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| author | Roger Frank <rfrank@pglaf.org> | 2025-10-15 05:27:54 -0700 |
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If you are not located in the United States, you +will have to check the laws of the country where you are located before +using this eBook. + +Title: Märchen-Almanach auf das Jahr 1826 + +Author: Wilhelm Hauff + +Release Date: January 9, 2003 [eBook #6638] +[Most recently updated: July 31, 2021] + +Language: German + +Character set encoding: UTF-8 + +Produced by: Mike Pullen + +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MÄRCHEN-ALMANACH AUF DAS JAHR 1826 *** + + + + +Märchen-Almanach auf das Jahr 1826 + +Wilhelm Hauff + + +Inhalt + + Märchen als Almanach + Die Karawane (Rahmenerzählung) + Die Geschichte vom Kalif Storch + Die Geschichte von dem Gespensterschiff + Die Geschichte von der abgehauenen Hand + Die Errettung Fatmes + Die Geschichte von dem kleinen Muck + Das Märchen vom falschen Prinzen + + + + +Märchen als Almanach + +Wilhelm Hauff + + +In einem schönen, fernen Reiche, von welchem die Sage lebt, daß die +Sonne in seinen ewig grünen Gärten niemals untergehe, herrschte von +Anfang an bis heute die Königin Phantasie. Mit vollen Händen spendete +diese seit vielen Jahrhunderten die Fülle des Segens über die Ihrigen +und war geliebt, verehrt von allen, die sie kannten. Das Herz der +Königin war aber zu groß, als daß sie mit ihren Wohltaten bei ihrem +Lande stehen geblieben wäre; sie selbst, im königlichen Schmuck ihrer +ewigen Jugend und Schönheit, stieg herab auf die Erde; denn sie hatte +gehört, daß dort Menschen wohnen, die ihr Leben in traurigem Ernst, +unter Mühe und Arbeit hinbringen. Diesen hatte sie die schönsten Gaben +aus ihrem Reiche mitgebracht, und seit die schöne Königin durch die +Fluren der Erde gegangen war, waren die Menschen fröhlich bei der +Arbeit, heiter in ihrem Ernst. + +Auch ihre Kinder, nicht minder schön und lieblich als die königliche +Mutter, sandte sie aus, um die Menschen zu beglücken. Einst kam +Märchen, die älteste Tochter der Königin, von der Erde zurück. Die +Mutter bemerkte, daß Märchen traurig sei, ja, hier und da wollte ihr +bedünken, als ob sie verweinte Augen hätte. + +„Was hast du, liebes Märchen“, sprach die Königin zu ihr, „du bist seit +deiner Reise so traurig und niedergeschlagen, willst du deiner Mutter +nicht anvertrauen, was dir fehlt?“ + +„Ach, liebe Mutter“, antwortete Märchen, „ich hätte gewiß nicht so +lange geschwiegen, wenn ich nicht wüßte, daß mein Kummer auch der +deinige ist.“ + +„Sprich immer, meine Tochter“, bat die schöne Königin, „der Gram ist +ein Stein, der den einzelnen niederdrückt, aber zwei tragen ihn leicht +aus dem Wege.“ + +„Du willst es“, antwortete Märchen, „so höre: Du weißt, wie gerne ich +mit den Menschen umgehe, wie ich freudig auch bei dem Ärmsten vor +seiner Hütte sitze, um nach der Arbeit ein Stündchen mit ihm zu +verplaudern; sie boten mir auch sonst gleich freundlich die Hand zum +Gruß, wenn ich kam, und sahen mir lächelnd und zufrieden nach, wenn ich +weiterging; aber in diesen Tagen ist es gar nicht mehr so!“ + +„Armes Märchen!“ sprach die Königin und streichelte ihr die Wange, die +von einer Träne feucht war, „aber du bildest dir vielleicht dies alles +nur ein?“ + +„Glaube mir, ich fühle es nur zu gut“, entgegnete Märchen, „sie lieben +mich nicht mehr. Überall, wo ich hinkomme, begegnen mir kalte Blicke; +nirgends bin ich mehr gern gesehen; selbst die Kinder, die ich doch +immer so lieb hatte, lachen über mich und wenden mir altklug den Rücken +zu.“ + +Die Königin stützte die Stirne in die Hand und schwieg sinnend. + +„Und woher soll es denn“, fragte die Königin, „kommen, Märchen, daß +sich die Leute da unten so geändert haben?“ + +„Sieh, die Menschen haben kluge Wächter aufgestellt, die alles, was aus +deinem Reich kommt, o Königin Phantasie, mit scharfem Blicke mustern +und prüfen. Wenn nun einer kommt, der nicht nach ihrem Sinne ist, so +erheben sie ein großes Geschrei, schlagen ihn tot oder verleumden ihn +doch so sehr bei den Menschen, die ihnen aufs Wort glauben, daß man gar +keine Liebe, kein Fünkchen Zutrauen mehr findet. Ach, wie gut haben es +meine Brüder, die Träume, fröhlich und leicht hüpfen sie auf die Erde +hinab, fragen nichts nach jenen klugen Männern, besuchen die +schlummernden Menschen und weben und malen ihnen, was das Herz beglückt +und das Auge erfreut!“ + +„Deine Brüder sind Leichtfüße“, sagte die Königin, „und du, mein +Liebling, hast keine Ursache, sie zu beneiden. Jene Grenzwächter kenne +ich übrigens wohl; die Menschen haben so unrecht nicht, sie +aufzustellen; es kam so mancher windige Geselle und tat, als ob er +geradewegs aus meinem Reiche käme, und doch hatte er höchstens von +einem Berge zu uns herübergeschaut.“ + +„Aber warum lassen sie dies mich, deine eigene Tochter, entgelten“, +weinte Märchen. „Ach, wenn du wüßtest, wie sie es mit mir gemacht +haben; sie schalten mich eine alte Jungfer und drohten, mich das +nächste Mal gar nicht mehr hereinzulassen.“ „Wie, meine Tochter nicht +mehr einzulassen?“ rief die Königin, und Zorn rötete ihre Wangen. „Aber +ich sehe schon, woher dies kommt; die böse Muhme hat uns verleumdet!“ + +„Die Mode? Nicht möglich!“ rief Märchen, „sie tat ja sonst immer so +freundlich.“ + +„Oh! Ich kenne sie, die Falsche“, antwortete die Königin, „aber +versuche es ihr zum Trotze wieder, meine Tochter, wer Gutes tun will, +darf nicht rasten.“ + +„Ach, Mutter! Wenn sie mich dann ganz zurückweisen, oder wenn sie mich +verleumden, daß mich die Menschen nicht ansehen oder einsam und +verachtet in der Ecke stehen lassen?“ + +„Wenn die Alten, von der Mode betört, dich geringschätzen, so wende +dich an die Kleinen, wahrlich, sie sind meine Lieblinge, ihnen sende +ich meine lieblichsten Bilder durch deine Brüder, die Träume, ja, ich +bin schon oft selbst zu ihnen hinabgeschwebt, habe sie geherzt und +geküßt und schöne Spiele mit ihnen gespielt; sie kennen mich auch wohl, +sie wissen zwar meinen Namen nicht, aber ich habe schon oft bemerkt, +wie sie nachts zu meinen Sternen herauflächeln und morgens, wenn meine +glänzenden Lämmer am Himmel ziehen, vor Freuden die Hände +zusammenschlagen. Auch wenn sie größer werden, lieben sie mich noch, +ich helfe dann den lieblichen Mädchen bunte Kränze flechten, und die +wilden Knaben werden stiller, wenn ich auf hoher Felsenspitze mich zu +ihnen setze, aus der Nebelwelt der fernen, blauen Berge hohe Burgen und +glänzende Paläste auftauchen lasse und aus den rötlichen Wolken des +Abends kühne Reiterscharen und wunderliche Wallfahrtszüge bilde.“ + +„O die guten Kinder!“ rief Märchen bewegt aus. „Ja, es sei! Mit ihnen +will ich es noch einmal versuchen.“ + +„Ja, du gute Tochter“, sprach die Königin, „gehe zu ihnen; aber ich +will dich auch ein wenig ordentlich ankleiden, daß du den Kleinen +gefällst und die Großen dich nicht zurückstoßen; siehe, das Gewand +eines Almanachs will ich dir geben.“ + +„Eines Almanachs, Mutter? Ach!—Ich schäme mich, so vor den Leuten zu +prangen.“ + +Die Königin winkte, und die Dienerinnen brachten das zierliche Gewand +eines Almanachs. Es war von glänzenden Farben und schöne Figuren +eingewoben. + +Die Zofen flochten dem schönen Mädchen das lange Haar; sie banden ihr +goldene Sandalen unter die Füße und hingen ihr dann das Gewand um. + +Das bescheidene Märchen wagte nicht aufzublicken, die Mutter aber +betrachtete es mit Wohlgefallen und schloß es in ihre Arme. „Gehe hin“, +sprach sie zu der Kleinen, „mein Segen sei mit dir. Und wenn sie dich +verachten und höhnen, so kehre zurück zu mir, vielleicht, daß spätere +Geschlechter, getreuer der Natur, ihr Herz dir wieder zuwenden.“ + +Also sprach die Königin Phantasie. Märchen aber stieg hinab auf die +Erde. Mit pochendem Herzen nahte sie dem Ort, wo die klugen Wächter +hauseten; sie senkte das Köpfchen zur Erde, sie zog das schöne Gewand +enger um sich her, und mit zagendem Schritt nahte sie dem Tor. + +„Halt!“ rief eine tiefe, rauhe Stimme. „Wache heraus! Da kommt ein +neuer Almanach!“ + +Märchen zitterte, als sie dies hörte; viele ältliche Männer von +finsterem Aussehen stürzten hervor; sie hatten spitzige Federn in der +Faust und hielten sie dem Märchen entgegen. Einer aus der Schar schritt +auf sie zu und packte sie mit rauher Hand am Kinn. „Nur auch den Kopf +aufgerichtet, Herr Almanach“, schrie er, „daß man Ihm in den Augen +ansiehet, ob er was Rechtes ist oder nicht!“ + +Errötend richtete Märchen das Köpfchen in die Höhe und schlug das +dunkle Auge auf. + +„Das Märchen!“ riefen die Wächter und lachten aus vollem Hals, „das +Märchen! Haben wunder gemeint, was da käme! Wie kommst du nur in diesen +Rock?“ + +„Die Mutter hat ihn mir angezogen“, antwortete Märchen. „So? Sie will +dich bei uns einschwärzen? Nichts da! Hebe dich weg, mach, daß du +fortkommst!“ riefen die Wächter untereinander und erhoben die scharfen +Federn. + +„Aber ich will ja nur zu den Kindern“, bat Märchen, „dies könnt ihr mir +ja doch erlauben.“ + +„Läuft nicht schon genug solches Gesindel im Land umher?“ rief einer +der Wächter. „Sie schwatzen nur unseren Kindern dummes Zeug vor.“ + +„Laßt uns sehen, was sie diesmal weiß!“ sprach ein anderer. + +„Nun ja“, riefen sie, „sag an, was du weißt, aber beeile dich, denn wir +haben nicht viele Zeit für dich!“ + +Märchen streckte die Hand aus und schrieb mit dem Zeigefinger viele +Zeichen in die Luft. Da sah man bunte Gestalten vorüberziehen; +Karawanen mit schönen Rossen, geschmückte Reiter, viele Zelte im Sand +der Wüste; Vögel und Schiffe auf stürmischen Meeren; stille Wälder und +volkreiche Plätze und Straßen; Schlachten und friedliche Nomaden, sie +alle schwebten in belebten Bildern, in buntem Gewimmel vorüber. + +Märchen hatte in dem Eifer, mit welchem sie die Bilder aufsteigen ließ, +nicht bemerkt, wie die Wächter des Tores nach und nach eingeschlafen +waren. Eben wollte sie neue Zeichen schreiben, als ein freundlicher +Mann auf sie zutrat und ihre Hand ergriff. „Siehe her, gutes Märchen“, +sagte er, indem er auf die Schlafenden zeigte, „für diese sind deine +bunten Sachen nichts; schlüpfe schnell durch das Tor; sie ahnen dann +nicht, daß du im Lande bist, und du kannst friedlich und unbemerkt +deine Straße ziehen. Ich will dich zu meinen Kindern führen; in meinem +Hause geb’ ich dir ein stilles, freundliches Plätzchen; dort kannst du +wohnen und für dich leben; wenn dann meine Söhne und Töchter gut +gelernt haben, dürfen sie mit ihren Gespielen zu dir kommen und dir +zuhören. Willst du so?“ + +„Oh, wie gerne folge ich dir zu deinen lieben Kleinen; wie will ich +mich befleißen, ihnen zuweilen ein heiteres Stündchen zu machen!“ + +Der gute Mann nickte ihr freundlich zu und half ihr, über die Füße der +schlafenden Wächter hinüberzusteigen. Lächelnd sah sich Märchen um, als +sie hinüber war, und schlüpfte dann schnell in das Tor. + + + + +Die Karawane + +Wilhelm Hauff + + +Es zog einmal eine große Karawane durch die Wüste. Auf der ungeheuren +Ebene, wo man nichts als Sand und Himmel sieht, hörte man schon in +weiter Ferne die Glocken der Kamele und die silbernen Röllchen der +Pferde, eine dichte Staubwolke, die ihr vorherging, verkündete ihre +Nähe, und wenn ein Luftzug die Wolke teilte, blendeten funkelnde Waffen +und helleuchtende Gewänder das Auge. So stellte sich die Karawane einem +Manne dar, welcher von der Seite her auf sie zuritt. Er ritt ein +schönes arabisches Pferd, mit einer Tigerdecke behängt, an dem +hochroten Riemenwerk hingen silberne Glöckchen, und auf dem Kopf des +Pferdes wehte ein schöner Reiherbusch. Der Reiter sah stattlich aus, +und sein Anzug entsprach der Pracht seines Rosses; ein weißer Turban, +reich mit Gold bestickt, bedeckte das Haupt; der Rock und die weiten +Beinkleider waren von brennendem Rot, ein gekrümmtes Schwert mit +reichem Griff an seiner Seite. Er hatte den Turban tief ins Gesicht +gedrückt; dies und die schwarzen Augen, die unter buschigen Brauen +hervorblitzten, der lange Bart, der unter der gebogenen Nase herabhing, +gaben ihm ein wildes, kühnes Aussehen. + +Als der Reiter ungefähr auf fünfzig Schritt dem Vortrab der Karawane +nahe war, spornte er sein Pferd an und war in wenigen Augenblicken an +der Spitze des Zuges angelangt. Es war ein so ungewöhnliches Ereignis, +einen einzelnen Reiter durch die Wüste ziehen zu sehen, daß die Wächter +des Zuges, einen Überfall befürchtend, ihm ihre Lanzen +entgegenstreckten. + +„Was wollt ihr“, rief der Reiter, als er sich so kriegerisch empfangen +sah, „glaubt ihr, ein einzelner Mann werde eure Karawane angreifen?“ + +Beschämt schwangen die Wächter ihre Lanzen wieder auf, ihr Anführer +aber ritt an den Fremden heran und fragte nach seinem Begehr. + +„Wer ist der Herr der Karawane?“ fragte der Reiter. + +„Sie gehört nicht einem Herrn“, antwortete der Gefragte, „sondern es +sind mehrere Kaufleute, die von Mekka in ihre Heimat ziehen und die wir +durch die Wüste geleiten, weil oft allerlei Gesindel die Reisenden +beunruhigt.“ + +„So führt mich zu den Kaufleuten“, begehrte der Fremde. + +„Das kann jetzt nicht geschehen“, antwortete der Führer, „weil wir ohne +Aufenthalt weiterziehen müssen und die Kaufleute wenigstens eine +Viertelstunde weiter hinten sind; wollt Ihr aber mit mir weiterreiten, +bis wir lagern, um Mittagsruhe zu halten, so werde ich Eurem Wunsch +willfahren.“ + +Der Fremde sagte hierauf nichts; er zog eine lange Pfeife, die er am +Sattel festgebunden hatte, hervor und fing an in großen Zügen zu +rauchen, indem er neben dem Anführer des Vortrabs weiterritt. Dieser +wußte nicht, was er aus dem Fremden machen sollte; er wagte es nicht, +ihn geradezu nach seinem Namen zu fragen, und so künstlich er auch ein +Gespräch anzuknüpfen suchte, der Fremde hatte auf das: „Ihr raucht da +einen guten Tabak“, oder: „Euer Rapp’ hat einen braven Schritt“, immer +nur mit einem kurzen „Ja, ja!“ geantwortet. + +Endlich waren sie auf dem Platz angekommen, wo man Mittagsruhe halten +wollte. Der Anführer hatte seine Leute als Wachen aufgestellt; er +selbst hielt mit dem Fremden, um die Karawane herankommen zu lassen. +Dreißig Kamele, schwer beladen, zogen vorüber, von bewaffneten Führern +geleitet. Nach diesen kamen auf schönen Pferden die fünf Kaufleute, +denen die Karawane gehörte. Es waren meistens Männer von vorgerücktem +Alter, ernst und gesetzt aussehend, nur einer schien viel jünger als +die übrigen, wie auch froher und lebhafter. Eine große Anzahl Kamele +und Packpferde schloß den Zug. + +Man hatte Zelte aufgeschlagen und die Kamele und Pferde rings +umhergestellt. In der Mitte war ein großes Zelt von blauem Seidenzeug. +Dorthin führte der Anführer der Wache den Fremden. Als sie durch den +Vorhang des Zeltes getreten waren, sahen sie die fünf Kaufleute auf +goldgewirkten Polstern sitzen; schwarze Sklaven reichten ihnen Speise +und Getränke. „Wen bringt Ihr uns da?“ rief der junge Kaufmann dem +Führer zu. + +Ehe noch der Führer antworten konnte, sprach der Fremde: „Ich heiße +Selim Baruch und bin aus Bagdad; ich wurde auf einer Reise nach Mekka +von einer Räuberhorde gefangen und habe mich vor drei Tagen heimlich +aus der Gefangenschaft befreit. Der große Prophet ließ mich die Glocken +eurer Karawane in weiter Ferne hören, und so kam ich bei euch an. +Erlaubet mir, daß ich in eurer Gesellschaft reise! Ihr werdet euren +Schutz keinem Unwürdigen schenken, und so ihr nach Bagdad kommet, werde +ich eure Güte reichlich belohnen denn ich bin der Neffe des +Großwesirs.“ + +Der älteste der Kaufleute nahm das Wort: „Selim Baruch“, sprach er, +„sei willkommen in unserem Schatten. Es macht uns Freude, dir +beizustehen; vor allem aber setze dich und iß und trinke mit uns.“ + +Selim Baruch setzte sich zu den Kaufleuten und aß und trank mit ihnen. +Nach dem Essen räumten die Sklaven die Geschirre hinweg und brachten +lange Pfeifen und türkischen Sorbet. Die Kaufleute saßen lange +schweigend, indem sie die bläulichen Rauchwolken vor sich hinbliesen +und zusahen, wie sie sich ringelten und verzogen und endlich in die +Luft verschwebten. Der junge Kaufmann brach endlich das Stillschweigen: +„So sitzen wir seit drei Tagen“, sprach er, „zu Pferd und am Tisch, +ohne uns durch etwas die Zeit zu vertreiben. Ich verspüre gewaltig +Langeweile, denn ich bin gewohnt, nach Tisch Tänzer zu sehen oder +Gesang und Musik zu hören. Wißt ihr gar nichts, meine Freunde, das uns +die Zeit vertreibt?“ + +Die vier älteren Kaufleute rauchten fort und schienen ernsthaft +nachzusinnen, der Fremde aber sprach: „Wenn es mir erlaubt ist, will +ich euch einen Vorschlag machen. Ich meine, auf jedem Lagerplatz könnte +einer von uns den anderen etwas erzählen. Dies könnte uns schon die +Zeit vertreiben.“ + +„Selim Baruch, du hast wahr gesprochen“, sagte Achmet, der älteste der +Kaufleute, „laßt uns den Vorschlag annehmen.“ + +„Es freut mich, wenn euch der Vorschlag behagt“, sprach Selim, „damit +ihr aber sehet, daß ich nichts Unbilliges verlange, so will ich den +Anfang machen.“ + +Vergnügt rückten die fünf Kaufleute näher zusammen und ließen den +Fremden in ihrer Mitte sitzen. Die Sklaven schenkten die Becher wieder +voll, stopften die Pfeifen ihrer Herren frisch und brachten glühende +Kohlen zum Anzünden. Selim aber erfrischte seine Stimme mit einem +tüchtigen Zuge Sorbet, strich den langen Bart über dem Mund weg und +sprach: + +„So hört denn die Geschichte vom Kalif Storch.“ + +Als Selim Baruch seine Geschichte beendet hatte, bezeugten sich die +Kaufleute sehr zufrieden damit. „Wahrhaftig, der Nachmittag ist uns +vergangen, ohne daß wir merkten wie!“ sagte einer derselben, indem er +die Decke des Zeltes zurückschlug. „Der Abendwind wehet kühl, und wir +könnten noch eine gute Strecke Weges zurücklegen.“ Seine Gefährten +waren damit einverstanden, die Zelte wurden abgebrochen, und die +Karawane machte sich in der nämlichen Ordnung, in welcher sie +herangezogen war, auf den Weg. + +Sie ritten beinahe die ganze Nacht hindurch, denn es war schwül am +Tage, die Nacht aber war erquicklich und sternhell. Sie kamen endlich +an einem bequemen Lagerplatz an, schlugen die Zelte auf und legten sich +zur Ruhe. Für den Fremden aber sorgten die Kaufleute, wie wenn er ihr +wertester Gastfreund wäre. Der eine gab ihm Polster, der andere Decken, +ein dritter gab ihm Sklaven, kurz, er wurde so gut bedient, als ob er +zu Hause wäre. Die heißeren Stunden des Tages waren schon +heraufgekommen, als sie sich wieder erhoben, und sie beschlossen +einmütig, hier den Abend abzuwarten. Nachdem sie miteinander gespeist +hatten, rückten sie wieder näher zusammen, und der junge Kaufmann +wandte sich an den ältesten und sprach: „Selim Baruch hat uns gestern +einen vergnügten Nachmittag bereitet, wie wäre es, Achmet, wenn Ihr uns +auch etwas erzähltet, sei es nun aus Eurem langen Leben, das wohl viele +Abenteuer aufzuweisen hat, oder sei es auch ein hübsches Märchen.“ +Achmet schwieg auf diese Anrede eine Zeitlang, wie wenn er bei sich im +Zweifel wäre, ob er dies oder jenes sagen sollte oder nicht; endlich +fing er an zu sprechen: + +„Liebe Freunde! Ihr habt euch auf dieser unserer Reise als treue +Gesellen erprobt, und auch Selim verdient mein Vertrauen; daher will +ich euch etwas aus meinem Leben mitteilen, das ich sonst ungern und +nicht jedem erzähle: die Geschichte von dem Gespensterschiff.“ + +Die Reise der Karawane war den anderen Tag ohne Hindernis fürder +gegangen, und als man im Lagerplatz sich erholt hatte, begann Selim, +der Fremde, zu Muley, dem jüngsten der Kaufleute, also zu sprechen: + +„Ihr seid zwar der Jüngste von uns, doch seid Ihr immer fröhlich und +wißt für uns gewiß irgendeinen guten Schwank. Tischet ihn auf, daß er +uns erquicke nach der Hitze des Tages!“ + +„Wohl möchte ich euch etwas erzählen“, antwortete Muley, „das euch Spaß +machen könnte, doch der Jugend ziemt Bescheidenheit in allen Dingen; +darum müssen meine älteren Reisegefährten den Vorrang haben. Zaleukos +ist immer so ernst und verschlossen, sollte er uns nicht erzählen, was +sein Leben so ernst machte? Vielleicht, daß wir seinen Kummer, wenn er +solchen hat, lindern können; denn gerne dienen wir dem Bruder, wenn er +auch anderen Glaubens ist.“ + +Der Aufgerufene war ein griechischer Kaufmann, ein Mann in mittleren +Jahren, schön und kräftig, aber sehr ernst. Ob er gleich ein +Ungläubiger (nicht Muselmann) war, so liebten ihn doch seine +Reisegefährten, denn er hatte durch sein ganzes Wesen Achtung und +Zutrauen eingeflößt. Er hatte übrigens nur eine Hand, und einige seiner +Gefährten vermuteten, daß vielleicht dieser Verlust ihn so ernst +stimme. + +Zaleukos antwortete auf die zutrauliche Frage Muleys: „Ich bin sehr +geehrt durch euer Zutrauen; Kummer habe ich keinen, wenigstens keinen, +von welchem ihr auch mit dem besten Willen mir helfen könntet. Doch +weil Muley mir meinen Ernst vorzuwerfen scheint, so will ich euch +einiges erzählen, was mich rechtfertigen soll, wenn ich ernster bin als +andere Leute. Ihr sehet, daß ich meine linke Hand verloren habe. Sie +fehlt mir nicht von Geburt an, sondern ich habe sie in den +schrecklichsten Tagen meines Lebens eingebüßt. Ob ich die Schuld davon +trage, ob ich unrecht habe, seit jenen Tagen ernster, als es meine Lage +mit sich bringt, zu sein, möget ihr beurteilen, wenn ihr vernommen habt +die Geschichte von der abgehauenen Hand.“ + +Zaleukos, der griechische Kaufmann, hatte seine Geschichte geendigt. +Mit großer Teilnahme hatten ihm die übrigen zugehört, besonders der +Fremde schien sehr davon ergriffen zu sein; er hatte einigemal tief +geseufzt, und Muley schien es sogar, als habe er einmal Tränen in den +Augen gehabt. Sie besprachen sich noch lange Zeit über diese +Geschichte. + +„Und haßt Ihr den Unbekannten nicht, der Euch so schnöd’ um ein so +edles Glied Eures Körpers, der selbst Euer Leben in Gefahr brachte?“ +fragte der Fremde. + +„Wohl gab es in früherer Zeit Stunden“, antwortete der Grieche, „in +denen mein Herz ihn vor Gott angeklagt, daß er diesen Kummer über mich +gebracht und mein Leben vergiftet habe; aber ich fand Trost in dem +Glauben meiner Väter, und dieser befiehlt mir, meine Feinde zu lieben; +auch ist er wohl noch unglücklicher als ich.“ + +„Ihr seid ein edler Mann!“ rief der Fremde und drückte gerührt dem +Griechen die Hand. + +Der Anführer der Wache unterbrach sie aber in ihrem Gespräch. Er trat +mit besorgter Miene in das Zelt und berichtete, daß man sich nicht der +Ruhe überlassen dürfe; denn hier sei die Stelle, wo gewöhnlich die +Karawanen angegriffen würden, auch glaubten seine Wachen, in der +Entfernung mehrere Reiter zu sehen. + +Die Kaufleute waren sehr bestürzt über diese Nachricht; Selim, der +Fremde, aber wunderte sich über ihre Bestürzung und meinte, daß sie so +gut geschätzt wären, daß sie einen Trupp räuberischer Araber nicht zu +fürchten brauchten. + +„Ja, Herr!“ entgegnete ihm der Anführer der Wache. „Wenn es nur solches +Gesindel wäre, könnte man sich ohne Sorge zur Ruhe legen; aber seit +einiger Zeit zeigt sich der furchtbare Orbasan wieder, und da gilt es, +auf seiner Hut zu sein.“ + +Der Fremde fragte, wer denn dieser Orbasan sei, und Achmet, der alte +Kaufmann, antwortete ihm: „Es gehen allerlei Sagen unter dem Volke über +diesen wunderbaren Mann. Die einen halten ihn für ein übermenschliches +Wesen, weil er oft mit fünf bis sechs Männern zumal einen Kampf +besteht, andere halten ihn für einen tapferen Franken, den das Unglück +in diese Gegend verschlagen habe; von allem aber ist nur so viel gewiß, +daß er ein verruchter Mörder und Dieb ist.“ + +„Das könnt Ihr aber doch nicht behaupten“, entgegnete ihm Lezah, einer +der Kaufleute. „Wenn er auch ein Räuber ist, so ist er doch ein edler +Mann, und als solcher hat er sich an meinem Bruder bewiesen, wie ich +Euch erzählen könnte. Er hat seinen ganzen Stamm zu geordneten Menschen +gemacht, und so lange er die Wüste durchstreift, darf kein anderer +Stamm es wagen, sich sehen zu lassen. Auch raubt er nicht wie andere, +sondern er erhebt nur ein Schutzgeld von den Karawanen, und wer ihm +dieses willig bezahlt, der ziehet ungefährdet weiter; denn Orbasan ist +der Herr der Wüste.“ + +Also sprachen unter sich die Reisenden im Zelte; die Wachen aber, die +um den Lagerplatz ausgestellt waren, begannen unruhig zu werden. Ein +ziemlich bedeutender Haufe bewaffneter Reiter zeigte sich in der +Entfernung einer halben Stunde; sie schienen gerade auf das Lager +zuzureiten. Einer der Männer von der Wache ging daher in das Zelt, um +zu verkünden, daß sie wahrscheinlich angegriffen würden. Die Kaufleute +berieten sich untereinander, was zu tun sei, ob man ihnen entgegengehen +oder den Angriff abwarten solle. Achmet und die zwei älteren Kaufleute +wollten das letztere, der feurige Muley aber und Zaleukos verlangten +das erstere und riefen den Fremden zu ihrem Beistand auf. Dieser zog +ruhig ein kleines, blaues Tuch mit roten Sternen aus seinem Gürtel +hervor, band es an eine Lanze und befahl einem der Sklaven, es auf das +Zelt zu stecken; er setze sein Leben zum Pfand, sagte er, die Reiter +werden, wenn sie dieses Zeichen sehen, ruhig vorüberziehen. Muley +glaubte nicht an den Erfolg, der Sklave aber steckte die Lanze auf das +Zelt. Inzwischen hatten alle, die im Lager waren, zu den Waffen +gegriffen und sahen in gespannter Erwartung den Reitern entgegen. Doch +diese schienen das Zeichen auf dem Zelte erblickt zu haben, sie wichen +plötzlich von ihrer Richtung auf das Lager ab und zogen in einem großen +Bogen auf der Seite hin. + +Verwundert standen einige Augenblicke die Reisenden und sahen bald auf +die Reiter, bald auf den Fremden. Dieser stand ganz gleichgültig, wie +wenn nichts vorgefallen wäre, vor dem Zelte und blickte über die Ebene +hin. Endlich brach Muley das Stillschweigen. „Wer bist du, mächtiger +Fremdling“, rief er aus, „der du die wilden Horden der Wüste durch +einen Wink bezähmst?“ + +„Ihr schlagt meine Kunst höher an, als sie ist“, antwortete Selim +Baruch. „Ich habe mich mit diesem Zeichen versehen, als ich der +Gefangenschaft entfloh; was es zu bedeuten hat, weiß ich selbst nicht; +nur so viel weiß ich, daß, wer mit diesem Zeichen reiset, unter +mächtigem Schutze steht.“ + +Die Kaufleute dankten dem Fremden und nannten ihn ihren Erretter. +Wirklich war auch die Anzahl der Reiter so groß gewesen, daß wohl die +Karawane nicht lange hätte Widerstand leisten können. + +Mit leichterem Herzen begab man sich jetzt zur Ruhe, und als die Sonne +zu sinken begann und der Abendwind über die Sandebene hinstrich, +brachen sie auf und zogen weiter. + +Am nächsten Tage lagerten sie ungefähr nur noch eine Tagreise von dem +Ausgang der Wüste entfernt. Als sich die Reisenden wieder in dem großen +Zelt versammelt hatten, nahm Lezah, der Kaufmann, das Wort: + +„Ich habe euch gestern gesagt, daß der gefürchtete Orbasan ein edler +Mann sei, erlaubt mir, daß ich es euch heute durch die Erzählung der +Schicksale meines Bruders beweise. Mein Vater war Kadi in Akara. Er +hatte drei Kinder. Ich war der Älteste, ein Bruder und eine Schwester +waren bei weitem jünger als ich. Als ich zwanzig Jahre alt war, rief +mich ein Bruder meines Vaters zu sich. Er setzte mich zum Erben seiner +Güter ein, mit der Bedingung, daß ich bis zu seinem Tode bei ihm +bleibe. Aber er erreichte ein hohes Alter, so daß ich erst vor zwei +Jahren in meine Heimat zurückkehrte und nichts davon wußte, welch +schreckliches Schicksal indes mein Haus betroffen und wie gütig Allah +es gewendet hatte.“ Die Errettung Fatmes + +Die Karawane hatte das Ende der Wüste erreicht, und fröhlich begrüßten +die Reisenden die grünen Matten und die dichtbelaubten Bäume, deren +lieblichen Anblick sie viele Tage entbehrt hatten. In einem schönen +Tale lag eine Karawanserei, die sie sich zum Nachtlager wählten, und +obgleich sie wenig Bequemlichkeit und Erfrischung darbot, so war doch +die ganze Gesellschaft heiterer und zutraulicher als je; denn der +Gedanke, den Gefahren und Beschwerlichkeiten, die eine Reise durch die +Wüste mit sich bringt, entronnen zu sein, hatte alle Herzen geöffnet +und die Gemüter zu Scherz und Kurzweil gestimmt. Muley, der junge +lustige Kaufmann, tanzte einen komischen Tanz und sang Lieder dazu, die +selbst dem ernsten Griechen Zaleukos ein Lächeln entlockten. Aber nicht +genug, daß er seine Gefährten durch Tanz und Spiel erheitert hatte, er +gab ihnen auch noch die Geschichte zum besten, die er ihnen versprochen +hatte, und hub, als er von seinen Luftsprüngen sich erholt hatte, also +zu erzählen an: Die Geschichte von dem kleinen Muck. + +„So erzählte mir mein Vater; ich bezeugte ihm meine Reue über mein +rohes Betragen gegen den guten kleinen Mann, und mein Vater schenkte +mir die andere Hälfte der Strafe, die er mir zugedacht hatte. Ich +erzählte meinen Kameraden die wunderbaren Schicksale des Kleinen, und +wir gewannen ihn so lieb, daß ihn keiner mehr schimpfte. Im Gegenteil, +wir ehrten ihn, solange er lebte, und haben uns vor ihm immer so tief +wie vor Kadi und Mufti gebückt.“ + +Die Reisenden beschlossen, einen Rasttag in dieser Karawanserei zu +machen, um sich und die Tiere zur weiteren Reise zu stärken. Die +gestrige Fröhlichkeit ging auch auf diesen Tag über, und sie ergötzten +sich in allerlei Spielen. Nach dem Essen aber riefen sie dem fünften +Kaufmann, Ali Sizah, zu, auch seine Schuldigkeit gleich den übrigen zu +tun und eine Geschichte zu erzählen. Er antwortete, sein Leben sei zu +arm an auffallenden Begebenheiten, als daß er ihnen etwas davon +mitteilen möchte, daher wolle er ihnen etwas anderes erzählen, nämlich: +Das Märchen vom falschen Prinzen. + +Mit Sonnenaufgang brach die Karawane auf und gelangte bald nach Birket +el Had oder dem Pilgrimsbrunnen, von wo es nur noch drei Stunden Weges +nach Kairo waren—Man hatte um diese Zeit die Karawane erwartet, und +bald hatten die Kaufleute die Freude, ihre Freunde aus Kairo ihnen +entgegenkommen zu sehen. Sie zogen in die Stadt durch das Tor Bebel +Falch; denn es wird für eine glückliche Vorbedeutung gehalten, wenn man +von Mekka kommt, durch dieses Tor einzuziehen, weil der Prophet +hindurchgezogen ist. + +Auf dem Markt verabschiedeten sich die vier türkischen Kaufleute von +dem Fremden und dem griechischen Kaufmann Zaleukos und gingen mit ihren +Freunden nach Haus. Zaleukos aber zeigte dem Fremden eine gute +Karawanserei und lud ihn ein, mit ihm das Mittagsmahl zu nehmen. Der +Fremde sagte zu und versprach, wenn er nur vorher sich umgekleidet +habe, zu erscheinen. + +Der Grieche hatte alle Anstalten getroffen, den Fremden, welchen er auf +der Reise liebgewonnen hatte, gut zu bewirten, und als die Speisen und +Getränke in gehöriger Ordnung aufgestellt waren, setzte er sich, seinen +Gast zu erwarten. + +Langsam und schweren Schrittes hörte er ihn den Gang, der zu seinem +Gemach führte, heraufkommen. Er erhob sich, um ihm freundlich +entgegenzusehen und ihn an der Schwelle zu bewillkommnen; aber voll +Entsetzen fuhr er zurück, als er die Türe öffnete; denn jener +schreckliche Rotmantel trat ihm entgegen; er warf noch einen Blick auf +ihn, es war keine Täuschung; dieselbe hohe, gebietende Gestalt, die +Larve, aus welcher ihn die dunklen Augen anblitzten, der rote Mantel +mit der goldenen Stickerei waren ihm nur allzuwohl bekannt aus den +schrecklichsten Stunden seines Lebens. + +Widerstreitende Gefühle wogten in Zaleukos Brust; er hatte sich mit +diesem Bild seiner Erinnerung längst ausgesöhnt und ihm vergeben, und +doch riß sein Anblick alle seine Wunden wieder auf; alle jene +qualvollen Stunden der Todesangst, jener Gram, der die Blüte seines +Lebens vergiftete, zogen im Flug eines Augenblicks an seiner Seele +vorüber. + +„Was willst du, Schrecklicher?“ rief der Grieche aus, als die +Erscheinung noch immer regungslos auf der Schwelle stand. „Weiche +schnell von hinnen, daß ich dir nicht fluche!“ + +„Zaleukos!“ sprach eine bekannte Stimme unter der Larve hervor. +„Zaleukos! So empfängst du deinen Gastfreund?“ Der Sprechende nahm die +Larve ab, schlug den Mantel zurück; es war Selim Baruch, der Fremde. + +Aber Zaleukos schien noch nicht beruhigt, ihm graute vor dem Fremden; +denn nur zu deutlich hatte er in ihm den Unbekannten von der Ponte +vecchio erkannt; aber die alte Gewohnheit der Gastfreundschaft siegte; +er winkte schweigend dem Fremden, sich zu ihm ans Mahl zu setzen. + +„Ich errate deine Gedanken“, nahm dieser das Wort, als sie sich gesetzt +hatten. „Deine Augen sehen fragend auf mich—ich hätte schweigen und +mich deinen Blicken nie mehr zeigen können, aber ich bin dir +Rechenschaft schuldig, und darum wagte ich es auch, auf die Gefahr hin, +daß du mir fluchtest, vor dir in meiner alten Gestalt zu erscheinen. Du +sagtest einst zu mir: Der Glaube meiner Väter befiehlt mir, ihn zu +lieben, auch ist er wohl unglücklicher als ich; glaube dieses, mein +Freund, und höre meine Rechtfertigung! + +Ich muß weit ausholen, um mich dir ganz verständlich zu machen. Ich bin +in Alessandria von christlichen Eltern geboren. Mein Vater, der jüngere +Sohn eines alten, berühmten französischen Hauses, war Konsul seines +Landes in Alessandria. Ich wurde von meinem zehnten Jahre an in +Frankreich bei einem Bruder meiner Mutter erzogen und verließ erst +einige Jahre nach dem Ausbruch der Revolution mein Vaterland, um mit +meinem Oheim, der in dem Lande seiner Ahnen nicht mehr sicher war, über +dem Meer bei meinen Eltern eine Zuflucht zu suchen. Voll Hoffnung, die +Ruhe und den Frieden, den uns das empörte Volk der Franzosen entrissen, +im elterlichen Hause wiederzufinden, landeten wir. Aber ach! Ich fand +nicht alles in meines Vaters Hause, wie es sein sollte; die äußeren +Stürme der bewegten Zeit waren zwar noch nicht bis hierher gelangt, +desto unerwarteter hatte das Unglück mein Haus im innersten Herzen +heimgesucht. Mein Bruder, ein junger, hoffnungsvoller Mann, erster +Sekretär meines Vaters, hatte sich erst seit kurzem mit einem jungen +Mädchen, der Tochter eines florentinischen Edelmanns, der in unserer +Nachbarschaft wohnte, verheiratet; zwei Tage vor unserer Ankunft war +diese auf einmal verschwunden, ohne daß weder unsere Familie noch ihr +Vater die geringste Spur von ihr auffinden konnten. Man glaubte +endlich, sie habe sich auf einem Spaziergang zu weit gewagt und sei in +Räuberhände gefallen. Beinahe tröstlicher wäre dieser Gedanke für +meinen armen Bruder gewesen als die Wahrheit, die uns nur bald kund +wurde. Die Treulose hatte sich mit einem jungen Neapolitaner, den sie +im Hause ihres Vaters kennengelernt hatte, eingeschifft. Mein Bruder, +aufs äußerste empört über diesen Schritt, bot alles auf, die Schuldige +zur Strafe zu ziehen; doch vergebens; seine Versuche, die in Neapel und +Florenz Aufsehen erregt hatten, dienten nur dazu, sein und unser aller +Unglück zu vollenden. Der florentinische Edelmann reiste in sein +Vaterland zurück, zwar mit dem Vorgeben, meinem Bruder Recht zu +verschaffen, der Tat nach aber, um uns zu verderben. Er schlug in +Florenz alle jene Untersuchungen, welche mein Bruder angeknüpft hatte, +nieder und wußte seinen Einfluß, den er auf alle Art sich verschafft +hatte, so gut zu benützen, daß mein Vater und mein Bruder ihrer +Regierung verdächtig gemacht und durch die schändlichsten Mittel +gefangen, nach Frankreich geführt und dort vom Beil des Henkers getötet +wurden. Meine arme Mutter verfiel in Wahnsinn, und erst nach zehn +langen Monaten erlöste sie der Tod von ihrem schrecklichen Zustand, der +aber in den letzten Tagen zu vollem, klarem Bewußtsein geworden war. So +stand ich jetzt ganz allein in der Welt, aber nur ein Gedanke +beschäftigte meine Seele, nur ein Gedanke ließ mich meine Trauer +vergessen, es war jene mächtige Flamme, die meine Mutter in ihrer +letzten Stunde in mir angefacht hatte. + +In den letzten Stunden war, wie ich dir sagte, ihr Bewußtsein +zurückgekehrt; sie ließ mich rufen und sprach mit Ruhe von unserem +Schicksal und ihrem Ende. Dann aber ließ sie alle aus dem Zimmer gehen, +richtete sich mit feierlicher Miene von ihrem ärmlichen Lager auf und +sagte, ich könne mir ihren Segen erwerben, wenn ich ihr schwöre, etwas +auszuführen, das sie mir auftragen würde—Ergriffen von den Worten der +sterbenden Mutter, gelobte ich mit einem Eide zu tun, wie sie mir sagen +werde. Sie brach nun in Verwünschungen gegen den Florentiner und seine +Tochter aus und legte mir mit den fürchterlichsten Drohungen ihres +Fluches auf, mein unglückliches Haus an ihm zu rächen. Sie starb in +meinen Armen. Jener Gedanke der Rache hatte schon lange in meiner Seele +geschlummert; jetzt erwachte er mit aller Macht. Ich sammelte den Rest +meines väterlichen Vermögens und schwor mir, alles an meine Rache zu +setzen oder selbst mit unterzugehen. + +Bald war ich in Florenz, wo ich mich so geheim als möglich aufhielt; +mein Plan war um vieles erschwert worden durch die Lage, in welcher +sich meine Feinde befanden. Der alte Florentiner war Gouverneur +geworden und hatte so alle Mittel in der Hand, sobald er das geringste +ahnte, mich zu verderben. Ein Zufall kam mir zu Hilfe. Eines Abends sah +ich einen Menschen in bekannter Livree durch die Straßen gehen; sein +unsicherer Gang, sein finsterer Blick und das halblaut herausgestoßene +„Santo sacramento“, „Maledetto diavolo“ ließen mich den alten Pietro, +einen Diener des Florentiners, den ich schon in Alessandria gekannt +hatte, erkennen. Ich war nicht in Zweifel, daß er über seinen Herrn in +Zorn geraten sei, und beschloß, seine Stimmung zu benützen. Er schien +sehr überrascht, mich hier zu sehen, klagte mir sein Leiden, daß er +seinem Herrn, seit er Gouverneur geworden, nichts mehr recht machen +könne, und mein Gold, unterstützt von seinem Zorn, brachte ihn bald auf +meine Seite. Das Schwierigste war jetzt beseitigt; ich hatte einen Mann +in meinem Solde, der mir zu jeder Stunde die Türe meines Feindes +öffnete, und nun reifte mein Racheplan immer schneller heran. Das Leben +des alten Florentiners schien mir ein zu geringes Gewicht, dem +Untergang meines Hauses gegenüber, zu haben. Sein Liebstes mußte er +gemordet sehen, und dies war Bianka, seine Tochter. Hatte ja sie so +schändlich an meinem Bruder gefrevelt, war ja doch sie die Ursache +unseres Unglücks. Gar erwünscht kam sogar meinem rachedürstigen Herzen +die Nachricht, daß in dieser Zeit Bianka zum zweitenmal sich vermählen +wollte, es war beschlossen, sie mußte sterben. Aber mir selbst graute +vor der Tat, und auch Pietro traute sich zu wenig Kraft zu; darum +spähten wir umher nach einem Mann, der das Geschäft vollbringen könne. +Unter den Florentinern wagte ich keinen zu dingen, denn gegen den +Gouverneur würde keiner etwas Solches unternommen haben. Da fiel Pietro +der Plan ein, den ich nachher ausgeführt habe; zugleich schlug er dich +als Fremden und Arzt als den Tauglichsten vor. Den Verlauf der Sache +weißt du. Nur an deiner großen Vorsicht und Ehrlichkeit schien mein +Unternehmen zu scheitern. Daher der Zufall mit dem Mantel. + +Pietro öffnete uns das Pförtchen an dem Palast des Gouverneurs; er +hätte uns auch ebenso heimlich wieder hinausgeleitet, wenn wir nicht, +durch den schrecklichen Anblick, der sich uns durch die Türspalte +darbot, erschreckt, entflohen wären. Von Schrecken und Reue gejagt, war +ich über zweihundert Schritte fortgerannt, bis ich auf den Stufen einer +Kirche niedersank. Dort erst sammelte ich mich wieder, und mein erster +Gedanke warst du und dein schreckliches Schicksal, wenn man dich in dem +Hause fände. Ich schlich an den Palast, aber weder von Pietro noch von +dir konnte ich eine Spur entdecken; das Pförtchen aber war offen, so +konnte ich wenigstens hoffen, daß du die Gelegenheit zur Flucht benützt +haben könntest. + +Als aber der Tag anbrach, ließ mich die Angst vor der Entdeckung und +ein unabweisbares Gefühl von Reue nicht mehr in den Mauern von Florenz. +Ich eilte nach Rom. Aber denke dir meine Bestürzung, als man dort nach +einigen Tagen überall diese Geschichte erzählte mit dem Beisatz, man +habe den Mörder, einen griechischen Arzt, gefangen. Ich kehrte in +banger Besorgnis nach Florenz zurück; denn schien mir meine Rache schon +vorher zu stark, so verfluchte ich sie jetzt, denn sie war mir durch +dein Leben allzu teuer erkauft. Ich kam an demselben Tage an, der dich +der Hand beraubte. Ich schweige von dem, was ich fühlte, als ich dich +das Schafott besteigen und so heldenmütig leiden sah. Aber damals, als +dein Blut in Strömen aufspritzte, war der Entschluß fest in mir, dir +deine übrigen Lebenstage zu versüßen. Was weiter geschehen ist, weißt +du, nur das bleibt mir noch zu sagen übrig, warum ich diese Reise mit +dir machte. + +Als eine schwere Last drückte mich der Gedanke, daß du mir noch immer +nicht vergeben habest; darum entschloß ich mich, viele Tage mit dir zu +leben und dir endlich Rechenschaft abzulegen von dem, was ich mit dir +getan.“ + +Schweigend hatte der Grieche seinen Gast angehört; mit sanftem Blick +bot er ihm, als er geendet hatte, seine Rechte. „Ich wußte wohl, daß du +unglücklicher sein müßtest als ich, denn jene grausame Tat wird wie +eine dunkle Wolke ewig deine Tage verfinstern; ich vergebe dir von +Herzen. Aber erlaube mir noch eine Frage: Wie kommst du unter dieser +Gestalt in die Wüste? Was fingst du an, nachdem du in Konstantinopel +mir das Haus gekauft hattest?“ + +„Ich ging nach Alessandria zurück“, antwortete der Gefragte. „Haß gegen +alle Menschen tobte in meiner Brust, brennender Haß besonders gegen +jene Nationen, die man die gebildeten nennt. Glaube mir, unter meinen +Moslemiten war mir wohler! Kaum war ich einige Monate in Alessandria, +als jene Landung meiner Landsleute erfolgte. + +Ich sah in ihnen nur die Henker meines Vaters und meines Bruders; darum +sammelte ich einige gleichgesinnte junge Leute meiner Bekanntschaft und +schloß mich jenen tapferen Mamelucken an, die so oft der Schrecken des +französischen Heeres wurden. Als der Feldzug beendigt war, konnte ich +mich nicht entschließen, zu den Künsten des Friedens zurückzukehren. +Ich lebte mit einer kleinen Anzahl gleichdenkender Freunde ein unstetes +und flüchtiges, dem Kampf und der Jagd geweihtes Leben; ich lebe +zufrieden unter diesen Leuten, die mich wie ihren Fürsten ehren; denn +wenn meine Asiaten auch nicht so gebildet sind wie Eure Europäer, so +sind sie doch weit entfernt von Neid und Verleumdung, von Selbstsucht +und Ehrgeiz.“ + +Zaleukos dankte dem Fremden für seine Mitteilung, aber er verbarg ihm +nicht, daß er es für seinen Stand, für seine Bildung angemessener +fände, wenn er in christlichen, in europäischen Ländern leben und +wirken würde. Er faßte seine Hand und bat ihn, mit ihm zu ziehen, bei +ihm zu leben und zu sterben. + +Gerührt sah ihn der Gastfreund an. „Daraus erkenne ich“, sagte er, „daß +du mir ganz vergeben hast, daß du mich liebst. Nimm meinen innigsten +Dank dafür!“ Er sprang auf und stand in seiner ganzen Größe vor dem +Griechen, dem vor dem kriegerischen Anstand, den dunkel blitzenden +Augen, der tiefen Stimme seines Gastes beinahe graute. „Dein Vorschlag +ist schön“, sprach jener weiter, „er möchte für jeden andern lockend +sein—ich kann ihn nicht benützen. Schon steht mein Roß gesattelt, +erwarten mich meine Diener; lebe wohl, Zaleukos!“ Die Freunde, die das +Schicksal so wunderbar zusammengeführt, umarmten sich zum Abschied. +„Und wie nenne ich dich? Wie heißt mein Gastfreund, der auf ewig in +meinem Gedächtnis leben wird?“ fragte der Grieche. + +Der Fremde sah ihn lange an, drückte ihm noch einmal die Hand und +sprach: „Man nennt mich den Herrn der Wüste; ich bin der Räuber +Orbasan.“ + + + + +Kalif Storch + +Wilhelm Hauff + + +Der Kalif Chasid zu Bagdad saß einmal an einem schönen Nachmittag +behaglich auf seinem Sofa; er hatte ein wenig geschlafen, denn es war +ein heißer Tag, und sah nun nach seinem Schläfchen recht heiter aus. Er +rauchte aus einer langen Pfeife von Rosenholz, trank hier und da ein +wenig Kaffee, den ihm ein Sklave einschenkte, und strich sich allemal +vergnügt den Bart, wenn es ihm geschmeckt hatte. Kurz, man sah dem +Kalifen an, daß es ihm recht wohl war. Um diese Stunde konnte man gar +gut mit ihm reden, weil er da immer recht mild und leutselig war, +deswegen besuchte ihn auch sein Großwesir Mansor alle Tage um diese +Zeit. An diesem Nachmittage nun kam er auch, sah aber sehr nachdenklich +aus, ganz gegen seine Gewohnheit. Der Kalif tat die Pfeife ein wenig +aus dem Mund und sprach: „Warum machst du ein so nachdenkliches +Gesicht, Großwesir?“ + +Der Großwesir schlug seine Arme kreuzweis über die Brust, verneigte +sich vor seinem Herrn und antwortete: „Herr, ob ich ein nachdenkliches +Gesicht mache, weiß ich nicht, aber da drunten am Schloß steht ein +Krämer, der hat so schöne Sachen, daß es mich ärgert, nicht viel +überflüssiges Geld zu haben.“ + +Der Kalif, der seinem Großwesir schon lange gerne eine Freude gemacht +hätte, schickte seinen schwarzen Sklaven hinunter, um den Krämer +heraufzuholen. Bald kam der Sklave mit dem Krämer zurück. Dieser war +ein kleiner, dicker Mann, schwarzbraun im Gesicht und in zerlumptem +Anzug. Er trug einen Kasten, in welchem er allerhand Waren hatte, +Perlen und Ringe, reichbeschlagene Pistolen, Becher und Kämme. Der +Kalif und sein Wesir musterten alles durch, und der Kalif kaufte +endlich für sich und Mansor schöne Pistolen, für die Frau des Wesirs +aber einen Kamm. Als der Krämer seinen Kasten schon wieder zumachen +wollte, sah der Kalif eine kleine Schublade und fragte, ob da auch noch +Waren seien. Der Krämer zog die Schublade heraus und zeigte darin eine +Dose mit schwärzlichem Pulver und ein Papier mit sonderbarer Schrift, +die weder der Kalif noch Mansor lesen konnte. „Ich bekam einmal diese +zwei Stücke von einem Kaufmanne, der sie in Mekka auf der Straße fand“, +sagte der Krämer, „Ich weiß nicht, was sie enthalten; euch stehen sie +um geringen Preis zu Dienst, ich kann doch nichts damit anfangen.“ + +Der Kalif, der in seiner Bibliothek gerne alte Manuskripte hatte, wenn +er sie auch nicht lesen konnte, kaufte Schrift und Dose und entließ den +Krämer. Der Kalif aber dachte, er möchte gerne wissen, was die Schrift +enthalte, und, fragte den Wesir, ob er keinen kenne, der es entziffern +könnte. + +„Gnädigster Herr und Gebieter“, antwortete dieser, „an der großen +Moschee wohnt ein Mann, er heißt Selim, der Gelehrte, der versteht alle +Sprachen, laß ihn kommen, vielleicht kennt er diese geheimnisvollen +Züge.“ + +Der Gelehrte Selim war bald herbeigeholt. „Selim“, sprach zu ihm der +Kalif, „Selim, man sagt, du seiest sehr gelehrt; guck einmal ein wenig +in diese Schrift, ob du sie lesen kannst; kannst du sie lesen, so +bekommst du ein neues Festkleid von mir, kannst du es nicht, so +bekommst du zwölf Backenstreiche und fünfundzwanzig auf die Fußsohlen, +weil man dich dann umsonst Selim, den Gelehrten, nennt.“ + +Selim verneigte sich und sprach: „Dein Wille geschehe, o Herr!“ Lange +betrachtete er die Schrift, plötzlich aber rief er aus: „Das ist +Lateinisch, o Herr, oder ich laß mich hängen.“ „Sag, was drinsteht“, +befahl der Kalif, „wenn es Lateinisch ist.“ + +Selim fing an zu übersetzen: „Mensch, der du dieses findest, preise +Allah für seine Gnade. Wer von dem Pulver in dieser Dose schnupft und +dazu spricht: mutabor, der kann sich in jedes Tier verwandeln und +versteht auch die Sprache der Tiere. + +Will er wieder in seine menschliche Gestalt zurückkehren, so neige er +sich dreimal gen Osten und spreche jenes Wort; aber hüte dich, wenn du +verwandelt bist, daß du nicht lachest, sonst verschwindet das +Zauberwort gänzlich aus deinem Gedächtnis, und du bleibst ein Tier.“ + +Als Selim, der Gelehrte, also gelesen hatte, war der Kalif über die +Maßen vergnügt. Er ließ den Gelehrten schwören, niemandem etwas von dem +Geheimnis zu sagen, schenkte ihm ein schönes Kleid und entließ ihn. Zu +seinem Großwesir aber sagte er: „Das heiß’ ich gut einkaufen, Mansor! +Wie freue ich mich, bis ich ein Tier bin. Morgen früh kommst du zu mir; +wir gehen dann miteinander aufs Feld, schnupfen etwas Weniges aus +meiner Dose und belauschen dann, was in der Luft und im Wasser, im Wald +und Feld gesprochen wird!“ + +Kaum hatte am anderen Morgen der Kalif Chasid gefrühstückt und sich +angekleidet, als schon der Großwesir erschien, ihn, wie er befohlen, +auf dem Spaziergang zu begleiten. Der Kalif steckte die Dose mit dem +Zauberpulver in den Gürtel, und nachdem er seinem Gefolge befohlen, +zurückzubleiben, machte er sich mit dem Großwesir ganz allein auf den +Weg. Sie gingen zuerst durch die weiten Gärten des Kalifen, spähten +aber vergebens nach etwas Lebendigem, um ihr Kunststück zu probieren. +Der Wesir schlug endlich vor, weiter hinaus an einen Teich zu gehen, wo +er schon oft viele Tiere, namentlich Störche, gesehen habe, die durch +ihr gravitätisches Wesen und ihr Geklapper immer seine Aufmerksamkeit +erregt hatten. + +Der Kalif billigte den Vorschlag seines Wesirs und ging mit ihm dem +Teich zu. Als sie dort angekommen waren, sahen sie einen Storch +ernsthaft auf und ab gehen, Frösche suchend und hier und da etwas vor +sich hinklappernd. Zugleich sahen sie auch weit oben in der Luft einen +anderen Storch dieser Gegend zuschweben. + +„Ich wette meinen Bart, gnädigster Herr“, sagte der Großwesir, „wenn +nicht diese zwei Langfüßler ein schönes Gespräch miteinander führen +werden. Wie wäre es, wenn wir Störche würden?“ + +„Wohl gesprochen!“ antwortete der Kalif. „Aber vorher wollen wir noch +einmal betrachten, wie man wieder Mensch wird.—Richtig! Dreimal gen +Osten geneigt und mutabor gesagt, so bin ich wieder Kalif und du Wesir. +Aber nur um Himmels willen nicht gelacht, sonst sind wir verloren!“ + +Während der Kalif also sprach, sah er den anderen Storch über ihrem +Haupte schweben und langsam sich zur Erde lassen. Schnell zog er die +Dose aus dem Gürtel, nahm eine gute Prise, bot sie dem Großwesir dar, +der gleichfalls schnupfte, und beide riefen: mutabor! + +Da schrumpften ihre Beine ein und wurden dünn und rot, die schönen +gelben Pantoffeln des Kalifen und seines Begleiters wurden unförmliche +Storchfüße, die Arme wurden zu Flügeln, der Hals fuhr aus den Achseln +und ward eine Elle lang, der Bart war verschwunden, und den Körper +bedeckten weiche Federn. + +„Ihr habt einen hübschen Schnabel, Herr Großwesir“, sprach nach langem +Erstaunen der Kalif. „Beim Bart des Propheten, so etwas habe ich in +meinem Leben nicht gesehen.“ „Danke untertänigst“, erwiderte der +Großwesir, indem er sich bückte, „aber wenn ich es wagen darf, möchte +ich behaupten, Eure Hoheit sehen als Storch beinahe noch hübscher aus +denn als Kalif. Aber kommt, wenn es Euch gefällig ist, daß wir unsere +Kameraden dort belauschen und erfahren, ob wir wirklich Storchisch +können.“ + +Indem war der andere Storch auf der Erde angekommen; er putzte sich mit +dem Schnabel seine Füße, legte seine Federn zurecht und ging auf den +ersten Storch zu. Die beiden neuen Störche aber beeilten sich, in ihre +Nähe zu kommen, und vernahmen zu ihrem Erstaunen folgendes Gespräch: + +„Guten Morgen, Frau Langbein, so früh schon auf der Wiese?“ + +„Schönen Dank, liebe Klapperschnabel! Ich habe mir nur ein kleines +Frühstück geholt. Ist Euch vielleicht ein Viertelchen Eidechs gefällig +oder ein Froschschenkelein?“ + +„Danke gehorsamst; habe heute gar keinen Appetit. Ich komme auch wegen +etwas ganz anderem auf die Wiese. Ich soll heute vor den Gästen meines +Vaters tanzen, und da will ich mich im stillen ein wenig üben.“ + +Zugleich schritt die junge Störchin in wunderlichen Bewegungen durch +das Feld. Der Kalif und Mansor sahen ihr verwundert nach; als sie aber +in malerischer Stellung auf einem Fuß stand und mit den Flügeln anmutig +dazu wedelte, da konnten sich die beiden nicht mehr halten; ein +unaufhaltsames Gelächter brach aus ihren Schnäbeln hervor, von dem sie +sich erst nach langer Zeit erholten. Der Kalif faßte sich zuerst +wieder: „Das war einmal ein Spaß“, rief er, „der nicht mit Gold zu +bezahlen ist; schade, daß die Tiere durch unser Gelächter sich haben +verscheuchen lassen, sonst hätten sie gewiß auch noch gesungen!“ + +Aber jetzt fiel es dem Großwesir ein, daß das Lachen während der +Verwandlung verboten war. Er teilte seine Angst deswegen dem Kalifen +mit. „Potz Mekka und Medina! Das wäre ein schlechter Spaß, wenn ich ein +Storch bleiben müßte! Besinne dich doch auf das dumme Wort, ich bring’ +es nicht heraus.“ + +„Dreimal gen Osten müssen wir uns bücken und dazu sprechen: mu—mu—mu—“ + +Sie stellten sich gegen Osten und bückten sich in einem fort, daß ihre +Schnäbel beinahe die Erde berührten; aber, o Jammer! Das Zauberwort war +ihnen entfallen, und so oft sich auch der Kalif bückte, so sehnlich +auch sein Wesir mu—mu dazu rief, jede Erinnerung daran war +verschwunden, und der arme Chasid und sein Wesir waren und blieben +Störche. + +Traurig wandelten die Verzauberten durch die Felder, sie wußten gar +nicht, was sie in ihrem Elend anfangen sollten. Aus ihrer Storchenhaut +konnten sie nicht heraus, in die Stadt zurück konnten sie auch nicht, +um sich zu erkennen zu geben; denn wer hätte einem Storch geglaubt, daß +er der Kalif sei, und wenn man es auch geglaubt hätte, würden die +Einwohner von Bagdad einen Storch zum Kalif gewollt haben? + +So schlichen sie mehrere Tage umher und ernährten sich kümmerlich von +Feldfrüchten, die sie aber wegen ihrer langen Schnäbel nicht gut +verspeisen konnten. Auf Eidechsen und Frösche hatten sie übrigens +keinen Appetit, denn sie befürchteten, mit solchen Leckerbissen sich +den Magen zu verderben. Ihr einziges Vergnügen in dieser traurigen Lage +war, daß sie fliegen konnten, und so flogen sie oft auf die Dächer von +Bagdad, um zu sehen, was darin vorging. + +In den ersten Tagen bemerkten sie große Unruhe und Trauer in den +Straßen; aber ungefähr am vierten Tag nach ihrer Verzauberung saßen sie +auf dem Palast des Kalifen, da sahen sie unten in der Straße einen +prächtigen Aufzug; Trommeln und Pfeifen ertönten, ein Mann in einem +goldbestickten Scharlachmantel saß auf einem geschmückten Pferd, +umgeben von glänzenden Dienern, halb Bagdad sprang ihm nach, und alle +schrien: „Heil Mizra, dem Herrscher von Bagdad!“ + +Da sahen die beiden Störche auf dem Dache des Palastes einander an, und +der Kalif Chasid sprach: „Ahnst du jetzt, warum ich verzaubert bin, +Großwesir? Dieser Mizra ist der Sohn meines Todfeindes, des mächtigen +Zauberers Kaschnur, der mir in einer bösen Stunde Rache schwur. Aber +noch gebe ich die Hoffnung nicht auf—Komm mit mir, du treuer Gefährte +meines Elends, wir wollen zum Grabe des Propheten wandern, vielleicht, +daß an heiliger Stätte der Zauber gelöst wird.“ + +Sie erhoben sich vom Dach des Palastes und flogen der Gegend von Medina +zu. + +Mit dem Fliegen wollte es aber nicht gar gut gehen; denn die beiden +Störche hatten noch wenig Übung. „O Herr“, ächzte nach ein paar Stunden +der Großwesir, „ich halte es mit Eurer Erlaubnis nicht mehr lange aus; +Ihr fliegt gar zu schnell! Auch ist es schon Abend, und wir täten wohl, +ein Unterkommen für die Nacht zu suchen.“ + +Chasid gab der Bitte seines Dieners Gehör; und da er unten im Tale eine +Ruine erblickte, die ein Obdach zu gewähren schien, so flogen sie +dahin. Der Ort, wo sie sich für diese Nacht niedergelassen hatten, +schien ehemals ein Schloß gewesen zu sein. Schöne Säulen ragten unter +den Trümmern hervor, mehrere Gemächer, die noch ziemlich erhalten +waren, zeugten von der ehemaligen Pracht des Hauses. Chasid und sein +Begleiter gingen durch die Gänge umher, um sich ein trockenes Plätzchen +zu suchen; plötzlich blieb der Storch Mansor stehen. „Herr und +Gebieter“, flüsterte er leise, „wenn es nur nicht töricht für einen +Großwesir, noch mehr aber für einen Storch wäre, sich vor Gespenstern +zu fürchten! Mir ist ganz unheimlich zumute; denn hier neben hat es +ganz vernehmlich geseufzt und gestöhnt.“ Der Kalif blieb nun auch +stehen und hörte ganz deutlich ein leises Weinen, das eher einem +Menschen als einem Tiere anzugehören schien. Voll Erwartung wollte er +der Gegend zugehen, woher die Klagetöne kamen; der Wesir aber packte +ihn mit dem Schnabel am Flügel und bat ihn flehentlich, sich nicht in +neue, unbekannte Gefahren zu stürzen. Doch vergebens! Der Kalif, dem +auch unter dem Storchenflügel ein tapferes Herz schlug, riß sich mit +Verlust einiger Federn los und eilte in einen finsteren Gang. Bald war +er an einer Tür angelangt, die nur angelehnt schien und woraus er +deutliche Seufzer mit ein wenig Geheul vernahm. Er stieß mit dem +Schnabel die Türe auf, blieb aber überrascht auf der Schwelle stehen. +In dem verfallenen Gemach, das nur durch ein kleines Gitterfenster +spärlich erleuchtet war, sah er eine große Nachteule am Boden sitzen. +Dicke Tränen rollten ihr aus den großen, runden Augen, und mit heiserer +Stimme stieß sie ihre Klagen zu dem krummen Schnabel heraus. Als sie +aber den Kalifen und seinen Wesir, der indes auch herbeigeschlichen +war, erblickte, erhob sie ein lautes Freudengeschrei. Zierlich wischte +sie mit dem braungefleckten Flügel die Tränen aus dem Auge, und zu dem +größten Erstaunen der beiden rief sie in gutem menschlichem Arabisch: +„Willkommen, ihr Störche! Ihr seid mir ein gutes Zeichen meiner +Errettung; denn durch Störche werde mir ein großes Glück kommen, ist +mir einst prophezeit worden!“ + +Als sich der Kalif von seinem Erstaunen erholt hatte, bückte er sich +mit seinem langen Hals, brachte seine dünnen Füße in eine zierliche +Stellung und sprach: „Nachteule! Deinen Worten nach darf ich glauben, +eine Leidensgefährtin in dir zu sehen. Aber ach! Deine Hoffnung, daß +durch uns deine Rettung kommen werde, ist vergeblich. Du wirst unsere +Hilflosigkeit selbst erkennen, wenn du unsere Geschichte hörst.“ Die +Nachteule bat ihn zu erzählen, was der Kalif sogleich tat. + +Als der Kalif der Eule seine Geschichte vorgetragen hatte, dankte sie +ihm und sagte: „Vernimm auch meine Geschichte und höre, wie ich nicht +weniger unglücklich bin als du. Mein Vater ist der König von Indien, +ich, seine einzige unglückliche Tochter, heiße Lusa. Jener Zauberer +Kaschnur, der euch verzauberte, hat auch mich ins Unglück gestürzt. Er +kam eines Tages zu meinem Vater und begehrte mich zur Frau für seinen +Sohn Mizra. Mein Vater aber, der ein hitziger Mann ist, ließ ihn die +Treppe hinunterwerfen. Der Elende wußte sich unter einer anderen +Gestalt wieder in meine Nähe zu schleichen, und als ich einst in meinem +Garten Erfrischungen zu mir nehmen wollte, brachte er mir, als Sklave +verkleidet, einen Trank bei, der mich in diese abscheuliche Gestalt +verwandelte. Vor Schrecken ohnmächtig, brachte er mich hierher und rief +mir mit schrecklicher Stimme in die Ohren: + +,Da sollst du bleiben, häßlich, selbst von den Tieren verachtet, bis an +dein Ende, oder bis einer aus freiem Willen dich, selbst in dieser +schrecklichen Gestalt, zur Gattin begehrt. So räche ich mich an dir und +deinem stolzen Vater.‘ + +Seitdem sind viele Monate verflossen. Einsam und traurig lebe ich als +Einsiedlerin in diesem Gemäuer, verabscheut von der Welt, selbst den +Tieren ein Greuel; die schöne Natur ist vor mir verschlossen; denn ich +bin blind am Tage, und nur, wenn der Mond sein bleiches Licht über dies +Gemäuer ausgießt, fällt der verhüllende Schleier von meinem Auge.“ + +Die Eule hatte geendet und wischte sich mit dem Flügel wieder die Augen +aus, denn die Erzählung ihrer Leiden hatte ihr Tränen entlockt. + +Der Kalif war bei der Erzählung der Prinzessin in tiefes Nachdenken +versunken. „Wenn mich nicht alles täuscht“, sprach er, „so findet +zwischen unserem Unglück ein geheimer Zusammenhang statt; aber wo finde +ich den Schlüssel zu diesem Rätsel?“ + +Die Eule antwortete ihm: „O Herr! Auch mir ahnet dies; denn es ist mir +einst in meiner frühesten Jugend von einer weisen Frau prophezeit +worden, daß ein Storch mir ein großes Glück bringen werde, und ich +wüßte vielleicht, wie wir uns retten könnten.“ Der Kalif war sehr +erstaunt und fragte, auf welchem Wege sie meine. „Der Zauberer, der uns +beide unglücklich gemacht hat“, sagte sie, „kommt alle Monate einmal in +diese Ruinen. Nicht weit von diesem Gemach ist ein Saal. Dort pflegt er +dann mit vielen Genossen zu schmausen. Schon oft habe ich sie dort +belauscht. Sie erzählen dann einander ihre schändlichen Werke; +vielleicht, daß er dann das Zauberwort, das ihr vergessen habt, +ausspricht.“ + +„O, teuerste Prinzessin“, rief der Kalif, „sag an, wann kommt er, und +wo ist der Saal?“ + +Die Eule schwieg einen Augenblick und sprach dann: „Nehmet es nicht +ungütig, aber nur unter einer Bedingung kann ich Euern Wunsch +erfüllen.“ + +„Sprich aus! Sprich aus!“ schrie Chasid. „Befiehl, es ist mir jede +recht.“ + +„Nämlich, ich möchte auch gern zugleich frei sein; dies kann aber nur +geschehen, wenn einer von euch mir seine Hand reicht.“ + +Die Störche schienen über den Antrag etwas betroffen zu sein, und der +Kalif winkte seinem Diener, ein wenig mit ihm hinauszugehen. + +„Großwesir“, sprach vor der Türe der Kalif, „das ist ein dummer Handel; +aber Ihr könntet sie schon nehmen.“ + +„So“, antwortete dieser, „daß mir meine Frau, wenn ich nach Hause +komme, die Augen auskratzt? Auch bin ich ein alter Mann, und Ihr seid +noch jung und unverheiratet und könnet eher einer jungen, schönen +Prinzessin die Hand geben.“ + +„Das ist es eben“, seufzte der Kalif, indem er traurig die Flügel +hängen ließ, „wer sagt dir denn, daß sie jung und schön ist? Das heißt +eine Katze im Sack kaufen!“ + +Sie redeten einander gegenseitig noch lange zu; endlich aber, als der +Kalif sah, daß sein Wesir lieber Storch bleiben als die Eule heiraten +wollte, entschloß er sich, die Bedingung lieber selbst zu erfüllen. Die +Eule war hocherfreut. Sie gestand ihnen, daß sie zu keiner besseren +Zeit hätten kommen können, weil wahrscheinlich in dieser Nacht die +Zauberer sich versammeln würden. + +Sie verließ mit den Störchen das Gemach, um sie in jenen Saal zu +führen; sie gingen lange in einem finsteren Gang hin; endlich strahlte +ihnen aus einer halbverfallenen Mauer ein heller Schein entgegen. Als +sie dort angelangt waren, riet ihnen die Eule, sich ganz ruhig zu +verhalten. Sie konnten von der Lücke, an welcher sie standen, einen +großen Saal übersehen. Er war ringsum mit Säulen geschmückt und +prachtvoll verziert. Viele farbige Lampen ersetzten das Licht des +Tages. In der Mitte des Saales stand ein runder Tisch, mit vielen und +ausgesuchten Speisen besetzt. Rings um den Tisch zog sich ein Sofa, auf +welchem acht Männer saßen. In einem dieser Männer erkannten die Störche +jenen Krämer wieder, der ihnen das Zauberpulver verkauft hatte. Sein +Nebensitzer forderte ihn auf, ihnen seine neuesten Taten zu erzählen. +Er erzählte unter anderen auch die Geschichte des Kalifen und seines +Wesirs. + +„Was für ein Wort hast du ihnen denn aufgegeben?“ fragte ihn ein +anderer Zauberer. „Ein recht schweres lateinisches, es heißt mutabor.“ + +Als die Störche an der Mauerlücke dieses hörten, kamen sie vor Freuden +beinahe außer sich. Sie liefen auf ihren langen Füßen so schnell dem +Tore der Ruine zu, daß die Eule kaum folgen konnte. Dort sprach der +Kalif gerührt zu der Eule: „Retterin meines Lebens und des Lebens +meines Freundes, nimm zum ewigen Dank für das, was du an uns getan, +mich zum Gemahl an!“ Dann aber wandte er sich nach Osten. Dreimal +bückten die Störche ihre langen Hälse der Sonne entgegen, die soeben +hinter dem Gebirge heraufstieg: „Mutabor!“ riefen sie, im Nu waren sie +verwandelt, und in der hohen Freude des neugeschenkten Lebens lagen +Herr und Diener lachend und weinend einander in den Armen. + +Wer beschreibt aber ihr Erstaunen, als sie sich umsahen? Eine schöne +Dame, herrlich geschmückt, stand vor ihnen. Lächelnd gab sie dem +Kalifen die Hand. „Erkennt Ihr Eure Nachteule nicht mehr?“ sagte sie. +Sie war es; der Kalif war von ihrer Schönheit und Anmut entzückt. + +Die drei zogen nun miteinander auf Bagdad zu. Der Kalif fand in seinen +Kleidern nicht nur die Dose mit Zauberpulver, sondern auch seinen +Geldbeutel. Er kaufte daher im nächsten Dorfe, was zu ihrer Reise nötig +war, und so kamen sie bald an die Tore von Bagdad. Dort aber erregte +die Ankunft des Kalifen großes Erstaunen. Man hatte ihn für tot +ausgegeben, und das Volk war daher hocherfreut, seinen geliebten +Herrscher wiederzuhaben. + +Um so mehr aber entbrannte ihr Haß gegen den Betrüger Mizra. Sie zogen +in den Palast und nahmen den alten Zauberer und seinen Sohn gefangen. +Den Alten schickte der Kalif in dasselbe Gemach der Ruine, das die +Prinzessin als Eule bewohnt hatte, und ließ ihn dort aufhängen. Dem +Sohn aber, welcher nichts von den Künsten des Vaters verstand, ließ der +Kalif die Wahl, ob er sterben oder schnupfen wolle. Als er das letztere +wählte, bot ihm der Großwesir die Dose. Eine tüchtige Prise, und das +Zauberwort des Kalifen verwandelte ihn in einen Storch. Der Kalif ließ +ihn in einen eisernen Käfig sperren und in seinem Garten aufstellen. + +Lange und vergnügt lebte Kalif Chasid mit seiner Frau, der Prinzessin; +seine vergnügtesten Stunden waren immer die, wenn ihn der Großwesir +nachmittags besuchte; da sprachen sie dann oft von ihrem +Storchabenteuer, und wenn der Kalif recht heiter war, ließ er sich +herab, den Großwesir nachzuahmen, wie er als Storch aussah. Er stieg +dann ernsthaft, mit steifen Füßen im Zimmer auf und ab, klapperte, +wedelte mit den Armen wie mit Flügeln und zeigte, wie jener sich +vergeblich nach Osten geneigt und Mu—Mu—dazu gerufen habe. Für die Frau +Kalifin und ihre Kinder war diese Vorstellung allemal eine große +Freude; wenn aber der Kalif gar zu lange klapperte und nickte und +Mu—Mu—schrie, dann drohte ihm lächelnd der Wesir: Er wolle das, was vor +der Türe der Prinzessin Nachteule verhandelt worden sei, der Frau +Kalifin mitteilen. + +Als Selim Baruch seine Geschichte beendet hatte, bezeugten sich die +Kaufleute sehr zufrieden damit. „Wahrhaftig, der Nachmittag ist uns +vergangen, ohne daß wir merkten wie!“ sagte einer derselben, indem er +die Decke des Zeltes zurückschlug. „Der Abendwind wehet kühl, und wir +könnten noch eine gute Strecke Weges zurücklegen.“ Seine Gefährten +waren damit einverstanden, die Zelte wurden abgebrochen, und die +Karawane machte sich in der nämlichen Ordnung, in welcher sie +herangezogen war, auf den Weg. + +Sie ritten beinahe die ganze Nacht hindurch, denn es war schwül am +Tage, die Nacht aber war erquicklich und sternhell. Sie kamen endlich +an einem bequemen Lagerplatz an, schlugen die Zelte auf und legten sich +zur Ruhe. Für den Fremden aber sorgten die Kaufleute, wie wenn er ihr +wertester Gastfreund wäre. Der eine gab ihm Polster, der andere Decken, +ein dritter gab ihm Sklaven, kurz, er wurde so gut bedient, als ob er +zu Hause wäre. Die heißeren Stunden des Tages waren schon +heraufgekommen, als sie sich wieder erhoben, und sie beschlossen +einmütig, hier den Abend abzuwarten. Nachdem sie miteinander gespeist +hatten, rückten sie wieder näher zusammen, und der junge Kaufmann +wandte sich an den ältesten und sprach: „Selim Baruch hat uns gestern +einen vergnügten Nachmittag bereitet, wie wäre es, Achmet, wenn Ihr uns +auch etwas erzähltet, sei es nun aus Eurem langen Leben, das wohl viele +Abenteuer aufzuweisen hat, oder sei es auch ein hübsches Märchen.“ +Achmet schwieg auf diese Anrede eine Zeitlang, wie wenn er bei sich im +Zweifel wäre, ob er dies oder jenes sagen sollte oder nicht; endlich +fing er an zu sprechen: + +„Liebe Freunde! Ihr habt euch auf dieser unserer Reise als treue +Gesellen erprobt, und auch Selim verdient mein Vertrauen; daher will +ich euch etwas aus meinem Leben mitteilen, das ich sonst ungern und +nicht jedem erzähle: die Geschichte von dem Gespensterschiff.“ + + + + +Die Geschichte von dem Gespensterschiff + +Wilhelm Hauff + + +Mein Vater hatte einen kleinen Laden in Balsora; er war weder arm noch +reich und einer von jenen Leuten, die nicht gerne etwas wagen, aus +Furcht, das Wenige zu verlieren, das sie haben. Er erzog mich schlicht +und recht und brachte es bald so weit, daß ich ihm an die Hand gehen +konnte. Gerade als ich achtzehn Jahre alt war, als er die erste größere +Spekulation machte, starb er, wahrscheinlich aus Gram, tausend +Goldstücke dem Meere anvertraut zu haben. Ich mußte ihn bald nachher +wegen seines Todes glücklich preisen, denn wenige Wochen hernach lief +die Nachricht ein, daß das Schiff, dem mein Vater seine Güter +mitgegeben hatte, versunken sei. Meinen jugendlichen Mut konnte aber +dieser Unfall nicht beugen. Ich machte alles vollends zu Geld, was mein +Vater hinterlassen hatte, und zog aus, um in der Fremde mein Glück zu +probieren, nur von einem alten Diener meines Vaters begleitet. + +Im Hafen von Balsora schifften wir uns mit günstigem Winde ein. Das +Schiff, auf dem ich mich eingemietet hatte, war nach Indien bestimmt. +Wir waren schon fünfzehn Tage auf der gewöhnlichen Straße gefahren, als +uns der Kapitän einen Sturm verkündete. Er machte ein bedenkliches +Gesicht, denn es schien, er kenne in dieser Gegend das Fahrwasser nicht +genug, um einem Sturm mit Ruhe begegnen zu können. Er ließ alle Segel +einziehen, und wir trieben ganz langsam hin. Die Nacht war angebrochen, +war hell und kalt, und der Kapitän glaubte schon, sich in den Anzeichen +des Sturmes getäuscht zu haben. Auf einmal schwebte ein Schiff, das wir +vorher nicht gesehen hatten, dicht an dem unsrigen vorbei. Wildes +Jauchzen und Geschrei erscholl aus dem Verdeck herüber, worüber ich +mich zu dieser angstvollen Stunde vor einem Sturm nicht wenig wunderte. +Aber der Kapitän an meiner Seite wurde blaß wie der Tod. „Mein Schiff +ist verloren“, rief er, „dort segelt der Tod!“ + +Ehe ich ihn noch über diesen sonderbaren Ausruf befragen konnte, +stürzten schon heulend und schreiend die Matrosen herein. „Habt ihr ihn +gesehen?“ schrien sie. „Jetzt ist’s mit uns vorbei!“ + +Der Kapitän aber ließ Trostsprüche aus dem Koran vorlesen und setzte +sich selbst ans Steuerruder. Aber vergebens! Zusehends brauste der +Sturm auf, und ehe eine Stunde verging, krachte das Schiff und blieb +sitzen. Die Boote wurden ausgesetzt, und kaum hatten sich die letzten +Matrosen gerettet, so versank das Schiff vor unseren Augen, und als ein +Bettler fuhr ich in die See hinaus. Aber der Jammer hatte noch kein +Ende. Fürchterlicher tobte der Sturm; das Boot war nicht mehr zu +regieren. Ich hatte meinen alten Diener fest umschlungen, und wir +versprachen uns, nie voneinander zu weichen. Endlich brach der Tag an. +Aber mit dem ersten Anblick der Morgenröte faßte der Wind das Boot, in +welchem wir saßen, und stürzte es um. Ich habe keinen meiner +Schiffsleute mehr gesehen. Der Sturz hatte mich betäubt; und als ich +aufwachte, befand ich mich in den Armen meines alten treuen Dieners, +der sich auf das umgeschlagene Boot gerettet und mich nachgezogen +hatte. Der Sturm hatte sich gelegt. Von unserem Schiff war nichts mehr +zu sehen, wohl aber entdeckten wir nicht weit von uns ein anderes +Schiff, auf das die Wellen uns hintrieben. Als wir näher hinzukamen, +erkannte ich das Schiff als dasselbe, das in der Nacht an uns +vorbeifuhr und welches den Kapitän so sehr in Schrecken gesetzt hatte. +Ich empfand ein sonderbares Grauen vor diesem Schiffe. Die Äußerung des +Kapitäns, die sich so furchtbar bestätigt hatte, das öde Aussehen des +Schiffes, auf dem sich, so nahe wir auch herankamen, so laut wir +schrien, niemand zeigte, erschreckten mich. Doch es war unser einziges +Rettungsmittel; darum priesen wir den Propheten, der uns so wundervoll +erhalten hatte. + +Am Vorderteil des Schiffes hing ein langes Tau herab. Mit Händen und +Füßen ruderten wir darauf zu, um es zu erfassen. Endlich glückte es. +Noch einmal erhob ich meine Stimme, aber immer blieb es still auf dem +Schiff. Da klimmten wir an dem Tau hinauf, ich als der Jüngste voran. +Aber Entsetzen! Welches Schauspiel stellte sich meinem Auge dar, als +ich das Verdeck betrat! Der Boden war mit Blut gerötet, zwanzig bis +dreißig Leichname in türkischen Kleidern lagen auf dem Boden, am +mittleren Mastbaum stand ein Mann, reich gekleidet, den Säbel in der +Hand, aber das Gesicht war blaß und verzerrt, durch die Stirn ging ein +großer Nagel, der ihn an den Mastbaum heftete, auch er war tot. +Schrecken fesselte meine Schritte, ich wagte kaum zu atmen. Endlich war +auch mein Begleiter heraufgekommen. Auch ihn überraschte der Anblick +des Verdecks, das gar nichts Lebendiges, sondern nur so viele +schreckliche Tote zeigte. Wir wagten es endlich, nachdem wir in der +Seelenangst zum Propheten gefleht hatten, weiter vorzuschreiten. Bei +jedem Schritte sahen wir uns um, ob nicht etwas Neues, noch +Schrecklicheres sich darbiete; aber alles blieb, wie es war; weit und +breit nichts Lebendiges als wir und das Weltmeer. Nicht einmal laut zu +sprechen wagten wir, aus Furcht, der tote, am Mast angespießte Kapitano +möchte seine starren Augen nach uns hindrehen oder einer der Getöteten +möchte seinen Kopf umwenden. Endlich waren wir bis an eine Treppe +gekommen, die in den Schiffsraum führte. Unwillkürlich machten wir dort +halt und sahen einander an, denn keiner wagte es recht, seine Gedanken +zu äußern. + +„O Herr“, sprach mein treuer Diener, „hier ist etwas Schreckliches +geschehen. Doch wenn auch das Schiff da unten voll Mörder steckt, so +will ich mich ihnen doch lieber auf Gnade und Ungnade ergeben, als +längere Zeit unter diesen Toten zubringen.“ Ich dachte wie er; wir +faßten uns ein Herz und stiegen voll Erwartung hinunter. Totenstille +war aber auch hier, und nur unsere Schritte hallten auf der Treppe. Wir +standen an der Türe der Kajüte. Ich legte mein Ohr an die Türe und +lauschte; es war nichts zu hören. Ich machte auf. Das Gemach bot einen +unordentlichen Anblick dar. Kleider, Waffen und andere Geräte lagen +untereinander. Nichts in Ordnung. Die Mannschaft oder wenigstens der +Kapitano mußten vor kurzem gezechet haben; denn es lag alles noch +umher. Wir gingen weiter von Raum zu Raum, von Gemach zu Gemach, +überall fanden wir herrliche Vorräte in Seide, Perlen, Zucker usw. Ich +war vor Freude über diesen Anblick außer mir, denn da niemand auf dem +Schiff war, glaubte ich, alles mir zueignen zu dürfen, Ibrahim aber +machte mich aufmerksam darauf, daß wir wahrscheinlich noch sehr weit +vom Lande seien, wohin wir allein und ohne menschliche Hilfe nicht +kommen könnten. + +Wir labten uns an den Speisen und Getränken, die wir in reichem Maß +vorfanden, und stiegen endlich wieder aufs Verdeck. Aber hier +schauderte uns immer die Haut ob dem schrecklichen Anblick der Leichen. +Wir beschlossen, uns davon zu befreien und sie über Bord zu werfen; +aber wie schauerlich ward uns zumut, als wir fanden, daß sich keiner +aus seiner Lage bewegen ließ. Wie festgebannt lagen sie am Boden, und +man hätte den Boden des Verdecks ausheben müssen, um sie zu entfernen, +und dazu gebrach es uns an Werkzeugen. Auch der Kapitano ließ sich +nicht von seinem Mast losmachen; nicht einmal seinen Säbel konnten wir +der starren Hand entwinden. Wir brachten den Tag in trauriger +Betrachtung unserer Lage zu, und als es Nacht zu werden anfing, +erlaubte ich dem alten Ibrahim, sich schlafen zu legen, ich selbst aber +wollte auf dem Verdeck wachen, um nach Rettung auszuspähen. Als aber +der Mond heraufkam und ich nach den Gestirnen berechnete, daß es wohl +um die elfte Stunde sei, überfiel mich ein so unwiderstehlicher Schlaf, +daß ich unwillkürlich hinter ein Faß, das auf dem Verdeck stand, +zurückfiel. Doch war es mehr Betäubung als Schlaf, denn ich hörte +deutlich die See an der Seite des Schiffes anschlagen und die Segel vom +Winde knarren und pfeifen. Auf einmal glaubte ich Stimmen und +Männertritte auf dem Verdeck zu hören. Ich wollte mich aufrichten, um +danach zu schauen. Aber eine unsichtbare Gewalt hielt meine Glieder +gefesselt; nicht einmal die Augen konnte ich aufschlagen. Aber immer +deutlicher wurden die Stimmen, es war mir, als wenn ein fröhliches +Schiffsvolk auf dem Verdeck sich umhertriebe; mitunter glaubte ich, die +kräftige Stimme eines Befehlenden zu hören, auch hörte ich Taue und +Segel deutlich auf- und abziehen. Nach und nach aber schwanden mir die +Sinne, ich verfiel in einen tieferen Schlaf, in dem ich nur noch ein +Geräusch von Waffen zu hören glaubte, und erwachte erst, als die Sonne +schon hoch stand und mir aufs Gesicht brannte. Verwundert schaute ich +mich um, Sturm, Schiff, die Toten und was ich in dieser Nacht gehört +hatte, kam mir wie ein Traum vor, aber als ich aufblickte, fand ich +alles wie gestern. Unbeweglich lagen die Toten, unbeweglich war der +Kapitano an den Mastbaum geheftet. Ich lachte über meinen Traum und +stand auf, um meinen Alten zu suchen. + +Dieser saß ganz nachdenklich in der Kajüte. „O Herr!“ rief er aus, als +ich zu ihm hineintrat, „ich wollte lieber im tiefsten Grund des Meeres +liegen, als in diesem verhexten Schiff noch eine Nacht zubringen.“ Ich +fragte ihn nach der Ursache seines Kummers, und er antwortete mir: „Als +ich einige Stunden geschlafen hatte, wachte ich auf und vernahm, wie +man über meinem Haupt hin und her lief. Ich dachte zuerst, Ihr wäret +es, aber es waren wenigstens zwanzig, die oben umherliefen; auch hörte +ich rufen und schreien. Endlich kamen schwere Tritte die Treppe herab. +Da wußte ich nichts mehr von mir, nur hie und da kehrte auf einige +Augenblicke meine Besinnung zurück, und da sah ich dann denselben Mann, +der oben am Mast angenagelt ist, an jenem Tisch dort sitzen, singend +und trinkend; aber der, der in einem roten Scharlachkleid nicht weit +von ihm am Boden liegt, saß neben ihm und half ihm trinken.“ Also +erzählte mir mein alter Diener. + +Ihr könnt mir es glauben, meine Freunde, daß mir gar nicht wohl zumute +war; denn es war keine Täuschung, ich hatte ja auch die Toten gar wohl +gehört. In solcher Gesellschaft zu schiffen, war mir greulich. Mein +Ibrahim aber versank wieder in tiefes Nachdenken. „Jetzt hab’ ich’s!“ +rief er endlich aus; es fiel ihm nämlich ein Sprüchlein ein, das ihn +sein Großvater, ein erfahrener, weitgereister Mann, gelehrt hatte und +das gegen jeden Geister- und Zauberspuk helfen sollte; auch behauptete +er, jenen unnatürlichen Schlaf, der uns befiel, in der nächsten Nacht +verhindern zu können, wenn wir nämlich recht eifrig Sprüche aus dem +Koran beteten. Der Vorschlag des alten Mannes gefiel mir wohl. In +banger Erwartung sahen wir die Nacht herankommen. Neben der Kajüte war +ein kleines Kämmerchen, dorthin beschlossen wir uns zurückzuziehen. Wir +bohrten mehrere Löcher in die Türe, hinlänglich groß, um durch sie die +ganze Kajüte zu überschauen, dann verschlossen wir die Türe, so gut es +ging, von innen, und Ibrahim schrieb den Namen des Propheten in alle +vier Ecken. So erwarteten wir die Schrecken der Nacht. Es mochte wieder +ungefähr elf Uhr sein, als es mich gewaltig zu schläfern anfing. Mein +Gefährte riet mir daher, einige Sprüche des Korans zu beten, was mir +auch half. Mit einem Male schien es oben lebhaft zu werden; die Taue +knarrten, Schritte gingen über das Verdeck, und mehrere Stimmen waren +deutlich zu unterscheiden—Mehrere Minuten hatten wir so in gespannter +Erwartung gesessen, da hörten wir etwas die Treppe der Kajüte +herabkommen. Als dies der Alte hörte, fing er an, den Spruch, den ihn +sein Großvater gegen Spuk und Zauberei gelehrt hatte, herzusagen: + +„Kommt ihr herab aus der Luft, +Steigt ihr aus tiefem Meer, +Schlieft ihr in dunkler Gruft, +Stammt ihr vom Feuer her: +Allah ist euer Herr und Meister, +ihm sind gehorsam alle Geister.“ + + +Ich muß gestehen, ich glaubte gar nicht recht an diesen Spruch, und mir +stieg das Haar zu Berg, als die Tür aufflog. Herein trat jener große, +stattliche Mann, den ich am Mastbaum angenagelt gesehen hatte. Der +Nagel ging ihm auch jetzt mitten durchs Hirn; das Schwert aber hatte er +in die Scheide gesteckt; hinter ihm trat noch ein anderer herein, +weniger kostbar gekleidet; auch ihn hatte ich oben liegen sehen. Der +Kapitano, denn dies war er unverkennbar, hatte ein bleiches Gesicht, +einen großen, schwarzen Bart, wildrollende Augen, mit denen er sich im +ganzen Gemach umsah. Ich konnte ihn ganz deutlich sehen, als er an +unserer Türe vorüberging; er aber schien gar nicht auf die Türe zu +achten, die uns verbarg. Beide setzten sich an den Tisch, der in der +Mitte der Kajüte stand, und sprachen laut und fast schreiend +miteinander in einer unbekannten Sprache. Sie wurden immer lauter und +eifriger, bis endlich der Kapitano mit geballter Faust auf den Tisch +hineinschlug, daß das Zimmer dröhnte. Mit wildem Gelächter sprang der +andere auf und winkte dem Kapitano, ihm zu folgen. Dieser stand auf, +riß seinen Säbel aus der Scheide, und beide verließen das Gemach. Wir +atmeten freier, als sie weg waren; aber unsere Angst hatte noch lange +kein Ende. Immer lauter und lauter ward es auf dem Verdeck. Man hörte +eilends hin und her laufen und schreien, lachen und heulen. Endlich +ging ein wahrhaft höllischer Lärm los, so daß wir glaubten, das Verdeck +mit allen Segeln komme zu uns herab, Waffengeklirr und Geschrei—auf +einmal aber tiefe Stille. Als wir es nach vielen Stunden wagten +hinaufzugehen, trafen wir alles wie sonst; nicht einer lag anders als +früher. Alle waren steif wie Holz. + +So waren wir mehrere Tage auf dem Schiffe; es ging immer nach Osten, +wohin zu, nach meiner Berechnung, Land liegen mußte; aber wenn es auch +bei Tag viele Meilen zurückgelegt hatte, bei Nacht schien es immer +wieder zurückzukehren, denn wir befanden uns immer wieder am nämlichen +Fleck, wenn die Sonne aufging. Wir konnten uns dies nicht anders +erklären, als daß die Toten jede Nacht mit vollem Winde zurücksegelten. +Um nun dies zu verhüten, zogen wir, ehe es Nacht wurde, alle Segel ein +und wandten dasselbe Mittel an wie bei der Türe in der Kajüte; wir +schrieben den Namen des Propheten auf Pergament und auch das Sprüchlein +des Großvaters dazu und banden es um die eingezogenen Segel. Ängstlich +warteten wir in unserem Kämmerchen den Erfolg ab. Der Spuk schien +diesmal noch ärger zu toben, aber siehe, am anderen Morgen waren die +Segel noch aufgerollt, wie wir sie verlassen hatten. Wir spannten den +Tag über nur so viele Segel auf, als nötig waren, das Schiff sanft +fortzutreiben, und so legten wir in fünf Tagen eine gute Strecke +zurück. + +Endlich, am Morgen des sechsten Tages, entdeckten wir in geringer Ferne +Land, und wir dankten Allah und seinem Propheten für unsere wunderbare +Rettung. Diesen Tag und die folgende Nacht trieben wir an einer Küste +hin, und am siebenten Morgen glaubten wir in geringer Entfernung eine +Stadt zu entdecken; wir ließen mit vieler Mühe einen Anker in die See, +der alsobald Grund faßte, setzten ein kleines Boot, das auf dem Verdeck +stand, aus und ruderten mit aller Macht der Stadt zu. Nach einer halben +Stunde liefen wir in einen Fluß ein, der sich in die See ergoß, und +stiegen ans Ufer. Am Stadttor erkundigten wir uns, wie die Stadt heiße, +und erfuhren, daß es eine indische Stadt sei, nicht weit von der +Gegend, wohin ich zuerst zu schiffen willens war. Wir begaben uns in +eine Karawanserei und erfrischten uns von unserer abenteuerlichen +Reise. Ich forschte daselbst auch nach einem weisen und verständigen +Manne, indem ich dem Wirt zu verstehen gab, daß ich einen solchen haben +möchte, der sich ein wenig auf Zauberei verstehe. Er führte mich in +eine abgelegene Straße, an ein unscheinbares Haus, pochte an, und man +ließ mich eintreten mit der Weisung, ich solle nur nach Muley fragen. + +In dem Hause kam mir ein altes Männlein mit grauem Bart und langer Nase +entgegen und fragte nach meinem Begehr. Ich sagte ihm, ich suche den +weisen Muley, und er antwortete mir, er sei es selbst. Ich fragte ihn +nun um Rat, was ich mit den Toten machen solle und wie ich es angreifen +müsse, um sie aus dem Schiff zu bringen. Er antwortete mir, die Leute +des Schiffes seien wahrscheinlich wegen irgendeines Frevels auf das +Meer verzaubert; er glaube, der Zauber werde sich lösen, wenn man sie +ans Land bringe; dies könne aber nicht geschehen, als wenn man die +Bretter, auf denen sie lägen, losmache. Mir gehöre von Gott und Rechts +wegen das Schiff samt allen Gütern, weil ich es gleichsam gefunden +habe; doch solle ich alles sehr geheimzuhalten trachten und ihm ein +kleines Geschenk von meinem Überfluß machen; er wolle dafür mit seinen +Sklaven mir behilflich sein, die Toten wegzuschaffen. Ich versprach, +ihn reichlich zu belohnen, und wir machten uns mit fünf Sklaven, die +mit Sägen und Beilen versehen waren, auf den Weg. Unterwegs konnte der +Zauberer Muley unseren glücklichen Einfall, die Segel mit den Sprüchen +des Korans zu umwinden, nicht genug loben. Er sagte, es sei dies das +einzige Mittel gewesen, uns zu retten. + +Es war noch ziemlich früh am Tage, als wir beim Schiff ankamen. Wir +machten uns alle sogleich ans Werk, und in einer Stunde lagen schon +vier in dem Nachen. Einige der Sklaven mußten sie an Land rudern, um +sie dort zu verscharren. Sie erzählten, als sie zurückkamen, die Toten +hätten ihnen die Mühe des Begrabens erspart, indem sie, sowie man sie +auf die Erde gelegt habe, in Staub zerfallen seien. Wir fuhren fort, +die Toten abzusägen, und bis vor Abend waren alle an Land gebracht. Es +war endlich keiner mehr an Bord als der, welcher am Mast angenagelt +war. Umsonst suchten wir den Nagel aus dem Holze zu ziehen, keine +Gewalt vermochte ihn auch nur ein Haarbreit zu verrücken. Ich wußte +nicht, was anzufangen war; man konnte doch nicht den Mastbaum abhauen, +um ihn ans Land zu führen. Doch aus dieser Verlegenheit half Muley. Er +ließ schnell einen Sklaven an Land rudern, um einen Topf mit Erde zu +bringen. Als dieser herbeigeholt war, sprach der Zauberer +geheimnisvolle Worte darüber aus und schüttete die Erde auf das Haupt +des Toten. Sogleich schlug dieser die Augen auf, holte tief Atem, und +die Wunde des Nagels in seiner Stirne fing an zu bluten. Wir zogen den +Nagel jetzt leicht heraus, und der Verwundete fiel einem Sklaven in die +Arme. + +„Wer hat mich hierhergeführt?“ sprach er, nachdem er sich ein wenig +erholt zu haben schien. Muley zeigte auf mich, und ich trat zu ihm. +„Dank dir, unbekannter Fremdling, du hast mich von langen Qualen +errettet. Seit fünfzig Jahren schifft mein Leib durch diese Wogen, und +mein Geist war verdammt, jede Nacht in ihn zurückzukehren. Aber jetzt +hat mein Haupt die Erde berührt, und ich kann versöhnt zu meinen Vätern +gehen.“ + +Ich bat ihn, uns doch zu sagen, wie er zu diesem schrecklichen Zustand +gekommen sei, und er sprach: „Vor fünfzig Jahren war ich ein mächtiger, +angesehener Mann und wohnte in Algier; die Sucht nach Gewinn trieb +mich, ein Schiff auszurüsten und Seeraub zu treiben. Ich hatte dieses +Geschäft schon einige Zeit fortgeführt, da nahm ich einmal auf Zante +einen Derwisch an Bord, der umsonst reisen wollte. Ich und meine +Gesellen waren rohe Leute und achteten nicht auf die Heiligkeit des +Mannes; vielmehr trieb ich mein Gespött mit ihm. Als er aber einst in +heiligem Eifer mir meinen sündigen Lebenswandel verwiesen hatte, +übermannte mich nachts in meiner Kajüte, als ich mit meinem Steuermann +viel getrunken hatte, der Zorn. Wütend über das, was mir ein Derwisch +gesagt hatte und was ich mir von keinem Sultan hätte sagen lassen, +stürzte ich aufs Verdeck und stieß ihm meinen Dolch in die Brust. +Sterbend verwünschte er mich und meine Mannschaft, nicht sterben und +nicht leben zu können, bis wir unser Haupt auf die Erde legten. Der +Derwisch starb, und wir warfen ihn in die See und verlachten seine +Drohungen; aber noch in derselben Nacht erfüllten sich seine Worte. Ein +Teil meiner Mannschaft empörte sich gegen mich—Mit fürchterlicher Wut +wurde gestritten, bis meine Anhänger unterlagen und ich an den Mast +genagelt wurde. Aber auch die Empörer erlagen ihren Wunden, und bald +war mein Schiff nur ein großes Grab. Auch mir brachen die Augen, mein +Atem hielt an, und ich meinte zu sterben. Aber es war nur eine +Erstarrung, die mich gefesselt hielt; in der nächsten Nacht, zur +nämlichen Stunde, da wir den Derwisch in die See geworfen, erwachten +ich und alle meine Genossen, das Leben war zurückgekehrt, aber wir +konnten nichts tun und sprechen, als was wir in jener Nacht gesprochen +und getan hatten. So segeln wir seit fünfzig Jahren, können nicht +leben, nicht sterben; denn wie konnten wir das Land erreichen? Mit +toller Freude segelten wir allemal mit vollen Segeln in den Sturm, weil +wir hofften, endlich an einer Klippe zu zerschellen und das müde Haupt +auf dem Grund des Meeres zur Ruhe zu legen. Es ist uns nicht gelungen. +Jetzt aber werde ich sterben. Noch einmal meinen Dank, unbekannter +Retter, wenn Schätze dich lohnen können, so nimm mein Schiff als +Zeichen meiner Dankbarkeit.“ + +Der Kapitano ließ sein Haupt sinken, als er so gesprochen hatte, und +verschied. Sogleich zerfiel er auch, wie seine Gefährten, in Staub. Wir +sammelten diesen in ein Kästchen und begruben ihn an Land; aus der +Stadt nahm ich aber Arbeiter, die mir mein Schiff in guten Zustand +setzten. Nachdem ich die Waren, die ich an Bord hatte, gegen andere mit +großem Gewinn eingetauscht hatte, mietete ich Matrosen, beschenkte +meinen Freund Muley reichlich und schiffte mich nach meinem Vaterlande +ein. Ich machte aber einen Umweg, indem ich an vielen Inseln und +Ländern landete und meine Waren zu Markt brachte. Der Prophet segnete +mein Unternehmen. Nach dreiviertel Jahren lief ich, noch einmal so +reich, als mich der sterbende Kapitän gemacht hatte, in Balsora ein. +Meine Mitbürger waren erstaunt über meine Reichtümer und mein Glück und +glaubten nicht anders, als daß ich das Diamantental des berühmten +Reisenden Sindbad gefunden habe. Ich ließ sie in ihrem Glauben, von nun +an aber mußten die jungen Leute von Balsora, wenn sie kaum achtzehn +Jahre alt waren, in die Welt hinaus, um gleich mir ihr Glück zu machen. +Ich aber lebte ruhig und in Frieden, und alle fünf Jahre mache ich eine +Reise nach Mekka, um dem Herrn an heiliger Stätte für seinen Segen zu +danken und für den Kapitano und seine Leute zu bitten, daß er sie in +sein Paradies aufnehme. + + +Die Reise der Karawane war den anderen Tag ohne Hindernis fürder +gegangen, und als man im Lagerplatz sich erholt hatte, begann Selim, +der Fremde, zu Muley, dem jüngsten der Kaufleute, also zu sprechen: + +„Ihr seid zwar der Jüngste von uns, doch seid Ihr immer fröhlich und +wißt für uns gewiß irgendeinen guten Schwank. Tischet ihn auf, daß er +uns erquicke nach der Hitze des Tages!“ + +„Wohl möchte ich euch etwas erzählen“, antwortete Muley, „das euch Spaß +machen könnte, doch der Jugend ziemt Bescheidenheit in allen Dingen; +darum müssen meine älteren Reisegefährten den Vorrang haben. Zaleukos +ist immer so ernst und verschlossen, sollte er uns nicht erzählen, was +sein Leben so ernst machte? Vielleicht, daß wir seinen Kummer, wenn er +solchen hat, lindern können; denn gerne dienen wir dem Bruder, wenn er +auch anderen Glaubens ist.“ + +Der Aufgerufene war ein griechischer Kaufmann, ein Mann in mittleren +Jahren, schön und kräftig, aber sehr ernst. Ob er gleich ein +Ungläubiger (nicht Muselmann) war, so liebten ihn doch seine +Reisegefährten, denn er hatte durch sein ganzes Wesen Achtung und +Zutrauen eingeflößt. Er hatte übrigens nur eine Hand, und einige seiner +Gefährten vermuteten, daß vielleicht dieser Verlust ihn so ernst +stimme. + +Zaleukos antwortete auf die zutrauliche Frage Muleys: „Ich bin sehr +geehrt durch euer Zutrauen; Kummer habe ich keinen, wenigstens keinen, +von welchem ihr auch mit dem besten Willen mir helfen könntet. Doch +weil Muley mir meinen Ernst vorzuwerfen scheint, so will ich euch +einiges erzählen, was mich rechtfertigen soll, wenn ich ernster bin als +andere Leute. Ihr sehet, daß ich meine linke Hand verloren habe. Sie +fehlt mir nicht von Geburt an, sondern ich habe sie in den +schrecklichsten Tagen meines Lebens eingebüßt. Ob ich die Schuld davon +trage, ob ich unrecht habe, seit jenen Tagen ernster, als es meine Lage +mit sich bringt, zu sein, möget ihr beurteilen, wenn ihr vernommen habt +die Geschichte von der abgehauenen Hand.“ + + + + +Die Geschichte von der abgehauenen Hand + +Wilhelm Hauff + + +Ich bin in Konstantinopel geboren; mein Vater war ein Dragoman +(Dolmetscher) bei der Pforte (dem türkischen Hof) und trieb nebenbei +einen ziemlich einträglichen Handel mit wohlriechenden Essenzen und +seidenen Stoffen. Er gab mir eine gute Erziehung, indem er mich teils +selbst unterrichtete, teils von einem unserer Priester mir Unterricht +geben ließ. Er bestimmte mich anfangs, seinen Laden einmal zu +übernehmen, als ich aber größere Fähigkeiten zeigte, als er erwartet +hatte, bestimmte er mich auf das Anraten seiner Freunde zum Arzt; weil +ein Arzt, wenn er etwas mehr gelernt hat als die gewöhnlichen +Marktschreier, in Konstantinopel sein Glück machen kann. Es kamen viele +Franken in unser Haus, und einer davon überredete meinen Vater, mich in +sein Vaterland, nach der Stadt Paris, reisen zu lassen, wo man solche +Sachen unentgeltlich und am besten lernen könne. Er selbst aber wolle +mich, wenn er zurückreise, umsonst mitnehmen. Mein Vater, der in seiner +Jugend auch gereist war, schlug ein, und der Franke sagte mir, ich +könne mich in drei Monaten bereithalten. Ich war außer mir vor Freude, +fremde Länder zu sehen. + +Der Franke hatte endlich seine Geschäfte abgemacht und sich zur Reise +bereitet; am Vorabend der Reise führte mich mein Vater in sein +Schlafkämmerlein. Dort sah ich schöne Kleider und Waffen auf dem Tische +liegen. Was meine Blicke aber noch mehr anzog, war ein großer Haufe +Goldes, denn ich hatte noch nie so viel beieinander gesehen. Mein Vater +umarmte mich und sagte: „Siehe, mein Sohn, ich habe dir Kleider zu der +Reise besorgt. Jene Waffen sind dein, es sind die nämlichen, die mir +dein Großvater umhing, als ich in die Fremde auszog. Ich weiß, du +kannst sie führen; gebrauche sie aber nie, als wenn du angegriffen +wirst; dann aber schlage auch tüchtig drauf. Mein Vermögen ist nicht +groß; siehe, ich habe es in drei Teile geteilt, einer davon ist dein; +einer davon ist mein Unterhalt und Notpfennig, der dritte aber sei mir +ein heiliges, unantastbares Gut, er diene dir in der Stunde der Not!“ +So sprach mein alter Vater, und Tränen hingen ihm im Auge, vielleicht +aus Ahnung, denn ich habe ihn nie wieder gesehen. + +Die Reise ging gut von Statten; wir waren bald im Lande der Franken +angelangt, und sechs Tagreisen nachher kamen wir in die große Stadt +Paris. Hier mietete mir mein fränkischer Freund ein Zimmer und riet +mir, mein Geld, das in allem zweitausend Taler betrug, vorsichtig +anzuwenden. Ich lebte drei Jahre in dieser Stadt und lernte, was ein +tüchtiger Arzt wissen muß; ich müßte aber lügen, wenn ich sagte, daß +ich gerne dort gewesen sei; denn die Sitten dieses Volkes gefielen mir +nicht; auch hatte ich nur wenige gute Freunde dort, diese aber waren +edle, junge Männer. + +Die Sehnsucht nach der Heimat wurde endlich mächtig in mir; in der +ganzen Zeit hatte ich nichts von meinem Vater gehört, und ich ergriff +daher eine günstige Gelegenheit, nach Hause zu kommen. + +Es ging nämlich eine Gesandtschaft aus Frankenland nach der Hohen +Pforte. Ich verdingte mich als Wundarzt in das Gefolge des Gesandten +und kam glücklich wieder nach Stambul. Das Haus meines Vaters aber fand +ich verschlossen, und die Nachbarn staunten, als sie mich sahen, und +sagten mir, mein Vater sei vor zwei Monaten gestorben. Jener Priester, +der mich in meiner Jugend unterrichtet hatte, brachte nur den +Schlüssel; allein und verlassen zog ich in das verödete Haus ein. Ich +fand noch alles, wie es mein Vater verlassen hatte; nur das Gold, das +er mir zu hinterlassen versprach, fehlte. Ich fragte den Priester +darüber, und dieser verneigte sich und sprach: „Euer Vater ist als ein +heiliger Mann gestorben; denn er hat sein Gold der Kirche vermacht.“ +Dies war und blieb mir unbegreiflich; doch was wollte ich machen; ich +hatte keine Zeugen gegen den Priester und mußte froh sein, daß er nicht +auch das Haus und die Waren meines Vaters als Vermächtnis angesehen +hatte. + +Dies war das erste Unglück, das mich traf. Von jetzt an aber kam es +Schlag auf Schlag. Mein Ruf als Arzt wollte sich gar nicht ausbreiten, +weil ich mich schämte, den Marktschreier zu machen, und überall fehlte +mir die Empfehlung meines Vaters, der mich bei den Reichsten und +Vornehmsten eingeführt hätte, die jetzt nicht mehr an den armen +Zaleukos dachten. Auch die Waren meines Vaters fanden keinen Abgang; +denn die Kunden hatten sich nach seinem Tode verlaufen, und neue +bekommt man nur langsam. Als ich einst trostlos über meine Lage +nachdachte, fiel mir ein, daß ich oft in Franken Männer meines Volkes +gesehen hatte, die das Land durchzogen und ihre Waren auf den Märkten +der Städte auslegten; ich erinnerte mich, daß man ihnen gerne abkaufte, +weil sie aus der Fremde kamen, und daß man bei solchem Handel das +Hundertfache erwerben könne. Sogleich war auch mein Entschluß gefaßt. +Ich verkaufte mein väterliches Haus, gab einen Teil des gelösten Geldes +einem bewährten Freunde zum Aufbewahren, von dem übrigen aber kaufte +ich, was man in Franken selten hat, wie Schals, seidene Zeuge, Salben +und Öle, mietete einen Platz auf einem Schiff und trat so meine zweite +Reise nach Franken an. + +Es schien, als ob das Glück, sobald ich die Schlösser der Dardanellen +im Rücken hatte, mir wieder günstig geworden wäre. Unsere Fahrt war +kurz und glücklich. Ich durchzog die großen und kleinen Städte der +Franken und fand überall willige Käufer meiner Waren. Mein Freund in +Stambul sandte mir immer wieder frische Vorräte, und ich wurde von Tag +zu Tag wohlhabender. Als ich endlich so viel erspart hatte, daß ich +glaubte, ein größeres Unternehmen wagen zu können, zog ich mit meinen +Waren nach Italien. Etwas muß ich aber noch gestehen, was mir auch +nicht wenig Geld einbrachte: ich nahm auch meine Arzneikunst zu Hilfe. +Wenn ich in eine Stadt kam, ließ ich durch Zettel verkünden, daß ein +griechischer Arzt da sei, der schon viele geheilt habe; und wahrlich, +mein Balsam und meine Arzneien haben mir manche Zechine eingebracht. + +So war ich endlich nach der Stadt Florenz in Italien gekommen. Ich nahm +mir vor, längere Zeit in dieser Stadt zu bleiben, teils weil sie mir so +wohl gefiel, teils auch, weil ich mich von den Strapazen meines +Umherziehens erholen wollte. Ich mietete mir ein Gewölbe in dem +Stadtviertel St. Croce und nicht weit davon ein paar schöne Zimmer, die +auf einen Altan führten, in einem Wirtshaus. Sogleich ließ ich auch +meine Zettel umhertragen, die mich als Arzt und Kaufmann ankündigten. +Ich hatte kaum mein Gewölbe eröffnet, so strömten auch die Käufer +herzu, und ob ich gleich ein wenig hohe Preise hatte, so verkaufte ich +doch mehr als andere, weil ich gefällig und freundlich gegen meine +Kunden war. Ich hatte schon vier Tage vergnügt in Florenz verlebt, als +ich eines Abends, da ich schon mein Gewölbe schließen und nur die +Vorräte in meinen Salbenbüchsen nach meiner Gewohnheit noch einmal +mustern wollte, in einer kleinen Büchse einen Zettel fand, den ich mich +nicht erinnerte, hineingetan zu haben. Ich öffnete den Zettel und fand +darin eine Einladung, diese Nacht Punkt zwölf Uhr auf der Brücke, die +man Ponte vecchio heißt, mich einzufinden. Ich sann lange darüber nach, +wer es wohl sein könnte, der mich dorthin einlud, da ich aber keine +Seele in Florenz kannte, dachte ich, man werde mich vielleicht heimlich +zu irgendeinem Kranken führen wollen, was schon öfter geschehen war. +Ich beschloß also hinzugehen, doch hing ich zur Vorsicht den Säbel um, +den mir einst mein Vater geschenkt hatte. + +Als es stark gegen Mitternacht ging, machte ich mich auf den Weg und +kam bald auf die Ponte vecchio. Ich fand die Brücke verlassen und öde +und beschloß zu warten, bis er erscheinen würde, der mich rief. Es war +eine kalte Nacht; der Mond schien hell, und ich schaute hinab in die +Wellen des Arno, die weithin im Mondlicht schimmerten. Auf den Kirchen +der Stadt schlug es jetzt zwölf Uhr; ich richtete mich auf, und vor mir +stand ein großer Mann, ganz in einen roten Mantel gehüllt, dessen einen +Zipfel er vor das Gesicht hielt. + +Ich war von Anfang etwas erschrocken, weil er so plötzlich hinter mir +stand, faßte mich aber sogleich wieder und sprach: „Wenn Ihr mich habt +hierher bestellt, so sagt an, was steht zu Eurem Befehl?“ + +Der Rotmantel wandte sich um und sagte langsam: „Folge!“ Da ward mir’s +doch etwas unheimlich zumute, mit diesem Unbekannten allein zu gehen; +ich blieb stehen und sprach: „Nicht also, lieber Herr, wollet mir +vorerst sagen, wohin; auch könnet Ihr mir Euer Gesicht ein wenig +zeigen, daß ich sehe, ob Ihr Gutes mit mir vorhabt.“ + +Der Rote aber schien sich nicht darum zu kümmern. „Wenn du nicht +willst, Zaleukos, so bleibe!“ antwortete er und ging weiter. + +Da entbrannte mein Zorn. „Meinet Ihr“, rief ich aus, „ein Mann wie ich +lasse sich von jedem Narren foppen, und ich werde in dieser kalten +Nacht umsonst gewartet haben?“ In drei Sprüngen hatte ich ihn erreicht, +packte ihn an seinem Mantel und schrie noch lauter, indem ich die +andere Hand an den Säbel legte; aber der Mantel blieb mir in der Hand, +und der Unbekannte war um die nächste Ecke verschwunden. Mein Zorn +legte sich nach und nach; ich hatte doch den Mantel, und dieser sollte +mir schon den Schlüssel zu diesem wunderlichen Abenteuer geben. + +Ich hing ihn um und ging meinen Weg weiter nach Hause. Als ich kaum +noch hundert Schritte davon entfernt war, streifte jemand dicht an mir +vorüber und flüsterte in fränkischer Sprache: „Nehmt Euch in acht, +Graf, heute nacht ist nichts zu machen.“ Ehe ich mich aber umsehen +konnte, war dieser Jemand schon vorbei, und ich sah nur noch einen +Schatten an den Häusern hinschweben. Daß dieser Zuruf den Mantel und +nicht mich anging, sah ich ein; doch gab er mir kein Licht über die +Sache. Am anderen Morgen überlegte ich, was zu tun sei. Ich war von +Anfang gesonnen, den Mantel ausrufen zu lassen, als hätte ich ihn +gefunden; doch da konnte der Unbekannte ihn durch einen Dritten holen +lassen, und ich hätte dann keinen Aufschluß über die Sache gehabt. Ich +besah, indem ich so nachdachte, den Mantel näher. Er war von schwerem +genuesischem Samt, purpurrot, mit astrachanischem Pelz verbrämt und +reich mit Gold bestickt. Der prachtvolle Anblick des Mantels brachte +mich auf einen Gedanken, den ich auszuführen beschloß. + +Ich trug ihn in mein Gewölbe und legte ihn zum Verkauf aus, setzte aber +auf ihn einen so hohen Preis, daß ich gewiß war, keinen Käufer zu +finden. Mein Zweck dabei war, jeden, der nach dem Pelz fragen würde, +scharf ins Auge zu fassen; denn die Gestalt des Unbekannten, die sich +mir nach Verlust des Mantels, wenn auch nur flüchtig, doch bestimmt +zeigte, wollte ich aus Tausenden erkennen. Es fanden sich viele +Kauflustige zu dem Mantel, dessen außerordentliche Schönheit alle Augen +auf sich zog; aber keiner glich entfernt dem Unbekannten, keiner wollte +den hohen Preis von zweihundert Zechinen dafür bezahlen. Auffallend war +mir dabei, daß, wenn ich einen oder den anderen fragte, ob denn sonst +kein solcher Mantel in Florenz sei, alle mit „Nein!“ antworteten und +versicherten, eine so kostbare und geschmackvolle Arbeit nie gesehen zu +haben. + +Es wollte schon Abend werden, da kam endlich ein junger Mann, der schon +oft bei mir gewesen war und auch heute viel auf den Mantel geboten +hatte, warf einen Beutel mit Zechinen auf den Tisch und rief: „Bei +Gott! Zaleukos, ich muß deinen Mantel haben, und sollte ich zum Bettler +darüber werden.“ Zugleich begann er, seine Goldstücke aufzuzählen. Ich +kam in große Not; ich hatte den Mantel nur ausgehängt, um vielleicht +die Blicke meines Unbekannten darauf zu ziehen, und jetzt kam ein +junger Tor, um den ungeheuren Preis zu zahlen. Doch was blieb mir +übrig; ich gab nach, denn es tat mir auf der anderen Seite der Gedanke +wohl, für mein nächtliches Abenteuer so schön entschädigt zu werden. +Der Jüngling hing sich den Mantel um und ging; er kehrte aber auf der +Schwelle wieder um, indem er ein Papier, das am Mantel befestigt war, +losmachte, mir zuwarf und sagte: „Hier, Zaleukos, hängt etwas, das wohl +nicht zu dem Mantel gehört.“ + +Gleichgültig nahm ich den Zettel; aber siehe da, dort stand +geschrieben: „Bringe heute nacht um die bewußte Stunde den Mantel auf +die Ponte vecchio, vierhundert Zechinen warten deiner.“ + +Ich stand wie niedergedonnert. So hatte ich also mein Glück selbst +verscherzt und meinen Zweck gänzlich verfehlt! Doch ich besann mich +nicht lange, raffte die zweihundert Zechinen zusammen, sprang dem, der +den Mantel gekauft hatte, nach und sprach: „Nehmt Eure Zechinen wieder, +guter Freund, und laßt mir den Mantel, ich kann ihn unmöglich +hergeben.“ Dieser hielt die Sache von Anfang für Spaß, als er aber +merkte, daß es Ernst war, geriet er in Zorn über meine Forderung, +schalt mich einen Narren, und so kam es endlich zu Schlägen. Doch ich +war so glücklich, im Handgemenge ihm den Mantel zu entreißen, und +wollte schon mit ihm davoneilen, als der junge Mann die Polizei zu +Hilfe rief und mich mit sich vor Gericht zog. Der Richter war sehr +erstaunt über die Anklage und sprach meinem Gegner den Mantel zu. Ich +aber bot dem Jünglinge zwanzig, fünfzig, achtzig, ja hundert Zechinen +über seine zweihundert, wenn er mir den Mantel ließe. Was meine Bitten +nicht vermochten, bewirkte mein Gold. Er nahm meine guten Zechinen, ich +aber zog mit dem Mantel triumphierend ab und mußte mir gefallen lassen, +daß man mich in ganz Florenz für einen Wahnsinnigen hielt. Doch die +Meinung der Leute war mir gleichgültig; ich wußte es ja besser als sie, +daß ich an dem Handel noch gewann. + +Mit Ungeduld erwartete ich die Nacht. Um dieselbe Zeit wie gestern ging +ich, den Mantel unter dem Arm, auf die Ponte vecchio. Mit dem letzten +Glockenschlag kam die Gestalt aus der Nacht heraus auf mich zu. Es war +unverkennbar der Mann von gestern. „Hast du den Mantel?“ wurde ich +gefragt. + +„Ja, Herr“, antwortete ich, „aber er kostete mich bar hundert +Zechinen.“ + +„Ich weiß es“, entgegnete jener. „Schau auf, hier sind vierhundert.“ Er +trat mit mir an das breite Geländer der Brücke und zählte die +Goldstücke hin. Vierhundert waren es; prächtig blitzten sie im +Mondschein, ihr Glanz erfreute mein Herz, ach! Es ahnete nicht, daß es +seine letzte Freude sein werde. Ich steckte mein Geld in die Tasche und +wollte mir nun auch den gütigen Unbekannten recht betrachten; aber er +hatte eine Larve vor dem Gesicht, aus der mich dunkle Augen furchtbar +anblitzten. + +„Ich danke Euch, Herr, für Eure Güte“, sprach ich zu ihm, „was verlangt +Ihr jetzt von mir? Das sage ich Euch aber vorher, daß es nichts +Unrechtes sein darf.“ + +„Unnötige Sorge“, antwortete er, indem er den Mantel um die Schultern +legte, „ich bedarf Eurer Hilfe als Arzt; doch nicht für einen Lebenden, +sondern für einen Toten.“ + +„Wie kann das sein?“ rief ich voll Verwunderung. + +„Ich kam mit meiner Schwester aus fernen Landen“, erzählte er und +winkte mir zugleich, ihm zu folgen. „Ich wohnte hier mit ihr bei einem +Freund meines Hauses. Meine Schwester starb gestern schnell an einer +Krankheit, und die Verwandten wollen sie morgen begraben. Nach einer +alten Sitte unserer Familie aber sollen alle in der Gruft der Väter +ruhen; viele, die in fremden Landen starben, ruhen dennoch dort +einbalsamiert. Meinen Verwandten gönne ich nun ihren Körper; meinem +Vater aber muß ich wenigstens den Kopf seiner Tochter bringen, damit er +sie noch einmal sehe.“ Diese Sitte, die Köpfe geliebter Anverwandten +abzuschneiden, kam mir zwar etwas schrecklich vor; doch wagte ich +nichts dagegen einzuwenden aus Furcht, den Unbekannten zu beleidigen. +Ich sagte ihm daher, daß ich mit dem Einbalsamieren der Toten wohl +umgehen könne, und bat ihn, mich zu der Verstorbenen zu führen. Doch +konnte ich mich nicht enthalten zu fragen, warum denn dies alles so +geheimnisvoll und in der Nacht geschehen müsse. Er antwortete mir, daß +seine Anverwandten, die seine Absicht für grausam hielten, bei Tage ihn +abhalten würden; sei aber nur erst einmal der Kopf abgenommen, so +könnten sie wenig mehr darüber sagen. Er hätte mir zwar den Kopf +bringen können; aber ein natürliches Gefühl halte ihn ab, ihn selbst +abzunehmen. + +Wir waren indes bis an ein großes, prachtvolles Haus gekommen. Mein +Begleiter zeigte es mir als das Ziel unseres nächtlichen Spazierganges. +Wir gingen an dem Haupttor des Hauses vorbei, traten in eine kleine +Pforte, die der Unbekannte sorgfältig hinter sich zumachte, und stiegen +nun im Finstern eine enge Wendeltreppe hinan. Sie führte in einen +spärlich erleuchteten Gang, aus welchem wir in ein Zimmer gelangten, +das eine Lampe, die an der Decke befestigt war, erleuchtete. + +In diesem Gemach stand ein Bett, in welchem der Leichnam lag. Der +Unbekannte wandte sein Gesicht ab und schien Tränen verbergen zu +wollen. Er deutete nach dem Bett, befahl mir, mein Geschäft gut und +schnell zu verrichten, und ging wieder zur Türe hinaus. + +Ich packte meine Messer, die ich als Arzt immer bei mir führte, aus und +näherte mich dem Bett. Nur der Kopf war von der Leiche sichtbar; aber +dieser war so schön, daß mich unwillkürlich das innigste Mitleiden +ergriff. In langen Flechten hing das dunkle Haar herab, das Gesicht war +bleich, die Augen geschlossen. Ich machte zuerst einen Einschnitt in +die Haut, nach der Weise der Ärzte, wenn sie ein Glied abschneiden. +Sodann nahm ich mein schärfstes Messer und schnitt mit einem Zug die +Kehle durch. Aber welcher Schrecken! Die Tote schlug die Augen auf, +schloß sie aber gleich wieder, und in einem tiefen Seufzer schien sie +jetzt erst ihr Leben auszuhauchen. Zugleich schoß mir ein Strahl heißen +Blutes aus der Wunde entgegen. Ich überzeugte mich, daß ich erst die +Arme getötet hatte; denn daß sie tot sei, war kein Zweifel, da es von +dieser Wunde keine Rettung gab. Ich stand einige Minuten in banger +Beklommenheit über das, was geschehen war. Hatte der Rotmantel mich +betrogen, oder war die Schwester vielleicht nur scheintot gewesen? Das +letztere schien mir wahrscheinlicher. Aber ich durfte dem Bruder der +Verstorbenen nicht sagen, daß vielleicht ein weniger rascher Schnitt +sie erweckt hätte, ohne sie zu töten, darum wollte ich den Kopf +vollends ablösen; aber noch einmal stöhnte die Sterbende, streckt sich +in schmerzhafter Bewegung aus und starb. Da übermannte mich der +Schrecken, und ich stürzte schaudernd aus dem Gemach. Aber draußen im +Gang war es finster; denn die Lampe war verlöscht. Keine Spur von +meinem Begleiter war zu entdecken, und ich mußte aufs ungefähr mich im +Finstern an der Wand fortbewegen, um an die Wendeltreppe zu gelangen. +Ich fand sie endlich und kam halb fallend, halb gleitend hinab. Auch +unten war kein Mensch. Die Türe fand ich nur angelehnt, und ich atmete +freier, als ich auf der Straße war; denn in dem Hause war mir ganz +unheimlich geworden. Von Schrecken gespornt, rannte ich in meine +Wohnung und begrub mich in die Polster meines Lagers, um das +Schreckliche zu vergessen, das ich getan hatte. Aber der Schlaf floh +mich, und erst der Morgen ermahnte mich wieder, mich zu fassen. Es war +mir wahrscheinlich, daß der Mann, der mich zu dieser verruchten Tat, +wie sie mir jetzt erschien, verführt hatte, mich nicht angeben würde. +Ich entschloß mich, gleich in mein Gewölbe an mein Geschäft zu gehen +und womöglich eine sorglose Miene anzunehmen. Aber ach! Ein neuer +Umstand, den ich jetzt erst bemerkte, vermehrte noch meinen Kummer. +Meine Mütze und mein Gürtel wie auch meine Messer fehlten mir, und ich +war ungewiß, ob ich sie in dem Zimmer der Getöteten gelassen oder erst +auf meiner Flucht verloren hatte. Leider schien das erste +wahrscheinlicher, und man konnte mich also als Mörder entdecken. + +Ich öffnete zur gewöhnlichen Zeit mein Gewölbe. Mein Nachbar trat zu +mir her, wie er alle Morgen zu tun pflegte, denn er war ein +gesprächiger Mann. „Ei, was sagt Ihr zu der schrecklichen Geschichte“, +hub er an, „die heute nacht vorgefallen ist?