat es sich auf seinem -heimatlichen Stückchen Erde und hat hinausgewollt in die weite, weite Welt -und gejammert und geschluchzt: O Wind, nimm mich mit! O Quell, rausch' mich -zu Thal! - -Da hat mit einemmal die Waldfee vor ihm gestanden im grünen Gewand und -lockigen Haar, hat es mit den Blumenaugen angeschaut, mit den zarten -Händen berührt und gesagt: »Geh', mein Bäumchen, reise zu Thal. -- -Sie werden Dir weh tun, Dich von Ort zu Ort schleppen, und doch bringst Du -ihnen von den Bergen herunter die Sehnsucht mit -- den Tannenduft, damit -sollst Du ihnen die Seele erfüllen, daß sie gut werden und sich freuen -wie die Kinder.« - -Dann hat sie das Bäumchen geküßt und ist im Wald verschwunden. -- - -Danach sind eines Tages zwei Männer gekommen und haben sich das -Tannenbäumchen von allen Seiten angeguckt und zufrieden mit den Köpfen -genickt. Dann haben sie ihre Pelzkappen zurückgeschoben und sich die -Hände gerieben und die blanken Aexte genommen und haben die Füßchen der -Tanne geschlagen, daß es durch den Wald gedröhnt hat, haben sie zur -Erde geworfen, ihr einen Strick um den Leib gebunden und sie hinter -sich hergeschleift über Stock und Stein, durch Schnee und Eis. Und das -Tannenbäumchen hat leise vor sich hingeweint, und die großen Bäume auch; -aber die Männer haben das nicht gehört, die meinten: Horch -- wie der -Wind pfeift! - -So ist die kleine Tanne zum Weihnachtsbäumchen geworden, wie die Waldfee -sagt -- denn da unten im Thal feiern sie Weihnacht -- -- - -»Was ist das?« fragten zwei neugierige kleine Schneeflocken, die sich -angefaßt hatten und mit ihren zarten, weißen Gliederchen auf den Zweigen -der alten Tanne auf und nieder wippten. - -»Ja, was ist das!« sagte die alte Tanne, »Wintersonnenwende nennen -wir's, und die Waldfee sagt: Jetzt wacht die Sonne auf und nun beginnt tief -unten in der Erde das Keimen und Wachsen, bis es schließlich herauf dringt -zu uns und die ganze Welt erfüllt. Aber da unten im Thal nennen sie's -Weihnacht und sagen, die Liebe wäre ihnen geboren -- und dann schmücken -sie das Tannenbäumchen mit vielen, vielen Lichtern und zünden sie an, -daß man meint, der ganze Baum stände in Flammen, und läuten mit ihren -Glocken dazu -- da -- hört Ihr's?« - -»Bim bam bum!« singen die kleinen Schneeflocken, »da möchten wir hin!« -und sie bitten den Wind: »Wind, fahr' uns hinab!« -- Der breitet seine -großen, weißen Schwingen aus, die beiden Flöckchen klammern sich mit -ihren vielen Fingerchen daran fest und nesteln sich in ihren Zottelpelzen -tief in die Fittige ein, und heidi! da ging's zu Thale. - -»Grüßt mir das Tannenbäumchen!« rief die alte Tanne ihnen nach -- und -sie brummte in den Schneemantel hinein, der sich allgemach um ihre starken -Glieder gelegt hatte: »Komisches Volk, diese Menschen! Mußte ihnen die -Liebe erst geboren werden? Ist sie denn nicht so alt, wie die Welt steht?« - -Und dann schüttelte sie ihre Nadeln, daß die Schneeflocken, die schon -darauf eingeschlafen waren, erschrocken in die Höhe fuhren. - -Die beiden neugierigen Schnee-Engelchen aber flogen zu Thal, und der Wind -war bös und pfiff ihnen in die kleinen Ohren, daß es gellte: Puh -- da -unten ist's schlecht. Was wollt Ihr bei den Menschen? Entweder sie ballen -Euch zusammen und werfen sich mit Euch gegenseitig an die Köpfe, oder sie -kehren Euch auf einen Haufen, daß ihr ganz schmutzig werdet und die Sonne -Euch aufschmilzt -- umkommen thut Ihr jedenfalls! - -Doch da waren sie schon im Thal angelangt, vor einem großen, schönen -Hause; das lag still und dunkel und allein. Nur aus einem Fenster -schimmerte ein roter Schein, dahin flog der Wind, und sieh'! von dem -Fenster her grüßte und winkte es den Flöckchen entgegen -- das waren -ihre Basen, die Eisblumen, die an den Glasscheiben in die Höhe wuchsen -und allerlei wunderliche Gestalten angenommen hatten, und die Flöckchen -setzten sich zu ihnen und guckten in's Haus hinein. Da drinnen ist's -prächtig: ein hohes, weites Gemach, und aus einem großen, weißen -Marmorkamin flutet der rote Feuerschein drüber hin, über den Tannenbaum, -der schön geschmückt und glänzend dasteht, über die vielen bunten -Spielsachen und all die kleinen Figürchen, die da unter'm Tannenbaum ihr -Wesen treiben. - -Die Eisblumen erzählten, wie schön es gewesen sei, als das -Tannenbäumchen ganz in Flammen gestanden und die Kinder um es -herumgesprungen wären und gelacht und getollt und gejubelt hätten. Dann -haben sie die Lichter gelöscht und ein Duft ist durch das Zimmer -gezogen, so würzig, so zart, so wunderstark, noch riecht's in allen Ecken -darnach -- - -Die Schneeflöckchen vergingen fast vor Sehnsucht nach all dem Schönen. -Mitleidig verrieten ihnen die Eisblumen, daß ganz, ganz unten am Fenster -eine schmale Ritze offen wäre, da könnten sie noch besser hineingucken, -und vorsichtig kletterten die Flöckchen an den glatten Scheiben hinunter -und nun stehen sie vor der Fensterritze -- -- -- - -»Also, so sieht Weihnacht aus!« flüstern sie einander zu, »komm', wir -wollen uns an die Händchen fassen und hineingehen und den Weihnachtsduft -einatmen.« - -»Thut das nicht,« antworteten die Eisblumen, »Ihr seid Kinder der Luft, -Ihr gehört nicht zu denen dadrinnen -- Ihr werdet hinsterben vor Sehnsucht -zu ihnen.« - -Aber die Flöckchen hörten nicht auf die Erfahrenen; sie zogen sich -ihre kleinen Schneemützchen über die Ohren, damit sie auch hübsch kalt -blieben und schlüpften durch die Fensterritze. -- Da schlug's Zwölf. -Das kleine Männchen in der bunten Uhr, die auf dem Kaminsims stand, -kam zwölfmal herausspaziert und beim letzten Mal nahm es seinen kleinen -Dreimaster ab und verbeugte sich und sagte: »Meine Herrschaften, die -Geisterstunde hat geschlagen!« -- - -Dann verschwand es wieder in seinem Glashäuschen, und klirrend schlug die -Thür hinter ihm zu. - -Nun begann ein wunderliches Wispern und Tustern in allen Ecken und Winkeln --- alles im Zimmer wurde lebendig und es war plötzlich ein Stimmengewirr -wie beim Turmbau zu Babel. Alle die vielen Deckchen und Schleifen, die an -den Stühlen und Lehnen herumhingen, fingen an, eine der andern Vorwürfe -zu machen, daß sie sich immer den Menschen auf den Rücken setzten oder -auf der Erde herumtrieben, und wurden so heftig dabei, daß sie sich -schließlich gegenseitig mit sich selber bombardierten. -- Das Sofakissen -wurde elegisch und machte der Schlummerrolle eine Liebeserklärung. -- -»Sie haben eine so schöne Gestalt!« sagte es, -- »von oben bis unten -egal!« Und die Feuerzange beim Ofen wollte die Schaufel umarmen und kniff -ihr dabei derb in die Nase. Die kleinen Sèvres-Figürchen auf dem Kamin -schürzten ihre Rokokokleidchen zum Tanz und der Nußknacker, der in der -Uniform eines Gardelieutenants auf dem Weihnachtstische stand, klemmte sein -Monocle ins Auge, näselte: »Charmant, auf Taille!« und klappte seine -Kinnladen mit einem gefährlichen Ruck wieder zu. Dieser Nußknacker war -überhaupt ein Don Juan; just hatte er der niedlichen kleinen Puppendame, -die in Balltoilette auf einem rotsammetenen Lehnstuhl saß, versichert, -sie sei seine erste und einzige Liebe, und nun warf er der porzellanenen -Schäferin da oben Kußhände zu und entschuldigte sich damit, daß es ja -Weihnachten sei. - -Da entdeckte er plötzlich die beiden kleinen Fremdlinge, die sich in ihren -weißen Schwanenpelzchen scheu in die Fensterbank gedrückt hielten. - -»Das ist ja etwas sehr Niedliches!« Und der Lieutenant klemmte seine -Monocle ein und beeilte sich, mit allersteifsten Gardebeinen durch den Saal -zu marschieren. - -»Premier-Lieutenant Knack von Mandelkern, I. Rrrment, Bleisoldaten -zu Fuß,« schnarrte er und schlug die Hacken aneinander, daß unsere -Schneeflöckchen erstaunt seine Füße anguckten. -- »Damen fremd hier? -- -äh -- dürfte Ehre haben, Chaperoneur zu sein?« - -»Ach,« sagten die Flöckchen schüchtern, »wir gehören hier eigentlich -gar nicht her -- wir sind nur hereingekommen -- wir wollten gern wissen -- -können Sie uns vielleicht sagen, was Weihnacht ist?« - -»Wa -- wa -- was -- Weihnachten?« Dem Herrn Gardelieutenant fiel vor -Erstaunen das Monocle weg, ohne daß er erst dazu eine Fratze zu schneiden -brauchte, und sein Nußknackermund blieb ihm offen stehen, worüber die -Flöckchen so erschraken, daß sie aufsprangen und von der Fensterbank auf -die Erde flogen. - -»Weihnachten? -- Weihnachten ist Weihnachten,« brummte Lieutenant Knack -von Mandelkern entrüstet, nachdem er vorher seinen Mund wieder zugeklappt -hatte -- dann klemmte er das Glas wieder ein und sah den Flöckchen nach --- »nette Pusselchen -- aber noch sehr jrün -- die reene Unschuld vom -Lande.« -- -- - -Die Schneeflöckchen aber waren geradewegs auf ein schönes Buch mit -Goldschnitt gesunken, das vom Tisch auf die Erde gefallen war -- auf dem -stand mit großen bunten Lettern als Titel gedruckt: Weihnacht und unsere -Vorfahren! Das sprach jetzt mit gewählten Worten: »Was Weihnachten ist, -wünschen Sie zu wissen, meine Lieben? -- Sehen Sie mich an.« Und dabei -schlug es sich auf und begann zu lesen: »Schon zur Zeit Winfrieds, des -hl. Bonifacius, des großen Heidenbekehrers, feierten unsere Altvordern, -beseelt von einem dunklen Drange, der sie zur Verehrung eines unbestimmten -Etwas antrieb, im Winter, unter Schnee und Eis, ein Fest.« - -»Altes Buch, schweig' doch still! -- Hüh! Hoh! Wollt Ihr wohl laufen, Ihr -faulen Tierchen!« klang es da unter dem Tischdeckenzipfel hervor, und als -die Schneeflöckchen, die sich große Mühe gaben, die weisen Worte des -Buches zu verstehen, sich umschauten, kam pfeilgeschwind eine -drollige kleine Equipage herangesaust, schnurgerade über das gelehrte -Goldschnittbuch hinweg, das sich voller Entrüstung erhob und mit Würde -von dannen wandelte. -- In dem von sechs weißen Mäuschen gezogenen -Wägelchen stand ein kleiner nackter Junge, mit Flügeln an den Schultern -und einem Bogen in der Hand, und sang und jubelte in die Welt hinein. Der -hat auf einer schönen Dose gesessen, in der allerlei bunte, glänzende -Steine und Goldsachen blitzten, und als der alte Herr in der Uhr die -Geisterstunde verkündete, da ist er heruntergesprungen und hat sein -lustiges Wesen getrieben. - -Ei, wie ihn die Rubinenaugen des Schlangenarmbandes anfunkelten, und so -viel die Schlange auch nach ihm mit dem Goldzünglein gezischelt, -- »ich -bin die Schlangenkönigin,« sagte sie, »ich ringele mich um weiße Arme, -weiße Nacken, ich ringele mich bis ins Herz hinein und bringe ihm den -Schlangenzauber, dem niemand wiedersteht,« -- es half ihr nichts: das -kecke Bürschchen schlang sie sich um die kleine weiße Brust, und die -Rubinenaugen funkelten ihm von der Schulter herunter. - -»Pah!« lachte er, »mein Pfeilgift ist viel stärker als Deins, -- Du -kannst mir nichts anhaben.« - -Nun setzte er sich in die große Walnußschale, die ihm der Nußknacker -geschenkt hatte dafür, daß er der niedlichen Rokokodame einen Pfeil ins -Sèvresherzchen geschossen. - -Aber er hatte keine Pferde zum Vorspannen. Da war er auf den -Weihnachtstisch spaziert, wo die heilige Krippe aufgebaut war, und hatte -den hl. Joseph um das Oechslein und das Eselein gebeten, sein Wägelchen -zu ziehen; aber der hl. Joseph hatte die Hände über dem Kopf -zusammengeschlagen über solch ein Ansinnen, obgleich Mutter Maria mit dem -Kindlein auf dem Schoß ihre Freude an dem kecken Gesellen gehabt hatte. - -Da war er den hl. Drei Königen aus dem Morgenlande entgegengegangen, -die gar bedächtig mit prächtigem Gefolge heranmarschiert kamen. -»Majestät,« sagte das Gesellchen höflich, »dürfte ich vielleicht -eines Ihrer Kamele für mein Wägelchen benutzen? -- Sie haben ja deren so -viele.« - -Aber der schwarze Balthasar, der Mohrenkönig, fletschte ihm seine weißen -Zähne entgegen, und Kaspar und Melchior hielten ihm das Weihrauchfaß mit -Myrrhen unter die Nase, daß er niesen mußte -- da sprang er davon und bat -den Tannenbaum, und der schenkte ihm sechs kleine, weiße Zuckermäuse, die -an seinen Zweigen hingen. - -Nun hielt er mit seinem flinken Gespann vor den Schneeflöckchen und -lachte: »Ach, was seid Ihr für herzige Dingerchen. -- Gleich möchte -ich mit meinem Goldpfeil durch Eure Schwanenpelzchen in die Herzchen -hineinschießen. Kommt, steigt ein -- wir fahren zum Weihnachtsball in -die Puppenstube; da tanzen Sie gravitätisch und mit Anstand ein würdiges -Menuett und sind brav und gesittet -- aber Ihr sollt 'mal sehen, was ich da -für einen Wirrwarr anrichte.« - -Den Schnee-Engelchen gefiel zwar der kleine Bursche sehr gut, aber sie -schüttelten doch die Köpfe, daß die Pelzkapuzchen hin und her wackelten. - -»Ach nein,« sagten sie, »hier können wir nicht tanzen -- hier ist es -uns viel zu warm. Wir sind auch nur hereingekommen, um zu lernen, was wohl -eigentlich Weihnacht ist.« - -Da setzte sich das Gesellchen auf den Rand seiner Nußschale, schlug -ein Bein über das andere und legte simulierend den Finger an das kecke -Näschen: - -»Ja, sehen Sie, meine kleinen Engelchen -- das ist eine kuriose -Geschichte. Da unter dem Weihnachtsbaum liegt ein kleines, nacktes Kindchen -in einer Krippe, dessen Geburtstag feiern sie, und sie sagen, er sei der -Gott der Liebe. -- Nun aber hat mir mein heidnischer Vater im Olymp -- ich -bin nämlich ein Heide, mein Name ist Amor -- immer gesagt, ich wäre der -Gott der Liebe, und ich wäre, trotz meiner Jugend, so alt wie der Olymp -und die Welt und das große, große Meer selber. -- Da muß also irgendwo -eine Verwechselung sein. -- Ich schlage vor, wir feiern das ganze Jahr -Weihnacht und halten mein Schwesterchen Freude, wenn sie davon fliegen -will, am Gewandzipfel fest. -- Ich kehre mich so wie so nicht viel an die -Jahreszeiten -- meine Pfeile fliegen das ganze Jahr durch, und die Küsse -sind immer am süßesten, wenn sie geküßt werden.« -- Und dabei breitete -der kleine Schlingel die Arme aus und wollte die hübschen Flöckchen -küssen; die aber faßten sich an die Hände und flogen ihm davon, -geradeswegs auf die Tanne zu und klammerten sich an ihre Zweige fest und -schaukelten sich und sangen: - - Von den Bergen, wo der Wind, - Wo die Tannenschwestern sind, - Sind wir hergeflogen, - Sind wir hergezogen -- - -Sag' uns, was ist Weihnacht? - -Da ging ein Leben durch die Zweige der Tanne, all' das Rauschegold, mit dem -sie geschmückt, knisterte und raschelte, die Krystallkugeln klirrten -- -stärker denn je dufteten die Tannennadeln, und horch! mit dem Tannenduft -ziehen Sehnsuchtslaute durch den Saal: - -»Ach, meine Flöckchen, wohl bin ich geschmückt, wohl trage ich -eine Krone, wohl habe ich geflammt in vieler Kerzen Schein -- für die -Weihnacht. -- Aber gebt mir die Wintersonnenwende wieder, laßt -mich umbrausen, umtosen vom Wind, laßt den ersten Sonnenstrahl mich -umschmeicheln und mir ins Herz hineinlachen. -- Nehmt mir Alles dafür hin! - -Was die Weihnacht ist? - -Kummer und Trübsal, und Haß und Neid und Mißgunst, und Heuchelei und -Geldstolz -- das ist Weihnacht unter den Menschen; und zum Hohn nennen -sie's das Fest der Liebe! Schneeflöckchen, wenn Ihr die Liebe sucht, -fliegt nimmer zu Thal. Und eines doch: Wenn das Kinderauge uns anlacht -- -wenn wir in seinem reinen Glanz uns spiegeln, wenn die Kinderärmchen sich -nach uns ausstrecken, die Kinderstimme uns anjauchzt --« - -Da öffnete sich leise, leise die Thür, und auf der Schwelle stand ein -Kindchen und blickte verschlafen um sich und strich sich die blonden -Härchen aus dem heißen Gesicht. -- Nicht schlafen konnte das Kind vor -Freude über Weihnacht, und es hatte ein Geraune und Geflüster gehört -neben dran und war aufgestanden, ganz leise, daß es die Eltern nicht -gestört, und schlich mit den bloßen Füßchen über den Teppich hin, und -stand mitten unter dem lustigen Volk. -- - -Aber da schnarrte die Uhr und das alte Männchen kam wieder herausspaziert -und sagte mit dumpfer Stimme: Eins! und nun war alles wieder still und -stumm und leblos, wie es vorher gewesen. Nur die Schnee-Engelchen konnten -nicht so schnell zum Fenster hinfliegen -- da erblickte sie das Kind: -»Das sind die Engelein vom Himmel,« jauchzte es, »Tanne, die hast du mir -mitgebracht!« - -Und mit beiden Armen griff es nach den Flöckchen und preßte sie an sich -und drückte und herzte sie -- ach -- und da vergingen sie ihm unter den -Händen, und das Kind betrachtete verwundert seine leeren feuchten -Aermchen -- da schlich es betrübt in sein kleines Bett und weinte, weinte -bitterlich. - -Aber die Tannennadeln, die sich in seinem Kraushaar gefangen hatten -beim Spielen, die neigten sich an des Kindes Ohr und erzählten ihm vom -Tannenwald und dem Wind und der Schneeflöckchen-Reise, das ganze Märlein, -da schliefs Kindchen ein. - -Und wann es aufgewacht ist, und wieder und wieder aufgewacht, und größer -und älter geworden, wann die Wintersonnenwende ihm gekommen ist, da zieht -ihm, dem großen Kind, zu Weihnacht mit dem Tannenduft immer wieder -das Märchen durch die Seele -- das Märchen von den Schneeflocken, die -ausgezogen, die Liebe zu suchen, und an der Liebe gestorben sind. - - - - -Das Märchen von der weißen Stadt. - - -Es lag ein Mensch zu sterben. Der hatte all seine Gedanken, all seinen -Willen hergegeben, die eine große That seines Lebens zu vollenden. Aber -der Griffel entsank seiner Hand, und die Seele entfloh dem Leibe. Es hatte -dieser Mensch die Fluten sehr geliebt. Er konnte stundenlang am Ufer des -Sees sitzen und die blauen Wasser betrachten, wie sie kamen und gingen, -immerzu, immerzu; und aus den Wassern sahen ihn seine Gedanken an. Als -seine Seele nun ohne Körper umherirrte, da kamen die Luftgeister -und trugen die Menschenseele hin über den See. Aus ihren wehenden, -silbergrauen Gewändern troff es wie Nebel zum Wasser nieder, und ein -leiser Wind bewegte die Fluten, daß sie sich kräuselten. Oben auf -den Wogenkämmen schaukelten die weißen Leiber der Seejungfrauen; sie -streckten die Arme aus nach der Seele des Menschen und zogen sie hinab in -die weichen, wiegenden, schmeichelnden Gewässer. -- Drunten in der Tiefe -saß der Seekönig und hielt Hof. Er war ein kleiner Mann mit starken Armen -und langem, weißem Bart. Auf dem weißen Haupte trug er eine Krone von -hellroten Korallen; die hatte ihm sein Vetter, der Meerkaiser, geschickt, -aus Anerkennung, weil der kleine Seekönig manchmal seine Gewässer mit -den starken Armen so aufrührt, daß viele Schiffe und Menschen umkommen -müssen, gerade wie auf dem Meere. Denn die Meerleute mögen es gern, wenn -Menschenkinder zu ihnen hinuntersteigen müssen. Sie stellen die weißen -Körper in ihren wundersamen Meergärten auf, wie wir die Marmorstatuen. -Die Menschen können nicht leben bei ihnen; nur wenn einer die Fluten sehr -geliebt hat, dessen Seele gleitet des Nachts in den Wellen als weißer -Schaum. Kommt ihn aber die Sehnsucht an, den Tag zu sehen, und es berührt -ihn die Sonne, in deren Licht er geatmet, dann muß er für immer zur -Leiche werden. -- - -Der kleine Seekönig hielt also Hof. Sechs große Räte mit wunderlichen -Fischgesichtern saßen im Kreise um ein großes Blatt Papier, das ganz bunt -vor lauter Strichelchen und Pünktchen aussah; vier dicke Büffelfische -trugen es auf ihren Rücken, sie hielten es fischchenstill; nur zuweilen -zuckte einer mit dem beweglichen Schwanz oder pustete die Kiefern auf -und zu, als ob er Wasser rauche; und dann zupfte ihn der Herr Rat mit dem -Karauschengesicht mahnend an den Flossen, worauf er gehorsam still hielt. -Die Menschenseele, die als zarter, weißer Schaum auf der Schulter der -Seejungfrau lag, sah neugierig das weiße Papier an; es kam ihr so bekannt -vor. Das hatte sie schon gesehen, als sie noch Mensch war. Es war ihr, -als müsse sie eine Hand danach ausstrecken. -- »Still!« flüsterte die -Seejungfrau, »gleich wirst du hören.« -- Und dann sagte der Seekönig: - -»Die Menschen da oben auf der Erde machen uns alles nach. Gerade wie wir -zuweilen Besuch bekommen von den Bewohnern anderer Seen und Meere, die dann -allerlei Kostbarkeiten mitbringen, um sie uns zu zeigen, so macht es das -Volk da oben auch. Nur sind sie sehr arm. Während wir alle die -fremden Seltenheiten und unsere eigenen dazu, einfach in unserem ewigen -Krystallpalast aufstellen, müssen die sich erst Häuser dazu bauen. Und -das Bauen -- welche Umständlichkeit! Erst kommt einer und denkt sichs aus -und zeichnet es auf, und dann geht es an viele Leute, die alle etwas zu -mäkeln und zu ändern haben. Schließlich soll es dann wirklich gebaut -werden, aber wie lange das alles dauert, dazu habe ich nicht Zeit genug, -das zu erzählen. Seht, da hat auch so ein armer Mensch mit kurzem -Gedächtnis seine Gedanken auf das Papier geschrieben; ein guter Mensch, -der uns sehr geliebt hat. Denn er hat gesagt: »Wenn ich meinen See nicht -hätte! Der muß das Beste thun.« Und dann hat er unsere Fluten überall -eindringen lassen in seine Pläne, damit wir seine Paläste wie mit -Silberarmen umschlingen und ihre Schönheit wiederspiegeln. -- Dann ist -er gestorben. -- Und jetzt werden andere kommen und seine Pläne zunichte -machen und uns vielleicht einengen und tyrannisieren. Wollen wir das -dulden? Nein!« rief der Seekönig und hob die starken Arme, daß oben -die Wellen klatschend gegen das Ufer schlugen. Und die Räte schüttelten -heftig ihre Fischköpfe. Die Seejungfrau lächelte der horchenden -Menschenseele zu. -- - -»Kommt herbei, ihr Seevolk, und hört, was ich euch sagen werde,« fuhr -der Seekönig fort: »Die Luftgeister, unsere Freunde, haben dieses Papier, -das der tote Mensch mit seinen Gedanken beschrieben und dem Großen Rat -da oben auf der Erde vorgelegt hat, aus seinen Händen weg und zu uns -herabgeweht. Schwimmt, ihr Fische, bis ans Meer, lasset die im Meere es -weitertragen zu den Geistern der Völker an der andern Seite des großen -Wassers, wie das Seevolk der Menschenseele Werk erfüllen will.« -- Da -schlugen die vier Büffelfische mit dem Schwanz unter das Papier, daß es -auf in die Wellen flog; die fischköpfigen Räte griffen entsetzt danach: -»Erst sehen, sehen!« Aber der kleine Seekönig lachte, daß es ein -Seebeben gab, und zerriß das Papier in tausend Fetzen: »Wir sehen nicht --- wir bauen!« sagte er. - -»Siehst du?« lächelte die Seejungfrau und neigte ihr Antlitz der -Menschenseele zu, »jetzt werden deine Gedanken, die du ins Wasser -hineingeträumt hast, doch wirklich. Ich habe dich oft gesehen, habe vor -dir geschaukelt, wenn du dachtest, es seien die weißen Wellenkämme. Ich -hätte dich mir geholt -- ach so gern! Jetzt bist du bei mir. Die Menschen -denken, sie haben dich begraben; aber ich halte dich in meinen Armen -- -ewig. Du darfst nicht hinaufschwimmen und dein Werk beschauen, nicht so -lange die Sonne scheint. Dann würdest du zur Leiche. Ich will nicht, daß -dich die Schwestern in ihre Gärten stellen. Ich will dich behalten -- für -mich.« -- Dann glitt sie zum Seekönig hin und schmeichelte: »Väterchen, -mach' es recht schön!« -- Er aber streichelte ihr langes Haar, das -glänzte wie Sonnenstrahlen auf dem Wasser, und sagte ernsthaft: »Du -darfst die Menschenseele hüten, daß sie uns nicht entflieht; denn nur -durch sie können wir das Große vollenden.« - -Nun beginnt die Arbeit. Ei, wie flink die Fischlein dabei sind, das blaue -Wasser zu kommandieren, daß es in langen, glänzenden Streifen zwischen -grünen Inseln sich durchzwängt, alles Land verschlingend, das ihm im -Wege ist, daß es unter wölbende Brücken sich duckt und schmeichelnd zu -Füßen schlanker Säulenhallen sich schmiegt. Und die Nixen kommen und -spielen mit den Fluten, daß sie in glitzernden, schillernden Farben zu den -Luftgeistern emporsprühen. Wie geschickt die Gnomen und Kobolde Stein auf -Stein, Bogen an Bogen zu fügen wissen, daß es sich erhebt aus der Tiefe -des Sees -- eine weiße, wundersame Wunschstadt. Da tauchen Türme auf mit -seltsam zackigen Verzierungen; ein kleiner Nix sitzt darauf und lehrt sie -allerlei alte Weisen mit seiner Glockenstimme, und nun singen die Türme -sie weiter. Hier schwimmt eine schneeweiße Rotunde mit lauter kleinen -Fensterchen rundum; und die Fische leiten das klare Wasser hinein und -tummeln sich darin. Und still und groß und schön wächst es und wächst -es, schier in die Ewigkeit hinein. -- In einer großen Muschel, davor -sechs buntscheckige Forellen geschirrt sind, durchzieht der Seekönig die -Wasserkanäle, mit scharfen Augen Umschau haltend. Hier zwickt er ein paar -faulen Weißfischen aufmunternd die platten Schwänzchen; dort schilt -er zwei streitlustige Hechte, die beide denselben Riesenpalast errichten -wollen und ihn dabei unsanft hinfallen lassen. Ein energisches Nixlein ruft -er herbei als Oberaufseher, und das lenkt mit seinen weißen Fäustchen die -störrischen Gesellen wie ein paar gutmütige Oechslein. -- -- Als -aber der Seekönig sieht, wie alles gut ist, taucht er unter in seine -Schatzkammer, füllt seine Muschel mit Gold, so viel sie tragen kann, -schüttet es am Ufer aus und befiehlt: »Da -- krönt das Ganze damit! daß -die Kuppel weithin leuchte wie eine Sonne!« - -In der Tiefe des Sees ruht die Seejungfrau, regungslos, daß sie die zarten -Fäden nicht zerreiße, die von dem weißen Schaum an ihrer schönen -Brust aufsteigen zu dem Werk da oben. Und die Menschenseele harret der -Vollendung. - -Da wallt ein Zug daher über das Wasser. Nebelschleier spinnen ihn ein, -daß er wie eine Wolke über dem See schwebt, und er zieht eine Bahn, -silbern wie der Mond auf dem Wasser liegt. Schweigend klimmt er das Ufer -hinan, wo droben der Seekönig seiner harrt, und über ihm schwebt -die goldene Kuppel wie eine große Krone. -- Nachts, wenn die Menschen -schlafen, ergeht sich das Wasservolk oftmals am Ufer und pflegt Zwiesprache -mit Mond und Sternen. -- Voran im Zuge schreiten Patres mit fahlen -Gesichtern in schwarzer, spanischer Mönchstracht. Sie tragen gewaltige -Lasten auf ihren Schultern: Türme und Türmchen, spitze und runde, -Mauern so dick wie Gefängnismauern mit tiefen Kreuzgängen und -schweren Wölbungen. Sie keuchen unter ihrer Last; ein lustiges, weißes -Elfengesindel kommt neckisch gesprungen und weist ihnen den Weg unter -hohen Bäumen, und hilft ihnen, das wunderliche Ding, das einem spanischen -Kloster ähnelt, von den gebeugten Rücken abzuladen. Da richten sich -die schwarzen Geister der Patres zufrieden auf, und sie bauen mit dem -geschmeidigen Nixenvolk, dessen Listen sie wohl gewachsen sind, vergnügt -weiter. - -Eine mächtige Gestalt schreitet auf dem Wasser; ein Gewand von Gold -umstarrt sie; sie trägt einen goldenen Helm; golden leuchtet ihr strenges -Antlitz daraus hervor. Siegesgewiß, siegesbewußt geht sie mit großen -Schritten an dem Seekönig vorüber, ihm herablassend huldvoll zuwinkend. -Der lächelt fein ihr nach, wie sie sich gravitätisch aufpflanzt inmitten -all des Schönen -- ein wenig zimperlich, ein wenig ungelenk. »Laßt sie -nur dastehen,« nickt er, »man wird schon sehen, daß es nicht unsere -wirkliche Athene ist -- nur eine große, große, goldene, emancipierte -Alte-Kunst-Jungfer.« -- Und dann streckt er freudig seine Hände -den schlanken Gestalten entgegen, die aus dem Nebel sich loslösen, -einherwallen in faltigen Gewändern, die sich feucht um die herrlichen -Glieder schmiegen; und sie tragen auf den stolzen Häuptern die weißen, -strahlenden, wundervollen Trümmer der Heimat. »Du Land der Sehnsucht!« -flüstert der Seekönig. Sie lächeln ihm zu mit den schönen, traurigen -Gesichtern. Sie pflanzen Säulen in die Erde, rein und schön, wie sie -selber, sie breiten die Hände aus, und eine erhabene Harmonie lagert sich -über der Wunschstadt. Sie erheben die kraftvollen Arme und sprechen: »Du -lässest uns, o Vater Zeus, die Schönheit schauen, nicht zertrümmert, -nicht zerschlagen, nein, in ihrer ganzen siegenden Gewalt.« -- Und -demütig neigen die Karyatiden die stolzen Häupter unter der Last der -Schönheit, die sie tragen. - -Wunderlich Volk zieht im Zuge einher, der übers Wasser wallt. Ein kleiner, -nackter Bub, der nur einen Frack und Cylinderhut trägt für seine -Blöße, bietet zierlich einer Rokokodame den Arm, die gar stattlich in -Hackenschuhen und Reifrock mit einer Trikolore auf dem hochfrisierten -Köpfchen einherstolziert: »Wir sind barock, nicht wahr?« nickte der -kleine Schelm dem alten Seekönig zu. -- »Wir, Puck Amor und Dame la -France!« -- In einem muschelförmigen Wagen, schimmernd von Gold und -Edelgestein, kommt ein ernsthafter Mann. Er hat ein braunes Gesicht, aus -dem seltsam überirdische Augen schauen, trägt nur einen schlichten, -weißen Kaftan um die Hüften gegürtet, und doch neigt Seekönig sich -tief vor ihm, und eine zarte, braune Elfe, schön wie des Gottes Bajadere, -geheimnisvoll wie die Wunder Indiens, gleitet vor ihm her, ihm seinen -Wohnort zeigend. -- - -Und so kommen sie alle, die Geister der Völker, die der Seekönig -entboten hat. Plumpe nordische Burschen tragen Paläste von plumper Pracht. -Ernsthafte, blondköpfige Gesellen bringen ein seltsam Häuschen mit -spitzragendem Turm, mit schönen Gewölben, durch deren bunte Glasfenster -es lieblich leuchtet, wie eine Geistessonne. Zierliche, dunkeläugige -Mädchen kommen im Tanz geflogen: ihre Gewänder flattern im Wind, sie -streuen Rosen aus, duftende Rosen der Anmut. -- Seltsame Fahrzeuge gleiten -im Nebel im Geisterzug. Unbeholfen, schwankend die einen. Schwarze, -düsterblickende Gesellen stehen darin und blicken drohend hinüber zu dem -schlanken Schiffchen, das, seinen Drachenkopf vorgestreckt, wie ein Renner -durch die Fluten schießt, pfeilgeschwind, die andern weit hinter sich -lassend. Wie nur das Schifflein die Hünengestalten seiner Mannschaft, die -mit sehnigen Armen die Ruder führen, birgt in dem schlanken Rumpf?! Hoch -richten sich die Gestalten auf, sie wachsen und wachsen, daß ihre Leiber -dunkle Schatten werfen weithin über den See. Und sieh' nur -- wie -die geisterhaften Schwarzen in den schweren Kreuzesschiffen zum Himmel -hinaufragen, fanatisch glühen ihre Augen durch den Nebel -- der beginnt -wunderlich zu leben, wogt und zerrt her und hin, bis er die Riesengestalten -verschlungen hat. Dann gleiten Karavelen und Vikinger in glatte Buchten, -gezogen von muntern Fischlein, gesteuert von weißarmigen Wassernixen. - -Da bebt der See. Hoch sprühen die Wasser auf. In den schäumenden, -singenden Strudel steigt der Seekönig hinab in sein Reich, gefolgt von -seinem fleißigen Volke. Drunten in der Tiefe ruht die Menschenseele. -»Wann wird es vollendet sein?« fragt sie sehnsüchtig. »Es ist -vollendet,« sagt der Seekönig. »Sobald der erste Sonnenstrahl die -goldene Kuppel trifft, wird es den Augen der Menschen sichtbar sein.« -»Und sichtbar bleiben? Immer?« fragt die Menschenseele. »Nur eine kurze -Spanne Zeit hat das Wasservolk Macht über die Erde. Nur bis die Sonne -in die Fluten sinkt und die Zauberwelt, die wir gebaut haben, mit sich -hinabreißt. Aber wenn dein Seelenauge dein Werk erschaut, ehe die Sonne -die goldene Krone bestrahlt hat -- dann wird es ewig sein. Dann aber wirst -du sterben und dein Name wird vergessen werden unter den Menschen.« -- Die -Menschenseele lächelte. Eng schmiegte sie sich an die atmende Brust der -Seejungfrau. - -Droben, von der verschlafenen Erde, erhob sich die Nacht und zog ihre -schwarzen Schleier schleppend hinter sich her, über den Himmel. Da ward -es Licht auf der Erde. -- Es war aber alles noch den Augen der Menschen -verborgen; denn die Menschen sind ein blödsichtig Geschlecht, und sie -sehen nur, was ihre Augen ihnen zeigen. Aber die Tiere öffneten -ihre klugen Augen. Die Vöglein in der Luft flatterten hin über -die Wunschstadt, setzten sich neugierig auf die zackigen Türme und -zwitscherten hernieder von den Stangen der bunten Fahnen. Die klugen -kleinen Enten schwammen in den Wasserkanälen und erzählten schnatternd -von dem Schloß der Wasserfrauen, das sich zur Nacht aus Busch und Schilf -erhoben hatte. -- Verwundert blickte der Ackersmann, der mit seinem Gaul -dahergeschritten kam, Furche auf Furche durch die wilde Erde zu ziehen, -zu den Vöglein auf: wie konnten sie nur mit geschlossenen Flügeln in der -Luft schweben, als ob sie auf Bäumen säßen? -- Und die zwei Reiter, die -dort hintereinander über die Prärie jagten, sahen die Entlein auf dem -hohen Präriegras schwimmen wie im Wasser. Aber sie haben nicht Zeit, sich -lange zu verwundern -- da -- der gelbe Rücken des Puma taucht auf, den -sie gejagt -- der Schuß kracht aus der Büchse des Trappers -- der Pfeil -schnellt von dem Bogen des roten Mannes: gilt er dem König seines eigenen -Landes? gilt er dem weißen Fremdling da vor ihm? -- Hoch richtet er sich -im Sattel auf, daß die Adlerfedern in seinem schwarzen Schopfe nicken. -Was ist das? -- da -- glitt nicht der Puma hinab in blaues, kräuselndes -Wasser? Was ringt sich los aus den Nebeln? Das Roß des Trappers bäumt -sich, geblendet schützt der Indianer die Augen mit der Hand, und späht -und späht. -- Still lehnt der Ackersmann an seinem Gaul, sein Blick -sucht die Erde, seine Erde, die er bebauen muß. Und sie schauen, wie es -herauswächst aus dem Morgengrauen, weiß und still; wie es emporstrebt zum -Himmel, eine wundersame, andere Welt, die sie mit erhabenen Augen anschaut, -sie mit weißen Armen umfängt, sich wie weiße, stille, reine Gedanken in -ihre Seele senkt. Wie sie stehen und schauen, umweht es sie lind und kühl --- ein Hauch der Ewigkeit. - -Ein klein lustig Elflein aber zerrt den Puma, der verdutzt da kauert in -der Wunderwelt, an den Ohren zu einem Marmorsockel hin. »Da lieg', du -Wilder!« lacht es, und der Tiere König läßt willig sich in die Fesseln -der Schönheit schlagen. -- - -Horch! Es geht ein Brausen durch die Lüfte, ein Singen, Klingen, lieblich -Geläute: aus dem Morgengrauen erhebt sich der junge Tag, und sein -leuchtendes Auge weilt liebend auf dem weißen Wunder. - -Auf den blauen Fluten des Sees trieb ein zarter weißer Schaum. Ein -Sonnenstrahl irrte zu ihm hin und küßte ihn bebend. Da ward er zur -Leiche. Die Menschenseele war aufgestiegen aus den geliebten Wassern, um -zu sterben. Der See bebt, als sei er in seinen Tiefen erschüttert. In den -sprühenden Wogen aber taucht die Seejungfrau auf, an deren weißer Brust -des Toten Seele geruht hat. Ihr goldenes Haar glitzert auf den Fluten. -Klagend schlingt sie die weißen Arme um ihn, sein schönes, bleiches -Antlitz über Wasser haltend. So gleiten sie dahin über die murmelnde, -singende Fläche -- weit, weit hin, den weißen Tempeln zu. Und das Licht, -das die Seele getötet, liegt liebkosend auf der stolzen Stirn. -- -- -- - -Es kamen die Menschen und nahmen Besitz von der Wunschstadt in der neuen -Welt. - - - - -Welt-Ausstellung im Walde. - - -Draußen im Wald flüstern die bunten Bäume miteinander und streuen gelbe -und rote Blätter auf die braun sich färbende Erde, wie der Frühling -Rosen streut; der Herbstwind rauscht und raunt in den Zweigen, und eine -milde Herbstsonne glüht auf die Weinblätter am Eichenstamm, daß sie -tiefrot schimmern, wie lauter Blutstropfen. - -Am träge über Kiesel und trockene Aeste dahin murmelnden Bächlein nickt -ein grüner Zweig -- da leuchtet etwas Blaues auf, dann tönt ein Lockruf, -sanft, zärtlich, dringend -- jetzt die Antwort -- noch etwas Blaues -- -- -Zwei Vöglein sind's: blaue Flügel schwirren durch die Luft, und zartgrau -glänzt der Leib. - -»Was nur heute los ist!« sagte der eine Blauvogel zum andern, »keine -Fliege, kein Käferchen läßt sich sehen, alle ziehen dort hinein in's -Tannendickicht, und selbst die Mücken machen ganz ernsthafte Gesichter!« - -»Guten Abend, guten Abend, meine Herrschaften,« schnarrt es über ihnen. -Da hängt am Baumstamm ein goldgelbes Vögelchen. Zu welcher Klasse es -gehört, das weiß ich nicht (schlagt einmal in Nehrling's amerikanischem -Vogelbuch nach), aber es hämmert in die harte Baumrinde, daß es durch den -ganzen Wald schallt, und so wollen wir es kühn »Gelbspecht« titulieren. - -»Ja, ja, Sie haben Recht, es muß etwas im Walde sein bei dem kleinen -Getier,« sagt der Specht, »ich habe schon dieselben Beobachtungen -gemacht. Aber sehen Sie einmal da -- die Spinne!« An einem trockenen -Zweiglein hängt eine große Spinne, eifrig beschäftigt, silberglänzende -Fäden zu einem kunstvollen Netz zu verweben. - -»Was machen Sie denn da, Verehrteste?« fragt der Specht, als der -Zudringlichste; denn die Blauvögelein haben etwas Schüchternes, sie -mischen sich nicht gern in anderer Leute Angelegenheiten und sind nicht -weltgewandt wie der Herr Gelbspecht. - -»Ich spinne,« sagt die Spinne ernsthaft. - -»Ja, das sehen wir,« entgegnete der Specht, »aber, meine Gnädigste, was -spinnen Sie?« - -»Ein Netz,« sagt die Spinne. - -Die Blauvögel stoßen ein leises, glucksendes Lachen aus, und der Specht -hämmert entrüstet gegen den Baum. - -Jetzt schlingt die Spinne einen letzten Knoten und krabbelt langbeinig -davon: »Es muß fertig werden zur Ausstellung, die wird heute Abend -eröffnet,« ruft sie zurück. - -»Ausstellung?« fragen die poetisch-unwissenden Blauvögel und schlagen -verwundert mit den Flügeln. »Von was? Wozu? Davon haben wir noch nie -etwas gehört.« - -»Ja, das glaube ich,« lächelt der Specht mitleidig, »Ihr schwebt -ja immer in den Lüften und schwärmt für Sonnenuntergänge, düstere -Waldpartien mit Lichteffekten und dergleichen Humbug. Ich weiß wohl, das -Getier da unten auf der Erde hält eine Weltausstellung --« - -»O, da laßt uns hingehen,« jubeln die Blauvögel. »Aber wo ist sie -denn?« - -In der Nähe erhebt sich plötzlich ein nimmer endenwollendes Geschrei, -Gekrächze, Gejohle -- - -Der Specht wiegt überlegend sein gelbes Köpfchen: »Wißt Ihr was? Wir -wollen die Schwarzvögel fragen -- die wissen alles! Hört, wie sie -reden und schnattern? Die haben wieder Kaffeegesellschaft oder Loge oder -Gesangverein -- die ganze Eiche dort ist ja schwarz von lauter Staarherren -und Damen, und wenn ihre Sitzungen vorüber sind, wissen sie alles, was im -ganzen Walde passiert ist: wie viele Kinder die Madame Maus das letzte Mal -zur Welt gebracht hat, und wie es auf dem Grashüpferball hergegangen ist, -daß sie im Eichhörnchenturnverein sich fast geprügelt haben bei der -Sprecherwahl und daß der Gesangverein der Locusts sich geeinigt -- --« - -»Gibt's nicht, gibt's nicht! Nee, so blau,« piepst ein unverschämter -Spatz und fliegt dem Specht dicht vor dem Schnabel her in den nächsten -Baum. - -Der aber beachtet den naseweisen Gesellen gar nicht und spricht ruhig -weiter. - -»Ach, hören Sie auf, bitte, Herr Specht,« rufen die Blauvögel, »das -ist ja wie ein ›Eingesandt‹ in der Zeitung!« - -»Aber Kaffernreligion,« lacht der Specht. - -»Seht, da kommt Ihr Bruder -- »Ober-Edel-Erz« angeflogen! Halt, den -wollen wir uns kaufen!« - -»Oh, Herr Staar, wollen Sie nicht die Güte haben, sich hier ein wenig auf -diesen bequemen Baum zu bemühen?« - -»Man muß immer höflich sein mit den Leuten, wenn man etwas von ihnen -will,« flüstert der Schlaue den simplen Blauvögelchen zu, die vor -Erstaunen den Schnabel aufsperren. - -Der Staar krächzt freundlich der Bitte Gewährung, läßt sich auf einem -Ast etwas erhöht über den andern Vögeln nieder, wirft den Kopf in -den Nacken und dreht und wendet sich, daß seine roten und gelben -Logenabzeichen auf den Schultern in der Sonne schillern. Nachdem die -Vorstellung glücklich vorübergegangen ist, bei der der Herr Staar -herablassend den spitzen Schnabel gesenkt und die Blauvögelchen verlegen -die niedlichen Köpfchen geduckt haben, erkundigt sich der Gelbspecht in -den gewähltesten Ausdrücken nach der internationalen Ausstellung. - -»Jawohl, jawohl,« entgegnete Herr Staar würdevoll, »heute Abend ist -Eröffnung. Es soll ja etwas Großartiges werden. - -Sehen Sie, meine verehrten Zuhörer, es geht ein neuer Zug durch den -ganzen, alten Schlendrian, namentlich was Kunst anbelangt. Ich bin -ein weitgereister Mann, ich höre und sehe mancherlei. Ein krankhaftes -Verlangen nach etwas Neuem, Sensationellem, ein Hunger nach Aufregung, nach -Vernichtung des Alten, Hergebrachten, zieht durch die ganze Welt. Und wenn -sie auch auf Abwege geraten, in Irrtümer verfallen, das Falsche dem -Wahren vorziehen -- es ist doch alles nur der durch Jahrtausende immer -wiederkehrende und immer bleibende, große, unersättliche Durst nach --- Freiheit, der Angstschrei der Völker, der zum stillen, hohen Himmel -dringt. Und das macht sich auch in der Kunst bemerkbar -- -- ob zu ihrem -Nutzen und Frommen? Und in der Musik, ja, in der Musik --« hier räuspert -sich der Staar und blickt gen Himmel -- »ja, auch in der Musik gellt und -dröhnt und paukt und trompetet jener Freiheitsschrei in die Lüfte, die -Ohren der Zuhörer mächtig mit sich fortreißend. -- Nein, das geht -ja nicht. Ich -- ich -- ich lasse mich immer so von meinen Gefühlen -überwältigen, meine Lieben -- und« -- Ja, da bleibt der gebildete Staar -stecken. Mit Gesichtern voll Ehrfurcht und inniger Verständnislosigkeit -haben unsere Blauvögel die lange Rede angehört, während der Gelbspecht -mit philosophischer Gelassenheit äußert: »Das mag alles recht schön und -ersprießlich sein, verehrter Redner, aber so lange wie es genug Mücken -und Fliegen in der Luft gibt und wie ich nach Herzenslust an den Bäumen -herumhämmern kann, ist mir die ganze Wirtschaft furchtbar egal und um den -allgemeinen Freiheitsdrang kümmere sich der Kuckuck! - -Vorläufig wollen wir aber einmal diese merkwürdige Ausstellung ansehen, -wenn Sie, verehrter Herr Staar, uns gütigst führen wollen.« - -»Ja, ja,« rufen die Blauvögel und schlagen mit den Flügeln, und - -»Hier hinein, ins Tannendickicht, liebe Leute,« belehrt sie der Staar. -Und dann fliegen alle vier davon. Der Zweig über'm Bächlein nickt -gedankenverloren auf und ab, und das Bächlein murmelt und kichert dazu. - -Drinnen im Tannendickicht herrscht schon reges Leben, die Ausstellung -scheint im vollen Gange zu sein. Ein geschniegeltes Mäuseherrchen, den -Schnurrbart gewichst, die Oehrlein gespitzt, steht am Eingang als Portier. -Der Eintritt ist frei -- wie nach Bellamy im Jahre 2000 bei den Menschen, -gibt es im Tierstaate kein Geld -- und unsere vier Vögel flattern in das -Dickicht. - -»Ah, guten Tag, Herr Mäuserich,« sagt der Staar, der alle Welt zu kennen -scheint, »was macht die Frau Gemahlin? Hat sie sich vom letzten Wochenbett -erholt?« - -»Schönen Dank, bester Herr Staar,« entgegnete der glückliche -Mäusepapa, »alle zwölf wohlauf, aber es ist 'ne Last, die lieben -Kinderchen großzuziehen.« - -»Können Sie denn das nicht per Elektricität besorgen lassen? Heutzutage -sollte doch alles möglich sein -- Eier ausbrüten -- Kleinigkeit! -Warum nicht auch Kinderfüttern, Kinderprügeln, Kinderkriegen etc.?« -Mittlerweile hüpften sie weiter durch die verschlungenen Wege des -Tannendickichts. Zwar sind die Plätze einiger Nachzügler noch unbesetzt, -Vieles ist nicht ganz vollendet, wie ein halbfertiger Maulwurfshaufen -z. B., ein Sprungbrett, eine angefangene Wendeltreppe für Eichhörnchen, -ein prachtvoller Bau mit geheimnisvollen, unterirdischen Gängen, in -welchen Kaninchen noch eifrig beschäftigt sind, zu graben, und dergl. -mehr, aber im Ganzen scheint die Sache recht gelungen zu sein. - -Zwei wohlgenährte, etwas verschwiemelt aussehende Ratten, kleine Knüppel -in der Hand, Mützchen von im Wald gefundenem blauem Butterbrotspapier -über den dicken Nasen, eine weiße Sternblume auf der Brust befestigt, -marschieren würdevoll und bedächtig als heilige Wächter der Ordnung oder -Wächter der heiligen Ordnung umher. Und es ist auch nötig: das schwirrt -und summt und brummt durcheinander, und hüpft und tanzt und zirpt, daß -es wahrhaftig einer energischen Rattenpolizei bedarf, um das leichtfüßige -Gesindel in Ordnung zu halten. Doch vor unserer Vogelgesellschaft bezeigen -die Tierlein großen Respekt; sie halten sich in gewisser Entfernung -und verneigen sich achtungsvoll, sobald ein Blick aus Vogelaugen auf sie -fällt. Nur ein großer Hirschkäfer mit stattlichem Geweih nähert sich -mit höflich-gemessener Verbeugung und bietet sich den hohen Herrschaften -als Führer an, was mit Dank angenommen wird. - -»Sehen Sie, meine Hochverehrten, hier unser Kunstdepartement. Alles neu, -noch nie dagewesen. Sehen Sie, dies Spinnengewebe« -- die langbeinige -Spinne, die es vorhin so eilig hatte, steht daneben und begrüßt sie -mit einem Auskratzen ihrer langen Spinnenbeine -- »wie fein, wie zart, -geschickt die Fäden verknüpft! Und die fette, zappelnde Fliege darin, -jeden Tag wird eine frische gefangen und hineingesetzt -- das nenne ich -Naturalismus. - -»Schrecken der Hinterlist« ist es betitelt. - -Hier die noch lebende, schwer am Licht verbrannte Motte -- »Schrecken der -Aufklärungssucht«. - -Jener Schmetterling, dem eine rauhe Menschenhand den Duft von den zarten -Flügeln gewischt, nun kann er nicht mehr fliegen -- »Schrecken des -Freiheitsdranges«. Ach, und noch so vieles Traurig-Schauderhaft-Schöne! -Sehen Sie, die von Ameisen abgenagte Drosselleiche« -- die Vögel -schütteln sich und machen unangenehme Gesichter -- »und der glänzend -reine Katzenschädel« -- die Vögel nicken befriedigt mit den Köpfen, und -der Gelbspecht macht eine Bewegung, als wolle er die leeren Augenhöhlen -auspicken -- »wirklich eine recht sinnige Zusammenstellung. - -Bitte, blicken Sie hierher -- lauter Raritäten -- da, das so natürliche -Loch in der Erde, hier eine kleine Blätterhütte, ein Einsiedler-Heimchen -wohnt darin und zirpt bescheiden für sich allein, dort jene sorgfältig -getrockneten Heuschreckenleichen, eine Reminiscenz aus dem großen -Heuschrecken-Grashüpferkrieg. -- Und hier, bitte, sehen Sie einmal durch -dies Loch im Tannendickicht -- nicht wahr, ein reizendes Panorama: im -Hintergrund die Wolken als Schneeberge, davor ein einsamer, schwebender -Rabe -- großartig, nicht wahr?« - -»Aeußerst großartig,« meint der Specht, »aber was stellt es vor?« - -»Es ist auch ein Kriegsbild: Eine vergessene Heuschreckenleiche!« (Frei -nach Wereschagin.) - -Die Vögel sehen sich erstaunt unter einander an, suchen die Leiche und -erklären, nun einmal etwas Anderes sehen zu wollen. Das gibt es ja auch -in Hülle und Fülle für jede Geschmacksrichtung. Hier, ein Eiffelturm -aus Eicheln, ein Eichhörnchen sitzt oben drauf, zeigt auf Kommando sein -buschiges Schwänzchen und knackt Nüsse zur allgemeinen Belustigung, -dazu marschieren allerliebste kleine Nagetierchen kauend durch die -Zuschauermenge und bieten goldgelben Harz-Chewing-Gum als Erfrischung -an. Da ist eine Grotte aus kleinen Tropfsteinen und Tannenzapfen, -geheimnisvolles Dämmerlicht; einige Glühlichtwürmchen leuchten dazu, -auf grauen, trockenen Blättern und Gräsern sind vorgestrige -Regentropfen gesammelt, die schimmern wie Wasserfluten, und ein schlankes -Grillenfräulein, die Grillenbeine mit Schleiern aus glänzendem, -flatterndem Altweibersommer bewickelt, als Fischschwanz, bewegt sich -rhythmisch hin und her und fährt mit den langen Vorderbeinen sich graziös -über den Kopf, als kämme sie sich. - -»Was macht die da drinnen?« fragt der eine Blauvogel neugierig, während -der andere starr vor Erstaunen dasteht. - -»Ich bin unten Melusine und oben Loreley,« sagt das Grillenfräulein, -»denn ich habe einen Fischschwanz und kämme dazu mein goldenes Haar.« - -»Ja so,« sagt der Specht. - -Dicht daneben tanzen ein paar Grashüpferdamen Ballett auf einer Schaukel -von Grashalmen, und springen so hoch, daß man sie kaum noch sehen kann, -während auf der andern Seite ein paar Mäusejünglinge in grauen Tricots -mit aus Nußschalen gedrechselten Bällen auf kunstgerechte Weise Baseball -spielen. - -Dieser ganze Wirrwarr, der Lärm und das Getöse, dies Hin und Her, -wirkt ungeheuer ermüdend auf die Nerven ungeübter Zuschauer, und unsere -Blauvögel piepsen und flüstern miteinander, und fühlen sich recht -ungemütlich. - -»Musik, meine Herrschaften, hören Sie unsere allermodernsten Vorträge,« -ruft jetzt der Hirschkäfer. Alles stürzt nach einem hübsch mit -Tannennadeln bestreuten freien Platz. Auf einem Tannenzapfen steht -erhobenen Armes eine große Locuste, so eifrig gestikulierend, daß ihr die -Augen vor den Kopf treten; und um sie her scharen sich allerlei musikalisch -beanlagte Tiere. Nun gibt der Herr Kapellmeister das Zeichen, indem er -seine Fühlhörner weit ausstreckt, und das Konzert braust durch das -Tannendickicht. Sämtliche Grillen des Waldes zirpen so laut sie können, -dazu schnarren die Locusts, pfeifen die Mücken, brummen die Käfer -aller Art; die Kaninchen gebrauchen kräftig ihre Trommelstöcke -- ein -Höllenlärm! - -»Ist das nicht herrlich?« fragt der Hirschkäfer unsere Vögel. - -»Sehr schön,« entgegnete der Gelbspecht, »nur etwas unverständlich.« -Der Staar macht ein sehr gebildetes Gesicht, und die Blauvögel meinen -schüchtern: - -»Es ist aber recht eintönig, und immer so dudelig.« - -»Das ist ja gerade das Schöne,« sagt stolz Kapellmeister Locuste, -»sehen Sie, wie gut Sie es verstanden haben? Es war unsere Nationalhymne --- der Moskito-Doodle!« - -Den Blauvögeln kam die Sache immer problematischer vor, und als vollends -der Herr Mistkäfer mit der ganzen Familie auf sie zukommt und sie -freundlich auch mit dem Nützlichen der Ausstellung bekannt machen will --- die verschiedenen Blätterpräparate, wie Regenmäntel, Schirme und -schützende Laubdächer und Haushaltungsgegenstände aller Art; ferner -Delikatessen: Tauwein über Grashalme abgezogen, dazu Konfekt mit dem -kuriosen Namen Fliegendreck, Misthäufchen, Schneckengelee etc. -- da -fliegen unsere Blauvögel entsetzt kerzengerade in die Höhe und davon, und -auch der Herr Staar, trotz seiner Gleichheitsideen, meint: »es wäre doch -recht gemischte Gesellschaft, und überhaupt vertrüge sich die Heiterkeit -dieser Ausstellung nicht mit seiner ernsten Geistesrichtung,« während -Herr Gelbspecht übermütig erklärt: - -»Nein, mir gefällt es hier famos! Ich will erst den ganzen Schwindel -sehen, und wenn mir die dicke, fette Fliege da morgen im Sonnenschein -begegnet, so fresse ich sie auf vor lauter Liebe.« - -Hoch oben auf einer Berghöhe, von wo man weit über Baum und Strauch -hinüberblickt -- dahin haben sich die Blauvögelein geflüchtet, und der -Staar gesellt sich zu ihnen, weil er just nichts Besseres zu thun hat. -Außerdem hält er die Blauvögel für recht belehrungsbedürftige Wesen, -denen eine kleine Pauke über »die langsam sich vollziehende Umwälzung -der Weltordnung« gar nichts schaden kann. - -Aber unsere blauen Waldvögelein werden hier oben in der Einsamkeit -selber so beredt, daß dem wohlmeinenden Staar nichts übrig bleibt, als -zuzuhören. - -»Blick' um Dich,« singen sie, »das ist unsere Ausstellung, das ist -unsere Freude und die Freude der ganzen Welt. Sieh', wie die bunten -Blätter die Bäume schmücken, wie die glührote Weinranke die dunkle -Tanne zärtlich umfängt. Horch! _Unser_ Konzert! Wie das rauscht und -flüstert in den Zweigen, wie der stürmische Herbstwind in den Blättern -tost, und sieh', wie der schönfarbige Schmetterling die geliebten -Herbstblumen umgaukelt! Und blick' um Dich: die Sonne geht zur Rüste, sie -glüht und leuchtet noch einmal und dann sinkt sie in ihr zartes, graues -Wolkenbett und vergoldet es mit ihrem Schein, und ein strahlender Rand -zieht sich um die seltsamen Wolkengebilde. Ist das nicht schön? Ist das -nicht herrlich! - -Und horch! da unter uns am Fuß des Baumes -- das sind Menschen! Ein -seltsam Geschlecht -- kluge Gedanken und weiche Herzen -- Ich liebe sie, -wenn sie zu Zweien im Walde wandern, wie diese hier. Hör', was sagen -sie?