“ Ich tat, als ob ich +nichts wüßte. „Wie, solltet Ihr nicht wissen, von was die ganze Stadt +erfüllt ist? Nicht wissen, daß die schönste Blume von Florenz, Bianka, +die Tochter des Gouverneurs, in dieser Nacht ermordet wurde? Ach! Ich +sah sie gestern noch so heiter durch die Straßen fahren mit ihrem +Bräutigam, denn heute hätten sie Hochzeit gehabt.“ + +Jedes Wort des Nachbarn war mir ein Stich ins Herz. Und wie oft kehrte +meine Marter wieder; denn jeder meiner Kunden erzählte mir die +Geschichte, immer einer schrecklicher als der andere, und doch konnte +keiner so Schreckliches sagen, als ich selbst gesehen hatte. Um Mittag +ungefähr trat ein Mann vom Gericht in mein Gewölbe und bat mich, die +Leute zu entfernen. „Signore Zaleukos“, sprach er, indem er die Sachen, +die ich vermißte, hervorzog, „gehören diese Sachen Euch zu?“ Ich besann +mich, ob ich sie nicht gänzlich ableugnen sollte; aber als ich durch +die halbgeöffnete Tür meinen Wirt und mehrere Bekannte, die wohl gegen +mich zeugen konnten, erblickte, beschloß ich, die Sache nicht noch +durch eine Lüge zu verschlimmern, und bekannte mich zu den vorgezeigten +Dingen. Der Gerichtsmann bat mich, ihm zu folgen, und führte mich in +ein großes Gebäude, das ich bald für das Gefängnis erkannte. Dort wies +er mir bis auf weiteres ein Gemach an. + +Meine Lage war schrecklich, als ich so in der Einsamkeit darüber +nachdachte. Der Gedanke, gemordet zu haben, wenn auch ohne Willen, +kehrte immer wieder. Auch konnte ich mir nicht verhehlen, daß der Glanz +des Goldes meine Sinne befangen gehalten hatte; sonst hätte ich nicht +so blindlings in die Falle gehen können. Zwei Stunden nach meiner +Verhaftung wurde ich aus meinem Gemach geführt. Mehrere Treppen ging es +hinab, dann kam man in einen großen Saal. Um einen langen, +schwarzbehängten Tisch saßen dort zwölf Männer, meistens Greise. An den +Seiten des Saales zogen sich Bänke herab, angefüllt mit den Vornehmsten +von Florenz; auf den Galerien, die in der Höhe angebracht waren, +standen dicht gedrängt die Zuschauer. Als ich bis vor den schwarzen +Tisch getreten war, erhob sich ein Mann mit finsterer, trauriger Miene; +es war der Gouverneur. Er sprach zu den Versammelten, daß er als Vater +in dieser Sache nicht richten könne und daß er seine Stelle für diesmal +an den ältesten der Senatoren abtrete. Der älteste der Senatoren war +ein Greis von wenigstens neunzig Jahren. Er stand gebückt, und seine +Schläfen waren mit dünnem, weißem Haar umhängt; aber feurig brannten +noch seine Augen, und seine Stimme war stark und sicher. Er hub an, +mich zu fragen, ob ich den Mord gestehe. Ich bat ihn um Gehör und +erzählte unerschrocken und mit vernehmlichen Stimme, was ich getan +hatte und was ich wußte. Ich bemerkte, daß der Gouverneur während +meiner Erzählung bald blaß, bald rot wurde, und als ich geschlossen, +fuhr er wütend auf: „Wie, Elender!“ rief er mir zu, „so willst du ein +Verbrechen, das du aus Habgier begangen, noch einem anderen aufbürden?“ + +Der Senator verwies ihm seine Unterbrechung, da er sich freiwillig +seines Rechtes begeben habe; auch sei es gar nicht so erwiesen, daß ich +aus Habgier gefrevelt; denn nach seiner eigenen Aussage sei ja der +Getöteten nichts gestohlen worden. Ja, er ging noch weiter; er erklärte +dem Gouverneur, daß er über das frühere Leben seiner Tochter +Rechenschaft geben müsse; denn nur so könne man schließen, ob ich die +Wahrheit gesagt habe oder nicht. Zugleich hob er für heute das Gericht +auf, um sich, wie er sagte, aus den Papieren der Verstorbenen, die ihm +der Gouverneur übergeben werde, Rat zu holen. Ich wurde wieder in mein +Gefängnis zurückgeführt, wo ich einen schaurigen Tag verlebte, immer +mit dem heißen Wunsch beschäftigt, daß man doch irgendeine Verbindung +zwischen der Toten und dem Rotmantel entdecken möchte. Voll Hoffnung +trat ich den anderen Tag in den Gerichtssaal. Es lagen mehrere Briefe +auf dem Tisch. Der alte Senator fragte mich, ob sie meine Handschrift +seien. Ich sah sie an und fand, daß sie von derselben Hand sein müßten +wie jene beiden Zettel, die ich erhalten. Ich äußerte dies den +Senatoren; aber man schien nicht darauf zu achten und antwortete, daß +ich beides geschrieben haben könne und müsse; denn der Namenszug unter +den Briefen sei unverkennbar ein Z, der Anfangsbuchstabe meines Namens. +Die Briefe aber enthielten Drohungen an die Verstorbene und Warnungen +vor der Hochzeit, die sie zu vollziehen im Begriff war. + +Der Gouverneur schien sonderbare Aufschlüsse in Hinsicht auf meine +Person gegeben zu haben; denn man behandelte mich an diesem Tage +mißtrauischer und strenger. Ich berief mich zu meiner Rechtfertigung +auf meine Papiere, die sich in meinem Zimmer finden müßten; aber man +sagte mir, man habe nachgesucht und nichts gefunden. So schwand mir am +Schlusse dieses Gerichts alle Hoffnung, und als ich am dritten Tag +wieder in den Saal geführt wurde, las man mir das Urteil vor, daß ich, +eines vorsätzlichen Mordes überwiesen, zum Tode verurteilt sei. Dahin +also war es mit mir gekommen. Verlassen von allem, was mir auf Erden +noch teuer war, fern von meiner Heimat, sollte ich unschuldig in der +Blüte meiner Jahre vom Beile sterben. + +Ich saß am Abend dieses schrecklichen Tages, der über mein Schicksal +entschieden hatte, in meinem einsamen Kerker; meine Hoffnungen waren +dahin, meine Gedanken ernsthaft auf den Tod gerichtet. Da tat sich die +Türe meines Gefängnisses auf, und ein Mann trat herein, der mich lange +schweigend betrachtete. „So finde ich dich wieder, Zaleukos?“ sagte er; +ich hatte ihn bei dem matten Schein meiner Lampe nicht erkannt, aber +der Klang seiner Stimme erweckte alte Erinnerungen in mir, es war +Valetty, einer jener wenigen Freunde, die ich in der Stadt Paris +während meiner Studien kannte. Er sagte, daß er zufällig nach Florenz +gekommen sei, wo sein Vater als angesehener Mann wohne, er habe von +meiner Geschichte gehört und sei gekommen, um mich noch einmal zu sehen +und von mir selbst zu erfahren, wie ich mich so schwer habe verschulden +können. Ich erzählte ihm die ganze Geschichte. Er schien darüber sehr +verwundert und beschwor mich, ihm, meinem einzigen Freunde, alles zu +sagen, um nicht mit einer Lüge von hinnen zu gehen. Ich schwor ihm mit +dem teuersten Eid, daß ich wahr gesprochen und daß keine andere Schuld +mich drücke, als daß ich, von dem Glanze des Goldes geblendet, das +Unwahrscheinliche der Erzählung des Unbekannten nicht erkannt habe. „So +hast du Bianka nicht gekannt?“ fragte jener. Ich beteuerte ihm, sie nie +gesehen zu haben. Valetty erzählte mir nun, daß ein tiefes Geheimnis +auf der Tat liege, daß der Gouverneur meine Verurteilung sehr hastig +betrieben habe, und es sei nun ein Gerücht unter die Leute gekommen, +daß ich Bianka schon längst gekannt und aus Rache über ihre Heirat mit +einem anderen sie ermordet habe. Ich bemerkte ihm, daß dies alles ganz +auf den Rotmantel passe, daß ich aber seine Teilnahme an der Tat mit +nichts beweisen könne. Valetty umarmte mich weinend und versprach mir, +alles zu tun, um wenigstens mein Leben zu retten. Ich hatte wenig +Hoffnung; doch wußte ich, daß Valetty ein weiser und der Gesetze +kundiger Mann sei und daß er alles tun werde, mich zu retten. Zwei +lange Tage war ich in Ungewißheit: Endlich erschien auch Valetty. „Ich +bringe Trost, wenn auch einen schmerzlichen. Du wirst leben und frei +sein; aber mit Verlust einer Hand.“ Gerührt dankte ich meinem Freunde +für mein Leben. Er sagte mir, daß der Gouverneur unerbittlich gewesen +sei, die Sache noch einmal untersuchen zu lassen; daß er aber endlich, +um nicht ungerecht zu erscheinen, bewilligt habe, wenn man in den +Büchern der florentinischen Geschichte einen ähnlichen Fall finde, so +solle meine Strafe sich nach der Strafe, die dort ausgesprochen sei, +richten. Er und sein Vater haben nun Tag und Nacht in den alten Büchern +gelesen und endlich einen ganz dem meinigen ähnlichen Fall gefunden. +Dort laute die Strafe: Es soll ihm die linke Hand abgehauen, seine +Güter eingezogen, er selbst auf ewig verbannt werden. So laute jetzt +auch meine Strafe, und ich solle mich jetzt bereiten zu der +schmerzhaften Stunde, die meiner warte. Ich will euch nicht diese +schreckliche Stunde vor das Auge führen, wo ich auf offenem Markt meine +Hand auf den Block legte, wo mein eigenes Blut in weitem Bogen mich +überströmte! + +Valetty nahm mich in sein Haus auf, bis ich genesen war, dann versah er +mich edelmütig mit Reisegeld; denn alles, was ich mir so mühsam +erworben, war eine Beute des Gerichts geworden. Ich reiste von Florenz +nach Sizilien und von da mit dem ersten Schiff, das ich fand, nach +Konstantinopel. Meine Hoffnung war auf die Summe gerichtet, die ich +meinem Freunde übergeben hatte, auch bat ich ihn, bei ihm wohnen zu +dürfen; aber wie erstaunte ich, als dieser mich fragte, warum ich denn +nicht mein Haus beziehe! Er sagte mir, daß ein fremder Mann unter +meinem Namen ein Haus in dem Quartier der Griechen gekauft habe; +derselbe habe auch den Nachbarn gesagt, daß ich bald selbst kommen +werde. Ich ging sogleich mit meinem Freunde dahin und wurde von allen +meinen Bekannten freudig empfangen. Ein alter Kaufmann gab mir einen +Brief, den der Mann, der für mich gekauft hatte, hiergelassen habe. + +Ich las: „Zaleukos! Zwei Hände stehen bereit, rastlos zu schaffen, daß +Du nicht fühlest den Verlust der einen. Das Haus, das Du siehest, und +alles, was darin ist, ist Dein, und alle Jahre wird man Dir so viel +reichen, daß Du zu den Reichen Deines Volkes gehören wirst. Mögest Du +dem vergeben, der unglücklicher ist als Du.“ Ich konnte ahnen, wer es +geschrieben, und der Kaufmann sagte mir auf meine Frage: Es sei ein +Mann gewesen, den er für einen Franken gehalten, er habe einen roten +Mantel angehabt. Ich wußte genug, um mir zu gestehen, daß der +Unbekannte doch nicht ganz von aller edlen Gesinnung entblößt sein +müsse. In meinem neuen Haus fand ich alles aufs beste eingerichtet, +auch ein Gewölbe mit Waren, schöner als ich sie je gehabt. Zehn Jahre +sind seitdem verstrichen; mehr aus alter Gewohnheit, als weil ich es +nötig habe, setze ich meine Handelsreisen fort; doch habe ich jenes +Land, wo ich so unglücklich wurde, nie mehr gesehen. Jedes Jahr erhielt +ich seitdem tausend Goldstücke; aber, wenn es mir auch Freude macht, +jenen Unglücklichen edel zu wissen, so kann er mir doch den Kummer +meiner Seele nicht abkaufen, denn ewig lebt in mir das grauenvolle Bild +der ermordeten Bianka. + + +Zaleukos, der griechische Kaufmann, hatte seine Geschichte geendigt. +Mit großer Teilnahme hatten ihm die übrigen zugehört, besonders der +Fremde schien sehr davon ergriffen zu sein; er hatte einigemal tief +geseufzt, und Muley schien es sogar, als habe er einmal Tränen in den +Augen gehabt. Sie besprachen sich noch lange Zeit über diese +Geschichte. + +„Und haßt Ihr den Unbekannten nicht, der Euch so schnöd’ um ein so +edles Glied Eures Körpers, der selbst Euer Leben in Gefahr brachte?“ +fragte der Fremde. + +„Wohl gab es in früherer Zeit Stunden“, antwortete der Grieche, „in +denen mein Herz ihn vor Gott angeklagt, daß er diesen Kummer über mich +gebracht und mein Leben vergiftet habe; aber ich fand Trost in dem +Glauben meiner Väter, und dieser befiehlt mir, meine Feinde zu lieben; +auch ist er wohl noch unglücklicher als ich.“ + +„Ihr seid ein edler Mann!“ rief der Fremde und drückte gerührt dem +Griechen die Hand. + +Der Anführer der Wache unterbrach sie aber in ihrem Gespräch. Er trat +mit besorgter Miene in das Zelt und berichtete, daß man sich nicht der +Ruhe überlassen dürfe; denn hier sei die Stelle, wo gewöhnlich die +Karawanen angegriffen würden, auch glaubten seine Wachen, in der +Entfernung mehrere Reiter zu sehen. + +Die Kaufleute waren sehr bestürzt über diese Nachricht; Selim, der +Fremde, aber wunderte sich über ihre Bestürzung und meinte, daß sie so +gut geschätzt wären, daß sie einen Trupp räuberischer Araber nicht zu +fürchten brauchten. + +„Ja, Herr!“ entgegnete ihm der Anführer der Wache. „Wenn es nur solches +Gesindel wäre, könnte man sich ohne Sorge zur Ruhe legen; aber seit +einiger Zeit zeigt sich der furchtbare Orbasan wieder, und da gilt es, +auf seiner Hut zu sein.“ + +Der Fremde fragte, wer denn dieser Orbasan sei, und Achmet, der alte +Kaufmann, antwortete ihm: „Es gehen allerlei Sagen unter dem Volke über +diesen wunderbaren Mann. Die einen halten ihn für ein übermenschliches +Wesen, weil er oft mit fünf bis sechs Männern zumal einen Kampf +besteht, andere halten ihn für einen tapferen Franken, den das Unglück +in diese Gegend verschlagen habe; von allem aber ist nur so viel gewiß, +daß er ein verruchter Mörder und Dieb ist.“ + +„Das könnt Ihr aber doch nicht behaupten“, entgegnete ihm Lezah, einer +der Kaufleute. „Wenn er auch ein Räuber ist, so ist er doch ein edler +Mann, und als solcher hat er sich an meinem Bruder bewiesen, wie ich +Euch erzählen könnte. Er hat seinen ganzen Stamm zu geordneten Menschen +gemacht, und so lange er die Wüste durchstreift, darf kein anderer +Stamm es wagen, sich sehen zu lassen. Auch raubt er nicht wie andere, +sondern er erhebt nur ein Schutzgeld von den Karawanen, und wer ihm +dieses willig bezahlt, der ziehet ungefährdet weiter; denn Orbasan ist +der Herr der Wüste.“ + +Also sprachen unter sich die Reisenden im Zelte; die Wachen aber, die +um den Lagerplatz ausgestellt waren, begannen unruhig zu werden. Ein +ziemlich bedeutender Haufe bewaffneter Reiter zeigte sich in der +Entfernung einer halben Stunde; sie schienen gerade auf das Lager +zuzureiten. Einer der Männer von der Wache ging daher in das Zelt, um +zu verkünden, daß sie wahrscheinlich angegriffen würden. Die Kaufleute +berieten sich untereinander, was zu tun sei, ob man ihnen entgegengehen +oder den Angriff abwarten solle. Achmet und die zwei älteren Kaufleute +wollten das letztere, der feurige Muley aber und Zaleukos verlangten +das erstere und riefen den Fremden zu ihrem Beistand auf. Dieser zog +ruhig ein kleines, blaues Tuch mit roten Sternen aus seinem Gürtel +hervor, band es an eine Lanze und befahl einem der Sklaven, es auf das +Zelt zu stecken; er setze sein Leben zum Pfand, sagte er, die Reiter +werden, wenn sie dieses Zeichen sehen, ruhig vorüberziehen. Muley +glaubte nicht an den Erfolg, der Sklave aber steckte die Lanze auf das +Zelt. Inzwischen hatten alle, die im Lager waren, zu den Waffen +gegriffen und sahen in gespannter Erwartung den Reitern entgegen. Doch +diese schienen das Zeichen auf dem Zelte erblickt zu haben, sie wichen +plötzlich von ihrer Richtung auf das Lager ab und zogen in einem großen +Bogen auf der Seite hin. + +Verwundert standen einige Augenblicke die Reisenden und sahen bald auf +die Reiter, bald auf den Fremden. Dieser stand ganz gleichgültig, wie +wenn nichts vorgefallen wäre, vor dem Zelte und blickte über die Ebene +hin. Endlich brach Muley das Stillschweigen. „Wer bist du, mächtiger +Fremdling“, rief er aus, „der du die wilden Horden der Wüste durch +einen Wink bezähmst?“ + +„Ihr schlagt meine Kunst höher an, als sie ist“, antwortete Selim +Baruch. „Ich habe mich mit diesem Zeichen versehen, als ich der +Gefangenschaft entfloh; was es zu bedeuten hat, weiß ich selbst nicht; +nur so viel weiß ich, daß, wer mit diesem Zeichen reiset, unter +mächtigem Schutze steht.“ + +Die Kaufleute dankten dem Fremden und nannten ihn ihren Erretter. +Wirklich war auch die Anzahl der Reiter so groß gewesen, daß wohl die +Karawane nicht lange hätte Widerstand leisten können. + +Mit leichterem Herzen begab man sich jetzt zur Ruhe, und als die Sonne +zu sinken begann und der Abendwind über die Sandebene hinstrich, +brachen sie auf und zogen weiter. + +Am nächsten Tage lagerten sie ungefähr nur noch eine Tagreise von dem +Ausgang der Wüste entfernt. Als sich die Reisenden wieder in dem großen +Zelt versammelt hatten, nahm Lezah, der Kaufmann, das Wort: + +„Ich habe euch gestern gesagt, daß der gefürchtete Orbasan ein edler +Mann sei, erlaubt mir, daß ich es euch heute durch die Erzählung der +Schicksale meines Bruders beweise. Mein Vater war Kadi in Akara. Er +hatte drei Kinder. Ich war der Älteste, ein Bruder und eine Schwester +waren bei weitem jünger als ich. Als ich zwanzig Jahre alt war, rief +mich ein Bruder meines Vaters zu sich. Er setzte mich zum Erben seiner +Güter ein, mit der Bedingung, daß ich bis zu seinem Tode bei ihm +bleibe. Aber er erreichte ein hohes Alter, so daß ich erst vor zwei +Jahren in meine Heimat zurückkehrte und nichts davon wußte, welch +schreckliches Schicksal indes mein Haus betroffen und wie gütig Allah +es gewendet hatte.“ + + + + +Die Errettung Fatmes + +Wilhelm Hauff + + +Mein Bruder Mustapha und meine Schwester Fatme waren beinahe in +gleichem Alter; jener hatte höchstens zwei Jahre voraus. Sie liebten +einander innig und trugen vereint alles bei, was unserem kränklichen +Vater die Last seines Alters erleichtern konnte. An Fatmes sechzehntem +Geburtstage veranstaltete der Bruder ein Fest. Er ließ alle ihre +Gespielinnen einladen, setzte ihnen in dem Garten des Vaters +ausgesuchte Speisen vor, und als es Abend wurde, lud er sie ein, auf +einer Barke, die er gemietet und festlich geschmückt hatte, ein wenig +hinaus in die See zu fahren. Fatme und ihre Gespielinnen willigten mit +Freuden ein; denn der Abend war schön, und die Stadt gewährte besonders +abends, von dem Meere aus betrachtet, einen herrlichen Anblick. Den +Mädchen aber gefiel es so gut auf der Barke, daß sie meinen Bruder +bewogen, immer weiter in die See hinauszufahren. Mustapha gab aber +ungern nach, weil sich vor einigen Tagen ein Korsar hatte sehen lassen. +Nicht weit von der Stadt zieht sich ein Vorgebirge in das Meer. Dorthin +wollten noch die Mädchen, um von da die Sonne in das Meer sinken zu +sehen. Als sie um das Vorgebirg’ herumruderten, sahen sie in geringer +Entfernung eine Barke, die mit Bewaffneten besetzt war. Nichts Gutes +ahnend, befahl mein Bruder den Ruderern, sein Schiff zu drehen und dem +Lande zuzurudern. Wirklich schien sich auch seine Besorgnis zu +bestätigen; denn jene Barke kam der meines Bruders schnell nach, +überholte sie, da sie mehr Ruder hatte, und hielt sich immer zwischen +dem Land, und unserer Barke. Die Mädchen aber, als sie die Gefahr +erkannten, in der sie schwebten, sprangen auf und schrien und klagten; +umsonst suchte sie Mustapha zu beruhigen, umsonst stellte er ihnen vor, +ruhig zu bleiben, weil sie durch ihr Hin- und Herrennen die Barke in +Gefahr brächten umzuschlagen. Es half nichts, und da sie sich endlich +bei Annäherung des anderen Bootes alle auf die hintere Seite der Barke +stürzten, schlug diese um. Indessen aber hatte man vom Land aus die +Bewegungen des fremden Bootes beobachtet, und da man schon seit einiger +Zeit Besorgnisse wegen Korsaren hegte, hatte dieses Boot Verdacht +erregt, und mehrere Barken stießen vom Lande, um den Unsrigen +beizustehen. Aber sie kamen nur noch zu rechter Zeit, um die +Untersinkenden aufzunehmen. In der Verwirrung war das feindliche Boot +entwischt, auf den beiden Barken aber, welche die Geretteten +aufgenommen hatten, war man ungewiß, ob alle gerettet seien. Man +näherte sich gegenseitig, und ach! Es fand sich, daß meine Schwester +und eine ihrer Gespielinnen fehlten; zugleich entdeckte man aber einen +Fremden in einer der Barken, den niemand kannte. Auf die Drohungen +Mustaphas gestand er, daß er zu dem feindlichen Schiff, das zwei Meilen +ostwärts vor Anker liege, gehöre, und daß ihn seine Gefährten auf ihrer +eiligen Flucht im Stich gelassen hätten, indem er im Begriff gewesen +sei, die Mädchen auffischen zu helfen; auch sagte er aus, daß er +gesehen habe, wie man zwei derselben in das Schiff gezogen. + +Der Schmerz meines alten Vaters war grenzenlos, aber auch Mustapha war +bis zum Tod betrübt, denn nicht nur, daß seine geliebte Schwester +verloren war und daß er sich anklagte, an ihrem Unglück schuld zu +sein—jene Freundin Fatmes, die ihr Unglück teilte, war von ihren Eltern +ihm zur Gattin zugesagt gewesen, und nur unserem Vater hatte er es noch +nicht zu gestehen gewagt, weil ihre Eltern arm und von geringer Abkunft +waren. Mein Vater aber war ein strenger Mann; als sein Schmerz sich ein +wenig gelegt hatte, ließ er Mustapha vor sich kommen und sprach zu ihm: +„Deine Torheit hat mir den Trost meines Alters und die Freude meiner +Augen geraubt. Gehe hin, ich verbanne dich auf ewig von meinem +Angesicht, ich fluche dir und deinen Nachkommen, aber nur, wenn du mir +Fatme wiederbringst, soll dein Haupt rein sein von dem Fluche des +Vaters.“ + +Dies hatte mein armer Bruder nicht erwartet; schon vorher hatte er sich +entschlossen gehabt, seine Schwester und ihre Freundin aufzusuchen, und +wollte sich nur noch den Segen des Vaters dazu erbitten, und jetzt +schickte er ihn, mit dem Fluch beladen, in die Welt. Aber hatte ihn +jener Jammer vorher gebeugt, so stählte jetzt die Fülle des Unglücks, +das er nicht verdient hatte, seinen Mut. + +Er ging zu dem gefangenen Seeräuber und befragte ihn, wohin die Fahrt +seines Schiffes ginge, und erfuhr, daß sie Sklavenhandel trieben und +gewöhnlich in Balsora großen Markt hielten. + +Als er wieder nach Hause kam, um sich zur Reise anzuschicken, schien +sich der Zorn des Vaters ein wenig gelegt zu haben, denn er sandte ihm +einen Beutel mit Gold zur Unterstützung auf der Reise. Mustapha aber +nahm weinend von den Eltern Zoraides, so hieß seine geliebte Braut, +Abschied und machte sich auf den Weg nach Balsora. + +Mustapha machte die Reise zu Land, weil von unserer kleinen Stadt aus +nicht gerade ein Schiff nach Balsora ging. Er mußte daher sehr starke +Tagreisen machen, um nicht zu lange nach den Seeräubern nach Balsora zu +kommen; doch da er ein gutes Roß und kein Gepäck hatte, konnte er +hoffen, diese Stadt am Ende des sechsten Tages zu erreichen. Aber am +Abend des vierten Tages, als er ganz allein seines Weges ritt, fielen +ihn plötzlich drei Männer an. Da er merkte, daß sie gut bewaffnet und +stark seien und daß es mehr auf sein Geld und sein Roß als auf sein +Leben abgesehen war, so rief er ihnen zu, daß er sich ihnen ergeben +wolle. Sie stiegen von ihren Pferden ab und banden ihm die Füße unter +dem Bauch seines Tieres zusammen; ihn selbst aber nahmen sie in die +Mitte und trabten, indem einer den Zügel seines Pferdes ergriff, +schnell mit ihm davon, ohne jedoch ein Wort zu sprechen. + +Mustapha gab sich einer dumpfen Verzweiflung hin, der Fluch seines +Vaters schien schon jetzt an dem Unglücklichen in Erfüllung zu gehen, +und wie konnte er hoffen, seine Schwester und Zoraide zu retten, wenn +er, aller Mittel beraubt, nur sein ärmliches Leben zu ihrer Befreiung +aufwenden konnte. Mustapha und seine stummen Begleiter mochten wohl +eine Stunde geritten sein, als sie in ein kleines Seitental einbogen. +Das Tälchen war von hohen Bäumen eingefaßt; ein weicher dunkelgrüner +Rasen, ein Bach, der schnell durch seine Mitte hinrollte, luden zur +Ruhe ein. Wirklich sah er auch fünfzehn bis zwanzig Zelte dort +aufgeschlagen; an den Pflöcken der Zelte waren Kamele und schöne Pferde +angebunden, aus einem der Zelte hervor tönte die lustige Weise einer +Zither und zweier schöner Männerstimmen. Meinem Bruder schien es, als +ob Leute, die ein so fröhliches Lagerplätzchen sich erwählt hatten, +nichts Böses gegen ihn im Sinne haben könnten, und er folgte also ohne +Bangigkeit dem Ruf seiner Führer, die, als sie seine Bande gelöst +hatten, ihm winkten, abzusteigen. Man führte ihn in ein Zelt, das +größer als die übrigen und im Innern hübsch, fast zierlich aufgeputzt +war. Prächtige, goldbestickte Polster, gewirkte Fußteppiche, +übergoldete Rauchpfannen hätten anderswo Reichtum und Wohlleben +verraten; hier schienen sie nur kühner Raub. Auf einem der Polster saß +ein alter kleiner Mann; sein Gesicht war häßlich, seine Haut +schwarzbraun und glänzend, und ein widriger Zug von tückischer +Schlauheit um Augen und Mund machte seinen Anblick verhaßt. Obgleich +sich dieser Mann einiges Ansehen zu geben suchte, so merkte doch +Mustapha bald, daß nicht für ihn das Zelt so reich geschmückt sei, und +die Unterredung seiner Führer schien seine Bemerkung zu bestätigen. „Wo +ist der Starke?“ fragten sie den Kleinen. + +„Er ist auf der kleinen Jagd“, antwortete jener, „aber er hat mir +aufgetragen, seine Stelle zu versehen.“ + +„Das hat er nicht gescheit gemacht“, entgegnete einer der Räuber, „denn +es muß sich bald entscheiden, ob dieser Hund sterben oder zahlen soll, +und das weiß der Starke besser als du.“ + +Der kleine Mann erhob sich im Gefühl seiner Würde, streckte sich lang +aus, um mit der Spitze seiner Hand das Ohr seines Gegners zu erreichen, +denn er schien Lust zu haben, sich durch einen Schlag zu rächen, als er +aber sah, daß seine Bemühung fruchtlos sei, fing er an zu schimpfen +(und wahrlich! Die anderen blieben ihm nichts schuldig), daß das Zelt +von ihrem Streit erdröhnte. Da tat sich auf einmal die Türe des Zeltes +auf, und herein trat ein hoher, stattlicher Mann, jung und schön wie +ein Perserprinz; seine Kleidung und seine Waffen waren, außer einem +reichbesetzten Dolch und einem glänzenden Säbel, gering und einfach; +aber sein ernstes Auge, sein ganzer Anstand gebot Achtung, ohne Furcht +einzuflößen. + +„Wer ist’s, der es wagt, in meinem Zelte Streit zu beginnen?“ rief er +den Erschrockenen zu. Eine Zeitlang herrschte tiefe Stille; endlich +erzählte einer von denen, die Mustapha hergebracht hatten, wie es +gegangen sei. Da schien sich das Gesicht „des Starken“, wie sie ihn +nannten, vor Zorn zu röten. „Wann hätte ich dich je an meine Stelle +gesetzt, Hassan?“ schrie er mit furchtbarer Stimme dem Kleinen zu. +Dieser zog sich vor Furcht in sich selbst zusammen, daß er noch viel +kleiner aussah als zuvor, und schlich sich der Zelttüre zu. Ein +hinlänglicher Tritt des Starken machte, daß er in einem großen +sonderbaren Sprung zur Zelttüre hinausflog. + +Als der Kleine verschwunden war, führten die drei Männer Mustapha vor +den Herrn des Zeltes, der sich indes auf die Polster gelegt hatte. +„Hier bringen wir den, welchen du uns zu fangen befohlen hast.“ + +Jener blickte den Gefangenen lange an und sprach sodann: „Bassa von +Sulieika! Dein eigenes Gewissen wird dir sagen, warum du vor Orbasan +stehst.“ + +Als mein Bruder dies hörte, warf er sich nieder vor jenem und +antwortete: „O Herr! Du scheinst im Irrtum zu sein. Ich bin ein armer +Unglücklicher, aber nicht der Bassa, den du suchst!“ + +Alle im Zelt waren über diese Rede erstaunt. Der Herr des Zeltes aber +sprach: „Es kann dir wenig helfen, dich zu verstellen; denn ich will +die Leute vorführen, die dich wohl kennen.“ Er befahl, Zuleima +vorzufahren. Man brachte ein altes Weib in das Zelt, das auf die Frage, +ob sie in meinem Bruder nicht den Bassa von Sulieika erkenne, +antwortete: „Jawohl!“ Und sie schwöre es beim Grab des Propheten, es +sei der Bassa und kein anderer. + +„Siehst du, Erbärmlicher, wie deine List zu Wasser geworden ist!“ +begann zürnend der Starke. „Du bist mir zu elend, als daß ich meinen +guten Dolch mit deinem Blut besudeln sollte, aber an den Schweif meines +Rosses will ich dich binden, morgen, wenn die Sonne aufgeht, und durch +die Wälder mit dir jagen, bis sie scheidet hinter die Hügel von +Sulieika!“ + +Da sank meinem armen Bruder der Mut. „Das ist der Fluch meines harten +Vaters, der mich zum schmachvollen Tode treibt“, rief er weinend, „und +auch du bist verloren, süße Schwester, auch du, Zoraide!“ + +„Deine Verstellung hilft dir nichts“, sprach einer der Räuber, indem er +ihm die Hände auf den Rücken band, „mach, daß du aus dem Zelte kommst! +Denn der Starke beißt sich in die Lippen und blickt nach seinem Dolch. +Wenn du noch eine Nacht leben willst, so komm!“ + +Als die Räuber gerade meinen Bruder aus dem Zelt führen wollten, +begegneten sie drei anderen, die einen Gefangenen vor sich hintrieben. +Sie traten mit ihm ein. „Hier bringen wir den Bassa, wie du uns +befohlen hast“, sprachen sie und führten den Gefangenen vor das Polster +des Starken. Als der Gefangene dorthin geführt wurde, hatte mein Bruder +Gelegenheit, ihn zu betrachten, und ihm selbst fiel die Ähnlichkeit +auf, die dieser Mann mit ihm hatte, nur war er dunkler im Gesicht und +hatte einen schwärzeren Bart. + +Der Starke schien sehr erstaunt über die Erscheinung des zweiten +Gefangenen. „Wer von euch ist denn der Rechte?“ sprach er, indem er +bald meinen Bruder, bald den anderen Mann ansah. + +„Wenn du den Bassa von Sulieika meinst“, antwortete in stolzem Ton der +Gefangene, „der bin ich!“ Der Starke sah ihn lange mit seinem ernsten, +furchtbaren Blick an; dann winkte er schweigend, den Bassa wegzuführen. + +Als dies geschehen war, ging er auf meinen Bruder zu, zerschnitt seine +Bande mit dem Dolch und winkte ihm, sich zu ihm aufs Polster zu setzen. +„Es tut mir leid, Fremdling“, sagte er, „daß ich dich für jenes +Ungeheuer hielt; schreibe es aber einer sonderbaren Fügung des Himmels +zu, die dich gerade in der Stunde, welche dem Untergang jenes +Verruchten geweiht war, in die Hände meiner Brüder führte.“ Mein Bruder +bat ihn um die einzige Gunst, ihn gleich wieder weiterreisen zu lassen, +weil jeder Aufschub ihm verderblich werden könne. Der Starke erkundigte +sich nach seinen eiligen Geschäften, und als ihm Mustapha alles erzählt +hatte, überredete ihn jener, diese Nacht in seinem Zelt zu bleiben, er +und sein Roß werden der Ruhe bedürfen; den folgenden Tag aber wolle er +ihm einen Weg zeigen, der ihn in anderthalb Tagen nach Balsora +bringe—Mein Bruder schlug ein, wurde trefflich bewirtet und schlief +sanft bis zum Morgen in dem Zelt des Räubers. + +Als er aufgewacht war, sah er sich ganz allein im Zelt; vor dem Vorhang +des Zeltes aber hörte er mehrere Stimmen zusammen sprechen, die dem +Herrn des Zeltes und dem kleinen schwarzbraunen Mann anzugehören +schienen. Er lauschte ein wenig und hörte zu seinem Schrecken, daß der +Kleine dringend den anderen aufforderte, den Fremden zu töten, weil er, +wenn er freigelassen würde, sie alle verraten könnte. + +Mustapha merkte gleich, daß der Kleine ihm gram sei, weil er die +Ursache war, daß er gestern so übel behandelt wurde; der Starke schien +sich einige Augenblicke zu besinnen. „Nein“, sprach er, „er ist mein +Gastfreund, und das Gastrecht ist mir heilig; auch sieht er mir nicht +aus, als ob er uns verraten wollte.“ + +Als er so gesprochen, schlug er den Vorhang zurück und trat ein. +„Friede sei mit dir, Mustapha!“ sprach er, „laß uns den Morgentrunk +kosten, und rüste dich dann zum Aufbruch!“ Er reichte meinem Bruder +einen Becher Sorbet, und als sie getrunken hatten, zäumten sie die +Pferde auf, und wahrlich, mit leichterem Herzen, als er gekommen war, +schwang sich Mustapha aufs Pferd. Sie hatten bald die Zelte im Rücken +und schlugen dann einen breiten Pfad ein, der in den Wald führte. Der +Starke erzählte meinem Bruder, daß jener Bassa, den sie auf der Jagd +gefangen hätten, ihnen versprochen habe, sie ungefährdet in seinem +Gebiete zu dulden; vor einigen Wochen aber habe er einen ihrer +tapfersten Männer aufgefangen und nach den schrecklichsten Martern +aufhängen lassen. Er habe ihm nun lange auflauern lassen, und heute +noch müsse er sterben. Mustapha wagte es nicht, etwas dagegen +einzuwenden; denn er war froh, selbst mit heiler Haut davongekommen zu +sein. + +Am Ausgang des Waldes hielt der Starke sein Pferd an, beschrieb meinem +Bruder den Weg, bot ihm die Hand zum Abschied und sprach: „Mustapha, du +bist auf sonderbare Weise der Gastfreund des Räubers Orbasan geworden; +ich will dich nicht auffordern, nicht zu verraten, was du gesehen und +gehört hast. Du hast ungerechterweise Todesangst ausgestanden, und ich +bin dir Vergütung schuldig. Nimm diesen Dolch als Andenken, und so du +Hilfe brauchst, so sende ihn mir zu, und ich will eilen, dir +beizustehen. Diesen Beutel aber kannst du vielleicht zu deiner Reise +brauchen.“ Mein Bruder dankte ihm für seinen Edelmut; er nahm den +Dolch, den Beutel aber schlug er aus. Doch Orbasan drückte ihm noch +einmal die Hand, ließ den Beutel auf die Erde fallen und sprengte mit +Sturmeseile in den Wald. Als Mustapha sah, daß er ihn doch nicht mehr +werde einholen können, stieg er ab, um den Beutel aufzuheben, und +erschrak über die Größe von seines Gastfreundes Großmut; denn der +Beutel enthielt eine Menge Gold. Er dankte Allah für seine Rettung, +empfahl ihm den edlen Räuber in seine Gnade und zog dann heiteren Mutes +weiter auf seinem Wege nach Balsora. + +Lezah schwieg und sah Achmet, den alten Kaufmann, fragend an. „Nein, +wenn es so ist“, sprach dieser, „so verbessere ich gern mein Urteil von +Orbasan; denn wahrlich, an deinem Bruder hat er schön gehandelt.“ + +„Er hat getan wie ein braver Muselmann“, rief Muley; „aber ich hoffe, +du hast deine Geschichte damit nicht geschlossen; denn wie mich +bedünkt, sind wir alle begierig, weiter zu hören, wie es deinem Bruder +erging und ob er Fatme, deine Schwester, und die schöne Zoraide befreit +hat.“ + +„Wenn ich euch nicht damit langweile, erzähle ich gerne weiter“, +entgegnete Lezah, „denn die Geschichte meines Bruders ist allerdings +abenteuerlich und wundervoll.“ + +Am Mittag des siebenten Tages nach seiner Abreise zog Mustapha in die +Tore von Balsora ein. Sobald er in einer Karawanserei abgestiegen war, +fragte er, wann der Sklavenmarkt, der alljährlich hier gehalten werde, +anfange. Aber er erhielt die Schreckensantwort, daß er zwei Tage zu +spät komme. Man bedauerte seine Verspätung und erzählte ihm, daß er +viel verloren habe; denn noch an dem letzten Tage des Marktes seien +zwei Sklavinnen angekommen, von so hoher Schönheit, daß sie die Augen +aller Käufer auf sich gezogen hätten. Man habe sich ordentlich um sie +gerissen und geschlagen, und sie seien freilich auch zu einem so hohen +Preise verkauft worden, daß ihn nur ihr jetziger Herr nicht habe +scheuen können. Er erkundigte sich näher nach diesen beiden, und es +blieb ihm kein Zweifel, daß es die Unglücklichen seien, die er suchte. +Auch erfuhr er, daß der Mann, der sie beide gekauft habe, vierzig +Stunden von Balsora wohne und Thiuli-Kos heiße, ein vornehmer, reicher, +aber schon ältlicher Mann, der früher Kapudan-Bassa des Großherrn +gewesen, jetzt aber sich mit seinen gesammelten Reichtümern zur Ruhe +gesetzt habe. + +Mustapha wollte von Anfang sich gleich wieder zu Pferd setzen, um dem +Thiuli-Kos, der kaum einen Tag Vorsprung haben konnte, nachzueilen. Als +er aber bedachte, daß er als einzelner Mann dem mächtigen Reisenden +doch nichts anhaben noch weniger seine Beute ihm abjagen konnte, sann +er auf einen anderen Plan und hatte ihn auch bald gefunden. Die +Verwechslung mit dem Bassa von Sulieika, die ihm beinahe so gefährlich +geworden wäre, brachte ihn auf den Gedanken, unter diesem Namen in das +Haus des Thiuli-Kos zu gehen und so einen Versuch zur Rettung der +beiden unglücklichen Mädchen zu wagen. Er mietete daher einige Diener +und Pferde, wobei ihm Orbasans Geld trefflich zustatten kam, schaffte +sich und seinen Dienern prächtige Kleider an und machte sich auf den +Weg nach dem Schlosse Thiulis. Nach fünf Tagen war er in die Nähe +dieses Schlosses gekommen. Es lag in einer schönen Ebene und war rings +von hohen Mauern umschlossen, die nur ganz wenig von den Gebäuden +überragt wurden. Als Mustapha dort angekommen war, färbte er Haar und +Bart schwarz, sein Gesicht aber bestrich er mit dem Saft einer Pflanze, +die ihm eine bräunliche Farbe gab, ganz wie sie jener Bassa gehabt +hatte. Er schickte hierauf einen seiner Diener in das Schloß und ließ +im Namen des Bassa von Sulieika um ein Nachtlager bitten. Der Diener +kam bald wieder, und mit ihm vier schöngekleidete Sklaven, die +Mustaphas Pferd am Zügel nahmen und in den Schloßhof führten. Dort +halfen sie ihm selbst vom Pferd, und vier andere geleiteten ihn eine +breite Marmortreppe hinauf zu Thiuli. + +Dieser, ein alter, lustiger Geselle, empfing meinen Bruder ehrerbietig +und ließ ihm das Beste, was sein Koch zubereiten konnte, aufsetzen. +Nach Tisch brachte Mustapha das Gespräch nach und nach auf die neuen +Sklavinnen, und Thiuli rühmte ihre Schönheit und beklagte nur, daß sie +immer so traurig seien; doch er glaubte, dieses würde sich bald geben. +Mein Bruder war sehr vergnügt über diesen Empfang und legte sich mit +den schönsten Hoffnungen zur Ruhe nieder. + +Er mochte ungefähr eine Stunde geschlafen haben, da weckte ihn der +Schein einer Lampe, der blendend auf sein Auge fiel. Als er sich +aufrichtete, glaubte er noch zu träumen; denn vor ihm stand jener +kleine, schwarzbraune Kerl aus Orbasans Zelt, eine Lampe in der Hand, +sein breites Maul zu einem widrigen Lächeln verzogen. Mustapha zwickte +sich in den Arm, zupfte sich an der Nase, um sich zu überzeugen, ob er +denn wache; aber die Erscheinung blieb wie zuvor. „Was willst du an +meinem Bette?“ rief Mustapha, als er sich von seinem Erstaunen erholt +hatte. + +„Bemühet Euch doch nicht so, Herr!“ sprach der Kleine. „Ich habe wohl +erraten, weswegen Ihr hierherkommt. Auch war mir Euer wertes Gesicht +noch wohl erinnerlich; doch wahrlich, wenn ich nicht den Bassa mit +eigener Hand hätte erhängen helfen, so hättet Ihr mich vielleicht +getäuscht. Jetzt aber bin ich da, um eine Frage zu machen.“ + +„Vor allem sage, wie du hierherkommst“, entgegnete ihm Mustapha voll +Wut, daß er verraten war. + +„Das will ich Euch sagen“, antwortete jener, „ich konnte mich mit dem +Starken nicht länger vertragen, deswegen floh ich; aber du, Mustapha, +warst eigentlich die Ursache unseres Streites, und dafür mußt du mir +deine Schwester zur Frau geben, und ich will Euch zur Flucht behilflich +sein; gibst du sie nicht, so gehe ich zu meinem neuen Herrn und erzähle +ihm etwas von dem neuen Bassa.“ + +Mustapha war vor Schrecken und Wut außer sich; jetzt, wo er sich am +sicheren Ziel seiner Wünsche glaubte, sollte dieser Elende kommen und +sie vereiteln; es war nur ein Mittel, das seinen Plan retten konnte: Er +mußte das kleine Ungetüm töten. Mit einem Sprung fuhr er daher aus dem +Bette auf den Kleinen zu; doch dieser, der etwas Solches geahnt haben +mochte, ließ die Lampe fallen, daß sie verlöschte, und entsprang im +Dunkeln, indem er mörderisch um Hilfe schrie. + +Jetzt war guter Rat teuer; die Mädchen mußte er für den Augenblick +aufgeben und nur auf die eigene Rettung denken; daher ging er an das +Fenster, um zu sehen, ob er nicht entspringen könnte. Es war eine +ziemliche Tiefe bis zum Boden, und auf der anderen Seite stand eine +hohe Mauer, die zu übersteigen war. Sinnend stand er an dem Fenster; da +hörte er viele Stimmen sich seinem Zimmer nähern; schon waren sie an +der Türe; da faßte er verzweiflungsvoll seinen Dolch und seine Kleider +und schwang sich zum Fenster hinaus. Der Fall war hart; aber er fühlte, +daß er kein Glied gebrochen hatte; drum sprang er auf und lief der +Mauer zu, die den Hof umschloß, stieg, zum Erstaunen seiner Verfolger, +hinauf und befand sich bald im Freien. Er floh, bis er an einen kleinen +Wald kam, wo er sich erschöpft niederwarf. Hier überlegte er, was zu +tun sei. + +Seine Pferde und seine Diener hatte er im Stiche lassen müssen; aber +sein Geld, das er in dem Gürtel trug, hatte er gerettet. + +Sein erfinderischer Kopf zeigte ihm bald einen anderen Weg zur Rettung. +Er ging in dem Wald weiter, bis er an ein Dorf kam, wo er um geringen +Preis ein Pferd kaufte, das ihn in Bälde in eine Stadt trug. Dort +forschte er nach einem Arzt, und man riet ihm einen alten, erfahrenen +Mann. Diesen bewog er durch einige Goldstücke, daß er ihm eine Arznei +mitteilte, die einen todähnlichen Schlaf herbeiführte, der durch ein +anderes Mittel augenblicklich wieder gehoben werden könnte. Als er im +Besitz dieses Mittels war, kaufte er sich einen langen falschen Bart, +einen schwarzen Talar und allerlei Büchsen und Kolben, so daß er +füglich einen reisenden Arzt vorstellen konnte, lud seine Sachen auf +einen Esel und reiste in das Schloß des Thiuli-Kos zurück. Er durfte +gewiß sein, diesmal nicht erkannt zu werden, denn der Bart entstellte +ihn so, daß er sich selbst kaum mehr kannte. Bei Thiuli angekommen, +ließ er sich als den Arzt Chakamankabudibaba anmelden, und, wie er es +gedacht hatte, geschah es; der prachtvolle Namen empfahl ihn bei dem +alten Narren ungemein, so daß er ihn gleich zur Tafel einlud. + +Chakamankabudibaba erschien vor Thiuli, und als sie sich kaum eine +Stunde besprochen hatten, beschloß der Alte, alle seine Sklavinnen der +Kur des weisen Arztes zu unterwerfen. Dieser konnte seine Freude kaum +verbergen, daß er jetzt seine geliebte Schwester wiedersehen solle, und +folgte mit klopfendem Herzen Thiuli, der ihn ins Serail führte. Sie +waren in ein Zimmer gekommen, das schön ausgeschmückt war, worin sich +aber niemand befand. „Chambaba oder wie du heißt, lieber Arzt“, sprach +Thiuli-Kos, „betrachte einmal jenes Loch dort in der Mauer, dort wird +jede meiner Sklavinnen einen Arm herausstrecken, und du kannst dann +untersuchen, ob der Puls krank oder gesund ist.“ Mustapha mochte +einwenden, was er wollte, zu sehen bekam er sie nicht; doch willigte +Thiuli ein, daß er ihm allemal sagen wolle, wie sie sich sonst +gewöhnlich befänden. Thiuli zog nun einen langen Zettel aus dem Gürtel +und begann mit lauter Stimme seine Sklavinnen einzeln beim Namen zu +rufen, worauf allemal eine Hand aus der Mauer kam und der Arzt den Puls +untersuchte. Sechs waren schon abgelesen und sämtlich für gesund +erklärt; da las Thiuli als die siebente „Fatme“ ab, und eine kleine +weiße Hand schlüpfte aus der Mauer. Zitternd vor Freude, ergreift +Mustapha diese Hand und erklärt sie mit wichtiger Miene für bedeutend +krank. Thiuli ward sehr besorgt und befahl seinem weisen +Chakamankabudibaba, schnell eine Arznei für sie zu bereiten. Der Arzt +ging hinaus, schrieb auf einen kleinen Zettel: Fatme! Ich will Dich +retten, wenn Du Dich entschließen kannst, eine Arznei zu nehmen, die +Dich auf zwei Tage tot macht; doch ich besitze das Mittel, Dich wieder +zum Leben zu bringen. Willst Du, so sage nur, dieser Trank habe nicht +geholfen, und es soll mir ein Zeichen sein, daß Du einwilligst. + +Bald kam er in das Zimmer zurück, wo Thiuli seiner harrte. Er brachte +ein unschädliches Tränklein mit, fühlte der kranken Fatme noch einmal +den Puls und schob ihr zugleich den Zettel unter ihr Armband; das +Tränklein aber reichte er ihr durch die Öffnung in der Mauer. Thiuli +schien in großen Sorgen wegen Fatme zu sein und schob die Untersuchung +der übrigen bis auf eine gelegenere Zeit auf. Als er mit Mustapha das +Zimmer verlassen hatte, sprach er in traurigem Ton: „Chadibaba, sage +aufrichtig, was hältst du von Fatmes Krankheit?“ + +Chakamankabudibaba antwortete mit einem tiefen Seufzer: „Ach Herr, möge +der Prophet dir Trost verleihen! Sie hat ein schleichendes Fieber, das +ihr wohl den Garaus machen kann.“ Da entbrannte der Zorn Thiulis: „Was +sagst du, verfluchter Hund von einem Arzt? Sie, um die ich zweitausend +Goldstücke gab, soll mir sterben wie eine Kuh? Wisse, wenn du sie nicht +rettest, so hau’ ich dir den Kopf ab!“ Da merkte mein Bruder, daß er +einen dummen Streich gemacht habe, und gab Thiuli wieder Hoffnung. Als +sie noch so sprachen, kam ein schwarzer Sklave aus dem Serail, dem Arzt +zu sagen, daß das Tränklein nicht geholfen habe. „Biete deine ganze +Kunst auf, Chakamdababelba, oder wie du dich schreibst, ich zahle dir, +was du willst“, schrie Thiuli-Kos, fast heulend vor Angst, so viel Gold +zu verlieren. + +„Ich will ihr ein Säftlein geben, das sie von aller Not befreit“, +antwortete der Arzt. + +„Ja! Ja! Gib ihr ein Säftlein“, schluchzte der alte Thiuli. + +Frohen Mutes ging Mustapha, seinen Schlaftrunk zu holen, und als er ihn +dem schwarzen Sklaven gegeben und gezeigt hatte, wieviel man auf einmal +nehmen müsse, ging er zu Thiuli und sagte, er müsse noch einige +heilsame Kräuter am See holen, und eilte zum Tor hinaus. An dem See, +der nicht weit von dem Schloß entfernt war, zog er seine falschen +Kleider aus und warf sie ins Wasser, daß sie lustig umherschwammen; er +selbst aber verbarg sich im Gesträuch, wartete die Nacht ab und schlich +sich dann in den Begräbnisplatz an dem Schlosse Thiulis. + +Als Mustapha kaum eine Stunde lang aus dem Schloß abwesend sein mochte, +brachte man Thiuli die schreckliche Nachricht, daß seine Sklavin Fatme +im Sterben liege. Er schickte hinaus an den See, um schnell den Arzt zu +holen; aber bald kehrten seine Boten allein zurück und erzählten ihm, +daß der arme Arzt ins Wasser gefallen und ertrunken sei; seinen +schwarzen Talar sehe man im See schwimmen, und hier und da gucke auch +sein stattlicher Bart aus den Wellen hervor. Als Thiuli keine Rettung +mehr sah, verwünschte er sich und die ganze Welt, raufte sich den Bart +aus und rannte mit dem Kopf gegen die Mauer. Aber alles dies konnte +nichts helfen; denn Fatme gab bald unter den Händen der übrigen Weiber +den Geist auf. Als Thiuli die Nachricht ihres Todes hörte, befahl er, +schnell einen Sarg zu machen; denn er konnte keinen Toten im Hause +leiden und ließ den Leichnam in das Begräbnishaus tragen. Die Träger +brachten den Sarg dorthin, setzten ihn schnell nieder und entflohen, +denn sie hatten unter den übrigen Särgen Stöhnen und Seufzen gehört. + +Mustapha, der sich hinter den Särgen verborgen und von dort aus die +Träger des Sarges in die Flucht gejagt hatte, kam hervor und zündete +sich eine Lampe an, die er zu diesem Zweck mitgebracht hatte. Dann zog +er ein Glas hervor, das die erweckende Arznei enthielt, und hob dann +den Deckel von Fatmes Sarg. Aber welches Entsetzen befiel ihn, als sich +ihm beim Scheine der Lampe ganz fremde Züge zeigten! Weder meine +Schwester noch Zoraide, sondern eine ganz andere lag in dem Sarg. Er +brauchte lange, um sich von dem neuen Schlag des Schicksals zu fassen; +endlich überwog doch Mitleid seinen Zorn. Er öffnete sein Glas und +flößte ihr die Arznei ein. Sie atmete, sie schlug die Augen auf und +schien sich lange zu besinnen, wo sie sei. Endlich erinnerte sie sich +des Vorgefallenen; sie stand auf aus dem Sarg und stürzte zu Mustaphas +Füßen. „Wie kann ich dir danken, gütiges Wesen“, rief sie aus, „daß du +mich aus meiner schrecklichen Gefangenschaft befreitest!“ Mustapha +unterbrach ihre Danksagungen mit der Frage, wie es denn geschehen sei, +daß sie und nicht Fatme, seine Schwester, gerettet worden sei? Jene sah +ihn staunend an. „Jetzt wird mir meine Rettung erst klar, die mir +vorher unbegreiflich war“, antwortete sie; „wisse, man hieß mich in +jenem Schloß Fatme, und mir hast du deinen Zettel und den Rettungstrank +gegeben.“ Mein Bruder forderte die Gerettete auf, ihm von seiner +Schwester und Zoraide Nachricht zu geben, und erfuhr, daß sie sich +beide im Schloß befanden, aber nach der Gewohnheit Thiulis andere Namen +bekommen hatten; sie hießen jetzt Mirza und Nurmahal.“ + +Als Fatme, die gerettete Sklavin, sah, daß mein Bruder durch diesen +Fehlgriff so niedergeschlagen sei, sprach sie ihm Mut ein und +versprach, ihm ein Mittel zu sagen, wie er jene beiden Mädchen dennoch +retten könne. Aufgeweckt durch diesen Gedanken, schöpfte Mustapha von +neuem Hoffnung und bat sie, dieses Mittel ihm zu nennen, und sie +sprach: + +„Ich bin zwar erst seit fünf Monaten die Sklavin Thiulis, doch habe ich +gleich von Anfang auf Rettung gesonnen; aber für mich allein war sie zu +schwer. In dem inneren Hof des Schlosses wirst du einen Brunnen bemerkt +haben, der aus zehn Röhren Wasser speit; dieser Brunnen fiel mir auf. +Ich erinnerte mich, in dem Hause meines Vaters einen ähnlichen gesehen +zu haben, dessen Wasser durch eine geräumige Wasserleitung +herbeiströmt; um nun zu erfahren, ob dieser Brunnen auch so gebaut ist, +rühmte ich eines Tages vor Thiuli seine Pracht und fragte nach seinem +Baumeister. *Ich selbst habe ihn gebaut*, antwortete er, *und das, was +du hier siehst, ist noch das Geringste; aber das Wasser dazu kommt +wenigstens tausend Schritte weit von einem Bach her und geht durch eine +gewölbte Wasserleitung, die wenigstens mannshoch ist; und alles dies +habe ich selbst angegeben.* Als ich dies gehört hatte, wünschte ich mir +oft, nur auf einen Augenblick die Stärke eines Mannes zu haben, um +einen Stein an der Seite des Brunnens ausheben zu können; dann könnte +ich fliehen, wohin ich wollte. Die Wasserleitung nun will ich dir +zeigen; durch sie kannst du nachts in das Schloß gelangen und jene +befreien. Aber du mußt wenigstens noch zwei Männer bei dir haben, um +die Sklaven, die das Serail bei Nacht bewachen, zu überwältigen.“ + +So sprach sie; mein Bruder Mustapha aber, obgleich schon zweimal in +seinen Hoffnungen getäuscht, faßte noch einmal Mut und hoffte mit +Allahs Hilfe den Plan der Sklavin auszuführen. Er versprach ihr, für +ihr weiteres Fortkommen in ihre Heimat zu sorgen, wenn sie ihm +behilflich sein wollte, ins Schloß zu gelangen. Aber ein Gedanke machte +ihm noch Sorge, nämlich der, woher er zwei oder drei treue Gehilfen +bekommen könnte. Da fiel ihm Orbasans Dolch ein und das Versprechen, +das ihm jener gegeben hatte, ihm, wo er seiner bedürfe, zu Hilfe zu +eilen, und er machte sich daher mit Fatme aus dem Begräbnis auf, um den +Räuber aufzusuchen. + +In der nämlichen Stadt, wo er sich zum Arzt umgewandelt hatte, kaufte +er um sein letztes Geld ein Roß und mietete Fatme bei einer armen Frau +in der Vorstadt ein. Er selbst aber eilte dem Gebirge zu, wo er Orbasan +zum erstenmal getroffen hatte, und gelangte in drei Tagen dahin. Er +fand bald wieder jene Zelte und trat unverhofft vor Orbasan, der ihn +freundlich bewillkommnete. Er erzählte ihm seine mißlungenen Versuche, +wobei sich der ernsthafte Orbasan nicht enthalten konnte, hier und da +ein wenig zu lachen, besonders, wenn er sich den Arzt +Chakamankabudibaba dachte. Über die Verräterei des Kleinen aber war er +wütend; er schwur, ihn mit eigener Hand aufzuhängen, wo er ihn finde. +Meinem Bruder aber versprach er, sogleich zur Hilfe bereit zu sein, +wenn er sich vorher von der Reise gestärkt haben würde. Mustapha blieb +daher diese Nacht wieder in Orbasans Zelt; mit dem ersten Frührot aber +brachen sie auf, und Orbasan nahm drei seiner tapfersten Männer, wohl +beritten und bewaffnet, mit sich. Sie ritten stark zu und kamen nach +zwei Tagen in die kleine Stadt, wo Mustapha die gerettete Fatme +zurückgelassen hatte. Von da aus reisten sie mit dieser weiter bis zu +dem kleinen Wald, von wo aus man das Schloß Thiulis in geringer +Entfernung sehen konnte; dort lagerten sie sich, um die Nacht +abzuwarten. + +Sobald es dunkel wurde, schlichen sie sich, von Fatme geführt, an den +Bach, wo die Wasserleitung anfing, und fanden diese bald. Dort ließen +sie Fatme und einen Diener mit den Rossen zurück und schickten sich an, +hinabzusteigen; ehe sie aber hinabstiegen, wiederholte ihnen Fatme noch +einmal alles genau, nämlich: daß sie durch den Brunnen in den inneren +Schloßhof kämen, dort seien rechts und links in der Ecke zwei Türme, in +der sechsten Türe, vom Turme rechts gerechnet, befänden sich Fatme und +Zoraide, bewacht von zwei schwarzen Sklaven. Mit Waffen und Brecheisen +wohl versehen, stiegen Mustapha, Orbasan und zwei andere Männer hinab +in die Wasserleitung; sie sanken zwar bis an den Gürtel ins Wasser; +aber nichtsdestoweniger gingen sie rüstig vorwärts. Nach einer halben +Stunde kamen sie an den Brunnen selbst und setzten sogleich ihre +Brecheisen an. Die Mauer war dick und fest; aber den vereinten Kräften +der vier Männer konnte sie nicht lange widerstehen; bald hatten sie +eine Öffnung eingebrochen, groß genug, um bequem durchschlüpfen zu +können. Orbasan schlüpfte zuerst durch und half den anderen nach. Als +sie alle im Hof waren, betrachteten sie die Seite des Schlosses, die +vor ihnen lag, um die beschriebene Türe zu erforschen. Aber sie waren +nicht einig, welche es sei; denn als sie von dem rechten Turm zum +linken zählten, fanden sie eine Türe, die zugemauert war, und wußten +nun nicht, ob Fatme diese übersprungen oder mitgezählt habe. Aber +Orbasan besann sich nicht lange. „Mein gutes Schwert wird mir jede Tür +öffnen“, rief er aus, ging auf die sechste Türe zu, und die anderen +folgten ihm. + +Sie öffneten die Türe und fanden sechs schwarze Sklaven auf dem Boden +liegend und schlafend; sie wollten schon wieder leise sich +zurückziehen, weil sie sahen, daß sie die rechte Türe verfehlt hatten, +als eine Gestalt in der Ecke sich aufrichtete und mit wohlbekannter +Stimme um Hilfe rief. Es war der Kleine aus Orbasans Lager. Aber ehe +noch die Schwarzen recht wußten, wie ihnen geschah, stürzte Orbasan auf +den Kleinen zu, riß seinen Gürtel entzwei, verstopfte ihm den Mund und +band ihm die Hände auf den Rücken; dann wandte er sich an die Sklaven, +wovon schon einige von Mustapha und den zwei anderen halb gebunden +waren, und half sie vollends überwältigen. Man setzte den Sklaven den +Dolch auf die Brust und fragte sie, wo Nurmahal und Nürza wären, und +sie gestanden, daß sie im Gemach nebenan seien. Mustapha stürzte in das +Gemach und fand Fatme und Zoraide, die der Lärm erweckt hatte. Schnell +rafften diese ihren Schmuck und ihre Kleider zusammen und folgten +Mustapha; die beiden Räuber schlugen indes Orbasan vor, zu plündern, +was man fände; doch dieser verbot es ihnen und sprach: „Man soll nicht +von Orbasan sagen können, daß er nachts in die Häuser steige, um Gold +zu stehlen!“ Mustapha und die Geretteten schlüpften schnell in die +Wasserleitung, wohin ihnen Orbasan sogleich zu folgen versprach. Als +jene in die Wasserleitung hinabgestiegen waren, nahmen Orbasan und +einer der Räuber den Kleinen und führten ihn hinaus in den Hof; dort +banden sie ihm eine seidene Schnur, die sie deshalb mitgenommen hatten, +um den Hals und hingen ihn an der höchsten Spitze des Brunnens auf. +Nachdem sie so den Verrat des Elenden bestraft hatten, stiegen sie +selbst hinab in die Wasserleitung und folgten Mustapha. Mit Tränen +dankten die beiden ihrem edelmütigen Retter Orbasan; doch dieser trieb +sie eilends zur Flucht an, denn es war sehr wahrscheinlich, daß sie +Thiuli-Kos nach allen Seiten verfolgen ließ. Mit tiefer Rührung +trennten sich am anderen Tag Mustapha und seine Geretteten von Orbasan; +wahrlich, sie werden ihn nie vergessen. Fatme aber, die befreite +Sklavin, ging verkleidet nach Balsora, um sich dort in ihre Heimat +einzuschiffen. + +Nach einer kurzen und vergnügten Reise kamen die Meinigen in die +Heimat. Meinen alten Vater tötete beinahe die Freude des Wiedersehens; +den anderen Tag nach ihrer Ankunft veranstaltete er ein großes Fest, an +welchem die ganze Stadt teilnahm. Vor einer großen Versammlung von +Verwandten und Freunden mußte mein Bruder seine Geschichte erzählen, +und einstimmig priesen sie ihn und den edlen Räuber. + +Als aber mein Bruder geschlossen hatte, stand mein Vater auf und führte +Zoraide ihm zu. „So löse ich denn“, sprach er mit feierlicher Stimme, +„den Fluch von deinem Haupte; nimm diese hin als die Belohnung, die du +dir durch deinen rastlosen Eifer erkämpft hast; nimm meinen väterlichen +Segen, und möge es nie unserer Stadt an Männern fehlen, die an +brüderlicher Liebe, an Klugheit und Eifer dir gleichen!“ + +Die Karawane hatte das Ende der Wüste erreicht, und fröhlich begrüßten +die Reisenden die grünen Matten und die dichtbelaubten Bäume, deren +lieblichen Anblick sie viele Tage entbehrt hatten. In einem schönen +Tale lag eine Karawanserei, die sie sich zum Nachtlager wählten, und +obgleich sie wenig Bequemlichkeit und Erfrischung darbot, so war doch +die ganze Gesellschaft heiterer und zutraulicher als je; denn der +Gedanke, den Gefahren und Beschwerlichkeiten, die eine Reise durch die +Wüste mit sich bringt, entronnen zu sein, hatte alle Herzen geöffnet +und die Gemüter zu Scherz und Kurzweil gestimmt. Muley, der junge +lustige Kaufmann, tanzte einen komischen Tanz und sang Lieder dazu, die +selbst dem ernsten Griechen Zaleukos ein Lächeln entlockten. Aber nicht +genug, daß er seine Gefährten durch Tanz und Spiel erheitert hatte, er +gab ihnen auch noch die Geschichte zum besten, die er ihnen versprochen +hatte, und hub, als er von seinen Luftsprüngen sich erholt hatte, also +zu erzählen an: Die Geschichte von dem kleinen Muck. + + + + +Die Geschichte von dem kleinen Muck + +Wilhelm Hauff + + +In Nicea, meiner lieben Vaterstadt, wohnte ein Mann, den man den +kleinen Muck hieß. Ich kann mir ihn, ob ich gleich damals noch sehr +jung war, noch recht wohl denken, besonders weil ich einmal von meinem +Vater wegen seiner halbtot geprügelt wurde. Der kleine Muck nämlich war +schon ein alter Geselle, als ich ihn kannte; doch war er nur drei bis +vier Schuh hoch, dabei hatte er eine sonderbare Gestalt, denn sein +Leib, so klein und zierlich er war, mußte einen Kopf tragen, viel +größer und dicker als der Kopf anderer Leute; er wohnte ganz allein in +einem großen Haus und kochte sich sogar selbst, auch hätte man in der +Stadt nicht gewußt, ob er lebe oder gestorben sei, denn er ging nur +alle vier Wochen einmal aus, wenn nicht um die Mittagsstunde ein +mächtiger Dampf aus dem Hause aufgestiegen wäre, doch sah man ihn oft +abends auf seinem Dache auf und ab gehen, von der Straße aus glaubte +man aber, nur sein großer Kopf allein laufe auf dem Dache umher. Ich +und meine Kameraden waren böse Buben, die jedermann gerne neckten und +belachten, daher war es uns allemal ein Festtag, wenn der kleine Muck +ausging; wir versammelten uns an dem bestimmten Tage vor seinem Haus +und warteten, bis er herauskam; wenn dann die Türe aufging und zuerst +der große Kopf mit dem noch größeren Turban herausguckte, wenn das +übrige Körperlein nachfolgte, angetan mit einem abgeschabten Mäntelein, +weiten Beinkleidern und einem breiten Gürtel, an welchem ein langer +Dolch hing, so lang, daß man nicht wußte, ob Muck an dem Dolch, oder +der Dolch an Muck stak, wenn er so heraustrat, da ertönte die Luft von +unserem Freudengeschrei, wir warfen unsere Mützen in die Höhe und +tanzten wie toll um ihn her. Der kleine Muck aber grüßte uns mit +ernsthaftem Kopfnicken und ging mit langsamen Schritten die Straße +hinab. Wir Knaben liefen hinter ihm her und schrien immer: „Kleiner +Muck, kleiner Muck!“ Auch hatten wir ein lustiges Verslein, das wir ihm +zu Ehren hier und da sangen; es hieß: + +„Kleiner Muck, kleiner Muck, +Wohnst in einem großen Haus, +Gehst nur all vier Wochen aus, +Bist ein braver, kleiner Zwerg, +Hast ein Köpflein wie ein Berg, +Schau dich einmal um und guck, +Lauf und fang uns, kleiner Muck!“ + + +So hatten wir schon oft unsere Kurzweil getrieben, und zu meiner +Schande muß ich es gestehen, ich trieb’s am ärgsten; denn ich zupfte +ihn oft am Mäntelein, und einmal trat ich ihm auch von hinten auf die +großen Pantoffeln, daß er hinfiel. Dies kam mir nun höchst lächerlich +vor, aber das Lachen verging mir, als ich den kleinen Muck auf meines +Vaters Haus zugehen sah. Er ging richtig hinein und blieb einige Zeit +dort. Ich versteckte mich an der Haustüre und sah den Muck wieder +herauskommen, von meinem Vater begleitet, der ihn ehrerbietig an der +Hand hielt und an der Türe unter vielen Bücklingen sich von ihm +verabschiedete. Mir war gar nicht wohl zumute; ich blieb daher lange in +meinem Versteck; endlich aber trieb mich der Hunger, den ich ärger +fürchtete als Schläge, heraus, und demütig und mit gesenktem Kopf trat +ich vor meinen Vater. „Du hast, wie ich höre, den guten Muck +beschimpft?“ sprach er in sehr ernstem Tone. „Ich will dir die +Geschichte dieses Muck erzählen, und du wirst ihn gewiß nicht mehr +auslachen; vor- und nachher aber bekommst du das Gewöhnliche.“ Das +Gewöhnliche aber waren fünfundzwanzig Hiebe, die er nur allzu richtig +aufzuzählen pflegte. Er nahm daher sein langes Pfeifenrohr, schraubte +die Bernsteinmundspitze ab und bearbeitete mich ärger als je zuvor. + +Als die Fünfundzwanzig voll waren, befahl er mir, aufzumerken, und +erzählte mir von dem kleinen Muck: + +Der Vater des kleinen Muck, der eigentlich Muckrah heißt, war ein +angesehener, aber armer Mann hier in Nicea. Er lebte beinahe so +einsiedlerisch wie jetzt sein Sohn. Diesen konnte er nicht wohl leiden, +weil er sich seiner Zwerggestalt schämte, und ließ ihn daher auch in +Unwissenheit aufwachsen. Der kleine Muck war noch in seinem sechzehnten +Jahr ein lustiges Kind, und der Vater, ein ernster Mann, tadelte ihn +immer, daß er, der schon längst die Kinderschuhe zertreten haben +sollte, noch so dumm und läppisch sei. + +Der Alte tat aber einmal einen bösen Fall, an welchem er auch starb und +den kleinen Muck arm und unwissend zurückließ. Die harten Verwandten, +denen der Verstorbene mehr schuldig war, als er bezahlen konnte, jagten +den armen Kleinen aus dem Hause und rieten ihm, in die Welt +hinauszugehen und sein Glück zu suchen. Der kleine Muck antwortete, er +sei schon reisefertig, bat sich aber nur noch den Anzug seines Vaters +aus, und dieser wurde ihm auch bewilligt. Sein Vater war ein großer, +starker Mann gewesen, daher paßten die Kleider nicht. Muck aber wußte +bald Rat; er schnitt ab, was zu lang war, und zog dann die Kleider an. +Er schien aber vergessen zu haben, daß er auch in der Weite davon +schneiden müsse, daher sein sonderbarer Aufzug, wie er noch heute zu +sehen ist; der große Turban, der breite Gürtel, die weiten Hosen, das +blaue Mäntelein, alles dies sind Erbstücke seines Vaters, die er +seitdem getragen; den langen Damaszenerdolch seines Vaters aber steckte +er in den Gürtel, ergriff ein Stöcklein und wanderte zum Tor hinaus. + +Fröhlich wanderte er den ganzen Tag; denn er war ja ausgezogen, um sein +Glück zu suchen; wenn er eine Scherbe auf der Erde im Sonnenschein +glänzen sah, so steckte er sie gewiß zu sich, im Glauben, daß sie sich +in den schönsten Diamanten verwandeln werde; sah er in der Ferne die +Kuppel einer Moschee wie Feuer strahlen, sah er einen See wie einen +Spiegel blinken, so eilte er voll Freude darauf zu; denn er dachte, in +einem Zauberland angekommen zu sein. Aber ach! Jene Trugbilder +verschwanden in der Nähe, und nur allzubald erinnerten ihn seine +Müdigkeit und sein vor Hunger knurrender Magen, daß er noch im Lande +der Sterblichen sich befinde. So war er zwei Tage gereist unter Hunger +und Kummer und verzweifelte, sein Glück zu finden; die Früchte des +Feldes waren seine einzige Nahrung, die harte Erde sein Nachtlager. Am +Morgen des dritten Tages erblickte er von einer Anhöhe eine große +Stadt. + +Hell leuchtete der Halbmond auf ihren Zinnen, bunte Fahnen schimmerten +auf den Dächern und schienen den kleinen Muck zu sich herzuwinken. +Überrascht stand er stille und betrachtete Stadt und Gegend. „Ja, dort +wird Klein-Muck sein Glück finden“, sprach er zu sich und machte trotz +seiner Müdigkeit einen Luftsprung, „dort oder nirgends.“ Er raffte alle +seine Kräfte zusammen und schritt auf die Stadt zu. Aber obgleich sie +ganz nahe schien, konnte er sie doch erst gegen Mittag erreichen; denn +seine kleinen Glieder versagten ihm beinahe gänzlich ihren Dienst, und +er mußte sich oft in den Schatten einer Palme setzen, um auszuruhen. +Endlich war er an dem Tor der Stadt angelangt. Er legte sein Mäntelein +zurecht, band den Turban schöner um, zog den Gürtel noch breiter an und +steckte den langen Dolch schiefer; dann wischte er den Staub von den +Schuhen, ergriff sein Stöcklein und ging mutig zum Tor hinein. + +Er hatte schon einige Straßen durchwandert; aber nirgends öffnete sich +ihm die Türe, nirgends rief man, wie er sich vorgestellt hatte: +„Kleiner Muck, komm herein und iß und trink und laß deine Füßlein +ausruhen!“ + +Er schaute gerade auch wieder recht sehnsüchtig an einem großen, +schönen Haus hinauf; da öffnete sich ein Fenster, eine alte Frau +schaute heraus und rief mit singender Stimme: + +„Herbei, herbei! +Gekocht ist der Brei, +Den Tisch ließ ich decken, +Drum laßt es euch schmecken; +Ihr Nachbarn herbei, +Gekocht ist der Brei.“ + + +Die Türe des Hauses öffnete sich, und Muck sah viele Hunde und Katzen +hineingehen. Er stand einige Augenblicke in Zweifel, ob er der +Einladung folgen sollte; endlich aber faßte er sich ein Herz und ging +in das Haus. Vor ihm her gingen ein paar junge Kätzlein, und er +beschloß, ihnen zu folgen, weil sie vielleicht die Küche besser wüßten +als er. + +Als Muck die Treppe hinaufgestiegen war, begegnete er jener alten Frau, +die zum Fenster herausgeschaut hatte. Sie sah ihn mürrisch an und +fragte nach seinem Begehr. „Du hast ja jedermann zu deinem Brei +eingeladen“, antwortete der kleine Muck, „und weil ich so gar hungrig +bin, bin ich auch gekommen.“ + +Die Alte lachte und sprach: „Woher kommst du denn, wunderlicher Gesell? +Die ganze Stadt weiß, daß ich für niemand koche als für meine lieben +Katzen, und hier und da lade ich ihnen Gesellschaft aus der +Nachbarschaft ein, wie du siehst.“ + +Der kleine Muck erzählte der alten Frau, wie es ihm nach seines Vaters +Tod so hart ergangen sei, und bat sie, ihn heute mit ihren Katzen +speisen zu lassen. Die Frau, welcher die treuherzige Erzählung des +Kleinen wohl gefiel, erlaubte ihm, ihr Gast zu sein, und gab ihm +reichlich zu essen und zu trinken. Als er gesättigt und gestärkt war, +betrachtete ihn die Frau lange und sagte dann: „Kleiner Muck, bleibe +bei mir in meinem Dienste! Du hast geringe Mühe und sollst gut gehalten +sein.“ + +Der kleine Muck, dem der Katzenbrei geschmeckt hatte, willigte ein und +wurde also der Bedienstete der Frau Ahavzi. Er hatte einen leichten, +aber sonderbaren Dienst. Frau Ahavzi hatte nämlich zwei Kater und vier +Katzen, diesen mußte der kleine Muck alle Morgen den Pelz kämmen und +mit köstlichen Salben einreiben; wenn die Frau ausging, mußte er auf +die Katzen Achtung geben, wenn sie aßen, mußte er ihnen die Schüsseln +vorlegen, und nachts mußte er sie auf seidene Polster legen und sie mit +samtenen Decken einhüllen. Auch waren noch einige kleine Hunde im Haus, +die er bedienen mußte, doch wurden mit diesen nicht so viele Umstände +gemacht wie mit den Katzen, welche Frau Ahavzi wie ihre eigenen Kinder +hielt. Übrigens führte Muck ein so einsames Leben wie in seines Vaters +Haus, denn außer der Frau sah er den ganzen Tag nur Hunde und Katzen. +Eine Zeitlang ging es dem kleinen Muck ganz gut; er hatte immer zu +essen und wenig zu arbeiten, und die alte Frau schien recht zufrieden +mit ihm zu sein, aber nach und nach wurden die Katzen unartig, wenn die +Alte ausgegangen war, sprangen sie wie besessen in den Zimmern umher, +warfen alles durcheinander und zerbrachen manches schöne Geschirr, das +ihnen im Weg stand. Wenn sie aber die Frau die Treppe heraufkommen +hörten, verkrochen sie sich auf ihre Polster und wedelten ihr mit den +Schwänzen entgegen, wie wenn nichts geschehen wäre. Die Frau Ahavzi +geriet dann in Zorn, wenn sie ihre Zimmer so verwüstet sah, und schob +alles auf Muck, er mochte seine Unschuld beteuern, wie er wollte, sie +glaubte ihren Katzen, die so unschuldig aussahen, mehr als ihrem +Diener. + +Der kleine Muck war sehr traurig, daß er also auch hier sein Glück +nicht gefunden hatte, und beschloß bei sich, den Dienst der Frau Ahavzi +zu verlassen. Da er aber auf seiner ersten Reise erfahren hatte, wie +schlecht man ohne Geld lebt, so beschloß er, den Lohn, den ihm seine +Gebieterin immer versprochen, aber nie gegeben hatte, sich auf +irgendeine Art zu verschaffen. Es befand sich in dem Hause der Frau +Ahavzi ein Zimmer, das immer verschlossen war und dessen Inneres er nie +gesehen hatte. Doch hatte er die Frau oft darin rumoren gehört, und er +hätte oft für sein Leben gern gewußt, was sie dort versteckt habe. Als +er nun an sein Reisegeld dachte, fiel ihm ein, daß dort die Schätze der +Frau versteckt sein könnten. Aber immer war die Tür fest verschlossen, +und er konnte daher den Schätzen nie beikommen. + +Eines Morgens, als die Frau Ahavzi ausgegangen war, zupfte ihn eines +der Hundlein, welches von der Frau immer sehr stiefmütterlich behandelt +wurde, dessen Gunst er sich aber durch allerlei Liebesdienste in hohem +Grade erworben hatte, an seinen weiten Beinkleidern und gebärdete sich +dabei, wie wenn Muck ihm folgen sollte. Muck, welcher gerne mit den +Hunden spielte, folgte ihm, und siehe da, das Hundlein führte ihn in +die Schlafkammer der Frau Ahavzi vor eine kleine Türe, die er nie zuvor +dort bemerkt hatte. Die Türe war halb offen. Das Hundlein ging hinein, +und Muck folgte ihm, und wie freudig war er überrascht, als er sah, daß +er sich in dem Gemach befand, das schon lange das Ziel seiner Wünsche +war. Er spähte überall umher, ob er kein Geld finden könne, fand aber +nichts. Nur alte Kleider und wunderlich geformte Geschirre standen +umher. Eines dieser Geschirre zog seine besondere Aufmerksamkeit auf +sich. Es war von Kristall, und schöne Figuren waren darauf +ausgeschnitten. Er hob es auf und drehte es nach allen Seiten. Aber, o +Schrecken! Er hatte nicht bemerkt, daß es einen Deckel hatte, der nur +leicht darauf hingesetzt war. Der Deckel fiel herab und zerbrach in +tausend Stücke. + +Lange stand der kleine Muck vor Schrecken leblos. Jetzt war sein +Schicksal entschieden, jetzt mußte er entfliehen, sonst schlug ihn die +Alte tot. Sogleich war auch seine Reise beschlossen, und nur noch +einmal wollte er sich umschauen, ob er nichts von den Habseligkeiten +der Frau Ahavzi zu seinem Marsch brauchen könnte. Da fielen ihm ein +Paar mächtig große Pantoffeln ins Auge; sie waren zwar nicht schön; +aber seine eigenen konnten keine Reise mehr mitmachen; auch zogen ihn +jene wegen ihrer Größe an; denn hatte er diese am Fuß, so mußten ihm +hoffentlich alle Leute ansehen, daß er die Kinderschuhe vertreten habe. +Er zog also schnell seine Töffelein aus und fuhr in die großen hinein. +Ein Spazierstöcklein mit einem schön geschnittenen Löwenkopf schien ihm +auch hier allzu müßig in der Ecke zu stehen; er nahm es also mit und +eilte zum Zimmer hinaus. Schnell ging er jetzt auf seine Kammer, zog +sein Mäntelein an, setzte den väterlichen Turban auf, steckte den Dolch +in den Gürtel und lief, so schnell ihn seine Füße trugen, zum Haus und +zur Stadt hinaus. Vor der Stadt lief er, aus Angst vor der Alten, immer +weiter fort, bis er vor Müdigkeit beinahe nicht mehr konnte. So schnell +war er in seinem Leben nicht gegangen; ja, es schien ihm, als könne er +gar nicht aufhören zu rennen; denn eine unsichtbare Gewalt schien ihn +fortzureißen. Endlich bemerkte er, daß es mit den Pantoffeln eine +eigene Bewandtnis haben müsse; denn diese schossen immer fort und +führten ihn mit sich. Er versuchte auf allerlei Weise stillzustehen; +aber es wollte nicht gelingen; da rief er in der höchsten Not, wie man +den Pferden zuruft, sich selbst zu: „Oh—oh, halt, oh!“ Da hielten die +Pantoffeln, und Muck warf sich erschöpft auf die Erde nieder. + +Die Pantoffeln freuten ihn ungemein. So hatte er sich denn doch durch +seine Verdienste etwas erworben, das ihm in der Welt auf seinem Weg das +Glück zu suchen, forthelfen konnte. Er schlief trotz seiner Freude vor +Erschöpfung ein; denn das Körperlein des kleinen Muck, das einen so +schweren Kopf zu tragen hatte, konnte nicht viel aushalten. Im Traum +erschien ihm das Hundlein, welches ihm im Hause der Frau Ahavzi zu den +Pantoffeln verholfen hatte, und sprach zu ihm: „Lieber Muck, du +verstehst den Gebrauch der Pantoffeln noch nicht recht; wisse, wenn du +dich in ihnen dreimal auf dem Absatz herumdrehst, so kannst du +hinfliegen, wohin du nur willst, und mit dem Stöcklein kannst du +Schätze finden, denn wo Gold vergraben ist, da wird es dreimal auf die +Erde schlagen, bei Silber zweimal.“ So träumte der kleine Muck. Als er +aber aufwachte, dachte er über den wunderbaren Traum nach und beschloß, +alsbald einen Versuch zu machen. Er zog die Pantoffeln an, lupfte einen +Fuß und begann sich auf dem Absatz umzudrehen. Wer es aber jemals +versucht hat, in einem ungeheuer weiten Pantoffel dieses Kunststück +dreimal hintereinander zu machen, der wird sich nicht wundern, wenn es +dem kleinen Muck nicht gleich glückte, besonders wenn man bedenkt, daß +ihn sein schwerer Kopf bald auf diese, bald auf jene Seite hinüberzog. + +Der arme Kleine fiel einigemal tüchtig auf die Nase; doch ließ er sich +nicht abschrecken, den Versuch zu wiederholen, und endlich glückte es. +Wie ein Rad fuhr er auf seinem Absatz herum, wünschte sich in die +nächste große Stadt, und—die Pantoffeln ruderten hinauf in die Lüfte, +liefen mit Windeseile durch die Wolken, und ehe sich der kleine Muck +noch besinnen konnte, wie ihm geschah, befand er sich schon auf einem +großen Marktplatz, wo viele Buden aufgeschlagen waren und unzählige +Menschen geschäftig hin und her liefen. Er ging unter den Leuten hin +und her, hielt es aber für ratsamer, sich in eine einsamere Straße zu +begeben; denn auf dem Markt trat ihm bald da einer auf die Pantoffeln, +daß er beinahe umfiel, bald stieß er mit seinem weit hinausstehenden +Dolch einen oder den anderen an, daß er mit Mühe den Schlägen entging. + +Der kleine Muck bedachte nun ernstlich, was er wohl anfangen könnte, um +sich ein Stück Geld zu verdienen; er hatte zwar ein Stäblein, das ihm +verborgene Schätze anzeigte, aber wo sollte er gleich einen Platz +finden, wo Gold oder Silber vergraben wäre? Auch hätte er sich zur Not +für Geld sehen lassen können; aber dazu war er doch zu stolz. Endlich +fiel ihm die Schnelligkeit seiner Füße ein, „vielleicht“, dachte er, +„können mir meine Pantoffeln Unterhalt gewähren“, und er beschloß, sich +als Schnelläufer zu verdingen. Da er aber hoffen durfte, daß der König +dieser Stadt solche Dienste am besten bezahle, so erfragte er den +Palast. Unter dem Tor des Palastes stand eine Wache, die ihn fragte, +was er hier zu suchen habe. Auf seine Antwort, daß er einen Dienst +suche, wies man ihn zum Aufseher der Sklaven. Diesem trug er sein +Anliegen vor und bat ihn, ihm einen Dienst unter den königlichen Boten +zu besorgen. Der Aufseher maß ihn mit seinen Augen von Kopf bis zu den +Füßen und sprach: „Wie, mit deinen Füßlein, die kaum so lang als eine +Spanne sind, willst du königlicher Schnelläufer werden? Hebe dich weg, +ich bin nicht dazu da, mit jedem Narren Kurzweil zu machen.“ Der kleine +Muck versicherte ihm aber, daß es ihm vollkommen ernst sei mit seinem +Antrag und daß er es mit dem Schnellsten auf eine Wette ankommen lassen +wollte. Dem Aufseher kam die Sache gar lächerlich vor; er befahl ihm, +sich bis auf den Abend zu einem Wettlauf bereitzuhalten, führte ihn in +die Küche und sorgte dafür, daß ihm gehörig Speis’ und Trank gereicht +wurde; er selbst aber begab sich zum König und erzählte ihm vom kleinen +Muck und seinem Anerbieten. Der König war ein lustiger Herr, daher +gefiel es ihm wohl, daß der Aufseher der Sklaven den kleinen Menschen +zu einem Spaß behalten habe, er befahl ihm, auf einer großen Wiese +hinter dem Schloß Anstalten zu treffen, daß das Wettlaufen mit +Bequemlichkeit von seinem ganzen Hofstaat könnte gesehen werden, und +empfahl ihm nochmals, große Sorgfalt für den Zwerg zu haben. Der König +erzählte seinen Prinzen und Prinzessinnen, was sie diesen Abend für ein +Schauspiel haben würden, diese erzählten es wieder ihren Dienern, und +als der Abend herankam, war man in gespannter Erwartung, und alles, was +Füße hatte, strömte hinaus auf die Wiese, wo Gerüste aufgeschlagen +waren, um den großsprecherischen Zwerg laufen zu sehen. + +Als der König und seine Söhne und Töchter auf dem Gerüst Platz genommen +hatten, trat der kleine Muck heraus auf die Wiese und machte vor den +hohen Herrschaften eine überaus zierliche Verbeugung. Ein allgemeines +Freudengeschrei ertönte, als man des Kleinen ansichtig wurde; eine +solche Figur hatte man dort noch nie gesehen. Das Körperlein mit dem +mächtigen Kopf, das Mäntelein und die weiten Beinkleider, der lange +Dolch in dem breiten Gürtel, die kleinen Füßlein in den weiten +Pantoffeln—nein! Es war zu drollig anzusehen, als daß man nicht hätte +laut lachen sollen. Der kleine Muck ließ sich aber durch das Gelächter +nicht irremachen. Er stellte sich stolz, auf sein Stöcklein gestützt, +hin und erwartete seinen Gegner. Der Aufseher der Sklaven hatte nach +Mucks eigenem Wunsche den besten Läufer ausgesucht. Dieser trat nun +heraus, stellte sich neben den Kleinen, und beide harrten auf das +Zeichen. Da winkte Prinzessin Amarza, wie es ausgemacht war, mit ihrem +Schleier, und wie zwei Pfeile, auf dasselbe Ziel abgeschossen, flogen +die beiden Wettläufer über die Wiese hin. + +Von Anfang hatte Mucks Gegner einen bedeutenden Vorsprung, aber dieser +jagte ihm auf seinem Pantoffelfuhrwerk nach, holte ihn ein, überfing +ihn und stand längst am Ziele, als jener noch, nach Luft schnappend, +daherlief. Verwunderung und Staunen fesselten einige Augenblicke die +Zuschauer, als aber der König zuerst in die Hände klatschte, da +jauchzte die Menge, und alle riefen: „Hoch lebe der kleine Muck, der +Sieger im Wettlauf!“ + +Man hatte indes den kleinen Muck herbeigebracht; er warf sich vor dem +König nieder und sprach: „Großmächtigster König, ich habe dir hier nur +eine kleine Probe meiner Kunst gegeben; wolle nur gestatten, daß man +mir eine Stelle unter deinen Läufern gebe!“ + +Der König aber antwortete ihm: „Nein, du sollst mein Leibläufer und +immer um meine Person sein, lieber Muck, jährlich sollst du hundert +Goldstücke erhalten als Lohn, und an der Tafel meiner ersten Diener +sollst du speisen.“ + +So glaubte denn Muck, endlich das Glück gefunden zu haben, das er so +lange suchte, und war fröhlich und wohlgemut in seinem Herzen. Auch +erfreute er sich der besonderen Gnade des Königs, denn dieser +gebrauchte ihn zu seinen schnellsten und geheimsten Sendungen, die er +dann mit der größten Genauigkeit und mit unbegreiflicher Schnelle +besorgte. + +Aber die übrigen Diener des Königs waren ihm gar nicht zugetan, weil +sie sich ungern durch einen Zwerg, der nichts verstand, als schnell zu +laufen, in der Gunst ihres Herrn zurückgesetzt sahen. Sie +veranstalteten daher manche Verschwörung gegen ihn, um ihn zu stürzen; +aber alle schlugen fehl an dem großen Zutrauen, das der König in seinen +geheimen Oberleibläufer (denn zu dieser Würde hatte er es in so kurzer +Zeit gebracht) setzte. + +Muck, dem diese Bewegungen gegen ihn nicht entgingen, sann nicht auf +Rache, dazu hatte er ein zu gutes Herz, nein, auf Mittel dachte er, +sich bei seinen Feinden notwendig und beliebt zu machen. Da fiel ihm +sein Stäblein, das er in seinem Glück außer acht gelassen hatte, ein; +wenn er Schätze finde, dachte er, würden ihm die Herren schon geneigter +werden. Er hatte schon oft gehört, daß der Vater des jetzigen Königs +viele seiner Schätze vergraben habe, als der Feind sein Land +überfallen; man sagte auch, er sei darüber gestorben, ohne daß er sein +Geheimnis habe seinem Sohn mitteilen können. Von nun an nahm Muck immer +sein Stöcklein mit, in der Hoffnung, einmal an einem Ort +vorüberzugehen, wo das Geld des alten Königs vergraben sei. Eines +Abends führte ihn der Zufall in einen entlegenen Teil des +Schloßgartens, den er wenig besuchte, und plötzlich fühlte er das +Stöcklein in seiner Hand zucken, und dreimal schlug es gegen den Boden. +Nun wußte er schon, was dies zu bedeuten hatte. Er zog daher seinen +Dolch heraus, machte Zeichen in die umstellenden Bäume und schlich sich +wieder in das Schloß; dort verschaffte er sich einen Spaten und wartete +die Nacht zu seinem Unternehmen ab. + +Das Schatzgraben selbst machte übrigens dem kleinen Muck mehr zu +schaffen, als er geglaubt hatte. + +Seine Arme waren gar zu schwach, sein Spaten aber groß und schwer; und +er mochte wohl schon zwei Stunden gearbeitet haben, ehe er ein paar Fuß +tief gegraben hatte. Endlich stieß er auf etwas Hartes, das wie Eisen +klang. Er grub jetzt emsiger, und bald hatte er einen großen eisernen +Deckel zutage gefördert; er stieg selbst in die Grube hinab, um +nachzuspähen, was wohl der Deckel könnte bedeckt haben, und fand +richtig einen großen Topf, mit Goldstücken angefüllt. Aber seine +schwachen Kräfte reichten nicht hin, den Topf zu heben, daher steckte +er in seine Beinkleider und seinen Gürtel, so viel er zu tragen +vermochte, und auch sein Mäntelein füllte er damit, bedeckte das übrige +wieder sorgfältig und lud es auf den Rücken. Aber wahrlich, wenn er die +Pantoffeln nicht an den Füßen gehabt hätte, er wäre nicht vom Fleck +gekommen, so zog ihn die Last des Goldes nieder. Doch unbemerkt kam er +auf sein Zimmer und verwahrte dort sein Gold unter den Polstern seines +Sofas. + +Als der kleine Muck sich im Besitz so vielen Goldes sah, glaubte er, +das Blatt werde sich jetzt wenden und er werde sich unter seinen +Feinden am Hofe viele Gönner und warme Anhänger erwerben. Aber schon +daran konnte man erkennen, daß der gute Muck keine gar sorgfältige +Erziehung genossen haben mußte, sonst hätte er sich wohl nicht +einbilden können, durch Gold wahre Freunde zu gewinnen. Ach, daß er +damals seine Pantoffeln geschmiert und sich mit seinem Mäntelein voll +Gold aus dem Staub gemacht hätte! + +Das Gold, das der kleine Muck von jetzt an mit vollen Händen austeilte, +erweckte den Neid der übrigen Hofbediensteten. Der Küchenmeister Ahuli +sagte: „Er ist ein Falschmünzer.“ + +Der Sklavenaufseher Achmet sagte: „Er hat’s dem König abgeschwatzt.“ + +Archaz, der Schatzmeister, aber, sein ärgster Feind, der selbst hier +und da einen Griff in des Königs Kasse tun mochte, sagte geradezu: „Er +hat’s gestohlen.“ + +Um nun ihrer Sache gewiß zu sein, verabredeten sie sich, und der +Obermundschenk Korchuz stellte sich eines Tages recht traurig und +niedergeschlagen vor die Augen des Königs. Er machte seine traurigen +Gebärden so auffallend, daß ihn der König fragte, was ihm fehle. + +„Ah“, antwortete er, „ich bin traurig, daß ich die Gnade meines Herrn +verloren habe.“ + +„Was fabelst du, Freund Korchuz?“ entgegnete ihm der König. „Seit wann +hätte ich die Sonne meiner Gnade nicht über dich leuchten lassen?“ Der +Obermundschenk antwortete ihm, daß er ja den geheimen Oberleibläufer +mit Gold belade, seinen armen, treuen Dienern aber nichts gebe. + +Der König war sehr erstaunt über diese Nachricht, ließ sich die +Goldausteilungen des kleinen Muck erzählen, und die Verschworenen +brachten ihm leicht den Verdacht bei, daß Muck auf irgendeine Art das +Geld aus der Schatzkammer gestohlen habe. Sehr lieb war diese Wendung +der Sache dem Schatzmeister, der ohnehin nicht gerne Rechnung ablegte. +Der König gab daher den Befehl, heimlich auf alle Schritte des kleinen +Muck achtzugeben, um ihn womöglich auf der Tat zu ertappen. Als nun in +der Nacht, die auf diesen Unglückstag folgte, der kleine Muck, da er +durch seine Freigebigkeit seine Kasse sehr erschöpft sah, den Spaten +nahm und in den Schloßgarten schlich, um dort von seinem geheimen +Schatze neuen Vorrat zu holen, folgten ihm von weitem die Wachen, von +dem Küchenmeister Ahuli und Archaz, dem Schatzmeister, angeführt, und +in dem Augenblick, da er das Gold aus dem Topf in sein Mäntelein legen +wollte, fielen sie über ihn her, banden ihn und führten ihn sogleich +vor den König. Dieser, den ohnehin die Unterbrechung seines Schlafes +mürrisch gemacht hatte, empfing seinen armen Oberleibläufer sehr +ungnädig und stellte sogleich das Verhör über ihn an. Man hatte den +Topf vollends aus der Erde gegraben und mit dem Spaten und mit dem +Mäntelein voll Gold vor die Füße des Königs gesetzt. Der Schatzmeister +sagte aus, daß er mit seinen Wachen den Muck überrascht habe, wie er +diesen Topf mit Gold gerade in die Erde gegraben habe. + +Der König befragte hierauf den Angeklagten, ob es wahr sei und woher er +das Gold, das er vergraben, bekommen habe. + +Der kleine Muck, im Gefühl seiner Unschuld, sagte aus, daß er diesen +Topf im Garten entdeckt habe, daß er ihn habe nicht ein-, sondern +ausgraben wollen. + +Alle Anwesenden lachten laut über diese Entschuldigung, der König aber, +aufs höchste erzürnt über die vermeintliche Frechheit des Kleinen, rief +aus: „Wie, Elender! Du willst deinen König so dumm und schändlich +belügen, nachdem du ihn bestohlen hast? Schatzmeister Archaz! Ich +fordere dich auf, zu sagen, ob du diese Summe Goldes für die nämliche +erkennst, die in meinem Schatze fehlt.“ + +Der Schatzmeister aber antwortete, er sei seiner Sache ganz gewiß, so +viel und noch mehr fehle seit einiger Zeit von dem königlichen Schatz, +und er könne einen Eid darauf ablegen, daß dies das Gestohlene sei. + +Da befahl der König, den kleinen Muck in enge Ketten zu legen und in +den Turm zu führen; dem Schatzmeister aber übergab er das Gold, um es +wieder in den Schatz zu tragen. Vergnügt über den glücklichen Ausgang +der Sache, zog dieser ab und zählte zu Haus die blinkenden Goldstücke; +aber das hat dieser schlechte Mann niemals angezeigt, daß unten in dem +Topf ein Zettel lag, der sagte: „Der Feind hat mein Land überschwemmt, +daher verberge ich hier einen Teil meiner Schätze; wer es auch finden +mag, den treffe der Fluch seines Königs, wenn er es nicht sogleich +meinem Sohne ausliefert! König Sadi.“ + +Der kleine Muck stellte in seinem Kerker traurige Betrachtungen an; er +wußte, daß auf Diebstahl an königlichen Sachen der Tod gesetzt war, und +doch mochte er das Geheimnis mit dem Stäbchen dem König nicht verraten, +weil er mit Recht fürchtete, dieses und seiner Pantoffeln beraubt zu +werden. Seine Pantoffeln konnten ihm leider auch keine Hilfe bringen; +denn da er in engen Ketten an die Mauer geschlossen war, konnte er, so +sehr er sich quälte, sich nicht auf dem Absatz umdrehen. Als ihm aber +am anderen Tage sein Tod angekündigt wurde, da gedachte er doch, es sei +besser, ohne das Zauberstäbchen zu leben als mit ihm zu sterben, ließ +den König um geheimes Gehör bitten und entdeckte ihm das Geheimnis. Der +König maß von Anfang an seinem Geständnis keinen Glauben bei; aber der +kleine Muck versprach eine Probe, wenn ihm der König zugestünde, daß er +nicht getötet werden solle. + +Der König gab ihm sein Wort darauf und ließ, von Muck ungesehen, +einiges Gold in die Erde graben und befahl diesem, mit seinem Stäbchen +zu suchen. In wenigen Augenblicken hatte er es gefunden; denn das +Stäbchen schlug deutlich dreimal auf die Erde. Da merkte der König, daß +ihn sein Schatzmeister betrogen hatte, und sandte ihm, wie es im +Morgenland gebräuchlich ist, eine seidene Schnur, damit er sich selbst +erdroßle. Zum kleinen Muck aber sprach er: „Ich habe dir zwar dein +Leben versprochen; aber es scheint mir, als ob du nicht allein dieses +Geheimnis mit dem Stäbchen besitzest; darum bleibst du in ewiger +Gefangenschaft, wenn du nicht gestehst, was für eine Bewandtnis es mit +deinem Schnellaufen hat.“ Der kleine Muck, den die einzige Nacht im +Turm alle Lust zu längerer Gefangenschaft benommen hatte, bekannte, daß +seine ganze Kunst in den Pantoffeln liege, doch lehrte er den König +nicht das Geheimnis von dem dreimaligen Umdrehen auf dem Absatz. Der +König schlüpfte selbst in die Pantoffeln, um die Probe zu machen, und +jagte wie unsinnig im Garten umher; oft wollte er anhalten; aber er +wußte nicht, wie man die Pantoffeln zum Stehen brachte, und der kleine +Muck, der diese kleine Rache sich nicht versagen konnte, ließ ihn +laufen, bis er ohnmächtig niederfiel. + +Als der König wieder zur Besinnung zurückgekehrt war, war er +schrecklich aufgebracht über den kleinen Muck, der ihn so ganz außer +Atem hatte laufen lassen. „Ich habe dir mein Wort gegeben, dir Freiheit +und Leben zu schenken; aber innerhalb zwölf Stunden mußt du mein Land +verlassen, sonst lasse ich dich aufknöpfen!“ Die Pantoffeln und das +Stäbchen aber ließ er in seine Schatzkammer legen. + +So arm als je wanderte der kleine Muck zum Land hinaus, seine Torheit +verwünschend, die ihm vorgespiegelt hatte, er könne eine bedeutende +Rolle am Hofe spielen. Das Land, aus dem er gejagt wurde, war zum Glück +nicht groß, daher war er schon nach acht Stunden auf der Grenze, +obgleich ihn das Gehen, da er an seine lieben Pantoffeln gewöhnt war, +sehr sauer ankam. + +Als er über der Grenze war, verließ er die gewöhnliche Straße, um die +dichteste Einöde der Wälder aufzusuchen und dort nur sich zu leben; +denn er war allen Menschen gram. In einem dichten Walde traf er auf +einen Platz, der ihm zu dem Entschluß, den er gefaßt hatte, ganz +tauglich schien. Ein klarer Bach, von großen, schattigen Feigenbäumen +umgeben, ein weicher Rasen luden ihn ein; hier warf er sich nieder mit +dem Entschluß, keine Speise mehr zu sich zu nehmen, sondern hier den +Tod zu erwarten. Über traurigen Todesbetrachtungen schlief er ein; als +er aber wieder aufwachte und der Hunger ihn zu quälen anfing, bedachte +er doch, daß der Hungertod eine gefährliche Sache sei, und sah sich um, +ob er nirgends etwas zu essen bekommen könnte. + +Köstliche reife Feigen hingen an dem Baume, unter welchem er geschlafen +hatte; er stieg hinauf, um sich einige zu pflücken, ließ es sich +trefflich schmecken und ging dann hinunter an den Bach, um seinen Durst +zu löschen. Aber wie groß war sein Schrecken, als ihm das Wasser seinen +Kopf mit zwei gewaltigen Ohren und einer dicken, langen Nase geschmückt +zeigte! Bestürzt griff er mit den Händen nach den Ohren, und wirklich, +sie waren über eine halbe Elle lang. + +„Ich verdiene Eselsohren!“ rief er aus; „denn ich habe mein Glück wie +ein Esel mit Füßen getreten.“ Er wanderte unter den Bäumen umher, und +als er wieder Hunger fühlte, mußte er noch einmal zu den Feigen seine +Zuflucht nehmen; denn sonst fand er nichts Eßbares an den Bäumen. Als +ihm über der zweiten Portion Feigen einfiel, ob wohl seine Ohren nicht +unter seinem großen Turban Platz hätten, damit er doch nicht gar zu +lächerlich aussehe, fühlte er, daß seine Ohren verschwunden waren. Er +lief gleich an den Bach zurück, um sich davon zu überzeugen, und +wirklich, es war so, seine Ohren hatten ihre vorige Gestalt, seine +lange, unförmliche Nase war nicht mehr. Jetzt merkte er aber, wie dies +gekommen war; von dem ersten Feigenbaum hatte er die lange Nase und +Ohren bekommen, der zweite hatte ihn geheilt; freudig erkannte er, daß +sein gütiges Geschick ihm noch einmal die Mittel in die Hand gebe, +glücklich zu sein. Er pflückte daher von jedem Baum so viel, wie er +tragen konnte, und ging in das Land zurück, das er vor kurzem verlassen +hatte. Dort machte er sich in dem ersten Städtchen durch andere Kleider +ganz unkenntlich und ging dann weiter auf die Stadt zu, die jener König +bewohnte, und kam auch bald dort an. + +Es war gerade zu einer Jahreszeit, wo reife Früchte noch ziemlich +selten waren; der kleine Muck setzte sich daher unter das Tor des +Palastes; denn ihm war von früherer Zeit her wohl bekannt, daß hier +solche Seltenheiten von dem Küchenmeister für die königliche Tafel +eingekauft wurden. Muck hatte noch nicht lange gesessen, als er den +Küchenmeister über den Hof herüberschreiten sah. Er musterte die Waren +der Verkäufer, die sich am Tor des Palastes eingefunden hatten; endlich +fiel sein Blick auch auf Mucks Körbchen. „Ah, ein seltener Bissen“, +sagte er, „der Ihro Majestät gewiß behagen wird. Was willst du für den +ganzen Korb?“ Der kleine Muck bestimmte einen mäßigen Preis, und sie +waren bald des Handels einig. Der Küchenmeister übergab den Korb einem +Sklaven und ging weiter; der kleine Muck aber macht sich einstweilen +aus dem Staub, weil er befürchtete, wenn sich das Unglück an den Köpfen +des Hofes zeigte, möchte man ihn als Verkäufer aufsuchen und bestrafen. + +Der König war über Tisch sehr heiter gestimmt und sagte seinem +Küchenmeister einmal über das andere Lobsprüche wegen seiner guten +Küche und der Sorgfalt, mit der er immer das Seltenste für ihn +aussuche; der Küchenmeister aber, welcher wohl wußte, welchen +Leckerbissen er noch im Hintergrund habe, schmunzelte gar freundlich +und ließ nur einzelne Worte fallen, als: „Es ist noch nicht aller Tage +Abend“, oder „Ende gut, alles gut“, so daß die Prinzessinnen sehr +neugierig wurden, was er wohl noch bringen werde. Als er aber die +schönen, einladenden Feigen aufsetzen ließ, da entfloh ein allgemeines +Ah! dem Munde der Anwesenden. + +„Wie reif, wie appetitlich!“ rief der König. „Küchenmeister, du bist +ein ganzer Kerl und verdienst unsere ganz besondere Gnade!“ Also +sprechend, teilte der König, der mit solchen Leckerbissen sehr sparsam +zu sein pflegte, mit eigener Hand die Feigen an seiner Tafel aus. Jeder +Prinz und jede Prinzessin bekam zwei, die Hofdamen und die Wesire und +Agas eine, die übrigen stellte er vor sich hin und begann mit großem +Behagen sie zu verschlingen. + +„Aber, lieber Gott, wie siehst du so wunderlich aus, Vater?“ rief auf +einmal die Prinzessin Amarza. Alle sahen den König erstaunt an; +ungeheure Ohren hingen ihm am Kopf, eine lange Nase zog sich über sein +Kinn herunter; auch sich selbst betrachteten sie untereinander mit +Staunen und Schrecken; alle waren mehr oder minder mit dem sonderbaren +Kopfputz geschmeckt. + +Man denke sich den Schrecken des Hofes! Man schickte sogleich nach +allen Ärzten der Stadt; sie kamen haufenweise, verordneten Pillen und +Mixturen; aber die Ohren und die Nasen blieben. Man operierte einen der +Prinzen; aber die Ohren wuchsen nach. + +Muck hatte die ganze Geschichte in seinem Versteck, wohin er sich +zurückgezogen hatte, gehört und erkannte, daß es jetzt Zeit sei zu +handeln. Er hatte sich schon vorher von dem aus den Feigen gelösten +Geld einen Anzug verschafft, der ihn als Gelehrten darstellen konnte; +ein langer Bart aus Ziegenhaaren vollendete die Täuschung. Mit einem +Säckchen voll Feigen wanderte er in den Palast des Königs und bot als +fremder Arzt seine Hilfe an. Man war von Anfang sehr ungläubig; als +aber der kleine Muck eine Feige einem der Prinzen zu essen gab und +Ohren und Nase dadurch in den alten Zustand zurückbrachte, da wollte +alles von dem fremden Arzte geheilt sein. Aber der König nahm ihn +schweigend bei der Hand und führte ihn in sein Gemach; dort schloß er +eine Türe auf, die in die Schatzkammer führte, und winkte Muck, ihm zu +folgen. „Hier sind meine Schätze“, sprach der König, „wähle dir, was es +auch sei, es soll dir gewährt werden, wenn du mich von diesem +schmachvollen Übel befreist.“ + +Das war süße Musik in des kleinen Muck Ohren; er hatte gleich beim +Eintritt seine Pantoffeln auf dem Boden stehen sehen, gleich daneben +lag auch sein Stäbchen. Er ging nun umher in dem Saal, wie wenn er die +Schätze des Königs bewundern wollte; kaum aber war er an seine +Pantoffeln gekommen, so schlüpfte er eilends hinein, ergriff sein +Stäbchen, riß seinen falschen Bart herab und zeigte dem erstaunten +König das wohlbekannte Gesicht seines verstoßenen Muck. „Treuloser +König“, sprach er, „der du treue Dienste mit Undank lohnst, nimm als +wohlverdiente Strafe die Mißgestalt, die du trägst. Die Ohren laß ich +dir zurück, damit sie dich täglich erinnern an den kleinen Muck.“ Als +er so gesprochen hatte, drehte er sich schnell auf dem Absatz herum, +wünschte sich weit hinweg, und ehe noch der König um Hilfe rufen +konnte, war der kleine Muck entflohen. Seitdem lebt der kleine Muck +hier in großem Wohlstand, aber einsam; denn er verachtet die Menschen. +Er ist durch Erfahrung ein weiser Mann geworden, welcher, wenn auch +sein Äußeres etwas Auffallendes haben mag, deine Bewunderung mehr als +deinen Spott verdient. + +„So erzählte mir mein Vater; ich bezeugte ihm meine Reue über mein +rohes Betragen gegen den guten kleinen Mann, und mein Vater schenkte +mir die andere Hälfte der Strafe, die er mir zugedacht hatte. Ich +erzählte meinen Kameraden die wunderbaren Schicksale des Kleinen, und +wir gewannen ihn so lieb, daß ihn keiner mehr schimpfte. Im Gegenteil, +wir ehrten ihn, solange er lebte, und haben uns vor ihm immer so tief +wie vor Kadi und Mufti gebückt.“ + +Die Reisenden beschlossen, einen Rasttag in dieser Karawanserei zu +machen, um sich und die Tiere zur weiteren Reise zu stärken. Die +gestrige Fröhlichkeit ging auch auf diesen Tag über, und sie ergötzten +sich in allerlei Spielen. Nach dem Essen aber riefen sie dem fünften +Kaufmann, Ali Sizah, zu, auch seine Schuldigkeit gleich den übrigen zu +tun und eine Geschichte zu erzählen. Er antwortete, sein Leben sei zu +arm an auffallenden Begebenheiten, als daß er ihnen etwas davon +mitteilen möchte, daher wolle er ihnen etwas anderes erzählen, nämlich: +Das Märchen vom falschen Prinzen. + + + + +Das Märchen vom falschen Prinzen + +Wilhelm Hauff + + +Es war einmal ein ehrsamer Schneidergeselle, namens Labakan, der bei +einem geschickten Meister in Alessandria sein Handwerk lernte. Man +konnte nicht sagen, daß Labakan ungeschickt mit der Nadel war, im +Gegenteil, er konnte recht feine Arbeit machen. Auch tat man ihm +unrecht, wenn man ihn geradezu faul schalt; aber ganz richtig war es +doch nicht mit dem Gesellen, denn er konnte oft stundenweis in einem +fort nähen, daß ihm die Nadel in der Hand glühend ward und der Faden +rauchte, da gab es ihm dann ein Stück wie keinem anderen; ein andermal +aber, und dies geschah leider öfters, saß er in tiefen Gedanken, sah +mit starren Augen vor sich hin und hatte dabei in Gesicht und Wesen +etwas so Eigenes, daß sein Meister und die übrigen Gesellen von diesem +Zustand nie anders sprachen als: „Labakan hat wieder sein vornehmes +Gesicht.“ + +Am Freitag aber, wenn andere Leute vom Gebet ruhig nach Haus an ihre +Arbeit gingen, trat Labakan in einem schönen Kleid, das er sich mit +vieler Mühe zusammengespart hatte, aus der Moschee, ging langsam und +stolzen Schrittes durch die Plätze und Straßen der Stadt, und wenn ihm +einer seiner Kameraden ein „Friede sei mit dir“, oder „Wie geht es, +Freund Labakan?“ bot, so winkte er gnädig mit der Hand oder nickte, +wenn es hoch kam, vornehm mit dem Kopf. Wenn dann sein Meister im Spaß +zu ihm sagte: „An dir ist ein Prinz verlorengegangen, Labakan“, so +freute er sich darüber und antwortete: „Habt Ihr das auch bemerkt?“ +oder: „Ich habe es schon lange gedacht!“ + +So trieb es der ehrsame Schneidergeselle Labakan schon eine geraume +Zeit, sein Meister aber duldete seine Narrheit, weil er sonst ein guter +Mensch und geschickter Arbeiter war. Aber eines Tages schickte Selim, +der Bruder des Sultans, der gerade durch Alessandria reiste, ein +Festkleid zu dem Meister, um einiges daran verändern zu lassen, und der +Meister gab es Labakan, weil dieser die feinste Arbeit machte. Als +abends der Meister und die Gesellen sich hinwegbegeben hatten, um nach +des Tages Last sich zu erholen, trieb eine unwiderstehliche Sehnsucht +Labakan wieder in die Werkstatt zurück, wo das Kleid des kaiserlichen +Bruders hing. Er stand lange sinnend davor, bald den Glanz der +Stickerei, bald die schillernden Farben des Samts und der Seide an dem +Kleide bewundernd. Er konnte nicht anders, er mußte es anziehen, und +siehe da, es paßte ihm so trefflich, wie wenn es für ihn wäre gemacht +worden. „Bin ich nicht so gut ein Prinz als einer?“ fragte er sich, +indem er im Zimmer auf und ab schritt. „Hat nicht der Meister selbst +schon gesagt, daß ich zum Prinzen geboren sei?“ Mit den Kleidern schien +der Geselle eine ganz königliche Gesinnung angezogen zu haben; er +konnte sich nicht anders denken, als er sei ein unbekannter Königssohn, +und als solcher beschloß er, in die Welt zu reisen und einen Ort zu +verlassen, wo die Leute bisher so töricht gewesen waren, unter der +Hülle seines niederen Standes nicht seine angebotene Würde zu erkennen. +Das prachtvolle Kleid schien ihm von einer gütigen Fee geschickt, er +hütete sich daher wohl, ein so teures Geschenk zu verschmähen, steckte +seine geringe Barschaft zu sich und wanderte, begünstigt von dem Dunkel +der Nacht, aus Alessandrias Toren. + +Der neue Prinz erregte überall auf seiner Wanderschaft Verwunderung, +denn das prachtvolle Kleid und sein ernstes, majestätisches Wesen +wollten gar nicht passen für einen Fußgänger. Wenn man ihn darüber +befragte, pflegte er mit geheimnisvoller Miene zu antworten, daß das +seine eigenen Ursachen habe. Als er aber merkte, daß er sich durch +seine Fußwanderungen lächerlich machte, kaufte er um geringen Preis ein +altes Roß, welches sehr für ihn paßte, da es ihn mit seiner gesetzten +Ruhe und Sanftmut nie in die Verlegenheit brachte, sich als geschickter +Reiter zeigen zu müssen, was gar nicht seine Sache war. + +Eines Tages, als er Schritt vor Schritt auf seinem Murva, so hatte er +sein Roß genannt, seine Straße zog, schloß sich ein Reiter an ihn an +und bat ihn, in seiner Gesellschaft reiten zu dürfen, weil ihm der Weg +viel kürzer werde im Gespräch mit einem anderen. Der Reiter war ein +fröhlicher, junger Mann, schön und angenehm im Umgang. Er hatte mit +Labakan bald ein Gespräch angeknüpft über Woher und Wohin, und es traf +sich, daß auch er, wie der Schneidergeselle, ohne Plan in die Welt +hinauszog. Er sagte, er heiße Omar, sei der Neffe Elfi Beys, des +unglücklichen Bassas von Kairo, und reise nun umher, um einen Auftrag, +den ihm sein Oheim auf dem Sterbebette erteilt habe, auszurichten. +Labakan ließ sich nicht so offenherzig über seine Verhältnisse aus, er +gab ihm zu verstehen, daß er von hoher Abkunft sei und zu seinem +Vergnügen reise. + +Die beiden jungen Herren fanden Gefallen aneinander und zogen fürder. +Am zweiten Tage ihrer gemeinschaftlichen Reise fragte Labakan seinen +Gefährten Omar nach den Aufträgen, die er zu besorgen habe, und erfuhr +zu seinem Erstaunen folgendes: Elfi Bey, der Bassa von Kairo, hatte den +Omar seit seiner frühesten Kindheit erzogen, und dieser hatte seine +Eltern nie gekannt. Als nun Elfi Bey von seinen Feinden überfallen +worden war und nach drei unglücklichen Schlachten, tödlich verwundet, +fliehen mußte, entdeckte er seinem Zögling, daß er nicht sein Neffe +sei, sondern der Sohn eines mächtigen Herrschers, welcher aus Furcht +vor den Prophezeiungen seiner Sterndeuter den jungen Prinzen von seinem +Hofe entfernt habe, mit dem Schwur, ihn erst an seinem +zweiundzwanzigsten Geburtstage wiedersehen zu wollen. Elfi Bey habe ihm +den Namen seines Vaters nicht genannt, sondern ihm nur aufs +bestimmteste aufgetragen, am fünften Tage des kommenden Monats Ramadan, +an welchem Tage er zweiundzwanzig Jahre alt werde, sich an der +berühmten Säule El-Serujah, vier Tagreisen östlich von Alessandria, +einzufinden; dort soll er den Männern, die an der Säule stehen würden, +einen Dolch, den er ihm gab, überreichen mit den Worten: „Hier bin ich, +den ihr suchet“; wenn sie antworteten: „Gelobt sei der Prophet, der +dich erhielt!“, so solle er ihnen folgen, sie würden ihn zu seinem +Vater führen. + +Der Schneidergeselle Labakan war sehr erstaunt über diese Mitteilung, +er betrachtete von jetzt an den Prinzen Omar mit neidischen Augen, +erzürnt darüber, daß das Schicksal jenem, obgleich er schon für den +Neffen eines mächtigen Bassa galt, noch die Würde eines Fürstensohnes +verliehen, ihm aber, den es mit allem, was einem Prinzen nottut, +ausgerüstet, gleichsam zum Hohn eine dunkle Geburt und einen +gewöhnlichen Lebensweg verliehen habe. Er stellte Vergleichungen +zwischen sich und dem Prinzen an. Er mußte sich gestehen, es sei jener +ein Mann von sehr vorteilhafter Gesichtsbildung; schöne, lebhafte +Augen, eine kühngebogene Nase, ein sanftes, zuvorkommendes Benehmen, +kurz, so viele Vorzüge des Äußeren, die jemand empfehlen können, waren +jenem eigen. Aber so viele Vorzüge er auch an seinem Begleiter fand, so +gestand er sich doch bei diesen Beobachtungen, daß ein Labakan dem +fürstlichen Vater wohl noch willkommener sein dürfte als der wirkliche +Prinz. + +Diese Betrachtungen verfolgten Labakan den ganzen Tag, mit ihnen +schlief er im nächsten Nachtlager ein, aber als er morgens aufwachte +und sein Blick auf den neben ihm schlafenden Omar fiel, der so ruhig +schlafen und von seinem gewissen Glück träumen konnte, da erwachte in +ihm der Gedanke, sich durch List oder Gewalt zu erstreben, was ihm das +ungünstige Schicksal versagt hatte. Der Dolch, das Erkennungszeichen +des heimkehrenden Prinzen, sah aus dem Gürtel des Schlafenden hervor, +leise zog er ihn hervor, um ihn in die Brust des Eigentümers zu stoßen. +Doch vor dem Gedanken des Mordes entsetzte sich die friedfertige Seele +des Gesellen; er begnügte sich, den Dolch zu sich zu stecken, das +schnellere Pferd des Prinzen für sich aufzäumen zu lassen, und ehe Omar +aufwachte und sich aller seiner Hoffnungen beraubt sah, hatte sein +treuloser Gefährte schon einen Vorsprung von mehreren Meilen. + +Es war gerade der erste Tag des heiligen Monats Ramadan, an welchem +Labakan den Raub an dem Prinzen begangen hatte, und er hatte also noch +vier Tage, um zu der Säule El Serujah, welche ihm wohlbekannt war, zu +gelangen. Obgleich die Gegend, worin sich diese Säule befand, höchstens +noch zwei Tagreisen entfernt sein konnte, so beeilte er sich doch +hinzukommen, weil er immer fürchtete, von dem wahren Prinzen eingeholt +zu werden. + +Am Ende des zweiten Tages erblickte Labakan die Säule El-Serujah. Sie +stand auf einer kleinen Anhöhe in einer weiten Ebene und konnte auf +zwei bis drei Stunden gesehen werden. Labakans Herz pochte lauter bei +diesem Anblick; obgleich er die letzten zwei Tage hindurch Zeit genug +gehabt, über die Rolle, die er zu spielen hatte, nachzudenken, so +machte ihn doch das böse Gewissen etwas ängstlich, aber der Gedanke, +daß er zum Prinzen geboren sei, stärkte ihn wieder, so daß er +getrösteter seinem Ziele entgegenging. + +Die Gegend um die Säule El-Serujah war unbewohnt und öde, und der neue +Prinz wäre wegen seines Unterhalts etwas in Verlegenheit gekommen, wenn +er sich nicht auf mehrere Tage versehen hätte. Er lagerte sich also +neben seinem Pferd unter einigen Palmen und erwartete dort sein +ferneres Schicksal. + +Gegen die Mitte des anderen Tages sah er einen großen Zug von Pferden +und Kamelen über die Ebene her auf die Säule El-Serujah zuziehen. Der +Zug hielt am Fuße des Hügels, auf welchem die Säule stand, man schlug +prächtige Zelte auf, und das Ganze sah aus wie der Reisezug eines +reichen Bassa oder Scheik. Labakan ahnte, daß die vielen Leute, welche +er sah, sich seinetwegen hierher bemüht hatten, und hätte ihnen gerne +schon heute ihren künftigen Gebieter gezeigt; aber er mäßigte seine +Begierde, als Prinz aufzutreten, da ja doch der nächste Morgen seine +kühnsten Wünsche vollkommen befriedigen mußte. + +Die Morgensonne weckte den überglücklichen Schneider zu dem wichtigsten +Augenblick seines Lebens, welcher ihn aus einem niederen, unbekannten +Sterblichen an die Seite eines fürstlichen Vaters erheben sollte; zwar +fiel ihm, als er sein Pferd aufzäumte, um zu der Säule hinzureiten, +wohl auch das Unrechtmäßige seines Schrittes ein; zwar führten ihm +seine Gedanken den Schmerz des in seinen schönen Hoffnungen betrogenen +Fürstensohnes vor, aber—der Würfel war geworfen, er konnte nicht mehr +ungeschehen machen, was geschehen war, und seine Eigenliebe flüsterte +ihm zu, daß er stattlich genug aussehe, um dem mächtigsten König sich +als Sohn vorzustellen; ermutigt durch diesen Gedanken, schwang er sich +auf sein Roß, nahm alle seine Tapferkeit zusammen, um es in einen +ordentlichen Galopp zu bringen, und in weniger als einer Viertelstunde +war er am Fuße des Hügels angelangt. Er stieg ab von seinem Pferd und +band es an eine Staude, deren mehrere an dem Hügel wuchsen; hierauf zog +er den Dolch des Prinzen Omar hervor und stieg den Hügel hinan. Am Fuß +der Säule standen sechs Männer um einen Greis von hohem, königlichem +Ansehen; ein prachtvoller Kaftan von Goldstoff, mit einem weißen +Kaschmirschal umgürtet, der weiße, mit blitzenden Edelsteinen +geschmückte Turban bezeichneten ihn als einen Mann von Reichtum und +Würde. + +Auf ihn ging Labakan zu, neigte sich tief vor ihm und sprach, indem er +den Dolch darreichte: „Hier bin ich, den Ihr suchet. „ + +„Gelobt sei der Prophet, der dich erhielt!“ antwortete der Greis mit +Freudentränen. „Umarme deinen alten Vater, mein geliebter Sohn Omar!“ +Der gute Schneider war sehr gerührt durch diese feierlichen Worte und +sank mit einem Gemisch von Freude und Scham in die Arme des alten +Fürsten. + +Aber nur einen Augenblick sollte er ungetrübt die Wonne seines neuen +Standes genießen; als er sich aus den Armen des fürstlichen Greises +aufrichtete, sah er einen Reiter über die Ebene her auf den Hügel +zueilen. Der Reiter und sein Roß gewährten einen sonderbaren Anblick; +das Roß schien aus Eigensinn oder Müdigkeit nicht vorwärts zu wollen, +in einem stolpernden Gang, der weder Schritt noch Trab war, zog es +daher, der Reiter aber trieb es mit Händen und Füßen zu schnellerem +Laufe an. Nur zu bald erkannte Labakan sein Roß Murva und den echten +Prinzen Omar, aber der böse Geist der Lüge war einmal in ihn gefahren, +und er beschloß, wie es auch kommen möge, mit eiserner Stirne seine +angemaßten Rechte zu behaupten. + +Schon aus der Ferne hatte man den Reiter winken gesehen; jetzt war er +trotz des schlechten Trabes des Rosses Murva am Fuße des Hügels +angekommen, warf sich vom Pferd und stürzte den Hügel hinan. „Haltet +ein!“ rief er. „Wer ihr auch sein möget, haltet ein und laßt euch nicht +von dem schändlichsten Betrüger täuschen; ich heiße Omar, und kein +Sterblicher wage es, meinen Namen zu mißbrauchen!“ + +Auf den Gesichtern der Umstehenden malte sich tiefes Erstaunen über +diese Wendung der Dinge; besonders schien der Greis sehr betroffen, +indem er bald den einen, bald den anderen fragend ansah; Labakan aber +sprach mit mühsam errungener Ruhe: „Gnädigster Herr und Vater, laßt +Euch nicht irremachen durch diesen Menschen da! Es ist, soviel ich +weiß, ein wahnsinniger Schneidergeselle aus Alessandria, Labakan +geheißen, der mehr unser Mitleid als unseren Zorn verdient.“ + +Bis zur Raserei aber brachten diese Worte den Prinzen; schäumend vor +Wut wollte er auf Labakan eindringen, aber die Umstehenden warfen sich +dazwischen und hielten ihn fest, und der Fürst sprach: „Wahrhaftig, +mein lieber Sohn, der arme Mensch ist verrückt; man binde ihn und setze +ihn auf eines unserer Dromedare, vielleicht, daß wir dem Unglücklichen +Hilfe schaffen können.“ + +Die Wut des Prinzen hatte sich gelegt, weinend rief er dem Fürsten zu: +„Mein Herz sagt mir, daß Ihr mein Vater seid; bei dem Andenken meiner +Mutter beschwöre ich Euch, hört mich an!“ + +„Ei, Gott bewahre uns!“ antwortete dieser, „er fängt schon wieder an, +irre zu reden, wie doch der Mensch auf so tolle Gedanken kommen kann!