« -- Ja, es sind Menschen -- ein Mann und ein Weib. Und durch des -Mannes dunkles Haar ziehen sich Silberfäden, und auf des Weibes glatter -Stirn hat das Leben zarte Furchen gezogen. -- - -»Sieh', liebes Weib,« sagte der Mann, »diese frühen Herbstblätter -in dem grünen Wald erinnern mich an meine weißen Haare, an Deine ersten -Falten auf der Stirn. Ach, Kind, spät ist's schon im Leben, und jetzt erst -lernen wir das Glück kennen!« - -»Liebster,« entgegnet sie, »sieh', wie die Sonne strahlend und -liebkosend über die Baumstämme gleitet, wie alles noch einmal in voller -Pracht glänzt, glüht und leuchtet -- zum letztenmal, ehe es Winter wird. -So freuen wir uns jetzt noch einmal des Glückes und der Liebe, ehe _unser_ -Winter kommt. Liebster, wie schön ist die Welt und das Leben!« - -Da zieht der Mann das holde, ernste Weib an sein Herz und küßt die Falten -auf der blassen Stirn, und das Gesicht des Weibes glüht und blüht nun, -wie die Rose in ihrem Lebensfrühling. - -Sie sehen hinüber, bis die Sonne verlischt. -- Und die Vöglein lauschen, -und der Staar meint: - -»Die verlangt's auch nicht nach Veränderung, und die denken auch, gerade -wie ihr dummen, kleinen Dinger, das Leben sei doch schön. Merkwürdig! Und -die Welt soll doch so schlecht sein, sagen sie im Verein für Freiheit und -sittlichen Umsturz. Was ist nun wahr? Darüber muß ich auf einem einsamen -Eichenwipfel etwas näher nachdenken.« - -Er spreizt seine dekorierten Flügel und fliegt von dannen. Blauvöglein -aber locken in den Abend hinein und setzen sich dicht nebeneinander auf -einen Zweig und plustern sich und träumen. Die sanfte Nacht kommt gezogen -und breitet ihre schwarzen Fittiche lind über die müde Erde -- -- über -selige, herbstliche Menschenkinder, über plusternde Blauvögelein und -melancholische Staare -- ja, und über all das kriechende, sich duckende, -hochmütige, aberwitzige Volk und den weltklugen Gelbspecht in der -Weltausstellung im Tannendickicht. -- - - - - -Das Märchen von Einem, der auszog, ein Sonntagskind zu werden. - - -Die braune Drossel saß auf einem hohen Baume im Garten und zwitscherte: -»Es ist Sonntag heute. Der Sonntag sitzt mitten im Frühling und hat eine -Krone von Blüten auf dem Haupte, und --« - -Weiter konnte man nichts hören, denn die Sperlinge, denen die Drossel das -erzählte, piepsten und schrieen und zankten so durcheinander, daß die -Drossel auf und davon flog. Was ging es auch die Stadtspatzen an, was die -Walddrossel zu erzählen hatte! - -Die bleiche Frau Sehnsucht aber stand am geöffneten Fenster ihres Hauses -und sah der Drossel nach. »Ach,« seufzte sie, »wer doch ein Sonntagskind -wäre und verstehen könnte, was die Vögel singen! Ach, und wenn nur das -Kind, das ich gebären werde, ein Sonntagskind würde, dann wollte ich gern -glücklich und zufrieden sein.« - -Als aber ihre schwere Stunde kam, da war der lachende Sonntag noch nicht -aufgestanden, und der stille Sonnabend lehnte noch an der kleinen Wiege mit -großen, müden Augen. Er legte eine kühle Hand auf die Stirn des kleinen, -roten, zappelnden Dinges, das mit geballten Fäustchen unter dem Deckchen -herumarbeitete und mit Zornesfalten im Gesicht in die Welt hinausschrie. - -»Nur eine Viertelstunde zu früh,« seufzte die blasse Frau Sehnsucht, und -zwei heiße Thränen fielen auf die geschlossenen Augen des Bübchens in -ihrem Arm. - -Der kleine Bursche aber wuchs kräftig heran und wurde so stark, daß die -ungezogenen Buben in der Nachbarschaft ihm gern aus dem Wege schlichen. -Er stand an seiner Mutter Knie gelehnt und lauschte mit leuchtenden, -wundersamen Augen, wenn sie von den Sonntagskindern erzählte, wie sie gar -so klug sind und wissen, wie die Welt geht, und verstehen, was die Tiere -sprechen, und wie sie den Wolkenflug deuten können. -- »Warum kann ich -nicht jetzt noch ein Sonntagskind werden?« rief er zornig. Dann sprang er -hinaus in den Garten und legte das Ohr auf die Erde, ob er nicht das Gras -wachsen höre, wie ein richtiges Sonntagskind. Er hörte wohl ein zartes, -leises Murmeln, aber ob es nicht die kleinen Käfer und Ameisen waren, die -da raschelten, das wußte er nicht zu sagen. Er stand unter den Bäumen und -hörte zu, was die Vögel sangen; es war ihm, als verstände er einzelne -Worte, wie Sonnenschein, Glück, Blütenduft; aber er war doch nicht -sicher, ob es ihm nicht sein eigenes Herz zugeflüstert hatte. Und weinend -lief er hin zu seiner Mutter und trotzte: »Ich will doch ein Sonntagskind -werden!« - -»Der Sonnabend leidet's nicht,« sagte Frau Sehnsucht traurig. »Und es -war doch nur eine Viertelstunde!« - -»Es muß in den Büchern stehen,« sagte der Knabe, als er in die -Schule ging. Und er lernte alles, was in den Büchern stand und wurde ein -berühmter Mann. Von weit, weit her kamen die Menschen nach dem kleinen -Häuschen der Frau Sehnsucht und wollten von dem jungen Gesellen Antwort -haben auf ihre neugierigen Fragen, und er sagte ihnen alles. Aber insgeheim -glaubte er selber nicht an das, was er ihnen so gelehrt auseinandersetzte; -hatte er doch in keinem Buche Bescheid auf seine einzige Frage erhalten: -Wie er es anfangen könne, ein Sonntagskind zu werden? -- Als nun eines -Tages wieder einmal ein paar kluge Professoren kamen, die aber doch nicht -so klug waren, wie er, und die spitzigen Zeigefinger an die spitzigen Nasen -legten, und ihm die wichtige Frage stellten: Wie kommt es, daß der -Mensch die Nase mitten im Gesicht hat? -- da fielen dem Gesellen seine -Riesenkräfte ein. Er warf die Professoren mitsamt der ganzen Universität -zur Thür hinaus, reckte und streckte sich einmal, that einen tüchtigen -Jauchzer und sagte zur Frau Sehnsucht: - -»Mutter, jetzt ziehe ich in die Welt hinaus, dem Sonntag nach, und komme -nicht eher wieder, bis ich ihn eingeholt habe.« - -Frau Sehnsucht legte ihre weißen Hände auf sein lockiges Haupt und -küßte ihn. Dann schloß sie die schönen, traurigen Augen für immer. - -Der Geselle aber zog in die Welt hinaus. Er sah die goldene Sonne am Himmel -stehen und er sagte: »O Sonne, güldene Sonne du -- ich suche, suche immer -zu. Zeig mir den Weg, wohin ich geh', o Sonne, güldene Sonne du!« Aber -die Sonne lachte ihn aus und antwortete nicht und ging weiter, immer -weiter, bis er sie zuletzt gar nicht mehr sehen konnte. Da kam er in einen -großen Wald, darin reichten die Bäume bis in den Himmel, seltsam große -Blumen standen am Wege und sahen ihn an, und bunte Vögel flogen sprechend -von einem Ast zum andern. - -»Sagt mir's, ihr Bäume, duftet, Blumen, rauscht mir's, ihr Winde, -murmelt, ihr Quellen -- wie fange ich es an, daß ich ein Sonntagskind -werde?« rief der Geselle. - -Da kicherte und lachte es an allen Ecken und Enden. Schelmische -Mädchengesichter tauchten aus den Kelchen der seltsamen Blumen empor und -nickten ihm lächelnd zu. An den Schlinggewächsen turnten winzige nackte -Engelsbübchen, die warfen mit duftenden Blütenblättern nach ihm, und -ein Rauschen und Raunen zog durch den ganzen Wald, daß der Geselle gewiß -alles erfahren hätte, was er wissen wollte, wenn er nur eine Viertelstunde -später auf die Welt gekommen wäre. Zuweilen war es ihm wieder, als -verstände er ein paar Worte, und horch! klang's nicht im Windesrauschen, -wie: Bis an's Ende der Welt? Kopfschüttelnd ging der Geselle weiter. - -Da wurde mit einemmal der Wald hell und licht; das kam von einem schönen -Stern, der fiel vom Himmel nieder, und sieh' -- der Stern nahm Gestalt -an, so schön und sanft wie die Mutter ausgesehen hatte, und seine Augen -strahlten still und traurig, wie die der Frau Sehnsucht. Die schöne -Sternenfrau aber sprach: »Ich will dir Antwort auf deine Frage geben. Gehe -weiter, immer weiter, bis du ans Ende der Welt kommst. Dort wirst du den -Baum der Erkenntnis finden. Wenn du von diesem ein Blatt brichst, dann -wirst du erfahren, was du wissen willst. Aber spute dich! der Weg ist -weit.« - -Der Stern stieg langsam auf gen Himmel, es wurde immer lichter, der Wald -verschwand und der Geselle stand ganz allein auf einer großen Heide, über -die der Wind pfiff. - -»Bis ans Ende der Welt? -- da kann ich meine Füße in die Hand nehmen, -wenn ich noch ankommen will,« sagte er und wanderte fürbaß. Weil's ihm -aber einsam am Wege war, sang er sich das Liedel von dem andern Gesellen: - - »Ein fahrender Geselle durchzog die weite Welt, - Zu suchen nach der Stelle, wo's immer ihm gefällt. - - Doch nimmer mocht er rasten, und nirgend fand er Ruh, - Ihn trieb's zum Weiterhasten, nur weiter! immer zu! - - Er hatte durchstudieret den ganzen Bücherwust, - Mit Wissen ausstaffieret das Herz in seiner Brust -- - - Da fluchte er dem Buche, sah an es nimmermehr: - Das ist's nicht, was ich suche! Das Glück, das Glück gebt her! - - Und kommt er in das Städtchen und winkt ihm aus dem Thor - Das liebe braune Mädchen mit Schelmenaug' hervor -- - - Laß küssen dich, du Feine! -- Schaut ihr ins Angesicht; - Du bist's nicht, die ich meine! -- er da voll Trauer spricht. - - Da ward aus dem Scholaren ein flotter Kriegersmann, - Auch lernt er mit den Jahren, daß man sich bücken kann, - - Und fromme Verse schmieden von Freiheit und von Blut, - Und vor dem Bürgerfrieden voll Ehrfurcht zieh'n den Hut. - - Doch alles wollt nicht frommen, was er sich auch erdacht. - Das Glück wollt ihm nicht kommen -- hörst, wie's von Ferne lacht? - - Da ward aus ihm ein Zecher, der zecht' von früh bis spat, - Bis ihm der leere Becher vom Munde sinken that. - - Lag denn das Glück im Weine? -- Der heilte allen Gram. - Doch weh -- auch nur zum Scheine, nur bis der Morgen kam; - - In seinem grauen Schimmer, wie lag so leer die Welt! -- - Die Nacht verheißt uns immer, was nie der Morgen hält.« - -Als der Geselle sein Liedlein ausgepfiffen hatte, da führte ihn der Weg an -einem Königreich vorbei, und weil die Thür bloß eingeklinkt war, ging er -hinein. Die alte Reichsmauer wackelte hin und her, als er eintrat, und das -Thürschloß behielt er gar in der Hand, so morsch war der Griff. In dem -Königreich saß der König auf einem Throne, der wackelte, und hatte eine -Krone auf dem alten, wackligen Haupt, die wackelte auch. Die Räte um ihn -her hatten kleine Zöpfchen im Nacken, die wackelten, und die Räte selber -wackelten, und das ganze Königreich wackelte. Und weil nun alles so -wacklig war, da nahm der Geselle sein Bein und gab der ganzen Wackelei -einen Tritt; da fiel alles um, und der Geselle sah lachend zu, wie der -König und die Krone und die Räte mit ihren Zöpfen und das ganze morsche -Königreich durcheinander purzelten. Des Königs schöne Tochter aber fing -er in seinen Armen auf; doch als er sie küssen wollte, da welkte sie hin -und lag tot an seiner Brust. Ihre Seele verwandelte sich in einen schönen -weißen Vogel, der kreiste über des Gesellen Haupt und sang ihm zu: - - »Weil' nicht am Wege, - Er ist noch weit; - Noch ist die neue, die selige Zeit, - Noch ist sie nimmer geboren.« - -Als der Geselle nun weiter ging, kam er an eine große, große Stadt, -darin war eitel Freude und Lustigkeit, das ganze Volk tanzte und sprang -und geberdete sich wie toll. In den Moscheen, Kirchen, Freiheitstempeln -läuteten die Glocken und große Götzen saßen darin, die machten mit -schrecklichen Grimassen die Mäuler auf, und dann warf das Volk alles -Schöne und Gute den Götzen in den Schlund, und das Häßliche und Gemeine -stand grinsend auf den Schultern der Götzen, und das Volk jubelte ihm zu. --- Da faßte den Gesellen ein grimmer Zorn, er hob sein gutes Schwert und -schlug zu, und schlug den Götzen die Köpfe ab. Aus den Rümpfen stieg ein -starker, grauer Dunst auf, wie eine Weihrauchwolke, der lagerte sich hin -über die Stadt und erstickte all das lärmende Volk, daß es tot dalag. -Ueber der Nebelwolke aber schwebte ein neuer, schöner, weißer Vogel und -gesellte sich dem andern zu; sie umkreisten den Gesellen und sangen ihm zu: - - »Weil' nicht am Wege, - Er ist noch weit; - Noch ist die neue, die selige Zeit, - Noch ist sie nimmer geboren.« - -Als der Geselle nun weiter ging, kam er an einen hohen, hohen Berg, darauf -wimmelte es von Menschen. »Ist hier das Ende der Welt?« fragte er. -»Was?« riefen sie ihm von der Spitze des Berges zu, »das Ende der -Welt? Bewahre! Hier fängt die Welt erst an!« -- Als nun der Geselle oben -angekommen war, sah er, daß all' die Menschen ihr eigenes Ich genommen und -es vor sich hingestellt hatten; und nun drehten sich die Körper um das Ich -in der Runde und sangen feierliche Weisen und beteten es an. »Siehst du,« -riefen sie ihm zu, »das ist es, was du suchst. Wir sind die Welt, wir sind -das All, wir, unser eigenstes Ich. Wir wissen alles, wir können alles, wir -lieben uns, wir beten uns an.« -- Voll Verwunderung stand der Geselle und -sah dem seltsamen Treiben zu. »Aber wie könnt ihr denn leben, wenn ihr -euer eigenes Ich aus euch herausgenommen habt?« -- »Wir zehren von seinem -Anblick, er ist uns Nahrung, Luft und Licht. Wenn wir unser Ich ansehen, -werden wir so von seiner Größe und Erhabenheit durchdrungen, daß wir -unsere körperlichen Beine aufheben und tanzen müssen, und dann schreien -wir von diesem hohen Berge das Heil des Ichs in die Welt unter uns hinaus, -damit auch sie daran glaube und selig werde.« - -Da faßte den Gesellen, als er ihre seelenlosen Köpfe und verdrehten -Glieder sah, ein ungeheurer Ekel. Er nahm seine starken Fäuste und -schleuderte einen der tanzenden Körper nach dem andern in die Tiefe, und -wenn sie gegen die Felsblöcke, die am Fuße des Berges lagen, anprallten, -dann platzten sie mit einem Knall, wie ein aufgeblasener Pilz im Walde, auf -den du unversehens trittst. »Jetzt spiele ich Kegel mit den Püstern!« -sagte der Geselle. -- Dann nahm er alle die angebeteten Ichs, die entseelt -zu Boden gesunken waren, schichtete sie aufeinander, wie einen Holzstoß, -und zündete sie an, daß die rote Lohe weithin in die Welt schien. Aus den -Flammen aber flog wieder ein schöner, weißer Vogel -- denn aus allem, was -zu Grunde geht, wächst doch noch ein Schönes -- und er gesellte sich -zu den andern, und sie umkreisten ihn. Aber sie sangen nicht mehr, ihr -Flügelschlag wurde immer lautloser. Und doch war es dem Gesellen, als -trieben diese weichen Flügel ihn weiter, hin über trotzige Felsblöcke, -an denen sich seine Füße blutig stießen, über weite gefrorene Seen, -über denen er hinglitt wie über einen Spiegel. Er wußte nicht mehr, -ob er schon lange gewandert sei oder eben erst die schlanke, kühle Hand -seiner Mutter, der Frau Sehnsucht, auf seiner Stirn gefühlt hatte. Er -wußte nur noch, daß er weiter, immer weiter getrieben wurde. Endlich sank -er erschöpft zu Boden. Als er die Augen öffnete, lag er auf einer weiten -Ebene. Schöne Tiere traten an ihn heran und betrachteten ihn mit stillen, -klaren Augen; aber sie waren stumm. Vögel schwebten über ihn hin; aber -sie sangen nicht. Blumen blühten an glänzenden Bächen, aber das Wasser -murmelte nicht; der Wind, der durch die Zweige strich, rauschte nicht -- -es war tiefe, tiefe Stille. Lautlos flogen die drei weißen Vögel vor -dem Gesellen her. -- In der Ferne, am Ende der Ebene, schwebte eine weiße -Wolke. Als der Geselle näher kam, sah er, daß es tausend und aber tausend -von ebensolchen großen, weißen Vögeln waren, wie die, die ihn begleitet -hatten, und er dachte daran, wie viele Menschen wohl gleich ihm denselben -Weg gemacht hatten, wie viel erst zertrümmert werden mußte, damit diese -Wolke sich hatte bilden können. Die weißen Vögel umkreisten leise, leise -einen starken, grünen Baum, dessen viele Zweige gingen auf und nieder -zwischen Erd' und Himmel. Der Baum blühte nicht und trug keine Früchte, -er hatte nur unzählige grüne, kraftstrotzende Blätter. Die drei weißen -Vögel aber, die den Gesellen begleitet hatten, mischten sich unter die -andern, die in den Zweigen des Baumes nisteten, so daß er sie nicht mehr -unterscheiden konnte. Und wie er so in der weißen Wolke stand, und der -weiche Flügelschlag der schönen Vögel seine Stirn fächelte, da war es -ihm, als höre er die Worte: - - »Weil' nicht am Wege, - Nicht ist er mehr weit. - Wir kreisen und hüten die kommende Zeit, - Wir weben ihr reines, ihr glänzendes Kleid -- - Im Baum schläft sie sicher geborgen.« - -Da streckte der Geselle die Hand aus und brach eines der saftgrünen -Blätter. Es fiel ein Tropfen, rot wie Blut, in seine Hand. Da zog sein -ganzes Leben an ihm vorüber: er sah sich, wie er immer dem Sonntag -nachgejagt war, alles andere darüber vergessend; er sah, wie er nicht die -Welt und sie nicht ihn verstanden hatte, denn er war ja eine Viertelstunde -zu früh geboren. Wie er auf das Blatt in seiner Hand hinschaute, lange, -lange, da bleichte sein Haar, seine Stirn begann sich zu runzeln, sein -starker Körper bog sich zur Erde. Aus dem Manne ward ein Greis, und nun -wußte er, wann er den Sonntag einholen würde. -- Er sah auf und sah die -weißen Vögel, die mit ihren stillen, großen Flügeln einen starken Wind -erhoben; der wehte ihn fort, weit fort, den Weg zurück, den er gekommen -war. Auf dem Berge glühte noch das Feuer, über der Stadt lag der Dunst, -das zerfallene Königreich bröckelte am Wege -- er schaute nicht um -danach. Er ging durch den dunklen Wald, darin die Bäume regungslos -standen. Er ging und ging, bis er in das Stübchen kam, in dem Frau -Sehnsucht die schönen, traurigen Augen für immer geschlossen hatte. -Da setzte sich der greise Geselle ans Fenster und schaute in den Garten -hinein. - -Auf dem Apfelbaum saß die braune Drossel und erzählte den Spatzen: »Es -ist Sonntag heute. Der Sonntag sitzt mitten im Frühling und hat eine -Blütenkrone auf dem lachenden Haupte, und die Blumen bringen ihm ihre -Düfte, und die Winde tragen den Duft hin über die Stirnen der Kinder, die -heute geboren werden.« - -Da nickte der Greis am Fenster und lächelte. Er schloß die Augen, und -seine Seele zog vor des Sonntags Thron, damit sie als Duft auf die Stirn -eines neugeborenen Sonntagkindes gelegt werde. -- Im Tode war der Geselle -ein Sonntagskind geworden. - -»Es ist Sonntag!« sang die Drossel. »Das ist etwas ganz Alltägliches,« -piepsten die Spatzen, »das passiert jede Woche einmal.« - - - - -Rauch. - - -Es war einmal ein kleiner Schmiedegeselle, der war es müde, immer am -Amboß zu stehen und Gedanken zu hämmern. Er hätte gar zu gern gesehen, -wie sich die Gedanken ausnahmen, noch ehe sie zum Schmiedematerial -zusammengegossen waren. Eines Tages hatte er mit heller Lust ein paar -kräftige Gedanken, die im Feuer glührot und geschmeidig geworden waren, -zu ein paar starken Hufeisen zusammengeschweißt; die Funken sprühten, -wenn man damit auf einen Stein schlug. Da klopfte ihm der große Meister -auf die Schulter und sagte: - -»Geselle, geh' auf die Wanderschaft.« - -Und da zog er aus. -- Als er wegging, schien die Sonne hell, obwohl es -mitten im Winter war; der Himmel hatte überall blaue Batzen auf die -Wolkenlöcher gesetzt, und der Wind hatte dazu gefiedelt: - - Die Erde hat sich schlafen gelegt, - Mit weißem Lailach zugedeckt, - Der rasche Wind den Himmel fegt, - Bis er die Sonne hat erweckt. - - Nun scheint sie hinunter auf den Schnee - Und lacht hinweg ihn nach und nach: - Wenn auch die Welt sich duckt in Weh; - Sie wird doch einmal wieder wach. - - Dann jauchzt sie auf in grüner Lust, - Hüllt sich in lauter Liebe ein -- - Und ahnend klingt's in deiner Brust: - Im Winter ist es auch gut sein! -- - -Als aber der kleine Schmiedegeselle ein Stücklein Wegs gegangen war, da -sah er eine schwere dunkle Wolke in der Ferne schweben, und je näher er -kam, desto trüber wurde es um ihn her, bis schließlich Himmel und -Erde und die ganze Welt schmutzig aussah; und er sah, daß es ein ganzes -Sammelsurium von Häusern war, das alles so finster machte. Die Häuser -waren so hoch, daß sie die Wolken an den Fußsohlen kitzeln konnten. - -Der kleine Schmiedgeselle stand und guckte an so einem hohen Kasten in die -Höhe: - -»Könnt ihr da oben durch die Wolken sehen?« fragte er, »und die Sonne -auf der andern Seite scheinen sehen? -- Eia, das muß schön sein!« - -»Da, komm nur mit in das Loch hinein, kleiner Wurm,« sagte ein Mann neben -ihm, schob ihn vor sich her, und schwupp! flogen sie in einem viereckigen -kleinen Kasten so schnell himmelan, daß es dem Gesellen ganz übel wurde. - -Der Mann lachte spöttisch aus ein paar klugen Augen. - -»Ja früher,« sagte er, »wenn der Teufel einen armen Handwerksgesellen -holte, da flogen sie miteinander auf schwarzen Gespensterflügeln in die -Tiefe hinab. Wir machen das jetzt per Elektricität und fliegen himmelan.« - -Erschrocken sah das Gesellchen zur Seite, erblickte aber nur einen ganz -einfachen Menschen, der ein ganz klein wenig hinkte. Nur seine Ohren waren -so sonderbar lang und schmal; wenn er lachte, schienen sie sich zu spitzen, -und er lachte so, daß der Schmiedegeselle mitlachen mußte, und das Ding, -in dem sie saßen, vor Vergnügen in die Höhe sprang. - -Dann waren sie oben. Das war ein großes, flaches Dach mit Kieselsteinchen -bedeckt, als ob sie drauf geregnet wären. Allerlei Verzierungen sprangen -an den Ecken auf und auf zwei kleinen Säulchen saßen vergoldete Zierate, -die sahen aus wie Champagnerpfropfen. - -»I, da schlag' doch der Teufel den Herrgott tot!« rief der Mann mit einem -vergnügten Grinsen, »da hab' ich doch gedacht, ich könnte dem kleinen -Wurm das ganze Riesentreibhaus auf einmal zeigen, und nebendran das -große Wasser, in dem man eigentlich die nichtsnutzige Brut gleich wieder -ersäufen sollte, nachdem man sie hervorgebracht hat -- und da -- nichts, -aber auch rein gar nichts, als das wüste Gebrodel, das mein Vetter, der -große Nebel, so erstaunlich schön herauszukriegen versteht. Er ist ein -ganz gelungener Kerl, sage ich dir, und dabei ein Phantast, trotz seiner -Schwere. Und unbeständig ist er, nirgends zu fassen. Der geht in einer -Minute alle Ideen der Welt durch, um schließlich mit seinem grauen -Einerlei platt über die ganze Erde hinzufallen, daß man drunter ersticken -sollte. Uff! wie schwer er schon wieder herunterhängt. -- Und siehst du, -mit einemmal reißt er sein langes Hemd in Fetzen entzwei und tanzt herum -wie ein toller Bacchant. Zum Verzweifeln für einen feierlichen Kerl!« - -Dabei nahm er einen gespreizten Ton an, schob die linke Hand zwischen die -Brustknöpfe seines Rockes und hob das Haupt mit einem idealischen Schwung. -Als das Gesellchen ihn entsetzt ansah, schnitt er plötzlich allerlei -Grimassen, liebkoste ein paar kleine, niedliche Bockshörnchen, die -zwischen dem Kraushaar über der Stirn hervorwuchsen, und spitzte seine -Faunsohren nach dem Wind. Nachdem er den kleinen Schmiedegesellen genügend -verwirrt hatte, fing er an, ihm ernsthaft allerlei Erklärungen zu geben. - -»Sieh',« sagte er, »das ist der große Hexenkessel, Höllengebrodel, da -werden alle die Gedanken ausgekocht von dem Menschenpack, das tief unten -mit Beinen, Händen, Köpfen oder Magen schuftet; und die nehmen dann -Gestalt an, und paß einmal auf, da aus den Tausenden von Schlöten fahren -sie hinaus in den Nebel, der verschlingt sie, wird groß und stark daran, -wächst und wächst bis einmal die Welt ein großer Gedanken-Nebel geworden -ist. Dann kommt die Zeit für uns Faune, uns Satanskerle, Teufelsstricke, -und wir ziehen gegen den Nebel zu Felde, gegen meinen großen Vetter -- -da kämpfen wir, das ewige, blühende, lachende Leben gegen die blassen, -umnebelten und vernebelten Gedanken. -- Sieh', da fliegen sie --« - -Der kleine Schmiedegeselle hatte derweilen stumm in das graue Meer -geschaut, drin es wogte und zerrte, drin die Schornsteine und Schlöte der -vielen, vielen Häuser hineinragten und schwere Dampfwolken entsendeten, -schwarze, dicke, schmierige, lichte, flinke, weiße oder rötlich -scheinende, von den Flammen tief drunten, die zuweilen bis zum Kamin -herausschlugen. Es sah aus, als ob die himmelhohen Häuser der Riesenstadt -eigentlich ganz klein hoch in der Luft ständen, nur mit den großen -Schlöten daran; als ob da unten auf der Straße eine ganz andere Welt sei, -und nur ganz fern, fern, wie das Bienengesummse an einem Sommermittag am -Kornfeld, drang das Getrappel, Gerolle, Getose herauf zu dem Dach, wo die -Wolken mit ihren schweren Fittichen des kleinen Gesellen Haupt streiften. -Der stand und schaute. Der wunderliche Mann saß neben ihm, deckte ein Bein -mit dem andern und deutete mit dem langen, ausgestreckten Zeigefinger bald -auf diesen, bald auf jenen Schornstein, und er grinste spöttisch dazu, -oder lachte ingrimmig, oder seine Augen leuchteten, wie in stiller Wonne. -So jetzt eben wieder. - -Da stieg aus einem schlanken Rauchfang ein silberweißes Rauchsäulchen -auf, kräuselte sich lustig, ehe es im Nebel zerging, und auf dem -schaumigen Gezausel tanzten putzige kleine Kerle mit runden Bäuchlein -und weinroten Gesichtern, sie hatten Weinreben sich umwunden und lallten -allerlei tolles Zeug und schrieen dem lächelnden Manne, Faun, Mephisto, -was immer er sich nannte, ein jauchzendes ~Evoë Bacche!~ - -Und sobald die einen im Nebel vergangen waren, wurden neue aus den Ringeln -der Rauchsäule geboren, schöne und drollige, große und kleine, Männlein -und Fräulein, und ob auch aus den Augen eines Alten ein ernstes Denken -sprach, ob die weichen Glieder einer jungen Bacchantin im Wirbel sich -drehten -- gleichsam aus ihnen heraus über die ganze Erde hin leuchtete, -strahlte eine selige, mutige, weinduftende Begeisterung. - -Jetzt lachte der Geselle laut auf. Da hatten ein paar trunkene kleine -Satyrn die Nebelfetzen zusammengeballt wie Schneebälle, schnitten wütende -Gesichter nach einem andern Schlot hin, streckten denen, die da oben -aufstiegen, die Zunge heraus, und begannen sie zu bombardieren. Es war -ein weiter Kamin, nicht sehr hoch, der Rauch, der da herauskam, hatte eine -eklige, semmelblonde Farbe, die Gedanken, die drauf ritten, auch, und -sie waren feist und schwammig. Sie versuchten, recht forsch und protzig -aufzutreten, aber sie krümmten sich dabei, als wenn sie Bauchgrimmen -hätten, und sie streckten flehentlich die Arme aus, so gut es eben ging, -nach einem andern Schornstein und stöhnten: - -»Gebt uns was ab! Gebt uns was ab!« - -Das war ein mächtiger, weiter Schlot, und der Rauch und Qualm, der ihm -entquoll, schwarz, finster, beklemmend. Bleiche Gestalten stiegen drauf -zur Höhe, hohlwangig wie eine durchwachte Nacht, finster wie eine -Gewitterwolke. Immer mehr, Millionen von ihnen tauchten auf aus dem -Dunkel, nicht aus einem, nein, aus hundert Schlöten, ganze Heere von -Elendsgestalten, ganze Heere von drohenden Fäusten, von rachedurstenden -Augen, von verzweifelten Gesichtern. - -Und der kleine Geselle drückte sich scheu an den Mann, der ingrimmig -hohnlachte. - -»Wo kommen die her, alle, alle, ohne Ende?« fragte der Geselle bebend. - -»Aus den Fabriken, aus den Werkstätten, aus den Mietskasernen, aus den -Spelunken da unten,« knurrte der mit den Bockshörnchen. »Bande, elendes -Pack, warum drücken sie die andern nicht tot, schaffen sich Platz in der -Welt, so viele, wie sie sind! Aber sie haben Furcht, gerade so viel Furcht, -wie die da drüben -- sieh' -- da aus dem himmelhohen Rauchfang, der -so kerzengerade aufwächst -- Mitleid haben. Prrr -- Puah -- Mitleid, -Mitgefühl, Menschenliebe, Gleichheit, Brüderlichkeit -- sieh', wie sie da -alle schweben, die schönen Gedanken! Schau einmal genau hin! Glaubst du, -sie kämen alle aus demselben hohen, ragenden, lichten, freundlichen Kamin? -Ist schön gebaut, der Rauchfang! Aber schließ' dein Auge ab von all dem -andern, indem du die Hand krümmst wie ein Fernrohr davor -- das gibt mehr -Perspektive. Siehst du nun wohl, daß jeder der schönen Gedanken -seinen Privatschlot hat, der nur an den andern sich anlehnt? -- Und die -Rauchsäulchen, -- recht fein hell anzusehen -- dürfen sich mit keinen -von den andern vermischen, beileibe nicht, und der Kamin muß immer mit -demselben Heizmaterial gefüttert werden, und jedes Rauchwölkchen hat -seinen Parteinebel, in den es sich auflöst.« - -Aber immer und immer wieder stieg das bleiche, finstere Heer auf, auf, -stetig, unverdrossen. - -»Da, sieh' her, du kleiner Wurm, der du die Gedanken nackt und -unverarbeitet in der Welt herumlaufen sehen wolltest,« schrie der -Mann-Faun-Mephisto, »siehst du jene dort drüben aus dem Marmorkamin sich -entwirren? -- Wohlgenährte Gestalten sind drunter mit schwimmenden Augen, -magere Kerle mit Beil-Gesichtern, und alle mit so einem Air um sich herum, -als wollten sie auf alles andere spucken. Kapitalsbestien nennt man sie mit -dem Kunstausdruck, d. h. die Kapitäler sind ihnen jetzt da oben im Rauch -abhanden gekommen, und nur die Bestien sind übrig geblieben. Und nun -schau die guten, mitleidigen, allesliebenden, weltbeglückenden -Fanatikergedanken, die eigene kleine Weltbegriffe auf Silberrauchsäulchen -ausdünsten -- schau auch alle die winzigen Nebengedanken, die von der -Silbersäule abspringen, ihre Nachbarn zerren und stoßen, zu Boden -schlagen, ins Gesicht treten -- kommt es dir nicht schließlich vor, als -wäre der eine wie der andere: Fanatiker seines eigenen Ichs? Und sie -verteidigen dieses ihr Besitztum, die einen mit nackter Brutalität, die -andern mit alles überwältigendem Mitleid für die Menschheit. Ist recht, -ist ja recht so. Nur sollen sie nicht das Du-Geschrei erheben, wenn sie das -Ich meinen. Aber guck einmal da!« -- - -Aus dem lichten, ragenden Schornstein, dessen viele Teile das Gesellchen -jetzt deutlich erblickte, war eine Schar Gedanken-Geister aufgetaucht, die -sich mit Mäulern, Fäusten und Füßen ingrimmig bearbeiteten: die einen -suchten die nächsten unter sich zu ducken, zerrend, heulend, schimpfend; -die zarten Gestalten aus demselben Rauchfang, die über ihnen schwebten, -rangen traurig die Hände; die Bestien aus dem Marmorkamin sahen behaglich -zu, und die kleinen Weinkameraden ritten auf ihrem Rauchgekräusel herzu, -jauchzten und lachten, schütteten duftenden Rheinwein über sie aus, -wie man über die beißenden Hunde Wasser gießt, und trieben allerhand -Allotria. - -Die hungrige, bleiche, verzweifelte Schreckensschar aber stieg immerfort, -stetig auf; auf aus den Tausenden von Schlöten und verzehrte sich im -Nebel, immerzu, regelmäßig, wie ein grauenhaftes Uhrwerk. - -»Bande, Bande!« knurrte der neben dem Gesellchen. »Wann kommt's? -- Wann -kommt's und schlägt den Kram in Fetzen? -- Ist ein lustig Leben, kleines -Wurm, so hoch über ihnen, was? -- Und doch mitten drunter. Die da tief -drunten, alle, glauben, sie kennen, sie haben mich, und ahnen nicht, -daß ich es bin, der ihre Gedanken hier oben spuken läßt zur eigenen -Verlustierung, wie Nero einst Rom in Brand setzte! _Nicht_ sie mich -- -_ich_ hab' _sie_! -- Hoho -- aber da -- da, meine Braven!« - -Da schlug aus einem mächtigen Rauchfang eine hohe Feuersäule auf, -glührot, wie aus einer Schmiede-Esse, und darauf schwebte, nein, stampfte -eine gewichtige Schar, die zog den Ambos und dröhnte die Schmiedehämmer -nieder, daß es durch die Lüfte klang. Riesengestalten mit mächtigen -Köpfen und lustigen Augen. Bei jedem Hammerschlag von ihren Fäusten -stoben die Funken, und in jedem Funken sang es: - - »Mir sein die Hammerschmiedsgsölln, Hammerschmiedsgsölln, - Mir könn' dableiben, mir könn' furtgeh'n, - Mir könn' dhun, was mer wöll'n, dhun, was mer wöll'n!« - -Schritt vor Schritt weitergreifend, die rußigen Gesichter umglüht -vom Flammenschein, stampften sie alles unter ihre Füße, Bestien und -Mitleidsgedanken und Elendsgestalten, was ihnen in den Weg kam, trieben -die Rauchwolken zur Seite und machten Bahn frei -- bis endlich, nach langem -Kampf, auch sie der große Nebel verschlang. - -Aber dort, wo sie verschwunden waren, da lag in lichter Ferne -- das -Gesellchen sah es ganz deutlich, und der Mann breitete seine Arme aus -- -der silberne See, der hob und senkte sich leise. -- Möven flogen -drüber hin, die tauchten mit der weißen Brust ein in die Silberflut und -schüttelten die leuchtenden Tropfen von den Flügeln. - -Wo sie das Wasser berührten, tauchte ein Wunderwesen nach dem andern -auf; diese reihten sich aneinander, und bald wimmelte der See von zarten, -lieblichen, von starken, gewaltigen Wesen. Auf ihren ausgestreckten Armen -kamen zwei wunderselige Frauengestalten einhergeschwebt, ein leiser, -flüchtiger Gesang zog ihnen voran: - - »Wir geleiten hohe Frauen, - Die den Wassern sind entstiegen, - Die sich auf den Nebeln wiegen, - Und die Wellen stets durchwallen, - Unerkannt von allen, allen, - Denn von zwei'n ist eine keine: - Diese Hehre, Hohe, Reine, - Jene, die da gleißt im Scheine -- - Nur zusammen kannst sie schauen. - Wie die Sonne aus dem Meere - Ihre Strahlen weiter sendet, - So zieh'n im Gedankenheere - Sie, bis ihre Bahn vollendet. - Sinken in die Wasser nieder, - Kommen mit der Sonne wieder.« - -So schwebten sie hin über das Häusermeer der Riesenstadt. Die schönen -Frauen glichen sich eine der andern so, daß man sie nicht unterscheiden -konnte, und das Gesellchen hätte gar zu gern gewußt, wer sie seien. - -Der Mann sah mit verschränkten Armen den Zug an sich vorüber wallen, -musterte mit kritischen Augen die weißen Nixenglieder, lächelte -vertraulich dem schönen Frauenpaar zu. -- Da war es dem Gesellen, als habe -die eine listig gewinkt, die andere nur milde gelächelt. Aus dem Nebel, -der sie umwogte, aber tönte das Lied der Hammerschmiedsgesellen: - - »Mir könn' dhun, mir könn' treiben, mir könn' loss'n, was mer - wöll'n!« - -»Ja, ja,« nickte der Mann, »wenn's alle Hammerschmiedsgesellen wären! -Aber doch, kleines Wurm, wissen auch sie nicht genau, gerade wie du -und alle die andern es gar nicht wissen, wer von den beiden lieben -Frauenzimmerchen da -- die Wahrheit und welches die Lüge ist.« - -Als er das sagte und der kleine Schmiedsgeselle flehend die Arme hob, da -schauten die beiden herrlichen Frauen zurück -- die eine milde lächelnd: - -»_Du_ bist die Wahrheit!« jauchzte der Geselle. - -Da hob die andere sachte und ernst den Finger an den Mund. -- - -Und der Geselle barg das Gesicht in die Hände und weinte. - -Als er wieder aufschaute, sah er den Mann vor dem Champagnerkorken stehen -und Zwiesprache halten mit einem nackten, kleinen Schlingel, der rittlings -auf dem einen goldenen Pfropfen saß, Bogen und Köcher umgehängt hatte -und blutrote Pfeile nach allen Richtungen verschoß; sein Krauskopf -glänzte voll goldener Locken und trotz der Lachgrübchen saßen ein paar -bitterernste Augen in dem jungen Gesicht. - -»Ich bin echt!« sagte er und zielte auf den Gesellen, und dem wurde es -plötzlich ganz leicht um's Herz. Da lachte der kleine, nackte Bub ein -tolles, befreiendes Lachen, und der Mann fiel ein, und das Gesellchen -mußte mitlachen, bis ihm die Thränen aus den Augen liefen. - -Dicht hing der Nebel herunter. Die Wolken rieben sich die Fußsohlen an den -Champagnerkorken. Rauch, schwerer, schwarzer, lichter, semmelblonder stieg -auf aus allen Schlöten. In der Ferne sah der Geselle einen silbernen -Streifen, auf dem ein Mövenflügel blitzte. Ein dumpfes Gegroll wogte zu -ihnen herüber. Ein Amboßschlag dröhnte. - -Fest mit den Füßen aufstampfend, ging der wunderliche Mann mit dem -kleinen Schmiedegesellen viele Stufen hinab, und es klang, als ob jede -Stufe knurrte: - - »Hammerschmiedsg'söll'n -- dhun, was mer wöll'n!« - -Unten angekommen, sah der Mann wieder aus wie ein gewöhnlicher -Europäer, und die Stube, in die sie eintraten, wie eine ganz gewöhnliche -Kaufmannsstube. - -»Hör',« sagte der Mann zu einem andern, der da saß und schrieb, »wir -müssen die Champagnerpropfen da oben an dem Dach neu vergolden, die hat -der Nebel ganz blind gemacht.« - -Der andere nickte und schrieb weiter. - -Der Mann aber sah den kleinen Schmiedegesellen an und zupfte sich an den -spitzen Oehrchen. Und dann lachten sie. - - - - -Druckfehler. - - - Seite 24, Zeile 4 von oben, lies: ~hant~ statt ~hante~. - " 68, " 3 " " " : Silberflut statt Silberglut. - " 97, " 15 " " " : Weh _in der_ Welt. - " 118, " 8 " " " : _ni_mmer statt immer. - " 122, " 26 " " " : aus _seinen_ Händen. - " 129, " 10 " " " : _sein_ leuchtendes Auge. - " 155, " 23 " " " : _drauf_ ritten. - - - - -Im _Verlags-Magazin J. Schabelitz_ in _Zürich_ ist erschienen und durch -alle Buchhandlungen zu beziehen: - - - #Amerikanische Lebensbilder.# Skizzen und Tagebuchblätter. Von _Karl - Knortz_. -- 2 Mk. = 2 Fr. 50 Cts. - - #Eines deutschen Matrosen Nordpolfahrten.# Wilhelm Nindemann's - Erinnerungen an die Nordpolexpedition der »Polaris« und »Jeanette«. - Von _Karl Knortz_. -- 70 Pf. = 85 Cts. - - #Hamlet und Faust.# Von _Karl Knortz_. -- 1 Mk. = 1 Fr. 25 Cts. - - #Irländische Märchen.# Von _Karl Knortz_. -- Mk. 1.60. = 2 Fr. - - #Nokomis.# Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer. Von - _Karl Knortz_. -- 1 Mk. 60 Pf. = 2 Fr. - - #Neue Epigramme.# Von _Karl Knortz_. -- 1 Mk. = 1 Fr. 25 Cts. - - #Goethe und die Wertherzeit.# Ein Vortrag. Von _Karl Knortz_. Mit dem - Anhange: Goethe in Amerika. -- 80 Pf. = 1 Fr. - - #Grashalme.# Gedichte von _Walt Whitman_. In Auswahl übersetzt von - _Karl Knortz_ und _T. W. Rolleston_. -- 2 Mk. 50 Pf. = 3 Fr. - - #Vom Hudson bis zum goldenen Thor.# Ernste und heitere Erzählungen aus - dem amerikanischen Leben. Von _Joseph Treumann_. 2 Bände. -- 5 Mk. - = 6 Fr. 25 Cts. - - #Ueberseeische Reisen.# Von _Amand Goegg_. -- 2 Mk. 40 Pf. = 3 Fr. - - #Bilder aus den Vereinigten Staaten.# Von ~Dr.~ _J. Richter_. -- - 1 Mk. 60 Pf. = 2 Fr. - - #Aus dem Reiche des Tantalus.# Alfresco-Skizzen von _W. L. Rosenberg_. - -- 1 Mk. 60 Pf. = 2 Fr. - - #Zweierlei Hoheit.# Roman von _Juvenalis Minor_. -- 3 Mk. 60 Pf. - = 4 Fr. 50 Cts. - - #Heißes Blut.# Roman aus der französischen Provinz. 2 Theile. Von - _Hermann Gosseck_. -- 5 Mk. = 6 Fr. 25 Cts. - - #Scherben.# Gesammelt vom müden Manne (_Richard Voß_.) Zweite, stark - vermehrte Auflage. -- 5 Mk. = 6 Fr. 25 Cts. - - #Schlimme Geschichten.# Drei Novellen. Von _Gustav Adolf_. -- - 1 Mk. 60 Pf. = 2 Fr. - - #Ueber Graphologie# oder die Kunst, die Geistes- und - Gemüthseigenschaften eines Menschen aus seiner Handschrift zu - erkennen. Von _Fritz Machmer_. -- 2 Mk. = 2 Fr. 50 Cts. - - - - -[ Hinweise zur Transkription - - -Der Schmutztitel wurde entfernt. - -Im Originalbuch tragen die Kapitel jeweils am Anfang ornamentalen und am -Ende floralen Schmuck, auf den in dieser Transkription verzichtet wurde. - -Die im Buch enthaltene Verlagswerbung wurde von der Rückseite des vorderen -Einbanddeckels an das Buchende verschoben. - -Das Originalbuch ist in Fraktur gesetzt. - -Darstellung abweichender Schriftarten: _gesperrt_, ~Antiqua~, #fett#. - -Der Text des Originalbuchs wurde grundsätzlich beibehalten, -einschließlich uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise "Apollo" --- "Appollo", "Bacchus" -- "Bacchos", "Höckerweib" -- "Hökerweib", -"Schmiedegeselle" -- "Schmiedgeselle", "Sonntagkind" -- "Sonntagskind", - -mit folgenden Ausnahmen, - -entsprechend dem Korrekturverzeichnis des Originalbuchs - - Seite 24: - im Original "ich hete in mîne hante gesmogen" - geändert in "ich hete in mîne hant gesmogen" - - Seite 68: - im Original "In tiefe, rauschende Silberglut" - geändert in "In tiefe, rauschende Silberflut" - - Seite 97: - im Original "als ob all das Weh in Welt" - geändert in "als ob all das Weh in der Welt" - - Seite 118: - im Original "wenn Ihr die Liebe sucht, fliegt immer zu Thal" - geändert in "wenn Ihr die Liebe sucht, fliegt nimmer zu Thal" - - Seite 122: - im Original "aus ihren Händen weg und zu uns" - geändert in "aus seinen Händen weg und zu uns" - - Seite 129: - im Original "und ein leuchtendes Auge weilt" - geändert in "und sein leuchtendes Auge weilt" - - Seite 155: - im Original "die Gedanken, die draus ritten" - geändert in "die Gedanken, die drauf ritten" - -und außerdem - - Seite 13: - im Original "wo wollen die vielen Menschen hin die dort" - geändert in "wo wollen die vielen Menschen hin, die dort" - - Seite 25: - im Original "Flüstern durch den Saal und und ein Beben" - geändert in "Flüstern durch den Saal und ein Beben" - - Seite 39: - im Original "Weise Hosen, schwarzes Röcklein und auf dem Kopf" - geändert in "Weiße Hosen, schwarzes Röcklein und auf dem Kopf" - - Seite 40: - im Original "wenn ihr die zackigen Blätter" - geändert in "wenn Ihr die zackigen Blätter" - - Seite 45: - im Original "Cochenille -- Kaktus, unansehnliche, häßliche Dinger" - geändert in "Cochenille-Kaktus, unansehnliche, häßliche Dinger" - - Seite 49: - im Original "Wohl süß ist es zu singen" - geändert in "»Wohl süß ist es zu singen" - - Seite 56: - im Original "sieh', doch, da ist das Märchen!" - geändert in "sieh' doch, da ist das Märchen!" - - Seite 56: - im Original "die Kinder faßten sich bei deu Händen" - geändert in "die Kinder faßten sich bei den Händen" - - Seite 76: - im Original "den Bäuuen aus dem Wege gehen" - geändert in "den Bäumen aus dem Wege gehen" - - Seite 85: - im Original "Regiment Weizenfeld-Allerfeinste-Mehlsorte No. 1" - geändert in "Regiment Weizenfeld-Allerfeinste-Mehlsorte No. I" - - Seite 108: - im Original "deren heißes Menschenherz langsam, zu" - geändert in "deren heißes Menschenherz langsam zu" - - Seite 135: - im Original "wie zart, geschickt die Fäden verknüpft!«" - geändert in "wie zart, geschickt die Fäden verknüpft!" - - Seite 139: - im Original "Mannes dunkles Haar ziehen sich Silderfäden" - geändert in "Mannes dunkles Haar ziehen sich Silberfäden" - - Seite 140: - im Original "dekorierten Flügel und fliegt von dannen" - geändert in "dekorierten Flügel und fliegt von dannen." - - Seite 146: - im Original "Seele verwandelte sich einen" - geändert in "Seele verwandelte sich in einen" - - Seite 155: - im Original "finster, beklemmend, Bleiche Gestalten" - geändert in "finster, beklemmend. Bleiche Gestalten" - - Seite 157: - im Original "Aus dem lichten, ragenden, Schornstein" - geändert in "Aus dem lichten, ragenden Schornstein" - - in der Verlagswerbung: - im Original "Rosenberg. -- 1 Mk. 60 Pf. = 2 Fr. = 1 Fr." - geändert in "Rosenberg. -- 1 Mk. 60 Pf. = 2 Fr." ] - - - -*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK VENUSMäRCHEN *** - -Updated editions will replace the previous one--the old editions will -be renamed. - -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the -United States without permission and without paying copyright -royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part -of this license, apply to copying and distributing Project -Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm -concept and trademark. 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Hart was the originator of the Project -Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be -freely shared with anyone. For forty years, he produced and -distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of -volunteer support. - -Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in -the U.S. unless a copyright notice is included. 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Schabelitz.</p> - -<p class="mt2 ce lh1">Alle Rechte vorbehalten.<br /> -<span class="fss">Druck von J. Schabelitz in Zürich.</span></p> - - - - -<div class="pb mt6"> -<table summary=""> - <tr><td class="tdl"><b>W</b>as ich als Kind einst von der alten Muhme</td></tr> - <tr><td class="tdl">In märchengrauer Dämmerstund' erlauscht,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Was sonnenhell mir Wind und Wald gerauscht,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Was mir geduftet hat die stille Blume,</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Das wuchs in mir zu einem Heiligtume. –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da kam das Leben, wichtig aufgebauscht,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und hätt' vernünftig thuend gern vertauscht</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das Märchen mir – zu ernstem Wissens-Ruhme.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Doch lächelnd ging das Flüchtige vor mir her</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und zeigte mir den Weg aus Tages Enge</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und hob empor mich aus der Welt Gedränge –</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Der Märchen-Weisheit ewige Wiederkehr,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die lehrt' es mich. – Nun nimmt es seinen Lauf</td></tr> - <tr><td class="tdl">Mild siegend weiter: Nehmt es bei euch auf! –</td></tr> -</table> -</div> - -<hr /> - - - - -<h2>Inhalt.</h2> - - -<table cellpadding="2" summary=""> - <tr> - <td class="tdl"> </td> - <td class="tdr fss">Seite</td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Venus und Madonna</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_001">1</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Der kleine Finger der Venus von Medici</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_005">5</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Der gefesselte Cupido</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_018">18</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Psyche</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_024">24</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Unser Frühling</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_037">37</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Frostiger Frühling</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_043">43</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Das Märchen, das gar nicht kommen wollte</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_050">50</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Klein Hildegard</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_058">58</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Das Märchen, das verloren gegangen war</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_070">70</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">In der Gosse</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_081">81</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Sonniger Winter</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_091">91</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Ein Weihnachtsmärchen</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_099">99</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Schneeflocken</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_108">108</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Das Märchen von der weißen Stadt</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_120">120</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Weltausstellung im Walde</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_130">130</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Das Märchen von Einem, der auszog, ein Sonntagskind zu werden </td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_141">141</a></td> - </tr> - <tr> - <td class="tdl">Rauch</td> - <td class="tdr"><a class="ndcbl" href="#page_151">151</a></td> - </tr> -</table> - -<hr /> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_001" title="1"> </a> -Venus und Madonna.</h2> - - -<p>Dunkel wölbt sich der Himmel über der Erde, und die -Sterne grüßen einander und winken – das ist das Flimmern -– fassen einander bei den Händen und tanzen einen feierlichen -Reigen über die unermeßlichen Himmelsbahnen, -und »Seht, wie klar die Milchstraße heute Abend ist!« -sagen sie auf der Erde. –</p> - -<p>Da löst sich ein großer, glänzender Stern vom Firmament, -der hat funkelnd im kalten Norden gestanden, zieht -seine leuchtende Bahn über den dunkeln Nachthimmel hinweg -und fällt zur Erde nieder. –</p> - -<p>Da löst sich ein anderer, ein flimmernder, unruhiger -Stern vom Firmament, der hat blitzend im Süden gestanden, -zieht seine schimmernde Bahn über den dunkeln -Nachthimmel und fällt zur Erde nieder. –</p> - -<p>Und die beiden schönen Sterne fallen auf die große, -weite Erde, in einen Wald voll mächtiger Bäume, süß -duftender Blumen, singender Vögelein, spielender Tiere. – -Und siehe! da stehen die ersten Menschen, ein Mann und -ein Weib, sie blicken einander an, reichen sich die Hände -und küssen sich. Die beiden vom Himmel gefallenen, Mensch -gewordenen Sterne – sie sind der Glaube, der Glaube an -das Schöne, und die Sehnsucht. –</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_002" title="2"> </a> -Und wieder und wieder flimmern, zittern, funkeln die -Sterne am Himmel. Im Walde der Ewigkeit ruht das -Weib in den Armen des Mannes; und sie gebiert ihm die -Liebe – das Kind der Sehnsucht und des Glaubens.</p> - -<p>Da aber das schöne Menschenpaar ganz allein im großen, -weiten Walde wohnt, und nichts weiß von dem Gewimmel -des Zwergengeschlechtes weit draußen in der Welt, so wissen -sie auch nicht, wen sie wohl zu Gevatter bitten sollen, -als sie ihr Kind, die holde Liebe, mit Himmelstau zu -taufen gedenken. Schon beginnen die Maiglöckchen ein -wunderlieblich Geläut, die Vöglein konzertieren und singen -und flöten, und einherziehen gravitätisch die Tiere des -Waldes.</p> - -<p>Das anmutige Reh äugt mit klugen Augen, das Häslein -putzt sich, das Eichhörnchen tanzt, der Dachs lugt hervor -aus seinem Versteck, die Eidechsen und Käfer huschen -und jagen, die Schmetterlinge gaukeln um die Blätterwiege, -in der die Liebe ruht – –, aber niemand ist da, der -das Kindlein tauft, und keine Gevatterin, die Liebe über -die Taufe zu halten. –</p> - -<p>»Ich,« spricht der Fuchs und kommt geschlichen und -streckt sein spitzes Näschen zur Wiege des Kindes empor, -»ich versteh's, das Taufen, bin bei den Jesuiten in die -Lehre gegangen, bin gut katholisch und sehr schlau.«</p> - -<p>»Krah, krah!« krächzt ein großer, schwarzer Kolkrabe, -»hier, nehmt mich! Strengorthodox, schwarz, düster, wie -meine Religion.«</p> - -<p>»Vielleicht alttestamentarisch?« fragt höflich ein Eidechslein, -glitzernd von Gold, und dreht und windet sich immer -wieder heran.</p> - -<p>»Oder gar freisinnig?« klappert der Storch, spießt nach -dem Eidechslein, kröpft sich und schlägt sehr stolz und freisinnig -mit den Flügeln.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_003" title="3"> </a> -Vater Glaube und Mutter Sehnsucht schütteln die -schönen Häupter und blicken ratlos um sich – doch sieh! -Licht, Sonnenschein überall um sie her, flutet über Blumen -und Vöglein und Tiere hin, und</p> - -<p>»Ich,« spricht der Sonnenstrahl, »will die Liebe taufen. -Ich dringe ihr ins Herz hinein, ich wohne in ihren Augen. -In jedem Lächeln ihres Mundes zittere Sonnenschein, in -jeder Bewegung ihrer Glieder herrsche Anmut, Freude, -Wärme.« Und</p> - -<p>»Wir,« klingen sanfte und wunderbar eindringliche -Stimmen, »wir wollen Paten sein.« Zwei Frauengestalten -neigen sich zu jeder Seite der Wiege, in der die Liebe -schlummert, so schön, so überirdisch schön, daß Glaube und -Sehnsucht demütig niederknieen. Die wissen nicht, ist es -ein und dieselbe, die zwei Gestalten angenommen hat, oder -sind es zwei hehre Frauen, die da niedergestiegen sind aus -den Wolken, die Liebe zu segnen. Wunderbar ähnlich sind -sich die Schwestern, nur trägt die eine langwallende Gewänder, -und sie hält ein lieblich Kindlein fest an ihr Herz -gedrückt, und mild und rein ist das Lächeln ihres Mundes. -Unverhüllt glänzen der andern herrliche Glieder, süß berauschend -wirkt ihre Nähe, und heiße Glut entströmt den -Augen.</p> - -<p>Die beugt sich nieder zur Blätterwiege und küßt das -schlummernd Kindlein auf die unschuldigen Lippen, und -spricht:</p> - -<p>»Deinen Körper gib hin, o Liebe, und all deine Sinne -und jede Fiber deines Herzens!«</p> - -<p>Da legt die Erste segnend die Hand auf des Kindes Haupt:</p> - -<p>»Deine Seele gib,« hauchte sie, »und Mutterliebe sei -dein Glück!« –</p> - -<p>Und siehe! Aus dem Kinde ist plötzlich ein Weib geworden, -himmlisch schön, wie das Schwesterpaar – -<a class="pagenum" id="page_004" title="4"> </a> -es steht allein in all seiner Pracht auf der weiten, sonnigen -Erde. So zieht die Liebe in die Welt hinaus, das Kind -der Sehnsucht und des Glaubens, keusch wie Madonna, -wonnig wie Venus – und das Zwergengeschlecht wendet -sich ab von ihr, denn es kennt sie nicht. – Weiche Lüfte -aber wehen und tragen das Elternpaar, das der Welt die -Liebe geboren hat, hinan zum Himmel. Dort, zwischen -den Sternen, wohnen nun wieder die Sehnsucht nach dem -Glück und der Glaube an das Schöne. –</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_005" title="5"> </a> -Der kleine Finger der Venus -von Medici.</h2> - - -<p>Es war einmal ein Sonntagskind, das wanderte in der -Welt umher und suchte – es wußte selber nicht was. -Aber es blieb nicht auf dem schönen, trockenen, breiten -Wege, den schon so viele andere vor ihm gewandelt waren, -sondern mit der, den Kindern eigenen Passion für das Unbequeme, -lief es quer über die Straße, kletterte mühsam -über einen großen Stein, tappste in eine Pfütze, wie es ja -deren so viele in der Welt gibt, und als es erschrocken seine -schönen, reinen Füßchen zurückzog, geriet es in den Straßenkot; -da eilte es entsetzt weiter, stolperte auf der anderen -Seite über einen noch größeren Stein und rannte mit dem -Magen gegen eines der eisernen Gitter, die überall in der -Welt herumstehen. Nun hatte vorläufig seine Reise ein -Ende. Verdutzt sah es ein Weilchen das häßliche Gitter -an, dann um sich und nun über sich, und es erblickte eine -große, dunkle Wolke, die ballte sich zusammen aus all dem -Dampf, der aus den Häusern, den Fabrikschornsteinen, den -Lokomotiven aufstieg, und zog wie ein Heer Gespenster -über den lieben Abendhimmel. Der schien seltsam bunt -drunter hervor – glührot und rosenfarben und lichtgrau -<a class="pagenum" id="page_006" title="6"> </a> -und blau und zartes Grün – wie als ob er dem schwarzen -Gespensterheer mit seinen Lichtelfen Trotz zu bieten gedächte. -Aber die finstere Riesenwolke ballt sich immer -drohender und trotziger zusammen, und da wird es dem -Sonntagskinde ganz beklommen und bange ums Herz, und -es stürzt davon, durch die Straßen, so schnell es seine Füße -tragen können, und über ihm zieht die Wolke. Da aber -verschwindet sie plötzlich, wie fortgeweht, und das Kind -hält inne in seinem tollen Lauf, denn es steht vor einem -goldenen Gitter, hinter dem hohe Bäume herüberwinken -und ein süßer, feiner Duft emporzieht.</p> - -<p>»Ach,« denkt das Sonntagskind, »da drinnen muß es -gut sein, ich möchte ausruhen, denn ich bin sehr müde – -ob ich wohl hineinschlüpfen dürfte? – Ich will auch ganz -leise sein.«</p> - -<p>Kaum hat es das gedacht, so öffnet sich die goldene -Thür, sanft, wie von Feenhand, und das Sonntagskind -schleicht vorsichtig hinein, sich noch einmal bang nach der -schwarzen Wolke umschauend. – Richtig, ganz in weiter -Ferne hängt sie und blickt drohend herüber.</p> - -<p>Nun ist das Sonntagskind drinnen in einem herrlichen -Garten. Weg ist seine Müdigkeit; mit weitgeöffneten, -glänzenden Augen wandelt es auf weichen Wegen unter -hohen, ernsthaften Bäumen; mit zitternden Lippen saugt -es süße, berauschende Düfte ein, es lauscht mit Herzklopfen -den wonnevollen Tönen, von denen die Luft ringsum erfüllt -ist. Wie tausend Nachtigallen Gesang klingt es, aber -es sind nicht allein die kleinen Vöglein in den Zweigen, -die so liebliche Melodieen erschallen lassen. Nein, jedes -Blättlein, jede Blüte ist wie ein Echo und trägt die -weichen, sehnsüchtigen Nachtigallentöne vieltausendfach weiter. -Und all die Blumen – die Hyacinthen läuten mit ihren -Glöckchen »Klingling! Ach, wie wonnig ist's hier!« und -<a class="pagenum" id="page_007" title="7"> </a> -»Dingdang, dingdang!« antwortet die blaue Glockenblume, -»ich läute zur Abendmette der Natur!« –</p> - -<p>Die hohen, schneeigen Lilien senden ihre schweren, süßen -Düfte nach oben, der sentimentale Jasmin, die neckische -Syringe; und die schwermütige Narcisse wendet ihr weißes -Blumengesicht sehnsüchtig dem Monde zu. Denn Nacht -ist's geworden: Millionen blitzender Sterne sehen mit -funkelnden Augen vom Himmel hernieder, und der Mond -gleitet mit ruhigem Schein über den Garten hinweg, so -hell und klar, daß das Sonntagskind die vielen zierlichen -Gestalten sehen kann, kleine Elfen und Kobolde, die sich im -Gras zwischen den Blumen tummeln, und die Nixen und -Wasserelfen – auf den großen, grünen Blättern der Wasserrosen -im See kauern sie und lassen sich schaukelnd hin und -her treiben und greifen jauchzend nach dem glitzernden -Sprühregen, den Tritonen im mächtigen Strahl gen Himmel -senden und der, leuchtend wie Diamanten im Mondesglanz, -zu ihnen niederfällt.</p> - -<p>In den lauschigen Ecken und Winkeln der Gebüsche -stehen weiße Gestalten – sind's Menschen? Sie sind nackt, -kaum mit einem leichten Flor bekleidet. – Sie sind schön, -himmlisch schön, und das Sonntagskind tritt näher und -faßt Mut, weil sie so gar lieb und gut blicken, und es berührt -sie ganz vorsichtig und leise mit der Hand, streichelt -die schönen, nackten Füße und – fährt erschrocken zurück, -denn eiseskalt sind sie und tot.</p> - -<p>Doch sieh – bewegen sie sich nicht? Und horch – -hörst Du nicht leises Kichern, Flüstern, neckisches Lachen -– ach, und klagendes Schluchzen? – Die Hand des Sonntagskindes -hat sie berührt – sie leben, die schönen, marmornen -Menschenbilder, das rote, warme Blut rollt durch -ihre Adern, sie lächeln, es bebt ihr Fuß zum Weiterschreiten. -Da neigen sie sich vor ihrer Königin – die steht in ihrer -<a class="pagenum" id="page_008" title="8"> </a> -Mitte, ein wonnevoll Weib, zierlich treten ihre schlanken -Füße den Boden, die linke Hand deckt schamhaft den Schoß, -die rechte den schneeigen Busen, zur Seite geneigt hält sie -das liebliche Haupt, die holde Venus von Medici – und -nun fassen sie sich bei den Händen, die herrlichen Göttergestalten -und die Elfen und Nixen mit ihrer weichen, -eidechsenhaften Schmiegsamkeit und die komischen Kobolde -mit ihren langen Bärten und listigen Aeuglein und drolligen -Bewegungen; sie tanzen einen zierlichen, wunderlichen -Reigen um das Sonntagskind im Kreise, und sie singen:</p> - -<p>»Bleib' bei uns – o hier ist's gut sein! Hier ist Schönheit, -hier ist Liebe – zu süßer Freude wandelt die Lust -sich, zu mildem Frieden Angst und Unruh' – – Ach, und -der Schmerz, der wild durchtobt des Menschen Herz – er -löst sich auf in sanftes Klagen, die Sorge wird hier zu -Grab' getragen, und aller Kummer lind gestillt. –</p> - -<p>»Hörst Du der Nachtigall Gesang? – So singt die -Sehnsucht in Deinem Herzen.</p> - -<p>»Hörst Du der Blumen Geläut? – So läuten sie Deine -bange Seele zur Ruh.«</p> - -<p>Und horch! Welch wunderlieblich Geklinge und Gesinge, -wie Glockentöne in weiter Ferne! Näher kommt's – immer -näher – husch! der lustige Kreis stiebt auseinander, -blitzschnell, wie er gekommen, und vor dem Sonntagskinde -steht eine hehre, schöne Frau, deren zarten Leib umgibt ein -Kleid von Rosenblättern, auf dem wonnesamen Haupt -strahlt eine Sternenkrone, die Flügel des Königsfalters -trägt sie an den Schultern, und ihre Füße wandeln auf -Blumen.</p> - -<p>Sie lächelt – da zittert die Luft vor Freude – Sie -spricht – da lauschen Mond und Sterne. – »Haben sie -Dich erschreckt da draußen in der Welt, Du Menschenkind?« -sagt sie, »hat die große, schwere Wolke Dir das Herz -<a class="pagenum" id="page_009" title="9"> </a> -beklemmt und Dir den Atem genommen? Und bist Du -zu mir geflüchtet, in den Garten der Wonne, in mein -Königreich, das Reich der Phantasie? – Ich wußte es -wohl, Ihr Menschenkinder könnt ohne mich nicht bestehen. -Da geht ein lautes Gerede, ein wildes Geschrei durch die -Welt: sie brauchen mich nicht, <em class="ge">nur</em> Natur wollen sie, und -nur im groben Alltagskleid, nicht im glänzenden Schmuck, -im schimmernden Geschmeid, womit ich sie überschütte. – -Aber siehst Du, Du Sonntagskind, kommst doch geflüchtet -zu Deiner Trösterin, ohne die Du die Natur nicht ertragen, -ohne die Du nicht leben kannst. – Und wenn Du wieder -hinausziehst, dann sag' es ihnen draußen in der Welt, was -Du geschaut in meinem Reich. – Ach, gerade jetzt sollten -sie es wissen, wo die dunkle Wolke schwer über den Völkern -schwebt und sie darnieder drückt.</p> - -<p>»<em class="ge">Weißt</em> Du, warum gerade jetzt? <em class="ge">Willst</em> Du es -wissen?«</p> - -<p>Sie blickt um sich und klatscht in die Hände. Und -siehe – ein wunderlicher Geselle kommt gehüpft, getollt, -gesprungen: nackt ist er und zart von Gliedern, mit schelmischem -Mund und ernsthaften Augen, einen Bogen trägt -er in der Hand und einen Köcher mit Pfeilen an der -Hüfte. – Sah ihn das Sonntagskind nicht dort im Syringengebüsch -auf einer Säule stehen?</p> - -<p>Doch nun – einen Purzelbaum schlägt er auf dem -weichen Gras und ist zum eisgrauen Männlein geworden, -das lustig mit den Aeuglein zwinkert und allerlei Kapriolen -macht, und plötzlich schwebt er in der Luft, so fein und -zart, als sei er aus Mondenschein gewebt, als sei er auf -Blumen geboren, als sei er mit Tautropfen genährt. Und -nun wieder trottelt er daher wie ein kleiner Brummbär -und schlägt mit einer Keule um sich, daß die Nixchen und -Elflein entsetzt zur Seite weichen.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_010" title="10"> </a> -»O, laß die Possen, Du närrischer Kauz,« lächelt Frau -Phantasie, »nimm Deine wahre Gestalt an, mein Gesell« -– da klingelt's wie von silbernen Glöckchen, die trägt das -wunderliche Kerlchen an seiner Schellenkappe auf dem -Haupte, und legt sein Gesicht in ernsthaft-drollige Falten, -hängt seinen Bogen über den Rücken, als gebrauche er ihn -nicht mehr, und schreitet umher mit gravitätischen Schritten.</p> - -<p>»Ist das Deine wahre Gestalt?« Frau Phantasie -schüttelt das schöne Haupt ... »nun, sei es drum. Sieh',« -sagt sie zum Sonntagskind gewandt, »den Mittler zwischen -mir und den Menschen. Nenne ihn Amor, Puck, Geist, -wie Du willst; kannst ihn auch Humor heißen, das hört -er am liebsten. Geh' mit ihm – die Welt soll er Dir -zeigen, wie sie uns Göttern erscheint. An seiner Hand -wird es Dich weniger schmerzen.«</p> - -<p>Sie gleitet dahin wie der Mondesstrahl, die hehre -Königin, und ihr nach durch Busch und Zweig, über -Blumen und Moos huscht das lose Volk, Leuchtkäfern gleich, -die in Abendluft baden, und in der Ferne tönt neckisch -Gelache. –</p> - -<p>»Komm',« sagt der närrische Geselle, und schüttelt seine -Kappe, daß die Glöckchen klingen, »reich' mir Deine Hand, -armes Sonntagskind. Hab Dich schon gesehen draußen in -der Welt, wie Du über Steine gestolpert bist und in Pfützen -getreten hast. Ja, es ist immer sicherer, auf den hübsch -ausgetretenen Pfaden der Alltäglichkeit zu wandeln, als -seinen eigenen Weg gehen zu wollen. Hast Dich zur rechten -Zeit in meiner Mutter Phantasie Garten gerettet, sonst -hättest Du Dir sicher noch einmal an irgend einem Weltgitter -Kopf und Herz eingerannt, Du dummes Sonntagskind, -Du. – Also ich soll Dir zeigen, wie es in der Welt -eigentlich aussieht. Wohl kann ich Dir's erklären, denn -ich treibe mich viel draußen herum. Einige in der Welt -<a class="pagenum" id="page_011" title="11"> </a> -schwärmen für mich, andere sagen, ich sei ein wahrer Teufel. -Wenn ich mit der Schellenkappe klingele, verstehen mich die -Wenigsten; da muß ich oft schon mit der Plumpkeule dreinschlagen, -und dann schreien sie und sagen, ich hätte ihnen -weh gethan. – Komisches Volk, diese Menschen!«</p> - -<p>Jetzt sind sie am Ende des Gartens angelangt. Eine -hohe Mauer scheidet ihn von der Außenwelt; an der ranken -sich wilder Wein und Epheu, und blaue Clematis hängen -hernieder und rote Trompetenblumen, so dicht, daß man -von den rauhen Steinen nichts gewahr wird, wie nur die -runden Glasfensterchen, die hie und da in die Quadern -eingefügt sind.</p> - -<p>»Sieh,« sagt der närrische Sohn der Phantasie und reicht -dem Sonntagskind eine große Trompetenblume als Fernrohr, -»die ganze Welt zieht wie die Bilder eines Guckkastens -an unsern Fensterchen vorüber. Mußt aber nicht durch -dieses hier sehen, das ist die rosenfarbene Brille, durch das -schauen nur die Faulen, die ihre Gedanken nicht anstrengen -mögen – <i>nota bene</i>, wenn sie welche haben – und jenes -Fenster dort ist gelb wie der Neid und dieses rot wie Blut, -als ob die Welt in Feuer stünde. Nein, schau hierher – -Clematis und Weinranken haben ein schönes, kleines Guckloch -gebildet, ein Vöglein, das früh morgens zur Sonne -singt, hat sich drüber ein Nestlein gebaut – <em class="ge">das</em> Glas -ist klar und wahr wie meiner Mutter Augen. Komm, Du -Sonntagskind, laß mich über Deine Schulter lehnen und Dir -sehen helfen.«</p> - -<p>»Nein, wie ist die Welt klein!« ruft das Sonntagskind -verwundert.</p> - -<p>»Nicht wahr?« antwortet der Geselle, »und Du hast sie -immer für so riesengroß und wichtig gehalten.«</p> - -<p>»Und die Menschen – wie Zwerge! Sieh' nur das -Gewimmel!« lacht das Sonntagskind.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_012" title="12"> </a> -»Ja, das macht Spaß, die Welt übersehen zu können,« -nickt der Geselle und die Glöckchen an seiner Schellenkappe -klingeln dazu.</p> - -<p>Da draußen in der Welt krabbelt's, prustet's, keucht's -und läuft und schiebt und stößt – die Großen drängen -die Kleinen zur Seite, die Starken schlagen die Schwachen -tot, und die Armen wehklagen gen Himmel. –</p> - -<p>»Wie eilig sie es alle haben!« wundert sich das Sonntagskind.</p> - -<p>»O sieh' nur, sieh' – den alten Mann, einen Kahlkopf -hat er und unterm Kinn einen grauen Ziegenbart, und die -Augenbrauen stehen wie Borsten in die Höhe und die Augen -glitzern gierig darunter hervor. – Sieh', wie er an dem -Sack zerrt, wie Gold schimmert es durch die Löcher – er -kann ihn kaum regieren und Angst und Zornesthränen -rinnen aus seinen Augen.«</p> - -<p>»Ja, und er trägt rot und weiß gestreifte Hosen und -einen blauen Rock,« sagt Puck, »und er kaut Tabak, und -er flucht englisch, wenn die andern seinem Geldsack zu nahe -kommen.«</p> - -<p>»Ach, und jener dort – mit großen Sprüngen, mit -ellenlangen Schritten setzt er dem kleinen Irrlicht nach, -das über Berg und Thal, durch Sumpf und Morast vor -ihm herhüpft, und sieh' nur, wie seine Frau sich anstrengt, -mitzukommen.«</p> - -<p>»Sieh, sie hebt ihre schönen, seidenen Kleider auf, daß -sie nicht schmutzig werden, und patsch! springt sie mit -beiden Füßen in die Wasserlache – nachher läßt sie die -Kleider wieder drüber hängen – dann sieht man ihre -beschmutzten Füße nicht – und guck! das Irrlicht sieht -aus wie ein Ordensbändchen.«</p> - -<p>»O, aber hier, wie schrecklich – sie bücken sich tief zur -Erde, damit andere auf ihre Rücken treten können und -<a class="pagenum" id="page_013" title="13"> </a> -weiter schreiten dort hinauf, wo es so glitzert und gleißt -wie von Prunk und Geschmeide. – Und dort läßt sich -einer schlagen – ach, geduldig und wehrt sich nicht!«</p> - -<p>»Liebes Kind,« sagt der Gesell, »die sind aus dem -Land, wo die Bedienten gut geraten.«</p> - -<p>»Lieber Gesell – o siehst Du den Mann dort in der -Ferne – mit bleichen Lippen, mit rollenden Augen? Siehst -Du, wie er mordet und zittert und flucht und betet, wie -er angstvoll sich windet –«</p> - -<p>»Liebes Kind – der sitzt auf einem Thron, der wackelt -hin und her, und er trägt den Wahnsinn als Krone und -als Scepter eine blutrote Brandfackel – wenn er die von -sich schleudert, dann bebt die Erde von Kanonendonner und -Menschengestöhn – und ›Väterchen‹ nennt sich der Mann, -liebes Sonntagskind.«</p> - -<p>»Ach, mein Geselle, wo wollen die vielen Menschen hin, -die dort mit den feinen, kostbaren Kleidern angethan, die -ein mit Silber beschlagenes Buch und einen Geldbeutel in -den Händen tragen, die, mit den frommen, ergebenen Gesichtern –«</p> - -<p>»In die Kirche, Du dummes Sonntagskind, auf daß -der Prediger ihnen in tönenden, salbungsvollen Worten -die Angst vom Herzen rede. Dann thun sie, als ob sie's -glauben, was er sagt, und gehen neugestärkt nach Hause -und – leben weiter.«</p> - -<p>»Und siehst Du jene Schar dort, mein Geselle, Ballettänzer -scheinen sie zu sein. Hei! was sie für Sprünge -machen! – Schau, die wunderlichen Gesten, und wie elegant -sie zu posieren verstehen – dem Publikum eine rechte -Augenweide. Aber doch – ich glaube sie thun nur so, es -ist ihnen nicht wohl ums Herz – sie schauen bleich aus, -trotz Schminke und Puder. – Sag, mir, was sind's für -Leute?«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_014" title="14"> </a> -»Liebes Kind – Litteraten sind's, moderne aus dem -neunzehnten Jahrhundert, und die barocken Sprünge und -eleganten Posen machen sie aus Angst, um sich und das -Publikum d'rüber hinwegzutäuschen.«</p> - -<p>»Und, mein Geselle, sieh' den Mann dort hinter dem -Ofen, in Schlafrock und Pantoffeln, mit langer Pfeife und -dem Bierseidel in der Hand. – Recht unzufrieden scheint -er mir zu sein, er rückt unruhig hin und her – horch! er -schilt und gebraucht böse Worte.«</p> - -<p>»Ja, liebes Kind – das Bier schmeckt nicht, und die -Kartoffeln sind mißraten, und die Pfeife qualmt und durch -die Schlafrockärmel pfeift der Wind, und die Pantoffeln -sind unbequem. Da hadert er mit seinem langmütigen -Herrgott im Himmel droben, mit dem Brauersknecht, dem -Nigger, dem Schuster und am meisten mit seiner lieben -Frau – und es ist doch nur die Angst, die ihn in seiner -eigenen Haut sich nicht wohl fühlen läßt. – Ja, und -›Philister‹ nennt man den Mann, liebes Sonntagskind.«</p> - -<p>»Ach, und, mein Geselle, dort jene Hungernden, Darbenden, -Elenden, jene Neidischen, Unzufriedenen, Hassenden, -auf was warten sie finstern Auges, trotziger Stirn, rachsüchtigen -Herzens? Und dort jene Ballgeschmückten, die -im Reigen sich drehen! Was ziehen sie in ihren Masken -und Flittern einher, als wollten sie die Freude zu Grabe -tragen?«</p> - -<p>Da faßt der Geselle das Sonntagskind bei den Schultern -und wendet es ein wenig zur Seite:</p> - -<p>»Schau dort hinüber, liebes Kind,« sagt er, »sieh' weithin -über die Welt!«</p> - -<p>Da steht auf einem Berge, hoch über dem Gewirr, Gewimmel, -Gehast, ein großes, starkes Weib, das schwingt -mit grimmigem Lächeln, mit finsterem Angesicht eine Peitsche -in ihren Händen, deren vielteilige, zackige Enden zischend -<a class="pagenum" id="page_015" title="15"> </a> -über die ganze Welt hinsausen – und hohnlachend sieht -das Riesenweib, wie die Menschen angstvoll zusammenfahren -und bei jedem Schlage noch verwirrter durcheinander -rennen.</p> - -<p>»Die Wolke, die große Wolke!« ruft das Sonntagskind -entsetzt, »siehst Du, wie sie über die Welt hinfährt? Hörst -Du sie zischen und brausen? Das ist sie, die mich so erschreckt!«</p> - -<p>»Ja,« antwortet der neben ihm und richtet sich auf -zu voller Höhe und seine Augen blitzen.</p> - -<p>»Das ist die Wolke – das ist die große Angst, die -schwer auf der Welt liegt, die Angst der Völker vor etwas -Entsetzlichem, etwas Furchtbarem, das über sie kommen -wird, wie der Blitz durch die Wolken fährt. – Wird es -sie vernichten? Wird es die Welt zerschmettern, zu nichts -zertrümmern – oder wird aus dem Chaos ein Neues entstehen, -ein Herrliches, wie der Vogel Phönix aus der Asche! -Sie wissen's nicht und beben vor Furcht und wagen kaum, -tief Atem zu holen.«</p> - -<p>»Gibt es denn gar kein Mittel, um die Welt von dieser -wahnsinnigen Angst zu befreien, auf daß sie ihr kühn entgegenblicke -und ihre ganzen Kräfte anstrenge, dem Schrecklichen -mit Vernunft entgegen zu arbeiten?« fragt das -Sonntagskind schüchtern.</p> - -<p>»Ach, liebes Sonntagskind,« lächelt der Geselle und -schüttelt seine Glöckchen, »das Mittel ist schon da und die -Menschen kennen's auch, nur haben sie es vergessen. – -– All die große, schwere Angst der Völker würde sich in -nichts verflüchtigen, wenn sie nur ein klein wenig mehr -an – den kleinen Finger der Venus von Medici denken -wollten.«</p> - -<p>»An den kleinen Finger der Venus von Medici?« fragt -das Sonntagskind mit großen, verwunderten Augen.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_016" title="16"> </a> -»Komm,« sagt der närrische Geselle, und schweigend -wandern sie durch die Nacht tief in den Garten hinein. -Da stehen sie vor einem dichten Gebüsch, von lauter seltsamen -Sträuchern gebildet; Pinien wiegen ihre schlanken -Wipfel und dunkler Lorbeer schmiegt seine Zweige ineinander. -Aber des Mondes Strahl dringt doch hindurch – -oder ist es das schöne Weib dort, das den wundersamen -Glanz ausstrahlt? Da steht sie in ihrer schimmernden, -weißen Nacktheit inmitten all dem Grünen – zierlich treten -ihre schlanken Füße den Boden, die linke Hand deckt schamhaft -den Schoß, die rechte den schneeigen Busen, und der -wunderbare kleine Finger dieser rechten Hand spreizt sich -ein wenig von den andern ab, zur Seite geneigt hält sie -das schöne Haupt – lauscht sie? –</p> - -<p>Betäubt von all ihrer Schönheit sinkt das Sonntagskind -in die Knie. Der Geselle aber tritt bescheiden hin -vor das wonnevolle Weib, schleudert seine Narrenkappe -zur Seite und faltet bittend die Hände:</p> - -<p>»Hehre Göttin, süße Königin, Dein Knecht, dem Du -stets Dich huldvoll geneigt hast, dem Du so manchesmal -aus der Not geholfen, in die ihn sein Uebermut gestürzt -hat – Dein dankbarer Liebling naht sich Dir mit einer -demütigen Bitte: Gib diesem Menschenkinde, das zu uns -in seinem Kummer geflüchtet ist, einen Trost auf seinen -Weg, den es der Welt verkünden kann. Laß es die Macht -Deines vornehmen kleinen Fingers ahnen – zeig' ihm, -warum Du ihn so entzückend neckisch gespreizt hältst.«</p> - -<p>Da lächelt Venus: »Nun, wozu sollte er denn sonst -wohl gut sein,« sagt sie schelmisch, erhebt die rechte Hand, -läßt sanft den kleinen gespreizten Finger in die zierliche -Ohrmuschel gleiten und schüttelt ihn ein wenig – dann -lauscht sie lächelnd freudig in die Ferne.</p> - -<p>»Ich höre wieder die bebenden Laute der Liebe und -<a class="pagenum" id="page_017" title="17"> </a> -des Erbarmens – himmlisch wohllautend dringen sie in -mein Ohr!«</p> - -<p>»Sieh', kleines Sonntagskind,« sagt der ernsthafte Geselle, -»wie die Venus mit ihrem kleinen Finger die Spinnenweben -der Lüge und Heuchelei und Hartherzigkeit aus -ihrem Ohr hinaus schüttelt, so sollten es auch die Völker -thun, dann würde die große, schwere Angst von ihnen -weichen und die bebenden Laute der Liebe und des Erbarmens -auch an ihr Ohr dringen.</p> - -<p>»Pah,« lacht er dann, nimmt seine Schellenkappe auf -und wirft sie in die Luft, daß die silbernen Glöckchen -klingeln, »armes Sonntagskind – die Welt wird Dich -steinigen, wirst Du ihnen das verkünden. Lache über sie, -so wie ich, das ist das Einzige, was sie fürchtet.«</p> - -<p>Und mit immer länger werdenden Schritten, riesengroß -anwachsend, ist er im Mondenlicht verschwunden.</p> - -<p>Dem Sonntagskinde aber hat die Venus gelächelt – -tiefer Friede deckt seine schweren Augenlider.</p> - -<p>Hell scheint die Sonne ihm ins Angesicht, es steht auf, -schaut verwundert um sich – dann erhebt es seine rechte -Hand und schüttelt mit dem kleinen Finger ein wenig im -Ohr – es lauscht – eine Lerche steigt jubelnd gen Himmel -– und in ganz weiter, weiter Ferne hängt ein dunkles -Wölkchen am Horizont.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_018" title="18"> </a> -Der gefesselte Cupido.</h2> - - -<p>Eines Tages saß Cupido – ich meine nicht den patentierten, -konzessionierten Heiratsvermittler und Rechenmeister -des neunzehnten Jahrhunderts, sondern das liebe, mutwillige -Bübchen, von dem Anacreon erzählt und Goethe in -seiner »Brautnacht« –, der saß eines Tages im Olymp -und langweilte sich. Er hatte zwar eben erst allerlei -Schabernack verübt, hatte sogar dem Vater Zeus einen -Brand-Pfeil ins Herz gesandt, so daß er nicht wußte, nach -welcher hübschen Erdentochter er zuerst schmachten sollte, -hatte versucht, die lange Artemis anzuschießen, aber vergebens, -ebenso die Athene; und aus Rache dafür, daß sie -ihm ihren kolossalen Minervaschild vorhielt, zupfte er ihre -Eulen, die sie just fütterte, am Schwanz, so daß sie entrüstet -»Huhu« sagten. Tante Juno hatte ihm sehr energisch -auf die Finger geklopft, als er den Nymphen allerlei -süße Dummheiten ins Ohr flüsterte und schließlich sogar -den Dienerinnen der Vesta nachstellte; da war er zu seiner -holdseligen Mutter Aphrodite geflüchtet, und sie breitete -ihm sehnsüchtig die Arme entgegen, und schwirr, da flog -der Pfeil und stak ihr im Herzen. Der böse, liebe Junge -– aber Aphrodite lächelte – sie war's ja gewohnt! – -<a class="pagenum" id="page_019" title="19"> </a> -Nun saß Cupido auf einer Wolke und bammelte mit den -Beinchen und guckte zur Erde hinab und langweilte sich. -Da kam Hermes daher geflogen, der hatte irgend einer -Schönen im Auftrage des Vaters Zeus eine Düte Ambrosia -gebracht und dafür ein Stelldichein verabredet. Er -mochte den Cupido gut leiden und hockte sich ein wenig -zum Ausruhen neben ihn.</p> - -<p>»Du – weißt Du, was sie da unten mit Dir gemacht -haben?« fragte er ihn.</p> - -<p>»Nee – was denn?«</p> - -<p>»Erst 'mal haben sie Dich riesig elegant angezogen, im -schwarzen Frack und Cylinder, und sie sagen, Du hießest -gar nicht Amor, sondern Puck; und außerdem wäre es unanständig, -wenn man nackt ginge. Und dann haben sie -Dir eine große Brille aufgesetzt, weil Du blind wärest, sagten -sie und haben Dir Deinen Köcher mit Goldstücken statt mit -Pfeilen gefüllt, das zöge besser, sagten sie, und haben Dir -statt eines Bogens ein Tintenfaß in die Hand gegeben und -Dir eine Feder hinters Ohr gesteckt, damit Du gleich die -Ehekontrakte ausschreiben könntest, sagten sie, und wenn Du -doch 'mal ganz splitterfadennackt, ganz natürlich, ohne alle -Zuthaten zu ihnen kommen wolltest – sie möchten Dich -eigentlich ganz gern so, sagten sie – dann müßtest Du aber -durchs Hinterthürchen schlüpfen, damit dich ja auch keiner -sähe, denn sonst genierten sie sich, sagten sie.«</p> - -<p>»Beim heiligen Kriegsungewitter!« fluchte Cupido – -»das ist ja eine ganz urweltliche Bande!«</p> - -<p>»Hör' nur weiter – es kommt noch besser. Da hat -sich einer – so'n ganz vertrocknetes Kerlchen mit einer -Brille auf der Nase, auf einen hohen Stuhl gesetzt, und -hat mit dem Finger – weißt Du, mit so einem langen -knöcherigen – auf den Tisch geklopft und hat gesagt: Es -gäbe Dich gar nicht, Du wärest eine Mythe, und die Liebe, -<a class="pagenum" id="page_020" title="20"> </a> -das wäre eine Nervenaufregung, die leicht in Irrsinn übergehen -könnte, und deshalb hätten die weisen Männer Gesetze -gemacht, nach denen die Gefühle geregelt würden.«</p> - -<p>Da sprang aber Cupido in die Höhe:</p> - -<p>»Heilige Mutter Aphrodite! Gesetze? Für mich? – -Na – das möchte ich mal sehen. – Liebster, bester Hermes, -geh' – sattle mir schnell den blanken Stern da, ich will -hinunterreiten, das muß ich mir aus nächster Nähe betrachten!«</p> - -<p>Und da saß er schon auf seinem glänzenden Stern und -fuhr hinab, und auf der Erde sagten sie: Da fällt eine -Sternschnuppe.</p> - -<p>Es kam aber dem Cupido furchtbar kalt vor im neunzehnten -Jahrhundert, obwohl es im August war, wo die -meisten Sternschnuppen fallen, und bei Sonnenaufgang fror -es ihn ganz erbärmlich, trotz des Umschlagetuches, das ihm -das alte Hökerweib geschenkt hatte. Die saß schon am -ganz frühen Morgen mit ihren Körben auf dem Markte, -und wie sie den nackten, kleinen Gesellen daherkommen sah, -da wurde es ihr so weich und sehnsüchtig ums Herz, sie -meinte, es wäre Mitleid – es war aber die Erinnerung: -sie sah sich wieder jung und hübsch, sie war beim Tanz -unter der Linde, der schönste Bursche schwang sie im Reigen -– heißa! – hoch in die Luft, daß die Röcke flogen, und dann -küßte er sie. Und da machte sie die Augen auf, und vor -ihr stand wieder der drollige kleine Junge. Der nahm -das Höckerweib frischweg beim Kopf und gab ihr einen -Kuß für das Umschlagetüchelchen, das sie ihm gegen die -Kälte geschenkt, und die Alte faltete die Hände und träumte -von ihrer Jugend. – – Den Cupido fror es aber doch -an den nackten Beinchen, und er dachte: »Ich will doch -sehen, ob ich nicht irgendwo hineinschlüpfen kann und mich -wärmen.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_021" title="21"> </a> -Doch da kam er schön an.</p> - -<p>»Was willst Du hier?« fuhren sie ihn im ersten Hause -an – »Du bist so unbequem – mach', daß Du fortkommst!« -Im zweiten öffneten ihm zwei alte Jungfern die Thür, -liefen kreischend davon und schrieen:</p> - -<p>»Hülfe – ein Sansculotte – er hat nichts an!« Und -der dicke Mops saß auf dem Sofa und bellte ihm nach. -Im dritten Hause fragten sie höflich verwundert: »Was -wollen Sie hier? Wir sind ja verheiratet.«</p> - -<p>Im vierten hielten sie ihm einen Ehekontrakt unter die -Nase, und im fünften sprachen sie von Gesetzen und – -da wurde Cupido böse und sagte:</p> - -<p>»Wartet, ich will Euch! Ihr wollt mich hier verleugnen? -Bei unserer lieben Frau von Milo – Ihr sollt es büßen!« -Er schwang sich in die Lüfte, spannte den Bogen, und – -huidi! – da schwirrten die Pfeile! Er schoß blindlings -drauf los, ganz einerlei, ob nach Grundsatz oder Gesetz – -aber sie trafen. Und nun gab es eine heillose Verwirrung -unter den Menschen; sie hatten geglaubt, den Liebesgott -hinwegspotten und -klügeln zu können, und da war er plötzlich -mitten unter ihnen und sie duckten sich, bange, wehklagend -und nach Hülfe wimmernd. – Da ist ein Mägdlein -gekommen. Wie Cupido das erblickte, verschwand der -Zorn aus seinem Angesicht, lächelnd sah er es an – und -wählte seinen allerschönsten Pfeil, mit dem er schon einmal -seine holde Mutter geritzt hatte. – Es war aber ein trotzig -Mägdelein. Keck schauten die Augen in die Welt hinein -und sein roter Mund sagte:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">   »Was frag' ich nach Liebe?</td></tr> - <tr><td class="tdl">   Mir liegt's nicht im Sinn!</td></tr> - <tr><td class="tdl">   Wohl hab' ich ein Herzel –</td></tr> - <tr><td class="tdl">   Doch pocht es nicht drinn!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und daß Ihr's nur wißt, und daß Ihr's nur wißt:</td></tr> - <tr><td class="tdl">Es hat mich noch keiner, noch keiner geküßt!</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">   Zwar hab' ich ein Mündlein<a class="pagenum" id="page_022" title="22"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">   Und seht nur – wie rot!</td></tr> - <tr><td class="tdl">   Und ach – wie kann's lachen –</td></tr> - <tr><td class="tdl">   Das macht Euch viel Not!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Doch daß Ihr's nur wißt, doch daß Ihr's nur wißt:</td></tr> - <tr><td class="tdl">Es hat mich noch keiner, noch keiner geküßt!«</td></tr> -</table> - -<p>Horch! – da schwirrt es und singt und klingt! Und -sieh' – da steckt der Pfeil in der schönen, weißen Mädchenbrust –</p> - -<p>Das trotzige Mägdelein hat mit der Hand ans Herze -gegriffen, ist glührot geworden, ist scheu davon geschlichen. -Aus der Ferne tönt es:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Nun frag' ich nach Liebe –  </td></tr> - <tr><td class="tdl">Nun trag' ich's im Sinn!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Nun fühl' ich mein Herze! –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Es pocht so darin!«</td></tr> -</table> - -<p>Und Cupido lauscht, biegt sich vor und lächelt, blinkt -mit den Schelmenaugen, hebt deutend das weiße Fingerchen, -und spitzbübisch singt er ihr nach:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Und daß Ihr's nur wißt, und daß Ihr's nur wißt:</td></tr> - <tr><td class="tdl">Just hat sie der Liebste, der Liebste geküßt!« –</td></tr> -</table> - -<hr /> - -<p>Gerade da kam ein Mann des Weges gegangen, der -war ein Sonntagskind, der konnte schauen, was andern -verborgen war – der hat den kleinen, herzigen Schlingel -stehen sehen, wie er dem trotzigen Mägdelein nachgehöhnt -hat. »So sollst du ewig sein!« sagte er.</p> - -<p>Cupido aber ist ihm entgegengehüpft, denn der Mann -war ein Künstler, und die Künstler stehen auf gar vertrautem -Fuße mit all dem lustigen, alten Göttergesindel – -<a class="pagenum" id="page_023" title="23"> </a> -er ist geduldig mit ihm gegangen und hat sich in marmorne -Fesseln schlagen lassen. Und so steht er da in der ganzen -Pracht seiner Schönheit, ein wenig nach vorn geneigt, das -süße Schelmengesicht voll Sonnenschein, das Fingerchen erhoben -und deutet auf euch, die er euch eben mitten ins Herz -getroffen hat – und lachend klingt's von seinen Schelmenlippen:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Und daß Ihr's nur wißt, und daß Ihr's nur wißt:</td></tr> - <tr><td class="tdl">Nun wird die Liebste vom Liebsten geküßt!«</td></tr> -</table> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_024" title="24"> </a> -Psyche.</h2> - - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl"><i>»Ich saz ûf eime steine,</i></td></tr> - <tr><td class="tdl"><i>und dahte bein mit beine:</i></td></tr> - <tr><td class="tdl"><i>dar ûf sazt ich den ellenbogen:</i></td></tr> - <tr><td class="tdl"><i>ich hete in mîne hant gesmogen</i></td></tr> - <tr><td class="tdl"><i>daz kinne und ein mîn wange,«</i></td></tr> -</table> - -<p class="in0">sagt Walter von der Vogelweide. So sitze ich im Gips-Museum -und träume vor mich hin und lasse mir von -Antinous verliebte Blicke zuwerfen.</p> - -<p>O, Du Abbild erster, toller, süßer Liebe!</p> - -<p>Erste Liebe – wo man liebt, ich möchte sagen, um zu -lieben, um sein eigen Herz einmal pochen zu hören, um -voll Seligkeit zu verzweifeln, und weinend zu jubeln – -wo ein liebes Auge, eine schöne Gestalt, ein lustig-gutes -Lachen, einem vollauf Grund genug zum Lieben scheint.</p> - -<p>Später freilich, dann, meine ich, wenn die wahre, einzige, -ewige Liebe über einen kommt, wenn man mit vollem -Verstande, mit ganzer Ueberlegung, mit festem Willen liebt, -dann – ja, dann verlangt man freilich mehr, wie Du, -schöner Antinous, bieten kannst.</p> - -<p>Sieh', der letzte, warme Sonnenstrahl hängt aufleuchtend, -zögernd an seinem holden Antlitze.</p> - -<p>Er lächelt. – –</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_025" title="25"> </a> -Der Faun da hinter ihm guckt schelmisch um die Ecke: -»Reizender Bengel! Nicht wahr?« grinst er vergnügt, und -die zwölf Apostel am Sarge des heiligen Sebald schüttelten -vorwurfsvoll ihre bärtigen Häupter. Warum, o meine -hochverehrten Herren, begaben Sie sich auch in diese heidnisch-vergnügte -Gesellschaft? Wird es Ihnen nicht ganz -sonderbar zu Mute?</p> - -<p>Es geht ein wunderlich Flüstern durch den Saal und -ein Beben durch die nackten, weißen Götter-Menschenleiber. -Mir schwimmt es vor den Augen und mein Herz -klopft. Soll ich fliehen? Schnell zur Türe!</p> - -<p>Ah, die ist geschlossen! Sie haben mich vergessen in -meiner Ecke hinter den zwölf Aposteln, und ich bin allein -im ganzen Haus – allein, und doch in der allerbesten -Gesellschaft. Mir ahnt, jetzt wird sich etwas begeben, etwas -wunderlich Liebliches, himmlisch Schönes. Ein seltsames -Leben und Weben zittert in der ganzen Luft, und ich verstecke -mich still und neugierig und warte – worauf? Ich -weiß es selber nicht.</p> - -<p>Doch – was ist das? Träume ich? Wache ich? Ein -zitternder Laut, halb Seufzer, halb Jubel. – Woher kommt -er? Aus den Herzen der toten Gestalten? – Sieh' – sie -leben! Sie heben die Arme, sie bewegen sich – das Blut -rinnt durch die Adern, sie atmen, und doch sind's keine -Menschen. Denn durchsichtig werden die Glieder von Gips, -sie schimmern und glänzen, geisterhaft, geheimnisvoll – -das ist Ewigkeit, die von den weißen Stirnen leuchtet, und -sieghaft strahlen die klaren Augen. – Ach, und demütig -beuge ich mein Knie.</p> - -<p>Lautlose Stille. – Da ertönt mächtig, wie Donnerrollen, -gewaltig, wie Schlachtenruf, eine Stimme, die schallt -durch den ganzen Saal: »Ist es fort, das elende Gesindel, -das sich Menschen nennt, und sich so unendlich viel dünkt, -<a class="pagenum" id="page_026" title="26"> </a> -daß es sich herausnimmt, uns stundenlang anzustarren und -unsere Götterleiber zu kritisieren? – Sind wir allein? – -Gebt Antwort!«</p> - -<p>Apollo ist's, von Belvedere, er tritt hervor in Herrlichkeit -und Majestät, und zu ihm gesellt sich Mars, der da -mit aller Arroganz auftritt, deren nur ein Kürassier-Lieutenant -fähig ist, sei es auch ein olympischer; und er gähnt -herzhaft und schüttelt die prächtigen Glieder, und die Venus -von Milo sieht ihn holdselig an. Er aber fährt sich mit -der Hand durch die krausen Locken, die Erinnerung an -selige Stunden überkommt ihn, und schmunzelnd nickt er -ihr herablassend liebevoll zu:</p> - -<p>»Venuschen, kleiner Schatz, bist Du immer noch in -meiner Nähe? Geh', frage doch einmal Deinen niedlichen -Schlingel von Jungen, ob die Luft ganz rein ist, ob wir -uns endlich ein bischen gehen lassen können, nachdem wir -den ganzen Tag so ehrbar dagesessen haben! Der kleine -neugierige Bengel hockt natürlich da, wo es am meisten -zu gucken gibt.«</p> - -<p>Und wunderbar! Die hochmütige, vornehme Dame von -Milo nimmt diese etwas familiäre Anrede gar nicht übel, -ja, ein Lächeln spielt sogar um den stolzen Mund, der so -oft verächtlich auf die Besucher des Museums herunterblicken -kann.</p> - -<p>»Mamachen, Mamachen,« ruft eine piepsige Stimme, -und der pauspackige, kleine Gesell, das Kind Amor, springt -von seiner Marmorsäule herunter, stellt sich dicht vor mich -hin und nickt mir zu.</p> - -<p>»Mamachen, hier sitzt noch eine in der Ecke; aber sie -sagt nichts. Ein ganz kleines Mädchen ist es, und sie -macht große, verwunderte Augen, und ihre Stirn leuchtet -eben so weiß, wie Deine!«</p> - -<p>»Hinaus mit ihr! Hier werden keine Sterblichen geduldet! -<a class="pagenum" id="page_027" title="27"> </a> -Wir wollen keine Lauscher,« sagt die lange Diana -von Versailles mit ihrer scharfen Stimme, »hetzt die Hunde -auf die Unberufene.«</p> - -<p>»Willst Du hier das große Wort führen?« lächelt unsere -liebe Frau von Milo etwas höhnisch, »alte Jungfern -sind freilich flink mit der Zunge, aber ich denke, wir, die -wir unsere Aufgabe im Leben – Lieben und Geliebtwerden -– erfüllt haben, wir gelten mehr hier im Reich der -Freude!«</p> - -<p>Diana zuckt die schlanken Schultern und hüllt sich keusch -in vornehmes Schweigen.</p> - -<p>»Geh', Amorchen,« schmeichelt die tanzende Bacchantin -– war sie nicht eben noch kopflos? Jetzt trägt sie ein -lieblich-übermütiges Haupt auf dem zierlichen Hälschen. –</p> - -<p>»Frag' sie einmal: Hast Du Jemanden lieb? Recht von -Herzen, recht freudig? Und wenn sie ›Ja‹ sagt, dann laßt -sie nur immer hier. Denkt wohl, ich sei ein dummes, kleines -Ding, aber Amorchen, Du weißt, ich verstehe mich auf -solche Sachen!«</p> - -<p>Und sie dreht sich im Tanz und schüttelt die anmutigen -Glieder, daß der musikalische Faun neben ihr schnell ein -lustiges »Klingkling« hören läßt. – Da erhebt sich eine -Stimme, sanft, wie Windessäuseln, stark, wie Sturmeswehen -und ernst, wie das Grab: Hermes spricht. Majestätisch -ragt sein wunderbares Haupt über die andern hinweg, -und seine armen zertrümmerten Glieder umgibt Würde -und Hoheit.</p> - -<p>Götterbote! Glück und Freude, Schmerz und Tod trugst -Du hin über alle Welt! Ich möchte niederknieen vor Dir -und Deine ewige Schönheit anbeten und über Deine verstümmelten -Glieder meine armseligen Thränen weinen!</p> - -<p>»Laßt sie gewähren, Ihr Götter,« sprichst Du, und -Deine Augen sehen mich an, milde, verheißend – »denn ich -<a class="pagenum" id="page_028" title="28"> </a> -kenne sie. An ihrer Wiege stand ich und brachte ihr das -Geschenk des himmlischen Vaters, beugte mich über sie, -hauchte es in ihre Stirn, legte die Hand ihr auf's Herz, -und da zog es ein – und küßte ihren Mund, und da -lernte sie lächeln und – lieben.« Leise nickt er, und ich -möchte weinen. –</p> - -<p>Horch! Das seltsame Geräusch! Rollend, rasselnd, im -Takt sich wiederholend – dazwischen ein melodisches Pfeifen, -ein kunstvoller Schnörkel am Ausgang des tiefen, -rollenden Tones, behaglich einschläfernd klingt's in seinem -rhythmischen Taktfall, seiner ruhigen Gleichmäßigkeit.</p> - -<p>Alle stehen und lauschen – –</p> - -<p>Da balanciert der alte, bärtige Silen das Bacchuskindlein -geschickt auf dem einen Arm und deutet mit dem andern -lächelnd über die Schulter auf den Faun hinter ihm, -welcher, trunken von Wein und Freude, seine kolossalen -Glieder im tiefen Schlafe dehnt. – Die kleine Bacchantin -bricht in ein schallendes Gelächter aus: »Der Faun schnarcht! -Denkt Euch, er schnarcht! Zuviel des feurigen Griechenweines -hast Du getrunken, Du liederlicher, großer Gesell -Du!« schilt sie und kitzelt ihm neckisch die Fußsohlen. Der -Faun murmelt unverständliche Worte und bewegt die mächtigen -Glieder und versucht den Arm zu erheben. Aber -schwer sinkt die Hand auf den Felsen zurück, auf dem er -ruht, und bald tönt wieder sein musikalisches Schnarchen -mit dem lustigen Endschnörkel durch den Saal. –</p> - -<p>»Heraus aus den Schluchten, aus Klüften und Thälern, -kommt hervor aus den Quellen, huscht flink aus den Bäumen, -ihr Nymphen, Dryaden, ihr schelmischen Mädchen, -ihr lustiges Volk! Tanzt, lacht und singt, und hüpfet und -springt! Weckt den faulen Schläfer dort und bittet Bacchos, -den süßen Wein Euch zu reichen!«</p> - -<p>Eine klangvolle, frische Stimme schallt von der Thür -<a class="pagenum" id="page_029" title="29"> </a> -her. Diana ist es, aber nicht die lange Versaillerin: eine -liebliche, mädchenhafte Diana, mit kurzem Röckchen, noch -nicht ganz fertig mit der Toilette – und sie klatscht in die -schlanken Hände, und unsere liebe Frau von Milo lächelt -ihr holdselig zu.</p> - -<p>Nun wird es lebendig um mich her; allüberall aus den -Winkeln und Ecken, die Treppen hinauf, hinunter kommt's -gehuscht, geflogen, gekichert. Nackte, liebliche Mädchengestalten, -üppige Weiber, bockshörnige Faune, tapfere Krieger, -die vor Troja gefochten, ernstblickende Römer – alles wirbelt -lustig durcheinander und sie umtanzen den schlafenden -Faun, sie kitzeln ihm die Seiten und zausen ihm die Haare, -sie halten ihm den würzigen Griechenwein unter die Nase -und lachen ihm ein lustig Lachen in die Ohren, bis er die -sehnigen Glieder reckt und streckt – da steht er mitten -unter ihnen und dreht sich im wilden Reigen. Wie der -Jubel sie alle begeistert, wie die tolle Lust sie hinzieht in -ihr Freudenreich! Sieh' den alten Sokrates – mühsam -kriecht er aus der Verzierung des römischen Sarkophags -heraus, umgeben von den lieblichen Musen; Terpsichore -tanzt Ballett, und da stehen Seneca und Demosthenes und -Pindar und Cäsar und viele alte Kahlköpfe und sehen zu. -Mit mächtigem Satz springt der borghesische Fechter in die -Tanzenden hinein, eine weichhäutige Nymphe hoch in die -Lüfte schwingend, die Ringkämpfer lassen ihren Zorn und -stimmen in das fröhliche Gelächter ein; die beiden schlanken -Discus-Werfer schleudern ihre Metallscheibe geschickt über -die Köpfe der neun Musen hinweg, daß die alten Herren -entsetzt von ihnen zurückweichen, und mein schwermütiger, -holder Antinous küßt die schwellenden Lippen der liebetrunkenen, -kleinen Bacchantin.</p> - -<p>Majestätisch ernst sehen die drei Parzen vom Parthenon -in das Getümmel und Helios lächelt siegreich von -<a class="pagenum" id="page_030" title="30"> </a> -seinem Sonnenwagen hernieder. Frau Venus steht als -Sonnenkönigin mitten unter den Jubelnden in aller Pracht -und lächelt ihrem Volke voll Huld.</p> - -<p>Und die Dichterin Sappho öffnet ihren liederreichen, -holdseligen Mund und flüstert schmachtend:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Die Du thronst auf Blumen, o Schaumgeborene,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Tochter Zeus, listsinnende, höre mich rufen!«</td></tr> -</table> - -<p>Und da, ach, siehe da – die kokett verhüllte Göttin der -Schamhaftigkeit sinkt sehnsuchtsvoll in die geöffneten Arme -eines kräftigen, schöngestalteten Fauns. – Dacht' ich's -doch! –</p> - -<p>Ja, sogar die Tiere stimmen ein in die allgemeine -Fröhlichkeit: die Schlangen des Laokoon lassen ab von -ihren Opfern – des Vaters Stirn blickt heiter nun, und -die sanften Knaben fürchten sich nicht mehr – und unterhalten -sich mit der Eidechse des schönen Appollo, des -Eidechsentöters, dessen Körper etwas von der Geschmeidigkeit -der Lacerte an sich hat – und der Panter des Bacchos -(der Riesenkater) lauscht grimmig-herablassend dem Gespräch.</p> - -<p>Doch, was ist das? Fürwahr, eine seltsame Prozession: -langsam ziehen sie einher, im ehrbaren Reigen sich schwingend, -gravitätisch-lüstern die Blicke um sich werfend, und jeder -am Arme ein sittsam Dämchen mit unendlich vielen Kleidern -– zimperlich geschürzt mit geübter Rechten.</p> - -<p>Wahrhaftig, die zwölf Apostel sind's an der St. Sebalds-Kirche -und irgend welche heilige Damen, die hoch oben im -Christenhimmel thronen, haben sie sich zum Heidentanz -engagiert.</p> - -<p>So ist's recht! Hebt die Füße, streckt die Arme, hierhin, -dorthin, auf und ab!</p> - -<p>Tanzt lustig den Reigen und dreht Euch im Kreise. –</p> - -<p>Mitten im zierlichen Tanz stehen die heiligen Weiblein -<a class="pagenum" id="page_031" title="31"> </a> -bewundernd vor dem schönen, nackten Leib des Antinous, -dem offenbarenden Mund des heiligen Johannes entströmen -Worte der Begeisterung über die Wunder der Weibesschönheit, -der heilige Paulus seufzt: »Hieße ich doch noch Saulus!«, -und der heilige Petrus rasselt mit den Himmelsschlüssel-Castagnetten -dazu. Und sie schwingen sich im Kreise, daß -die heiligen Gewänder fliegen, die heiligen Bärte wehen -und der heilige Schweiß von den heiligen Stirnen rieselt. –</p> - -<p>Bim, bim – bim, bim! Horch! Ein Glöcklein! Das -Vesperglöcklein der St. Sebalds-Kirche.</p> - -<p>Schlaff sinkt der heiligen Schar der Arm, es stockt der -Fuß – starren Auges schauen sie zur Thür. Da steht -eine hagere Mönchsgestalt in brauner Kutte und winkt mit -langem, dürrem Finger und bim, bim, – bim, bim, tönt's -Glöcklein wieder. Stark wie Riesenarme ist die Macht der -Gewohnheit! Dahin stürzen sie, die lieben Heiligen alle, -in atemloser Hast sich überstürzend, überkugelnd. –</p> - -<p>»Zur Vesper, zur Vesper!«</p> - -<p>Und der heilige Paulus-Saulus wendet sein bärtig -Antlitz:</p> - -<p>»Ueber ein Weilchen werdet Ihr uns nicht mehr sehen, -und über ein Weilchen werdet Ihr uns wiedersehen, wenn -– wir die Vesper gesungen!«</p> - -<p>Ein lustig schallendes »Evoe!« antwortet ihm und – -bim, bim – bim, bim tönt's Glöcklein von der St. Sebalds-Kirche. – –</p> - -<p>Banges Stöhnen, sanftes Klagen, todesmüde Laute -dringen an mein Ohr:</p> - -<p>»Tod, was eilest Du? Nimmer begehr' ich Dein!« dringt's -über die bleichen Lippen des sterbenden Sklaven Michel Angelos, -und bang sinken seine schönen Glieder ineinander.</p> - -<p>»Wohl brannte die heiße Sonne Italiens erbarmungslos -auf mich nieder, wohl sengte sie mir mein Hirn, meine -<a class="pagenum" id="page_032" title="32"> </a> -Seele; wohl fühlte ich die scharfe Peitsche auf meinen -nackten Schultern, wohl schnitten mir rauhe Flüche ins -Herz – aber ich lebte doch, und mit mir die Hoffnung! -Bei den mitleidsvollen Strahlen der Sonne dachte ich an -kühle Eichenhaine, beim Brausen des Sirocco an das Rauschen -meines Nordlandmeeres, unter Blüten und Früchten -und ewig blauem Himmel an Eis und Schnee, an Sturm -und Regen. Und wenn die Peitsche des Vogts klatschend -auf mich fiel, da – in meinen Gedanken – kühlte lieb -Mütterleins Hand ihr Brennen und meines süßen Liebs -Mund küßte mein Herz gesund. –</p> - -<p>»Tod, zögere noch! Laß mir die Hoffnung, laß mir das -Leben! Tod, warum kommst Du!« –</p> - -<p>»Stirb doch! Dann bist Du frei!« antwortet ihm eine -rauhe Stimme, und es rasselt wie von Ketten, dumpfes -Stöhnen entringt sich der Brust seines gefesselten Kameraden -neben ihm. –</p> - -<p>»Freiheit, Freiheit! Gib mir Freiheit! Sie haben mich -an diesen Felsen geschmiedet, meine Hände, meine Füße, -meinen Leib – und ohnmächtig schüttle ich meine Ketten. -Und weißt Du, warum sie mich fesselten? Warum sie -mich des höchsten Gutes, der Freiheit, beraubten? Weil -sie mich fürchteten, weil die Angst, die wahnwitzige Todesangst -sie dazu trieb. Weil sie wußten, ich würde den -Brand des Aufruhrs in die Welt hinaus schleudern, würde -nicht eher rasten und ruhen, bis ich die alte Erde vernichtet, -zertrümmert, daß eine neue aus ihr entsteht – -gut, rein, stolz, wie <em class="ge">sie</em> sie <em class="ge">nicht</em> schaffen können. –</p> - -<p>»Und darum nehmen sie mir meine Freiheit und werfen -mich in Ketten, schmieden mich an und hohnlachen in mein -Gesicht. –</p> - -<p>»Du allmächtiges Wesen, das Du da oben über den -Wolken thronen sollst, wenn Du mich verstehen kannst, so -höre meinen Ruf:</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_033" title="33"> </a> -»Gib mir Freiheit – oder laß mich sterben! – – -Keine Antwort – ohnmächtig oder grausam bist Du – -denn sieh', stark bin ich noch, und mein Herz schlägt, mein -Kopf denkt noch, rastlos, unermüdlich, und – hörst Du's? -– meine Ketten klirren höhnisch, immer weiter, immerzu! -– O Tod, warum kommst Du nicht!