“ +Damit ergriff er Labakans Arm und ließ sich von ihm den Hügel +hinuntergeleiten; sie setzten sich beide auf schöne, mit reichen Decken +behängte Pferde und ritten an der Spitze des Zuges über die Ebene hin. +Dem unglücklichen Prinzen aber fesselte man die Hände und band ihn auf +einem Dromedar fest, und zwei Reiter waren ihm immer zur Seite, die ein +wachsames Auge auf jede seiner Bewegungen hatten. + +Der fürstliche Greis war Saaud, der Sultan der Wechabiten. Er hatte +lange ohne Kinder gelebt, endlich wurde ihm ein Prinz geboren, nach dem +er sich so lange gesehnt hatte; aber die Sterndeuter, welche er um die +Vorbedeutungen des Knaben befragte, taten den Ausspruch, „daß er bis +ins zweiundzwanzigste Jahr in Gefahr stehe, von einem Feinde verdrängt +zu werden“, deswegen, um recht sicherzugehen, hatte der Sultan den +Prinzen seinem alten, erprobten Freunde Elfi-Bey zum Erziehen gegeben +und zweiundzwanzig schmerzliche Jahre auf seinen Anblick geharrt. + +Dieses hatte der Sultan seinem (vermeintlichen) Sohne erzählt und sich +ihm außerordentlich zufrieden mit seiner Gestalt und seinem würdevollen +Benehmen gezeigt. + +Als sie in das Land des Sultans kamen, wurden sie überall von den +Einwohnern mit Freudengeschrei empfangen; denn das Gerücht von der +Ankunft des Prinzen hatte sich wie ein Lauffeuer durch alle Städte und +Dörfer verbreitet. Auf den Straßen, durch welche sie zogen, waren Bögen +von Blumen und Zweigen errichtet, glänzende Teppiche von allen Farben +schmeckten die Häuser, und das Volk pries laut Gott und seinen +Propheten, der ihnen einen so schönen Prinzen gesandt habe. Alles dies +erfüllte das stolze Herz des Schneiders mit Wonne; desto unglücklicher +mußte sich aber der echte Omar fühlen, der, noch immer gefesselt, in +stiller Verzweiflung dem Zuge folgte. Niemand kümmerte sich um ihn bei +dem allgemeinen Jubel, der doch ihm galt; den Namen Omar riefen tausend +und wieder tausend Stimmen, aber ihn, der diesen Namen mit Recht trug, +ihn beachtete keiner; höchstens fragte einer oder der andere, wen man +denn so fest gebunden mit fortfahre, und schrecklich tönte in das Ohr +des Prinzen die Antwort seiner Begleiter, es sei ein wahnsinniger +Schneider. + +Der Zug war endlich in die Hauptstadt des Sultans gekommen, wo alles +noch glänzender zu ihrem Empfang bereitet war als in den übrigen +Städten. Die Sultanin, eine ältliche, ehrwürdige Frau, erwartete sie +mit ihrem ganzen Hofstaat in dem prachtvollsten Saal des Schlosses. Der +Boden dieses Saales war mit einem ungeheuren Teppich bedeckt, die Wände +waren mit hellblauem Tuch geschmeckt, das in goldenen Quasten und +Schnüren an großen, silbernen Haken hing. + +Es war schon dunkel, als der Zug anlangte, daher waren im Saale viele +kugelrunde, farbige Lampen angezündet, welche die Nacht zum Tag +erhellten. Am klarsten und vielfarbigsten strahlten sie aber im +Hintergrund des Saales, wo die Sultanin auf einem Throne saß. Der Thron +stand auf vier Stufen und war von lauterem Golde und mit großen +Amethysten ausgelegt. Die vier vornehmsten Emire hielten einen +Baldachin von roter Seide über dem Haupte der Sultanin, und der Scheik +von Medina fächelte ihr mit einer Windfuchtel von weißen Pfauenfedern +Kühlung zu. + +So erwartete die Sultanin ihren Gemahl und ihren Sohn, auch sie hatte +ihn seit seiner Geburt nicht mehr gesehen, aber bedeutsam Träume hatten +ihr den Ersehnten gezeigt, daß sie ihn aus Tausenden erkennen wollte. +Jetzt hörte man das Geräusch des nahenden Zuges, Trompeten und Trommeln +mischten sich in das Zujauchzen der Menge, der Hufschlag der Rosse +tönte im Hof des Palastes, näher und näher rauschten die Tritte der +Kommenden, die Türen des Saales flogen auf, und durch die Reihen der +niederfallenden Diener eilte der Sultan an der Hand seines Sohnes vor +den Thron der Mutter. + +„Hier“, sprach er, „bringe ich dir den, nach welchem du dich so lange +gesehnet.“ + +Die Sultanin aber fiel ihm in die Rede: „Das ist mein Sohn nicht!“ rief +sie aus, „das sind nicht die Züge, die mir der Prophet im Traume +gezeigt hat!“ + +Gerade, als ihr der Sultan ihren Aberglauben verweisen wollte, sprang +die Türe des Saales auf. Prinz Omar stürzte herein, verfolgt von seinen +Wächtern, denen er sich mit Anstrengung aller seiner Kraft entrissen +hatte, er warf sich atemlos vor dem Throne nieder: „Hier will ich +sterben, laßt mich töten, grausamer Vater; denn diese Schmach dulde ich +nicht länger!“ + +Alles war bestürzt über diese Reden; man drängte sich um den +Unglücklichen her, und schon wollten ihn die herbeieilenden Wachen +ergreifen und ihm wieder seine Bande anlegen, als die Sultanin, die in +sprachlosem Erstaunen dieses alles mit angesehen hatte, von dem Throne +aufsprang. „Haltet ein!“ rief sie, „dieser und kein anderer ist der +Rechte, dieser ist’s, den meine Augen nie gesehen und den mein Herz +doch gekannt hat!“ + +Die Wächter hatten unwillkürlich von Omar abgelassen, aber der Sultan, +entflammt von wütendem Zorn, rief ihnen zu, den Wahnsinnigen zu binden: +„Ich habe hier zu entscheiden“, sprach er mit gebietender Stimme, „und +hier richtet man nicht nach den Träumen der Weiber, sondern nach +gewissen, untrüglichen Zeichen. Dieser hier (indem er auf Labakan +zeigte) ist mein Sohn; denn er hat mir das Wahrzeichen meines Freundes +Elfi, den Dolch, gebracht.“ + +„Gestohlen hat er ihn“, schrie Omar, „mein argloses Vertrauen hat er +zum Verrat mißbraucht!“ Der Sultan aber hörte nicht auf die Stimme +seines Sohnes; denn er war in allen Dingen gewohnt, eigensinnig nur +seinem Urteil zu folgen; daher ließ er den unglücklichen Omar mit +Gewalt aus dem Saal schleppen. Er selbst aber begab sich mit Labakan in +sein Gemach, voll Wut über die Sultanin, seine Gemahlin, mit der er +doch seit fünfundzwanzig Jahren in Frieden gelebt hatte. + +Die Sultanin aber war voll Kummer über diese Begebenheiten; sie war +vollkommen überzeugt, daß ein Betrüger sich des Herzens des Sultans +bemächtigt hatte, denn jenen Unglücklichen hatten ihr so viele +bedeutsam Träume als ihren Sohn gezeigt. + +Als sich ihr Schmerz ein wenig gelegt hatte, sann sie auf Mittel, um +ihren Gemahl von seinem Unrecht zu überzeugen. Es war dies allerdings +schwierig; denn jener, der sich für ihren Sohn ausgab, hatte das +Erkennungszeichen, den Dolch, überreicht und hatte auch, wie sie +erfuhr, so viel von Omars früherem Leben von diesem selbst sich +erzählen lassen, daß er seine Rolle, ohne sich zu verraten, spielte. + +Sie berief die Männer zu sich, die den Sultan zu der Säule El-Serujah +begleitet hatten, um sich alles genau erzählen zu lassen, und hielt +dann mit ihren vertrautesten Sklavinnen Rat. Sie wählten und verwarfen +dies und jenes Mittel; endlich sprach Melechsalah, eine alte, kluge +Zierkassierin: „Wenn ich recht gehört habe, verehrte Gebieterin, so +nannte der Überbringer des Dolches den, welchen du für deinen Sohn +hältst, Labakan, einen verwirrten Schneider?“ + +„Ja, so ist es“, antwortete die Sultanin, „aber was willst du damit?“ + +„Was meint Ihr“, fuhr jene fort, „wenn dieser Betrüger Eurem Sohn +seinen eigenen Namen aufgeheftet hätte?—Und wenn dies ist, so gibt es +ein herrliches Mittel, den Betrüger zu fangen, das ich Euch ganz im +geheimen sagen will.“ Die Sultanin bot ihrer Sklavin das Ohr, und diese +flüsterte ihr einen Rat zu, der ihr zu behagen schien, denn sie +schickte sich an, sogleich zum Sultan zu gehen. + +Die Sultanin war eine kluge Frau, welche wohl die schwachen Seiten des +Sultans kannte und sie zu benützen verstand. Sie schien daher, ihm +nachgeben und den Sohn anerkennen zu wollen, und bat sich nur eine +Bedingung aus; der Sultan, dem sein Aufbrausen gegen seine Frau leid +tat, gestand die Bedingung zu, und sie sprach: „Ich möchte gerne den +beiden eine Probe ihrer Geschicklichkeit auferlegen; eine andere würde +sie vielleicht reiten, fechten oder Speere werfen lassen, aber das sind +Sachen, die ein jeder kann; nein, ich will ihnen etwas geben, wozu +Scharfsinn gehört! Es soll nämlich jeder von ihnen einen Kaftan und ein +Paar Beinkleider verfertigen, und da wollen wir einmal sehen, wer die +schönsten macht.“ + +Der Sultan lachte und sprach: „Ei, da hast du ja etwas recht Kluges +ausgesonnen. Mein Sohn sollte mit deinem wahnsinnigen Schneider +wetteifern, wer den besten Kaftan macht? Nein, das ist nichts.“ + +Die Sultanin aber berief sich darauf, daß er ihr die Bedingung zum +Voraus zugesagt habe, und der Sultan, welcher ein Mann von Wort war, +gab endlich nach, obgleich er schwor, wenn der wahnsinnige Schneider +seinen Kaftan auch noch so schön mache, könne er ihn doch nicht für +seinen Sohn erkennen. + +Der Sultan ging selbst zu seinem Sohn und bat ihn, sich in die Grillen +seiner Mutter zu schicken, die nun einmal durchaus einen Kaftan von +seiner Hand zu sehen wünsche. Dem guten Labakan lachte das Herz vor +Freude; wenn es nur an dem fehlt, dachte er bei sich, da soll die Frau +Sultanin bald Freude an mir erleben. + +Man hatte zwei Zimmer eingerichtet, eines für den Prinzen, das andere +für den Schneider; dort sollten sie ihre Kunst erproben, und man hatte +jedem nur ein hinlängliches Stück Seidenzeug, Schere, Nadel und Faden +gegeben. + +Der Sultan war sehr begierig, was für ein Ding von Kaftan wohl sein +Sohn zutage fördern werde, aber auch der Sultanin pochte unruhig das +Herz, ob ihre List wohl gelingen werde oder nicht. Man hatte den beiden +zwei Tage zu ihrem Geschäft ausgesetzt, am dritten ließ der Sultan +seine Gemahlin rufen, und als sie erschienen war, schickte er in jene +zwei Zimmer, um die beiden Kaftane und ihre Verfertiger holen zu +lassen. Triumphierend trat Labakan ein und breitete seinen Kaftan vor +den erstaunten Blicken des Sultans aus. „Siehe her, Vater“, sprach er, +„siehe her, verehrte Mutter, ob dies nicht ein Meisterstück von einem +Kaftan ist? Da laß ich es mit dem geschicktesten Hofschneider auf eine +Wette ankommen, ob er einen solchen herausbringt.“ + +Die Sultanin lächelte und wandte sich zu Omar: „Und was hast du +herausgebracht, mein Sohn?“ + +Unwillig warf dieser den Seidenstoff und die Schere auf den Boden: „Man +hat mich gelehrt, ein Roß zu bändigen und einen Säbel zu schwingen, und +meine Lanze trifft auf sechzig Gänge ihr Ziel—aber die Künste der Nadel +sind mir fremd, sie wären auch unwürdig für einen Zögling Elfi Beys, +des Beherrschers von Kairo.“ + +„Oh, du echter Sohn meines Herrn“, rief die Sultanin, „ach, daß ich +dich umarmen, dich Sohn nennen dürfte! Verzeihet, mein Gemahl und +Gebieter“, sprach sie dann, indem sie sich zum Sultan wandte, „daß ich +diese List gegen Euch gebraucht habe; sehet Ihr jetzt noch nicht ein, +wer Prinz und wer Schneider ist; fürwahr, der Kaftan ist köstlich, den +Euer Herr Sohn gemacht hat, und ich möchte ihn gerne fragen, bei +welchem Meister er gelernt habe.“ + +Der Sultan saß in tiefen Gedanken, mißtrauisch bald seine Frau, bald +Labakan anschauend, der umsonst sein Erröten und seine Bestürzung, daß +er sich so dumm verraten habe, zu bekämpfen suchte. „Auch dieser Beweis +genügt nicht“, sprach er, „aber ich weiß, Allah sei es gedankt, ein +Mittel, zu erfahren, ob ich betrogen bin oder nicht.“ + +Er befahl, sein schnellstes Pferd vorzufahren, schwang sich auf und +ritt in einen Wald, der nicht weit von der Stadt begann. Dort wohnte +nach einer alten Sage eine gütige Fee, Adolzaide geheißen, welche oft +schon den Königen seines Stammes in der Stunde der Not mit ihrem Rat +beigestanden war; dorthin eilte der Sultan. + +In der Mitte des Waldes war ein freier Platz, von hohen Zedern umgeben. +Dort wohnte nach der Sage die Fee, und selten betrat ein Sterblicher +diesen Platz, denn eine gewisse Scheu davor hatte sich aus alten Zeiten +vom Vater auf den Sohn vererbt. + +Als der Sultan dort angekommen war, stieg er ab, band sein Pferd an +einen Baum, stellte sich in die Mitte des Platzes und sprach mit lauter +Stimme: „Wenn es wahr ist, daß du meinen Vätern gütigen Rat erteiltest +in der Stunde der Not, so verschmähe nicht die Bitte ihres Enkels und +rate mir, wo menschlicher Verstand zu kurzsichtig ist!“ + +Er hatte kaum die letzten Worte gesprochen, als sich eine der Zedern +öffnete und eine verschleierte Frau in langen, weißen Gewändern +hervortrat. „Ich weiß, warum du zu mir kommst, Sultan Saaud, dein Wille +ist redlich; darum soll dir auch meine Hilfe werden. Nimm diese zwei +Kistchen! Laß jene beiden, welche deine Söhne sein wollen, wählen! Ich +weiß, daß der, welcher der echte ist, das rechte nicht verfehlen wird.“ +So sprach die Verschleierte und reichte ihm zwei kleine Kistchen von +Elfenbein, reich mit Gold und Perlen verziert; auf den Deckeln, die der +Sultan vergebens zu öffnen versuchte, standen Inschriften von +eingesetzten Diamanten. + +Der Sultan besann sich, als er nach Hause ritt, hin und her, was wohl +in den Kistchen sein könnte, welche er mit aller Mühe nicht zu öffnen +vermochte. Auch die Aufschrift gab ihm kein Licht in der Sache; denn +auf dem einen stand: „Ehre und Ruhm“, auf dem anderen: „Glück und +Reichtum“. Der Sultan dachte bei sich, da würde auch ihm die Wahl +schwer werden unter diesen beiden Dingen, die gleich anziehend, gleich +lockend seien. + +Als er in seinen Palast zurückgekommen war, ließ er die Sultanin rufen +und sagte ihr den Ausspruch der Fee, und eine wunderbare Hoffnung +erfüllte sie, daß jener, zu dem ihr Herz sie hinzog, das Kistchen +wählen würde, welches seine königliche Abkunft beweisen sollte. + +Vor dem Throne des Sultans wurden zwei Tische aufgestellt; auf sie +setzte der Sultan mit eigener Hand die beiden Kistchen, bestieg dann +den Thron und winkte einem seiner Sklaven, die Pforte des Saales zu +öffnen. Eine glänzende Versammlung von Bassas und Emiren des Reiches, +die der Sultan berufen hatte, strömte durch die geöffnete Pforte. Sie +ließen sich auf prachtvollen Polstern nieder, welche die Wände entlang +aufgestellt waren. + +Als sie sich alle niedergelassen hatten, winkte der König zum +zweitenmal, und Labakan wurde hereingeführt. Mit stolzem Schritte ging +er durch den Saal, warf sich vor dem Throne nieder und sprach: „Was +befiehlt mein Herr und Vater?“ + +Der Sultan erhob sich auf seinem Thron und sprach: „Mein Sohn! Es sind +Zweifel an der Echtheit deiner Ansprüche auf diesen Namen erhoben +worden; eines jener Kistchen enthält die Bestätigung deiner echten +Geburt, wähle! Ich zweifle nicht, du wirst das rechte wählen!“ + +Labakan erhob sich und trat vor die Kistchen, er erwog lange, was er +wählen sollte, endlich sprach er: „Verehrter Vater! Was kann es Höheres +geben als das Glück, dein Sohn zu sein, was Edleres als den Reichtum +deiner Gnade? Ich wähle das Kistchen, das die Aufschrift „Glück und +Reichtum“ zeigt.“ + +„Wir werden nachher erfahren, ob du recht gewählt hast; einstweilen +setze dich dort auf das Polster zum Bassa von Medina“, sagte der Sultan +und winkte seinen Sklaven. + +Omar wurde hereingeführt; sein Blick war düster, seine Miene traurig, +und sein Anblick erregte allgemeine Teilnahme unter den Anwesenden. Er +warf sich vor dem Throne nieder und fragte nach dem Willen des Sultans. + +Der Sultan deutete ihm an, daß er eines der Kistchen zu wählen habe, er +stand auf und trat vor den Tisch. + +Er las aufmerksam beide Inschriften und sprach: „Die letzten Tage haben +mich gelehrt, wie unsicher das Glück, wie vergänglich der Reichtum ist; +sie haben mich aber auch gelehrt, daß ein unzerstörbares Gut in der +Brust des Tapferen wohnt, die Ehre, und daß der leuchtende Stern des +Ruhmes nicht mit dem Glück zugleich vergeht. Und sollte ich einer Krone +entsagen, der Würfel liegt—Ehre und Ruhm, ich wähle euch!“ + +Er setzte seine Hand auf das Kistchen, das er erwählt hatte; aber der +Sultan befahl ihm, einzuhalten; er winkte Labakan, gleichfalls vor +seinen Tisch zu treten, und auch dieser legte seine Hand auf sein +Kistchen. + +Der Sultan aber ließ sich ein Becken mit Wasser von dem heiligen +Brunnen Zemzem in Mekka bringen, wusch seine Hände zum Gebet, wandte +sein Gesicht nach Osten, warf sich nieder und betete: „Gott meiner +Väter! Der du seit Jahrhunderten unsern Stamm rein und unverfälscht +bewahrtest, gib nicht zu, daß ein Unwürdiger den Namen der Abassiden +schände, sei mit deinem Schutze meinem echten Sohne nahe in dieser +Stunde der Prüfung!“ + +Der Sultan erhob sich und bestieg seinen Thron wieder; allgemeine +Erwartung fesselte die Anwesenden, man wagte kaum zu atmen, man hätte +ein Mäuschen über den Saal gehen hören können, so still und gespannt +waren alle, die hintersten machten lange Hälse, um über die vorderen +nach den Kistchen sehen zu können. Jetzt sprach der Sultan: „Öffnet die +Kistchen“, und diese, die vorher keine Gewalt zu öffnen vermochte, +sprangen von selbst auf. + +In dem Kistchen, das Omar gewählt hatte, lagen auf einem samtenen +Kissen eine kleine goldene Krone und ein Zepter; in Labakans +Kistchen—eine große Nadel und ein wenig Zwirn! Der Sultan befahl den +beiden, ihre Kistchen vor ihn zu bringen. Er nahm das Krönchen von dem +Kissen in seine Hand, und wunderbar war es anzusehen, wie er es nahm, +wurde es größer und größer, bis es die Größe einer rechten Krone +erreicht hatte. Er setzte die Krone seinem Sohn Omar, der vor ihm +kniete, auf das Haupt, küßte ihn auf die Stirne und hieß ihn zu seiner +Rechten sich niedersetzen. Zu Labakan aber wandte er sich und sprach: +„Es ist ein altes Sprichwort: Der Schuster bleibe bei seinem Leisten! +Es scheint, als solltest du bei der Nadel bleiben. Zwar hast du meine +Gnade nicht verdient, aber es hat jemand für dich gebeten, dem ich +heute nichts abschlagen kann; drum schenke ich dir dein armseliges +Leben, aber wenn ich dir guten Rates bin, so beeile dich, daß du aus +meinem Lande kommst!“ + +Beschämt, vernichtet, wie er war, vermochte der arme Schneidergeselle +nichts zu erwidern; er warf sich vor dem Prinzen nieder, und Tränen +drangen ihm aus den Augen: „Könnt Ihr mir vergeben, Prinz?“ sagte er. + +„Treue gegen den Freund, Großmut gegen den Feind ist des Abassiden +Stolz“, antwortete der Prinz, indem er ihn aufhob, „gehe hin in +Frieden!“ + +„O du mein echter Sohn!“ rief gerührt der alte Sultan und sank an die +Brust des Sohnes; die Emire und Bassa und alle Großen des Reiches +standen auf von ihren Sitzen und riefen: „Heil dem neuen Königssohn!“ +Und unter dem allgemeinen Jubel schlich sich Labakan, sein Kistchen +unter dem Arm, aus dem Saal. + +Er ging hinunter in die Ställe des Sultans, zäumte sein Roß Murva auf +und ritt zum Tore hinaus, Alessandria zu. Sein ganzes Prinzenleben kam +ihm wie ein Traum vor, und nur das prachtvolle Kistchen, reich mit +Perlen und Diamanten geschmückt, erinnerte ihn, daß er doch nicht +geträumt habe. + +Als er endlich wieder nach Alessandria kam, ritt er vor das Haus seines +alten Meisters, stieg ab, band sein Rößlein an die Türe und trat in die +Werkstatt. Der Meister, der ihn nicht gleich kannte, machte ein großes +Wesen und fragte, was ihm zu Dienst stehe; als er aber den Gast näher +ansah und seinen alten Labakan erkannte, rief er seine Gesellen und +Lehrlinge herbei, und alle stürzten sich wie wütend auf den armen +Labakan, der keines solchen Empfangs gewärtig war, stießen und schlugen +ihn mit Bügeleisen und Ellenmaß, stachen ihn mit Nadeln und zwickten +ihn mit scharfen Scheren, bis er erschöpft auf einen Haufen alter +Kleider niedersank. + +Als er nun so dalag, hielt ihm der Meister eine Strafrede über das +gestohlene Kleid; vergebens versicherte Labakan, daß er nur deswegen +wiedergekommen sei, um ihm alles zu ersetzen, vergebens bot er ihm den +dreifachen Schadenersatz, der Meister und seine Gesellen fielen wieder +über ihn her, schlugen ihn weidlich und warfen ihn zur Türe hinaus; +zerschlagen und zerfetzt stieg er auf das Roß Murva und ritt in eine +Karawanserei. Dort legte er sein müdes, zerschlagenes Haupt nieder und +stellte Betrachtungen an über die Leiden der Erde, über das so oft +verkannte Verdienst und über die Nichtigkeit und Flüchtigkeit aller +Güter. Er schlief mit dem Entschluß ein, aller Größe zu entsagen und +ein ehrsamer Bürger zu werden. + +Und den andere Tag gereute ihn sein Entschluß nicht; denn die schweren +Hände des Meisters und seiner Gesellen schienen alle Hoheit aus ihm +herausgeprügelt zu haben. + +Er verkaufte um einen hohen Preis sein Kistchen an einen +Juwelenhändler, kaufte sich ein Haus und richtete sich eine Werkstatt +zu seinem Gewerbe ein. Als er alles eingerichtet und auch ein Schild +mit der Aufschrift Labakan, Kleidermacher vor sein Fenster gehängt +hatte, setzte er sich und begann mit jener Nadel und dem Zwirn, die er +in dem Kistchen gefunden, den Rock zu flicken, welchen ihm sein Meister +so grausam zerfetzt hatte. Er wurde von seinem Geschäft abgerufen, und +als er sich wieder an die Arbeit setzen wollte, welch sonderbarer +Anblick bot sich ihm dar! Die Nadel nähte emsig fort, ohne von jemand +geführt zu werden; sie machte feine, zierliche Stiche, wie sie selbst +Labakan in seinen kunstreichsten Augenblicken nicht gemacht hatte! + +Wahrlich, auch das geringste Geschenk einer gütigen Fee ist nützlich +und von großem Wert! Noch einen andere Wert hatte aber dies Geschenk, +nämlich: Das Stückchen Zwirn ging nie aus, die Nadel mochte so fleißig +sein, als sie wollte. + +Labakan bekam viele Kunden und war bald der berühmteste Schneider weit +und breit; er schnitt die Gewänder zu und machte den ersten Stich mit +der Nadel daran, und flugs arbeitete diese weiter ohne Unterlaß, bis +das Gewand fertig war. Meister Labakan hatte bald die ganze Stadt zu +Kunden; denn er arbeitete schön und außerordentlich billig, und nur +über eines schüttelten die Leute von Alessandria den Kopf, nämlich: daß +er ganz ohne Gesellen und bei verschlossenen Türen arbeitete. + +So war der Spruch des Kistchens, Glück und Reichtum verheißend, in +Erfüllung gegangen; Glück und Reichtum begleiteten, wenn auch in +bescheidenem Maße, die Schritte des guten Schneiders, und wenn er von +dem Ruhm des jungen Sultans Omar, der in aller Munde lebte, hörte, wenn +er hörte, daß dieser Tapfere der Stolz und die Liebe seines Volkes und +der Schrecken seiner Feinde sei, da dachte der ehemalige Prinz bei +sich: „Es ist doch besser, daß ich ein Schneider geblieben bin; denn um +die Ehre und den Ruhm ist es eine gar gefährliche Sache.“ So lebte +Labakan, zufrieden mit sich, geachtet von seinen Mitbürgern, und wenn +die Nadel indes nicht ihre Kraft verloren, so näht sie noch jetzt mit +dem ewigen Zwirn der gütigen Fee Adolzaide. + +Mit Sonnenaufgang brach die Karawane auf und gelangte bald nach Birket +el Had oder dem Pilgrimsbrunnen, von wo es nur noch drei Stunden Weges +nach Kairo waren—Man hatte um diese Zeit die Karawane erwartet, und +bald hatten die Kaufleute die Freude, ihre Freunde aus Kairo ihnen +entgegenkommen zu sehen. Sie zogen in die Stadt durch das Tor Bebel +Falch; denn es wird für eine glückliche Vorbedeutung gehalten, wenn man +von Mekka kommt, durch dieses Tor einzuziehen, weil der Prophet +hindurchgezogen ist. + +Auf dem Markt verabschiedeten sich die vier türkischen Kaufleute von +dem Fremden und dem griechischen Kaufmann Zaleukos und gingen mit ihren +Freunden nach Haus. Zaleukos aber zeigte dem Fremden eine gute +Karawanserei und lud ihn ein, mit ihm das Mittagsmahl zu nehmen. Der +Fremde sagte zu und versprach, wenn er nur vorher sich umgekleidet +habe, zu erscheinen. + +Der Grieche hatte alle Anstalten getroffen, den Fremden, welchen er auf +der Reise liebgewonnen hatte, gut zu bewirten, und als die Speisen und +Getränke in gehöriger Ordnung aufgestellt waren, setzte er sich, seinen +Gast zu erwarten. + +Langsam und schweren Schrittes hörte er ihn den Gang, der zu seinem +Gemach führte, heraufkommen. Er erhob sich, um ihm freundlich +entgegenzusehen und ihn an der Schwelle zu bewillkommnen; aber voll +Entsetzen fuhr er zurück, als er die Türe öffnete; denn jener +schreckliche Rotmantel trat ihm entgegen; er warf noch einen Blick auf +ihn, es war keine Täuschung; dieselbe hohe, gebietende Gestalt, die +Larve, aus welcher ihn die dunklen Augen anblitzten, der rote Mantel +mit der goldenen Stickerei waren ihm nur allzuwohl bekannt aus den +schrecklichsten Stunden seines Lebens. + +Widerstreitende Gefühle wogten in Zaleukos Brust; er hatte sich mit +diesem Bild seiner Erinnerung längst ausgesöhnt und ihm vergeben, und +doch riß sein Anblick alle seine Wunden wieder auf; alle jene +qualvollen Stunden der Todesangst, jener Gram, der die Blüte seines +Lebens vergiftete, zogen im Flug eines Augenblicks an seiner Seele +vorüber. + +„Was willst du, Schrecklicher?“ rief der Grieche aus, als die +Erscheinung noch immer regungslos auf der Schwelle stand. „Weiche +schnell von hinnen, daß ich dir nicht fluche!“ + +„Zaleukos!“ sprach eine bekannte Stimme unter der Larve hervor. +„Zaleukos! So empfängst du deinen Gastfreund?“ Der Sprechende nahm die +Larve ab, schlug den Mantel zurück; es war Selim Baruch, der Fremde. + +Aber Zaleukos schien noch nicht beruhigt, ihm graute vor dem Fremden; +denn nur zu deutlich hatte er in ihm den Unbekannten von der Ponte +vecchio erkannt; aber die alte Gewohnheit der Gastfreundschaft siegte; +er winkte schweigend dem Fremden, sich zu ihm ans Mahl zu setzen. + +„Ich errate deine Gedanken“, nahm dieser das Wort, als sie sich gesetzt +hatten. „Deine Augen sehen fragend auf mich—ich hätte schweigen und +mich deinen Blicken nie mehr zeigen können, aber ich bin dir +Rechenschaft schuldig, und darum wagte ich es auch, auf die Gefahr hin, +daß du mir fluchtest, vor dir in meiner alten Gestalt zu erscheinen. Du +sagtest einst zu mir: Der Glaube meiner Väter befiehlt mir, ihn zu +lieben, auch ist er wohl unglücklicher als ich; glaube dieses, mein +Freund, und höre meine Rechtfertigung! + +Ich muß weit ausholen, um mich dir ganz verständlich zu machen. Ich bin +in Alessandria von christlichen Eltern geboren. Mein Vater, der jüngere +Sohn eines alten, berühmten französischen Hauses, war Konsul seines +Landes in Alessandria. Ich wurde von meinem zehnten Jahre an in +Frankreich bei einem Bruder meiner Mutter erzogen und verließ erst +einige Jahre nach dem Ausbruch der Revolution mein Vaterland, um mit +meinem Oheim, der in dem Lande seiner Ahnen nicht mehr sicher war, über +dem Meer bei meinen Eltern eine Zuflucht zu suchen. Voll Hoffnung, die +Ruhe und den Frieden, den uns das empörte Volk der Franzosen entrissen, +im elterlichen Hause wiederzufinden, landeten wir. Aber ach! Ich fand +nicht alles in meines Vaters Hause, wie es sein sollte; die äußeren +Stürme der bewegten Zeit waren zwar noch nicht bis hierher gelangt, +desto unerwarteter hatte das Unglück mein Haus im innersten Herzen +heimgesucht. Mein Bruder, ein junger, hoffnungsvoller Mann, erster +Sekretär meines Vaters, hatte sich erst seit kurzem mit einem jungen +Mädchen, der Tochter eines florentinischen Edelmanns, der in unserer +Nachbarschaft wohnte, verheiratet; zwei Tage vor unserer Ankunft war +diese auf einmal verschwunden, ohne daß weder unsere Familie noch ihr +Vater die geringste Spur von ihr auffinden konnten. Man glaubte +endlich, sie habe sich auf einem Spaziergang zu weit gewagt und sei in +Räuberhände gefallen. Beinahe tröstlicher wäre dieser Gedanke für +meinen armen Bruder gewesen als die Wahrheit, die uns nur bald kund +wurde. Die Treulose hatte sich mit einem jungen Neapolitaner, den sie +im Hause ihres Vaters kennengelernt hatte, eingeschifft. Mein Bruder, +aufs äußerste empört über diesen Schritt, bot alles auf, die Schuldige +zur Strafe zu ziehen; doch vergebens; seine Versuche, die in Neapel und +Florenz Aufsehen erregt hatten, dienten nur dazu, sein und unser aller +Unglück zu vollenden. Der florentinische Edelmann reiste in sein +Vaterland zurück, zwar mit dem Vorgeben, meinem Bruder Recht zu +verschaffen, der Tat nach aber, um uns zu verderben. Er schlug in +Florenz alle jene Untersuchungen, welche mein Bruder angeknüpft hatte, +nieder und wußte seinen Einfluß, den er auf alle Art sich verschafft +hatte, so gut zu benützen, daß mein Vater und mein Bruder ihrer +Regierung verdächtig gemacht und durch die schändlichsten Mittel +gefangen, nach Frankreich geführt und dort vom Beil des Henkers getötet +wurden. Meine arme Mutter verfiel in Wahnsinn, und erst nach zehn +langen Monaten erlöste sie der Tod von ihrem schrecklichen Zustand, der +aber in den letzten Tagen zu vollem, klarem Bewußtsein geworden war. So +stand ich jetzt ganz allein in der Welt, aber nur ein Gedanke +beschäftigte meine Seele, nur ein Gedanke ließ mich meine Trauer +vergessen, es war jene mächtige Flamme, die meine Mutter in ihrer +letzten Stunde in mir angefacht hatte. + +In den letzten Stunden war, wie ich dir sagte, ihr Bewußtsein +zurückgekehrt; sie ließ mich rufen und sprach mit Ruhe von unserem +Schicksal und ihrem Ende. Dann aber ließ sie alle aus dem Zimmer gehen, +richtete sich mit feierlicher Miene von ihrem ärmlichen Lager auf und +sagte, ich könne mir ihren Segen erwerben, wenn ich ihr schwöre, etwas +auszufahren, das sie mir auftragen würde—Ergriffen von den Worten der +sterbenden Mutter, gelobte ich mit einem Eide zu tun, wie sie mir sagen +werde. Sie brach nun in Verwünschungen gegen den Florentiner und seine +Tochter aus und legte mir mit den fürchterlichsten Drohungen ihres +Fluches auf, mein unglückliches Haus an ihm zu rächen. Sie starb in +meinen Armen. Jener Gedanke der Rache hatte schon lange in meiner Seele +geschlummert; jetzt erwachte er mit aller Macht. Ich sammelte den Rest +meines väterlichen Vermögens und schwor mir, alles an meine Rache zu +setzen oder selbst mit unterzugehen. + +Bald war ich in Florenz, wo ich mich so geheim als möglich aufhielt; +mein Plan war um vieles erschwert worden durch die Lage, in welcher +sich meine Feinde befanden. Der alte Florentiner war Gouverneur +geworden und hatte so alle Mittel in der Hand, sobald er das geringste +ahnte, mich zu verderben. Ein Zufall kam mir zu Hilfe. Eines Abends sah +ich einen Menschen in bekannter Livree durch die Straßen gehen; sein +unsicherer Gang, sein finsterer Blick und das halblaut herausgestoßene +„Santo sacramento“, „Maledetto diavolo“ ließen mich den alten Pietro, +einen Diener des Florentiners, den ich schon in Alessandria gekannt +hatte, erkennen. Ich war nicht in Zweifel, daß er über seinen Herrn in +Zorn geraten sei, und beschloß, seine Stimmung zu benützen. Er schien +sehr überrascht, mich hier zu sehen, klagte mir sein Leiden, daß er +seinem Herrn, seit er Gouverneur geworden, nichts mehr recht machen +könne, und mein Gold, unterstützt von seinem Zorn, brachte ihn bald auf +meine Seite. Das Schwierigste war jetzt beseitigt; ich hatte einen Mann +in meinem Solde, der mir zu jeder Stunde die Türe meines Feindes +öffnete, und nun reifte mein Racheplan immer schneller heran. Das Leben +des alten Florentiners schien mir ein zu geringes Gewicht, dem +Untergang meines Hauses gegenüber, zu haben. Sein Liebstes mußte er +gemordet sehen, und dies war Bianka, seine Tochter. Hatte ja sie so +schändlich an meinem Bruder gefrevelt, war ja doch sie die Ursache +unseres Unglücks. Gar erwünscht kam sogar meinem rachedürstigen Herzen +die Nachricht, daß in dieser Zeit Bianka zum zweitenmal sich vermählen +wollte, es war beschlossen, sie mußte sterben. Aber mir selbst graute +vor der Tat, und auch Pietro traute sich zu wenig Kraft zu; darum +spähten wir umher nach einem Mann, der das Geschäft vollbringen könne. +Unter den Florentinern wagte ich keinen zu dingen, denn gegen den +Gouverneur würde keiner etwas Solches unternommen haben. Da fiel Pietro +der Plan ein, den ich nachher ausgeführt habe; zugleich schlug er dich +als Fremden und Arzt als den Tauglichsten vor. Den Verlauf der Sache +weißt du. Nur an deiner großen Vorsicht und Ehrlichkeit schien mein +Unternehmen zu scheitern. Daher der Zufall mit dem Mantel. + +Pietro öffnete uns das Pförtchen an dem Palast des Gouverneurs; er +hätte uns auch ebenso heimlich wieder hinausgeleitet, wenn wir nicht, +durch den schrecklichen Anblick, der sich uns durch die Türspalte +darbot, erschreckt, entflohen wären. Von Schrecken und Reue gejagt, war +ich über zweihundert Schritte fortgerannt, bis ich auf den Stufen einer +Kirche niedersank. Dort erst sammelte ich mich wieder, und mein erster +Gedanke warst du und dein schreckliches Schicksal, wenn man dich in dem +Hause fände. Ich schlich an den Palast, aber weder von Pietro noch von +dir konnte ich eine Spur entdecken; das Pförtchen aber war offen, so +konnte ich wenigstens hoffen, daß du die Gelegenheit zur Flucht benützt +haben könntest. + +Als aber der Tag anbrach, ließ mich die Angst vor der Entdeckung und +ein unabweisbares Gefühl von Reue nicht mehr in den Mauern von Florenz. +Ich eilte nach Rom. Aber denke dir meine Bestürzung, als man dort nach +einigen Tagen überall diese Geschichte erzählte mit dem Beisatz, man +habe den Mörder, einen griechischen Arzt, gefangen. Ich kehrte in +banger Besorgnis nach Florenz zurück; denn schien mir meine Rache schon +vorher zu stark, so verfluchte ich sie jetzt, denn sie war mir durch +dein Leben allzu teuer erkauft. Ich kam an demselben Tage an, der dich +der Hand beraubte. Ich schweige von dem, was ich fühlte, als ich dich +das Schafott besteigen und so heldenmütig leiden sah. Aber damals, als +dein Blut in Strömen aufspritzte, war der Entschluß fest in mir, dir +deine übrigen Lebenstage zu versüßen. Was weiter geschehen ist, weißt +du, nur das bleibt mir noch zu sagen übrig, warum ich diese Reise mit +dir machte. + +Als eine schwere Last drückte mich der Gedanke, daß du mir noch immer +nicht vergeben habest; darum entschloß ich mich, viele Tage mit dir zu +leben und dir endlich Rechenschaft abzulegen von dem, was ich mit dir +getan.“ + +Schweigend hatte der Grieche seinen Gast angehört; mit sanftem Blick +bot er ihm, als er geendet hatte, seine Rechte. „Ich wußte wohl, daß du +unglücklicher sein müßtest als ich, denn jene grausame Tat wird wie +eine dunkle Wolke ewig deine Tage verfinstern; ich vergebe dir von +Herzen. Aber erlaube mir noch eine Frage: Wie kommst du unter dieser +Gestalt in die Wüste? Was fingst du an, nachdem du in Konstantinopel +mir das Haus gekauft hattest?“ + +„Ich ging nach Alessandria zurück“, antwortete der Gefragte. „Haß gegen +alle Menschen tobte in meiner Brust, brennender Haß besonders gegen +jene Nationen, die man die gebildeten nennt. Glaube mir, unter meinen +Moslemiten war mir wohler! Kaum war ich einige Monate in Alessandria, +als jene Landung meiner Landsleute erfolgte. + +Ich sah in ihnen nur die Henker meines Vaters und meines Bruders; darum +sammelte ich einige gleichgesinnte junge Leute meiner Bekanntschaft und +schloß mich jenen tapferen Mamelucken an, die so oft der Schrecken des +französischen Heeres wurden. Als der Feldzug beendigt war, konnte ich +mich nicht entschließen, zu den Künsten des Friedens zurückzukehren. +Ich lebte mit einer kleinen Anzahl gleichdenkender Freunde ein unstetes +und flüchtiges, dem Kampf und der Jagd geweihtes Leben; ich lebe +zufrieden unter diesen Leuten, die mich wie ihren Fürsten ehren; denn +wenn meine Asiaten auch nicht so gebildet sind wie Eure Europäer, so +sind sie doch weit entfernt von Neid und Verleumdung, von Selbstsucht +und Ehrgeiz.“ + +Zaleukos dankte dem Fremden für seine Mitteilung, aber er verbarg ihm +nicht, daß er es für seinen Stand, für seine Bildung angemessener +fände, wenn er in christlichen, in europäischen Ländern leben und +wirken würde. Er faßte seine Hand und bat ihn, mit ihm zu ziehen, bei +ihm zu leben und zu sterben. + +Gerührt sah ihn der Gastfreund an. „Daraus erkenne ich“, sagte er, „daß +du mir ganz vergeben hast, daß du mich liebst. Nimm meinen innigsten +Dank dafür!“ Er sprang auf und stand in seiner ganzen Größe vor dem +Griechen, dem vor dem kriegerischen Anstand, den dunkel blitzenden +Augen, der tiefen Stimme seines Gastes beinahe graute. „Dein Vorschlag +ist schön“, sprach jener weiter, „er möchte für jeden andern lockend +sein—ich kann ihn nicht benützen. Schon steht mein Roß gesattelt, +erwarten mich meine Diener; lebe wohl, Zaleukos!“ Die Freunde, die das +Schicksal so wunderbar zusammengeführt, umarmten sich zum Abschied. +„Und wie nenne ich dich? Wie heißt mein Gastfreund, der auf ewig in +meinem Gedächtnis leben wird?“ fragte der Grieche. + +Der Fremde sah ihn lange an, drückte ihm noch einmal die Hand und +sprach: „Man nennt mich den Herrn der Wüste; ich bin der Räuber +Orbasan.“ + + + + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MÄRCHEN-ALMANACH AUF DAS JAHR 1826 *** + +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the +United States without permission and without paying copyright +royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part +of this license, apply to copying and distributing Project +Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm +concept and trademark. 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Hart was the originator of the Project +Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be +freely shared with anyone. For forty years, he produced and +distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of +volunteer support. + +Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in +the U.S. unless a copyright notice is included. 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You may copy it, give it away or re-use it under the terms +of the Project Gutenberg License included with this eBook or online +at <a href="https://www.gutenberg.org">www.gutenberg.org</a>. If you +are not located in the United States, you will have to check the laws of the +country where you are located before using this eBook. +</div> +<div style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Title: Märchen-Almanach auf das Jahr 1826</div> +<div style='display:block; margin-top:1em; margin-bottom:1em; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Author: Wilhelm Hauff</div> +<div style='display:block; margin:1em 0'>Release Date: January 9, 2003 [eBook #6638]<br /> +[Most recently updated: July 31, 2021]</div> +<div style='display:block; margin:1em 0'>Language: German</div> +<div style='display:block; margin:1em 0'>Character set encoding: UTF-8</div> +<div style='display:block; margin-left:2em; text-indent:-2em'>Produced by: Mike Pullen</div> +<div style='margin-top:2em; margin-bottom:4em'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MÄRCHEN-ALMANACH AUF DAS JAHR 1826 ***</div> + +<h1>Märchen-Almanach auf das Jahr 1826</h1> + +<h2 class="no-break">Wilhelm Hauff</h2> + +<hr /> + +<h2>Inhalt</h2> + +<table summary="" style=""> + +<tr> +<td> <a href="#chap01">Märchen als Almanach</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap02">Die Karawane (Rahmenerzählung)</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap03">Die Geschichte vom Kalif Storch</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap04">Die Geschichte von dem Gespensterschiff</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap05">Die Geschichte von der abgehauenen Hand</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap06">Die Errettung Fatmes</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap07">Die Geschichte von dem kleinen Muck</a></td> +</tr> + +<tr> +<td> <a href="#chap08">Das Märchen vom falschen Prinzen</a></td> +</tr> + +</table> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap01"></a>Märchen als Almanach</h2> + +<p class="center"> +Wilhelm Hauff +</p> + +<p> +In einem schönen, fernen Reiche, von welchem die Sage lebt, daß die Sonne in +seinen ewig grünen Gärten niemals untergehe, herrschte von Anfang an bis heute +die Königin Phantasie. Mit vollen Händen spendete diese seit vielen +Jahrhunderten die Fülle des Segens über die Ihrigen und war geliebt, verehrt +von allen, die sie kannten. Das Herz der Königin war aber zu groß, als daß sie +mit ihren Wohltaten bei ihrem Lande stehen geblieben wäre; sie selbst, im +königlichen Schmuck ihrer ewigen Jugend und Schönheit, stieg herab auf die +Erde; denn sie hatte gehört, daß dort Menschen wohnen, die ihr Leben in +traurigem Ernst, unter Mühe und Arbeit hinbringen. Diesen hatte sie die +schönsten Gaben aus ihrem Reiche mitgebracht, und seit die schöne Königin durch +die Fluren der Erde gegangen war, waren die Menschen fröhlich bei der Arbeit, +heiter in ihrem Ernst. +</p> + +<p> +Auch ihre Kinder, nicht minder schön und lieblich als die königliche Mutter, +sandte sie aus, um die Menschen zu beglücken. Einst kam Märchen, die älteste +Tochter der Königin, von der Erde zurück. Die Mutter bemerkte, daß Märchen +traurig sei, ja, hier und da wollte ihr bedünken, als ob sie verweinte Augen +hätte. +</p> + +<p> +„Was hast du, liebes Märchen“, sprach die Königin zu ihr, „du +bist seit deiner Reise so traurig und niedergeschlagen, willst du deiner Mutter +nicht anvertrauen, was dir fehlt?“ +</p> + +<p> +„Ach, liebe Mutter“, antwortete Märchen, „ich hätte gewiß +nicht so lange geschwiegen, wenn ich nicht wüßte, daß mein Kummer auch der +deinige ist.“ +</p> + +<p> +„Sprich immer, meine Tochter“, bat die schöne Königin, „der +Gram ist ein Stein, der den einzelnen niederdrückt, aber zwei tragen ihn leicht +aus dem Wege.“ +</p> + +<p> +„Du willst es“, antwortete Märchen, „so höre: Du weißt, wie +gerne ich mit den Menschen umgehe, wie ich freudig auch bei dem Ärmsten vor +seiner Hütte sitze, um nach der Arbeit ein Stündchen mit ihm zu verplaudern; +sie boten mir auch sonst gleich freundlich die Hand zum Gruß, wenn ich kam, und +sahen mir lächelnd und zufrieden nach, wenn ich weiterging; aber in diesen +Tagen ist es gar nicht mehr so!“ +</p> + +<p> +„Armes Märchen!“ sprach die Königin und streichelte ihr die Wange, +die von einer Träne feucht war, „aber du bildest dir vielleicht dies +alles nur ein?“ +</p> + +<p> +„Glaube mir, ich fühle es nur zu gut“, entgegnete Märchen, +„sie lieben mich nicht mehr. Überall, wo ich hinkomme, begegnen mir kalte +Blicke; nirgends bin ich mehr gern gesehen; selbst die Kinder, die ich doch +immer so lieb hatte, lachen über mich und wenden mir altklug den Rücken +zu.“ +</p> + +<p> +Die Königin stützte die Stirne in die Hand und schwieg sinnend. +</p> + +<p> +„Und woher soll es denn“, fragte die Königin, „kommen, +Märchen, daß sich die Leute da unten so geändert haben?“ +</p> + +<p> +„Sieh, die Menschen haben kluge Wächter aufgestellt, die alles, was aus +deinem Reich kommt, o Königin Phantasie, mit scharfem Blicke mustern und +prüfen. Wenn nun einer kommt, der nicht nach ihrem Sinne ist, so erheben sie +ein großes Geschrei, schlagen ihn tot oder verleumden ihn doch so sehr bei den +Menschen, die ihnen aufs Wort glauben, daß man gar keine Liebe, kein Fünkchen +Zutrauen mehr findet. Ach, wie gut haben es meine Brüder, die Träume, fröhlich +und leicht hüpfen sie auf die Erde hinab, fragen nichts nach jenen klugen +Männern, besuchen die schlummernden Menschen und weben und malen ihnen, was das +Herz beglückt und das Auge erfreut!“ +</p> + +<p> +„Deine Brüder sind Leichtfüße“, sagte die Königin, „und du, +mein Liebling, hast keine Ursache, sie zu beneiden. Jene Grenzwächter kenne ich +übrigens wohl; die Menschen haben so unrecht nicht, sie aufzustellen; es kam so +mancher windige Geselle und tat, als ob er geradewegs aus meinem Reiche käme, +und doch hatte er höchstens von einem Berge zu uns herübergeschaut.“ +</p> + +<p> +„Aber warum lassen sie dies mich, deine eigene Tochter, entgelten“, +weinte Märchen. „Ach, wenn du wüßtest, wie sie es mit mir gemacht haben; +sie schalten mich eine alte Jungfer und drohten, mich das nächste Mal gar nicht +mehr hereinzulassen.“ „Wie, meine Tochter nicht mehr +einzulassen?“ rief die Königin, und Zorn rötete ihre Wangen. „Aber +ich sehe schon, woher dies kommt; die böse Muhme hat uns verleumdet!“ +</p> + +<p> +„Die Mode? Nicht möglich!“ rief Märchen, „sie tat ja sonst +immer so freundlich.“ +</p> + +<p> +„Oh! Ich kenne sie, die Falsche“, antwortete die Königin, +„aber versuche es ihr zum Trotze wieder, meine Tochter, wer Gutes tun +will, darf nicht rasten.“ +</p> + +<p> +„Ach, Mutter! Wenn sie mich dann ganz zurückweisen, oder wenn sie mich +verleumden, daß mich die Menschen nicht ansehen oder einsam und verachtet in +der Ecke stehen lassen?“ +</p> + +<p> +„Wenn die Alten, von der Mode betört, dich geringschätzen, so wende dich +an die Kleinen, wahrlich, sie sind meine Lieblinge, ihnen sende ich meine +lieblichsten Bilder durch deine Brüder, die Träume, ja, ich bin schon oft +selbst zu ihnen hinabgeschwebt, habe sie geherzt und geküßt und schöne Spiele +mit ihnen gespielt; sie kennen mich auch wohl, sie wissen zwar meinen Namen +nicht, aber ich habe schon oft bemerkt, wie sie nachts zu meinen Sternen +herauflächeln und morgens, wenn meine glänzenden Lämmer am Himmel ziehen, vor +Freuden die Hände zusammenschlagen. Auch wenn sie größer werden, lieben sie +mich noch, ich helfe dann den lieblichen Mädchen bunte Kränze flechten, und die +wilden Knaben werden stiller, wenn ich auf hoher Felsenspitze mich zu ihnen +setze, aus der Nebelwelt der fernen, blauen Berge hohe Burgen und glänzende +Paläste auftauchen lasse und aus den rötlichen Wolken des Abends kühne +Reiterscharen und wunderliche Wallfahrtszüge bilde.“ +</p> + +<p> +„O die guten Kinder!“ rief Märchen bewegt aus. „Ja, es sei! +Mit ihnen will ich es noch einmal versuchen.“ +</p> + +<p> +„Ja, du gute Tochter“, sprach die Königin, „gehe zu ihnen; +aber ich will dich auch ein wenig ordentlich ankleiden, daß du den Kleinen +gefällst und die Großen dich nicht zurückstoßen; siehe, das Gewand eines +Almanachs will ich dir geben.“ +</p> + +<p> +„Eines Almanachs, Mutter? Ach!—Ich schäme mich, so vor den Leuten +zu prangen.“ +</p> + +<p> +Die Königin winkte, und die Dienerinnen brachten das zierliche Gewand eines +Almanachs. Es war von glänzenden Farben und schöne Figuren eingewoben. +</p> + +<p> +Die Zofen flochten dem schönen Mädchen das lange Haar; sie banden ihr goldene +Sandalen unter die Füße und hingen ihr dann das Gewand um. +</p> + +<p> +Das bescheidene Märchen wagte nicht aufzublicken, die Mutter aber betrachtete +es mit Wohlgefallen und schloß es in ihre Arme. „Gehe hin“, sprach +sie zu der Kleinen, „mein Segen sei mit dir. Und wenn sie dich verachten +und höhnen, so kehre zurück zu mir, vielleicht, daß spätere Geschlechter, +getreuer der Natur, ihr Herz dir wieder zuwenden.“ +</p> + +<p> +Also sprach die Königin Phantasie. Märchen aber stieg hinab auf die Erde. Mit +pochendem Herzen nahte sie dem Ort, wo die klugen Wächter hauseten; sie senkte +das Köpfchen zur Erde, sie zog das schöne Gewand enger um sich her, und mit +zagendem Schritt nahte sie dem Tor. +</p> + +<p> +„Halt!“ rief eine tiefe, rauhe Stimme. „Wache heraus! Da +kommt ein neuer Almanach!“ +</p> + +<p> +Märchen zitterte, als sie dies hörte; viele ältliche Männer von finsterem +Aussehen stürzten hervor; sie hatten spitzige Federn in der Faust und hielten +sie dem Märchen entgegen. Einer aus der Schar schritt auf sie zu und packte sie +mit rauher Hand am Kinn. „Nur auch den Kopf aufgerichtet, Herr +Almanach“, schrie er, „daß man Ihm in den Augen ansiehet, ob er was +Rechtes ist oder nicht!“ +</p> + +<p> +Errötend richtete Märchen das Köpfchen in die Höhe und schlug das dunkle Auge +auf. +</p> + +<p> +„Das Märchen!“ riefen die Wächter und lachten aus vollem Hals, +„das Märchen! Haben wunder gemeint, was da käme! Wie kommst du nur in +diesen Rock?“ +</p> + +<p> +„Die Mutter hat ihn mir angezogen“, antwortete Märchen. „So? +Sie will dich bei uns einschwärzen? Nichts da! Hebe dich weg, mach, daß du +fortkommst!“ riefen die Wächter untereinander und erhoben die scharfen +Federn. +</p> + +<p> +„Aber ich will ja nur zu den Kindern“, bat Märchen, „dies +könnt ihr mir ja doch erlauben.“ +</p> + +<p> +„Läuft nicht schon genug solches Gesindel im Land umher?“ rief +einer der Wächter. „Sie schwatzen nur unseren Kindern dummes Zeug +vor.“ +</p> + +<p> +„Laßt uns sehen, was sie diesmal weiß!“ sprach ein anderer. +</p> + +<p> +„Nun ja“, riefen sie, „sag an, was du weißt, aber beeile +dich, denn wir haben nicht viele Zeit für dich!“ +</p> + +<p> +Märchen streckte die Hand aus und schrieb mit dem Zeigefinger viele Zeichen in +die Luft. Da sah man bunte Gestalten vorüberziehen; Karawanen mit schönen +Rossen, geschmückte Reiter, viele Zelte im Sand der Wüste; Vögel und Schiffe +auf stürmischen Meeren; stille Wälder und volkreiche Plätze und Straßen; +Schlachten und friedliche Nomaden, sie alle schwebten in belebten Bildern, in +buntem Gewimmel vorüber. +</p> + +<p> +Märchen hatte in dem Eifer, mit welchem sie die Bilder aufsteigen ließ, nicht +bemerkt, wie die Wächter des Tores nach und nach eingeschlafen waren. Eben +wollte sie neue Zeichen schreiben, als ein freundlicher Mann auf sie zutrat und +ihre Hand ergriff. „Siehe her, gutes Märchen“, sagte er, indem er +auf die Schlafenden zeigte, „für diese sind deine bunten Sachen nichts; +schlüpfe schnell durch das Tor; sie ahnen dann nicht, daß du im Lande bist, und +du kannst friedlich und unbemerkt deine Straße ziehen. Ich will dich zu meinen +Kindern führen; in meinem Hause geb’ ich dir ein stilles, freundliches +Plätzchen; dort kannst du wohnen und für dich leben; wenn dann meine Söhne und +Töchter gut gelernt haben, dürfen sie mit ihren Gespielen zu dir kommen und dir +zuhören. Willst du so?“ +</p> + +<p> +„Oh, wie gerne folge ich dir zu deinen lieben Kleinen; wie will ich mich +befleißen, ihnen zuweilen ein heiteres Stündchen zu machen!“ +</p> + +<p> +Der gute Mann nickte ihr freundlich zu und half ihr, über die Füße der +schlafenden Wächter hinüberzusteigen. Lächelnd sah sich Märchen um, als sie +hinüber war, und schlüpfte dann schnell in das Tor. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap02"></a>Die Karawane</h2> + +<p class="center"> +Wilhelm Hauff +</p> + +<p> +Es zog einmal eine große Karawane durch die Wüste. Auf der ungeheuren Ebene, wo +man nichts als Sand und Himmel sieht, hörte man schon in weiter Ferne die +Glocken der Kamele und die silbernen Röllchen der Pferde, eine dichte +Staubwolke, die ihr vorherging, verkündete ihre Nähe, und wenn ein Luftzug die +Wolke teilte, blendeten funkelnde Waffen und helleuchtende Gewänder das Auge. +So stellte sich die Karawane einem Manne dar, welcher von der Seite her auf sie +zuritt. Er ritt ein schönes arabisches Pferd, mit einer Tigerdecke behängt, an +dem hochroten Riemenwerk hingen silberne Glöckchen, und auf dem Kopf des +Pferdes wehte ein schöner Reiherbusch. Der Reiter sah stattlich aus, und sein +Anzug entsprach der Pracht seines Rosses; ein weißer Turban, reich mit Gold +bestickt, bedeckte das Haupt; der Rock und die weiten Beinkleider waren von +brennendem Rot, ein gekrümmtes Schwert mit reichem Griff an seiner Seite. Er +hatte den Turban tief ins Gesicht gedrückt; dies und die schwarzen Augen, die +unter buschigen Brauen hervorblitzten, der lange Bart, der unter der gebogenen +Nase herabhing, gaben ihm ein wildes, kühnes Aussehen. +</p> + +<p> +Als der Reiter ungefähr auf fünfzig Schritt dem Vortrab der Karawane nahe war, +spornte er sein Pferd an und war in wenigen Augenblicken an der Spitze des +Zuges angelangt. Es war ein so ungewöhnliches Ereignis, einen einzelnen Reiter +durch die Wüste ziehen zu sehen, daß die Wächter des Zuges, einen Überfall +befürchtend, ihm ihre Lanzen entgegenstreckten. +</p> + +<p> +„Was wollt ihr“, rief der Reiter, als er sich so kriegerisch +empfangen sah, „glaubt ihr, ein einzelner Mann werde eure Karawane +angreifen?“ +</p> + +<p> +Beschämt schwangen die Wächter ihre Lanzen wieder auf, ihr Anführer aber ritt +an den Fremden heran und fragte nach seinem Begehr. +</p> + +<p> +„Wer ist der Herr der Karawane?“ fragte der Reiter. +</p> + +<p> +„Sie gehört nicht einem Herrn“, antwortete der Gefragte, +„sondern es sind mehrere Kaufleute, die von Mekka in ihre Heimat ziehen +und die wir durch die Wüste geleiten, weil oft allerlei Gesindel die Reisenden +beunruhigt.“ +</p> + +<p> +„So führt mich zu den Kaufleuten“, begehrte der Fremde. +</p> + +<p> +„Das kann jetzt nicht geschehen“, antwortete der Führer, +„weil wir ohne Aufenthalt weiterziehen müssen und die Kaufleute +wenigstens eine Viertelstunde weiter hinten sind; wollt Ihr aber mit mir +weiterreiten, bis wir lagern, um Mittagsruhe zu halten, so werde ich Eurem +Wunsch willfahren.“ +</p> + +<p> +Der Fremde sagte hierauf nichts; er zog eine lange Pfeife, die er am Sattel +festgebunden hatte, hervor und fing an in großen Zügen zu rauchen, indem er +neben dem Anführer des Vortrabs weiterritt. Dieser wußte nicht, was er aus dem +Fremden machen sollte; er wagte es nicht, ihn geradezu nach seinem Namen zu +fragen, und so künstlich er auch ein Gespräch anzuknüpfen suchte, der Fremde +hatte auf das: „Ihr raucht da einen guten Tabak“, oder: „Euer +Rapp’ hat einen braven Schritt“, immer nur mit einem kurzen +„Ja, ja!“ geantwortet. +</p> + +<p> +Endlich waren sie auf dem Platz angekommen, wo man Mittagsruhe halten wollte. +Der Anführer hatte seine Leute als Wachen aufgestellt; er selbst hielt mit dem +Fremden, um die Karawane herankommen zu lassen. Dreißig Kamele, schwer beladen, +zogen vorüber, von bewaffneten Führern geleitet. Nach diesen kamen auf schönen +Pferden die fünf Kaufleute, denen die Karawane gehörte. Es waren meistens +Männer von vorgerücktem Alter, ernst und gesetzt aussehend, nur einer schien +viel jünger als die übrigen, wie auch froher und lebhafter. Eine große Anzahl +Kamele und Packpferde schloß den Zug. +</p> + +<p> +Man hatte Zelte aufgeschlagen und die Kamele und Pferde rings umhergestellt. In +der Mitte war ein großes Zelt von blauem Seidenzeug. Dorthin führte der +Anführer der Wache den Fremden. Als sie durch den Vorhang des Zeltes getreten +waren, sahen sie die fünf Kaufleute auf goldgewirkten Polstern sitzen; schwarze +Sklaven reichten ihnen Speise und Getränke. „Wen bringt Ihr uns +da?“ rief der junge Kaufmann dem Führer zu. +</p> + +<p> +Ehe noch der Führer antworten konnte, sprach der Fremde: „Ich heiße Selim +Baruch und bin aus Bagdad; ich wurde auf einer Reise nach Mekka von einer +Räuberhorde gefangen und habe mich vor drei Tagen heimlich aus der +Gefangenschaft befreit. Der große Prophet ließ mich die Glocken eurer Karawane +in weiter Ferne hören, und so kam ich bei euch an. Erlaubet mir, daß ich in +eurer Gesellschaft reise! Ihr werdet euren Schutz keinem Unwürdigen schenken, +und so ihr nach Bagdad kommet, werde ich eure Güte reichlich belohnen denn ich +bin der Neffe des Großwesirs.“ +</p> + +<p> +Der älteste der Kaufleute nahm das Wort: „Selim Baruch“, sprach er, +„sei willkommen in unserem Schatten. Es macht uns Freude, dir +beizustehen; vor allem aber setze dich und iß und trinke mit uns.“ +</p> + +<p> +Selim Baruch setzte sich zu den Kaufleuten und aß und trank mit ihnen. Nach dem +Essen räumten die Sklaven die Geschirre hinweg und brachten lange Pfeifen und +türkischen Sorbet. Die Kaufleute saßen lange schweigend, indem sie die +bläulichen Rauchwolken vor sich hinbliesen und zusahen, wie sie sich ringelten +und verzogen und endlich in die Luft verschwebten. Der junge Kaufmann brach +endlich das Stillschweigen: „So sitzen wir seit drei Tagen“, sprach +er, „zu Pferd und am Tisch, ohne uns durch etwas die Zeit zu vertreiben. +Ich verspüre gewaltig Langeweile, denn ich bin gewohnt, nach Tisch Tänzer zu +sehen oder Gesang und Musik zu hören. Wißt ihr gar nichts, meine Freunde, das +uns die Zeit vertreibt?“ +</p> + +<p> +Die vier älteren Kaufleute rauchten fort und schienen ernsthaft nachzusinnen, +der Fremde aber sprach: „Wenn es mir erlaubt ist, will ich euch einen +Vorschlag machen. Ich meine, auf jedem Lagerplatz könnte einer von uns den +anderen etwas erzählen. Dies könnte uns schon die Zeit vertreiben.“ +</p> + +<p> +„Selim Baruch, du hast wahr gesprochen“, sagte Achmet, der älteste +der Kaufleute, „laßt uns den Vorschlag annehmen.“ +</p> + +<p> +„Es freut mich, wenn euch der Vorschlag behagt“, sprach Selim, +„damit ihr aber sehet, daß ich nichts Unbilliges verlange, so will ich +den Anfang machen.“ +</p> + +<p> +Vergnügt rückten die fünf Kaufleute näher zusammen und ließen den Fremden in +ihrer Mitte sitzen. Die Sklaven schenkten die Becher wieder voll, stopften die +Pfeifen ihrer Herren frisch und brachten glühende Kohlen zum Anzünden. Selim +aber erfrischte seine Stimme mit einem tüchtigen Zuge Sorbet, strich den langen +Bart über dem Mund weg und sprach: +</p> + +<p> +„So hört denn die Geschichte vom Kalif Storch.“ +</p> + +<p> +Als Selim Baruch seine Geschichte beendet hatte, bezeugten sich die Kaufleute +sehr zufrieden damit. „Wahrhaftig, der Nachmittag ist uns vergangen, ohne +daß wir merkten wie!“ sagte einer derselben, indem er die Decke des +Zeltes zurückschlug. „Der Abendwind wehet kühl, und wir könnten noch eine +gute Strecke Weges zurücklegen.“ Seine Gefährten waren damit +einverstanden, die Zelte wurden abgebrochen, und die Karawane machte sich in +der nämlichen Ordnung, in welcher sie herangezogen war, auf den Weg. +</p> + +<p> +Sie ritten beinahe die ganze Nacht hindurch, denn es war schwül am Tage, die +Nacht aber war erquicklich und sternhell. Sie kamen endlich an einem bequemen +Lagerplatz an, schlugen die Zelte auf und legten sich zur Ruhe. Für den Fremden +aber sorgten die Kaufleute, wie wenn er ihr wertester Gastfreund wäre. Der eine +gab ihm Polster, der andere Decken, ein dritter gab ihm Sklaven, kurz, er wurde +so gut bedient, als ob er zu Hause wäre. Die heißeren Stunden des Tages waren +schon heraufgekommen, als sie sich wieder erhoben, und sie beschlossen +einmütig, hier den Abend abzuwarten. Nachdem sie miteinander gespeist hatten, +rückten sie wieder näher zusammen, und der junge Kaufmann wandte sich an den +ältesten und sprach: „Selim Baruch hat uns gestern einen vergnügten +Nachmittag bereitet, wie wäre es, Achmet, wenn Ihr uns auch etwas erzähltet, +sei es nun aus Eurem langen Leben, das wohl viele Abenteuer aufzuweisen hat, +oder sei es auch ein hübsches Märchen.“ Achmet schwieg auf diese Anrede +eine Zeitlang, wie wenn er bei sich im Zweifel wäre, ob er dies oder jenes +sagen sollte oder nicht; endlich fing er an zu sprechen: +</p> + +<p> +„Liebe Freunde! Ihr habt euch auf dieser unserer Reise als treue Gesellen +erprobt, und auch Selim verdient mein Vertrauen; daher will ich euch etwas aus +meinem Leben mitteilen, das ich sonst ungern und nicht jedem erzähle: die +Geschichte von dem Gespensterschiff.“ +</p> + +<p> +Die Reise der Karawane war den anderen Tag ohne Hindernis fürder gegangen, und +als man im Lagerplatz sich erholt hatte, begann Selim, der Fremde, zu Muley, +dem jüngsten der Kaufleute, also zu sprechen: +</p> + +<p> +„Ihr seid zwar der Jüngste von uns, doch seid Ihr immer fröhlich und wißt +für uns gewiß irgendeinen guten Schwank. Tischet ihn auf, daß er uns erquicke +nach der Hitze des Tages!“ +</p> + +<p> +„Wohl möchte ich euch etwas erzählen“, antwortete Muley, „das +euch Spaß machen könnte, doch der Jugend ziemt Bescheidenheit in allen Dingen; +darum müssen meine älteren Reisegefährten den Vorrang haben. Zaleukos ist immer +so ernst und verschlossen, sollte er uns nicht erzählen, was sein Leben so +ernst machte? Vielleicht, daß wir seinen Kummer, wenn er solchen hat, lindern +können; denn gerne dienen wir dem Bruder, wenn er auch anderen Glaubens +ist.“ +</p> + +<p> +Der Aufgerufene war ein griechischer Kaufmann, ein Mann in mittleren Jahren, +schön und kräftig, aber sehr ernst. Ob er gleich ein Ungläubiger (nicht +Muselmann) war, so liebten ihn doch seine Reisegefährten, denn er hatte durch +sein ganzes Wesen Achtung und Zutrauen eingeflößt. Er hatte übrigens nur eine +Hand, und einige seiner Gefährten vermuteten, daß vielleicht dieser Verlust ihn +so ernst stimme. +</p> + +<p> +Zaleukos antwortete auf die zutrauliche Frage Muleys: „Ich bin sehr +geehrt durch euer Zutrauen; Kummer habe ich keinen, wenigstens keinen, von +welchem ihr auch mit dem besten Willen mir helfen könntet. Doch weil Muley mir +meinen Ernst vorzuwerfen scheint, so will ich euch einiges erzählen, was mich +rechtfertigen soll, wenn ich ernster bin als andere Leute. Ihr sehet, daß ich +meine linke Hand verloren habe. Sie fehlt mir nicht von Geburt an, sondern ich +habe sie in den schrecklichsten Tagen meines Lebens eingebüßt. Ob ich die +Schuld davon trage, ob ich unrecht habe, seit jenen Tagen ernster, als es meine +Lage mit sich bringt, zu sein, möget ihr beurteilen, wenn ihr vernommen habt +die Geschichte von der abgehauenen Hand.“ +</p> + +<p> +Zaleukos, der griechische Kaufmann, hatte seine Geschichte geendigt. Mit großer +Teilnahme hatten ihm die übrigen zugehört, besonders der Fremde schien sehr +davon ergriffen zu sein; er hatte einigemal tief geseufzt, und Muley schien es +sogar, als habe er einmal Tränen in den Augen gehabt. Sie besprachen sich noch +lange Zeit über diese Geschichte. +</p> + +<p> +„Und haßt Ihr den Unbekannten nicht, der Euch so schnöd’ um ein so +edles Glied Eures Körpers, der selbst Euer Leben in Gefahr brachte?“ +fragte der Fremde. +</p> + +<p> +„Wohl gab es in früherer Zeit Stunden“, antwortete der Grieche, +„in denen mein Herz ihn vor Gott angeklagt, daß er diesen Kummer über +mich gebracht und mein Leben vergiftet habe; aber ich fand Trost in dem Glauben +meiner Väter, und dieser befiehlt mir, meine Feinde zu lieben; auch ist er wohl +noch unglücklicher als ich.“ +</p> + +<p> +„Ihr seid ein edler Mann!“ rief der Fremde und drückte gerührt dem +Griechen die Hand. +</p> + +<p> +Der Anführer der Wache unterbrach sie aber in ihrem Gespräch. Er trat mit +besorgter Miene in das Zelt und berichtete, daß man sich nicht der Ruhe +überlassen dürfe; denn hier sei die Stelle, wo gewöhnlich die Karawanen +angegriffen würden, auch glaubten seine Wachen, in der Entfernung mehrere +Reiter zu sehen. +</p> + +<p> +Die Kaufleute waren sehr bestürzt über diese Nachricht; Selim, der Fremde, aber +wunderte sich über ihre Bestürzung und meinte, daß sie so gut geschätzt wären, +daß sie einen Trupp räuberischer Araber nicht zu fürchten brauchten. +</p> + +<p> +„Ja, Herr!“ entgegnete ihm der Anführer der Wache. „Wenn es +nur solches Gesindel wäre, könnte man sich ohne Sorge zur Ruhe legen; aber seit +einiger Zeit zeigt sich der furchtbare Orbasan wieder, und da gilt es, auf +seiner Hut zu sein.“ +</p> + +<p> +Der Fremde fragte, wer denn dieser Orbasan sei, und Achmet, der alte Kaufmann, +antwortete ihm: „Es gehen allerlei Sagen unter dem Volke über diesen +wunderbaren Mann. Die einen halten ihn für ein übermenschliches Wesen, weil er +oft mit fünf bis sechs Männern zumal einen Kampf besteht, andere halten ihn für +einen tapferen Franken, den das Unglück in diese Gegend verschlagen habe; von +allem aber ist nur so viel gewiß, daß er ein verruchter Mörder und Dieb +ist.“ +</p> + +<p> +„Das könnt Ihr aber doch nicht behaupten“, entgegnete ihm Lezah, +einer der Kaufleute. „Wenn er auch ein Räuber ist, so ist er doch ein +edler Mann, und als solcher hat er sich an meinem Bruder bewiesen, wie ich Euch +erzählen könnte. Er hat seinen ganzen Stamm zu geordneten Menschen gemacht, und +so lange er die Wüste durchstreift, darf kein anderer Stamm es wagen, sich +sehen zu lassen. Auch raubt er nicht wie andere, sondern er erhebt nur ein +Schutzgeld von den Karawanen, und wer ihm dieses willig bezahlt, der ziehet +ungefährdet weiter; denn Orbasan ist der Herr der Wüste.“ +</p> + +<p> +Also sprachen unter sich die Reisenden im Zelte; die Wachen aber, die um den +Lagerplatz ausgestellt waren, begannen unruhig zu werden. Ein ziemlich +bedeutender Haufe bewaffneter Reiter zeigte sich in der Entfernung einer halben +Stunde; sie schienen gerade auf das Lager zuzureiten. Einer der Männer von der +Wache ging daher in das Zelt, um zu verkünden, daß sie wahrscheinlich +angegriffen würden. Die Kaufleute berieten sich untereinander, was zu tun sei, +ob man ihnen entgegengehen oder den Angriff abwarten solle. Achmet und die zwei +älteren Kaufleute wollten das letztere, der feurige Muley aber und Zaleukos +verlangten das erstere und riefen den Fremden zu ihrem Beistand auf. Dieser zog +ruhig ein kleines, blaues Tuch mit roten Sternen aus seinem Gürtel hervor, band +es an eine Lanze und befahl einem der Sklaven, es auf das Zelt zu stecken; er +setze sein Leben zum Pfand, sagte er, die Reiter werden, wenn sie dieses +Zeichen sehen, ruhig vorüberziehen. Muley glaubte nicht an den Erfolg, der +Sklave aber steckte die Lanze auf das Zelt. Inzwischen hatten alle, die im +Lager waren, zu den Waffen gegriffen und sahen in gespannter Erwartung den +Reitern entgegen. Doch diese schienen das Zeichen auf dem Zelte erblickt zu +haben, sie wichen plötzlich von ihrer Richtung auf das Lager ab und zogen in +einem großen Bogen auf der Seite hin. +</p> + +<p> +Verwundert standen einige Augenblicke die Reisenden und sahen bald auf die +Reiter, bald auf den Fremden. Dieser stand ganz gleichgültig, wie wenn nichts +vorgefallen wäre, vor dem Zelte und blickte über die Ebene hin. Endlich brach +Muley das Stillschweigen. „Wer bist du, mächtiger Fremdling“, rief +er aus, „der du die wilden Horden der Wüste durch einen Wink +bezähmst?“ +</p> + +<p> +„Ihr schlagt meine Kunst höher an, als sie ist“, antwortete Selim +Baruch. „Ich habe mich mit diesem Zeichen versehen, als ich der +Gefangenschaft entfloh; was es zu bedeuten hat, weiß ich selbst nicht; nur so +viel weiß ich, daß, wer mit diesem Zeichen reiset, unter mächtigem Schutze +steht.“ +</p> + +<p> +Die Kaufleute dankten dem Fremden und nannten ihn ihren Erretter. Wirklich war +auch die Anzahl der Reiter so groß gewesen, daß wohl die Karawane nicht lange +hätte Widerstand leisten können. +</p> + +<p> +Mit leichterem Herzen begab man sich jetzt zur Ruhe, und als die Sonne zu +sinken begann und der Abendwind über die Sandebene hinstrich, brachen sie auf +und zogen weiter. +</p> + +<p> +Am nächsten Tage lagerten sie ungefähr nur noch eine Tagreise von dem Ausgang +der Wüste entfernt. Als sich die Reisenden wieder in dem großen Zelt versammelt +hatten, nahm Lezah, der Kaufmann, das Wort: +</p> + +<p> +„Ich habe euch gestern gesagt, daß der gefürchtete Orbasan ein edler Mann +sei, erlaubt mir, daß ich es euch heute durch die Erzählung der Schicksale +meines Bruders beweise. Mein Vater war Kadi in Akara. Er hatte drei Kinder. Ich +war der Älteste, ein Bruder und eine Schwester waren bei weitem jünger als ich. +Als ich zwanzig Jahre alt war, rief mich ein Bruder meines Vaters zu sich. Er +setzte mich zum Erben seiner Güter ein, mit der Bedingung, daß ich bis zu +seinem Tode bei ihm bleibe. Aber er erreichte ein hohes Alter, so daß ich erst +vor zwei Jahren in meine Heimat zurückkehrte und nichts davon wußte, welch +schreckliches Schicksal indes mein Haus betroffen und wie gütig Allah es +gewendet hatte.“ Die Errettung Fatmes +</p> + +<p> +Die Karawane hatte das Ende der Wüste erreicht, und fröhlich begrüßten die +Reisenden die grünen Matten und die dichtbelaubten Bäume, deren lieblichen +Anblick sie viele Tage entbehrt hatten. In einem schönen Tale lag eine +Karawanserei, die sie sich zum Nachtlager wählten, und obgleich sie wenig +Bequemlichkeit und Erfrischung darbot, so war doch die ganze Gesellschaft +heiterer und zutraulicher als je; denn der Gedanke, den Gefahren und +Beschwerlichkeiten, die eine Reise durch die Wüste mit sich bringt, entronnen +zu sein, hatte alle Herzen geöffnet und die Gemüter zu Scherz und Kurzweil +gestimmt. Muley, der junge lustige Kaufmann, tanzte einen komischen Tanz und +sang Lieder dazu, die selbst dem ernsten Griechen Zaleukos ein Lächeln +entlockten. Aber nicht genug, daß er seine Gefährten durch Tanz und Spiel +erheitert hatte, er gab ihnen auch noch die Geschichte zum besten, die er ihnen +versprochen hatte, und hub, als er von seinen Luftsprüngen sich erholt hatte, +also zu erzählen an: Die Geschichte von dem kleinen Muck. +</p> + +<p> +„So erzählte mir mein Vater; ich bezeugte ihm meine Reue über mein rohes +Betragen gegen den guten kleinen Mann, und mein Vater schenkte mir die andere +Hälfte der Strafe, die er mir zugedacht hatte. Ich erzählte meinen Kameraden +die wunderbaren Schicksale des Kleinen, und wir gewannen ihn so lieb, daß ihn +keiner mehr schimpfte. Im Gegenteil, wir ehrten ihn, solange er lebte, und +haben uns vor ihm immer so tief wie vor Kadi und Mufti gebückt.“ +</p> + +<p> +Die Reisenden beschlossen, einen Rasttag in dieser Karawanserei zu machen, um +sich und die Tiere zur weiteren Reise zu stärken. Die gestrige Fröhlichkeit +ging auch auf diesen Tag über, und sie ergötzten sich in allerlei Spielen. Nach +dem Essen aber riefen sie dem fünften Kaufmann, Ali Sizah, zu, auch seine +Schuldigkeit gleich den übrigen zu tun und eine Geschichte zu erzählen. Er +antwortete, sein Leben sei zu arm an auffallenden Begebenheiten, als daß er +ihnen etwas davon mitteilen möchte, daher wolle er ihnen etwas anderes +erzählen, nämlich: Das Märchen vom falschen Prinzen. +</p> + +<p> +Mit Sonnenaufgang brach die Karawane auf und gelangte bald nach Birket el Had +oder dem Pilgrimsbrunnen, von wo es nur noch drei Stunden Weges nach Kairo +waren—Man hatte um diese Zeit die Karawane erwartet, und bald hatten die +Kaufleute die Freude, ihre Freunde aus Kairo ihnen entgegenkommen zu sehen. Sie +zogen in die Stadt durch das Tor Bebel Falch; denn es wird für eine glückliche +Vorbedeutung gehalten, wenn man von Mekka kommt, durch dieses Tor einzuziehen, +weil der Prophet hindurchgezogen ist. +</p> + +<p> +Auf dem Markt verabschiedeten sich die vier türkischen Kaufleute von dem +Fremden und dem griechischen Kaufmann Zaleukos und gingen mit ihren Freunden +nach Haus. Zaleukos aber zeigte dem Fremden eine gute Karawanserei und lud ihn +ein, mit ihm das Mittagsmahl zu nehmen. Der Fremde sagte zu und versprach, wenn +er nur vorher sich umgekleidet habe, zu erscheinen. +</p> + +<p> +Der Grieche hatte alle Anstalten getroffen, den Fremden, welchen er auf der +Reise liebgewonnen hatte, gut zu bewirten, und als die Speisen und Getränke in +gehöriger Ordnung aufgestellt waren, setzte er sich, seinen Gast zu erwarten. +</p> + +<p> +Langsam und schweren Schrittes hörte er ihn den Gang, der zu seinem Gemach +führte, heraufkommen. Er erhob sich, um ihm freundlich entgegenzusehen und ihn +an der Schwelle zu bewillkommnen; aber voll Entsetzen fuhr er zurück, als er +die Türe öffnete; denn jener schreckliche Rotmantel trat ihm entgegen; er warf +noch einen Blick auf ihn, es war keine Täuschung; dieselbe hohe, gebietende +Gestalt, die Larve, aus welcher ihn die dunklen Augen anblitzten, der rote +Mantel mit der goldenen Stickerei waren ihm nur allzuwohl bekannt aus den +schrecklichsten Stunden seines Lebens. +</p> + +<p> +Widerstreitende Gefühle wogten in Zaleukos Brust; er hatte sich mit diesem Bild +seiner Erinnerung längst ausgesöhnt und ihm vergeben, und doch riß sein Anblick +alle seine Wunden wieder auf; alle jene qualvollen Stunden der Todesangst, +jener Gram, der die Blüte seines Lebens vergiftete, zogen im Flug eines +Augenblicks an seiner Seele vorüber. +</p> + +<p> +„Was willst du, Schrecklicher?“ rief der Grieche aus, als die +Erscheinung noch immer regungslos auf der Schwelle stand. „Weiche schnell +von hinnen, daß ich dir nicht fluche!“ +</p> + +<p> +„Zaleukos!“ sprach eine bekannte Stimme unter der Larve hervor. +„Zaleukos! So empfängst du deinen Gastfreund?“ Der Sprechende nahm +die Larve ab, schlug den Mantel zurück; es war Selim Baruch, der Fremde. +</p> + +<p> +Aber Zaleukos schien noch nicht beruhigt, ihm graute vor dem Fremden; denn nur +zu deutlich hatte er in ihm den Unbekannten von der Ponte vecchio erkannt; aber +die alte Gewohnheit der Gastfreundschaft siegte; er winkte schweigend dem +Fremden, sich zu ihm ans Mahl zu setzen. +</p> + +<p> +„Ich errate deine Gedanken“, nahm dieser das Wort, als sie sich +gesetzt hatten. „Deine Augen sehen fragend auf mich—ich hätte +schweigen und mich deinen Blicken nie mehr zeigen können, aber ich bin dir +Rechenschaft schuldig, und darum wagte ich es auch, auf die Gefahr hin, daß du +mir fluchtest, vor dir in meiner alten Gestalt zu erscheinen. Du sagtest einst +zu mir: Der Glaube meiner Väter befiehlt mir, ihn zu lieben, auch ist er wohl +unglücklicher als ich; glaube dieses, mein Freund, und höre meine +Rechtfertigung! +</p> + +<p> +Ich muß weit ausholen, um mich dir ganz verständlich zu machen. Ich bin in +Alessandria von christlichen Eltern geboren. Mein Vater, der jüngere Sohn eines +alten, berühmten französischen Hauses, war Konsul seines Landes in Alessandria. +Ich wurde von meinem zehnten Jahre an in Frankreich bei einem Bruder meiner +Mutter erzogen und verließ erst einige Jahre nach dem Ausbruch der Revolution +mein Vaterland, um mit meinem Oheim, der in dem Lande seiner Ahnen nicht mehr +sicher war, über dem Meer bei meinen Eltern eine Zuflucht zu suchen. Voll +Hoffnung, die Ruhe und den Frieden, den uns das empörte Volk der Franzosen +entrissen, im elterlichen Hause wiederzufinden, landeten wir. Aber ach! Ich +fand nicht alles in meines Vaters Hause, wie es sein sollte; die äußeren Stürme +der bewegten Zeit waren zwar noch nicht bis hierher gelangt, desto unerwarteter +hatte das Unglück mein Haus im innersten Herzen heimgesucht. Mein Bruder, ein +junger, hoffnungsvoller Mann, erster Sekretär meines Vaters, hatte sich erst +seit kurzem mit einem jungen Mädchen, der Tochter eines florentinischen +Edelmanns, der in unserer Nachbarschaft wohnte, verheiratet; zwei Tage vor +unserer Ankunft war diese auf einmal verschwunden, ohne daß weder unsere +Familie noch ihr Vater die geringste Spur von ihr auffinden konnten. Man +glaubte endlich, sie habe sich auf einem Spaziergang zu weit gewagt und sei in +Räuberhände gefallen. Beinahe tröstlicher wäre dieser Gedanke für meinen armen +Bruder gewesen als die Wahrheit, die uns nur bald kund wurde. Die Treulose +hatte sich mit einem jungen Neapolitaner, den sie im Hause ihres Vaters +kennengelernt hatte, eingeschifft. Mein Bruder, aufs äußerste empört über +diesen Schritt, bot alles auf, die Schuldige zur Strafe zu ziehen; doch +vergebens; seine Versuche, die in Neapel und Florenz Aufsehen erregt hatten, +dienten nur dazu, sein und unser aller Unglück zu vollenden. Der florentinische +Edelmann reiste in sein Vaterland zurück, zwar mit dem Vorgeben, meinem Bruder +Recht zu verschaffen, der Tat nach aber, um uns zu verderben. Er schlug in +Florenz alle jene Untersuchungen, welche mein Bruder angeknüpft hatte, nieder +und wußte seinen Einfluß, den er auf alle Art sich verschafft hatte, so gut zu +benützen, daß mein Vater und mein Bruder ihrer Regierung verdächtig gemacht und +durch die schändlichsten Mittel gefangen, nach Frankreich geführt und dort vom +Beil des Henkers getötet wurden. Meine arme Mutter verfiel in Wahnsinn, und +erst nach zehn langen Monaten erlöste sie der Tod von ihrem schrecklichen +Zustand, der aber in den letzten Tagen zu vollem, klarem Bewußtsein geworden +war. So stand ich jetzt ganz allein in der Welt, aber nur ein Gedanke +beschäftigte meine Seele, nur ein Gedanke ließ mich meine Trauer vergessen, es +war jene mächtige Flamme, die meine Mutter in ihrer letzten Stunde in mir +angefacht hatte. +</p> + +<p> +In den letzten Stunden war, wie ich dir sagte, ihr Bewußtsein zurückgekehrt; +sie ließ mich rufen und sprach mit Ruhe von unserem Schicksal und ihrem Ende. +Dann aber ließ sie alle aus dem Zimmer gehen, richtete sich mit feierlicher +Miene von ihrem ärmlichen Lager auf und sagte, ich könne mir ihren Segen +erwerben, wenn ich ihr schwöre, etwas auszuführen, das sie mir auftragen +würde—Ergriffen von den Worten der sterbenden Mutter, gelobte ich mit +einem Eide zu tun, wie sie mir sagen werde. Sie brach nun in Verwünschungen +gegen den Florentiner und seine Tochter aus und legte mir mit den +fürchterlichsten Drohungen ihres Fluches auf, mein unglückliches Haus an ihm zu +rächen. Sie starb in meinen Armen. Jener Gedanke der Rache hatte schon lange in +meiner Seele geschlummert; jetzt erwachte er mit aller Macht. Ich sammelte den +Rest meines väterlichen Vermögens und schwor mir, alles an meine Rache zu +setzen oder selbst mit unterzugehen. +</p> + +<p> +Bald war ich in Florenz, wo ich mich so geheim als möglich aufhielt; mein Plan +war um vieles erschwert worden durch die Lage, in welcher sich meine Feinde +befanden. Der alte Florentiner war Gouverneur geworden und hatte so alle Mittel +in der Hand, sobald er das geringste ahnte, mich zu verderben. Ein Zufall kam +mir zu Hilfe. Eines Abends sah ich einen Menschen in bekannter Livree durch die +Straßen gehen; sein unsicherer Gang, sein finsterer Blick und das halblaut +herausgestoßene „Santo sacramento“, „Maledetto diavolo“ +ließen mich den alten Pietro, einen Diener des Florentiners, den ich schon in +Alessandria gekannt hatte, erkennen. Ich war nicht in Zweifel, daß er über +seinen Herrn in Zorn geraten sei, und beschloß, seine Stimmung zu benützen. Er +schien sehr überrascht, mich hier zu sehen, klagte mir sein Leiden, daß er +seinem Herrn, seit er Gouverneur geworden, nichts mehr recht machen könne, und +mein Gold, unterstützt von seinem Zorn, brachte ihn bald auf meine Seite. Das +Schwierigste war jetzt beseitigt; ich hatte einen Mann in meinem Solde, der mir +zu jeder Stunde die Türe meines Feindes öffnete, und nun reifte mein Racheplan +immer schneller heran. Das Leben des alten Florentiners schien mir ein zu +geringes Gewicht, dem Untergang meines Hauses gegenüber, zu haben. Sein +Liebstes mußte er gemordet sehen, und dies war Bianka, seine Tochter. Hatte ja +sie so schändlich an meinem Bruder gefrevelt, war ja doch sie die Ursache +unseres Unglücks. Gar erwünscht kam sogar meinem rachedürstigen Herzen die +Nachricht, daß in dieser Zeit Bianka zum zweitenmal sich vermählen wollte, es +war beschlossen, sie mußte sterben. Aber mir selbst graute vor der Tat, und +auch Pietro traute sich zu wenig Kraft zu; darum spähten wir umher nach einem +Mann, der das Geschäft vollbringen könne. Unter den Florentinern wagte ich +keinen zu dingen, denn gegen den Gouverneur würde keiner etwas Solches +unternommen haben. Da fiel Pietro der Plan ein, den ich nachher ausgeführt +habe; zugleich schlug er dich als Fremden und Arzt als den Tauglichsten vor. +Den Verlauf der Sache weißt du. Nur an deiner großen Vorsicht und Ehrlichkeit +schien mein Unternehmen zu scheitern. Daher der Zufall mit dem Mantel. +</p> + +<p> +Pietro öffnete uns das Pförtchen an dem Palast des Gouverneurs; er hätte uns +auch ebenso heimlich wieder hinausgeleitet, wenn wir nicht, durch den +schrecklichen Anblick, der sich uns durch die Türspalte darbot, erschreckt, +entflohen wären. Von Schrecken und Reue gejagt, war ich über zweihundert +Schritte fortgerannt, bis ich auf den Stufen einer Kirche niedersank. Dort erst +sammelte ich mich wieder, und mein erster Gedanke warst du und dein +schreckliches Schicksal, wenn man dich in dem Hause fände. Ich schlich an den +Palast, aber weder von Pietro noch von dir konnte ich eine Spur entdecken; das +Pförtchen aber war offen, so konnte ich wenigstens hoffen, daß du die +Gelegenheit zur Flucht benützt haben könntest. +</p> + +<p> +Als aber der Tag anbrach, ließ mich die Angst vor der Entdeckung und ein +unabweisbares Gefühl von Reue nicht mehr in den Mauern von Florenz. Ich eilte +nach Rom. Aber denke dir meine Bestürzung, als man dort nach einigen Tagen +überall diese Geschichte erzählte mit dem Beisatz, man habe den Mörder, einen +griechischen Arzt, gefangen. Ich kehrte in banger Besorgnis nach Florenz +zurück; denn schien mir meine Rache schon vorher zu stark, so verfluchte ich +sie jetzt, denn sie war mir durch dein Leben allzu teuer erkauft. Ich kam an +demselben Tage an, der dich der Hand beraubte. Ich schweige von dem, was ich +fühlte, als ich dich das Schafott besteigen und so heldenmütig leiden sah. Aber +damals, als dein Blut in Strömen aufspritzte, war der Entschluß fest in mir, +dir deine übrigen Lebenstage zu versüßen. Was weiter geschehen ist, weißt du, +nur das bleibt mir noch zu sagen übrig, warum ich diese Reise mit dir machte. +</p> + +<p> +Als eine schwere Last drückte mich der Gedanke, daß du mir noch immer nicht +vergeben habest; darum entschloß ich mich, viele Tage mit dir zu leben und dir +endlich Rechenschaft abzulegen von dem, was ich mit dir getan.“ +</p> + +<p> +Schweigend hatte der Grieche seinen Gast angehört; mit sanftem Blick bot er +ihm, als er geendet hatte, seine Rechte. „Ich wußte wohl, daß du +unglücklicher sein müßtest als ich, denn jene grausame Tat wird wie eine dunkle +Wolke ewig deine Tage verfinstern; ich vergebe dir von Herzen. Aber erlaube mir +noch eine Frage: Wie kommst du unter dieser Gestalt in die Wüste? Was fingst du +an, nachdem du in Konstantinopel mir das Haus gekauft hattest?“ +</p> + +<p> +„Ich ging nach Alessandria zurück“, antwortete der Gefragte. +„Haß gegen alle Menschen tobte in meiner Brust, brennender Haß besonders +gegen jene Nationen, die man die gebildeten nennt. Glaube mir, unter meinen +Moslemiten war mir wohler! Kaum war ich einige Monate in Alessandria, als jene +Landung meiner Landsleute erfolgte. +</p> + +<p> +Ich sah in ihnen nur die Henker meines Vaters und meines Bruders; darum +sammelte ich einige gleichgesinnte junge Leute meiner Bekanntschaft und schloß +mich jenen tapferen Mamelucken an, die so oft der Schrecken des französischen +Heeres wurden. Als der Feldzug beendigt war, konnte ich mich nicht +entschließen, zu den Künsten des Friedens zurückzukehren. Ich lebte mit einer +kleinen Anzahl gleichdenkender Freunde ein unstetes und flüchtiges, dem Kampf +und der Jagd geweihtes Leben; ich lebe zufrieden unter diesen Leuten, die mich +wie ihren Fürsten ehren; denn wenn meine Asiaten auch nicht so gebildet sind +wie Eure Europäer, so sind sie doch weit entfernt von Neid und Verleumdung, von +Selbstsucht und Ehrgeiz.“ +</p> + +<p> +Zaleukos dankte dem Fremden für seine Mitteilung, aber er verbarg ihm nicht, +daß er es für seinen Stand, für seine Bildung angemessener fände, wenn er in +christlichen, in europäischen Ländern leben und wirken würde. Er faßte seine +Hand und bat ihn, mit ihm zu ziehen, bei ihm zu leben und zu sterben. +</p> + +<p> +Gerührt sah ihn der Gastfreund an. „Daraus erkenne ich“, sagte er, +„daß du mir ganz vergeben hast, daß du mich liebst. Nimm meinen innigsten +Dank dafür!“ Er sprang auf und stand in seiner ganzen Größe vor dem +Griechen, dem vor dem kriegerischen Anstand, den dunkel blitzenden Augen, der +tiefen Stimme seines Gastes beinahe graute. „Dein Vorschlag ist +schön“, sprach jener weiter, „er möchte für jeden andern lockend +sein—ich kann ihn nicht benützen. Schon steht mein Roß gesattelt, +erwarten mich meine Diener; lebe wohl, Zaleukos!“ Die Freunde, die das +Schicksal so wunderbar zusammengeführt, umarmten sich zum Abschied. „Und +wie nenne ich dich? Wie heißt mein Gastfreund, der auf ewig in meinem +Gedächtnis leben wird?“ fragte der Grieche. +</p> + +<p> +Der Fremde sah ihn lange an, drückte ihm noch einmal die Hand und sprach: +„Man nennt mich den Herrn der Wüste; ich bin der Räuber Orbasan.“ +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap03"></a>Kalif Storch</h2> + +<p class="center"> +Wilhelm Hauff +</p> + +<p> +Der Kalif Chasid zu Bagdad saß einmal an einem schönen Nachmittag behaglich auf +seinem Sofa; er hatte ein wenig geschlafen, denn es war ein heißer Tag, und sah +nun nach seinem Schläfchen recht heiter aus. Er rauchte aus einer langen Pfeife +von Rosenholz, trank hier und da ein wenig Kaffee, den ihm ein Sklave +einschenkte, und strich sich allemal vergnügt den Bart, wenn es ihm geschmeckt +hatte. Kurz, man sah dem Kalifen an, daß es ihm recht wohl war. Um diese Stunde +konnte man gar gut mit ihm reden, weil er da immer recht mild und leutselig +war, deswegen besuchte ihn auch sein Großwesir Mansor alle Tage um diese Zeit. +An diesem Nachmittage nun kam er auch, sah aber sehr nachdenklich aus, ganz +gegen seine Gewohnheit. Der Kalif tat die Pfeife ein wenig aus dem Mund und +sprach: „Warum machst du ein so nachdenkliches Gesicht, Großwesir?“ +</p> + +<p> +Der Großwesir schlug seine Arme kreuzweis über die Brust, verneigte sich vor +seinem Herrn und antwortete: „Herr, ob ich ein nachdenkliches Gesicht +mache, weiß ich nicht, aber da drunten am Schloß steht ein Krämer, der hat so +schöne Sachen, daß es mich ärgert, nicht viel überflüssiges Geld zu +haben.“ +</p> + +<p> +Der Kalif, der seinem Großwesir schon lange gerne eine Freude gemacht hätte, +schickte seinen schwarzen Sklaven hinunter, um den Krämer heraufzuholen. Bald +kam der Sklave mit dem Krämer zurück. Dieser war ein kleiner, dicker Mann, +schwarzbraun im Gesicht und in zerlumptem Anzug. Er trug einen Kasten, in +welchem er allerhand Waren hatte, Perlen und Ringe, reichbeschlagene Pistolen, +Becher und Kämme. Der Kalif und sein Wesir musterten alles durch, und der Kalif +kaufte endlich für sich und Mansor schöne Pistolen, für die Frau des Wesirs +aber einen Kamm. Als der Krämer seinen Kasten schon wieder zumachen wollte, sah +der Kalif eine kleine Schublade und fragte, ob da auch noch Waren seien. Der +Krämer zog die Schublade heraus und zeigte darin eine Dose mit schwärzlichem +Pulver und ein Papier mit sonderbarer Schrift, die weder der Kalif noch Mansor +lesen konnte. „Ich bekam einmal diese zwei Stücke von einem Kaufmanne, +der sie in Mekka auf der Straße fand“, sagte der Krämer, „Ich weiß +nicht, was sie enthalten; euch stehen sie um geringen Preis zu Dienst, ich kann +doch nichts damit anfangen.“ +</p> + +<p> +Der Kalif, der in seiner Bibliothek gerne alte Manuskripte hatte, wenn er sie +auch nicht lesen konnte, kaufte Schrift und Dose und entließ den Krämer. Der +Kalif aber dachte, er möchte gerne wissen, was die Schrift enthalte, und, +fragte den Wesir, ob er keinen kenne, der es entziffern könnte. +</p> + +<p> +„Gnädigster Herr und Gebieter“, antwortete dieser, „an der +großen Moschee wohnt ein Mann, er heißt Selim, der Gelehrte, der versteht alle +Sprachen, laß ihn kommen, vielleicht kennt er diese geheimnisvollen +Züge.“ +</p> + +<p> +Der Gelehrte Selim war bald herbeigeholt. „Selim“, sprach zu ihm +der Kalif, „Selim, man sagt, du seiest sehr gelehrt; guck einmal ein +wenig in diese Schrift, ob du sie lesen kannst; kannst du sie lesen, so +bekommst du ein neues Festkleid von mir, kannst du es nicht, so bekommst du +zwölf Backenstreiche und fünfundzwanzig auf die Fußsohlen, weil man dich dann +umsonst Selim, den Gelehrten, nennt.“ +</p> + +<p> +Selim verneigte sich und sprach: „Dein Wille geschehe, o Herr!“ +Lange betrachtete er die Schrift, plötzlich aber rief er aus: „Das ist +Lateinisch, o Herr, oder ich laß mich hängen.“ „Sag, was +drinsteht“, befahl der Kalif, „wenn es Lateinisch ist.“ +</p> + +<p> +Selim fing an zu übersetzen: „Mensch, der du dieses findest, preise Allah +für seine Gnade. Wer von dem Pulver in dieser Dose schnupft und dazu spricht: +mutabor, der kann sich in jedes Tier verwandeln und versteht auch die Sprache +der Tiere. +</p> + +<p> +Will er wieder in seine menschliche Gestalt zurückkehren, so neige er sich +dreimal gen Osten und spreche jenes Wort; aber hüte dich, wenn du verwandelt +bist, daß du nicht lachest, sonst verschwindet das Zauberwort gänzlich aus +deinem Gedächtnis, und du bleibst ein Tier.“ +</p> + +<p> +Als Selim, der Gelehrte, also gelesen hatte, war der Kalif über die Maßen +vergnügt. Er ließ den Gelehrten schwören, niemandem etwas von dem Geheimnis zu +sagen, schenkte ihm ein schönes Kleid und entließ ihn. Zu seinem Großwesir aber +sagte er: „Das heiß’ ich gut einkaufen, Mansor! Wie freue ich mich, +bis ich ein Tier bin. Morgen früh kommst du zu mir; wir gehen dann miteinander +aufs Feld, schnupfen etwas Weniges aus meiner Dose und belauschen dann, was in +der Luft und im Wasser, im Wald und Feld gesprochen wird!“ +</p> + +<p> +Kaum hatte am anderen Morgen der Kalif Chasid gefrühstückt und sich +angekleidet, als schon der Großwesir erschien, ihn, wie er befohlen, auf dem +Spaziergang zu begleiten. Der Kalif steckte die Dose mit dem Zauberpulver in +den Gürtel, und nachdem er seinem Gefolge befohlen, zurückzubleiben, machte er +sich mit dem Großwesir ganz allein auf den Weg. Sie gingen zuerst durch die +weiten Gärten des Kalifen, spähten aber vergebens nach etwas Lebendigem, um ihr +Kunststück zu probieren. Der Wesir schlug endlich vor, weiter hinaus an einen +Teich zu gehen, wo er schon oft viele Tiere, namentlich Störche, gesehen habe, +die durch ihr gravitätisches Wesen und ihr Geklapper immer seine Aufmerksamkeit +erregt hatten. +</p> + +<p> +Der Kalif billigte den Vorschlag seines Wesirs und ging mit ihm dem Teich zu. +Als sie dort angekommen waren, sahen sie einen Storch ernsthaft auf und ab +gehen, Frösche suchend und hier und da etwas vor sich hinklappernd. Zugleich +sahen sie auch weit oben in der Luft einen anderen Storch dieser Gegend +zuschweben. +</p> + +<p> +„Ich wette meinen Bart, gnädigster Herr“, sagte der Großwesir, +„wenn nicht diese zwei Langfüßler ein schönes Gespräch miteinander führen +werden. Wie wäre es, wenn wir Störche würden?“ +</p> + +<p> +„Wohl gesprochen!“ antwortete der Kalif. „Aber vorher wollen +wir noch einmal betrachten, wie man wieder Mensch wird.—Richtig! Dreimal +gen Osten geneigt und mutabor gesagt, so bin ich wieder Kalif und du Wesir. +Aber nur um Himmels willen nicht gelacht, sonst sind wir verloren!“ +</p> + +<p> +Während der Kalif also sprach, sah er den anderen Storch über ihrem Haupte +schweben und langsam sich zur Erde lassen. Schnell zog er die Dose aus dem +Gürtel, nahm eine gute Prise, bot sie dem Großwesir dar, der gleichfalls +schnupfte, und beide riefen: mutabor! +</p> + +<p> +Da schrumpften ihre Beine ein und wurden dünn und rot, die schönen gelben +Pantoffeln des Kalifen und seines Begleiters wurden unförmliche Storchfüße, die +Arme wurden zu Flügeln, der Hals fuhr aus den Achseln und ward eine Elle lang, +der Bart war verschwunden, und den Körper bedeckten weiche Federn. +</p> + +<p> +„Ihr habt einen hübschen Schnabel, Herr Großwesir“, sprach nach +langem Erstaunen der Kalif. „Beim Bart des Propheten, so etwas habe ich +in meinem Leben nicht gesehen.“ „Danke untertänigst“, +erwiderte der Großwesir, indem er sich bückte, „aber wenn ich es wagen +darf, möchte ich behaupten, Eure Hoheit sehen als Storch beinahe noch hübscher +aus denn als Kalif. Aber kommt, wenn es Euch gefällig ist, daß wir unsere +Kameraden dort belauschen und erfahren, ob wir wirklich Storchisch +können.“ +</p> + +<p> +Indem war der andere Storch auf der Erde angekommen; er putzte sich mit dem +Schnabel seine Füße, legte seine Federn zurecht und ging auf den ersten Storch +zu. Die beiden neuen Störche aber beeilten sich, in ihre Nähe zu kommen, und +vernahmen zu ihrem Erstaunen folgendes Gespräch: +</p> + +<p> +„Guten Morgen, Frau Langbein, so früh schon auf der Wiese?“ +</p> + +<p> +„Schönen Dank, liebe Klapperschnabel! Ich habe mir nur ein kleines +Frühstück geholt. Ist Euch vielleicht ein Viertelchen Eidechs gefällig oder ein +Froschschenkelein?“ +</p> + +<p> +„Danke gehorsamst; habe heute gar keinen Appetit. Ich komme auch wegen +etwas ganz anderem auf die Wiese. Ich soll heute vor den Gästen meines Vaters +tanzen, und da will ich mich im stillen ein wenig üben.“ +</p> + +<p> +Zugleich schritt die junge Störchin in wunderlichen Bewegungen durch das Feld. +Der Kalif und Mansor sahen ihr verwundert nach; als sie aber in malerischer +Stellung auf einem Fuß stand und mit den Flügeln anmutig dazu wedelte, da +konnten sich die beiden nicht mehr halten; ein unaufhaltsames Gelächter brach +aus ihren Schnäbeln hervor, von dem sie sich erst nach langer Zeit erholten. +Der Kalif faßte sich zuerst wieder: „Das war einmal ein Spaß“, rief +er, „der nicht mit Gold zu bezahlen ist; schade, daß die Tiere durch +unser Gelächter sich haben verscheuchen lassen, sonst hätten sie gewiß auch +noch gesungen!“ +</p> + +<p> +Aber jetzt fiel es dem Großwesir ein, daß das Lachen während der Verwandlung +verboten war. Er teilte seine Angst deswegen dem Kalifen mit. „Potz Mekka +und Medina! Das wäre ein schlechter Spaß, wenn ich ein Storch bleiben müßte! +Besinne dich doch auf das dumme Wort, ich bring’ es nicht heraus.“ +</p> + +<p> +„Dreimal gen Osten müssen wir uns bücken und dazu sprechen: +mu—mu—mu—“ +</p> + +<p> +Sie stellten sich gegen Osten und bückten sich in einem fort, daß ihre Schnäbel +beinahe die Erde berührten; aber, o Jammer! Das Zauberwort war ihnen entfallen, +und so oft sich auch der Kalif bückte, so sehnlich auch sein Wesir mu—mu +dazu rief, jede Erinnerung daran war verschwunden, und der arme Chasid und sein +Wesir waren und blieben Störche. +</p> + +<p> +Traurig wandelten die Verzauberten durch die Felder, sie wußten gar nicht, was +sie in ihrem Elend anfangen sollten. Aus ihrer Storchenhaut konnten sie nicht +heraus, in die Stadt zurück konnten sie auch nicht, um sich zu erkennen zu +geben; denn wer hätte einem Storch geglaubt, daß er der Kalif sei, und wenn man +es auch geglaubt hätte, würden die Einwohner von Bagdad einen Storch zum Kalif +gewollt haben? +</p> + +<p> +So schlichen sie mehrere Tage umher und ernährten sich kümmerlich von +Feldfrüchten, die sie aber wegen ihrer langen Schnäbel nicht gut verspeisen +konnten. Auf Eidechsen und Frösche hatten sie übrigens keinen Appetit, denn sie +befürchteten, mit solchen Leckerbissen sich den Magen zu verderben. Ihr +einziges Vergnügen in dieser traurigen Lage war, daß sie fliegen konnten, und +so flogen sie oft auf die Dächer von Bagdad, um zu sehen, was darin vorging. +</p> + +<p> +In den ersten Tagen bemerkten sie große Unruhe und Trauer in den Straßen; aber +ungefähr am vierten Tag nach ihrer Verzauberung saßen sie auf dem Palast des +Kalifen, da sahen sie unten in der Straße einen prächtigen Aufzug; Trommeln und +Pfeifen ertönten, ein Mann in einem goldbestickten Scharlachmantel saß auf +einem geschmückten Pferd, umgeben von glänzenden Dienern, halb Bagdad sprang +ihm nach, und alle schrien: „Heil Mizra, dem Herrscher von Bagdad!“ +</p> + +<p> +Da sahen die beiden Störche auf dem Dache des Palastes einander an, und der +Kalif Chasid sprach: „Ahnst du jetzt, warum ich verzaubert bin, +Großwesir? Dieser Mizra ist der Sohn meines Todfeindes, des mächtigen Zauberers +Kaschnur, der mir in einer bösen Stunde Rache schwur. Aber noch gebe ich die +Hoffnung nicht auf—Komm mit mir, du treuer Gefährte meines Elends, wir +wollen zum Grabe des Propheten wandern, vielleicht, daß an heiliger Stätte der +Zauber gelöst wird.“ +</p> + +<p> +Sie erhoben sich vom Dach des Palastes und flogen der Gegend von Medina zu. +</p> + +<p> +Mit dem Fliegen wollte es aber nicht gar gut gehen; denn die beiden Störche +hatten noch wenig Übung. „O Herr“, ächzte nach ein paar Stunden der +Großwesir, „ich halte es mit Eurer Erlaubnis nicht mehr lange aus; Ihr +fliegt gar zu schnell! Auch ist es schon Abend, und wir täten wohl, ein +Unterkommen für die Nacht zu suchen.“ +</p> + +<p> +Chasid gab der Bitte seines Dieners Gehör; und da er unten im Tale eine Ruine +erblickte, die ein Obdach zu gewähren schien, so flogen sie dahin. Der Ort, wo +sie sich für diese Nacht niedergelassen hatten, schien ehemals ein Schloß +gewesen zu sein. Schöne Säulen ragten unter den Trümmern hervor, mehrere +Gemächer, die noch ziemlich erhalten waren, zeugten von der ehemaligen Pracht +des Hauses. Chasid und sein Begleiter gingen durch die Gänge umher, um sich ein +trockenes Plätzchen zu suchen; plötzlich blieb der Storch Mansor stehen. +„Herr und Gebieter“, flüsterte er leise, „wenn es nur nicht +töricht für einen Großwesir, noch mehr aber für einen Storch wäre, sich vor +Gespenstern zu fürchten! Mir ist ganz unheimlich zumute; denn hier neben hat es +ganz vernehmlich geseufzt und gestöhnt.“ Der Kalif blieb nun auch stehen +und hörte ganz deutlich ein leises Weinen, das eher einem Menschen als einem +Tiere anzugehören schien. Voll Erwartung wollte er der Gegend zugehen, woher +die Klagetöne kamen; der Wesir aber packte ihn mit dem Schnabel am Flügel und +bat ihn flehentlich, sich nicht in neue, unbekannte Gefahren zu stürzen. Doch +vergebens! Der Kalif, dem auch unter dem Storchenflügel ein tapferes Herz +schlug, riß sich mit Verlust einiger Federn los und eilte in einen finsteren +Gang. Bald war er an einer Tür angelangt, die nur angelehnt schien und woraus +er deutliche Seufzer mit ein wenig Geheul vernahm. Er stieß mit dem Schnabel +die Türe auf, blieb aber überrascht auf der Schwelle stehen. In dem verfallenen +Gemach, das nur durch ein kleines Gitterfenster spärlich erleuchtet war, sah er +eine große Nachteule am Boden sitzen. Dicke Tränen rollten ihr aus den großen, +runden Augen, und mit heiserer Stimme stieß sie ihre Klagen zu dem krummen +Schnabel heraus. Als sie aber den Kalifen und seinen Wesir, der indes auch +herbeigeschlichen war, erblickte, erhob sie ein lautes Freudengeschrei. +Zierlich wischte sie mit dem braungefleckten Flügel die Tränen aus dem Auge, +und zu dem größten Erstaunen der beiden rief sie in gutem menschlichem +Arabisch: „Willkommen, ihr Störche! Ihr seid mir ein gutes Zeichen meiner +Errettung; denn durch Störche werde mir ein großes Glück kommen, ist mir einst +prophezeit worden!“ +</p> + +<p> +Als sich der Kalif von seinem Erstaunen erholt hatte, bückte er sich mit seinem +langen Hals, brachte seine dünnen Füße in eine zierliche Stellung und sprach: +„Nachteule! Deinen Worten nach darf ich glauben, eine Leidensgefährtin in +dir zu sehen. Aber ach! Deine Hoffnung, daß durch uns deine Rettung kommen +werde, ist vergeblich. Du wirst unsere Hilflosigkeit selbst erkennen, wenn du +unsere Geschichte hörst.“ Die Nachteule bat ihn zu erzählen, was der +Kalif sogleich tat. +</p> + +<p> +Als der Kalif der Eule seine Geschichte vorgetragen hatte, dankte sie ihm und +sagte: „Vernimm auch meine Geschichte und höre, wie ich nicht weniger +unglücklich bin als du. Mein Vater ist der König von Indien, ich, seine einzige +unglückliche Tochter, heiße Lusa. Jener Zauberer Kaschnur, der euch +verzauberte, hat auch mich ins Unglück gestürzt. Er kam eines Tages zu meinem +Vater und begehrte mich zur Frau für seinen Sohn Mizra. Mein Vater aber, der +ein hitziger Mann ist, ließ ihn die Treppe hinunterwerfen. Der Elende wußte +sich unter einer anderen Gestalt wieder in meine Nähe zu schleichen, und als +ich einst in meinem Garten Erfrischungen zu mir nehmen wollte, brachte er mir, +als Sklave verkleidet, einen Trank bei, der mich in diese abscheuliche Gestalt +verwandelte. Vor Schrecken ohnmächtig, brachte er mich hierher und rief mir mit +schrecklicher Stimme in die Ohren: +</p> + +<p> +,Da sollst du bleiben, häßlich, selbst von den Tieren verachtet, bis an dein +Ende, oder bis einer aus freiem Willen dich, selbst in dieser schrecklichen +Gestalt, zur Gattin begehrt. So räche ich mich an dir und deinem stolzen +Vater.‘ +</p> + +<p> +Seitdem sind viele Monate verflossen. Einsam und traurig lebe ich als +Einsiedlerin in diesem Gemäuer, verabscheut von der Welt, selbst den Tieren ein +Greuel; die schöne Natur ist vor mir verschlossen; denn ich bin blind am Tage, +und nur, wenn der Mond sein bleiches Licht über dies Gemäuer ausgießt, fällt +der verhüllende Schleier von meinem Auge.“ +</p> + +<p> +Die Eule hatte geendet und wischte sich mit dem Flügel wieder die Augen aus, +denn die Erzählung ihrer Leiden hatte ihr Tränen entlockt. +</p> + +<p> +Der Kalif war bei der Erzählung der Prinzessin in tiefes Nachdenken versunken. +„Wenn mich nicht alles täuscht“, sprach er, „so findet +zwischen unserem Unglück ein geheimer Zusammenhang statt; aber wo finde ich den +Schlüssel zu diesem Rätsel?“ +</p> + +<p> +Die Eule antwortete ihm: „O Herr! Auch mir ahnet dies; denn es ist mir +einst in meiner frühesten Jugend von einer weisen Frau prophezeit worden, daß +ein Storch mir ein großes Glück bringen werde, und ich wüßte vielleicht, wie +wir uns retten könnten.“ Der Kalif war sehr erstaunt und fragte, auf +welchem Wege sie meine. „Der Zauberer, der uns beide unglücklich gemacht +hat“, sagte sie, „kommt alle Monate einmal in diese Ruinen. Nicht +weit von diesem Gemach ist ein Saal. Dort pflegt er dann mit vielen Genossen zu +schmausen. Schon oft habe ich sie dort belauscht. Sie erzählen dann einander +ihre schändlichen Werke; vielleicht, daß er dann das Zauberwort, das ihr +vergessen habt, ausspricht.“ +</p> + +<p> +„O, teuerste Prinzessin“, rief der Kalif, „sag an, wann kommt +er, und wo ist der Saal?“ +</p> + +<p> +Die Eule schwieg einen Augenblick und sprach dann: „Nehmet es nicht +ungütig, aber nur unter einer Bedingung kann ich Euern Wunsch erfüllen.“ +</p> + +<p> +„Sprich aus! Sprich aus!“ schrie Chasid. „Befiehl, es ist mir +jede recht.“ +</p> + +<p> +„Nämlich, ich möchte auch gern zugleich frei sein; dies kann aber nur +geschehen, wenn einer von euch mir seine Hand reicht.“ +</p> + +<p> +Die Störche schienen über den Antrag etwas betroffen zu sein, und der Kalif +winkte seinem Diener, ein wenig mit ihm hinauszugehen. +</p> + +<p> +„Großwesir“, sprach vor der Türe der Kalif, „das ist ein +dummer Handel; aber Ihr könntet sie schon nehmen.“ +</p> + +<p> +„So“, antwortete dieser, „daß mir meine Frau, wenn ich nach +Hause komme, die Augen auskratzt? Auch bin ich ein alter Mann, und Ihr seid +noch jung und unverheiratet und könnet eher einer jungen, schönen Prinzessin +die Hand geben.“ +</p> + +<p> +„Das ist es eben“, seufzte der Kalif, indem er traurig die Flügel +hängen ließ, „wer sagt dir denn, daß sie jung und schön ist? Das heißt +eine Katze im Sack kaufen!“ +</p> + +<p> +Sie redeten einander gegenseitig noch lange zu; endlich aber, als der Kalif +sah, daß sein Wesir lieber Storch bleiben als die Eule heiraten wollte, +entschloß er sich, die Bedingung lieber selbst zu erfüllen. Die Eule war +hocherfreut. Sie gestand ihnen, daß sie zu keiner besseren Zeit hätten kommen +können, weil wahrscheinlich in dieser Nacht die Zauberer sich versammeln +würden. +</p> + +<p> +Sie verließ mit den Störchen das Gemach, um sie in jenen Saal zu führen; sie +gingen lange in einem finsteren Gang hin; endlich strahlte ihnen aus einer +halbverfallenen Mauer ein heller Schein entgegen. Als sie dort angelangt waren, +riet ihnen die Eule, sich ganz ruhig zu verhalten. Sie konnten von der Lücke, +an welcher sie standen, einen großen Saal übersehen. Er war ringsum mit Säulen +geschmückt und prachtvoll verziert. Viele farbige Lampen ersetzten das Licht +des Tages. In der Mitte des Saales stand ein runder Tisch, mit vielen und +ausgesuchten Speisen besetzt. Rings um den Tisch zog sich ein Sofa, auf welchem +acht Männer saßen. In einem dieser Männer erkannten die Störche jenen Krämer +wieder, der ihnen das Zauberpulver verkauft hatte. Sein Nebensitzer forderte +ihn auf, ihnen seine neuesten Taten zu erzählen. Er erzählte unter anderen auch +die Geschichte des Kalifen und seines Wesirs. +</p> + +<p> +„Was für ein Wort hast du ihnen denn aufgegeben?“ fragte ihn ein +anderer Zauberer. „Ein recht schweres lateinisches, es heißt +mutabor.“ +</p> + +<p> +Als die Störche an der Mauerlücke dieses hörten, kamen sie vor Freuden beinahe +außer sich. Sie liefen auf ihren langen Füßen so schnell dem Tore der Ruine zu, +daß die Eule kaum folgen konnte. Dort sprach der Kalif gerührt zu der Eule: +„Retterin meines Lebens und des Lebens meines Freundes, nimm zum ewigen +Dank für das, was du an uns getan, mich zum Gemahl an!“ Dann aber wandte +er sich nach Osten. Dreimal bückten die Störche ihre langen Hälse der Sonne +entgegen, die soeben hinter dem Gebirge heraufstieg: „Mutabor!“ +riefen sie, im Nu waren sie verwandelt, und in der hohen Freude des +neugeschenkten Lebens lagen Herr und Diener lachend und weinend einander in den +Armen. +</p> + +<p> +Wer beschreibt aber ihr Erstaunen, als sie sich umsahen? Eine schöne Dame, +herrlich geschmückt, stand vor ihnen. Lächelnd gab sie dem Kalifen die Hand. +„Erkennt Ihr Eure Nachteule nicht mehr?“ sagte sie. Sie war es; der +Kalif war von ihrer Schönheit und Anmut entzückt. +</p> + +<p> +Die drei zogen nun miteinander auf Bagdad zu. Der Kalif fand in seinen Kleidern +nicht nur die Dose mit Zauberpulver, sondern auch seinen Geldbeutel. Er kaufte +daher im nächsten Dorfe, was zu ihrer Reise nötig war, und so kamen sie bald an +die Tore von Bagdad. Dort aber erregte die Ankunft des Kalifen großes +Erstaunen. Man hatte ihn für tot ausgegeben, und das Volk war daher +hocherfreut, seinen geliebten Herrscher wiederzuhaben. +</p> + +<p> +Um so mehr aber entbrannte ihr Haß gegen den Betrüger Mizra. Sie zogen in den +Palast und nahmen den alten Zauberer und seinen Sohn gefangen. Den Alten +schickte der Kalif in dasselbe Gemach der Ruine, das die Prinzessin als Eule +bewohnt hatte, und ließ ihn dort aufhängen. Dem Sohn aber, welcher nichts von +den Künsten des Vaters verstand, ließ der Kalif die Wahl, ob er sterben oder +schnupfen wolle. Als er das letztere wählte, bot ihm der Großwesir die Dose. +Eine tüchtige Prise, und das Zauberwort des Kalifen verwandelte ihn in einen +Storch. Der Kalif ließ ihn in einen eisernen Käfig sperren und in seinem Garten +aufstellen. +</p> + +<p> +Lange und vergnügt lebte Kalif Chasid mit seiner Frau, der Prinzessin; seine +vergnügtesten Stunden waren immer die, wenn ihn der Großwesir nachmittags +besuchte; da sprachen sie dann oft von ihrem Storchabenteuer, und wenn der +Kalif recht heiter war, ließ er sich herab, den Großwesir nachzuahmen, wie er +als Storch aussah. Er stieg dann ernsthaft, mit steifen Füßen im Zimmer auf und +ab, klapperte, wedelte mit den Armen wie mit Flügeln und zeigte, wie jener sich +vergeblich nach Osten geneigt und Mu—Mu—dazu gerufen habe. Für die +Frau Kalifin und ihre Kinder war diese Vorstellung allemal eine große Freude; +wenn aber der Kalif gar zu lange klapperte und nickte und +Mu—Mu—schrie, dann drohte ihm lächelnd der Wesir: Er wolle das, was +vor der Türe der Prinzessin Nachteule verhandelt worden sei, der Frau Kalifin +mitteilen. +</p> + +<p> +Als Selim Baruch seine Geschichte beendet hatte, bezeugten sich die Kaufleute +sehr zufrieden damit. „Wahrhaftig, der Nachmittag ist uns vergangen, ohne +daß wir merkten wie!“ sagte einer derselben, indem er die Decke des +Zeltes zurückschlug. „Der Abendwind wehet kühl, und wir könnten noch eine +gute Strecke Weges zurücklegen.“ Seine Gefährten waren damit +einverstanden, die Zelte wurden abgebrochen, und die Karawane machte sich in +der nämlichen Ordnung, in welcher sie herangezogen war, auf den Weg. +</p> + +<p> +Sie ritten beinahe die ganze Nacht hindurch, denn es war schwül am Tage, die +Nacht aber war erquicklich und sternhell. Sie kamen endlich an einem bequemen +Lagerplatz an, schlugen die Zelte auf und legten sich zur Ruhe. Für den Fremden +aber sorgten die Kaufleute, wie wenn er ihr wertester Gastfreund wäre. Der eine +gab ihm Polster, der andere Decken, ein dritter gab ihm Sklaven, kurz, er wurde +so gut bedient, als ob er zu Hause wäre. Die heißeren Stunden des Tages waren +schon heraufgekommen, als sie sich wieder erhoben, und sie beschlossen +einmütig, hier den Abend abzuwarten. Nachdem sie miteinander gespeist hatten, +rückten sie wieder näher zusammen, und der junge Kaufmann wandte sich an den +ältesten und sprach: „Selim Baruch hat uns gestern einen vergnügten +Nachmittag bereitet, wie wäre es, Achmet, wenn Ihr uns auch etwas erzähltet, +sei es nun aus Eurem langen Leben, das wohl viele Abenteuer aufzuweisen hat, +oder sei es auch ein hübsches Märchen.“ Achmet schwieg auf diese Anrede +eine Zeitlang, wie wenn er bei sich im Zweifel wäre, ob er dies oder jenes +sagen sollte oder nicht; endlich fing er an zu sprechen: +</p> + +<p> +„Liebe Freunde! Ihr habt euch auf dieser unserer Reise als treue Gesellen +erprobt, und auch Selim verdient mein Vertrauen; daher will ich euch etwas aus +meinem Leben mitteilen, das ich sonst ungern und nicht jedem erzähle: die +Geschichte von dem Gespensterschiff.“ +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap04"></a>Die Geschichte von dem Gespensterschiff</h2> + +<p class="center"> +Wilhelm Hauff +</p> + +<p> +Mein Vater hatte einen kleinen Laden in Balsora; er war weder arm noch reich +und einer von jenen Leuten, die nicht gerne etwas wagen, aus Furcht, das Wenige +zu verlieren, das sie haben. Er erzog mich schlicht und recht und brachte es +bald so weit, daß ich ihm an die Hand gehen konnte. Gerade als ich achtzehn +Jahre alt war, als er die erste größere Spekulation machte, starb er, +wahrscheinlich aus Gram, tausend Goldstücke dem Meere anvertraut zu haben. Ich +mußte ihn bald nachher wegen seines Todes glücklich preisen, denn wenige Wochen +hernach lief die Nachricht ein, daß das Schiff, dem mein Vater seine Güter +mitgegeben hatte, versunken sei. Meinen jugendlichen Mut konnte aber dieser +Unfall nicht beugen. Ich machte alles vollends zu Geld, was mein Vater +hinterlassen hatte, und zog aus, um in der Fremde mein Glück zu probieren, nur +von einem alten Diener meines Vaters begleitet. +</p> + +<p> +Im Hafen von Balsora schifften wir uns mit günstigem Winde ein. Das Schiff, auf +dem ich mich eingemietet hatte, war nach Indien bestimmt. Wir waren schon +fünfzehn Tage auf der gewöhnlichen Straße gefahren, als uns der Kapitän einen +Sturm verkündete. Er machte ein bedenkliches Gesicht, denn es schien, er kenne +in dieser Gegend das Fahrwasser nicht genug, um einem Sturm mit Ruhe begegnen +zu können. Er ließ alle Segel einziehen, und wir trieben ganz langsam hin. Die +Nacht war angebrochen, war hell und kalt, und der Kapitän glaubte schon, sich +in den Anzeichen des Sturmes getäuscht zu haben. Auf einmal schwebte ein +Schiff, das wir vorher nicht gesehen hatten, dicht an dem unsrigen vorbei. +Wildes Jauchzen und Geschrei erscholl aus dem Verdeck herüber, worüber ich mich +zu dieser angstvollen Stunde vor einem Sturm nicht wenig wunderte. Aber der +Kapitän an meiner Seite wurde blaß wie der Tod. „Mein Schiff ist +verloren“, rief er, „dort segelt der Tod!“ +</p> + +<p> +Ehe ich ihn noch über diesen sonderbaren Ausruf befragen konnte, stürzten schon +heulend und schreiend die Matrosen herein. „Habt ihr ihn gesehen?“ +schrien sie. „Jetzt ist’s mit uns vorbei!