«</p> - -<p>– – – – Lustig Rufen übertönt seine grollende Stimme, -Beifallklatschen, Jauchzen, und dazwischen der Ruf: »Bacchos, -Bacchos!« Und hierher wälzt sich der fröhliche Strom -jubelnder Götter und Menschen und »Dich wollen wir, -Bacchos, Gott der Freude, wo weilst Du so lange!« Sie -knieen vor der schönen Jünglingsgestalt mit der berauschend -lieblichen Traube neben ihm, und sie nehmen ihn in ihre -starken Arme, und Nymphen und Göttinnen umschmeicheln, -umkosen ihn. Da lassen sie ihn nieder, auf die Kniee des -egyptischen Götzenbildes – denn das ist leblos und von -Stein geblieben – und neigen sich huldigend vor ihm. -Doch er erhebt den Arm und deutet mit der Götterhand -auf die Marmorgebilde neuester Zeit, in der Mitte des Saales:</p> - -<p>»Was wollen die unter uns?« fragte er mit zorniger -Stimme, »schafft sie fort – sie stören mich!« Athene steht -neben ihm, die blauäugige, siegende Göttin; sie hört ihn, sie -winkt ihrem Liebling, dem starken, schnellfüßigen Achill, -und der –</p> - -<p>»Naus da, 'naus da aus dem Haus da! Fort mit -dir, Gesindel!«</p> - -<p>Und jubelnd sehen alle, wie Zenobia in voller Kleiderpracht, -eine falsche Oenone, ein paar weichliche Marmorkinder, -eine vollbusige, schamlose Schönheit, zertrümmert -die Steintreppe hinunterfliegen. – Dann aber neigt sich -Achilles voll Anstand vor der Statue des Lincoln mit dem -Sklaven und spricht mit Höflichkeit:</p> - -<p>»Mein Herr, gern mögen Sie unter Heroen weilen, aber -<a class="pagenum" id="page_034" title="34"> </a> -Sie werden begreifen, daß Sie dann auch in voller Heroen-Uniform -zu erscheinen haben, und die möchte Ihnen vielleicht -nicht gut stehen. Entschieden aber können wir in -unserm Reich der Schönheit das Untier von Häßlichkeit da -zu ihren Füßen unmöglich dulden.« Und Lincoln verbeugt -sich verständnisvoll und verläßt den Saal.</p> - -<p>Da wankt eine müde Gestalt die Treppe herauf – -einst der Stolz der Götter, immer die Freude der Menschen -– und läßt sich schwer auf die Stufen nieder; die starken -Schultern beugen sich, der Leib zieht sich schmerzlich zusammen, -ein mächtiges Haupt sitzt plötzlich auf dem starren -Nacken des Herkules-Torso und senkt sich matt, todesmatt; -und klagend, grollend erfüllt eine Stimme den Saal: -»Müde bin ich – endlich! Müde, der Welt zu dienen, -müde, Undank zu ernten, müde, zu lieben, müde, zu leben – –</p> - -<p>Einst lag die Welt schön und gut vor mir, einst hatte -ich Lebensmut, Lebenslust, einst habe ich gekämpft, gestritten, -gerungen – und nun? Nun bin ich müde und -möchte schlafen!« – –</p> - -<p>Die starken, trotzigen Glieder sinken zusammen, und -das starke Haupt stützt sich schwer auf den kraftvollen Arm.</p> - -<p>Es nahen sich zwei schlanke, schöne Jünglingsgestalten, -eng aneinander geschmiegt, die Arme verschlungen, und ein -mildes Licht strahlt von ihnen aus. Da legt der eine ernst -und leise die Hand auf die müde Stirn des Herkules –</p> - -<p>»Schlaf',« sagte er sanft.</p> - -<p>Da senkt der andere still die brennende Fackel zur Erde, -daß sie erlischt –</p> - -<p>»Ewig,« lächelt er.</p> - -<p>Und voller Ehrfurcht beugt das lustige Göttervolk das -Knie und huldigt dem Toten. –</p> - -<p>Liebliches Klingen, Singen, Getöne – ein wunderbar -Leuchten, hell, sanft und mild –</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_035" title="35"> </a> -Da schwebt etwas die Treppe hernieder, zartduftig, -schimmernd in weißer Pracht – himmlisch lieblich, lebensvoll -schön – Ach, ich sinke in die Kniee und blicke zagend -zu der göttlichen Gestalt der Medicäerin empor, denn <em class="ge">sie</em> -ist es – Sie kommt zu mir, sie tritt vor mich hin, und -ein wundersames Schauern durchbebt mir Kopf und Herz. -Sie neigt ihr holdseliges Antlitz zu mir, und sie küßt mich -auf den Mund, es rinnt wie Feuer durch meine Glieder. -Neben ihr steht ein schöner Jüngling, dem strahlen viele -kostbare Gedanken von der weißen Stirn. Er sieht mich -an, ernst und voll kindlicher Weisheit, und spannt seinen -Bogen und zielt gut – denn der Pfeil dringt mir mitten -ins Herz hinein. Und dann – bin ich es noch? Lebe ich? -Mir ist's so groß ums Herz – Sieh', meine Hände! Durchsichtig -klar sind sie, und mein Körper schimmert, wie die -der Marmorgestalten – Ach, meine Glieder zittern – –</p> - -<p>Da faßt Aphrodite mich an der Hand und führt mich -den Uebrigen entgegen – Und Hermes lächelt zu mir: -»Psyche, bist Du erstanden?«</p> - -<p>Jubelnd begrüßen mich alle, alle – und sie heben mich -empor zu Nike, der Göttin des Sieges, und ich schmiege -mich an ihren schönen Körper, der kein Haupt mehr auf -ihren Schultern trägt.</p> - -<p>Du schwebst zwischen Himmel und Erde, o hehre Göttin! -Thörichte Menschen schlugen Dir Dein stolzes Haupt ab, -engherzige, fromme, nicht denkende Menschen. Sie sagten: -Du dürftest Dein Haupt nicht erheben, mit Deiner freudigen -Stimme die Menschen nicht begeistern, auf daß sie -stumpfsinnig würden, wie jene selber. Ach, Du Göttin, -Deine ganze Gestalt, Deine verstümmelten Arme, Deine stolzen -Füße, die leisesten Falten Deines Gewandes – Alles spricht -Sieg! Sieg über die Finsternis, die Kleinheit, über freche -Gewalt, und fromme Erbärmlichkeit.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_036" title="36"> </a> -Und sieh', in Deinen Armen hältst Du Psyche, die -Seele, die Ewigkeit – und weit hinaus ragt Ihr, über -alles herrscht Ihr, über Götter und Menschen!« – –</p> - -<p>Da, Licht! Es fällt durch die Fenster – es wird -Tag – –</p> - -<p>Tiefe Stille – – Und ich fahre mit eisiger Hand über -meine heiße Stirn – – und da stehe ich – ein armes, -sterbliches Kind des nüchternen, kühlen, praktischen neunzehnten -Jahrhunderts.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_037" title="37"> </a> -Unser Frühling.</h2> - - -<p>»Ich bin da – siehst Du mich?« sagte die Ranunkel -zur Sonne, »sieh', ich glänze – bin ebenso golden wie Du!«</p> - -<p>Und sie richtete sich in die Höhe, spreizte ihre eigelben -Blütenblättchen auseinander und sah unglaublich frech in -die Welt hinein.</p> - -<p>Der Sonnenstrahl aber glitt über sie hinweg, über die -Anemonen hin.</p> - -<p>»Ihr seid schöner als die gelbe Blume,« flüsterte er -ihnen zu, und sie erröteten wie junge, bleichsüchtige Mädchen -und wurden sehr stolz.</p> - -<p>»Was wollt Ihr hier?« riefen sie den Veilchen entgegen, -die frisch und munter im grünen Röckchen und blauer -Blouse anmarschiert kamen.</p> - -<p>»Ihr habt hier nichts zu suchen – das ist unser Boden.« -Aber das kümmerte das Veilchen gar wenig. Ueberall, wo -es Wurzeln fassen konnte, zwischen Ranunkeln und Anemonen -und Kuhblumen, zwischen Moos und Gras, unter -Blättern und Reisig, sogar zwischen den vornehmen, sonderbaren -Frühlingsblumen, die erst vorsichtig einen Blätterregenschirm -aufspannen, damit ihre kleinen weißen Blüten, -<a class="pagenum" id="page_038" title="38"> </a> -die sie unten am Stengel tragen, nicht naß werden – -überall öffnete das Veilchen seine Blauaugen und lächelte -sanft dem Frühling entgegen.</p> - -<p>»Seid Ihr ein exklusives Volk,« sagte der. Er saß mit -gekreuzten Beinen auf einem allmächtig großen Schneckenhaus -und hatte eine Blütenkrone auf dem Haupt und eine -Weidengerte mit lustigen Kätzchen daran in der Hand; er -spielte mit einem überjährigen Schneeballen, der irgendwo -in einem Waldwinkel, von der Sonne vergessen, liegen geblieben -war, und der schmolz jetzt und träufelte der Schnecke, -die aus ihrem Fenster guckte und schrecklich große Augen -machte, gerade auf die Nase, daß sie entrüstet ihre Fühlhörner -einzog und das Fenster zumachte. Die Schmetterlinge, -die den Frühlingsknaben umgaukelten und wie Blumen -aussahen, die von ihren Stengeln geflogen und auf die -Wanderschaft gegangen waren – gerade wie unsere sehnsüchtigen -Gedanken mitunter – machten vor Vergnügen -die lustigsten Capriolen in der Luft und schlugen übermütig-hastig -mit den kleinen, bunten Sammetflügeln. »Ihr -seid ein exklusives Volk hier im Walde,« sagte der Frühling, -»jede Sippe hockt auf ihrem Fleckchen Erde für sich -und macht scheele Gesichter, kommt ihm ein anderes zu -nahe. Und erst die Bäume – hier die Eichen, dort die -Tannen, drüben die Birken – die Weiden sind in die -Wiese geflüchtet, damit sie's Reich für sich allein haben, -und die Obstbäume wollen erst recht nichts von den andern -wissen. Freilich – seid auch auf verschiedenem Erdreich -groß geworden. – 'S wär' auch langweilig in der Welt, -wär' alles über einen Kamm geschoren! Und doch – <em class="ge">Eine</em> -strahlende Sonne scheint über Euch alle, und <em class="ge">ein</em> gütiger -Regen erquickt Euch!« – Und der Frühling erhob sich vom -Schneckenhaus und schlenderte davon. Gern hätte er die -Hände in die Hosentaschen gesteckt, aber das ging nicht, -<a class="pagenum" id="page_039" title="39"> </a> -denn – er war ganz nackt und bloß wie die Natur selber, -und der Sonnenstrahl strich gleitend vor ihm her und -leuchtete ihm. Pfeifend und singend mit heller Stimme -zog der Frühling durch den Wald; unter seinen Tritten -sprossen die Blumen und sein Lachen – das war der -Frühlingswind, der warme Südwind, der belebend über -die Erde fuhr. Die Vöglein kamen und antworteten -mit sehnsüchtigen Lauten. – Ueber den Wald hin schallt -der starke Weckruf der Blauvögel. Sieh' – da blitzt es -feuerrot auf – das ist ein lieblicher Sänger! Und horch! -Hier die rostbraune Drossel – Hörst Du, was sie sagt? -»Tüterlü! Der Frühling kommt! Siehst Du ihn – Du, -Du, Du, Du!« – Und: »Komm' zu mir, komm' zu mir! -Zerr – zeck, zeck, zeck, zeck!« bläst der Zaunkönig sein -Kehlchen auf – wupp! schlüpft er durch die Hecke, und dahin -geht's, im Lauf, geschwind wie ein Mäuschen. – Siehst -Du den Specht? Weiße Hosen, schwarzes Röcklein und auf -dem Kopf ein tiefrot Käpplein über dem schlauen, spitzen -Näschen – ist doch gar ein putzig Weschen! Sieh', wie -klug die schwarzen Augen funkeln, sieh' – wie er mit dem -Frühling Verstecken spielt! Bald an dieser, bald an jener -Seite des Stammes schimmert sein rotes Köpfchen und -wirft ihm der Frühling eine Hand voll Blätter ins Gesicht, -die sich schnell an die Zweige anklammern – hei! -Da sitzt er schon ganz hoch oben im Baum und lugt -schelmisch um die Ecke:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Pick, – pick, – pick, – pick – hier find' ich mein Mücklein!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Pick, – pick, – pick, – pick – hier schlag' ich mein Brücklein,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Von Baum zu Baum über Busch und Strauch –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ei, Frühling – geschwinde! Nun folge Du auch.«</td></tr> -</table> - -<p>»Hahaha,« lacht die Spottdrossel wie toll und gleich -darauf klingen langgezogene, friedliche Sehnsuchtslaute aus -<a class="pagenum" id="page_040" title="40"> </a> -ihrer Nachtigallenkehle, daß alle Vögel inne halten und -dem Frühling die Thränen aus den Augen rinnen.</p> - -<p>Wo hört' ich jüngst solch ein Spottdrossellied? – Weich -und schwül – hohnlachend – – war's nicht in meinem -Herzen? Ist's nicht das Menschenherz selber – in all -seinem Leid, all seiner Sehnsucht, all seinem Haß? –</p> - -<p>»Sputet Euch,« sagt der Frühling zu den Eichen und -schlägt sie schmeichelnd mit seiner Weidengerte, »Ihr knorrigen -Gesellen! Seid zwar auch <em class="ge">so</em> schön mit Euren kuriosen -Knorpeln und verdrehten Aesten – gerade so knorpelig und -verzwickt, wie ein Menschenhirn – aber wenn Ihr die zackigen -Blätter von Euch spreizt, habe ich Euch noch lieber!«</p> - -<p>Und da sproßten die roten Keime und Blättchen, und -nun hatten sie ein noch wunderlicheres Ansehen, gerade -wie ein Schalksnarr, dem die Liebe aus den Augen -guckt. –</p> - -<p>»Ich,« sagt die Ulme, »ich bin vorgeschritten in der -Kultur – seht, mein krauses, grünes Gewand ist schon fix -und fertig.« –</p> - -<p>Und der Frühling geht weiter:</p> - -<p>»Sieh', sieh', wie schön steht das maigrüne Kleidchen -zu Deiner weißen Haut, kleine Birke, – bist fast die Schönste -von allen! Alte Tanne« – er streicht über der Tanne -stattliche Haare – »mußt immer dasselbe dunkle Kleid -tragen jahraus, jahrein – bist wohl gar neidisch?«</p> - -<p>Aber die Tanne ist unartig, sie streckt dem Frühling -und seiner Birke eine lange, hellgrüne Zunge aus den dunkeln -Nadeln heraus und antwortet noch nicht einmal vor -Trotz.</p> - -<p>»Böses, altes Ding Du,« schilt der Frühling, und um -sie zu ärgern, gibt er den Lärchen lauter kleine hellgrüne -Federbüsche, kleinen Pinseln gleich, die tragen sie stolz, wie -ein angehender Maler seine Farbenpinsel in der Brusttasche. -<a class="pagenum" id="page_041" title="41"> </a> -– Horch! Was regt sich hinter dem Tannendickicht? -Ein hübsches, verstecktes Plätzchen – Taubengegirr, Vogelgesang -– ist's Windessäuseln, rauschen die Zweige, geheimnis-ahnungsvoll! -Leise schleicht sich der Frühling heran, -er verbirgt sich hinter einem Baumstamm – er lauscht – -er sieht – –</p> - -<p>Menschenkinder sind's, zwei junge, lachende, kosende -Menschenkinder, den ewigen Frühling, die Liebe, im Herzen, -in den Augen. – Sie ruht im Gras, den Kopf gegen eine -Tanne gelehnt, er zu ihren Füßen, den braunen Lockenkopf -in ihrem Schoß – leises Lachen, halblautes Singen, -abgebrochene, unverständliche Laute – halbgeflüsterte, halbgeküßte -Liebesworte. – Glückliche, selige Menschenkinder – -was wißt Ihr vom brennenden Sommer, vom welkenden -Herbst, vom eisigen Winter? – Der Frühling streichelt -Euch Stirn und Wangen. – Blondes Mädchen, Du streichst -Dir die Löckchen aus der Stirn und schiltst über den Wind -– oder den Geliebten, der Dir die Haare zerzaust hat – -und der Sonnenstrahl küßt Euch und dringt Euch bis ins -junge Herz hinein! –</p> - -<p>Auf leisen, flüchtigen Sohlen eilt der Frühling von -dannen:</p> - -<p>»Jetzt muß ich aber auch die Obstbäume anlächeln,« -sagt er im raschen Lauf, »daß sie treiben und blühen und -Früchte tragen.« Aber die waren voreilig gewesen, wie -gewöhnlich, hatten nicht auf das Lächeln des Frühlings -gewartet, hatten sogar vergessen, sich erst die Blätter anzuziehen. -– Da stehen sie in ihren schlohweißen Hemdchen -und lächeln verschämt, ach, und Apfelbäume und Pfirsiche -werden ganz rot, als sie den Frühling kommen sehen, und -nur die Birne ruft triumphierend: »Ein paar grüne Blättchen -habe ich schon – aber Du, Frühling, bist ja ganz -nackt!« Hei, wie sie sich alle schütteln vor Lachen, daß ihr -<a class="pagenum" id="page_042" title="42"> </a> -weicher, duftender Blütenschnee über die grüne Erde hinweht. -– Ganz überschüttet wird der Frühling; in seinen -Locken hängt die duftige Ueberfülle, um Stirn und Wangen -schmeicheln die süßen Boten – da wird es ihm ganz weh -ums Herz vor Wonne und Jubel, sehnsüchtig breitet er -seine Arme der Geliebten entgegen, der leuchtenden Sonne -– und da wird er zum Manne – er vermählt sich mit der -Sonnenglut – und siehe, es war Sommer!</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_043" title="43"> </a> -Frostiger Frühling.</h2> - - -<p>Um unsere Blüten sind wir betrogen! – Im März, -als der warme Sonnenstrahl die erwachende Erde überglänzte, -da lag ein rötender Hauch über den Obstbäumen, -licht wie ein rosenfarbenes Wölkchen am Frühhimmel – -heute haben die Birnbäume und die knorrigen Apfelbäume -ein festes grünes Mieder angezogen, aus dem sie stramm -und vernünftig herausschauen, und das Mädchenerröten -haben sie längst vergessen.</p> - -<p>Um unsere Blüten sind wir betrogen! – Hat der Frost -sie getötet, der lauernd über die Erde schlich? Hat unsere -schönen Hoffnungen der Sturmwind verweht? Ist der -Regen gekommen auf seinen grauen Rossen, den Wolken, -und hat sie mit seinem gleichförmigen Gedrissel – patsch! -patsch! Tropfen auf Tropfen, wie die tägliche Langeweile, -– verwaschen, verknittert, zerblättert? –</p> - -<p>Nackt stehen die Magnolienbäume im botanischen Garten. -Sie, die sonst im Mai zum Frühlingsreigen in prächtigen -Balltoiletten der verwunschenen Prinzen harrten; sie, die -sonst von der Ueberfülle ihrer Schönheit den neckischen -Winden preisgaben, daß die Blütenblätter und ihr Duft -die Luft erfüllte. Heute stehen sie kahl und düster und -traurig da, kein lächelnder Prinz wird um die südliche -<a class="pagenum" id="page_044" title="44"> </a> -Schöne werben und der Frühling hat die Prächtige, Ueppige, -Duftende vergessen. – Da gleitet ein Sonnenstrahl über die -schwarzen, vom Frost geknickten Spitzen der Magnolien. -Es ist, als lächle er. In seinem Flimmer tanzt ein gelber -kleiner Schmetterling, er taucht sich in die vergessene weiße -Blüte eines jungen Birnbaums, der schon winzige Früchte -am andern Zweige trägt. Und da lispeln sie alle heimliche -Worte – horch!</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">Zur Blüte sprach der Schmetterling: »Was nützt mir's, daß ich strahle?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wenn meinen Schmelz ein Fingerdruck wegwischt mit einemmale?«</td></tr> - <tr><td class="tdl">  Da lachte der Sonnenschein.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Es sprach die Blüte zum jungen Blatt: »Was nützt mir's, daß ich blühe?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wenn ich nach einer Regennacht verblätt're in der Frühe?«</td></tr> - <tr><td class="tdl">  Da lachte der Sonnenschein.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Es sprach die Frucht zum grünen Baum: »Was nützt mir all mein Süßen?</td></tr> - <tr><td class="tdl">In meinem Herzen nagt ein Wurm: tot fall' ich Dir zu Füßen.«</td></tr> - <tr><td class="tdl">  Da lachte der Sonnenschein.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Ich rief wohl in die weite Welt: »Was nützt mir all das Klingen?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die rauhe Hand, die Nacht, der Wurm – Ein Sterbelied muß ich singen!«</td></tr> - <tr><td class="tdl">  Da lachte der Sonnenschein.</td></tr> -</table> - -<p>Ich folge dem lachenden Sonnenstrahl. Er huscht über -die Stiefmütterchen am Wege, die ihm ihre großen bunten -Augen zuwenden, über rote dickköpfige Tulpen, die sich -blähen vor lauter Vornehmheit; er klopft an die Fenster -des Treibhauses: ich bin da, ich bin da! – Aber was -kümmert das nervöse Volk da drinnen in ihrem überheizten -Haus der warme Sonnenschein? – Halt! du lockender -Strahl! laß mich erst einmal hineinschauen in die Blumen-Menagerie. -<a class="pagenum" id="page_045" title="45"> </a> -Sehnsüchtig sehen die armen Eingesperrten -durch die Glasfenster, und schauern zusammen, wenn die -kühle Frühlingsluft durch die offene Thür sie trifft. Sie -fühlen sich wohl in der heißen, feuchten Luft künstlicher -Bildung; einmal ihres heimatlichen Bodens beraubt, gedeihen -sie prächtig in der erstickenden Atmosphäre der Ueberfeinerung -– oh, und diese höchste Kultur zeitigt bizarre -Charaktere: da die Kaktus mit ihren Stacheln über und -über, an denen ein rauhes Gewebe klebt wie graues Haar; -dem bekannten Meergreis gleich, der »in die Wüste ging -und ein Wüstling ward«, frühzeitig gealtert wie unsere -nervös überfütterten Dandys <i>fin de siècle</i>. Protzige Agaven -mit dicken, fleischigen, ausstreckenden Zeigefingern. Cochenille-Kaktus, -unansehnliche, häßliche Dinger, nur dazu -gut, daß andere sich von ihnen nähren – die kleine, rote -Blattlaus, die aus diesem Häßlichen das Schöne bildet: -das leuchtende Cochenille-Rot. Hier die Palmen, groß, still, -erhaben, die Löwen der Blumen-Menagerie. – Die vielarmigen -Dracänen, die üppig wuchernden Schlinggewächse, -die seltsamen stillen Blumen mit Blättern und Blüten wie -aus Wachs geformt, – gleitet nicht Scheherezade durch diese -schwüle Luft und erzählt Märchen aus Tausend und einer -Nacht unter lispelnden Palmen und großen duftlosen Blumen? -– Aber dort unter dem First des Glasdaches, dem Licht -zustrebend – dort liegt es wie glänzend weißer Schnee, -besäet mit funkelndem roten Blutstropfen. »Weiß wie -Schnee, rot wie Blut!« Schneewittchen aus unserem lieben -deutschen Märchen nickt hervor aus diesem lieblichen Blumenmeer -und lächelt uns an. Eine Schlingpflanze ist es mit -schwarzgrünen Blättern; sie rankt sich hoch und immer höher -dem Himmel entgegen, der blau durch die Fenster ihres -Gefängnisses schimmert und tausend weiße, stille Blumenherzen -wenden sich ihrem Gott, dem Lichte, zu, und rot und -<a class="pagenum" id="page_046" title="46"> </a> -glühend entströmt ihnen ihr Gebet. – Da öffnet sich die -Thür, der Sonnenstrahl huscht hinein und küßt die roten -Blumenlippen, und winkt mir: Komm, komm! Ich zeig' -Dir viel Schönes, wenn auch die Blüten Dir genommen -sind. –</p> - -<p>Draußen im botanischen Garten glänzen die feingeharkten -Kieswege. Zwischen wohlgepflegten Blumenbeeten -wandeln wohlgepflegte Städterinnen. Die ordentlichen -Blumen auf den ordentlichen Beeten blühen noch nicht; die -ordentlichen Städterinnen haben schon geblüht. Deshalb -strömen sie einen künstlichen, starken Parfüm aus, der -schlecht harmoniert mit der süßen, berauschenden Frühlingsluft.</p> - -<p>»Vorüber, ihr Schafe, vorüber!« singt Goethes Schäfer, -als ihm »gar so weh« wird – und wir huschen dem -Sonnenstrahl nach, aus dem ordentlichen Garten hinaus, -hinter die hohe Mauer, wo die Wildnis anfängt. Hier -ist auch eine Menagerie, die der Bäume. Aber die Wildlinge -aus Nord und Süd haben in dem fremden Boden -Wurzel gefaßt, ihn sich angeeignet, und so gedeihen sie und -wachsen und wachsen, als habe die neue Heimat ihnen die -alte ersetzt. – Was es nicht alles zu sehen gibt unter den -fremden Bäumen: dort, wohin die Tannen nicht mehr gelangen -können mit ihren langen Armen, kriecht kleines, -grünes Moos dicht an das Nadelbett heran, das die Tanne, -wie Frau Holle den Schnee, um sich ausgeschüttet; es -blüht, das Moos, mit lauter gelbgrünen Zäckchen, und -zwischen den feinen krausen Spitzen kriechen winzige Insekten, -denen der Mooswald wohl so gewaltig dünkt, wie -uns jene blühende Kiefer. O wie blüht die Kiefer! Ueberall, -überall auf den starken Aesten, in den Stacheln verborgen, -da blüht es wie rotes Gold; sieben kleine Goldkätzchen -in einem Nest – und rührst Du daran mit vorwitzigem -<a class="pagenum" id="page_047" title="47"> </a> -Finger, dann rieselt ein feiner, gelber Blütenstaub -in Deine geöffnete Hand. Weich wie ein zartes Kinderbäckchen -berührt dich's, und ein würziger Duft erzählt dir -von unendlichen Kieferwäldern, in denen der Wind singt.</p> - -<p>»Bilde Dir nur nichts ein,« sagt die Nachbarin der -Kiefer, die deutsche Edeltanne, und sie reckt sich kerzengrade, -so daß sie noch einen Finger breit über jene hinweg schaut -– »Du mit Deinem Blühen! Sieh' mich an: meine Orden, -huldvollst verliehen von Sr. rauschenden Majestät dem -Frühling.« – Und sie klappt ihre Zweige zusammen, daß -ein feines Nadelgeriesel zur Erde fällt. Ueber und über ist -sie besäet mit hellgrünen Knöpfchen, frischen Nadelspitzen, -die vergnügt aus dem Dunkel ihrer Wintertracht hervorblitzen.</p> - -<p>Zwischen den Bäumen, aus Gras und Moos erheben -sich dunkle Blumenbeete. Seltsame Blumen stehen darauf: -aus dunklen Blättern hängt an einem dünnen Stiel eine -kleine, gelbe Tasche; – ich bin immer die vierundzwanzigste -mit fünfundzwanzig Fehlern in der Botanik gewesen, und -nun möchte ich wissen, ob diese niedliche, kleine, gelbe Tasche -nicht eine Art von Venus-Fliegenfalle ist? Kriecht ein -dummes Mückchen am Rand der schönen Blüte hin und -bleibt daran kleben: sacht schließt die schöne Blüte ihre -Tasche, und Mückchen ist gefangen und muß elend zu Grunde -gehen. Denn so eine Venus-Fliegenfalle gibt ihre Beute -nicht wieder los; ob's Mückchen auch zappelt – es wird -festgehalten bis an sein unseliges Ende. –</p> - -<p>Wenn nach einem deutschen Städtchen aus der nächsten -Garnison die Militärkapelle kommt und ein Biergartenkonzert -abhält, dann sitzen die unnützen Buben hinter der -grünen Hecke des Gartens und gucken hindurch und haben -die prächtige Musik mit allem Tschingdara-Bumbum und -die Herren- und Damen-Honoratioren, die weißröckigen -<a class="pagenum" id="page_048" title="48"> </a> -Mädchen, und all den Kaffee und das Bier – nämlich -indem sie sehen, wie es getrunken wird – ganz umsonst. -Sie nennen das: ein Heckenbillet nehmen. Ich habe auch -ein Heckenbillet genommen: ich sitze hinter der großen Mauer, -an der sich rotblühendes Gaisblatt rankt, und kein Mensch -im gebildeten Garten weiß, daß ich da bin, und ich höre -das süße Vogelkonzert, ich sehe die ernsthaften, andächtigen -Bäume und das kindlich lustige Gras, in dem die blauäugigen -Veilchen grüßen, ich trinke die wonnige Frühlingsluft -– alles umsonst. –</p> - -<p>Vor mir an der Mauer hinauf, einer Weinranke entlang, -läuft ein winzig klein Vögelein, geschwind wie ein -Mäuschen. Pick – pick! hier wetzt es sein Schnäbelein; -husch – husch! dort jagt es dem Käferchen nach – und -es sieht mich an mit den klugen Augen, als rief' es: Guck, -mach' mir das nach! Da ist es oben, reckt die kleinen Flügel -und mit einem jubelnden Gekicher ist es davon. – Horch! -über mir: da lacht und küßt und tollt ein braunes Drosselpaar. -Kokett wiegt sich das Weibchen auf dem schwanken -Ast; der Liebste lugt um den Stamm und zwitschert zärtlich: -Kind, sühst meck nich? – sühst Du meck nich? – Hier bün -eck! hier bün eck! lacht das Weibchen, und fort sind sie, in -das Dickicht hinein.</p> - -<p>Da kommt wieder mein Sonnenstrahl und lockt mich -aus meiner Ruhe und gleitet vor mir her – und ist verschwunden. -Wo bin ich? Was wölbt sich über mir – -weit, groß, allmächtig. Ich schaue hinaus, und schaue: -immer höher, immer gewaltiger weitet sich der grüne Dom -von Blättern. Die Zweige der beiden norwegischen Baumriesen -neigen sich gegen einander, sie werden zu gothischen -Spitzbögen, anstrebend in die Unendlichkeit. Sanftes -Dämmerlicht liegt in meiner Kirche. Durch das grüne, -schimmernde Blätterdach schaut der Himmel wie blaue, -<a class="pagenum" id="page_049" title="49"> </a> -freundliche Sterne. Ein lieblicher Weihrauch umweht mich. -Es ist der Duft der kleinen weißen Blüten des wilden -Apfelbaumes, der meine Kirche mit wonniger Süße erfüllt. -Ich stehe und schaue. Ich breite die Arme aus nach der -grünen Unendlichkeit da droben, und es ist still, still, um -mich, in mir. –</p> - -<p>Als ich hinaustrete aus den dämmernden Bögen meines -Domes, liegt die Welt hell zu meinen Füßen. Ihr Duft -umhüllt mich. Ihr Licht gleitet warm in mein Herz. Es -ist Frühling.</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">In den Lüften singt es und klingt es – und –</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"><hr /></td></tr> - <tr><td class="tdl">Ich flüstere in die weite Welt: »Wohl süß ist es zu singen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wenn Vogelschlag und Frühlingsduft weich dir ins Herze klingen« –</td></tr> - <tr><td class="tdl">  Da lachte der Sonnenschein.</td></tr> -</table> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_050" title="50"> </a> -Das Märchen, das gar nicht -kommen wollte.</h2> - - -<p>Es war einmal ein Märchen, das hatte sich eingepuppt -wie eine Schmetterlingsraupe und sich versteckt in dem Astloch -einer alten Eiche im Walde; nur zuweilen öffnete es -die Augen ein wenig und blinzelte um sich, und wenn es -sah, daß die Welt immer noch grau und kahl und ungemütlich -war, dann machte es die Augen zu und schlief -wieder ein. – Während dessen liefen die Menschen in dieser -kalten Welt herum und jammerten nach dem Märchen, das -gar nicht kommen wollte. Das heißt, eigentlich waren es -nur ein kleiner Junge und ein kleines Mädchen, die überall -nach dem Märchen fragten. Sie hatten dicht bei einander -auf dem Fußschemel gesessen und zugehört, was die -alte Märchenmuhme erzählte. Die großen Leute hatten -keine Zeit dazu, die hatten so viel zu sorgen und zu wirtschaften -und zu studieren, daß sie sich um ein Märchen nicht -weiter bekümmern konnten; außerdem sagten sie, so ein -Märchen, das sei nur für Kinder und solche, die es immer -bleiben; dabei käme gar nichts heraus, und man sollte nur -einmal die gelehrten Leute fragen, die den täglichen Bildungsbedarf -<a class="pagenum" id="page_051" title="51"> </a> -fürs Volk liefern – das viele Zeitungspapier -– die werden Euch schon sagen, was man von dem Märchen -zu halten hat.</p> - -<p>Da sagte der kleine Junge zu dem kleinen Mädchen:</p> - -<p>»Komm', wir wollen hingehen und sie fragen!«</p> - -<p>Als sie bis an eine große düstere Thür gekommen -waren, – da wären sie am liebsten wieder umgekehrt; aber -der kleine Junge war sehr mutig, und so gingen sie hinein. -Da saß der Gelehrte und las aus einem gewaltig großen -Stück Papier. –</p> - -<p>»Sieh' 'mal, der hat vier Augen,« sagte das kleine Mädchen -– und dann guckte er mit ein paar allmächtigen -schwarzen Augen über die gläsernen hinweg, die ihm unten -auf der großen Nase saßen, und das kleine Mädchen steckte -schnell den Finger in den Mund und der kleine Junge -ballte die Faust, während der Gelehrte brummte (Gelehrte -brummen meistens):</p> - -<p>»Sie haben zu viel Phantasie, meine Lieben, das hindert -Sie durchaus am logischen Denken und schwächt den Verstand. -Doch, es wird sich schon geben, darüber seien Sie -nur unbesorgt.«</p> - -<p>Da gingen die Kinder nach dem andern Gelehrten, -der war sehr freundlich, tätschelte ihre blonden Köpfe und -sagte: sie sollten nur wieder hingehen – das sei Alles in -schönster Ordnung. – Dann nahm er des ersten Zeitung -und schnitt da ein Stück heraus, aber so, daß der Anfang -fehlte und man nicht wußte, um was es sich eigentlich -handelte, und druckte es in seine eigene Litteratursammlung -hinein, und dann stand da zu lesen: Dieses ist für die -Kinder durchaus schädlich. Es verleitet sie zum Lügen und -könnte Veranlassung geben, daß sie sogar Phantasie bekämen. -– In unserem heutigen realistischen Zeitalter ist es nicht -<a class="pagenum" id="page_052" title="52"> </a> -angebracht, und der Konflikt zwischen Konservativismus -und Modernität wird immer wieder aufgefrischt. –</p> - -<p>Aber davon verstanden der kleine Junge und das kleine -Mädchen gar nichts; ganz traurig gingen sie wieder fort -und suchten immer noch nach dem Märchen, das gar nicht -kommen wollte. Sie hauchten ein Guckloch in die Eisblumen -am Fenster, ob es vielleicht außen davor säße; wie der -Schnee mit geheimnisvollem Sausen vom Dache rutschte, -öffneten sie das Fenster und dachten, nun käme es ganz -weiß hereingeflogen, und wie die Sonne anfing zu scheinen, -liefen sie hinter den Sonnenstrahlen her, um sie zu haschen, -denn sie meinten, das sei es nun; und dann schlichen sie -auf den Zehenspitzen ans Fenster, wo die großen, weißen -Hyacinthen standen und dufteten, und guckten zu, ob es -vielleicht in einer der stillen Blütenglocken zur Ruhe gegangen -sei.</p> - -<p>Aber das Märchen wollte und wollte nicht kommen. -Und unterdessen war es in der Welt immer noch kalt und -grau und trostlos. Die Menschen hasteten und jagten und -trieben einander und machten lauter dummes Zeug. Es -war eine häßliche Welt und häßliche Menschen darin, die -sich viel Leides thaten, und die beiden Kinder dachten oft, -ob denn das Märchen noch immer nicht kommen wollte und -Ordnung schaffen und die Welt wieder gut und schön machen.</p> - -<p>Da kam eines Tages der Südwind daher gefahren. -Er stieg von den Bergen hernieder, daß die Lawinen -donnernd vor ihm niederkrachten; er jagte das Eis auf den -Flüssen vor sich her, daß es sich bog und knackte und schrie; -er pfiff durch die Tannenwälder, daß die Nadeln den alten -Fichten um die Ohren sausten, und knickte die dürren Aeste -der Wälder, daß Platz wurde für die jungen, neuen Triebe. -Die Wolken trieb er vor sich her – runde, regenschwere -Wolken, in wilder Jagd; sie drängten und schoben sich -<a class="pagenum" id="page_053" title="53"> </a> -und sprangen einander auf den Rücken, wie die Buben, -wenn sie Haschen spielen. Dann stob er in die Stadt -mit wildem Jauchzen und Getöse; er blies in die Kamine -hinein, wie in ein Sprachrohr, und trieb Schabernack mit -des Petrus goldnem Hahn auf der Kirchturmspitze; er -deckte die Dächer ab und guckte den Leuten in die Häuser -und blies sie an, daß es den dummen Menschen angst und -bange wurde. Ja, er fuhr sogar dem König um die Nase, -als der just vor seinem Königreiche stand und, die Hände -in den Hosentaschen, darüber nachdachte, wie sein Volk ihn -wohl wieder einmal beglücken könne; und er warf ihm sein -Reichsaushängeschild gerade vor der Nase herunter, so daß -der König sich entrüstet umdrehte und in sein Reich hineinging -und die Thür zuwarf, daß es krachte.</p> - -<p>Aber der Wind lachte nur: »Puh! wenn ich nur wollte, -dann brauste ich Dich mit samt Deinem Königreich von der -Erde hinweg, wie einen Strohhalm – aber ich will nicht! -– Bist mir viel zu klein, du Königlein!« –</p> - -<p>Und dann warf er ein paar ehrsamen Bürgern, die des -Weges kamen, die blanken Cylinder von den gedankenschweren -Häuptern, als wolle er sehen, was in den Köpfen stecke; -und wehte ein paar schlanken Jungfräulein die langen -Kleider eng um die schönen Glieder und freute sich darüber, -der wilde Geselle, wie die kleinen Frauenfüße so tapfer -gegen ihn ankämpften.</p> - -<p>Mit lustigem Gekicher fuhr er zu den Wolken auf und -spielte Fangball mit ihnen; die Wolken fangen an zu weinen -und dann fällt ein weicher, warmer, feiner Frühlingsregen -auf die Erde nieder, eine zarte, graue Nebeldecke breitet sich -über die Welt aus, und unter dieser dampfenden feuchtwarmen -Decke da geht der Sturmwind zur Ruhe.</p> - -<p>Dort im Wald, in dem Astloch der großen Eiche regt -sich etwas, das ist das Märchen; das ist aufgewacht von -<a class="pagenum" id="page_054" title="54"> </a> -des Südwinds wildem Gesang und merkt, daß es nun Zeit -ist, aufzustehen. Es gähnt noch einmal recht herzhaft und -reckt und plustert sich wie ein Vögelein im Nest; dann -schiebt es erst das eine rosige Füßchen heraus und dann -das andere, dann gähnt es noch einmal, und nun -breitet es seine sammetenen Schmetterlingsflügel aus und -fliegt zur Erde nieder. Da leuchtet mit einemmal eine -große, glänzende Sonne durch den Nebel, und nun kann -man erst sehen, was für ein niedliches Märchen es ist. Es -ist sehr klein und fein, hat schöne, weiße Gliederchen und -große, dunkelblaue Stiefmütterchenaugen und die schönsten -goldnen Haare von der Welt, die glänzen in der Sonne -wie das rote Gold, das die Schlangenkönigin bewacht; auf -dem Köpfchen trägt es eine blaue Glockenblume, die macht -ein sanftes Geläute, wo das Märchen geht und steht.</p> - -<p>Es mußte wohl von dem Getön und Geklinge sein, -daß plötzlich alles lebendig wurde im Wald, daß die Vögelein -ein artig Konzertieren begannen und die Blumen – die -Krokus und Anemonen und Schneeglöckchen und wie sie alle -heißen – aus der Erde sprangen, wie kleine, weißhäutige -Kobolde, und ein duftiger Reigen begann in Wald und -Flur. Ei! wie es die Bäume da eilig hatten, ihr neues -grünes Kleid anzulegen, und wie die alten Tannen die -spitzen, gelbgrünen Finger ausstreckten, als wollten sie sich -auch so ein grasgrünes Flörchen erhaschen. Am Waldteich -der alte Erlenstumpf sagte zu seinen grünen Jungen, die -ihn dicht umstanden:</p> - -<p>»Reckt Euch in die Höhe, Jungens, damit das Märchen -nicht sieht, wie alt und vertrocknet ich bin.«</p> - -<p>Aber im Teich erhob sich plötzlich ein lautes Gequake -und Gejohle. Das waren die Frösche, die hielten einen -Froschvolks-Thing ab und wollten sich eine neue Verfassung -gründen; sie sprachen sehr ernsthaft über Kaulquappenerziehung, -<a class="pagenum" id="page_055" title="55"> </a> -Schulvorlagen und Militärbudgets, und daß der -Storch und der Reiher von jetzt an unter froschlicher Oberhoheit -stehen sollten; und ein noch ganz grünes Fröschlein -aus dem vornehmen Geschlecht derer von Ochsenfrosch wollte -immer alles besser wissen und durchaus einen ganz uralten -Kurs als das Neueste einführen im Froschteich.</p> - -<p>Es war wirklich sehr interessant, und es war gar nicht -recht, daß der Weidenbaum am Ufer plötzlich anfing zu -jauchzen und zu lachen und zu spotten, und sich geberdete, -als hätte er zu viel Blütenwein getrunken. Die gebildeten -Frösche kamen ganz ärgerlich ans Ufer und glotzten ihn an, -und der tolle Geselle, dem die buschigen, hellgrünen Weidenkätzchen -von seiner Narrenkappe herunterbaumelten, schnitt -höhnisch eine Fratze und spreizte seine vielen grauen Finger -von sich und hielt eine lange Rede, von der die Frösche -kein Wort verstanden; denn er sprach von Blütenwein und -Trunkenheit und Auferstehung und Frühlingsduft und -Märchenaugen – und schloß mit:</p> - -<p>»Kinder und Narren sprechen die Wahrheit, und wahrlich, -ich sage Euch, so Ihr nicht werdet wie sie, so könnet -Ihr nimmer in den Frühling eingehen!«</p> - -<p>Hei! Da begann ein Geschelte und Gequake, ein Koaxkoax -und Brekekekex, daß die Vöglein in der Luft im Fliegen -innehielten und verwundert zum Waldteich herniederschauten. -Und der Weidenbusch verbeugte sich lächelnd nach allen -Seiten und schüttelte seine Kätzchen lustig durcheinander -und sagte:</p> - -<p>»Verehrte Anwesende, ich glaube verstanden zu haben, -daß Sie mir vollständig beistimmen; und da oben kommt -Se. Excellenz, der Generalfeldmarschall Graf Storch, angeflogen, -der wird Ihnen –«</p> - -<p>Quack! sagten die Frösche und tauchten unter, und -lange herrschte Totenstille im Teich, bis sie merkten, daß -<a class="pagenum" id="page_056" title="56"> </a> -der tolle Weidenbusch sie genasführt hatte; dann begann -zögernd erst die eine Stimme und dann eine zweite, -und der grasgrüne Froschjüngling sagte: Kroax! und seine -Base, die gelehrte und tiefsinnige Schriftstellerin von Unke, -antwortete: P–unkt–um! – und bald war der hochweise -Disput mit These und Antithese wieder im schönsten Gange.</p> - -<p>Das Märchen aber nickte lächelnd zum Weidenbusch -hinüber und warf Kußhändchen nach allen Seiten, dann -flog es schnurstracks durch den grünenden, blühenden, duftenden -Wald, über Felder und Gärten, in die Stadt, in -das Haus, in die Stube hinein, wo der kleine Junge und -das kleine Mädchen auf dem Fußschemel saßen und aufmerksam -zuhörten, wie die Märchenmuhme ihnen die Geschichte -von den Löwen- und den Bärenkindern erzählte, -und als sie gerade sagte: »Die Bärenkinder aber waren so -schrecklich unartig« – da rief der kleine Junge:</p> - -<p>»Sieh', – sieh' doch, da ist das Märchen!«</p> - -<p>Und das kleine Mädchen klatschte in die Hände und -jubelte: »Das Märchen! das Märchen!«</p> - -<p>Und wirklich, da stand das Märchen auf der Thürschwelle, -seine Augen leuchteten, seine Haare glänzten wie -die Sonne, und dann nickte und winkte es ihnen; die Kinder -faßten sich bei den Händen, sprangen zur Thür hinaus, -hinter ihm her und riefen und sangen immerfort:</p> - -<p>»Das Märchen! Da ist das Märchen, das gar nicht -kommen wollte!«</p> - -<p>Es waren aber viele Kinder auf der Straße, die sahen -das Märchen zwar nicht, aber sie riefen doch: Das Märchen, -das Märchen! und tanzten hinter dem kleinen Jungen und -dem kleinen Mädchen her, und so ging der Zug durch die -Stadt zum Thore hinaus, als wenn der Rattenfänger von -Hameln ihnen aufspielte. Die großen Leute, denen sie begegneten, -blieben stehen und lachten und sagten:</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_057" title="57"> </a> -»Ach, das ist ja ein Schmetterling, der heißt –« und -dann nannten sie einen langen, lateinischen Namen. Und -andere sprachen:</p> - -<p>»Das ist ja ein Sonnenstrahl, und nun ist es Frühling -geworden. Der Frühling ist eine natürliche, höchst angenehme, -alljährlich wiederkehrende Naturerscheinung. Es ist -gar nichts Märchenhaftes daran.«</p> - -<p>Aber nun waren es der kleine Junge und das kleine -Mädchen, welche lachten – sie wußten es ja viel besser. -Sie liefen in den Wald hinein – da tanzten die Blumen -mit den Elfen und Kobolden, und die Kinder waren mitten -unter ihnen. Das Märchen schenkte ihnen den Frühlingswein -aus Blütenkelchen, und sie lagen auf weichem Moos -und guckten in den blauen Himmel hinein, von dem die -weißen Wölkchen winkten und grüßten und weiter segelten.</p> - -<p>Das Märchen aber wuchs und wurde größer und wurde -eine liebliche Jungfrau und ein blühendes Weib; und dann -wurde es ein liebes, eisgraues Mütterlein, und dann – -ja, dann spann es sich wieder ein, wie eine Schmetterlingsraupe -und kam lange, lange nicht mehr; nur zur Zeit der -Wintersonnenwende, als die weißen Grüße vom Himmel -an der alten Eiche im Walde vorüberwehten, da öffnete -es die blauen Märchenaugen ein wenig und blinzelte um -sich, und dann schlief es wieder ein und wartete auf den -singenden, sausenden, brausenden Frühlingswind.</p> - -<p>Und der kleine Junge und das kleine Mädchen wuchsen -auch und wurden größer und schöner und wurden Mann -und Weib; dann spannen sie sich auch ein, in sich und ihre -Welt; und dann erzählten sie ihren Kindern und Kindeskindern -das Märchen vom Märchen, das gar nicht kommen -wollte, und endlich, endlich doch gekommen war. – –</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_058" title="58"> </a> -Klein Hildegard.</h2> - - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">Klein Hildegard wollte zur Schule gehn,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da blieb am Walde sie sinnend stehn;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Der sah sie mit winkenden Augen an,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Vöglein lockten aus dem Tann:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Klein Hildegard, komm, so schön ist's hier,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wir rauschen Dir Märchen, wir singen Dir</td></tr> - <tr><td class="tdl">Von Elfenkönigs goldenem Thor</td></tr> - <tr><td class="tdl">Viel Süßes, Geheimnisvolles ins Ohr;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wir singen Dir von des Nixen Spiel –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Tief unten im Wasser, da weint er so viel.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wir streuen Dir duftende Blumen umher,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Der Wind regt die Zweige, brausend wie's Meer.«</td></tr> - <tr><td class="tdl">– Doch Hildegard richtet sich ernsthaft auf</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und schickt sich wieder an zum Lauf:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Zur Schule, zur Schule!« die Mutter spricht,</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Im Walde spielen, das darfst Du nicht!«</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da fällt, plumps! von dem Tannenast</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ein Zapfen auf das Näschen fast:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Au! böse Tanne!« schilt das Kind,</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Bist unartig, wie Kinder sind!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Willst mir wohl gar was sagen, gelt? –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ei nun, so rede, wenn's gefällt!«</td></tr> - <tr><td class="tdl">Lieb schmiegt klein Hilde sich heran<a class="pagenum" id="page_059" title="59"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">Zum rauhen Stamm der alten Tann.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Vergessen ist Schule, der Mutter Gebot –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ja, Sonntagskinder machen viel Not. –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Vom Tannenbaum fall'n – tip, tip, tap,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die würz'gen Nadeln sacht herab.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und, wie sie rieseln, wie sie fallen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Hört Hilde Stimmchen draus erschallen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die lullen's Kindchen kosend ein</td></tr> - <tr><td class="tdl">In seltsamliche Träumerein;</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Zur Schule geh', mein liebes Kind,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Doch da nicht, wo die andern sind.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Geh' Du zur Schule in dem Wald;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Was Du da lernst, vergißst Du nicht bald.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Denn hier im Wald, da lernst Du verstehn,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Was Bäume rauschen und Blüten verwehn;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Warum am ewigen Himmelszelt</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Wolken ziehen über die Welt;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Was Blumen duften, Vöglein singen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Was Bächlein murmeln, Stürme klingen – –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Was unsere ganze schöne Welt,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die kunterbunte, zusammenhält – – –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Horch nur auf jedes Gezirpe fein,</td></tr> - <tr><td class="tdl">So wirst Du bald klug wie Waldvöglein sein.«</td></tr> - <tr><td class="tdl">So spricht im Walde die alte Tann',</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und Hilde hält den Atem an,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Daß ihr die Wörtlein nicht entrinnen.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Dann wandert lustig sie von hinnen.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Es grüßen Blumen von allen Seiten,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und Hilde nickt, als weitergleiten</td></tr> - <tr><td class="tdl">Im weichen, kühlen Gras und Moos</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die kleinen Füße, nackt und bloß.</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Pflück' mich,« spricht die Königskerze,<a class="pagenum" id="page_060" title="60"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">»Sieh', wie ich gen Himmel schwanke,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Schlanker Stab aus Sammetblättern,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Bin ganz Sehnsucht, ganz Gedanke, –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Vor Idealen, hoch und hehr,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Seh' ich den eignen Stamm nicht mehr!«</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da lacht das kecke Heidekraut:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Ich wurzle in der Erde traut;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und wie ich dufte, wie ich blühe,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und wie ich stark und kräftig bin,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und wie ich feurig rot erglühe –</td></tr> - <tr><td class="tdl">All das gab mir die Erde hin!« –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Horch! Welch ein feines Stimmchen schallt</td></tr> - <tr><td class="tdl">Vom nahen Eichstamm durch den Wald?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die wilde Weinblüt' ist's, die spricht</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ganz spöttisch: »O, Ihr dummen Wicht'!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Vom Himmel träufelt uns der Regen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Vom Himmel wärmt die liebe Sonn',</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und Mutter Erde will uns hegen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wenn Frost und Eise starren schon.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ich lieb', was mir der Himmel gab,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Erd', in der ich Wurzeln hab'.«</td></tr> - <tr><td class="tdl">So flüstert's, lacht es auf und an;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Klein Hilde pflückt so viel sie kann.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Schau! Dieses bunte Blumenmeer! –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Fast wird's dem Aermchen gar zu schwer.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Im schilfigen Gras glüht rot es auf.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Pechnelken stehen da zu Hauf,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und schütteln ihre Federköpfe,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und spreizen sich, die eitlen Tröpfe.</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Ei, liebes Kind, mußt mich ansehn,«</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Eine spricht, »bin wunderschön!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Brichst mich in meinem Purpur-Prangen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">So bleibst an meinem Stengel fein<a class="pagenum" id="page_061" title="61"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">Unwiderstehlich daran hangen</td></tr> - <tr><td class="tdl">Mit Deinen Kinderhändchen rein;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wer mich nur einmal hat berührt,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Stets neue Lust nach mir verspürt.«</td></tr> - <tr><td class="tdl">Doch – »Bim – bam!« klingelt da die Blaue,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Glockenblum', »Nur der nicht traue!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Denn Lüg' ist Alles, was sie spricht –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Kennst Du das alte Sprüchwort nicht?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wer Pech anfaßt, besudelt sich!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und das ist richtig, sicherlich!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Hör', rote Nelke, das ist schlimm!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das Glöcklein läutet stets: Bim – bim!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und öffnest Du den Lügenmund,</td></tr> - <tr><td class="tdl">So klingelt es ganz kunterbunt:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Bimbam, bimbam, bimbam, bimbum!