“ +</p> + +<p> +Der Kapitän aber ließ Trostsprüche aus dem Koran vorlesen und setzte sich +selbst ans Steuerruder. Aber vergebens! Zusehends brauste der Sturm auf, und +ehe eine Stunde verging, krachte das Schiff und blieb sitzen. Die Boote wurden +ausgesetzt, und kaum hatten sich die letzten Matrosen gerettet, so versank das +Schiff vor unseren Augen, und als ein Bettler fuhr ich in die See hinaus. Aber +der Jammer hatte noch kein Ende. Fürchterlicher tobte der Sturm; das Boot war +nicht mehr zu regieren. Ich hatte meinen alten Diener fest umschlungen, und wir +versprachen uns, nie voneinander zu weichen. Endlich brach der Tag an. Aber mit +dem ersten Anblick der Morgenröte faßte der Wind das Boot, in welchem wir +saßen, und stürzte es um. Ich habe keinen meiner Schiffsleute mehr gesehen. Der +Sturz hatte mich betäubt; und als ich aufwachte, befand ich mich in den Armen +meines alten treuen Dieners, der sich auf das umgeschlagene Boot gerettet und +mich nachgezogen hatte. Der Sturm hatte sich gelegt. Von unserem Schiff war +nichts mehr zu sehen, wohl aber entdeckten wir nicht weit von uns ein anderes +Schiff, auf das die Wellen uns hintrieben. Als wir näher hinzukamen, erkannte +ich das Schiff als dasselbe, das in der Nacht an uns vorbeifuhr und welches den +Kapitän so sehr in Schrecken gesetzt hatte. Ich empfand ein sonderbares Grauen +vor diesem Schiffe. Die Äußerung des Kapitäns, die sich so furchtbar bestätigt +hatte, das öde Aussehen des Schiffes, auf dem sich, so nahe wir auch +herankamen, so laut wir schrien, niemand zeigte, erschreckten mich. Doch es war +unser einziges Rettungsmittel; darum priesen wir den Propheten, der uns so +wundervoll erhalten hatte. +</p> + +<p> +Am Vorderteil des Schiffes hing ein langes Tau herab. Mit Händen und Füßen +ruderten wir darauf zu, um es zu erfassen. Endlich glückte es. Noch einmal +erhob ich meine Stimme, aber immer blieb es still auf dem Schiff. Da klimmten +wir an dem Tau hinauf, ich als der Jüngste voran. Aber Entsetzen! Welches +Schauspiel stellte sich meinem Auge dar, als ich das Verdeck betrat! Der Boden +war mit Blut gerötet, zwanzig bis dreißig Leichname in türkischen Kleidern +lagen auf dem Boden, am mittleren Mastbaum stand ein Mann, reich gekleidet, den +Säbel in der Hand, aber das Gesicht war blaß und verzerrt, durch die Stirn ging +ein großer Nagel, der ihn an den Mastbaum heftete, auch er war tot. Schrecken +fesselte meine Schritte, ich wagte kaum zu atmen. Endlich war auch mein +Begleiter heraufgekommen. Auch ihn überraschte der Anblick des Verdecks, das +gar nichts Lebendiges, sondern nur so viele schreckliche Tote zeigte. Wir +wagten es endlich, nachdem wir in der Seelenangst zum Propheten gefleht hatten, +weiter vorzuschreiten. Bei jedem Schritte sahen wir uns um, ob nicht etwas +Neues, noch Schrecklicheres sich darbiete; aber alles blieb, wie es war; weit +und breit nichts Lebendiges als wir und das Weltmeer. Nicht einmal laut zu +sprechen wagten wir, aus Furcht, der tote, am Mast angespießte Kapitano möchte +seine starren Augen nach uns hindrehen oder einer der Getöteten möchte seinen +Kopf umwenden. Endlich waren wir bis an eine Treppe gekommen, die in den +Schiffsraum führte. Unwillkürlich machten wir dort halt und sahen einander an, +denn keiner wagte es recht, seine Gedanken zu äußern. +</p> + +<p> +„O Herr“, sprach mein treuer Diener, „hier ist etwas +Schreckliches geschehen. Doch wenn auch das Schiff da unten voll Mörder steckt, +so will ich mich ihnen doch lieber auf Gnade und Ungnade ergeben, als längere +Zeit unter diesen Toten zubringen.“ Ich dachte wie er; wir faßten uns ein +Herz und stiegen voll Erwartung hinunter. Totenstille war aber auch hier, und +nur unsere Schritte hallten auf der Treppe. Wir standen an der Türe der Kajüte. +Ich legte mein Ohr an die Türe und lauschte; es war nichts zu hören. Ich machte +auf. Das Gemach bot einen unordentlichen Anblick dar. Kleider, Waffen und +andere Geräte lagen untereinander. Nichts in Ordnung. Die Mannschaft oder +wenigstens der Kapitano mußten vor kurzem gezechet haben; denn es lag alles +noch umher. Wir gingen weiter von Raum zu Raum, von Gemach zu Gemach, überall +fanden wir herrliche Vorräte in Seide, Perlen, Zucker usw. Ich war vor Freude +über diesen Anblick außer mir, denn da niemand auf dem Schiff war, glaubte ich, +alles mir zueignen zu dürfen, Ibrahim aber machte mich aufmerksam darauf, daß +wir wahrscheinlich noch sehr weit vom Lande seien, wohin wir allein und ohne +menschliche Hilfe nicht kommen könnten. +</p> + +<p> +Wir labten uns an den Speisen und Getränken, die wir in reichem Maß vorfanden, +und stiegen endlich wieder aufs Verdeck. Aber hier schauderte uns immer die +Haut ob dem schrecklichen Anblick der Leichen. Wir beschlossen, uns davon zu +befreien und sie über Bord zu werfen; aber wie schauerlich ward uns zumut, als +wir fanden, daß sich keiner aus seiner Lage bewegen ließ. Wie festgebannt lagen +sie am Boden, und man hätte den Boden des Verdecks ausheben müssen, um sie zu +entfernen, und dazu gebrach es uns an Werkzeugen. Auch der Kapitano ließ sich +nicht von seinem Mast losmachen; nicht einmal seinen Säbel konnten wir der +starren Hand entwinden. Wir brachten den Tag in trauriger Betrachtung unserer +Lage zu, und als es Nacht zu werden anfing, erlaubte ich dem alten Ibrahim, +sich schlafen zu legen, ich selbst aber wollte auf dem Verdeck wachen, um nach +Rettung auszuspähen. Als aber der Mond heraufkam und ich nach den Gestirnen +berechnete, daß es wohl um die elfte Stunde sei, überfiel mich ein so +unwiderstehlicher Schlaf, daß ich unwillkürlich hinter ein Faß, das auf dem +Verdeck stand, zurückfiel. Doch war es mehr Betäubung als Schlaf, denn ich +hörte deutlich die See an der Seite des Schiffes anschlagen und die Segel vom +Winde knarren und pfeifen. Auf einmal glaubte ich Stimmen und Männertritte auf +dem Verdeck zu hören. Ich wollte mich aufrichten, um danach zu schauen. Aber +eine unsichtbare Gewalt hielt meine Glieder gefesselt; nicht einmal die Augen +konnte ich aufschlagen. Aber immer deutlicher wurden die Stimmen, es war mir, +als wenn ein fröhliches Schiffsvolk auf dem Verdeck sich umhertriebe; mitunter +glaubte ich, die kräftige Stimme eines Befehlenden zu hören, auch hörte ich +Taue und Segel deutlich auf- und abziehen. Nach und nach aber schwanden mir die +Sinne, ich verfiel in einen tieferen Schlaf, in dem ich nur noch ein Geräusch +von Waffen zu hören glaubte, und erwachte erst, als die Sonne schon hoch stand +und mir aufs Gesicht brannte. Verwundert schaute ich mich um, Sturm, Schiff, +die Toten und was ich in dieser Nacht gehört hatte, kam mir wie ein Traum vor, +aber als ich aufblickte, fand ich alles wie gestern. Unbeweglich lagen die +Toten, unbeweglich war der Kapitano an den Mastbaum geheftet. Ich lachte über +meinen Traum und stand auf, um meinen Alten zu suchen. +</p> + +<p> +Dieser saß ganz nachdenklich in der Kajüte. „O Herr!“ rief er aus, +als ich zu ihm hineintrat, „ich wollte lieber im tiefsten Grund des +Meeres liegen, als in diesem verhexten Schiff noch eine Nacht zubringen.“ +Ich fragte ihn nach der Ursache seines Kummers, und er antwortete mir: +„Als ich einige Stunden geschlafen hatte, wachte ich auf und vernahm, wie +man über meinem Haupt hin und her lief. Ich dachte zuerst, Ihr wäret es, aber +es waren wenigstens zwanzig, die oben umherliefen; auch hörte ich rufen und +schreien. Endlich kamen schwere Tritte die Treppe herab. Da wußte ich nichts +mehr von mir, nur hie und da kehrte auf einige Augenblicke meine Besinnung +zurück, und da sah ich dann denselben Mann, der oben am Mast angenagelt ist, an +jenem Tisch dort sitzen, singend und trinkend; aber der, der in einem roten +Scharlachkleid nicht weit von ihm am Boden liegt, saß neben ihm und half ihm +trinken.“ Also erzählte mir mein alter Diener. +</p> + +<p> +Ihr könnt mir es glauben, meine Freunde, daß mir gar nicht wohl zumute war; +denn es war keine Täuschung, ich hatte ja auch die Toten gar wohl gehört. In +solcher Gesellschaft zu schiffen, war mir greulich. Mein Ibrahim aber versank +wieder in tiefes Nachdenken. „Jetzt hab’ ich’s!“ rief +er endlich aus; es fiel ihm nämlich ein Sprüchlein ein, das ihn sein Großvater, +ein erfahrener, weitgereister Mann, gelehrt hatte und das gegen jeden Geister- +und Zauberspuk helfen sollte; auch behauptete er, jenen unnatürlichen Schlaf, +der uns befiel, in der nächsten Nacht verhindern zu können, wenn wir nämlich +recht eifrig Sprüche aus dem Koran beteten. Der Vorschlag des alten Mannes +gefiel mir wohl. In banger Erwartung sahen wir die Nacht herankommen. Neben der +Kajüte war ein kleines Kämmerchen, dorthin beschlossen wir uns zurückzuziehen. +Wir bohrten mehrere Löcher in die Türe, hinlänglich groß, um durch sie die +ganze Kajüte zu überschauen, dann verschlossen wir die Türe, so gut es ging, +von innen, und Ibrahim schrieb den Namen des Propheten in alle vier Ecken. So +erwarteten wir die Schrecken der Nacht. Es mochte wieder ungefähr elf Uhr sein, +als es mich gewaltig zu schläfern anfing. Mein Gefährte riet mir daher, einige +Sprüche des Korans zu beten, was mir auch half. Mit einem Male schien es oben +lebhaft zu werden; die Taue knarrten, Schritte gingen über das Verdeck, und +mehrere Stimmen waren deutlich zu unterscheiden—Mehrere Minuten hatten +wir so in gespannter Erwartung gesessen, da hörten wir etwas die Treppe der +Kajüte herabkommen. Als dies der Alte hörte, fing er an, den Spruch, den ihn +sein Großvater gegen Spuk und Zauberei gelehrt hatte, herzusagen: +</p> + +<p class="poem"> +„Kommt ihr herab aus der Luft,<br/> +Steigt ihr aus tiefem Meer,<br/> +Schlieft ihr in dunkler Gruft,<br/> +Stammt ihr vom Feuer her:<br/> +Allah ist euer Herr und Meister,<br/> +ihm sind gehorsam alle Geister.“ +</p> + +<p class="noindent"> +Ich muß gestehen, ich glaubte gar nicht recht an diesen Spruch, und mir stieg +das Haar zu Berg, als die Tür aufflog. Herein trat jener große, stattliche +Mann, den ich am Mastbaum angenagelt gesehen hatte. Der Nagel ging ihm auch +jetzt mitten durchs Hirn; das Schwert aber hatte er in die Scheide gesteckt; +hinter ihm trat noch ein anderer herein, weniger kostbar gekleidet; auch ihn +hatte ich oben liegen sehen. Der Kapitano, denn dies war er unverkennbar, hatte +ein bleiches Gesicht, einen großen, schwarzen Bart, wildrollende Augen, mit +denen er sich im ganzen Gemach umsah. Ich konnte ihn ganz deutlich sehen, als +er an unserer Türe vorüberging; er aber schien gar nicht auf die Türe zu +achten, die uns verbarg. Beide setzten sich an den Tisch, der in der Mitte der +Kajüte stand, und sprachen laut und fast schreiend miteinander in einer +unbekannten Sprache. Sie wurden immer lauter und eifriger, bis endlich der +Kapitano mit geballter Faust auf den Tisch hineinschlug, daß das Zimmer +dröhnte. Mit wildem Gelächter sprang der andere auf und winkte dem Kapitano, +ihm zu folgen. Dieser stand auf, riß seinen Säbel aus der Scheide, und beide +verließen das Gemach. Wir atmeten freier, als sie weg waren; aber unsere Angst +hatte noch lange kein Ende. Immer lauter und lauter ward es auf dem Verdeck. +Man hörte eilends hin und her laufen und schreien, lachen und heulen. Endlich +ging ein wahrhaft höllischer Lärm los, so daß wir glaubten, das Verdeck mit +allen Segeln komme zu uns herab, Waffengeklirr und Geschrei—auf einmal +aber tiefe Stille. Als wir es nach vielen Stunden wagten hinaufzugehen, trafen +wir alles wie sonst; nicht einer lag anders als früher. Alle waren steif wie +Holz. +</p> + +<p> +So waren wir mehrere Tage auf dem Schiffe; es ging immer nach Osten, wohin zu, +nach meiner Berechnung, Land liegen mußte; aber wenn es auch bei Tag viele +Meilen zurückgelegt hatte, bei Nacht schien es immer wieder zurückzukehren, +denn wir befanden uns immer wieder am nämlichen Fleck, wenn die Sonne aufging. +Wir konnten uns dies nicht anders erklären, als daß die Toten jede Nacht mit +vollem Winde zurücksegelten. Um nun dies zu verhüten, zogen wir, ehe es Nacht +wurde, alle Segel ein und wandten dasselbe Mittel an wie bei der Türe in der +Kajüte; wir schrieben den Namen des Propheten auf Pergament und auch das +Sprüchlein des Großvaters dazu und banden es um die eingezogenen Segel. +Ängstlich warteten wir in unserem Kämmerchen den Erfolg ab. Der Spuk schien +diesmal noch ärger zu toben, aber siehe, am anderen Morgen waren die Segel noch +aufgerollt, wie wir sie verlassen hatten. Wir spannten den Tag über nur so +viele Segel auf, als nötig waren, das Schiff sanft fortzutreiben, und so legten +wir in fünf Tagen eine gute Strecke zurück. +</p> + +<p> +Endlich, am Morgen des sechsten Tages, entdeckten wir in geringer Ferne Land, +und wir dankten Allah und seinem Propheten für unsere wunderbare Rettung. +Diesen Tag und die folgende Nacht trieben wir an einer Küste hin, und am +siebenten Morgen glaubten wir in geringer Entfernung eine Stadt zu entdecken; +wir ließen mit vieler Mühe einen Anker in die See, der alsobald Grund faßte, +setzten ein kleines Boot, das auf dem Verdeck stand, aus und ruderten mit aller +Macht der Stadt zu. Nach einer halben Stunde liefen wir in einen Fluß ein, der +sich in die See ergoß, und stiegen ans Ufer. Am Stadttor erkundigten wir uns, +wie die Stadt heiße, und erfuhren, daß es eine indische Stadt sei, nicht weit +von der Gegend, wohin ich zuerst zu schiffen willens war. Wir begaben uns in +eine Karawanserei und erfrischten uns von unserer abenteuerlichen Reise. Ich +forschte daselbst auch nach einem weisen und verständigen Manne, indem ich dem +Wirt zu verstehen gab, daß ich einen solchen haben möchte, der sich ein wenig +auf Zauberei verstehe. Er führte mich in eine abgelegene Straße, an ein +unscheinbares Haus, pochte an, und man ließ mich eintreten mit der Weisung, ich +solle nur nach Muley fragen. +</p> + +<p> +In dem Hause kam mir ein altes Männlein mit grauem Bart und langer Nase +entgegen und fragte nach meinem Begehr. Ich sagte ihm, ich suche den weisen +Muley, und er antwortete mir, er sei es selbst. Ich fragte ihn nun um Rat, was +ich mit den Toten machen solle und wie ich es angreifen müsse, um sie aus dem +Schiff zu bringen. Er antwortete mir, die Leute des Schiffes seien +wahrscheinlich wegen irgendeines Frevels auf das Meer verzaubert; er glaube, +der Zauber werde sich lösen, wenn man sie ans Land bringe; dies könne aber +nicht geschehen, als wenn man die Bretter, auf denen sie lägen, losmache. Mir +gehöre von Gott und Rechts wegen das Schiff samt allen Gütern, weil ich es +gleichsam gefunden habe; doch solle ich alles sehr geheimzuhalten trachten und +ihm ein kleines Geschenk von meinem Überfluß machen; er wolle dafür mit seinen +Sklaven mir behilflich sein, die Toten wegzuschaffen. Ich versprach, ihn +reichlich zu belohnen, und wir machten uns mit fünf Sklaven, die mit Sägen und +Beilen versehen waren, auf den Weg. Unterwegs konnte der Zauberer Muley unseren +glücklichen Einfall, die Segel mit den Sprüchen des Korans zu umwinden, nicht +genug loben. Er sagte, es sei dies das einzige Mittel gewesen, uns zu retten. +</p> + +<p> +Es war noch ziemlich früh am Tage, als wir beim Schiff ankamen. Wir machten uns +alle sogleich ans Werk, und in einer Stunde lagen schon vier in dem Nachen. +Einige der Sklaven mußten sie an Land rudern, um sie dort zu verscharren. Sie +erzählten, als sie zurückkamen, die Toten hätten ihnen die Mühe des Begrabens +erspart, indem sie, sowie man sie auf die Erde gelegt habe, in Staub zerfallen +seien. Wir fuhren fort, die Toten abzusägen, und bis vor Abend waren alle an +Land gebracht. Es war endlich keiner mehr an Bord als der, welcher am Mast +angenagelt war. Umsonst suchten wir den Nagel aus dem Holze zu ziehen, keine +Gewalt vermochte ihn auch nur ein Haarbreit zu verrücken. Ich wußte nicht, was +anzufangen war; man konnte doch nicht den Mastbaum abhauen, um ihn ans Land zu +führen. Doch aus dieser Verlegenheit half Muley. Er ließ schnell einen Sklaven +an Land rudern, um einen Topf mit Erde zu bringen. Als dieser herbeigeholt war, +sprach der Zauberer geheimnisvolle Worte darüber aus und schüttete die Erde auf +das Haupt des Toten. Sogleich schlug dieser die Augen auf, holte tief Atem, und +die Wunde des Nagels in seiner Stirne fing an zu bluten. Wir zogen den Nagel +jetzt leicht heraus, und der Verwundete fiel einem Sklaven in die Arme. +</p> + +<p> +„Wer hat mich hierhergeführt?“ sprach er, nachdem er sich ein wenig +erholt zu haben schien. Muley zeigte auf mich, und ich trat zu ihm. „Dank +dir, unbekannter Fremdling, du hast mich von langen Qualen errettet. Seit +fünfzig Jahren schifft mein Leib durch diese Wogen, und mein Geist war +verdammt, jede Nacht in ihn zurückzukehren. Aber jetzt hat mein Haupt die Erde +berührt, und ich kann versöhnt zu meinen Vätern gehen.“ +</p> + +<p> +Ich bat ihn, uns doch zu sagen, wie er zu diesem schrecklichen Zustand gekommen +sei, und er sprach: „Vor fünfzig Jahren war ich ein mächtiger, +angesehener Mann und wohnte in Algier; die Sucht nach Gewinn trieb mich, ein +Schiff auszurüsten und Seeraub zu treiben. Ich hatte dieses Geschäft schon +einige Zeit fortgeführt, da nahm ich einmal auf Zante einen Derwisch an Bord, +der umsonst reisen wollte. Ich und meine Gesellen waren rohe Leute und achteten +nicht auf die Heiligkeit des Mannes; vielmehr trieb ich mein Gespött mit ihm. +Als er aber einst in heiligem Eifer mir meinen sündigen Lebenswandel verwiesen +hatte, übermannte mich nachts in meiner Kajüte, als ich mit meinem Steuermann +viel getrunken hatte, der Zorn. Wütend über das, was mir ein Derwisch gesagt +hatte und was ich mir von keinem Sultan hätte sagen lassen, stürzte ich aufs +Verdeck und stieß ihm meinen Dolch in die Brust. Sterbend verwünschte er mich +und meine Mannschaft, nicht sterben und nicht leben zu können, bis wir unser +Haupt auf die Erde legten. Der Derwisch starb, und wir warfen ihn in die See +und verlachten seine Drohungen; aber noch in derselben Nacht erfüllten sich +seine Worte. Ein Teil meiner Mannschaft empörte sich gegen mich—Mit +fürchterlicher Wut wurde gestritten, bis meine Anhänger unterlagen und ich an +den Mast genagelt wurde. Aber auch die Empörer erlagen ihren Wunden, und bald +war mein Schiff nur ein großes Grab. Auch mir brachen die Augen, mein Atem +hielt an, und ich meinte zu sterben. Aber es war nur eine Erstarrung, die mich +gefesselt hielt; in der nächsten Nacht, zur nämlichen Stunde, da wir den +Derwisch in die See geworfen, erwachten ich und alle meine Genossen, das Leben +war zurückgekehrt, aber wir konnten nichts tun und sprechen, als was wir in +jener Nacht gesprochen und getan hatten. So segeln wir seit fünfzig Jahren, +können nicht leben, nicht sterben; denn wie konnten wir das Land erreichen? Mit +toller Freude segelten wir allemal mit vollen Segeln in den Sturm, weil wir +hofften, endlich an einer Klippe zu zerschellen und das müde Haupt auf dem +Grund des Meeres zur Ruhe zu legen. Es ist uns nicht gelungen. Jetzt aber werde +ich sterben. Noch einmal meinen Dank, unbekannter Retter, wenn Schätze dich +lohnen können, so nimm mein Schiff als Zeichen meiner Dankbarkeit.“ +</p> + +<p> +Der Kapitano ließ sein Haupt sinken, als er so gesprochen hatte, und verschied. +Sogleich zerfiel er auch, wie seine Gefährten, in Staub. Wir sammelten diesen +in ein Kästchen und begruben ihn an Land; aus der Stadt nahm ich aber Arbeiter, +die mir mein Schiff in guten Zustand setzten. Nachdem ich die Waren, die ich an +Bord hatte, gegen andere mit großem Gewinn eingetauscht hatte, mietete ich +Matrosen, beschenkte meinen Freund Muley reichlich und schiffte mich nach +meinem Vaterlande ein. Ich machte aber einen Umweg, indem ich an vielen Inseln +und Ländern landete und meine Waren zu Markt brachte. Der Prophet segnete mein +Unternehmen. Nach dreiviertel Jahren lief ich, noch einmal so reich, als mich +der sterbende Kapitän gemacht hatte, in Balsora ein. Meine Mitbürger waren +erstaunt über meine Reichtümer und mein Glück und glaubten nicht anders, als +daß ich das Diamantental des berühmten Reisenden Sindbad gefunden habe. Ich +ließ sie in ihrem Glauben, von nun an aber mußten die jungen Leute von Balsora, +wenn sie kaum achtzehn Jahre alt waren, in die Welt hinaus, um gleich mir ihr +Glück zu machen. Ich aber lebte ruhig und in Frieden, und alle fünf Jahre mache +ich eine Reise nach Mekka, um dem Herrn an heiliger Stätte für seinen Segen zu +danken und für den Kapitano und seine Leute zu bitten, daß er sie in sein +Paradies aufnehme. +</p> + +<hr /> + +<p> +Die Reise der Karawane war den anderen Tag ohne Hindernis fürder gegangen, und +als man im Lagerplatz sich erholt hatte, begann Selim, der Fremde, zu Muley, +dem jüngsten der Kaufleute, also zu sprechen: +</p> + +<p> +„Ihr seid zwar der Jüngste von uns, doch seid Ihr immer fröhlich und wißt +für uns gewiß irgendeinen guten Schwank. Tischet ihn auf, daß er uns erquicke +nach der Hitze des Tages!“ +</p> + +<p> +„Wohl möchte ich euch etwas erzählen“, antwortete Muley, „das +euch Spaß machen könnte, doch der Jugend ziemt Bescheidenheit in allen Dingen; +darum müssen meine älteren Reisegefährten den Vorrang haben. Zaleukos ist immer +so ernst und verschlossen, sollte er uns nicht erzählen, was sein Leben so +ernst machte? Vielleicht, daß wir seinen Kummer, wenn er solchen hat, lindern +können; denn gerne dienen wir dem Bruder, wenn er auch anderen Glaubens +ist.“ +</p> + +<p> +Der Aufgerufene war ein griechischer Kaufmann, ein Mann in mittleren Jahren, +schön und kräftig, aber sehr ernst. Ob er gleich ein Ungläubiger (nicht +Muselmann) war, so liebten ihn doch seine Reisegefährten, denn er hatte durch +sein ganzes Wesen Achtung und Zutrauen eingeflößt. Er hatte übrigens nur eine +Hand, und einige seiner Gefährten vermuteten, daß vielleicht dieser Verlust ihn +so ernst stimme. +</p> + +<p> +Zaleukos antwortete auf die zutrauliche Frage Muleys: „Ich bin sehr +geehrt durch euer Zutrauen; Kummer habe ich keinen, wenigstens keinen, von +welchem ihr auch mit dem besten Willen mir helfen könntet. Doch weil Muley mir +meinen Ernst vorzuwerfen scheint, so will ich euch einiges erzählen, was mich +rechtfertigen soll, wenn ich ernster bin als andere Leute. Ihr sehet, daß ich +meine linke Hand verloren habe. Sie fehlt mir nicht von Geburt an, sondern ich +habe sie in den schrecklichsten Tagen meines Lebens eingebüßt. Ob ich die +Schuld davon trage, ob ich unrecht habe, seit jenen Tagen ernster, als es meine +Lage mit sich bringt, zu sein, möget ihr beurteilen, wenn ihr vernommen habt +die Geschichte von der abgehauenen Hand.“ +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap05"></a>Die Geschichte von der abgehauenen Hand</h2> + +<p class="center"> +Wilhelm Hauff +</p> + +<p> +Ich bin in Konstantinopel geboren; mein Vater war ein Dragoman (Dolmetscher) +bei der Pforte (dem türkischen Hof) und trieb nebenbei einen ziemlich +einträglichen Handel mit wohlriechenden Essenzen und seidenen Stoffen. Er gab +mir eine gute Erziehung, indem er mich teils selbst unterrichtete, teils von +einem unserer Priester mir Unterricht geben ließ. Er bestimmte mich anfangs, +seinen Laden einmal zu übernehmen, als ich aber größere Fähigkeiten zeigte, als +er erwartet hatte, bestimmte er mich auf das Anraten seiner Freunde zum Arzt; +weil ein Arzt, wenn er etwas mehr gelernt hat als die gewöhnlichen +Marktschreier, in Konstantinopel sein Glück machen kann. Es kamen viele Franken +in unser Haus, und einer davon überredete meinen Vater, mich in sein Vaterland, +nach der Stadt Paris, reisen zu lassen, wo man solche Sachen unentgeltlich und +am besten lernen könne. Er selbst aber wolle mich, wenn er zurückreise, umsonst +mitnehmen. Mein Vater, der in seiner Jugend auch gereist war, schlug ein, und +der Franke sagte mir, ich könne mich in drei Monaten bereithalten. Ich war +außer mir vor Freude, fremde Länder zu sehen. +</p> + +<p> +Der Franke hatte endlich seine Geschäfte abgemacht und sich zur Reise bereitet; +am Vorabend der Reise führte mich mein Vater in sein Schlafkämmerlein. Dort sah +ich schöne Kleider und Waffen auf dem Tische liegen. Was meine Blicke aber noch +mehr anzog, war ein großer Haufe Goldes, denn ich hatte noch nie so viel +beieinander gesehen. Mein Vater umarmte mich und sagte: „Siehe, mein +Sohn, ich habe dir Kleider zu der Reise besorgt. Jene Waffen sind dein, es sind +die nämlichen, die mir dein Großvater umhing, als ich in die Fremde auszog. Ich +weiß, du kannst sie führen; gebrauche sie aber nie, als wenn du angegriffen +wirst; dann aber schlage auch tüchtig drauf. Mein Vermögen ist nicht groß; +siehe, ich habe es in drei Teile geteilt, einer davon ist dein; einer davon ist +mein Unterhalt und Notpfennig, der dritte aber sei mir ein heiliges, +unantastbares Gut, er diene dir in der Stunde der Not!“ So sprach mein +alter Vater, und Tränen hingen ihm im Auge, vielleicht aus Ahnung, denn ich +habe ihn nie wieder gesehen. +</p> + +<p> +Die Reise ging gut von Statten; wir waren bald im Lande der Franken angelangt, +und sechs Tagreisen nachher kamen wir in die große Stadt Paris. Hier mietete +mir mein fränkischer Freund ein Zimmer und riet mir, mein Geld, das in allem +zweitausend Taler betrug, vorsichtig anzuwenden. Ich lebte drei Jahre in dieser +Stadt und lernte, was ein tüchtiger Arzt wissen muß; ich müßte aber lügen, wenn +ich sagte, daß ich gerne dort gewesen sei; denn die Sitten dieses Volkes +gefielen mir nicht; auch hatte ich nur wenige gute Freunde dort, diese aber +waren edle, junge Männer. +</p> + +<p> +Die Sehnsucht nach der Heimat wurde endlich mächtig in mir; in der ganzen Zeit +hatte ich nichts von meinem Vater gehört, und ich ergriff daher eine günstige +Gelegenheit, nach Hause zu kommen. +</p> + +<p> +Es ging nämlich eine Gesandtschaft aus Frankenland nach der Hohen Pforte. Ich +verdingte mich als Wundarzt in das Gefolge des Gesandten und kam glücklich +wieder nach Stambul. Das Haus meines Vaters aber fand ich verschlossen, und die +Nachbarn staunten, als sie mich sahen, und sagten mir, mein Vater sei vor zwei +Monaten gestorben. Jener Priester, der mich in meiner Jugend unterrichtet +hatte, brachte nur den Schlüssel; allein und verlassen zog ich in das verödete +Haus ein. Ich fand noch alles, wie es mein Vater verlassen hatte; nur das Gold, +das er mir zu hinterlassen versprach, fehlte. Ich fragte den Priester darüber, +und dieser verneigte sich und sprach: „Euer Vater ist als ein heiliger +Mann gestorben; denn er hat sein Gold der Kirche vermacht.“ Dies war und +blieb mir unbegreiflich; doch was wollte ich machen; ich hatte keine Zeugen +gegen den Priester und mußte froh sein, daß er nicht auch das Haus und die +Waren meines Vaters als Vermächtnis angesehen hatte. +</p> + +<p> +Dies war das erste Unglück, das mich traf. Von jetzt an aber kam es Schlag auf +Schlag. Mein Ruf als Arzt wollte sich gar nicht ausbreiten, weil ich mich +schämte, den Marktschreier zu machen, und überall fehlte mir die Empfehlung +meines Vaters, der mich bei den Reichsten und Vornehmsten eingeführt hätte, die +jetzt nicht mehr an den armen Zaleukos dachten. Auch die Waren meines Vaters +fanden keinen Abgang; denn die Kunden hatten sich nach seinem Tode verlaufen, +und neue bekommt man nur langsam. Als ich einst trostlos über meine Lage +nachdachte, fiel mir ein, daß ich oft in Franken Männer meines Volkes gesehen +hatte, die das Land durchzogen und ihre Waren auf den Märkten der Städte +auslegten; ich erinnerte mich, daß man ihnen gerne abkaufte, weil sie aus der +Fremde kamen, und daß man bei solchem Handel das Hundertfache erwerben könne. +Sogleich war auch mein Entschluß gefaßt. Ich verkaufte mein väterliches Haus, +gab einen Teil des gelösten Geldes einem bewährten Freunde zum Aufbewahren, von +dem übrigen aber kaufte ich, was man in Franken selten hat, wie Schals, seidene +Zeuge, Salben und Öle, mietete einen Platz auf einem Schiff und trat so meine +zweite Reise nach Franken an. +</p> + +<p> +Es schien, als ob das Glück, sobald ich die Schlösser der Dardanellen im Rücken +hatte, mir wieder günstig geworden wäre. Unsere Fahrt war kurz und glücklich. +Ich durchzog die großen und kleinen Städte der Franken und fand überall willige +Käufer meiner Waren. Mein Freund in Stambul sandte mir immer wieder frische +Vorräte, und ich wurde von Tag zu Tag wohlhabender. Als ich endlich so viel +erspart hatte, daß ich glaubte, ein größeres Unternehmen wagen zu können, zog +ich mit meinen Waren nach Italien. Etwas muß ich aber noch gestehen, was mir +auch nicht wenig Geld einbrachte: ich nahm auch meine Arzneikunst zu Hilfe. +Wenn ich in eine Stadt kam, ließ ich durch Zettel verkünden, daß ein +griechischer Arzt da sei, der schon viele geheilt habe; und wahrlich, mein +Balsam und meine Arzneien haben mir manche Zechine eingebracht. +</p> + +<p> +So war ich endlich nach der Stadt Florenz in Italien gekommen. Ich nahm mir +vor, längere Zeit in dieser Stadt zu bleiben, teils weil sie mir so wohl +gefiel, teils auch, weil ich mich von den Strapazen meines Umherziehens erholen +wollte. Ich mietete mir ein Gewölbe in dem Stadtviertel St. Croce und nicht +weit davon ein paar schöne Zimmer, die auf einen Altan führten, in einem +Wirtshaus. Sogleich ließ ich auch meine Zettel umhertragen, die mich als Arzt +und Kaufmann ankündigten. Ich hatte kaum mein Gewölbe eröffnet, so strömten +auch die Käufer herzu, und ob ich gleich ein wenig hohe Preise hatte, so +verkaufte ich doch mehr als andere, weil ich gefällig und freundlich gegen +meine Kunden war. Ich hatte schon vier Tage vergnügt in Florenz verlebt, als +ich eines Abends, da ich schon mein Gewölbe schließen und nur die Vorräte in +meinen Salbenbüchsen nach meiner Gewohnheit noch einmal mustern wollte, in +einer kleinen Büchse einen Zettel fand, den ich mich nicht erinnerte, +hineingetan zu haben. Ich öffnete den Zettel und fand darin eine Einladung, +diese Nacht Punkt zwölf Uhr auf der Brücke, die man Ponte vecchio heißt, mich +einzufinden. Ich sann lange darüber nach, wer es wohl sein könnte, der mich +dorthin einlud, da ich aber keine Seele in Florenz kannte, dachte ich, man +werde mich vielleicht heimlich zu irgendeinem Kranken führen wollen, was schon +öfter geschehen war. Ich beschloß also hinzugehen, doch hing ich zur Vorsicht +den Säbel um, den mir einst mein Vater geschenkt hatte. +</p> + +<p> +Als es stark gegen Mitternacht ging, machte ich mich auf den Weg und kam bald +auf die Ponte vecchio. Ich fand die Brücke verlassen und öde und beschloß zu +warten, bis er erscheinen würde, der mich rief. Es war eine kalte Nacht; der +Mond schien hell, und ich schaute hinab in die Wellen des Arno, die weithin im +Mondlicht schimmerten. Auf den Kirchen der Stadt schlug es jetzt zwölf Uhr; ich +richtete mich auf, und vor mir stand ein großer Mann, ganz in einen roten +Mantel gehüllt, dessen einen Zipfel er vor das Gesicht hielt. +</p> + +<p> +Ich war von Anfang etwas erschrocken, weil er so plötzlich hinter mir stand, +faßte mich aber sogleich wieder und sprach: „Wenn Ihr mich habt hierher +bestellt, so sagt an, was steht zu Eurem Befehl?“ +</p> + +<p> +Der Rotmantel wandte sich um und sagte langsam: „Folge!“ Da ward +mir’s doch etwas unheimlich zumute, mit diesem Unbekannten allein zu +gehen; ich blieb stehen und sprach: „Nicht also, lieber Herr, wollet mir +vorerst sagen, wohin; auch könnet Ihr mir Euer Gesicht ein wenig zeigen, daß +ich sehe, ob Ihr Gutes mit mir vorhabt.“ +</p> + +<p> +Der Rote aber schien sich nicht darum zu kümmern. „Wenn du nicht willst, +Zaleukos, so bleibe!“ antwortete er und ging weiter. +</p> + +<p> +Da entbrannte mein Zorn. „Meinet Ihr“, rief ich aus, „ein +Mann wie ich lasse sich von jedem Narren foppen, und ich werde in dieser kalten +Nacht umsonst gewartet haben?“ In drei Sprüngen hatte ich ihn erreicht, +packte ihn an seinem Mantel und schrie noch lauter, indem ich die andere Hand +an den Säbel legte; aber der Mantel blieb mir in der Hand, und der Unbekannte +war um die nächste Ecke verschwunden. Mein Zorn legte sich nach und nach; ich +hatte doch den Mantel, und dieser sollte mir schon den Schlüssel zu diesem +wunderlichen Abenteuer geben. +</p> + +<p> +Ich hing ihn um und ging meinen Weg weiter nach Hause. Als ich kaum noch +hundert Schritte davon entfernt war, streifte jemand dicht an mir vorüber und +flüsterte in fränkischer Sprache: „Nehmt Euch in acht, Graf, heute nacht +ist nichts zu machen.“ Ehe ich mich aber umsehen konnte, war dieser +Jemand schon vorbei, und ich sah nur noch einen Schatten an den Häusern +hinschweben. Daß dieser Zuruf den Mantel und nicht mich anging, sah ich ein; +doch gab er mir kein Licht über die Sache. Am anderen Morgen überlegte ich, was +zu tun sei. Ich war von Anfang gesonnen, den Mantel ausrufen zu lassen, als +hätte ich ihn gefunden; doch da konnte der Unbekannte ihn durch einen Dritten +holen lassen, und ich hätte dann keinen Aufschluß über die Sache gehabt. Ich +besah, indem ich so nachdachte, den Mantel näher. Er war von schwerem +genuesischem Samt, purpurrot, mit astrachanischem Pelz verbrämt und reich mit +Gold bestickt. Der prachtvolle Anblick des Mantels brachte mich auf einen +Gedanken, den ich auszuführen beschloß. +</p> + +<p> +Ich trug ihn in mein Gewölbe und legte ihn zum Verkauf aus, setzte aber auf ihn +einen so hohen Preis, daß ich gewiß war, keinen Käufer zu finden. Mein Zweck +dabei war, jeden, der nach dem Pelz fragen würde, scharf ins Auge zu fassen; +denn die Gestalt des Unbekannten, die sich mir nach Verlust des Mantels, wenn +auch nur flüchtig, doch bestimmt zeigte, wollte ich aus Tausenden erkennen. Es +fanden sich viele Kauflustige zu dem Mantel, dessen außerordentliche Schönheit +alle Augen auf sich zog; aber keiner glich entfernt dem Unbekannten, keiner +wollte den hohen Preis von zweihundert Zechinen dafür bezahlen. Auffallend war +mir dabei, daß, wenn ich einen oder den anderen fragte, ob denn sonst kein +solcher Mantel in Florenz sei, alle mit „Nein!“ antworteten und +versicherten, eine so kostbare und geschmackvolle Arbeit nie gesehen zu haben. +</p> + +<p> +Es wollte schon Abend werden, da kam endlich ein junger Mann, der schon oft bei +mir gewesen war und auch heute viel auf den Mantel geboten hatte, warf einen +Beutel mit Zechinen auf den Tisch und rief: „Bei Gott! Zaleukos, ich muß +deinen Mantel haben, und sollte ich zum Bettler darüber werden.“ Zugleich +begann er, seine Goldstücke aufzuzählen. Ich kam in große Not; ich hatte den +Mantel nur ausgehängt, um vielleicht die Blicke meines Unbekannten darauf zu +ziehen, und jetzt kam ein junger Tor, um den ungeheuren Preis zu zahlen. Doch +was blieb mir übrig; ich gab nach, denn es tat mir auf der anderen Seite der +Gedanke wohl, für mein nächtliches Abenteuer so schön entschädigt zu werden. +Der Jüngling hing sich den Mantel um und ging; er kehrte aber auf der Schwelle +wieder um, indem er ein Papier, das am Mantel befestigt war, losmachte, mir +zuwarf und sagte: „Hier, Zaleukos, hängt etwas, das wohl nicht zu dem +Mantel gehört.“ +</p> + +<p> +Gleichgültig nahm ich den Zettel; aber siehe da, dort stand geschrieben: +„Bringe heute nacht um die bewußte Stunde den Mantel auf die Ponte +vecchio, vierhundert Zechinen warten deiner.“ +</p> + +<p> +Ich stand wie niedergedonnert. So hatte ich also mein Glück selbst verscherzt +und meinen Zweck gänzlich verfehlt! Doch ich besann mich nicht lange, raffte +die zweihundert Zechinen zusammen, sprang dem, der den Mantel gekauft hatte, +nach und sprach: „Nehmt Eure Zechinen wieder, guter Freund, und laßt mir +den Mantel, ich kann ihn unmöglich hergeben.“ Dieser hielt die Sache von +Anfang für Spaß, als er aber merkte, daß es Ernst war, geriet er in Zorn über +meine Forderung, schalt mich einen Narren, und so kam es endlich zu Schlägen. +Doch ich war so glücklich, im Handgemenge ihm den Mantel zu entreißen, und +wollte schon mit ihm davoneilen, als der junge Mann die Polizei zu Hilfe rief +und mich mit sich vor Gericht zog. Der Richter war sehr erstaunt über die +Anklage und sprach meinem Gegner den Mantel zu. Ich aber bot dem Jünglinge +zwanzig, fünfzig, achtzig, ja hundert Zechinen über seine zweihundert, wenn er +mir den Mantel ließe. Was meine Bitten nicht vermochten, bewirkte mein Gold. Er +nahm meine guten Zechinen, ich aber zog mit dem Mantel triumphierend ab und +mußte mir gefallen lassen, daß man mich in ganz Florenz für einen Wahnsinnigen +hielt. Doch die Meinung der Leute war mir gleichgültig; ich wußte es ja besser +als sie, daß ich an dem Handel noch gewann. +</p> + +<p> +Mit Ungeduld erwartete ich die Nacht. Um dieselbe Zeit wie gestern ging ich, +den Mantel unter dem Arm, auf die Ponte vecchio. Mit dem letzten Glockenschlag +kam die Gestalt aus der Nacht heraus auf mich zu. Es war unverkennbar der Mann +von gestern. „Hast du den Mantel?“ wurde ich gefragt. +</p> + +<p> +„Ja, Herr“, antwortete ich, „aber er kostete mich bar hundert +Zechinen.“ +</p> + +<p> +„Ich weiß es“, entgegnete jener. „Schau auf, hier sind +vierhundert.“ Er trat mit mir an das breite Geländer der Brücke und +zählte die Goldstücke hin. Vierhundert waren es; prächtig blitzten sie im +Mondschein, ihr Glanz erfreute mein Herz, ach! Es ahnete nicht, daß es seine +letzte Freude sein werde. Ich steckte mein Geld in die Tasche und wollte mir +nun auch den gütigen Unbekannten recht betrachten; aber er hatte eine Larve vor +dem Gesicht, aus der mich dunkle Augen furchtbar anblitzten. +</p> + +<p> +„Ich danke Euch, Herr, für Eure Güte“, sprach ich zu ihm, +„was verlangt Ihr jetzt von mir? Das sage ich Euch aber vorher, daß es +nichts Unrechtes sein darf.“ +</p> + +<p> +„Unnötige Sorge“, antwortete er, indem er den Mantel um die +Schultern legte, „ich bedarf Eurer Hilfe als Arzt; doch nicht für einen +Lebenden, sondern für einen Toten.“ +</p> + +<p> +„Wie kann das sein?“ rief ich voll Verwunderung. +</p> + +<p> +„Ich kam mit meiner Schwester aus fernen Landen“, erzählte er und +winkte mir zugleich, ihm zu folgen. „Ich wohnte hier mit ihr bei einem +Freund meines Hauses. Meine Schwester starb gestern schnell an einer Krankheit, +und die Verwandten wollen sie morgen begraben. Nach einer alten Sitte unserer +Familie aber sollen alle in der Gruft der Väter ruhen; viele, die in fremden +Landen starben, ruhen dennoch dort einbalsamiert. Meinen Verwandten gönne ich +nun ihren Körper; meinem Vater aber muß ich wenigstens den Kopf seiner Tochter +bringen, damit er sie noch einmal sehe.“ Diese Sitte, die Köpfe geliebter +Anverwandten abzuschneiden, kam mir zwar etwas schrecklich vor; doch wagte ich +nichts dagegen einzuwenden aus Furcht, den Unbekannten zu beleidigen. Ich sagte +ihm daher, daß ich mit dem Einbalsamieren der Toten wohl umgehen könne, und bat +ihn, mich zu der Verstorbenen zu führen. Doch konnte ich mich nicht enthalten +zu fragen, warum denn dies alles so geheimnisvoll und in der Nacht geschehen +müsse. Er antwortete mir, daß seine Anverwandten, die seine Absicht für grausam +hielten, bei Tage ihn abhalten würden; sei aber nur erst einmal der Kopf +abgenommen, so könnten sie wenig mehr darüber sagen. Er hätte mir zwar den Kopf +bringen können; aber ein natürliches Gefühl halte ihn ab, ihn selbst +abzunehmen. +</p> + +<p> +Wir waren indes bis an ein großes, prachtvolles Haus gekommen. Mein Begleiter +zeigte es mir als das Ziel unseres nächtlichen Spazierganges. Wir gingen an dem +Haupttor des Hauses vorbei, traten in eine kleine Pforte, die der Unbekannte +sorgfältig hinter sich zumachte, und stiegen nun im Finstern eine enge +Wendeltreppe hinan. Sie führte in einen spärlich erleuchteten Gang, aus welchem +wir in ein Zimmer gelangten, das eine Lampe, die an der Decke befestigt war, +erleuchtete. +</p> + +<p> +In diesem Gemach stand ein Bett, in welchem der Leichnam lag. Der Unbekannte +wandte sein Gesicht ab und schien Tränen verbergen zu wollen. Er deutete nach +dem Bett, befahl mir, mein Geschäft gut und schnell zu verrichten, und ging +wieder zur Türe hinaus. +</p> + +<p> +Ich packte meine Messer, die ich als Arzt immer bei mir führte, aus und näherte +mich dem Bett. Nur der Kopf war von der Leiche sichtbar; aber dieser war so +schön, daß mich unwillkürlich das innigste Mitleiden ergriff. In langen +Flechten hing das dunkle Haar herab, das Gesicht war bleich, die Augen +geschlossen. Ich machte zuerst einen Einschnitt in die Haut, nach der Weise der +Ärzte, wenn sie ein Glied abschneiden. Sodann nahm ich mein schärfstes Messer +und schnitt mit einem Zug die Kehle durch. Aber welcher Schrecken! Die Tote +schlug die Augen auf, schloß sie aber gleich wieder, und in einem tiefen +Seufzer schien sie jetzt erst ihr Leben auszuhauchen. Zugleich schoß mir ein +Strahl heißen Blutes aus der Wunde entgegen. Ich überzeugte mich, daß ich erst +die Arme getötet hatte; denn daß sie tot sei, war kein Zweifel, da es von +dieser Wunde keine Rettung gab. Ich stand einige Minuten in banger +Beklommenheit über das, was geschehen war. Hatte der Rotmantel mich betrogen, +oder war die Schwester vielleicht nur scheintot gewesen? Das letztere schien +mir wahrscheinlicher. Aber ich durfte dem Bruder der Verstorbenen nicht sagen, +daß vielleicht ein weniger rascher Schnitt sie erweckt hätte, ohne sie zu +töten, darum wollte ich den Kopf vollends ablösen; aber noch einmal stöhnte die +Sterbende, streckt sich in schmerzhafter Bewegung aus und starb. Da übermannte +mich der Schrecken, und ich stürzte schaudernd aus dem Gemach. Aber draußen im +Gang war es finster; denn die Lampe war verlöscht. Keine Spur von meinem +Begleiter war zu entdecken, und ich mußte aufs ungefähr mich im Finstern an der +Wand fortbewegen, um an die Wendeltreppe zu gelangen. Ich fand sie endlich und +kam halb fallend, halb gleitend hinab. Auch unten war kein Mensch. Die Türe +fand ich nur angelehnt, und ich atmete freier, als ich auf der Straße war; denn +in dem Hause war mir ganz unheimlich geworden. Von Schrecken gespornt, rannte +ich in meine Wohnung und begrub mich in die Polster meines Lagers, um das +Schreckliche zu vergessen, das ich getan hatte. Aber der Schlaf floh mich, und +erst der Morgen ermahnte mich wieder, mich zu fassen. Es war mir +wahrscheinlich, daß der Mann, der mich zu dieser verruchten Tat, wie sie mir +jetzt erschien, verführt hatte, mich nicht angeben würde. Ich entschloß mich, +gleich in mein Gewölbe an mein Geschäft zu gehen und womöglich eine sorglose +Miene anzunehmen. Aber ach! Ein neuer Umstand, den ich jetzt erst bemerkte, +vermehrte noch meinen Kummer. Meine Mütze und mein Gürtel wie auch meine Messer +fehlten mir, und ich war ungewiß, ob ich sie in dem Zimmer der Getöteten +gelassen oder erst auf meiner Flucht verloren hatte. Leider schien das erste +wahrscheinlicher, und man konnte mich also als Mörder entdecken. +</p> + +<p> +Ich öffnete zur gewöhnlichen Zeit mein Gewölbe. Mein Nachbar trat zu mir her, +wie er alle Morgen zu tun pflegte, denn er war ein gesprächiger Mann. +„Ei, was sagt Ihr zu der schrecklichen Geschichte“, hub er an, +„die heute nacht vorgefallen ist?“ Ich tat, als ob ich nichts +wüßte. „Wie, solltet Ihr nicht wissen, von was die ganze Stadt erfüllt +ist? Nicht wissen, daß die schönste Blume von Florenz, Bianka, die Tochter des +Gouverneurs, in dieser Nacht ermordet wurde? Ach! Ich sah sie gestern noch so +heiter durch die Straßen fahren mit ihrem Bräutigam, denn heute hätten sie +Hochzeit gehabt.“ +</p> + +<p> +Jedes Wort des Nachbarn war mir ein Stich ins Herz. Und wie oft kehrte meine +Marter wieder; denn jeder meiner Kunden erzählte mir die Geschichte, immer +einer schrecklicher als der andere, und doch konnte keiner so Schreckliches +sagen, als ich selbst gesehen hatte. Um Mittag ungefähr trat ein Mann vom +Gericht in mein Gewölbe und bat mich, die Leute zu entfernen. „Signore +Zaleukos“, sprach er, indem er die Sachen, die ich vermißte, hervorzog, +„gehören diese Sachen Euch zu?“ Ich besann mich, ob ich sie nicht +gänzlich ableugnen sollte; aber als ich durch die halbgeöffnete Tür meinen Wirt +und mehrere Bekannte, die wohl gegen mich zeugen konnten, erblickte, beschloß +ich, die Sache nicht noch durch eine Lüge zu verschlimmern, und bekannte mich +zu den vorgezeigten Dingen. Der Gerichtsmann bat mich, ihm zu folgen, und +führte mich in ein großes Gebäude, das ich bald für das Gefängnis erkannte. +Dort wies er mir bis auf weiteres ein Gemach an. +</p> + +<p> +Meine Lage war schrecklich, als ich so in der Einsamkeit darüber nachdachte. +Der Gedanke, gemordet zu haben, wenn auch ohne Willen, kehrte immer wieder. +Auch konnte ich mir nicht verhehlen, daß der Glanz des Goldes meine Sinne +befangen gehalten hatte; sonst hätte ich nicht so blindlings in die Falle gehen +können. Zwei Stunden nach meiner Verhaftung wurde ich aus meinem Gemach +geführt. Mehrere Treppen ging es hinab, dann kam man in einen großen Saal. Um +einen langen, schwarzbehängten Tisch saßen dort zwölf Männer, meistens Greise. +An den Seiten des Saales zogen sich Bänke herab, angefüllt mit den Vornehmsten +von Florenz; auf den Galerien, die in der Höhe angebracht waren, standen dicht +gedrängt die Zuschauer. Als ich bis vor den schwarzen Tisch getreten war, erhob +sich ein Mann mit finsterer, trauriger Miene; es war der Gouverneur. Er sprach +zu den Versammelten, daß er als Vater in dieser Sache nicht richten könne und +daß er seine Stelle für diesmal an den ältesten der Senatoren abtrete. Der +älteste der Senatoren war ein Greis von wenigstens neunzig Jahren. Er stand +gebückt, und seine Schläfen waren mit dünnem, weißem Haar umhängt; aber feurig +brannten noch seine Augen, und seine Stimme war stark und sicher. Er hub an, +mich zu fragen, ob ich den Mord gestehe. Ich bat ihn um Gehör und erzählte +unerschrocken und mit vernehmlichen Stimme, was ich getan hatte und was ich +wußte. Ich bemerkte, daß der Gouverneur während meiner Erzählung bald blaß, +bald rot wurde, und als ich geschlossen, fuhr er wütend auf: „Wie, +Elender!“ rief er mir zu, „so willst du ein Verbrechen, das du aus +Habgier begangen, noch einem anderen aufbürden?“ +</p> + +<p> +Der Senator verwies ihm seine Unterbrechung, da er sich freiwillig seines +Rechtes begeben habe; auch sei es gar nicht so erwiesen, daß ich aus Habgier +gefrevelt; denn nach seiner eigenen Aussage sei ja der Getöteten nichts +gestohlen worden. Ja, er ging noch weiter; er erklärte dem Gouverneur, daß er +über das frühere Leben seiner Tochter Rechenschaft geben müsse; denn nur so +könne man schließen, ob ich die Wahrheit gesagt habe oder nicht. Zugleich hob +er für heute das Gericht auf, um sich, wie er sagte, aus den Papieren der +Verstorbenen, die ihm der Gouverneur übergeben werde, Rat zu holen. Ich wurde +wieder in mein Gefängnis zurückgeführt, wo ich einen schaurigen Tag verlebte, +immer mit dem heißen Wunsch beschäftigt, daß man doch irgendeine Verbindung +zwischen der Toten und dem Rotmantel entdecken möchte. Voll Hoffnung trat ich +den anderen Tag in den Gerichtssaal. Es lagen mehrere Briefe auf dem Tisch. Der +alte Senator fragte mich, ob sie meine Handschrift seien. Ich sah sie an und +fand, daß sie von derselben Hand sein müßten wie jene beiden Zettel, die ich +erhalten. Ich äußerte dies den Senatoren; aber man schien nicht darauf zu +achten und antwortete, daß ich beides geschrieben haben könne und müsse; denn +der Namenszug unter den Briefen sei unverkennbar ein Z, der Anfangsbuchstabe +meines Namens. Die Briefe aber enthielten Drohungen an die Verstorbene und +Warnungen vor der Hochzeit, die sie zu vollziehen im Begriff war. +</p> + +<p> +Der Gouverneur schien sonderbare Aufschlüsse in Hinsicht auf meine Person +gegeben zu haben; denn man behandelte mich an diesem Tage mißtrauischer und +strenger. Ich berief mich zu meiner Rechtfertigung auf meine Papiere, die sich +in meinem Zimmer finden müßten; aber man sagte mir, man habe nachgesucht und +nichts gefunden. So schwand mir am Schlusse dieses Gerichts alle Hoffnung, und +als ich am dritten Tag wieder in den Saal geführt wurde, las man mir das Urteil +vor, daß ich, eines vorsätzlichen Mordes überwiesen, zum Tode verurteilt sei. +Dahin also war es mit mir gekommen. Verlassen von allem, was mir auf Erden noch +teuer war, fern von meiner Heimat, sollte ich unschuldig in der Blüte meiner +Jahre vom Beile sterben. +</p> + +<p> +Ich saß am Abend dieses schrecklichen Tages, der über mein Schicksal +entschieden hatte, in meinem einsamen Kerker; meine Hoffnungen waren dahin, +meine Gedanken ernsthaft auf den Tod gerichtet. Da tat sich die Türe meines +Gefängnisses auf, und ein Mann trat herein, der mich lange schweigend +betrachtete. „So finde ich dich wieder, Zaleukos?“ sagte er; ich +hatte ihn bei dem matten Schein meiner Lampe nicht erkannt, aber der Klang +seiner Stimme erweckte alte Erinnerungen in mir, es war Valetty, einer jener +wenigen Freunde, die ich in der Stadt Paris während meiner Studien kannte. Er +sagte, daß er zufällig nach Florenz gekommen sei, wo sein Vater als angesehener +Mann wohne, er habe von meiner Geschichte gehört und sei gekommen, um mich noch +einmal zu sehen und von mir selbst zu erfahren, wie ich mich so schwer habe +verschulden können. Ich erzählte ihm die ganze Geschichte. Er schien darüber +sehr verwundert und beschwor mich, ihm, meinem einzigen Freunde, alles zu +sagen, um nicht mit einer Lüge von hinnen zu gehen. Ich schwor ihm mit dem +teuersten Eid, daß ich wahr gesprochen und daß keine andere Schuld mich drücke, +als daß ich, von dem Glanze des Goldes geblendet, das Unwahrscheinliche der +Erzählung des Unbekannten nicht erkannt habe. „So hast du Bianka nicht +gekannt?“ fragte jener. Ich beteuerte ihm, sie nie gesehen zu haben. +Valetty erzählte mir nun, daß ein tiefes Geheimnis auf der Tat liege, daß der +Gouverneur meine Verurteilung sehr hastig betrieben habe, und es sei nun ein +Gerücht unter die Leute gekommen, daß ich Bianka schon längst gekannt und aus +Rache über ihre Heirat mit einem anderen sie ermordet habe. Ich bemerkte ihm, +daß dies alles ganz auf den Rotmantel passe, daß ich aber seine Teilnahme an +der Tat mit nichts beweisen könne. Valetty umarmte mich weinend und versprach +mir, alles zu tun, um wenigstens mein Leben zu retten. Ich hatte wenig +Hoffnung; doch wußte ich, daß Valetty ein weiser und der Gesetze kundiger Mann +sei und daß er alles tun werde, mich zu retten. Zwei lange Tage war ich in +Ungewißheit: Endlich erschien auch Valetty. „Ich bringe Trost, wenn auch +einen schmerzlichen. Du wirst leben und frei sein; aber mit Verlust einer +Hand.“ Gerührt dankte ich meinem Freunde für mein Leben. Er sagte mir, +daß der Gouverneur unerbittlich gewesen sei, die Sache noch einmal untersuchen +zu lassen; daß er aber endlich, um nicht ungerecht zu erscheinen, bewilligt +habe, wenn man in den Büchern der florentinischen Geschichte einen ähnlichen +Fall finde, so solle meine Strafe sich nach der Strafe, die dort ausgesprochen +sei, richten. Er und sein Vater haben nun Tag und Nacht in den alten Büchern +gelesen und endlich einen ganz dem meinigen ähnlichen Fall gefunden. Dort laute +die Strafe: Es soll ihm die linke Hand abgehauen, seine Güter eingezogen, er +selbst auf ewig verbannt werden. So laute jetzt auch meine Strafe, und ich +solle mich jetzt bereiten zu der schmerzhaften Stunde, die meiner warte. Ich +will euch nicht diese schreckliche Stunde vor das Auge führen, wo ich auf +offenem Markt meine Hand auf den Block legte, wo mein eigenes Blut in weitem +Bogen mich überströmte! +</p> + +<p> +Valetty nahm mich in sein Haus auf, bis ich genesen war, dann versah er mich +edelmütig mit Reisegeld; denn alles, was ich mir so mühsam erworben, war eine +Beute des Gerichts geworden. Ich reiste von Florenz nach Sizilien und von da +mit dem ersten Schiff, das ich fand, nach Konstantinopel. Meine Hoffnung war +auf die Summe gerichtet, die ich meinem Freunde übergeben hatte, auch bat ich +ihn, bei ihm wohnen zu dürfen; aber wie erstaunte ich, als dieser mich fragte, +warum ich denn nicht mein Haus beziehe! Er sagte mir, daß ein fremder Mann +unter meinem Namen ein Haus in dem Quartier der Griechen gekauft habe; derselbe +habe auch den Nachbarn gesagt, daß ich bald selbst kommen werde. Ich ging +sogleich mit meinem Freunde dahin und wurde von allen meinen Bekannten freudig +empfangen. Ein alter Kaufmann gab mir einen Brief, den der Mann, der für mich +gekauft hatte, hiergelassen habe. +</p> + +<p> +Ich las: „Zaleukos! Zwei Hände stehen bereit, rastlos zu schaffen, daß Du +nicht fühlest den Verlust der einen. Das Haus, das Du siehest, und alles, was +darin ist, ist Dein, und alle Jahre wird man Dir so viel reichen, daß Du zu den +Reichen Deines Volkes gehören wirst. Mögest Du dem vergeben, der unglücklicher +ist als Du.“ Ich konnte ahnen, wer es geschrieben, und der Kaufmann sagte +mir auf meine Frage: Es sei ein Mann gewesen, den er für einen Franken +gehalten, er habe einen roten Mantel angehabt. Ich wußte genug, um mir zu +gestehen, daß der Unbekannte doch nicht ganz von aller edlen Gesinnung entblößt +sein müsse. In meinem neuen Haus fand ich alles aufs beste eingerichtet, auch +ein Gewölbe mit Waren, schöner als ich sie je gehabt. Zehn Jahre sind seitdem +verstrichen; mehr aus alter Gewohnheit, als weil ich es nötig habe, setze ich +meine Handelsreisen fort; doch habe ich jenes Land, wo ich so unglücklich +wurde, nie mehr gesehen. Jedes Jahr erhielt ich seitdem tausend Goldstücke; +aber, wenn es mir auch Freude macht, jenen Unglücklichen edel zu wissen, so +kann er mir doch den Kummer meiner Seele nicht abkaufen, denn ewig lebt in mir +das grauenvolle Bild der ermordeten Bianka. +</p> + +<hr /> + +<p> +Zaleukos, der griechische Kaufmann, hatte seine Geschichte geendigt. Mit großer +Teilnahme hatten ihm die übrigen zugehört, besonders der Fremde schien sehr +davon ergriffen zu sein; er hatte einigemal tief geseufzt, und Muley schien es +sogar, als habe er einmal Tränen in den Augen gehabt. Sie besprachen sich noch +lange Zeit über diese Geschichte. +</p> + +<p> +„Und haßt Ihr den Unbekannten nicht, der Euch so schnöd’ um ein so +edles Glied Eures Körpers, der selbst Euer Leben in Gefahr brachte?“ +fragte der Fremde. +</p> + +<p> +„Wohl gab es in früherer Zeit Stunden“, antwortete der Grieche, +„in denen mein Herz ihn vor Gott angeklagt, daß er diesen Kummer über +mich gebracht und mein Leben vergiftet habe; aber ich fand Trost in dem Glauben +meiner Väter, und dieser befiehlt mir, meine Feinde zu lieben; auch ist er wohl +noch unglücklicher als ich.“ +</p> + +<p> +„Ihr seid ein edler Mann!“ rief der Fremde und drückte gerührt dem +Griechen die Hand. +</p> + +<p> +Der Anführer der Wache unterbrach sie aber in ihrem Gespräch. Er trat mit +besorgter Miene in das Zelt und berichtete, daß man sich nicht der Ruhe +überlassen dürfe; denn hier sei die Stelle, wo gewöhnlich die Karawanen +angegriffen würden, auch glaubten seine Wachen, in der Entfernung mehrere +Reiter zu sehen. +</p> + +<p> +Die Kaufleute waren sehr bestürzt über diese Nachricht; Selim, der Fremde, aber +wunderte sich über ihre Bestürzung und meinte, daß sie so gut geschätzt wären, +daß sie einen Trupp räuberischer Araber nicht zu fürchten brauchten. +</p> + +<p> +„Ja, Herr!“ entgegnete ihm der Anführer der Wache. „Wenn es +nur solches Gesindel wäre, könnte man sich ohne Sorge zur Ruhe legen; aber seit +einiger Zeit zeigt sich der furchtbare Orbasan wieder, und da gilt es, auf +seiner Hut zu sein.“ +</p> + +<p> +Der Fremde fragte, wer denn dieser Orbasan sei, und Achmet, der alte Kaufmann, +antwortete ihm: „Es gehen allerlei Sagen unter dem Volke über diesen +wunderbaren Mann. Die einen halten ihn für ein übermenschliches Wesen, weil er +oft mit fünf bis sechs Männern zumal einen Kampf besteht, andere halten ihn für +einen tapferen Franken, den das Unglück in diese Gegend verschlagen habe; von +allem aber ist nur so viel gewiß, daß er ein verruchter Mörder und Dieb +ist.“ +</p> + +<p> +„Das könnt Ihr aber doch nicht behaupten“, entgegnete ihm Lezah, +einer der Kaufleute. „Wenn er auch ein Räuber ist, so ist er doch ein +edler Mann, und als solcher hat er sich an meinem Bruder bewiesen, wie ich Euch +erzählen könnte. Er hat seinen ganzen Stamm zu geordneten Menschen gemacht, und +so lange er die Wüste durchstreift, darf kein anderer Stamm es wagen, sich +sehen zu lassen. Auch raubt er nicht wie andere, sondern er erhebt nur ein +Schutzgeld von den Karawanen, und wer ihm dieses willig bezahlt, der ziehet +ungefährdet weiter; denn Orbasan ist der Herr der Wüste.“ +</p> + +<p> +Also sprachen unter sich die Reisenden im Zelte; die Wachen aber, die um den +Lagerplatz ausgestellt waren, begannen unruhig zu werden. Ein ziemlich +bedeutender Haufe bewaffneter Reiter zeigte sich in der Entfernung einer halben +Stunde; sie schienen gerade auf das Lager zuzureiten. Einer der Männer von der +Wache ging daher in das Zelt, um zu verkünden, daß sie wahrscheinlich +angegriffen würden. Die Kaufleute berieten sich untereinander, was zu tun sei, +ob man ihnen entgegengehen oder den Angriff abwarten solle. Achmet und die zwei +älteren Kaufleute wollten das letztere, der feurige Muley aber und Zaleukos +verlangten das erstere und riefen den Fremden zu ihrem Beistand auf. Dieser zog +ruhig ein kleines, blaues Tuch mit roten Sternen aus seinem Gürtel hervor, band +es an eine Lanze und befahl einem der Sklaven, es auf das Zelt zu stecken; er +setze sein Leben zum Pfand, sagte er, die Reiter werden, wenn sie dieses +Zeichen sehen, ruhig vorüberziehen. Muley glaubte nicht an den Erfolg, der +Sklave aber steckte die Lanze auf das Zelt. Inzwischen hatten alle, die im +Lager waren, zu den Waffen gegriffen und sahen in gespannter Erwartung den +Reitern entgegen. Doch diese schienen das Zeichen auf dem Zelte erblickt zu +haben, sie wichen plötzlich von ihrer Richtung auf das Lager ab und zogen in +einem großen Bogen auf der Seite hin. +</p> + +<p> +Verwundert standen einige Augenblicke die Reisenden und sahen bald auf die +Reiter, bald auf den Fremden. Dieser stand ganz gleichgültig, wie wenn nichts +vorgefallen wäre, vor dem Zelte und blickte über die Ebene hin. Endlich brach +Muley das Stillschweigen. „Wer bist du, mächtiger Fremdling“, rief +er aus, „der du die wilden Horden der Wüste durch einen Wink +bezähmst?“ +</p> + +<p> +„Ihr schlagt meine Kunst höher an, als sie ist“, antwortete Selim +Baruch. „Ich habe mich mit diesem Zeichen versehen, als ich der +Gefangenschaft entfloh; was es zu bedeuten hat, weiß ich selbst nicht; nur so +viel weiß ich, daß, wer mit diesem Zeichen reiset, unter mächtigem Schutze +steht.“ +</p> + +<p> +Die Kaufleute dankten dem Fremden und nannten ihn ihren Erretter. Wirklich war +auch die Anzahl der Reiter so groß gewesen, daß wohl die Karawane nicht lange +hätte Widerstand leisten können. +</p> + +<p> +Mit leichterem Herzen begab man sich jetzt zur Ruhe, und als die Sonne zu +sinken begann und der Abendwind über die Sandebene hinstrich, brachen sie auf +und zogen weiter. +</p> + +<p> +Am nächsten Tage lagerten sie ungefähr nur noch eine Tagreise von dem Ausgang +der Wüste entfernt. Als sich die Reisenden wieder in dem großen Zelt versammelt +hatten, nahm Lezah, der Kaufmann, das Wort: +</p> + +<p> +„Ich habe euch gestern gesagt, daß der gefürchtete Orbasan ein edler Mann +sei, erlaubt mir, daß ich es euch heute durch die Erzählung der Schicksale +meines Bruders beweise. Mein Vater war Kadi in Akara. Er hatte drei Kinder. Ich +war der Älteste, ein Bruder und eine Schwester waren bei weitem jünger als ich. +Als ich zwanzig Jahre alt war, rief mich ein Bruder meines Vaters zu sich. Er +setzte mich zum Erben seiner Güter ein, mit der Bedingung, daß ich bis zu +seinem Tode bei ihm bleibe. Aber er erreichte ein hohes Alter, so daß ich erst +vor zwei Jahren in meine Heimat zurückkehrte und nichts davon wußte, welch +schreckliches Schicksal indes mein Haus betroffen und wie gütig Allah es +gewendet hatte.“ +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap06"></a>Die Errettung Fatmes</h2> + +<p class="center"> +Wilhelm Hauff +</p> + +<p> +Mein Bruder Mustapha und meine Schwester Fatme waren beinahe in gleichem Alter; +jener hatte höchstens zwei Jahre voraus. Sie liebten einander innig und trugen +vereint alles bei, was unserem kränklichen Vater die Last seines Alters +erleichtern konnte. An Fatmes sechzehntem Geburtstage veranstaltete der Bruder +ein Fest. Er ließ alle ihre Gespielinnen einladen, setzte ihnen in dem Garten +des Vaters ausgesuchte Speisen vor, und als es Abend wurde, lud er sie ein, auf +einer Barke, die er gemietet und festlich geschmückt hatte, ein wenig hinaus in +die See zu fahren. Fatme und ihre Gespielinnen willigten mit Freuden ein; denn +der Abend war schön, und die Stadt gewährte besonders abends, von dem Meere aus +betrachtet, einen herrlichen Anblick. Den Mädchen aber gefiel es so gut auf der +Barke, daß sie meinen Bruder bewogen, immer weiter in die See hinauszufahren. +Mustapha gab aber ungern nach, weil sich vor einigen Tagen ein Korsar hatte +sehen lassen. Nicht weit von der Stadt zieht sich ein Vorgebirge in das Meer. +Dorthin wollten noch die Mädchen, um von da die Sonne in das Meer sinken zu +sehen. Als sie um das Vorgebirg’ herumruderten, sahen sie in geringer +Entfernung eine Barke, die mit Bewaffneten besetzt war. Nichts Gutes ahnend, +befahl mein Bruder den Ruderern, sein Schiff zu drehen und dem Lande +zuzurudern. Wirklich schien sich auch seine Besorgnis zu bestätigen; denn jene +Barke kam der meines Bruders schnell nach, überholte sie, da sie mehr Ruder +hatte, und hielt sich immer zwischen dem Land, und unserer Barke. Die Mädchen +aber, als sie die Gefahr erkannten, in der sie schwebten, sprangen auf und +schrien und klagten; umsonst suchte sie Mustapha zu beruhigen, umsonst stellte +er ihnen vor, ruhig zu bleiben, weil sie durch ihr Hin- und Herrennen die Barke +in Gefahr brächten umzuschlagen. Es half nichts, und da sie sich endlich bei +Annäherung des anderen Bootes alle auf die hintere Seite der Barke stürzten, +schlug diese um. Indessen aber hatte man vom Land aus die Bewegungen des +fremden Bootes beobachtet, und da man schon seit einiger Zeit Besorgnisse wegen +Korsaren hegte, hatte dieses Boot Verdacht erregt, und mehrere Barken stießen +vom Lande, um den Unsrigen beizustehen. Aber sie kamen nur noch zu rechter +Zeit, um die Untersinkenden aufzunehmen. In der Verwirrung war das feindliche +Boot entwischt, auf den beiden Barken aber, welche die Geretteten aufgenommen +hatten, war man ungewiß, ob alle gerettet seien. Man näherte sich gegenseitig, +und ach! Es fand sich, daß meine Schwester und eine ihrer Gespielinnen fehlten; +zugleich entdeckte man aber einen Fremden in einer der Barken, den niemand +kannte. Auf die Drohungen Mustaphas gestand er, daß er zu dem feindlichen +Schiff, das zwei Meilen ostwärts vor Anker liege, gehöre, und daß ihn seine +Gefährten auf ihrer eiligen Flucht im Stich gelassen hätten, indem er im +Begriff gewesen sei, die Mädchen auffischen zu helfen; auch sagte er aus, daß +er gesehen habe, wie man zwei derselben in das Schiff gezogen. +</p> + +<p> +Der Schmerz meines alten Vaters war grenzenlos, aber auch Mustapha war bis zum +Tod betrübt, denn nicht nur, daß seine geliebte Schwester verloren war und daß +er sich anklagte, an ihrem Unglück schuld zu sein—jene Freundin Fatmes, +die ihr Unglück teilte, war von ihren Eltern ihm zur Gattin zugesagt gewesen, +und nur unserem Vater hatte er es noch nicht zu gestehen gewagt, weil ihre +Eltern arm und von geringer Abkunft waren. Mein Vater aber war ein strenger +Mann; als sein Schmerz sich ein wenig gelegt hatte, ließ er Mustapha vor sich +kommen und sprach zu ihm: „Deine Torheit hat mir den Trost meines Alters +und die Freude meiner Augen geraubt. Gehe hin, ich verbanne dich auf ewig von +meinem Angesicht, ich fluche dir und deinen Nachkommen, aber nur, wenn du mir +Fatme wiederbringst, soll dein Haupt rein sein von dem Fluche des +Vaters.“ +</p> + +<p> +Dies hatte mein armer Bruder nicht erwartet; schon vorher hatte er sich +entschlossen gehabt, seine Schwester und ihre Freundin aufzusuchen, und wollte +sich nur noch den Segen des Vaters dazu erbitten, und jetzt schickte er ihn, +mit dem Fluch beladen, in die Welt. Aber hatte ihn jener Jammer vorher gebeugt, +so stählte jetzt die Fülle des Unglücks, das er nicht verdient hatte, seinen +Mut. +</p> + +<p> +Er ging zu dem gefangenen Seeräuber und befragte ihn, wohin die Fahrt seines +Schiffes ginge, und erfuhr, daß sie Sklavenhandel trieben und gewöhnlich in +Balsora großen Markt hielten. +</p> + +<p> +Als er wieder nach Hause kam, um sich zur Reise anzuschicken, schien sich der +Zorn des Vaters ein wenig gelegt zu haben, denn er sandte ihm einen Beutel mit +Gold zur Unterstützung auf der Reise. Mustapha aber nahm weinend von den Eltern +Zoraides, so hieß seine geliebte Braut, Abschied und machte sich auf den Weg +nach Balsora. +</p> + +<p> +Mustapha machte die Reise zu Land, weil von unserer kleinen Stadt aus nicht +gerade ein Schiff nach Balsora ging. Er mußte daher sehr starke Tagreisen +machen, um nicht zu lange nach den Seeräubern nach Balsora zu kommen; doch da +er ein gutes Roß und kein Gepäck hatte, konnte er hoffen, diese Stadt am Ende +des sechsten Tages zu erreichen. Aber am Abend des vierten Tages, als er ganz +allein seines Weges ritt, fielen ihn plötzlich drei Männer an. Da er merkte, +daß sie gut bewaffnet und stark seien und daß es mehr auf sein Geld und sein +Roß als auf sein Leben abgesehen war, so rief er ihnen zu, daß er sich ihnen +ergeben wolle. Sie stiegen von ihren Pferden ab und banden ihm die Füße unter +dem Bauch seines Tieres zusammen; ihn selbst aber nahmen sie in die Mitte und +trabten, indem einer den Zügel seines Pferdes ergriff, schnell mit ihm davon, +ohne jedoch ein Wort zu sprechen. +</p> + +<p> +Mustapha gab sich einer dumpfen Verzweiflung hin, der Fluch seines Vaters +schien schon jetzt an dem Unglücklichen in Erfüllung zu gehen, und wie konnte +er hoffen, seine Schwester und Zoraide zu retten, wenn er, aller Mittel +beraubt, nur sein ärmliches Leben zu ihrer Befreiung aufwenden konnte. Mustapha +und seine stummen Begleiter mochten wohl eine Stunde geritten sein, als sie in +ein kleines Seitental einbogen. Das Tälchen war von hohen Bäumen eingefaßt; ein +weicher dunkelgrüner Rasen, ein Bach, der schnell durch seine Mitte hinrollte, +luden zur Ruhe ein. Wirklich sah er auch fünfzehn bis zwanzig Zelte dort +aufgeschlagen; an den Pflöcken der Zelte waren Kamele und schöne Pferde +angebunden, aus einem der Zelte hervor tönte die lustige Weise einer Zither und +zweier schöner Männerstimmen. Meinem Bruder schien es, als ob Leute, die ein so +fröhliches Lagerplätzchen sich erwählt hatten, nichts Böses gegen ihn im Sinne +haben könnten, und er folgte also ohne Bangigkeit dem Ruf seiner Führer, die, +als sie seine Bande gelöst hatten, ihm winkten, abzusteigen. Man führte ihn in +ein Zelt, das größer als die übrigen und im Innern hübsch, fast zierlich +aufgeputzt war. Prächtige, goldbestickte Polster, gewirkte Fußteppiche, +übergoldete Rauchpfannen hätten anderswo Reichtum und Wohlleben verraten; hier +schienen sie nur kühner Raub. Auf einem der Polster saß ein alter kleiner Mann; +sein Gesicht war häßlich, seine Haut schwarzbraun und glänzend, und ein +widriger Zug von tückischer Schlauheit um Augen und Mund machte seinen Anblick +verhaßt. Obgleich sich dieser Mann einiges Ansehen zu geben suchte, so merkte +doch Mustapha bald, daß nicht für ihn das Zelt so reich geschmückt sei, und die +Unterredung seiner Führer schien seine Bemerkung zu bestätigen. „Wo ist +der Starke?“ fragten sie den Kleinen. +</p> + +<p> +„Er ist auf der kleinen Jagd“, antwortete jener, „aber er hat +mir aufgetragen, seine Stelle zu versehen.“ +</p> + +<p> +„Das hat er nicht gescheit gemacht“, entgegnete einer der Räuber, +„denn es muß sich bald entscheiden, ob dieser Hund sterben oder zahlen +soll, und das weiß der Starke besser als du.“ +</p> + +<p> +Der kleine Mann erhob sich im Gefühl seiner Würde, streckte sich lang aus, um +mit der Spitze seiner Hand das Ohr seines Gegners zu erreichen, denn er schien +Lust zu haben, sich durch einen Schlag zu rächen, als er aber sah, daß seine +Bemühung fruchtlos sei, fing er an zu schimpfen (und wahrlich! Die anderen +blieben ihm nichts schuldig), daß das Zelt von ihrem Streit erdröhnte. Da tat +sich auf einmal die Türe des Zeltes auf, und herein trat ein hoher, stattlicher +Mann, jung und schön wie ein Perserprinz; seine Kleidung und seine Waffen +waren, außer einem reichbesetzten Dolch und einem glänzenden Säbel, gering und +einfach; aber sein ernstes Auge, sein ganzer Anstand gebot Achtung, ohne Furcht +einzuflößen. +</p> + +<p> +„Wer ist’s, der es wagt, in meinem Zelte Streit zu beginnen?“ +rief er den Erschrockenen zu. Eine Zeitlang herrschte tiefe Stille; endlich +erzählte einer von denen, die Mustapha hergebracht hatten, wie es gegangen sei. +Da schien sich das Gesicht „des Starken“, wie sie ihn nannten, vor +Zorn zu röten. „Wann hätte ich dich je an meine Stelle gesetzt, +Hassan?“ schrie er mit furchtbarer Stimme dem Kleinen zu. Dieser zog sich +vor Furcht in sich selbst zusammen, daß er noch viel kleiner aussah als zuvor, +und schlich sich der Zelttüre zu. Ein hinlänglicher Tritt des Starken machte, +daß er in einem großen sonderbaren Sprung zur Zelttüre hinausflog. +</p> + +<p> +Als der Kleine verschwunden war, führten die drei Männer Mustapha vor den Herrn +des Zeltes, der sich indes auf die Polster gelegt hatte. „Hier bringen +wir den, welchen du uns zu fangen befohlen hast.“ +</p> + +<p> +Jener blickte den Gefangenen lange an und sprach sodann: „Bassa von +Sulieika! Dein eigenes Gewissen wird dir sagen, warum du vor Orbasan +stehst.“ +</p> + +<p> +Als mein Bruder dies hörte, warf er sich nieder vor jenem und antwortete: +„O Herr! Du scheinst im Irrtum zu sein. Ich bin ein armer Unglücklicher, +aber nicht der Bassa, den du suchst!“ +</p> + +<p> +Alle im Zelt waren über diese Rede erstaunt. Der Herr des Zeltes aber sprach: +„Es kann dir wenig helfen, dich zu verstellen; denn ich will die Leute +vorführen, die dich wohl kennen.“ Er befahl, Zuleima vorzufahren. Man +brachte ein altes Weib in das Zelt, das auf die Frage, ob sie in meinem Bruder +nicht den Bassa von Sulieika erkenne, antwortete: „Jawohl!“ Und sie +schwöre es beim Grab des Propheten, es sei der Bassa und kein anderer. +</p> + +<p> +„Siehst du, Erbärmlicher, wie deine List zu Wasser geworden ist!“ +begann zürnend der Starke. „Du bist mir zu elend, als daß ich meinen +guten Dolch mit deinem Blut besudeln sollte, aber an den Schweif meines Rosses +will ich dich binden, morgen, wenn die Sonne aufgeht, und durch die Wälder mit +dir jagen, bis sie scheidet hinter die Hügel von Sulieika!“ +</p> + +<p> +Da sank meinem armen Bruder der Mut. „Das ist der Fluch meines harten +Vaters, der mich zum schmachvollen Tode treibt“, rief er weinend, +„und auch du bist verloren, süße Schwester, auch du, Zoraide!“ +</p> + +<p> +„Deine Verstellung hilft dir nichts“, sprach einer der Räuber, +indem er ihm die Hände auf den Rücken band, „mach, daß du aus dem Zelte +kommst! Denn der Starke beißt sich in die Lippen und blickt nach seinem Dolch. +Wenn du noch eine Nacht leben willst, so komm!“ +</p> + +<p> +Als die Räuber gerade meinen Bruder aus dem Zelt führen wollten, begegneten sie +drei anderen, die einen Gefangenen vor sich hintrieben. Sie traten mit ihm ein. +„Hier bringen wir den Bassa, wie du uns befohlen hast“, sprachen +sie und führten den Gefangenen vor das Polster des Starken. Als der Gefangene +dorthin geführt wurde, hatte mein Bruder Gelegenheit, ihn zu betrachten, und +ihm selbst fiel die Ähnlichkeit auf, die dieser Mann mit ihm hatte, nur war er +dunkler im Gesicht und hatte einen schwärzeren Bart. +</p> + +<p> +Der Starke schien sehr erstaunt über die Erscheinung des zweiten Gefangenen. +„Wer von euch ist denn der Rechte?“ sprach er, indem er bald meinen +Bruder, bald den anderen Mann ansah. +</p> + +<p> +„Wenn du den Bassa von Sulieika meinst“, antwortete in stolzem Ton +der Gefangene, „der bin ich!“ Der Starke sah ihn lange mit seinem +ernsten, furchtbaren Blick an; dann winkte er schweigend, den Bassa +wegzuführen. +</p> + +<p> +Als dies geschehen war, ging er auf meinen Bruder zu, zerschnitt seine Bande +mit dem Dolch und winkte ihm, sich zu ihm aufs Polster zu setzen. „Es tut +mir leid, Fremdling“, sagte er, „daß ich dich für jenes Ungeheuer +hielt; schreibe es aber einer sonderbaren Fügung des Himmels zu, die dich +gerade in der Stunde, welche dem Untergang jenes Verruchten geweiht war, in die +Hände meiner Brüder führte.“ Mein Bruder bat ihn um die einzige Gunst, +ihn gleich wieder weiterreisen zu lassen, weil jeder Aufschub ihm verderblich +werden könne. Der Starke erkundigte sich nach seinen eiligen Geschäften, und +als ihm Mustapha alles erzählt hatte, überredete ihn jener, diese Nacht in +seinem Zelt zu bleiben, er und sein Roß werden der Ruhe bedürfen; den folgenden +Tag aber wolle er ihm einen Weg zeigen, der ihn in anderthalb Tagen nach +Balsora bringe—Mein Bruder schlug ein, wurde trefflich bewirtet und +schlief sanft bis zum Morgen in dem Zelt des Räubers. +</p> + +<p> +Als er aufgewacht war, sah er sich ganz allein im Zelt; vor dem Vorhang des +Zeltes aber hörte er mehrere Stimmen zusammen sprechen, die dem Herrn des +Zeltes und dem kleinen schwarzbraunen Mann anzugehören schienen. Er lauschte +ein wenig und hörte zu seinem Schrecken, daß der Kleine dringend den anderen +aufforderte, den Fremden zu töten, weil er, wenn er freigelassen würde, sie +alle verraten könnte. +</p> + +<p> +Mustapha merkte gleich, daß der Kleine ihm gram sei, weil er die Ursache war, +daß er gestern so übel behandelt wurde; der Starke schien sich einige +Augenblicke zu besinnen. „Nein“, sprach er, „er ist mein +Gastfreund, und das Gastrecht ist mir heilig; auch sieht er mir nicht aus, als +ob er uns verraten wollte.“ +</p> + +<p> +Als er so gesprochen, schlug er den Vorhang zurück und trat ein. „Friede +sei mit dir, Mustapha!“ sprach er, „laß uns den Morgentrunk kosten, +und rüste dich dann zum Aufbruch!“ Er reichte meinem Bruder einen Becher +Sorbet, und als sie getrunken hatten, zäumten sie die Pferde auf, und wahrlich, +mit leichterem Herzen, als er gekommen war, schwang sich Mustapha aufs Pferd. +Sie hatten bald die Zelte im Rücken und schlugen dann einen breiten Pfad ein, +der in den Wald führte. Der Starke erzählte meinem Bruder, daß jener Bassa, den +sie auf der Jagd gefangen hätten, ihnen versprochen habe, sie ungefährdet in +seinem Gebiete zu dulden; vor einigen Wochen aber habe er einen ihrer +tapfersten Männer aufgefangen und nach den schrecklichsten Martern aufhängen +lassen. Er habe ihm nun lange auflauern lassen, und heute noch müsse er +sterben. Mustapha wagte es nicht, etwas dagegen einzuwenden; denn er war froh, +selbst mit heiler Haut davongekommen zu sein. +</p> + +<p> +Am Ausgang des Waldes hielt der Starke sein Pferd an, beschrieb meinem Bruder +den Weg, bot ihm die Hand zum Abschied und sprach: „Mustapha, du bist auf +sonderbare Weise der Gastfreund des Räubers Orbasan geworden; ich will dich +nicht auffordern, nicht zu verraten, was du gesehen und gehört hast. Du hast +ungerechterweise Todesangst ausgestanden, und ich bin dir Vergütung schuldig. +Nimm diesen Dolch als Andenken, und so du Hilfe brauchst, so sende ihn mir zu, +und ich will eilen, dir beizustehen. Diesen Beutel aber kannst du vielleicht zu +deiner Reise brauchen.“ Mein Bruder dankte ihm für seinen Edelmut; er +nahm den Dolch, den Beutel aber schlug er aus. Doch Orbasan drückte ihm noch +einmal die Hand, ließ den Beutel auf die Erde fallen und sprengte mit +Sturmeseile in den Wald. Als Mustapha sah, daß er ihn doch nicht mehr werde +einholen können, stieg er ab, um den Beutel aufzuheben, und erschrak über die +Größe von seines Gastfreundes Großmut; denn der Beutel enthielt eine Menge +Gold. Er dankte Allah für seine Rettung, empfahl ihm den edlen Räuber in seine +Gnade und zog dann heiteren Mutes weiter auf seinem Wege nach Balsora. +</p> + +<p> +Lezah schwieg und sah Achmet, den alten Kaufmann, fragend an. „Nein, wenn +es so ist“, sprach dieser, „so verbessere ich gern mein Urteil von +Orbasan; denn wahrlich, an deinem Bruder hat er schön gehandelt.“ +</p> + +<p> +„Er hat getan wie ein braver Muselmann“, rief Muley; „aber +ich hoffe, du hast deine Geschichte damit nicht geschlossen; denn wie mich +bedünkt, sind wir alle begierig, weiter zu hören, wie es deinem Bruder erging +und ob er Fatme, deine Schwester, und die schöne Zoraide befreit hat.“ +</p> + +<p> +„Wenn ich euch nicht damit langweile, erzähle ich gerne weiter“, +entgegnete Lezah, „denn die Geschichte meines Bruders ist allerdings +abenteuerlich und wundervoll.“ +</p> + +<p> +Am Mittag des siebenten Tages nach seiner Abreise zog Mustapha in die Tore von +Balsora ein. Sobald er in einer Karawanserei abgestiegen war, fragte er, wann +der Sklavenmarkt, der alljährlich hier gehalten werde, anfange. Aber er erhielt +die Schreckensantwort, daß er zwei Tage zu spät komme. Man bedauerte seine +Verspätung und erzählte ihm, daß er viel verloren habe; denn noch an dem +letzten Tage des Marktes seien zwei Sklavinnen angekommen, von so hoher +Schönheit, daß sie die Augen aller Käufer auf sich gezogen hätten. Man habe +sich ordentlich um sie gerissen und geschlagen, und sie seien freilich auch zu +einem so hohen Preise verkauft worden, daß ihn nur ihr jetziger Herr nicht habe +scheuen können. Er erkundigte sich näher nach diesen beiden, und es blieb ihm +kein Zweifel, daß es die Unglücklichen seien, die er suchte. Auch erfuhr er, +daß der Mann, der sie beide gekauft habe, vierzig Stunden von Balsora wohne und +Thiuli-Kos heiße, ein vornehmer, reicher, aber schon ältlicher Mann, der früher +Kapudan-Bassa des Großherrn gewesen, jetzt aber sich mit seinen gesammelten +Reichtümern zur Ruhe gesetzt habe. +</p> + +<p> +Mustapha wollte von Anfang sich gleich wieder zu Pferd setzen, um dem +Thiuli-Kos, der kaum einen Tag Vorsprung haben konnte, nachzueilen. Als er aber +bedachte, daß er als einzelner Mann dem mächtigen Reisenden doch nichts anhaben +noch weniger seine Beute ihm abjagen konnte, sann er auf einen anderen Plan und +hatte ihn auch bald gefunden. Die Verwechslung mit dem Bassa von Sulieika, die +ihm beinahe so gefährlich geworden wäre, brachte ihn auf den Gedanken, unter +diesem Namen in das Haus des Thiuli-Kos zu gehen und so einen Versuch zur +Rettung der beiden unglücklichen Mädchen zu wagen. Er mietete daher einige +Diener und Pferde, wobei ihm Orbasans Geld trefflich zustatten kam, schaffte +sich und seinen Dienern prächtige Kleider an und machte sich auf den Weg nach +dem Schlosse Thiulis. Nach fünf Tagen war er in die Nähe dieses Schlosses +gekommen. Es lag in einer schönen Ebene und war rings von hohen Mauern +umschlossen, die nur ganz wenig von den Gebäuden überragt wurden. Als Mustapha +dort angekommen war, färbte er Haar und Bart schwarz, sein Gesicht aber +bestrich er mit dem Saft einer Pflanze, die ihm eine bräunliche Farbe gab, ganz +wie sie jener Bassa gehabt hatte. Er schickte hierauf einen seiner Diener in +das Schloß und ließ im Namen des Bassa von Sulieika um ein Nachtlager bitten. +Der Diener kam bald wieder, und mit ihm vier schöngekleidete Sklaven, die +Mustaphas Pferd am Zügel nahmen und in den Schloßhof führten. Dort halfen sie +ihm selbst vom Pferd, und vier andere geleiteten ihn eine breite Marmortreppe +hinauf zu Thiuli. +</p> + +<p> +Dieser, ein alter, lustiger Geselle, empfing meinen Bruder ehrerbietig und ließ +ihm das Beste, was sein Koch zubereiten konnte, aufsetzen. Nach Tisch brachte +Mustapha das Gespräch nach und nach auf die neuen Sklavinnen, und Thiuli rühmte +ihre Schönheit und beklagte nur, daß sie immer so traurig seien; doch er +glaubte, dieses würde sich bald geben. Mein Bruder war sehr vergnügt über +diesen Empfang und legte sich mit den schönsten Hoffnungen zur Ruhe nieder. +</p> + +<p> +Er mochte ungefähr eine Stunde geschlafen haben, da weckte ihn der Schein einer +Lampe, der blendend auf sein Auge fiel. Als er sich aufrichtete, glaubte er +noch zu träumen; denn vor ihm stand jener kleine, schwarzbraune Kerl aus +Orbasans Zelt, eine Lampe in der Hand, sein breites Maul zu einem widrigen +Lächeln verzogen. Mustapha zwickte sich in den Arm, zupfte sich an der Nase, um +sich zu überzeugen, ob er denn wache; aber die Erscheinung blieb wie zuvor. +„Was willst du an meinem Bette?“ rief Mustapha, als er sich von +seinem Erstaunen erholt hatte. +</p> + +<p> +„Bemühet Euch doch nicht so, Herr!“ sprach der Kleine. „Ich +habe wohl erraten, weswegen Ihr hierherkommt. Auch war mir Euer wertes Gesicht +noch wohl erinnerlich; doch wahrlich, wenn ich nicht den Bassa mit eigener Hand +hätte erhängen helfen, so hättet Ihr mich vielleicht getäuscht. Jetzt aber bin +ich da, um eine Frage zu machen.“ +</p> + +<p> +„Vor allem sage, wie du hierherkommst“, entgegnete ihm Mustapha +voll Wut, daß er verraten war. +</p> + +<p> +„Das will ich Euch sagen“, antwortete jener, „ich konnte mich +mit dem Starken nicht länger vertragen, deswegen floh ich; aber du, Mustapha, +warst eigentlich die Ursache unseres Streites, und dafür mußt du mir deine +Schwester zur Frau geben, und ich will Euch zur Flucht behilflich sein; gibst +du sie nicht, so gehe ich zu meinem neuen Herrn und erzähle ihm etwas von dem +neuen Bassa.“ +</p> + +<p> +Mustapha war vor Schrecken und Wut außer sich; jetzt, wo er sich am sicheren +Ziel seiner Wünsche glaubte, sollte dieser Elende kommen und sie vereiteln; es +war nur ein Mittel, das seinen Plan retten konnte: Er mußte das kleine Ungetüm +töten. Mit einem Sprung fuhr er daher aus dem Bette auf den Kleinen zu; doch +dieser, der etwas Solches geahnt haben mochte, ließ die Lampe fallen, daß sie +verlöschte, und entsprang im Dunkeln, indem er mörderisch um Hilfe schrie. +</p> + +<p> +Jetzt war guter Rat teuer; die Mädchen mußte er für den Augenblick aufgeben und +nur auf die eigene Rettung denken; daher ging er an das Fenster, um zu sehen, +ob er nicht entspringen könnte. Es war eine ziemliche Tiefe bis zum Boden, und +auf der anderen Seite stand eine hohe Mauer, die zu übersteigen war. Sinnend +stand er an dem Fenster; da hörte er viele Stimmen sich seinem Zimmer nähern; +schon waren sie an der Türe; da faßte er verzweiflungsvoll seinen Dolch und +seine Kleider und schwang sich zum Fenster hinaus. Der Fall war hart; aber er +fühlte, daß er kein Glied gebrochen hatte; drum sprang er auf und lief der +Mauer zu, die den Hof umschloß, stieg, zum Erstaunen seiner Verfolger, hinauf +und befand sich bald im Freien. Er floh, bis er an einen kleinen Wald kam, wo +er sich erschöpft niederwarf. Hier überlegte er, was zu tun sei. +</p> + +<p> +Seine Pferde und seine Diener hatte er im Stiche lassen müssen; aber sein Geld, +das er in dem Gürtel trug, hatte er gerettet. +</p> + +<p> +Sein erfinderischer Kopf zeigte ihm bald einen anderen Weg zur Rettung. Er ging +in dem Wald weiter, bis er an ein Dorf kam, wo er um geringen Preis ein Pferd +kaufte, das ihn in Bälde in eine Stadt trug. Dort forschte er nach einem Arzt, +und man riet ihm einen alten, erfahrenen Mann. Diesen bewog er durch einige +Goldstücke, daß er ihm eine Arznei mitteilte, die einen todähnlichen Schlaf +herbeiführte, der durch ein anderes Mittel augenblicklich wieder gehoben werden +könnte. Als er im Besitz dieses Mittels war, kaufte er sich einen langen +falschen Bart, einen schwarzen Talar und allerlei Büchsen und Kolben, so daß er +füglich einen reisenden Arzt vorstellen konnte, lud seine Sachen auf einen Esel +und reiste in das Schloß des Thiuli-Kos zurück. Er durfte gewiß sein, diesmal +nicht erkannt zu werden, denn der Bart entstellte ihn so, daß er sich selbst +kaum mehr kannte. Bei Thiuli angekommen, ließ er sich als den Arzt +Chakamankabudibaba anmelden, und, wie er es gedacht hatte, geschah es; der +prachtvolle Namen empfahl ihn bei dem alten Narren ungemein, so daß er ihn +gleich zur Tafel einlud. +</p> + +<p> +Chakamankabudibaba erschien vor Thiuli, und als sie sich kaum eine Stunde +besprochen hatten, beschloß der Alte, alle seine Sklavinnen der Kur des weisen +Arztes zu unterwerfen. Dieser konnte seine Freude kaum verbergen, daß er jetzt +seine geliebte Schwester wiedersehen solle, und folgte mit klopfendem Herzen +Thiuli, der ihn ins Serail führte. Sie waren in ein Zimmer gekommen, das schön +ausgeschmückt war, worin sich aber niemand befand. „Chambaba oder wie du +heißt, lieber Arzt“, sprach Thiuli-Kos, „betrachte einmal jenes +Loch dort in der Mauer, dort wird jede meiner Sklavinnen einen Arm +herausstrecken, und du kannst dann untersuchen, ob der Puls krank oder gesund +ist.“ Mustapha mochte einwenden, was er wollte, zu sehen bekam er sie +nicht; doch willigte Thiuli ein, daß er ihm allemal sagen wolle, wie sie sich +sonst gewöhnlich befänden. Thiuli zog nun einen langen Zettel aus dem Gürtel +und begann mit lauter Stimme seine Sklavinnen einzeln beim Namen zu rufen, +worauf allemal eine Hand aus der Mauer kam und der Arzt den Puls untersuchte. +Sechs waren schon abgelesen und sämtlich für gesund erklärt; da las Thiuli als +die siebente „Fatme“ ab, und eine kleine weiße Hand schlüpfte aus +der Mauer. Zitternd vor Freude, ergreift Mustapha diese Hand und erklärt sie +mit wichtiger Miene für bedeutend krank. Thiuli ward sehr besorgt und befahl +seinem weisen Chakamankabudibaba, schnell eine Arznei für sie zu bereiten. Der +Arzt ging hinaus, schrieb auf einen kleinen Zettel: Fatme! Ich will Dich +retten, wenn Du Dich entschließen kannst, eine Arznei zu nehmen, die Dich auf +zwei Tage tot macht; doch ich besitze das Mittel, Dich wieder zum Leben zu +bringen. Willst Du, so sage nur, dieser Trank habe nicht geholfen, und es soll +mir ein Zeichen sein, daß Du einwilligst. +</p> + +<p> +Bald kam er in das Zimmer zurück, wo Thiuli seiner harrte. Er brachte ein +unschädliches Tränklein mit, fühlte der kranken Fatme noch einmal den Puls und +schob ihr zugleich den Zettel unter ihr Armband; das Tränklein aber reichte er +ihr durch die Öffnung in der Mauer. Thiuli schien in großen Sorgen wegen Fatme +zu sein und schob die Untersuchung der übrigen bis auf eine gelegenere Zeit +auf. Als er mit Mustapha das Zimmer verlassen hatte, sprach er in traurigem +Ton: „Chadibaba, sage aufrichtig, was hältst du von Fatmes +Krankheit?“ +</p> + +<p> +Chakamankabudibaba antwortete mit einem tiefen Seufzer: „Ach Herr, möge +der Prophet dir Trost verleihen! Sie hat ein schleichendes Fieber, das ihr wohl +den Garaus machen kann.“ Da entbrannte der Zorn Thiulis: „Was sagst +du, verfluchter Hund von einem Arzt? Sie, um die ich zweitausend Goldstücke +gab, soll mir sterben wie eine Kuh? Wisse, wenn du sie nicht rettest, so +hau’ ich dir den Kopf ab!“ Da merkte mein Bruder, daß er einen +dummen Streich gemacht habe, und gab Thiuli wieder Hoffnung. Als sie noch so +sprachen, kam ein schwarzer Sklave aus dem Serail, dem Arzt zu sagen, daß das +Tränklein nicht geholfen habe. „Biete deine ganze Kunst auf, +Chakamdababelba, oder wie du dich schreibst, ich zahle dir, was du +willst“, schrie Thiuli-Kos, fast heulend vor Angst, so viel Gold zu +verlieren. +</p> + +<p> +„Ich will ihr ein Säftlein geben, das sie von aller Not befreit“, +antwortete der Arzt. +</p> + +<p> +„Ja! Ja! Gib ihr ein Säftlein“, schluchzte der alte Thiuli. +</p> + +<p> +Frohen Mutes ging Mustapha, seinen Schlaftrunk zu holen, und als er ihn dem +schwarzen Sklaven gegeben und gezeigt hatte, wieviel man auf einmal nehmen +müsse, ging er zu Thiuli und sagte, er müsse noch einige heilsame Kräuter am +See holen, und eilte zum Tor hinaus. An dem See, der nicht weit von dem Schloß +entfernt war, zog er seine falschen Kleider aus und warf sie ins Wasser, daß +sie lustig umherschwammen; er selbst aber verbarg sich im Gesträuch, wartete +die Nacht ab und schlich sich dann in den Begräbnisplatz an dem Schlosse +Thiulis. +</p> + +<p> +Als Mustapha kaum eine Stunde lang aus dem Schloß abwesend sein mochte, brachte +man Thiuli die schreckliche Nachricht, daß seine Sklavin Fatme im Sterben +liege. Er schickte hinaus an den See, um schnell den Arzt zu holen; aber bald +kehrten seine Boten allein zurück und erzählten ihm, daß der arme Arzt ins +Wasser gefallen und ertrunken sei; seinen schwarzen Talar sehe man im See +schwimmen, und hier und da gucke auch sein stattlicher Bart aus den Wellen +hervor. Als Thiuli keine Rettung mehr sah, verwünschte er sich und die ganze +Welt, raufte sich den Bart aus und rannte mit dem Kopf gegen die Mauer. Aber +alles dies konnte nichts helfen; denn Fatme gab bald unter den Händen der +übrigen Weiber den Geist auf. Als Thiuli die Nachricht ihres Todes hörte, +befahl er, schnell einen Sarg zu machen; denn er konnte keinen Toten im Hause +leiden und ließ den Leichnam in das Begräbnishaus tragen. Die Träger brachten +den Sarg dorthin, setzten ihn schnell nieder und entflohen, denn sie hatten +unter den übrigen Särgen Stöhnen und Seufzen gehört. +</p> + +<p> +Mustapha, der sich hinter den Särgen verborgen und von dort aus die Träger des +Sarges in die Flucht gejagt hatte, kam hervor und zündete sich eine Lampe an, +die er zu diesem Zweck mitgebracht hatte. Dann zog er ein Glas hervor, das die +erweckende Arznei enthielt, und hob dann den Deckel von Fatmes Sarg. Aber +welches Entsetzen befiel ihn, als sich ihm beim Scheine der Lampe ganz fremde +Züge zeigten! Weder meine Schwester noch Zoraide, sondern eine ganz andere lag +in dem Sarg. Er brauchte lange, um sich von dem neuen Schlag des Schicksals zu +fassen; endlich überwog doch Mitleid seinen Zorn. Er öffnete sein Glas und +flößte ihr die Arznei ein. Sie atmete, sie schlug die Augen auf und schien sich +lange zu besinnen, wo sie sei. Endlich erinnerte sie sich des Vorgefallenen; +sie stand auf aus dem Sarg und stürzte zu Mustaphas Füßen. „Wie kann ich +dir danken, gütiges Wesen“, rief sie aus, „daß du mich aus meiner +schrecklichen Gefangenschaft befreitest!“ Mustapha unterbrach ihre +Danksagungen mit der Frage, wie es denn geschehen sei, daß sie und nicht Fatme, +seine Schwester, gerettet worden sei? Jene sah ihn staunend an. „Jetzt +wird mir meine Rettung erst klar, die mir vorher unbegreiflich war“, +antwortete sie; „wisse, man hieß mich in jenem Schloß Fatme, und mir hast +du deinen Zettel und den Rettungstrank gegeben.“ Mein Bruder forderte die +Gerettete auf, ihm von seiner Schwester und Zoraide Nachricht zu geben, und +erfuhr, daß sie sich beide im Schloß befanden, aber nach der Gewohnheit Thiulis +andere Namen bekommen hatten; sie hießen jetzt Mirza und Nurmahal.“ +</p> + +<p> +Als Fatme, die gerettete Sklavin, sah, daß mein Bruder durch diesen Fehlgriff +so niedergeschlagen sei, sprach sie ihm Mut ein und versprach, ihm ein Mittel +zu sagen, wie er jene beiden Mädchen dennoch retten könne. Aufgeweckt durch +diesen Gedanken, schöpfte Mustapha von neuem Hoffnung und bat sie, dieses +Mittel ihm zu nennen, und sie sprach: +</p> + +<p> +„Ich bin zwar erst seit fünf Monaten die Sklavin Thiulis, doch habe ich +gleich von Anfang auf Rettung gesonnen; aber für mich allein war sie zu schwer. +In dem inneren Hof des Schlosses wirst du einen Brunnen bemerkt haben, der aus +zehn Röhren Wasser speit; dieser Brunnen fiel mir auf. Ich erinnerte mich, in +dem Hause meines Vaters einen ähnlichen gesehen zu haben, dessen Wasser durch +eine geräumige Wasserleitung herbeiströmt; um nun zu erfahren, ob dieser +Brunnen auch so gebaut ist, rühmte ich eines Tages vor Thiuli seine Pracht und +fragte nach seinem Baumeister. *Ich selbst habe ihn gebaut*, antwortete er, +*und das, was du hier siehst, ist noch das Geringste; aber das Wasser dazu +kommt wenigstens tausend Schritte weit von einem Bach her und geht durch eine +gewölbte Wasserleitung, die wenigstens mannshoch ist; und alles dies habe ich +selbst angegeben.* Als ich dies gehört hatte, wünschte ich mir oft, nur auf +einen Augenblick die Stärke eines Mannes zu haben, um einen Stein an der Seite +des Brunnens ausheben zu können; dann könnte ich fliehen, wohin ich wollte. Die +Wasserleitung nun will ich dir zeigen; durch sie kannst du nachts in das Schloß +gelangen und jene befreien. Aber du mußt wenigstens noch zwei Männer bei dir +haben, um die Sklaven, die das Serail bei Nacht bewachen, zu +überwältigen.“ +</p> + +<p> +So sprach sie; mein Bruder Mustapha aber, obgleich schon zweimal in seinen +Hoffnungen getäuscht, faßte noch einmal Mut und hoffte mit Allahs Hilfe den +Plan der Sklavin auszuführen. Er versprach ihr, für ihr weiteres Fortkommen in +ihre Heimat zu sorgen, wenn sie ihm behilflich sein wollte, ins Schloß zu +gelangen. Aber ein Gedanke machte ihm noch Sorge, nämlich der, woher er zwei +oder drei treue Gehilfen bekommen könnte. Da fiel ihm Orbasans Dolch ein und +das Versprechen, das ihm jener gegeben hatte, ihm, wo er seiner bedürfe, zu +Hilfe zu eilen, und er machte sich daher mit Fatme aus dem Begräbnis auf, um +den Räuber aufzusuchen. +</p> + +<p> +In der nämlichen Stadt, wo er sich zum Arzt umgewandelt hatte, kaufte er um +sein letztes Geld ein Roß und mietete Fatme bei einer armen Frau in der +Vorstadt ein. Er selbst aber eilte dem Gebirge zu, wo er Orbasan zum erstenmal +getroffen hatte, und gelangte in drei Tagen dahin. Er fand bald wieder jene +Zelte und trat unverhofft vor Orbasan, der ihn freundlich bewillkommnete. Er +erzählte ihm seine mißlungenen Versuche, wobei sich der ernsthafte Orbasan +nicht enthalten konnte, hier und da ein wenig zu lachen, besonders, wenn er +sich den Arzt Chakamankabudibaba dachte. Über die Verräterei des Kleinen aber +war er wütend; er schwur, ihn mit eigener Hand aufzuhängen, wo er ihn finde. +Meinem Bruder aber versprach er, sogleich zur Hilfe bereit zu sein, wenn er +sich vorher von der Reise gestärkt haben würde. Mustapha blieb daher diese +Nacht wieder in Orbasans Zelt; mit dem ersten Frührot aber brachen sie auf, und +Orbasan nahm drei seiner tapfersten Männer, wohl beritten und bewaffnet, mit +sich. Sie ritten stark zu und kamen nach zwei Tagen in die kleine Stadt, wo +Mustapha die gerettete Fatme zurückgelassen hatte. Von da aus reisten sie mit +dieser weiter bis zu dem kleinen Wald, von wo aus man das Schloß Thiulis in +geringer Entfernung sehen konnte; dort lagerten sie sich, um die Nacht +abzuwarten. +</p> + +<p> +Sobald es dunkel wurde, schlichen sie sich, von Fatme geführt, an den Bach, wo +die Wasserleitung anfing, und fanden diese bald. Dort ließen sie Fatme und +einen Diener mit den Rossen zurück und schickten sich an, hinabzusteigen; ehe +sie aber hinabstiegen, wiederholte ihnen Fatme noch einmal alles genau, +nämlich: daß sie durch den Brunnen in den inneren Schloßhof kämen, dort seien +rechts und links in der Ecke zwei Türme, in der sechsten Türe, vom Turme rechts +gerechnet, befänden sich Fatme und Zoraide, bewacht von zwei schwarzen Sklaven. +Mit Waffen und Brecheisen wohl versehen, stiegen Mustapha, Orbasan und zwei +andere Männer hinab in die Wasserleitung; sie sanken zwar bis an den Gürtel ins +Wasser; aber nichtsdestoweniger gingen sie rüstig vorwärts. Nach einer halben +Stunde kamen sie an den Brunnen selbst und setzten sogleich ihre Brecheisen an. +Die Mauer war dick und fest; aber den vereinten Kräften der vier Männer konnte +sie nicht lange widerstehen; bald hatten sie eine Öffnung eingebrochen, groß +genug, um bequem durchschlüpfen zu können. Orbasan schlüpfte zuerst durch und +half den anderen nach. Als sie alle im Hof waren, betrachteten sie die Seite +des Schlosses, die vor ihnen lag, um die beschriebene Türe zu erforschen. Aber +sie waren nicht einig, welche es sei; denn als sie von dem rechten Turm zum +linken zählten, fanden sie eine Türe, die zugemauert war, und wußten nun nicht, +ob Fatme diese übersprungen oder mitgezählt habe. Aber Orbasan besann sich +nicht lange. „Mein gutes Schwert wird mir jede Tür öffnen“, rief er +aus, ging auf die sechste Türe zu, und die anderen folgten ihm. +</p> + +<p> +Sie öffneten die Türe und fanden sechs schwarze Sklaven auf dem Boden liegend +und schlafend; sie wollten schon wieder leise sich zurückziehen, weil sie +sahen, daß sie die rechte Türe verfehlt hatten, als eine Gestalt in der Ecke +sich aufrichtete und mit wohlbekannter Stimme um Hilfe rief. Es war der Kleine +aus Orbasans Lager. Aber ehe noch die Schwarzen recht wußten, wie ihnen +geschah, stürzte Orbasan auf den Kleinen zu, riß seinen Gürtel entzwei, +verstopfte ihm den Mund und band ihm die Hände auf den Rücken; dann wandte er +sich an die Sklaven, wovon schon einige von Mustapha und den zwei anderen halb +gebunden waren, und half sie vollends überwältigen. Man setzte den Sklaven den +Dolch auf die Brust und fragte sie, wo Nurmahal und Nürza wären, und sie +gestanden, daß sie im Gemach nebenan seien. Mustapha stürzte in das Gemach und +fand Fatme und Zoraide, die der Lärm erweckt hatte. Schnell rafften diese ihren +Schmuck und ihre Kleider zusammen und folgten Mustapha; die beiden Räuber +schlugen indes Orbasan vor, zu plündern, was man fände; doch dieser verbot es +ihnen und sprach: „Man soll nicht von Orbasan sagen können, daß er nachts +in die Häuser steige, um Gold zu stehlen!“ Mustapha und die Geretteten +schlüpften schnell in die Wasserleitung, wohin ihnen Orbasan sogleich zu folgen +versprach. Als jene in die Wasserleitung hinabgestiegen waren, nahmen Orbasan +und einer der Räuber den Kleinen und führten ihn hinaus in den Hof; dort banden +sie ihm eine seidene Schnur, die sie deshalb mitgenommen hatten, um den Hals +und hingen ihn an der höchsten Spitze des Brunnens auf. Nachdem sie so den +Verrat des Elenden bestraft hatten, stiegen sie selbst hinab in die +Wasserleitung und folgten Mustapha. Mit Tränen dankten die beiden ihrem +edelmütigen Retter Orbasan; doch dieser trieb sie eilends zur Flucht an, denn +es war sehr wahrscheinlich, daß sie Thiuli-Kos nach allen Seiten verfolgen +ließ. Mit tiefer Rührung trennten sich am anderen Tag Mustapha und seine +Geretteten von Orbasan; wahrlich, sie werden ihn nie vergessen. Fatme aber, die +befreite Sklavin, ging verkleidet nach Balsora, um sich dort in ihre Heimat +einzuschiffen. +</p> + +<p> +Nach einer kurzen und vergnügten Reise kamen die Meinigen in die Heimat. Meinen +alten Vater tötete beinahe die Freude des Wiedersehens; den anderen Tag nach +ihrer Ankunft veranstaltete er ein großes Fest, an welchem die ganze Stadt +teilnahm. Vor einer großen Versammlung von Verwandten und Freunden mußte mein +Bruder seine Geschichte erzählen, und einstimmig priesen sie ihn und den edlen +Räuber. +</p> + +<p> +Als aber mein Bruder geschlossen hatte, stand mein Vater auf und führte Zoraide +ihm zu. „So löse ich denn“, sprach er mit feierlicher Stimme, +„den Fluch von deinem Haupte; nimm diese hin als die Belohnung, die du +dir durch deinen rastlosen Eifer erkämpft hast; nimm meinen väterlichen Segen, +und möge es nie unserer Stadt an Männern fehlen, die an brüderlicher Liebe, an +Klugheit und Eifer dir gleichen!“ +</p> + +<p> +Die Karawane hatte das Ende der Wüste erreicht, und fröhlich begrüßten die +Reisenden die grünen Matten und die dichtbelaubten Bäume, deren lieblichen +Anblick sie viele Tage entbehrt hatten. In einem schönen Tale lag eine +Karawanserei, die sie sich zum Nachtlager wählten, und obgleich sie wenig +Bequemlichkeit und Erfrischung darbot, so war doch die ganze Gesellschaft +heiterer und zutraulicher als je; denn der Gedanke, den Gefahren und +Beschwerlichkeiten, die eine Reise durch die Wüste mit sich bringt, entronnen +zu sein, hatte alle Herzen geöffnet und die Gemüter zu Scherz und Kurzweil +gestimmt. Muley, der junge lustige Kaufmann, tanzte einen komischen Tanz und +sang Lieder dazu, die selbst dem ernsten Griechen Zaleukos ein Lächeln +entlockten. Aber nicht genug, daß er seine Gefährten durch Tanz und Spiel +erheitert hatte, er gab ihnen auch noch die Geschichte zum besten, die er ihnen +versprochen hatte, und hub, als er von seinen Luftsprüngen sich erholt hatte, +also zu erzählen an: Die Geschichte von dem kleinen Muck. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap07"></a>Die Geschichte von dem kleinen Muck</h2> + +<p class="center"> +Wilhelm Hauff +</p> + +<p> +In Nicea, meiner lieben Vaterstadt, wohnte ein Mann, den man den kleinen Muck +hieß. Ich kann mir ihn, ob ich gleich damals noch sehr jung war, noch recht +wohl denken, besonders weil ich einmal von meinem Vater wegen seiner halbtot +geprügelt wurde. Der kleine Muck nämlich war schon ein alter Geselle, als ich +ihn kannte; doch war er nur drei bis vier Schuh hoch, dabei hatte er eine +sonderbare Gestalt, denn sein Leib, so klein und zierlich er war, mußte einen +Kopf tragen, viel größer und dicker als der Kopf anderer Leute; er wohnte ganz +allein in einem großen Haus und kochte sich sogar selbst, auch hätte man in der +Stadt nicht gewußt, ob er lebe oder gestorben sei, denn er ging nur alle vier +Wochen einmal aus, wenn nicht um die Mittagsstunde ein mächtiger Dampf aus dem +Hause aufgestiegen wäre, doch sah man ihn oft abends auf seinem Dache auf und +ab gehen, von der Straße aus glaubte man aber, nur sein großer Kopf allein +laufe auf dem Dache umher. Ich und meine Kameraden waren böse Buben, die +jedermann gerne neckten und belachten, daher war es uns allemal ein Festtag, +wenn der kleine Muck ausging; wir versammelten uns an dem bestimmten Tage vor +seinem Haus und warteten, bis er herauskam; wenn dann die Türe aufging und +zuerst der große Kopf mit dem noch größeren Turban herausguckte, wenn das +übrige Körperlein nachfolgte, angetan mit einem abgeschabten Mäntelein, weiten +Beinkleidern und einem breiten Gürtel, an welchem ein langer Dolch hing, so +lang, daß man nicht wußte, ob Muck an dem Dolch, oder der Dolch an Muck stak, +wenn er so heraustrat, da ertönte die Luft von unserem Freudengeschrei, wir +warfen unsere Mützen in die Höhe und tanzten wie toll um ihn her. Der kleine +Muck aber grüßte uns mit ernsthaftem Kopfnicken und ging mit langsamen +Schritten die Straße hinab. Wir Knaben liefen hinter ihm her und schrien immer: +„Kleiner Muck, kleiner Muck!“ Auch hatten wir ein lustiges +Verslein, das wir ihm zu Ehren hier und da sangen; es hieß: +</p> + +<p class="poem"> +„Kleiner Muck, kleiner Muck,<br/> +Wohnst in einem großen Haus,<br/> +Gehst nur all vier Wochen aus,<br/> +Bist ein braver, kleiner Zwerg,<br/> +Hast ein Köpflein wie ein Berg,<br/> +Schau dich einmal um und guck,<br/> +Lauf und fang uns, kleiner Muck!“ +</p> + +<p> +So hatten wir schon oft unsere Kurzweil getrieben, und zu meiner Schande muß +ich es gestehen, ich trieb’s am ärgsten; denn ich zupfte ihn oft am +Mäntelein, und einmal trat ich ihm auch von hinten auf die großen Pantoffeln, +daß er hinfiel. Dies kam mir nun höchst lächerlich vor, aber das Lachen verging +mir, als ich den kleinen Muck auf meines Vaters Haus zugehen sah. Er ging +richtig hinein und blieb einige Zeit dort. Ich versteckte mich an der Haustüre +und sah den Muck wieder herauskommen, von meinem Vater begleitet, der ihn +ehrerbietig an der Hand hielt und an der Türe unter vielen Bücklingen sich von +ihm verabschiedete. Mir war gar nicht wohl zumute; ich blieb daher lange in +meinem Versteck; endlich aber trieb mich der Hunger, den ich ärger fürchtete +als Schläge, heraus, und demütig und mit gesenktem Kopf trat ich vor meinen +Vater. „Du hast, wie ich höre, den guten Muck beschimpft?“ sprach +er in sehr ernstem Tone. „Ich will dir die Geschichte dieses Muck +erzählen, und du wirst ihn gewiß nicht mehr auslachen; vor- und nachher aber +bekommst du das Gewöhnliche.“ Das Gewöhnliche aber waren fünfundzwanzig +Hiebe, die er nur allzu richtig aufzuzählen pflegte. Er nahm daher sein langes +Pfeifenrohr, schraubte die Bernsteinmundspitze ab und bearbeitete mich ärger +als je zuvor. +</p> + +<p> +Als die Fünfundzwanzig voll waren, befahl er mir, aufzumerken, und erzählte mir +von dem kleinen Muck: +</p> + +<p> +Der Vater des kleinen Muck, der eigentlich Muckrah heißt, war ein angesehener, +aber armer Mann hier in Nicea. Er lebte beinahe so einsiedlerisch wie jetzt +sein Sohn. Diesen konnte er nicht wohl leiden, weil er sich seiner Zwerggestalt +schämte, und ließ ihn daher auch in Unwissenheit aufwachsen. Der kleine Muck +war noch in seinem sechzehnten Jahr ein lustiges Kind, und der Vater, ein +ernster Mann, tadelte ihn immer, daß er, der schon längst die Kinderschuhe +zertreten haben sollte, noch so dumm und läppisch sei. +</p> + +<p> +Der Alte tat aber einmal einen bösen Fall, an welchem er auch starb und den +kleinen Muck arm und unwissend zurückließ. Die harten Verwandten, denen der +Verstorbene mehr schuldig war, als er bezahlen konnte, jagten den armen Kleinen +aus dem Hause und rieten ihm, in die Welt hinauszugehen und sein Glück zu +suchen. Der kleine Muck antwortete, er sei schon reisefertig, bat sich aber nur +noch den Anzug seines Vaters aus, und dieser wurde ihm auch bewilligt. Sein +Vater war ein großer, starker Mann gewesen, daher paßten die Kleider nicht. +Muck aber wußte bald Rat; er schnitt ab, was zu lang war, und zog dann die +Kleider an. Er schien aber vergessen zu haben, daß er auch in der Weite davon +schneiden müsse, daher sein sonderbarer Aufzug, wie er noch heute zu sehen ist; +der große Turban, der breite Gürtel, die weiten Hosen, das blaue Mäntelein, +alles dies sind Erbstücke seines Vaters, die er seitdem getragen; den langen +Damaszenerdolch seines Vaters aber steckte er in den Gürtel, ergriff ein +Stöcklein und wanderte zum Tor hinaus. +</p> + +<p> +Fröhlich wanderte er den ganzen Tag; denn er war ja ausgezogen, um sein Glück +zu suchen; wenn er eine Scherbe auf der Erde im Sonnenschein glänzen sah, so +steckte er sie gewiß zu sich, im Glauben, daß sie sich in den schönsten +Diamanten verwandeln werde; sah er in der Ferne die Kuppel einer Moschee wie +Feuer strahlen, sah er einen See wie einen Spiegel blinken, so eilte er voll +Freude darauf zu; denn er dachte, in einem Zauberland angekommen zu sein. Aber +ach! Jene Trugbilder verschwanden in der Nähe, und nur allzubald erinnerten ihn +seine Müdigkeit und sein vor Hunger knurrender Magen, daß er noch im Lande der +Sterblichen sich befinde. So war er zwei Tage gereist unter Hunger und Kummer +und verzweifelte, sein Glück zu finden; die Früchte des Feldes waren seine +einzige Nahrung, die harte Erde sein Nachtlager. Am Morgen des dritten Tages +erblickte er von einer Anhöhe eine große Stadt. +</p> + +<p> +Hell leuchtete der Halbmond auf ihren Zinnen, bunte Fahnen schimmerten auf den +Dächern und schienen den kleinen Muck zu sich herzuwinken. Überrascht stand er +stille und betrachtete Stadt und Gegend. „Ja, dort wird Klein-Muck sein +Glück finden“, sprach er zu sich und machte trotz seiner Müdigkeit einen +Luftsprung, „dort oder nirgends.“ Er raffte alle seine Kräfte +zusammen und schritt auf die Stadt zu. Aber obgleich sie ganz nahe schien, +konnte er sie doch erst gegen Mittag erreichen; denn seine kleinen Glieder +versagten ihm beinahe gänzlich ihren Dienst, und er mußte sich oft in den +Schatten einer Palme setzen, um auszuruhen. Endlich war er an dem Tor der Stadt +angelangt. Er legte sein Mäntelein zurecht, band den Turban schöner um, zog den +Gürtel noch breiter an und steckte den langen Dolch schiefer; dann wischte er +den Staub von den Schuhen, ergriff sein Stöcklein und ging mutig zum Tor +hinein. +</p> + +<p> +Er hatte schon einige Straßen durchwandert; aber nirgends öffnete sich ihm die +Türe, nirgends rief man, wie er sich vorgestellt hatte: „Kleiner Muck, +komm herein und iß und trink und laß deine Füßlein ausruhen!“ +</p> + +<p> +Er schaute gerade auch wieder recht sehnsüchtig an einem großen, schönen Haus +hinauf; da öffnete sich ein Fenster, eine alte Frau schaute heraus und rief mit +singender Stimme: +</p> + +<p class="poem"> +„Herbei, herbei!<br/> +Gekocht ist der Brei,<br/> +Den Tisch ließ ich decken,<br/> +Drum laßt es euch schmecken;<br/> +Ihr Nachbarn herbei,<br/> +Gekocht ist der Brei.“ +</p> + +<p> +Die Türe des Hauses öffnete sich, und Muck sah viele Hunde und Katzen +hineingehen. Er stand einige Augenblicke in Zweifel, ob er der Einladung folgen +sollte; endlich aber faßte er sich ein Herz und ging in das Haus. Vor ihm her +gingen ein paar junge Kätzlein, und er beschloß, ihnen zu folgen, weil sie +vielleicht die Küche besser wüßten als er. +</p> + +<p> +Als Muck die Treppe hinaufgestiegen war, begegnete er jener alten Frau, die zum +Fenster herausgeschaut hatte. Sie sah ihn mürrisch an und fragte nach seinem +Begehr. „Du hast ja jedermann zu deinem Brei eingeladen“, +antwortete der kleine Muck, „und weil ich so gar hungrig bin, bin ich +auch gekommen.“ +</p> + +<p> +Die Alte lachte und sprach: „Woher kommst du denn, wunderlicher Gesell? +Die ganze Stadt weiß, daß ich für niemand koche als für meine lieben Katzen, +und hier und da lade ich ihnen Gesellschaft aus der Nachbarschaft ein, wie du +siehst.“ +</p> + +<p> +Der kleine Muck erzählte der alten Frau, wie es ihm nach seines Vaters Tod so +hart ergangen sei, und bat sie, ihn heute mit ihren Katzen speisen zu lassen. +Die Frau, welcher die treuherzige Erzählung des Kleinen wohl gefiel, erlaubte +ihm, ihr Gast zu sein, und gab ihm reichlich zu essen und zu trinken. Als er +gesättigt und gestärkt war, betrachtete ihn die Frau lange und sagte dann: +„Kleiner Muck, bleibe bei mir in meinem Dienste! Du hast geringe Mühe und +sollst gut gehalten sein.“ +</p> + +<p> +Der kleine Muck, dem der Katzenbrei geschmeckt hatte, willigte ein und wurde +also der Bedienstete der Frau Ahavzi. Er hatte einen leichten, aber sonderbaren +Dienst. Frau Ahavzi hatte nämlich zwei Kater und vier Katzen, diesen mußte der +kleine Muck alle Morgen den Pelz kämmen und mit köstlichen Salben einreiben; +wenn die Frau ausging, mußte er auf die Katzen Achtung geben, wenn sie aßen, +mußte er ihnen die Schüsseln vorlegen, und nachts mußte er sie auf seidene +Polster legen und sie mit samtenen Decken einhüllen. Auch waren noch einige +kleine Hunde im Haus, die er bedienen mußte, doch wurden mit diesen nicht so +viele Umstände gemacht wie mit den Katzen, welche Frau Ahavzi wie ihre eigenen +Kinder hielt. Übrigens führte Muck ein so einsames Leben wie in seines Vaters +Haus, denn außer der Frau sah er den ganzen Tag nur Hunde und Katzen. Eine +Zeitlang ging es dem kleinen Muck ganz gut; er hatte immer zu essen und wenig +zu arbeiten, und die alte Frau schien recht zufrieden mit ihm zu sein, aber +nach und nach wurden die Katzen unartig, wenn die Alte ausgegangen war, +sprangen sie wie besessen in den Zimmern umher, warfen alles durcheinander und +zerbrachen manches schöne Geschirr, das ihnen im Weg stand. Wenn sie aber die +Frau die Treppe heraufkommen hörten, verkrochen sie sich auf ihre Polster und +wedelten ihr mit den Schwänzen entgegen, wie wenn nichts geschehen wäre. Die +Frau Ahavzi geriet dann in Zorn, wenn sie ihre Zimmer so verwüstet sah, und +schob alles auf Muck, er mochte seine Unschuld beteuern, wie er wollte, sie +glaubte ihren Katzen, die so unschuldig aussahen, mehr als ihrem Diener. +</p> + +<p> +Der kleine Muck war sehr traurig, daß er also auch hier sein Glück nicht +gefunden hatte, und beschloß bei sich, den Dienst der Frau Ahavzi zu verlassen. +Da er aber auf seiner ersten Reise erfahren hatte, wie schlecht man ohne Geld +lebt, so beschloß er, den Lohn, den ihm seine Gebieterin immer versprochen, +aber nie gegeben hatte, sich auf irgendeine Art zu verschaffen. Es befand sich +in dem Hause der Frau Ahavzi ein Zimmer, das immer verschlossen war und dessen +Inneres er nie gesehen hatte. Doch hatte er die Frau oft darin rumoren gehört, +und er hätte oft für sein Leben gern gewußt, was sie dort versteckt habe. Als +er nun an sein Reisegeld dachte, fiel ihm ein, daß dort die Schätze der Frau +versteckt sein könnten. Aber immer war die Tür fest verschlossen, und er konnte +daher den Schätzen nie beikommen. +</p> + +<p> +Eines Morgens, als die Frau Ahavzi ausgegangen war, zupfte ihn eines der +Hundlein, welches von der Frau immer sehr stiefmütterlich behandelt wurde, +dessen Gunst er sich aber durch allerlei Liebesdienste in hohem Grade erworben +hatte, an seinen weiten Beinkleidern und gebärdete sich dabei, wie wenn Muck +ihm folgen sollte. Muck, welcher gerne mit den Hunden spielte, folgte ihm, und +siehe da, das Hundlein führte ihn in die Schlafkammer der Frau Ahavzi vor eine +kleine Türe, die er nie zuvor dort bemerkt hatte. Die Türe war halb offen. Das +Hundlein ging hinein, und Muck folgte ihm, und wie freudig war er überrascht, +als er sah, daß er sich in dem Gemach befand, das schon lange das Ziel seiner +Wünsche war. Er spähte überall umher, ob er kein Geld finden könne, fand aber +nichts. Nur alte Kleider und wunderlich geformte Geschirre standen umher. Eines +dieser Geschirre zog seine besondere Aufmerksamkeit auf sich. Es war von +Kristall, und schöne Figuren waren darauf ausgeschnitten. Er hob es auf und +drehte es nach allen Seiten. Aber, o Schrecken! Er hatte nicht bemerkt, daß es +einen Deckel hatte, der nur leicht darauf hingesetzt war. Der Deckel fiel herab +und zerbrach in tausend Stücke. +</p> + +<p> +Lange stand der kleine Muck vor Schrecken leblos. Jetzt war sein Schicksal +entschieden, jetzt mußte er entfliehen, sonst schlug ihn die Alte tot. Sogleich +war auch seine Reise beschlossen, und nur noch einmal wollte er sich umschauen, +ob er nichts von den Habseligkeiten der Frau Ahavzi zu seinem Marsch brauchen +könnte. Da fielen ihm ein Paar mächtig große Pantoffeln ins Auge; sie waren +zwar nicht schön; aber seine eigenen konnten keine Reise mehr mitmachen; auch +zogen ihn jene wegen ihrer Größe an; denn hatte er diese am Fuß, so mußten ihm +hoffentlich alle Leute ansehen, daß er die Kinderschuhe vertreten habe. Er zog +also schnell seine Töffelein aus und fuhr in die großen hinein. Ein +Spazierstöcklein mit einem schön geschnittenen Löwenkopf schien ihm auch hier +allzu müßig in der Ecke zu stehen; er nahm es also mit und eilte zum Zimmer +hinaus. Schnell ging er jetzt auf seine Kammer, zog sein Mäntelein an, setzte +den väterlichen Turban auf, steckte den Dolch in den Gürtel und lief, so +schnell ihn seine Füße trugen, zum Haus und zur Stadt hinaus. Vor der Stadt +lief er, aus Angst vor der Alten, immer weiter fort, bis er vor Müdigkeit +beinahe nicht mehr konnte. So schnell war er in seinem Leben nicht gegangen; +ja, es schien ihm, als könne er gar nicht aufhören zu rennen; denn eine +unsichtbare Gewalt schien ihn fortzureißen. Endlich bemerkte er, daß es mit den +Pantoffeln eine eigene Bewandtnis haben müsse; denn diese schossen immer fort +und führten ihn mit sich. Er versuchte auf allerlei Weise stillzustehen; aber +es wollte nicht gelingen; da rief er in der höchsten Not, wie man den Pferden +zuruft, sich selbst zu: „Oh—oh, halt, oh!“ Da hielten die +Pantoffeln, und Muck warf sich erschöpft auf die Erde nieder. +</p> + +<p> +Die Pantoffeln freuten ihn ungemein. So hatte er sich denn doch durch seine +Verdienste etwas erworben, das ihm in der Welt auf seinem Weg das Glück zu +suchen, forthelfen konnte. Er schlief trotz seiner Freude vor Erschöpfung ein; +denn das Körperlein des kleinen Muck, das einen so schweren Kopf zu tragen +hatte, konnte nicht viel aushalten. Im Traum erschien ihm das Hundlein, welches +ihm im Hause der Frau Ahavzi zu den Pantoffeln verholfen hatte, und sprach zu +ihm: „Lieber Muck, du verstehst den Gebrauch der Pantoffeln noch nicht +recht; wisse, wenn du dich in ihnen dreimal auf dem Absatz herumdrehst, so +kannst du hinfliegen, wohin du nur willst, und mit dem Stöcklein kannst du +Schätze finden, denn wo Gold vergraben ist, da wird es dreimal auf die Erde +schlagen, bei Silber zweimal.“ So träumte der kleine Muck. Als er aber +aufwachte, dachte er über den wunderbaren Traum nach und beschloß, alsbald +einen Versuch zu machen. Er zog die Pantoffeln an, lupfte einen Fuß und begann +sich auf dem Absatz umzudrehen. Wer es aber jemals versucht hat, in einem +ungeheuer weiten Pantoffel dieses Kunststück dreimal hintereinander zu machen, +der wird sich nicht wundern, wenn es dem kleinen Muck nicht gleich glückte, +besonders wenn man bedenkt, daß ihn sein schwerer Kopf bald auf diese, bald auf +jene Seite hinüberzog. +</p> + +<p> +Der arme Kleine fiel einigemal tüchtig auf die Nase; doch ließ er sich nicht +abschrecken, den Versuch zu wiederholen, und endlich glückte es. Wie ein Rad +fuhr er auf seinem Absatz herum, wünschte sich in die nächste große Stadt, +und—die Pantoffeln ruderten hinauf in die Lüfte, liefen mit Windeseile +durch die Wolken, und ehe sich der kleine Muck noch besinnen konnte, wie ihm +geschah, befand er sich schon auf einem großen Marktplatz, wo viele Buden +aufgeschlagen waren und unzählige Menschen geschäftig hin und her liefen. Er +ging unter den Leuten hin und her, hielt es aber für ratsamer, sich in eine +einsamere Straße zu begeben; denn auf dem Markt trat ihm bald da einer auf die +Pantoffeln, daß er beinahe umfiel, bald stieß er mit seinem weit +hinausstehenden Dolch einen oder den anderen an, daß er mit Mühe den Schlägen +entging. +</p> + +<p> +Der kleine Muck bedachte nun ernstlich, was er wohl anfangen könnte, um sich +ein Stück Geld zu verdienen; er hatte zwar ein Stäblein, das ihm verborgene +Schätze anzeigte, aber wo sollte er gleich einen Platz finden, wo Gold oder +Silber vergraben wäre? Auch hätte er sich zur Not für Geld sehen lassen können; +aber dazu war er doch zu stolz. Endlich fiel ihm die Schnelligkeit seiner Füße +ein, „vielleicht“, dachte er, „können mir meine Pantoffeln +Unterhalt gewähren“, und er beschloß, sich als Schnelläufer zu verdingen. +Da er aber hoffen durfte, daß der König dieser Stadt solche Dienste am besten +bezahle, so erfragte er den Palast. Unter dem Tor des Palastes stand eine +Wache, die ihn fragte, was er hier zu suchen habe. Auf seine Antwort, daß er +einen Dienst suche, wies man ihn zum Aufseher der Sklaven. Diesem trug er sein +Anliegen vor und bat ihn, ihm einen Dienst unter den königlichen Boten zu +besorgen. Der Aufseher maß ihn mit seinen Augen von Kopf bis zu den Füßen und +sprach: „Wie, mit deinen Füßlein, die kaum so lang als eine Spanne sind, +willst du königlicher Schnelläufer werden? Hebe dich weg, ich bin nicht dazu +da, mit jedem Narren Kurzweil zu machen.“ Der kleine Muck versicherte ihm +aber, daß es ihm vollkommen ernst sei mit seinem Antrag und daß er es mit dem +Schnellsten auf eine Wette ankommen lassen wollte. Dem Aufseher kam die Sache +gar lächerlich vor; er befahl ihm, sich bis auf den Abend zu einem Wettlauf +bereitzuhalten, führte ihn in die Küche und sorgte dafür, daß ihm gehörig +Speis’ und Trank gereicht wurde; er selbst aber begab sich zum König und +erzählte ihm vom kleinen Muck und seinem Anerbieten. Der König war ein lustiger +Herr, daher gefiel es ihm wohl, daß der Aufseher der Sklaven den kleinen +Menschen zu einem Spaß behalten habe, er befahl ihm, auf einer großen Wiese +hinter dem Schloß Anstalten zu treffen, daß das Wettlaufen mit Bequemlichkeit +von seinem ganzen Hofstaat könnte gesehen werden, und empfahl ihm nochmals, +große Sorgfalt für den Zwerg zu haben. Der König erzählte seinen Prinzen und +Prinzessinnen, was sie diesen Abend für ein Schauspiel haben würden, diese +erzählten es wieder ihren Dienern, und als der Abend herankam, war man in +gespannter Erwartung, und alles, was Füße hatte, strömte hinaus auf die Wiese, +wo Gerüste aufgeschlagen waren, um den großsprecherischen Zwerg laufen zu +sehen. +</p> + +<p> +Als der König und seine Söhne und Töchter auf dem Gerüst Platz genommen hatten, +trat der kleine Muck heraus auf die Wiese und machte vor den hohen Herrschaften +eine überaus zierliche Verbeugung. Ein allgemeines Freudengeschrei ertönte, als +man des Kleinen ansichtig wurde; eine solche Figur hatte man dort noch nie +gesehen. Das Körperlein mit dem mächtigen Kopf, das Mäntelein und die weiten +Beinkleider, der lange Dolch in dem breiten Gürtel, die kleinen Füßlein in den +weiten Pantoffeln—nein! Es war zu drollig anzusehen, als daß man nicht +hätte laut lachen sollen. Der kleine Muck ließ sich aber durch das Gelächter +nicht irremachen. Er stellte sich stolz, auf sein Stöcklein gestützt, hin und +erwartete seinen Gegner. Der Aufseher der Sklaven hatte nach Mucks eigenem +Wunsche den besten Läufer ausgesucht. Dieser trat nun heraus, stellte sich +neben den Kleinen, und beide harrten auf das Zeichen. Da winkte Prinzessin +Amarza, wie es ausgemacht war, mit ihrem Schleier, und wie zwei Pfeile, auf +dasselbe Ziel abgeschossen, flogen die beiden Wettläufer über die Wiese hin. +</p> + +<p> +Von Anfang hatte Mucks Gegner einen bedeutenden Vorsprung, aber dieser jagte +ihm auf seinem Pantoffelfuhrwerk nach, holte ihn ein, überfing ihn und stand +längst am Ziele, als jener noch, nach Luft schnappend, daherlief. Verwunderung +und Staunen fesselten einige Augenblicke die Zuschauer, als aber der König +zuerst in die Hände klatschte, da jauchzte die Menge, und alle riefen: +„Hoch lebe der kleine Muck, der Sieger im Wettlauf!“ +</p> + +<p> +Man hatte indes den kleinen Muck herbeigebracht; er warf sich vor dem König +nieder und sprach: „Großmächtigster König, ich habe dir hier nur eine +kleine Probe meiner Kunst gegeben; wolle nur gestatten, daß man mir eine Stelle +unter deinen Läufern gebe!“ +</p> + +<p> +Der König aber antwortete ihm: „Nein, du sollst mein Leibläufer und immer +um meine Person sein, lieber Muck, jährlich sollst du hundert Goldstücke +erhalten als Lohn, und an der Tafel meiner ersten Diener sollst du +speisen.“ +</p> + +<p> +So glaubte denn Muck, endlich das Glück gefunden zu haben, das er so lange +suchte, und war fröhlich und wohlgemut in seinem Herzen. Auch erfreute er sich +der besonderen Gnade des Königs, denn dieser gebrauchte ihn zu seinen +schnellsten und geheimsten Sendungen, die er dann mit der größten Genauigkeit +und mit unbegreiflicher Schnelle besorgte. +</p> + +<p> +Aber die übrigen Diener des Königs waren ihm gar nicht zugetan, weil sie sich +ungern durch einen Zwerg, der nichts verstand, als schnell zu laufen, in der +Gunst ihres Herrn zurückgesetzt sahen. Sie veranstalteten daher manche +Verschwörung gegen ihn, um ihn zu stürzen; aber alle schlugen fehl an dem +großen Zutrauen, das der König in seinen geheimen Oberleibläufer (denn zu +dieser Würde hatte er es in so kurzer Zeit gebracht) setzte. +</p> + +<p> +Muck, dem diese Bewegungen gegen ihn nicht entgingen, sann nicht auf Rache, +dazu hatte er ein zu gutes Herz, nein, auf Mittel dachte er, sich bei seinen +Feinden notwendig und beliebt zu machen. Da fiel ihm sein Stäblein, das er in +seinem Glück außer acht gelassen hatte, ein; wenn er Schätze finde, dachte er, +würden ihm die Herren schon geneigter werden. Er hatte schon oft gehört, daß +der Vater des jetzigen Königs viele seiner Schätze vergraben habe, als der +Feind sein Land überfallen; man sagte auch, er sei darüber gestorben, ohne daß +er sein Geheimnis habe seinem Sohn mitteilen können. Von nun an nahm Muck immer +sein Stöcklein mit, in der Hoffnung, einmal an einem Ort vorüberzugehen, wo das +Geld des alten Königs vergraben sei. Eines Abends führte ihn der Zufall in +einen entlegenen Teil des Schloßgartens, den er wenig besuchte, und plötzlich +fühlte er das Stöcklein in seiner Hand zucken, und dreimal schlug es gegen den +Boden. Nun wußte er schon, was dies zu bedeuten hatte. Er zog daher seinen +Dolch heraus, machte Zeichen in die umstellenden Bäume und schlich sich wieder +in das Schloß; dort verschaffte er sich einen Spaten und wartete die Nacht zu +seinem Unternehmen ab. +</p> + +<p> +Das Schatzgraben selbst machte übrigens dem kleinen Muck mehr zu schaffen, als +er geglaubt hatte. +</p> + +<p> +Seine Arme waren gar zu schwach, sein Spaten aber groß und schwer; und er +mochte wohl schon zwei Stunden gearbeitet haben, ehe er ein paar Fuß tief +gegraben hatte. Endlich stieß er auf etwas Hartes, das wie Eisen klang. Er grub +jetzt emsiger, und bald hatte er einen großen eisernen Deckel zutage gefördert; +er stieg selbst in die Grube hinab, um nachzuspähen, was wohl der Deckel könnte +bedeckt haben, und fand richtig einen großen Topf, mit Goldstücken angefüllt. +Aber seine schwachen Kräfte reichten nicht hin, den Topf zu heben, daher +steckte er in seine Beinkleider und seinen Gürtel, so viel er zu tragen +vermochte, und auch sein Mäntelein füllte er damit, bedeckte das übrige wieder +sorgfältig und lud es auf den Rücken. Aber wahrlich, wenn er die Pantoffeln +nicht an den Füßen gehabt hätte, er wäre nicht vom Fleck gekommen, so zog ihn +die Last des Goldes nieder. Doch unbemerkt kam er auf sein Zimmer und verwahrte +dort sein Gold unter den Polstern seines Sofas. +</p> + +<p> +Als der kleine Muck sich im Besitz so vielen Goldes sah, glaubte er, das Blatt +werde sich jetzt wenden und er werde sich unter seinen Feinden am Hofe viele +Gönner und warme Anhänger erwerben. Aber schon daran konnte man erkennen, daß +der gute Muck keine gar sorgfältige Erziehung genossen haben mußte, sonst hätte +er sich wohl nicht einbilden können, durch Gold wahre Freunde zu gewinnen. Ach, +daß er damals seine Pantoffeln geschmiert und sich mit seinem Mäntelein voll +Gold aus dem Staub gemacht hätte! +</p> + +<p> +Das Gold, das der kleine Muck von jetzt an mit vollen Händen austeilte, +erweckte den Neid der übrigen Hofbediensteten. Der Küchenmeister Ahuli sagte: +„Er ist ein Falschmünzer.“ +</p> + +<p> +Der Sklavenaufseher Achmet sagte: „Er hat’s dem König +abgeschwatzt.“ +</p> + +<p> +Archaz, der Schatzmeister, aber, sein ärgster Feind, der selbst hier und da +einen Griff in des Königs Kasse tun mochte, sagte geradezu: „Er +hat’s gestohlen.“ +</p> + +<p> +Um nun ihrer Sache gewiß zu sein, verabredeten sie sich, und der Obermundschenk +Korchuz stellte sich eines Tages recht traurig und niedergeschlagen vor die +Augen des Königs. Er machte seine traurigen Gebärden so auffallend, daß ihn der +König fragte, was ihm fehle. +</p> + +<p> +„Ah“, antwortete er, „ich bin traurig, daß ich die Gnade +meines Herrn verloren habe.“ +</p> + +<p> +„Was fabelst du, Freund Korchuz?“ entgegnete ihm der König. +„Seit wann hätte ich die Sonne meiner Gnade nicht über dich leuchten +lassen?“ Der Obermundschenk antwortete ihm, daß er ja den geheimen +Oberleibläufer mit Gold belade, seinen armen, treuen Dienern aber nichts gebe. +</p> + +<p> +Der König war sehr erstaunt über diese Nachricht, ließ sich die +Goldausteilungen des kleinen Muck erzählen, und die Verschworenen brachten ihm +leicht den Verdacht bei, daß Muck auf irgendeine Art das Geld aus der +Schatzkammer gestohlen habe. Sehr lieb war diese Wendung der Sache dem +Schatzmeister, der ohnehin nicht gerne Rechnung ablegte. Der König gab daher +den Befehl, heimlich auf alle Schritte des kleinen Muck achtzugeben, um ihn +womöglich auf der Tat zu ertappen. Als nun in der Nacht, die auf diesen +Unglückstag folgte, der kleine Muck, da er durch seine Freigebigkeit seine +Kasse sehr erschöpft sah, den Spaten nahm und in den Schloßgarten schlich, um +dort von seinem geheimen Schatze neuen Vorrat zu holen, folgten ihm von weitem +die Wachen, von dem Küchenmeister Ahuli und Archaz, dem Schatzmeister, +angeführt, und in dem Augenblick, da er das Gold aus dem Topf in sein Mäntelein +legen wollte, fielen sie über ihn her, banden ihn und führten ihn sogleich vor +den König. Dieser, den ohnehin die Unterbrechung seines Schlafes mürrisch +gemacht hatte, empfing seinen armen Oberleibläufer sehr ungnädig und stellte +sogleich das Verhör über ihn an. Man hatte den Topf vollends aus der Erde +gegraben und mit dem Spaten und mit dem Mäntelein voll Gold vor die Füße des +Königs gesetzt. Der Schatzmeister sagte aus, daß er mit seinen Wachen den Muck +überrascht habe, wie er diesen Topf mit Gold gerade in die Erde gegraben habe. +</p> + +<p> +Der König befragte hierauf den Angeklagten, ob es wahr sei und woher er das +Gold, das er vergraben, bekommen habe. +</p> + +<p> +Der kleine Muck, im Gefühl seiner Unschuld, sagte aus, daß er diesen Topf im +Garten entdeckt habe, daß er ihn habe nicht ein-, sondern ausgraben wollen. +</p> + +<p> +Alle Anwesenden lachten laut über diese Entschuldigung, der König aber, aufs +höchste erzürnt über die vermeintliche Frechheit des Kleinen, rief aus: +„Wie, Elender! Du willst deinen König so dumm und schändlich belügen, +nachdem du ihn bestohlen hast? Schatzmeister Archaz! Ich fordere dich auf, zu +sagen, ob du diese Summe Goldes für die nämliche erkennst, die in meinem +Schatze fehlt.“ +</p> + +<p> +Der Schatzmeister aber antwortete, er sei seiner Sache ganz gewiß, so viel und +noch mehr fehle seit einiger Zeit von dem königlichen Schatz, und er könne +einen Eid darauf ablegen, daß dies das Gestohlene sei. +</p> + +<p> +Da befahl der König, den kleinen Muck in enge Ketten zu legen und in den Turm +zu führen; dem Schatzmeister aber übergab er das Gold, um es wieder in den +Schatz zu tragen. Vergnügt über den glücklichen Ausgang der Sache, zog dieser +ab und zählte zu Haus die blinkenden Goldstücke; aber das hat dieser schlechte +Mann niemals angezeigt, daß unten in dem Topf ein Zettel lag, der sagte: +„Der Feind hat mein Land überschwemmt, daher verberge ich hier einen Teil +meiner Schätze; wer es auch finden mag, den treffe der Fluch seines Königs, +wenn er es nicht sogleich meinem Sohne ausliefert! König Sadi.“ +</p> + +<p> +Der kleine Muck stellte in seinem Kerker traurige Betrachtungen an; er wußte, +daß auf Diebstahl an königlichen Sachen der Tod gesetzt war, und doch mochte er +das Geheimnis mit dem Stäbchen dem König nicht verraten, weil er mit Recht +fürchtete, dieses und seiner Pantoffeln beraubt zu werden. Seine Pantoffeln +konnten ihm leider auch keine Hilfe bringen; denn da er in engen Ketten an die +Mauer geschlossen war, konnte er, so sehr er sich quälte, sich nicht auf dem +Absatz umdrehen. Als ihm aber am anderen Tage sein Tod angekündigt wurde, da +gedachte er doch, es sei besser, ohne das Zauberstäbchen zu leben als mit ihm +zu sterben, ließ den König um geheimes Gehör bitten und entdeckte ihm das +Geheimnis. Der König maß von Anfang an seinem Geständnis keinen Glauben bei; +aber der kleine Muck versprach eine Probe, wenn ihm der König zugestünde, daß +er nicht getötet werden solle. +</p> + +<p> +Der König gab ihm sein Wort darauf und ließ, von Muck ungesehen, einiges Gold +in die Erde graben und befahl diesem, mit seinem Stäbchen zu suchen. In wenigen +Augenblicken hatte er es gefunden; denn das Stäbchen schlug deutlich dreimal +auf die Erde. Da merkte der König, daß ihn sein Schatzmeister betrogen hatte, +und sandte ihm, wie es im Morgenland gebräuchlich ist, eine seidene Schnur, +damit er sich selbst erdroßle. Zum kleinen Muck aber sprach er: „Ich habe +dir zwar dein Leben versprochen; aber es scheint mir, als ob du nicht allein +dieses Geheimnis mit dem Stäbchen besitzest; darum bleibst du in ewiger +Gefangenschaft, wenn du nicht gestehst, was für eine Bewandtnis es mit deinem +Schnellaufen hat.“ Der kleine Muck, den die einzige Nacht im Turm alle +Lust zu längerer Gefangenschaft benommen hatte, bekannte, daß seine ganze Kunst +in den Pantoffeln liege, doch lehrte er den König nicht das Geheimnis von dem +dreimaligen Umdrehen auf dem Absatz. Der König schlüpfte selbst in die +Pantoffeln, um die Probe zu machen, und jagte wie unsinnig im Garten umher; oft +wollte er anhalten; aber er wußte nicht, wie man die Pantoffeln zum Stehen +brachte, und der kleine Muck, der diese kleine Rache sich nicht versagen +konnte, ließ ihn laufen, bis er ohnmächtig niederfiel. +</p> + +<p> +Als der König wieder zur Besinnung zurückgekehrt war, war er schrecklich +aufgebracht über den kleinen Muck, der ihn so ganz außer Atem hatte laufen +lassen. „Ich habe dir mein Wort gegeben, dir Freiheit und Leben zu +schenken; aber innerhalb zwölf Stunden mußt du mein Land verlassen, sonst lasse +ich dich aufknöpfen!“ Die Pantoffeln und das Stäbchen aber ließ er in +seine Schatzkammer legen. +</p> + +<p> +So arm als je wanderte der kleine Muck zum Land hinaus, seine Torheit +verwünschend, die ihm vorgespiegelt hatte, er könne eine bedeutende Rolle am +Hofe spielen. Das Land, aus dem er gejagt wurde, war zum Glück nicht groß, +daher war er schon nach acht Stunden auf der Grenze, obgleich ihn das Gehen, da +er an seine lieben Pantoffeln gewöhnt war, sehr sauer ankam. +</p> + +<p> +Als er über der Grenze war, verließ er die gewöhnliche Straße, um die dichteste +Einöde der Wälder aufzusuchen und dort nur sich zu leben; denn er war allen +Menschen gram. In einem dichten Walde traf er auf einen Platz, der ihm zu dem +Entschluß, den er gefaßt hatte, ganz tauglich schien. Ein klarer Bach, von +großen, schattigen Feigenbäumen umgeben, ein weicher Rasen luden ihn ein; hier +warf er sich nieder mit dem Entschluß, keine Speise mehr zu sich zu nehmen, +sondern hier den Tod zu erwarten. Über traurigen Todesbetrachtungen schlief er +ein; als er aber wieder aufwachte und der Hunger ihn zu quälen anfing, bedachte +er doch, daß der Hungertod eine gefährliche Sache sei, und sah sich um, ob er +nirgends etwas zu essen bekommen könnte. +</p> + +<p> +Köstliche reife Feigen hingen an dem Baume, unter welchem er geschlafen hatte; +er stieg hinauf, um sich einige zu pflücken, ließ es sich trefflich schmecken +und ging dann hinunter an den Bach, um seinen Durst zu löschen. Aber wie groß +war sein Schrecken, als ihm das Wasser seinen Kopf mit zwei gewaltigen Ohren +und einer dicken, langen Nase geschmückt zeigte! Bestürzt griff er mit den +Händen nach den Ohren, und wirklich, sie waren über eine halbe Elle lang. +</p> + +<p> +„Ich verdiene Eselsohren!“ rief er aus; „denn ich habe mein +Glück wie ein Esel mit Füßen getreten.“ Er wanderte unter den Bäumen +umher, und als er wieder Hunger fühlte, mußte er noch einmal zu den Feigen +seine Zuflucht nehmen; denn sonst fand er nichts Eßbares an den Bäumen. Als ihm +über der zweiten Portion Feigen einfiel, ob wohl seine Ohren nicht unter seinem +großen Turban Platz hätten, damit er doch nicht gar zu lächerlich aussehe, +fühlte er, daß seine Ohren verschwunden waren. Er lief gleich an den Bach +zurück, um sich davon zu überzeugen, und wirklich, es war so, seine Ohren +hatten ihre vorige Gestalt, seine lange, unförmliche Nase war nicht mehr. Jetzt +merkte er aber, wie dies gekommen war; von dem ersten Feigenbaum hatte er die +lange Nase und Ohren bekommen, der zweite hatte ihn geheilt; freudig erkannte +er, daß sein gütiges Geschick ihm noch einmal die Mittel in die Hand gebe, +glücklich zu sein. Er pflückte daher von jedem Baum so viel, wie er tragen +konnte, und ging in das Land zurück, das er vor kurzem verlassen hatte. Dort +machte er sich in dem ersten Städtchen durch andere Kleider ganz unkenntlich +und ging dann weiter auf die Stadt zu, die jener König bewohnte, und kam auch +bald dort an. +</p> + +<p> +Es war gerade zu einer Jahreszeit, wo reife Früchte noch ziemlich selten waren; +der kleine Muck setzte sich daher unter das Tor des Palastes; denn ihm war von +früherer Zeit her wohl bekannt, daß hier solche Seltenheiten von dem +Küchenmeister für die königliche Tafel eingekauft wurden. Muck hatte noch nicht +lange gesessen, als er den Küchenmeister über den Hof herüberschreiten sah. Er +musterte die Waren der Verkäufer, die sich am Tor des Palastes eingefunden +hatten; endlich fiel sein Blick auch auf Mucks Körbchen. „Ah, ein +seltener Bissen“, sagte er, „der Ihro Majestät gewiß behagen wird. +Was willst du für den ganzen Korb?“ Der kleine Muck bestimmte einen +mäßigen Preis, und sie waren bald des Handels einig. Der Küchenmeister übergab +den Korb einem Sklaven und ging weiter; der kleine Muck aber macht sich +einstweilen aus dem Staub, weil er befürchtete, wenn sich das Unglück an den +Köpfen des Hofes zeigte, möchte man ihn als Verkäufer aufsuchen und bestrafen. +</p> + +<p> +Der König war über Tisch sehr heiter gestimmt und sagte seinem Küchenmeister +einmal über das andere Lobsprüche wegen seiner guten Küche und der Sorgfalt, +mit der er immer das Seltenste für ihn aussuche; der Küchenmeister aber, +welcher wohl wußte, welchen Leckerbissen er noch im Hintergrund habe, +schmunzelte gar freundlich und ließ nur einzelne Worte fallen, als: „Es +ist noch nicht aller Tage Abend“, oder „Ende gut, alles gut“, +so daß die Prinzessinnen sehr neugierig wurden, was er wohl noch bringen werde. +Als er aber die schönen, einladenden Feigen aufsetzen ließ, da entfloh ein +allgemeines Ah! dem Munde der Anwesenden. +</p> + +<p> +„Wie reif, wie appetitlich!“ rief der König. „Küchenmeister, +du bist ein ganzer Kerl und verdienst unsere ganz besondere Gnade!“ Also +sprechend, teilte der König, der mit solchen Leckerbissen sehr sparsam zu sein +pflegte, mit eigener Hand die Feigen an seiner Tafel aus. Jeder Prinz und jede +Prinzessin bekam zwei, die Hofdamen und die Wesire und Agas eine, die übrigen +stellte er vor sich hin und begann mit großem Behagen sie zu verschlingen. +</p> + +<p> +„Aber, lieber Gott, wie siehst du so wunderlich aus, Vater?“ rief +auf einmal die Prinzessin Amarza. Alle sahen den König erstaunt an; ungeheure +Ohren hingen ihm am Kopf, eine lange Nase zog sich über sein Kinn herunter; +auch sich selbst betrachteten sie untereinander mit Staunen und Schrecken; alle +waren mehr oder minder mit dem sonderbaren Kopfputz geschmeckt. +</p> + +<p> +Man denke sich den Schrecken des Hofes! Man schickte sogleich nach allen Ärzten +der Stadt; sie kamen haufenweise, verordneten Pillen und Mixturen; aber die +Ohren und die Nasen blieben. Man operierte einen der Prinzen; aber die Ohren +wuchsen nach. +</p> + +<p> +Muck hatte die ganze Geschichte in seinem Versteck, wohin er sich zurückgezogen +hatte, gehört und erkannte, daß es jetzt Zeit sei zu handeln. Er hatte sich +schon vorher von dem aus den Feigen gelösten Geld einen Anzug verschafft, der +ihn als Gelehrten darstellen konnte; ein langer Bart aus Ziegenhaaren +vollendete die Täuschung. Mit einem Säckchen voll Feigen wanderte er in den +Palast des Königs und bot als fremder Arzt seine Hilfe an. Man war von Anfang +sehr ungläubig; als aber der kleine Muck eine Feige einem der Prinzen zu essen +gab und Ohren und Nase dadurch in den alten Zustand zurückbrachte, da wollte +alles von dem fremden Arzte geheilt sein. Aber der König nahm ihn schweigend +bei der Hand und führte ihn in sein Gemach; dort schloß er eine Türe auf, die +in die Schatzkammer führte, und winkte Muck, ihm zu folgen. „Hier sind +meine Schätze“, sprach der König, „wähle dir, was es auch sei, es +soll dir gewährt werden, wenn du mich von diesem schmachvollen Übel +befreist.“ +</p> + +<p> +Das war süße Musik in des kleinen Muck Ohren; er hatte gleich beim Eintritt +seine Pantoffeln auf dem Boden stehen sehen, gleich daneben lag auch sein +Stäbchen. Er ging nun umher in dem Saal, wie wenn er die Schätze des Königs +bewundern wollte; kaum aber war er an seine Pantoffeln gekommen, so schlüpfte +er eilends hinein, ergriff sein Stäbchen, riß seinen falschen Bart herab und +zeigte dem erstaunten König das wohlbekannte Gesicht seines verstoßenen Muck. +„Treuloser König“, sprach er, „der du treue Dienste mit +Undank lohnst, nimm als wohlverdiente Strafe die Mißgestalt, die du trägst. Die +Ohren laß ich dir zurück, damit sie dich täglich erinnern an den kleinen +Muck.“ Als er so gesprochen hatte, drehte er sich schnell auf dem Absatz +herum, wünschte sich weit hinweg, und ehe noch der König um Hilfe rufen konnte, +war der kleine Muck entflohen. Seitdem lebt der kleine Muck hier in großem +Wohlstand, aber einsam; denn er verachtet die Menschen. Er ist durch Erfahrung +ein weiser Mann geworden, welcher, wenn auch sein Äußeres etwas Auffallendes +haben mag, deine Bewunderung mehr als deinen Spott verdient. +</p> + +<p> +„So erzählte mir mein Vater; ich bezeugte ihm meine Reue über mein rohes +Betragen gegen den guten kleinen Mann, und mein Vater schenkte mir die andere +Hälfte der Strafe, die er mir zugedacht hatte. Ich erzählte meinen Kameraden +die wunderbaren Schicksale des Kleinen, und wir gewannen ihn so lieb, daß ihn +keiner mehr schimpfte. Im Gegenteil, wir ehrten ihn, solange er lebte, und +haben uns vor ihm immer so tief wie vor Kadi und Mufti gebückt.“ +</p> + +<p> +Die Reisenden beschlossen, einen Rasttag in dieser Karawanserei zu machen, um +sich und die Tiere zur weiteren Reise zu stärken. Die gestrige Fröhlichkeit +ging auch auf diesen Tag über, und sie ergötzten sich in allerlei Spielen. Nach +dem Essen aber riefen sie dem fünften Kaufmann, Ali Sizah, zu, auch seine +Schuldigkeit gleich den übrigen zu tun und eine Geschichte zu erzählen. Er +antwortete, sein Leben sei zu arm an auffallenden Begebenheiten, als daß er +ihnen etwas davon mitteilen möchte, daher wolle er ihnen etwas anderes +erzählen, nämlich: Das Märchen vom falschen Prinzen. +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div class="chapter"> + +<h2><a name="chap08"></a>Das Märchen vom falschen Prinzen</h2> + +<p class="center"> +Wilhelm Hauff +</p> + +<p> +Es war einmal ein ehrsamer Schneidergeselle, namens Labakan, der bei einem +geschickten Meister in Alessandria sein Handwerk lernte. Man konnte nicht +sagen, daß Labakan ungeschickt mit der Nadel war, im Gegenteil, er konnte recht +feine Arbeit machen. Auch tat man ihm unrecht, wenn man ihn geradezu faul +schalt; aber ganz richtig war es doch nicht mit dem Gesellen, denn er konnte +oft stundenweis in einem fort nähen, daß ihm die Nadel in der Hand glühend ward +und der Faden rauchte, da gab es ihm dann ein Stück wie keinem anderen; ein +andermal aber, und dies geschah leider öfters, saß er in tiefen Gedanken, sah +mit starren Augen vor sich hin und hatte dabei in Gesicht und Wesen etwas so +Eigenes, daß sein Meister und die übrigen Gesellen von diesem Zustand nie +anders sprachen als: „Labakan hat wieder sein vornehmes Gesicht.“ +</p> + +<p> +Am Freitag aber, wenn andere Leute vom Gebet ruhig nach Haus an ihre Arbeit +gingen, trat Labakan in einem schönen Kleid, das er sich mit vieler Mühe +zusammengespart hatte, aus der Moschee, ging langsam und stolzen Schrittes +durch die Plätze und Straßen der Stadt, und wenn ihm einer seiner Kameraden ein +„Friede sei mit dir“, oder „Wie geht es, Freund +Labakan?“ bot, so winkte er gnädig mit der Hand oder nickte, wenn es hoch +kam, vornehm mit dem Kopf. Wenn dann sein Meister im Spaß zu ihm sagte: +„An dir ist ein Prinz verlorengegangen, Labakan“, so freute er sich +darüber und antwortete: „Habt Ihr das auch bemerkt?“ oder: +„Ich habe es schon lange gedacht!“ +</p> + +<p> +So trieb es der ehrsame Schneidergeselle Labakan schon eine geraume Zeit, sein +Meister aber duldete seine Narrheit, weil er sonst ein guter Mensch und +geschickter Arbeiter war. Aber eines Tages schickte Selim, der Bruder des +Sultans, der gerade durch Alessandria reiste, ein Festkleid zu dem Meister, um +einiges daran verändern zu lassen, und der Meister gab es Labakan, weil dieser +die feinste Arbeit machte. Als abends der Meister und die Gesellen sich +hinwegbegeben hatten, um nach des Tages Last sich zu erholen, trieb eine +unwiderstehliche Sehnsucht Labakan wieder in die Werkstatt zurück, wo das Kleid +des kaiserlichen Bruders hing. Er stand lange sinnend davor, bald den Glanz der +Stickerei, bald die schillernden Farben des Samts und der Seide an dem Kleide +bewundernd. Er konnte nicht anders, er mußte es anziehen, und siehe da, es +paßte ihm so trefflich, wie wenn es für ihn wäre gemacht worden. „Bin ich +nicht so gut ein Prinz als einer?“ fragte er sich, indem er im Zimmer auf +und ab schritt. „Hat nicht der Meister selbst schon gesagt, daß ich zum +Prinzen geboren sei?“ Mit den Kleidern schien der Geselle eine ganz +königliche Gesinnung angezogen zu haben; er konnte sich nicht anders denken, +als er sei ein unbekannter Königssohn, und als solcher beschloß er, in die Welt +zu reisen und einen Ort zu verlassen, wo die Leute bisher so töricht gewesen +waren, unter der Hülle seines niederen Standes nicht seine angebotene Würde zu +erkennen. Das prachtvolle Kleid schien ihm von einer gütigen Fee geschickt, er +hütete sich daher wohl, ein so teures Geschenk zu verschmähen, steckte seine +geringe Barschaft zu sich und wanderte, begünstigt von dem Dunkel der Nacht, +aus Alessandrias Toren. +</p> + +<p> +Der neue Prinz erregte überall auf seiner Wanderschaft Verwunderung, denn das +prachtvolle Kleid und sein ernstes, majestätisches Wesen wollten gar nicht +passen für einen Fußgänger. Wenn man ihn darüber befragte, pflegte er mit +geheimnisvoller Miene zu antworten, daß das seine eigenen Ursachen habe. Als er +aber merkte, daß er sich durch seine Fußwanderungen lächerlich machte, kaufte +er um geringen Preis ein altes Roß, welches sehr für ihn paßte, da es ihn mit +seiner gesetzten Ruhe und Sanftmut nie in die Verlegenheit brachte, sich als +geschickter Reiter zeigen zu müssen, was gar nicht seine Sache war. +</p> + +<p> +Eines Tages, als er Schritt vor Schritt auf seinem Murva, so hatte er sein Roß +genannt, seine Straße zog, schloß sich ein Reiter an ihn an und bat ihn, in +seiner Gesellschaft reiten zu dürfen, weil ihm der Weg viel kürzer werde im +Gespräch mit einem anderen. Der Reiter war ein fröhlicher, junger Mann, schön +und angenehm im Umgang. Er hatte mit Labakan bald ein Gespräch angeknüpft über +Woher und Wohin, und es traf sich, daß auch er, wie der Schneidergeselle, ohne +Plan in die Welt hinauszog. Er sagte, er heiße Omar, sei der Neffe Elfi Beys, +des unglücklichen Bassas von Kairo, und reise nun umher, um einen Auftrag, den +ihm sein Oheim auf dem Sterbebette erteilt habe, auszurichten. Labakan ließ +sich nicht so offenherzig über seine Verhältnisse aus, er gab ihm zu verstehen, +daß er von hoher Abkunft sei und zu seinem Vergnügen reise. +</p> + +<p> +Die beiden jungen Herren fanden Gefallen aneinander und zogen fürder. Am +zweiten Tage ihrer gemeinschaftlichen Reise fragte Labakan seinen Gefährten +Omar nach den Aufträgen, die er zu besorgen habe, und erfuhr zu seinem +Erstaunen folgendes: Elfi Bey, der Bassa von Kairo, hatte den Omar seit seiner +frühesten Kindheit erzogen, und dieser hatte seine Eltern nie gekannt. Als nun +Elfi Bey von seinen Feinden überfallen worden war und nach drei unglücklichen +Schlachten, tödlich verwundet, fliehen mußte, entdeckte er seinem Zögling, daß +er nicht sein Neffe sei, sondern der Sohn eines mächtigen Herrschers, welcher +aus Furcht vor den Prophezeiungen seiner Sterndeuter den jungen Prinzen von +seinem Hofe entfernt habe, mit dem Schwur, ihn erst an seinem +zweiundzwanzigsten Geburtstage wiedersehen zu wollen. Elfi Bey habe ihm den +Namen seines Vaters nicht genannt, sondern ihm nur aufs bestimmteste +aufgetragen, am fünften Tage des kommenden Monats Ramadan, an welchem Tage er +zweiundzwanzig Jahre alt werde, sich an der berühmten Säule El-Serujah, vier +Tagreisen östlich von Alessandria, einzufinden; dort soll er den Männern, die +an der Säule stehen würden, einen Dolch, den er ihm gab, überreichen mit den +Worten: „Hier bin ich, den ihr suchet“; wenn sie antworteten: +„Gelobt sei der Prophet, der dich erhielt!“, so solle er ihnen +folgen, sie würden ihn zu seinem Vater führen. +</p> + +<p> +Der Schneidergeselle Labakan war sehr erstaunt über diese Mitteilung, er +betrachtete von jetzt an den Prinzen Omar mit neidischen Augen, erzürnt +darüber, daß das Schicksal jenem, obgleich er schon für den Neffen eines +mächtigen Bassa galt, noch die Würde eines Fürstensohnes verliehen, ihm aber, +den es mit allem, was einem Prinzen nottut, ausgerüstet, gleichsam zum Hohn +eine dunkle Geburt und einen gewöhnlichen Lebensweg verliehen habe. Er stellte +Vergleichungen zwischen sich und dem Prinzen an. Er mußte sich gestehen, es sei +jener ein Mann von sehr vorteilhafter Gesichtsbildung; schöne, lebhafte Augen, +eine kühngebogene Nase, ein sanftes, zuvorkommendes Benehmen, kurz, so viele +Vorzüge des Äußeren, die jemand empfehlen können, waren jenem eigen. Aber so +viele Vorzüge er auch an seinem Begleiter fand, so gestand er sich doch bei +diesen Beobachtungen, daß ein Labakan dem fürstlichen Vater wohl noch +willkommener sein dürfte als der wirkliche Prinz. +</p> + +<p> +Diese Betrachtungen verfolgten Labakan den ganzen Tag, mit ihnen schlief er im +nächsten Nachtlager ein, aber als er morgens aufwachte und sein Blick auf den +neben ihm schlafenden Omar fiel, der so ruhig schlafen und von seinem gewissen +Glück träumen konnte, da erwachte in ihm der Gedanke, sich durch List oder +Gewalt zu erstreben, was ihm das ungünstige Schicksal versagt hatte. Der Dolch, +das Erkennungszeichen des heimkehrenden Prinzen, sah aus dem Gürtel des +Schlafenden hervor, leise zog er ihn hervor, um ihn in die Brust des +Eigentümers zu stoßen. Doch vor dem Gedanken des Mordes entsetzte sich die +friedfertige Seele des Gesellen; er begnügte sich, den Dolch zu sich zu +stecken, das schnellere Pferd des Prinzen für sich aufzäumen zu lassen, und ehe +Omar aufwachte und sich aller seiner Hoffnungen beraubt sah, hatte sein +treuloser Gefährte schon einen Vorsprung von mehreren Meilen. +</p> + +<p> +Es war gerade der erste Tag des heiligen Monats Ramadan, an welchem Labakan den +Raub an dem Prinzen begangen hatte, und er hatte also noch vier Tage, um zu der +Säule El Serujah, welche ihm wohlbekannt war, zu gelangen. Obgleich die Gegend, +worin sich diese Säule befand, höchstens noch zwei Tagreisen entfernt sein +konnte, so beeilte er sich doch hinzukommen, weil er immer fürchtete, von dem +wahren Prinzen eingeholt zu werden. +</p> + +<p> +Am Ende des zweiten Tages erblickte Labakan die Säule El-Serujah. Sie stand auf +einer kleinen Anhöhe in einer weiten Ebene und konnte auf zwei bis drei Stunden +gesehen werden. Labakans Herz pochte lauter bei diesem Anblick; obgleich er die +letzten zwei Tage hindurch Zeit genug gehabt, über die Rolle, die er zu spielen +hatte, nachzudenken, so machte ihn doch das böse Gewissen etwas ängstlich, aber +der Gedanke, daß er zum Prinzen geboren sei, stärkte ihn wieder, so daß er +getrösteter seinem Ziele entgegenging. +</p> + +<p> +Die Gegend um die Säule El-Serujah war unbewohnt und öde, und der neue Prinz +wäre wegen seines Unterhalts etwas in Verlegenheit gekommen, wenn er sich nicht +auf mehrere Tage versehen hätte. Er lagerte sich also neben seinem Pferd unter +einigen Palmen und erwartete dort sein ferneres Schicksal. +</p> + +<p> +Gegen die Mitte des anderen Tages sah er einen großen Zug von Pferden und +Kamelen über die Ebene her auf die Säule El-Serujah zuziehen. Der Zug hielt am +Fuße des Hügels, auf welchem die Säule stand, man schlug prächtige Zelte auf, +und das Ganze sah aus wie der Reisezug eines reichen Bassa oder Scheik. Labakan +ahnte, daß die vielen Leute, welche er sah, sich seinetwegen hierher bemüht +hatten, und hätte ihnen gerne schon heute ihren künftigen Gebieter gezeigt; +aber er mäßigte seine Begierde, als Prinz aufzutreten, da ja doch der nächste +Morgen seine kühnsten Wünsche vollkommen befriedigen mußte. +</p> + +<p> +Die Morgensonne weckte den überglücklichen Schneider zu dem wichtigsten +Augenblick seines Lebens, welcher ihn aus einem niederen, unbekannten +Sterblichen an die Seite eines fürstlichen Vaters erheben sollte; zwar fiel +ihm, als er sein Pferd aufzäumte, um zu der Säule hinzureiten, wohl auch das +Unrechtmäßige seines Schrittes ein; zwar führten ihm seine Gedanken den Schmerz +des in seinen schönen Hoffnungen betrogenen Fürstensohnes vor, aber—der +Würfel war geworfen, er konnte nicht mehr ungeschehen machen, was geschehen +war, und seine Eigenliebe flüsterte ihm zu, daß er stattlich genug aussehe, um +dem mächtigsten König sich als Sohn vorzustellen; ermutigt durch diesen +Gedanken, schwang er sich auf sein Roß, nahm alle seine Tapferkeit zusammen, um +es in einen ordentlichen Galopp zu bringen, und in weniger als einer +Viertelstunde war er am Fuße des Hügels angelangt. Er stieg ab von seinem Pferd +und band es an eine Staude, deren mehrere an dem Hügel wuchsen; hierauf zog er +den Dolch des Prinzen Omar hervor und stieg den Hügel hinan. Am Fuß der Säule +standen sechs Männer um einen Greis von hohem, königlichem Ansehen; ein +prachtvoller Kaftan von Goldstoff, mit einem weißen Kaschmirschal umgürtet, der +weiße, mit blitzenden Edelsteinen geschmückte Turban bezeichneten ihn als einen +Mann von Reichtum und Würde. +</p> + +<p> +Auf ihn ging Labakan zu, neigte sich tief vor ihm und sprach, indem er den +Dolch darreichte: „Hier bin ich, den Ihr suchet. „ +</p> + +<p> +„Gelobt sei der Prophet, der dich erhielt!“ antwortete der Greis +mit Freudentränen. „Umarme deinen alten Vater, mein geliebter Sohn +Omar!“ Der gute Schneider war sehr gerührt durch diese feierlichen Worte +und sank mit einem Gemisch von Freude und Scham in die Arme des alten Fürsten. +</p> + +<p> +Aber nur einen Augenblick sollte er ungetrübt die Wonne seines neuen Standes +genießen; als er sich aus den Armen des fürstlichen Greises aufrichtete, sah er +einen Reiter über die Ebene her auf den Hügel zueilen. Der Reiter und sein Roß +gewährten einen sonderbaren Anblick; das Roß schien aus Eigensinn oder +Müdigkeit nicht vorwärts zu wollen, in einem stolpernden Gang, der weder +Schritt noch Trab war, zog es daher, der Reiter aber trieb es mit Händen und +Füßen zu schnellerem Laufe an. Nur zu bald erkannte Labakan sein Roß Murva und +den echten Prinzen Omar, aber der böse Geist der Lüge war einmal in ihn +gefahren, und er beschloß, wie es auch kommen möge, mit eiserner Stirne seine +angemaßten Rechte zu behaupten. +</p> + +<p> +Schon aus der Ferne hatte man den Reiter winken gesehen; jetzt war er trotz des +schlechten Trabes des Rosses Murva am Fuße des Hügels angekommen, warf sich vom +Pferd und stürzte den Hügel hinan. „Haltet ein!“ rief er. +„Wer ihr auch sein möget, haltet ein und laßt euch nicht von dem +schändlichsten Betrüger täuschen; ich heiße Omar, und kein Sterblicher wage es, +meinen Namen zu mißbrauchen!“ +</p> + +<p> +Auf den Gesichtern der Umstehenden malte sich tiefes Erstaunen über diese +Wendung der Dinge; besonders schien der Greis sehr betroffen, indem er bald den +einen, bald den anderen fragend ansah; Labakan aber sprach mit mühsam +errungener Ruhe: „Gnädigster Herr und Vater, laßt Euch nicht irremachen +durch diesen Menschen da! Es ist, soviel ich weiß, ein wahnsinniger +Schneidergeselle aus Alessandria, Labakan geheißen, der mehr unser Mitleid als +unseren Zorn verdient.“ +</p> + +<p> +Bis zur Raserei aber brachten diese Worte den Prinzen; schäumend vor Wut wollte +er auf Labakan eindringen, aber die Umstehenden warfen sich dazwischen und +hielten ihn fest, und der Fürst sprach: „Wahrhaftig, mein lieber Sohn, +der arme Mensch ist verrückt; man binde ihn und setze ihn auf eines unserer +Dromedare, vielleicht, daß wir dem Unglücklichen Hilfe schaffen können.“ +</p> + +<p> +Die Wut des Prinzen hatte sich gelegt, weinend rief er dem Fürsten zu: +„Mein Herz sagt mir, daß Ihr mein Vater seid; bei dem Andenken meiner +Mutter beschwöre ich Euch, hört mich an!“ +</p> + +<p> +„Ei, Gott bewahre uns!“ antwortete dieser, „er fängt schon +wieder an, irre zu reden, wie doch der Mensch auf so tolle Gedanken kommen +kann!“ Damit ergriff er Labakans Arm und ließ sich von ihm den Hügel +hinuntergeleiten; sie setzten sich beide auf schöne, mit reichen Decken +behängte Pferde und ritten an der Spitze des Zuges über die Ebene hin. Dem +unglücklichen Prinzen aber fesselte man die Hände und band ihn auf einem +Dromedar fest, und zwei Reiter waren ihm immer zur Seite, die ein wachsames +Auge auf jede seiner Bewegungen hatten. +</p> + +<p> +Der fürstliche Greis war Saaud, der Sultan der Wechabiten. Er hatte lange ohne +Kinder gelebt, endlich wurde ihm ein Prinz geboren, nach dem er sich so lange +gesehnt hatte; aber die Sterndeuter, welche er um die Vorbedeutungen des Knaben +befragte, taten den Ausspruch, „daß er bis ins zweiundzwanzigste Jahr in +Gefahr stehe, von einem Feinde verdrängt zu werden“, deswegen, um recht +sicherzugehen, hatte der Sultan den Prinzen seinem alten, erprobten Freunde +Elfi-Bey zum Erziehen gegeben und zweiundzwanzig schmerzliche Jahre auf seinen +Anblick geharrt. +</p> + +<p> +Dieses hatte der Sultan seinem (vermeintlichen) Sohne erzählt und sich ihm +außerordentlich zufrieden mit seiner Gestalt und seinem würdevollen Benehmen +gezeigt. +</p> + +<p> +Als sie in das Land des Sultans kamen, wurden sie überall von den Einwohnern +mit Freudengeschrei empfangen; denn das Gerücht von der Ankunft des Prinzen +hatte sich wie ein Lauffeuer durch alle Städte und Dörfer verbreitet. Auf den +Straßen, durch welche sie zogen, waren Bögen von Blumen und Zweigen errichtet, +glänzende Teppiche von allen Farben schmeckten die Häuser, und das Volk pries +laut Gott und seinen Propheten, der ihnen einen so schönen Prinzen gesandt +habe. Alles dies erfüllte das stolze Herz des Schneiders mit Wonne; desto +unglücklicher mußte sich aber der echte Omar fühlen, der, noch immer gefesselt, +in stiller Verzweiflung dem Zuge folgte. Niemand kümmerte sich um ihn bei dem +allgemeinen Jubel, der doch ihm galt; den Namen Omar riefen tausend und wieder +tausend Stimmen, aber ihn, der diesen Namen mit Recht trug, ihn beachtete +keiner; höchstens fragte einer oder der andere, wen man denn so fest gebunden +mit fortfahre, und schrecklich tönte in das Ohr des Prinzen die Antwort seiner +Begleiter, es sei ein wahnsinniger Schneider. +</p> + +<p> +Der Zug war endlich in die Hauptstadt des Sultans gekommen, wo alles noch +glänzender zu ihrem Empfang bereitet war als in den übrigen Städten. Die +Sultanin, eine ältliche, ehrwürdige Frau, erwartete sie mit ihrem ganzen +Hofstaat in dem prachtvollsten Saal des Schlosses. Der Boden dieses Saales war +mit einem ungeheuren Teppich bedeckt, die Wände waren mit hellblauem Tuch +geschmeckt, das in goldenen Quasten und Schnüren an großen, silbernen Haken +hing. +</p> + +<p> +Es war schon dunkel, als der Zug anlangte, daher waren im Saale viele +kugelrunde, farbige Lampen angezündet, welche die Nacht zum Tag erhellten. Am +klarsten und vielfarbigsten strahlten sie aber im Hintergrund des Saales, wo +die Sultanin auf einem Throne saß. Der Thron stand auf vier Stufen und war von +lauterem Golde und mit großen Amethysten ausgelegt. Die vier vornehmsten Emire +hielten einen Baldachin von roter Seide über dem Haupte der Sultanin, und der +Scheik von Medina fächelte ihr mit einer Windfuchtel von weißen Pfauenfedern +Kühlung zu. +</p> + +<p> +So erwartete die Sultanin ihren Gemahl und ihren Sohn, auch sie hatte ihn seit +seiner Geburt nicht mehr gesehen, aber bedeutsam Träume hatten ihr den +Ersehnten gezeigt, daß sie ihn aus Tausenden erkennen wollte. Jetzt hörte man +das Geräusch des nahenden Zuges, Trompeten und Trommeln mischten sich in das +Zujauchzen der Menge, der Hufschlag der Rosse tönte im Hof des Palastes, näher +und näher rauschten die Tritte der Kommenden, die Türen des Saales flogen auf, +und durch die Reihen der niederfallenden Diener eilte der Sultan an der Hand +seines Sohnes vor den Thron der Mutter. +</p> + +<p> +„Hier“, sprach er, „bringe ich dir den, nach welchem du dich +so lange gesehnet.“ +</p> + +<p> +Die Sultanin aber fiel ihm in die Rede: „Das ist mein Sohn nicht!“ +rief sie aus, „das sind nicht die Züge, die mir der Prophet im Traume +gezeigt hat!“ +</p> + +<p> +Gerade, als ihr der Sultan ihren Aberglauben verweisen wollte, sprang die Türe +des Saales auf. Prinz Omar stürzte herein, verfolgt von seinen Wächtern, denen +er sich mit Anstrengung aller seiner Kraft entrissen hatte, er warf sich +atemlos vor dem Throne nieder: „Hier will ich sterben, laßt mich töten, +grausamer Vater; denn diese Schmach dulde ich nicht länger!“ +</p> + +<p> +Alles war bestürzt über diese Reden; man drängte sich um den Unglücklichen her, +und schon wollten ihn die herbeieilenden Wachen ergreifen und ihm wieder seine +Bande anlegen, als die Sultanin, die in sprachlosem Erstaunen dieses alles mit +angesehen hatte, von dem Throne aufsprang. „Haltet ein!“ rief sie, +„dieser und kein anderer ist der Rechte, dieser ist’s, den meine +Augen nie gesehen und den mein Herz doch gekannt hat!“ +</p> + +<p> +Die Wächter hatten unwillkürlich von Omar abgelassen, aber der Sultan, +entflammt von wütendem Zorn, rief ihnen zu, den Wahnsinnigen zu binden: +„Ich habe hier zu entscheiden“, sprach er mit gebietender Stimme, +„und hier richtet man nicht nach den Träumen der Weiber, sondern nach +gewissen, untrüglichen Zeichen. Dieser hier (indem er auf Labakan zeigte) ist +mein Sohn; denn er hat mir das Wahrzeichen meines Freundes Elfi, den Dolch, +gebracht.“ +</p> + +<p> +„Gestohlen hat er ihn“, schrie Omar, „mein argloses Vertrauen +hat er zum Verrat mißbraucht!“ Der Sultan aber hörte nicht auf die Stimme +seines Sohnes; denn er war in allen Dingen gewohnt, eigensinnig nur seinem +Urteil zu folgen; daher ließ er den unglücklichen Omar mit Gewalt aus dem Saal +schleppen. Er selbst aber begab sich mit Labakan in sein Gemach, voll Wut über +die Sultanin, seine Gemahlin, mit der er doch seit fünfundzwanzig Jahren in +Frieden gelebt hatte. +</p> + +<p> +Die Sultanin aber war voll Kummer über diese Begebenheiten; sie war vollkommen +überzeugt, daß ein Betrüger sich des Herzens des Sultans bemächtigt hatte, denn +jenen Unglücklichen hatten ihr so viele bedeutsam Träume als ihren Sohn +gezeigt. +</p> + +<p> +Als sich ihr Schmerz ein wenig gelegt hatte, sann sie auf Mittel, um ihren +Gemahl von seinem Unrecht zu überzeugen. Es war dies allerdings schwierig; denn +jener, der sich für ihren Sohn ausgab, hatte das Erkennungszeichen, den Dolch, +überreicht und hatte auch, wie sie erfuhr, so viel von Omars früherem Leben von +diesem selbst sich erzählen lassen, daß er seine Rolle, ohne sich zu verraten, +spielte. +</p> + +<p> +Sie berief die Männer zu sich, die den Sultan zu der Säule El-Serujah begleitet +hatten, um sich alles genau erzählen zu lassen, und hielt dann mit ihren +vertrautesten Sklavinnen Rat. Sie wählten und verwarfen dies und jenes Mittel; +endlich sprach Melechsalah, eine alte, kluge Zierkassierin: „Wenn ich +recht gehört habe, verehrte Gebieterin, so nannte der Überbringer des Dolches +den, welchen du für deinen Sohn hältst, Labakan, einen verwirrten +Schneider?“ +</p> + +<p> +„Ja, so ist es“, antwortete die Sultanin, „aber was willst du +damit?“ +</p> + +<p> +„Was meint Ihr“, fuhr jene fort, „wenn dieser Betrüger Eurem +Sohn seinen eigenen Namen aufgeheftet hätte?—Und wenn dies ist, so gibt +es ein herrliches Mittel, den Betrüger zu fangen, das ich Euch ganz im geheimen +sagen will.“ Die Sultanin bot ihrer Sklavin das Ohr, und diese flüsterte +ihr einen Rat zu, der ihr zu behagen schien, denn sie schickte sich an, +sogleich zum Sultan zu gehen. +</p> + +<p> +Die Sultanin war eine kluge Frau, welche wohl die schwachen Seiten des Sultans +kannte und sie zu benützen verstand. Sie schien daher, ihm nachgeben und den +Sohn anerkennen zu wollen, und bat sich nur eine Bedingung aus; der Sultan, dem +sein Aufbrausen gegen seine Frau leid tat, gestand die Bedingung zu, und sie +sprach: „Ich möchte gerne den beiden eine Probe ihrer Geschicklichkeit +auferlegen; eine andere würde sie vielleicht reiten, fechten oder Speere werfen +lassen, aber das sind Sachen, die ein jeder kann; nein, ich will ihnen etwas +geben, wozu Scharfsinn gehört! Es soll nämlich jeder von ihnen einen Kaftan und +ein Paar Beinkleider verfertigen, und da wollen wir einmal sehen, wer die +schönsten macht.“ +</p> + +<p> +Der Sultan lachte und sprach: „Ei, da hast du ja etwas recht Kluges +ausgesonnen. Mein Sohn sollte mit deinem wahnsinnigen Schneider wetteifern, wer +den besten Kaftan macht? Nein, das ist nichts.“ +</p> + +<p> +Die Sultanin aber berief sich darauf, daß er ihr die Bedingung zum Voraus +zugesagt habe, und der Sultan, welcher ein Mann von Wort war, gab endlich nach, +obgleich er schwor, wenn der wahnsinnige Schneider seinen Kaftan auch noch so +schön mache, könne er ihn doch nicht für seinen Sohn erkennen. +</p> + +<p> +Der Sultan ging selbst zu seinem Sohn und bat ihn, sich in die Grillen seiner +Mutter zu schicken, die nun einmal durchaus einen Kaftan von seiner Hand zu +sehen wünsche. Dem guten Labakan lachte das Herz vor Freude; wenn es nur an dem +fehlt, dachte er bei sich, da soll die Frau Sultanin bald Freude an mir +erleben. +</p> + +<p> +Man hatte zwei Zimmer eingerichtet, eines für den Prinzen, das andere für den +Schneider; dort sollten sie ihre Kunst erproben, und man hatte jedem nur ein +hinlängliches Stück Seidenzeug, Schere, Nadel und Faden gegeben. +</p> + +<p> +Der Sultan war sehr begierig, was für ein Ding von Kaftan wohl sein Sohn zutage +fördern werde, aber auch der Sultanin pochte unruhig das Herz, ob ihre List +wohl gelingen werde oder nicht. Man hatte den beiden zwei Tage zu ihrem +Geschäft ausgesetzt, am dritten ließ der Sultan seine Gemahlin rufen, und als +sie erschienen war, schickte er in jene zwei Zimmer, um die beiden Kaftane und +ihre Verfertiger holen zu lassen. Triumphierend trat Labakan ein und breitete +seinen Kaftan vor den erstaunten Blicken des Sultans aus. „Siehe her, +Vater“, sprach er, „siehe her, verehrte Mutter, ob dies nicht ein +Meisterstück von einem Kaftan ist? Da laß ich es mit dem geschicktesten +Hofschneider auf eine Wette ankommen, ob er einen solchen herausbringt.“ +</p> + +<p> +Die Sultanin lächelte und wandte sich zu Omar: „Und was hast du +herausgebracht, mein Sohn?“ +</p> + +<p> +Unwillig warf dieser den Seidenstoff und die Schere auf den Boden: „Man +hat mich gelehrt, ein Roß zu bändigen und einen Säbel zu schwingen, und meine +Lanze trifft auf sechzig Gänge ihr Ziel—aber die Künste der Nadel sind +mir fremd, sie wären auch unwürdig für einen Zögling Elfi Beys, des +Beherrschers von Kairo.“ +</p> + +<p> +„Oh, du echter Sohn meines Herrn“, rief die Sultanin, „ach, +daß ich dich umarmen, dich Sohn nennen dürfte! Verzeihet, mein Gemahl und +Gebieter“, sprach sie dann, indem sie sich zum Sultan wandte, „daß +ich diese List gegen Euch gebraucht habe; sehet Ihr jetzt noch nicht ein, wer +Prinz und wer Schneider ist; fürwahr, der Kaftan ist köstlich, den Euer Herr +Sohn gemacht hat, und ich möchte ihn gerne fragen, bei welchem Meister er +gelernt habe.“ +</p> + +<p> +Der Sultan saß in tiefen Gedanken, mißtrauisch bald seine Frau, bald Labakan +anschauend, der umsonst sein Erröten und seine Bestürzung, daß er sich so dumm +verraten habe, zu bekämpfen suchte. „Auch dieser Beweis genügt +nicht“, sprach er, „aber ich weiß, Allah sei es gedankt, ein +Mittel, zu erfahren, ob ich betrogen bin oder nicht.“ +</p> + +<p> +Er befahl, sein schnellstes Pferd vorzufahren, schwang sich auf und ritt in +einen Wald, der nicht weit von der Stadt begann. Dort wohnte nach einer alten +Sage eine gütige Fee, Adolzaide geheißen, welche oft schon den Königen seines +Stammes in der Stunde der Not mit ihrem Rat beigestanden war; dorthin eilte der +Sultan. +</p> + +<p> +In der Mitte des Waldes war ein freier Platz, von hohen Zedern umgeben. Dort +wohnte nach der Sage die Fee, und selten betrat ein Sterblicher diesen Platz, +denn eine gewisse Scheu davor hatte sich aus alten Zeiten vom Vater auf den +Sohn vererbt. +</p> + +<p> +Als der Sultan dort angekommen war, stieg er ab, band sein Pferd an einen Baum, +stellte sich in die Mitte des Platzes und sprach mit lauter Stimme: „Wenn +es wahr ist, daß du meinen Vätern gütigen Rat erteiltest in der Stunde der Not, +so verschmähe nicht die Bitte ihres Enkels und rate mir, wo menschlicher +Verstand zu kurzsichtig ist!“ +</p> + +<p> +Er hatte kaum die letzten Worte gesprochen, als sich eine der Zedern öffnete +und eine verschleierte Frau in langen, weißen Gewändern hervortrat. „Ich +weiß, warum du zu mir kommst, Sultan Saaud, dein Wille ist redlich; darum soll +dir auch meine Hilfe werden. Nimm diese zwei Kistchen! Laß jene beiden, welche +deine Söhne sein wollen, wählen! Ich weiß, daß der, welcher der echte ist, das +rechte nicht verfehlen wird.“ So sprach die Verschleierte und reichte ihm +zwei kleine Kistchen von Elfenbein, reich mit Gold und Perlen verziert; auf den +Deckeln, die der Sultan vergebens zu öffnen versuchte, standen Inschriften von +eingesetzten Diamanten. +</p> + +<p> +Der Sultan besann sich, als er nach Hause ritt, hin und her, was wohl in den +Kistchen sein könnte, welche er mit aller Mühe nicht zu öffnen vermochte. Auch +die Aufschrift gab ihm kein Licht in der Sache; denn auf dem einen stand: +„Ehre und Ruhm“, auf dem anderen: „Glück und Reichtum“. +Der Sultan dachte bei sich, da würde auch ihm die Wahl schwer werden unter +diesen beiden Dingen, die gleich anziehend, gleich lockend seien. +</p> + +<p> +Als er in seinen Palast zurückgekommen war, ließ er die Sultanin rufen und +sagte ihr den Ausspruch der Fee, und eine wunderbare Hoffnung erfüllte sie, daß +jener, zu dem ihr Herz sie hinzog, das Kistchen wählen würde, welches seine +königliche Abkunft beweisen sollte. +</p> + +<p> +Vor dem Throne des Sultans wurden zwei Tische aufgestellt; auf sie setzte der +Sultan mit eigener Hand die beiden Kistchen, bestieg dann den Thron und winkte +einem seiner Sklaven, die Pforte des Saales zu öffnen. Eine glänzende +Versammlung von Bassas und Emiren des Reiches, die der Sultan berufen hatte, +strömte durch die geöffnete Pforte. Sie ließen sich auf prachtvollen Polstern +nieder, welche die Wände entlang aufgestellt waren. +</p> + +<p> +Als sie sich alle niedergelassen hatten, winkte der König zum zweitenmal, und +Labakan wurde hereingeführt. Mit stolzem Schritte ging er durch den Saal, warf +sich vor dem Throne nieder und sprach: „Was befiehlt mein Herr und +Vater?“ +</p> + +<p> +Der Sultan erhob sich auf seinem Thron und sprach: „Mein Sohn! Es sind +Zweifel an der Echtheit deiner Ansprüche auf diesen Namen erhoben worden; eines +jener Kistchen enthält die Bestätigung deiner echten Geburt, wähle! Ich zweifle +nicht, du wirst das rechte wählen!“ +</p> + +<p> +Labakan erhob sich und trat vor die Kistchen, er erwog lange, was er wählen +sollte, endlich sprach er: „Verehrter Vater! Was kann es Höheres geben +als das Glück, dein Sohn zu sein, was Edleres als den Reichtum deiner Gnade? +Ich wähle das Kistchen, das die Aufschrift „Glück und Reichtum“ +zeigt.“ +</p> + +<p> +„Wir werden nachher erfahren, ob du recht gewählt hast; einstweilen setze +dich dort auf das Polster zum Bassa von Medina“, sagte der Sultan und +winkte seinen Sklaven. +</p> + +<p> +Omar wurde hereingeführt; sein Blick war düster, seine Miene traurig, und sein +Anblick erregte allgemeine Teilnahme unter den Anwesenden. Er warf sich vor dem +Throne nieder und fragte nach dem Willen des Sultans. +</p> + +<p> +Der Sultan deutete ihm an, daß er eines der Kistchen zu wählen habe, er stand +auf und trat vor den Tisch. +</p> + +<p> +Er las aufmerksam beide Inschriften und sprach: „Die letzten Tage haben +mich gelehrt, wie unsicher das Glück, wie vergänglich der Reichtum ist; sie +haben mich aber auch gelehrt, daß ein unzerstörbares Gut in der Brust des +Tapferen wohnt, die Ehre, und daß der leuchtende Stern des Ruhmes nicht mit dem +Glück zugleich vergeht. Und sollte ich einer Krone entsagen, der Würfel +liegt—Ehre und Ruhm, ich wähle euch!“ +</p> + +<p> +Er setzte seine Hand auf das Kistchen, das er erwählt hatte; aber der Sultan +befahl ihm, einzuhalten; er winkte Labakan, gleichfalls vor seinen Tisch zu +treten, und auch dieser legte seine Hand auf sein Kistchen. +</p> + +<p> +Der Sultan aber ließ sich ein Becken mit Wasser von dem heiligen Brunnen Zemzem +in Mekka bringen, wusch seine Hände zum Gebet, wandte sein Gesicht nach Osten, +warf sich nieder und betete: „Gott meiner Väter! Der du seit +Jahrhunderten unsern Stamm rein und unverfälscht bewahrtest, gib nicht zu, daß +ein Unwürdiger den Namen der Abassiden schände, sei mit deinem Schutze meinem +echten Sohne nahe in dieser Stunde der Prüfung!“ +</p> + +<p> +Der Sultan erhob sich und bestieg seinen Thron wieder; allgemeine Erwartung +fesselte die Anwesenden, man wagte kaum zu atmen, man hätte ein Mäuschen über +den Saal gehen hören können, so still und gespannt waren alle, die hintersten +machten lange Hälse, um über die vorderen nach den Kistchen sehen zu können. +Jetzt sprach der Sultan: „Öffnet die Kistchen“, und diese, die +vorher keine Gewalt zu öffnen vermochte, sprangen von selbst auf. +</p> + +<p> +In dem Kistchen, das Omar gewählt hatte, lagen auf einem samtenen Kissen eine +kleine goldene Krone und ein Zepter; in Labakans Kistchen—eine große +Nadel und ein wenig Zwirn! Der Sultan befahl den beiden, ihre Kistchen vor ihn +zu bringen. Er nahm das Krönchen von dem Kissen in seine Hand, und wunderbar +war es anzusehen, wie er es nahm, wurde es größer und größer, bis es die Größe +einer rechten Krone erreicht hatte. Er setzte die Krone seinem Sohn Omar, der +vor ihm kniete, auf das Haupt, küßte ihn auf die Stirne und hieß ihn zu seiner +Rechten sich niedersetzen. Zu Labakan aber wandte er sich und sprach: „Es +ist ein altes Sprichwort: Der Schuster bleibe bei seinem Leisten! Es scheint, +als solltest du bei der Nadel bleiben. Zwar hast du meine Gnade nicht verdient, +aber es hat jemand für dich gebeten, dem ich heute nichts abschlagen kann; drum +schenke ich dir dein armseliges Leben, aber wenn ich dir guten Rates bin, so +beeile dich, daß du aus meinem Lande kommst!“ +</p> + +<p> +Beschämt, vernichtet, wie er war, vermochte der arme Schneidergeselle nichts zu +erwidern; er warf sich vor dem Prinzen nieder, und Tränen drangen ihm aus den +Augen: „Könnt Ihr mir vergeben, Prinz?“ sagte er. +</p> + +<p> +„Treue gegen den Freund, Großmut gegen den Feind ist des Abassiden +Stolz“, antwortete der Prinz, indem er ihn aufhob, „gehe hin in +Frieden!“ +</p> + +<p> +„O du mein echter Sohn!“ rief gerührt der alte Sultan und sank an +die Brust des Sohnes; die Emire und Bassa und alle Großen des Reiches standen +auf von ihren Sitzen und riefen: „Heil dem neuen Königssohn!“ Und +unter dem allgemeinen Jubel schlich sich Labakan, sein Kistchen unter dem Arm, +aus dem Saal. +</p> + +<p> +Er ging hinunter in die Ställe des Sultans, zäumte sein Roß Murva auf und ritt +zum Tore hinaus, Alessandria zu. Sein ganzes Prinzenleben kam ihm wie ein Traum +vor, und nur das prachtvolle Kistchen, reich mit Perlen und Diamanten +geschmückt, erinnerte ihn, daß er doch nicht geträumt habe. +</p> + +<p> +Als er endlich wieder nach Alessandria kam, ritt er vor das Haus seines alten +Meisters, stieg ab, band sein Rößlein an die Türe und trat in die Werkstatt. +Der Meister, der ihn nicht gleich kannte, machte ein großes Wesen und fragte, +was ihm zu Dienst stehe; als er aber den Gast näher ansah und seinen alten +Labakan erkannte, rief er seine Gesellen und Lehrlinge herbei, und alle +stürzten sich wie wütend auf den armen Labakan, der keines solchen Empfangs +gewärtig war, stießen und schlugen ihn mit Bügeleisen und Ellenmaß, stachen ihn +mit Nadeln und zwickten ihn mit scharfen Scheren, bis er erschöpft auf einen +Haufen alter Kleider niedersank. +</p> + +<p> +Als er nun so dalag, hielt ihm der Meister eine Strafrede über das gestohlene +Kleid; vergebens versicherte Labakan, daß er nur deswegen wiedergekommen sei, +um ihm alles zu ersetzen, vergebens bot er ihm den dreifachen Schadenersatz, +der Meister und seine Gesellen fielen wieder über ihn her, schlugen ihn +weidlich und warfen ihn zur Türe hinaus; zerschlagen und zerfetzt stieg er auf +das Roß Murva und ritt in eine Karawanserei. Dort legte er sein müdes, +zerschlagenes Haupt nieder und stellte Betrachtungen an über die Leiden der +Erde, über das so oft verkannte Verdienst und über die Nichtigkeit und +Flüchtigkeit aller Güter. Er schlief mit dem Entschluß ein, aller Größe zu +entsagen und ein ehrsamer Bürger zu werden. +</p> + +<p> +Und den andere Tag gereute ihn sein Entschluß nicht; denn die schweren Hände +des Meisters und seiner Gesellen schienen alle Hoheit aus ihm herausgeprügelt +zu haben. +</p> + +<p> +Er verkaufte um einen hohen Preis sein Kistchen an einen Juwelenhändler, kaufte +sich ein Haus und richtete sich eine Werkstatt zu seinem Gewerbe ein. Als er +alles eingerichtet und auch ein Schild mit der Aufschrift Labakan, +Kleidermacher vor sein Fenster gehängt hatte, setzte er sich und begann mit +jener Nadel und dem Zwirn, die er in dem Kistchen gefunden, den Rock zu +flicken, welchen ihm sein Meister so grausam zerfetzt hatte. Er wurde von +seinem Geschäft abgerufen, und als er sich wieder an die Arbeit setzen wollte, +welch sonderbarer Anblick bot sich ihm dar! Die Nadel nähte emsig fort, ohne +von jemand geführt zu werden; sie machte feine, zierliche Stiche, wie sie +selbst Labakan in seinen kunstreichsten Augenblicken nicht gemacht hatte! +</p> + +<p> +Wahrlich, auch das geringste Geschenk einer gütigen Fee ist nützlich und von +großem Wert! Noch einen andere Wert hatte aber dies Geschenk, nämlich: Das +Stückchen Zwirn ging nie aus, die Nadel mochte so fleißig sein, als sie wollte. +</p> + +<p> +Labakan bekam viele Kunden und war bald der berühmteste Schneider weit und +breit; er schnitt die Gewänder zu und machte den ersten Stich mit der Nadel +daran, und flugs arbeitete diese weiter ohne Unterlaß, bis das Gewand fertig +war. Meister Labakan hatte bald die ganze Stadt zu Kunden; denn er arbeitete +schön und außerordentlich billig, und nur über eines schüttelten die Leute von +Alessandria den Kopf, nämlich: daß er ganz ohne Gesellen und bei verschlossenen +Türen arbeitete. +</p> + +<p> +So war der Spruch des Kistchens, Glück und Reichtum verheißend, in Erfüllung +gegangen; Glück und Reichtum begleiteten, wenn auch in bescheidenem Maße, die +Schritte des guten Schneiders, und wenn er von dem Ruhm des jungen Sultans +Omar, der in aller Munde lebte, hörte, wenn er hörte, daß dieser Tapfere der +Stolz und die Liebe seines Volkes und der Schrecken seiner Feinde sei, da +dachte der ehemalige Prinz bei sich: „Es ist doch besser, daß ich ein +Schneider geblieben bin; denn um die Ehre und den Ruhm ist es eine gar +gefährliche Sache.“ So lebte Labakan, zufrieden mit sich, geachtet von +seinen Mitbürgern, und wenn die Nadel indes nicht ihre Kraft verloren, so näht +sie noch jetzt mit dem ewigen Zwirn der gütigen Fee Adolzaide. +</p> + +<p> +Mit Sonnenaufgang brach die Karawane auf und gelangte bald nach Birket el Had +oder dem Pilgrimsbrunnen, von wo es nur noch drei Stunden Weges nach Kairo +waren—Man hatte um diese Zeit die Karawane erwartet, und bald hatten die +Kaufleute die Freude, ihre Freunde aus Kairo ihnen entgegenkommen zu sehen. Sie +zogen in die Stadt durch das Tor Bebel Falch; denn es wird für eine glückliche +Vorbedeutung gehalten, wenn man von Mekka kommt, durch dieses Tor einzuziehen, +weil der Prophet hindurchgezogen ist. +</p> + +<p> +Auf dem Markt verabschiedeten sich die vier türkischen Kaufleute von dem +Fremden und dem griechischen Kaufmann Zaleukos und gingen mit ihren Freunden +nach Haus. Zaleukos aber zeigte dem Fremden eine gute Karawanserei und lud ihn +ein, mit ihm das Mittagsmahl zu nehmen. Der Fremde sagte zu und versprach, wenn +er nur vorher sich umgekleidet habe, zu erscheinen. +</p> + +<p> +Der Grieche hatte alle Anstalten getroffen, den Fremden, welchen er auf der +Reise liebgewonnen hatte, gut zu bewirten, und als die Speisen und Getränke in +gehöriger Ordnung aufgestellt waren, setzte er sich, seinen Gast zu erwarten. +</p> + +<p> +Langsam und schweren Schrittes hörte er ihn den Gang, der zu seinem Gemach +führte, heraufkommen. Er erhob sich, um ihm freundlich entgegenzusehen und ihn +an der Schwelle zu bewillkommnen; aber voll Entsetzen fuhr er zurück, als er +die Türe öffnete; denn jener schreckliche Rotmantel trat ihm entgegen; er warf +noch einen Blick auf ihn, es war keine Täuschung; dieselbe hohe, gebietende +Gestalt, die Larve, aus welcher ihn die dunklen Augen anblitzten, der rote +Mantel mit der goldenen Stickerei waren ihm nur allzuwohl bekannt aus den +schrecklichsten Stunden seines Lebens. +</p> + +<p> +Widerstreitende Gefühle wogten in Zaleukos Brust; er hatte sich mit diesem Bild +seiner Erinnerung längst ausgesöhnt und ihm vergeben, und doch riß sein Anblick +alle seine Wunden wieder auf; alle jene qualvollen Stunden der Todesangst, +jener Gram, der die Blüte seines Lebens vergiftete, zogen im Flug eines +Augenblicks an seiner Seele vorüber. +</p> + +<p> +„Was willst du, Schrecklicher?“ rief der Grieche aus, als die +Erscheinung noch immer regungslos auf der Schwelle stand. „Weiche schnell +von hinnen, daß ich dir nicht fluche!“ +</p> + +<p> +„Zaleukos!“ sprach eine bekannte Stimme unter der Larve hervor. +„Zaleukos! So empfängst du deinen Gastfreund?“ Der Sprechende nahm +die Larve ab, schlug den Mantel zurück; es war Selim Baruch, der Fremde. +</p> + +<p> +Aber Zaleukos schien noch nicht beruhigt, ihm graute vor dem Fremden; denn nur +zu deutlich hatte er in ihm den Unbekannten von der Ponte vecchio erkannt; aber +die alte Gewohnheit der Gastfreundschaft siegte; er winkte schweigend dem +Fremden, sich zu ihm ans Mahl zu setzen. +</p> + +<p> +„Ich errate deine Gedanken“, nahm dieser das Wort, als sie sich +gesetzt hatten. „Deine Augen sehen fragend auf mich—ich hätte +schweigen und mich deinen Blicken nie mehr zeigen können, aber ich bin dir +Rechenschaft schuldig, und darum wagte ich es auch, auf die Gefahr hin, daß du +mir fluchtest, vor dir in meiner alten Gestalt zu erscheinen. Du sagtest einst +zu mir: Der Glaube meiner Väter befiehlt mir, ihn zu lieben, auch ist er wohl +unglücklicher als ich; glaube dieses, mein Freund, und höre meine +Rechtfertigung! +</p> + +<p> +Ich muß weit ausholen, um mich dir ganz verständlich zu machen. Ich bin in +Alessandria von christlichen Eltern geboren. Mein Vater, der jüngere Sohn eines +alten, berühmten französischen Hauses, war Konsul seines Landes in Alessandria. +Ich wurde von meinem zehnten Jahre an in Frankreich bei einem Bruder meiner +Mutter erzogen und verließ erst einige Jahre nach dem Ausbruch der Revolution +mein Vaterland, um mit meinem Oheim, der in dem Lande seiner Ahnen nicht mehr +sicher war, über dem Meer bei meinen Eltern eine Zuflucht zu suchen. Voll +Hoffnung, die Ruhe und den Frieden, den uns das empörte Volk der Franzosen +entrissen, im elterlichen Hause wiederzufinden, landeten wir. Aber ach! Ich +fand nicht alles in meines Vaters Hause, wie es sein sollte; die äußeren Stürme +der bewegten Zeit waren zwar noch nicht bis hierher gelangt, desto unerwarteter +hatte das Unglück mein Haus im innersten Herzen heimgesucht. Mein Bruder, ein +junger, hoffnungsvoller Mann, erster Sekretär meines Vaters, hatte sich erst +seit kurzem mit einem jungen Mädchen, der Tochter eines florentinischen +Edelmanns, der in unserer Nachbarschaft wohnte, verheiratet; zwei Tage vor +unserer Ankunft war diese auf einmal verschwunden, ohne daß weder unsere +Familie noch ihr Vater die geringste Spur von ihr auffinden konnten. Man +glaubte endlich, sie habe sich auf einem Spaziergang zu weit gewagt und sei in +Räuberhände gefallen. Beinahe tröstlicher wäre dieser Gedanke für meinen armen +Bruder gewesen als die Wahrheit, die uns nur bald kund wurde. Die Treulose +hatte sich mit einem jungen Neapolitaner, den sie im Hause ihres Vaters +kennengelernt hatte, eingeschifft. Mein Bruder, aufs äußerste empört über +diesen Schritt, bot alles auf, die Schuldige zur Strafe zu ziehen; doch +vergebens; seine Versuche, die in Neapel und Florenz Aufsehen erregt hatten, +dienten nur dazu, sein und unser aller Unglück zu vollenden. Der florentinische +Edelmann reiste in sein Vaterland zurück, zwar mit dem Vorgeben, meinem Bruder +Recht zu verschaffen, der Tat nach aber, um uns zu verderben. Er schlug in +Florenz alle jene Untersuchungen, welche mein Bruder angeknüpft hatte, nieder +und wußte seinen Einfluß, den er auf alle Art sich verschafft hatte, so gut zu +benützen, daß mein Vater und mein Bruder ihrer Regierung verdächtig gemacht und +durch die schändlichsten Mittel gefangen, nach Frankreich geführt und dort vom +Beil des Henkers getötet wurden. Meine arme Mutter verfiel in Wahnsinn, und +erst nach zehn langen Monaten erlöste sie der Tod von ihrem schrecklichen +Zustand, der aber in den letzten Tagen zu vollem, klarem Bewußtsein geworden +war. So stand ich jetzt ganz allein in der Welt, aber nur ein Gedanke +beschäftigte meine Seele, nur ein Gedanke ließ mich meine Trauer vergessen, es +war jene mächtige Flamme, die meine Mutter in ihrer letzten Stunde in mir +angefacht hatte. +</p> + +<p> +In den letzten Stunden war, wie ich dir sagte, ihr Bewußtsein zurückgekehrt; +sie ließ mich rufen und sprach mit Ruhe von unserem Schicksal und ihrem Ende. +Dann aber ließ sie alle aus dem Zimmer gehen, richtete sich mit feierlicher +Miene von ihrem ärmlichen Lager auf und sagte, ich könne mir ihren Segen +erwerben, wenn ich ihr schwöre, etwas auszufahren, das sie mir auftragen +würde—Ergriffen von den Worten der sterbenden Mutter, gelobte ich mit +einem Eide zu tun, wie sie mir sagen werde. Sie brach nun in Verwünschungen +gegen den Florentiner und seine Tochter aus und legte mir mit den +fürchterlichsten Drohungen ihres Fluches auf, mein unglückliches Haus an ihm zu +rächen. Sie starb in meinen Armen. Jener Gedanke der Rache hatte schon lange in +meiner Seele geschlummert; jetzt erwachte er mit aller Macht. Ich sammelte den +Rest meines väterlichen Vermögens und schwor mir, alles an meine Rache zu +setzen oder selbst mit unterzugehen. +</p> + +<p> +Bald war ich in Florenz, wo ich mich so geheim als möglich aufhielt; mein Plan +war um vieles erschwert worden durch die Lage, in welcher sich meine Feinde +befanden. Der alte Florentiner war Gouverneur geworden und hatte so alle Mittel +in der Hand, sobald er das geringste ahnte, mich zu verderben. Ein Zufall kam +mir zu Hilfe. Eines Abends sah ich einen Menschen in bekannter Livree durch die +Straßen gehen; sein unsicherer Gang, sein finsterer Blick und das halblaut +herausgestoßene „Santo sacramento“, „Maledetto diavolo“ +ließen mich den alten Pietro, einen Diener des Florentiners, den ich schon in +Alessandria gekannt hatte, erkennen. Ich war nicht in Zweifel, daß er über +seinen Herrn in Zorn geraten sei, und beschloß, seine Stimmung zu benützen. Er +schien sehr überrascht, mich hier zu sehen, klagte mir sein Leiden, daß er +seinem Herrn, seit er Gouverneur geworden, nichts mehr recht machen könne, und +mein Gold, unterstützt von seinem Zorn, brachte ihn bald auf meine Seite. Das +Schwierigste war jetzt beseitigt; ich hatte einen Mann in meinem Solde, der mir +zu jeder Stunde die Türe meines Feindes öffnete, und nun reifte mein Racheplan +immer schneller heran. Das Leben des alten Florentiners schien mir ein zu +geringes Gewicht, dem Untergang meines Hauses gegenüber, zu haben. Sein +Liebstes mußte er gemordet sehen, und dies war Bianka, seine Tochter. Hatte ja +sie so schändlich an meinem Bruder gefrevelt, war ja doch sie die Ursache +unseres Unglücks. Gar erwünscht kam sogar meinem rachedürstigen Herzen die +Nachricht, daß in dieser Zeit Bianka zum zweitenmal sich vermählen wollte, es +war beschlossen, sie mußte sterben. Aber mir selbst graute vor der Tat, und +auch Pietro traute sich zu wenig Kraft zu; darum spähten wir umher nach einem +Mann, der das Geschäft vollbringen könne. Unter den Florentinern wagte ich +keinen zu dingen, denn gegen den Gouverneur würde keiner etwas Solches +unternommen haben. Da fiel Pietro der Plan ein, den ich nachher ausgeführt +habe; zugleich schlug er dich als Fremden und Arzt als den Tauglichsten vor. +Den Verlauf der Sache weißt du. Nur an deiner großen Vorsicht und Ehrlichkeit +schien mein Unternehmen zu scheitern. Daher der Zufall mit dem Mantel. +</p> + +<p> +Pietro öffnete uns das Pförtchen an dem Palast des Gouverneurs; er hätte uns +auch ebenso heimlich wieder hinausgeleitet, wenn wir nicht, durch den +schrecklichen Anblick, der sich uns durch die Türspalte darbot, erschreckt, +entflohen wären. Von Schrecken und Reue gejagt, war ich über zweihundert +Schritte fortgerannt, bis ich auf den Stufen einer Kirche niedersank. Dort erst +sammelte ich mich wieder, und mein erster Gedanke warst du und dein +schreckliches Schicksal, wenn man dich in dem Hause fände. Ich schlich an den +Palast, aber weder von Pietro noch von dir konnte ich eine Spur entdecken; das +Pförtchen aber war offen, so konnte ich wenigstens hoffen, daß du die +Gelegenheit zur Flucht benützt haben könntest. +</p> + +<p> +Als aber der Tag anbrach, ließ mich die Angst vor der Entdeckung und ein +unabweisbares Gefühl von Reue nicht mehr in den Mauern von Florenz. Ich eilte +nach Rom. Aber denke dir meine Bestürzung, als man dort nach einigen Tagen +überall diese Geschichte erzählte mit dem Beisatz, man habe den Mörder, einen +griechischen Arzt, gefangen. Ich kehrte in banger Besorgnis nach Florenz +zurück; denn schien mir meine Rache schon vorher zu stark, so verfluchte ich +sie jetzt, denn sie war mir durch dein Leben allzu teuer erkauft. Ich kam an +demselben Tage an, der dich der Hand beraubte. Ich schweige von dem, was ich +fühlte, als ich dich das Schafott besteigen und so heldenmütig leiden sah. Aber +damals, als dein Blut in Strömen aufspritzte, war der Entschluß fest in mir, +dir deine übrigen Lebenstage zu versüßen. Was weiter geschehen ist, weißt du, +nur das bleibt mir noch zu sagen übrig, warum ich diese Reise mit dir machte. +</p> + +<p> +Als eine schwere Last drückte mich der Gedanke, daß du mir noch immer nicht +vergeben habest; darum entschloß ich mich, viele Tage mit dir zu leben und dir +endlich Rechenschaft abzulegen von dem, was ich mit dir getan.“ +</p> + +<p> +Schweigend hatte der Grieche seinen Gast angehört; mit sanftem Blick bot er +ihm, als er geendet hatte, seine Rechte. „Ich wußte wohl, daß du +unglücklicher sein müßtest als ich, denn jene grausame Tat wird wie eine dunkle +Wolke ewig deine Tage verfinstern; ich vergebe dir von Herzen. Aber erlaube mir +noch eine Frage: Wie kommst du unter dieser Gestalt in die Wüste? Was fingst du +an, nachdem du in Konstantinopel mir das Haus gekauft hattest?“ +</p> + +<p> +„Ich ging nach Alessandria zurück“, antwortete der Gefragte. +„Haß gegen alle Menschen tobte in meiner Brust, brennender Haß besonders +gegen jene Nationen, die man die gebildeten nennt. Glaube mir, unter meinen +Moslemiten war mir wohler! Kaum war ich einige Monate in Alessandria, als jene +Landung meiner Landsleute erfolgte. +</p> + +<p> +Ich sah in ihnen nur die Henker meines Vaters und meines Bruders; darum +sammelte ich einige gleichgesinnte junge Leute meiner Bekanntschaft und schloß +mich jenen tapferen Mamelucken an, die so oft der Schrecken des französischen +Heeres wurden. Als der Feldzug beendigt war, konnte ich mich nicht +entschließen, zu den Künsten des Friedens zurückzukehren. Ich lebte mit einer +kleinen Anzahl gleichdenkender Freunde ein unstetes und flüchtiges, dem Kampf +und der Jagd geweihtes Leben; ich lebe zufrieden unter diesen Leuten, die mich +wie ihren Fürsten ehren; denn wenn meine Asiaten auch nicht so gebildet sind +wie Eure Europäer, so sind sie doch weit entfernt von Neid und Verleumdung, von +Selbstsucht und Ehrgeiz.“ +</p> + +<p> +Zaleukos dankte dem Fremden für seine Mitteilung, aber er verbarg ihm nicht, +daß er es für seinen Stand, für seine Bildung angemessener fände, wenn er in +christlichen, in europäischen Ländern leben und wirken würde. Er faßte seine +Hand und bat ihn, mit ihm zu ziehen, bei ihm zu leben und zu sterben. +</p> + +<p> +Gerührt sah ihn der Gastfreund an. „Daraus erkenne ich“, sagte er, +„daß du mir ganz vergeben hast, daß du mich liebst. Nimm meinen innigsten +Dank dafür!“ Er sprang auf und stand in seiner ganzen Größe vor dem +Griechen, dem vor dem kriegerischen Anstand, den dunkel blitzenden Augen, der +tiefen Stimme seines Gastes beinahe graute. „Dein Vorschlag ist +schön“, sprach jener weiter, „er möchte für jeden andern lockend +sein—ich kann ihn nicht benützen. Schon steht mein Roß gesattelt, +erwarten mich meine Diener; lebe wohl, Zaleukos!“ Die Freunde, die das +Schicksal so wunderbar zusammengeführt, umarmten sich zum Abschied. „Und +wie nenne ich dich? Wie heißt mein Gastfreund, der auf ewig in meinem +Gedächtnis leben wird?“ fragte der Grieche. +</p> + +<p> +Der Fremde sah ihn lange an, drückte ihm noch einmal die Hand und sprach: +„Man nennt mich den Herrn der Wüste; ich bin der Räuber Orbasan.“ +</p> + +</div><!--end chapter--> + +<div style='display:block; margin-top:4em'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MÄRCHEN-ALMANACH AUF DAS JAHR 1826 ***</div> +<div style='text-align:left'> + +<div style='display:block; margin:1em 0'> +Updated editions will replace the previous one—the old editions will +be renamed. +</div> + +<div style='display:block; margin:1em 0'> +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. 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You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + +Title: Maerchen-Almanach auf das Jahr 1826 + +Author: Wilhelm Hauff + +Posting Date: June 6, 2012 [EBook #6638] +Release Date: October, 2004 +First Posted: January 9, 2003 + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK MAERCHEN-ALMANAC 1826 *** + + + + +Produced by Mike Pullen + + + + + + + + +This book content was graciously contributed by the +Gutenberg Projekt-DE. +That project is reachable at the web site +http://gutenberg2000.de. + +Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" +zur Verfügung gestellt. Das Projekt ist unter der +Internet-Adresse http://gutenberg2000.de erreichbar. + + + + + +Märchen-Almanach auf das Jahr 1826 + +Wilhelm Hauff + +Inhalt: + +Märchen als Almanach +Die Karawane (Rahmenerzählung) +Die Geschichte vom Kalif Storch +Die Geschichte von dem Gespensterschiff +Die Geschichte von der abgehauenen Hand +Die Errettung Fatmes +Die Geschichte von dem kleinen Muck +Das Märchen vom falschen Prinzen + + + + +Märchen als Almanach + +Wilhelm Hauff + + +In einem schönen, fernen Reiche, von welchem die Sage lebt, daß die +Sonne in seinen ewig grünen Gärten niemals untergehe, herrschte von +Anfang an bis heute die Königin Phantasie. Mit vollen Händen +spendete diese seit vielen Jahrhunderten die Fülle des Segens über +die Ihrigen und war geliebt, verehrt von allen, die sie kannten. Das +Herz der Königin war aber zu groß, als daß sie mit ihren Wohltaten +bei ihrem Lande stehen geblieben wäre; sie selbst, im königlichen +Schmuck ihrer ewigen Jugend und Schönheit, stieg herab auf die Erde; +denn sie hatte gehört, daß dort Menschen wohnen, die ihr Leben in +traurigem Ernst, unter Mühe und Arbeit hinbringen. Diesen hatte sie +die schönsten Gaben aus ihrem Reiche mitgebracht, und seit die schöne +Königin durch die Fluren der Erde gegangen war, waren die Menschen +fröhlich bei der Arbeit, heiter in ihrem Ernst. + +Auch ihre Kinder,nicht minder schön und lieblich als die königliche +Mutter, sandte sie aus, um die Menschen zu beglücken. Einst kam +Märchen, die älteste Tochter der Königin, von der Erde zurück. Die +Mutter bemerkte, daß Märchen traurig sei, ja, hier und da wollte ihr +bedünken, als ob sie verweinte Augen hätte. + +"Was hast du, liebes Märchen", sprach die Königin zu ihr, "du bist +seit deiner Reise so traurig und niedergeschlagen, willst du deiner +Mutter nicht anvertrauen, was dir fehlt?" + +"Ach, liebe Mutter", antwortete Märchen, "ich hätte gewiß nicht so +lange geschwiegen, wenn ich nicht wüßte, daß mein Kummer auch der +deinige ist." + +"Sprich immer, meine Tochter", bat die schöne Königin, "der Gram ist +ein Stein, der den einzelnen niederdrückt, aber zwei tragen ihn +leicht aus dem Wege." + +"Du willst es", antwortete Märchen, "so höre: Du weißt, wie gerne ich +mit den Menschen umgehe, wie ich freudig auch bei dem Ärmsten vor +seiner Hütte sitze, um nach der Arbeit ein Stündchen mit ihm zu +verplaudern; sie boten mir auch sonst gleich freundlich die Hand zum +Gruß, wenn ich kam, und sahen mir lächelnd und zufrieden nach, wenn +ich weiterging; aber in diesen Tagen ist es gar nicht mehr so!" + +"Armes Märchen!" sprach die Königin und streichelte ihr die Wange, +die von einer Träne feucht war, "aber du bildest dir vielleicht dies +alles nur ein?" + +"Glaube mir, ich fühle es nur zu gut", entgegnete Märchen, "sie +lieben mich nicht mehr. Überall, wo ich hinkomme, begegnen mir +kalte Blicke; nirgends bin ich mehr gern gesehen; selbst die Kinder, +die ich doch immer so lieb hatte, lachen über mich und wenden mir +altklug den Rücken zu." + +Die Königin stützte die Stirne in die Hand und schwieg sinnend. + +"Und woher soll es denn", fragte die Königin, "kommen, Märchen, daß +sich die Leute da unten so geändert haben?" + +"Sieh, die Menschen haben kluge Wächter aufgestellt, die alles, was +aus deinem Reich kommt, o Königin Phantasie, mit scharfem Blicke +mustern und prüfen. Wenn nun einer kommt, der nicht nach ihrem Sinne +ist, so erheben sie ein großes Geschrei, schlagen ihn tot oder +verleumden ihn doch so sehr bei den Menschen, die ihnen aufs Wort +glauben, daß man gar keine Liebe, kein Fünkchen Zutrauen mehr findet. +Ach, wie gut haben es meine Brüder, die Träume, fröhlich und leicht +hüpfen sie auf die Erde hinab, fragen nichts nach jenen klugen +Männern, besuchen die schlummernden Menschen und weben und malen +ihnen, was das Herz beglückt und das Auge erfreut!" + +"Deine Brüder sind Leichtfüße", sagte die Königin, "und du, mein +Liebling, hast keine Ursache, sie zu beneiden. Jene Grenzwächter +kenne ich übrigens wohl; die Menschen haben so unrecht nicht, sie +aufzustellen; es kam so mancher windige Geselle und tat, als ob er +geradewegs aus meinem Reiche käme, und doch hatte er höchstens von +einem Berge zu uns herübergeschaut." + +"Aber warum lassen sie dies mich, deine eigene Tochter, entgelten", +weinte Märchen. "Ach, wenn du wüßtest, wie sie es mit mir gemacht +haben; sie schalten mich eine alte Jungfer und drohten, mich das +nächste Mal gar nicht mehr hereinzulassen." "Wie, meine Tochter nicht +mehr einzulassen?" rief die Königin, und Zorn rötete ihre Wangen. +"Aber ich sehe schon, woher dies kommt; die böse Muhme hat uns +verleumdet!" + +"Die Mode? Nicht möglich!" rief Märchen, "sie tat ja sonst immer so +freundlich." + +"Oh! Ich kenne sie, die Falsche", antwortete die Königin, "aber +versuche es ihr zum Trotze wieder, meine Tochter, wer Gutes tun will, +darf nicht rasten." + +"Ach, Mutter! Wenn sie mich dann ganz zurückweisen, oder wenn sie +mich verleumden, daß mich die Menschen nicht ansehen oder einsam und +verachtet in der Ecke stehen lassen?" + +"Wenn die Alten, von der Mode betört, dich geringschätzen, so wende +dich an die Kleinen, wahrlich, sie sind meine Lieblinge, ihnen sende +ich meine lieblichsten Bilder durch deine Brüder, die Träume, ja, ich +bin schon oft selbst zu ihnen hinabgeschwebt, habe sie geherzt und +geküßt und schöne Spiele mit ihnen gespielt; sie kennen mich auch +wohl, sie wissen zwar meinen Namen nicht, aber ich habe schon oft +bemerkt, wie sie nachts zu meinen Sternen herauflächeln und morgens, +wenn meine glänzenden Lämmer am Himmel ziehen, vor Freuden die Hände +zusammenschlagen. Auch wenn sie größer werden, lieben sie mich noch, +ich helfe dann den lieblichen Mädchen bunte Kränze flechten, und die +wilden Knaben werden stiller, wenn ich auf hoher Felsenspitze mich zu +ihnen setze, aus der Nebelwelt der fernen, blauen Berge hohe Burgen +und glänzende Paläste auftauchen lasse und aus den rötlichen Wolken +des Abends kühne Reiterscharen und wunderliche Wallfahrtszüge bilde." + +"O die guten Kinder!" rief Märchen bewegt aus. "Ja, es sei! Mit +ihnen will ich es noch einmal versuchen." + +"Ja, du gute Tochter", sprach die Königin, "gehe zu ihnen; aber ich +will dich auch ein wenig ordentlich ankleiden, daß du den Kleinen +gefällst und die Großen dich nicht zurückstoßen; siehe, das Gewand +eines Almanachs will ich dir geben." + +"Eines Almanachs, Mutter? Ach!--Ich schäme mich, so vor den Leuten +zu prangen." + +Die Königin winkte, und die Dienerinnen brachten das zierliche Gewand +eines Almanachs. Es war von glänzenden Farben und schöne Figuren +eingewoben. + +Die Zofen flochten dem schönen Mädchen das lange Haar; sie banden ihr +goldene Sandalen unter die Füße und hingen ihr dann das Gewand um. + +Das bescheidene Märchen wagte nicht aufzublicken, die Mutter aber +betrachtete es mit Wohlgefallen und schloß es in ihre Arme. "Gehe +hin", sprach sie zu der Kleinen, "mein Segen sei mit dir. Und wenn +sie dich verachten und höhnen, so kehre zurück zu mir, vielleicht, +daß spätere Geschlechter, getreuer der Natur, ihr Herz dir wieder +zuwenden." + +Also sprach die Königin Phantasie. Märchen aber stieg hinab auf die +Erde. Mit pochendem Herzen nahte sie dem Ort, wo die klugen Wächter +hauseten; sie senkte das Köpfchen zur Erde, sie zog das schöne Gewand +enger um sich her, und mit zagendem Schritt nahte sie dem Tor. + +"Halt!" rief eine tiefe, rauhe Stimme. "Wache heraus! Da kommt ein +neuer Almanach!" + +Märchen zitterte, als sie dies hörte; viele ältliche Männer von +finsterem Aussehen stürzten hervor; sie hatten spitzige Federn in der +Faust und hielten sie dem Märchen entgegen. Einer aus der Schar +schritt auf sie zu und packte sie mit rauher Hand am Kinn. "Nur auch +den Kopf aufgerichtet, Herr Almanach", schrie er, "daß man Ihm in den +Augen ansiehet, ob er was Rechtes ist oder nicht!" + +Errötend richtete Märchen das Köpfchen in die Höhe und schlug das +dunkle Auge auf. + +"Das Märchen!" riefen die Wächter und lachten aus vollem Hals, "das +Märchen! Haben wunder gemeint, was da käme! Wie kommst du nur in +diesen Rock?" + +"Die Mutter hat ihn mir angezogen", antwortete Märchen. "So? Sie +will dich bei uns einschwärzen? Nichts da! Hebe dich weg, mach, daß +du fortkommst!" riefen die Wächter untereinander und erhoben die +scharfen Federn. + +"Aber ich will ja nur zu den Kindern", bat Märchen, "dies könnt ihr +mir ja doch erlauben." + +"Läuft nicht schon genug solches Gesindel im Land umher?" rief einer +der Wächter. "Sie schwatzen nur unseren Kindern dummes Zeug vor." + +"Laßt uns sehen, was sie diesmal weiß!" sprach ein anderer. + +"Nun ja", riefen sie, "sag an, was du weißt, aber beeile dich, denn +wir haben nicht viele Zeit für dich!" + +Märchen streckte die Hand aus und schrieb mit dem Zeigefinger viele +Zeichen in die Luft. Da sah man bunte Gestalten vorüberziehen; +Karawanen mit schönen Rossen, geschmückte Reiter, viele Zelte im Sand +der Wüste; Vögel und Schiffe auf stürmischen Meeren; stille Wälder +und volkreiche Plätze und Straßen; Schlachten und friedliche Nomaden, +sie alle schwebten in belebten Bildern, in buntem Gewimmel vorüber. + +Märchen hatte in dem Eifer, mit welchem sie die Bilder aufsteigen +ließ, nicht bemerkt, wie die Wächter des Tores nach und nach +eingeschlafen waren. Eben wollte sie neue Zeichen schreiben, als ein +freundlicher Mann auf sie zutrat und ihre Hand ergriff. "Siehe her, +gutes Märchen", sagte er, indem er auf die Schlafenden zeigte, "für +diese sind deine bunten Sachen nichts; schlüpfe schnell durch das Tor; +sie ahnen dann nicht, daß du im Lande bist, und du kannst friedlich +und unbemerkt deine Straße ziehen. Ich will dich zu meinen Kindern +führen; in meinem Hause geb' ich dir ein stilles, freundliches +Plätzchen; dort kannst du wohnen und für dich leben; wenn dann meine +Söhne und Töchter gut gelernt haben, dürfen sie mit ihren Gespielen +zu dir kommen und dir zuhören. Willst du so?" + +"Oh, wie gerne folge ich dir zu deinen lieben Kleinen; wie will ich +mich befleißen, ihnen zuweilen ein heiteres Stündchen zu machen!" + +Der gute Mann nickte ihr freundlich zu und half ihr, über die Füße +der schlafenden Wächter hinüberzusteigen. Lächelnd sah sich Märchen +um, als sie hinüber war, und schlüpfte dann schnell in das Tor. + + + + +Die Karawane + +Wilhelm Hauff + + +Es zog einmal eine große Karawane durch die Wüste. Auf der +ungeheuren Ebene, wo man nichts als Sand und Himmel sieht, hörte man +schon in weiter Ferne die Glocken der Kamele und die silbernen +Röllchen der Pferde, eine dichte Staubwolke, die ihr vorherging, +verkündete ihre Nähe, und wenn ein Luftzug die Wolke teilte, +blendeten funkelnde Waffen und helleuchtende Gewänder das Auge. So +stellte sich die Karawane einem Manne dar, welcher von der Seite her +auf sie zuritt. Er ritt ein schönes arabisches Pferd, mit einer +Tigerdecke behängt, an dem hochroten Riemenwerk hingen silberne +Glöckchen, und auf dem Kopf des Pferdes wehte ein schöner Reiherbusch. +Der Reiter sah stattlich aus, und sein Anzug entsprach der Pracht +seines Rosses; ein weißer Turban, reich mit Gold bestickt, bedeckte +das Haupt; der Rock und die weiten Beinkleider waren von brennendem +Rot, ein gekrümmtes Schwert mit reichem Griff an seiner Seite. Er +hatte den Turban tief ins Gesicht gedrückt; dies und die schwarzen +Augen, die unter buschigen Brauen hervorblitzten, der lange Bart, der +unter der gebogenen Nase herabhing, gaben ihm ein wildes, kühnes +Aussehen. + +Als der Reiter ungefähr auf fünfzig Schritt dem Vortrab der Karawane +nahe war, spornte er sein Pferd an und war in wenigen Augenblicken an +der Spitze des Zuges angelangt. Es war ein so ungewöhnliches +Ereignis, einen einzelnen Reiter durch die Wüste ziehen zu sehen, daß +die Wächter des Zuges, einen Überfall befürchtend, ihm ihre Lanzen +entgegenstreckten. + +"Was wollt ihr", rief der Reiter, als er sich so kriegerisch +empfangen sah, "glaubt ihr, ein einzelner Mann werde eure Karawane +angreifen?" + +Beschämt schwangen die Wächter ihre Lanzen wieder auf, ihr Anführer +aber ritt an den Fremden heran und fragte nach seinem Begehr. + +"Wer ist der Herr der Karawane?" fragte der Reiter. + +"Sie gehört nicht einem Herrn", antwortete der Gefragte, "sondern es +sind mehrere Kaufleute, die von Mekka in ihre Heimat ziehen und die +wir durch die Wüste geleiten, weil oft allerlei Gesindel die +Reisenden beunruhigt." + +"So führt mich zu den Kaufleuten", begehrte der Fremde. + +"Das kann jetzt nicht geschehen", antwortete der Führer, "weil wir +ohne Aufenthalt weiterziehen müssen und die Kaufleute wenigstens eine +Viertelstunde weiter hinten sind; wollt Ihr aber mit mir weiterreiten, +bis wir lagern, um Mittagsruhe zu halten, so werde ich Eurem Wunsch +willfahren." + +Der Fremde sagte hierauf nichts; er zog eine lange Pfeife, die er am +Sattel festgebunden hatte, hervor und fing an in großen Zügen zu +rauchen, indem er neben dem Anführer des Vortrabs weiterritt. Dieser +wußte nicht, was er aus dem Fremden machen sollte; er wagte es nicht, +ihn geradezu nach seinem Namen zu fragen, und so künstlich er auch +ein Gespräch anzuknüpfen suchte, der Fremde hatte auf das: "Ihr +raucht da einen guten Tabak", oder: "Euer Rapp' hat einen braven +Schritt", immer nur mit einem kurzen "Ja, ja!" geantwortet. + +Endlich waren sie auf dem Platz angekommen, wo man Mittagsruhe halten +wollte. Der Anführer hatte seine Leute als Wachen aufgestellt; er +selbst hielt mit dem Fremden, um die Karawane herankommen zu lassen. +Dreißig Kamele, schwer beladen, zogen vorüber, von bewaffneten +Führern geleitet. Nach diesen kamen auf schönen Pferden die fünf +Kaufleute, denen die Karawane gehörte. Es waren meistens Männer von +vorgerücktem Alter, ernst und gesetzt aussehend, nur einer schien +viel jünger als die übrigen, wie auch froher und lebhafter. Eine +große Anzahl Kamele und Packpferde schloß den Zug. + +Man hatte Zelte aufgeschlagen und die Kamele und Pferde rings +umhergestellt. In der Mitte war ein großes Zelt von blauem +Seidenzeug. Dorthin führte der Anführer der Wache den Fremden. Als +sie durch den Vorhang des Zeltes getreten waren, sahen sie die fünf +Kaufleute auf goldgewirkten Polstern sitzen; schwarze Sklaven +reichten ihnen Speise und Getränke. "Wen bringt Ihr uns da?" rief +der junge Kaufmann dem Führer zu. + +Ehe noch der Führer antworten konnte, sprach der Fremde: "Ich heiße +Selim Baruch und bin aus Bagdad; ich wurde auf einer Reise nach Mekka +von einer Räuberhorde gefangen und habe mich vor drei Tagen heimlich +aus der Gefangenschaft befreit. Der große Prophet ließ mich die +Glocken eurer Karawane in weiter Ferne hören, und so kam ich bei euch +an. Erlaubet mir, daß ich in eurer Gesellschaft reise! Ihr werdet +euren Schutz keinem Unwürdigen schenken, und so ihr nach Bagdad +kommet, werde ich eure Güte reichlich belohnen denn ich bin der Neffe +des Großwesirs." + +Der älteste der Kaufleute nahm das Wort: "Selim Baruch", sprach er, +"sei willkommen in unserem Schatten. Es macht uns Freude, dir +beizustehen; vor allem aber setze dich und iß und trinke mit uns." + +Selim Baruch setzte sich zu den Kaufleuten und aß und trank mit ihnen. +Nach dem Essen räumten die Sklaven die Geschirre hinweg und +brachten lange Pfeifen und türkischen Sorbet. Die Kaufleute saßen +lange schweigend, indem sie die bläulichen Rauchwolken vor sich +hinbliesen und zusahen, wie sie sich ringelten und verzogen und +endlich in die Luft verschwebten. Der junge Kaufmann brach endlich +das Stillschweigen: "So sitzen wir seit drei Tagen", sprach er, "zu +Pferd und am Tisch, ohne uns durch etwas die Zeit zu vertreiben. Ich +verspüre gewaltig Langeweile, denn ich bin gewohnt, nach Tisch Tänzer +zu sehen oder Gesang und Musik zu hören. Wißt ihr gar nichts, meine +Freunde, das uns die Zeit vertreibt?" + +Die vier älteren Kaufleute rauchten fort und schienen ernsthaft +nachzusinnen, der Fremde aber sprach: "Wenn es mir erlaubt ist, will +ich euch einen Vorschlag machen. Ich meine, auf jedem Lagerplatz +könnte einer von uns den anderen etwas erzählen. Dies könnte uns +schon die Zeit vertreiben." + +"Selim Baruch, du hast wahr gesprochen", sagte Achmet, der älteste +der Kaufleute, "laßt uns den Vorschlag annehmen." + +"Es freut mich, wenn euch der Vorschlag behagt", sprach Selim, "damit +ihr aber sehet, daß ich nichts Unbilliges verlange, so will ich den +Anfang machen." + +Vergnügt rückten die fünf Kaufleute näher zusammen und ließen den +Fremden in ihrer Mitte sitzen. Die Sklaven schenkten die Becher +wieder voll, stopften die Pfeifen ihrer Herren frisch und brachten +glühende Kohlen zum Anzünden. Selim aber erfrischte seine Stimme mit +einem tüchtigen Zuge Sorbet, strich den langen Bart über dem Mund weg +und sprach: + +"So hört denn die Geschichte vom Kalif Storch." + +Als Selim Baruch seine Geschichte beendet hatte, bezeugten sich die +Kaufleute sehr zufrieden damit. "Wahrhaftig, der Nachmittag ist uns +vergangen, ohne daß wir merkten wie!" sagte einer derselben, indem er +die Decke des Zeltes zurückschlug. "Der Abendwind wehet kühl, und +wir könnten noch eine gute Strecke Weges zurücklegen." Seine +Gefährten waren damit einverstanden, die Zelte wurden abgebrochen, +und die Karawane machte sich in der nämlichen Ordnung, in welcher sie +herangezogen war, auf den Weg. + +Sie ritten beinahe die ganze Nacht hindurch, denn es war schwül am +Tage, die Nacht aber war erquicklich und sternhell. Sie kamen +endlich an einem bequemen Lagerplatz an, schlugen die Zelte auf und +legten sich zur Ruhe. Für den Fremden aber sorgten die Kaufleute, +wie wenn er ihr wertester Gastfreund wäre. Der eine gab ihm Polster, +der andere Decken, ein dritter gab ihm Sklaven, kurz, er wurde so gut +bedient, als ob er zu Hause wäre. Die heißeren Stunden des Tages +waren schon heraufgekommen, als sie sich wieder erhoben, und sie +beschlossen einmütig, hier den Abend abzuwarten. Nachdem sie +miteinander gespeist hatten, rückten sie wieder näher zusammen, und +der junge Kaufmann wandte sich an den ältesten und sprach: "Selim +Baruch hat uns gestern einen vergnügten Nachmittag bereitet, wie wäre +es, Achmet, wenn Ihr uns auch etwas erzähltet, sei es nun aus Eurem +langen Leben, das wohl viele Abenteuer aufzuweisen hat, oder sei es +auch ein hübsches Märchen." Achmet schwieg auf diese Anrede eine +Zeitlang, wie wenn er bei sich im Zweifel wäre, ob er dies oder jenes +sagen sollte oder nicht; endlich fing er an zu sprechen: + +"Liebe Freunde! Ihr habt euch auf dieser unserer Reise als treue +Gesellen erprobt, und auch Selim verdient mein Vertrauen; daher will +ich euch etwas aus meinem Leben mitteilen, das ich sonst ungern und +nicht jedem erzähle: die Geschichte von dem Gespensterschiff." + +Die Reise der Karawane war den anderen Tag ohne Hindernis fürder +gegangen, und als man im Lagerplatz sich erholt hatte, begann Selim, +der Fremde, zu Muley, dem jüngsten der Kaufleute, also zu sprechen: + +"Ihr seid zwar der Jüngste von uns, doch seid Ihr immer fröhlich und +wißt für uns gewiß irgendeinen guten Schwank. Tischet ihn auf, daß +er uns erquicke nach der Hitze des Tages!" + +"Wohl möchte ich euch etwas erzählen", antwortete Muley, "das euch +Spaß machen könnte, doch der Jugend ziemt Bescheidenheit in allen +Dingen; darum müssen meine älteren Reisegefährten den Vorrang haben. +Zaleukos ist immer so ernst und verschlossen, sollte er uns nicht +erzählen, was sein Leben so ernst machte? Vielleicht, daß wir seinen +Kummer, wenn er solchen hat, lindern können; denn gerne dienen wir +dem Bruder, wenn er auch anderen Glaubens ist." + +Der Aufgerufene war ein griechischer Kaufmann, ein Mann in mittleren +Jahren, schön und kräftig, aber sehr ernst. Ob er gleich ein +Ungläubiger (nicht Muselmann) war, so liebten ihn doch seine +Reisegefährten, denn er hatte durch sein ganzes Wesen Achtung und +Zutrauen eingeflößt. Er hatte übrigens nur eine Hand, und einige +seiner Gefährten vermuteten, daß vielleicht dieser Verlust ihn so +ernst stimme. + +Zaleukos antwortete auf die zutrauliche Frage Muleys: "Ich bin sehr +geehrt durch euer Zutrauen; Kummer habe ich keinen, wenigstens keinen, +von welchem ihr auch mit dem besten Willen mir helfen könntet. Doch +weil Muley mir meinen Ernst vorzuwerfen scheint, so will ich euch +einiges erzählen, was mich rechtfertigen soll, wenn ich ernster bin +als andere Leute. Ihr sehet, daß ich meine linke Hand verloren habe. +Sie fehlt mir nicht von Geburt an, sondern ich habe sie in den +schrecklichsten Tagen meines Lebens eingebüßt. Ob ich die Schuld +davon trage, ob ich unrecht habe, seit jenen Tagen ernster, als es +meine Lage mit sich bringt, zu sein, möget ihr beurteilen, wenn ihr +vernommen habt die Geschichte von der abgehauenen Hand." + +Zaleukos, der griechische Kaufmann, hatte seine Geschichte geendigt. +Mit großer Teilnahme hatten ihm die übrigen zugehört, besonders der +Fremde schien sehr davon ergriffen zu sein; er hatte einigemal tief +geseufzt, und Muley schien es sogar, als habe er einmal Tränen in den +Augen gehabt. Sie besprachen sich noch lange Zeit über diese +Geschichte. + +"Und haßt Ihr den Unbekannten nicht, der Euch so schnöd' um ein so +edles Glied Eures Körpers, der selbst Euer Leben in Gefahr brachte?" +fragte der Fremde. + +"Wohl gab es in früherer Zeit Stunden", antwortete der Grieche, "in +denen mein Herz ihn vor Gott angeklagt, daß er diesen Kummer über +mich gebracht und mein Leben vergiftet habe; aber ich fand Trost in +dem Glauben meiner Väter, und dieser befiehlt mir, meine Feinde zu +lieben; auch ist er wohl noch unglücklicher als ich." + +"Ihr seid ein edler Mann!" rief der Fremde und drückte gerührt dem +Griechen die Hand. + +Der Anführer der Wache unterbrach sie aber in ihrem Gespräch. Er +trat mit besorgter Miene in das Zelt und berichtete, daß man sich +nicht der Ruhe überlassen dürfe; denn hier sei die Stelle, wo +gewöhnlich die Karawanen angegriffen würden, auch glaubten seine +Wachen, in der Entfernung mehrere Reiter zu sehen. + +Die Kaufleute waren sehr bestürzt über diese Nachricht; Selim, der +Fremde, aber wunderte sich über ihre Bestürzung und meinte, daß sie +so gut geschätzt wären, daß sie einen Trupp räuberischer Araber nicht +zu fürchten brauchten. + +"Ja, Herr!" entgegnete ihm der Anführer der Wache. "Wenn es nur +solches Gesindel wäre, könnte man sich ohne Sorge zur Ruhe legen; +aber seit einiger Zeit zeigt sich der furchtbare Orbasan wieder, und +da gilt es, auf seiner Hut zu sein." + +Der Fremde fragte, wer denn dieser Orbasan sei, und Achmet, der alte +Kaufmann, antwortete ihm: "Es gehen allerlei Sagen unter dem Volke +über diesen wunderbaren Mann. Die einen halten ihn für ein +übermenschliches Wesen, weil er oft mit fünf bis sechs Männern zumal +einen Kampf besteht, andere halten ihn für einen tapferen Franken, +den das Unglück in diese Gegend verschlagen habe; von allem aber ist +nur so viel gewiß, daß er ein verruchter Mörder und Dieb ist." + +"Das könnt Ihr aber doch nicht behaupten", entgegnete ihm Lezah, +einer der Kaufleute. "Wenn er auch ein Räuber ist, so ist er doch +ein edler Mann, und als solcher hat er sich an meinem Bruder bewiesen, +wie ich Euch erzählen könnte. Er hat seinen ganzen Stamm zu +geordneten Menschen gemacht, und so lange er die Wüste durchstreift, +darf kein anderer Stamm es wagen, sich sehen zu lassen. Auch raubt +er nicht wie andere, sondern er erhebt nur ein Schutzgeld von den +Karawanen, und wer ihm dieses willig bezahlt, der ziehet ungefährdet +weiter; denn Orbasan ist der Herr der Wüste." + +Also sprachen unter sich die Reisenden im Zelte; die Wachen aber, die +um den Lagerplatz ausgestellt waren, begannen unruhig zu werden. Ein +ziemlich bedeutender Haufe bewaffneter Reiter zeigte sich in der +Entfernung einer halben Stunde; sie schienen gerade auf das Lager +zuzureiten. Einer der Männer von der Wache ging daher in das Zelt, +um zu verkünden, daß sie wahrscheinlich angegriffen würden. Die +Kaufleute berieten sich untereinander, was zu tun sei, ob man ihnen +entgegengehen oder den Angriff abwarten solle. Achmet und die zwei +älteren Kaufleute wollten das letztere, der feurige Muley aber und +Zaleukos verlangten das erstere und riefen den Fremden zu ihrem +Beistand auf. Dieser zog ruhig ein kleines, blaues Tuch mit roten +Sternen aus seinem Gürtel hervor, band es an eine Lanze und befahl +einem der Sklaven, es auf das Zelt zu stecken; er setze sein Leben +zum Pfand, sagte er, die Reiter werden, wenn sie dieses Zeichen sehen, +ruhig vorüberziehen. Muley glaubte nicht an den Erfolg, der Sklave +aber steckte die Lanze auf das Zelt. Inzwischen hatten alle, die im +Lager waren, zu den Waffen gegriffen und sahen in gespannter +Erwartung den Reitern entgegen. Doch diese schienen das Zeichen auf +dem Zelte erblickt zu haben, sie wichen plötzlich von ihrer Richtung +auf das Lager ab und zogen in einem großen Bogen auf der Seite hin. + +Verwundert standen einige Augenblicke die Reisenden und sahen bald +auf die Reiter, bald auf den Fremden. Dieser stand ganz gleichgültig, +wie wenn nichts vorgefallen wäre, vor dem Zelte und blickte über die +Ebene hin. Endlich brach Muley das Stillschweigen. "Wer bist du, +mächtiger Fremdling", rief er aus, "der du die wilden Horden der +Wüste durch einen Wink bezähmst?" + +"Ihr schlagt meine Kunst höher an, als sie ist", antwortete Selim +Baruch. "Ich habe mich mit diesem Zeichen versehen, als ich der +Gefangenschaft entfloh; was es zu bedeuten hat, weiß ich selbst nicht; +nur so viel weiß ich, daß, wer mit diesem Zeichen reiset, unter +mächtigem Schutze steht." + +Die Kaufleute dankten dem Fremden und nannten ihn ihren Erretter. +Wirklich war auch die Anzahl der Reiter so groß gewesen, daß wohl die +Karawane nicht lange hätte Widerstand leisten können. + +Mit leichterem Herzen begab man sich jetzt zur Ruhe, und als die +Sonne zu sinken begann und der Abendwind über die Sandebene hinstrich, +brachen sie auf und zogen weiter. + +Am nächsten Tage lagerten sie ungefähr nur noch eine Tagreise von dem +Ausgang der Wüste entfernt. Als sich die Reisenden wieder in dem +großen Zelt versammelt hatten, nahm Lezah, der Kaufmann, das Wort: + +"Ich habe euch gestern gesagt, daß der gefürchtete Orbasan ein edler +Mann sei, erlaubt mir, daß ich es euch heute durch die Erzählung der +Schicksale meines Bruders beweise. Mein Vater war Kadi in Akara. Er +hatte drei Kinder. Ich war der Älteste, ein Bruder und eine +Schwester waren bei weitem jünger als ich. Als ich zwanzig Jahre alt +war, rief mich ein Bruder meines Vaters zu sich. Er setzte mich zum +Erben seiner Güter ein, mit der Bedingung, daß ich bis zu seinem Tode +bei ihm bleibe. Aber er erreichte ein hohes Alter, so daß ich erst +vor zwei Jahren in meine Heimat zurückkehrte und nichts davon wußte, +welch schreckliches Schicksal indes mein Haus betroffen und wie gütig +Allah es gewendet hatte." Die Errettung Fatmes + +Die Karawane hatte das Ende der Wüste erreicht, und fröhlich +begrüßten die Reisenden die grünen Matten und die dichtbelaubten +Bäume, deren lieblichen Anblick sie viele Tage entbehrt hatten. In +einem schönen Tale lag eine Karawanserei, die sie sich zum Nachtlager +wählten, und obgleich sie wenig Bequemlichkeit und Erfrischung darbot, +so war doch die ganze Gesellschaft heiterer und zutraulicher als je; +denn der Gedanke, den Gefahren und Beschwerlichkeiten, die eine Reise +durch die Wüste mit sich bringt, entronnen zu sein, hatte alle Herzen +geöffnet und die Gemüter zu Scherz und Kurzweil gestimmt. Muley, der +junge lustige Kaufmann, tanzte einen komischen Tanz und sang Lieder +dazu, die selbst dem ernsten Griechen Zaleukos ein Lächeln entlockten. +Aber nicht genug, daß er seine Gefährten durch Tanz und Spiel +erheitert hatte, er gab ihnen auch noch die Geschichte zum besten, +die er ihnen versprochen hatte, und hub, als er von seinen +Luftsprüngen sich erholt hatte, also zu erzählen an: Die Geschichte +von dem kleinen Muck. + +"So erzählte mir mein Vater; ich bezeugte ihm meine Reue über mein +rohes Betragen gegen den guten kleinen Mann, und mein Vater schenkte +mir die andere Hälfte der Strafe, die er mir zugedacht hatte. Ich +erzählte meinen Kameraden die wunderbaren Schicksale des Kleinen, und +wir gewannen ihn so lieb, daß ihn keiner mehr schimpfte. Im +Gegenteil, wir ehrten ihn, solange er lebte, und haben uns vor ihm +immer so tief wie vor Kadi und Mufti gebückt." + +Die Reisenden beschlossen, einen Rasttag in dieser Karawanserei zu +machen, um sich und die Tiere zur weiteren Reise zu stärken. Die +gestrige Fröhlichkeit ging auch auf diesen Tag über, und sie +ergötzten sich in allerlei Spielen. Nach dem Essen aber riefen sie +dem fünften Kaufmann, Ali Sizah, zu, auch seine Schuldigkeit gleich +den übrigen zu tun und eine Geschichte zu erzählen. Er antwortete, +sein Leben sei zu arm an auffallenden Begebenheiten, als daß er ihnen +etwas davon mitteilen möchte, daher wolle er ihnen etwas anderes +erzählen, nämlich: Das Märchen vom falschen Prinzen. + + +Mit Sonnenaufgang brach die Karawane auf und gelangte bald nach +Birket el Had oder dem Pilgrimsbrunnen, von wo es nur noch drei +Stunden Weges nach Kairo waren--Man hatte um diese Zeit die Karawane +erwartet, und bald hatten die Kaufleute die Freude, ihre Freunde aus +Kairo ihnen entgegenkommen zu sehen. Sie zogen in die Stadt durch +das Tor Bebel Falch; denn es wird für eine glückliche Vorbedeutung +gehalten, wenn man von Mekka kommt, durch dieses Tor einzuziehen, +weil der Prophet hindurchgezogen ist. + +Auf dem Markt verabschiedeten sich die vier türkischen Kaufleute von +dem Fremden und dem griechischen Kaufmann Zaleukos und gingen mit +ihren Freunden nach Haus. Zaleukos aber zeigte dem Fremden eine gute +Karawanserei und lud ihn ein, mit ihm das Mittagsmahl zu nehmen. Der +Fremde sagte zu und versprach, wenn er nur vorher sich umgekleidet +habe, zu erscheinen. + +Der Grieche hatte alle Anstalten getroffen, den Fremden, welchen er +auf der Reise liebgewonnen hatte, gut zu bewirten, und als die +Speisen und Getränke in gehöriger Ordnung aufgestellt waren, setzte +er sich, seinen Gast zu erwarten. + +Langsam und schweren Schrittes hörte er ihn den Gang, der zu seinem +Gemach führte, heraufkommen. Er erhob sich, um ihm freundlich +entgegenzusehen und ihn an der Schwelle zu bewillkommnen; aber voll +Entsetzen fuhr er zurück, als er die Türe öffnete; denn jener +schreckliche Rotmantel trat ihm entgegen; er warf noch einen Blick +auf ihn, es war keine Täuschung; dieselbe hohe, gebietende Gestalt, +die Larve, aus welcher ihn die dunklen Augen anblitzten, der rote +Mantel mit der goldenen Stickerei waren ihm nur allzuwohl bekannt aus +den schrecklichsten Stunden seines Lebens. + +Widerstreitende Gefühle wogten in Zaleukos Brust; er hatte sich mit +diesem Bild seiner Erinnerung längst ausgesöhnt und ihm vergeben, und +doch riß sein Anblick alle seine Wunden wieder auf; alle jene +qualvollen Stunden der Todesangst, jener Gram, der die Blüte seines +Lebens vergiftete, zogen im Flug eines Augenblicks