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Du Federnelke, bist Du dumm!«</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und lachend steht Klein Hildegard</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und droht dem blauen Glöcklein: »Wart',</td></tr> - <tr><td class="tdl">Du lieber Schelm, jetzt pflück' ich Dich,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Dann läutest Du »Bimbim!« für mich,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und läutest artig mich nach Haus;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Doch jetzt ruh' ich mich erst 'mal aus.«</td></tr> - <tr><td class="tdl">Es winkt der gelbe Ginsterbusch,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und wie das graue Häslein – husch! –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Schlüpft unser Kind geschwind hinein</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ins goldne Blütenbettelein,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und dehnet wohlig sich zur Ruh',</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und schließt die müden Aeuglein zu.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Blumen hält im Arm sie fest,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Denn wenn man die gewähren läßt,</td></tr> - <tr><td class="tdl">So fangen sie zu leben an</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und wandern fort durch Wald und Tann.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Es ist just um die Mittagsstunde.<a class="pagenum" id="page_062" title="62"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">Wo Waldesgeister ziehn die Runde.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Kennst nicht das Waldesweben Du?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wenn rings im Wald ist tiefe Ruh',</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und doch ein seltsamliches Weben</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ein raunend, flüsternd Zauberleben?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Bäume stehen still und stumm,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Kein Blättlein reget sich ringsum.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Im Schatten schläft das Vöglein lieb,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Reckt sich einmal, sagt leise: »Piep!«</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und plustert seine Federlein</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und schläft dann sänftlich wieder ein.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Doch die Frau Sonne, die ist wach</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und luget durch das Blätterdach.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Es tanzt auf ihrem Flimmerstrahl</td></tr> - <tr><td class="tdl">Der blanken Sonnengeister Zahl.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Im hohen Grase zirpt die Grille –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Nun zirpt es Antwort – dann wird's stille.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Der Falter taumelt über Blüten,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das sind die Schäflein, die muß er hüten;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Doch in dem heißen Sonnenschein</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da schläfert's ihn mitunter ein;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und ist er wieder aufgewacht,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Dann hat sie sich davon gemacht,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Blüten-Herde, und fliegt wie er,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Im hellen Sonnenglanz umher.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Dann hebet an ein Singen, Klingen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Von Märchen, wunderlichen Dingen;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das Bächlein gluckst sein schelmisch Lied,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und Moos und Steinchen singen mit.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Vergißmeinnicht am Rande träumt:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Hat's Wiederkommen er versäumt?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ich rief so oft: Vergißmeinnicht!</td></tr> - <tr><td class="tdl">In weiter Ferne – hört er's nicht?«<a class="pagenum" id="page_063" title="63"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">Der Ginster winket zu ihr her:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Klein Blümchen, was verlangst Du mehr?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Kannst, kleine Blaue, Du's verstehn?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Lieb' soll nie von Liebe gehn –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Sonst geht die Treue hinterdrein.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ich sing' ein Lied Dir – lausche fein:</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Ueber die Heide weht der Wind,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da sitzt das blasse Königskind,</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Singt: Leide, leide, leide –</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Bei Sonnenlicht und Sternenschein</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da suche ich den Buhlen mein –</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Wo weilt er auch am Wege?</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Ach, wollt', er wäre noch bei mir,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ich wollt' ihn küssen und herzen schier</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Auf stiller, stiller Heide.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Ach, wollt', ich läg' in seinem Arm,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ich wollt' vergessen allen Harm,</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Wollt' lachen nur und kosen.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Ueber die Heide weht der Wind,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da sitzt das blasse Königskind,</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Singt: Leide, leide, leide.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Und wartet noch gar manches Jahr –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und kämmet ihr langes, goldnes Haar,</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Das wehet in dem Winde.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Und als der Bub dann kommen ist,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Der sie so oftmals hat geküßt,</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Da sucht er auf der Heide.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">War da ein feiner Ginsterstrauch,<a class="pagenum" id="page_064" title="64"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">Des gelbe Blumen strahlten auch</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Wie lauter lichtes Golde.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Da hat er so viel weinen 'müßt,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und hat die Ginsterblumen 'küßt – –</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Dann ist er fortgezogen.«</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Und als verklungen ist die Weise,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da reget sich Klein Hilde leise:</td></tr> - <tr><td class="tdl">In ihrem Arm die Blümelein,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die fangen an zu reden fein.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das Löwenzähnchen schilt: »O Ginster,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wie sind doch Deine Träume finster!«</td></tr> - <tr><td class="tdl">»<i>Noblesse oblige!</i>« ruft Rittersporn,</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Auch in der Lieb' – bei meinem Zorn!«</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und trotzig mit gar mut'gem Sinn</td></tr> - <tr><td class="tdl">Grüßt er zur Wickenblüte hin;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Verschämt senkt die das Köpfchen tief,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ein lieblich Rot sie überlief. –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da lacht es plötzlich neben ihr:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Ich halt' die Liebe weg von mir!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ich wehre mich vor jedermann –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und fühlt, wie ich doch brennen kann!«</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da jubeln alle auf und sagen:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Hört – Brennessel will auch was wagen!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Geh', Unkraut, pfeife uns ein Lied,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Im Chorus singen wir dann mit.«</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und neckisch stimmt die Grüne dann</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das Nessellied, und hebet an:</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">»Ich wollt' einmal spazieren gehn,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Am Rain, wo bunte Blumen stehn.«</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Und jauchzend fällt der Chorus ein:<a class="pagenum" id="page_065" title="65"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">»Nessel, Nesselbusch am Rain!«</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">»Da schaut ein weißes Blümlein 'raus,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und ach – so schämig sah es aus.«</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Und jauchzend fällt der Chorus ein:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Nessel sieht so schämig drein!«</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">»Und als ich bückte mich danach, –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Gar plötzlich mir's den Finger stach.«</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Und jauchzend fällt der Chorus ein:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Nessel, Nessel, wehr' Dich fein!«</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">»Ei, böse Blume, halt' doch still</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wie die andern, wenn ich Dich brechen will!«</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Und jauchzend fällt der Chorus ein:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Nessel, – hörst – sollst stille sein!«</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Da lacht die grüne Blum' und spricht:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Ja Brennesselblüten, die pflückt man nicht!«</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Und jauchzend fällt der Chorus ein:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Brennt die Nessel – laß sie sein!«</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Nun reichen alle sich die Hände,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und singen's Tanzlied: »Wende, wende</td></tr> - <tr><td class="tdl">Dich her zu mir, und auf und ab.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Zieh' die Kreise, zart und leise,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Sing' die alte Wunderweise,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wie die Blumenfee sie gab.</td></tr> - <tr><td class="tdl">In den Blüten schläft das Kind –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Küsse, küsse es geschwind,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Daß es eins der unsern werde;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Daß es blumenduftig schwebe,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Daß es waldesselig lebe</td></tr> - <tr><td class="tdl">Auf der hellen, grünen Erde.«<a class="pagenum" id="page_066" title="66"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">Da ist klein Hilde aufgewacht,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und hat die Aeuglein aufgemacht:</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und all die Sonnenpracht umher!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und all das Duften, süß und schwer!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und sieh' – die Blumen neigen sich,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Umkreisen sie gar seltsamlich –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Sie trägt ein rosenfarben Kleid,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das strahlet hell von Taugeschmeid'.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und Rosen trägt sie in dem Haar,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und Rosen in den Händen gar.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Blumen knieen vor ihr hin:</td></tr> - <tr><td class="tdl">Heil unsrer Rosenkönigin!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und eh' sie weiß, wie ihr geschah,</td></tr> - <tr><td class="tdl">So ruhet sie auf Rosen da;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und allgewärtig ihren Winken</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Blumen stehn zur Rechten und Linken,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und Hilde grüßt nach allen Seiten</td></tr> - <tr><td class="tdl">Huldvoll, wie sie vorüberschreiten.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Aus Blumen trinkt sie den Blütenwein</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und nascht den goldnen Honigseim.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Sonne wirkt ihr die goldne Kron'</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und die glänzenden Flitter für den Königsthron.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Schmetterlinge tanzen vor ihr,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Grillen spielen auf dafür.</td></tr> - <tr><td class="tdl">So ruhet sie an Baches Rand</td></tr> - <tr><td class="tdl">Als Königin übers ganze Land.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Da – horch! was rauscht es ihr zu Füßen?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und welch ein Nicken, Winken, Grüßen</td></tr> - <tr><td class="tdl">Von Blum' und Moos am Ufer dort?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das Wasser schwillet fort und fort –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und aus den grauen Nebelwogen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da kommt es zu ihr hergezogen<a class="pagenum" id="page_067" title="67"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">So wunderselig. Aus dem Fluß</td></tr> - <tr><td class="tdl">Erhebet sich mit süßem Gruß</td></tr> - <tr><td class="tdl">Der Nix in silbernem Gewand</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und hält die Harfe in der Hand</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die gibt gar traurig hellen Ton –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ob's Glück mit Thränen gemischt sei schon.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Er breitet die Arme aus nach ihr:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»O Rosenkönigin, komm' zu mir!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ich will in meinem Arm Dich hegen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ich will Dich schaukeln auf der Flut;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die zarten Glieder sollst Du legen</td></tr> - <tr><td class="tdl">Auf Wasserrosen, – da ruht sich's gut.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Mit meinen Fischlein sollst Du spielen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ein neckisch Haschen, her und hin –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die kleinen, weißen Füßchen kühlen</td></tr> - <tr><td class="tdl">In klaren Silberwellen drin.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Es ist so einsam in der Tiefe,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Im Wasserhaus so kalt für mich –.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und kämst Du wohl, wenn ich Dich riefe?</td></tr> - <tr><td class="tdl">O Königin, ich hole Dich!«</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Da wird Klein Hilde das Herz so weh –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Es ruft in ihr: O geh', o geh'!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wie wird es ihr so seltsam kalt?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Was zieht es sie mit solcher Gewalt?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wie schwillt das Wasser immer mehr –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da kommt der Nix gar zu ihr her,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und faßt sie mit feuchten Armen an –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Klein Hilde sich kaum noch regen kann.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Vor Angst, vor Glück? – Sie weiß es nicht,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Es küßt der Nix ihr blasses Gesicht;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Er wieget sie in seinem Arm,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Es wird ihm – ach – so wohlig warm;<a class="pagenum" id="page_068" title="68"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">Er will sich rauben das junge Blut</td></tr> - <tr><td class="tdl">In tiefe, rauschende Silberflut.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Klein Hilde schaudert – an seine Brust</td></tr> - <tr><td class="tdl">Zieht er sie eng mit sehnender Lust –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Schon netzt das Wasser ihr Gewand,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Er zieht sie hin mit zwingender Hand –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Nun sinkt Klein Hilde sacht hinab</td></tr> - <tr><td class="tdl">In des Nixen stilles Wassergrab. –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und horch! wie's um sie rauscht und singt!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wie's brausend durch die Lüfte klingt!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Klein Hilde, wache auf geschwind,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Sonst weht der wilde Brausewind</td></tr> - <tr><td class="tdl">Dich wirklich in das Bächlein dort –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Zum Schlafen einen bösen Ort</td></tr> - <tr><td class="tdl">Hast Du Dir eben ausersehn.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und dann mußt Du nach Hause gehn:</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Schule ist schon lange aus,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und alle Kinder schon zu Haus.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da hat Klein Hilde sich erhoben</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und schaut verwundert hin nach oben,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wo Wolken ziehen kreuz und quer,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Gar über die liebe Sonne her.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wie war doch alles das geschehn?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Hat sie den Nixen nicht gesehn?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ist nicht am Saum ihr Röckchen naß?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das ist doch nicht vom feuchten Gras?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wo ist ihr Rosenkleidchen hin?</td></tr> - <tr><td class="tdl">War sie denn nicht die Königin?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Bäume neigen sich um sie her,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das kommt vom Wind, der wehet sehr,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Der pfeifet ängstlich durch den Tann;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Klein Hilde hält den Atem an –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Es wird ihr plötzlich so beklommen<a class="pagenum" id="page_069" title="69"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">Da hat sie hurtig aufgenommen</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Blumen alle nebendran,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und springt davon so schnell sie kann.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Jetzt ist sie auf der kleinen Brücke,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da rauscht es unter ihr voll Tücke:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Da, Wassermann,« ruft sie geschwind,</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Da, nimm das bunte Blumenkind!«</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und wirft ein schönes Blümelein</td></tr> - <tr><td class="tdl">In Wassermannes Haus hinein.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Mit weißer Hand greift der es an,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und strudelnd sinkt's zur Tiefe dann.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Und als Klein Hilde kam nach Haus</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und hat gesagt, was sie gesehn,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und hat erzählt, was ihr geschehn –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Da lachen sie Klein Hilde aus.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und scheltend streng die Mutter spricht:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Im Walde spielen sollst Du nicht!«</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und Hilde setzt ins Eckchen sich</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und weinet, weinet bitterlich.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Klein Hilde, werde wieder froh;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Uns Großen geht es ebenso:</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wenn wir im Walde etwas sehen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Was all die andern nicht verstehen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">So lachen sie uns auch nur aus</td></tr> - <tr><td class="tdl">In diesem weisen Weltenhaus.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und Mutter Ordnung ernsthaft spricht:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Der Phantasie bedarf man nicht!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Poesie – die braucht man nicht!</td></tr> - <tr><td class="tdl">Mehr sehn, wie andre, soll man nicht! –«</td></tr> -</table> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_070" title="70"> </a> -Das Märchen, -das verloren gegangen war.</h2> - - -<p>Das war, als ich einmal spazieren ging und tiefsinnige -Gedanken hatte – worüber? – Sie waren zu tief, um das -ergründen zu können. Vielleicht war's, ob die Welt da um -mich her mit ihren langen Straßen und engen Häusern eine -wirkliche Welt sei oder ob ich sie mir bloß einbilde, und ob -die Menschen, die mir begegnen, wirklich so blödgesichtig dreinschauen, -oder ob ich bloß Schwingungen in meinem Gehirn -und Augen habe, die mir das alles so erscheinen lassen – -ja, vielleicht war's das, worüber ich nachdachte. Und neben -mir her trippelte ein feines Etwas mit großen Augen, -und das kicherte und plapperte mit einem leisen murmelnden -Stimmchen wie ein kleiner Bach; und weil mich das -in meinem tiefsinnigen Denken störte, sagte ich:</p> - -<p>»Ei, so sei doch ruhig und stör' mich nicht!«</p> - -<p>Da schwieg das feine Etwas erschrocken still. Aber -als das liebliche Gemurmel nicht mehr neben mir einherging, -konnte ich erst recht nicht denken, und als ich mich -ungeduldig umwandte, da hatte ich das Märchen verloren. -Nun war mir's ganz ungemütlich zu Mut. Ich ging gleich -wieder zurück, blickte rechts und links, hinter jeden Baum, -<a class="pagenum" id="page_071" title="71"> </a> -und unter die trockenen Blätter, die darunter lagen, aber -nirgends leuchteten die Zauberaugen meines Märchens.</p> - -<p>Da fragte ich die Uhr, die vor mir hoch oben in einem -langen, spitzen Kirchturm saß:</p> - -<p>»Du wohnst so hoch und hast einen weiten Ausblick – -hast du mein Märchen nicht gesehen?«</p> - -<p>Aber die Uhr sagte nur: Tick-tack-tick-tack! Und -als sie schnarrend zu einer Antwort einsetzte, da sagte sie -mit rasselnder Stimme eine ganze Menge Zahlen her – -als ob Zahlen etwas mit einem Märchen zu thun hätten! -Nun fragte ich die Leute auf der Straße:</p> - -<p>»Ihr seid so klein, und guckt immer auf die Erde – -habt Ihr mein Märchen nicht gesehen?«</p> - -<p>Aber die antworteten: »Eine solche Person kennen wir -nicht. Und wenn sie Dir gehört und weggelaufen ist, so -zeige es doch bei der Polizei an« – – als ob eine blauröckige -Polizei mit einem Knüppel ein Märchen einfangen könnte!</p> - -<p>Nun fragte ich die Bäume im Park, an dem ich vorüberging. -Aber die standen ganz still und regten sich nicht -und ließen nur zwei, drei gelbe Blätter vor mir niedersinken. -Da merkte ich, daß es Stadtbäume waren und zu gebildet -zum Antworten auf eine Märchenfrage, und weil ich -nun durchaus mein Märchen, das ich so leichtsinnig verloren -hatte, wieder haben mußte, so ging ich auf Reisen, -ihm nach.</p> - -<p>Ich kam an ein großes Wasser, das lag friedlich da, -wie eine grünsammetene Wiese, auf der kleine Grabhügel -sich wölben, über und über bedeckt von weißen Maßliebchen. -Mir war es, als ob mein Märchen sein goldenes -Haupt lächelnd aus diesen Grabhügeln strecke, und als ob -es kichere: »Nicht in Gräbern findest Du mich – ich bin -das Leben!« – Aber da kam ein zarter, grauer Nebel und -deckte die grüne Sammetwiese und die Maßliebchenhügel -<a class="pagenum" id="page_072" title="72"> </a> -zu, und nur ganz in der Ferne sah ich es aufblitzen wie -weiße Mövenflügel.</p> - -<p>Ich kam an eine Insel, darüber flutete ein warmes -Abendrot, und ein Rauschen, ein bedeutsames Raunen zog -durch die Wipfel der hohen, stillen Bäume, als spräche mein -Märchen zu mir aus tausend Zungen. Bunte Blumen standen -auf der Insel, die sie die »Schöne« nannten, und sahen -mit stillen Augen zu den Sternen auf, die ganz zart und -licht am Abendhimmel aufleuchteten, wie die ersten Liebesgedanken -in einer weichen Mädchenseele. Leise glucksten -kleine lustige Wellchen gegen das Ufer, als lachten sie über -die Wassernixen, die mit ihren weißen Entenfüßchen das -Ufer heranklimmen wollten und immer wieder ins laue -Wasser plumpsten. Wie nah', wie nah' war mir mein Märchen! -Ich fühlte es mich umwehn – aber als ich danach -haschte, sah es mich mit tiefen Augen spottend an, und ich -griff in die Luft.</p> - -<p>Danach sah ich mein Märchen wieder in einem Krankenzimmer; -da saß es tief verborgen in dem großen weißen -Kelch einer Lilie. Aus deren sammetigen, weißen Blütenblättern -lagen rote Tropfen, als habe das Märchen blutige -Thränen geweint, und es sah mit himmlisch klaren Augen -in die Weite. Wie ein Hauch flog es durch das Gemach: -»Hier kannst Du mich nicht halten, da würde ich vergehen -vor Traurigkeit« – – und husch! wie ein Flügelschlag – -da war's aus dem Fenster, und die Menschen um mich -sahen sich fragend an: Was war das?</p> - -<p>Eines Morgens, ganz, ganz früh, als die Nacht auf -ihrem Lager flehend die Arme hob, den leuchtenden, ihr -entfliehenden Tag zu halten, da erwachte ich und sah etwas -Weißes, Flüchtiges von meiner Seite davonschweben. Und -es umgab mich ein leises Klingen, und Worte tönten – -war's in mir? war's um mich? – Horch:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">Die Nacht, als ich geschlafen hab',<a class="pagenum" id="page_073" title="73"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">Da lag das Glück bei mir;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Im Morgenschimmer sah ich nur</td></tr> - <tr><td class="tdl">Entfliehn die weiße Zier.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Es lächelt, nickt und winkt mir zu:</td></tr> - <tr><td class="tdl">»Du hast es nicht gewußt,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Daß schlummernd ich mein Köpfchen hab'</td></tr> - <tr><td class="tdl">Gelegt auf Deine Brust;</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Wärst Du erwacht, hätt'st mich gefaßt,</td></tr> - <tr><td class="tdl">So wär's um mich geschehn –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Nur leis, nur heimlich darf das Glück</td></tr> - <tr><td class="tdl">An Deiner Seite gehn.«</td></tr> -</table> - -<p>Nun hatten es viele gute Menschen gehört, daß ich -mein Märchen nicht wieder finden könnte, und weil sie ein -verloren gegangenes Märchen für etwas sehr Trauriges -hielten – ganz anders als die in der Philisterstadt, die -gar nicht recht wußten, was ein Märchen war – da wollten -sie mir alle suchen helfen. Aber sie thaten es mit so viel -Bewußtsein und Ueberlegung, daß das Märchen sich immer -tiefer versteckte; und selbst der rauschige Weinduft, der ausgesandt -wurde, nach ihm zu forschen, kehrte statt mit meinem -lieblich plappernden Märchenkinde mit einem wolligen, miauenden -Kätzchen zurück, das gar scharfe Krallen zeigte.</p> - -<p>Da ging ich in die Einsamkeit. Ich kam an wildes, -weites Wasser, das rauscht und brodelt und donnert, als -wolle es eine Welt vernichten – oder emporheben. Und -eine Brücke führt über die weiße Gischt, die ging ich hinüber. -Da war ich auf einer Insel mit hohen, wiegenden -Bäumen; die hielten Felsblöcke mit ihren Wurzeln umklammert -wie mit riesigen Greifenklauen. Und da war -noch eine Insel, und noch eine, und noch eine. Zwischen -ihnen drängte sich überall das weiße Wasser hindurch; es -<a class="pagenum" id="page_074" title="74"> </a> -war so klar, daß man die kleinen Mooswälder auf dem -Gestein unter ihm sehen konnte, und die Höhlen, dunkelblau -und tiefgolden, in denen die Wasserkobolde wohnen. -Wie ich nun an der äußersten Spitze der letzten kleinen -Insel angekommen bin und hinsehe über das weite, schäumende -Wasser, da sitzt dicht vor mir, nahe am brausenden -Wasserabsturz, mein Märchen auf einem Felsblock. Es -hat seine nackten Beinchen hoch heraufgezogen, damit sie -nicht naß werden, und umschlingt die Kniee mit den weißen -Armen; das Haar rollt silberglänzend um die kleine Gestalt, -wie der sonnendurchleuchtete Kamm einer Woge, und -die meergrünen Zauberaugen sehen zwingend zu mir hinüber. -So sitzen wir beide und lächeln uns an, so froh, -daß wir uns wieder haben, und dann erzählt das Märchen:</p> - -<p>Weit droben im großen See tief auf dem Grund, da -steht das Schloß des alten Wasserkönigs. Von grünem, -strahlendem Krystall ist es erbaut, und die Wände sind so -klar, daß der Wasserkönig mit seinen seegrünen Augen hindurchschauen -kann und alles sieht, was in seinem Reiche -vorgeht. Wenn die Fische rebellieren wollen, dann weiß -er es schon, noch ehe sie den revolutionären Gedanken gefaßt -haben, und der Kopf wird ihnen abgebissen, ehe sie -wissen, wo er ihnen eigentlich sitzt. Ja, der König führt -ein strenges Regiment, sogar unter den weiblichen Unterthanen, -und manch hübschem Nixlein bebt das goldschillernde -Schwänzchen, wenn der König musternd die Reihen durchschreitet; -denn manch Nixlein hat ein böses Gewissen, und -– ach, die königlichen Zwillingssöhne sind gar so herzliebe -Gesellen.</p> - -<p>Da berief der König eines Tages seinen Hofstaat um -sich. Er saß auf einem Thron von goldglänzendem Kiesel, -auf dem weißen Haupte trug er die Seekrone von Smaragden, -und in den langen silbernen Bartwellen funkelten -<a class="pagenum" id="page_075" title="75"> </a> -die Schaumperlen. Ringsum harrte das Gesinde in ehrfürchtigem -Schweigen, kaum, daß die beweglichen Schwänzchen -hin und her zuckten. Vor ihm aber standen die Zwillinge -und warteten des königlichen Vaters Befehle. Schöne, -schlanke Burschen sind's, mit festen Gliedern und kühnen -Augen. Die des einen mit der gedankenvollen Stirn -hingen an den Lippen des Vaters; die des andern, Rastlosen, -Trotzigen, flogen lächelnd und kosend über die Schar -der Nixlein, durch deren Reihen eine plötzliche schillernde -Bewegung ging. Der Wasserkönig aber sprach:</p> - -<p>»Prinzen, Ihr habt gelernt, wie man im Wasser lebt, -herrscht und richtet. Es ist Zeit, daß Ihr Euch die Wasserfläche -draußen anseht. Bahnt Euch eine Straße, zerschmettert, -was Euch im Wege ist, und erobert Euch Euer Reich. -Ziehet hin in Frieden und beherrschet künftig Eure Unterthanen -mit Zucht und Strenge.«</p> - -<p>Unwillkürlich ruckten die Fische mit ihren Köpfen bei -dieser Rede, ob sie auch noch festsäßen, und die Nixen und -Wassermänner zupften sich an den Flossen, ob sie die auch -noch hätten. – Die schönen Zwillingsbrüder aber schwammen -Hand in Hand in die Welt hinaus. Zuerst waren sie sehr -übermütig, schlugen Purzelbäume, daß die Wellen in die Höhe -klatschten, und neckten die Fische, die pfeilschnell an ihnen -vorüberflohen. Dann wurden sie stiller und träumerisch, -wiegten sich Hand in Hand an der spiegelglatten Oberfläche -des Wassers und sprachen von den Heldenthaten, die sie -verrichten wollten. Der mit der hohen Stirn und den -schwärmerischen Augen lispelte von der hohen, der herrlichen -Welt, die er sich erträume und die er besitzen müsse, koste -es, was es wolle. Der Trotzige aber lachte dazu: »Leben -will ich – und lieben und genießen!« rief er und schüttelte -übermütig eine ganze Welle voll Flußsand über des Bruders -schönem Haupte aus, daß der prustete und sich schüttelte -<a class="pagenum" id="page_076" title="76"> </a> -wie ein nasses Menschenkind. – Nun kamen sie an einen -hohen, grünen Wald, der lag mitten in ihrem Weg und -machte auch keine Miene, ihnen auszuweichen.</p> - -<p>»Zerschmettert, was im Wege steht!« wiederholte der -mit der hohen Stirn. »Komm, laß uns die Bäume niederreißen, -und die Felsen zerbröckeln.«</p> - -<p>»Pah,« lachte der Wilde, »wozu die Arbeit, die eine -Ewigkeit dauert? – Weiter, weiter will ich, ins Leben -hinein! – Hör', laß uns den Bäumen aus dem Wege -gehen, Du dort herum, und ich hier, und dann wollen wir -sehen, wer zuerst ankommt, zuerst sein Ziel erreicht – Du -oder ich!«</p> - -<p>Das reizte den Zwillingsbruder; wußte er doch, daß -er natürlich der Erste sein würde. Ein flüchtiges Lebewohl -nur, und er brauste dahin, ungestüm, hier ein Stück Fels -wegreißend, dort einen Baumstamm mit sich zerrend. Er -sah nicht die Welt um ihn; er sah nur in die Ferne, wo -seine Welt liegen mußte, die er erträumt, die er besitzen, -beherrschen wollte. Nur immer weiter, weiter, dahin, wo -der zarte Dunst aufsteigt, wo ein erster Sonnenstrahl glitzert -wie auf Türmen – die seines neuen Reiches – und in -wilden Sprüngen, brausend und jauchzend, setzt er der -Traumwelt nach, bis er schwankt und schwankt und ihm -schwindelt, und er den Boden unter den Füßen verliert, -und er in den Abgrund stürzt, in den Abgrund von erträumter -Leidenschaft. Es war ein jäher Sturz. In ihm -zerschellen alle seine Träume, alle seine erhabenen Gedanken. -Voll Grausen blickt er hinauf zu der schwindelnden Höhe, -auf der er einst geweilt hatte: so groß und erhaben hatte -er sich das Leben gedacht, nichts hatte er haben wollen, -keine Freude, keine Liebe, nur Größe und immer mehr -Größe. Nun trieb er dahin in einem breiten, gemächlichen -Strombett, immer mehr wiegend, erschlaffend, duselnd – -<a class="pagenum" id="page_077" title="77"> </a> -und nur wie weißer, kreisender Schaum trieb die Erinnerung -auf seinen langsam sich wälzenden Fluten. Einmal -schaute er sich um nach seinem Bruder: eine brausende, -dampfende Gischt in der Ferne verhüllte alles hinter ihm.</p> - -<p>Der trotzige, lächelnde, genußsüchtige Zwillingsbruder -aber war gar gemütlich seines Weges gezogen, hatte die Bäume -auf der schwimmenden Insel neckisch an den Zweigen gezupft, -wie die unnützen Buben die schmollenden Schulmädchen -an den Zöpfen, hatte seine neugierigen, geschwätzigen Fluten -durch jeden kleinen Felsengang geschickt, bis er mitten durch -die Insel hindurchlugen konnte, und da sah er etwas sehr -Liebliches. Nicht eine Insel war es nämlich, sondern neben -der großen, die das Königreich einer vornehmen alten -Waldnymphe war, wie die Wasserboten berichteten, lagen -noch drei kleinere, und jede von ihnen hatte ein Töchterlein -der Waldkönigin zur Herrin, und sie lebten da in -eitel Freude und Lustbarkeit. Keinen Gebieter wollten sie -über sich erkennen und frei wie die Luft leben, so lange -die Welt steht. Da kam jetzt der schöne Flußheld geschwommen, -ganz nahe an die Insel der ersten Schwester -heran, siehe, da steht ein wunderschön Jungfräulein, mit Guirlanden -von Blumen umwunden und ein fröhlich Liedchen -summend. Und horch! wie die Antwort zu ihr aufsteigt -aus den weißen Wassern, die plötzlich aus dem Dunkel der -Felsen hervorbrechen und sie erschrecken, daß sie schreiend -davonläuft. Er aber schwimmt ihr nach, rund um die -Insel, siehe – da sitzt auf einem Felsblock der zweiten -kleinen Insel ein noch viel schöneres Jungfräulein, die -schüttelt ihr lockiges Haar, als sie die weißen, starken Arme -des Flußhelden sieht, die er nach ihr ausstreckt. Und sie -lacht höhnisch und nimmt spitzes Gestein und wirft es nach -ihm, daß ihn die scharfen Kanten ritzen. Da wird er -zornig und will aufwallen – doch ach, drüben auf der -<a class="pagenum" id="page_078" title="78"> </a> -letzten, kleinsten Insel, da sitzt am Ufer, mit den Füßen -die neuen Wellen patschend, das dritte Prinzeßchen; und -sie hat langes, güldenes Haar, und die meerblauen Augen -sehen neugierig zu ihm hinüber, und die schönen Glieder -wiegen sich mit den Wellen. Da schwimmt er ganz nahe -zu ihr, legt seine große Männerhand um ihr weißes, weiches -Füßchen, und sie lächelt nur – da zieht er sie hinab in -seine schaukelnde, weite Wasserwiege. Wie eine Wehklage -braust es durch die Waldwipfel; aber sein Jubelruf übertönt -die Klage, und weit enteilt er, seine Beute bergend -vor Fels und Abgründen. Regungslos liegt die Schlanke, -Weiße in seinen Armen. Sie kann ja nicht sprechen im -Wasser, nur die meerblauen Augen sehen ihn an, und -tief drin liegt eine stille Klage: Warum hast du mich in -ein fremdes Element gezogen? Warum dich zum Herrn -gemacht über ein freies Geschöpf?</p> - -<p>Nun wußte er eine Grotte, darin sollte die stille, weiße -Geliebte wohnen. Tiefgrün war es darin von lauter Smaragden, -und das Edelgestein leuchtete und funkelte wie von -tausend Lampen. Der trotzige Held aber webt und webt, -und webt mit seinen Wasserfäden den schönsten Brautschleier -von kostbaren Spitzen, und er hängt das duftige -zarte Gewebe, so hoch, so fein, rund im Halbkreis vor das -smaragdene Wasserschloß, daß niemand seine Heimlichkeit -störe, keiner seine weiße Braut, zu deren Füßen er ruht, -ihm rauben könne. Sie aber spielt in seinen langen Haaren, -küßt seinen roten Mund, legt ihr Köpfchen an seine breite -Brust – aber immer wieder fragt sie: Wo ist die Sonne? -die goldene Sonne?</p> - -<p>Und eines Tages, als er fern ist, da wird die Sehnsucht -nach dem Licht so mächtig in ihr, daß sie der Wasserkobolde -und neckischen Nixen vergißt, die draußen ihr Wesen -treiben und die Spitzenschleier immer wieder erneuern und -<a class="pagenum" id="page_079" title="79"> </a> -verdichten. Ganz nahe tritt sie heran an die zauberischen -Vorhänge – wie hell, wie licht es da ist; sie rückt ein -wenig daran, sie lüpft ein zartes Eckchen. – Siehe, da über -den wogenden Wasserdünsten steht die Sonne, ihre Sonne -in strahlender Pracht – und die Arme sehnsüchtig ihr entgegenbreitend, -sinkt das Waldkind, eingehüllt in die Brautschleier, -zur tosenden, unbarmherzigen Tiefe nieder. Wie -ein leuchtender Strahl fliegt es an dem Trotzigen vorbei, -der seine starken Glieder im wildesten Flutengetos kühlt, -und da vor ihm, da im Strudel treibt der weiße, weiche -Leib seiner stillen Waldlilie. – Es überkommt ihn ein großer -Zorn. Brüllend vor Schmerz und Wut, daß es wie Donner -grollt, wirft er die Wasser gen Himmel, damit ihr Schaum, -ihr wilder Gischt die Sonne, die verhaßte, verdecke. So -steht er im Strudel und rast und trotzt gen Himmel. Er -sendet seine Fluten auf zu der Insel, wo seine Waldlilie -wuchs; sie zerren und wühlen an dem Gestein, ein Stück -nach dem andern sinkt in die Tiefe und ein höhnender -Schrei gellt von Welle zu Welle, wenn ein Baum mit -hinabgerissen wird und hülflos in den Fluten treibt. Oben -in den Wipfeln der Bäume aber rauscht eine wehmütige -Klage um die Waldlilie, die an der Sonnensehnsucht verging.</p> - -<p>Doch die wundersamen Spitzenschleier, die das Brautgemach -bargen, wallen immer noch nieder vor dem smaragdenen -Schloß und verhüllen in zarter Weiße seine erbarmungslose -Leere. Die goldene Sonne aber taucht ihre -Strahlen tief in das Wassergebrodel, läßt sie niedergleiten -an den Schleiern, als suche sie die, die aus Sehnsucht nach -dem Lichte gestorben ist; und die Strahlen bauen von Tag -zu Tag eine wunderleuchtende Brücke hinauf, hinauf zur -Sonne.</p> - -<p>Da endete das Märchen und es breitete seine Arme -<a class="pagenum" id="page_080" title="80"> </a> -aus nach den fallenden Wassern. Ein leises, wehmütiges -Klingen zog herüber von den Inseln der drei Schwestern.</p> - -<p>Das Märchen erhob sich, flog mit breiten, weißen -Mövenflügeln hin über die Fluten, die wild aufschäumten -und es haschen wollten. Aber sie netzten nur seine Füße. -Und mit leisem Gekicher kreiste es über meinem Haupte – -mein verlorenes und wiedergefundenes Märchen – an den -fallenden Wassern des Niagara.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_081" title="81"> </a> -In der Gosse.</h2> - - -<p>»Hei! Der hat's eilig!« sagten die trockenen Blätter, -als der Wind sie packte und die glatte Straße hinunterwirbelte, -daß sie den Atem anhielten.</p> - -<p>»Nein, ich will nicht!« raschelte das eine ganz große -Blatt, das, trotz seiner verkrümpelten Gestalt, noch einen -grünlichen Schimmer auf sich hatte und sogar noch einen -ordentlichen Stiel besaß. Und es hob sich erst von der -einen Seite, und dann von der andern – wie ein ungeschickter -Bauernbursche, der zum Tanze antritt; aber es -half ihm nichts: der Wind blies die Backen auf, und heidi! -da sauste es davon, so viel es auch versuchte, an allen -Steinchen und Schmutzhaufen hängen zu bleiben. Wütend -sprang es schließlich noch toller wie die andern und legte -sich oben auf die kleinen Blätter, um sie festzuhalten. – -Da plötzlich – an der Straßenecke stieß der Westwind -laut jubelnd den Nordwind an – so spielten sie immer, -die beiden wilden Gesellen, und wollten sich dann schier -totlachen, wenn sie alles Lebendige mit in ihren tollen -Reigen hineinzerrten. – Und nun wirbelten sie zusammen -die trockenen Blätter in die Höhe, daß sie den Bäumen -entgegenflogen, die sehnsüchtig die leeren, nackten Arme -nach ihnen ausstreckten. Aber da lagen sie schon wieder -<a class="pagenum" id="page_082" title="82"> </a> -auf der Erde, küselten verwirrt umeinander und schleiften, -schlürften, raschelten über die glatten Steine hinab in die -Gosse.</p> - -<p>Da lagen sie nun und dachten nach. Und dachten, -wie sie – es war schon lange, lange her – die braunen -Köpfchen einst vorsichtig aus der Baumrinde hervorgestreckt -hatten, und in die Welt hinein geguckt, wie sie dann groß -und grün und schön geworden waren, wie die Spatzen in -ihnen gehuscht, wie der Mond zwischen ihnen hindurchgelugt, -und wie die Menschenkinder in ihrem Schatten sich geküßt -hatten. Dann war der Herbstwind gekommen und hatte -sie selber geküßt, und sie waren gestorben an seinen eisigen -Küssen – hatten sich erst so herrlich geschmückt für ihn, -die armen Dinger, rot und gelb und violett und braun, -und dann fielen sie ohnmächtig aus seiner wilden Umarmung -zur Erde nieder, wurden hin und her gejagt von den -Winden, und nun? Nun liegen sie in der Gosse und -denken nach.</p> - -<p>Hei! Wie der Wind bläst! Die Kleider der schönen -Frauen, welche die Straße entlang gehen, schlägt er zur -Seite, daß die schlanken Füße sichtbar werden. Und die -Blätter in der Gosse flüstern einander zu: »Jetzt werden -sie auch anfangen zu tanzen und rascheln und schleifen die -glatte Straße hinab in die Gosse!«</p> - -<p>Aber nein, die kleinen Füße schreiten fest und sicher -weiter, der Wind kann ihnen nichts anhaben – aber der -andere, der im Herzen weht, durch das Leben stürmt, ob -der die schlanken Frauenfüße wohl nicht vom glatten Weg -hinabwirbelt – in die Gosse?</p> - -<p>Davon freilich wußten die trockenen Blätter nichts: -sie lagen in der Gosse und dachten nach; und der Wind -strich jauchzend über sie hin. Es wäre ihm ein Leichtes -gewesen, die ganze Gesellschaft aus dem Rinnstein hinauszuwirbeln, -<a class="pagenum" id="page_083" title="83"> </a> -über alle Welt zu jagen. Doch er that es nicht; -lauernd hing er über ihnen und sang sein Lied:</p> - -<p>»Jetzt schirre ich meine Wolkenrosse und stürme dahin -und brause über die Stadt und über das Land in den -Wald. Eure Schwestern will ich besuchen, die glührot an -den Bäumen hängen. Und ich hause in den Zweigen, und -ich brause über die Wipfel, und ich schüttle die bunte Pracht. -– Seht Ihr den bunten Blätterregen?</p> - -<p>Und seht Ihr die Trauerweiden, wie sie den Waldteich -bewachen, düster, schwermut-geheimnisvoll? Ich peitsche -ihre niederhängenden Haare, daß sie wie graue Schlangen -zischeln und züngeln. Ich wühle die schwarzen Fluten des -Waldteichs auf, daß die Wellen schäumen und sich kräuseln -und mit nassen, starken Armen die Wasserrosen hinabziehen -in das dunkle, dunkle Grab. –</p> - -<p>Nur die Königin – sieh', da ruht sie auf schwarzgrünen -Blättern, und sehnsüchtig leuchtet ihr weißes Blumengesicht -mir entgegen. Ich fliege zu ihr, und ich reiße sie -an mich in wilder Lust, kosend schaukle ich sie hin und -her, ich sauge wollüstig den Duft aus ihrem weißen Kelche, -ich küsse sie mit zärtlich stürmischen Küssen – sie stirbt an -diesen Küssen – und ich trage ihre Blumenblätter hin über -den schwarzen Waldesteich, hin über die Welt – – Ist -es süß, zu sterben an den Küssen des Gewaltigen? – –</p> - -<p>Heiho! – Ihr Wolkenrosse – graue, schwarze! senkt -Euch tiefer, daß ich Euch besteige, daß ich Euch zügle hin -über die Erde – der ich Vernichtung bringe – –«</p> - -<p>Raschelnd flogen die trockenen Blätter ihm nach, aber -nur eine Spanne hoch, dann fielen sie wieder herunter in -den Rinnstein. Und da lagen sie wieder mit ihren Gedanken.</p> - -<p>Es hatte sich eine sehr gemischte Gesellschaft in der -Gosse zusammengefunden. Da waren Blätter von allen -<a class="pagenum" id="page_084" title="84"> </a> -Größen und jedes sah ganz anders aus. Sie gehörten zwar -alle entweder zu der großen Familie »Derer von Baum« -oder zu der »Von dem Busche« – aber eine rechte Einigkeit -konnte nicht erzielt werden, da sich die vom Baum -viel vornehmer dünkten, als die von dem Busche, und daher -wurde so viel von Stammbäumen, Wappenschildern und -dem Gothaer geredet, den die Firma Frühling, Sommer -u. Co. herausgab, daß die übrige Gesellschaft im Rinnstein, -die nicht von so hoher Abkunft war, in tiefster Ergebenheit -erstarb. Darin waren sie sich jedoch alle einig, daß sie nur -durch unverschuldetes Unglück, durch widrige Winde und -plötzliche Regengüsse so heruntergekommen waren, daß sie -sich nun in der Gosse befanden.</p> - -<p>Da stak mitten unter dem Blätterhaufen ein langer, -schlanker Strohhalm, hineingeflogen wie ein Pfeil – die -Blätter hatten ihn immer für etwas ganz Unbedeutendes -gehalten – der that jetzt den Mund auf und begann zu -erzählen: »Ich bin sehr vornehm,« sagte er, »ich bin ein -Prinz. Ich bin Oberst gewesen in Ihrer Majestät der -Frau Königin Erde Weizenfeld, Allerfeinste-Mehlsorte No. I. -Ich trug eine gelbe Uniform und einen prächtigen Raupenhelm -auf dem Kopfe. – Ihr hättet es sehen sollen, unser -Regiment! Wie wir in Reih' und Glied standen – fest -wie eine Mauer! Wie wir exercierten – hierhin, dorthin, -auf und nieder, wenn unser Kommandant, Generalissimus -Wind, seine brausende Stimme erschallen ließ. Hei! das -war eine Freude, uns anzuschauen! – Und dann kam der -Krieg, das war ein schneidiger Krieg! Erbarmungslos -mähte der Feind, jenes uncivilisierte raubgierige Gesindel, -das sie Menschen nennen, uns nieder, und wir fielen ebenso -schön in Reih' und Glied, wie wir gestanden hatten. – -Aber tot waren wir nicht – bewahre! (denn sonst könnte -ich es Euch ja nicht erzählen). Wir gerieten nur in Gefangenschaft, -<a class="pagenum" id="page_085" title="85"> </a> -und in bittere Gefangenschaft. Sie banden -uns zusammen, wie die Indianer, und schleppten uns fort -und steckten uns in die Folter, bis sie all den Reichtum, -den wir in unserm Raupenhelm trugen, herausgequetscht -hatten, und dann, ja dann sollten wir erniedrigt werden, -den Pferden Dienste zu leisten, den Pferden unserer Feinde. -Die wollten auf uns herumtrampeln, die wollten uns als -Lager benutzen, die wollten – mit einem Wort – Mist -sollten wir werden! – Ich, Prinz von Halm-Halm – -auf Aehre – Oberst in Ihrer Majestät der Königin Erde -Regiment Weizenfeld-Allerfeinste-Mehlsorte No. I.</p> - -<p>Da, als wir gefesselt, geknebelt, aufeinandergepackt, in -dem Transport-Wagen lagen – da habe ich zum erstenmal -in meinem Leben die Subordination vergessen – ich, -dem die Subordination alles war, und bin ausgerissen.</p> - -<p>Und die Folge davon? – Ich liege in der Gosse – –</p> - -<p>Ja, Subordination muß sein!« sagte der Strohhalm, -grub sich mit seiner leeren Kornähre, seiner Raupe, in den -Gossenschlamm und philosophierte über die Gefahren der Unbotmäßigkeit. -– »Siehst Du, Prinz Halm-Halm: Schmieg' -Dich dem Schicksal an, so kriegst Du einen warmen Pferdestall -– lehn' Dich dagegen auf und Du fällst in die Gosse -– auf Aehre! – Burrrr – brumm!« schnarrte es neben -ihm. Ein richtiger, bunter Brummkreisel war es, der auf -irgend eine Weise in die Gosse geraten, unter die Blätter, -und von den Kindern vergessen worden war.</p> - -<p>»Subordination. – Ich brumme was auf die Subordination! -Wer wie ich zeitlebens von allen unnützen -Buben auf den Straßen herumgepeitscht worden ist – zuweilen -waren ein halbes Dutzend hinter mir, und dann -mußte ich tanzen und brummen, bis mir der Atem ausging -– der ist froh, wenn er auskratzen kann und sein -Leben gemütlich in der Gosse beschließen darf.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_086" title="86"> </a> -Wie habe ich mich gesträubt und gewehrt, all' mein -Leben lang! Ich habe den Bindfaden, der an mir saß, -so fest um mich herumgewickelt, daß er beinahe mit keiner -Macht der Erde wieder loszumachen war; ich habe mich -mit meinem einzigen spitzen Bein in die Ritzen der Steine -geklemmt, daß sie mich beinahe nicht wieder herauskriegen -konnten; ich bin allen Jungen und Mädchen zwischen die -Füße gefahren, daß sie stolperten, und habe dabei gebrummt, -daß mir selber angst und bange wurde. Aber es half mir -nichts. Ich mußte tanzen und schnurren und Kapriolen -machen mit der bittersten Empörung in meinem Brummkreiselherzen. -Sie hatten die Peitsche und folglich auch die -Macht und ich mußte tanzen, bis ich eines schönen Tages -in der Gosse lag – – – Brrrrr – brumm!« sagte der -Kreisel, als der Wind über ihn hinfuhr und ihn zwang, sich -um sich selbst zu drehen.</p> - -<p>»Ja, mein lieber Herr Kreisel,« sprach da salbungsvoll -ein weißes, bedrucktes Stück Papier, das die Schulkinder -aus einem ihrer Bücher verloren hatten. Die Blätter -wollten es nicht für voll anerkennen – es war zwar auch -ein Blatt und auch trocken, aber es gehörte zu einer ganz -andern Familie – sie waren gar nicht verwandt. Es -hielt sich deshalb ein wenig abseits und sprach in gebildetem -Tone:</p> - -<p>»Sehen Sie, mein lieber Herr Kreisel,« sagte es, »das -ist von alters her so gewesen – ich muß das wissen, denn -ich bin aus einem Geschichtsbuche – die Starken hatten -die Macht und, wie Sie so sehr richtig bemerkten, folglich -auch die Peitsche, mit der sie sehr energisch umzugehen -wußten, und die Schwachen – nun, die wurden gepeitscht. -Da hilft kein Auflehnen gegen den Willen von oben und -gegen die Peitsche der Straßenjungen; die Kreisel wie alle -Armen und Schwachen müssen tanzen – so ist es immer -<a class="pagenum" id="page_087" title="87"> </a> -gewesen, so ist es heute noch, und so wird es bleiben. Wir -haben uns einmal daran gewöhnt, und wir Gebildeten -sehen auch ein, daß es nicht anders sein kann und daß -es so am besten ist.«</p> - -<p>Da fuhr aber der Kreisel auf:</p> - -<p>»Daran gewöhnt? Fällt uns gar nicht ein! Denken -gar nicht daran! Und wenn wir uns einmal alle zusammenrotteten -– die Bäume und die Büsche und die Strohhalme, -und alles, was so herumliegt, und wir Kreisel und – und -so weiter – und wir machten 'mal so eine kleine, lustige -Revolu– –«</p> - -<p>Hui! Da faßte ihn der Wind und schüttelte ihn, und -da duckte er sich und sagte: »Brumm!« –</p> - -<p>»Ach,« jammerte da ein feines, zärtliches Stimmchen, -»was ist das alles gegen den Kummer, den ich erlebt habe?«</p> - -<p>Das war ein Stückchen Papier, lachsfarben, gepreßt, -mit Tinte beschrieben – man sah, es war etwas Feines. -Der Wind hatte es eben erst in wilder Jagd die Straße -hinuntergepustet, und atemlos war es mit einem Purzelbaum -in der Gosse gelandet.</p> - -<p>»Ich war rein und hellblank, und ich duftete stärker -wie die Veilchen in der Vase, die vor dem Fenster stand; -und ich lag auf einem zierlichen Schreibtisch und ein reizender, -goldener Federhalter kritzelte über mich hin. – Ach, -dieser Federhalter! Etwas Glänzenderes, Schlankeres, Zierlicheres -habe ich nie gesehen. Und alle die süßen, zärtlichen -Worte, die er mir ins Ohr flüsterte – war es ein Wunder, -daß ich seinen Schwüren glaubte, daß ich ihn liebte mit -all der Glut, deren mein papierenes Herz fähig war? – -Ach, wie war das Leben schön!</p> - -<p>Aber da kritzelte er mir eines Tages mit einem großen -dicken Tintenstrich etwas ganz Unheimliches, Unverständliches -zu, so daß ich erschrak, und dann ergriffen mich -<a class="pagenum" id="page_088" title="88"> </a> -plötzlich kleine, weiße Fingerchen, und ich knickte vor Angst -in der Mitte durch, und sie sperrten mich in einen dunklen -Behälter, der wurde fest zugemacht, und eine glockenhelle -Stimme trillerte dazu:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">Such' ich mir 'nen andern Schatz –</td></tr> - <tr><td class="tdl">   juhu – andern Schatz –</td></tr> -</table> - -<p class="in0">und dann reiste ich fort, weit fort, und mein schlanker, -goldener Geliebter blieb zurück, und ich habe ihn nie wieder -gesehen. Ach, ich war wie in einer Betäubung und kam -erst wieder zur Besinnung, als mein Gefängnis sich öffnete -und ich herausgeholt wurde – und da – da geschah etwas -Schreckliches: ich hörte eine wuterstickte Stimme, die mich -fürchterlich ausschalt, und große, rauhe Finger nahmen -mich und rissen mich mitten durch, nicht nur einmal, nein, -in lauter kleine Fetzen, und wir flatterten zur Erde nieder -und der Wind kam und nahm uns mit sich fort. – Ach, -und wenn nun mein Federhalter mich sucht, dann erkennt -er in diesem kleinen, schmutzigen Flecken seine schöne lachsfarbene -Geliebte nicht wieder. – – – Ach, was sind alle -Leiden und Kümmernisse der Welt gegen die Schmerzen -unglücklicher Liebe!«</p> - -<p>Als das traurige Papierchen geendet hatte, entstand -eine tiefe Stille in dem Rinnstein. Sie waren alle gerührt -und kämpften mit den Thränen –</p> - -<p>»Denn eigenes Unglück und eigener Kummer machen -das Herz empfänglich für die Leiden anderer!« sagte das -Blatt aus dem Geschichtsbuche für die Jugend gebildeter -Stände. Nur das große Blatt mit dem Stiel, eines der -vornehmsten aus dem Hause derer vom Baume, murmelte -etwas von »plebejischer Gefühlsduselei!« und der Brummkreisel -sagte: »Bitte, meine Herrschaften, werden Sie nicht -sentimental – das ist veraltet – und von Liebe halten -wir heutzutage nicht viel, die Wissenschaft hat diesen geheimnisvollen -<a class="pagenum" id="page_089" title="89"> </a> -Vorgang in unserem Innern mit grausamer -Deutlichkeit aufgeklärt – brrrr–brumm!« Da aber gab es -einen großen Disput, wie in einer politischen Sitzung, und -wie sie noch im besten Zanken waren, öffnete sich in dem -nächsten Hause eine Thür und ein junges Mädchen trat -heraus mit einem Besen in der Hand, denn es war Sonnabend, -und die Straße sollte gekehrt werden. Mit kleinen -lustigen Schritten trippelte sie daher und die braunen -Augen sahen zuversichtlich in die Welt hinein. Sie begann -mit kräftigen Bewegungen den Rinnstein auszukehren und -summte halblaut dazu:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">Wenn ich wüßt', wenn ich wüßt', </td></tr> - <tr><td class="tdl">Wo mein Schatzerl ist –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ist wohl in die weite Welt –</td></tr> - <tr><td class="tdl">   juhu – weite Welt –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ist wohl fortgezogen!</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Wenn ich wüßt', wenn ich wüßt',</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wo mein Schatzerl ist –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wär' ich in die weite Welt –</td></tr> - <tr><td class="tdl">   juhu – weite Welt –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wär' ihm nachgezogen!</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Da er mir nun nichts gesagt,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Warte ich wohl über Nacht –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Such' mir dann ein andern Bub –</td></tr> - <tr><td class="tdl">   juhu – andern Bub' –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Muß mich nit verlassen!« – –</td></tr> -</table> - -<p>Und nun purzelte alles durcheinander: die Blätter -und der Strohhalm und das Papier und der Kreisel. Das -Mädchen kehrte sie zusammen auf einen großen Haufen, -und jubelnd kamen die Kinder herbei und zündeten das -trockene Laub an – –</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_090" title="90"> </a> -»Burrr!« sagte der Kreisel, »mein revolutionäres Feuer -schmilzt mich auf!«</p> - -<p>Und knisternd flog die lachsfarbene Schönheit in die -Höhe; denn der Wind blies in den Scheiterhaufen, daß die -Funken stoben, er trug sie mit sich fort, wie die weißen -Blätter der Wasserrosenkönigin, und streute sie aus auf -seinem Wege, daß ein Feuerregen niederfiel. Die braunen -Augen des Mädchens sahen ihnen nach, und sie sang:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Ist wohl in die weite Welt – juhu –</td></tr> - <tr><td class="tdl">   juhu – weite Welt –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ist wohl fortgezogen!«</td></tr> -</table> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_091" title="91"> </a> -Sonniger Winter.</h2> - - -<p>Sie sagten, es sei Winter. Da ging ich hinaus, ihn -zu begrüßen. Denn hier drinnen in der engen Stadt hat -er ein gar häßliches Aussehen, rauchig und schmutzig, und -er blickt dich an mit den Augen des Hungers. – Draußen -aber lag der lachende Sonnenschein. War das der Winter? -Er hat ja kein weißes Kleid an. Die Bäume recken ihre -nackten Zweige kraus und zackig in den blauen Himmel -hinein, und ihre Rinde schimmert rötlich, oder weiß, oder -stahlgrau in der schwimmenden, flockigen Luft. Ah, die -Luft! Das weitet die Brust – wie du mit einem tiefen -Atemzug alle den Wald einhauchst, daß er die Stadt, die -rauchige, schmutzige, in dir verzehrt! – Mein Fuß wühlt -im langen, zottigen Gras. Wenn du nicht hinsiehst im -Park, wo die glatten Wege sind, wo die feinen Karossen -fahren, wo die Menschen auf ebenen Pfaden wandeln, dann -meinst du im Wald zu sein – still ringsum, nur hohe -Bäume, nur das Lispeln, das seltsame, traurige Lispeln -in den nackten Zweigen, die ohne Blätter nicht rauschen -und raunen können, wie sie im Sommer, im Herbst es -thaten. Nur die Prärie vor dir, durch die sich das geschäftige -Bächlein im Sonnenschein dahinschlängelt. Ein -<a class="pagenum" id="page_092" title="92"> </a> -zaubrisch Bächlein – wie es lockt und winkt, eilig über -die blanken, feuchten Steine kollert, und immer raunt und -murmelt und erzählt – was es nur immer sagt? Ich -klettere den Abhang hinunter, tiefgrün schimmert das Wasser -von den bemoosten Steinen herauf. Einzelne ragen draus -hervor, sie sehen mich lockend an – soll ich hinüber klettern -auf den Springsteinen, zum andern Ufer des Bächleins, -dorthin, wo stille, grüne Tannen stehen, wo es ganz einsam -ist? – Da – mitten drin – du böser Nix, was hast du -an dem Stein zu rütteln? Das hält ja so ein tappig -Menschenkind nicht aus! Natürlich, da patsche ich mit den -Füßen im Wasser – und nun schnell gesprungen, in den -Sonnenschein, in das hohe Gras hinein, daß ich wieder trocken -werde. Böser Bach mit deinem Nixen. – Aber was ist -das? War es Zauberwasser, das mich berührt hat? – -Der Wald ist lebendig geworden, die Bäume fangen an -zu reden, ich verstehe, was die Vöglein zwitschern, die -kleinen, grauen, die Waldvagabonden, die einzigen, die geblieben -sind. Piep! sagen sie, uns ist's einerlei, ob die -Blumen blühen und die Bäume Blätter haben. Dann -bauen wir unser Nest in den kahlen Zweigen, und zwitschern -von den zukünftigen Blüten, und die Nahrung – -nun, die stehlen wir uns irgendwo – nur Freiheit, Freiheit -wollen wir haben! – Au! sagt das Gras unter meinen -Füßen, warum trittst du mich? – Ich bin nicht tot. Da, -sieh' einmal her – Und wie ich dann die langen, zerzausten -Haare vorsichtig zur Seite schiebe, da lugt frischer, grüner -Klee schelmisch hervor. Der grüne, grüne Klee – Weißt -du noch, grüner Klee, wie es war zur Sommerszeit?</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">Es war zur goldnen Sommerszeit,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Welt war groß und war so weit –</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Und grüner, grüner Klee.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Der blühte still im Waldesthal<a class="pagenum" id="page_093" title="93"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">Wie Tropfen Blutes allzumal</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Die Blüten stehn im Klee.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Und Falter spielen drüber hin.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und wir? Wir lagern uns tiefdrin,</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Im grünen, grünen Klee.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Dein Aug' ist wie der Falter blau,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Dein Mund rot wie die Blüt' im Tau,</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Die Blüte rot im Klee.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Dein Haar ist wie das Sonnenlicht,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das gleitet durch die Zweige dicht</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Wohl über grünen Klee.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Dein lieber Hals, der luget leis,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wie die Maßlieben wunderweiß,</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Aus grünem, grünem Klee.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Da hab' ich mich geneigt zur Stund'</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und hab geküßt den roten Mund</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Im grünen, grünen Klee.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Und nur ein Vöglein sah's mit an,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das lockte süß aus dunklem Tann</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Ganz nah beim grünen Klee.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Da war es, wo im Waldesthal</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ich fand zum allererstenmal</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Der Blätter vier am Klee.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Merkt ihr, was das bedeuten soll?</td></tr> - <tr><td class="tdl">Mein Lieb und ich – wir wissen's wohl –</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Ja – und der grüne Klee. –</td></tr> -</table> - -<p><a class="pagenum" id="page_094" title="94"> </a> -Hat mir das Bächlein das Lied gegluckst? Haben's -die kleinen Waldtramps gezwitschert? Hat es der Klee gelispelt -– oder hauchten es die Sonnenstrahlen in die Welt -hinein? Rings um mich singt es und klingt es. Und -plötzlich trottet eine kleine Schar neben mir, putzige Gesellen -mit feinen Gliederchen und lustigem Wesen. Sie -laufen neben mir wie eine Schar Hündchen, sie klettern -die platten Baumstämme hinauf und wiegen sich in dem -weiten Geäst hurtig wie die Eichkätzchen, und sie tragen -kleine Narrenkappen auf den Krausköpfchen, damit klingeln -sie: Gedanken! Gedanken! Wir sind deine Gedanken. –</p> - -<p>Aber, ihr flinken Gesellchen – Gedanken? Ich meinte -Gedanken, die hätten schwere Köpfe, und Brillen auf der -Nase, und gingen mit gewichtigen Schritten in den Büchern -auf und ab spazieren. Was wollt ihr im Wald mit mir?</p> - -<p>»Wir wollen hören, was er rauscht, was die Bäume -sagen, und der Wind weht. Wir wollen sehen, wo der -Winter ist? – Da, siehst du.« – Mitten auf der Wiese -war das lange Gras fein säuberlich zur Seite gewachsen -und hatte einem grünen Moosteppich Platz gemacht, der -sich glatt und fein ausbreitete: »Sieh',« flüsterte mir ein -Gedanke ins Ohr, »siehst du die Elfen tanzen, und die -Gnomen mit den weißen, zottigen Bärten und den spitzen, -haarigen Oehrlein? Wie die weißen Leiber der Winterelfen -schimmern, wie ihre flockigen Schleier wehen und wie -die Lüfte aufspielen zum Tanz. – Horch! Wie Schneeknirschen -klingt's, und wie die Eiszapfen, wenn sie klirrend -von den Bäumen brechen. Und siehst du, da mitten im -Gewirr den sonnigen Winter stehn? Seine Augen glänzen -und er lacht, daß die weißen Zähne aus dem feurigen -Barte blitzen.« – In den starken Armen hält er die Winde; -wie sie zappeln und die Backen aufblasen vor Wut, daß -sie nicht loskommen können – da schlägt er den Nordwind -<a class="pagenum" id="page_095" title="95"> </a> -und den Westwind mit den Köpfen zusammen, die bösen -Gesellen, und stößt sie mitten unter das Elfengesindel, das -sie jauchzend mit Tannenkränzen umwindet und fesselt; -oben auf des sonnigen Winters Schultern aber steht der -Südwind und stößt jubelnd ins Horn, daß es von den -Bergen ringsum widerklingt. Und jauchzend fallen die -Gedanken um mich herum in das tolle Treiben – so daß -ich mich ordentlich schäme für sie – was sollen nur die -Menschen davon denken? »Ihr solltet auch nicht denken, -ihr Menschen,« lachten meine wilden Gesellchen – »denn -wenn ihr denkt, dann denkt ihr immer was Dummes. Es -wäre überhaupt viel besser, ihr dächtet gar nicht, und überließet -es uns, euch plötzlich mit etwas Gescheitem durch -den Kopf zu fahren – wie ein Blitz.«</p> - -<p>»Da sieh' hin, die zwei Bäumchen, die da angewackelt -kommen,« sagte ein spöttischer kleiner Gedanke und überschlug -sich wie ein Kobold im Gras vor Vergnügen. »Du -denkst, es wären Fichten, aber schau sie einmal an: sie -kommen in kurzem Lauf, ein wenig vornüber, dahergetrottet, -ihre Nadeln stehen zierlich nach beiden Seiten, wie lauter -gewichste Schnurrbärtchen, die Kronen sind ihnen ins Gesicht -gerutscht, so daß es aussieht, als wenn sie die großen -Hüte bis tief auf die Nase sitzen hätten, und da die Zweige -just ein bischen über dem Erdboden beginnen, scheint es, -als hätten sie sich die schloddrigen Hosen sorgfältig aufgekrempelt. –</p> - -<p>»Ei! wie die Herrchen laufen,« höhnt der lustige Gedanke -und zupfte an ihren Nadeln, worauf sie sich wütend -umdrehen und mit den jungen Birken, die sie als Spazierstöcke -mit sich schleppen, nach ihm schlagen – »sie thun, als -wollten sie dem sonnigen Winter eine Referenz machen, -und dabei schielen sie doch nur nach den weißhäutigen -Elfendirnen.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_096" title="96"> </a> -Nun kommen sie von allen Seiten gewandert: die -breitästigen Eichen, die schlanken Birken im weißen Hemdchen, -knorrige Burschen vom Geschlecht der Baumriesen; und -eine nackte Trauerweide tänzelt so lustig daher, daß die -langen, fast bis auf die Füße hängenden Haarsträhne im -Winde flattern. – Ei, sieh', wen haben wir hier? – Eine -Prozession ehrbarer Herren in dunkelgrünen Röcken, die -bis zur Erde reichen; und aus den stachligen Kapuzen -schauen lustige Mönchsgesichter, und die Aeuglein blinzeln -über die feisten Wangen hinweg nach den schlanken, grünen -Nönnchen, die ihre Kiefernkleidchen gar züchtig geschürzt -haben und sittsam kokett neben der Tannenprozession einhertrippeln. -Voran schreitet ein baumlanger Tannenriese, -stark wie Rabelais' Mönch Johann. »Halt da!« kommandiert -er, »hübsch paarweise antreten!« und er bombardiert -die letzten in der Reihe mit Tannenzapfen, damit sie ihn -besser verständen – »und wem's nicht recht ist, hier im -Wald, dem schlage ich die Knochen im Leibe entzwei!«</p> - -<p>Da faßt ein Mönch je ein Nönnchen bei der Hand, -und, die grünen Röcke ein wenig lüpfend, tänzeln sie im -Menuettschritt über die Wiese hin zum lachenden, sonnigen -Winter und beginnen artig zu psalmodieren, daß es in den -Wald hineinschallt:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Brave Mönche sind wir Tannen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Brummeln unser Mönchsgebet –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und wenn es zum Schlucken geht,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Laufen nimmer wir von dannen –</td></tr> - <tr><td class="tdl">   Eia, Hallelujah!</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">»Nönnchen sind wir, Nönnchen heiter, </td></tr> - <tr><td class="tdl">Leben gottgefällig weiter,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Putzen unser grünes Kleid –</td></tr> - <tr><td class="tdl">'s Himmelreich ist auch nicht weit –</td></tr> - <tr><td class="tdl">   Eia, Hallelujah!</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">»Und so leben wir gar traulich,<a class="pagenum" id="page_097" title="97"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">Brüder, Schwestern, Hand in Hand –</td></tr> - <tr><td class="tdl">– Unsre Kutten sind verwandt –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Unser Trachten ist beschaulich –</td></tr> - <tr><td class="tdl">   Eia, Halleluja!«</td></tr> -</table> - -<p>»Ei, so hört auf zu plärren,« dröhnt Bruder Johanns -mächtige Stimme dazwischen –</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Kurze Worte dringen zum Himmel eh'r,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Lange Züge machen die Kanne leer –</td></tr> - <tr><td class="tdl">   Eia, Halleluja!«</td></tr> -</table> - -<p>Und mit tollem Jubel drehn sie sich mit im Elfenreigen, -daß die grünen Kutten im Winde wehn.</p> - -<p>»Hast du nun den Winter gefunden?« flüstert mir -ein Gedanke ins Ohr, »sieh', wie die Sonne über ihm steht, -lichtspendend, milde lächelnd, als ob all das Weh in der -Welt nur ein Wassertröpfchen wäre, das sie lächelnd aufsaugt.«</p> - -<p>»Sagtest du: Weh, kleiner Gedanke?« haucht es neben -mir, »weißt du, was das ist?«</p> - -<p>Ich wandte mich; da steht unter den hohen Bäumen -des sonnigen Winters der allerhöchste und breitet seine -mächtigen Zweige aus, als wolle er die Welt an seine -Brust ziehn. »Sieh',« sagt er und senkt das starke Haupt, -»meine Krone haben sie mir geraubt, der Sturm, als er -hinzog mit seinen weißen Jägern über mein Reich – meine -Aeste haben sie zerschlagen und die Augen mir geblendet. -Weißt du, was es heißt, leben, und die Sonne nicht mehr -sehn, nie mehr!«</p> - -<p>Es geht ein Aechzen durch den zersplitterten Stamm, -die Zweige bewegen sich schwankend hin und her – es ist, als -wolle sich der Riese zur Erde neigen. Aber noch ist er stark, -noch steht er aufrecht, bis der Sturm wieder einmal gegen ihn -zu Felde zieht – und nur wie ein »Weh – das thut weh!« -– zittert es durch die Luft.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_098" title="98"> </a> -Mich fröstelte es, die Sonne sank tiefer, ich ging dem -Heimweg zu. Einzelne Gedanken blieben im Wald beim -Tanz auf dem Elfenteppich, bei dem sonnigen Winter, andere -sprangen mir flüsternd, raunend, kichernd zur Seite; -bis zum Hügel hinauf, am Rand des Waldes, da waren -sie verschwunden. Einige waren den eleganten Karossen -nachgelaufen und guckten spöttisch grinsend in die Wagenfenster, -andere hatten sich den Heimatlosen, vagabondierenden -Menschenkindern angeschlossen, die unter den Büschen des -sonnigen Winters ihr Nachtlager suchten. Nur Einer, ein -ernsthafter, blasser, kleiner Geselle stand neben mir, als ich -mich umwandte am Berg und mein Auge die Sonne suchte -– wie seltsam! Die Sonne, die goldene, große, strahlende, -hing herrlich am Himmel – aber der Wald, die Welt? -Was eben noch leuchtete, schimmerte, in wunderbarsten -Farben, das lag tot und kalt und schwarz zu ihren Füßen.</p> - -<p>»Siehst du,« sagte der ernsthafte Gedanke neben mir, -»so wollt ihr die Wahrheit suchen mit eurem Verstand und -eurer Tüftelei, so seht ihr in die Sonne mit der Brille der -kalten Berechnung auf der Nase – ja die Sonne steht dort -am Firmament, strahlend, so himmlisch leuchtend, daß euer -blödes Auge sie nicht ertragen kann, und die Welt, über -die ihr die Wahrheit ergründen wollt, liegt schwarz und -tot da. Aber schau dich um, schau mit der Sonne, schau -dahin, wo nur die Strahlen der Sonne hindringen, wohin -die Wahrheit ihr goldenes Licht wirft – siehst du nun, wie -herrlich die Welt daliegt, in Farbe, in Glut gehüllt, verklärt? -Fühle nur die weiche, flimmernde, golddurchglühte Luft, die -dich mit linden Armen umfängt – schaue die jauchzende, -die lebende, lichte Welt! –</p> - -<p>Und weißt du nun, was Poesie ist?« flüsterte der -ernsthafte, kleine Gedanke mir ins Ohr.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_099" title="99"> </a> -Ein Weihnachtsmärchen.</h2> - - -<p>Weit, weit hinter den Wolkenbergen, da, wo der Sonne -Heimat ist, die zu verlassen ihr so schwer fällt, daß sie -Tauthränen weinen muß, da, wo gut sein, fromm sein ist, -und die Religion die Liebe, da, wo es keinen Neid, keine -Polizei und keine Geldnöten gibt, da ist das Reich der -Träume, das Wunderland, wo die schöne Frau Phantasie -als Königin herrscht. Da sitzt sie auf ihrem goldenen -Sonnenthron, umgeben von all' dem lustigen und luftigen -Volk, den Elfen, Nixen und Kobolden, die durch das -Christentum und das Geld aus der Welt vertrieben wurden, -und hält Hof, und die Blümelein sind ihre Vasallen und -die Bäume ihre Schildwachen, und die Vögelein jubilieren -und konzertieren, und die Mücken und Grillen und Heimchen -tanzen Ballett; und der Wind, der säuselnde, sanfte, der -starke, stürmische, immer gewaltige Sänger, ist zum Hofpoeten -ernannt. Aber die mitleidige Königin, so gut sie -es auch in ihrem wonnigen Traumland hat – sie ist -nimmer zufrieden damit. –</p> - -<p>Sie gedenkt ihres Sorgenkindes, der Welt, die ihr -schon manch' bitteres Weh bereitet hat, sie hüllt sich in ihren -blauen Himmelsmantel, mit goldenen Sternlein besäet, und -fliegt mit geheimnisvoll leisem Flügelschlag über die Erde, -<a class="pagenum" id="page_100" title="100"> </a> -und wenn sie sieht, daß ihr Sorgenkind immer noch so -verdrießlich und wetterwendisch und eigensinnig-dumm und -boshaft und lieblos ist, dann fließen Thränen der Wehmut -und des Zornes und des Mitleids aus ihren schönen Augen, -vermischt mit Hoffnungsbalsam und Sehnsuchtslauten nach -ihrem Traumland, und diese kostbaren Thränen fallen zur -Erde hinunter in die Herzen ahnungsvoller Menschen, die -von Liebe entbrennen zur herrlichen Göttin Phantasie; sie -singen dann, was ihr Herz bewegt, und die Welt nennt sie -Dichter.</p> - -<p>Aber Frau Phantasie verhüllt sich mit ihrem blauen -Himmelsmantel, so daß nur die kleinen nackten Füßchen -wie zartrosa Wölkchen darunter hervorgucken, der Wind -nimmt sie auf seine Flügel und trägt sie in ihr Königreich, -und dann geht die Sonne auf.</p> - -<p>Lange schon ist es her, daß die Königin ihre letzte -Reise unternommen hat; sie hat über den Wolken gethront -im Traumland; aber Wehegeschrei und Kanonendonner -sind bis zu ihr hinaufgedrungen und Zornesrufe nach -Freiheit und Fluchworte gegen Lüge und Heuchelei, und -dann wurde es ruhig, ganz ruhig unter ihr – da erhob -sie sich von ihrem Thron, legte die weiße Hand gegen das -rosige Ohr, lauschte in die Ferne, und sie sprach zu ihrem -versammelten Volke:</p> - -<p>»Horch, so friedlich ist's da drunten! Sollte wohl -jetzt die Zeit gekommen sein, wo ich meine Lieblinge hinaussenden -kann, auf daß sie der Welt Erlösung bringen? -Meine Kinder, meine weißen, süßen, unschuldigen Kinder: -Wahrheit und Liebe, die ich mit dem Sonnengott, dem -ewigen Licht, gezeugt; sie schlummern unter Blumen nun -seit vielen tausend Jahren und immer wollte ich sie wecken -und immer noch war es zu früh; immer begann es wieder -zu lärmen auf der Welt, wenn ich gerade mich niederbeugen -<a class="pagenum" id="page_101" title="101"> </a> -wollte, um sie wachzuküssen – die beiden Zwillingsrosen. -Nun aber ist's Zeit.</p> - -<p>Geschwinde, Ihr lustiges Volk, geschwinde, Ihr meine -Treuen – kommt, kommt, laßt sie uns wecken!«</p> - -<p>Und da huscht es, und haucht es und weht und faucht -es über sie hin, um sie her, und da singt es und saust es -und klingt es und braust es, und die Blümlein duften süß -und die Zweige neigen sich flüsternd und leise. – Da stehen -zwei holde Kinder mitten unter ihnen, ein Knabe und ein -Mägdelein – sein Antlitz ist ernst und klar und trotzig -und sonnig, in ihrem rosigen Gesichtchen lacht der Frühling, -und doch thront auf der Stirn eine leise Schwermut und -in den Augen wohnt die Sehnsucht. Und die Königin -zieht ihre holden Lieblinge an ihr Herz und weint Glücksthränen -auf ihre jungen Häupter, und all ihr Volk steht -erwartungsvoll schweigend um sie her. Da spricht sie:</p> - -<p>»Ihr meine jungen Helden, mein ernster Knabe, mein -lachend Mägdelein – steigt nieder zur Erde, zieht hin -über die Welt und verkündet ihr das neue Evangelium, -bringt ihr die Liebe, lehrt sie die Wahrheit. Ach, sie ist -arm, arm an Glück und Liebe – lehrt sie, daß nur durch -Liebe die Seligkeit zu erringen ist, von der sie so viel gehört -und die sie nicht verstanden hat.</p> - -<p>Laßt Euch nicht abschrecken durch rauhe Worte, durch -herzlose That – predigt immer wieder, ruft in die Welt, -in ihre Herzen hinein, jubelt ihr entgegen das Evangelium -von der Liebe, ohne die nichts ist, hier nicht, wie auf Erden.</p> - -<p>O meine Kinder, vor allem trennt Euch nicht, faltet -Eure Händchen zusammen, verlaßt Euch nicht, denn die -Wahrheit ist nicht ohne die Liebe, und die Liebe tot ohne -die Wahrheit. –</p> - -<p>Allein seid Ihr nichts, vereint alles!«</p> - -<p>Da gab man ihnen Oelzweige in die Hände, Mutter -<a class="pagenum" id="page_102" title="102"> </a> -Phantasie nahm die Kinder in ihren Himmelsmantel und -trug sie zur Erde nieder, und die Elfchen und Nixchen und -Kobolde huschten um sie her, die Vöglein zogen mit ihnen -und sangen und alles war voll Freude.</p> - -<p>Aber der alte, weltweise, vernünftige Uhu saß in dem -Eichbaum, unter welchem Wahrheit und Liebe, von duftenden -Blumen zugedeckt, viele tausend Jahre geschlummert hatten, -klappte seine großen Augen auf und zu und seufzte, daß -es in den Klüften und Schluchten wiederhallte:</p> - -<p>»Zu früh, viel zu früh, ach, es ist zu früh!«</p> - -<p>Hand in Hand irrte nun das Zwillingspaar durch -die Lande, über Berg und Thal, über Fluß und Steg, an -all den vielen Städten und Burgen vorüber, mit ihren -vielen tausend Bewohnern, aber keiner wollte so recht etwas -von ihnen wissen. Da waren wohl viele, die sagten: »Ach, -wie schön seid Ihr!« Das waren lauter junge Leute, die -Kopf und Herz noch voll herrlicher Gedanken und beseligender -Empfindungen trugen, aber sie hielten sich doch in -scheuer Entfernung, denn sie kannten die Kinder nicht. Da -waren Andere, die tätschelten sie gönnerhaft auf die lockigen -Häupter und sagten: »Ja, recht schön, aber unpraktisch!« -Das waren alte, weißhaarige Männer und Frauen. Da -waren noch Andere, die wollten mit lustigen, bunten, lügnerischen -Lappen die schöne, reine Nacktheit der beiden -Kinder bedecken, aber da eilten diese angstvoll von dannen -und hinter ihnen her gellte höhnisches Gelächter.</p> - -<p>So kamen sie eines Tages durch einen schönen großen -Wald, darin zwitscherte es gar lieblich von Vogelgesang -und duftete es süß von Blumenduft, die Bäume neigten -ihre Zweige vor ihnen, und der Vater, der Sonnengott, -liebkoste sie mit seinen warmen Armen.</p> - -<p>Die Tiere des Waldes kamen, die scheuen Rehe, die -flinken Füchse, die leichtfüßigen Eichhörnchen, sie sahen sie -<a class="pagenum" id="page_103" title="103"> </a> -mit klugen Augen an, und plötzlich klang's von fern und -nah, in allen Zweigen, in allen Lüften:</p> - -<p>»Bleibt hier, o bleibt hier! Bei uns ist's gut sein, -aber draußen ist's Winter; die kalte, böse Welt, sie -thut Euch weh und treibt Euch fort, und dann müßt Ihr -leiden!«</p> - -<p>Aber ein kleines, grünes Tannenbäumchen neigte sich -zu ihnen hin und sprach: »Jetzt bin ich allein; eine schöne -Tanne stand bis gestern noch neben mir; die haben die -Menschen geholt, denn Weihnacht ist draußen, sagen sie, das -Fest der Liebe, und da ist die Tanne gern mit ihnen gegangen, -denn dann wird sie geschmückt, geputzt und geliebt. Nun -stehe ich allein und möchte wissen, wohin sie gegangen ist.«</p> - -<p>Da blickten die Kinder zu ihrem Sonnenvater hinauf -– der nickte lächelnd, und sie zogen weiter.</p> - -<p>Draußen, jenseits des Waldes, war Schnee und Eis -und die Bäume senkten matt ihre dürren Aeste unter der -Last, die ihnen aufgebürdet war; kein grünes Hälmchen -sah unter der Schneedecke hervor und die kleinen Spatzen -piepsten traurig auf der Hecke am Wege. Das liebe Zwillingspaar -aber war ganz warm und der Schnee that ihren nackten -Füßchen nicht weh, denn des Vaters Sonnenstrahlen hüpften -um sie her und schützten sie vor der Kälte.</p> - -<p>Nun kamen sie an ein großes, hohes Schloß, das blitzte, -funkelte und strahlte von lauter Gold und von Edelgestein, -und wie sie die hohe Marmortreppe hinaufstiegen, da kamen -sie in einen großen Saal, darin stand ein wunderschöner -Tannenbaum mit vielen, vielen Lichtern, und um ihn her -sprangen und lachten und scherzten fröhliche Kinder und -freundliche Menschen – ach, da ging ihnen das Herz auf -und sie traten dicht vor den stattlichen Mann hin, der eine -schöne Frau am Arme führte, und öffneten ihre lieblichen -Lippen:</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_104" title="104"> </a> -»Wahrheit und Liebe heißen wir,« sagten sie, »das neue -Evangelium wollen wir verkündigen, daß es weit hinschalle -über alle Welt!«</p> - -<p>Da schüttelte der stattliche Mann den Kopf und die -schöne Frau wich ängstlich zurück und rief ihre Kinder zu -sich, daß sie nicht den kleinen Fremdlingen zu nahe kämen.</p> - -<p>»Ein neues Evangelium! Damit seid Ihr nicht am -rechten Platz. Nur keine Neuerungen! Festhalten am Alten, -Hergebrachten, das ist eines Edelmannes würdig. Und -Wahrheit und Liebe? Gewiß! aber streng nach den Regeln -der Etikette müssen sie sein.«</p> - -<p>»Komm, Schwesterchen,« sagte der Knabe Wahrheit zur -Liebe, »hier ist nicht gut sein.«</p> - -<p>Und sie gingen weiter. – Da kamen sie in eine große -Stadt. Da waren so viele Häuser und so viele Menschen, -daß sie gar nicht wußten, wohin sie gehen und an wen sie -sich wenden sollten.</p> - -<p>So schritten sie kühn in ein vornehmes Haus hinein, -darin war es gar warm und behaglich, und sie stiegen die -teppichbedeckten Stufen hinan und kamen in ein schönes -Gemach, das war reich und bunt ausgestattet, und in der -Mitte auf einem Tisch stand ein großer Weihnachtsbaum, -der leuchtete von vielen, vielen Lichtern, lauter geputzte -Leute standen um ihn und bewunderten die kostbaren Sachen, -die darunter lagen. Das Zwillingspaar hielt sich fest an -den Händen, und sie traten zu dem Herrn des Hauses, der -neben einer schönen Dame im Sofa saß, und öffneten ihre -lieblichen Lippen:</p> - -<p>»Wahrheit und Liebe heißen wir,« sagten sie, »das neue -Evangelium wollen wir verkünden, auf daß es Lüge und -Unglück aus der Welt von hinnen treibe.«</p> - -<p>Da wollte sich der Herr des reichen Hauses schier von -Sinnen lachen: »Wahrheit,« sagte er, »mein Junge, damit -<a class="pagenum" id="page_105" title="105"> </a> -kann man nicht handeln« und »Liebe,« lachte die schöne -Dame neben ihm, »<i>quelle idée!</i> Die ist gar so unbequem -und aufreibend –!«</p> - -<p>»Komm, Schwesterchen,« sagte der Knabe und sah trotzig -um sich, »hier ist nicht gut sein.«</p> - -<p>Die Kleine schmiegte sich dicht an seine warme Seite -und sie zogen weiter.</p> - -<p>Nun kamen sie in ein ganz kleines, unscheinbares -Häuschen, da brannte auch ein Tannenbäumchen, aber nur -ein ganz winziges, mit zwei kleinen Lichtchen und ein paar -Aepfeln und Nüssen daran.</p> - -<p>Neben dem Baum saß eine junge blasse Frau mit zwei -Kinderchen im Arm und am Fenster ein finsterer Mann, -der brütete vor sich hin und sah das Weihnachtsbäumchen -kaum.</p> - -<p>Und das Zwillingspaar trat ein und lächelte dem -anderen Pärchen zu:</p> - -<p>»Weihnachten ist heute, das Fest der Liebe. Vom -Traumhimmel sind wir gesandt, die neue Religion zu verkündigen, -das Evangelium der Liebe und Wahrheit.«</p> - -<p>Aber die angeredeten Kinderchen wandten sich verschüchtert -zur Seite, und der blassen Frau liefen die Thränen -über die schmalen Wangen.</p> - -<p>»Liebe,« schluchzte sie, »Liebe ist nur vom Uebel, denn -sie hängt schwer an Einem, und von Liebe kann man nicht -leben.«</p> - -<p>»Und Wahrheit?« fragte der Mann mit bitterem -Lachen, »wenn man die Wahrheit sagt, wird man mit Hunden -gehetzt. Geht weiter, Euer Evangelium ist nicht für Arme.«</p> - -<p>Da zogen sie traurig von dannen und irrten in den -Straßen umher und wagten nicht mehr in die Häuser einzutreten. -Sie kamen an ein großes, großes Haus, das -hatte einen Turm, der ragte bis in den Himmel hinein -<a class="pagenum" id="page_106" title="106"> </a> -und aus den geöffneten Fenstern drang freundlicher Lichtschein -von vielen Lichtern, Orgelklang und Gesang von vielen -frommen Stimmen; sie schlüpften hinein und standen in -einer Kirche voll frommer Menschen und vor dem Altare -stand eine Krippe, darin lag ein kleines Kindlein, nackt, -wie sie selber, mit einem goldenen Krönchen auf dem Haupte.</p> - -<p>Und sie liefen hin und freuten sich und wandten sich -zum Volk und verkündeten mit lauter Stimme das neue -Evangelium; denn sie dachten, hier wäre es gut und fromm -und hier würden die Menschen auf sie hören.</p> - -<p>Kaum aber hatten die von einer neuen Religion vernommen, -da erhob sich ein böses Geschrei und wütendes -Toben, und an der Spitze der Mann, der an der Krippe -des Jesukindes schöne Worte gesprochen hatte, und:</p> - -<p>»Neuerer, Ketzer! steinigt sie, treibt sie hinaus!« – -riefen sie.</p> - -<p>Ach, die armen Sonnenkinder, sie wußten nicht, wie -ihnen geschah, als sie plötzlich draußen vor der Kirchenthür -sich befanden, die krachend hinter ihnen zufiel.</p> - -<p>»Ach wären wir im Traumland,« seufzten sie, »unter -Blumen und Vögelein, unter der Königin blauem Sternenmantel -– uns friert, ach so sehr.«</p> - -<p>Da, fern von der Stadt, begegneten ihnen zwei hohe, -schlanke Gestalten, ein Mann und ein Weib – die hielten -sich eng umschlungen und von ihren Stirnen ging ein -Leuchten aus, daß es die Kinder wundersam durchschauerte. -Sie faßten Mut und gingen jenen entgegen und fragten:</p> - -<p>»Was thut Ihr hier draußen?«</p> - -<p>»Wir feiern Weihnachten,« sagten jene beiden lächelnd.</p> - -<p>»Ohne Baum und Menschen?«</p> - -<p>»Für uns allein; in unserem Herzen, denn die Menschen -haben uns von sich gestoßen!«</p> - -<p>»Was thatet Ihr?«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_107" title="107"> </a> -»Wir sprachen die Wahrheit und in unserem Herzem -thronte die Liebe,« sagten jene beiden und ihre Augen -leuchteten. »Das aber kann die Welt nicht dulden, es ist -gegen ihr Gesetz, und darum haben sie uns von sich gestoßen.«</p> - -<p>Da sangen und jubelten die Kinder ihr neues Evangelium -in alle Winde hinaus und der Mann zog sein -Weib in seine Arme und sie lauschten der Lehre von der -Wahrheit und der Liebe, die die Kinder der ewigen Sonne -und der Phantasie ihnen predigten.</p> - -<p>Da aber kam der Wind und trug die Sonnenkinder -über die Wolken ins Land der Träume.</p> - -<p>Und wie sie der schönen Mutter ihre Leiden, ihren -Kummer und ihre Seligkeit vertrauten, da weinte sie goldene -Thränen und sie fielen in die Herzen jener seligen Menschenkinder, -die die Welt von sich gestoßen hatte.</p> - -<p>Die Elfen und Gnomen und die Vöglein alle, das -lustige, leichtlebige Volk, tanzten und jubilierten, und nur -der große Uhu saß im Eichbaum, unter dem die Sonnenkinder -wieder schliefen, unter Blumen zugedeckt, und knurrte -prophetisch:</p> - -<p>»Zu früh, viel zu früh, die Welt ist noch nicht reif -für das Evangelium der Liebe und Wahrheit!«</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_108" title="108"> </a> -Schneeflocken.</h2> - - -<p>Die Schneeflocken haben Ball heute Abend. Hei! Wie -sie sich schwingen in tollem Reigen da oben auf den Bergen, -wie sie durcheinander wirbeln und auf und niederspringen, -daß einem ganz schwindelig wird beim Hereinschauen. Und -der Wind spielt ihnen auf dazu; er saust durch die Tannenwipfel -und schüttelt die Kronen der alten Waldriesen, daß -sie die Zweige pfeifend gegen einander schlagen; er braust -durch die Schluchten und gellt durch die Felsenklüfte, daß -es fast wie Hohngelächter klingt, er singt ihnen ein Nordlandslied, -wild wie sein Brausen und Toben. Er singt -ihnen von den eisigen Gletschern da oben im Norden, und -von der Eisjungfrau, die da haust mit Augen, klar und -doch unergründlich, wie der Bergsee; er singt, wie sie mit -schrillem Lachen die weißen Arme ausbreitet und an den -Schneewänden ihres Eispalastes rüttelt – dann stürzen -die Lawinen krachend zu Thal und begraben das Menschenvolk -da unten. Von den lustigen Gesellen, den Eisbären, -erzählt er, seinen Freunden, wie sie im täppischen Tanz -umeinander sich drehen, fast wie riesengroße, weiße Schneeflocken, -daß es gar komisch anzusehen ist; und von den -Schiffen, die zwischen den Eisblöcken stecken, und den -Menschen darauf, deren heißes Menschenherz langsam zu -<a class="pagenum" id="page_109" title="109"> </a> -starrem Eise wird; von den flimmernden, glitzernden, -funkelnden, kalten Sternen da oben am Himmel, die -todesruhig lächelnd herniederschauen; von dem Nordlicht, -das aufflammt mit trotziger Glut und der Eisjungfrau auf -ihrem Gletscher einen rosigen Schleier überwirft, aus dem -sie herauslächelt, fast wie ein Menschenbild – so lockt sie -die Menschen an, die kühnen Jäger, und sie steigen hinauf -zu ihr, immer höher und höher, und sie winkt ihnen und -lächelt süß, verheißend – und dann stürzt sie die thörichten -Gesellen hinab, in die eisige Tiefe. – Hoiho! jauchzt der -Wind, wild ist mein Nordlandslied! Wild, wie der Eiskönigin -Lachen, wie der Lawinendonner! Und hoch empor -wirbelt er die armen Flöckchen, bis sie sich ermattet an -den Tannenzweigen festklammern.</p> - -<p>Da ist's gut ruhen; sie schmiegen sich eng an die -Nadeln hin – die flüstern und kosen mit ihnen, die wiegen -sie hin und her und erzählen ihnen Waldmärlein: von -dem naseweisen Tannenbäumchen, das gar nicht zufrieden -gewesen damit, daß es im schönen grünen Wald gewohnt -und die Füßlein im weichen Moos gebettet hat; gelangweilt -hat es sich auf seinem heimatlichen Stückchen Erde -und hat hinausgewollt in die weite, weite Welt und gejammert -und geschluchzt: O Wind, nimm mich mit! O -Quell, rausch' mich zu Thal!</p> - -<p>Da hat mit einemmal die Waldfee vor ihm gestanden -im grünen Gewand und lockigen Haar, hat es mit den -Blumenaugen angeschaut, mit den zarten Händen berührt -und gesagt: »Geh', mein Bäumchen, reise zu Thal. – Sie -werden Dir weh tun, Dich von Ort zu Ort schleppen, und -doch bringst Du ihnen von den Bergen herunter die Sehnsucht -mit – den Tannenduft, damit sollst Du ihnen die -Seele erfüllen, daß sie gut werden und sich freuen wie -die Kinder.«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_110" title="110"> </a> -Dann hat sie das Bäumchen geküßt und ist im Wald -verschwunden. –</p> - -<p>Danach sind eines Tages zwei Männer gekommen und -haben sich das Tannenbäumchen von allen Seiten angeguckt -und zufrieden mit den Köpfen genickt. Dann haben sie -ihre Pelzkappen zurückgeschoben und sich die Hände gerieben -und die blanken Aexte genommen und haben die Füßchen -der Tanne geschlagen, daß es durch den Wald gedröhnt -hat, haben sie zur Erde geworfen, ihr einen Strick um -den Leib gebunden und sie hinter sich hergeschleift über Stock -und Stein, durch Schnee und Eis. Und das Tannenbäumchen -hat leise vor sich hingeweint, und die großen -Bäume auch; aber die Männer haben das nicht gehört, -die meinten: Horch – wie der Wind pfeift!</p> - -<p>So ist die kleine Tanne zum Weihnachtsbäumchen geworden, -wie die Waldfee sagt – denn da unten im Thal -feiern sie Weihnacht – –</p> - -<p>»Was ist das?« fragten zwei neugierige kleine Schneeflocken, -die sich angefaßt hatten und mit ihren zarten, weißen -Gliederchen auf den Zweigen der alten Tanne auf und nieder -wippten.</p> - -<p>»Ja, was ist das!« sagte die alte Tanne, »Wintersonnenwende -nennen wir's, und die Waldfee sagt: Jetzt -wacht die Sonne auf und nun beginnt tief unten in der -Erde das Keimen und Wachsen, bis es schließlich herauf -dringt zu uns und die ganze Welt erfüllt. Aber da unten -im Thal nennen sie's Weihnacht und sagen, die Liebe wäre -ihnen geboren – und dann schmücken sie das Tannenbäumchen -mit vielen, vielen Lichtern und zünden sie an, -daß man meint, der ganze Baum stände in Flammen, und -läuten mit ihren Glocken dazu – da – hört Ihr's?«</p> - -<p>»Bim bam bum!« singen die kleinen Schneeflocken, -»da möchten wir hin!« und sie bitten den Wind: »Wind, -<a class="pagenum" id="page_111" title="111"> </a> -fahr' uns hinab!« – Der breitet seine großen, weißen -Schwingen aus, die beiden Flöckchen klammern sich mit -ihren vielen Fingerchen daran fest und nesteln sich in ihren -Zottelpelzen tief in die Fittige ein, und heidi! da ging's -zu Thale.</p> - -<p>»Grüßt mir das Tannenbäumchen!« rief die alte Tanne -ihnen nach – und sie brummte in den Schneemantel hinein, -der sich allgemach um ihre starken Glieder gelegt hatte: -»Komisches Volk, diese Menschen! Mußte ihnen die Liebe -erst geboren werden? Ist sie denn nicht so alt, wie die -Welt steht?«</p> - -<p>Und dann schüttelte sie ihre Nadeln, daß die Schneeflocken, -die schon darauf eingeschlafen waren, erschrocken -in die Höhe fuhren.</p> - -<p>Die beiden neugierigen Schnee-Engelchen aber flogen zu -Thal, und der Wind war bös und pfiff ihnen in die kleinen -Ohren, daß es gellte: Puh – da unten ist's schlecht. Was -wollt Ihr bei den Menschen? Entweder sie ballen Euch -zusammen und werfen sich mit Euch gegenseitig an die -Köpfe, oder sie kehren Euch auf einen Haufen, daß ihr ganz -schmutzig werdet und die Sonne Euch aufschmilzt – umkommen -thut Ihr jedenfalls!</p> - -<p>Doch da waren sie schon im Thal angelangt, vor einem -großen, schönen Hause; das lag still und dunkel und allein. -Nur aus einem Fenster schimmerte ein roter Schein, dahin -flog der Wind, und sieh'! von dem Fenster her grüßte und -winkte es den Flöckchen entgegen – das waren ihre Basen, -die Eisblumen, die an den Glasscheiben in die Höhe wuchsen -und allerlei wunderliche Gestalten angenommen hatten, und -die Flöckchen setzten sich zu ihnen und guckten in's Haus -hinein. Da drinnen ist's prächtig: ein hohes, weites -Gemach, und aus einem großen, weißen Marmorkamin -flutet der rote Feuerschein drüber hin, über den Tannenbaum, -<a class="pagenum" id="page_112" title="112"> </a> -der schön geschmückt und glänzend dasteht, über die -vielen bunten Spielsachen und all die kleinen Figürchen, -die da unter'm Tannenbaum ihr Wesen treiben.</p> - -<p>Die Eisblumen erzählten, wie schön es gewesen sei, -als das Tannenbäumchen ganz in Flammen gestanden und -die Kinder um es herumgesprungen wären und gelacht -und getollt und gejubelt hätten. Dann haben sie die -Lichter gelöscht und ein Duft ist durch das Zimmer gezogen, -so würzig, so zart, so wunderstark, noch riecht's in allen -Ecken darnach –</p> - -<p>Die Schneeflöckchen vergingen fast vor Sehnsucht nach -all dem Schönen. Mitleidig verrieten ihnen die Eisblumen, -daß ganz, ganz unten am Fenster eine schmale Ritze offen -wäre, da könnten sie noch besser hineingucken, und vorsichtig -kletterten die Flöckchen an den glatten Scheiben hinunter -und nun stehen sie vor der Fensterritze – – –</p> - -<p>»Also, so sieht Weihnacht aus!« flüstern sie einander -zu, »komm', wir wollen uns an die Händchen fassen und -hineingehen und den Weihnachtsduft einatmen.«</p> - -<p>»Thut das nicht,« antworteten die Eisblumen, »Ihr -seid Kinder der Luft, Ihr gehört nicht zu denen dadrinnen -– Ihr werdet hinsterben vor Sehnsucht zu ihnen.«</p> - -<p>Aber die Flöckchen hörten nicht auf die Erfahrenen; -sie zogen sich ihre kleinen Schneemützchen über die Ohren, -damit sie auch hübsch kalt blieben und schlüpften durch die -Fensterritze. – Da schlug's Zwölf. Das kleine Männchen -in der bunten Uhr, die auf dem Kaminsims stand, kam -zwölfmal herausspaziert und beim letzten Mal nahm es -seinen kleinen Dreimaster ab und verbeugte sich und sagte: -»Meine Herrschaften, die Geisterstunde hat geschlagen!« –</p> - -<p>Dann verschwand es wieder in seinem Glashäuschen, -und klirrend schlug die Thür hinter ihm zu.</p> - -<p>Nun begann ein wunderliches Wispern und Tustern -<a class="pagenum" id="page_113" title="113"> </a> -in allen Ecken und Winkeln – alles im Zimmer wurde -lebendig und es war plötzlich ein Stimmengewirr wie beim -Turmbau zu Babel. Alle die vielen Deckchen und Schleifen, -die an den Stühlen und Lehnen herumhingen, fingen an, -eine der andern Vorwürfe zu machen, daß sie sich immer den -Menschen auf den Rücken setzten oder auf der Erde herumtrieben, -und wurden so heftig dabei, daß sie sich schließlich -gegenseitig mit sich selber bombardierten. – Das Sofakissen -wurde elegisch und machte der Schlummerrolle eine -Liebeserklärung. – »Sie haben eine so schöne Gestalt!« -sagte es, – »von oben bis unten egal!« Und die Feuerzange -beim Ofen wollte die Schaufel umarmen und kniff -ihr dabei derb in die Nase. Die kleinen Sèvres-Figürchen -auf dem Kamin schürzten ihre Rokokokleidchen zum Tanz -und der Nußknacker, der in der Uniform eines Gardelieutenants -auf dem Weihnachtstische stand, klemmte sein -Monocle ins Auge, näselte: »Charmant, auf Taille!« und -klappte seine Kinnladen mit einem gefährlichen Ruck wieder -zu. Dieser Nußknacker war überhaupt ein Don Juan; -just hatte er der niedlichen kleinen Puppendame, die in -Balltoilette auf einem rotsammetenen Lehnstuhl saß, versichert, -sie sei seine erste und einzige Liebe, und nun warf -er der porzellanenen Schäferin da oben Kußhände zu und -entschuldigte sich damit, daß es ja Weihnachten sei.</p> - -<p>Da entdeckte er plötzlich die beiden kleinen Fremdlinge, -die sich in ihren weißen Schwanenpelzchen scheu in die -Fensterbank gedrückt hielten.</p> - -<p>»Das ist ja etwas sehr Niedliches!« Und der Lieutenant -klemmte seine Monocle ein und beeilte sich, mit -allersteifsten Gardebeinen durch den Saal zu marschieren.</p> - -<p>»Premier-Lieutenant Knack von Mandelkern, I. Rrrment, -Bleisoldaten zu Fuß,« schnarrte er und schlug die Hacken -aneinander, daß unsere Schneeflöckchen erstaunt seine Füße -<a class="pagenum" id="page_114" title="114"> </a> -anguckten. – »Damen fremd hier? – äh – dürfte Ehre -haben, Chaperoneur zu sein?«</p> - -<p>»Ach,« sagten die Flöckchen schüchtern, »wir gehören -hier eigentlich gar nicht her – wir sind nur hereingekommen -– wir wollten gern wissen – können Sie uns vielleicht -sagen, was Weihnacht ist?«</p> - -<p>»Wa – wa – was – Weihnachten?« Dem Herrn -Gardelieutenant fiel vor Erstaunen das Monocle weg, ohne -daß er erst dazu eine Fratze zu schneiden brauchte, und -sein Nußknackermund blieb ihm offen stehen, worüber die -Flöckchen so erschraken, daß sie aufsprangen und von der -Fensterbank auf die Erde flogen.</p> - -<p>»Weihnachten? – Weihnachten ist Weihnachten,« -brummte Lieutenant Knack von Mandelkern entrüstet, -nachdem er vorher seinen Mund wieder zugeklappt hatte -– dann klemmte er das Glas wieder ein und sah den -Flöckchen nach – »nette Pusselchen – aber noch sehr jrün -– die reene Unschuld vom Lande.