an seiner Seele +vorüber. + +"Was willst du, Schrecklicher?" rief der Grieche aus, als die +Erscheinung noch immer regungslos auf der Schwelle stand. "Weiche +schnell von hinnen, daß ich dir nicht fluche!" + +"Zaleukos!" sprach eine bekannte Stimme unter der Larve hervor. +"Zaleukos! So empfängst du deinen Gastfreund?" Der Sprechende nahm +die Larve ab, schlug den Mantel zurück; es war Selim Baruch, der +Fremde. + +Aber Zaleukos schien noch nicht beruhigt, ihm graute vor dem Fremden; +denn nur zu deutlich hatte er in ihm den Unbekannten von der Ponte +vecchio erkannt; aber die alte Gewohnheit der Gastfreundschaft siegte; +er winkte schweigend dem Fremden, sich zu ihm ans Mahl zu setzen. + +"Ich errate deine Gedanken", nahm dieser das Wort, als sie sich +gesetzt hatten. "Deine Augen sehen fragend auf mich--ich hätte +schweigen und mich deinen Blicken nie mehr zeigen können, aber ich +bin dir Rechenschaft schuldig, und darum wagte ich es auch, auf die +Gefahr hin, daß du mir fluchtest, vor dir in meiner alten Gestalt zu +erscheinen. Du sagtest einst zu mir: Der Glaube meiner Väter +befiehlt mir, ihn zu lieben, auch ist er wohl unglücklicher als ich; +glaube dieses, mein Freund, und höre meine Rechtfertigung! + +Ich muß weit ausholen, um mich dir ganz verständlich zu machen. Ich +bin in Alessandria von christlichen Eltern geboren. Mein Vater, der +jüngere Sohn eines alten, berühmten französischen Hauses, war Konsul +seines Landes in Alessandria. Ich wurde von meinem zehnten Jahre an +in Frankreich bei einem Bruder meiner Mutter erzogen und verließ erst +einige Jahre nach dem Ausbruch der Revolution mein Vaterland, um mit +meinem Oheim, der in dem Lande seiner Ahnen nicht mehr sicher war, +über dem Meer bei meinen Eltern eine Zuflucht zu suchen. Voll +Hoffnung, die Ruhe und den Frieden, den uns das empörte Volk der +Franzosen entrissen, im elterlichen Hause wiederzufinden, landeten +wir. Aber ach! Ich fand nicht alles in meines Vaters Hause, wie es +sein sollte; die äußeren Stürme der bewegten Zeit waren zwar noch +nicht bis hierher gelangt, desto unerwarteter hatte das Unglück mein +Haus im innersten Herzen heimgesucht. Mein Bruder, ein junger, +hoffnungsvoller Mann, erster Sekretär meines Vaters, hatte sich erst +seit kurzem mit einem jungen Mädchen, der Tochter eines +florentinischen Edelmanns, der in unserer Nachbarschaft wohnte, +verheiratet; zwei Tage vor unserer Ankunft war diese auf einmal +verschwunden, ohne daß weder unsere Familie noch ihr Vater die +geringste Spur von ihr auffinden konnten. Man glaubte endlich, sie +habe sich auf einem Spaziergang zu weit gewagt und sei in Räuberhände +gefallen. Beinahe tröstlicher wäre dieser Gedanke für meinen armen +Bruder gewesen als die Wahrheit, die uns nur bald kund wurde. Die +Treulose hatte sich mit einem jungen Neapolitaner, den sie im Hause +ihres Vaters kennengelernt hatte, eingeschifft. Mein Bruder, aufs +äußerste empört über diesen Schritt, bot alles auf, die Schuldige zur +Strafe zu ziehen; doch vergebens; seine Versuche, die in Neapel und +Florenz Aufsehen erregt hatten, dienten nur dazu, sein und unser +aller Unglück zu vollenden. Der florentinische Edelmann reiste in +sein Vaterland zurück, zwar mit dem Vorgeben, meinem Bruder Recht zu +verschaffen, der Tat nach aber, um uns zu verderben. Er schlug in +Florenz alle jene Untersuchungen, welche mein Bruder angeknüpft hatte, +nieder und wußte seinen Einfluß, den er auf alle Art sich verschafft +hatte, so gut zu benützen, daß mein Vater und mein Bruder ihrer +Regierung verdächtig gemacht und durch die schändlichsten Mittel +gefangen, nach Frankreich geführt und dort vom Beil des Henkers +getötet wurden. Meine arme Mutter verfiel in Wahnsinn, und erst nach +zehn langen Monaten erlöste sie der Tod von ihrem schrecklichen +Zustand, der aber in den letzten Tagen zu vollem, klarem Bewußtsein +geworden war. So stand ich jetzt ganz allein in der Welt, aber nur +ein Gedanke beschäftigte meine Seele, nur ein Gedanke ließ mich meine +Trauer vergessen, es war jene mächtige Flamme, die meine Mutter in +ihrer letzten Stunde in mir angefacht hatte. + +In den letzten Stunden war, wie ich dir sagte, ihr Bewußtsein +zurückgekehrt; sie ließ mich rufen und sprach mit Ruhe von unserem +Schicksal und ihrem Ende. Dann aber ließ sie alle aus dem Zimmer +gehen, richtete sich mit feierlicher Miene von ihrem ärmlichen Lager +auf und sagte, ich könne mir ihren Segen erwerben, wenn ich ihr +schwöre, etwas auszuführen, das sie mir auftragen würde--Ergriffen +von den Worten der sterbenden Mutter, gelobte ich mit einem Eide zu +tun, wie sie mir sagen werde. Sie brach nun in Verwünschungen gegen +den Florentiner und seine Tochter aus und legte mir mit den +fürchterlichsten Drohungen ihres Fluches auf, mein unglückliches Haus +an ihm zu rächen. Sie starb in meinen Armen. Jener Gedanke der +Rache hatte schon lange in meiner Seele geschlummert; jetzt erwachte +er mit aller Macht. Ich sammelte den Rest meines väterlichen +Vermögens und schwor mir, alles an meine Rache zu setzen oder selbst +mit unterzugehen. + +Bald war ich in Florenz, wo ich mich so geheim als möglich aufhielt; +mein Plan war um vieles erschwert worden durch die Lage, in welcher +sich meine Feinde befanden. Der alte Florentiner war Gouverneur +geworden und hatte so alle Mittel in der Hand, sobald er das +geringste ahnte, mich zu verderben. Ein Zufall kam mir zu Hilfe. +Eines Abends sah ich einen Menschen in bekannter Livree durch die +Straßen gehen; sein unsicherer Gang, sein finsterer Blick und das +halblaut herausgestoßene "Santo sacramento", "Maledetto diavolo" +ließen mich den alten Pietro, einen Diener des Florentiners, den ich +schon in Alessandria gekannt hatte, erkennen. Ich war nicht in +Zweifel, daß er über seinen Herrn in Zorn geraten sei, und beschloß, +seine Stimmung zu benützen. Er schien sehr überrascht, mich hier zu +sehen, klagte mir sein Leiden, daß er seinem Herrn, seit er +Gouverneur geworden, nichts mehr recht machen könne, und mein Gold, +unterstützt von seinem Zorn, brachte ihn bald auf meine Seite. Das +Schwierigste war jetzt beseitigt; ich hatte einen Mann in meinem +Solde, der mir zu jeder Stunde die Türe meines Feindes öffnete, und +nun reifte mein Racheplan immer schneller heran. Das Leben des alten +Florentiners schien mir ein zu geringes Gewicht, dem Untergang meines +Hauses gegenüber, zu haben. Sein Liebstes mußte er gemordet sehen, +und dies war Bianka, seine Tochter. Hatte ja sie so schändlich an +meinem Bruder gefrevelt, war ja doch sie die Ursache unseres Unglücks. +Gar erwünscht kam sogar meinem rachedürstigen Herzen die Nachricht, +daß in dieser Zeit Bianka zum zweitenmal sich vermählen wollte, es +war beschlossen, sie mußte sterben. Aber mir selbst graute vor der +Tat, und auch Pietro traute sich zu wenig Kraft zu; darum spähten wir +umher nach einem Mann, der das Geschäft vollbringen könne. Unter den +Florentinern wagte ich keinen zu dingen, denn gegen den Gouverneur +würde keiner etwas Solches unternommen haben. Da fiel Pietro der +Plan ein, den ich nachher ausgeführt habe; zugleich schlug er dich +als Fremden und Arzt als den Tauglichsten vor. Den Verlauf der Sache +weißt du. Nur an deiner großen Vorsicht und Ehrlichkeit schien mein +Unternehmen zu scheitern. Daher der Zufall mit dem Mantel. + +Pietro öffnete uns das Pförtchen an dem Palast des Gouverneurs; er +hätte uns auch ebenso heimlich wieder hinausgeleitet, wenn wir nicht, +durch den schrecklichen Anblick, der sich uns durch die Türspalte +darbot, erschreckt, entflohen wären. Von Schrecken und Reue gejagt, +war ich über zweihundert Schritte fortgerannt, bis ich auf den Stufen +einer Kirche niedersank. Dort erst sammelte ich mich wieder, und +mein erster Gedanke warst du und dein schreckliches Schicksal, wenn +man dich in dem Hause fände. Ich schlich an den Palast, aber weder +von Pietro noch von dir konnte ich eine Spur entdecken; das Pförtchen +aber war offen, so konnte ich wenigstens hoffen, daß du die +Gelegenheit zur Flucht benützt haben könntest. + +Als aber der Tag anbrach, ließ mich die Angst vor der Entdeckung und +ein unabweisbares Gefühl von Reue nicht mehr in den Mauern von +Florenz. Ich eilte nach Rom. Aber denke dir meine Bestürzung, als +man dort nach einigen Tagen überall diese Geschichte erzählte mit dem +Beisatz, man habe den Mörder, einen griechischen Arzt, gefangen. Ich +kehrte in banger Besorgnis nach Florenz zurück; denn schien mir meine +Rache schon vorher zu stark, so verfluchte ich sie jetzt, denn sie +war mir durch dein Leben allzu teuer erkauft. Ich kam an demselben +Tage an, der dich der Hand beraubte. Ich schweige von dem, was ich +fühlte, als ich dich das Schafott besteigen und so heldenmütig leiden +sah. Aber damals, als dein Blut in Strömen aufspritzte, war der +Entschluß fest in mir, dir deine übrigen Lebenstage zu versüßen. Was +weiter geschehen ist, weißt du, nur das bleibt mir noch zu sagen +übrig, warum ich diese Reise mit dir machte. + +Als eine schwere Last drückte mich der Gedanke, daß du mir noch immer +nicht vergeben habest; darum entschloß ich mich, viele Tage mit dir +zu leben und dir endlich Rechenschaft abzulegen von dem, was ich mit +dir getan." + +Schweigend hatte der Grieche seinen Gast angehört; mit sanftem Blick +bot er ihm, als er geendet hatte, seine Rechte. "Ich wußte wohl, daß +du unglücklicher sein müßtest als ich, denn jene grausame Tat wird +wie eine dunkle Wolke ewig deine Tage verfinstern; ich vergebe dir +von Herzen. Aber erlaube mir noch eine Frage: Wie kommst du unter +dieser Gestalt in die Wüste? Was fingst du an, nachdem du in +Konstantinopel mir das Haus gekauft hattest?" + +"Ich ging nach Alessandria zurück", antwortete der Gefragte. "Haß +gegen alle Menschen tobte in meiner Brust, brennender Haß besonders +gegen jene Nationen, die man die gebildeten nennt. Glaube mir, unter +meinen Moslemiten war mir wohler! Kaum war ich einige Monate in +Alessandria, als jene Landung meiner Landsleute erfolgte. + +Ich sah in ihnen nur die Henker meines Vaters und meines Bruders; +darum sammelte ich einige gleichgesinnte junge Leute meiner +Bekanntschaft und schloß mich jenen tapferen Mamelucken an, die so +oft der Schrecken des französischen Heeres wurden. Als der Feldzug +beendigt war, konnte ich mich nicht entschließen, zu den Künsten des +Friedens zurückzukehren. Ich lebte mit einer kleinen Anzahl +gleichdenkender Freunde ein unstetes und flüchtiges, dem Kampf und +der Jagd geweihtes Leben; ich lebe zufrieden unter diesen Leuten, die +mich wie ihren Fürsten ehren; denn wenn meine Asiaten auch nicht so +gebildet sind wie Eure Europäer, so sind sie doch weit entfernt von +Neid und Verleumdung, von Selbstsucht und Ehrgeiz." + +Zaleukos dankte dem Fremden für seine Mitteilung, aber er verbarg ihm +nicht, daß er es für seinen Stand, für seine Bildung angemessener +fände, wenn er in christlichen, in europäischen Ländern leben und +wirken würde. Er faßte seine Hand und bat ihn, mit ihm zu ziehen, +bei ihm zu leben und zu sterben. + +Gerührt sah ihn der Gastfreund an. "Daraus erkenne ich", sagte er, +"daß du mir ganz vergeben hast, daß du mich liebst. Nimm meinen +innigsten Dank dafür!" Er sprang auf und stand in seiner ganzen Größe +vor dem Griechen, dem vor dem kriegerischen Anstand, den dunkel +blitzenden Augen, der tiefen Stimme seines Gastes beinahe graute. +"Dein Vorschlag ist schön", sprach jener weiter, "er möchte für jeden +andern lockend sein--ich kann ihn nicht benützen. Schon steht mein +Roß gesattelt, erwarten mich meine Diener; lebe wohl, Zaleukos!" Die +Freunde, die das Schicksal so wunderbar zusammengeführt, umarmten +sich zum Abschied. "Und wie nenne ich dich? Wie heißt mein +Gastfreund, der auf ewig in meinem Gedächtnis leben wird?" fragte der +Grieche. + +Der Fremde sah ihn lange an, drückte ihm noch einmal die Hand und +sprach: "Man nennt mich den Herrn der Wüste; ich bin der Räuber +Orbasan." + + + + +Kalif Storch + +Wilhelm Hauff + + +Der Kalif Chasid zu Bagdad saß einmal an einem schönen Nachmittag +behaglich auf seinem Sofa; er hatte ein wenig geschlafen, denn es war +ein heißer Tag, und sah nun nach seinem Schläfchen recht heiter aus. +Er rauchte aus einer langen Pfeife von Rosenholz, trank hier und da +ein wenig Kaffee, den ihm ein Sklave einschenkte, und strich sich +allemal vergnügt den Bart, wenn es ihm geschmeckt hatte. Kurz, man +sah dem Kalifen an, daß es ihm recht wohl war. Um diese Stunde +konnte man gar gut mit ihm reden, weil er da immer recht mild und +leutselig war, deswegen besuchte ihn auch sein Großwesir Mansor alle +Tage um diese Zeit. An diesem Nachmittage nun kam er auch, sah aber +sehr nachdenklich aus, ganz gegen seine Gewohnheit. Der Kalif tat +die Pfeife ein wenig aus dem Mund und sprach: "Warum machst du ein so +nachdenkliches Gesicht, Großwesir?" + +Der Großwesir schlug seine Arme kreuzweis über die Brust, verneigte +sich vor seinem Herrn und antwortete: "Herr, ob ich ein +nachdenkliches Gesicht mache, weiß ich nicht, aber da drunten am +Schloß steht ein Krämer, der hat so schöne Sachen, daß es mich ärgert, +nicht viel überflüssiges Geld zu haben." + +Der Kalif, der seinem Großwesir schon lange gerne eine Freude gemacht +hätte, schickte seinen schwarzen Sklaven hinunter, um den Krämer +heraufzuholen. Bald kam der Sklave mit dem Krämer zurück. Dieser +war ein kleiner, dicker Mann, schwarzbraun im Gesicht und in +zerlumptem Anzug. Er trug einen Kasten, in welchem er allerhand +Waren hatte, Perlen und Ringe, reichbeschlagene Pistolen, Becher und +Kämme. Der Kalif und sein Wesir musterten alles durch, und der Kalif +kaufte endlich für sich und Mansor schöne Pistolen, für die Frau des +Wesirs aber einen Kamm. Als der Krämer seinen Kasten schon wieder +zumachen wollte, sah der Kalif eine kleine Schublade und fragte, ob +da auch noch Waren seien. Der Krämer zog die Schublade heraus und +zeigte darin eine Dose mit schwärzlichem Pulver und ein Papier mit +sonderbarer Schrift, die weder der Kalif noch Mansor lesen konnte. +"Ich bekam einmal diese zwei Stücke von einem Kaufmanne, der sie in +Mekka auf der Straße fand", sagte der Krämer, "Ich weiß nicht, was +sie enthalten; euch stehen sie um geringen Preis zu Dienst, ich kann +doch nichts damit anfangen." + +Der Kalif, der in seiner Bibliothek gerne alte Manuskripte hatte, +wenn er sie auch nicht lesen konnte, kaufte Schrift und Dose und +entließ den Krämer. Der Kalif aber dachte, er möchte gerne wissen, +was die Schrift enthalte, und, fragte den Wesir, ob er keinen kenne, +der es entziffern könnte. + +"Gnädigster Herr und Gebieter", antwortete dieser, "an der großen +Moschee wohnt ein Mann, er heißt Selim, der Gelehrte, der versteht +alle Sprachen, laß ihn kommen, vielleicht kennt er diese +geheimnisvollen Züge." + +Der Gelehrte Selim war bald herbeigeholt. "Selim", sprach zu ihm der +Kalif, "Selim, man sagt, du seiest sehr gelehrt; guck einmal ein +wenig in diese Schrift, ob du sie lesen kannst; kannst du sie lesen, +so bekommst du ein neues Festkleid von mir, kannst du es nicht, so +bekommst du zwölf Backenstreiche und fünfundzwanzig auf die Fußsohlen, +weil man dich dann umsonst Selim, den Gelehrten, nennt." + +Selim verneigte sich und sprach: "Dein Wille geschehe, o Herr!" Lange +betrachtete er die Schrift, plötzlich aber rief er aus: "Das ist +Lateinisch, o Herr, oder ich laß mich hängen." "Sag, was drinsteht", +befahl der Kalif, "wenn es Lateinisch ist." + +Selim fing an zu übersetzen: "Mensch, der du dieses findest, preise +Allah für seine Gnade. Wer von dem Pulver in dieser Dose schnupft +und dazu spricht: mutabor, der kann sich in jedes Tier verwandeln und +versteht auch die Sprache der Tiere. + +Will er wieder in seine menschliche Gestalt zurückkehren, so neige er +sich dreimal gen Osten und spreche jenes Wort; aber hüte dich, wenn +du verwandelt bist, daß du nicht lachest, sonst verschwindet das +Zauberwort gänzlich aus deinem Gedächtnis, und du bleibst ein Tier." + +Als Selim, der Gelehrte, also gelesen hatte, war der Kalif über die +Maßen vergnügt. Er ließ den Gelehrten schwören, niemandem etwas von +dem Geheimnis zu sagen, schenkte ihm ein schönes Kleid und entließ +ihn. Zu seinem Großwesir aber sagte er: "Das heiß' ich gut einkaufen, +Mansor! Wie freue ich mich, bis ich ein Tier bin. Morgen früh +kommst du zu mir; wir gehen dann miteinander aufs Feld, schnupfen +etwas Weniges aus meiner Dose und belauschen dann, was in der Luft +und im Wasser, im Wald und Feld gesprochen wird!" + +Kaum hatte am anderen Morgen der Kalif Chasid gefrühstückt und sich +angekleidet, als schon der Großwesir erschien, ihn, wie er befohlen, +auf dem Spaziergang zu begleiten. Der Kalif steckte die Dose mit dem +Zauberpulver in den Gürtel, und nachdem er seinem Gefolge befohlen, +zurückzubleiben, machte er sich mit dem Großwesir ganz allein auf den +Weg. Sie gingen zuerst durch die weiten Gärten des Kalifen, spähten +aber vergebens nach etwas Lebendigem, um ihr Kunststück zu probieren. +Der Wesir schlug endlich vor, weiter hinaus an einen Teich zu gehen, +wo er schon oft viele Tiere, namentlich Störche, gesehen habe, die +durch ihr gravitätisches Wesen und ihr Geklapper immer seine +Aufmerksamkeit erregt hatten. + +Der Kalif billigte den Vorschlag seines Wesirs und ging mit ihm dem +Teich zu. Als sie dort angekommen waren, sahen sie einen Storch +ernsthaft auf und ab gehen, Frösche suchend und hier und da etwas vor +sich hinklappernd. Zugleich sahen sie auch weit oben in der Luft +einen anderen Storch dieser Gegend zuschweben. + +"Ich wette meinen Bart, gnädigster Herr", sagte er Großwesir, "wenn +nicht diese zwei Langfüßler ein schönes Gespräch miteinander führen +werden. Wie wäre es, wenn wir Störche würden?" + +"Wohl gesprochen!" antwortete der Kalif. "Aber vorher wollen wir +noch einmal betrachten, wie man wieder Mensch wird.--Richtig! +Dreimal gen Osten geneigt und mutabor gesagt, so bin ich wieder Kalif +und du Wesir. Aber nur um Himmels willen nicht gelacht, sonst sind +wir verloren!" + +Während der Kalif also sprach, sah er den anderen Storch über ihrem +Haupte schweben und langsam sich zur Erde lassen. Schnell zog er die +Dose aus dem Gürtel, nahm eine gute Prise, bot sie dem Großwesir dar, +der gleichfalls schnupfte, und beide riefen: mutabor! + +Da schrumpften ihre Beine ein und wurden dünn und rot, die schönen +gelben Pantoffeln des Kalifen und seines Begleiters wurden +unförmliche Storchfüße, die Arme wurden zu Flügeln, der Hals fuhr aus +den Achseln und ward eine Elle lang, der Bart war verschwunden, und +den Körper bedeckten weiche Federn. + +"Ihr habt einen hübschen Schnabel, Herr Großwesir", sprach nach +langem Erstaunen der Kalif. "Beim Bart des Propheten, so etwas habe +ich in meinem Leben nicht gesehen." "Danke untertänigst", erwiderte +der Großwesir, indem er sich bückte, "aber wenn ich es wagen darf, +möchte ich behaupten, Eure Hoheit sehen als Storch beinahe noch +hübscher aus denn als Kalif. Aber kommt, wenn es Euch gefällig ist, +daß wir unsere Kameraden dort belauschen und erfahren, ob wir +wirklich Storchisch können." + +Indem war der andere Storch auf der Erde angekommen; er putzte sich +mit dem Schnabel seine Füße, legte seine Federn zurecht und ging auf +den ersten Storch zu. Die beiden neuen Störche aber beeilten sich, +in ihre Nähe zu kommen, und vernahmen zu ihrem Erstaunen folgendes +Gespräch: + +"Guten Morgen, Frau Langbein, so früh schon auf der Wiese?" + +"Schönen Dank, liebe Klapperschnabel! Ich habe mir nur ein kleines +Frühstück geholt. Ist Euch vielleicht ein Viertelchen Eidechs +gefällig oder ein Froschschenkelein?" + +"Danke gehorsamst; habe heute gar keinen Appetit. Ich komme auch +wegen etwas ganz anderem auf die Wiese. Ich soll heute vor den +Gästen meines Vaters tanzen, und da will ich mich im stillen ein +wenig üben." + +Zugleich schritt die junge Störchin in wunderlichen Bewegungen durch +das Feld. Der Kalif und Mansor sahen ihr verwundert nach; als sie +aber in malerischer Stellung auf einem Fuß stand und mit den Flügeln +anmutig dazu wedelte, da konnten sich die beiden nicht mehr halten; +ein unaufhaltsames Gelächter brach aus ihren Schnäbeln hervor, von +dem sie sich erst nach langer Zeit erholten. Der Kalif faßte sich +zuerst wieder: "Das war einmal ein Spaß", rief er, "der nicht mit +Gold zu bezahlen ist; schade, daß die Tiere durch unser Gelächter +sich haben verscheuchen lassen, sonst hätten sie gewiß auch noch +gesungen!" + +Aber jetzt fiel es dem Großwesir ein, daß das Lachen während der +Verwandlung verboten war. Er teilte seine Angst deswegen dem Kalifen +mit. "Potz Mekka und Medina! Das wäre ein schlechter Spaß, wenn ich +ein Storch bleiben müßte! Besinne dich doch auf das dumme Wort, ich +bring' es nicht heraus." + +"Dreimal gen Osten müssen wir uns bücken und dazu sprechen: +mu--mu--mu--" + +Sie stellten sich gegen Osten und bückten sich in einem fort, daß +ihre Schnäbel beinahe die Erde berührten; aber, o Jammer! Das +Zauberwort war ihnen entfallen, und so oft sich auch der Kalif bückte, +so sehnlich auch sein Wesir mu--mu dazu rief, jede Erinnerung daran +war verschwunden, und der arme Chasid und sein Wesir waren und +blieben Störche. + +Traurig wandelten die Verzauberten durch die Felder, sie wußten gar +nicht, was sie in ihrem Elend anfangen sollten. Aus ihrer +Storchenhaut konnten sie nicht heraus, in die Stadt zurück konnten +sie auch nicht, um sich zu erkennen zu geben; denn wer hätte einem +Storch geglaubt, daß er der Kalif sei, und wenn man es auch geglaubt +hätte, würden die Einwohner von Bagdad einen Storch zum Kalif gewollt +haben? + +So schlichen sie mehrere Tage umher und ernährten sich kümmerlich von +Feldfrüchten, die sie aber wegen ihrer langen Schnäbel nicht gut +verspeisen konnten. Auf Eidechsen und Frösche hatten sie übrigens +keinen Appetit, denn sie befürchteten, mit solchen Leckerbissen sich +den Magen zu verderben. Ihr einziges Vergnügen in dieser traurigen +Lage war, daß sie fliegen konnten, und so flogen sie oft auf die +Dächer von Bagdad, um zu sehen, was darin vorging. + +In den ersten Tagen bemerkten sie große Unruhe und Trauer in den +Straßen; aber ungefähr am vierten Tag nach ihrer Verzauberung saßen +sie auf dem Palast des Kalifen, da sahen sie unten in der Straße +einen prächtigen Aufzug; Trommeln und Pfeifen ertönten, ein Mann in +einem goldbestickten Scharlachmantel saß auf einem geschmückten Pferd, +umgeben von glänzenden Dienern, halb Bagdad sprang ihm nach, und +alle schrien: "Heil Mizra, dem Herrscher von Bagdad!" + +Da sahen die beiden Störche auf dem Dache des Palastes einander an, +und der Kalif Chasid sprach: "Ahnst du jetzt, warum ich verzaubert +bin, Großwesir? Dieser Mizra ist der Sohn meines Todfeindes, des +mächtigen Zauberers Kaschnur, der mir in einer bösen Stunde Rache +schwur. Aber noch gebe ich die Hoffnung nicht auf--Komm mit mir, du +treuer Gefährte meines Elends, wir wollen zum Grabe des Propheten +wandern, vielleicht, daß an heiliger Stätte der Zauber gelöst wird." + +Sie erhoben sich vom Dach des Palastes und flogen der Gegend von +Medina zu. + +Mit dem Fliegen wollte es aber nicht gar gut gehen; denn die beiden +Störche hatten noch wenig Übung. "O Herr", ächzte nach ein paar +Stunden der Großwesir, "ich halte es mit Eurer Erlaubnis nicht mehr +lange aus; Ihr fliegt gar zu schnell! Auch ist es schon Abend, und +wir täten wohl, ein Unterkommen für die Nacht zu suchen." + +Chasid gab der Bitte seines Dieners Gehör; und da er unten im Tale +eine Ruine erblickte, die ein Obdach zu gewähren schien, so flogen +sie dahin. Der Ort, wo sie sich für diese Nacht niedergelassen +hatten, schien ehemals ein Schloß gewesen zu sein. Schöne Säulen +ragten unter den Trümmern hervor, mehrere Gemächer, die noch ziemlich +erhalten waren, zeugten von der ehemaligen Pracht des Hauses. Chasid +und sein Begleiter gingen durch die Gänge umher, um sich ein +trockenes Plätzchen zu suchen; plötzlich blieb der Storch Mansor +stehen. "Herr und Gebieter", flüsterte er leise, "wenn es nur nicht +töricht für einen Großwesir, noch mehr aber für einen Storch wäre, +sich vor Gespenstern zu fürchten! Mir ist ganz unheimlich zumute; +denn hier neben hat es ganz vernehmlich geseufzt und gestöhnt." Der +Kalif blieb nun auch stehen und hörte ganz deutlich ein leises Weinen, +das eher einem Menschen als einem Tiere anzugehören schien. Voll +Erwartung wollte er der Gegend zugehen, woher die Klagetöne kamen; +der Wesir aber packte ihn mit dem Schnabel am Flügel und bat ihn +flehentlich, sich nicht in neue, unbekannte Gefahren zu stürzen. +Doch vergebens! Der Kalif, dem auch unter dem Storchenflügel ein +tapferes Herz schlug, riß sich mit Verlust einiger Federn los und +eilte in einen finsteren Gang. Bald war er an einer Tür angelangt, +die nur angelehnt schien und woraus er deutliche Seufzer mit ein +wenig Geheul vernahm. Er stieß mit dem Schnabel die Türe auf, blieb +aber überrascht auf der Schwelle stehen. In dem verfallenen Gemach, +das nur durch ein kleines Gitterfenster spärlich erleuchtet war, sah +er eine große Nachteule am Boden sitzen. Dicke Tränen rollten ihr +aus den großen, runden Augen, und mit heiserer Stimme stieß sie ihre +Klagen zu dem krummen Schnabel heraus. Als sie aber den Kalifen und +seinen Wesir, der indes auch herbeigeschlichen war, erblickte, erhob +sie ein lautes Freudengeschrei. Zierlich wischte sie mit dem +braungefleckten Flügel die Tränen aus dem Auge, und zu dem größten +Erstaunen der beiden rief sie in gutem menschlichem Arabisch: +"Willkommen, ihr Störche! Ihr seid mir ein gutes Zeichen meiner +Errettung; denn durch Störche werde mir ein großes Glück kommen, ist +mir einst prophezeit worden!" + +Als sich der Kalif von seinem Erstaunen erholt hatte, bückte er sich +mit seinem langen Hals, brachte seine dünnen Füße in eine zierliche +Stellung und sprach: "Nachteule! Deinen Worten nach darf ich glauben, +eine Leidensgefährtin in dir zu sehen. Aber ach! Deine Hoffnung, +daß durch uns deine Rettung kommen werde, ist vergeblich. Du wirst +unsere Hilflosigkeit selbst erkennen, wenn du unsere Geschichte hörst." +Die Nachteule bat ihn zu erzählen, was der Kalif sogleich tat. + +Als der Kalif der Eule seine Geschichte vorgetragen hatte, dankte sie +ihm und sagte: "Vernimm auch meine Geschichte und höre, wie ich nicht +weniger unglücklich bin als du. Mein Vater ist der König von Indien, +ich, seine einzige unglückliche Tochter, heiße Lusa. Jener Zauberer +Kaschnur, der euch verzauberte, hat auch mich ins Unglück gestürzt. +Er kam eines Tages zu meinem Vater und begehrte mich zur Frau für +seinen Sohn Mizra. Mein Vater aber, der ein hitziger Mann ist, ließ +ihn die Treppe hinunterwerfen. Der Elende wußte sich unter einer +anderen Gestalt wieder in meine Nähe zu schleichen, und als ich einst +in meinem Garten Erfrischungen zu mir nehmen wollte, brachte er mir, +als Sklave verkleidet, einen Trank bei, der mich in diese +abscheuliche Gestalt verwandelte. Vor Schrecken ohnmächtig, brachte +er mich hierher und rief mir mit schrecklicher Stimme in die Ohren: + +'Da sollst du bleiben, häßlich, selbst von den Tieren verachtet, bis +an dein Ende, oder bis einer aus freiem Willen dich, selbst in dieser +schrecklichen Gestalt, zur Gattin begehrt. So räche ich mich an dir +und deinem stolzen Vater.' + +Seitdem sind viele Monate verflossen. Einsam und traurig lebe ich +als Einsiedlerin in diesem Gemäuer, verabscheut von der Welt, selbst +den Tieren ein Greuel; die schöne Natur ist vor mir verschlossen; +denn ich bin blind am Tage, und nur, wenn der Mond sein bleiches +Licht über dies Gemäuer ausgießt, fällt der verhüllende Schleier von +meinem Auge." + +Die Eule hatte geendet und wischte sich mit dem Flügel wieder die +Augen aus, denn die Erzählung ihrer Leiden hatte ihr Tränen entlockt. + +Der Kalif war bei der Erzählung der Prinzessin in tiefes Nachdenken +versunken. "Wenn mich nicht alles täuscht", sprach er, "so findet +zwischen unserem Unglück ein geheimer Zusammenhang statt; aber wo +finde ich den Schlüssel zu diesem Rätsel?" + +Die Eule antwortete ihm: "O Herr! Auch mir ahnet dies; denn es ist +mir einst in meiner frühesten Jugend von einer weisen Frau prophezeit +worden, daß ein Storch mir ein großes Glück bringen werde, und ich +wüßte vielleicht, wie wir uns retten könnten." Der Kalif war sehr +erstaunt und fragte, auf welchem Wege sie meine. "Der Zauberer, der +uns beide unglücklich gemacht hat", sagte sie, "kommt alle Monate +einmal in diese Ruinen. Nicht weit von diesem Gemach ist ein Saal. +Dort pflegt er dann mit vielen Genossen zu schmausen. Schon oft habe +ich sie dort belauscht. Sie erzählen dann einander ihre schändlichen +Werke; vielleicht, daß er dann das Zauberwort, das ihr vergessen habt, +ausspricht." + +"O, teuerste Prinzessin", rief der Kalif, "sag an, wann kommt er, und +wo ist der Saal?" + +Die Eule schwieg einen Augenblick und sprach dann: "Nehmet es nicht +ungütig, aber nur unter einer Bedingung kann ich Euern Wunsch +erfüllen." + +"Sprich aus! Sprich aus!" schrie Chasid. "Befiehl, es ist mir jede +recht." + +"Nämlich, ich möchte auch gern zugleich frei sein; dies kann aber nur +geschehen, wenn einer von euch mir seine Hand reicht." + +Die Störche schienen über den Antrag etwas betroffen zu sein, und der +Kalif winkte seinem Diener, ein wenig mit ihm hinauszugehen. + +"Großwesir", sprach vor der Türe der Kalif, "das ist ein dummer +Handel; aber Ihr könntet sie schon nehmen." + +"So", antwortete dieser, "daß mir meine Frau, wenn ich nach Hause +komme, die Augen auskratzt? Auch bin ich ein alter Mann, und Ihr +seid noch jung und unverheiratet und könnet eher einer jungen, +schönen Prinzessin die Hand geben." + +"Das ist es eben", seufzte der Kalif, indem er traurig die Flügel +hängen ließ, "wer sagt dir denn, daß sie jung und schön ist? Das +heißt eine Katze im Sack kaufen!" + +Sie redeten einander gegenseitig noch lange zu; endlich aber, als der +Kalif sah, daß sein Wesir lieber Storch bleiben als die Eule heiraten +wollte, entschloß er sich, die Bedingung lieber selbst zu erfüllen. +Die Eule war hocherfreut. Sie gestand ihnen, daß sie zu keiner +besseren Zeit hätten kommen können, weil wahrscheinlich in dieser +Nacht die Zauberer sich versammeln würden. + +Sie verließ mit den Störchen das Gemach, um sie in jenen Saal zu +führen; sie gingen lange in einem finsteren Gang hin; endlich +strahlte ihnen aus einer halbverfallenen Mauer ein heller Schein +entgegen. Als sie dort angelangt waren, riet ihnen die Eule, sich +ganz ruhig zu verhalten. Sie konnten von der Lücke, an welcher sie +standen, einen großen Saal übersehen. Er war ringsum mit Säulen +geschmückt und prachtvoll verziert. Viele farbige Lampen ersetzten +das Licht des Tages. In der Mitte des Saales stand ein runder Tisch, +mit vielen und ausgesuchten Speisen besetzt. Rings um den Tisch zog +sich ein Sofa, auf welchem acht Männer saßen. In einem dieser Männer +erkannten die Störche jenen Krämer wieder, der ihnen das Zauberpulver +verkauft hatte. Sein Nebensitzer forderte ihn auf, ihnen seine +neuesten Taten zu erzählen. Er erzählte unter anderen auch die +Geschichte des Kalifen und seines Wesirs. + +"Was für ein Wort hast du ihnen denn aufgegeben?" fragte ihn ein +anderer Zauberer. "Ein recht schweres lateinisches, es heißt mutabor." + +Als die Störche an der Mauerlücke dieses hörten, kamen sie vor +Freuden beinahe außer sich. Sie liefen auf ihren langen Füßen so +schnell dem Tore der Ruine zu, daß die Eule kaum folgen konnte. Dort +sprach der Kalif gerührt zu der Eule: "Retterin meines Lebens und des +Lebens meines Freundes, nimm zum ewigen Dank für das, was du an uns +getan, mich zum Gemahl an!" Dann aber wandte er sich nach Osten. +Dreimal bückten die Störche ihre langen Hälse der Sonne entgegen, die +soeben hinter dem Gebirge heraufstieg: "Mutabor!" riefen sie, im Nu +waren sie verwandelt, und in der hohen Freude des neugeschenkten +Lebens lagen Herr und Diener lachend und weinend einander in den +Armen. + +Wer beschreibt aber ihr Erstaunen, als sie sich umsahen? Eine schöne +Dame, herrlich geschmückt, stand vor ihnen. Lächelnd gab sie dem +Kalifen die Hand. "Erkennt Ihr Eure Nachteule nicht mehr?" sagte sie. +Sie war es; der Kalif war von ihrer Schönheit und Anmut entzückt. + +Die drei zogen nun miteinander auf Bagdad zu. Der Kalif fand in +seinen Kleidern nicht nur die Dose mit Zauberpulver, sondern auch +seinen Geldbeutel. Er kaufte daher im nächsten Dorfe, was zu ihrer +Reise nötig war, und so kamen sie bald an die Tore von Bagdad. Dort +aber erregte die Ankunft des Kalifen großes Erstaunen. Man hatte ihn +für tot ausgegeben, und das Volk war daher hocherfreut, seinen +geliebten Herrscher wiederzuhaben. + +Um so mehr aber entbrannte ihr Haß gegen den Betrüger Mizra. Sie +zogen in den Palast und nahmen den alten Zauberer und seinen Sohn +gefangen. Den Alten schickte der Kalif in dasselbe Gemach der Ruine, +das die Prinzessin als Eule bewohnt hatte, und ließ ihn dort +aufhängen. Dem Sohn aber, welcher nichts von den Künsten des Vaters +verstand, ließ der Kalif die Wahl, ob er sterben oder schnupfen wolle. +Als er das letztere wählte, bot ihm der Großwesir die Dose. Eine +tüchtige Prise, und das Zauberwort des Kalifen verwandelte ihn in +einen Storch. Der Kalif ließ ihn in einen eisernen Käfig sperren und +in seinem Garten aufstellen. + +Lange und vergnügt lebte Kalif Chasid mit seiner Frau, der Prinzessin; +seine vergnügtesten Stunden waren immer die, wenn ihn der Großwesir +nachmittags besuchte; da sprachen sie dann oft von ihrem +Storchabenteuer, und wenn der Kalif recht heiter war, ließ er sich +herab, den Großwesir nachzuahmen, wie er als Storch aussah. Er stieg +dann ernsthaft, mit steifen Füßen im Zimmer auf und ab, klapperte, +wedelte mit den Armen wie mit Flügeln und zeigte, wie jener sich +vergeblich nach Osten geneigt und Mu--Mu--dazu gerufen habe. Für die +Frau Kalifin und ihre Kinder war diese Vorstellung allemal eine große +Freude; wenn aber der Kalif gar zu lange klapperte und nickte und +Mu--Mu--schrie, dann drohte ihm lächelnd der Wesir: Er wolle das, was +vor der Türe der Prinzessin Nachteule verhandelt worden sei, der Frau +Kalifin mitteilen. + +Als Selim Baruch seine Geschichte beendet hatte, bezeugten sich die +Kaufleute sehr zufrieden damit. "Wahrhaftig, der Nachmittag ist uns +vergangen, ohne daß wir merkten wie!" sagte einer derselben, indem er +die Decke des Zeltes zurückschlug. "Der Abendwind wehet kühl, und +wir könnten noch eine gute Strecke Weges zurücklegen." Seine +Gefährten waren damit einverstanden, die Zelte wurden abgebrochen, +und die Karawane machte sich in der nämlichen Ordnung, in welcher sie +herangezogen war, auf den Weg. + +Sie ritten beinahe die ganze Nacht hindurch, denn es war schwül am +Tage, die Nacht aber war erquicklich und sternhell. Sie kamen +endlich an einem bequemen Lagerplatz an, schlugen die Zelte auf und +legten sich zur Ruhe. Für den Fremden aber sorgten die Kaufleute, +wie wenn er ihr wertester Gastfreund wäre. Der eine gab ihm Polster, +der andere Decken, ein dritter gab ihm Sklaven, kurz, er wurde so gut +bedient, als ob er zu Hause wäre. Die heißeren Stunden des Tages +waren schon heraufgekommen, als sie sich wieder erhoben, und sie +beschlossen einmütig, hier den Abend abzuwarten. Nachdem sie +miteinander gespeist hatten, rückten sie wieder näher zusammen, und +der junge Kaufmann wandte sich an den ältesten und sprach: "Selim +Baruch hat uns gestern einen vergnügten Nachmittag bereitet, wie wäre +es, Achmet, wenn Ihr uns auch etwas erzähltet, sei es nun aus Eurem +langen Leben, das wohl viele Abenteuer aufzuweisen hat, oder sei es +auch ein hübsches Märchen." Achmet schwieg auf diese Anrede eine +Zeitlang, wie wenn er bei sich im Zweifel wäre, ob er dies oder jenes +sagen sollte oder nicht; endlich fing er an zu sprechen: + +"Liebe Freunde! Ihr habt euch auf dieser unserer Reise als treue +Gesellen erprobt, und auch Selim verdient mein Vertrauen; daher will +ich euch etwas aus meinem Leben mitteilen, das ich sonst ungern und +nicht jedem erzähle: die Geschichte von dem Gespensterschiff." + + + + +Die Geschichte von dem Gespensterschiff + +Wilhelm Hauff + + +Mein Vater hatte einen kleinen Laden in Balsora; er war weder arm +noch reich und einer von jenen Leuten, die nicht gerne etwas wagen, +aus Furcht, das Wenige zu verlieren, das sie haben. Er erzog mich +schlicht und recht und brachte es bald so weit, daß ich ihm an die +Hand gehen konnte. Gerade als ich achtzehn Jahre alt war, als er die +erste größere Spekulation machte, starb er, wahrscheinlich aus Gram, +tausend Goldstücke dem Meere anvertraut zu haben. Ich mußte ihn bald +nachher wegen seines Todes glücklich preisen, denn wenige Wochen +hernach lief die Nachricht ein, daß das Schiff, dem mein Vater seine +Güter mitgegeben hatte, versunken sei. Meinen jugendlichen Mut +konnte aber dieser Unfall nicht beugen. Ich machte alles vollends zu +Geld, was mein Vater hinterlassen hatte, und zog aus, um in der +Fremde mein Glück zu probieren, nur von einem alten Diener meines +Vaters begleitet. + +Im Hafen von Balsora schifften wir uns mit günstigem Winde ein. Das +Schiff, auf dem ich mich eingemietet hatte, war nach Indien bestimmt. +Wir waren schon fünfzehn Tage auf der gewöhnlichen Straße gefahren, +als uns der Kapitän einen Sturm verkündete. Er machte ein +bedenkliches Gesicht, denn es schien, er kenne in dieser Gegend das +Fahrwasser nicht genug, um einem Sturm mit Ruhe begegnen zu können. +Er ließ alle Segel einziehen, und wir trieben ganz langsam hin. Die +Nacht war angebrochen, war hell und kalt, und der Kapitän glaubte +schon, sich in den Anzeichen des Sturmes getäuscht zu haben. Auf +einmal schwebte ein Schiff, das wir vorher nicht gesehen hatten, +dicht an dem unsrigen vorbei. Wildes Jauchzen und Geschrei erscholl +aus dem Verdeck herüber, worüber ich mich zu dieser angstvollen +Stunde vor einem Sturm nicht wenig wunderte. Aber der Kapitän an +meiner Seite wurde blaß wie der Tod. "Mein Schiff ist verloren", +rief er, "dort segelt der Tod!" + +Ehe ich ihn noch über diesen sonderbaren Ausruf befragen konnte, +stürzten schon heulend und schreiend die Matrosen herein. "Habt ihr +ihn gesehen?" schrien sie. "Jetzt ist's mit uns vorbei!" + +Der Kapitän aber ließ Trostsprüche aus dem Koran vorlesen und setzte +sich selbst ans Steuerruder. Aber vergebens! Zusehends brauste der +Sturm auf, und ehe eine Stunde verging, krachte das Schiff und blieb +sitzen. Die Boote wurden ausgesetzt, und kaum hatten sich die +letzten Matrosen gerettet, so versank das Schiff vor unseren Augen, +und als ein Bettler fuhr ich in die See hinaus. Aber der Jammer +hatte noch kein Ende. Fürchterlicher tobte der Sturm; das Boot war +nicht mehr zu regieren. Ich hatte meinen alten Diener fest +umschlungen, und wir versprachen uns, nie voneinander zu weichen. +Endlich brach der Tag an. Aber mit dem ersten Anblick der Morgenröte +faßte der Wind das Boot, in welchem wir saßen, und stürzte es um. +Ich habe keinen meiner Schiffsleute mehr gesehen. Der Sturz hatte +mich betäubt; und als ich aufwachte, befand ich mich in den Armen +meines alten treuen Dieners, der sich auf das umgeschlagene Boot +gerettet und mich nachgezogen hatte. Der Sturm hatte sich gelegt. +Von unserem Schiff war nichts mehr zu sehen, wohl aber entdeckten wir +nicht weit von uns ein anderes Schiff, auf das die Wellen uns +hintrieben. Als wir näher hinzukamen, erkannte ich das Schiff als +dasselbe, das in der Nacht an uns vorbeifuhr und welches den Kapitän +so sehr in Schrecken gesetzt hatte. Ich empfand ein sonderbares +Grauen vor diesem Schiffe. Die Äußerung des Kapitäns, die sich so +furchtbar bestätigt hatte, das öde Aussehen des Schiffes, auf dem +sich, so nahe wir auch herankamen, so laut wir schrien, niemand +zeigte, erschreckten mich. Doch es war unser einziges Rettungsmittel; +darum priesen wir den Propheten, der uns so wundervoll erhalten +hatte. + +Am Vorderteil des Schiffes hing ein langes Tau herab. Mit Händen und +Füßen ruderten wir darauf zu, um es zu erfassen. Endlich glückte es. +Noch einmal erhob ich meine Stimme, aber immer blieb es still auf +dem Schiff. Da klimmten wir an dem Tau hinauf, ich als der Jüngste +voran. Aber Entsetzen! Welches Schauspiel stellte sich meinem Auge +dar, als ich das Verdeck betrat! Der Boden war mit Blut gerötet, +zwanzig bis dreißig Leichname in türkischen Kleidern lagen auf dem +Boden, am mittleren Mastbaum stand ein Mann, reich gekleidet, den +Säbel in der Hand, aber das Gesicht war blaß und verzerrt, durch die +Stirn ging ein großer Nagel, der ihn an den Mastbaum heftete, auch er +war tot. Schrecken fesselte meine Schritte, ich wagte kaum zu atmen. +Endlich war auch mein Begleiter heraufgekommen. Auch ihn +überraschte der Anblick des Verdecks, das gar nichts Lebendiges, +sondern nur so viele schreckliche Tote zeigte. Wir wagten es endlich, +nachdem wir in der Seelenangst zum Propheten gefleht hatten, weiter +vorzuschreiten. Bei jedem Schritte sahen wir uns um, ob nicht etwas +Neues, noch Schrecklicheres sich darbiete; aber alles blieb, wie es +war; weit und breit nichts Lebendiges als wir und das Weltmeer. +Nicht einmal laut zu sprechen wagten wir, aus Furcht, der tote, am +Mast angespießte Kapitano möchte seine starren Augen nach uns +hindrehen oder einer der Getöteten möchte seinen Kopf umwenden. +Endlich waren wir bis an eine Treppe gekommen, die in den Schiffsraum +führte. Unwillkürlich machten wir dort halt und sahen einander an, +denn keiner wagte es recht, seine Gedanken zu äußern. + +"O Herr", sprach mein treuer Diener, "hier ist etwas Schreckliches +geschehen. Doch wenn auch das Schiff da unten voll Mörder steckt, so +will ich mich ihnen doch lieber auf Gnade und Ungnade ergeben, als +längere Zeit unter diesen Toten zubringen." Ich dachte wie er; wir +faßten uns ein Herz und stiegen voll Erwartung hinunter. Totenstille +war aber auch hier, und nur unsere Schritte hallten auf der Treppe. +Wir standen an der Türe der Kajüte. Ich legte mein Ohr an die Türe +und lauschte; es war nichts zu hören. Ich machte auf. Das Gemach +bot einen unordentlichen Anblick dar. Kleider, Waffen und andere +Geräte lagen untereinander. Nichts in Ordnung. Die Mannschaft oder +wenigstens der Kapitano mußten vor kurzem gezechet haben; denn es lag +alles noch umher. Wir gingen weiter von Raum zu Raum, von Gemach zu +Gemach, überall fanden wir herrliche Vorräte in Seide, Perlen, Zucker +usw. Ich war vor Freude über diesen Anblick außer mir, denn da +niemand auf dem Schiff war, glaubte ich, alles mir zueignen zu dürfen, +Ibrahim aber machte mich aufmerksam darauf, daß wir wahrscheinlich +noch sehr weit vom Lande seien, wohin wir allein und ohne menschliche +Hilfe nicht kommen könnten. + +Wir labten uns an den Speisen und Getränken, die wir in reichem Maß +vorfanden, und stiegen endlich wieder aufs Verdeck. Aber hier +schauderte uns immer die Haut ob dem schrecklichen Anblick der +Leichen. Wir beschlossen, uns davon zu befreien und sie über Bord zu +werfen; aber wie schauerlich ward uns zumut, als wir fanden, daß sich +keiner aus seiner Lage bewegen ließ. Wie festgebannt lagen sie am +Boden, und man hätte den Boden des Verdecks ausheben müssen, um sie +zu entfernen, und dazu gebrach es uns an Werkzeugen. Auch der +Kapitano ließ sich nicht von seinem Mast losmachen; nicht einmal +seinen Säbel konnten wir der starren Hand entwinden. Wir brachten +den Tag in trauriger Betrachtung unserer Lage zu, und als es Nacht zu +werden anfing, erlaubte ich dem alten Ibrahim, sich schlafen zu legen, +ich selbst aber wollte auf dem Verdeck wachen, um nach Rettung +auszuspähen. Als aber der Mond heraufkam und ich nach den Gestirnen +berechnete, daß es wohl um die elfte Stunde sei, überfiel mich ein so +unwiderstehlicher Schlaf, daß ich unwillkürlich hinter ein Faß, das +auf dem Verdeck stand, zurückfiel. Doch war es mehr Betäubung als +Schlaf, denn ich hörte deutlich die See an der Seite des Schiffes +anschlagen und die Segel vom Winde knarren und pfeifen. Auf einmal +glaubte ich Stimmen und Männertritte auf dem Verdeck zu hören. Ich +wollte mich aufrichten, um danach zu schauen. Aber eine unsichtbare +Gewalt hielt meine Glieder gefesselt; nicht einmal die Augen konnte +ich aufschlagen. Aber immer deutlicher wurden die Stimmen, es war +mir, als wenn ein fröhliches Schiffsvolk auf dem Verdeck sich +umhertriebe; mitunter glaubte ich, die kräftige Stimme eines +Befehlenden zu hören, auch hörte ich Taue und Segel deutlich auf- und +abziehen. Nach und nach aber schwanden mir die Sinne, ich verfiel in +einen tieferen Schlaf, in dem ich nur noch ein Geräusch von Waffen zu +hören glaubte, und erwachte erst, als die Sonne schon hoch stand und +mir aufs Gesicht brannte. Verwundert schaute ich mich um, Sturm, +Schiff, die Toten und was ich in dieser Nacht gehört hatte, kam mir +wie ein Traum vor, aber als ich aufblickte, fand ich alles wie +gestern. Unbeweglich lagen die Toten, unbeweglich war der Kapitano +an den Mastbaum geheftet. Ich lachte über meinen Traum und stand auf, +um meinen Alten zu suchen. + +Dieser saß ganz nachdenklich in der Kajüte. "O Herr!" rief er aus, +als ich zu ihm hineintrat, "ich wollte lieber im tiefsten Grund des +Meeres liegen, als in diesem verhexten Schiff noch eine Nacht +zubringen." Ich fragte ihn nach der Ursache seines Kummers, und er +antwortete mir: "Als ich einige Stunden geschlafen hatte, wachte ich +auf und vernahm, wie man über meinem Haupt hin und her lief. Ich +dachte zuerst, Ihr wäret es, aber es waren wenigstens zwanzig, die +oben umherliefen; auch hörte ich rufen und schreien. Endlich kamen +schwere Tritte die Treppe herab. Da wußte ich nichts mehr von mir, +nur hie und da kehrte auf einige Augenblicke meine Besinnung zurück, +und da sah ich dann denselben Mann, der oben am Mast angenagelt ist, +an jenem Tisch dort sitzen, singend und trinkend; aber der, der in +einem roten Scharlachkleid nicht weit von ihm am Boden liegt, saß +neben ihm und half ihm trinken." Also erzählte mir mein alter Diener. + +Ihr könnt mir es glauben, meine Freunde, daß mir gar nicht wohl +zumute war; denn es war keine Täuschung, ich hatte ja auch die Toten +gar wohl gehört. In solcher Gesellschaft zu schiffen, war mir +greulich. Mein Ibrahim aber versank wieder in tiefes Nachdenken. +"Jetzt hab' ich's!" rief er endlich aus; es fiel ihm nämlich ein +Sprüchlein ein, das ihn sein Großvater, ein erfahrener, weitgereister +Mann, gelehrt hatte und das gegen jeden Geister- und Zauberspuk +helfen sollte; auch behauptete er, jenen unnatürlichen Schlaf, der +uns befiel, in der nächsten Nacht verhindern zu können, wenn wir +nämlich recht eifrig Sprüche aus dem Koran beteten. Der Vorschlag +des alten Mannes gefiel mir wohl. In banger Erwartung sahen wir die +Nacht herankommen. Neben der Kajüte war ein kleines Kämmerchen, +dorthin beschlossen wir uns zurückzuziehen. Wir bohrten mehrere +Löcher in die Türe, hinlänglich groß, um durch sie die ganze Kajüte +zu überschauen, dann verschlossen wir die Türe, so gut es ging, von +innen, und Ibrahim schrieb den Namen des Propheten in alle vier Ecken. +So erwarteten wir die Schrecken der Nacht. Es mochte wieder +ungefähr elf Uhr sein, als es mich gewaltig zu schläfern anfing. +Mein Gefährte riet mir daher, einige Sprüche des Korans zu beten, was +mir auch half. Mit einem Male schien es oben lebhaft zu werden; die +Taue knarrten, Schritte gingen über das Verdeck, und mehrere Stimmen +waren deutlich zu unterscheiden--Mehrere Minuten hatten wir so in +gespannter Erwartung gesessen, da hörten wir etwas die Treppe der +Kajüte herabkommen. Als dies der Alte hörte, fing er an, den Spruch, +den ihn sein Großvater gegen Spuk und Zauberei gelehrt hatte, +herzusagen: + +"Kommt ihr herab aus der Luft, +Steigt ihr aus tiefem Meer, +Schlieft ihr in dunkler Gruft, +Stammt ihr vom Feuer her: +Allah ist euer Herr und Meister, +ihm sind gehorsam alle Geister." + +Ich muß gestehen, ich glaubte gar nicht recht an diesen Spruch, und +mir stieg das Haar zu Berg, als die Tür aufflog. Herein trat jener +große, stattliche Mann, den ich am Mastbaum angenagelt gesehen hatte. +Der Nagel ging ihm auch jetzt mitten durchs Hirn; das Schwert aber +hatte er in die Scheide gesteckt; hinter ihm trat noch ein anderer +herein, weniger kostbar gekleidet; auch ihn hatte ich oben liegen +sehen. Der Kapitano, denn dies war er unverkennbar, hatte ein +bleiches Gesicht, einen großen, schwarzen Bart, wildrollende Augen, +mit denen er sich im ganzen Gemach umsah. Ich konnte ihn ganz +deutlich sehen, als er an unserer Türe vorüberging; er aber schien +gar nicht auf die Türe zu achten, die uns verbarg. Beide setzten +sich an den Tisch, der in der Mitte der Kajüte stand, und sprachen +laut und fast schreiend miteinander in einer unbekannten Sprache. +Sie wurden immer lauter und eifriger, bis endlich der Kapitano mit +geballter Faust auf den Tisch hineinschlug, daß das Zimmer dröhnte. +Mit wildem Gelächter sprang der andere auf und winkte dem Kapitano, +ihm zu folgen. Dieser stand auf, riß seinen Säbel aus der Scheide, +und beide verließen das Gemach. Wir atmeten freier, als sie weg +waren; aber unsere Angst hatte noch lange kein Ende. Immer lauter +und lauter ward es auf dem Verdeck. Man hörte eilends hin und her +laufen und schreien, lachen und heulen. Endlich ging ein wahrhaft +höllischer Lärm los, so daß wir glaubten, das Verdeck mit allen +Segeln komme zu uns herab, Waffengeklirr und Geschrei--auf einmal +aber tiefe Stille. Als wir es nach vielen Stunden wagten +hinaufzugehen, trafen wir alles wie sonst; nicht einer lag anders als +früher. Alle waren steif wie Holz. + +So waren wir mehrere Tage auf dem Schiffe; es ging immer nach Osten, +wohin zu, nach meiner Berechnung, Land liegen mußte; aber wenn es +auch bei Tag viele Meilen zurückgelegt hatte, bei Nacht schien es +immer wieder zurückzukehren, denn wir befanden uns immer wieder am +nämlichen Fleck, wenn die Sonne aufging. Wir konnten uns dies nicht +anders erklären, als daß die Toten jede Nacht mit vollem Winde +zurücksegelten. Um nun dies zu verhüten, zogen wir, ehe es Nacht +wurde, alle Segel ein und wandten dasselbe Mittel an wie bei der Türe +in der Kajüte; wir schrieben den Namen des Propheten auf Pergament +und auch das Sprüchlein des Großvaters dazu und banden es um die +eingezogenen Segel. Ängstlich warteten wir in unserem Kämmerchen +den Erfolg ab. Der Spuk schien diesmal noch ärger zu toben, aber +siehe, am anderen Morgen waren die Segel noch aufgerollt, wie wir sie +verlassen hatten. Wir spannten den Tag über nur so viele Segel auf, +als nötig waren, das Schiff sanft fortzutreiben, und so legten wir in +fünf Tagen eine gute Strecke zurück. + +Endlich, am Morgen des sechsten Tages, entdeckten wir in geringer +Ferne Land, und wir dankten Allah und seinem Propheten für unsere +wunderbare Rettung. Diesen Tag und die folgende Nacht trieben wir an +einer Küste hin, und am siebenten Morgen glaubten wir in geringer +Entfernung eine Stadt zu entdecken; wir ließen mit vieler Mühe einen +Anker in die See, der alsobald Grund faßte, setzten ein kleines Boot, +das auf dem Verdeck stand, aus und ruderten mit aller Macht der Stadt +zu. Nach einer halben Stunde liefen wir in einen Fluß ein, der sich +in die See ergoß, und stiegen ans Ufer. Am Stadttor erkundigten wir +uns, wie die Stadt heiße, und erfuhren, daß es eine indische Stadt +sei, nicht weit von der Gegend, wohin ich zuerst zu schiffen willens +war. Wir begaben uns in eine Karawanserei und erfrischten uns von +unserer abenteuerlichen Reise. Ich forschte daselbst auch nach einem +weisen und verständigen Manne, indem ich dem Wirt zu verstehen gab, +daß ich einen solchen haben möchte, der sich ein wenig auf Zauberei +verstehe. Er führte mich in eine abgelegene Straße, an ein +unscheinbares Haus, pochte an, und man ließ mich eintreten mit der +Weisung, ich solle nur nach Muley fragen. + +In dem Hause kam mir ein altes Männlein mit grauem Bart und langer +Nase entgegen und fragte nach meinem Begehr. Ich sagte ihm, ich +suche den weisen Muley, und er antwortete mir, er sei es selbst. Ich +fragte ihn nun um Rat, was ich mit den Toten machen solle und wie ich +es angreifen müsse, um sie aus dem Schiff zu bringen. Er antwortete +mir, die Leute des Schiffes seien wahrscheinlich wegen irgendeines +Frevels auf das Meer verzaubert; er glaube, der Zauber werde sich +lösen, wenn man sie ans Land bringe; dies könne aber nicht geschehen, +als wenn man die Bretter, auf denen sie lägen, losmache. Mir gehöre +von Gott und Rechts wegen das Schiff samt allen Gütern, weil ich es +gleichsam gefunden habe; doch solle ich alles sehr geheimzuhalten +trachten und ihm ein kleines Geschenk von meinem Überfluß machen; er +wolle dafür mit seinen Sklaven mir behilflich sein, die Toten +wegzuschaffen. Ich versprach, ihn reichlich zu belohnen, und wir +machten uns mit fünf Sklaven, die mit Sägen und Beilen versehen waren, +auf den Weg. Unterwegs konnte der Zauberer Muley unseren glücklichen +Einfall, die Segel mit den Sprüchen des Korans zu umwinden, nicht +genug loben. Er sagte, es sei dies das einzige Mittel gewesen, uns +zu retten. + +Es war noch ziemlich früh am Tage, als wir beim Schiff ankamen. Wir +machten uns alle sogleich ans Werk, und in einer Stunde lagen schon +vier in dem Nachen. Einige der Sklaven mußten sie an Land rudern, um +sie dort zu verscharren. Sie erzählten, als sie zurückkamen, die +Toten hätten ihnen die Mühe des Begrabens erspart, indem sie, sowie +man sie auf die Erde gelegt habe, in Staub zerfallen seien. Wir +fuhren fort, die Toten abzusägen, und bis vor Abend waren alle an +Land gebracht. Es war endlich keiner mehr an Bord als der, welcher +am Mast angenagelt war. Umsonst suchten wir den Nagel aus dem Holze +zu ziehen, keine Gewalt vermochte ihn auch nur ein Haarbreit zu +verrücken. Ich wußte nicht, was anzufangen war; man konnte doch +nicht den Mastbaum abhauen, um ihn ans Land zu führen. Doch aus +dieser Verlegenheit half Muley. Er ließ schnell einen Sklaven an +Land rudern, um einen Topf mit Erde zu bringen. Als dieser +herbeigeholt war, sprach der Zauberer geheimnisvolle Worte darüber +aus und schüttete die Erde auf das Haupt des Toten. Sogleich schlug +dieser die Augen auf, holte tief Atem, und die Wunde des Nagels in +seiner Stirne fing an zu bluten. Wir zogen den Nagel jetzt leicht +heraus, und der Verwundete fiel einem Sklaven in die Arme. + +"Wer hat mich hierhergeführt?" sprach er, nachdem er sich ein wenig +erholt zu haben schien. Muley zeigte auf mich, und ich trat zu ihm. +"Dank dir, unbekannter Fremdling, du hast mich von langen Qualen +errettet. Seit fünfzig Jahren schifft mein Leib durch diese Wogen, +und mein Geist war verdammt, jede Nacht in ihn zurückzukehren. Aber +jetzt hat mein Haupt die Erde berührt, und ich kann versöhnt zu +meinen Vätern gehen." + +Ich bat ihn, uns doch zu sagen, wie er zu diesem schrecklichen +Zustand gekommen sei, und er sprach: "Vor fünfzig Jahren war ich ein +mächtiger, angesehener Mann und wohnte in Algier; die Sucht nach +Gewinn trieb mich, ein Schiff auszurüsten und Seeraub zu treiben. +Ich hatte dieses Geschäft schon einige Zeit fortgeführt, da nahm ich +einmal auf Zante einen Derwisch an Bord, der umsonst reisen wollte. +Ich und meine Gesellen waren rohe Leute und achteten nicht auf die +Heiligkeit des Mannes; vielmehr trieb ich mein Gespött mit ihm. Als +er aber einst in heiligem Eifer mir meinen sündigen Lebenswandel +verwiesen hatte, übermannte mich nachts in meiner Kajüte, als ich mit +meinem Steuermann viel getrunken hatte, der Zorn. Wütend über das, +was mir ein Derwisch gesagt hatte und was ich mir von keinem Sultan +hätte sagen lassen, stürzte ich aufs Verdeck und stieß ihm meinen +Dolch in die Brust. Sterbend verwünschte er mich und meine +Mannschaft, nicht sterben und nicht leben zu können, bis wir unser +Haupt auf die Erde legten. Der Derwisch starb, und wir warfen ihn in +die See und verlachten seine Drohungen; aber noch in derselben Nacht +erfüllten sich seine Worte. Ein Teil meiner Mannschaft empörte sich +gegen mich--Mit fürchterlicher Wut wurde gestritten, bis meine +Anhänger unterlagen und ich an den Mast genagelt wurde. Aber auch +die Empörer erlagen ihren Wunden, und bald war mein Schiff nur ein +großes Grab. Auch mir brachen die Augen, mein Atem hielt an, und ich +meinte zu sterben. Aber es war nur eine Erstarrung, die mich +gefesselt hielt; in der nächsten Nacht, zur nämlichen Stunde, da wir +den Derwisch in die See geworfen, erwachten ich und alle meine +Genossen, das Leben war zurückgekehrt, aber wir konnten nichts tun +und sprechen, als was wir in jener Nacht gesprochen und getan hatten. +So segeln wir seit fünfzig Jahren, können nicht leben, nicht sterben; +denn wie konnten wir das Land erreichen? Mit toller Freude segelten +wir allemal mit vollen Segeln in den Sturm, weil wir hofften, endlich +an einer Klippe zu zerschellen und das müde Haupt auf dem Grund des +Meeres zur Ruhe zu legen. Es ist uns nicht gelungen. Jetzt aber +werde ich sterben. Noch einmal meinen Dank, unbekannter Retter, wenn +Schätze dich lohnen können, so nimm mein Schiff als Zeichen meiner +Dankbarkeit." + +Der Kapitano ließ sein Haupt sinken, als er so gesprochen hatte, und +verschied. Sogleich zerfiel er auch, wie seine Gefährten, in Staub. +Wir sammelten diesen in ein Kästchen und begruben ihn an Land; aus +der Stadt nahm ich aber Arbeiter, die mir mein Schiff in guten +Zustand setzten. Nachdem ich die Waren, die ich an Bord hatte, gegen +andere mit großem Gewinn eingetauscht hatte, mietete ich Matrosen, +beschenkte meinen Freund Muley reichlich und schiffte mich nach +meinem Vaterlande ein. Ich machte aber einen Umweg, indem ich an +vielen Inseln und Ländern landete und meine Waren zu Markt brachte. +Der Prophet segnete mein Unternehmen. Nach dreiviertel Jahren lief +ich, noch einmal so reich, als mich der sterbende Kapitän gemacht +hatte, in Balsora ein. Meine Mitbürger waren erstaunt über meine +Reichtümer und mein Glück und glaubten nicht anders, als daß ich das +Diamantental des berühmten Reisenden Sindbad gefunden habe. Ich ließ +sie in ihrem Glauben, von nun an aber mußten die jungen Leute von +Balsora, wenn sie kaum achtzehn Jahre alt waren, in die Welt hinaus, +um gleich mir ihr Glück zu machen. Ich aber lebte ruhig und in +Frieden, und alle fünf Jahre mache ich eine Reise nach Mekka, um dem +Herrn an heiliger Stätte für seinen Segen zu danken und für den +Kapitano und seine Leute zu bitten, daß er sie in sein Paradies +aufnehme. + +--------------------------Die Reise der Karawane war den anderen Tag +ohne Hindernis fürder gegangen, und als man im Lagerplatz sich erholt +hatte, begann Selim, der Fremde, zu Muley, dem jüngsten der Kaufleute, +also zu sprechen: + +"Ihr seid zwar der Jüngste von uns, doch seid Ihr immer fröhlich und +wißt für uns gewiß irgendeinen guten Schwank. Tischet ihn auf, daß +er uns erquicke nach der Hitze des Tages!" + +"Wohl möchte ich euch etwas erzählen", antwortete Muley, "das euch +Spaß machen könnte, doch der Jugend ziemt Bescheidenheit in allen +Dingen; darum müssen meine älteren Reisegefährten den Vorrang haben. +Zaleukos ist immer so ernst und verschlossen, sollte er uns nicht +erzählen, was sein Leben so ernst machte? Vielleicht, daß wir seinen +Kummer, wenn er solchen hat, lindern können; denn gerne dienen wir +dem Bruder, wenn er auch anderen Glaubens ist." + +Der Aufgerufene war ein griechischer Kaufmann, ein Mann in mittleren +Jahren, schön und kräftig, aber sehr ernst. Ob er gleich ein +Ungläubiger (nicht Muselmann) war, so liebten ihn doch seine +Reisegefährten, denn er hatte durch sein ganzes Wesen Achtung und +Zutrauen eingeflößt. Er hatte übrigens nur eine Hand, und einige +seiner Gefährten vermuteten, daß vielleicht dieser Verlust ihn so +ernst stimme. + +Zaleukos antwortete auf die zutrauliche Frage Muleys: "Ich bin sehr +geehrt durch euer Zutrauen; Kummer habe ich keinen, wenigstens keinen, +von welchem ihr auch mit dem besten Willen mir helfen könntet. Doch +weil Muley mir meinen Ernst vorzuwerfen scheint, so will ich euch +einiges erzählen, was mich rechtfertigen soll, wenn ich ernster bin +als andere Leute. Ihr sehet, daß ich meine linke Hand verloren habe. +Sie fehlt mir nicht von Geburt an, sondern ich habe sie in den +schrecklichsten Tagen meines Lebens eingebüßt. Ob ich die Schuld +davon trage, ob ich unrecht habe, seit jenen Tagen ernster, als es +meine Lage mit sich bringt, zu sein, möget ihr beurteilen, wenn ihr +vernommen habt die Geschichte von der abgehauenen Hand." + + + + +Die Geschichte von der abgehauenen Hand + +Wilhelm Hauff + + +Ich bin in Konstantinopel geboren; mein Vater war ein Dragoman +(Dolmetscher) bei der Pforte (dem türkischen Hof) und trieb nebenbei +einen ziemlich einträglichen Handel mit wohlriechenden Essenzen und +seidenen Stoffen. Er gab mir eine gute Erziehung, indem er mich +teils selbst unterrichtete, teils von einem unserer Priester mir +Unterricht geben ließ. Er bestimmte mich anfangs, seinen Laden +einmal zu übernehmen, als ich aber größere Fähigkeiten zeigte, als er +erwartet hatte, bestimmte er mich auf das Anraten seiner Freunde zum +Arzt; weil ein Arzt, wenn er etwas mehr gelernt hat als die +gewöhnlichen Marktschreier, in Konstantinopel sein Glück machen kann. +Es kamen viele Franken in unser Haus, und einer davon überredete +meinen Vater, mich in sein Vaterland, nach der Stadt Paris, reisen zu +lassen, wo man solche Sachen unentgeltlich und am besten lernen könne. +Er selbst aber wolle mich, wenn er zurückreise, umsonst mitnehmen. +Mein Vater, der in seiner Jugend auch gereist war, schlug ein, und +der Franke sagte mir, ich könne mich in drei Monaten bereithalten. +Ich war außer mir vor Freude, fremde Länder zu sehen. + +Der Franke hatte endlich seine Geschäfte abgemacht und sich zur Reise +bereitet; am Vorabend der Reise führte mich mein Vater in sein +Schlafkämmerlein. Dort sah ich schöne Kleider und Waffen auf dem +Tische liegen. Was meine Blicke aber noch mehr anzog, war ein großer +Haufe Goldes, denn ich hatte noch nie so viel beieinander gesehen. +Mein Vater umarmte mich und sagte: "Siehe, mein Sohn, ich habe dir +Kleider zu der Reise besorgt. Jene Waffen sind dein, es sind die +nämlichen, die mir dein Großvater umhing, als ich in die Fremde +auszog. Ich weiß, du kannst sie fuhren; gebrauche sie aber nie, als +wenn du angegriffen wirst; dann aber schlage auch tüchtig drauf. +Mein Vermögen ist nicht groß; siehe, ich habe es in drei Teile +geteilt, einer davon ist dein; einer davon ist mein Unterhalt und +Notpfennig, der dritte aber sei mir ein heiliges, unantastbares Gut, +er diene dir in der Stunde der Not!" So sprach mein alter Vater, und +Tränen hingen ihm im Auge, vielleicht aus Ahnung, denn ich habe ihn +nie wiedergesehen. + +Die Reise ging gut vonstatten; wir waren bald im Lande der Franken +angelangt, und sechs Tagreisen nachher kamen wir in die große Stadt +Paris. Hier mietete mir mein fränkischer Freund ein Zimmer und riet +mir, mein Geld, das in allem zweitausend Taler betrug, vorsichtig +anzuwenden. Ich lebte drei Jahre in dieser Stadt und lernte, was ein +tüchtiger Arzt wissen muß; ich müßte aber lügen, wenn ich sagte, daß +ich gerne dort gewesen sei; denn die Sitten dieses Volkes gefielen +mir nicht; auch hatte ich nur wenige gute Freunde dort, diese aber +waren edle, junge Männer. + +Die Sehnsucht nach der Heimat wurde endlich mächtig in mir; in der +ganzen Zeit hatte ich nichts von meinem Vater gehört, und ich ergriff +daher eine günstige Gelegenheit, nach Hause zu kommen. + +Es ging nämlich eine Gesandtschaft aus Frankenland nach der Hohen +Pforte. Ich verdingte mich als Wundarzt in das Gefolge des Gesandten +und kam glücklich wieder nach Stambul. Das Haus meines Vaters aber +fand ich verschlossen, und die Nachbarn staunten, als sie mich sahen, +und sagten mir, mein Vater sei vor zwei Monaten gestorben. Jener +Priester, der mich in meiner Jugend unterrichtet hatte, brachte nur +den Schlüssel; allein und verlassen zog ich in das verödete Haus ein. +Ich fand noch alles, wie es mein Vater verlassen hatte; nur das Gold, +das er mir zu hinterlassen versprach, fehlte. Ich fragte den +Priester darüber, und dieser verneigte sich und sprach: "Euer Vater +ist als ein heiliger Mann gestorben; denn er hat sein Gold der Kirche +vermacht." Dies war und blieb mir unbegreiflich; doch was wollte ich +machen; ich hatte keine Zeugen gegen den Priester und mußte froh sein, +daß er nicht auch das Haus und die Waren meines Vaters als +Vermächtnis angesehen hatte. + +Dies war das erste Unglück, das mich traf. Von jetzt an aber kam es +Schlag auf Schlag. Mein Ruf als Arzt wollte sich gar nicht +ausbreiten, weil ich mich schämte, den Marktschreier zu machen, und +überall fehlte mir die Empfehlung meines Vaters, der mich bei den +Reichsten und Vornehmsten eingeführt hätte, die jetzt nicht mehr an +den armen Zaleukos dachten. Auch die Waren meines Vaters fanden +keinen Abgang; denn die Kunden hatten sich nach seinem Tode verlaufen, +und neue bekommt man nur langsam. Als ich einst trostlos über meine +Lage nachdachte, fiel mir ein, daß ich oft in Franken Männer meines +Volkes gesehen hatte, die das Land durchzogen und ihre Waren auf den +Märkten der Städte auslegten; ich erinnerte mich, daß man ihnen gerne +abkaufte, weil sie aus der Fremde kamen, und daß man bei solchem +Handel das Hundertfache erwerben könne. Sogleich war auch mein +Entschluß gefaßt. Ich verkaufte mein väterliches Haus, gab einen +Teil des gelösten Geldes einem bewährten Freunde zum Aufbewahren, von +dem übrigen aber kaufte ich, was man in Franken selten hat, wie +Schals, seidene Zeuge, Salben und Öle, mietete einen Platz auf einem +Schiff und trat so meine zweite Reise nach Franken an. + +Es schien, als ob das Glück, sobald ich die Schlösser der Dardanellen +im Rücken hatte, mir wieder günstig geworden wäre. Unsere Fahrt war +kurz und glücklich. Ich durchzog die großen und kleinen Städte der +Franken und fand überall willige Käufer meiner Waren. Mein Freund in +Stambul sandte mir immer wieder frische Vorräte, und ich wurde von +Tag zu Tag wohlhabender. Als ich endlich so viel erspart hatte, daß +ich glaubte, ein größeres Unternehmen wagen zu können, zog ich mit +meinen Waren nach Italien. Etwas muß ich aber noch gestehen, was mir +auch nicht wenig Geld einbrachte: ich nahm auch meine Arzneikunst zu +Hilfe. Wenn ich in eine Stadt kam, ließ ich durch Zettel verkünden, +daß ein griechischer Arzt da sei, der schon viele geheilt habe; und +wahrlich, mein Balsam und meine Arzneien haben mir manche Zechine +eingebracht. + +So war ich endlich nach der Stadt Florenz in Italien gekommen. Ich +nahm mir vor, längere Zeit in dieser Stadt zu bleiben, teils weil sie +mir so wohl gefiel, teils auch, weil ich mich von den Strapazen +meines Umherziehens erholen wollte. Ich mietete mir ein Gewölbe in +dem Stadtviertel St. Croce und nicht weit davon ein paar schöne +Zimmer, die auf einen Altan führten, in einem Wirtshaus. Sogleich +ließ ich auch meine Zettel umhertragen, die mich als Arzt und +Kaufmann ankündigten. Ich hatte kaum mein Gewölbe eröffnet, so +strömten auch die Käufer herzu, und ob ich gleich ein wenig hohe +Preise hatte, so verkaufte ich doch mehr als andere, weil ich +gefällig und freundlich gegen meine Kunden war. Ich hatte schon vier +Tage vergnügt in Florenz verlebt, als ich eines Abends, da ich schon +mein Gewölbe schließen und nur die Vorräte in meinen Salbenbüchsen +nach meiner Gewohnheit noch einmal mustern wollte, in einer kleinen +Büchse einen Zettel fand, den ich mich nicht erinnerte, hineingetan +zu haben. Ich öffnete den Zettel und fand darin eine Einladung, +diese Nacht Punkt zwölf Uhr auf der Brücke, die man Ponte vecchio +heißt, mich einzufinden. Ich sann lange darüber nach, wer es wohl +sein könnte, der mich dorthin einlud, da ich aber keine Seele in +Florenz kannte, dachte ich, man werde mich vielleicht heimlich zu +irgendeinem Kranken führen wollen, was schon öfter geschehen war. +Ich beschloß also hinzugehen, doch hing ich zur Vorsicht den Säbel um, +den mir einst mein Vater geschenkt hatte. + +Als es stark gegen Mitternacht ging, machte ich mich auf den Weg und +kam bald auf die Ponte vecchio. Ich fand die Brücke verlassen und +öde und beschloß zu warten, bis er erscheinen würde, der mich rief. +Es war eine kalte Nacht; der Mond schien hell, und ich schaute hinab +in die Wellen des Arno, die weithin im Mondlicht schimmerten. Auf +den Kirchen der Stadt schlug es jetzt zwölf Uhr; ich richtete mich +auf, und vor mir stand ein großer Mann, ganz in einen roten Mantel +gehüllt, dessen einen Zipfel er vor das Gesicht hielt. + +Ich war von Anfang etwas erschrocken, weil er so plötzlich hinter mir +stand, faßte mich aber sogleich wieder und sprach: "Wenn Ihr mich +habt hierher bestellt, so sagt an, was steht zu Eurem Befehl?" + +Der Rotmantel wandte sich um und sagte langsam: "Folge!" Da ward +mir's doch etwas unheimlich zumute, mit diesem Unbekannten allein zu +gehen; ich blieb stehen und sprach: "Nicht also, lieber Herr, wollet +mir vorerst sagen, wohin; auch könnet Ihr mir Euer Gesicht ein wenig +zeigen, daß ich sehe, ob Ihr Gutes mit mir vorhabt." + +Der Rote aber schien sich nicht darum zu kümmern. "Wenn du nicht +willst, Zaleukos, so bleibe!" antwortete er und ging weiter. + +Da entbrannte mein Zorn. "Meinet Ihr", rief ich aus, "ein Mann wie +ich lasse sich von jedem Narren foppen, und ich werde in dieser +kalten Nacht umsonst gewartet haben?" In drei Sprüngen hatte ich ihn +erreicht, packte ihn an seinem Mantel und schrie noch lauter, indem +ich die andere Hand an den Säbel legte; aber der Mantel blieb mir in +der Hand, und der Unbekannte war um die nächste Ecke verschwunden. +Mein Zorn legte sich nach und nach; ich hatte doch den Mantel, und +dieser sollte mir schon den Schlüssel zu diesem wunderlichen +Abenteuer geben. + +Ich hing ihn um und ging meinen Weg weiter nach Hause. Als ich kaum +noch hundert Schritte davon entfernt war, streifte jemand dicht an +mir vorüber und flüsterte in fränkischer Sprache: "Nehmt Euch in acht, +Graf, heute nacht ist nichts zu machen." Ehe ich mich aber umsehen +konnte, war dieser Jemand schon vorbei, und ich sah nur noch einen +Schatten an den Häusern hinschweben. Daß dieser Zuruf den Mantel und +nicht mich anging, sah ich ein; doch gab er mir kein Licht über die +Sache. Am anderen Morgen überlegte ich, was zu tun sei. Ich war von +Anfang gesonnen, den Mantel ausrufen zu lassen, als hätte ich ihn +gefunden; doch da konnte der Unbekannte ihn durch einen Dritten holen +lassen, und ich hätte dann keinen Aufschluß über die Sache gehabt. +Ich besah, indem ich so nachdachte, den Mantel näher. Er war von +schwerem genuesischem Samt, purpurrot, mit astrachanischem Pelz +verbrämt und reich mit Gold bestickt. Der prachtvolle Anblick des +Mantels brachte mich auf einen Gedanken, den ich auszuführen beschloß. + +Ich trug ihn in mein Gewölbe und legte ihn zum Verkauf aus, setzte +aber auf ihn einen so hohen Preis, daß ich gewiß war, keinen Käufer +zu finden. Mein Zweck dabei war, jeden, der nach dem Pelz fragen +würde, scharf ins Auge zu fassen; denn die Gestalt des Unbekannten, +die sich mir nach Verlust des Mantels, wenn auch nur flüchtig, doch +bestimmt zeigte, wollte ich aus Tausenden erkennen. Es fanden sich +viele Kauflustige zu dem Mantel, dessen außerordentliche Schönheit +alle Augen auf sich zog; aber keiner glich entfernt dem Unbekannten, +keiner wollte den hohen Preis von zweihundert Zechinen dafür bezahlen. +Auffallend war mir dabei, daß, wenn ich einen oder den anderen +fragte, ob denn sonst kein solcher Mantel in Florenz sei, alle mit +"Nein!" antworteten und versicherten, eine so kostbare und +geschmackvolle Arbeit nie gesehen zu haben. + +Es wollte schon Abend werden, da kam endlich ein junger Mann, der +schon oft bei mir gewesen war und auch heute viel auf den Mantel +geboten hatte, warf einen Beutel mit Zechinen auf den Tisch und rief: +"Bei Gott! Zaleukos, ich muß deinen Mantel haben, und sollte ich zum +Bettler darüber werden." Zugleich begann er, seine Goldstücke +aufzuzählen. Ich kam in große Not; ich hatte den Mantel nur +ausgehängt, um vielleicht die Blicke meines Unbekannten darauf zu +ziehen, und jetzt kam ein junger Tor, um den ungeheuren Preis zu +zahlen. Doch was blieb mir übrig; ich gab nach, denn es tat mir auf +der anderen Seite der Gedanke wohl, für mein nächtliches Abenteuer so +schön entschädigt zu werden. Der Jüngling hing sich den Mantel um +und ging; er kehrte aber auf der Schwelle wieder um, indem er ein +Papier, das am Mantel befestigt war, losmachte, mir zuwarf und sagte: +"Hier, Zaleukos, hängt etwas, das wohl nicht zu dem Mantel gehört." + +Gleichgültig nahm ich den Zettel; aber siehe da, dort stand +geschrieben: "Bringe heute nacht um die bewußte Stunde den Mantel auf +die Ponte vecchio, vierhundert Zechinen warten deiner." + +Ich stand wie niedergedonnert. So hatte ich also mein Glück selbst +verscherzt und meinen Zweck gänzlich verfehlt! Doch ich besann mich +nicht lange, raffte die zweihundert Zechinen zusammen, sprang dem, +der den Mantel gekauft hatte, nach und sprach: "Nehmt Eure Zechinen +wieder, guter Freund, und laßt mir den Mantel, ich kann ihn unmöglich +hergeben." Dieser hielt die Sache von Anfang für Spaß, als er aber +merkte, daß es Ernst war, geriet er in Zorn über meine Forderung, +schalt mich einen Narren, und so kam es endlich zu Schlägen. Doch +ich war so glücklich, im Handgemenge ihm den Mantel zu entreißen, und +wollte schon mit ihm davoneilen, als der junge Mann die Polizei zu +Hilfe rief und mich mit sich vor Gericht zog. Der Richter war sehr +erstaunt über die Anklage und sprach meinem Gegner den Mantel zu. +Ich aber bot dem Jünglinge zwanzig, fünfzig, achtzig, ja hundert +Zechinen über seine zweihundert, wenn er mir den Mantel ließe. Was +meine Bitten nicht vermochten, bewirkte mein Gold. Er nahm meine +guten Zechinen, ich aber zog mit dem Mantel triumphierend ab und +mußte mir gefallen lassen, daß man mich in ganz Florenz für einen +Wahnsinnigen hielt. Doch die Meinung der Leute war mir gleichgültig; +ich wußte es ja besser als sie, daß ich an dem Handel noch gewann. + +Mit Ungeduld erwartete ich die Nacht. Um dieselbe Zeit wie gestern +ging ich, den Mantel unter dem Arm, auf die Ponte vecchio. Mit dem +letzten Glockenschlag kam die Gestalt aus der Nacht heraus auf mich +zu. Es war unverkennbar der Mann von gestern. "Hast du den Mantel?" +wurde ich gefragt. + +"Ja, Herr", antwortete ich, "aber er kostete mich bar hundert +Zechinen." + +"Ich weiß es", entgegnete jener. "Schau auf, hier sind vierhundert." +Er trat mit mir an das breite Geländer der Brücke und zählte die +Goldstücke hin. Vierhundert waren es; prächtig blitzten sie im +Mondschein, ihr Glanz erfreute mein Herz, ach! Es ahnete nicht, daß +es seine letzte Freude sein werde. Ich steckte mein Geld in die +Tasche und wollte mir nun auch den gütigen Unbekannten recht +betrachten; aber er hatte eine Larve vor dem Gesicht, aus der mich +dunkle Augen furchtbar anblitzten. + +"Ich danke Euch, Herr, für Eure Güte", sprach ich zu ihm, "was +verlangt Ihr jetzt von mir? Das sage ich Euch aber vorher, daß es +nichts Unrechtes sein darf." + +"Unnötige Sorge", antwortete er, indem er den Mantel um die Schultern +legte, "ich bedarf Eurer Hilfe als Arzt; doch nicht für einen +Lebenden, sondern für einen Toten." + +"Wie kann das sein?" rief ich voll Verwunderung. + +"Ich kam mit meiner Schwester aus fernen Landen", erzählte er und +winkte mir zugleich, ihm zu folgen. "Ich wohnte hier mit ihr bei +einem Freund meines Hauses. Meine Schwester starb gestern schnell an +einer Krankheit, und die Verwandten wollen sie morgen begraben. Nach +einer alten Sitte unserer Familie aber sollen alle in der Gruft der +Väter ruhen; viele, die in fremden Landen starben, ruhen dennoch dort +einbalsamiert. Meinen Verwandten gönne ich nun ihren Körper; meinem +Vater aber muß ich wenigstens den Kopf seiner Tochter bringen, damit +er sie noch einmal sehe." Diese Sitte, die Köpfe geliebter +Anverwandten abzuschneiden, kam mir zwar etwas schrecklich vor; doch +wagte ich nichts dagegen einzuwenden aus Furcht, den Unbekannten zu +beleidigen. Ich sagte ihm daher, daß ich mit dem Einbalsamieren der +Toten wohl umgehen könne, und bat ihn, mich zu der Verstorbenen zu +führen. Doch konnte ich mich nicht enthalten zu fragen, warum denn +dies alles so geheimnisvoll und in der Nacht geschehen müsse. Er +antwortete mir, daß seine Anverwandten, die seine Absicht für grausam +hielten, bei Tage ihn abhalten würden; sei aber nur erst einmal der +Kopf abgenommen, so könnten sie wenig mehr darüber sagen. Er hätte +mir zwar den Kopf bringen können; aber ein natürliches Gefühl halte +ihn ab, ihn selbst abzunehmen. + +Wir waren indes bis an ein großes, prachtvolles Haus gekommen. Mein +Begleiter zeigte es mir als das Ziel unseres nächtlichen +Spazierganges. Wir gingen an dem Haupttor des Hauses vorbei, traten +in eine kleine Pforte, die der Unbekannte sorgfältig hinter sich +zumachte, und stiegen nun im Finstern eine enge Wendeltreppe hinan. +Sie führte in einen spärlich erleuchteten Gang, aus welchem wir in +ein Zimmer gelangten, das eine Lampe, die an der Decke befestigt war, +erleuchtete. + +In diesem Gemach stand ein Bett, in welchem der Leichnam lag. Der +Unbekannte wandte sein Gesicht ab und schien Tränen verbergen zu +wollen. Er deutete nach dem Bett, befahl mir, mein Geschäft gut und +schnell zu verrichten, und ging wieder zur Türe hinaus. + +Ich packte meine Messer, die ich als Arzt immer bei mir führte, aus +und näherte mich dem Bett. Nur der Kopf war von der Leiche sichtbar; +aber dieser war so schön, daß mich unwillkürlich das innigste +Mitleiden ergriff. In langen Flechten hing das dunkle Haar herab, +das Gesicht war bleich, die Augen geschlossen. Ich machte zuerst +einen Einschnitt in die Haut, nach der Weise der Ärzte, wenn sie ein +Glied abschneiden. Sodann nahm ich mein schärfstes Messer und +schnitt mit einem Zug die Kehle durch. Aber welcher Schrecken! Die +Tote schlug die Augen auf, schloß sie aber gleich wieder, und in +einem tiefen Seufzer schien sie jetzt erst ihr Leben auszuhauchen. +Zugleich schoß mir ein Strahl heißen Blutes aus der Wunde entgegen. +Ich überzeugte mich, daß ich erst die Arme getötet hatte; denn daß +sie tot sei, war kein Zweifel, da es von dieser Wunde keine Rettung +gab. Ich stand einige Minuten in banger Beklommenheit über das, was +geschehen war. Hatte der Rotmantel mich betrogen, oder war die +Schwester vielleicht nur scheintot gewesen? Das letztere schien mir +wahrscheinlicher. Aber ich durfte dem Bruder der Verstorbenen nicht +sagen, daß vielleicht ein weniger rascher Schnitt sie erweckt hätte, +ohne sie zu töten, darum wollte ich den Kopf vollends ablösen; aber +noch einmal stöhnte die Sterbende, streckt sich in schmerzhafter +Bewegung aus und starb. Da übermannte mich der Schrecken, und ich +stürzte schaudernd aus dem Gemach. Aber draußen im Gang war es +finster; denn die Lampe war verlöscht. Keine Spur von meinem +Begleiter war zu entdecken, und ich mußte aufs ungefähr mich im +Finstern an der Wand fortbewegen, um an die Wendeltreppe zu gelangen. +Ich fand sie endlich und kam halb fallend, halb gleitend hinab. +Auch unten war kein Mensch. Die Türe fand ich nur angelehnt, und ich +atmete freier, als ich auf der Straße war; denn in dem Hause war mir +ganz unheimlich geworden. Von Schrecken gespornt, rannte ich in +meine Wohnung und begrub mich in die Polster meines Lagers, um das +Schreckliche zu vergessen, das ich getan hatte. Aber der Schlaf floh +mich, und erst der Morgen ermahnte mich wieder, mich zu fassen. Es +war mir wahrscheinlich, daß der Mann, der mich zu dieser verruchten +Tat, wie sie mir jetzt erschien, verführt hatte, mich nicht angeben +würde. Ich entschloß mich, gleich in mein Gewölbe an mein Geschäft +zu gehen und womöglich eine sorglose Miene anzunehmen. Aber ach! +Ein neuer Umstand, den ich jetzt erst bemerkte, vermehrte noch meinen +Kummer. Meine Mütze und mein Gürtel wie auch meine Messer fehlten +mir, und ich war ungewiß, ob ich sie in dem Zimmer der Getöteten +gelassen oder erst auf meiner Flucht verloren hatte. Leider schien +das erste wahrscheinlicher, und man konnte mich also als Mörder +entdecken. + +Ich öffnete zur gewöhnlichen Zeit mein Gewölbe. Mein Nachbar trat zu +mir her, wie er alle Morgen zu tun pflegte, denn er war ein +gesprächiger Mann. "Ei, was sagt Ihr zu der schrecklichen +Geschichte", hub er an, "die heute nacht vorgefallen ist?" Ich tat, +als ob ich nichts wüßte. "Wie, solltet Ihr nicht wissen, von was die +ganze Stadt erfüllt ist? Nicht wissen, daß die schönste Blume von +Florenz, Bianka, die Tochter des Gouverneurs, in dieser Nacht +ermordet wurde? Ach! Ich sah sie gestern noch so heiter durch die +Straßen fahren mit ihrem Bräutigam, denn heute hätten sie Hochzeit +gehabt." + +Jedes Wort des Nachbarn war mir ein Stich ins Herz. Und wie oft +kehrte meine Marter wieder; denn jeder meiner Kunden erzählte mir die +Geschichte, immer einer schrecklicher als der andere, und doch konnte +keiner so Schreckliches sagen, als ich selbst gesehen hatte. Um +Mittag ungefähr trat ein Mann vom Gericht in mein Gewölbe und bat +mich, die Leute zu entfernen. "Signore Zaleukos", sprach er, indem +er die Sachen, die ich vermißte, hervorzog, "gehören diese Sachen +Euch zu?" Ich besann mich, ob ich sie nicht gänzlich ableugnen sollte; +aber als ich durch die halbgeöffnete Tür meinen Wirt und mehrere +Bekannte, die wohl gegen mich zeugen konnten, erblickte, beschloß ich, +die Sache nicht noch durch eine Lüge zu verschlimmern, und bekannte +mich zu den vorgezeigten Dingen. Der Gerichtsmann bat mich, ihm zu +folgen, und führte mich in ein großes Gebäude, das ich bald für das +Gefängnis erkannte. Dort wies er mir bis auf weiteres ein Gemach an. + +Meine Lage war schrecklich, als ich so in der Einsamkeit darüber +nachdachte. Der Gedanke, gemordet zu haben, wenn auch ohne Willen, +kehrte immer wieder. Auch konnte ich mir nicht verhehlen, daß der +Glanz des Goldes meine Sinne befangen gehalten hatte; sonst hätte ich +nicht so blindlings in die Falle gehen können. Zwei Stunden nach +meiner Verhaftung wurde ich aus meinem Gemach geführt. Mehrere +Treppen ging es hinab, dann kam man in einen großen Saal. Um einen +langen, schwarzbehängten Tisch saßen dort zwölf Männer, meistens +Greise. An den Seiten des Saales zogen sich Bänke herab, angefüllt +mit den Vornehmsten von Florenz; auf den Galerien, die in der Höhe +angebracht waren, standen dicht gedrängt die Zuschauer. Als ich bis +vor den schwarzen Tisch getreten war, erhob sich ein Mann mit +finsterer, trauriger Miene; es war der Gouverneur. Er sprach zu den +Versammelten, daß er als Vater in dieser Sache nicht richten könne +und daß er seine Stelle für diesmal an den ältesten der Senatoren +abtrete. Der älteste der Senatoren war ein Greis von wenigstens +neunzig Jahren. Er stand gebückt, und seine Schläfen waren mit +dünnem, weißem Haar umhängt; aber feurig brannten noch seine Augen, +und seine Stimme war stark und sicher. Er hub an, mich zu fragen, ob +ich den Mord gestehe. Ich bat ihn um Gehör und erzählte +unerschrocken und mit vernehmlichen Stimme, was ich getan hatte und +was ich wußte. Ich bemerkte, daß der Gouverneur während meiner +Erzählung bald blaß, bald rot wurde, und als ich geschlossen, fuhr er +wütend auf: "Wie, Elender!" rief er mir zu, "so willst du ein +Verbrechen, das du aus Habgier begangen, noch einem anderen +aufbürden?" + +Der Senator verwies ihm seine Unterbrechung, da er sich freiwillig +seines Rechtes begeben habe; auch sei es gar nicht so erwiesen, daß +ich aus Habgier gefrevelt; denn nach seiner eigenen Aussage sei ja +der Getöteten nichts gestohlen worden. Ja, er ging noch weiter; er +erklärte dem Gouverneur, daß er über das frühere Leben seiner Tochter +Rechenschaft geben müsse; denn nur so könne man schließen, ob ich die +Wahrheit gesagt habe oder nicht. Zugleich hob er für heute das +Gericht auf, um sich, wie er sagte, aus den Papieren der Verstorbenen, +die ihm der Gouverneur übergeben werde, Rat zu holen. Ich wurde +wieder in mein Gefängnis zurückgeführt, wo ich einen schaurigen Tag +verlebte, immer mit dem heißen Wunsch beschäftigt, daß man doch +irgendeine Verbindung zwischen der Toten und dem Rotmantel entdecken +möchte. Voll Hoffnung trat ich den anderen Tag in den Gerichtssaal. +Es lagen mehrere Briefe auf dem Tisch. Der alte Senator fragte mich, +ob sie meine Handschrift seien. Ich sah sie an und fand, daß sie von +derselben Hand sein müßten wie jene beiden Zettel, die ich erhalten. +Ich äußerte dies den Senatoren; aber man schien nicht darauf zu +achten und antwortete, daß ich beides geschrieben haben könne und +müsse; denn der Namenszug unter den Briefen sei unverkennbar ein Z, +der Anfangsbuchstabe meines Namens. Die Briefe aber enthielten +Drohungen an die Verstorbene und Warnungen vor der Hochzeit, die sie +zu vollziehen im Begriff war. + +Der Gouverneur schien sonderbare Aufschlüsse in Hinsicht auf meine +Person gegeben zu haben; denn man behandelte mich an diesem Tage +mißtrauischer und strenger. Ich berief mich zu meiner Rechtfertigung +auf meine Papiere, die sich in meinem Zimmer finden müßten; aber man +sagte mir, man habe nachgesucht und nichts gefunden. So schwand mir +am Schlusse dieses Gerichts alle Hoffnung, und als ich am dritten Tag +wieder in den Saal geführt wurde, las man mir das Urteil vor, daß ich, +eines vorsätzlichen Mordes überwiesen, zum Tode verurteilt sei. +Dahin also war es mit mir gekommen. Verlassen von allem, was mir auf +Erden noch teuer war, fern von meiner Heimat, sollte ich unschuldig +in der Blüte meiner Jahre vom Beile sterben. + +Ich saß am Abend dieses schrecklichen Tages, der über mein Schicksal +entschieden hatte, in meinem einsamen Kerker; meine Hoffnungen waren +dahin, meine Gedanken ernsthaft auf den Tod gerichtet. Da tat sich +die Türe meines Gefängnisses auf, und ein Mann trat herein, der mich +lange schweigend betrachtete. "So finde ich dich wieder, Zaleukos?" +sagte er; ich hatte ihn bei dem matten Schein meiner Lampe nicht +erkannt, aber der Klang seiner Stimme erweckte alte Erinnerungen in +mir, es war Valetty, einer jener wenigen Freunde, die ich in der +Stadt Paris während meiner Studien kannte. Er sagte, daß er zufällig +nach Florenz gekommen sei, wo sein Vater als angesehener Mann wohne, +er habe von meiner Geschichte gehört und sei gekommen, um mich noch +einmal zu sehen und von mir selbst zu erfahren, wie ich mich so +schwer habe verschulden können. Ich erzählte ihm die ganze +Geschichte. Er schien darüber sehr verwundert und beschwor mich, ihm, +meinem einzigen Freunde, alles zu sagen, um nicht mit einer Lüge von +hinnen zu gehen. Ich schwor ihm mit dem teuersten Eid, daß ich wahr +gesprochen und daß keine andere Schuld mich drücke, als daß ich, von +dem Glanze des Goldes geblendet, das Unwahrscheinliche der Erzählung +des Unbekannten nicht erkannt habe. "So hast du Bianka nicht +gekannt?" fragte jener. Ich beteuerte ihm, sie nie gesehen zu haben. +Valetty erzählte mir nun, daß ein tiefes Geheimnis auf der Tat liege, +daß der Gouverneur meine Verurteilung sehr hastig betrieben habe, +und es sei nun ein Gerücht unter die Leute gekommen, daß ich Bianka +schon längst gekannt und aus Rache über ihre Heirat mit einem anderen +sie ermordet habe. Ich bemerkte ihm, daß dies alles ganz auf den +Rotmantel passe, daß ich aber seine Teilnahme an der Tat mit nichts +beweisen könne. Valetty umarmte mich weinend und versprach mir, +alles zu tun, um wenigstens mein Leben zu retten. Ich hatte wenig +Hoffnung; doch wußte ich, daß Valetty ein weiser und der Gesetze +kundiger Mann sei und daß er alles tun werde, mich zu retten. Zwei +lange Tage war ich in Ungewißheit: Endlich erschien auch Valetty. +"Ich bringe Trost, wenn auch einen schmerzlichen. Du wirst leben und +frei sein; aber mit Verlust einer Hand." Gerührt dankte ich meinem +Freunde für mein Leben. Er sagte mir, daß der Gouverneur +unerbittlich gewesen sei, die Sache noch einmal untersuchen zu lassen; +daß er aber endlich, um nicht ungerecht zu erscheinen, bewilligt +habe, wenn man in den Büchern der florentinischen Geschichte einen +ähnlichen Fall finde, so solle meine Strafe sich nach der Strafe, die +dort ausgesprochen sei, richten. Er und sein Vater haben nun Tag und +Nacht in den alten Büchern gelesen und endlich einen ganz dem +meinigen ähnlichen Fall gefunden. Dort laute die Strafe: Es soll ihm +die linke Hand abgehauen, seine Güter eingezogen, er selbst auf ewig +verbannt werden. So laute jetzt auch meine Strafe, und ich solle +mich jetzt bereiten zu der schmerzhaften Stunde, die meiner warte. +Ich will euch nicht diese schreckliche Stunde vor das Auge führen, wo +ich auf offenem Markt meine Hand auf den Block legte, wo mein eigenes +Blut in weitem Bogen mich überströmte! + +Valetty nahm mich in sein Haus auf, bis ich genesen war, dann versah +er mich edelmütig mit Reisegeld; denn alles, was ich mir so mühsam +erworben, war eine Beute des Gerichts geworden. Ich reiste von +Florenz nach Sizilien und von da mit dem ersten Schiff, das ich fand, +nach Konstantinopel. Meine Hoffnung war auf die Summe gerichtet, die +ich meinem Freunde übergeben hatte, auch bat ich ihn, bei ihm wohnen +zu dürfen; aber wie erstaunte ich, als dieser mich fragte, warum ich +denn nicht mein Haus beziehe! Er sagte mir, daß ein fremder Mann +unter meinem Namen ein Haus in dem Quartier der Griechen gekauft habe; +derselbe habe auch den Nachbarn gesagt, daß ich bald selbst kommen +werde. Ich ging sogleich mit meinem Freunde dahin und wurde von +allen meinen Bekannten freudig empfangen. Ein alter Kaufmann gab mir +einen Brief, den der Mann, der für mich gekauft hatte, hiergelassen +habe. + +Ich las: "Zaleukos! Zwei Hände stehen bereit, rastlos zu schaffen, +daß Du nicht fühlest den Verlust der einen. Das Haus, das Du siehest, +und alles, was darin ist, ist Dein, und alle Jahre wird man Dir so +viel reichen, daß Du zu den Reichen Deines Volkes gehören wirst. +Mögest Du dem vergeben, der unglücklicher ist als Du." Ich konnte +ahnen, wer es geschrieben, und der Kaufmann sagte mir auf meine Frage: +Es sei ein Mann gewesen, den er für einen Franken gehalten, er habe +einen roten Mantel angehabt. Ich wußte genug, um mir zu gestehen, +daß der Unbekannte doch nicht ganz von aller edlen Gesinnung entblößt +sein müsse. In meinem neuen Haus fand ich alles aufs beste +eingerichtet, auch ein Gewölbe mit Waren, schöner als ich sie je +gehabt. Zehn Jahre sind seitdem verstrichen; mehr aus alter +Gewohnheit, als weil ich es nötig habe, setze ich meine Handelsreisen +fort; doch habe ich jenes Land, wo ich so unglücklich wurde, nie mehr +gesehen. Jedes Jahr erhielt ich seitdem tausend Goldstücke; aber, +wenn es mir auch Freude macht, jenen Unglücklichen edel zu wissen, so +kann er mir doch den Kummer meiner Seele nicht abkaufen, denn ewig +lebt in mir das grauenvolle Bild der ermordeten Bianka. + +--------------------------Zaleukos, der griechische Kaufmann, hatte +seine Geschichte geendigt. Mit großer Teilnahme hatten ihm die +übrigen zugehört, besonders der Fremde schien sehr davon ergriffen zu +sein; er hatte einigemal tief geseufzt, und Muley schien es sogar, +als habe er einmal Tränen in den Augen gehabt. Sie besprachen sich +noch lange Zeit über diese Geschichte. + +"Und haßt Ihr den Unbekannten nicht, der Euch so schnöd' um ein so +edles Glied Eures Körpers, der selbst Euer Leben in Gefahr brachte?" +fragte der Fremde. + +"Wohl gab es in früherer Zeit Stunden", antwortete der Grieche, "in +denen mein Herz ihn vor Gott angeklagt, daß er diesen Kummer über +mich gebracht und mein Leben vergiftet habe; aber ich fand Trost in +dem Glauben meiner Väter, und dieser befiehlt mir, meine Feinde zu +lieben; auch ist er wohl noch unglücklicher als ich." + +"Ihr seid ein edler Mann!" rief der Fremde und drückte gerührt dem +Griechen die Hand. + +Der Anführer der Wache unterbrach sie aber in ihrem Gespräch. Er +trat mit besorgter Miene in das Zelt und berichtete, daß man sich +nicht der Ruhe überlassen dürfe; denn hier sei die Stelle, wo +gewöhnlich die Karawanen angegriffen würden, auch glaubten seine +Wachen, in der Entfernung mehrere Reiter zu sehen. + +Die Kaufleute waren sehr bestürzt über diese Nachricht; Selim, der +Fremde, aber wunderte sich über ihre Bestürzung und meinte, daß sie +so gut geschätzt wären, daß sie einen Trupp räuberischer Araber nicht +zu fürchten brauchten. + +"Ja, Herr!" entgegnete ihm der Anführer der Wache. "Wenn es nur +solches Gesindel wäre, könnte man sich ohne Sorge zur Ruhe legen; +aber seit einiger Zeit zeigt sich der furchtbare Orbasan wieder, und +da gilt es, auf seiner Hut zu sein." + +Der Fremde fragte, wer denn dieser Orbasan sei, und Achmet, der alte +Kaufmann, antwortete ihm: "Es gehen allerlei Sagen unter dem Volke +über diesen wunderbaren Mann. Die einen halten ihn für ein +übermenschliches Wesen, weil er oft mit fünf bis sechs Männern zumal +einen Kampf besteht, andere halten ihn für einen tapferen Franken, +den das Unglück in diese Gegend verschlagen habe; von allem aber ist +nur so viel gewiß, daß er ein verruchter Mörder und Dieb ist." + +"Das könnt Ihr aber doch nicht behaupten", entgegnete ihm Lezah, +einer der Kaufleute. "Wenn er auch ein Räuber ist, so ist er doch +ein edler Mann, und als solcher hat er sich an meinem Bruder bewiesen, +wie ich Euch erzählen könnte. Er hat seinen ganzen Stamm zu +geordneten Menschen gemacht, und so lange er die Wüste durchstreift, +darf kein anderer Stamm es wagen, sich sehen zu lassen. Auch raubt +er nicht wie andere, sondern er erhebt nur ein Schutzgeld von den +Karawanen, und wer ihm dieses willig bezahlt, der ziehet ungefährdet +weiter; denn Orbasan ist der Herr der Wüste." + +Also sprachen unter sich die Reisenden im Zelte; die Wachen aber, die +um den Lagerplatz ausgestellt waren, begannen unruhig zu werden. Ein +ziemlich bedeutender Haufe bewaffneter Reiter zeigte sich in der +Entfernung einer halben Stunde; sie schienen gerade auf das Lager +zuzureiten. Einer der Männer von der Wache ging daher in das Zelt, +um zu verkünden, daß sie wahrscheinlich angegriffen würden. Die +Kaufleute berieten sich untereinander, was zu tun sei, ob man ihnen +entgegengehen oder den Angriff abwarten solle. Achmet und die zwei +älteren Kaufleute wollten das letztere, der feurige Muley aber und +Zaleukos verlangten das erstere und riefen den Fremden zu ihrem +Beistand auf. Dieser zog ruhig ein kleines, blaues Tuch mit roten +Sternen aus seinem Gürtel hervor, band es an eine Lanze und befahl +einem der Sklaven, es auf das Zelt zu stecken; er setze sein Leben +zum Pfand, sagte er, die Reiter werden, wenn sie dieses Zeichen sehen, +ruhig vorüberziehen. Muley glaubte nicht an den Erfolg, der Sklave +aber steckte die Lanze auf das Zelt. Inzwischen hatten alle, die im +Lager waren, zu den Waffen gegriffen und sahen in gespannter +Erwartung den Reitern entgegen. Doch diese schienen das Zeichen auf +dem Zelte erblickt zu haben, sie wichen plötzlich von ihrer Richtung +auf das Lager ab und zogen in einem großen Bogen auf der Seite hin. + +Verwundert standen einige Augenblicke die Reisenden und sahen bald +auf die Reiter, bald auf den Fremden. Dieser stand ganz gleichgültig, +wie wenn nichts vorgefallen wäre, vor dem Zelte und blickte über die +Ebene hin. Endlich brach Muley das Stillschweigen. "Wer bist du, +mächtiger Fremdling", rief er aus, "der du die wilden Horden der +Wüste durch einen Wink bezähmst?" + +"Ihr schlagt meine Kunst höher an, als sie ist", antwortete Selim +Baruch. "Ich habe mich mit diesem Zeichen versehen, als ich der +Gefangenschaft entfloh; was es zu bedeuten hat, weiß ich selbst nicht; +nur so viel weiß ich, daß, wer mit diesem Zeichen reiset, unter +mächtigem Schutze steht." + +Die Kaufleute dankten dem Fremden und nannten ihn ihren Erretter. +Wirklich war auch die Anzahl der Reiter so groß gewesen, daß wohl die +Karawane nicht lange hätte Widerstand leisten können. + +Mit leichterem Herzen begab man sich jetzt zur Ruhe, und als die +Sonne zu sinken begann und der Abendwind über die Sandebene hinstrich, +brachen sie auf und zogen weiter. + +Am nächsten Tage lagerten sie ungefähr nur noch eine Tagreise von dem +Ausgang der Wüste entfernt. Als sich die Reisenden wieder in dem +großen Zelt versammelt hatten, nahm Lezah, der Kaufmann, das Wort: + +"Ich habe euch gestern gesagt, daß der gefürchtete Orbasan ein edler +Mann sei, erlaubt mir, daß ich es euch heute durch die Erzählung der +Schicksale meines Bruders beweise. Mein Vater war Kadi in Akara. Er +hatte drei Kinder. Ich war der Älteste, ein Bruder und eine +Schwester waren bei weitem jünger als ich. Als ich zwanzig Jahre alt +war, rief mich ein Bruder meines Vaters zu sich. Er setzte mich zum +Erben seiner Güter ein, mit der Bedingung, daß ich bis zu seinem Tode +bei ihm bleibe. Aber er erreichte ein hohes Alter, so daß ich erst +vor zwei Jahren in meine Heimat zurückkehrte und nichts davon wußte, +welch schreckliches Schicksal indes mein Haus betroffen und wie gütig +Allah es gewendet hatte." + + + + +Die Errettung Fatmes + +Wilhelm Hauff + + +Mein Bruder Mustapha und meine Schwester Fatme waren beinahe in +gleichem Alter; jener hatte höchstens zwei Jahre voraus. Sie liebten +einander innig und trugen vereint alles bei, was unserem kränklichen +Vater die Last seines Alters erleichtern konnte. An Fatmes +sechzehntem Geburtstage veranstaltete der Bruder ein Fest. Er ließ +alle ihre Gespielinnen einladen, setzte ihnen in dem Garten des +Vaters ausgesuchte Speisen vor, und als es Abend wurde, lud er sie +ein, auf einer Barke, die er gemietet und festlich geschmückt hatte, +ein wenig hinaus in die See zu fahren. Fatme und ihre Gespielinnen +willigten mit Freuden ein; denn der Abend war schön, und die Stadt +gewährte besonders abends, von dem Meere aus betrachtet, einen +herrlichen Anblick. Den Mädchen aber gefiel es so gut auf der Barke, +daß sie meinen Bruder bewogen, immer weiter in die See hinauszufahren. +Mustapha gab aber ungern nach, weil sich vor einigen Tagen ein +Korsar hatte sehen lassen. Nicht weit von der Stadt zieht sich ein +Vorgebirge in das Meer. Dorthin wollten noch die Mädchen, um von da +die Sonne in das Meer sinken zu sehen. Als sie um das Vorgebirg' +herumruderten, sahen sie in geringer Entfernung eine Barke, die mit +Bewaffneten besetzt war. Nichts Gutes ahnend, befahl mein Bruder den +Ruderern, sein Schiff zu drehen und dem Lande zuzurudern. Wirklich +schien sich auch seine Besorgnis zu bestätigen; denn jene Barke kam +der meines Bruders schnell nach, überholte sie, da sie mehr Ruder +hatte, und hielt sich immer zwischen dem Land, und unserer Barke. +Die Mädchen aber, als sie die Gefahr erkannten, in der sie schwebten, +sprangen auf und schrien und klagten; umsonst suchte sie Mustapha zu +beruhigen, umsonst stellte er ihnen vor, ruhig zu bleiben, weil sie +durch ihr Hin- und Herrennen die Barke in Gefahr brächten +umzuschlagen. Es half nichts, und da sie sich endlich bei Annäherung +des anderen Bootes alle auf die hintere Seite der Barke stürzten, +schlug diese um. Indessen aber hatte man vom Land aus die Bewegungen +des fremden Bootes beobachtet, und da man schon seit einiger Zeit +Besorgnisse wegen Korsaren hegte, hatte dieses Boot Verdacht erregt, +und mehrere Barken stießen vom Lande, um den Unsrigen beizustehen. +Aber sie kamen nur noch zu rechter Zeit, um die Untersinkenden +aufzunehmen. In der Verwirrung war das feindliche Boot entwischt, +auf den beiden Barken aber, welche die Geretteten aufgenommen hatten, +war man ungewiß, ob alle gerettet seien. Man näherte sich +gegenseitig, und ach! Es fand sich, daß meine Schwester und eine +ihrer Gespielinnen fehlten; zugleich entdeckte man aber einen Fremden +in einer der Barken, den niemand kannte. Auf die Drohungen Mustaphas +gestand er, daß er zu dem feindlichen Schiff, das zwei Meilen +ostwärts vor Anker liege, gehöre, und daß ihn seine Gefährten auf +ihrer eiligen Flucht im Stich gelassen hätten, indem er im Begriff +gewesen sei, die Mädchen auffischen zu helfen; auch sagte er aus, daß +er gesehen habe, wie man zwei derselben in das Schiff gezogen. + +Der Schmerz meines alten Vaters war grenzenlos, aber auch Mustapha +war bis zum Tod betrübt, denn nicht nur, daß seine geliebte Schwester +verloren war und daß er sich anklagte, an ihrem Unglück schuld zu +sein--jene Freundin Fatmes, die ihr Unglück teilte, war von ihren +Eltern ihm zur Gattin zugesagt gewesen, und nur unserem Vater hatte +er es noch nicht zu gestehen gewagt, weil ihre Eltern arm und von +geringer Abkunft waren. Mein Vater aber war ein strenger Mann; als +sein Schmerz sich ein wenig gelegt hatte, ließ er Mustapha vor sich +kommen und sprach zu ihm: "Deine Torheit hat mir den Trost meines +Alters und die Freude meiner Augen geraubt. Gehe hin, ich verbanne +dich auf ewig von meinem Angesicht, ich fluche dir und deinen +Nachkommen, aber nur, wenn du mir Fatme wiederbringst, soll dein +Haupt rein sein von dem Fluche des Vaters." + +Dies hatte mein armer Bruder nicht erwartet; schon vorher hatte er +sich entschlossen gehabt, seine Schwester und ihre Freundin +aufzusuchen, und wollte sich nur noch den Segen des Vaters dazu +erbitten, und jetzt schickte er ihn, mit dem Fluch beladen, in die +Welt. Aber hatte ihn jener Jammer vorher gebeugt, so stählte jetzt +die Fülle des Unglücks, das er nicht verdient hatte, seinen Mut. + +Er ging zu dem gefangenen Seeräuber und befragte ihn, wohin die Fahrt +seines Schiffes ginge, und erfuhr, daß sie Sklavenhandel trieben und +gewöhnlich in Balsora großen Markt hielten. + +Als er wieder nach Hause kam, um sich zur Reise anzuschicken, schien +sich der Zorn des Vaters ein wenig gelegt zu haben, denn er sandte +ihm einen Beutel mit Gold zur Unterstützung auf der Reise. Mustapha +aber nahm weinend von den Eltern Zoraides, so hieß seine geliebte +Braut, Abschied und machte sich auf den Weg nach Balsora. + +Mustapha machte die Reise zu Land, weil von unserer kleinen Stadt aus +nicht gerade ein Schiff nach Balsora ging. Er mußte daher sehr +starke Tagreisen machen, um nicht zu lange nach den Seeräubern nach +Balsora zu kommen; doch da er ein gutes Roß und kein Gepäck hatte, +konnte er hoffen, diese Stadt am Ende des sechsten Tages zu erreichen. +Aber am Abend des vierten Tages, als er ganz allein seines Weges +ritt, fielen ihn plötzlich drei Männer an. Da er merkte, daß sie gut +bewaffnet und stark seien und daß es mehr auf sein Geld und sein Roß +als auf sein Leben abgesehen war, so rief er ihnen zu, daß er sich +ihnen ergeben wolle. Sie stiegen von ihren Pferden ab und banden ihm +die Füße unter dem Bauch seines Tieres zusammen; ihn selbst aber +nahmen sie in die Mitte und trabten, indem einer den Zügel seines +Pferdes ergriff, schnell mit ihm davon, ohne jedoch ein Wort zu +sprechen. + +Mustapha gab sich einer dumpfen Verzweiflung hin, der Fluch seines +Vaters schien schon jetzt an dem Unglücklichen in Erfüllung zu gehen, +und wie konnte er hoffen, seine Schwester und Zoraide zu retten, wenn +er, aller Mittel beraubt, nur sein ärmliches Leben zu ihrer Befreiung +aufwenden konnte. Mustapha und seine stummen Begleiter mochten wohl +eine Stunde geritten sein, als sie in ein kleines Seitental einbogen. +Das Tälchen war von hohen Bäumen eingefaßt; ein weicher dunkelgrüner +Rasen, ein Bach, der schnell durch seine Mitte hinrollte, luden zur +Ruhe ein. Wirklich sah er auch fünfzehn bis zwanzig Zelte dort +aufgeschlagen; an den Pflöcken der Zelte waren Kamele und schöne +Pferde angebunden, aus einem der Zelte hervor tönte die lustige Weise +einer Zither und zweier schöner Männerstimmen. Meinem Bruder schien +es, als ob Leute, die ein so fröhliches Lagerplätzchen sich erwählt +hatten, nichts Böses gegen ihn im Sinne haben könnten, und er folgte +also ohne Bangigkeit dem Ruf seiner Führer, die, als sie seine Bande +gelöst hatten, ihm winkten, abzusteigen. Man führte ihn in ein Zelt, +das größer als die übrigen und im Innern hübsch, fast zierlich +aufgeputzt war. Prächtige, goldbestickte Polster, gewirkte +Fußteppiche, übergoldete Rauchpfannen hätten anderswo Reichtum und +Wohlleben verraten; hier schienen sie nur kühner Raub. Auf einem der +Polster saß ein alter kleiner Mann; sein Gesicht war häßlich, seine +Haut schwarzbraun und glänzend, und ein widriger Zug von tückischer +Schlauheit um Augen und Mund machte seinen Anblick verhaßt. Obgleich +sich dieser Mann einiges Ansehen zu geben suchte, so merkte doch +Mustapha bald, daß nicht für ihn das Zelt so reich geschmückt sei, +und die Unterredung seiner Führer schien seine Bemerkung zu +bestätigen. "Wo ist der Starke?" fragten sie den Kleinen. + +"Er ist auf der kleinen Jagd", antwortete jener, "aber er hat mir +aufgetragen, seine Stelle zu versehen." + +"Das hat er nicht gescheit gemacht", entgegnete einer der Räuber, +"denn es muß sich bald entscheiden, ob dieser Hund sterben oder +zahlen soll, und das weiß der Starke besser als du." + +Der kleine Mann erhob sich im Gefühl seiner Würde, streckte sich lang +aus, um mit der Spitze seiner Hand das Ohr seines Gegners zu +erreichen, denn er schien Lust zu haben, sich durch einen Schlag zu +rächen, als er aber sah, daß seine Bemühung fruchtlos sei, fing er an +zu schimpfen (und wahrlich! Die anderen blieben ihm nichts schuldig), +daß das Zelt von ihrem Streit erdröhnte. Da tat sich auf einmal die +Türe des Zeltes auf, und herein trat ein hoher, stattlicher Mann, +jung und schön wie ein Perserprinz; seine Kleidung und seine Waffen +waren, außer einem reichbesetzten Dolch und einem glänzenden Säbel, +gering und einfach; aber sein ernstes Auge, sein ganzer Anstand gebot +Achtung, ohne Furcht einzuflößen. + +"Wer ist's, der es wagt, in meinem Zelte Streit zu beginnen?" rief er +den Erschrockenen zu. Eine Zeitlang herrschte tiefe Stille; endlich +erzählte einer von denen, die Mustapha hergebracht hatten, wie es +gegangen sei. Da schien sich das Gesicht "des Starken", wie sie ihn +nannten, vor Zorn zu röten. "Wann hätte ich dich je an meine Stelle +gesetzt, Hassan?" schrie er mit furchtbarer Stimme dem Kleinen zu. +Dieser zog sich vor Furcht in sich selbst zusammen, daß er noch viel +kleiner aussah als zuvor, und schlich sich der Zelttüre zu. Ein +hinlänglicher Tritt des Starken machte, daß er in einem großen +sonderbaren Sprung zur Zelttüre hinausflog. + +Als der Kleine verschwunden war, führten die drei Männer Mustapha vor +den Herrn des Zeltes, der sich indes auf die Polster gelegt hatte. +"Hier bringen wir den, welchen du uns zu fangen befohlen hast." + +Jener blickte den Gefangenen lange an und sprach sodann: "Bassa von +Sulieika! Dein eigenes Gewissen wird dir sagen, warum du vor Orbasan +stehst." + +Als mein Bruder dies hörte, warf er sich nieder vor jenem und +antwortete: "O Herr! Du scheinst im Irrtum zu sein. Ich bin ein +armer Unglücklicher, aber nicht der Bassa, den du suchst!" + +Alle im Zelt waren über diese Rede erstaunt. Der Herr des Zeltes +aber sprach: "Es kann dir wenig helfen, dich zu verstellen; denn ich +will die Leute vorführen, die dich wohl kennen." Er befahl, Zuleima +vorzufahren. Man brachte ein altes Weib in das Zelt, das auf die +Frage, ob sie in meinem Bruder nicht den Bassa von Sulieika erkenne, +antwortete: "Jawohl!" Und sie schwöre es beim Grab des Propheten, es +sei der Bassa und kein anderer. + +"Siehst du, Erbärmlicher, wie deine List zu Wasser geworden ist!" +begann zürnend der Starke. "Du bist mir zu elend, als daß ich meinen +guten Dolch mit deinem Blut besudeln sollte, aber an den Schweif +meines Rosses will ich dich binden, morgen, wenn die Sonne aufgeht, +und durch die Wälder mit dir jagen, bis sie scheidet hinter die Hügel +von Sulieika!" + +Da sank meinem armen Bruder der Mut. "Das ist der Fluch meines +harten Vaters, der mich zum schmachvollen Tode treibt", rief er +weinend, "und auch du bist verloren, süße Schwester, auch du, Zoraide!" + +"Deine Verstellung hilft dir nichts", sprach einer der Räuber, indem +er ihm die Hände auf den Rücken band, "mach, daß du aus dem Zelte +kommst! Denn der Starke beißt sich in die Lippen und blickt nach +seinem Dolch. Wenn du noch eine Nacht leben willst, so komm!" + +Als die Räuber gerade meinen Bruder aus dem Zelt führen wollten, +begegneten sie drei anderen, die einen Gefangenen vor sich hintrieben. +Sie traten mit ihm ein. "Hier bringen wir den Bassa, wie du uns +befohlen hast", sprachen sie und führten den Gefangenen vor das +Polster des Starken. Als der Gefangene dorthin geführt wurde, hatte +mein Bruder Gelegenheit, ihn zu betrachten, und ihm selbst fiel die +Ähnlichkeit auf, die dieser Mann mit ihm hatte, nur war er dunkler im +Gesicht und hatte einen schwärzeren Bart. + +Der Starke schien sehr erstaunt über die Erscheinung des zweiten +Gefangenen. "Wer von euch ist denn der Rechte?" sprach er, indem er +bald meinen Bruder, bald den anderen Mann ansah. + +"Wenn du den Bassa von Sulieika meinst", antwortete in stolzem Ton +der Gefangene, "der bin ich!" Der Starke sah ihn lange mit seinem +ernsten, furchtbaren Blick an; dann winkte er schweigend, den Bassa +wegzuführen. + +Als dies geschehen war, ging er auf meinen Bruder zu, zerschnitt +seine Bande mit dem Dolch und winkte ihm, sich zu ihm aufs Polster zu +setzen. "Es tut mir leid, Fremdling", sagte er, "daß ich dich für +jenes Ungeheuer hielt; schreibe es aber einer sonderbaren Fügung des +Himmels zu, die dich gerade in der Stunde, welche dem Untergang jenes +Verruchten geweiht war, in die Hände meiner Brüder führte." Mein +Bruder bat ihn um die einzige Gunst, ihn gleich wieder weiterreisen +zu lassen, weil jeder Aufschub ihm verderblich werden könne. Der +Starke erkundigte sich nach seinen eiligen Geschäften, und als ihm +Mustapha alles erzählt hatte, überredete ihn jener, diese Nacht in +seinem Zelt zu bleiben, er und sein Roß werden der Ruhe bedürfen; den +folgenden Tag aber wolle er ihm einen Weg zeigen, der ihn in +anderthalb Tagen nach Balsora bringe--Mein Bruder schlug ein, wurde +trefflich bewirtet und schlief sanft bis zum Morgen in dem Zelt des +Räubers. + +Als er aufgewacht war, sah er sich ganz allein im Zelt; vor dem +Vorhang des Zeltes aber hörte er mehrere Stimmen zusammen sprechen, +die dem Herrn des Zeltes und dem kleinen schwarzbraunen Mann +anzugehören schienen. Er lauschte ein wenig und hörte zu seinem +Schrecken, daß der Kleine dringend den anderen aufforderte, den +Fremden zu töten, weil er, wenn er freigelassen würde, sie alle +verraten könnte. + +Mustapha merkte gleich, daß der Kleine ihm gram sei, weil er die +Ursache war, daß er gestern so übel behandelt wurde; der Starke +schien sich einige Augenblicke zu besinnen. "Nein", sprach er, "er +ist mein Gastfreund, und das Gastrecht ist mir heilig; auch sieht er +mir nicht aus, als ob er uns verraten wollte." + +Als er so gesprochen, schlug er den Vorhang zurück und trat ein. +"Friede sei mit dir, Mustapha!" sprach er, "laß uns den Morgentrunk +kosten, und rüste dich dann zum Aufbruch!" Er reichte meinem Bruder +einen Becher Sorbet, und als sie getrunken hatten, zäumten sie die +Pferde auf, und wahrlich, mit leichterem Herzen, als er gekommen war, +schwang sich Mustapha aufs Pferd. Sie hatten bald die Zelte im +Rücken und schlugen dann einen breiten Pfad ein, der in den Wald +führte. Der Starke erzählte meinem Bruder, daß jener Bassa, den sie +auf der Jagd gefangen hätten, ihnen versprochen habe, sie ungefährdet +in seinem Gebiete zu dulden; vor einigen Wochen aber habe er einen +ihrer tapfersten Männer aufgefangen und nach den schrecklichsten +Martern aufhängen lassen. Er habe ihm nun lange auflauern lassen, +und heute noch müsse er sterben. Mustapha wagte es nicht, etwas +dagegen einzuwenden; denn er war froh, selbst mit heiler Haut +davongekommen zu sein. + +Am Ausgang des Waldes hielt der Starke sein Pferd an, beschrieb +meinem Bruder den Weg, bot ihm die Hand zum Abschied und sprach: +"Mustapha, du bist auf sonderbare Weise der Gastfreund des Räubers +Orbasan geworden; ich will dich nicht auffordern, nicht zu verraten, +was du gesehen und gehört hast. Du hast ungerechterweise Todesangst +ausgestanden, und ich bin dir Vergütung schuldig. Nimm diesen Dolch +als Andenken, und so du Hilfe brauchst, so sende ihn mir zu, und ich +will eilen, dir beizustehen. Diesen Beutel aber kannst du vielleicht +zu deiner Reise brauchen." Mein Bruder dankte ihm für seinen Edelmut; +er nahm den Dolch, den Beutel aber schlug er aus. Doch Orbasan +drückte ihm noch einmal die Hand, ließ den Beutel auf die Erde fallen +und sprengte mit Sturmeseile in den Wald. Als Mustapha sah, daß er +ihn doch nicht mehr werde einholen können, stieg er ab, um den Beutel +aufzuheben, und erschrak über die Größe von seines Gastfreundes +Großmut; denn der Beutel enthielt eine Menge Gold. Er dankte Allah +für seine Rettung, empfahl ihm den edlen Räuber in seine Gnade und +zog dann heiteren Mutes weiter auf seinem Wege nach Balsora. + +Lezah schwieg und sah Achmet, den alten Kaufmann, fragend an. "Nein, +wenn es so ist", sprach dieser, "so verbessere ich gern mein Urteil +von Orbasan; denn wahrlich, an deinem Bruder hat er schön gehandelt." + +"Er hat getan wie ein braver Muselmann", rief Muley; "aber ich hoffe, +du hast deine Geschichte damit nicht geschlossen; denn wie mich +bedünkt, sind wir alle begierig, weiter zu hören, wie es deinem +Bruder erging und ob er Fatme, deine Schwester, und die schöne +Zoraide befreit hat." + +"Wenn ich euch nicht damit langweile, erzähle ich gerne weiter", +entgegnete Lezah, "denn die Geschichte meines Bruders ist allerdings +abenteuerlich und wundervoll." + +Am Mittag des siebenten Tages nach seiner Abreise zog Mustapha in die +Tore von Balsora ein. Sobald er in einer Karawanserei abgestiegen +war, fragte er, wann der Sklavenmarkt, der alljährlich hier gehalten +werde, anfange. Aber er erhielt die Schreckensantwort, daß er zwei +Tage zu spät komme. Man bedauerte seine Verspätung und erzählte ihm, +daß er viel verloren habe; denn noch an dem letzten Tage des Marktes +seien zwei Sklavinnen angekommen, von so hoher Schönheit, daß sie die +Augen aller Käufer auf sich gezogen hätten. Man habe sich ordentlich +um sie gerissen und geschlagen, und sie seien freilich auch zu einem +so hohen Preise verkauft worden, daß ihn nur ihr jetziger Herr nicht +habe scheuen können. Er erkundigte sich näher nach diesen beiden, +und es blieb ihm kein Zweifel, daß es die Unglücklichen seien, die er +suchte. Auch erfuhr er, daß der Mann, der sie beide gekauft habe, +vierzig Stunden von Balsora wohne und Thiuli-Kos heiße, ein vornehmer, +reicher, aber schon ältlicher Mann, der früher Kapudan-Bassa des +Großherrn gewesen, jetzt aber sich mit seinen gesammelten Reichtümern +zur Ruhe gesetzt habe. + +Mustapha wollte von Anfang sich gleich wieder zu Pferd setzen, um dem +Thiuli-Kos, der kaum einen Tag Vorsprung haben konnte, nachzueilen. +Als er aber bedachte, daß er als einzelner Mann dem mächtigen +Reisenden doch nichts anhaben noch weniger seine Beute ihm abjagen +konnte, sann er auf einen anderen Plan und hatte ihn auch bald +gefunden. Die Verwechslung mit dem Bassa von Sulieika, die ihm +beinahe so gefährlich geworden wäre, brachte ihn auf den Gedanken, +unter diesem Namen in das Haus des Thiuli-Kos zu gehen und so einen +Versuch zur Rettung der beiden unglücklichen Mädchen zu wagen. Er +mietete daher einige Diener und Pferde, wobei ihm Orbasans Geld +trefflich zustatten kam, schaffte sich und seinen Dienern prächtige +Kleider an und machte sich auf den Weg nach dem Schlosse Thiulis. +Nach fünf Tagen war er in die Nähe dieses Schlosses gekommen. Es lag +in einer schönen Ebene und war rings von hohen Mauern umschlossen, +die nur ganz wenig von den Gebäuden überragt wurden. Als Mustapha +dort angekommen war, färbte er Haar und Bart schwarz, sein Gesicht +aber bestrich er mit dem Saft einer Pflanze, die ihm eine bräunliche +Farbe gab, ganz wie sie jener Bassa gehabt hatte. Er schickte +hierauf einen seiner Diener in das Schloß und ließ im Namen des Bassa +von Sulieika um ein Nachtlager bitten. Der Diener kam bald wieder, +und mit ihm vier schöngekleidete Sklaven, die Mustaphas Pferd am +Zügel nahmen und in den Schloßhof führten. Dort halfen sie ihm +selbst vom Pferd, und vier andere geleiteten ihn eine breite +Marmortreppe hinauf zu Thiuli. + +Dieser, ein alter, lustiger Geselle, empfing meinen Bruder +ehrerbietig und ließ ihm das Beste, was sein Koch zubereiten konnte, +aufsetzen. Nach Tisch brachte Mustapha das Gespräch nach und nach +auf die neuen Sklavinnen, und Thiuli rühmte ihre Schönheit und +beklagte nur, daß sie immer so traurig seien; doch er glaubte, dieses +würde sich bald geben. Mein Bruder war sehr vergnügt über diesen +Empfang und legte sich mit den schönsten Hoffnungen zur Ruhe nieder. + +Er mochte ungefähr eine Stunde geschlafen haben, da weckte ihn der +Schein einer Lampe, der blendend auf sein Auge fiel. Als er sich +aufrichtete, glaubte er noch zu träumen; denn vor ihm stand jener +kleine, schwarzbraune Kerl aus Orbasans Zelt, eine Lampe in der Hand, +sein breites Maul zu einem widrigen Lächeln verzogen. Mustapha +zwickte sich in den Arm, zupfte sich an der Nase, um sich zu +überzeugen, ob er denn wache; aber die Erscheinung blieb wie zuvor. +"Was willst du an meinem Bette?" rief Mustapha, als er sich von +seinem Erstaunen erholt hatte. + +"Bemühet Euch doch nicht so, Herr!" sprach der Kleine. "Ich habe +wohl erraten, weswegen Ihr hierherkommt. Auch war mir Euer wertes +Gesicht noch wohl erinnerlich; doch wahrlich, wenn ich nicht den +Bassa mit eigener Hand hätte erhängen helfen, so hättet Ihr mich +vielleicht getäuscht. Jetzt aber bin ich da, um eine Frage zu machen." + +"Vor allem sage, wie du hierherkommst", entgegnete ihm Mustapha voll +Wut, daß er verraten war. + +"Das will ich Euch sagen", antwortete jener, "ich konnte mich mit dem +Starken nicht länger vertragen, deswegen floh ich; aber du, Mustapha, +warst eigentlich die Ursache unseres Streites, und dafür mußt du mir +deine Schwester zur Frau geben, und ich will Euch zur Flucht +behilflich sein; gibst du sie nicht, so gehe ich zu meinem neuen +Herrn und erzähle ihm etwas von dem neuen Bassa." + +Mustapha war vor Schrecken und Wut außer sich; jetzt, wo er sich am +sicheren Ziel seiner Wünsche glaubte, sollte dieser Elende kommen und +sie vereiteln; es war nur ein Mittel, das seinen Plan retten konnte: +Er mußte das kleine Ungetüm töten. Mit einem Sprung fuhr er daher +aus dem Bette auf den Kleinen zu; doch dieser, der etwas Solches +geahnt haben mochte, ließ die Lampe fallen, daß sie verlöschte, und +entsprang im Dunkeln, indem er mörderisch um Hilfe schrie. + +Jetzt war guter Rat teuer; die Mädchen mußte er für den Augenblick +aufgeben und nur auf die eigene Rettung denken; daher ging er an das +Fenster, um zu sehen, ob er nicht entspringen könnte. Es war eine +ziemliche Tiefe bis zum Boden, und auf der anderen Seite stand eine +hohe Mauer, die zu übersteigen war. Sinnend stand er an dem Fenster; +da hörte er viele Stimmen sich seinem Zimmer nähern; schon waren sie +an der Türe; da faßte er verzweiflungsvoll seinen Dolch und seine +Kleider und schwang sich zum Fenster hinaus. Der Fall war hart; aber +er fühlte, daß er kein Glied gebrochen hatte; drum sprang er auf und +lief der Mauer zu, die den Hof umschloß, stieg, zum Erstaunen seiner +Verfolger, hinauf und befand sich bald im Freien. Er floh, bis er an +einen kleinen Wald kam, wo er sich erschöpft niederwarf. Hier +überlegte er, was zu tun sei. + +Seine Pferde und seine Diener hatte er im Stiche lassen müssen; aber +sein Geld, das er in dem Gürtel trug, hatte er gerettet. + +Sein erfinderischer Kopf zeigte ihm bald einen anderen Weg zur +Rettung. Er ging in dem Wald weiter, bis er an ein Dorf kam, wo er +um geringen Preis ein Pferd kaufte, das ihn in Bälde in eine Stadt +trug. Dort forschte er nach einem Arzt, und man riet ihm einen alten, +erfahrenen Mann. Diesen bewog er durch einige Goldstücke, daß er +ihm eine Arznei mitteilte, die einen todähnlichen Schlaf herbeiführte, +der durch ein anderes Mittel augenblicklich wieder gehoben werden +könnte. Als er im Besitz dieses Mittels war, kaufte er sich einen +langen falschen Bart, einen schwarzen Talar und allerlei Büchsen und +Kolben, so daß er füglich einen reisenden Arzt vorstellen konnte, lud +seine Sachen auf einen Esel und reiste in das Schloß des Thiuli-Kos +zurück. Er durfte gewiß sein, diesmal nicht erkannt zu werden, denn +der Bart entstellte ihn so, daß er sich selbst kaum mehr kannte. Bei +Thiuli angekommen, ließ er sich als den Arzt Chakamankabudibaba +anmelden, und, wie er es gedacht hatte, geschah es; der prachtvolle +Namen empfahl ihn bei dem alten Narren ungemein, so daß er ihn gleich +zur Tafel einlud. + +Chakamankabudibaba erschien vor Thiuli, und als sie sich kaum eine +Stunde besprochen hatten, beschloß der Alte, alle seine Sklavinnen +der Kur des weisen Arztes zu unterwerfen. Dieser konnte seine Freude +kaum verbergen, daß er jetzt seine geliebte Schwester wiedersehen +solle, und folgte mit klopfendem Herzen Thiuli, der ihn ins Serail +führte. Sie waren in ein Zimmer gekommen, das schön ausgeschmückt +war, worin sich aber niemand befand. "Chambaba oder wie du heißt, +lieber Arzt", sprach Thiuli-Kos, "betrachte einmal jenes Loch dort in +der Mauer, dort wird jede meiner Sklavinnen einen Arm herausstrecken, +und du kannst dann untersuchen, ob der Puls krank oder gesund ist." +Mustapha mochte einwenden, was er wollte, zu sehen bekam er sie nicht; +doch willigte Thiuli ein, daß er ihm allemal sagen wolle, wie sie +sich sonst gewöhnlich befänden. Thiuli zog nun einen langen Zettel +aus dem Gürtel und begann mit lauter Stimme seine Sklavinnen einzeln +beim Namen zu rufen, worauf allemal eine Hand aus der Mauer kam und +der Arzt den Puls untersuchte. Sechs waren schon abgelesen und +sämtlich für gesund erklärt; da las Thiuli als die siebente "Fatme" +ab, und eine kleine weiße Hand schlüpfte aus der Mauer. Zitternd vor +Freude, ergreift Mustapha diese Hand und erklärt sie mit wichtiger +Miene für bedeutend krank. Thiuli ward sehr besorgt und befahl +seinem weisen Chakamankabudibaba, schnell eine Arznei für sie zu +bereiten. Der Arzt ging hinaus, schrieb auf einen kleinen Zettel: +Fatme! Ich will Dich retten, wenn Du Dich entschließen kannst, eine +Arznei zu nehmen, die Dich auf zwei Tage tot macht; doch ich besitze +das Mittel, Dich wieder zum Leben zu bringen. Willst Du, so sage nur, +dieser Trank habe nicht geholfen, und es soll mir ein Zeichen sein, +daß Du einwilligst. + +Bald kam er in das Zimmer zurück, wo Thiuli seiner harrte. Er +brachte ein unschädliches Tränklein mit, fühlte der kranken Fatme +noch einmal den Puls und schob ihr zugleich den Zettel unter ihr +Armband; das Tränklein aber reichte er ihr durch die Öffnung in der +Mauer. Thiuli schien in großen Sorgen wegen Fatme zu sein und schob +die Untersuchung der übrigen bis auf eine gelegenere Zeit auf. Als +er mit Mustapha das Zimmer verlassen hatte, sprach er in traurigem +Ton: "Chadibaba, sage aufrichtig, was hältst du von Fatmes Krankheit?" + +Chakamankabudibaba antwortete mit einem tiefen Seufzer: "Ach Herr, +möge der Prophet dir Trost verleihen! Sie hat ein schleichendes +Fieber, das ihr wohl den Garaus machen kann." Da entbrannte der Zorn +Thiulis: "Was sagst du, verfluchter Hund von einem Arzt? Sie, um die +ich zweitausend Goldstücke gab, soll mir sterben wie eine Kuh? Wisse, +wenn du sie nicht rettest, so hau' ich dir den Kopf ab!" Da merkte +mein Bruder, daß er einen dummen Streich gemacht habe, und gab Thiuli +wieder Hoffnung. Als sie noch so sprachen, kam ein schwarzer Sklave +aus dem Serail, dem Arzt zu sagen, daß das Tränklein nicht geholfen +habe. "Biete deine ganze Kunst auf, Chakamdababelba, oder wie du +dich schreibst, ich zahle dir, was du willst", schrie Thiuli-Kos, +fast heulend vor Angst, so viel Gold zu verlieren. + +"Ich will ihr ein Säftlein geben, das sie von aller Not befreit", +antwortete der Arzt. + +"Ja! Ja! Gib ihr ein Säftlein", schluchzte der alte Thiuli. + +Frohen Mutes ging Mustapha, seinen Schlaftrunk zu holen, und als er +ihn dem schwarzen Sklaven gegeben und gezeigt hatte, wieviel man auf +einmal nehmen müsse, ging er zu Thiuli und sagte, er müsse noch +einige heilsame Kräuter am See holen, und eilte zum Tor hinaus. An +dem See, der nicht weit von dem Schloß entfernt war, zog er seine +falschen Kleider aus und warf sie ins Wasser, daß sie lustig +umherschwammen; er selbst aber verbarg sich im Gesträuch, wartete die +Nacht ab und schlich sich dann in den Begräbnisplatz an dem Schlosse +Thiulis. + +Als Mustapha kaum eine Stunde lang aus dem Schloß abwesend sein +mochte, brachte man Thiuli die schreckliche Nachricht, daß seine +Sklavin Fatme im Sterben liege. Er schickte hinaus an den See, um +schnell den Arzt zu holen; aber bald kehrten seine Boten allein +zurück und erzählten ihm, daß der arme Arzt ins Wasser gefallen und +ertrunken sei; seinen schwarzen Talar sehe man im See schwimmen, und +hier und da gucke auch sein stattlicher Bart aus den Wellen hervor. +Als Thiuli keine Rettung mehr sah, verwünschte er sich und die ganze +Welt, raufte sich den Bart aus und rannte mit dem Kopf gegen die +Mauer. Aber alles dies konnte nichts helfen; denn Fatme gab bald +unter den Händen der übrigen Weiber den Geist auf. Als Thiuli die +Nachricht ihres Todes hörte, befahl er, schnell einen Sarg zu machen; +denn er konnte keinen Toten im Hause leiden und ließ den Leichnam in +das Begräbnishaus tragen. Die Träger brachten den Sarg dorthin, +setzten ihn schnell nieder und entflohen, denn sie hatten unter den +übrigen Särgen Stöhnen und Seufzen gehört. + +Mustapha, der sich hinter den Särgen verborgen und von dort aus die +Träger des Sarges in die Flucht gejagt hatte, kam hervor und zündete +sich eine Lampe an, die er zu diesem Zweck mitgebracht hatte. Dann +zog er ein Glas hervor, das die erweckende Arznei enthielt, und hob +dann den Deckel von Fatmes Sarg. Aber welches Entsetzen befiel ihn, +als sich ihm beim Scheine der Lampe ganz fremde Züge zeigten! Weder +meine Schwester noch Zoraide, sondern eine ganz andere lag in dem +Sarg. Er brauchte lange, um sich von dem neuen Schlag des Schicksals +zu fassen; endlich überwog doch Mitleid seinen Zorn. Er öffnete sein +Glas und flößte ihr die Arznei ein. Sie atmete, sie schlug die Augen +auf und schien sich lange zu besinnen, wo sie sei. Endlich erinnerte +sie sich des Vorgefallenen; sie stand auf aus dem Sarg und stürzte zu +Mustaphas Füßen. "Wie kann ich dir danken, gütiges Wesen", rief sie +aus, "daß du mich aus meiner schrecklichen Gefangenschaft befreitest!" +Mustapha unterbrach ihre Danksagungen mit der Frage, wie es denn +geschehen sei, daß sie und nicht Fatme, seine Schwester, gerettet +worden sei? Jene sah ihn staunend an. "Jetzt wird mir meine Rettung +erst klar, die mir vorher unbegreiflich war", antwortete sie; "wisse, +man hieß mich in jenem Schloß Fatme, und mir hast du deinen Zettel +und den Rettungstrank gegeben." Mein Bruder forderte die Gerettete +auf, ihm von seiner Schwester und Zoraide Nachricht zu geben, und +erfuhr, daß sie sich beide im Schloß befanden, aber nach der +Gewohnheit Thiulis andere Namen bekommen hatten; sie hießen jetzt +Mirza und Nurmahal." + +Als Fatme, die gerettete Sklavin, sah, daß mein Bruder durch diesen +Fehlgriff so niedergeschlagen sei, sprach sie ihm Mut ein und +versprach, ihm ein Mittel zu sagen, wie er jene beiden Mädchen +dennoch retten könne. Aufgeweckt durch diesen Gedanken, schöpfte +Mustapha von neuem Hoffnung und bat sie, dieses Mittel ihm zu nennen, +und sie sprach: + +"Ich bin zwar erst seit fünf Monaten die Sklavin Thiulis, doch habe +ich gleich von Anfang auf Rettung gesonnen; aber für mich allein war +sie zu schwer. In dem inneren Hof des Schlosses wirst du einen +Brunnen bemerkt haben, der aus zehn Röhren Wasser speit; dieser +Brunnen fiel mir auf. Ich erinnerte mich, in dem Hause meines Vaters +einen ähnlichen gesehen zu haben, dessen Wasser durch eine geräumige +Wasserleitung herbeiströmt; um nun zu erfahren, ob dieser Brunnen +auch so gebaut ist, rühmte ich eines Tages vor Thiuli seine Pracht +und fragte nach seinem Baumeister. *Ich selbst habe ihn gebaut*, +antwortete er, *und das, was du hier siehst, ist noch das Geringste; +aber das Wasser dazu kommt wenigstens tausend Schritte weit von einem +Bach her und geht durch eine gewölbte Wasserleitung, die wenigstens +mannshoch ist; und alles dies habe ich selbst angegeben.* Als ich +dies gehört hatte, wünschte ich mir oft, nur auf einen Augenblick die +Stärke eines Mannes zu haben, um einen Stein an der Seite des +Brunnens ausheben zu können; dann könnte ich fliehen, wohin ich +wollte. Die Wasserleitung nun will ich dir zeigen; durch sie kannst +du nachts in das Schloß gelangen und jene befreien. Aber du mußt +wenigstens noch zwei Männer bei dir haben, um die Sklaven, die das +Serail bei Nacht bewachen, zu überwältigen." + +So sprach sie; mein Bruder Mustapha aber, obgleich schon zweimal in +seinen Hoffnungen getäuscht, faßte noch einmal Mut und hoffte mit +Allahs Hilfe den Plan der Sklavin auszuführen. Er versprach ihr, für +ihr weiteres Fortkommen in ihre Heimat zu sorgen, wenn sie ihm +behilflich sein wollte, ins Schloß zu gelangen. Aber ein Gedanke +machte ihm noch Sorge, nämlich der, woher er zwei oder drei treue +Gehilfen bekommen könnte. Da fiel ihm Orbasans Dolch ein und das +Versprechen, das ihm jener gegeben hatte, ihm, wo er seiner bedürfe, +zu Hilfe zu eilen, und er machte sich daher mit Fatme aus dem +Begräbnis auf, um den Räuber aufzusuchen. + +In der nämlichen Stadt, wo er sich zum Arzt umgewandelt hatte, kaufte +er um sein letztes Geld ein Roß und mietete Fatme bei einer armen +Frau in der Vorstadt ein. Er selbst aber eilte dem Gebirge zu, wo er +Orbasan zum erstenmal getroffen hatte, und gelangte in drei Tagen +dahin. Er fand bald wieder jene Zelte und trat unverhofft vor +Orbasan, der ihn freundlich bewillkommnete. Er erzählte ihm seine +mißlungenen Versuche, wobei sich der ernsthafte Orbasan nicht +enthalten konnte, hier und da ein wenig zu lachen, besonders, wenn er +sich den Arzt Chakamankabudibaba dachte. Über die Verräterei des +Kleinen aber war er wütend; er schwur, ihn mit eigener Hand +aufzuhängen, wo er ihn finde. Meinem Bruder aber versprach er, +sogleich zur Hilfe bereit zu sein, wenn er sich vorher von der Reise +gestärkt haben würde. Mustapha blieb daher diese Nacht wieder in +Orbasans Zelt; mit dem ersten Frührot aber brachen sie auf, und +Orbasan nahm drei seiner tapfersten Männer, wohl beritten und +bewaffnet, mit sich. Sie ritten stark zu und kamen nach zwei Tagen +in die kleine Stadt, wo Mustapha die gerettete Fatme zurückgelassen +hatte. Von da aus reisten sie mit dieser weiter bis zu dem kleinen +Wald, von wo aus man das Schloß Thiulis in geringer Entfernung sehen +konnte; dort lagerten sie sich, um die Nacht abzuwarten. + +Sobald es dunkel wurde, schlichen sie sich, von Fatme geführt, an den +Bach, wo die Wasserleitung anfing, und fanden diese bald. Dort +ließen sie Fatme und einen Diener mit den Rossen zurück und schickten +sich an, hinabzusteigen; ehe sie aber hinabstiegen, wiederholte ihnen +Fatme noch einmal alles genau, nämlich: daß sie durch den Brunnen in +den inneren Schloßhof kämen, dort seien rechts und links in der Ecke +zwei Türme, in der sechsten Türe, vom Turme rechts gerechnet, +befänden sich Fatme und Zoraide, bewacht von zwei schwarzen Sklaven. +Mit Waffen und Brecheisen wohl versehen, stiegen Mustapha, Orbasan +und zwei andere Männer hinab in die Wasserleitung; sie sanken zwar +bis an den Gürtel ins Wasser; aber nichtsdestoweniger gingen sie +rüstig vorwärts. Nach einer halben Stunde kamen sie an den Brunnen +selbst und setzten sogleich ihre Brecheisen an. Die Mauer war dick +und fest; aber den vereinten Kräften der vier Männer konnte sie nicht +lange widerstehen; bald hatten sie eine Öffnung eingebrochen, groß +genug, um bequem durchschlüpfen zu können. Orbasan schlüpfte zuerst +durch und half den anderen nach. Als sie alle im Hof waren, +betrachteten sie die Seite des Schlosses, die vor ihnen lag, um die +beschriebene Türe zu erforschen. Aber sie waren nicht einig, welche +es sei; denn als sie von dem rechten Turm zum linken zählten, fanden +sie eine Türe, die zugemauert war, und wußten nun nicht, ob Fatme +diese übersprungen oder mitgezählt habe. Aber Orbasan besann sich +nicht lange. "Mein gutes Schwert wird mir jede Tür öffnen", rief er +aus, ging auf die sechste Türe zu, und die anderen folgten ihm. + +Sie öffneten die Türe und fanden sechs schwarze Sklaven auf dem Boden +liegend und schlafend; sie wollten schon wieder leise sich +zurückziehen, weil sie sahen, daß sie die rechte Türe verfehlt hatten, +als eine Gestalt in der Ecke sich aufrichtete und mit wohlbekannter +Stimme um Hilfe rief. Es war der Kleine aus Orbasans Lager. Aber +ehe noch die Schwarzen recht wußten, wie ihnen geschah, stürzte +Orbasan auf den Kleinen zu, riß seinen Gürtel entzwei, verstopfte ihm +den Mund und band ihm die Hände auf den Rücken; dann wandte er sich +an die Sklaven, wovon schon einige von Mustapha und den zwei anderen +halb gebunden waren, und half sie vollends überwältigen. Man setzte +den Sklaven den Dolch auf die Brust und fragte sie, wo Nurmahal und +Nürza wären, und sie gestanden, daß sie im Gemach nebenan seien. +Mustapha stürzte in das Gemach und fand Fatme und Zoraide, die der +Lärm erweckt hatte. Schnell rafften diese ihren Schmuck und ihre +Kleider zusammen und folgten Mustapha; die beiden Räuber schlugen +indes Orbasan vor, zu plündern, was man fände; doch dieser verbot es +ihnen und sprach: "Man soll nicht von Orbasan sagen können, daß er +nachts in die Häuser steige, um Gold zu stehlen!" Mustapha und die +Geretteten schlüpften schnell in die Wasserleitung, wohin ihnen +Orbasan sogleich zu folgen versprach. Als jene in die Wasserleitung +hinabgestiegen waren, nahmen Orbasan und einer der Räuber den Kleinen +und führten ihn hinaus in den Hof; dort banden sie ihm eine seidene +Schnur, die sie deshalb mitgenommen hatten, um den Hals und hingen +ihn an der höchsten Spitze des Brunnens auf. Nachdem sie so den +Verrat des Elenden bestraft hatten, stiegen sie selbst hinab in die +Wasserleitung und folgten Mustapha. Mit Tränen dankten die beiden +ihrem edelmütigen Retter Orbasan; doch dieser trieb sie eilends zur +Flucht an, denn es war sehr wahrscheinlich, daß sie Thiuli-Kos nach +allen Seiten verfolgen ließ. Mit tiefer Rührung trennten sich am +anderen Tag Mustapha und seine Geretteten von Orbasan; wahrlich, sie +werden ihn nie vergessen. Fatme aber, die befreite Sklavin, ging +verkleidet nach Balsora, um sich dort in ihre Heimat einzuschiffen. + +Nach einer kurzen und vergnügten Reise kamen die Meinigen in die +Heimat. Meinen alten Vater tötete beinahe die Freude des +Wiedersehens; den anderen Tag nach ihrer Ankunft veranstaltete er ein +großes Fest, an welchem die ganze Stadt teilnahm. Vor einer großen +Versammlung von Verwandten und Freunden mußte mein Bruder seine +Geschichte erzählen, und einstimmig priesen sie ihn und den edlen +Räuber. + +Als aber mein Bruder geschlossen hatte, stand mein Vater auf und +führte Zoraide ihm zu. "So löse ich denn", sprach er mit feierlicher +Stimme, "den Fluch von deinem Haupte; nimm diese hin als die +Belohnung, die du dir durch deinen rastlosen Eifer erkämpft hast; +nimm meinen väterlichen Segen, und möge es nie unserer Stadt an +Männern fehlen, die an brüderlicher Liebe, an Klugheit und Eifer dir +gleichen!" + +Die Karawane hatte das Ende der Wüste erreicht, und fröhlich +begrüßten die Reisenden die grünen Matten und die dichtbelaubten +Bäume, deren lieblichen Anblick sie viele Tage entbehrt hatten. In +einem schönen Tale lag eine Karawanserei, die sie sich zum Nachtlager +wählten, und obgleich sie wenig Bequemlichkeit und Erfrischung darbot, +so war doch die ganze Gesellschaft heiterer und zutraulicher als je; +denn der Gedanke, den Gefahren und Beschwerlichkeiten, die eine Reise +durch die Wüste mit sich bringt, entronnen zu sein, hatte alle Herzen +geöffnet und die Gemüter zu Scherz und Kurzweil gestimmt. Muley, der +junge lustige Kaufmann, tanzte einen komischen Tanz und sang Lieder +dazu, die selbst dem ernsten Griechen Zaleukos ein Lächeln entlockten. +Aber nicht genug, daß er seine Gefährten durch Tanz und Spiel +erheitert hatte, er gab ihnen auch noch die Geschichte zum besten, +die er ihnen versprochen hatte, und hub, als er von seinen +Luftsprüngen sich erholt hatte, also zu erzählen an: Die Geschichte +von dem kleinen Muck. + + + + +Die Geschichte von dem kleinen Muck + +Wilhelm Hauff + + +In Nicea, meiner lieben Vaterstadt, wohnte ein Mann, den man den +kleinen Muck hieß. Ich kann mir ihn, ob ich gleich damals noch sehr +jung war, noch recht wohl denken, besonders weil ich einmal von +meinem Vater wegen seiner halbtot geprügelt wurde. Der kleine Muck +nämlich war schon ein alter Geselle, als ich ihn kannte; doch war er +nur drei bis vier Schuh hoch, dabei hatte er eine sonderbare Gestalt, +denn sein Leib, so klein und zierlich er war, mußte einen Kopf tragen, +viel größer und dicker als der Kopf anderer Leute; er wohnte ganz +allein in einem großen Haus und kochte sich sogar selbst, auch hätte +man in der Stadt nicht gewußt, ob er lebe oder gestorben sei, denn er +ging nur alle vier Wochen einmal aus, wenn nicht um die Mittagsstunde +ein mächtiger Dampf aus dem Hause aufgestiegen wäre, doch sah man ihn +oft abends auf seinem Dache auf und ab gehen, von der Straße aus +glaubte man aber, nur sein großer Kopf allein laufe auf dem Dache +umher. Ich und meine Kameraden waren böse Buben, die jedermann gerne +neckten und belachten, daher war es uns allemal ein Festtag, wenn der +kleine Muck ausging; wir versammelten uns an dem bestimmten Tage vor +seinem Haus und warteten, bis er herauskam; wenn dann die Türe +aufging und zuerst der große Kopf mit dem noch größeren Turban +herausguckte, wenn das übrige Körperlein nachfolgte, angetan mit +einem abgeschabten Mäntelein, weiten Beinkleidern und einem breiten +Gürtel, an welchem ein langer Dolch hing, so lang, daß man nicht +wußte, ob Muck an dem Dolch, oder der Dolch an Muck stak, wenn er so +heraustrat, da ertönte die Luft von unserem Freudengeschrei, wir +warfen unsere Mützen in die Höhe und tanzten wie toll um ihn her. +Der kleine Muck aber grüßte uns mit ernsthaftem Kopfnicken und ging +mit langsamen Schritten die Straße hinab. Wir Knaben liefen hinter +ihm her und schrien immer: "Kleiner Muck, kleiner Muck!" Auch hatten +wir ein lustiges Verslein, das wir ihm zu Ehren hier und da sangen; +es hieß: + +"Kleiner Muck, kleiner Muck, +Wohnst in einem großen Haus, +Gehst nur all vier Wochen aus, +Bist ein braver, kleiner Zwerg, +Hast ein Köpflein wie ein Berg, +Schau dich einmal um und guck, +Lauf und fang uns, kleiner Muck!" + +So hatten wir schon oft unsere Kurzweil getrieben, und zu meiner +Schande muß ich es gestehen, ich trieb's am ärgsten; denn ich zupfte +ihn oft am Mäntelein, und einmal trat ich ihm auch von hinten auf die +großen Pantoffeln, daß er hinfiel. Dies kam mir nun höchst +lächerlich vor, aber das Lachen verging mir, als ich den kleinen Muck +auf meines Vaters Haus zugehen sah. Er ging richtig hinein und blieb +einige Zeit dort. Ich versteckte mich an der Haustüre und sah den +Muck wieder herauskommen, von meinem Vater begleitet, der ihn +ehrerbietig an der Hand hielt und an der Türe unter vielen Bücklingen +sich von ihm verabschiedete. Mir war gar nicht wohl zumute; ich +blieb daher lange in meinem Versteck; endlich aber trieb mich der +Hunger, den ich ärger fürchtete als Schläge, heraus, und demütig und +mit gesenktem Kopf trat ich vor meinen Vater. "Du hast, wie ich höre, +den guten Muck beschimpft?" sprach er in sehr ernstem Tone. "Ich +will dir die Geschichte dieses Muck erzählen, und du wirst ihn gewiß +nicht mehr auslachen; vor- und nachher aber bekommst du das +Gewöhnliche." Das Gewöhnliche aber waren fünfundzwanzig Hiebe, die er +nur allzu richtig aufzuzählen pflegte. Er nahm daher sein langes +Pfeifenrohr, schraubte die Bernsteinmundspitze ab und bearbeitete +mich ärger als je zuvor. + +Als die Fünfundzwanzig voll waren, befahl er mir, aufzumerken, und +erzählte mir von dem kleinen Muck: + +Der Vater des kleinen Muck, der eigentlich Muckrah heißt, war ein +angesehener, aber armer Mann hier in Nicea. Er lebte beinahe so +einsiedlerisch wie jetzt sein Sohn. Diesen konnte er nicht wohl +leiden, weil er sich seiner Zwerggestalt schämte, und ließ ihn daher +auch in Unwissenheit aufwachsen. Der kleine Muck war noch in seinem +sechzehnten Jahr ein lustiges Kind, und der Vater, ein ernster Mann, +tadelte ihn immer, daß er, der schon längst die Kinderschuhe +zertreten haben sollte, noch so dumm und läppisch sei. + +Der Alte tat aber einmal einen bösen Fall, an welchem er auch starb +und den kleinen Muck arm und unwissend zurückließ. Die harten +Verwandten, denen der Verstorbene mehr schuldig war, als er bezahlen +konnte, jagten den armen Kleinen aus dem Hause und rieten ihm, in die +Welt hinauszugehen und sein Glück zu suchen. Der kleine Muck +antwortete, er sei schon reisefertig, bat sich aber nur noch den +Anzug seines Vaters aus, und dieser wurde ihm auch bewilligt. Sein +Vater war ein großer, starker Mann gewesen, daher paßten die Kleider +nicht. Muck aber wußte bald Rat; er schnitt ab, was zu lang war, und +zog dann die Kleider an. Er schien aber vergessen zu haben, daß er +auch in der Weite davon schneiden müsse, daher sein sonderbarer +Aufzug, wie er noch heute zu sehen ist; der große Turban, der breite +Gürtel, die weiten Hosen, das blaue Mäntelein, alles dies sind +Erbstücke seines Vaters, die er seitdem getragen; den langen +Damaszenerdolch seines Vaters aber steckte er in den Gürtel, ergriff +ein Stöcklein und wanderte zum Tor hinaus. + +Fröhlich wanderte er den ganzen Tag; denn er war ja ausgezogen, um +sein Glück zu suchen; wenn er eine Scherbe auf der Erde im +Sonnenschein glänzen sah, so steckte er sie gewiß zu sich, im Glauben, +daß sie sich in den schönsten Diamanten verwandeln werde; sah er in +der Ferne die Kuppel einer Moschee wie Feuer strahlen, sah er einen +See wie einen Spiegel blinken, so eilte er voll Freude darauf zu; +denn er dachte, in einem Zauberland angekommen zu sein. Aber ach! +Jene Trugbilder verschwanden in der Nähe, und nur allzubald +erinnerten ihn seine Müdigkeit und sein vor Hunger knurrender Magen, +daß er noch im Lande der Sterblichen sich befinde. So war er zwei +Tage gereist unter Hunger und Kummer und verzweifelte, sein Glück zu +finden; die Früchte des Feldes waren seine einzige Nahrung, die harte +Erde sein Nachtlager. Am Morgen des dritten Tages erblickte er von +einer Anhöhe eine große Stadt. + +Hell leuchtete der Halbmond auf ihren Zinnen, bunte Fahnen +schimmerten auf den Dächern und schienen den kleinen Muck zu sich +herzuwinken. Überrascht stand er stille und betrachtete Stadt und +Gegend. "Ja, dort wird Klein-Muck sein Glück finden", sprach er zu +sich und machte trotz seiner Müdigkeit einen Luftsprung, "dort oder +nirgends." Er raffte alle seine Kräfte zusammen und schritt auf die +Stadt zu. Aber obgleich sie ganz nahe schien, konnte er sie doch +erst gegen Mittag erreichen; denn seine kleinen Glieder versagten ihm +beinahe gänzlich ihren Dienst, und er mußte sich oft in den Schatten +einer Palme setzen, um auszuruhen. Endlich war er an dem Tor der +Stadt angelangt. Er legte sein Mäntelein zurecht, band den Turban +schöner um, zog den Gürtel noch breiter an und steckte den langen +Dolch schiefer; dann wischte er den Staub von den Schuhen, ergriff +sein Stöcklein und ging mutig zum Tor hinein. + +Er hatte schon einige Straßen durchwandert; aber nirgends öffnete +sich ihm die Türe, nirgends rief man, wie er sich vorgestellt hatte: +"Kleiner Muck, komm herein und iß und trink und laß deine Füßlein +ausruhen!" + +Er schaute gerade auch wieder recht sehnsüchtig an einem großen, +schönen Haus hinauf; da öffnete sich ein Fenster, eine alte Frau +schaute heraus und rief mit singender Stimme: + +"Herbei, herbei! +Gekocht ist der Brei, +Den Tisch ließ ich decken, +Drum laßt es euch schmecken; +Ihr Nachbarn herbei, +Gekocht ist der Brei." + +Die Türe des Hauses öffnete sich, und Muck sah viele Hunde und Katzen +hineingehen. Er stand einige Augenblicke in Zweifel, ob er der +Einladung folgen sollte; endlich aber faßte er sich ein Herz und ging +in das Haus. Vor ihm her gingen ein paar junge Kätzlein, und er +beschloß, ihnen zu folgen, weil sie vielleicht die Küche besser +wüßten als er. + +Als Muck die Treppe hinaufgestiegen war, begegnete er jener alten +Frau, die zum Fenster herausgeschaut hatte. Sie sah ihn mürrisch an +und fragte nach seinem Begehr. "Du hast ja jedermann zu deinem Brei +eingeladen", antwortete der kleine Muck, "und weil ich so gar hungrig +bin, bin ich auch gekommen." + +Die Alte lachte und sprach: "Woher kommst du denn, wunderlicher +Gesell? Die ganze Stadt weiß, daß ich für niemand koche als für +meine lieben Katzen, und hier und da lade ich ihnen Gesellschaft aus +der Nachbarschaft ein, wie du siehst." + +Der kleine Muck erzählte der alten Frau, wie es ihm nach seines +Vaters Tod so hart ergangen sei, und bat sie, ihn heute mit ihren +Katzen speisen zu lassen. Die Frau, welcher die treuherzige +Erzählung des Kleinen wohl gefiel, erlaubte ihm, ihr Gast zu sein, +und gab ihm reichlich zu essen und zu trinken. Als er gesättigt und +gestärkt war, betrachtete ihn die Frau lange und sagte dann: "Kleiner +Muck, bleibe bei mir in meinem Dienste! Du hast geringe Mühe und +sollst gut gehalten sein." + +Der kleine Muck, dem der Katzenbrei geschmeckt hatte, willigte ein +und wurde also der Bedienstete der Frau Ahavzi. Er hatte einen +leichten, aber sonderbaren Dienst. Frau Ahavzi hatte nämlich zwei +Kater und vier Katzen, diesen mußte der kleine Muck alle Morgen den +Pelz kämmen und mit köstlichen Salben einreiben; wenn die Frau +ausging, mußte er auf die Katzen Achtung geben, wenn sie aßen, mußte +er ihnen die Schüsseln vorlegen, und nachts mußte er sie auf seidene +Polster legen und sie mit samtenen Decken einhüllen. Auch waren noch +einige kleine Hunde im Haus, die er bedienen mußte, doch wurden mit +diesen nicht so viele Umstände gemacht wie mit den Katzen, welche +Frau Ahavzi wie ihre eigenen Kinder hielt. Übrigens führte Muck +ein so einsames Leben wie in seines Vaters Haus, denn außer der Frau +sah er den ganzen Tag nur Hunde und Katzen. Eine Zeitlang ging es +dem kleinen Muck ganz gut; er hatte immer zu essen und wenig zu +arbeiten, und die alte Frau schien recht zufrieden mit ihm zu sein, +aber nach und nach wurden die Katzen unartig, wenn die Alte +ausgegangen war, sprangen sie wie besessen in den Zimmern umher, +warfen alles durcheinander und zerbrachen manches schöne Geschirr, +das ihnen im Weg stand. Wenn sie aber die Frau die Treppe +heraufkommen hörten, verkrochen sie sich auf ihre Polster und +wedelten ihr mit den Schwänzen entgegen, wie wenn nichts geschehen +wäre. Die Frau Ahavzi geriet dann in Zorn, wenn sie ihre Zimmer so +verwüstet sah, und schob alles auf Muck, er mochte seine Unschuld +beteuern, wie er wollte, sie glaubte ihren Katzen, die so unschuldig +aussahen, mehr als ihrem Diener. + +Der kleine Muck war sehr traurig, daß er also auch hier sein Glück +nicht gefunden hatte, und beschloß bei sich, den Dienst der Frau +Ahavzi zu verlassen. Da er aber auf seiner ersten Reise erfahren +hatte, wie schlecht man ohne Geld lebt, so beschloß er, den Lohn, den +ihm seine Gebieterin immer versprochen, aber nie gegeben hatte, sich +auf irgendeine Art zu verschaffen. Es befand sich in dem Hause der +Frau Ahavzi ein Zimmer, das immer verschlossen war und dessen Inneres +er nie gesehen hatte. Doch hatte er die Frau oft darin rumoren +gehört, und er hätte oft für sein Leben gern gewußt, was sie dort +versteckt habe. Als er nun an sein Reisegeld dachte, fiel ihm ein, +daß dort die Schätze der Frau versteckt sein könnten. Aber immer war +die Tür fest verschlossen, und er konnte daher den Schätzen nie +beikommen. + +Eines Morgens, als die Frau Ahavzi ausgegangen war, zupfte ihn eines +der Hundlein, welches von der Frau immer sehr stiefmütterlich +behandelt wurde, dessen Gunst er sich aber durch allerlei +Liebesdienste in hohem Grade erworben hatte, an seinen weiten +Beinkleidern und gebärdete sich dabei, wie wenn Muck ihm folgen +sollte. Muck, welcher gerne mit den Hunden spielte, folgte ihm, und +siehe da, das Hundlein führte ihn in die Schlafkammer der Frau Ahavzi +vor eine kleine Türe, die er nie zuvor dort bemerkt hatte. Die Türe +war halb offen. Das Hundlein ging hinein, und Muck folgte ihm, und +wie freudig war er überrascht, als er sah, daß er sich in dem Gemach +befand, das schon lange das Ziel seiner Wünsche war. Er spähte +überall umher, ob er kein Geld finden könne, fand aber nichts. Nur +alte Kleider und wunderlich geformte Geschirre standen umher. Eines +dieser Geschirre zog seine besondere Aufmerksamkeit auf sich. Es war +von Kristall, und schöne Figuren waren darauf ausgeschnitten. Er hob +es auf und drehte es nach allen Seiten. Aber, o Schrecken! Er hatte +nicht bemerkt, daß es einen Deckel hatte, der nur leicht darauf +hingesetzt war. Der Deckel fiel herab und zerbrach in tausend Stücke. + +Lange stand der kleine Muck vor Schrecken leblos. Jetzt war sein +Schicksal entschieden, jetzt mußte er entfliehen, sonst schlug ihn +die Alte tot. Sogleich war auch seine Reise beschlossen, und nur +noch einmal wollte er sich umschauen, ob er nichts von den +Habseligkeiten der Frau Ahavzi zu seinem Marsch brauchen könnte. Da +fielen ihm ein Paar mächtig große Pantoffeln ins Auge; sie waren zwar +nicht schön; aber seine eigenen konnten keine Reise mehr mitmachen; +auch zogen ihn jene wegen ihrer Größe an; denn hatte er diese am Fuß, +so mußten ihm hoffentlich alle Leute ansehen, daß er die Kinderschuhe +vertreten habe. Er zog also schnell seine Töffelein aus und fuhr in +die großen hinein. Ein Spazierstöcklein mit einem schön +geschnittenen Löwenkopf schien ihm auch hier allzu müßig in der Ecke +zu stehen; er nahm es also mit und eilte zum Zimmer hinaus. Schnell +ging er jetzt auf seine Kammer, zog sein Mäntelein an, setzte den +väterlichen Turban auf, steckte den Dolch in den Gürtel und lief, so +schnell ihn seine Füße trugen, zum Haus und zur Stadt hinaus. Vor +der Stadt lief er, aus Angst vor der Alten, immer weiter fort, bis er +vor Müdigkeit beinahe nicht mehr konnte. So schnell war er in seinem +Leben nicht gegangen; ja, es schien ihm, als könne er gar nicht +aufhören zu rennen; denn eine unsichtbare Gewalt schien ihn +fortzureißen. Endlich bemerkte er, daß es mit den Pantoffeln eine +eigene Bewandtnis haben müsse; denn diese schossen immer fort und +führten ihn mit sich. Er versuchte auf allerlei Weise stillzustehen; +aber es wollte nicht gelingen; da rief er in der höchsten Not, wie +man den Pferden zuruft, sich selbst zu: "Oh--oh, halt, oh!" Da +hielten die Pantoffeln, und Muck warf sich erschöpft auf die Erde +nieder. + +Die Pantoffeln freuten ihn ungemein. So hatte er sich denn doch +durch seine Verdienste etwas erworben, das ihm in der Welt auf seinem +Weg das Glück zu suchen, forthelfen konnte. Er schlief trotz seiner +Freude vor Erschöpfung ein; denn das Körperlein des kleinen Muck, das +einen so schweren Kopf zu tragen hatte, konnte nicht viel aushalten. +Im Traum erschien ihm das Hundlein, welches ihm im Hause der Frau +Ahavzi zu den Pantoffeln verholfen hatte, und sprach zu ihm: "Lieber +Muck, du verstehst den Gebrauch der Pantoffeln noch nicht recht; +wisse, wenn du dich in ihnen dreimal auf dem Absatz herumdrehst, so +kannst du hinfliegen, wohin du nur willst, und mit dem Stöcklein +kannst du Schätze finden, denn wo Gold vergraben ist, da wird es +dreimal auf die Erde schlagen, bei Silber zweimal." So träumte der +kleine Muck. Als er aber aufwachte, dachte er über den wunderbaren +Traum nach und beschloß, alsbald einen Versuch zu machen. Er zog die +Pantoffeln an, lupfte einen Fuß und begann sich auf dem Absatz +umzudrehen. Wer es aber jemals versucht hat, in einem ungeheuer +weiten Pantoffel dieses Kunststück dreimal hintereinander zu machen, +der wird sich nicht wundern, wenn es dem kleinen Muck nicht gleich +glückte, besonders wenn man bedenkt, daß ihn sein schwerer Kopf bald +auf diese, bald auf jene Seite hinüberzog. + +Der arme Kleine fiel einigemal tüchtig auf die Nase; doch ließ er +sich nicht abschrecken, den Versuch zu wiederholen, und endlich +glückte es. Wie ein Rad fuhr er auf seinem Absatz herum, wünschte +sich in die nächste große Stadt, und--die Pantoffeln ruderten hinauf +in die Lüfte, liefen mit Windeseile durch die Wolken, und ehe sich +der kleine Muck noch besinnen konnte, wie ihm geschah, befand er sich +schon auf einem großen Marktplatz, wo viele Buden aufgeschlagen waren +und unzählige Menschen geschäftig hin und her liefen. Er ging unter +den Leuten hin und her, hielt es aber für ratsamer, sich in eine +einsamere Straße zu begeben; denn auf dem Markt trat ihm bald da +einer auf die Pantoffeln, daß er beinahe umfiel, bald stieß er mit +seinem weit hinausstehenden Dolch einen oder den anderen an, daß er +mit Mühe den Schlägen entging. + +Der kleine Muck bedachte nun ernstlich, was er wohl anfangen könnte, +um sich ein Stück Geld zu verdienen; er hatte zwar ein Stäblein, das +ihm verborgene Schätze anzeigte, aber wo sollte er gleich einen Platz +finden, wo Gold oder Silber vergraben wäre? Auch hätte er sich zur +Not für Geld sehen lassen können; aber dazu war er doch zu stolz. +Endlich fiel ihm die Schnelligkeit seiner Füße ein, "vielleicht", +dachte er, "können mir meine Pantoffeln Unterhalt gewähren", und er +beschloß, sich als Schnelläufer zu verdingen. Da er aber hoffen +durfte, daß der König dieser Stadt solche Dienste am besten bezahle, +so erfragte er den Palast. Unter dem Tor des Palastes stand eine +Wache, die ihn fragte, was er hier zu suchen habe. Auf seine Antwort, +daß er einen Dienst suche, wies man ihn zum Aufseher der Sklaven. +Diesem trug er sein Anliegen vor und bat ihn, ihm einen Dienst unter +den königlichen Boten zu besorgen. Der Aufseher maß ihn mit seinen +Augen von Kopf bis zu den Füßen und sprach: "Wie, mit deinen Füßlein, +die kaum so lang als eine Spanne sind, willst du königlicher +Schnelläufer werden? Hebe dich weg, ich bin nicht dazu da, mit jedem +Narren Kurzweil zu machen." Der kleine Muck versicherte ihm aber, daß +es ihm vollkommen ernst sei mit seinem Antrag und daß er es mit dem +Schnellsten auf eine Wette ankommen lassen wollte. Dem Aufseher kam +die Sache gar lächerlich vor; er befahl ihm, sich bis auf den Abend +zu einem Wettlauf bereitzuhalten, führte ihn in die Küche und sorgte +dafür, daß ihm gehörig Speis' und Trank gereicht wurde; er selbst +aber begab sich zum König und erzählte ihm vom kleinen Muck und +seinem Anerbieten. Der König war ein lustiger Herr, daher gefiel es +ihm wohl, daß der Aufseher der Sklaven den kleinen Menschen zu einem +Spaß behalten habe, er befahl ihm, auf einer großen Wiese hinter dem +Schloß Anstalten zu treffen, daß das Wettlaufen mit Bequemlichkeit +von seinem ganzen Hofstaat könnte gesehen werden, und empfahl ihm +nochmals, große Sorgfalt für den Zwerg zu haben. Der König erzählte +seinen Prinzen und Prinzessinnen, was sie diesen Abend für ein +Schauspiel haben würden, diese erzählten es wieder ihren Dienern, und +als der Abend herankam, war man in gespannter Erwartung, und alles, +was Füße hatte, strömte hinaus auf die Wiese, wo Gerüste +aufgeschlagen waren, um den großsprecherischen Zwerg laufen zu sehen. + +Als der König und seine Söhne und Töchter auf dem Gerüst Platz +genommen hatten, trat der kleine Muck heraus auf die Wiese und machte +vor den hohen Herrschaften eine überaus zierliche Verbeugung. Ein +allgemeines Freudengeschrei ertönte, als man des Kleinen ansichtig +wurde; eine solche Figur hatte man dort noch nie gesehen. Das +Körperlein mit dem mächtigen Kopf, das Mäntelein und die weiten +Beinkleider, der lange Dolch in dem breiten Gürtel, die kleinen +Füßlein in den weiten Pantoffeln--nein! Es war zu drollig anzusehen, +als daß man nicht hätte laut lachen sollen. Der kleine Muck ließ +sich aber durch das Gelächter nicht irremachen. Er stellte sich +stolz, auf sein Stöcklein gestützt, hin und erwartete seinen Gegner. +Der Aufseher der Sklaven hatte nach Mucks eigenem Wunsche den besten +Läufer ausgesucht. Dieser trat nun heraus, stellte sich neben den +Kleinen, und beide harrten auf das Zeichen. Da winkte Prinzessin +Amarza, wie es ausgemacht war, mit ihrem Schleier, und wie zwei +Pfeile, auf dasselbe Ziel abgeschossen, flogen die beiden Wettläufer +über die Wiese hin. + +Von Anfang hatte Mucks Gegner einen bedeutenden Vorsprung, aber +dieser jagte ihm auf seinem Pantoffelfuhrwerk nach, holte ihn ein, +überfing ihn und stand längst am Ziele, als jener noch, nach Luft +schnappend, daherlief. Verwunderung und Staunen fesselten einige +Augenblicke die Zuschauer, als aber der König zuerst in die Hände +klatschte, da jauchzte die Menge, und alle riefen: "Hoch lebe der +kleine Muck, der Sieger im Wettlauf!" + +Man hatte indes den kleinen Muck herbeigebracht; er warf sich vor dem +König nieder und sprach: "Großmächtigster König, ich habe dir hier +nur eine kleine Probe meiner Kunst gegeben; wolle nur gestatten, daß +man mir eine Stelle unter deinen Läufern gebe!" + +Der König aber antwortete ihm: "Nein, du sollst mein Leibläufer und +immer um meine Person sein, lieber Muck, jährlich sollst du hundert +Goldstücke erhalten als Lohn, und an der Tafel meiner ersten Diener +sollst du speisen." + +So glaubte denn Muck, endlich das Glück gefunden zu haben, das er so +lange suchte, und war fröhlich und wohlgemut in seinem Herzen. Auch +erfreute er sich der besonderen Gnade des Königs, denn dieser +gebrauchte ihn zu seinen schnellsten und geheimsten Sendungen, die er +dann mit der größten Genauigkeit und mit unbegreiflicher Schnelle +besorgte. + +Aber die übrigen Diener des Königs waren ihm gar nicht zugetan, weil +sie sich ungern durch einen Zwerg, der nichts verstand, als schnell +zu laufen, in der Gunst ihres Herrn zurückgesetzt sahen. Sie +veranstalteten daher manche Verschwörung gegen ihn, um ihn zu stürzen; +aber alle schlugen fehl an dem großen Zutrauen, das der König in +seinen geheimen Oberleibläufer (denn zu dieser Würde hatte er es in +so kurzer Zeit gebracht) setzte. + +Muck, dem diese Bewegungen gegen ihn nicht entgingen, sann nicht auf +Rache, dazu hatte er ein zu gutes Herz, nein, auf Mittel dachte er, +sich bei seinen Feinden notwendig und beliebt zu machen. Da fiel ihm +sein Stäblein, das er in seinem Glück außer acht gelassen hatte, ein; +wenn er Schätze finde, dachte er, würden ihm die Herren schon +geneigter werden. Er hatte schon oft gehört, daß der Vater des +jetzigen Königs viele seiner Schätze vergraben habe, als der Feind +sein Land überfallen; man sagte auch, er sei darüber gestorben, ohne +daß er sein Geheimnis habe seinem Sohn mitteilen können. Von nun an +nahm Muck immer sein Stöcklein mit, in der Hoffnung, einmal an einem +Ort vorüberzugehen, wo das Geld des alten Königs vergraben sei. +Eines Abends führte ihn der Zufall in einen entlegenen Teil des +Schloßgartens, den er wenig besuchte, und plötzlich fühlte er das +Stöcklein in seiner Hand zucken, und dreimal schlug es gegen den +Boden. Nun wußte er schon, was dies zu bedeuten hatte. Er zog daher +seinen Dolch heraus, machte Zeichen in die umstellenden Bäume und +schlich sich wieder in das Schloß; dort verschaffte er sich einen +Spaten und wartete die Nacht zu seinem Unternehmen ab. + +Das Schatzgraben selbst machte übrigens dem kleinen Muck mehr zu +schaffen, als er geglaubt hatte. + +Seine Arme waren gar zu schwach, sein Spaten aber groß und schwer; +und er mochte wohl schon zwei Stunden gearbeitet haben, ehe er ein +paar Fuß tief gegraben hatte. Endlich stieß er auf etwas Hartes, das +wie Eisen klang. Er grub jetzt emsiger, und bald hatte er einen +großen eisernen Deckel zutage gefördert; er stieg selbst in die Grube +hinab, um nachzuspähen, was wohl der Deckel könnte bedeckt haben, und +fand richtig einen großen Topf, mit Goldstücken angefüllt. Aber +seine schwachen Kräfte reichten nicht hin, den Topf zu heben, daher +steckte er in seine Beinkleider und seinen Gürtel, so viel er zu +tragen vermochte, und auch sein Mäntelein füllte er damit, bedeckte +das übrige wieder sorgfältig und lud es auf den Rücken. Aber +wahrlich, wenn er die Pantoffeln nicht an den Füßen gehabt hätte, er +wäre nicht vom Fleck gekommen, so zog ihn die Last des Goldes nieder. +Doch unbemerkt kam er auf sein Zimmer und verwahrte dort sein Gold +unter den Polstern seines Sofas. + +Als der kleine Muck sich im Besitz so vielen Goldes sah, glaubte er, +das Blatt werde sich jetzt wenden und er werde sich unter seinen +Feinden am Hofe viele Gönner und warme Anhänger erwerben. Aber schon +daran konnte man erkennen, daß der gute Muck keine gar sorgfältige +Erziehung genossen haben mußte, sonst hätte er sich wohl nicht +einbilden können, durch Gold wahre Freunde zu gewinnen. Ach, daß er +damals seine Pantoffeln geschmiert und sich mit seinem Mäntelein voll +Gold aus dem Staub gemacht hätte! + +Das Gold, das der kleine Muck von jetzt an mit vollen Händen +austeilte, erweckte den Neid der übrigen Hofbediensteten. Der +Küchenmeister Ahuli sagte: "Er ist ein Falschmünzer." + +Der Sklavenaufseher Achmet sagte: "Er hat's dem König abgeschwatzt." + +Archaz, der Schatzmeister, aber, sein ärgster Feind, der selbst hier +und da einen Griff in des Königs Kasse tun mochte, sagte geradezu: +"Er hat's gestohlen." + +Um nun ihrer Sache gewiß zu sein, verabredeten sie sich, und der +Obermundschenk Korchuz stellte sich eines Tages recht traurig und +niedergeschlagen vor die Augen des Königs. Er machte seine traurigen +Gebärden so auffallend, daß ihn der König fragte, was ihm fehle. + +"Ah", antwortete er, "ich bin traurig, daß ich die Gnade meines Herrn +verloren habe." + +"Was fabelst du, Freund Korchuz?" entgegnete ihm der König. "Seit +wann hätte ich die Sonne meiner Gnade nicht über dich leuchten +lassen?" Der Obermundschenk antwortete ihm, daß er ja den geheimen +Oberleibläufer mit Gold belade, seinen armen, treuen Dienern aber +nichts gebe. + +Der König war sehr erstaunt über diese Nachricht, ließ sich die +Goldausteilungen des kleinen Muck erzählen, und die Verschworenen +brachten ihm leicht den Verdacht bei, daß Muck auf irgendeine Art das +Geld aus der Schatzkammer gestohlen habe. Sehr lieb war diese +Wendung der Sache dem Schatzmeister, der ohnehin nicht gerne Rechnung +ablegte. Der König gab daher den Befehl, heimlich auf alle Schritte +des kleinen Muck achtzugeben, um ihn womöglich auf der Tat zu +ertappen. Als nun in der Nacht, die auf diesen Unglückstag folgte, +der kleine Muck, da er durch seine Freigebigkeit seine Kasse sehr +erschöpft sah, den Spaten nahm und in den Schloßgarten schlich, um +dort von seinem geheimen Schatze neuen Vorrat zu holen, folgten ihm +von weitem die Wachen, von dem Küchenmeister Ahuli und Archaz, dem +Schatzmeister, angeführt, und in dem Augenblick, da er das Gold aus +dem Topf in sein Mäntelein legen wollte, fielen sie über ihn her, +banden ihn und führten ihn sogleich vor den König. Dieser, den +ohnehin die Unterbrechung seines Schlafes mürrisch gemacht hatte, +empfing seinen armen Oberleibläufer sehr ungnädig und stellte +sogleich das Verhör über ihn an. Man hatte den Topf vollends aus der +Erde gegraben und mit dem Spaten und mit dem Mäntelein voll Gold vor +die Füße des Königs gesetzt. Der Schatzmeister sagte aus, daß er mit +seinen Wachen den Muck überrascht habe, wie er diesen Topf mit Gold +gerade in die Erde gegraben habe. + +Der König befragte hierauf den Angeklagten, ob es wahr sei und woher +er das Gold, das er vergraben, bekommen habe. + +Der kleine Muck, im Gefühl seiner Unschuld, sagte aus, daß er diesen +Topf im Garten entdeckt habe, daß er ihn habe nicht ein-, sondern +ausgraben wollen. + +Alle Anwesenden lachten laut über diese Entschuldigung, der König +aber, aufs höchste erzürnt über die vermeintliche Frechheit des +Kleinen, rief aus: "Wie, Elender! Du willst deinen König so dumm und +schändlich belügen, nachdem du ihn bestohlen hast? Schatzmeister +Archaz! Ich fordere dich auf, zu sagen, ob du diese Summe Goldes für +die nämliche erkennst, die in meinem Schatze fehlt." + +Der Schatzmeister aber antwortete, er sei seiner Sache ganz gewiß, so +viel und noch mehr fehle seit einiger Zeit von dem königlichen Schatz, +und er könne einen Eid darauf ablegen, daß dies das Gestohlene sei. + +Da befahl der König, den kleinen Muck in enge Ketten zu legen und in +den Turm zu führen; dem Schatzmeister aber übergab er das Gold, um es +wieder in den Schatz zu tragen. Vergnügt über den glücklichen +Ausgang der Sache, zog dieser ab und zählte zu Haus die blinkenden +Goldstücke; aber das hat dieser schlechte Mann niemals angezeigt, daß +unten in dem Topf ein Zettel lag, der sagte: "Der Feind hat mein Land +überschwemmt, daher verberge ich hier einen Teil meiner Schätze; wer +es auch finden mag, den treffe der Fluch seines Königs, wenn er es +nicht sogleich meinem Sohne ausliefert! König Sadi." + +Der kleine Muck stellte in seinem Kerker traurige Betrachtungen an; +er wußte, daß auf Diebstahl an königlichen Sachen der Tod gesetzt war, +und doch mochte er das Geheimnis mit dem Stäbchen dem König nicht +verraten, weil er mit Recht fürchtete, dieses und seiner Pantoffeln +beraubt zu werden. Seine Pantoffeln konnten ihm leider auch keine +Hilfe bringen; denn da er in engen Ketten an die Mauer geschlossen +war, konnte er, so sehr er sich quälte, sich nicht auf dem Absatz +umdrehen. Als ihm aber am anderen Tage sein Tod angekündigt wurde, +da gedachte er doch, es sei besser, ohne das Zauberstäbchen zu leben +als mit ihm zu sterben, ließ den König um geheimes Gehör bitten und +entdeckte ihm das Geheimnis. Der König maß von Anfang an seinem +Geständnis keinen Glauben bei; aber der kleine Muck versprach eine +Probe, wenn ihm der König zugestünde, daß er nicht getötet werden +solle. + +Der König gab ihm sein Wort darauf und ließ, von Muck ungesehen, +einiges Gold in die Erde graben und befahl diesem, mit seinem +Stäbchen zu suchen. In wenigen Augenblicken hatte er es gefunden; +denn das Stäbchen schlug deutlich dreimal auf die Erde. Da merkte +der König, daß ihn sein Schatzmeister betrogen hatte, und sandte ihm, +wie es im Morgenland gebräuchlich ist, eine seidene Schnur, damit er +sich selbst erdroßle. Zum kleinen Muck aber sprach er: "Ich habe dir +zwar dein Leben versprochen; aber es scheint mir, als ob du nicht +allein dieses Geheimnis mit dem Stäbchen besitzest; darum bleibst du +in ewiger Gefangenschaft, wenn du nicht gestehst, was für eine +Bewandtnis es mit deinem Schnellaufen hat." Der kleine Muck, den die +einzige Nacht im Turm alle Lust zu längerer Gefangenschaft benommen +hatte, bekannte, daß seine ganze Kunst in den Pantoffeln liege, doch +lehrte er den König nicht das Geheimnis von dem dreimaligen Umdrehen +auf dem Absatz. Der König schlüpfte selbst in die Pantoffeln, um die +Probe zu machen, und jagte wie unsinnig im Garten umher; oft wollte +er anhalten; aber er wußte nicht, wie man die Pantoffeln zum Stehen +brachte, und der kleine Muck, der diese kleine Rache sich nicht +versagen konnte, ließ ihn laufen, bis er ohnmächtig niederfiel. + +Als der König wieder zur Besinnung zurückgekehrt war, war er +schrecklich aufgebracht über den kleinen Muck, der ihn so ganz außer +Atem hatte laufen lassen. "Ich habe dir mein Wort gegeben, dir +Freiheit und Leben zu schenken; aber innerhalb zwölf Stunden mußt du +mein Land verlassen, sonst lasse ich dich aufknöpfen!" Die Pantoffeln +und das Stäbchen aber ließ er in seine Schatzkammer legen. + +So arm als je wanderte der kleine Muck zum Land hinaus, seine Torheit +verwünschend, die ihm vorgespiegelt hatte, er könne eine bedeutende +Rolle am Hofe spielen. Das Land, aus dem er gejagt wurde, war zum +Glück nicht groß, daher war er schon nach acht Stunden auf der Grenze, +obgleich ihn das Gehen, da er an seine lieben Pantoffeln gewöhnt war, +sehr sauer ankam. + +Als er über der Grenze war, verließ er die gewöhnliche Straße, um die +dichteste Einöde der Wälder aufzusuchen und dort nur sich zu leben; +denn er war allen Menschen gram. In einem dichten Walde traf er auf +einen Platz, der ihm zu dem Entschluß, den er gefaßt hatte, ganz +tauglich schien. Ein klarer Bach, von großen, schattigen +Feigenbäumen umgeben, ein weicher Rasen luden ihn ein; hier warf er +sich nieder mit dem Entschluß, keine Speise mehr zu sich zu nehmen, +sondern hier den Tod zu erwarten. Über traurigen +Todesbetrachtungen schlief er ein; als er aber wieder aufwachte und +der Hunger ihn zu quälen anfing, bedachte er doch, daß der Hungertod +eine gefährliche Sache sei, und sah sich um, ob er nirgends etwas zu +essen bekommen könnte. + +Köstliche reife Feigen hingen an dem Baume, unter welchem er +geschlafen hatte; er stieg hinauf, um sich einige zu pflücken, ließ +es sich trefflich schmecken und ging dann hinunter an den Bach, um +seinen Durst zu löschen. Aber wie groß war sein Schrecken, als ihm +das Wasser seinen Kopf mit zwei gewaltigen Ohren und einer dicken, +langen Nase geschmückt zeigte! Bestürzt griff er mit den Händen nach +den Ohren, und wirklich, sie waren über eine halbe Elle lang. + +"Ich verdiene Eselsohren!" rief er aus; "denn ich habe mein Glück wie +ein Esel mit Füßen getreten." Er wanderte unter den Bäumen umher, und +als er wieder Hunger fühlte, mußte er noch einmal zu den Feigen seine +Zuflucht nehmen; denn sonst fand er nichts Eßbares an den Bäumen. +Als ihm über der zweiten Portion Feigen einfiel, ob wohl seine Ohren +nicht unter seinem großen Turban Platz hätten, damit er doch nicht +gar zu lächerlich aussehe, fühlte er, daß seine Ohren verschwunden +waren. Er lief gleich an den Bach zurück, um sich davon zu +überzeugen, und wirklich, es war so, seine Ohren hatten ihre vorige +Gestalt, seine lange, unförmliche Nase war nicht mehr. Jetzt merkte +er aber, wie dies gekommen war; von dem ersten Feigenbaum hatte er +die lange Nase und Ohren bekommen, der zweite hatte ihn geheilt; +freudig erkannte er, daß sein gütiges Geschick ihm noch einmal die +Mittel in die Hand gebe, glücklich zu sein. Er pflückte daher von +jedem Baum so viel, wie er tragen konnte, und ging in das Land zurück, +das er vor kurzem verlassen hatte. Dort machte er sich in dem +ersten Städtchen durch andere Kleider ganz unkenntlich und ging dann +weiter auf die Stadt zu, die jener König bewohnte, und kam auch bald +dort an. + +Es war gerade zu einer Jahreszeit, wo reife Früchte noch ziemlich +selten waren; der kleine Muck setzte sich daher unter das Tor des +Palastes; denn ihm war von früherer Zeit her wohl bekannt, daß hier +solche Seltenheiten von dem Küchenmeister für die königliche Tafel +eingekauft wurden. Muck hatte noch nicht lange gesessen, als er den +Küchenmeister über den Hof herüberschreiten sah. Er musterte die +Waren der Verkäufer, die sich am Tor des Palastes eingefunden hatten; +endlich fiel sein Blick auch auf Mucks Körbchen. "Ah, ein seltener +Bissen", sagte er, "der Ihro Majestät gewiß behagen wird. Was willst +du für den ganzen Korb?" Der kleine Muck bestimmte einen mäßigen +Preis, und sie waren bald des Handels einig. Der Küchenmeister +übergab den Korb einem Sklaven und ging weiter; der kleine Muck aber +macht sich einstweilen aus dem Staub, weil er befürchtete, wenn sich +das Unglück an den Köpfen des Hofes zeigte, möchte man ihn als +Verkäufer aufsuchen und bestrafen. + +Der König war über Tisch sehr heiter gestimmt und sagte seinem +Küchenmeister einmal über das andere Lobsprüche wegen seiner guten +Küche und der Sorgfalt, mit der er immer das Seltenste für ihn +aussuche; der Küchenmeister aber, welcher wohl wußte, welchen +Leckerbissen er noch im Hintergrund habe, schmunzelte gar freundlich +und ließ nur einzelne Worte fallen, als: "Es ist noch nicht aller +Tage Abend", oder "Ende gut, alles gut", so daß die Prinzessinnen +sehr neugierig wurden, was er wohl noch bringen werde. Als er aber +die schönen, einladenden Feigen aufsetzen ließ, da entfloh ein +allgemeines Ah! dem Munde der Anwesenden. + +"Wie reif, wie appetitlich!" rief der König. "Küchenmeister, du bist +ein ganzer Kerl und verdienst unsere ganz besondere Gnade!" Also +sprechend, teilte der König, der mit solchen Leckerbissen sehr +sparsam zu sein pflegte, mit eigener Hand die Feigen an seiner Tafel +aus. Jeder Prinz und jede Prinzessin bekam zwei, die Hofdamen und +die Wesire und Agas eine, die übrigen stellte er vor sich hin und +begann mit großem Behagen sie zu verschlingen. + +"Aber, lieber Gott, wie siehst du so wunderlich aus, Vater?" rief auf +einmal die Prinzessin Amarza. Alle sahen den König erstaunt an; +ungeheure Ohren hingen ihm am Kopf, eine lange Nase zog sich über +sein Kinn herunter; auch sich selbst betrachteten sie untereinander +mit Staunen und Schrecken; alle waren mehr oder minder mit dem +sonderbaren Kopfputz geschmeckt. + +Man denke sich den Schrecken des Hofes! Man schickte sogleich nach +allen Ärzten der Stadt; sie kamen haufenweise, verordneten Pillen und +Mixturen; aber die Ohren und die Nasen blieben. Man operierte einen +der Prinzen; aber die Ohren wuchsen nach. + +Muck hatte die ganze Geschichte in seinem Versteck, wohin er sich +zurückgezogen hatte, gehört und erkannte, daß es jetzt Zeit sei zu +handeln. Er hatte sich schon vorher von dem aus den Feigen gelösten +Geld einen Anzug verschafft, der ihn als Gelehrten darstellen konnte; +ein langer Bart aus Ziegenhaaren vollendete die Täuschung. Mit einem +Säckchen voll Feigen wanderte er in den Palast des Königs und bot als +fremder Arzt seine Hilfe an. Man war von Anfang sehr ungläubig; als +aber der kleine Muck eine Feige einem der Prinzen zu essen gab und +Ohren und Nase dadurch in den alten Zustand zurückbrachte, da wollte +alles von dem fremden Arzte geheilt sein. Aber der König nahm ihn +schweigend bei der Hand und führte ihn in sein Gemach; dort schloß er +eine Türe auf, die in die Schatzkammer führte, und winkte Muck, ihm +zu folgen. "Hier sind meine Schätze", sprach der König, "wähle dir, +was es auch sei, es soll dir gewährt werden, wenn du mich von diesem +schmachvollen Übel befreist." + +Das war süße Musik in des kleinen Muck Ohren; er hatte gleich beim +Eintritt seine Pantoffeln auf dem Boden stehen sehen, gleich daneben +lag auch sein Stäbchen. Er ging nun umher in dem Saal, wie wenn er +die Schätze des Königs bewundern wollte; kaum aber war er an seine +Pantoffeln gekommen, so schlüpfte er eilends hinein, ergriff sein +Stäbchen, riß seinen falschen Bart herab und zeigte dem erstaunten +König das wohlbekannte Gesicht seines verstoßenen Muck. "Treuloser +König", sprach er, "der du treue Dienste mit Undank lohnst, nimm als +wohlverdiente Strafe die Mißgestalt, die du trägst. Die Ohren laß +ich dir zurück, damit sie dich täglich erinnern an den kleinen Muck." +Als er so gesprochen hatte, drehte er sich schnell auf dem Absatz +herum, wünschte sich weit hinweg, und ehe noch der König um Hilfe +rufen konnte, war der kleine Muck entflohen. Seitdem lebt der kleine +Muck hier in großem Wohlstand, aber einsam; denn er verachtet die +Menschen. Er ist durch Erfahrung ein weiser Mann geworden, welcher, +wenn auch sein Äußeres etwas Auffallendes haben mag, deine +Bewunderung mehr als deinen Spott verdient. + +"So erzählte mir mein Vater; ich bezeugte ihm meine Reue über mein +rohes Betragen gegen den guten kleinen Mann, und mein Vater schenkte +mir die andere Hälfte der Strafe, die er mir zugedacht hatte. Ich +erzählte meinen Kameraden die wunderbaren Schicksale des Kleinen, und +wir gewannen ihn so lieb, daß ihn keiner mehr schimpfte. Im +Gegenteil, wir ehrten ihn, solange er lebte, und haben uns vor ihm +immer so tief wie vor Kadi und Mufti gebückt." + +Die Reisenden beschlossen, einen Rasttag in dieser Karawanserei zu +machen, um sich und die Tiere zur weiteren Reise zu stärken. Die +gestrige Fröhlichkeit ging auch auf diesen Tag über, und sie +ergötzten sich in allerlei Spielen. Nach dem Essen aber riefen sie +dem fünften Kaufmann, Ali Sizah, zu, auch seine Schuldigkeit gleich +den übrigen zu tun und eine Geschichte zu erzählen. Er antwortete, +sein Leben sei zu arm an auffallenden Begebenheiten, als daß er ihnen +etwas davon mitteilen möchte, daher wolle er ihnen etwas anderes +erzählen, nämlich: Das Märchen vom falschen Prinzen. + + + + +Das Märchen vom falschen Prinzen + +Wilhelm Hauff + + +Es war einmal ein ehrsamer Schneidergeselle, namens Labakan, der bei +einem geschickten Meister in Alessandria sein Handwerk lernte. Man +konnte nicht sagen, daß Labakan ungeschickt mit der Nadel war, im +Gegenteil, er konnte recht feine Arbeit machen. Auch tat man ihm +unrecht, wenn man ihn geradezu faul schalt; aber ganz richtig war es +doch nicht mit dem Gesellen, denn er konnte oft stundenweis in einem +fort nähen, daß ihm die Nadel in der Hand glühend ward und der Faden +rauchte, da gab es ihm dann ein Stück wie keinem anderen; ein +andermal aber, und dies geschah leider öfters, saß er in tiefen +Gedanken, sah mit starren Augen vor sich hin und hatte dabei in +Gesicht und Wesen etwas so Eigenes, daß sein Meister und die übrigen +Gesellen von diesem Zustand nie anders sprachen als: "Labakan hat +wieder sein vornehmes Gesicht." + +Am Freitag aber, wenn andere Leute vom Gebet ruhig nach Haus an ihre +Arbeit gingen, trat Labakan in einem schönen Kleid, das er sich mit +vieler Mühe zusammengespart hatte, aus der Moschee, ging langsam und +stolzen Schrittes durch die Plätze und Straßen der Stadt, und wenn +ihm einer seiner Kameraden ein "Friede sei mit dir", oder "Wie geht +es, Freund Labakan?" bot, so winkte er gnädig mit der Hand oder +nickte, wenn es hoch kam, vornehm mit dem Kopf. Wenn dann sein +Meister im Spaß zu ihm sagte: "An dir ist ein Prinz verlorengegangen, +Labakan", so freute er sich darüber und antwortete: "Habt Ihr das +auch bemerkt?" oder: "Ich habe es schon lange gedacht!" + +So trieb es der ehrsame Schneidergeselle Labakan schon eine geraume +Zeit, sein Meister aber duldete seine Narrheit, weil er sonst ein +guter Mensch und geschickter Arbeiter war. Aber eines Tages schickte +Selim, der Bruder des Sultans, der gerade durch Alessandria reiste, +ein Festkleid zu dem Meister, um einiges daran verändern zu lassen, +und der Meister gab es Labakan, weil dieser die feinste Arbeit machte. +Als abends der Meister und die Gesellen sich hinwegbegeben hatten, +um nach des Tages Last sich zu erholen, trieb eine unwiderstehliche +Sehnsucht Labakan wieder in die Werkstatt zurück, wo das Kleid des +kaiserlichen Bruders hing. Er stand lange sinnend davor, bald den +Glanz der Stickerei, bald die schillernden Farben des Samts und der +Seide an dem Kleide bewundernd. Er konnte nicht anders, er mußte es +anziehen, und siehe da, es paßte ihm so trefflich, wie wenn es für +ihn wäre gemacht worden. "Bin ich nicht so gut ein Prinz als einer?" +fragte er sich, indem er im Zimmer auf und ab schritt. "Hat nicht +der Meister selbst schon gesagt, daß ich zum Prinzen geboren sei?" +Mit den Kleidern schien der Geselle eine ganz königliche Gesinnung +angezogen zu haben; er konnte sich nicht anders denken, als er sei +ein unbekannter Königssohn, und als solcher beschloß er, in die Welt +zu reisen und einen Ort zu verlassen, wo die Leute bisher so töricht +gewesen waren, unter der Hülle seines niederen Standes nicht seine +angebotene Würde zu erkennen. Das prachtvolle Kleid schien ihm von +einer gütigen Fee geschickt, er hütete sich daher wohl, ein so teures +Geschenk zu verschmähen, steckte seine geringe Barschaft zu sich und +wanderte, begünstigt von dem Dunkel der Nacht, aus Alessandrias Toren. + +Der neue Prinz erregte überall auf seiner Wanderschaft Verwunderung, +denn das prachtvolle Kleid und sein ernstes, majestätisches Wesen +wollten gar nicht passen für einen Fußgänger. Wenn man ihn darüber +befragte, pflegte er mit geheimnisvoller Miene zu antworten, daß das +seine eigenen Ursachen habe. Als er aber merkte, daß er sich durch +seine Fußwanderungen lächerlich machte, kaufte er um geringen Preis +ein altes Roß, welches sehr für ihn paßte, da es ihn mit seiner +gesetzten Ruhe und Sanftmut nie in die Verlegenheit brachte, sich als +geschickter Reiter zeigen zu müssen, was gar nicht seine Sache war. + +Eines Tages, als er Schritt vor Schritt auf seinem Murva, so hatte er +sein Roß genannt,; seine Straße zog, schloß sich ein Reiter an ihn an +und bat ihn, in seiner Gesellschaft reiten zu dürfen, weil ihm der +Weg viel kürzer werde im Gespräch mit einem anderen. Der Reiter war +ein fröhlicher, junger Mann, schön und angenehm im Umgang. Er hatte +mit Labakan bald ein Gespräch angeknüpft über Woher und Wohin, und es +traf sich, daß auch er, wie der Schneidergeselle, ohne Plan in die +Welt hinauszog. Er sagte, er heiße Omar, sei der Neffe Elfi Beys, +des unglücklichen Bassas von Kairo, und reise nun umher, um einen +Auftrag, den ihm sein Oheim auf dem Sterbebette erteilt habe, +auszurichten. Labakan ließ sich nicht so offenherzig über seine +Verhältnisse aus, er gab ihm zu verstehen, daß er von hoher Abkunft +sei und zu seinem Vergnügen reise. + +Die beiden jungen Herren fanden Gefallen aneinander und zogen fürder. +Am zweiten Tage ihrer gemeinschaftlichen Reise fragte Labakan seinen +Gefährten Omar nach den Aufträgen, die er zu besorgen habe, und +erfuhr zu seinem Erstaunen folgendes: Elfi Bey, der Bassa von Kairo, +hatte den Omar seit seiner frühesten Kindheit erzogen, und dieser +hatte seine Eltern nie gekannt. Als nun Elfi Bey von seinen Feinden +überfallen worden war und nach drei unglücklichen Schlachten, tödlich +verwundet, fliehen mußte, entdeckte er seinem Zögling, daß er nicht +sein Neffe sei, sondern der Sohn eines mächtigen Herrschers, welcher +aus Furcht vor den Prophezeiungen seiner Sterndeuter den jungen +Prinzen von seinem Hofe entfernt habe, mit dem Schwur, ihn erst an +seinem zweiundzwanzigsten Geburtstage wiedersehen zu wollen. Elfi +Bey habe ihm den Namen seines Vaters nicht genannt, sondern ihm nur +aufs bestimmteste aufgetragen, am fünften Tage des kommenden Monats +Ramadan, an welchem Tage er zweiundzwanzig Jahre alt werde, sich an +der berühmten Säule El-Serujah, vier Tagreisen östlich von +Alessandria, einzufinden; dort soll er den Männern, die an der Säule +stehen würden, einen Dolch, den er ihm gab, überreichen mit den +Worten: "leer bin ich, den ihr suchet"; wenn sie antworteten: "Gelobt +sei der Prophet, der dich erhielt!", so solle er ihnen folgen, sie +würden ihn zu seinem Vater führen. + +Der Schneidergeselle Labakan war sehr erstaunt über diese Mitteilung, +er betrachtete von jetzt an den Prinzen Omar mit neidischen Augen, +erzürnt darüber, daß das Schicksal jenem, obgleich er schon für den +Neffen eines mächtigen Bassa galt, noch die Würde eines Fürstensohnes +verliehen, ihm aber, den es mit allem, was einem Prinzen nottut, +ausgerüstet, gleichsam zum Hohn eine dunkle Geburt und einen +gewöhnlichen Lebensweg verliehen habe. Er stellte Vergleichungen +zwischen sich und dem Prinzen an. Er mußte sich gestehen, es sei +jener ein Mann von sehr vorteilhafter Gesichtsbildung; schöne, +lebhafte Augen, eine kühngebogene Nase, ein sanftes, zuvorkommendes +Benehmen, kurz, so viele Vorzüge des Äußeren, die jemand empfehlen +können, waren jenem eigen. Aber so viele Vorzüge er auch an seinem +Begleiter fand, so gestand er sich doch bei diesen Beobachtungen, daß +ein Labakan dem fürstlichen Vater wohl noch willkommener sein dürfte +als der wirkliche Prinz. + +Diese Betrachtungen verfolgten Labakan den ganzen Tag, mit ihnen +schlief er im nächsten Nachtlager ein, aber als er morgens aufwachte +und sein Blick auf den neben ihm schlafenden Omar fiel, der so ruhig +schlafen und von seinem gewissen Glück träumen konnte, da erwachte in +ihm der Gedanke, sich durch List oder Gewalt zu erstreben, was ihm +das ungünstige Schicksal versagt hatte. Der Dolch, das +Erkennungszeichen des heimkehrenden Prinzen, sah aus dem Gürtel des +Schlafenden hervor, leise zog er ihn hervor, um ihn in die Brust des +Eigentümers zu stoßen. Doch vor dem Gedanken des Mordes entsetzte +sich die friedfertige Seele des Gesellen; er begnügte sich, den Dolch +zu sich zu stecken, das schnellere Pferd des Prinzen für sich +aufzäumen zu lassen, und ehe Omar aufwachte und sich aller seiner +Hoffnungen beraubt sah, hatte sein treuloser Gefährte schon einen +Vorsprung von mehreren Meilen. + +Es war gerade der erste Tag des heiligen Monats Ramadan, an welchem +Labakan den Raub an dem Prinzen begangen hatte, und er hatte also +noch vier Tage, um zu der Säule El Serujah, welche ihm wohlbekannt +war, zu gelangen. Obgleich die Gegend, worin sich diese Säule befand, +höchstens noch zwei Tagreisen entfernt sein konnte, so beeilte er +sich doch hinzukommen, weil er immer fürchtete, von dem wahren +Prinzen eingeholt zu werden. + +Am Ende des zweiten Tages erblickte Labakan die Säule El-Serujah. +Sie stand auf einer kleinen Anhöhe in einer weiten Ebene und konnte +auf zwei bis drei Stunden gesehen werden. Labakans Herz pochte +lauter bei diesem Anblick; obgleich er die letzten zwei Tage hindurch +Zeit genug gehabt, über die Rolle, die er zu spielen hatte, +nachzudenken, so machte ihn doch das böse Gewissen etwas ängstlich, +aber der Gedanke, daß er zum Prinzen geboren sei, stärkte ihn wieder, +so daß er getrösteter seinem Ziele entgegenging. + +Die Gegend um die Säule El-Serujah war unbewohnt und öde, und der +neue Prinz wäre wegen seines Unterhalts etwas in Verlegenheit +gekommen, wenn er sich nicht auf mehrere Tage versehen hätte. Er +lagerte sich also neben seinem Pferd unter einigen Palmen und +erwartete dort sein ferneres Schicksal. + +Gegen die Mitte des anderen Tages sah er einen großen Zug von Pferden +und Kamelen über die Ebene her auf die Säule El-Serujah zuziehen. +Der Zug hielt am Fuße des Hügels, auf welchem die Säule stand, man +schlug prächtige Zelte auf, und das Ganze sah aus wie der Reisezug +eines reichen Bassa oder Scheik. Labakan ahnte, daß die vielen Leute, +welche er sah, sich seinetwegen hierher bemüht hatten, und hätte +ihnen gerne schon heute ihren künftigen Gebieter gezeigt; aber er +mäßigte seine Begierde, als Prinz aufzutreten, da ja doch der nächste +Morgen seine kühnsten Wünsche vollkommen befriedigen mußte. + +Die Morgensonne weckte den überglücklichen Schneider zu dem +wichtigsten Augenblick seines Lebens, welcher ihn aus einem niederen, +unbekannten Sterblichen an die Seite eines fürstlichen Vaters erheben +sollte; zwar fiel ihm, als er sein Pferd aufzäumte, um zu der Säule +hinzureiten, wohl auch das Unrechtmäßige seines Schrittes ein; zwar +führten ihm seine Gedanken den Schmerz des in seinen schönen +Hoffnungen betrogenen Fürstensohnes vor, aber--der Würfel war +geworfen, er konnte nicht mehr ungeschehen machen, was geschehen war, +und seine Eigenliebe flüsterte ihm zu, daß er stattlich genug aussehe, +um dem mächtigsten König sich als Sohn vorzustellen; ermutigt durch +diesen Gedanken, schwang er sich auf sein Roß, nahm alle seine +Tapferkeit zusammen, um es in einen ordentlichen Galopp zu bringen, +und in weniger als einer Viertelstunde war er am Fuße des Hügels +angelangt. Er stieg ab von seinem Pferd und band es an eine Staude, +deren mehrere an dem Hügel wuchsen; hierauf zog er den Dolch des +Prinzen Omar hervor und stieg den Hügel hinan. Am Fuß der Säule +standen sechs Männer um einen Greis von hohem, königlichem Ansehen; +ein prachtvoller Kaftan von Goldstoff, mit einem weißen Kaschmirschal +umgürtet, der weiße, mit blitzenden Edelsteinen geschmückte Turban +bezeichneten ihn als einen Mann von Reichtum und Würde. + +Auf ihn ging Labakan zu, neigte sich tief vor ihm und sprach, indem +er den Dolch darreichte: "Hier bin ich, den Ihr suchet. " + +"Gelobt sei der Prophet, der dich erhielt!" antwortete der Greis mit +Freudentränen. "Umarme deinen alten Vater, mein geliebter Sohn Omar!" +Der gute Schneider war sehr gerührt durch diese feierlichen Worte +und sank mit einem Gemisch von Freude und Scham in die Arme des alten +Fürsten. + +Aber nur einen Augenblick sollte er ungetrübt die Wonne seines neuen +Standes genießen; als er sich aus den Armen des fürstlichen Greises +aufrichtete, sah er einen Reiter über die Ebene her auf den Hügel +zueilen. Der Reiter und sein Roß gewährten einen sonderbaren Anblick; +das Roß schien aus Eigensinn oder Müdigkeit nicht vorwärts zu wollen, +in einem stolpernden Gang, der weder Schritt noch Trab war, zog es +daher, der Reiter aber trieb es mit Händen und Füßen zu schnellerem +Laufe an. Nur zu bald erkannte Labakan sein Roß Murva und den echten +Prinzen Omar, aber der böse Geist der Lüge war einmal in ihn gefahren, +und er beschloß, wie es auch kommen möge, mit eiserner Stirne seine +angemaßten Rechte zu behaupten. + +Schon aus der Ferne hatte man den Reiter winken gesehen; jetzt war er +trotz des schlechten Trabes des Rosses Murva am Fuße des Hügels +angekommen, warf sich vom Pferd und stürzte den Hügel hinan. "Haltet +ein!" rief er. "Wer ihr auch sein möget, haltet ein und laßt euch +nicht von dem schändlichsten Betrüger täuschen; ich heiße Omar, und +kein Sterblicher wage es, meinen Namen zu mißbrauchen!" + +Auf den Gesichtern der Umstehenden malte sich tiefes Erstaunen über +diese Wendung der Dinge; besonders schien der Greis sehr betroffen, +indem er bald den einen, bald den anderen fragend ansah; Labakan aber +sprach mit mühsam errungener Ruhe: "Gnädigster Herr und Vater, laßt +Euch nicht irremachen durch diesen Menschen da! Es ist, soviel ich +weiß, ein wahnsinniger Schneidergeselle aus Alessandria, Labakan +geheißen, der mehr unser Mitleid als unseren Zorn verdient." + +Bis zur Raserei aber brachten diese Worte den Prinzen; schäumend vor +Wut wollte er auf Labakan eindringen, aber die Umstehenden warfen +sich dazwischen und hielten ihn fest, und der Fürst sprach: +"Wahrhaftig, mein lieber Sohn, der arme Mensch ist verrückt; man +binde ihn und setze ihn auf eines unserer Dromedare, vielleicht, daß +wir dem Unglücklichen Hilfe schaffen können." + +Die Wut des Prinzen hatte sich gelegt, weinend rief er dem Fürsten zu: +"Mein Herz sagt mir, daß Ihr mein Vater seid; bei dem Andenken +meiner Mutter beschwöre ich Euch, hört mich an!" + +"Ei, Gott bewahre uns!" antwortete dieser, "er fängt schon wieder an, +irre zu reden, wie doch der Mensch auf so tolle Gedanken kommen kann!" +Damit ergriff er Labakans Arm und ließ sich von ihm den Hügel +hinuntergeleiten; sie setzten sich beide auf schöne, mit reichen +Decken behängte Pferde und ritten an der Spitze des Zuges über die +Ebene hin. Dem unglücklichen Prinzen aber fesselte man die Hände und +band ihn auf einem Dromedar fest, und zwei Reiter waren ihm immer zur +Seite, die ein wachsames Auge auf jede seiner Bewegungen hatten. + +Der fürstliche Greis war Saaud, der Sultan der Wechabiten. Er hatte +lange ohne Kinder gelebt, endlich wurde ihm ein Prinz geboren, nach +dem er sich so lange gesehnt hatte; aber die Sterndeuter, welche er +um die Vorbedeutungen des Knaben befragte, taten den Ausspruch, "daß +er bis ins zweiundzwanzigste Jahr in Gefahr stehe, von einem Feinde +verdrängt zu werden", deswegen, um recht sicherzugehen, hatte der +Sultan den Prinzen seinem alten, erprobten Freunde Elfi-Bey zum +Erziehen gegeben und zweiundzwanzig schmerzliche Jahre auf seinen +Anblick geharrt. + +Dieses hatte der Sultan seinem (vermeintlichen) Sohne erzählt und +sich ihm außerordentlich zufrieden mit seiner Gestalt und seinem +würdevollen Benehmen gezeigt. + +Als sie in das Land des Sultans kamen, wurden sie überall von den +Einwohnern mit Freudengeschrei empfangen; denn das Gerücht von der +Ankunft des Prinzen hatte sich wie ein Lauffeuer durch alle Städte +und Dörfer verbreitet. Auf den Straßen, durch welche sie zogen, +waren Bögen von Blumen und Zweigen errichtet, glänzende Teppiche von +allen Farben schmeckten die Häuser, und das Volk pries laut Gott und +seinen Propheten, der ihnen einen so schönen Prinzen gesandt habe. +Alles dies erfüllte das stolze Herz des Schneiders mit Wonne; desto +unglücklicher mußte sich aber der echte Omar fühlen, der, noch immer +gefesselt, in stiller Verzweiflung dem Zuge folgte. Niemand kümmerte +sich um ihn bei dem allgemeinen Jubel, der doch ihm galt; den Namen +Omar riefen tausend und wieder tausend Stimmen, aber ihn, der diesen +Namen mit Recht trug, ihn beachtete keiner; höchstens fragte einer +oder der andere, wen man denn so fest gebunden mit fortfahre, und +schrecklich tönte in das Ohr des Prinzen die Antwort seiner Begleiter, +es sei ein wahnsinniger Schneider. + +Der Zug war endlich in die Hauptstadt des Sultans gekommen, wo alles +noch glänzender zu ihrem Empfang bereitet war als in den übrigen +Städten. Die Sultanin, eine ältliche, ehrwürdige Frau, erwartete sie +mit ihrem ganzen Hofstaat in dem prachtvollsten Saal des Schlosses. +Der Boden dieses Saales war mit einem ungeheuren Teppich bedeckt, die +Wände waren mit hellblauem Tuch geschmeckt, das in goldenen Quasten +und Schnüren an großen, silbernen Haken hing. + +Es war schon dunkel, als der Zug anlangte, daher waren im Saale viele +kugelrunde, farbige Lampen angezündet, welche die Nacht zum Tag +erhellten. Am klarsten und vielfarbigsten strahlten sie aber im +Hintergrund des Saales, wo die Sultanin auf einem Throne saß. Der +Thron stand auf vier Stufen und war von lauterem Golde und mit großen +Amethysten ausgelegt. Die vier vornehmsten Emire hielten einen +Baldachin von roter Seide über dem Haupte der Sultanin, und der +Scheik von Medina fächelte ihr mit einer Windfuchtel von weißen +Pfauenfedern Kühlung zu. + +So erwartete die Sultanin ihren Gemahl und ihren Sohn, auch sie hatte +ihn seit seiner Geburt nicht mehr gesehen, aber bedeutsam Träume +hatten ihr den Ersehnten gezeigt, daß sie ihn aus Tausenden erkennen +wollte. Jetzt hörte man das Geräusch des nahenden Zuges, Trompeten +und Trommeln mischten sich in das Zujauchzen der Menge, der Hufschlag +der Rosse tönte im Hof des Palastes, näher und näher rauschten die +Tritte der Kommenden, die Türen des Saales flogen auf, und durch die +Reihen der niederfallenden Diener eilte der Sultan an der Hand seines +Sohnes vor den Thron der Mutter. + +"Hier", sprach er, "bringe ich dir den, nach welchem du dich so lange +gesehnet." + +Die Sultanin aber fiel ihm in die Rede: "Das ist mein Sohn nicht!" +rief sie aus, "das sind nicht die Züge, die mir der Prophet im Traume +gezeigt hat!" + +Gerade, als ihr der Sultan ihren Aberglauben verweisen wollte, sprang +die Türe des Saales auf. Prinz Omar stürzte herein, verfolgt von +seinen Wächtern, denen er sich mit Anstrengung aller seiner Kraft +entrissen hatte, er warf sich atemlos vor dem Throne nieder: "leer +will ich sterben, laßt mich töten, grausamer Vater; denn diese +Schmach dulde ich nicht länger!" + +Alles war bestürzt über diese Reden; man drängte sich um den +Unglücklichen her, und schon wollten ihn die herbeieilenden Wachen +ergreifen und ihm wieder seine Bande anlegen, als die Sultanin, die +in sprachlosem Erstaunen dieses alles mit angesehen hatte, von dem +Throne aufsprang. "Haltet ein!" rief sie, "dieser und kein anderer +ist der Rechte, dieser ist's, den meine Augen nie gesehen und den +mein Herz doch gekannt hat!" + +Die Wächter hatten unwillkürlich von Omar abgelassen, aber der Sultan, +entflammt von wütendem Zorn, rief ihnen zu, den Wahnsinnigen zu +binden: "Ich habe hier zu entscheiden", sprach er mit gebietender +Stimme, "und hier richtet man nicht nach den Träumen der Weiber, +sondern nach gewissen, untrüglichen Zeichen. Dieser hier (indem er +auf Labakan zeigte) ist mein Sohn; denn er hat mir das Wahrzeichen +meines Freundes Elfi, den Dolch, gebracht." + +"Gestohlen hat er ihn", schrie Omar, "mein argloses Vertrauen hat er +zum Verrat mißbraucht!" Der Sultan aber hörte nicht auf die Stimme +seines Sohnes; denn er war in allen Dingen gewohnt, eigensinnig nur +seinem Urteil zu folgen; daher ließ er den unglücklichen Omar mit +Gewalt aus dem Saal schleppen. Er selbst aber begab sich mit Labakan +in sein Gemach, voll Wut über die Sultanin, seine Gemahlin, mit der +er doch seit fünfundzwanzig Jahren in Frieden gelebt hatte. + +Die Sultanin aber war voll Kummer über diese Begebenheiten; sie war +vollkommen überzeugt, daß ein Betrüger sich des Herzens des Sultans +bemächtigt hatte, denn jenen Unglücklichen hatten ihr so viele +bedeutsam Träume als ihren Sohn gezeigt. + +Als sich ihr Schmerz ein wenig gelegt hatte, sann sie auf Mittel, um +ihren Gemahl von seinem Unrecht zu überzeugen. Es war dies +allerdings schwierig; denn jener, der sich für ihren Sohn ausgab, +hatte das Erkennungszeichen, den Dolch, überreicht und hatte auch, +wie sie erfuhr, so viel von Omars früherem Leben von diesem selbst +sich erzählen lassen, daß er seine Rolle, ohne sich zu verraten, +spielte. + +Sie berief die Männer zu sich, die den Sultan zu der Säule El-Serujah +begleitet hatten, um sich alles genau erzählen zu lassen, und hielt +dann mit ihren vertrautesten Sklavinnen Rat. Sie wählten und +verwarfen dies und jenes Mittel; endlich sprach Melechsalah, eine +alte, kluge Zierkassierin: "Wenn ich recht gehört habe, verehrte +Gebieterin, so nannte der Überbringer des Dolches den, welchen du für +deinen Sohn hältst, Labakan, einen verwirrten Schneider?" + +"Ja, so ist es", antwortete die Sultanin, "aber was willst du damit?" + +"Was meint Ihr", fuhr jene fort, "wenn dieser Betrüger Eurem Sohn +seinen eigenen Namen aufgeheftet hätte?--Und wenn dies ist, so gibt +es ein herrliches Mittel, den Betrüger zu fangen, das ich Euch ganz +im geheimen sagen will." Die Sultanin bot ihrer Sklavin das Ohr, und +diese flüsterte ihr einen Rat zu, der ihr zu behagen schien, denn sie +schickte sich an, sogleich zum Sultan zu gehen. + +Die Sultanin war eine kluge Frau, welche wohl die schwachen Seiten +des Sultans kannte und sie zu benützen verstand. Sie schien daher, +ihm nachgeben und den Sohn anerkennen zu wollen, und bat sich nur +eine Bedingung aus; der Sultan, dem sein Aufbrausen gegen seine Frau +leid tat, gestand die Bedingung zu, und sie sprach: "Ich möchte gerne +den beiden eine Probe ihrer Geschicklichkeit auferlegen; eine andere +würde sie vielleicht reiten, fechten oder Speere werfen lassen, aber +das sind Sachen, die ein jeder kann; nein, ich will ihnen etwas geben, +wozu Scharfsinn gehört! Es soll nämlich jeder von ihnen einen +Kaftan und ein Paar Beinkleider verfertigen, und da wollen wir einmal +sehen, wer die schönsten macht." + +Der Sultan lachte und sprach: "Ei, da hast du ja etwas recht Kluges +ausgesonnen. Mein Sohn sollte mit deinem wahnsinnigen Schneider +wetteifern, wer den besten Kaftan macht? Nein, das ist nichts." + +Die Sultanin aber berief sich darauf, daß er ihr die Bedingung zum +Voraus zugesagt habe, und der Sultan, welcher ein Mann von Wort war, +gab endlich nach, obgleich er schwor, wenn der wahnsinnige Schneider +seinen Kaftan auch noch so schön mache, könne er ihn doch nicht für +seinen Sohn erkennen. + +Der Sultan ging selbst zu seinem Sohn und bat ihn, sich in die +Grillen seiner Mutter zu schicken, die nun einmal durchaus einen +Kaftan von seiner Hand zu sehen wünsche. Dem guten Labakan lachte +das Herz vor Freude; wenn es nur an dem fehlt, dachte er bei sich, da +soll die Frau Sultanin bald Freude an mir erleben. + +Man hatte zwei Zimmer eingerichtet, eines für den Prinzen, das andere +für den Schneider; dort sollten sie ihre Kunst erproben, und man +hatte jedem nur ein hinlängliches Stück Seidenzeug, Schere, Nadel und +Faden gegeben. + +Der Sultan war sehr begierig, was für ein Ding von Kaftan wohl sein +Sohn zutage fördern werde, aber auch der Sultanin pochte unruhig das +Herz, ob ihre List wohl gelingen werde oder nicht. Man hatte den +beiden zwei Tage zu ihrem Geschäft ausgesetzt, am dritten ließ der +Sultan seine Gemahlin rufen, und als sie erschienen war, schickte er +in jene zwei Zimmer, um die beiden Kaftane und ihre Verfertiger holen +zu lassen. Triumphierend trat Labakan ein und breitete seinen Kaftan +vor den erstaunten Blicken des Sultans aus. "Siehe her, Vater", +sprach er, "siehe her, verehrte Mutter, ob dies nicht ein +Meisterstück von einem Kaftan ist? Da laß ich es mit dem +geschicktesten Hofschneider auf eine Wette ankommen, ob er einen +solchen herausbringt." + +Die Sultanin lächelte und wandte sich zu Omar: "Und was hast du +herausgebracht, mein Sohn?" + +Unwillig warf dieser den Seidenstoff und die Schere auf den Boden: +"Man hat mich gelehrt, ein Roß zu bändigen und einen Säbel zu +schwingen, und meine Lanze trifft auf sechzig Gänge ihr Ziel--aber +die Künste der Nadel sind mir fremd, sie wären auch unwürdig für +einen Zögling Elfi Beys, des Beherrschers von Kairo." + +"Oh, du echter Sohn meines Herrn", rief die Sultanin, "ach, daß ich +dich umarmen, dich Sohn nennen dürfte! Verzeihet, mein Gemahl und +Gebieter", sprach sie dann, indem sie sich zum Sultan wandte, "daß +ich diese List gegen Euch gebraucht habe; sehet Ihr jetzt noch nicht +ein, wer Prinz und wer Schneider ist; fürwahr, der Kaftan ist +köstlich, den Euer Herr Sohn gemacht hat, und ich möchte ihn gerne +fragen, bei welchem Meister er gelernt habe." + +Der Sultan saß in tiefen Gedanken, mißtrauisch bald seine Frau, bald +Labakan anschauend, der umsonst sein Erröten und seine Bestürzung, +daß er sich so dumm verraten habe, zu bekämpfen suchte. "Auch dieser +Beweis genügt nicht", sprach er, "aber ich weiß, Allah sei es gedankt, +ein Mittel, zu erfahren, ob ich betrogen bin oder nicht." + +Er befahl, sein schnellstes Pferd vorzufahren, schwang sich auf und +ritt in einen Wald, der nicht weit von der Stadt begann. Dort wohnte +nach einer alten Sage eine gütige Fee, Adolzaide geheißen, welche oft +schon den Königen seines Stammes in der Stunde der Not mit ihrem Rat +beigestanden war; dorthin eilte der Sultan. + +In der Mitte des Waldes war ein freier Platz, von hohen Zedern +umgeben. Dort wohnte nach der Sage die Fee, und selten betrat ein +Sterblicher diesen Platz, denn eine gewisse Scheu davor hatte sich +aus alten Zeiten vom Vater auf den Sohn vererbt. + +Als der Sultan dort angekommen war, stieg er ab, band sein Pferd an +einen Baum, stellte sich in die Mitte des Platzes und sprach mit +lauter Stimme: "Wenn es wahr ist, daß du meinen Vätern gütigen Rat +erteiltest in der Stunde der Not, so verschmähe nicht die Bitte ihres +Enkels und rate mir, wo menschlicher Verstand zu kurzsichtig ist!" + +Er hatte kaum die letzten Worte gesprochen, als sich eine der Zedern +öffnete und eine verschleierte Frau in langen, weißen Gewändern +hervortrat. "Ich weiß, warum du zu mir kommst, Sultan Saaud, dein +Wille ist redlich; darum soll dir auch meine Hilfe werden. Nimm +diese zwei Kistchen! Laß jene beiden, welche deine Söhne sein wollen, +wählen! Ich weiß, daß der, welcher der echte ist, das rechte nicht +verfehlen wird." So sprach die Verschleierte und reichte ihm zwei +kleine Kistchen von Elfenbein, reich mit Gold und Perlen verziert; +auf den Deckeln, die der Sultan vergebens zu öffnen versuchte, +standen Inschriften von eingesetzten Diamanten. + +Der Sultan besann sich, als er nach Hause ritt, hin und her, was wohl +in den Kistchen sein könnte, welche er mit aller Mühe nicht zu öffnen +vermochte. Auch die Aufschrift gab ihm kein Licht in der Sache; denn +auf dem einen stand: "Ehre und Ruhm", auf dem anderen: "Glück und +Reichtum". Der Sultan dachte bei sich, da würde auch ihm die Wahl +schwer werden unter diesen beiden Dingen, die gleich anziehend, +gleich lockend seien. + +Als er in seinen Palast zurückgekommen war, ließ er die Sultanin +rufen und sagte ihr den Ausspruch der Fee, und eine wunderbare +Hoffnung erfüllte sie, daß jener, zu dem ihr Herz sie hinzog, das +Kistchen wählen Würde, welches seine königliche Abkunft beweisen +sollte. + +Vor dem Ibrone des Sultans wurden zwei Tische aufgestellt; auf sie +setzte der Sultan mit eigener Hand die beiden Kistchen, bestieg dann +den Thron und winkte einem seiner Sklaven, die Pforte des Saales zu +öffnen. Eine glänzende Versammlung von Bassas und Emiren des Reiches, +die der Sultan berufen hatte, strömte durch die geöffnete Pforte. +Sie ließen sich auf prachtvollen Polstern nieder, welche die Wände +entlang aufgestellt waren. + +Als sie sich alle niedergelassen hatten, winkte der König zum +zweitenmal, und Labakan wurde hereingeführt. Mit stolzem Schritte +ging er durch den Saal, warf sich vor dem Throne nieder und sprach: +"Was befiehlt mein Herr und Vater?" + +Der Sultan erhob sich auf seinem Thron und sprach: "Mein Sohn! Es +sind Zweifel an der Echtheit deiner Ansprüche auf diesen Namen +erhoben worden; eines jener Kistchen enthält die Bestätigung deiner +echten Geburt, wähle! Ich zweifle nicht, du wirst das rechte wählen!" + +Labakan erhob sich und trat vor die Kistchen, er erwog lange, was er +wählen sollte, endlich sprach er: "Verehrter Vater! Was kann es +Höheres geben als das Glück, dein Sohn zu sein, was Edleres als den +Reichtum deiner Gnade? Ich wähle das Kistchen, das die Aufschrift +"Gliick und Reichtum" zeigt." + +"Wir werden nachher erfahren, ob du recht gewählt hast; einstweilen +setze dich dort auf das Polster zum Bassa von Medina", sagte der +Sultan und winkte seinen Sklaven. + +Omar wurde hereingeführt; sein Blick war düster, seine Miene traurig, +und sein Anblick erregte allgemeine Teilnahme unter den Anwesenden. +Er warf sich vor dem Throne nieder und fragte nach dem Willen des +Sultans. + +Der Sultan deutete ihm an, daß er eines der Kistchen zu wählen habe, +er stand auf und trat vor den Tisch. + +Er las aufmerksam beide Inschriften und sprach: "Die letzten Tage +haben mich gelehrt, wie unsicher das Glück, wie vergänglich der +Reichtum ist; sie haben mich aber auch gelehrt, daß ein +unzerstörbares Gut in der Brust des Tapferen wohnt, die Ehre, und daß +der leuchtende Stern des Ruhmes nicht mit dem Glück zugleich vergeht. +Und sollte ich einer Krone entsagen, der Würfel liegt--Ehre und Ruhm, +ich wähle euch!" + +Er setzte seine Hand auf das Kistchen, das er erwählt hatte; aber der +Sultan befahl ihm, einzuhalten; er winkte Labakan, gleichfalls vor +seinen Tisch zu treten, und auch dieser legte seine Hand auf sein +Kistchen. + +Der Sultan aber ließ sich ein Becken mit Wasser von dem heiligen +Brunnen Zemzem in Mekka bringen, wusch seine Hände zum Gebet, wandte +sein Gesicht nach Osten, warf sich nieder und betete: "Gott meiner +Väter! Der du seit Jahrhunderten unsern Stamm rein und unverfälscht +bewahrtest, gib nicht zu, daß ein Unwürdiger den Namen der Abassiden +schände, sei mit deinem Schutze meinem echten Sohne nahe in dieser +Stunde der Prüfung!" + +Der Sultan erhob sich und bestieg seinen Thron wieder; allgemeine +Erwartung fesselte die Anwesenden, man wagte kaum zu atmen, man hätte +ein Mäuschen über den Saal gehen hören können, so still und gespannt +waren alle, die hintersten machten lange Hälse, um über die vorderen +nach den Kistchen sehen zu können. Jetzt sprach der Sultan: "Öffnet +die Kistchen", und diese, die vorher keine Gewalt zu öffnen vermochte, +sprangen von selbst auf. + +In dem Kistchen, das Omar gewählt hatte, lagen auf einem samtenen +Kissen eine kleine goldene Krone und ein Zepter; in Labakans +Kistchen--eine große Nadel und ein wenig Zwirn! Der Sultan befahl +den beiden, ihre Kistchen vor ihn zu bringen. Er nahm das Krönchen +von dem Kissen in seine Hand, und wunderbar war es anzusehen, wie er +es nahm, wurde es größer und größer, bis es die Größe einer rechten +Krone erreicht hatte. Er setzte die Krone seinem Sohn Omar, der vor +ihm kniete, auf das Haupt, küßte ihn auf die Stirne und hieß ihn zu +seiner Rechten sich niedersetzen. Zu Labakan aber wandte er sich und +sprach: "Es ist ein altes Sprichwort: Der Schuster bleibe bei seinem +Leisten! Es scheint, als solltest du bei der Nadel bleiben. Zwar +hast du meine Gnade nicht verdient, aber es hat jemand für dich +gebeten, dem ich heute nichts abschlagen kann; drum schenke ich dir +dein armseliges Leben, aber wenn ich dir guten Rates bin, so beeile +dich, daß du aus meinem Lande kommst!" + +Beschämt, vernichtet, wie er war, vermochte der arme Schneidergeselle +nichts zu erwidern; er warf sich vor dem Prinzen nieder, und Tränen +drangen ihm aus den Augen: "Könnt Ihr mir vergeben, Prinz?" sagte er. + +"Treue gegen den Freund, Großmut gegen den Feind ist des Abassiden +Stolz", antwortete der Prinz, indem er ihn aufhob, "gehe hin in +Frieden!" + +"O du mein echter Sohn!" rief gerührt der alte Sultan und sank an die +Brust des Sohnes; die Emire und Bassa und alle Großen des Reiches +standen auf von ihren Sitzen und riefen: "Heil dem neuen Königssohn!" +Und unter dem allgemeinen Jubel schlich sich Labakan, sein Kistchen +unter dem Arm, aus dem Saal. + +Er ging hinunter in die Ställe des Sultans, zäumte sein Roß Murva auf +und ritt zum Tore hinaus, Alessandria zu. Sein ganzes Prinzenleben +kam ihm wie ein Traum vor, und nur das prachtvolle Kistchen, reich +mit Perlen und Diamanten geschmückt, erinnerte ihn, daß er doch nicht +geträumt habe. + +Als er endlich wieder nach Alessandria kam, ritt er vor das Haus +seines alten Meisters, stieg ab, band sein Rößlein an die Türe und +trat in die Werkstatt. Der Meister, der ihn nicht gleich kannte, +machte ein großes Wesen und fragte, was ihm zu Dienst stehe; als er +aber den Gast näher ansah und seinen alten Labakan erkannte, rief er +seine Gesellen und Lehrlinge herbei, und alle stürzten sich wie +wütend auf den armen Labakan, der keines solchen Empfangs gewärtig +war, stießen und schlugen ihn mit Bügeleisen und Ellenmaß, stachen +ihn mit Nadeln und zwickten ihn mit scharfen Scheren, bis er +erschöpft auf einen Haufen alter Kleider niedersank. + +Als er nun so dalag, hielt ihm der Meister eine Strafrede über das +gestohlene Kleid; vergebens versicherte Labakan, daß er nur deswegen +wiedergekommen sei, um ihm alles zu ersetzen, vergebens bot er ihm +den dreifachen Schadenersatz, der Meister und seine Gesellen fielen +wieder über ihn her, schlugen ihn weidlich und warfen ihn zur Türe +hinaus; zerschlagen und zerfetzt stieg er auf das Roß Murva und ritt +in eine Karawanserei. Dort legte er sein müdes, zerschlagenes Haupt +nieder und stellte Betrachtungen an über die Leiden der Erde, über +das so oft verkannte Verdienst und über die Nichtigkeit und +Flüchtigkeit aller Güter. Er schlief mit dem Entschluß ein, aller +Größe zu entsagen und ein ehrsamer Bürger zu werden. + +Und den andere Tag gereute ihn sein Entschluß nicht; denn die +schweren Hände des Meisters und seiner Gesellen schienen alle Hoheit +aus ihm herausgeprügelt zu haben. + +Er verkaufte um einen hohen Preis sein Kistchen an einen +Juwelenhändler, kaufte sich ein Haus und richtete sich eine Werkstatt +zu seinem Gewerbe ein. Als er alles eingerichtet und auch ein Schild +mit der Aufschrift Labakan, Kleidermacher vor sein Fenster gehängt +hatte, setzte er sich und begann mit jener Nadel und dem Zwirn, die +er in dem Kistchen gefunden, den Rock zu flicken, welchen ihm sein +Meister so grausam zerfetzt hatte. Er wurde von seinem Geschäft +abgerufen, und als er sich wieder an die Arbeit setzen wollte, welch +sonderbarer Anblick bot sich ihm dar! Die Nadel nähte emsig fort, +ohne von jemand geführt zu werden; sie machte feine, zierliche Stiche, +wie sie selbst Labakan in seinen kunstreichsten Augenblicken nicht +gemacht hatte! + +Wahrlich, auch das geringste Geschenk einer gütigen Fee ist nützlich +und von großem Wert! Noch einen andere Wert hatte aber dies Geschenk, +nämlich: Das Stückchen Zwirn ging nie aus, die Nadel mochte so +fleißig sein, als sie wollte. + +Labakan bekam viele Kunden und war bald der berühmteste Schneider +weit und breit; er schnitt die Gewänder zu und machte den ersten +Stich mit der Nadel daran, und flugs arbeitete diese weiter ohne +Unterlaß, bis das Gewand fertig war. Meister Labakan hatte bald die +ganze Stadt zu Kunden; denn er arbeitete schön und außerordentlich +billig, und nur über eines schüttelten die Leute von Alessandria den +Kopf, nämlich: daß er ganz ohne Gesellen und bei verschlossenen Türen +arbeitete. + +So war der Spruch des Kistchens, Glück und Reichtum verheißend, in +Erfüllung gegangen; Glück und Reichtum begleiteten, wenn auch in +bescheidenem Maße, die Schritte des guten Schneiders, und wenn er von +dem Ruhm des jungen Sultans Omar, der in aller Munde lebte, hörte, +wenn er hörte, daß dieser Tapfere der Stolz und die Liebe seines +Volkes und der Schrecken seiner Feinde sei, da dachte der ehemalige +Prinz bei sich: "Es ist doch besser, daß ich ein Schneider geblieben +bin; denn um die Ehre und den Ruhm ist es eine gar gefährliche Sache." +So lebte Labakan, zufrieden mit sich, geachtet von seinen +Mitbürgern, und wenn die Nadel indes nicht ihre Kraft verloren, so +näht sie noch jetzt mit dem ewigen Zwirn der gütigen Fee Adolzaide. + +Mit Sonnenaufgang brach die Karawane auf und gelangte bald nach +Birket el Had oder dem Pilgrimsbrunnen, von wo es nur noch drei +Stunden Weges nach Kairo waren--Man hatte um diese Zeit die Karawane +erwartet, und bald hatten die Kaufleute die Freude, ihre Freunde aus +Kairo ihnen entgegenkommen zu sehen. Sie zogen in die Stadt durch +das Tor Bebel Falch; denn es wird für eine glückliche Vorbedeutung +gehalten, wenn man von Mekka kommt, durch dieses Tor einzuziehen, +weil der Prophet hindurchgezogen ist. + +Auf dem Markt verabschiedeten sich die vier türkischen Kaufleute von +dem Fremden und dem griechischen Kaufmann Zaleukos und gingen mit +ihren Freunden nach Haus. Zaleukos aber zeigte dem Fremden eine gute +Karawanserei und lud ihn ein, mit ihm das Mittagsmahl zu nehmen. Der +Fremde sagte zu und versprach, wenn er nur vorher sich umgekleidet +habe, zu erscheinen. + +Der Grieche hatte alle Anstalten getroffen, den Fremden, welchen er +auf der Reise liebgewonnen hatte, gut zu bewirten, und als die +Speisen und Getränke in gehöriger Ordnung aufgestellt waren, setzte +er sich, seinen Gast zu erwarten. + +Langsam und schweren Schrittes hörte er ihn den Gang, der zu seinem +Gemach führte, heraufkommen. Er erhob sich, um ihm freundlich +entgegenzusehen und ihn an der Schwelle zu bewillkommnen; aber voll +Entsetzen fuhr er zurück, als er die Türe öffnete; denn jener +schreckliche Rotmantel trat ihm entgegen; er warf noch einen Blick +auf ihn, es war keine Täuschung; dieselbe hohe, gebietende Gestalt, +die Larve, aus welcher ihn die dunklen Augen anblitzten, der rote +Mantel mit der goldenen Stickerei waren ihm nur allzuwohl bekannt aus +den schrecklichsten Stunden seines Lebens. + +Widerstreitende Gefühle wogten in Zaleukos Brust; er hatte sich mit +diesem Bild seiner Erinnerung längst ausgesöhnt und ihm vergeben, und +doch riß sein Anblick alle seine Wunden wieder auf; alle jene +qualvollen Stunden der Todesangst, jener Gram, der die Blüte seines +Lebens vergiftete, zogen im Flug eines Augenblicks an seiner Seele +vorüber. + +"Was willst du, Schrecklicher?" rief der Grieche aus, als die +Erscheinung noch immer regungslos auf der Schwelle stand. "Weiche +schnell von hinnen, daß ich dir nicht fluche!" + +"Zaleukos!" sprach eine bekannte Stimme unter der Larve hervor. +"Zaleukos! So empfängst du deinen Gastfreund?" Der Sprechende nahm +die Larve ab, schlug den Mantel zurück; es war Selim Baruch, der +Fremde. + +Aber Zaleukos schien noch nicht beruhigt, ihm graute vor dem Fremden; +denn nur zu deutlich hatte er in ihm den Unbekannten von der Ponte +vecchio erkannt; aber die alte Gewohnheit der Gastfreundschaft siegte; +er winkte schweigend dem Fremden, sich zu ihm ans Mahl zu setzen. + +"Ich errate deine Gedanken", nahm dieser das Wort, als sie sich +gesetzt hatten. "Deine Augen sehen fragend auf mich--ich hätte +schweigen und mich deinen Blicken nie mehr zeigen können, aber ich +bin dir Rechenschaft schuldig, und darum wagte ich es auch, auf die +Gefahr hin, daß du mir fluchtest, vor dir in meiner alten Gestalt zu +erscheinen. Du sagtest einst zu mir: Der Glaube meiner Väter +befiehlt mir, ihn zu lieben, auch ist er wohl unglücklicher als ich; +glaube dieses, mein Freund, und höre meine Rechtfertigung! + +Ich muß weit ausholen, um mich dir ganz verständlich zu machen. Ich +bin in Alessandria von christlichen Eltern geboren. Mein Vater, der +jüngere Sohn eines alten, berühmten französischen Hauses, war Konsul +seines Landes in Alessandria. Ich wurde von meinem zehnten Jahre an +in Frankreich bei einem Bruder meiner Mutter erzogen und verließ erst +einige Jahre nach dem Ausbruch der Revolution mein Vaterland, um mit +meinem Oheim, der in dem Lande seiner Ahnen nicht mehr sicher war, +über dem Meer bei meinen Eltern eine Zuflucht zu suchen. Voll +Hoffnung, die Ruhe und den Frieden, den uns das empörte Volk der +Franzosen entrissen, im elterlichen Hause wiederzufinden, landeten +wir. Aber ach! Ich fand nicht alles in meines Vaters Hause, wie es +sein sollte; die äußeren Stürme der bewegten Zeit waren zwar noch +nicht bis hierher gelangt, desto unerwarteter hatte das Unglück mein +Haus im innersten Herzen heimgesucht. Mein Bruder, ein junger, +hoffnungsvoller Mann, erster Sekretär meines Vaters, hatte sich erst +seit kurzem mit einem jungen Mädchen, der Tochter eines +florentinischen Edelmanns, der in unserer Nachbarschaft wohnte, +verheiratet; zwei Tage vor unserer Ankunft war diese auf einmal +verschwunden, ohne daß weder unsere Familie noch ihr Vater die +geringste Spur von ihr auffinden konnten. Man glaubte endlich, sie +habe sich auf einem Spaziergang zu weit gewagt und sei in Räuberhände +gefallen. Beinahe tröstlicher wäre dieser Gedanke für meinen armen +Bruder gewesen als die Wahrheit, die uns nur bald kund wurde. Die +Treulose hatte sich mit einem jungen Neapolitaner, den sie im Hause +ihres Vaters kennengelernt hatte, eingeschifft. Mein Bruder, aufs +äußerste empört über diesen Schritt, bot alles auf, die Schuldige zur +Strafe zu ziehen; doch vergebens; seine Versuche, die in Neapel und +Florenz Aufsehen erregt hatten, dienten nur dazu, sein und unser +aller Unglück zu vollenden. Der florentinische Edelmann reiste in +sein Vaterland zurück, zwar mit dem Vorgeben, meinem Bruder Recht zu +verschaffen, der Tat nach aber, um uns zu verderben. Er schlug in +Florenz alle jene Untersuchungen, welche mein Bruder angeknüpft hatte, +nieder und wußte seinen Einfluß, den er auf alle Art sich verschafft +hatte, so gut zu benützen, daß mein Vater und mein Bruder ihrer +Regierung verdächtig gemacht und durch die schändlichsten Mittel +gefangen, nach Frankreich geführt und dort vom Beil des Henkers +getötet wurden. Meine arme Mutter verfiel in Wahnsinn, und erst nach +zehn langen Monaten erlöste sie der Tod von ihrem schrecklichen +Zustand, der aber in den letzten Tagen zu vollem, klarem Bewußtsein +geworden war. So stand ich jetzt ganz allein in der Welt, aber nur +ein Gedanke beschäftigte meine Seele, nur ein Gedanke ließ mich meine +Trauer vergessen, es war jene mächtige Flamme, die meine Mutter in +ihrer letzten Stunde in mir angefacht hatte. + +In den letzten Stunden war, wie ich dir sagte, ihr Bewußtsein +zurückgekehrt; sie ließ mich rufen und sprach mit Ruhe von unserem +Schicksal und ihrem Ende. Dann aber ließ sie alle aus dem Zimmer +gehen, richtete sich mit feierlicher Miene von ihrem ärmlichen Lager +auf und sagte, ich könne mir ihren Segen erwerben, wenn ich ihr +schwöre, etwas auszufahren, das sie mir auftragen würde--Ergriffen +von den Worten der sterbenden Mutter, gelobte ich mit einem Eide zu +tun, wie sie mir sagen werde. Sie brach nun in Verwünschungen gegen +den Florentiner und seine Tochter aus und legte mir mit den +fürchterlichsten Drohungen ihres Fluches auf, mein unglückliches Haus +an ihm zu rächen. Sie starb in meinen Armen. Jener Gedanke der +Rache hatte schon lange in meiner Seele geschlummert; jetzt erwachte +er mit aller Macht. Ich sammelte den Rest meines väterlichen +Vermögens und schwor mir, alles an meine Rache zu setzen oder selbst +mit unterzugehen. + +Bald war ich in Florenz, wo ich mich so geheim als möglich aufhielt; +mein Plan war um vieles erschwert worden durch die Lage, in welcher +sich meine Feinde befanden. Der alte Florentiner war Gouverneur +geworden und hatte so alle Mittel in der Hand, sobald er das +geringste ahnte, mich zu verderben. Ein Zufall kam mir zu Hilfe. +Eines Abends sah ich einen Menschen in bekannter Livree durch die +Straßen gehen; sein unsicherer Gang, sein finsterer Blick und das +halblaut herausgestoßene "Santo sacramento", "Maledetto diavolo" +ließen mich den alten Pietro, einen Diener des Florentiners, den ich +schon in Alessandria gekannt hatte, erkennen. Ich war nicht in +Zweifel, daß er über seinen Herrn in Zorn geraten sei, und beschloß, +seine Stimmung zu benützen. Er schien sehr überrascht, mich hier zu +sehen, klagte mir sein Leiden, daß er seinem Herrn, seit er +Gouverneur geworden, nichts mehr recht machen könne, und mein Gold, +unterstützt von seinem Zorn, brachte ihn bald auf meine Seite. Das +Schwierigste war jetzt beseitigt; ich hatte einen Mann in meinem +Solde, der mir zu jeder Stunde die Türe meines Feindes öffnete, und +nun reifte mein Racheplan immer schneller heran. Das Leben des alten +Florentiners schien mir ein zu geringes Gewicht, dem Untergang meines +Hauses gegenüber, zu haben. Sein Liebstes mußte er gemordet sehen, +und dies war Bianka, seine Tochter. Hatte ja sie so schändlich an +meinem Bruder gefrevelt, war ja doch sie die Ursache unseres Unglücks. +Gar erwünscht kam sogar meinem rachedürstigen Herzen die Nachricht, +daß in dieser Zeit Bianka zum zweitenmal sich vermählen wollte, es +war beschlossen, sie mußte sterben. Aber mir selbst graute vor der +Tat, und auch Pietro traute sich zu wenig Kraft zu; darum spähten wir +umher nach einem Mann, der das Geschäft vollbringen könne. Unter den +Florentinern wagte ich keinen zu dingen, denn gegen den Gouverneur +würde keiner etwas Solches unternommen haben. Da fiel Pietro der +Plan ein, den ich nachher ausgeführt habe; zugleich schlug er dich +als Fremden und Arzt als den Tauglichsten vor. Den Verlauf der Sache +weißt du. Nur an deiner großen Vorsicht und Ehrlichkeit schien mein +Unternehmen zu scheitern. Daher der Zufall mit dem Mantel. + +Pietro öffnete uns das Pförtchen an dem Palast des Gouverneurs; er +hätte uns auch ebenso heimlich wieder hinausgeleitet, wenn wir nicht, +durch den schrecklichen Anblick, der sich uns durch die Türspalte +darbot, erschreckt, entflohen wären. Von Schrecken und Reue gejagt, +war ich über zweihundert Schritte fortgerannt, bis ich auf den Stufen +einer Kirche niedersank. Dort erst sammelte ich mich wieder, und +mein erster Gedanke warst du und dein schreckliches Schicksal, wenn +man dich in dem Hause fände. Ich schlich an den Palast, aber weder +von Pietro noch von dir konnte ich eine Spur entdecken; das Pförtchen +aber war offen, so konnte ich wenigstens hoffen, daß du die +Gelegenheit zur Flucht benützt haben könntest. + +Als aber der Tag anbrach, ließ mich die Angst vor der Entdeckung und +ein unabweisbares Gefühl von Reue nicht mehr in den Mauern von +Florenz. Ich eilte nach Rom. Aber denke dir meine Bestürzung, als +man dort nach einigen Tagen überall diese Geschichte erzählte mit dem +Beisatz, man habe den Mörder, einen griechischen Arzt, gefangen. Ich +kehrte in banger Besorgnis nach Florenz zurück; denn schien mir meine +Rache schon vorher zu stark, so verfluchte ich sie jetzt, denn sie +war mir durch dein Leben allzu teuer erkauft. Ich kam an demselben +Tage an, der dich der Hand beraubte. Ich schweige von dem, was ich +fühlte, als ich dich das Schafott besteigen und so heldenmütig leiden +sah. Aber damals, als dein Blut in Strömen aufspritzte, war der +Entschluß fest in mir, dir deine übrigen Lebenstage zu versüßen. Was +weiter geschehen ist, weißt du, nur das bleibt mir noch zu sagen +übrig, warum ich diese Reise mit dir machte. + +Als eine schwere Last drückte mich der Gedanke, daß du mir noch immer +nicht vergeben habest; darum entschloß ich mich, viele Tage mit dir +zu leben und dir endlich Rechenschaft abzulegen von dem, was ich mit +dir getan." + +Schweigend hatte der Grieche seinen Gast angehört; mit sanftem Blick +bot er ihm, als er geendet hatte, seine Rechte. "Ich wußte wohl, daß +du unglücklicher sein müßtest als ich, denn jene grausame Tat wird +wie eine dunkle Wolke ewig deine Tage verfinstern; ich vergebe dir +von Herzen. Aber erlaube mir noch eine Frage: Wie kommst du unter +dieser Gestalt in die Wüste? Was fingst du an, nachdem du in +Konstantinopel mir das Haus gekauft hattest?" + +"Ich ging nach Alessandria zurück", antwortete der Gefragte. "Haß +gegen alle Menschen tobte in meiner Brust, brennender Haß besonders +gegen jene Nationen, die man die gebildeten nennt. Glaube mir, unter +meinen Moslemiten war mir wohler! Kaum war ich einige Monate in +Alessandria, als jene Landung meiner Landsleute erfolgte. + +Ich sah in ihnen nur die Henker meines Vaters und meines Bruders; +darum sammelte ich einige gleichgesinnte junge Leute meiner +Bekanntschaft und schloß mich jenen tapferen Mamelucken an, die so +oft der Schrecken des französischen Heeres wurden. Als der Feldzug +beendigt war, konnte ich mich nicht entschließen, zu den Künsten des +Friedens zurückzukehren. Ich lebte mit einer kleinen Anzahl +gleichdenkender Freunde ein unstetes und flüchtiges, dem Kampf und +der Jagd geweihtes Leben; ich lebe zufrieden unter diesen Leuten, die +mich wie ihren Fürsten ehren; denn wenn meine Asiaten auch nicht so +gebildet sind wie Eure Europäer, so sind sie doch weit entfernt von +Neid und Verleumdung, von Selbstsucht und Ehrgeiz." + +Zaleukos dankte dem Fremden für seine Mitteilung, aber er verbarg ihm +nicht, daß er es für seinen Stand, für seine Bildung angemessener +fände, wenn er in christlichen, in europäischen Ländern leben und +wirken würde. Er faßte seine Hand und bat ihn, mit ihm zu ziehen, +bei ihm zu leben und zu sterben. + +Gerührt sah ihn der Gastfreund an. "Daraus erkenne ich", sagte er, +"daß du mir ganz vergeben hast, daß du mich liebst. Nimm meinen +innigsten Dank dafür!" Er sprang auf und stand in seiner ganzen Größe +vor dem Griechen, dem vor dem kriegerischen Anstand, den dunkel +blitzenden Augen, der tiefen Stimme seines Gastes beinahe graute. +"Dein Vorschlag ist schön", sprach jener weiter, "er möchte für jeden +andern lockend sein--ich kann ihn nicht benützen. Schon steht mein +Roß gesattelt, erwarten mich meine Diener; lebe wohl, Zaleukos!" Die +Freunde, die das Schicksal so wunderbar zusammengeführt, umarmten +sich zum Abschied. "Und wie nenne ich dich? Wie heißt mein +Gastfreund, der auf ewig in meinem Gedächtnis leben wird?" fragte der +Grieche. + +Der Fremde sah ihn lange an, drückte ihm noch einmal die Hand und +sprach: "Man nennt mich den Herrn der Wüste; ich bin der Räuber +Orbasan." + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes "Märchen-Almanach auf das Jahr +1826", von Wilhelm Hauff. + + + + + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Maerchen-Almanach auf das Jahr 1826, by +Wilhelm Hauff + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK MAERCHEN-ALMANAC 1826 *** + +***** This file should be named 6638-8.txt or 6638-8.