« – –</p> - -<p>Die Schneeflöckchen aber waren geradewegs auf ein -schönes Buch mit Goldschnitt gesunken, das vom Tisch auf -die Erde gefallen war – auf dem stand mit großen bunten -Lettern als Titel gedruckt: Weihnacht und unsere Vorfahren! -Das sprach jetzt mit gewählten Worten: »Was -Weihnachten ist, wünschen Sie zu wissen, meine Lieben? -– Sehen Sie mich an.« Und dabei schlug es sich auf -und begann zu lesen: »Schon zur Zeit Winfrieds, des hl. Bonifacius, -des großen Heidenbekehrers, feierten unsere Altvordern, -beseelt von einem dunklen Drange, der sie zur -Verehrung eines unbestimmten Etwas antrieb, im Winter, -unter Schnee und Eis, ein Fest.«</p> - -<p>»Altes Buch, schweig' doch still! – Hüh! Hoh! -Wollt Ihr wohl laufen, Ihr faulen Tierchen!« klang es -da unter dem Tischdeckenzipfel hervor, und als die Schneeflöckchen, -<a class="pagenum" id="page_115" title="115"> </a> -die sich große Mühe gaben, die weisen Worte -des Buches zu verstehen, sich umschauten, kam pfeilgeschwind -eine drollige kleine Equipage herangesaust, schnurgerade -über das gelehrte Goldschnittbuch hinweg, das sich voller -Entrüstung erhob und mit Würde von dannen wandelte. – -In dem von sechs weißen Mäuschen gezogenen Wägelchen -stand ein kleiner nackter Junge, mit Flügeln an den -Schultern und einem Bogen in der Hand, und sang und -jubelte in die Welt hinein. Der hat auf einer schönen -Dose gesessen, in der allerlei bunte, glänzende Steine und -Goldsachen blitzten, und als der alte Herr in der Uhr die -Geisterstunde verkündete, da ist er heruntergesprungen und -hat sein lustiges Wesen getrieben.</p> - -<p>Ei, wie ihn die Rubinenaugen des Schlangenarmbandes -anfunkelten, und so viel die Schlange auch nach ihm mit -dem Goldzünglein gezischelt, – »ich bin die Schlangenkönigin,« -sagte sie, »ich ringele mich um weiße Arme, weiße -Nacken, ich ringele mich bis ins Herz hinein und bringe -ihm den Schlangenzauber, dem niemand wiedersteht,« – -es half ihr nichts: das kecke Bürschchen schlang sie sich um -die kleine weiße Brust, und die Rubinenaugen funkelten -ihm von der Schulter herunter.</p> - -<p>»Pah!« lachte er, »mein Pfeilgift ist viel stärker als -Deins, – Du kannst mir nichts anhaben.«</p> - -<p>Nun setzte er sich in die große Walnußschale, die ihm -der Nußknacker geschenkt hatte dafür, daß er der niedlichen -Rokokodame einen Pfeil ins Sèvresherzchen geschossen.</p> - -<p>Aber er hatte keine Pferde zum Vorspannen. Da war -er auf den Weihnachtstisch spaziert, wo die heilige Krippe -aufgebaut war, und hatte den hl. Joseph um das Oechslein -und das Eselein gebeten, sein Wägelchen zu ziehen; aber -der hl. Joseph hatte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen -über solch ein Ansinnen, obgleich Mutter Maria -<a class="pagenum" id="page_116" title="116"> </a> -mit dem Kindlein auf dem Schoß ihre Freude an dem -kecken Gesellen gehabt hatte.</p> - -<p>Da war er den hl. Drei Königen aus dem Morgenlande -entgegengegangen, die gar bedächtig mit prächtigem Gefolge -heranmarschiert kamen. »Majestät,« sagte das Gesellchen -höflich, »dürfte ich vielleicht eines Ihrer Kamele für mein -Wägelchen benutzen? – Sie haben ja deren so viele.«</p> - -<p>Aber der schwarze Balthasar, der Mohrenkönig, fletschte -ihm seine weißen Zähne entgegen, und Kaspar und Melchior -hielten ihm das Weihrauchfaß mit Myrrhen unter die Nase, -daß er niesen mußte – da sprang er davon und bat den -Tannenbaum, und der schenkte ihm sechs kleine, weiße Zuckermäuse, -die an seinen Zweigen hingen.</p> - -<p>Nun hielt er mit seinem flinken Gespann vor den -Schneeflöckchen und lachte: »Ach, was seid Ihr für herzige -Dingerchen. – Gleich möchte ich mit meinem Goldpfeil -durch Eure Schwanenpelzchen in die Herzchen hineinschießen. -Kommt, steigt ein – wir fahren zum Weihnachtsball in -die Puppenstube; da tanzen Sie gravitätisch und mit Anstand -ein würdiges Menuett und sind brav und gesittet -– aber Ihr sollt 'mal sehen, was ich da für einen Wirrwarr -anrichte.«</p> - -<p>Den Schnee-Engelchen gefiel zwar der kleine Bursche -sehr gut, aber sie schüttelten doch die Köpfe, daß die Pelzkapuzchen -hin und her wackelten.</p> - -<p>»Ach nein,« sagten sie, »hier können wir nicht tanzen -– hier ist es uns viel zu warm. Wir sind auch nur -hereingekommen, um zu lernen, was wohl eigentlich Weihnacht -ist.«</p> - -<p>Da setzte sich das Gesellchen auf den Rand seiner -Nußschale, schlug ein Bein über das andere und legte -simulierend den Finger an das kecke Näschen:</p> - -<p>»Ja, sehen Sie, meine kleinen Engelchen – das ist eine -<a class="pagenum" id="page_117" title="117"> </a> -kuriose Geschichte. Da unter dem Weihnachtsbaum liegt -ein kleines, nacktes Kindchen in einer Krippe, dessen Geburtstag -feiern sie, und sie sagen, er sei der Gott der Liebe. -– Nun aber hat mir mein heidnischer Vater im Olymp – -ich bin nämlich ein Heide, mein Name ist Amor – immer -gesagt, ich wäre der Gott der Liebe, und ich wäre, trotz -meiner Jugend, so alt wie der Olymp und die Welt und das -große, große Meer selber. – Da muß also irgendwo eine -Verwechselung sein. – Ich schlage vor, wir feiern das -ganze Jahr Weihnacht und halten mein Schwesterchen -Freude, wenn sie davon fliegen will, am Gewandzipfel fest. -– Ich kehre mich so wie so nicht viel an die Jahreszeiten -– meine Pfeile fliegen das ganze Jahr durch, und die -Küsse sind immer am süßesten, wenn sie geküßt werden.« -– Und dabei breitete der kleine Schlingel die Arme aus -und wollte die hübschen Flöckchen küssen; die aber faßten -sich an die Hände und flogen ihm davon, geradeswegs auf -die Tanne zu und klammerten sich an ihre Zweige fest und -schaukelten sich und sangen:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">Von den Bergen, wo der Wind,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wo die Tannenschwestern sind,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Sind wir hergeflogen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Sind wir hergezogen –</td></tr> -</table> - -<p>Sag' uns, was ist Weihnacht?</p> - -<p>Da ging ein Leben durch die Zweige der Tanne, all' -das Rauschegold, mit dem sie geschmückt, knisterte und -raschelte, die Krystallkugeln klirrten – stärker denn je -dufteten die Tannennadeln, und horch! mit dem Tannenduft -ziehen Sehnsuchtslaute durch den Saal:</p> - -<p>»Ach, meine Flöckchen, wohl bin ich geschmückt, wohl -trage ich eine Krone, wohl habe ich geflammt in vieler -Kerzen Schein – für die Weihnacht. – Aber gebt mir die -Wintersonnenwende wieder, laßt mich umbrausen, umtosen -<a class="pagenum" id="page_118" title="118"> </a> -vom Wind, laßt den ersten Sonnenstrahl mich umschmeicheln -und mir ins Herz hineinlachen. – Nehmt mir Alles -dafür hin!</p> - -<p>Was die Weihnacht ist?</p> - -<p>Kummer und Trübsal, und Haß und Neid und Mißgunst, -und Heuchelei und Geldstolz – das ist Weihnacht unter den -Menschen; und zum Hohn nennen sie's das Fest der Liebe! -Schneeflöckchen, wenn Ihr die Liebe sucht, fliegt nimmer zu -Thal. Und eines doch: Wenn das Kinderauge uns anlacht -– wenn wir in seinem reinen Glanz uns spiegeln, wenn -die Kinderärmchen sich nach uns ausstrecken, die Kinderstimme -uns anjauchzt –«</p> - -<p>Da öffnete sich leise, leise die Thür, und auf der -Schwelle stand ein Kindchen und blickte verschlafen um sich -und strich sich die blonden Härchen aus dem heißen Gesicht. – -Nicht schlafen konnte das Kind vor Freude über Weihnacht, -und es hatte ein Geraune und Geflüster gehört neben dran -und war aufgestanden, ganz leise, daß es die Eltern nicht -gestört, und schlich mit den bloßen Füßchen über den Teppich -hin, und stand mitten unter dem lustigen Volk. –</p> - -<p>Aber da schnarrte die Uhr und das alte Männchen -kam wieder herausspaziert und sagte mit dumpfer Stimme: -Eins! und nun war alles wieder still und stumm und -leblos, wie es vorher gewesen. Nur die Schnee-Engelchen -konnten nicht so schnell zum Fenster hinfliegen – da erblickte -sie das Kind: »Das sind die Engelein vom Himmel,« -jauchzte es, »Tanne, die hast du mir mitgebracht!«</p> - -<p>Und mit beiden Armen griff es nach den Flöckchen -und preßte sie an sich und drückte und herzte sie – ach – -und da vergingen sie ihm unter den Händen, und das Kind -betrachtete verwundert seine leeren feuchten Aermchen – -da schlich es betrübt in sein kleines Bett und weinte, weinte -bitterlich.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_119" title="119"> </a> -Aber die Tannennadeln, die sich in seinem Kraushaar -gefangen hatten beim Spielen, die neigten sich an des -Kindes Ohr und erzählten ihm vom Tannenwald und dem -Wind und der Schneeflöckchen-Reise, das ganze Märlein, -da schliefs Kindchen ein.</p> - -<p>Und wann es aufgewacht ist, und wieder und wieder -aufgewacht, und größer und älter geworden, wann die -Wintersonnenwende ihm gekommen ist, da zieht ihm, dem -großen Kind, zu Weihnacht mit dem Tannenduft immer -wieder das Märchen durch die Seele – das Märchen von -den Schneeflocken, die ausgezogen, die Liebe zu suchen, und -an der Liebe gestorben sind.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_120" title="120"> </a> -Das Märchen -von der weißen Stadt.</h2> - - -<p>Es lag ein Mensch zu sterben. Der hatte all seine -Gedanken, all seinen Willen hergegeben, die eine große That -seines Lebens zu vollenden. Aber der Griffel entsank seiner -Hand, und die Seele entfloh dem Leibe. Es hatte dieser -Mensch die Fluten sehr geliebt. Er konnte stundenlang am -Ufer des Sees sitzen und die blauen Wasser betrachten, wie -sie kamen und gingen, immerzu, immerzu; und aus den -Wassern sahen ihn seine Gedanken an. Als seine Seele -nun ohne Körper umherirrte, da kamen die Luftgeister und -trugen die Menschenseele hin über den See. Aus ihren -wehenden, silbergrauen Gewändern troff es wie Nebel zum -Wasser nieder, und ein leiser Wind bewegte die Fluten, -daß sie sich kräuselten. Oben auf den Wogenkämmen -schaukelten die weißen Leiber der Seejungfrauen; sie streckten -die Arme aus nach der Seele des Menschen und zogen sie -hinab in die weichen, wiegenden, schmeichelnden Gewässer. – -Drunten in der Tiefe saß der Seekönig und hielt Hof. -Er war ein kleiner Mann mit starken Armen und langem, -weißem Bart. Auf dem weißen Haupte trug er eine Krone -von hellroten Korallen; die hatte ihm sein Vetter, der Meerkaiser, -geschickt, aus Anerkennung, weil der kleine Seekönig -<a class="pagenum" id="page_121" title="121"> </a> -manchmal seine Gewässer mit den starken Armen so aufrührt, -daß viele Schiffe und Menschen umkommen müssen, -gerade wie auf dem Meere. Denn die Meerleute mögen -es gern, wenn Menschenkinder zu ihnen hinuntersteigen -müssen. Sie stellen die weißen Körper in ihren wundersamen -Meergärten auf, wie wir die Marmorstatuen. Die -Menschen können nicht leben bei ihnen; nur wenn einer -die Fluten sehr geliebt hat, dessen Seele gleitet des Nachts -in den Wellen als weißer Schaum. Kommt ihn aber die -Sehnsucht an, den Tag zu sehen, und es berührt ihn die -Sonne, in deren Licht er geatmet, dann muß er für immer -zur Leiche werden. –</p> - -<p>Der kleine Seekönig hielt also Hof. Sechs große Räte -mit wunderlichen Fischgesichtern saßen im Kreise um ein -großes Blatt Papier, das ganz bunt vor lauter Strichelchen -und Pünktchen aussah; vier dicke Büffelfische trugen es auf -ihren Rücken, sie hielten es fischchenstill; nur zuweilen zuckte -einer mit dem beweglichen Schwanz oder pustete die Kiefern -auf und zu, als ob er Wasser rauche; und dann zupfte -ihn der Herr Rat mit dem Karauschengesicht mahnend an -den Flossen, worauf er gehorsam still hielt. Die Menschenseele, -die als zarter, weißer Schaum auf der Schulter der -Seejungfrau lag, sah neugierig das weiße Papier an; es -kam ihr so bekannt vor. Das hatte sie schon gesehen, als -sie noch Mensch war. Es war ihr, als müsse sie eine Hand -danach ausstrecken. – »Still!« flüsterte die Seejungfrau, -»gleich wirst du hören.« – Und dann sagte der Seekönig:</p> - -<p>»Die Menschen da oben auf der Erde machen uns -alles nach. Gerade wie wir zuweilen Besuch bekommen -von den Bewohnern anderer Seen und Meere, die dann -allerlei Kostbarkeiten mitbringen, um sie uns zu zeigen, so -macht es das Volk da oben auch. Nur sind sie sehr arm. -Während wir alle die fremden Seltenheiten und unsere -<a class="pagenum" id="page_122" title="122"> </a> -eigenen dazu, einfach in unserem ewigen Krystallpalast aufstellen, -müssen die sich erst Häuser dazu bauen. Und das -Bauen – welche Umständlichkeit! Erst kommt einer und -denkt sichs aus und zeichnet es auf, und dann geht es an -viele Leute, die alle etwas zu mäkeln und zu ändern haben. -Schließlich soll es dann wirklich gebaut werden, aber wie -lange das alles dauert, dazu habe ich nicht Zeit genug, das -zu erzählen. Seht, da hat auch so ein armer Mensch mit -kurzem Gedächtnis seine Gedanken auf das Papier geschrieben; -ein guter Mensch, der uns sehr geliebt hat. Denn er hat -gesagt: »Wenn ich meinen See nicht hätte! Der muß das -Beste thun.« Und dann hat er unsere Fluten überall eindringen -lassen in seine Pläne, damit wir seine Paläste wie -mit Silberarmen umschlingen und ihre Schönheit wiederspiegeln. -– Dann ist er gestorben. – Und jetzt werden -andere kommen und seine Pläne zunichte machen und uns -vielleicht einengen und tyrannisieren. Wollen wir das -dulden? Nein!« rief der Seekönig und hob die starken -Arme, daß oben die Wellen klatschend gegen das Ufer schlugen. -Und die Räte schüttelten heftig ihre Fischköpfe. Die Seejungfrau -lächelte der horchenden Menschenseele zu. –</p> - -<p>»Kommt herbei, ihr Seevolk, und hört, was ich euch -sagen werde,« fuhr der Seekönig fort: »Die Luftgeister, -unsere Freunde, haben dieses Papier, das der tote Mensch -mit seinen Gedanken beschrieben und dem Großen Rat da -oben auf der Erde vorgelegt hat, aus seinen Händen weg -und zu uns herabgeweht. Schwimmt, ihr Fische, bis ans -Meer, lasset die im Meere es weitertragen zu den Geistern -der Völker an der andern Seite des großen Wassers, wie -das Seevolk der Menschenseele Werk erfüllen will.« – Da -schlugen die vier Büffelfische mit dem Schwanz unter das -Papier, daß es auf in die Wellen flog; die fischköpfigen -Räte griffen entsetzt danach: »Erst sehen, sehen!« Aber -<a class="pagenum" id="page_123" title="123"> </a> -der kleine Seekönig lachte, daß es ein Seebeben gab, und -zerriß das Papier in tausend Fetzen: »Wir sehen nicht – -wir bauen!« sagte er.</p> - -<p>»Siehst du?« lächelte die Seejungfrau und neigte ihr -Antlitz der Menschenseele zu, »jetzt werden deine Gedanken, -die du ins Wasser hineingeträumt hast, doch wirklich. Ich -habe dich oft gesehen, habe vor dir geschaukelt, wenn du -dachtest, es seien die weißen Wellenkämme. Ich hätte dich -mir geholt – ach so gern! Jetzt bist du bei mir. Die -Menschen denken, sie haben dich begraben; aber ich halte -dich in meinen Armen – ewig. Du darfst nicht hinaufschwimmen -und dein Werk beschauen, nicht so lange die -Sonne scheint. Dann würdest du zur Leiche. Ich will nicht, -daß dich die Schwestern in ihre Gärten stellen. Ich will -dich behalten – für mich.« – Dann glitt sie zum Seekönig -hin und schmeichelte: »Väterchen, mach' es recht schön!« – -Er aber streichelte ihr langes Haar, das glänzte wie Sonnenstrahlen -auf dem Wasser, und sagte ernsthaft: »Du darfst -die Menschenseele hüten, daß sie uns nicht entflieht; denn -nur durch sie können wir das Große vollenden.«</p> - -<p>Nun beginnt die Arbeit. Ei, wie flink die Fischlein -dabei sind, das blaue Wasser zu kommandieren, daß es in -langen, glänzenden Streifen zwischen grünen Inseln sich -durchzwängt, alles Land verschlingend, das ihm im Wege -ist, daß es unter wölbende Brücken sich duckt und schmeichelnd -zu Füßen schlanker Säulenhallen sich schmiegt. Und die -Nixen kommen und spielen mit den Fluten, daß sie in -glitzernden, schillernden Farben zu den Luftgeistern emporsprühen. -Wie geschickt die Gnomen und Kobolde Stein auf -Stein, Bogen an Bogen zu fügen wissen, daß es sich erhebt -aus der Tiefe des Sees – eine weiße, wundersame Wunschstadt. -Da tauchen Türme auf mit seltsam zackigen Verzierungen; -ein kleiner Nix sitzt darauf und lehrt sie allerlei -<a class="pagenum" id="page_124" title="124"> </a> -alte Weisen mit seiner Glockenstimme, und nun singen die -Türme sie weiter. Hier schwimmt eine schneeweiße Rotunde -mit lauter kleinen Fensterchen rundum; und die Fische -leiten das klare Wasser hinein und tummeln sich darin. -Und still und groß und schön wächst es und wächst es, -schier in die Ewigkeit hinein. – In einer großen Muschel, -davor sechs buntscheckige Forellen geschirrt sind, durchzieht -der Seekönig die Wasserkanäle, mit scharfen Augen Umschau -haltend. Hier zwickt er ein paar faulen Weißfischen -aufmunternd die platten Schwänzchen; dort schilt er zwei -streitlustige Hechte, die beide denselben Riesenpalast errichten -wollen und ihn dabei unsanft hinfallen lassen. Ein energisches -Nixlein ruft er herbei als Oberaufseher, und das lenkt -mit seinen weißen Fäustchen die störrischen Gesellen -wie ein paar gutmütige Oechslein. – – Als aber der -Seekönig sieht, wie alles gut ist, taucht er unter in seine -Schatzkammer, füllt seine Muschel mit Gold, so viel sie -tragen kann, schüttet es am Ufer aus und befiehlt: »Da – -krönt das Ganze damit! daß die Kuppel weithin leuchte -wie eine Sonne!«</p> - -<p>In der Tiefe des Sees ruht die Seejungfrau, regungslos, -daß sie die zarten Fäden nicht zerreiße, die von dem -weißen Schaum an ihrer schönen Brust aufsteigen zu dem -Werk da oben. Und die Menschenseele harret der Vollendung.</p> - -<p>Da wallt ein Zug daher über das Wasser. Nebelschleier -spinnen ihn ein, daß er wie eine Wolke über dem -See schwebt, und er zieht eine Bahn, silbern wie der Mond -auf dem Wasser liegt. Schweigend klimmt er das Ufer hinan, -wo droben der Seekönig seiner harrt, und über ihm schwebt -die goldene Kuppel wie eine große Krone. – Nachts, wenn -die Menschen schlafen, ergeht sich das Wasservolk oftmals -am Ufer und pflegt Zwiesprache mit Mond und Sternen. -– Voran im Zuge schreiten Patres mit fahlen Gesichtern -<a class="pagenum" id="page_125" title="125"> </a> -in schwarzer, spanischer Mönchstracht. Sie tragen gewaltige -Lasten auf ihren Schultern: Türme und Türmchen, spitze -und runde, Mauern so dick wie Gefängnismauern mit tiefen -Kreuzgängen und schweren Wölbungen. Sie keuchen unter -ihrer Last; ein lustiges, weißes Elfengesindel kommt -neckisch gesprungen und weist ihnen den Weg unter hohen -Bäumen, und hilft ihnen, das wunderliche Ding, das einem -spanischen Kloster ähnelt, von den gebeugten Rücken abzuladen. -Da richten sich die schwarzen Geister der Patres -zufrieden auf, und sie bauen mit dem geschmeidigen Nixenvolk, -dessen Listen sie wohl gewachsen sind, vergnügt weiter.</p> - -<p>Eine mächtige Gestalt schreitet auf dem Wasser; ein -Gewand von Gold umstarrt sie; sie trägt einen goldenen -Helm; golden leuchtet ihr strenges Antlitz daraus hervor. -Siegesgewiß, siegesbewußt geht sie mit großen Schritten an -dem Seekönig vorüber, ihm herablassend huldvoll zuwinkend. -Der lächelt fein ihr nach, wie sie sich gravitätisch aufpflanzt -inmitten all des Schönen – ein wenig zimperlich, ein -wenig ungelenk. »Laßt sie nur dastehen,« nickt er, »man -wird schon sehen, daß es nicht unsere wirkliche Athene ist -– nur eine große, große, goldene, emancipierte Alte-Kunst-Jungfer.« -– Und dann streckt er freudig seine Hände den -schlanken Gestalten entgegen, die aus dem Nebel sich loslösen, -einherwallen in faltigen Gewändern, die sich feucht -um die herrlichen Glieder schmiegen; und sie tragen auf -den stolzen Häuptern die weißen, strahlenden, wundervollen -Trümmer der Heimat. »Du Land der Sehnsucht!« flüstert -der Seekönig. Sie lächeln ihm zu mit den schönen, traurigen -Gesichtern. Sie pflanzen Säulen in die Erde, rein und -schön, wie sie selber, sie breiten die Hände aus, und eine -erhabene Harmonie lagert sich über der Wunschstadt. Sie -erheben die kraftvollen Arme und sprechen: »Du lässest uns, -o Vater Zeus, die Schönheit schauen, nicht zertrümmert, -<a class="pagenum" id="page_126" title="126"> </a> -nicht zerschlagen, nein, in ihrer ganzen siegenden Gewalt.« -– Und demütig neigen die Karyatiden die stolzen Häupter -unter der Last der Schönheit, die sie tragen.</p> - -<p>Wunderlich Volk zieht im Zuge einher, der übers Wasser -wallt. Ein kleiner, nackter Bub, der nur einen Frack und -Cylinderhut trägt für seine Blöße, bietet zierlich einer Rokokodame -den Arm, die gar stattlich in Hackenschuhen und Reifrock -mit einer Trikolore auf dem hochfrisierten Köpfchen einherstolziert: -»Wir sind barock, nicht wahr?« nickte der kleine -Schelm dem alten Seekönig zu. – »Wir, Puck Amor und -Dame la France!« – In einem muschelförmigen Wagen, -schimmernd von Gold und Edelgestein, kommt ein ernsthafter -Mann. Er hat ein braunes Gesicht, aus dem seltsam überirdische -Augen schauen, trägt nur einen schlichten, weißen -Kaftan um die Hüften gegürtet, und doch neigt Seekönig -sich tief vor ihm, und eine zarte, braune Elfe, schön wie -des Gottes Bajadere, geheimnisvoll wie die Wunder Indiens, -gleitet vor ihm her, ihm seinen Wohnort zeigend. –</p> - -<p>Und so kommen sie alle, die Geister der Völker, die -der Seekönig entboten hat. Plumpe nordische Burschen -tragen Paläste von plumper Pracht. Ernsthafte, blondköpfige -Gesellen bringen ein seltsam Häuschen mit spitzragendem -Turm, mit schönen Gewölben, durch deren bunte -Glasfenster es lieblich leuchtet, wie eine Geistessonne. Zierliche, -dunkeläugige Mädchen kommen im Tanz geflogen: -ihre Gewänder flattern im Wind, sie streuen Rosen aus, -duftende Rosen der Anmut. – Seltsame Fahrzeuge gleiten -im Nebel im Geisterzug. Unbeholfen, schwankend die einen. -Schwarze, düsterblickende Gesellen stehen darin und blicken -drohend hinüber zu dem schlanken Schiffchen, das, seinen -Drachenkopf vorgestreckt, wie ein Renner durch die Fluten -schießt, pfeilgeschwind, die andern weit hinter sich lassend. -Wie nur das Schifflein die Hünengestalten seiner Mannschaft, -<a class="pagenum" id="page_127" title="127"> </a> -die mit sehnigen Armen die Ruder führen, birgt in -dem schlanken Rumpf?! Hoch richten sich die Gestalten auf, -sie wachsen und wachsen, daß ihre Leiber dunkle Schatten -werfen weithin über den See. Und sieh' nur – wie die -geisterhaften Schwarzen in den schweren Kreuzesschiffen zum -Himmel hinaufragen, fanatisch glühen ihre Augen durch -den Nebel – der beginnt wunderlich zu leben, wogt und -zerrt her und hin, bis er die Riesengestalten verschlungen -hat. Dann gleiten Karavelen und Vikinger in glatte -Buchten, gezogen von muntern Fischlein, gesteuert von weißarmigen -Wassernixen.</p> - -<p>Da bebt der See. Hoch sprühen die Wasser auf. In -den schäumenden, singenden Strudel steigt der Seekönig -hinab in sein Reich, gefolgt von seinem fleißigen Volke. -Drunten in der Tiefe ruht die Menschenseele. »Wann -wird es vollendet sein?« fragt sie sehnsüchtig. »Es ist vollendet,« -sagt der Seekönig. »Sobald der erste Sonnenstrahl -die goldene Kuppel trifft, wird es den Augen der Menschen -sichtbar sein.« »Und sichtbar bleiben? Immer?« fragt die -Menschenseele. »Nur eine kurze Spanne Zeit hat das -Wasservolk Macht über die Erde. Nur bis die Sonne in -die Fluten sinkt und die Zauberwelt, die wir gebaut haben, -mit sich hinabreißt. Aber wenn dein Seelenauge dein Werk -erschaut, ehe die Sonne die goldene Krone bestrahlt hat – -dann wird es ewig sein. Dann aber wirst du sterben und -dein Name wird vergessen werden unter den Menschen.« – -Die Menschenseele lächelte. Eng schmiegte sie sich an die -atmende Brust der Seejungfrau.</p> - -<p>Droben, von der verschlafenen Erde, erhob sich die -Nacht und zog ihre schwarzen Schleier schleppend hinter -sich her, über den Himmel. Da ward es Licht auf der -Erde. – Es war aber alles noch den Augen der Menschen -verborgen; denn die Menschen sind ein blödsichtig Geschlecht, -<a class="pagenum" id="page_128" title="128"> </a> -und sie sehen nur, was ihre Augen ihnen zeigen. Aber -die Tiere öffneten ihre klugen Augen. Die Vöglein in der -Luft flatterten hin über die Wunschstadt, setzten sich neugierig -auf die zackigen Türme und zwitscherten hernieder -von den Stangen der bunten Fahnen. Die klugen kleinen -Enten schwammen in den Wasserkanälen und erzählten -schnatternd von dem Schloß der Wasserfrauen, das sich -zur Nacht aus Busch und Schilf erhoben hatte. – Verwundert -blickte der Ackersmann, der mit seinem Gaul -dahergeschritten kam, Furche auf Furche durch die wilde -Erde zu ziehen, zu den Vöglein auf: wie konnten sie nur -mit geschlossenen Flügeln in der Luft schweben, als ob sie -auf Bäumen säßen? – Und die zwei Reiter, die dort -hintereinander über die Prärie jagten, sahen die Entlein -auf dem hohen Präriegras schwimmen wie im Wasser. -Aber sie haben nicht Zeit, sich lange zu verwundern – -da – der gelbe Rücken des Puma taucht auf, den sie -gejagt – der Schuß kracht aus der Büchse des Trappers -– der Pfeil schnellt von dem Bogen des roten Mannes: -gilt er dem König seines eigenen Landes? gilt er dem -weißen Fremdling da vor ihm? – Hoch richtet er sich im -Sattel auf, daß die Adlerfedern in seinem schwarzen Schopfe -nicken. Was ist das? – da – glitt nicht der Puma hinab -in blaues, kräuselndes Wasser? Was ringt sich los aus -den Nebeln? Das Roß des Trappers bäumt sich, geblendet -schützt der Indianer die Augen mit der Hand, und späht -und späht. – Still lehnt der Ackersmann an seinem Gaul, -sein Blick sucht die Erde, seine Erde, die er bebauen muß. -Und sie schauen, wie es herauswächst aus dem Morgengrauen, -weiß und still; wie es emporstrebt zum Himmel, -eine wundersame, andere Welt, die sie mit erhabenen Augen -anschaut, sie mit weißen Armen umfängt, sich wie weiße, -stille, reine Gedanken in ihre Seele senkt. Wie sie stehen -<a class="pagenum" id="page_129" title="129"> </a> -und schauen, umweht es sie lind und kühl – ein Hauch -der Ewigkeit.</p> - -<p>Ein klein lustig Elflein aber zerrt den Puma, der verdutzt -da kauert in der Wunderwelt, an den Ohren zu einem -Marmorsockel hin. »Da lieg', du Wilder!« lacht es, und -der Tiere König läßt willig sich in die Fesseln der Schönheit -schlagen. –</p> - -<p>Horch! Es geht ein Brausen durch die Lüfte, ein -Singen, Klingen, lieblich Geläute: aus dem Morgengrauen -erhebt sich der junge Tag, und sein leuchtendes Auge weilt -liebend auf dem weißen Wunder.</p> - -<p>Auf den blauen Fluten des Sees trieb ein zarter -weißer Schaum. Ein Sonnenstrahl irrte zu ihm hin und -küßte ihn bebend. Da ward er zur Leiche. Die Menschenseele -war aufgestiegen aus den geliebten Wassern, um zu -sterben. Der See bebt, als sei er in seinen Tiefen erschüttert. -In den sprühenden Wogen aber taucht die Seejungfrau auf, -an deren weißer Brust des Toten Seele geruht hat. Ihr -goldenes Haar glitzert auf den Fluten. Klagend schlingt -sie die weißen Arme um ihn, sein schönes, bleiches Antlitz -über Wasser haltend. So gleiten sie dahin über die murmelnde, -singende Fläche – weit, weit hin, den weißen -Tempeln zu. Und das Licht, das die Seele getötet, liegt -liebkosend auf der stolzen Stirn. – – –</p> - -<p>Es kamen die Menschen und nahmen Besitz von der -Wunschstadt in der neuen Welt.</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_130" title="130"> </a> -Welt-Ausstellung im Walde.</h2> - - -<p>Draußen im Wald flüstern die bunten Bäume miteinander -und streuen gelbe und rote Blätter auf die braun -sich färbende Erde, wie der Frühling Rosen streut; der -Herbstwind rauscht und raunt in den Zweigen, und eine -milde Herbstsonne glüht auf die Weinblätter am Eichenstamm, -daß sie tiefrot schimmern, wie lauter Blutstropfen.</p> - -<p>Am träge über Kiesel und trockene Aeste dahin murmelnden -Bächlein nickt ein grüner Zweig – da leuchtet -etwas Blaues auf, dann tönt ein Lockruf, sanft, zärtlich, -dringend – jetzt die Antwort – noch etwas Blaues – – -Zwei Vöglein sind's: blaue Flügel schwirren durch die -Luft, und zartgrau glänzt der Leib.</p> - -<p>»Was nur heute los ist!« sagte der eine Blauvogel -zum andern, »keine Fliege, kein Käferchen läßt sich sehen, -alle ziehen dort hinein in's Tannendickicht, und selbst die -Mücken machen ganz ernsthafte Gesichter!«</p> - -<p>»Guten Abend, guten Abend, meine Herrschaften,« -schnarrt es über ihnen. Da hängt am Baumstamm ein goldgelbes -Vögelchen. Zu welcher Klasse es gehört, das weiß -ich nicht (schlagt einmal in Nehrling's amerikanischem -Vogelbuch nach), aber es hämmert in die harte Baumrinde, -<a class="pagenum" id="page_131" title="131"> </a> -daß es durch den ganzen Wald schallt, und so wollen wir -es kühn »Gelbspecht« titulieren.</p> - -<p>»Ja, ja, Sie haben Recht, es muß etwas im Walde -sein bei dem kleinen Getier,« sagt der Specht, »ich habe -schon dieselben Beobachtungen gemacht. Aber sehen Sie einmal -da – die Spinne!« An einem trockenen Zweiglein -hängt eine große Spinne, eifrig beschäftigt, silberglänzende -Fäden zu einem kunstvollen Netz zu verweben.</p> - -<p>»Was machen Sie denn da, Verehrteste?« fragt der -Specht, als der Zudringlichste; denn die Blauvögelein haben -etwas Schüchternes, sie mischen sich nicht gern in anderer -Leute Angelegenheiten und sind nicht weltgewandt wie der -Herr Gelbspecht.</p> - -<p>»Ich spinne,« sagt die Spinne ernsthaft.</p> - -<p>»Ja, das sehen wir,« entgegnete der Specht, »aber, -meine Gnädigste, was spinnen Sie?«</p> - -<p>»Ein Netz,« sagt die Spinne.</p> - -<p>Die Blauvögel stoßen ein leises, glucksendes Lachen -aus, und der Specht hämmert entrüstet gegen den Baum.</p> - -<p>Jetzt schlingt die Spinne einen letzten Knoten und -krabbelt langbeinig davon: »Es muß fertig werden zur -Ausstellung, die wird heute Abend eröffnet,« ruft sie zurück.</p> - -<p>»Ausstellung?« fragen die poetisch-unwissenden Blauvögel -und schlagen verwundert mit den Flügeln. »Von was? -Wozu? Davon haben wir noch nie etwas gehört.«</p> - -<p>»Ja, das glaube ich,« lächelt der Specht mitleidig, -»Ihr schwebt ja immer in den Lüften und schwärmt für -Sonnenuntergänge, düstere Waldpartien mit Lichteffekten -und dergleichen Humbug. Ich weiß wohl, das Getier da -unten auf der Erde hält eine Weltausstellung –«</p> - -<p>»O, da laßt uns hingehen,« jubeln die Blauvögel. »Aber -wo ist sie denn?«</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_132" title="132"> </a> -In der Nähe erhebt sich plötzlich ein nimmer endenwollendes -Geschrei, Gekrächze, Gejohle –</p> - -<p>Der Specht wiegt überlegend sein gelbes Köpfchen: -»Wißt Ihr was? Wir wollen die Schwarzvögel fragen -– die wissen alles! Hört, wie sie reden und schnattern? -Die haben wieder Kaffeegesellschaft oder Loge oder Gesangverein -– die ganze Eiche dort ist ja schwarz von lauter -Staarherren und Damen, und wenn ihre Sitzungen vorüber -sind, wissen sie alles, was im ganzen Walde passiert -ist: wie viele Kinder die Madame Maus das letzte Mal -zur Welt gebracht hat, und wie es auf dem Grashüpferball -hergegangen ist, daß sie im Eichhörnchenturnverein sich fast -geprügelt haben bei der Sprecherwahl und daß der Gesangverein -der Locusts sich geeinigt – –«</p> - -<p>»Gibt's nicht, gibt's nicht! Nee, so blau,« piepst ein -unverschämter Spatz und fliegt dem Specht dicht vor dem -Schnabel her in den nächsten Baum.</p> - -<p>Der aber beachtet den naseweisen Gesellen gar nicht -und spricht ruhig weiter.</p> - -<p>»Ach, hören Sie auf, bitte, Herr Specht,« rufen die -Blauvögel, »das ist ja wie ein ›Eingesandt‹ in der Zeitung!«</p> - -<p>»Aber Kaffernreligion,« lacht der Specht.</p> - -<p>»Seht, da kommt Ihr Bruder – »Ober-Edel-Erz« angeflogen! -Halt, den wollen wir uns kaufen!«</p> - -<p>»Oh, Herr Staar, wollen Sie nicht die Güte haben, -sich hier ein wenig auf diesen bequemen Baum zu bemühen?«</p> - -<p>»Man muß immer höflich sein mit den Leuten, wenn -man etwas von ihnen will,« flüstert der Schlaue den simplen -Blauvögelchen zu, die vor Erstaunen den Schnabel aufsperren.</p> - -<p>Der Staar krächzt freundlich der Bitte Gewährung, -läßt sich auf einem Ast etwas erhöht über den andern -Vögeln nieder, wirft den Kopf in den Nacken und dreht -<a class="pagenum" id="page_133" title="133"> </a> -und wendet sich, daß seine roten und gelben Logenabzeichen -auf den Schultern in der Sonne schillern. Nachdem die -Vorstellung glücklich vorübergegangen ist, bei der der Herr -Staar herablassend den spitzen Schnabel gesenkt und die -Blauvögelchen verlegen die niedlichen Köpfchen geduckt haben, -erkundigt sich der Gelbspecht in den gewähltesten Ausdrücken -nach der internationalen Ausstellung.</p> - -<p>»Jawohl, jawohl,« entgegnete Herr Staar würdevoll, -»heute Abend ist Eröffnung. Es soll ja etwas Großartiges -werden.</p> - -<p>Sehen Sie, meine verehrten Zuhörer, es geht ein neuer -Zug durch den ganzen, alten Schlendrian, namentlich was -Kunst anbelangt. Ich bin ein weitgereister Mann, ich höre -und sehe mancherlei. Ein krankhaftes Verlangen nach etwas -Neuem, Sensationellem, ein Hunger nach Aufregung, nach -Vernichtung des Alten, Hergebrachten, zieht durch die ganze -Welt. Und wenn sie auch auf Abwege geraten, in Irrtümer -verfallen, das Falsche dem Wahren vorziehen – es -ist doch alles nur der durch Jahrtausende immer wiederkehrende -und immer bleibende, große, unersättliche Durst -nach – Freiheit, der Angstschrei der Völker, der zum stillen, -hohen Himmel dringt. Und das macht sich auch in der -Kunst bemerkbar – – ob zu ihrem Nutzen und Frommen? -Und in der Musik, ja, in der Musik –« hier räuspert sich -der Staar und blickt gen Himmel – »ja, auch in der -Musik gellt und dröhnt und paukt und trompetet jener -Freiheitsschrei in die Lüfte, die Ohren der Zuhörer mächtig -mit sich fortreißend. – Nein, das geht ja nicht. Ich – -ich – ich lasse mich immer so von meinen Gefühlen überwältigen, -meine Lieben – und« – Ja, da bleibt der gebildete -Staar stecken. Mit Gesichtern voll Ehrfurcht und -inniger Verständnislosigkeit haben unsere Blauvögel die -lange Rede angehört, während der Gelbspecht mit philosophischer -<a class="pagenum" id="page_134" title="134"> </a> -Gelassenheit äußert: »Das mag alles recht schön -und ersprießlich sein, verehrter Redner, aber so lange wie -es genug Mücken und Fliegen in der Luft gibt und wie -ich nach Herzenslust an den Bäumen herumhämmern kann, -ist mir die ganze Wirtschaft furchtbar egal und um den -allgemeinen Freiheitsdrang kümmere sich der Kuckuck!</p> - -<p>Vorläufig wollen wir aber einmal diese merkwürdige -Ausstellung ansehen, wenn Sie, verehrter Herr Staar, uns -gütigst führen wollen.«</p> - -<p>»Ja, ja,« rufen die Blauvögel und schlagen mit den -Flügeln, und</p> - -<p>»Hier hinein, ins Tannendickicht, liebe Leute,« belehrt -sie der Staar. Und dann fliegen alle vier davon. Der -Zweig über'm Bächlein nickt gedankenverloren auf und ab, -und das Bächlein murmelt und kichert dazu.</p> - -<p>Drinnen im Tannendickicht herrscht schon reges Leben, -die Ausstellung scheint im vollen Gange zu sein. Ein geschniegeltes -Mäuseherrchen, den Schnurrbart gewichst, die -Oehrlein gespitzt, steht am Eingang als Portier. Der -Eintritt ist frei – wie nach Bellamy im Jahre 2000 bei -den Menschen, gibt es im Tierstaate kein Geld – und -unsere vier Vögel flattern in das Dickicht.</p> - -<p>»Ah, guten Tag, Herr Mäuserich,« sagt der Staar, -der alle Welt zu kennen scheint, »was macht die Frau Gemahlin? -Hat sie sich vom letzten Wochenbett erholt?«</p> - -<p>»Schönen Dank, bester Herr Staar,« entgegnete der -glückliche Mäusepapa, »alle zwölf wohlauf, aber es ist 'ne -Last, die lieben Kinderchen großzuziehen.«</p> - -<p>»Können Sie denn das nicht per Elektricität besorgen -lassen? Heutzutage sollte doch alles möglich sein – -Eier ausbrüten – Kleinigkeit! Warum nicht auch Kinderfüttern, -Kinderprügeln, Kinderkriegen etc.?« Mittlerweile -hüpften sie weiter durch die verschlungenen Wege des -<a class="pagenum" id="page_135" title="135"> </a> -Tannendickichts. Zwar sind die Plätze einiger Nachzügler -noch unbesetzt, Vieles ist nicht ganz vollendet, wie ein halbfertiger -Maulwurfshaufen z. B., ein Sprungbrett, eine angefangene -Wendeltreppe für Eichhörnchen, ein prachtvoller -Bau mit geheimnisvollen, unterirdischen Gängen, in welchen -Kaninchen noch eifrig beschäftigt sind, zu graben, und dergl. -mehr, aber im Ganzen scheint die Sache recht gelungen -zu sein.</p> - -<p>Zwei wohlgenährte, etwas verschwiemelt aussehende -Ratten, kleine Knüppel in der Hand, Mützchen von im -Wald gefundenem blauem Butterbrotspapier über den dicken -Nasen, eine weiße Sternblume auf der Brust befestigt, -marschieren würdevoll und bedächtig als heilige Wächter -der Ordnung oder Wächter der heiligen Ordnung umher. -Und es ist auch nötig: das schwirrt und summt und -brummt durcheinander, und hüpft und tanzt und zirpt, daß -es wahrhaftig einer energischen Rattenpolizei bedarf, um -das leichtfüßige Gesindel in Ordnung zu halten. Doch vor -unserer Vogelgesellschaft bezeigen die Tierlein großen Respekt; -sie halten sich in gewisser Entfernung und verneigen -sich achtungsvoll, sobald ein Blick aus Vogelaugen auf sie -fällt. Nur ein großer Hirschkäfer mit stattlichem Geweih -nähert sich mit höflich-gemessener Verbeugung und bietet sich -den hohen Herrschaften als Führer an, was mit Dank angenommen -wird.</p> - -<p>»Sehen Sie, meine Hochverehrten, hier unser Kunstdepartement. -Alles neu, noch nie dagewesen. Sehen Sie, -dies Spinnengewebe« – die langbeinige Spinne, die es -vorhin so eilig hatte, steht daneben und begrüßt sie mit -einem Auskratzen ihrer langen Spinnenbeine – »wie fein, -wie zart, geschickt die Fäden verknüpft! Und die fette, -zappelnde Fliege darin, jeden Tag wird eine frische gefangen -und hineingesetzt – das nenne ich Naturalismus.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_136" title="136"> </a> -»Schrecken der Hinterlist« ist es betitelt.</p> - -<p>Hier die noch lebende, schwer am Licht verbrannte -Motte – »Schrecken der Aufklärungssucht«.</p> - -<p>Jener Schmetterling, dem eine rauhe Menschenhand -den Duft von den zarten Flügeln gewischt, nun kann er -nicht mehr fliegen – »Schrecken des Freiheitsdranges«. -Ach, und noch so vieles Traurig-Schauderhaft-Schöne! -Sehen Sie, die von Ameisen abgenagte Drosselleiche« – -die Vögel schütteln sich und machen unangenehme Gesichter -– »und der glänzend reine Katzenschädel« – die Vögel -nicken befriedigt mit den Köpfen, und der Gelbspecht macht -eine Bewegung, als wolle er die leeren Augenhöhlen auspicken -– »wirklich eine recht sinnige Zusammenstellung.</p> - -<p>Bitte, blicken Sie hierher – lauter Raritäten – da, -das so natürliche Loch in der Erde, hier eine kleine Blätterhütte, -ein Einsiedler-Heimchen wohnt darin und zirpt bescheiden -für sich allein, dort jene sorgfältig getrockneten Heuschreckenleichen, -eine Reminiscenz aus dem großen Heuschrecken-Grashüpferkrieg. -– Und hier, bitte, sehen Sie einmal -durch dies Loch im Tannendickicht – nicht wahr, ein -reizendes Panorama: im Hintergrund die Wolken als -Schneeberge, davor ein einsamer, schwebender Rabe – großartig, -nicht wahr?«</p> - -<p>»Aeußerst großartig,« meint der Specht, »aber was -stellt es vor?«</p> - -<p>»Es ist auch ein Kriegsbild: Eine vergessene Heuschreckenleiche!« -(Frei nach Wereschagin.)</p> - -<p>Die Vögel sehen sich erstaunt unter einander an, -suchen die Leiche und erklären, nun einmal etwas Anderes -sehen zu wollen. Das gibt es ja auch in Hülle und Fülle -für jede Geschmacksrichtung. Hier, ein Eiffelturm aus -Eicheln, ein Eichhörnchen sitzt oben drauf, zeigt auf Kommando -sein buschiges Schwänzchen und knackt Nüsse zur -<a class="pagenum" id="page_137" title="137"> </a> -allgemeinen Belustigung, dazu marschieren allerliebste kleine -Nagetierchen kauend durch die Zuschauermenge und bieten -goldgelben Harz-Chewing-Gum als Erfrischung an. Da ist -eine Grotte aus kleinen Tropfsteinen und Tannenzapfen, -geheimnisvolles Dämmerlicht; einige Glühlichtwürmchen -leuchten dazu, auf grauen, trockenen Blättern und Gräsern -sind vorgestrige Regentropfen gesammelt, die schimmern wie -Wasserfluten, und ein schlankes Grillenfräulein, die Grillenbeine -mit Schleiern aus glänzendem, flatterndem Altweibersommer -bewickelt, als Fischschwanz, bewegt sich rhythmisch -hin und her und fährt mit den langen Vorderbeinen sich -graziös über den Kopf, als kämme sie sich.</p> - -<p>»Was macht die da drinnen?« fragt der eine Blauvogel -neugierig, während der andere starr vor Erstaunen dasteht.</p> - -<p>»Ich bin unten Melusine und oben Loreley,« sagt das -Grillenfräulein, »denn ich habe einen Fischschwanz und -kämme dazu mein goldenes Haar.«</p> - -<p>»Ja so,« sagt der Specht.</p> - -<p>Dicht daneben tanzen ein paar Grashüpferdamen Ballett -auf einer Schaukel von Grashalmen, und springen so hoch, -daß man sie kaum noch sehen kann, während auf der andern -Seite ein paar Mäusejünglinge in grauen Tricots mit aus -Nußschalen gedrechselten Bällen auf kunstgerechte Weise -Baseball spielen.</p> - -<p>Dieser ganze Wirrwarr, der Lärm und das Getöse, dies -Hin und Her, wirkt ungeheuer ermüdend auf die Nerven -ungeübter Zuschauer, und unsere Blauvögel piepsen und -flüstern miteinander, und fühlen sich recht ungemütlich.</p> - -<p>»Musik, meine Herrschaften, hören Sie unsere allermodernsten -Vorträge,« ruft jetzt der Hirschkäfer. Alles stürzt -nach einem hübsch mit Tannennadeln bestreuten freien Platz. -Auf einem Tannenzapfen steht erhobenen Armes eine große -Locuste, so eifrig gestikulierend, daß ihr die Augen vor den -<a class="pagenum" id="page_138" title="138"> </a> -Kopf treten; und um sie her scharen sich allerlei musikalisch -beanlagte Tiere. Nun gibt der Herr Kapellmeister das -Zeichen, indem er seine Fühlhörner weit ausstreckt, und das -Konzert braust durch das Tannendickicht. Sämtliche Grillen -des Waldes zirpen so laut sie können, dazu schnarren die -Locusts, pfeifen die Mücken, brummen die Käfer aller Art; -die Kaninchen gebrauchen kräftig ihre Trommelstöcke – ein -Höllenlärm!</p> - -<p>»Ist das nicht herrlich?« fragt der Hirschkäfer unsere Vögel.</p> - -<p>»Sehr schön,« entgegnete der Gelbspecht, »nur etwas -unverständlich.« Der Staar macht ein sehr gebildetes Gesicht, -und die Blauvögel meinen schüchtern:</p> - -<p>»Es ist aber recht eintönig, und immer so dudelig.«</p> - -<p>»Das ist ja gerade das Schöne,« sagt stolz Kapellmeister -Locuste, »sehen Sie, wie gut Sie es verstanden haben? -Es war unsere Nationalhymne – der Moskito-Doodle!«</p> - -<p>Den Blauvögeln kam die Sache immer problematischer -vor, und als vollends der Herr Mistkäfer mit der ganzen -Familie auf sie zukommt und sie freundlich auch mit dem -Nützlichen der Ausstellung bekannt machen will – die verschiedenen -Blätterpräparate, wie Regenmäntel, Schirme und -schützende Laubdächer und Haushaltungsgegenstände aller -Art; ferner Delikatessen: Tauwein über Grashalme abgezogen, -dazu Konfekt mit dem kuriosen Namen Fliegendreck, -Misthäufchen, Schneckengelee etc. – da fliegen unsere -Blauvögel entsetzt kerzengerade in die Höhe und davon, -und auch der Herr Staar, trotz seiner Gleichheitsideen, meint: -»es wäre doch recht gemischte Gesellschaft, und überhaupt -vertrüge sich die Heiterkeit dieser Ausstellung nicht mit seiner -ernsten Geistesrichtung,« während Herr Gelbspecht übermütig -erklärt:</p> - -<p>»Nein, mir gefällt es hier famos! Ich will erst den -ganzen Schwindel sehen, und wenn mir die dicke, fette Fliege -<a class="pagenum" id="page_139" title="139"> </a> -da morgen im Sonnenschein begegnet, so fresse ich sie auf -vor lauter Liebe.«</p> - -<p>Hoch oben auf einer Berghöhe, von wo man weit über -Baum und Strauch hinüberblickt – dahin haben sich die -Blauvögelein geflüchtet, und der Staar gesellt sich zu ihnen, -weil er just nichts Besseres zu thun hat. Außerdem hält er -die Blauvögel für recht belehrungsbedürftige Wesen, denen -eine kleine Pauke über »die langsam sich vollziehende Umwälzung -der Weltordnung« gar nichts schaden kann.</p> - -<p>Aber unsere blauen Waldvögelein werden hier oben -in der Einsamkeit selber so beredt, daß dem wohlmeinenden -Staar nichts übrig bleibt, als zuzuhören.</p> - -<p>»Blick' um Dich,« singen sie, »das ist unsere Ausstellung, -das ist unsere Freude und die Freude der ganzen Welt. -Sieh', wie die bunten Blätter die Bäume schmücken, wie -die glührote Weinranke die dunkle Tanne zärtlich umfängt. -Horch! <em class="ge">Unser</em> Konzert! Wie das rauscht und flüstert in -den Zweigen, wie der stürmische Herbstwind in den Blättern -tost, und sieh', wie der schönfarbige Schmetterling die geliebten -Herbstblumen umgaukelt! Und blick' um Dich: die -Sonne geht zur Rüste, sie glüht und leuchtet noch einmal -und dann sinkt sie in ihr zartes, graues Wolkenbett und -vergoldet es mit ihrem Schein, und ein strahlender Rand -zieht sich um die seltsamen Wolkengebilde. Ist das nicht -schön? Ist das nicht herrlich!</p> - -<p>Und horch! da unter uns am Fuß des Baumes – -das sind Menschen! Ein seltsam Geschlecht – kluge Gedanken -und weiche Herzen – Ich liebe sie, wenn sie zu -Zweien im Walde wandern, wie diese hier. Hör', was -sagen sie?« – Ja, es sind Menschen – ein Mann und -ein Weib. Und durch des Mannes dunkles Haar ziehen -sich Silberfäden, und auf des Weibes glatter Stirn hat -das Leben zarte Furchen gezogen. –</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_140" title="140"> </a> -»Sieh', liebes Weib,« sagte der Mann, »diese frühen -Herbstblätter in dem grünen Wald erinnern mich an meine -weißen Haare, an Deine ersten Falten auf der Stirn. Ach, -Kind, spät ist's schon im Leben, und jetzt erst lernen wir -das Glück kennen!«</p> - -<p>»Liebster,« entgegnet sie, »sieh', wie die Sonne strahlend -und liebkosend über die Baumstämme gleitet, wie alles noch -einmal in voller Pracht glänzt, glüht und leuchtet – zum -letztenmal, ehe es Winter wird. So freuen wir uns jetzt -noch einmal des Glückes und der Liebe, ehe <em class="ge">unser</em> Winter -kommt. Liebster, wie schön ist die Welt und das Leben!«</p> - -<p>Da zieht der Mann das holde, ernste Weib an sein Herz -und küßt die Falten auf der blassen Stirn, und das Gesicht -des Weibes glüht und blüht nun, wie die Rose in ihrem -Lebensfrühling.</p> - -<p>Sie sehen hinüber, bis die Sonne verlischt. – Und -die Vöglein lauschen, und der Staar meint:</p> - -<p>»Die verlangt's auch nicht nach Veränderung, und die -denken auch, gerade wie ihr dummen, kleinen Dinger, das -Leben sei doch schön. Merkwürdig! Und die Welt soll doch so -schlecht sein, sagen sie im Verein für Freiheit und sittlichen Umsturz. -Was ist nun wahr? Darüber muß ich auf einem -einsamen Eichenwipfel etwas näher nachdenken.«</p> - -<p>Er spreizt seine dekorierten Flügel und fliegt von dannen. -Blauvöglein aber locken in den Abend hinein und setzen sich -dicht nebeneinander auf einen Zweig und plustern sich und -träumen. Die sanfte Nacht kommt gezogen und breitet ihre -schwarzen Fittiche lind über die müde Erde – – über selige, -herbstliche Menschenkinder, über plusternde Blauvögelein und -melancholische Staare – ja, und über all das kriechende, sich -duckende, hochmütige, aberwitzige Volk und den weltklugen -Gelbspecht in der Weltausstellung im Tannendickicht. –</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_141" title="141"> </a> -Das Märchen von Einem, -der auszog, -ein Sonntagskind zu werden.</h2> - - -<p>Die braune Drossel saß auf einem hohen Baume im -Garten und zwitscherte: »Es ist Sonntag heute. Der Sonntag -sitzt mitten im Frühling und hat eine Krone von -Blüten auf dem Haupte, und –«</p> - -<p>Weiter konnte man nichts hören, denn die Sperlinge, -denen die Drossel das erzählte, piepsten und schrieen und -zankten so durcheinander, daß die Drossel auf und davon -flog. Was ging es auch die Stadtspatzen an, was die -Walddrossel zu erzählen hatte!</p> - -<p>Die bleiche Frau Sehnsucht aber stand am geöffneten -Fenster ihres Hauses und sah der Drossel nach. »Ach,« -seufzte sie, »wer doch ein Sonntagskind wäre und verstehen -könnte, was die Vögel singen! Ach, und wenn nur -das Kind, das ich gebären werde, ein Sonntagskind würde, -dann wollte ich gern glücklich und zufrieden sein.«</p> - -<p>Als aber ihre schwere Stunde kam, da war der lachende -Sonntag noch nicht aufgestanden, und der stille Sonnabend -lehnte noch an der kleinen Wiege mit großen, müden Augen. -Er legte eine kühle Hand auf die Stirn des kleinen, roten, -<a class="pagenum" id="page_142" title="142"> </a> -zappelnden Dinges, das mit geballten Fäustchen unter dem -Deckchen herumarbeitete und mit Zornesfalten im Gesicht -in die Welt hinausschrie.</p> - -<p>»Nur eine Viertelstunde zu früh,« seufzte die blasse -Frau Sehnsucht, und zwei heiße Thränen fielen auf die -geschlossenen Augen des Bübchens in ihrem Arm.</p> - -<p>Der kleine Bursche aber wuchs kräftig heran und -wurde so stark, daß die ungezogenen Buben in der Nachbarschaft -ihm gern aus dem Wege schlichen. Er stand an -seiner Mutter Knie gelehnt und lauschte mit leuchtenden, -wundersamen Augen, wenn sie von den Sonntagskindern -erzählte, wie sie gar so klug sind und wissen, wie die Welt -geht, und verstehen, was die Tiere sprechen, und wie sie -den Wolkenflug deuten können. – »Warum kann ich nicht -jetzt noch ein Sonntagskind werden?« rief er zornig. Dann -sprang er hinaus in den Garten und legte das Ohr auf -die Erde, ob er nicht das Gras wachsen höre, wie ein -richtiges Sonntagskind. Er hörte wohl ein zartes, leises -Murmeln, aber ob es nicht die kleinen Käfer und Ameisen -waren, die da raschelten, das wußte er nicht zu sagen. Er -stand unter den Bäumen und hörte zu, was die Vögel -sangen; es war ihm, als verstände er einzelne Worte, wie -Sonnenschein, Glück, Blütenduft; aber er war doch nicht -sicher, ob es ihm nicht sein eigenes Herz zugeflüstert hatte. -Und weinend lief er hin zu seiner Mutter und trotzte: -»Ich will doch ein Sonntagskind werden!«</p> - -<p>»Der Sonnabend leidet's nicht,« sagte Frau Sehnsucht -traurig. »Und es war doch nur eine Viertelstunde!«</p> - -<p>»Es muß in den Büchern stehen,« sagte der Knabe, -als er in die Schule ging. Und er lernte alles, was in -den Büchern stand und wurde ein berühmter Mann. Von -weit, weit her kamen die Menschen nach dem kleinen Häuschen -der Frau Sehnsucht und wollten von dem jungen -<a class="pagenum" id="page_143" title="143"> </a> -Gesellen Antwort haben auf ihre neugierigen Fragen, und -er sagte ihnen alles. Aber insgeheim glaubte er selber -nicht an das, was er ihnen so gelehrt auseinandersetzte; -hatte er doch in keinem Buche Bescheid auf seine einzige -Frage erhalten: Wie er es anfangen könne, ein Sonntagskind -zu werden? – Als nun eines Tages wieder einmal -ein paar kluge Professoren kamen, die aber doch nicht so -klug waren, wie er, und die spitzigen Zeigefinger an die -spitzigen Nasen legten, und ihm die wichtige Frage stellten: -Wie kommt es, daß der Mensch die Nase mitten im Gesicht -hat? – da fielen dem Gesellen seine Riesenkräfte -ein. Er warf die Professoren mitsamt der ganzen Universität -zur Thür hinaus, reckte und streckte sich einmal, -that einen tüchtigen Jauchzer und sagte zur Frau Sehnsucht:</p> - -<p>»Mutter, jetzt ziehe ich in die Welt hinaus, dem Sonntag -nach, und komme nicht eher wieder, bis ich ihn eingeholt -habe.«</p> - -<p>Frau Sehnsucht legte ihre weißen Hände auf sein -lockiges Haupt und küßte ihn. Dann schloß sie die schönen, -traurigen Augen für immer.</p> - -<p>Der Geselle aber zog in die Welt hinaus. Er sah die -goldene Sonne am Himmel stehen und er sagte: »O Sonne, -güldene Sonne du – ich suche, suche immer zu. Zeig -mir den Weg, wohin ich geh', o Sonne, güldene Sonne -du!« Aber die Sonne lachte ihn aus und antwortete -nicht und ging weiter, immer weiter, bis er sie zuletzt gar -nicht mehr sehen konnte. Da kam er in einen großen -Wald, darin reichten die Bäume bis in den Himmel, seltsam -große Blumen standen am Wege und sahen ihn an, -und bunte Vögel flogen sprechend von einem Ast zum -andern.</p> - -<p>»Sagt mir's, ihr Bäume, duftet, Blumen, rauscht -<a class="pagenum" id="page_144" title="144"> </a> -mir's, ihr Winde, murmelt, ihr Quellen – wie fange ich -es an, daß ich ein Sonntagskind werde?« rief der Geselle.</p> - -<p>Da kicherte und lachte es an allen Ecken und Enden. -Schelmische Mädchengesichter tauchten aus den Kelchen der -seltsamen Blumen empor und nickten ihm lächelnd zu. An -den Schlinggewächsen turnten winzige nackte Engelsbübchen, -die warfen mit duftenden Blütenblättern nach ihm, und -ein Rauschen und Raunen zog durch den ganzen Wald, -daß der Geselle gewiß alles erfahren hätte, was er wissen -wollte, wenn er nur eine Viertelstunde später auf die Welt -gekommen wäre. Zuweilen war es ihm wieder, als verstände -er ein paar Worte, und horch! klang's nicht im -Windesrauschen, wie: Bis an's Ende der Welt? Kopfschüttelnd -ging der Geselle weiter.</p> - -<p>Da wurde mit einemmal der Wald hell und licht; -das kam von einem schönen Stern, der fiel vom Himmel -nieder, und sieh' – der Stern nahm Gestalt an, so schön -und sanft wie die Mutter ausgesehen hatte, und seine -Augen strahlten still und traurig, wie die der Frau Sehnsucht. -Die schöne Sternenfrau aber sprach: »Ich will dir -Antwort auf deine Frage geben. Gehe weiter, immer -weiter, bis du ans Ende der Welt kommst. Dort wirst -du den Baum der Erkenntnis finden. Wenn du von diesem -ein Blatt brichst, dann wirst du erfahren, was du wissen -willst. Aber spute dich! der Weg ist weit.«</p> - -<p>Der Stern stieg langsam auf gen Himmel, es wurde -immer lichter, der Wald verschwand und der Geselle stand -ganz allein auf einer großen Heide, über die der Wind -pfiff.</p> - -<p>»Bis ans Ende der Welt? – da kann ich meine Füße -in die Hand nehmen, wenn ich noch ankommen will,« sagte -er und wanderte fürbaß. Weil's ihm aber einsam am Wege -war, sang er sich das Liedel von dem andern Gesellen:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Ein fahrender Geselle durchzog die weite Welt,<a class="pagenum" id="page_145" title="145"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">Zu suchen nach der Stelle, wo's immer ihm gefällt.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Doch nimmer mocht er rasten, und nirgend fand er Ruh,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ihn trieb's zum Weiterhasten, nur weiter! immer zu!</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Er hatte durchstudieret den ganzen Bücherwust,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Mit Wissen ausstaffieret das Herz in seiner Brust –</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Da fluchte er dem Buche, sah an es nimmermehr:</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das ist's nicht, was ich suche! Das Glück, das Glück gebt her!</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Und kommt er in das Städtchen und winkt ihm aus dem Thor</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das liebe braune Mädchen mit Schelmenaug' hervor –</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Laß küssen dich, du Feine! – Schaut ihr ins Angesicht;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Du bist's nicht, die ich meine! – er da voll Trauer spricht.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Da ward aus dem Scholaren ein flotter Kriegersmann,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Auch lernt er mit den Jahren, daß man sich bücken kann,</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Und fromme Verse schmieden von Freiheit und von Blut,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und vor dem Bürgerfrieden voll Ehrfurcht zieh'n den Hut.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Doch alles wollt nicht frommen, was er sich auch erdacht.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Das Glück wollt ihm nicht kommen – hörst, wie's von Ferne lacht?</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Da ward aus ihm ein Zecher, der zecht' von früh bis spat,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Bis ihm der leere Becher vom Munde sinken that.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Lag denn das Glück im Weine? – Der heilte allen Gram.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Doch weh – auch nur zum Scheine, nur bis der Morgen kam;</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">In seinem grauen Schimmer, wie lag so leer die Welt! –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die Nacht verheißt uns immer, was nie der Morgen hält.«</td></tr> -</table> - -<p>Als der Geselle sein Liedlein ausgepfiffen hatte, da -führte ihn der Weg an einem Königreich vorbei, und weil -die Thür bloß eingeklinkt war, ging er hinein. Die alte -Reichsmauer wackelte hin und her, als er eintrat, und das -Thürschloß behielt er gar in der Hand, so morsch war der -Griff. In dem Königreich saß der König auf einem -Throne, der wackelte, und hatte eine Krone auf dem alten, -<a class="pagenum" id="page_146" title="146"> </a> -wackligen Haupt, die wackelte auch. Die Räte um ihn -her hatten kleine Zöpfchen im Nacken, die wackelten, und -die Räte selber wackelten, und das ganze Königreich wackelte. -Und weil nun alles so wacklig war, da nahm der Geselle -sein Bein und gab der ganzen Wackelei einen Tritt; da -fiel alles um, und der Geselle sah lachend zu, wie der -König und die Krone und die Räte mit ihren Zöpfen und -das ganze morsche Königreich durcheinander purzelten. Des -Königs schöne Tochter aber fing er in seinen Armen auf; -doch als er sie küssen wollte, da welkte sie hin und lag tot -an seiner Brust. Ihre Seele verwandelte sich in einen schönen -weißen Vogel, der kreiste über des Gesellen Haupt und -sang ihm zu:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Weil' nicht am Wege,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Er ist noch weit;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Noch ist die neue, die selige Zeit,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Noch ist sie nimmer geboren.«</td></tr> -</table> - -<p>Als der Geselle nun weiter ging, kam er an eine große, -große Stadt, darin war eitel Freude und Lustigkeit, das -ganze Volk tanzte und sprang und geberdete sich wie toll. -In den Moscheen, Kirchen, Freiheitstempeln läuteten die -Glocken und große Götzen saßen darin, die machten mit -schrecklichen Grimassen die Mäuler auf, und dann warf -das Volk alles Schöne und Gute den Götzen in den Schlund, -und das Häßliche und Gemeine stand grinsend auf den -Schultern der Götzen, und das Volk jubelte ihm zu. – -Da faßte den Gesellen ein grimmer Zorn, er hob sein gutes -Schwert und schlug zu, und schlug den Götzen die Köpfe -ab. Aus den Rümpfen stieg ein starker, grauer Dunst -auf, wie eine Weihrauchwolke, der lagerte sich hin über die -Stadt und erstickte all das lärmende Volk, daß es tot -dalag. Ueber der Nebelwolke aber schwebte ein neuer, -<a class="pagenum" id="page_147" title="147"> </a> -schöner, weißer Vogel und gesellte sich dem andern zu; sie -umkreisten den Gesellen und sangen ihm zu:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Weil' nicht am Wege,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Er ist noch weit;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Noch ist die neue, die selige Zeit,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Noch ist sie nimmer geboren.«</td></tr> -</table> - -<p>Als der Geselle nun weiter ging, kam er an einen -hohen, hohen Berg, darauf wimmelte es von Menschen. -»Ist hier das Ende der Welt?« fragte er. »Was?« riefen -sie ihm von der Spitze des Berges zu, »das Ende der -Welt? Bewahre! Hier fängt die Welt erst an!« – Als -nun der Geselle oben angekommen war, sah er, daß all' -die Menschen ihr eigenes Ich genommen und es vor sich -hingestellt hatten; und nun drehten sich die Körper um das -Ich in der Runde und sangen feierliche Weisen und beteten -es an. »Siehst du,« riefen sie ihm zu, »das ist es, was -du suchst. Wir sind die Welt, wir sind das All, wir, unser -eigenstes Ich. Wir wissen alles, wir können alles, wir -lieben uns, wir beten uns an.« – Voll Verwunderung -stand der Geselle und sah dem seltsamen Treiben zu. »Aber -wie könnt ihr denn leben, wenn ihr euer eigenes Ich aus -euch herausgenommen habt?« – »Wir zehren von seinem -Anblick, er ist uns Nahrung, Luft und Licht. Wenn wir -unser Ich ansehen, werden wir so von seiner Größe und -Erhabenheit durchdrungen, daß wir unsere körperlichen -Beine aufheben und tanzen müssen, und dann schreien wir -von diesem hohen Berge das Heil des Ichs in die Welt -unter uns hinaus, damit auch sie daran glaube und selig -werde.«</p> - -<p>Da faßte den Gesellen, als er ihre seelenlosen Köpfe -und verdrehten Glieder sah, ein ungeheurer Ekel. Er nahm -seine starken Fäuste und schleuderte einen der tanzenden -Körper nach dem andern in die Tiefe, und wenn sie gegen -<a class="pagenum" id="page_148" title="148"> </a> -die Felsblöcke, die am Fuße des Berges lagen, anprallten, -dann platzten sie mit einem Knall, wie ein aufgeblasener -Pilz im Walde, auf den du unversehens trittst. »Jetzt -spiele ich Kegel mit den Püstern!« sagte der Geselle. – -Dann nahm er alle die angebeteten Ichs, die entseelt zu -Boden gesunken waren, schichtete sie aufeinander, wie einen -Holzstoß, und zündete sie an, daß die rote Lohe weithin in -die Welt schien. Aus den Flammen aber flog wieder ein -schöner, weißer Vogel – denn aus allem, was zu Grunde -geht, wächst doch noch ein Schönes – und er gesellte sich -zu den andern, und sie umkreisten ihn. Aber sie sangen -nicht mehr, ihr Flügelschlag wurde immer lautloser. Und -doch war es dem Gesellen, als trieben diese weichen Flügel -ihn weiter, hin über trotzige Felsblöcke, an denen sich seine -Füße blutig stießen, über weite gefrorene Seen, über denen -er hinglitt wie über einen Spiegel. Er wußte nicht mehr, -ob er schon lange gewandert sei oder eben erst die schlanke, -kühle Hand seiner Mutter, der Frau Sehnsucht, auf seiner -Stirn gefühlt hatte. Er wußte nur noch, daß er weiter, -immer weiter getrieben wurde. Endlich sank er erschöpft -zu Boden. Als er die Augen öffnete, lag er auf einer -weiten Ebene. Schöne Tiere traten an ihn heran und betrachteten -ihn mit stillen, klaren Augen; aber sie waren -stumm. Vögel schwebten über ihn hin; aber sie sangen -nicht. Blumen blühten an glänzenden Bächen, aber das -Wasser murmelte nicht; der Wind, der durch die Zweige -strich, rauschte nicht – es war tiefe, tiefe Stille. Lautlos -flogen die drei weißen Vögel vor dem Gesellen her. – In -der Ferne, am Ende der Ebene, schwebte eine weiße Wolke. -Als der Geselle näher kam, sah er, daß es tausend und -aber tausend von ebensolchen großen, weißen Vögeln waren, -wie die, die ihn begleitet hatten, und er dachte daran, wie -viele Menschen wohl gleich ihm denselben Weg gemacht -<a class="pagenum" id="page_149" title="149"> </a> -hatten, wie viel erst zertrümmert werden mußte, damit -diese Wolke sich hatte bilden können. Die weißen Vögel -umkreisten leise, leise einen starken, grünen Baum, dessen -viele Zweige gingen auf und nieder zwischen Erd' und -Himmel. Der Baum blühte nicht und trug keine Früchte, -er hatte nur unzählige grüne, kraftstrotzende Blätter. Die -drei weißen Vögel aber, die den Gesellen begleitet hatten, -mischten sich unter die andern, die in den Zweigen des -Baumes nisteten, so daß er sie nicht mehr unterscheiden -konnte. Und wie er so in der weißen Wolke stand, und -der weiche Flügelschlag der schönen Vögel seine Stirn -fächelte, da war es ihm, als höre er die Worte:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl"> »Weil' nicht am Wege,</td></tr> - <tr><td class="tdl"> Nicht ist er mehr weit.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wir kreisen und hüten die kommende Zeit,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wir weben ihr reines, ihr glänzendes Kleid –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Im Baum schläft sie sicher geborgen.«</td></tr> -</table> - -<p>Da streckte der Geselle die Hand aus und brach eines -der saftgrünen Blätter. Es fiel ein Tropfen, rot wie Blut, -in seine Hand. Da zog sein ganzes Leben an ihm vorüber: -er sah sich, wie er immer dem Sonntag nachgejagt -war, alles andere darüber vergessend; er sah, wie er nicht -die Welt und sie nicht ihn verstanden hatte, denn er war -ja eine Viertelstunde zu früh geboren. Wie er auf das -Blatt in seiner Hand hinschaute, lange, lange, da bleichte -sein Haar, seine Stirn begann sich zu runzeln, sein starker -Körper bog sich zur Erde. Aus dem Manne ward ein -Greis, und nun wußte er, wann er den Sonntag einholen -würde. – Er sah auf und sah die weißen Vögel, die mit -ihren stillen, großen Flügeln einen starken Wind erhoben; -der wehte ihn fort, weit fort, den Weg zurück, den er gekommen -war. Auf dem Berge glühte noch das Feuer, über -der Stadt lag der Dunst, das zerfallene Königreich bröckelte -<a class="pagenum" id="page_150" title="150"> </a> -am Wege – er schaute nicht um danach. Er ging durch -den dunklen Wald, darin die Bäume regungslos standen. -Er ging und ging, bis er in das Stübchen kam, in dem -Frau Sehnsucht die schönen, traurigen Augen für immer -geschlossen hatte. Da setzte sich der greise Geselle ans Fenster -und schaute in den Garten hinein.</p> - -<p>Auf dem Apfelbaum saß die braune Drossel und erzählte -den Spatzen: »Es ist Sonntag heute. Der Sonntag -sitzt mitten im Frühling und hat eine Blütenkrone auf -dem lachenden Haupte, und die Blumen bringen ihm ihre -Düfte, und die Winde tragen den Duft hin über die Stirnen -der Kinder, die heute geboren werden.«</p> - -<p>Da nickte der Greis am Fenster und lächelte. Er -schloß die Augen, und seine Seele zog vor des Sonntags -Thron, damit sie als Duft auf die Stirn eines neugeborenen -Sonntagkindes gelegt werde. – Im Tode war der -Geselle ein Sonntagskind geworden.</p> - -<p>»Es ist Sonntag!« sang die Drossel. »Das ist etwas -ganz Alltägliches,« piepsten die Spatzen, »das passiert jede -Woche einmal.«</p> - - - - -<h2><a class="pagenum" id="page_151" title="151"> </a> -Rauch.</h2> - - -<p>Es war einmal ein kleiner Schmiedegeselle, der war -es müde, immer am Amboß zu stehen und Gedanken zu -hämmern. Er hätte gar zu gern gesehen, wie sich die Gedanken -ausnahmen, noch ehe sie zum Schmiedematerial zusammengegossen -waren. Eines Tages hatte er mit heller -Lust ein paar kräftige Gedanken, die im Feuer glührot und -geschmeidig geworden waren, zu ein paar starken Hufeisen -zusammengeschweißt; die Funken sprühten, wenn man damit -auf einen Stein schlug. Da klopfte ihm der große Meister -auf die Schulter und sagte:</p> - -<p>»Geselle, geh' auf die Wanderschaft.«</p> - -<p>Und da zog er aus. – Als er wegging, schien die -Sonne hell, obwohl es mitten im Winter war; der Himmel -hatte überall blaue Batzen auf die Wolkenlöcher gesetzt, -und der Wind hatte dazu gefiedelt:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">Die Erde hat sich schlafen gelegt,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Mit weißem Lailach zugedeckt,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Der rasche Wind den Himmel fegt,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Bis er die Sonne hat erweckt.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Nun scheint sie hinunter auf den Schnee</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und lacht hinweg ihn nach und nach:</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wenn auch die Welt sich duckt in Weh;</td></tr> - <tr><td class="tdl">Sie wird doch einmal wieder wach.</td></tr> - <tr class="fsxs"><td class="tdl fsxs"> </td></tr> - <tr><td class="tdl">Dann jauchzt sie auf in grüner Lust,<a class="pagenum" id="page_152" title="152"> </a></td></tr> - <tr><td class="tdl">Hüllt sich in lauter Liebe ein –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und ahnend klingt's in deiner Brust:</td></tr> - <tr><td class="tdl">Im Winter ist es auch gut sein! –</td></tr> -</table> - -<p>Als aber der kleine Schmiedegeselle ein Stücklein Wegs -gegangen war, da sah er eine schwere dunkle Wolke in der -Ferne schweben, und je näher er kam, desto trüber wurde -es um ihn her, bis schließlich Himmel und Erde und die -ganze Welt schmutzig aussah; und er sah, daß es ein ganzes -Sammelsurium von Häusern war, das alles so finster -machte. Die Häuser waren so hoch, daß sie die Wolken -an den Fußsohlen kitzeln konnten.</p> - -<p>Der kleine Schmiedgeselle stand und guckte an so einem -hohen Kasten in die Höhe:</p> - -<p>»Könnt ihr da oben durch die Wolken sehen?« fragte -er, »und die Sonne auf der andern Seite scheinen sehen? -– Eia, das muß schön sein!«</p> - -<p>»Da, komm nur mit in das Loch hinein, kleiner Wurm,« -sagte ein Mann neben ihm, schob ihn vor sich her, und -schwupp! flogen sie in einem viereckigen kleinen Kasten so -schnell himmelan, daß es dem Gesellen ganz übel wurde.</p> - -<p>Der Mann lachte spöttisch aus ein paar klugen Augen.</p> - -<p>»Ja früher,« sagte er, »wenn der Teufel einen armen -Handwerksgesellen holte, da flogen sie miteinander auf -schwarzen Gespensterflügeln in die Tiefe hinab. Wir machen -das jetzt per Elektricität und fliegen himmelan.«</p> - -<p>Erschrocken sah das Gesellchen zur Seite, erblickte aber -nur einen ganz einfachen Menschen, der ein ganz klein -wenig hinkte. Nur seine Ohren waren so sonderbar lang -und schmal; wenn er lachte, schienen sie sich zu spitzen, -und er lachte so, daß der Schmiedegeselle mitlachen mußte, -und das Ding, in dem sie saßen, vor Vergnügen in die -Höhe sprang.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_153" title="153"> </a> -Dann waren sie oben. Das war ein großes, flaches -Dach mit Kieselsteinchen bedeckt, als ob sie drauf geregnet -wären. Allerlei Verzierungen sprangen an den Ecken auf -und auf zwei kleinen Säulchen saßen vergoldete Zierate, -die sahen aus wie Champagnerpfropfen.</p> - -<p>»I, da schlag' doch der Teufel den Herrgott tot!« rief -der Mann mit einem vergnügten Grinsen, »da hab' ich doch -gedacht, ich könnte dem kleinen Wurm das ganze Riesentreibhaus -auf einmal zeigen, und nebendran das große -Wasser, in dem man eigentlich die nichtsnutzige Brut gleich -wieder ersäufen sollte, nachdem man sie hervorgebracht hat -– und da – nichts, aber auch rein gar nichts, als das -wüste Gebrodel, das mein Vetter, der große Nebel, so erstaunlich -schön herauszukriegen versteht. Er ist ein ganz -gelungener Kerl, sage ich dir, und dabei ein Phantast, trotz -seiner Schwere. Und unbeständig ist er, nirgends zu fassen. -Der geht in einer Minute alle Ideen der Welt durch, um -schließlich mit seinem grauen Einerlei platt über die ganze -Erde hinzufallen, daß man drunter ersticken sollte. Uff! -wie schwer er schon wieder herunterhängt. – Und siehst -du, mit einemmal reißt er sein langes Hemd in Fetzen -entzwei und tanzt herum wie ein toller Bacchant. Zum -Verzweifeln für einen feierlichen Kerl!«</p> - -<p>Dabei nahm er einen gespreizten Ton an, schob die -linke Hand zwischen die Brustknöpfe seines Rockes und hob -das Haupt mit einem idealischen Schwung. Als das Gesellchen -ihn entsetzt ansah, schnitt er plötzlich allerlei Grimassen, -liebkoste ein paar kleine, niedliche Bockshörnchen, -die zwischen dem Kraushaar über der Stirn hervorwuchsen, -und spitzte seine Faunsohren nach dem Wind. Nachdem -er den kleinen Schmiedegesellen genügend verwirrt hatte, -fing er an, ihm ernsthaft allerlei Erklärungen zu geben.</p> - -<p>»Sieh',« sagte er, »das ist der große Hexenkessel, Höllengebrodel, -<a class="pagenum" id="page_154" title="154"> </a> -da werden alle die Gedanken ausgekocht von dem -Menschenpack, das tief unten mit Beinen, Händen, Köpfen -oder Magen schuftet; und die nehmen dann Gestalt an, -und paß einmal auf, da aus den Tausenden von Schlöten -fahren sie hinaus in den Nebel, der verschlingt sie, wird -groß und stark daran, wächst und wächst bis einmal die -Welt ein großer Gedanken-Nebel geworden ist. Dann -kommt die Zeit für uns Faune, uns Satanskerle, Teufelsstricke, -und wir ziehen gegen den Nebel zu Felde, gegen -meinen großen Vetter – da kämpfen wir, das ewige, -blühende, lachende Leben gegen die blassen, umnebelten und -vernebelten Gedanken. – Sieh', da fliegen sie –«</p> - -<p>Der kleine Schmiedegeselle hatte derweilen stumm in -das graue Meer geschaut, drin es wogte und zerrte, drin -die Schornsteine und Schlöte der vielen, vielen Häuser -hineinragten und schwere Dampfwolken entsendeten, schwarze, -dicke, schmierige, lichte, flinke, weiße oder rötlich scheinende, -von den Flammen tief drunten, die zuweilen bis zum Kamin -herausschlugen. Es sah aus, als ob die himmelhohen -Häuser der Riesenstadt eigentlich ganz klein hoch in der -Luft ständen, nur mit den großen Schlöten daran; als ob -da unten auf der Straße eine ganz andere Welt sei, und -nur ganz fern, fern, wie das Bienengesummse an einem -Sommermittag am Kornfeld, drang das Getrappel, Gerolle, -Getose herauf zu dem Dach, wo die Wolken mit ihren -schweren Fittichen des kleinen Gesellen Haupt streiften. -Der stand und schaute. Der wunderliche Mann saß neben -ihm, deckte ein Bein mit dem andern und deutete mit dem -langen, ausgestreckten Zeigefinger bald auf diesen, bald auf -jenen Schornstein, und er grinste spöttisch dazu, oder lachte -ingrimmig, oder seine Augen leuchteten, wie in stiller Wonne. -So jetzt eben wieder.</p> - -<p>Da stieg aus einem schlanken Rauchfang ein silberweißes -<a class="pagenum" id="page_155" title="155"> </a> -Rauchsäulchen auf, kräuselte sich lustig, ehe es im -Nebel zerging, und auf dem schaumigen Gezausel tanzten -putzige kleine Kerle mit runden Bäuchlein und weinroten -Gesichtern, sie hatten Weinreben sich umwunden und lallten -allerlei tolles Zeug und schrieen dem lächelnden Manne, -Faun, Mephisto, was immer er sich nannte, ein jauchzendes -<i>Evoë Bacche!</i></p> - -<p>Und sobald die einen im Nebel vergangen waren, -wurden neue aus den Ringeln der Rauchsäule geboren, -schöne und drollige, große und kleine, Männlein und Fräulein, -und ob auch aus den Augen eines Alten ein ernstes -Denken sprach, ob die weichen Glieder einer jungen Bacchantin -im Wirbel sich drehten – gleichsam aus ihnen -heraus über die ganze Erde hin leuchtete, strahlte eine selige, -mutige, weinduftende Begeisterung.</p> - -<p>Jetzt lachte der Geselle laut auf. Da hatten ein paar -trunkene kleine Satyrn die Nebelfetzen zusammengeballt wie -Schneebälle, schnitten wütende Gesichter nach einem andern -Schlot hin, streckten denen, die da oben aufstiegen, die -Zunge heraus, und begannen sie zu bombardieren. Es war -ein weiter Kamin, nicht sehr hoch, der Rauch, der da herauskam, -hatte eine eklige, semmelblonde Farbe, die Gedanken, -die drauf ritten, auch, und sie waren feist und schwammig. -Sie versuchten, recht forsch und protzig aufzutreten, aber -sie krümmten sich dabei, als wenn sie Bauchgrimmen hätten, -und sie streckten flehentlich die Arme aus, so gut es eben -ging, nach einem andern Schornstein und stöhnten:</p> - -<p>»Gebt uns was ab! Gebt uns was ab!«</p> - -<p>Das war ein mächtiger, weiter Schlot, und der Rauch -und Qualm, der ihm entquoll, schwarz, finster, beklemmend. -Bleiche Gestalten stiegen drauf zur Höhe, hohlwangig wie -eine durchwachte Nacht, finster wie eine Gewitterwolke. -Immer mehr, Millionen von ihnen tauchten auf aus dem -<a class="pagenum" id="page_156" title="156"> </a> -Dunkel, nicht aus einem, nein, aus hundert Schlöten, ganze -Heere von Elendsgestalten, ganze Heere von drohenden -Fäusten, von rachedurstenden Augen, von verzweifelten -Gesichtern.</p> - -<p>Und der kleine Geselle drückte sich scheu an den Mann, -der ingrimmig hohnlachte.</p> - -<p>»Wo kommen die her, alle, alle, ohne Ende?« fragte -der Geselle bebend.</p> - -<p>»Aus den Fabriken, aus den Werkstätten, aus den -Mietskasernen, aus den Spelunken da unten,« knurrte der -mit den Bockshörnchen. »Bande, elendes Pack, warum -drücken sie die andern nicht tot, schaffen sich Platz in der -Welt, so viele, wie sie sind! Aber sie haben Furcht, gerade -so viel Furcht, wie die da drüben – sieh' – da aus dem -himmelhohen Rauchfang, der so kerzengerade aufwächst – -Mitleid haben. Prrr – Puah – Mitleid, Mitgefühl, -Menschenliebe, Gleichheit, Brüderlichkeit – sieh', wie sie da -alle schweben, die schönen Gedanken! Schau einmal genau -hin! Glaubst du, sie kämen alle aus demselben hohen, ragenden, -lichten, freundlichen Kamin? Ist schön gebaut, der -Rauchfang! Aber schließ' dein Auge ab von all dem andern, -indem du die Hand krümmst wie ein Fernrohr davor – -das gibt mehr Perspektive. Siehst du nun wohl, daß jeder -der schönen Gedanken seinen Privatschlot hat, der nur an -den andern sich anlehnt? – Und die Rauchsäulchen, – -recht fein hell anzusehen – dürfen sich mit keinen von den -andern vermischen, beileibe nicht, und der Kamin muß -immer mit demselben Heizmaterial gefüttert werden, und jedes -Rauchwölkchen hat seinen Parteinebel, in den es sich auflöst.«</p> - -<p>Aber immer und immer wieder stieg das bleiche, finstere -Heer auf, auf, stetig, unverdrossen.</p> - -<p>»Da, sieh' her, du kleiner Wurm, der du die Gedanken -nackt und unverarbeitet in der Welt herumlaufen sehen -<a class="pagenum" id="page_157" title="157"> </a> -wolltest,« schrie der Mann-Faun-Mephisto, »siehst du jene -dort drüben aus dem Marmorkamin sich entwirren? – -Wohlgenährte Gestalten sind drunter mit schwimmenden -Augen, magere Kerle mit Beil-Gesichtern, und alle mit so -einem Air um sich herum, als wollten sie auf alles andere -spucken. Kapitalsbestien nennt man sie mit dem Kunstausdruck, -d. h. die Kapitäler sind ihnen jetzt da oben im -Rauch abhanden gekommen, und nur die Bestien sind übrig -geblieben. Und nun schau die guten, mitleidigen, allesliebenden, -weltbeglückenden Fanatikergedanken, die eigene -kleine Weltbegriffe auf Silberrauchsäulchen ausdünsten – -schau auch alle die winzigen Nebengedanken, die von der -Silbersäule abspringen, ihre Nachbarn zerren und stoßen, -zu Boden schlagen, ins Gesicht treten – kommt es dir nicht -schließlich vor, als wäre der eine wie der andere: Fanatiker -seines eigenen Ichs? Und sie verteidigen dieses ihr Besitztum, -die einen mit nackter Brutalität, die andern mit alles -überwältigendem Mitleid für die Menschheit. Ist recht, -ist ja recht so. Nur sollen sie nicht das Du-Geschrei erheben, -wenn sie das Ich meinen. Aber guck einmal -da!« –</p> - -<p>Aus dem lichten, ragenden Schornstein, dessen viele -Teile das Gesellchen jetzt deutlich erblickte, war eine Schar -Gedanken-Geister aufgetaucht, die sich mit Mäulern, Fäusten -und Füßen ingrimmig bearbeiteten: die einen suchten die -nächsten unter sich zu ducken, zerrend, heulend, schimpfend; -die zarten Gestalten aus demselben Rauchfang, die über -ihnen schwebten, rangen traurig die Hände; die Bestien -aus dem Marmorkamin sahen behaglich zu, und die kleinen -Weinkameraden ritten auf ihrem Rauchgekräusel herzu, -jauchzten und lachten, schütteten duftenden Rheinwein über -sie aus, wie man über die beißenden Hunde Wasser gießt, -und trieben allerhand Allotria.</p> - -<p><a class="pagenum" id="page_158" title="158"> </a> -Die hungrige, bleiche, verzweifelte Schreckensschar aber -stieg immerfort, stetig auf; auf aus den Tausenden von -Schlöten und verzehrte sich im Nebel, immerzu, regelmäßig, -wie ein grauenhaftes Uhrwerk.</p> - -<p>»Bande, Bande!« knurrte der neben dem Gesellchen. -»Wann kommt's? – Wann kommt's und schlägt den Kram -in Fetzen? – Ist ein lustig Leben, kleines Wurm, so hoch -über ihnen, was? – Und doch mitten drunter. Die da -tief drunten, alle, glauben, sie kennen, sie haben mich, und -ahnen nicht, daß ich es bin, der ihre Gedanken hier oben -spuken läßt zur eigenen Verlustierung, wie Nero einst Rom -in Brand setzte! <em class="ge">Nicht</em> sie mich – <em class="ge">ich</em> hab' <em class="ge">sie</em>! – Hoho -– aber da – da, meine Braven!«</p> - -<p>Da schlug aus einem mächtigen Rauchfang eine hohe -Feuersäule auf, glührot, wie aus einer Schmiede-Esse, und -darauf schwebte, nein, stampfte eine gewichtige Schar, die -zog den Ambos und dröhnte die Schmiedehämmer nieder, -daß es durch die Lüfte klang. Riesengestalten mit mächtigen -Köpfen und lustigen Augen. Bei jedem Hammerschlag -von ihren Fäusten stoben die Funken, und in jedem -Funken sang es:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Mir sein die Hammerschmiedsgsölln, Hammerschmiedsgsölln,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Mir könn' dableiben, mir könn' furtgeh'n,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Mir könn' dhun, was mer wöll'n, dhun, was mer wöll'n!«</td></tr> -</table> - -<p>Schritt vor Schritt weitergreifend, die rußigen Gesichter -umglüht vom Flammenschein, stampften sie alles -unter ihre Füße, Bestien und Mitleidsgedanken und Elendsgestalten, -was ihnen in den Weg kam, trieben die Rauchwolken -zur Seite und machten Bahn frei – bis endlich, -nach langem Kampf, auch sie der große Nebel verschlang.</p> - -<p>Aber dort, wo sie verschwunden waren, da lag in -lichter Ferne – das Gesellchen sah es ganz deutlich, und -der Mann breitete seine Arme aus – der silberne See, -<a class="pagenum" id="page_159" title="159"> </a> -der hob und senkte sich leise. – Möven flogen drüber hin, -die tauchten mit der weißen Brust ein in die Silberflut -und schüttelten die leuchtenden Tropfen von den Flügeln.</p> - -<p>Wo sie das Wasser berührten, tauchte ein Wunderwesen -nach dem andern auf; diese reihten sich aneinander, -und bald wimmelte der See von zarten, lieblichen, von -starken, gewaltigen Wesen. Auf ihren ausgestreckten Armen -kamen zwei wunderselige Frauengestalten einhergeschwebt, -ein leiser, flüchtiger Gesang zog ihnen voran:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Wir geleiten hohe Frauen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die den Wassern sind entstiegen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Die sich auf den Nebeln wiegen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Und die Wellen stets durchwallen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Unerkannt von allen, allen,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Denn von zwei'n ist eine keine:</td></tr> - <tr><td class="tdl">Diese Hehre, Hohe, Reine,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Jene, die da gleißt im Scheine –</td></tr> - <tr><td class="tdl">Nur zusammen kannst sie schauen.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Wie die Sonne aus dem Meere</td></tr> - <tr><td class="tdl">Ihre Strahlen weiter sendet,</td></tr> - <tr><td class="tdl">So zieh'n im Gedankenheere</td></tr> - <tr><td class="tdl">Sie, bis ihre Bahn vollendet.</td></tr> - <tr><td class="tdl">Sinken in die Wasser nieder,</td></tr> - <tr><td class="tdl">Kommen mit der Sonne wieder.«</td></tr> -</table> - -<p>So schwebten sie hin über das Häusermeer der Riesenstadt. -Die schönen Frauen glichen sich eine der andern so, -daß man sie nicht unterscheiden konnte, und das Gesellchen -hätte gar zu gern gewußt, wer sie seien.</p> - -<p>Der Mann sah mit verschränkten Armen den Zug an -sich vorüber wallen, musterte mit kritischen Augen die weißen -Nixenglieder, lächelte vertraulich dem schönen Frauenpaar -zu. – Da war es dem Gesellen, als habe die eine listig -gewinkt, die andere nur milde gelächelt. Aus dem Nebel, -<a class="pagenum" id="page_160" title="160"> </a> -der sie umwogte, aber tönte das Lied der Hammerschmiedsgesellen:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Mir könn' dhun, mir könn' treiben, mir könn' loss'n, was mer wöll'n!«</td></tr> -</table> - -<p>»Ja, ja,« nickte der Mann, »wenn's alle Hammerschmiedsgesellen -wären! Aber doch, kleines Wurm, wissen -auch sie nicht genau, gerade wie du und alle die andern -es gar nicht wissen, wer von den beiden lieben Frauenzimmerchen -da – die Wahrheit und welches die Lüge ist.«</p> - -<p>Als er das sagte und der kleine Schmiedsgeselle flehend -die Arme hob, da schauten die beiden herrlichen Frauen -zurück – die eine milde lächelnd:</p> - -<p>»<em class="ge">Du</em> bist die Wahrheit!« jauchzte der Geselle.</p> - -<p>Da hob die andere sachte und ernst den Finger an -den Mund. –</p> - -<p>Und der Geselle barg das Gesicht in die Hände und -weinte.</p> - -<p>Als er wieder aufschaute, sah er den Mann vor dem -Champagnerkorken stehen und Zwiesprache halten mit einem -nackten, kleinen Schlingel, der rittlings auf dem einen goldenen -Pfropfen saß, Bogen und Köcher umgehängt hatte -und blutrote Pfeile nach allen Richtungen verschoß; sein -Krauskopf glänzte voll goldener Locken und trotz der Lachgrübchen -saßen ein paar bitterernste Augen in dem jungen -Gesicht.</p> - -<p>»Ich bin echt!« sagte er und zielte auf den Gesellen, -und dem wurde es plötzlich ganz leicht um's Herz. Da -lachte der kleine, nackte Bub ein tolles, befreiendes Lachen, -und der Mann fiel ein, und das Gesellchen mußte mitlachen, -bis ihm die Thränen aus den Augen liefen.</p> - -<p>Dicht hing der Nebel herunter. Die Wolken rieben -sich die Fußsohlen an den Champagnerkorken. Rauch, -schwerer, schwarzer, lichter, semmelblonder stieg auf aus -<a class="pagenum" id="page_161" title="161"> </a> -allen Schlöten. In der Ferne sah der Geselle einen silbernen -Streifen, auf dem ein Mövenflügel blitzte. Ein -dumpfes Gegroll wogte zu ihnen herüber. Ein Amboßschlag -dröhnte.</p> - -<p>Fest mit den Füßen aufstampfend, ging der wunderliche -Mann mit dem kleinen Schmiedegesellen viele Stufen -hinab, und es klang, als ob jede Stufe knurrte:</p> - -<table summary=""> - <tr><td class="tdl">»Hammerschmiedsg'söll'n – dhun, was mer wöll'n!«</td></tr> -</table> - -<p>Unten angekommen, sah der Mann wieder aus wie -ein gewöhnlicher Europäer, und die Stube, in die sie eintraten, -wie eine ganz gewöhnliche Kaufmannsstube.</p> - -<p>»Hör',« sagte der Mann zu einem andern, der da saß -und schrieb, »wir müssen die Champagnerpropfen da oben -an dem Dach neu vergolden, die hat der Nebel ganz blind -gemacht.«</p> - -<p>Der andere nickte und schrieb weiter.</p> - -<p>Der Mann aber sah den kleinen Schmiedegesellen an -und zupfte sich an den spitzen Oehrchen. Und dann lachten -sie.</p> - -<hr /> - - - - -<div class="fss"> -<h2><a class="pagenum" id="page_162" title="162"> </a> -Druckfehler.</h2> - - -<table summary="" class="pa2"> - <tr> - <td class="tdc">Seite</td> - <td class="tdr">24,</td> - <td class="tdc">Zeile</td> - <td class="tdr">4</td> - <td class="tdc">von</td> - <td class="tdc">oben,</td> - <td class="tdc">lies</td> - <td class="tdc">:</td> - <td class="tdl"><i>hant</i> statt <i>hante</i>.</td> - </tr> - <tr> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdr">68,</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdr">3</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">:</td> - <td class="tdl">Silberflut statt Silberglut.</td> - </tr> - <tr> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdr">97,</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdr">15</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">:</td> - <td class="tdl">Weh <em class="ge">in der</em> Welt.</td> - </tr> - <tr> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdr">118,</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdr">8</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">:</td> - <td class="tdl"><em class="ge">ni</em>mmer statt immer.</td> - </tr> - <tr> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdr">122,</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdr">26</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">:</td> - <td class="tdl">aus <em class="ge">seinen</em> Händen.</td> - </tr> - <tr> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdr">129,</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdr">10</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">:</td> - <td class="tdl"><em class="ge">sein</em> leuchtendes Auge.</td> - </tr> - <tr> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdr">155,</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdr">23</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">"</td> - <td class="tdc">:</td> - <td class="tdl"><em class="ge">drauf</em> ritten.</td> - </tr> -</table> -</div> - -<hr class="mb4"/> - - - - -<div class="mw30 fss mb4"> -<h2 class="mt0">Im <em class="ge">Verlags-Magazin J. Schabelitz</em> in <em class="ge">Zürich</em> ist -erschienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen:</h2> - - -<p class="tdl"><b>Amerikanische Lebensbilder.</b> Skizzen und Tagebuchblätter. Von -<em class="ge">Karl Knortz</em>. – 2 Mk. = 2 Fr. 50 Cts.</p> - -<p class="tdl"><b>Eines deutschen Matrosen Nordpolfahrten.</b> Wilhelm Nindemann's -Erinnerungen an die Nordpolexpedition der »Polaris« -und »Jeanette«. Von <em class="ge">Karl Knortz</em>. – 70 Pf. = 85 Cts.</p> - -<p class="tdl"><b>Hamlet und Faust.</b> Von <em class="ge">Karl Knortz</em>. – 1 Mk. = 1 Fr. 25 Cts.</p> - -<p class="tdl"><b>Irländische Märchen.</b> Von <em class="ge">Karl Knortz</em>. – Mk. 1.60. = 2 Fr.</p> - -<p class="tdl"><b>Nokomis.</b> Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer. -Von <em class="ge">Karl Knortz</em>. – 1 Mk. 60 Pf. = 2 Fr.</p> - -<p class="tdl"><b>Neue Epigramme.</b> Von <em class="ge">Karl Knortz</em>. – 1 Mk. = 1 Fr. 25 Cts.</p> - -<p class="tdl"><b>Goethe und die Wertherzeit.</b> Ein Vortrag. Von <em class="ge">Karl Knortz</em>. -Mit dem Anhange: Goethe in Amerika. – 80 Pf. = 1 Fr.</p> - -<p class="tdl"><b>Grashalme.</b> Gedichte von <em class="ge">Walt Whitman</em>. In Auswahl -übersetzt von <em class="ge">Karl Knortz</em> und <em class="ge">T. W. Rolleston</em>. – 2 Mk. 50 Pf. -= 3 Fr.</p> - -<p class="tdl"><b>Vom Hudson bis zum goldenen Thor.</b> Ernste und heitere -Erzählungen aus dem amerikanischen Leben. Von <em class="ge">Joseph -Treumann</em>. 2 Bände. – 5 Mk. = 6 Fr. 25 Cts.</p> - -<p class="tdl"><b>Ueberseeische Reisen.</b> Von <em class="ge">Amand Goegg</em>. – 2 Mk. 40 Pf. -= 3 Fr.</p> - -<p class="tdl"><b>Bilder aus den Vereinigten Staaten.</b> Von <i>Dr.</i> <em class="ge">J. Richter</em>. -– 1 Mk. 60 Pf. = 2 Fr.</p> - -<p class="tdl"><b>Aus dem Reiche des Tantalus.</b> Alfresco-Skizzen von <em class="ge">W. L. -Rosenberg</em>. – 1 Mk. 60 Pf. = 2 Fr.</p> - -<p class="tdl"><b>Zweierlei Hoheit.</b> Roman von <em class="ge">Juvenalis Minor</em>. – 3 Mk. 60 Pf. -= 4 Fr. 50 Cts.</p> - -<p class="tdl"><b>Heißes Blut.</b> Roman aus der französischen Provinz. 2 Theile. -Von <em class="ge">Hermann Gosseck</em>. – 5 Mk. = 6 Fr. 25 Cts.</p> - -<p class="tdl"><b>Scherben.</b> Gesammelt vom müden Manne (<em class="ge">Richard Voß</em>.) -Zweite, stark vermehrte Auflage. – 5 Mk. = 6 Fr. 25 Cts.</p> - -<p class="tdl"><b>Schlimme Geschichten.</b> Drei Novellen. Von <em class="ge">Gustav Adolf</em>. -– 1 Mk. 60 Pf. = 2 Fr.</p> - -<p class="tdl"><b>Ueber Graphologie</b> oder die Kunst, die Geistes- und Gemüthseigenschaften -eines Menschen aus seiner Handschrift zu erkennen. -Von <em class="ge">Fritz Machmer</em>. – 2 Mk. = 2 Fr. 50 Cts.</p> -</div> - - - - -<div class="mw36 bo"> -<h2 class="mt0">Hinweise zur Transkription</h2> - - -<p class="in0">Der Schmutztitel wurde entfernt.</p> - -<p class="in0">Im Originalbuch tragen die Kapitel jeweils am Anfang ornamentalen -und am Ende floralen Schmuck, auf den in dieser Transkription verzichtet wurde.</p> - -<p class="in0">Die im Buch enthaltene Verlagswerbung wurde von der Rückseite des -vorderen Einbanddeckels an das Buchende verschoben.</p> - -<p class="in0">Das Originalbuch ist in Fraktur gesetzt.</p> - -<p class="in0">Darstellung abweichender Schriftarten: <em class="ge">gesperrt</em>, <i>Antiqua</i>, <b>fett</b>.</p> - -<p class="in0">Der Text des Originalbuchs wurde grundsätzlich beibehalten, -einschließlich uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise -"Apollo" – "Appollo", "Bacchus" – "Bacchos", "Höckerweib" – "Hökerweib", -"Schmiedegeselle" – "Schmiedgeselle", "Sonntagkind" – "Sonntagskind",</p> - -<p class="in0">mit folgenden Ausnahmen,</p> - -<p class="in0">entsprechend dem Korrekturverzeichnis des Originalbuchs</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_024">24</a>:<br /> -im Original "ich hete in mîne hante gesmogen"<br /> -geändert in "ich hete in mîne hant gesmogen"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_068">68</a>:<br /> -im Original "In tiefe, rauschende Silberglut"<br /> -geändert in "In tiefe, rauschende Silberflut"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_097">97</a>:<br /> -im Original "als ob all das Weh in Welt"<br /> -geändert in "als ob all das Weh in der Welt"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_118">118</a>:<br /> -im Original "wenn Ihr die Liebe sucht, fliegt immer zu Thal"<br /> -geändert in "wenn Ihr die Liebe sucht, fliegt nimmer zu Thal"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_122">122</a>:<br /> -im Original "aus ihren Händen weg und zu uns"<br /> -geändert in "aus seinen Händen weg und zu uns"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_129">129</a>:<br /> -im Original "und ein leuchtendes Auge weilt"<br /> -geändert in "und sein leuchtendes Auge weilt"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_155">155</a>:<br /> -im Original "die Gedanken, die draus ritten"<br /> -geändert in "die Gedanken, die drauf ritten"</p> - -<p class="in0">und außerdem</p> - -<p class="ci">Seite 13:<br /> -im Original "wo wollen die vielen Menschen hin die dort"<br /> -geändert in "wo wollen die vielen Menschen hin, die dort"</p> - -<p class="ci">Seite 25:<br /> -im Original "Flüstern durch den Saal und und ein Beben"<br /> -geändert in "Flüstern durch den Saal und ein Beben"</p> - -<p class="ci">Seite 39:<br /> -im Original "Weise Hosen, schwarzes Röcklein und auf dem Kopf"<br /> -geändert in "Weiße Hosen, schwarzes Röcklein und auf dem Kopf"</p> - -<p class="ci">Seite 40:<br /> -im Original "wenn ihr die zackigen Blätter"<br /> -geändert in "wenn Ihr die zackigen Blätter"</p> - -<p class="ci">Seite 45:<br /> -im Original "Cochenille – Kaktus, unansehnliche, häßliche Dinger"<br /> -geändert in "Cochenille-Kaktus, unansehnliche, häßliche Dinger"</p> - -<p class="ci">Seite 49:<br /> -im Original "Wohl süß ist es zu singen"<br /> -geändert in "»Wohl süß ist es zu singen"</p> - -<p class="ci">Seite 56:<br /> -im Original "sieh', doch, da ist das Märchen!"<br /> -geändert in "sieh' doch, da ist das Märchen!"</p> - -<p class="ci">Seite 56:<br /> -im Original "die Kinder faßten sich bei deu Händen"<br /> -geändert in "die Kinder faßten sich bei den Händen"</p> - -<p class="ci">Seite 76:<br /> -im Original "den Bäuuen aus dem Wege gehen"<br /> -geändert in "den Bäumen aus dem Wege gehen"</p> - -<p class="ci">Seite 85:<br /> -im Original "Regiment Weizenfeld-Allerfeinste-Mehlsorte No. 1"<br /> -geändert in "Regiment Weizenfeld-Allerfeinste-Mehlsorte No. I"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_108">108</a>:<br /> -im Original "deren heißes Menschenherz langsam, zu"<br /> -geändert in "deren heißes Menschenherz langsam zu"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_135">135</a>:<br /> -im Original "wie zart, geschickt die Fäden verknüpft!«"<br /> -geändert in "wie zart, geschickt die Fäden verknüpft!"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_139">139</a>:<br /> -im Original "Mannes dunkles Haar ziehen sich Silderfäden"<br /> -geändert in "Mannes dunkles Haar ziehen sich Silberfäden"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_140">140</a>:<br /> -im Original "dekorierten Flügel und fliegt von dannen"<br /> -geändert in "dekorierten Flügel und fliegt von dannen."</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_146">146</a>:<br /> -im Original "Seele verwandelte sich einen"<br /> -geändert in "Seele verwandelte sich in einen"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_155">155</a>:<br /> -im Original "finster, beklemmend, Bleiche Gestalten"<br /> -geändert in "finster, beklemmend. Bleiche Gestalten"</p> - -<p class="ci">Seite <a class="ndcbl" href="#page_157">157</a>:<br /> -im Original "Aus dem lichten, ragenden, Schornstein"<br /> -geändert in "Aus dem lichten, ragenden Schornstein"</p> - -<p class="ci">in der Verlagswerbung:<br /> -im Original "Rosenberg. – 1 Mk. 60 Pf. = 2 Fr. = 1 Fr."<br /> -geändert in "Rosenberg. – 1 Mk. 60 Pf. = 2 Fr."</p> -</div> - -<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK VENUSMäRCHEN ***</div> -<div style='text-align:left'> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Updated editions will replace the previous one—the old editions will -be renamed. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright -law means that no one owns a United States copyright in these works, -so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United -States without permission and without paying copyright -royalties. 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Redistribution is subject to the trademark -license, especially commercial redistribution. -</div> - -<div style='margin:0.83em 0; font-size:1.1em; text-align:center'>START: FULL LICENSE<br /> -<span style='font-size:smaller'>THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE<br /> -PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK</span> -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free -distribution of electronic works, by using or distributing this work -(or any other work associated in any way with the phrase “Project -Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full -Project Gutenberg™ License available with this file or online at -www.gutenberg.org/license. -</div> - -<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'> -Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -1.A. 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Information about the Mission of Project Gutenberg™ -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of -electronic works in formats readable by the widest variety of -computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It -exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations -from people in all walks of life. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Volunteers and financial support to provide volunteers with the -assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s -goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will -remain freely available for generations to come. In 2001, the Project -Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure -and permanent future for Project Gutenberg™ and future -generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see -Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. -</div> - -<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'> -Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit -501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the -state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal -Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification -number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by -U.S. federal laws and your state’s laws. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, -Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up -to date contact information can be found at the Foundation’s website -and official page at www.gutenberg.org/contact -</div> - -<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'> -Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread -public support and donations to carry out its mission of -increasing the number of public domain and licensed works that can be -freely distributed in machine-readable form accessible by the widest -array of equipment including outdated equipment. Many small donations -($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt -status with the IRS. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -The Foundation is committed to complying with the laws regulating -charities and charitable donations in all 50 states of the United -States. Compliance requirements are not uniform and it takes a -considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up -with these requirements. 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Donations are accepted in a number of other -ways including checks, online payments and credit card donations. To -donate, please visit: www.gutenberg.org/donate -</div> - -<div style='display:block; font-size:1.1em; margin:1em 0; font-weight:bold'> -Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Professor Michael S. Hart was the originator of the Project -Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be -freely shared with anyone. For forty years, he produced and -distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of -volunteer support. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed -editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in -the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not -necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper -edition. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -Most people start at our website which has the main PG search -facility: <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. -</div> - -<div style='display:block; margin:1em 0'> -This website includes information about Project Gutenberg™, -including how to make donations to the Project Gutenberg Literary -Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to -subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. -</div> - -</div> -</body> -</html> - - |