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/6/6/3/6638/ + +Produced by Mike Pullen + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. 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Newby + Chief Executive and Director + gbnewby@pglaf.org + +Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide +spread public support and donations to carry out its mission of +increasing the number of public domain and licensed works that can be +freely distributed in machine readable form accessible by the widest +array of equipment including outdated equipment. Many small donations +($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt +status with the IRS. + +The Foundation is committed to complying with the laws regulating +charities and charitable donations in all 50 states of the United +States. Compliance requirements are not uniform and it takes a +considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up +with these requirements. We do not solicit donations in locations +where we have not received written confirmation of compliance. 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Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm +concept of a library of electronic works that could be freely shared +with anyone. For forty years, he produced and distributed Project +Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. + +Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. +unless a copyright notice is included. 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Be sure to check the +copyright laws for your country before downloading or redistributing +this or any other Project Gutenberg eBook. + +This header should be the first thing seen when viewing this Project +Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the +header without written permission. + +Please read the "legal small print," and other information about the +eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is +important information about your specific rights and restrictions in +how the file may be used. You can also find out about how to make a +donation to Project Gutenberg, and how to get involved. + + +**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts** + +**eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971** + +*****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!***** + + +Title: Maerchen-Almanach auf das Jahr 1826 + +Author: Wilhelm Hauff + +Release Date: October, 2004 [EBook #6638] +[Yes, we are more than one year ahead of schedule] +[This file was first posted on January 9, 2003] + +Edition: 10 + +Language: German + +Character set encoding: ASCII + +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, MAERCHEN-ALMANACH AUF DAS JAHR 1826 *** + + + + +Produced by Mike Pullen. + + + +This Etext is in German. + +We are releasing two versions of this Etext, one in 7-bit format, +known as Plain Vanilla ASCII, which can be sent via plain email-- +and one in 8-bit format, which includes higher order characters-- +which requires a binary transfer, or sent as email attachment and +may require more specialized programs to display the accents. +This is the 8-bit version. + +This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. +That project is reachable at the web site http://gutenberg2000.de. + +Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" +zur Verfügung gestellt. Das Projekt ist unter der +Internet-Adresse http://gutenberg2000.de erreichbar. + + + + + +Maerchen-Almanach auf das Jahr 1826 + +Wilhelm Hauff + +Inhalt: + +Maerchen als Almanach +Die Karawane (Rahmenerzaehlung) +Die Geschichte vom Kalif Storch +Die Geschichte von dem Gespensterschiff +Die Geschichte von der abgehauenen Hand +Die Errettung Fatmes +Die Geschichte von dem kleinen Muck +Das Maerchen vom falschen Prinzen + + + + +Maerchen als Almanach + +Wilhelm Hauff + + +In einem schoenen, fernen Reiche, von welchem die Sage lebt, dass die +Sonne in seinen ewig gruenen Gaerten niemals untergehe, herrschte von +Anfang an bis heute die Koenigin Phantasie. Mit vollen Haenden +spendete diese seit vielen Jahrhunderten die Fuelle des Segens ueber +die Ihrigen und war geliebt, verehrt von allen, die sie kannten. Das +Herz der Koenigin war aber zu gross, als dass sie mit ihren Wohltaten +bei ihrem Lande stehen geblieben waere; sie selbst, im koeniglichen +Schmuck ihrer ewigen Jugend und Schoenheit, stieg herab auf die Erde; +denn sie hatte gehoert, dass dort Menschen wohnen, die ihr Leben in +traurigem Ernst, unter Muehe und Arbeit hinbringen. Diesen hatte sie +die schoensten Gaben aus ihrem Reiche mitgebracht, und seit die schoene +Koenigin durch die Fluren der Erde gegangen war, waren die Menschen +froehlich bei der Arbeit, heiter in ihrem Ernst. + +Auch ihre Kinder,nicht minder schoen und lieblich als die koenigliche +Mutter, sandte sie aus, um die Menschen zu begluecken. Einst kam +Maerchen, die aelteste Tochter der Koenigin, von der Erde zurueck. Die +Mutter bemerkte, dass Maerchen traurig sei, ja, hier und da wollte ihr +beduenken, als ob sie verweinte Augen haette. + +"Was hast du, liebes Maerchen", sprach die Koenigin zu ihr, "du bist +seit deiner Reise so traurig und niedergeschlagen, willst du deiner +Mutter nicht anvertrauen, was dir fehlt?" + +"Ach, liebe Mutter", antwortete Maerchen, "ich haette gewiss nicht so +lange geschwiegen, wenn ich nicht wuesste, dass mein Kummer auch der +deinige ist." + +"Sprich immer, meine Tochter", bat die schoene Koenigin, "der Gram ist +ein Stein, der den einzelnen niederdrueckt, aber zwei tragen ihn +leicht aus dem Wege." + +"Du willst es", antwortete Maerchen, "so hoere: Du weisst, wie gerne ich +mit den Menschen umgehe, wie ich freudig auch bei dem Aermsten vor +seiner Huette sitze, um nach der Arbeit ein Stuendchen mit ihm zu +verplaudern; sie boten mir auch sonst gleich freundlich die Hand zum +Gruss, wenn ich kam, und sahen mir laechelnd und zufrieden nach, wenn +ich weiterging; aber in diesen Tagen ist es gar nicht mehr so!" + +"Armes Maerchen!" sprach die Koenigin und streichelte ihr die Wange, +die von einer Traene feucht war, "aber du bildest dir vielleicht dies +alles nur ein?" + +"Glaube mir, ich fuehle es nur zu gut", entgegnete Maerchen, "sie +lieben mich nicht mehr. Ueberall, wo ich hinkomme, begegnen mir +kalte Blicke; nirgends bin ich mehr gern gesehen; selbst die Kinder, +die ich doch immer so lieb hatte, lachen ueber mich und wenden mir +altklug den Ruecken zu." + +Die Koenigin stuetzte die Stirne in die Hand und schwieg sinnend. + +"Und woher soll es denn", fragte die Koenigin, "kommen, Maerchen, dass +sich die Leute da unten so geaendert haben?" + +"Sieh, die Menschen haben kluge Waechter aufgestellt, die alles, was +aus deinem Reich kommt, o Koenigin Phantasie, mit scharfem Blicke +mustern und pruefen. Wenn nun einer kommt, der nicht nach ihrem Sinne +ist, so erheben sie ein grosses Geschrei, schlagen ihn tot oder +verleumden ihn doch so sehr bei den Menschen, die ihnen aufs Wort +glauben, dass man gar keine Liebe, kein Fuenkchen Zutrauen mehr findet. +Ach, wie gut haben es meine Brueder, die Traeume, froehlich und leicht +huepfen sie auf die Erde hinab, fragen nichts nach jenen klugen +Maennern, besuchen die schlummernden Menschen und weben und malen +ihnen, was das Herz beglueckt und das Auge erfreut!" + +"Deine Brueder sind Leichtfuesse", sagte die Koenigin, "und du, mein +Liebling, hast keine Ursache, sie zu beneiden. Jene Grenzwaechter +kenne ich uebrigens wohl; die Menschen haben so unrecht nicht, sie +aufzustellen; es kam so mancher windige Geselle und tat, als ob er +geradewegs aus meinem Reiche kaeme, und doch hatte er hoechstens von +einem Berge zu uns heruebergeschaut." + +"Aber warum lassen sie dies mich, deine eigene Tochter, entgelten", +weinte Maerchen. "Ach, wenn du wuesstest, wie sie es mit mir gemacht +haben; sie schalten mich eine alte Jungfer und drohten, mich das +naechste Mal gar nicht mehr hereinzulassen." "Wie, meine Tochter nicht +mehr einzulassen?" rief die Koenigin, und Zorn roetete ihre Wangen. +"Aber ich sehe schon, woher dies kommt; die boese Muhme hat uns +verleumdet!" + +"Die Mode? Nicht moeglich!" rief Maerchen, "sie tat ja sonst immer so +freundlich." + +"Oh! Ich kenne sie, die Falsche", antwortete die Koenigin, "aber +versuche es ihr zum Trotze wieder, meine Tochter, wer Gutes tun will, +darf nicht rasten." + +"Ach, Mutter! Wenn sie mich dann ganz zurueckweisen, oder wenn sie +mich verleumden, dass mich die Menschen nicht ansehen oder einsam und +verachtet in der Ecke stehen lassen?" + +"Wenn die Alten, von der Mode betoert, dich geringschaetzen, so wende +dich an die Kleinen, wahrlich, sie sind meine Lieblinge, ihnen sende +ich meine lieblichsten Bilder durch deine Brueder, die Traeume, ja, ich +bin schon oft selbst zu ihnen hinabgeschwebt, habe sie geherzt und +gekuesst und schoene Spiele mit ihnen gespielt; sie kennen mich auch +wohl, sie wissen zwar meinen Namen nicht, aber ich habe schon oft +bemerkt, wie sie nachts zu meinen Sternen herauflaecheln und morgens, +wenn meine glaenzenden Laemmer am Himmel ziehen, vor Freuden die Haende +zusammenschlagen. Auch wenn sie groesser werden, lieben sie mich noch, +ich helfe dann den lieblichen Maedchen bunte Kraenze flechten, und die +wilden Knaben werden stiller, wenn ich auf hoher Felsenspitze mich zu +ihnen setze, aus der Nebelwelt der fernen, blauen Berge hohe Burgen +und glaenzende Palaeste auftauchen lasse und aus den roetlichen Wolken +des Abends kuehne Reiterscharen und wunderliche Wallfahrtszuege bilde." + +"O die guten Kinder!" rief Maerchen bewegt aus. "Ja, es sei! Mit +ihnen will ich es noch einmal versuchen." + +"Ja, du gute Tochter", sprach die Koenigin, "gehe zu ihnen; aber ich +will dich auch ein wenig ordentlich ankleiden, dass du den Kleinen +gefaellst und die Grossen dich nicht zurueckstossen; siehe, das Gewand +eines Almanachs will ich dir geben." + +"Eines Almanachs, Mutter? Ach!--Ich schaeme mich, so vor den Leuten +zu prangen." + +Die Koenigin winkte, und die Dienerinnen brachten das zierliche Gewand +eines Almanachs. Es war von glaenzenden Farben und schoene Figuren +eingewoben. + +Die Zofen flochten dem schoenen Maedchen das lange Haar; sie banden ihr +goldene Sandalen unter die Fuesse und hingen ihr dann das Gewand um. + +Das bescheidene Maerchen wagte nicht aufzublicken, die Mutter aber +betrachtete es mit Wohlgefallen und schloss es in ihre Arme. "Gehe +hin", sprach sie zu der Kleinen, "mein Segen sei mit dir. Und wenn +sie dich verachten und hoehnen, so kehre zurueck zu mir, vielleicht, +dass spaetere Geschlechter, getreuer der Natur, ihr Herz dir wieder +zuwenden." + +Also sprach die Koenigin Phantasie. Maerchen aber stieg hinab auf die +Erde. Mit pochendem Herzen nahte sie dem Ort, wo die klugen Waechter +hauseten; sie senkte das Koepfchen zur Erde, sie zog das schoene Gewand +enger um sich her, und mit zagendem Schritt nahte sie dem Tor. + +"Halt!" rief eine tiefe, rauhe Stimme. "Wache heraus! Da kommt ein +neuer Almanach!" + +Maerchen zitterte, als sie dies hoerte; viele aeltliche Maenner von +finsterem Aussehen stuerzten hervor; sie hatten spitzige Federn in der +Faust und hielten sie dem Maerchen entgegen. Einer aus der Schar +schritt auf sie zu und packte sie mit rauher Hand am Kinn. "Nur auch +den Kopf aufgerichtet, Herr Almanach", schrie er, "dass man Ihm in den +Augen ansiehet, ob er was Rechtes ist oder nicht!" + +Erroetend richtete Maerchen das Koepfchen in die Hoehe und schlug das +dunkle Auge auf. + +"Das Maerchen!" riefen die Waechter und lachten aus vollem Hals, "das +Maerchen! Haben wunder gemeint, was da kaeme! Wie kommst du nur in +diesen Rock?" + +"Die Mutter hat ihn mir angezogen", antwortete Maerchen. "So? Sie +will dich bei uns einschwaerzen? Nichts da! Hebe dich weg, mach, dass +du fortkommst!" riefen die Waechter untereinander und erhoben die +scharfen Federn. + +"Aber ich will ja nur zu den Kindern", bat Maerchen, "dies koennt ihr +mir ja doch erlauben." + +"Laeuft nicht schon genug solches Gesindel im Land umher?" rief einer +der Waechter. "Sie schwatzen nur unseren Kindern dummes Zeug vor." + +"Lasst uns sehen, was sie diesmal weiss!" sprach ein anderer. + +"Nun ja", riefen sie, "sag an, was du weisst, aber beeile dich, denn +wir haben nicht viele Zeit fuer dich!" + +Maerchen streckte die Hand aus und schrieb mit dem Zeigefinger viele +Zeichen in die Luft. Da sah man bunte Gestalten vorueberziehen; +Karawanen mit schoenen Rossen, geschmueckte Reiter, viele Zelte im Sand +der Wueste; Voegel und Schiffe auf stuermischen Meeren; stille Waelder +und volkreiche Plaetze und Strassen; Schlachten und friedliche Nomaden, +sie alle schwebten in belebten Bildern, in buntem Gewimmel vorueber. + +Maerchen hatte in dem Eifer, mit welchem sie die Bilder aufsteigen +liess, nicht bemerkt, wie die Waechter des Tores nach und nach +eingeschlafen waren. Eben wollte sie neue Zeichen schreiben, als ein +freundlicher Mann auf sie zutrat und ihre Hand ergriff. "Siehe her, +gutes Maerchen", sagte er, indem er auf die Schlafenden zeigte, "fuer +diese sind deine bunten Sachen nichts; schluepfe schnell durch das Tor; +sie ahnen dann nicht, dass du im Lande bist, und du kannst friedlich +und unbemerkt deine Strasse ziehen. Ich will dich zu meinen Kindern +fuehren; in meinem Hause geb' ich dir ein stilles, freundliches +Plaetzchen; dort kannst du wohnen und fuer dich leben; wenn dann meine +Soehne und Toechter gut gelernt haben, duerfen sie mit ihren Gespielen +zu dir kommen und dir zuhoeren. Willst du so?" + +"Oh, wie gerne folge ich dir zu deinen lieben Kleinen; wie will ich +mich befleissen, ihnen zuweilen ein heiteres Stuendchen zu machen!" + +Der gute Mann nickte ihr freundlich zu und half ihr, ueber die Fuesse +der schlafenden Waechter hinueberzusteigen. Laechelnd sah sich Maerchen +um, als sie hinueber war, und schluepfte dann schnell in das Tor. + + + + +Die Karawane + +Wilhelm Hauff + + +Es zog einmal eine grosse Karawane durch die Wueste. Auf der +ungeheuren Ebene, wo man nichts als Sand und Himmel sieht, hoerte man +schon in weiter Ferne die Glocken der Kamele und die silbernen +Roellchen der Pferde, eine dichte Staubwolke, die ihr vorherging, +verkuendete ihre Naehe, und wenn ein Luftzug die Wolke teilte, +blendeten funkelnde Waffen und helleuchtende Gewaender das Auge. So +stellte sich die Karawane einem Manne dar, welcher von der Seite her +auf sie zuritt. Er ritt ein schoenes arabisches Pferd, mit einer +Tigerdecke behaengt, an dem hochroten Riemenwerk hingen silberne +Gloeckchen, und auf dem Kopf des Pferdes wehte ein schoener Reiherbusch. +Der Reiter sah stattlich aus, und sein Anzug entsprach der Pracht +seines Rosses; ein weisser Turban, reich mit Gold bestickt, bedeckte +das Haupt; der Rock und die weiten Beinkleider waren von brennendem +Rot, ein gekruemmtes Schwert mit reichem Griff an seiner Seite. Er +hatte den Turban tief ins Gesicht gedrueckt; dies und die schwarzen +Augen, die unter buschigen Brauen hervorblitzten, der lange Bart, der +unter der gebogenen Nase herabhing, gaben ihm ein wildes, kuehnes +Aussehen. + +Als der Reiter ungefaehr auf fuenfzig Schritt dem Vortrab der Karawane +nahe war, spornte er sein Pferd an und war in wenigen Augenblicken an +der Spitze des Zuges angelangt. Es war ein so ungewoehnliches +Ereignis, einen einzelnen Reiter durch die Wueste ziehen zu sehen, dass +die Waechter des Zuges, einen Ueberfall befuerchtend, ihm ihre Lanzen +entgegenstreckten. + +"Was wollt ihr", rief der Reiter, als er sich so kriegerisch +empfangen sah, "glaubt ihr, ein einzelner Mann werde eure Karawane +angreifen?" + +Beschaemt schwangen die Waechter ihre Lanzen wieder auf, ihr Anfuehrer +aber ritt an den Fremden heran und fragte nach seinem Begehr. + +"Wer ist der Herr der Karawane?" fragte der Reiter. + +"Sie gehoert nicht einem Herrn", antwortete der Gefragte, "sondern es +sind mehrere Kaufleute, die von Mekka in ihre Heimat ziehen und die +wir durch die Wueste geleiten, weil oft allerlei Gesindel die +Reisenden beunruhigt." + +"So fuehrt mich zu den Kaufleuten", begehrte der Fremde. + +"Das kann jetzt nicht geschehen", antwortete der Fuehrer, "weil wir +ohne Aufenthalt weiterziehen muessen und die Kaufleute wenigstens eine +Viertelstunde weiter hinten sind; wollt Ihr aber mit mir weiterreiten, +bis wir lagern, um Mittagsruhe zu halten, so werde ich Eurem Wunsch +willfahren." + +Der Fremde sagte hierauf nichts; er zog eine lange Pfeife, die er am +Sattel festgebunden hatte, hervor und fing an in grossen Zuegen zu +rauchen, indem er neben dem Anfuehrer des Vortrabs weiterritt. Dieser +wusste nicht, was er aus dem Fremden machen sollte; er wagte es nicht, +ihn geradezu nach seinem Namen zu fragen, und so kuenstlich er auch +ein Gespraech anzuknuepfen suchte, der Fremde hatte auf das: "Ihr +raucht da einen guten Tabak", oder: "Euer Rapp' hat einen braven +Schritt", immer nur mit einem kurzen "Ja, ja!" geantwortet. + +Endlich waren sie auf dem Platz angekommen, wo man Mittagsruhe halten +wollte. Der Anfuehrer hatte seine Leute als Wachen aufgestellt; er +selbst hielt mit dem Fremden, um die Karawane herankommen zu lassen. +Dreissig Kamele, schwer beladen, zogen vorueber, von bewaffneten +Fuehrern geleitet. Nach diesen kamen auf schoenen Pferden die fuenf +Kaufleute, denen die Karawane gehoerte. Es waren meistens Maenner von +vorgeruecktem Alter, ernst und gesetzt aussehend, nur einer schien +viel juenger als die uebrigen, wie auch froher und lebhafter. Eine +grosse Anzahl Kamele und Packpferde schloss den Zug. + +Man hatte Zelte aufgeschlagen und die Kamele und Pferde rings +umhergestellt. In der Mitte war ein grosses Zelt von blauem +Seidenzeug. Dorthin fuehrte der Anfuehrer der Wache den Fremden. Als +sie durch den Vorhang des Zeltes getreten waren, sahen sie die fuenf +Kaufleute auf goldgewirkten Polstern sitzen; schwarze Sklaven +reichten ihnen Speise und Getraenke. "Wen bringt Ihr uns da?" rief +der junge Kaufmann dem Fuehrer zu. + +Ehe noch der Fuehrer antworten konnte, sprach der Fremde: "Ich heisse +Selim Baruch und bin aus Bagdad; ich wurde auf einer Reise nach Mekka +von einer Raeuberhorde gefangen und habe mich vor drei Tagen heimlich +aus der Gefangenschaft befreit. Der grosse Prophet liess mich die +Glocken eurer Karawane in weiter Ferne hoeren, und so kam ich bei euch +an. Erlaubet mir, dass ich in eurer Gesellschaft reise! Ihr werdet +euren Schutz keinem Unwuerdigen schenken, und so ihr nach Bagdad +kommet, werde ich eure Guete reichlich belohnen denn ich bin der Neffe +des Grosswesirs." + +Der aelteste der Kaufleute nahm das Wort: "Selim Baruch", sprach er, +"sei willkommen in unserem Schatten. Es macht uns Freude, dir +beizustehen; vor allem aber setze dich und iss und trinke mit uns." + +Selim Baruch setzte sich zu den Kaufleuten und ass und trank mit ihnen. +Nach dem Essen raeumten die Sklaven die Geschirre hinweg und +brachten lange Pfeifen und tuerkischen Sorbet. Die Kaufleute sassen +lange schweigend, indem sie die blaeulichen Rauchwolken vor sich +hinbliesen und zusahen, wie sie sich ringelten und verzogen und +endlich in die Luft verschwebten. Der junge Kaufmann brach endlich +das Stillschweigen: "So sitzen wir seit drei Tagen", sprach er, "zu +Pferd und am Tisch, ohne uns durch etwas die Zeit zu vertreiben. Ich +verspuere gewaltig Langeweile, denn ich bin gewohnt, nach Tisch Taenzer +zu sehen oder Gesang und Musik zu hoeren. Wisst ihr gar nichts, meine +Freunde, das uns die Zeit vertreibt?" + +Die vier aelteren Kaufleute rauchten fort und schienen ernsthaft +nachzusinnen, der Fremde aber sprach: "Wenn es mir erlaubt ist, will +ich euch einen Vorschlag machen. Ich meine, auf jedem Lagerplatz +koennte einer von uns den anderen etwas erzaehlen. Dies koennte uns +schon die Zeit vertreiben." + +"Selim Baruch, du hast wahr gesprochen", sagte Achmet, der aelteste +der Kaufleute, "lasst uns den Vorschlag annehmen." + +"Es freut mich, wenn euch der Vorschlag behagt", sprach Selim, "damit +ihr aber sehet, dass ich nichts Unbilliges verlange, so will ich den +Anfang machen." + +Vergnuegt rueckten die fuenf Kaufleute naeher zusammen und liessen den +Fremden in ihrer Mitte sitzen. Die Sklaven schenkten die Becher +wieder voll, stopften die Pfeifen ihrer Herren frisch und brachten +gluehende Kohlen zum Anzuenden. Selim aber erfrischte seine Stimme mit +einem tuechtigen Zuge Sorbet, strich den langen Bart ueber dem Mund weg +und sprach: + +"So hoert denn die Geschichte vom Kalif Storch." + +Als Selim Baruch seine Geschichte beendet hatte, bezeugten sich die +Kaufleute sehr zufrieden damit. "Wahrhaftig, der Nachmittag ist uns +vergangen, ohne dass wir merkten wie!" sagte einer derselben, indem er +die Decke des Zeltes zurueckschlug. "Der Abendwind wehet kuehl, und +wir koennten noch eine gute Strecke Weges zuruecklegen." Seine +Gefaehrten waren damit einverstanden, die Zelte wurden abgebrochen, +und die Karawane machte sich in der naemlichen Ordnung, in welcher sie +herangezogen war, auf den Weg. + +Sie ritten beinahe die ganze Nacht hindurch, denn es war schwuel am +Tage, die Nacht aber war erquicklich und sternhell. Sie kamen +endlich an einem bequemen Lagerplatz an, schlugen die Zelte auf und +legten sich zur Ruhe. Fuer den Fremden aber sorgten die Kaufleute, +wie wenn er ihr wertester Gastfreund waere. Der eine gab ihm Polster, +der andere Decken, ein dritter gab ihm Sklaven, kurz, er wurde so gut +bedient, als ob er zu Hause waere. Die heisseren Stunden des Tages +waren schon heraufgekommen, als sie sich wieder erhoben, und sie +beschlossen einmuetig, hier den Abend abzuwarten. Nachdem sie +miteinander gespeist hatten, rueckten sie wieder naeher zusammen, und +der junge Kaufmann wandte sich an den aeltesten und sprach: "Selim +Baruch hat uns gestern einen vergnuegten Nachmittag bereitet, wie waere +es, Achmet, wenn Ihr uns auch etwas erzaehltet, sei es nun aus Eurem +langen Leben, das wohl viele Abenteuer aufzuweisen hat, oder sei es +auch ein huebsches Maerchen." Achmet schwieg auf diese Anrede eine +Zeitlang, wie wenn er bei sich im Zweifel waere, ob er dies oder jenes +sagen sollte oder nicht; endlich fing er an zu sprechen: + +"Liebe Freunde! Ihr habt euch auf dieser unserer Reise als treue +Gesellen erprobt, und auch Selim verdient mein Vertrauen; daher will +ich euch etwas aus meinem Leben mitteilen, das ich sonst ungern und +nicht jedem erzaehle: die Geschichte von dem Gespensterschiff." + +Die Reise der Karawane war den anderen Tag ohne Hindernis fuerder +gegangen, und als man im Lagerplatz sich erholt hatte, begann Selim, +der Fremde, zu Muley, dem juengsten der Kaufleute, also zu sprechen: + +"Ihr seid zwar der Juengste von uns, doch seid Ihr immer froehlich und +wisst fuer uns gewiss irgendeinen guten Schwank. Tischet ihn auf, dass +er uns erquicke nach der Hitze des Tages!" + +"Wohl moechte ich euch etwas erzaehlen", antwortete Muley, "das euch +Spass machen koennte, doch der Jugend ziemt Bescheidenheit in allen +Dingen; darum muessen meine aelteren Reisegefaehrten den Vorrang haben. +Zaleukos ist immer so ernst und verschlossen, sollte er uns nicht +erzaehlen, was sein Leben so ernst machte? Vielleicht, dass wir seinen +Kummer, wenn er solchen hat, lindern koennen; denn gerne dienen wir +dem Bruder, wenn er auch anderen Glaubens ist." + +Der Aufgerufene war ein griechischer Kaufmann, ein Mann in mittleren +Jahren, schoen und kraeftig, aber sehr ernst. Ob er gleich ein +Unglaeubiger (nicht Muselmann) war, so liebten ihn doch seine +Reisegefaehrten, denn er hatte durch sein ganzes Wesen Achtung und +Zutrauen eingefloesst. Er hatte uebrigens nur eine Hand, und einige +seiner Gefaehrten vermuteten, dass vielleicht dieser Verlust ihn so +ernst stimme. + +Zaleukos antwortete auf die zutrauliche Frage Muleys: "Ich bin sehr +geehrt durch euer Zutrauen; Kummer habe ich keinen, wenigstens keinen, +von welchem ihr auch mit dem besten Willen mir helfen koenntet. Doch +weil Muley mir meinen Ernst vorzuwerfen scheint, so will ich euch +einiges erzaehlen, was mich rechtfertigen soll, wenn ich ernster bin +als andere Leute. Ihr sehet, dass ich meine linke Hand verloren habe. +Sie fehlt mir nicht von Geburt an, sondern ich habe sie in den +schrecklichsten Tagen meines Lebens eingebuesst. Ob ich die Schuld +davon trage, ob ich unrecht habe, seit jenen Tagen ernster, als es +meine Lage mit sich bringt, zu sein, moeget ihr beurteilen, wenn ihr +vernommen habt die Geschichte von der abgehauenen Hand." + +Zaleukos, der griechische Kaufmann, hatte seine Geschichte geendigt. +Mit grosser Teilnahme hatten ihm die uebrigen zugehoert, besonders der +Fremde schien sehr davon ergriffen zu sein; er hatte einigemal tief +geseufzt, und Muley schien es sogar, als habe er einmal Traenen in den +Augen gehabt. Sie besprachen sich noch lange Zeit ueber diese +Geschichte. + +"Und hasst Ihr den Unbekannten nicht, der Euch so schnoed' um ein so +edles Glied Eures Koerpers, der selbst Euer Leben in Gefahr brachte?" +fragte der Fremde. + +"Wohl gab es in frueherer Zeit Stunden", antwortete der Grieche, "in +denen mein Herz ihn vor Gott angeklagt, dass er diesen Kummer ueber +mich gebracht und mein Leben vergiftet habe; aber ich fand Trost in +dem Glauben meiner Vaeter, und dieser befiehlt mir, meine Feinde zu +lieben; auch ist er wohl noch ungluecklicher als ich." + +"Ihr seid ein edler Mann!" rief der Fremde und drueckte geruehrt dem +Griechen die Hand. + +Der Anfuehrer der Wache unterbrach sie aber in ihrem Gespraech. Er +trat mit besorgter Miene in das Zelt und berichtete, dass man sich +nicht der Ruhe ueberlassen duerfe; denn hier sei die Stelle, wo +gewoehnlich die Karawanen angegriffen wuerden, auch glaubten seine +Wachen, in der Entfernung mehrere Reiter zu sehen. + +Die Kaufleute waren sehr bestuerzt ueber diese Nachricht; Selim, der +Fremde, aber wunderte sich ueber ihre Bestuerzung und meinte, dass sie +so gut geschaetzt waeren, dass sie einen Trupp raeuberischer Araber nicht +zu fuerchten brauchten. + +"Ja, Herr!" entgegnete ihm der Anfuehrer der Wache. "Wenn es nur +solches Gesindel waere, koennte man sich ohne Sorge zur Ruhe legen; +aber seit einiger Zeit zeigt sich der furchtbare Orbasan wieder, und +da gilt es, auf seiner Hut zu sein." + +Der Fremde fragte, wer denn dieser Orbasan sei, und Achmet, der alte +Kaufmann, antwortete ihm: "Es gehen allerlei Sagen unter dem Volke +ueber diesen wunderbaren Mann. Die einen halten ihn fuer ein +uebermenschliches Wesen, weil er oft mit fuenf bis sechs Maennern zumal +einen Kampf besteht, andere halten ihn fuer einen tapferen Franken, +den das Unglueck in diese Gegend verschlagen habe; von allem aber ist +nur so viel gewiss, dass er ein verruchter Moerder und Dieb ist." + +"Das koennt Ihr aber doch nicht behaupten", entgegnete ihm Lezah, +einer der Kaufleute. "Wenn er auch ein Raeuber ist, so ist er doch +ein edler Mann, und als solcher hat er sich an meinem Bruder bewiesen, +wie ich Euch erzaehlen koennte. Er hat seinen ganzen Stamm zu +geordneten Menschen gemacht, und so lange er die Wueste durchstreift, +darf kein anderer Stamm es wagen, sich sehen zu lassen. Auch raubt +er nicht wie andere, sondern er erhebt nur ein Schutzgeld von den +Karawanen, und wer ihm dieses willig bezahlt, der ziehet ungefaehrdet +weiter; denn Orbasan ist der Herr der Wueste." + +Also sprachen unter sich die Reisenden im Zelte; die Wachen aber, die +um den Lagerplatz ausgestellt waren, begannen unruhig zu werden. Ein +ziemlich bedeutender Haufe bewaffneter Reiter zeigte sich in der +Entfernung einer halben Stunde; sie schienen gerade auf das Lager +zuzureiten. Einer der Maenner von der Wache ging daher in das Zelt, +um zu verkuenden, dass sie wahrscheinlich angegriffen wuerden. Die +Kaufleute berieten sich untereinander, was zu tun sei, ob man ihnen +entgegengehen oder den Angriff abwarten solle. Achmet und die zwei +aelteren Kaufleute wollten das letztere, der feurige Muley aber und +Zaleukos verlangten das erstere und riefen den Fremden zu ihrem +Beistand auf. Dieser zog ruhig ein kleines, blaues Tuch mit roten +Sternen aus seinem Guertel hervor, band es an eine Lanze und befahl +einem der Sklaven, es auf das Zelt zu stecken; er setze sein Leben +zum Pfand, sagte er, die Reiter werden, wenn sie dieses Zeichen sehen, +ruhig vorueberziehen. Muley glaubte nicht an den Erfolg, der Sklave +aber steckte die Lanze auf das Zelt. Inzwischen hatten alle, die im +Lager waren, zu den Waffen gegriffen und sahen in gespannter +Erwartung den Reitern entgegen. Doch diese schienen das Zeichen auf +dem Zelte erblickt zu haben, sie wichen ploetzlich von ihrer Richtung +auf das Lager ab und zogen in einem grossen Bogen auf der Seite hin. + +Verwundert standen einige Augenblicke die Reisenden und sahen bald +auf die Reiter, bald auf den Fremden. Dieser stand ganz gleichgueltig, +wie wenn nichts vorgefallen waere, vor dem Zelte und blickte ueber die +Ebene hin. Endlich brach Muley das Stillschweigen. "Wer bist du, +maechtiger Fremdling", rief er aus, "der du die wilden Horden der +Wueste durch einen Wink bezaehmst?" + +"Ihr schlagt meine Kunst hoeher an, als sie ist", antwortete Selim +Baruch. "Ich habe mich mit diesem Zeichen versehen, als ich der +Gefangenschaft entfloh; was es zu bedeuten hat, weiss ich selbst nicht; +nur so viel weiss ich, dass, wer mit diesem Zeichen reiset, unter +maechtigem Schutze steht." + +Die Kaufleute dankten dem Fremden und nannten ihn ihren Erretter. +Wirklich war auch die Anzahl der Reiter so gross gewesen, dass wohl die +Karawane nicht lange haette Widerstand leisten koennen. + +Mit leichterem Herzen begab man sich jetzt zur Ruhe, und als die +Sonne zu sinken begann und der Abendwind ueber die Sandebene hinstrich, +brachen sie auf und zogen weiter. + +Am naechsten Tage lagerten sie ungefaehr nur noch eine Tagreise von dem +Ausgang der Wueste entfernt. Als sich die Reisenden wieder in dem +grossen Zelt versammelt hatten, nahm Lezah, der Kaufmann, das Wort: + +"Ich habe euch gestern gesagt, dass der gefuerchtete Orbasan ein edler +Mann sei, erlaubt mir, dass ich es euch heute durch die Erzaehlung der +Schicksale meines Bruders beweise. Mein Vater war Kadi in Akara. Er +hatte drei Kinder. Ich war der Aelteste, ein Bruder und eine +Schwester waren bei weitem juenger als ich. Als ich zwanzig Jahre alt +war, rief mich ein Bruder meines Vaters zu sich. Er setzte mich zum +Erben seiner Gueter ein, mit der Bedingung, dass ich bis zu seinem Tode +bei ihm bleibe. Aber er erreichte ein hohes Alter, so dass ich erst +vor zwei Jahren in meine Heimat zurueckkehrte und nichts davon wusste, +welch schreckliches Schicksal indes mein Haus betroffen und wie guetig +Allah es gewendet hatte." Die Errettung Fatmes + +Die Karawane hatte das Ende der Wueste erreicht, und froehlich +begruessten die Reisenden die gruenen Matten und die dichtbelaubten +Baeume, deren lieblichen Anblick sie viele Tage entbehrt hatten. In +einem schoenen Tale lag eine Karawanserei, die sie sich zum Nachtlager +waehlten, und obgleich sie wenig Bequemlichkeit und Erfrischung darbot, +so war doch die ganze Gesellschaft heiterer und zutraulicher als je; +denn der Gedanke, den Gefahren und Beschwerlichkeiten, die eine Reise +durch die Wueste mit sich bringt, entronnen zu sein, hatte alle Herzen +geoeffnet und die Gemueter zu Scherz und Kurzweil gestimmt. Muley, der +junge lustige Kaufmann, tanzte einen komischen Tanz und sang Lieder +dazu, die selbst dem ernsten Griechen Zaleukos ein Laecheln entlockten. +Aber nicht genug, dass er seine Gefaehrten durch Tanz und Spiel +erheitert hatte, er gab ihnen auch noch die Geschichte zum besten, +die er ihnen versprochen hatte, und hub, als er von seinen +Luftspruengen sich erholt hatte, also zu erzaehlen an: Die Geschichte +von dem kleinen Muck. + +"So erzaehlte mir mein Vater; ich bezeugte ihm meine Reue ueber mein +rohes Betragen gegen den guten kleinen Mann, und mein Vater schenkte +mir die andere Haelfte der Strafe, die er mir zugedacht hatte. Ich +erzaehlte meinen Kameraden die wunderbaren Schicksale des Kleinen, und +wir gewannen ihn so lieb, dass ihn keiner mehr schimpfte. Im +Gegenteil, wir ehrten ihn, solange er lebte, und haben uns vor ihm +immer so tief wie vor Kadi und Mufti gebueckt." + +Die Reisenden beschlossen, einen Rasttag in dieser Karawanserei zu +machen, um sich und die Tiere zur weiteren Reise zu staerken. Die +gestrige Froehlichkeit ging auch auf diesen Tag ueber, und sie +ergoetzten sich in allerlei Spielen. Nach dem Essen aber riefen sie +dem fuenften Kaufmann, Ali Sizah, zu, auch seine Schuldigkeit gleich +den uebrigen zu tun und eine Geschichte zu erzaehlen. Er antwortete, +sein Leben sei zu arm an auffallenden Begebenheiten, als dass er ihnen +etwas davon mitteilen moechte, daher wolle er ihnen etwas anderes +erzaehlen, naemlich: Das Maerchen vom falschen Prinzen. + + +Mit Sonnenaufgang brach die Karawane auf und gelangte bald nach +Birket el Had oder dem Pilgrimsbrunnen, von wo es nur noch drei +Stunden Weges nach Kairo waren--Man hatte um diese Zeit die Karawane +erwartet, und bald hatten die Kaufleute die Freude, ihre Freunde aus +Kairo ihnen entgegenkommen zu sehen. Sie zogen in die Stadt durch +das Tor Bebel Falch; denn es wird fuer eine glueckliche Vorbedeutung +gehalten, wenn man von Mekka kommt, durch dieses Tor einzuziehen, +weil der Prophet hindurchgezogen ist. + +Auf dem Markt verabschiedeten sich die vier tuerkischen Kaufleute von +dem Fremden und dem griechischen Kaufmann Zaleukos und gingen mit +ihren Freunden nach Haus. Zaleukos aber zeigte dem Fremden eine gute +Karawanserei und lud ihn ein, mit ihm das Mittagsmahl zu nehmen. Der +Fremde sagte zu und versprach, wenn er nur vorher sich umgekleidet +habe, zu erscheinen. + +Der Grieche hatte alle Anstalten getroffen, den Fremden, welchen er +auf der Reise liebgewonnen hatte, gut zu bewirten, und als die +Speisen und Getraenke in gehoeriger Ordnung aufgestellt waren, setzte +er sich, seinen Gast zu erwarten. + +Langsam und schweren Schrittes hoerte er ihn den Gang, der zu seinem +Gemach fuehrte, heraufkommen. Er erhob sich, um ihm freundlich +entgegenzusehen und ihn an der Schwelle zu bewillkommnen; aber voll +Entsetzen fuhr er zurueck, als er die Tuere oeffnete; denn jener +schreckliche Rotmantel trat ihm entgegen; er warf noch einen Blick +auf ihn, es war keine Taeuschung; dieselbe hohe, gebietende Gestalt, +die Larve, aus welcher ihn die dunklen Augen anblitzten, der rote +Mantel mit der goldenen Stickerei waren ihm nur allzuwohl bekannt aus +den schrecklichsten Stunden seines Lebens. + +Widerstreitende Gefuehle wogten in Zaleukos Brust; er hatte sich mit +diesem Bild seiner Erinnerung laengst ausgesoehnt und ihm vergeben, und +doch riss sein Anblick alle seine Wunden wieder auf; alle jene +qualvollen Stunden der Todesangst, jener Gram, der die Bluete seines +Lebens vergiftete, zogen im Flug eines Augenblicks an seiner Seele +vorueber. + +"Was willst du, Schrecklicher?" rief der Grieche aus, als die +Erscheinung noch immer regungslos auf der Schwelle stand. "Weiche +schnell von hinnen, dass ich dir nicht fluche!" + +"Zaleukos!" sprach eine bekannte Stimme unter der Larve hervor. +"Zaleukos! So empfaengst du deinen Gastfreund?" Der Sprechende nahm +die Larve ab, schlug den Mantel zurueck; es war Selim Baruch, der +Fremde. + +Aber Zaleukos schien noch nicht beruhigt, ihm graute vor dem Fremden; +denn nur zu deutlich hatte er in ihm den Unbekannten von der Ponte +vecchio erkannt; aber die alte Gewohnheit der Gastfreundschaft siegte; +er winkte schweigend dem Fremden, sich zu ihm ans Mahl zu setzen. + +"Ich errate deine Gedanken", nahm dieser das Wort, als sie sich +gesetzt hatten. "Deine Augen sehen fragend auf mich--ich haette +schweigen und mich deinen Blicken nie mehr zeigen koennen, aber ich +bin dir Rechenschaft schuldig, und darum wagte ich es auch, auf die +Gefahr hin, dass du mir fluchtest, vor dir in meiner alten Gestalt zu +erscheinen. Du sagtest einst zu mir: Der Glaube meiner Vaeter +befiehlt mir, ihn zu lieben, auch ist er wohl ungluecklicher als ich; +glaube dieses, mein Freund, und hoere meine Rechtfertigung! + +Ich muss weit ausholen, um mich dir ganz verstaendlich zu machen. Ich +bin in Alessandria von christlichen Eltern geboren. Mein Vater, der +juengere Sohn eines alten, beruehmten franzoesischen Hauses, war Konsul +seines Landes in Alessandria. Ich wurde von meinem zehnten Jahre an +in Frankreich bei einem Bruder meiner Mutter erzogen und verliess erst +einige Jahre nach dem Ausbruch der Revolution mein Vaterland, um mit +meinem Oheim, der in dem Lande seiner Ahnen nicht mehr sicher war, +ueber dem Meer bei meinen Eltern eine Zuflucht zu suchen. Voll +Hoffnung, die Ruhe und den Frieden, den uns das empoerte Volk der +Franzosen entrissen, im elterlichen Hause wiederzufinden, landeten +wir. Aber ach! Ich fand nicht alles in meines Vaters Hause, wie es +sein sollte; die aeusseren Stuerme der bewegten Zeit waren zwar noch +nicht bis hierher gelangt, desto unerwarteter hatte das Unglueck mein +Haus im innersten Herzen heimgesucht. Mein Bruder, ein junger, +hoffnungsvoller Mann, erster Sekretaer meines Vaters, hatte sich erst +seit kurzem mit einem jungen Maedchen, der Tochter eines +florentinischen Edelmanns, der in unserer Nachbarschaft wohnte, +verheiratet; zwei Tage vor unserer Ankunft war diese auf einmal +verschwunden, ohne dass weder unsere Familie noch ihr Vater die +geringste Spur von ihr auffinden konnten. Man glaubte endlich, sie +habe sich auf einem Spaziergang zu weit gewagt und sei in Raeuberhaende +gefallen. Beinahe troestlicher waere dieser Gedanke fuer meinen armen +Bruder gewesen als die Wahrheit, die uns nur bald kund wurde. Die +Treulose hatte sich mit einem jungen Neapolitaner, den sie im Hause +ihres Vaters kennengelernt hatte, eingeschifft. Mein Bruder, aufs +aeusserste empoert ueber diesen Schritt, bot alles auf, die Schuldige zur +Strafe zu ziehen; doch vergebens; seine Versuche, die in Neapel und +Florenz Aufsehen erregt hatten, dienten nur dazu, sein und unser +aller Unglueck zu vollenden. Der florentinische Edelmann reiste in +sein Vaterland zurueck, zwar mit dem Vorgeben, meinem Bruder Recht zu +verschaffen, der Tat nach aber, um uns zu verderben. Er schlug in +Florenz alle jene Untersuchungen, welche mein Bruder angeknuepft hatte, +nieder und wusste seinen Einfluss, den er auf alle Art sich verschafft +hatte, so gut zu benuetzen, dass mein Vater und mein Bruder ihrer +Regierung verdaechtig gemacht und durch die schaendlichsten Mittel +gefangen, nach Frankreich gefuehrt und dort vom Beil des Henkers +getoetet wurden. Meine arme Mutter verfiel in Wahnsinn, und erst nach +zehn langen Monaten erloeste sie der Tod von ihrem schrecklichen +Zustand, der aber in den letzten Tagen zu vollem, klarem Bewusstsein +geworden war. So stand ich jetzt ganz allein in der Welt, aber nur +ein Gedanke beschaeftigte meine Seele, nur ein Gedanke liess mich meine +Trauer vergessen, es war jene maechtige Flamme, die meine Mutter in +ihrer letzten Stunde in mir angefacht hatte. + +In den letzten Stunden war, wie ich dir sagte, ihr Bewusstsein +zurueckgekehrt; sie liess mich rufen und sprach mit Ruhe von unserem +Schicksal und ihrem Ende. Dann aber liess sie alle aus dem Zimmer +gehen, richtete sich mit feierlicher Miene von ihrem aermlichen Lager +auf und sagte, ich koenne mir ihren Segen erwerben, wenn ich ihr +schwoere, etwas auszufuehren, das sie mir auftragen wuerde--Ergriffen +von den Worten der sterbenden Mutter, gelobte ich mit einem Eide zu +tun, wie sie mir sagen werde. Sie brach nun in Verwuenschungen gegen +den Florentiner und seine Tochter aus und legte mir mit den +fuerchterlichsten Drohungen ihres Fluches auf, mein unglueckliches Haus +an ihm zu raechen. Sie starb in meinen Armen. Jener Gedanke der +Rache hatte schon lange in meiner Seele geschlummert; jetzt erwachte +er mit aller Macht. Ich sammelte den Rest meines vaeterlichen +Vermoegens und schwor mir, alles an meine Rache zu setzen oder selbst +mit unterzugehen. + +Bald war ich in Florenz, wo ich mich so geheim als moeglich aufhielt; +mein Plan war um vieles erschwert worden durch die Lage, in welcher +sich meine Feinde befanden. Der alte Florentiner war Gouverneur +geworden und hatte so alle Mittel in der Hand, sobald er das +geringste ahnte, mich zu verderben. Ein Zufall kam mir zu Hilfe. +Eines Abends sah ich einen Menschen in bekannter Livree durch die +Strassen gehen; sein unsicherer Gang, sein finsterer Blick und das +halblaut herausgestossene "Santo sacramento", "Maledetto diavolo" +liessen mich den alten Pietro, einen Diener des Florentiners, den ich +schon in Alessandria gekannt hatte, erkennen. Ich war nicht in +Zweifel, dass er ueber seinen Herrn in Zorn geraten sei, und beschloss, +seine Stimmung zu benuetzen. Er schien sehr ueberrascht, mich hier zu +sehen, klagte mir sein Leiden, dass er seinem Herrn, seit er +Gouverneur geworden, nichts mehr recht machen koenne, und mein Gold, +unterstuetzt von seinem Zorn, brachte ihn bald auf meine Seite. Das +Schwierigste war jetzt beseitigt; ich hatte einen Mann in meinem +Solde, der mir zu jeder Stunde die Tuere meines Feindes oeffnete, und +nun reifte mein Racheplan immer schneller heran. Das Leben des alten +Florentiners schien mir ein zu geringes Gewicht, dem Untergang meines +Hauses gegenueber, zu haben. Sein Liebstes musste er gemordet sehen, +und dies war Bianka, seine Tochter. Hatte ja sie so schaendlich an +meinem Bruder gefrevelt, war ja doch sie die Ursache unseres Ungluecks. +Gar erwuenscht kam sogar meinem racheduerstigen Herzen die Nachricht, +dass in dieser Zeit Bianka zum zweitenmal sich vermaehlen wollte, es +war beschlossen, sie musste sterben. Aber mir selbst graute vor der +Tat, und auch Pietro traute sich zu wenig Kraft zu; darum spaehten wir +umher nach einem Mann, der das Geschaeft vollbringen koenne. Unter den +Florentinern wagte ich keinen zu dingen, denn gegen den Gouverneur +wuerde keiner etwas Solches unternommen haben. Da fiel Pietro der +Plan ein, den ich nachher ausgefuehrt habe; zugleich schlug er dich +als Fremden und Arzt als den Tauglichsten vor. Den Verlauf der Sache +weisst du. Nur an deiner grossen Vorsicht und Ehrlichkeit schien mein +Unternehmen zu scheitern. Daher der Zufall mit dem Mantel. + +Pietro oeffnete uns das Pfoertchen an dem Palast des Gouverneurs; er +haette uns auch ebenso heimlich wieder hinausgeleitet, wenn wir nicht, +durch den schrecklichen Anblick, der sich uns durch die Tuerspalte +darbot, erschreckt, entflohen waeren. Von Schrecken und Reue gejagt, +war ich ueber zweihundert Schritte fortgerannt, bis ich auf den Stufen +einer Kirche niedersank. Dort erst sammelte ich mich wieder, und +mein erster Gedanke warst du und dein schreckliches Schicksal, wenn +man dich in dem Hause faende. Ich schlich an den Palast, aber weder +von Pietro noch von dir konnte ich eine Spur entdecken; das Pfoertchen +aber war offen, so konnte ich wenigstens hoffen, dass du die +Gelegenheit zur Flucht benuetzt haben koenntest. + +Als aber der Tag anbrach, liess mich die Angst vor der Entdeckung und +ein unabweisbares Gefuehl von Reue nicht mehr in den Mauern von +Florenz. Ich eilte nach Rom. Aber denke dir meine Bestuerzung, als +man dort nach einigen Tagen ueberall diese Geschichte erzaehlte mit dem +Beisatz, man habe den Moerder, einen griechischen Arzt, gefangen. Ich +kehrte in banger Besorgnis nach Florenz zurueck; denn schien mir meine +Rache schon vorher zu stark, so verfluchte ich sie jetzt, denn sie +war mir durch dein Leben allzu teuer erkauft. Ich kam an demselben +Tage an, der dich der Hand beraubte. Ich schweige von dem, was ich +fuehlte, als ich dich das Schafott besteigen und so heldenmuetig leiden +sah. Aber damals, als dein Blut in Stroemen aufspritzte, war der +Entschluss fest in mir, dir deine uebrigen Lebenstage zu versuessen. Was +weiter geschehen ist, weisst du, nur das bleibt mir noch zu sagen +uebrig, warum ich diese Reise mit dir machte. + +Als eine schwere Last drueckte mich der Gedanke, dass du mir noch immer +nicht vergeben habest; darum entschloss ich mich, viele Tage mit dir +zu leben und dir endlich Rechenschaft abzulegen von dem, was ich mit +dir getan." + +Schweigend hatte der Grieche seinen Gast angehoert; mit sanftem Blick +bot er ihm, als er geendet hatte, seine Rechte. "Ich wusste wohl, dass +du ungluecklicher sein muesstest als ich, denn jene grausame Tat wird +wie eine dunkle Wolke ewig deine Tage verfinstern; ich vergebe dir +von Herzen. Aber erlaube mir noch eine Frage: Wie kommst du unter +dieser Gestalt in die Wueste? Was fingst du an, nachdem du in +Konstantinopel mir das Haus gekauft hattest?" + +"Ich ging nach Alessandria zurueck", antwortete der Gefragte. "Hass +gegen alle Menschen tobte in meiner Brust, brennender Hass besonders +gegen jene Nationen, die man die gebildeten nennt. Glaube mir, unter +meinen Moslemiten war mir wohler! Kaum war ich einige Monate in +Alessandria, als jene Landung meiner Landsleute erfolgte. + +Ich sah in ihnen nur die Henker meines Vaters und meines Bruders; +darum sammelte ich einige gleichgesinnte junge Leute meiner +Bekanntschaft und schloss mich jenen tapferen Mamelucken an, die so +oft der Schrecken des franzoesischen Heeres wurden. Als der Feldzug +beendigt war, konnte ich mich nicht entschliessen, zu den Kuensten des +Friedens zurueckzukehren. Ich lebte mit einer kleinen Anzahl +gleichdenkender Freunde ein unstetes und fluechtiges, dem Kampf und +der Jagd geweihtes Leben; ich lebe zufrieden unter diesen Leuten, die +mich wie ihren Fuersten ehren; denn wenn meine Asiaten auch nicht so +gebildet sind wie Eure Europaeer, so sind sie doch weit entfernt von +Neid und Verleumdung, von Selbstsucht und Ehrgeiz." + +Zaleukos dankte dem Fremden fuer seine Mitteilung, aber er verbarg ihm +nicht, dass er es fuer seinen Stand, fuer seine Bildung angemessener +faende, wenn er in christlichen, in europaeischen Laendern leben und +wirken wuerde. Er fasste seine Hand und bat ihn, mit ihm zu ziehen, +bei ihm zu leben und zu sterben. + +Geruehrt sah ihn der Gastfreund an. "Daraus erkenne ich", sagte er, +"dass du mir ganz vergeben hast, dass du mich liebst. Nimm meinen +innigsten Dank dafuer!" Er sprang auf und stand in seiner ganzen Groesse +vor dem Griechen, dem vor dem kriegerischen Anstand, den dunkel +blitzenden Augen, der tiefen Stimme seines Gastes beinahe graute. +"Dein Vorschlag ist schoen", sprach jener weiter, "er moechte fuer jeden +andern lockend sein--ich kann ihn nicht benuetzen. Schon steht mein +Ross gesattelt, erwarten mich meine Diener; lebe wohl, Zaleukos!" Die +Freunde, die das Schicksal so wunderbar zusammengefuehrt, umarmten +sich zum Abschied. "Und wie nenne ich dich? Wie heisst mein +Gastfreund, der auf ewig in meinem Gedaechtnis leben wird?" fragte der +Grieche. + +Der Fremde sah ihn lange an, drueckte ihm noch einmal die Hand und +sprach: "Man nennt mich den Herrn der Wueste; ich bin der Raeuber +Orbasan." + + + + +Kalif Storch + +Wilhelm Hauff + + +Der Kalif Chasid zu Bagdad sass einmal an einem schoenen Nachmittag +behaglich auf seinem Sofa; er hatte ein wenig geschlafen, denn es war +ein heisser Tag, und sah nun nach seinem Schlaefchen recht heiter aus. +Er rauchte aus einer langen Pfeife von Rosenholz, trank hier und da +ein wenig Kaffee, den ihm ein Sklave einschenkte, und strich sich +allemal vergnuegt den Bart, wenn es ihm geschmeckt hatte. Kurz, man +sah dem Kalifen an, dass es ihm recht wohl war. Um diese Stunde +konnte man gar gut mit ihm reden, weil er da immer recht mild und +leutselig war, deswegen besuchte ihn auch sein Grosswesir Mansor alle +Tage um diese Zeit. An diesem Nachmittage nun kam er auch, sah aber +sehr nachdenklich aus, ganz gegen seine Gewohnheit. Der Kalif tat +die Pfeife ein wenig aus dem Mund und sprach: "Warum machst du ein so +nachdenkliches Gesicht, Grosswesir?" + +Der Grosswesir schlug seine Arme kreuzweis ueber die Brust, verneigte +sich vor seinem Herrn und antwortete: "Herr, ob ich ein +nachdenkliches Gesicht mache, weiss ich nicht, aber da drunten am +Schloss steht ein Kraemer, der hat so schoene Sachen, dass es mich aergert, +nicht viel ueberfluessiges Geld zu haben." + +Der Kalif, der seinem Grosswesir schon lange gerne eine Freude gemacht +haette, schickte seinen schwarzen Sklaven hinunter, um den Kraemer +heraufzuholen. Bald kam der Sklave mit dem Kraemer zurueck. Dieser +war ein kleiner, dicker Mann, schwarzbraun im Gesicht und in +zerlumptem Anzug. Er trug einen Kasten, in welchem er allerhand +Waren hatte, Perlen und Ringe, reichbeschlagene Pistolen, Becher und +Kaemme. Der Kalif und sein Wesir musterten alles durch, und der Kalif +kaufte endlich fuer sich und Mansor schoene Pistolen, fuer die Frau des +Wesirs aber einen Kamm. Als der Kraemer seinen Kasten schon wieder +zumachen wollte, sah der Kalif eine kleine Schublade und fragte, ob +da auch noch Waren seien. Der Kraemer zog die Schublade heraus und +zeigte darin eine Dose mit schwaerzlichem Pulver und ein Papier mit +sonderbarer Schrift, die weder der Kalif noch Mansor lesen konnte. +"Ich bekam einmal diese zwei Stuecke von einem Kaufmanne, der sie in +Mekka auf der Strasse fand", sagte der Kraemer, "Ich weiss nicht, was +sie enthalten; euch stehen sie um geringen Preis zu Dienst, ich kann +doch nichts damit anfangen." + +Der Kalif, der in seiner Bibliothek gerne alte Manuskripte hatte, +wenn er sie auch nicht lesen konnte, kaufte Schrift und Dose und +entliess den Kraemer. Der Kalif aber dachte, er moechte gerne wissen, +was die Schrift enthalte, und, fragte den Wesir, ob er keinen kenne, +der es entziffern koennte. + +"Gnaedigster Herr und Gebieter", antwortete dieser, "an der grossen +Moschee wohnt ein Mann, er heisst Selim, der Gelehrte, der versteht +alle Sprachen, lass ihn kommen, vielleicht kennt er diese +geheimnisvollen Zuege." + +Der Gelehrte Selim war bald herbeigeholt. "Selim", sprach zu ihm der +Kalif, "Selim, man sagt, du seiest sehr gelehrt; guck einmal ein +wenig in diese Schrift, ob du sie lesen kannst; kannst du sie lesen, +so bekommst du ein neues Festkleid von mir, kannst du es nicht, so +bekommst du zwoelf Backenstreiche und fuenfundzwanzig auf die Fusssohlen, +weil man dich dann umsonst Selim, den Gelehrten, nennt." + +Selim verneigte sich und sprach: "Dein Wille geschehe, o Herr!" Lange +betrachtete er die Schrift, ploetzlich aber rief er aus: "Das ist +Lateinisch, o Herr, oder ich lass mich haengen." "Sag, was drinsteht", +befahl der Kalif, "wenn es Lateinisch ist." + +Selim fing an zu uebersetzen: "Mensch, der du dieses findest, preise +Allah fuer seine Gnade. Wer von dem Pulver in dieser Dose schnupft +und dazu spricht: mutabor, der kann sich in jedes Tier verwandeln und +versteht auch die Sprache der Tiere. + +Will er wieder in seine menschliche Gestalt zurueckkehren, so neige er +sich dreimal gen Osten und spreche jenes Wort; aber huete dich, wenn +du verwandelt bist, dass du nicht lachest, sonst verschwindet das +Zauberwort gaenzlich aus deinem Gedaechtnis, und du bleibst ein Tier." + +Als Selim, der Gelehrte, also gelesen hatte, war der Kalif ueber die +Massen vergnuegt. Er liess den Gelehrten schwoeren, niemandem etwas von +dem Geheimnis zu sagen, schenkte ihm ein schoenes Kleid und entliess +ihn. Zu seinem Grosswesir aber sagte er: "Das heiss' ich gut einkaufen, +Mansor! Wie freue ich mich, bis ich ein Tier bin. Morgen frueh +kommst du zu mir; wir gehen dann miteinander aufs Feld, schnupfen +etwas Weniges aus meiner Dose und belauschen dann, was in der Luft +und im Wasser, im Wald und Feld gesprochen wird!" + +Kaum hatte am anderen Morgen der Kalif Chasid gefruehstueckt und sich +angekleidet, als schon der Grosswesir erschien, ihn, wie er befohlen, +auf dem Spaziergang zu begleiten. Der Kalif steckte die Dose mit dem +Zauberpulver in den Guertel, und nachdem er seinem Gefolge befohlen, +zurueckzubleiben, machte er sich mit dem Grosswesir ganz allein auf den +Weg. Sie gingen zuerst durch die weiten Gaerten des Kalifen, spaehten +aber vergebens nach etwas Lebendigem, um ihr Kunststueck zu probieren. +Der Wesir schlug endlich vor, weiter hinaus an einen Teich zu gehen, +wo er schon oft viele Tiere, namentlich Stoerche, gesehen habe, die +durch ihr gravitaetisches Wesen und ihr Geklapper immer seine +Aufmerksamkeit erregt hatten. + +Der Kalif billigte den Vorschlag seines Wesirs und ging mit ihm dem +Teich zu. Als sie dort angekommen waren, sahen sie einen Storch +ernsthaft auf und ab gehen, Froesche suchend und hier und da etwas vor +sich hinklappernd. Zugleich sahen sie auch weit oben in der Luft +einen anderen Storch dieser Gegend zuschweben. + +"Ich wette meinen Bart, gnaedigster Herr", sagte er Grosswesir, "wenn +nicht diese zwei Langfuessler ein schoenes Gespraech miteinander fuehren +werden. Wie waere es, wenn wir Stoerche wuerden?" + +"Wohl gesprochen!" antwortete der Kalif. "Aber vorher wollen wir +noch einmal betrachten, wie man wieder Mensch wird.--Richtig! +Dreimal gen Osten geneigt und mutabor gesagt, so bin ich wieder Kalif +und du Wesir. Aber nur um Himmels willen nicht gelacht, sonst sind +wir verloren!" + +Waehrend der Kalif also sprach, sah er den anderen Storch ueber ihrem +Haupte schweben und langsam sich zur Erde lassen. Schnell zog er die +Dose aus dem Guertel, nahm eine gute Prise, bot sie dem Grosswesir dar, +der gleichfalls schnupfte, und beide riefen: mutabor! + +Da schrumpften ihre Beine ein und wurden duenn und rot, die schoenen +gelben Pantoffeln des Kalifen und seines Begleiters wurden +unfoermliche Storchfuesse, die Arme wurden zu Fluegeln, der Hals fuhr aus +den Achseln und ward eine Elle lang, der Bart war verschwunden, und +den Koerper bedeckten weiche Federn. + +"Ihr habt einen huebschen Schnabel, Herr Grosswesir", sprach nach +langem Erstaunen der Kalif. "Beim Bart des Propheten, so etwas habe +ich in meinem Leben nicht gesehen." "Danke untertaenigst", erwiderte +der Grosswesir, indem er sich bueckte, "aber wenn ich es wagen darf, +moechte ich behaupten, Eure Hoheit sehen als Storch beinahe noch +huebscher aus denn als Kalif. Aber kommt, wenn es Euch gefaellig ist, +dass wir unsere Kameraden dort belauschen und erfahren, ob wir +wirklich Storchisch koennen." + +Indem war der andere Storch auf der Erde angekommen; er putzte sich +mit dem Schnabel seine Fuesse, legte seine Federn zurecht und ging auf +den ersten Storch zu. Die beiden neuen Stoerche aber beeilten sich, +in ihre Naehe zu kommen, und vernahmen zu ihrem Erstaunen folgendes +Gespraech: + +"Guten Morgen, Frau Langbein, so frueh schon auf der Wiese?" + +"Schoenen Dank, liebe Klapperschnabel! Ich habe mir nur ein kleines +Fruehstueck geholt. Ist Euch vielleicht ein Viertelchen Eidechs +gefaellig oder ein Froschschenkelein?" + +"Danke gehorsamst; habe heute gar keinen Appetit. Ich komme auch +wegen etwas ganz anderem auf die Wiese. Ich soll heute vor den +Gaesten meines Vaters tanzen, und da will ich mich im stillen ein +wenig ueben." + +Zugleich schritt die junge Stoerchin in wunderlichen Bewegungen durch +das Feld. Der Kalif und Mansor sahen ihr verwundert nach; als sie +aber in malerischer Stellung auf einem Fuss stand und mit den Fluegeln +anmutig dazu wedelte, da konnten sich die beiden nicht mehr halten; +ein unaufhaltsames Gelaechter brach aus ihren Schnaebeln hervor, von +dem sie sich erst nach langer Zeit erholten. Der Kalif fasste sich +zuerst wieder: "Das war einmal ein Spass", rief er, "der nicht mit +Gold zu bezahlen ist; schade, dass die Tiere durch unser Gelaechter +sich haben verscheuchen lassen, sonst haetten sie gewiss auch noch +gesungen!" + +Aber jetzt fiel es dem Grosswesir ein, dass das Lachen waehrend der +Verwandlung verboten war. Er teilte seine Angst deswegen dem Kalifen +mit. "Potz Mekka und Medina! Das waere ein schlechter Spass, wenn ich +ein Storch bleiben muesste! Besinne dich doch auf das dumme Wort, ich +bring' es nicht heraus." + +"Dreimal gen Osten muessen wir uns buecken und dazu sprechen: +mu--mu--mu--" + +Sie stellten sich gegen Osten und bueckten sich in einem fort, dass +ihre Schnaebel beinahe die Erde beruehrten; aber, o Jammer! Das +Zauberwort war ihnen entfallen, und so oft sich auch der Kalif bueckte, +so sehnlich auch sein Wesir mu--mu dazu rief, jede Erinnerung daran +war verschwunden, und der arme Chasid und sein Wesir waren und +blieben Stoerche. + +Traurig wandelten die Verzauberten durch die Felder, sie wussten gar +nicht, was sie in ihrem Elend anfangen sollten. Aus ihrer +Storchenhaut konnten sie nicht heraus, in die Stadt zurueck konnten +sie auch nicht, um sich zu erkennen zu geben; denn wer haette einem +Storch geglaubt, dass er der Kalif sei, und wenn man es auch geglaubt +haette, wuerden die Einwohner von Bagdad einen Storch zum Kalif gewollt +haben? + +So schlichen sie mehrere Tage umher und ernaehrten sich kuemmerlich von +Feldfruechten, die sie aber wegen ihrer langen Schnaebel nicht gut +verspeisen konnten. Auf Eidechsen und Froesche hatten sie uebrigens +keinen Appetit, denn sie befuerchteten, mit solchen Leckerbissen sich +den Magen zu verderben. Ihr einziges Vergnuegen in dieser traurigen +Lage war, dass sie fliegen konnten, und so flogen sie oft auf die +Daecher von Bagdad, um zu sehen, was darin vorging. + +In den ersten Tagen bemerkten sie grosse Unruhe und Trauer in den +Strassen; aber ungefaehr am vierten Tag nach ihrer Verzauberung sassen +sie auf dem Palast des Kalifen, da sahen sie unten in der Strasse +einen praechtigen Aufzug; Trommeln und Pfeifen ertoenten, ein Mann in +einem goldbestickten Scharlachmantel sass auf einem geschmueckten Pferd, +umgeben von glaenzenden Dienern, halb Bagdad sprang ihm nach, und +alle schrien: "Heil Mizra, dem Herrscher von Bagdad!" + +Da sahen die beiden Stoerche auf dem Dache des Palastes einander an, +und der Kalif Chasid sprach: "Ahnst du jetzt, warum ich verzaubert +bin, Grosswesir? Dieser Mizra ist der Sohn meines Todfeindes, des +maechtigen Zauberers Kaschnur, der mir in einer boesen Stunde Rache +schwur. Aber noch gebe ich die Hoffnung nicht auf--Komm mit mir, du +treuer Gefaehrte meines Elends, wir wollen zum Grabe des Propheten +wandern, vielleicht, dass an heiliger Staette der Zauber geloest wird." + +Sie erhoben sich vom Dach des Palastes und flogen der Gegend von +Medina zu. + +Mit dem Fliegen wollte es aber nicht gar gut gehen; denn die beiden +Stoerche hatten noch wenig Uebung. "O Herr", aechzte nach ein paar +Stunden der Grosswesir, "ich halte es mit Eurer Erlaubnis nicht mehr +lange aus; Ihr fliegt gar zu schnell! Auch ist es schon Abend, und +wir taeten wohl, ein Unterkommen fuer die Nacht zu suchen." + +Chasid gab der Bitte seines Dieners Gehoer; und da er unten im Tale +eine Ruine erblickte, die ein Obdach zu gewaehren schien, so flogen +sie dahin. Der Ort, wo sie sich fuer diese Nacht niedergelassen +hatten, schien ehemals ein Schloss gewesen zu sein. Schoene Saeulen +ragten unter den Truemmern hervor, mehrere Gemaecher, die noch ziemlich +erhalten waren, zeugten von der ehemaligen Pracht des Hauses. Chasid +und sein Begleiter gingen durch die Gaenge umher, um sich ein +trockenes Plaetzchen zu suchen; ploetzlich blieb der Storch Mansor +stehen. "Herr und Gebieter", fluesterte er leise, "wenn es nur nicht +toericht fuer einen Grosswesir, noch mehr aber fuer einen Storch waere, +sich vor Gespenstern zu fuerchten! Mir ist ganz unheimlich zumute; +denn hier neben hat es ganz vernehmlich geseufzt und gestoehnt." Der +Kalif blieb nun auch stehen und hoerte ganz deutlich ein leises Weinen, +das eher einem Menschen als einem Tiere anzugehoeren schien. Voll +Erwartung wollte er der Gegend zugehen, woher die Klagetoene kamen; +der Wesir aber packte ihn mit dem Schnabel am Fluegel und bat ihn +flehentlich, sich nicht in neue, unbekannte Gefahren zu stuerzen. +Doch vergebens! Der Kalif, dem auch unter dem Storchenfluegel ein +tapferes Herz schlug, riss sich mit Verlust einiger Federn los und +eilte in einen finsteren Gang. Bald war er an einer Tuer angelangt, +die nur angelehnt schien und woraus er deutliche Seufzer mit ein +wenig Geheul vernahm. Er stiess mit dem Schnabel die Tuere auf, blieb +aber ueberrascht auf der Schwelle stehen. In dem verfallenen Gemach, +das nur durch ein kleines Gitterfenster spaerlich erleuchtet war, sah +er eine grosse Nachteule am Boden sitzen. Dicke Traenen rollten ihr +aus den grossen, runden Augen, und mit heiserer Stimme stiess sie ihre +Klagen zu dem krummen Schnabel heraus. Als sie aber den Kalifen und +seinen Wesir, der indes auch herbeigeschlichen war, erblickte, erhob +sie ein lautes Freudengeschrei. Zierlich wischte sie mit dem +braungefleckten Fluegel die Traenen aus dem Auge, und zu dem groessten +Erstaunen der beiden rief sie in gutem menschlichem Arabisch: +"Willkommen, ihr Stoerche! Ihr seid mir ein gutes Zeichen meiner +Errettung; denn durch Stoerche werde mir ein grosses Glueck kommen, ist +mir einst prophezeit worden!" + +Als sich der Kalif von seinem Erstaunen erholt hatte, bueckte er sich +mit seinem langen Hals, brachte seine duennen Fuesse in eine zierliche +Stellung und sprach: "Nachteule! Deinen Worten nach darf ich glauben, +eine Leidensgefaehrtin in dir zu sehen. Aber ach! Deine Hoffnung, +dass durch uns deine Rettung kommen werde, ist vergeblich. Du wirst +unsere Hilflosigkeit selbst erkennen, wenn du unsere Geschichte hoerst." +Die Nachteule bat ihn zu erzaehlen, was der Kalif sogleich tat. + +Als der Kalif der Eule seine Geschichte vorgetragen hatte, dankte sie +ihm und sagte: "Vernimm auch meine Geschichte und hoere, wie ich nicht +weniger ungluecklich bin als du. Mein Vater ist der Koenig von Indien, +ich, seine einzige unglueckliche Tochter, heisse Lusa. Jener Zauberer +Kaschnur, der euch verzauberte, hat auch mich ins Unglueck gestuerzt. +Er kam eines Tages zu meinem Vater und begehrte mich zur Frau fuer +seinen Sohn Mizra. Mein Vater aber, der ein hitziger Mann ist, liess +ihn die Treppe hinunterwerfen. Der Elende wusste sich unter einer +anderen Gestalt wieder in meine Naehe zu schleichen, und als ich einst +in meinem Garten Erfrischungen zu mir nehmen wollte, brachte er mir, +als Sklave verkleidet, einen Trank bei, der mich in diese +abscheuliche Gestalt verwandelte. Vor Schrecken ohnmaechtig, brachte +er mich hierher und rief mir mit schrecklicher Stimme in die Ohren: + +'Da sollst du bleiben, haesslich, selbst von den Tieren verachtet, bis +an dein Ende, oder bis einer aus freiem Willen dich, selbst in dieser +schrecklichen Gestalt, zur Gattin begehrt. So raeche ich mich an dir +und deinem stolzen Vater.' + +Seitdem sind viele Monate verflossen. Einsam und traurig lebe ich +als Einsiedlerin in diesem Gemaeuer, verabscheut von der Welt, selbst +den Tieren ein Greuel; die schoene Natur ist vor mir verschlossen; +denn ich bin blind am Tage, und nur, wenn der Mond sein bleiches +Licht ueber dies Gemaeuer ausgiesst, faellt der verhuellende Schleier von +meinem Auge." + +Die Eule hatte geendet und wischte sich mit dem Fluegel wieder die +Augen aus, denn die Erzaehlung ihrer Leiden hatte ihr Traenen entlockt. + +Der Kalif war bei der Erzaehlung der Prinzessin in tiefes Nachdenken +versunken. "Wenn mich nicht alles taeuscht", sprach er, "so findet +zwischen unserem Unglueck ein geheimer Zusammenhang statt; aber wo +finde ich den Schluessel zu diesem Raetsel?" + +Die Eule antwortete ihm: "O Herr! Auch mir ahnet dies; denn es ist +mir einst in meiner fruehesten Jugend von einer weisen Frau prophezeit +worden, dass ein Storch mir ein grosses Glueck bringen werde, und ich +wuesste vielleicht, wie wir uns retten koennten." Der Kalif war sehr +erstaunt und fragte, auf welchem Wege sie meine. "Der Zauberer, der +uns beide ungluecklich gemacht hat", sagte sie, "kommt alle Monate +einmal in diese Ruinen. Nicht weit von diesem Gemach ist ein Saal. +Dort pflegt er dann mit vielen Genossen zu schmausen. Schon oft habe +ich sie dort belauscht. Sie erzaehlen dann einander ihre schaendlichen +Werke; vielleicht, dass er dann das Zauberwort, das ihr vergessen habt, +ausspricht." + +"O, teuerste Prinzessin", rief der Kalif, "sag an, wann kommt er, und +wo ist der Saal?" + +Die Eule schwieg einen Augenblick und sprach dann: "Nehmet es nicht +unguetig, aber nur unter einer Bedingung kann ich Euern Wunsch +erfuellen." + +"Sprich aus! Sprich aus!" schrie Chasid. "Befiehl, es ist mir jede +recht." + +"Naemlich, ich moechte auch gern zugleich frei sein; dies kann aber nur +geschehen, wenn einer von euch mir seine Hand reicht." + +Die Stoerche schienen ueber den Antrag etwas betroffen zu sein, und der +Kalif winkte seinem Diener, ein wenig mit ihm hinauszugehen. + +"Grosswesir", sprach vor der Tuere der Kalif, "das ist ein dummer +Handel; aber Ihr koenntet sie schon nehmen." + +"So", antwortete dieser, "dass mir meine Frau, wenn ich nach Hause +komme, die Augen auskratzt? Auch bin ich ein alter Mann, und Ihr +seid noch jung und unverheiratet und koennet eher einer jungen, +schoenen Prinzessin die Hand geben." + +"Das ist es eben", seufzte der Kalif, indem er traurig die Fluegel +haengen liess, "wer sagt dir denn, dass sie jung und schoen ist? Das +heisst eine Katze im Sack kaufen!" + +Sie redeten einander gegenseitig noch lange zu; endlich aber, als der +Kalif sah, dass sein Wesir lieber Storch bleiben als die Eule heiraten +wollte, entschloss er sich, die Bedingung lieber selbst zu erfuellen. +Die Eule war hocherfreut. Sie gestand ihnen, dass sie zu keiner +besseren Zeit haetten kommen koennen, weil wahrscheinlich in dieser +Nacht die Zauberer sich versammeln wuerden. + +Sie verliess mit den Stoerchen das Gemach, um sie in jenen Saal zu +fuehren; sie gingen lange in einem finsteren Gang hin; endlich +strahlte ihnen aus einer halbverfallenen Mauer ein heller Schein +entgegen. Als sie dort angelangt waren, riet ihnen die Eule, sich +ganz ruhig zu verhalten. Sie konnten von der Luecke, an welcher sie +standen, einen grossen Saal uebersehen. Er war ringsum mit Saeulen +geschmueckt und prachtvoll verziert. Viele farbige Lampen ersetzten +das Licht des Tages. In der Mitte des Saales stand ein runder Tisch, +mit vielen und ausgesuchten Speisen besetzt. Rings um den Tisch zog +sich ein Sofa, auf welchem acht Maenner sassen. In einem dieser Maenner +erkannten die Stoerche jenen Kraemer wieder, der ihnen das Zauberpulver +verkauft hatte. Sein Nebensitzer forderte ihn auf, ihnen seine +neuesten Taten zu erzaehlen. Er erzaehlte unter anderen auch die +Geschichte des Kalifen und seines Wesirs. + +"Was fuer ein Wort hast du ihnen denn aufgegeben?" fragte ihn ein +anderer Zauberer. "Ein recht schweres lateinisches, es heisst mutabor." + +Als die Stoerche an der Mauerluecke dieses hoerten, kamen sie vor +Freuden beinahe ausser sich. Sie liefen auf ihren langen Fuessen so +schnell dem Tore der Ruine zu, dass die Eule kaum folgen konnte. Dort +sprach der Kalif geruehrt zu der Eule: "Retterin meines Lebens und des +Lebens meines Freundes, nimm zum ewigen Dank fuer das, was du an uns +getan, mich zum Gemahl an!" Dann aber wandte er sich nach Osten. +Dreimal bueckten die Stoerche ihre langen Haelse der Sonne entgegen, die +soeben hinter dem Gebirge heraufstieg: "Mutabor!" riefen sie, im Nu +waren sie verwandelt, und in der hohen Freude des neugeschenkten +Lebens lagen Herr und Diener lachend und weinend einander in den +Armen. + +Wer beschreibt aber ihr Erstaunen, als sie sich umsahen? Eine schoene +Dame, herrlich geschmueckt, stand vor ihnen. Laechelnd gab sie dem +Kalifen die Hand. "Erkennt Ihr Eure Nachteule nicht mehr?" sagte sie. +Sie war es; der Kalif war von ihrer Schoenheit und Anmut entzueckt. + +Die drei zogen nun miteinander auf Bagdad zu. Der Kalif fand in +seinen Kleidern nicht nur die Dose mit Zauberpulver, sondern auch +seinen Geldbeutel. Er kaufte daher im naechsten Dorfe, was zu ihrer +Reise noetig war, und so kamen sie bald an die Tore von Bagdad. Dort +aber erregte die Ankunft des Kalifen grosses Erstaunen. Man hatte ihn +fuer tot ausgegeben, und das Volk war daher hocherfreut, seinen +geliebten Herrscher wiederzuhaben. + +Um so mehr aber entbrannte ihr Hass gegen den Betrueger Mizra. Sie +zogen in den Palast und nahmen den alten Zauberer und seinen Sohn +gefangen. Den Alten schickte der Kalif in dasselbe Gemach der Ruine, +das die Prinzessin als Eule bewohnt hatte, und liess ihn dort +aufhaengen. Dem Sohn aber, welcher nichts von den Kuensten des Vaters +verstand, liess der Kalif die Wahl, ob er sterben oder schnupfen wolle. +Als er das letztere waehlte, bot ihm der Grosswesir die Dose. Eine +tuechtige Prise, und das Zauberwort des Kalifen verwandelte ihn in +einen Storch. Der Kalif liess ihn in einen eisernen Kaefig sperren und +in seinem Garten aufstellen. + +Lange und vergnuegt lebte Kalif Chasid mit seiner Frau, der Prinzessin; +seine vergnuegtesten Stunden waren immer die, wenn ihn der Grosswesir +nachmittags besuchte; da sprachen sie dann oft von ihrem +Storchabenteuer, und wenn der Kalif recht heiter war, liess er sich +herab, den Grosswesir nachzuahmen, wie er als Storch aussah. Er stieg +dann ernsthaft, mit steifen Fuessen im Zimmer auf und ab, klapperte, +wedelte mit den Armen wie mit Fluegeln und zeigte, wie jener sich +vergeblich nach Osten geneigt und Mu--Mu--dazu gerufen habe. Fuer die +Frau Kalifin und ihre Kinder war diese Vorstellung allemal eine grosse +Freude; wenn aber der Kalif gar zu lange klapperte und nickte und +Mu--Mu--schrie, dann drohte ihm laechelnd der Wesir: Er wolle das, was +vor der Tuere der Prinzessin Nachteule verhandelt worden sei, der Frau +Kalifin mitteilen. + +Als Selim Baruch seine Geschichte beendet hatte, bezeugten sich die +Kaufleute sehr zufrieden damit. "Wahrhaftig, der Nachmittag ist uns +vergangen, ohne dass wir merkten wie!" sagte einer derselben, indem er +die Decke des Zeltes zurueckschlug. "Der Abendwind wehet kuehl, und +wir koennten noch eine gute Strecke Weges zuruecklegen." Seine +Gefaehrten waren damit einverstanden, die Zelte wurden abgebrochen, +und die Karawane machte sich in der naemlichen Ordnung, in welcher sie +herangezogen war, auf den Weg. + +Sie ritten beinahe die ganze Nacht hindurch, denn es war schwuel am +Tage, die Nacht aber war erquicklich und sternhell. Sie kamen +endlich an einem bequemen Lagerplatz an, schlugen die Zelte auf und +legten sich zur Ruhe. Fuer den Fremden aber sorgten die Kaufleute, +wie wenn er ihr wertester Gastfreund waere. Der eine gab ihm Polster, +der andere Decken, ein dritter gab ihm Sklaven, kurz, er wurde so gut +bedient, als ob er zu Hause waere. Die heisseren Stunden des Tages +waren schon heraufgekommen, als sie sich wieder erhoben, und sie +beschlossen einmuetig, hier den Abend abzuwarten. Nachdem sie +miteinander gespeist hatten, rueckten sie wieder naeher zusammen, und +der junge Kaufmann wandte sich an den aeltesten und sprach: "Selim +Baruch hat uns gestern einen vergnuegten Nachmittag bereitet, wie waere +es, Achmet, wenn Ihr uns auch etwas erzaehltet, sei es nun aus Eurem +langen Leben, das wohl viele Abenteuer aufzuweisen hat, oder sei es +auch ein huebsches Maerchen." Achmet schwieg auf diese Anrede eine +Zeitlang, wie wenn er bei sich im Zweifel waere, ob er dies oder jenes +sagen sollte oder nicht; endlich fing er an zu sprechen: + +"Liebe Freunde! Ihr habt euch auf dieser unserer Reise als treue +Gesellen erprobt, und auch Selim verdient mein Vertrauen; daher will +ich euch etwas aus meinem Leben mitteilen, das ich sonst ungern und +nicht jedem erzaehle: die Geschichte von dem Gespensterschiff." + + + + +Die Geschichte von dem Gespensterschiff + +Wilhelm Hauff + + +Mein Vater hatte einen kleinen Laden in Balsora; er war weder arm +noch reich und einer von jenen Leuten, die nicht gerne etwas wagen, +aus Furcht, das Wenige zu verlieren, das sie haben. Er erzog mich +schlicht und recht und brachte es bald so weit, dass ich ihm an die +Hand gehen konnte. Gerade als ich achtzehn Jahre alt war, als er die +erste groessere Spekulation machte, starb er, wahrscheinlich aus Gram, +tausend Goldstuecke dem Meere anvertraut zu haben. Ich musste ihn bald +nachher wegen seines Todes gluecklich preisen, denn wenige Wochen +hernach lief die Nachricht ein, dass das Schiff, dem mein Vater seine +Gueter mitgegeben hatte, versunken sei. Meinen jugendlichen Mut +konnte aber dieser Unfall nicht beugen. Ich machte alles vollends zu +Geld, was mein Vater hinterlassen hatte, und zog aus, um in der +Fremde mein Glueck zu probieren, nur von einem alten Diener meines +Vaters begleitet. + +Im Hafen von Balsora schifften wir uns mit guenstigem Winde ein. Das +Schiff, auf dem ich mich eingemietet hatte, war nach Indien bestimmt. +Wir waren schon fuenfzehn Tage auf der gewoehnlichen Strasse gefahren, +als uns der Kapitaen einen Sturm verkuendete. Er machte ein +bedenkliches Gesicht, denn es schien, er kenne in dieser Gegend das +Fahrwasser nicht genug, um einem Sturm mit Ruhe begegnen zu koennen. +Er liess alle Segel einziehen, und wir trieben ganz langsam hin. Die +Nacht war angebrochen, war hell und kalt, und der Kapitaen glaubte +schon, sich in den Anzeichen des Sturmes getaeuscht zu haben. Auf +einmal schwebte ein Schiff, das wir vorher nicht gesehen hatten, +dicht an dem unsrigen vorbei. Wildes Jauchzen und Geschrei erscholl +aus dem Verdeck herueber, worueber ich mich zu dieser angstvollen +Stunde vor einem Sturm nicht wenig wunderte. Aber der Kapitaen an +meiner Seite wurde blass wie der Tod. "Mein Schiff ist verloren", +rief er, "dort segelt der Tod!" + +Ehe ich ihn noch ueber diesen sonderbaren Ausruf befragen konnte, +stuerzten schon heulend und schreiend die Matrosen herein. "Habt ihr +ihn gesehen?" schrien sie. "Jetzt ist's mit uns vorbei!" + +Der Kapitaen aber liess Trostsprueche aus dem Koran vorlesen und setzte +sich selbst ans Steuerruder. Aber vergebens! Zusehends brauste der +Sturm auf, und ehe eine Stunde verging, krachte das Schiff und blieb +sitzen. Die Boote wurden ausgesetzt, und kaum hatten sich die +letzten Matrosen gerettet, so versank das Schiff vor unseren Augen, +und als ein Bettler fuhr ich in die See hinaus. Aber der Jammer +hatte noch kein Ende. Fuerchterlicher tobte der Sturm; das Boot war +nicht mehr zu regieren. Ich hatte meinen alten Diener fest +umschlungen, und wir versprachen uns, nie voneinander zu weichen. +Endlich brach der Tag an. Aber mit dem ersten Anblick der Morgenroete +fasste der Wind das Boot, in welchem wir sassen, und stuerzte es um. +Ich habe keinen meiner Schiffsleute mehr gesehen. Der Sturz hatte +mich betaeubt; und als ich aufwachte, befand ich mich in den Armen +meines alten treuen Dieners, der sich auf das umgeschlagene Boot +gerettet und mich nachgezogen hatte. Der Sturm hatte sich gelegt. +Von unserem Schiff war nichts mehr zu sehen, wohl aber entdeckten wir +nicht weit von uns ein anderes Schiff, auf das die Wellen uns +hintrieben. Als wir naeher hinzukamen, erkannte ich das Schiff als +dasselbe, das in der Nacht an uns vorbeifuhr und welches den Kapitaen +so sehr in Schrecken gesetzt hatte. Ich empfand ein sonderbares +Grauen vor diesem Schiffe. Die Aeusserung des Kapitaens, die sich so +furchtbar bestaetigt hatte, das oede Aussehen des Schiffes, auf dem +sich, so nahe wir auch herankamen, so laut wir schrien, niemand +zeigte, erschreckten mich. Doch es war unser einziges Rettungsmittel; +darum priesen wir den Propheten, der uns so wundervoll erhalten +hatte. + +Am Vorderteil des Schiffes hing ein langes Tau herab. Mit Haenden und +Fuessen ruderten wir darauf zu, um es zu erfassen. Endlich glueckte es. +Noch einmal erhob ich meine Stimme, aber immer blieb es still auf +dem Schiff. Da klimmten wir an dem Tau hinauf, ich als der Juengste +voran. Aber Entsetzen! Welches Schauspiel stellte sich meinem Auge +dar, als ich das Verdeck betrat! Der Boden war mit Blut geroetet, +zwanzig bis dreissig Leichname in tuerkischen Kleidern lagen auf dem +Boden, am mittleren Mastbaum stand ein Mann, reich gekleidet, den +Saebel in der Hand, aber das Gesicht war blass und verzerrt, durch die +Stirn ging ein grosser Nagel, der ihn an den Mastbaum heftete, auch er +war tot. Schrecken fesselte meine Schritte, ich wagte kaum zu atmen. +Endlich war auch mein Begleiter heraufgekommen. Auch ihn +ueberraschte der Anblick des Verdecks, das gar nichts Lebendiges, +sondern nur so viele schreckliche Tote zeigte. Wir wagten es endlich, +nachdem wir in der Seelenangst zum Propheten gefleht hatten, weiter +vorzuschreiten. Bei jedem Schritte sahen wir uns um, ob nicht etwas +Neues, noch Schrecklicheres sich darbiete; aber alles blieb, wie es +war; weit und breit nichts Lebendiges als wir und das Weltmeer. +Nicht einmal laut zu sprechen wagten wir, aus Furcht, der tote, am +Mast angespiesste Kapitano moechte seine starren Augen nach uns +hindrehen oder einer der Getoeteten moechte seinen Kopf umwenden. +Endlich waren wir bis an eine Treppe gekommen, die in den Schiffsraum +fuehrte. Unwillkuerlich machten wir dort halt und sahen einander an, +denn keiner wagte es recht, seine Gedanken zu aeussern. + +"O Herr", sprach mein treuer Diener, "hier ist etwas Schreckliches +geschehen. Doch wenn auch das Schiff da unten voll Moerder steckt, so +will ich mich ihnen doch lieber auf Gnade und Ungnade ergeben, als +laengere Zeit unter diesen Toten zubringen." Ich dachte wie er; wir +fassten uns ein Herz und stiegen voll Erwartung hinunter. Totenstille +war aber auch hier, und nur unsere Schritte hallten auf der Treppe. +Wir standen an der Tuere der Kajuete. Ich legte mein Ohr an die Tuere +und lauschte; es war nichts zu hoeren. Ich machte auf. Das Gemach +bot einen unordentlichen Anblick dar. Kleider, Waffen und andere +Geraete lagen untereinander. Nichts in Ordnung. Die Mannschaft oder +wenigstens der Kapitano mussten vor kurzem gezechet haben; denn es lag +alles noch umher. Wir gingen weiter von Raum zu Raum, von Gemach zu +Gemach, ueberall fanden wir herrliche Vorraete in Seide, Perlen, Zucker +usw. Ich war vor Freude ueber diesen Anblick ausser mir, denn da +niemand auf dem Schiff war, glaubte ich, alles mir zueignen zu duerfen, +Ibrahim aber machte mich aufmerksam darauf, dass wir wahrscheinlich +noch sehr weit vom Lande seien, wohin wir allein und ohne menschliche +Hilfe nicht kommen koennten. + +Wir labten uns an den Speisen und Getraenken, die wir in reichem Mass +vorfanden, und stiegen endlich wieder aufs Verdeck. Aber hier +schauderte uns immer die Haut ob dem schrecklichen Anblick der +Leichen. Wir beschlossen, uns davon zu befreien und sie ueber Bord zu +werfen; aber wie schauerlich ward uns zumut, als wir fanden, dass sich +keiner aus seiner Lage bewegen liess. Wie festgebannt lagen sie am +Boden, und man haette den Boden des Verdecks ausheben muessen, um sie +zu entfernen, und dazu gebrach es uns an Werkzeugen. Auch der +Kapitano liess sich nicht von seinem Mast losmachen; nicht einmal +seinen Saebel konnten wir der starren Hand entwinden. Wir brachten +den Tag in trauriger Betrachtung unserer Lage zu, und als es Nacht zu +werden anfing, erlaubte ich dem alten Ibrahim, sich schlafen zu legen, +ich selbst aber wollte auf dem Verdeck wachen, um nach Rettung +auszuspaehen. Als aber der Mond heraufkam und ich nach den Gestirnen +berechnete, dass es wohl um die elfte Stunde sei, ueberfiel mich ein so +unwiderstehlicher Schlaf, dass ich unwillkuerlich hinter ein Fass, das +auf dem Verdeck stand, zurueckfiel. Doch war es mehr Betaeubung als +Schlaf, denn ich hoerte deutlich die See an der Seite des Schiffes +anschlagen und die Segel vom Winde knarren und pfeifen. Auf einmal +glaubte ich Stimmen und Maennertritte auf dem Verdeck zu hoeren. Ich +wollte mich aufrichten, um danach zu schauen. Aber eine unsichtbare +Gewalt hielt meine Glieder gefesselt; nicht einmal die Augen konnte +ich aufschlagen. Aber immer deutlicher wurden die Stimmen, es war +mir, als wenn ein froehliches Schiffsvolk auf dem Verdeck sich +umhertriebe; mitunter glaubte ich, die kraeftige Stimme eines +Befehlenden zu hoeren, auch hoerte ich Taue und Segel deutlich auf- und +abziehen. Nach und nach aber schwanden mir die Sinne, ich verfiel in +einen tieferen Schlaf, in dem ich nur noch ein Geraeusch von Waffen zu +hoeren glaubte, und erwachte erst, als die Sonne schon hoch stand und +mir aufs Gesicht brannte. Verwundert schaute ich mich um, Sturm, +Schiff, die Toten und was ich in dieser Nacht gehoert hatte, kam mir +wie ein Traum vor, aber als ich aufblickte, fand ich alles wie +gestern. Unbeweglich lagen die Toten, unbeweglich war der Kapitano +an den Mastbaum geheftet. Ich lachte ueber meinen Traum und stand auf, +um meinen Alten zu suchen. + +Dieser sass ganz nachdenklich in der Kajuete. "O Herr!" rief er aus, +als ich zu ihm hineintrat, "ich wollte lieber im tiefsten Grund des +Meeres liegen, als in diesem verhexten Schiff noch eine Nacht +zubringen." Ich fragte ihn nach der Ursache seines Kummers, und er +antwortete mir: "Als ich einige Stunden geschlafen hatte, wachte ich +auf und vernahm, wie man ueber meinem Haupt hin und her lief. Ich +dachte zuerst, Ihr waeret es, aber es waren wenigstens zwanzig, die +oben umherliefen; auch hoerte ich rufen und schreien. Endlich kamen +schwere Tritte die Treppe herab. Da wusste ich nichts mehr von mir, +nur hie und da kehrte auf einige Augenblicke meine Besinnung zurueck, +und da sah ich dann denselben Mann, der oben am Mast angenagelt ist, +an jenem Tisch dort sitzen, singend und trinkend; aber der, der in +einem roten Scharlachkleid nicht weit von ihm am Boden liegt, sass +neben ihm und half ihm trinken." Also erzaehlte mir mein alter Diener. + +Ihr koennt mir es glauben, meine Freunde, dass mir gar nicht wohl +zumute war; denn es war keine Taeuschung, ich hatte ja auch die Toten +gar wohl gehoert. In solcher Gesellschaft zu schiffen, war mir +greulich. Mein Ibrahim aber versank wieder in tiefes Nachdenken. +"Jetzt hab' ich's!" rief er endlich aus; es fiel ihm naemlich ein +Spruechlein ein, das ihn sein Grossvater, ein erfahrener, weitgereister +Mann, gelehrt hatte und das gegen jeden Geister- und Zauberspuk +helfen sollte; auch behauptete er, jenen unnatuerlichen Schlaf, der +uns befiel, in der naechsten Nacht verhindern zu koennen, wenn wir +naemlich recht eifrig Sprueche aus dem Koran beteten. Der Vorschlag +des alten Mannes gefiel mir wohl. In banger Erwartung sahen wir die +Nacht herankommen. Neben der Kajuete war ein kleines Kaemmerchen, +dorthin beschlossen wir uns zurueckzuziehen. Wir bohrten mehrere +Loecher in die Tuere, hinlaenglich gross, um durch sie die ganze Kajuete +zu ueberschauen, dann verschlossen wir die Tuere, so gut es ging, von +innen, und Ibrahim schrieb den Namen des Propheten in alle vier Ecken. +So erwarteten wir die Schrecken der Nacht. Es mochte wieder +ungefaehr elf Uhr sein, als es mich gewaltig zu schlaefern anfing. +Mein Gefaehrte riet mir daher, einige Sprueche des Korans zu beten, was +mir auch half. Mit einem Male schien es oben lebhaft zu werden; die +Taue knarrten, Schritte gingen ueber das Verdeck, und mehrere Stimmen +waren deutlich zu unterscheiden--Mehrere Minuten hatten wir so in +gespannter Erwartung gesessen, da hoerten wir etwas die Treppe der +Kajuete herabkommen. Als dies der Alte hoerte, fing er an, den Spruch, +den ihn sein Grossvater gegen Spuk und Zauberei gelehrt hatte, +herzusagen: + +"Kommt ihr herab aus der Luft, +Steigt ihr aus tiefem Meer, +Schlieft ihr in dunkler Gruft, +Stammt ihr vom Feuer her: +Allah ist euer Herr und Meister, +ihm sind gehorsam alle Geister." + +Ich muss gestehen, ich glaubte gar nicht recht an diesen Spruch, und +mir stieg das Haar zu Berg, als die Tuer aufflog. Herein trat jener +grosse, stattliche Mann, den ich am Mastbaum angenagelt gesehen hatte. +Der Nagel ging ihm auch jetzt mitten durchs Hirn; das Schwert aber +hatte er in die Scheide gesteckt; hinter ihm trat noch ein anderer +herein, weniger kostbar gekleidet; auch ihn hatte ich oben liegen +sehen. Der Kapitano, denn dies war er unverkennbar, hatte ein +bleiches Gesicht, einen grossen, schwarzen Bart, wildrollende Augen, +mit denen er sich im ganzen Gemach umsah. Ich konnte ihn ganz +deutlich sehen, als er an unserer Tuere vorueberging; er aber schien +gar nicht auf die Tuere zu achten, die uns verbarg. Beide setzten +sich an den Tisch, der in der Mitte der Kajuete stand, und sprachen +laut und fast schreiend miteinander in einer unbekannten Sprache. +Sie wurden immer lauter und eifriger, bis endlich der Kapitano mit +geballter Faust auf den Tisch hineinschlug, dass das Zimmer droehnte. +Mit wildem Gelaechter sprang der andere auf und winkte dem Kapitano, +ihm zu folgen. Dieser stand auf, riss seinen Saebel aus der Scheide, +und beide verliessen das Gemach. Wir atmeten freier, als sie weg +waren; aber unsere Angst hatte noch lange kein Ende. Immer lauter +und lauter ward es auf dem Verdeck. Man hoerte eilends hin und her +laufen und schreien, lachen und heulen. Endlich ging ein wahrhaft +hoellischer Laerm los, so dass wir glaubten, das Verdeck mit allen +Segeln komme zu uns herab, Waffengeklirr und Geschrei--auf einmal +aber tiefe Stille. Als wir es nach vielen Stunden wagten +hinaufzugehen, trafen wir alles wie sonst; nicht einer lag anders als +frueher. Alle waren steif wie Holz. + +So waren wir mehrere Tage auf dem Schiffe; es ging immer nach Osten, +wohin zu, nach meiner Berechnung, Land liegen musste; aber wenn es +auch bei Tag viele Meilen zurueckgelegt hatte, bei Nacht schien es +immer wieder zurueckzukehren, denn wir befanden uns immer wieder am +naemlichen Fleck, wenn die Sonne aufging. Wir konnten uns dies nicht +anders erklaeren, als dass die Toten jede Nacht mit vollem Winde +zuruecksegelten. Um nun dies zu verhueten, zogen wir, ehe es Nacht +wurde, alle Segel ein und wandten dasselbe Mittel an wie bei der Tuere +in der Kajuete; wir schrieben den Namen des Propheten auf Pergament +und auch das Spruechlein des Grossvaters dazu und banden es um die +eingezogenen Segel. Aengstlich warteten wir in unserem Kaemmerchen +den Erfolg ab. Der Spuk schien diesmal noch aerger zu toben, aber +siehe, am anderen Morgen waren die Segel noch aufgerollt, wie wir sie +verlassen hatten. Wir spannten den Tag ueber nur so viele Segel auf, +als noetig waren, das Schiff sanft fortzutreiben, und so legten wir in +fuenf Tagen eine gute Strecke zurueck. + +Endlich, am Morgen des sechsten Tages, entdeckten wir in geringer +Ferne Land, und wir dankten Allah und seinem Propheten fuer unsere +wunderbare Rettung. Diesen Tag und die folgende Nacht trieben wir an +einer Kueste hin, und am siebenten Morgen glaubten wir in geringer +Entfernung eine Stadt zu entdecken; wir liessen mit vieler Muehe einen +Anker in die See, der alsobald Grund fasste, setzten ein kleines Boot, +das auf dem Verdeck stand, aus und ruderten mit aller Macht der Stadt +zu. Nach einer halben Stunde liefen wir in einen Fluss ein, der sich +in die See ergoss, und stiegen ans Ufer. Am Stadttor erkundigten wir +uns, wie die Stadt heisse, und erfuhren, dass es eine indische Stadt +sei, nicht weit von der Gegend, wohin ich zuerst zu schiffen willens +war. Wir begaben uns in eine Karawanserei und erfrischten uns von +unserer abenteuerlichen Reise. Ich forschte daselbst auch nach einem +weisen und verstaendigen Manne, indem ich dem Wirt zu verstehen gab, +dass ich einen solchen haben moechte, der sich ein wenig auf Zauberei +verstehe. Er fuehrte mich in eine abgelegene Strasse, an ein +unscheinbares Haus, pochte an, und man liess mich eintreten mit der +Weisung, ich solle nur nach Muley fragen. + +In dem Hause kam mir ein altes Maennlein mit grauem Bart und langer +Nase entgegen und fragte nach meinem Begehr. Ich sagte ihm, ich +suche den weisen Muley, und er antwortete mir, er sei es selbst. Ich +fragte ihn nun um Rat, was ich mit den Toten machen solle und wie ich +es angreifen muesse, um sie aus dem Schiff zu bringen. Er antwortete +mir, die Leute des Schiffes seien wahrscheinlich wegen irgendeines +Frevels auf das Meer verzaubert; er glaube, der Zauber werde sich +loesen, wenn man sie ans Land bringe; dies koenne aber nicht geschehen, +als wenn man die Bretter, auf denen sie laegen, losmache. Mir gehoere +von Gott und Rechts wegen das Schiff samt allen Guetern, weil ich es +gleichsam gefunden habe; doch solle ich alles sehr geheimzuhalten +trachten und ihm ein kleines Geschenk von meinem Ueberfluss machen; er +wolle dafuer mit seinen Sklaven mir behilflich sein, die Toten +wegzuschaffen. Ich versprach, ihn reichlich zu belohnen, und wir +machten uns mit fuenf Sklaven, die mit Saegen und Beilen versehen waren, +auf den Weg. Unterwegs konnte der Zauberer Muley unseren gluecklichen +Einfall, die Segel mit den Spruechen des Korans zu umwinden, nicht +genug loben. Er sagte, es sei dies das einzige Mittel gewesen, uns +zu retten. + +Es war noch ziemlich frueh am Tage, als wir beim Schiff ankamen. Wir +machten uns alle sogleich ans Werk, und in einer Stunde lagen schon +vier in dem Nachen. Einige der Sklaven mussten sie an Land rudern, um +sie dort zu verscharren. Sie erzaehlten, als sie zurueckkamen, die +Toten haetten ihnen die Muehe des Begrabens erspart, indem sie, sowie +man sie auf die Erde gelegt habe, in Staub zerfallen seien. Wir +fuhren fort, die Toten abzusaegen, und bis vor Abend waren alle an +Land gebracht. Es war endlich keiner mehr an Bord als der, welcher +am Mast angenagelt war. Umsonst suchten wir den Nagel aus dem Holze +zu ziehen, keine Gewalt vermochte ihn auch nur ein Haarbreit zu +verruecken. Ich wusste nicht, was anzufangen war; man konnte doch +nicht den Mastbaum abhauen, um ihn ans Land zu fuehren. Doch aus +dieser Verlegenheit half Muley. Er liess schnell einen Sklaven an +Land rudern, um einen Topf mit Erde zu bringen. Als dieser +herbeigeholt war, sprach der Zauberer geheimnisvolle Worte darueber +aus und schuettete die Erde auf das Haupt des Toten. Sogleich schlug +dieser die Augen auf, holte tief Atem, und die Wunde des Nagels in +seiner Stirne fing an zu bluten. Wir zogen den Nagel jetzt leicht +heraus, und der Verwundete fiel einem Sklaven in die Arme. + +"Wer hat mich hierhergefuehrt?" sprach er, nachdem er sich ein wenig +erholt zu haben schien. Muley zeigte auf mich, und ich trat zu ihm. +"Dank dir, unbekannter Fremdling, du hast mich von langen Qualen +errettet. Seit fuenfzig Jahren schifft mein Leib durch diese Wogen, +und mein Geist war verdammt, jede Nacht in ihn zurueckzukehren. Aber +jetzt hat mein Haupt die Erde beruehrt, und ich kann versoehnt zu +meinen Vaetern gehen." + +Ich bat ihn, uns doch zu sagen, wie er zu diesem schrecklichen +Zustand gekommen sei, und er sprach: "Vor fuenfzig Jahren war ich ein +maechtiger, angesehener Mann und wohnte in Algier; die Sucht nach +Gewinn trieb mich, ein Schiff auszuruesten und Seeraub zu treiben. +Ich hatte dieses Geschaeft schon einige Zeit fortgefuehrt, da nahm ich +einmal auf Zante einen Derwisch an Bord, der umsonst reisen wollte. +Ich und meine Gesellen waren rohe Leute und achteten nicht auf die +Heiligkeit des Mannes; vielmehr trieb ich mein Gespoett mit ihm. Als +er aber einst in heiligem Eifer mir meinen suendigen Lebenswandel +verwiesen hatte, uebermannte mich nachts in meiner Kajuete, als ich mit +meinem Steuermann viel getrunken hatte, der Zorn. Wuetend ueber das, +was mir ein Derwisch gesagt hatte und was ich mir von keinem Sultan +haette sagen lassen, stuerzte ich aufs Verdeck und stiess ihm meinen +Dolch in die Brust. Sterbend verwuenschte er mich und meine +Mannschaft, nicht sterben und nicht leben zu koennen, bis wir unser +Haupt auf die Erde legten. Der Derwisch starb, und wir warfen ihn in +die See und verlachten seine Drohungen; aber noch in derselben Nacht +erfuellten sich seine Worte. Ein Teil meiner Mannschaft empoerte sich +gegen mich--Mit fuerchterlicher Wut wurde gestritten, bis meine +Anhaenger unterlagen und ich an den Mast genagelt wurde. Aber auch +die Empoerer erlagen ihren Wunden, und bald war mein Schiff nur ein +grosses Grab. Auch mir brachen die Augen, mein Atem hielt an, und ich +meinte zu sterben. Aber es war nur eine Erstarrung, die mich +gefesselt hielt; in der naechsten Nacht, zur naemlichen Stunde, da wir +den Derwisch in die See geworfen, erwachten ich und alle meine +Genossen, das Leben war zurueckgekehrt, aber wir konnten nichts tun +und sprechen, als was wir in jener Nacht gesprochen und getan hatten. +So segeln wir seit fuenfzig Jahren, koennen nicht leben, nicht sterben; +denn wie konnten wir das Land erreichen? Mit toller Freude segelten +wir allemal mit vollen Segeln in den Sturm, weil wir hofften, endlich +an einer Klippe zu zerschellen und das muede Haupt auf dem Grund des +Meeres zur Ruhe zu legen. Es ist uns nicht gelungen. Jetzt aber +werde ich sterben. Noch einmal meinen Dank, unbekannter Retter, wenn +Schaetze dich lohnen koennen, so nimm mein Schiff als Zeichen meiner +Dankbarkeit." + +Der Kapitano liess sein Haupt sinken, als er so gesprochen hatte, und +verschied. Sogleich zerfiel er auch, wie seine Gefaehrten, in Staub. +Wir sammelten diesen in ein Kaestchen und begruben ihn an Land; aus +der Stadt nahm ich aber Arbeiter, die mir mein Schiff in guten +Zustand setzten. Nachdem ich die Waren, die ich an Bord hatte, gegen +andere mit grossem Gewinn eingetauscht hatte, mietete ich Matrosen, +beschenkte meinen Freund Muley reichlich und schiffte mich nach +meinem Vaterlande ein. Ich machte aber einen Umweg, indem ich an +vielen Inseln und Laendern landete und meine Waren zu Markt brachte. +Der Prophet segnete mein Unternehmen. Nach dreiviertel Jahren lief +ich, noch einmal so reich, als mich der sterbende Kapitaen gemacht +hatte, in Balsora ein. Meine Mitbuerger waren erstaunt ueber meine +Reichtuemer und mein Glueck und glaubten nicht anders, als dass ich das +Diamantental des beruehmten Reisenden Sindbad gefunden habe. Ich liess +sie in ihrem Glauben, von nun an aber mussten die jungen Leute von +Balsora, wenn sie kaum achtzehn Jahre alt waren, in die Welt hinaus, +um gleich mir ihr Glueck zu machen. Ich aber lebte ruhig und in +Frieden, und alle fuenf Jahre mache ich eine Reise nach Mekka, um dem +Herrn an heiliger Staette fuer seinen Segen zu danken und fuer den +Kapitano und seine Leute zu bitten, dass er sie in sein Paradies +aufnehme. + +--------------------------Die Reise der Karawane war den anderen Tag +ohne Hindernis fuerder gegangen, und als man im Lagerplatz sich erholt +hatte, begann Selim, der Fremde, zu Muley, dem juengsten der Kaufleute, +also zu sprechen: + +"Ihr seid zwar der Juengste von uns, doch seid Ihr immer froehlich und +wisst fuer uns gewiss irgendeinen guten Schwank. Tischet ihn auf, dass +er uns erquicke nach der Hitze des Tages!" + +"Wohl moechte ich euch etwas erzaehlen", antwortete Muley, "das euch +Spass machen koennte, doch der Jugend ziemt Bescheidenheit in allen +Dingen; darum muessen meine aelteren Reisegefaehrten den Vorrang haben. +Zaleukos ist immer so ernst und verschlossen, sollte er uns nicht +erzaehlen, was sein Leben so ernst machte? Vielleicht, dass wir seinen +Kummer, wenn er solchen hat, lindern koennen; denn gerne dienen wir +dem Bruder, wenn er auch anderen Glaubens ist." + +Der Aufgerufene war ein griechischer Kaufmann, ein Mann in mittleren +Jahren, schoen und kraeftig, aber sehr ernst. Ob er gleich ein +Unglaeubiger (nicht Muselmann) war, so liebten ihn doch seine +Reisegefaehrten, denn er hatte durch sein ganzes Wesen Achtung und +Zutrauen eingefloesst. Er hatte uebrigens nur eine Hand, und einige +seiner Gefaehrten vermuteten, dass vielleicht dieser Verlust ihn so +ernst stimme. + +Zaleukos antwortete auf die zutrauliche Frage Muleys: "Ich bin sehr +geehrt durch euer Zutrauen; Kummer habe ich keinen, wenigstens keinen, +von welchem ihr auch mit dem besten Willen mir helfen koenntet. Doch +weil Muley mir meinen Ernst vorzuwerfen scheint, so will ich euch +einiges erzaehlen, was mich rechtfertigen soll, wenn ich ernster bin +als andere Leute. Ihr sehet, dass ich meine linke Hand verloren habe. +Sie fehlt mir nicht von Geburt an, sondern ich habe sie in den +schrecklichsten Tagen meines Lebens eingebuesst. Ob ich die Schuld +davon trage, ob ich unrecht habe, seit jenen Tagen ernster, als es +meine Lage mit sich bringt, zu sein, moeget ihr beurteilen, wenn ihr +vernommen habt die Geschichte von der abgehauenen Hand." + + + + +Die Geschichte von der abgehauenen Hand + +Wilhelm Hauff + + +Ich bin in Konstantinopel geboren; mein Vater war ein Dragoman +(Dolmetscher) bei der Pforte (dem tuerkischen Hof) und trieb nebenbei +einen ziemlich eintraeglichen Handel mit wohlriechenden Essenzen und +seidenen Stoffen. Er gab mir eine gute Erziehung, indem er mich +teils selbst unterrichtete, teils von einem unserer Priester mir +Unterricht geben liess. Er bestimmte mich anfangs, seinen Laden +einmal zu uebernehmen, als ich aber groessere Faehigkeiten zeigte, als er +erwartet hatte, bestimmte er mich auf das Anraten seiner Freunde zum +Arzt; weil ein Arzt, wenn er etwas mehr gelernt hat als die +gewoehnlichen Marktschreier, in Konstantinopel sein Glueck machen kann. +Es kamen viele Franken in unser Haus, und einer davon ueberredete +meinen Vater, mich in sein Vaterland, nach der Stadt Paris, reisen zu +lassen, wo man solche Sachen unentgeltlich und am besten lernen koenne. +Er selbst aber wolle mich, wenn er zurueckreise, umsonst mitnehmen. +Mein Vater, der in seiner Jugend auch gereist war, schlug ein, und +der Franke sagte mir, ich koenne mich in drei Monaten bereithalten. +Ich war ausser mir vor Freude, fremde Laender zu sehen. + +Der Franke hatte endlich seine Geschaefte abgemacht und sich zur Reise +bereitet; am Vorabend der Reise fuehrte mich mein Vater in sein +Schlafkaemmerlein. Dort sah ich schoene Kleider und Waffen auf dem +Tische liegen. Was meine Blicke aber noch mehr anzog, war ein grosser +Haufe Goldes, denn ich hatte noch nie so viel beieinander gesehen. +Mein Vater umarmte mich und sagte: "Siehe, mein Sohn, ich habe dir +Kleider zu der Reise besorgt. Jene Waffen sind dein, es sind die +naemlichen, die mir dein Grossvater umhing, als ich in die Fremde +auszog. Ich weiss, du kannst sie fuhren; gebrauche sie aber nie, als +wenn du angegriffen wirst; dann aber schlage auch tuechtig drauf. +Mein Vermoegen ist nicht gross; siehe, ich habe es in drei Teile +geteilt, einer davon ist dein; einer davon ist mein Unterhalt und +Notpfennig, der dritte aber sei mir ein heiliges, unantastbares Gut, +er diene dir in der Stunde der Not!" So sprach mein alter Vater, und +Traenen hingen ihm im Auge, vielleicht aus Ahnung, denn ich habe ihn +nie wiedergesehen. + +Die Reise ging gut vonstatten; wir waren bald im Lande der Franken +angelangt, und sechs Tagreisen nachher kamen wir in die grosse Stadt +Paris. Hier mietete mir mein fraenkischer Freund ein Zimmer und riet +mir, mein Geld, das in allem zweitausend Taler betrug, vorsichtig +anzuwenden. Ich lebte drei Jahre in dieser Stadt und lernte, was ein +tuechtiger Arzt wissen muss; ich muesste aber luegen, wenn ich sagte, dass +ich gerne dort gewesen sei; denn die Sitten dieses Volkes gefielen +mir nicht; auch hatte ich nur wenige gute Freunde dort, diese aber +waren edle, junge Maenner. + +Die Sehnsucht nach der Heimat wurde endlich maechtig in mir; in der +ganzen Zeit hatte ich nichts von meinem Vater gehoert, und ich ergriff +daher eine guenstige Gelegenheit, nach Hause zu kommen. + +Es ging naemlich eine Gesandtschaft aus Frankenland nach der Hohen +Pforte. Ich verdingte mich als Wundarzt in das Gefolge des Gesandten +und kam gluecklich wieder nach Stambul. Das Haus meines Vaters aber +fand ich verschlossen, und die Nachbarn staunten, als sie mich sahen, +und sagten mir, mein Vater sei vor zwei Monaten gestorben. Jener +Priester, der mich in meiner Jugend unterrichtet hatte, brachte nur +den Schluessel; allein und verlassen zog ich in das veroedete Haus ein. +Ich fand noch alles, wie es mein Vater verlassen hatte; nur das Gold, +das er mir zu hinterlassen versprach, fehlte. Ich fragte den +Priester darueber, und dieser verneigte sich und sprach: "Euer Vater +ist als ein heiliger Mann gestorben; denn er hat sein Gold der Kirche +vermacht." Dies war und blieb mir unbegreiflich; doch was wollte ich +machen; ich hatte keine Zeugen gegen den Priester und musste froh sein, +dass er nicht auch das Haus und die Waren meines Vaters als +Vermaechtnis angesehen hatte. + +Dies war das erste Unglueck, das mich traf. Von jetzt an aber kam es +Schlag auf Schlag. Mein Ruf als Arzt wollte sich gar nicht +ausbreiten, weil ich mich schaemte, den Marktschreier zu machen, und +ueberall fehlte mir die Empfehlung meines Vaters, der mich bei den +Reichsten und Vornehmsten eingefuehrt haette, die jetzt nicht mehr an +den armen Zaleukos dachten. Auch die Waren meines Vaters fanden +keinen Abgang; denn die Kunden hatten sich nach seinem Tode verlaufen, +und neue bekommt man nur langsam. Als ich einst trostlos ueber meine +Lage nachdachte, fiel mir ein, dass ich oft in Franken Maenner meines +Volkes gesehen hatte, die das Land durchzogen und ihre Waren auf den +Maerkten der Staedte auslegten; ich erinnerte mich, dass man ihnen gerne +abkaufte, weil sie aus der Fremde kamen, und dass man bei solchem +Handel das Hundertfache erwerben koenne. Sogleich war auch mein +Entschluss gefasst. Ich verkaufte mein vaeterliches Haus, gab einen +Teil des geloesten Geldes einem bewaehrten Freunde zum Aufbewahren, von +dem uebrigen aber kaufte ich, was man in Franken selten hat, wie +Schals, seidene Zeuge, Salben und Oele, mietete einen Platz auf einem +Schiff und trat so meine zweite Reise nach Franken an. + +Es schien, als ob das Glueck, sobald ich die Schloesser der Dardanellen +im Ruecken hatte, mir wieder guenstig geworden waere. Unsere Fahrt war +kurz und gluecklich. Ich durchzog die grossen und kleinen Staedte der +Franken und fand ueberall willige Kaeufer meiner Waren. Mein Freund in +Stambul sandte mir immer wieder frische Vorraete, und ich wurde von +Tag zu Tag wohlhabender. Als ich endlich so viel erspart hatte, dass +ich glaubte, ein groesseres Unternehmen wagen zu koennen, zog ich mit +meinen Waren nach Italien. Etwas muss ich aber noch gestehen, was mir +auch nicht wenig Geld einbrachte: ich nahm auch meine Arzneikunst zu +Hilfe. Wenn ich in eine Stadt kam, liess ich durch Zettel verkuenden, +dass ein griechischer Arzt da sei, der schon viele geheilt habe; und +wahrlich, mein Balsam und meine Arzneien haben mir manche Zechine +eingebracht. + +So war ich endlich nach der Stadt Florenz in Italien gekommen. Ich +nahm mir vor, laengere Zeit in dieser Stadt zu bleiben, teils weil sie +mir so wohl gefiel, teils auch, weil ich mich von den Strapazen +meines Umherziehens erholen wollte. Ich mietete mir ein Gewoelbe in +dem Stadtviertel St. Croce und nicht weit davon ein paar schoene +Zimmer, die auf einen Altan fuehrten, in einem Wirtshaus. Sogleich +liess ich auch meine Zettel umhertragen, die mich als Arzt und +Kaufmann ankuendigten. Ich hatte kaum mein Gewoelbe eroeffnet, so +stroemten auch die Kaeufer herzu, und ob ich gleich ein wenig hohe +Preise hatte, so verkaufte ich doch mehr als andere, weil ich +gefaellig und freundlich gegen meine Kunden war. Ich hatte schon vier +Tage vergnuegt in Florenz verlebt, als ich eines Abends, da ich schon +mein Gewoelbe schliessen und nur die Vorraete in meinen Salbenbuechsen +nach meiner Gewohnheit noch einmal mustern wollte, in einer kleinen +Buechse einen Zettel fand, den ich mich nicht erinnerte, hineingetan +zu haben. Ich oeffnete den Zettel und fand darin eine Einladung, +diese Nacht Punkt zwoelf Uhr auf der Bruecke, die man Ponte vecchio +heisst, mich einzufinden. Ich sann lange darueber nach, wer es wohl +sein koennte, der mich dorthin einlud, da ich aber keine Seele in +Florenz kannte, dachte ich, man werde mich vielleicht heimlich zu +irgendeinem Kranken fuehren wollen, was schon oefter geschehen war. +Ich beschloss also hinzugehen, doch hing ich zur Vorsicht den Saebel um, +den mir einst mein Vater geschenkt hatte. + +Als es stark gegen Mitternacht ging, machte ich mich auf den Weg und +kam bald auf die Ponte vecchio. Ich fand die Bruecke verlassen und +oede und beschloss zu warten, bis er erscheinen wuerde, der mich rief. +Es war eine kalte Nacht; der Mond schien hell, und ich schaute hinab +in die Wellen des Arno, die weithin im Mondlicht schimmerten. Auf +den Kirchen der Stadt schlug es jetzt zwoelf Uhr; ich richtete mich +auf, und vor mir stand ein grosser Mann, ganz in einen roten Mantel +gehuellt, dessen einen Zipfel er vor das Gesicht hielt. + +Ich war von Anfang etwas erschrocken, weil er so ploetzlich hinter mir +stand, fasste mich aber sogleich wieder und sprach: "Wenn Ihr mich +habt hierher bestellt, so sagt an, was steht zu Eurem Befehl?" + +Der Rotmantel wandte sich um und sagte langsam: "Folge!" Da ward +mir's doch etwas unheimlich zumute, mit diesem Unbekannten allein zu +gehen; ich blieb stehen und sprach: "Nicht also, lieber Herr, wollet +mir vorerst sagen, wohin; auch koennet Ihr mir Euer Gesicht ein wenig +zeigen, dass ich sehe, ob Ihr Gutes mit mir vorhabt." + +Der Rote aber schien sich nicht darum zu kuemmern. "Wenn du nicht +willst, Zaleukos, so bleibe!" antwortete er und ging weiter. + +Da entbrannte mein Zorn. "Meinet Ihr", rief ich aus, "ein Mann wie +ich lasse sich von jedem Narren foppen, und ich werde in dieser +kalten Nacht umsonst gewartet haben?" In drei Spruengen hatte ich ihn +erreicht, packte ihn an seinem Mantel und schrie noch lauter, indem +ich die andere Hand an den Saebel legte; aber der Mantel blieb mir in +der Hand, und der Unbekannte war um die naechste Ecke verschwunden. +Mein Zorn legte sich nach und nach; ich hatte doch den Mantel, und +dieser sollte mir schon den Schluessel zu diesem wunderlichen +Abenteuer geben. + +Ich hing ihn um und ging meinen Weg weiter nach Hause. Als ich kaum +noch hundert Schritte davon entfernt war, streifte jemand dicht an +mir vorueber und fluesterte in fraenkischer Sprache: "Nehmt Euch in acht, +Graf, heute nacht ist nichts zu machen." Ehe ich mich aber umsehen +konnte, war dieser Jemand schon vorbei, und ich sah nur noch einen +Schatten an den Haeusern hinschweben. Dass dieser Zuruf den Mantel und +nicht mich anging, sah ich ein; doch gab er mir kein Licht ueber die +Sache. Am anderen Morgen ueberlegte ich, was zu tun sei. Ich war von +Anfang gesonnen, den Mantel ausrufen zu lassen, als haette ich ihn +gefunden; doch da konnte der Unbekannte ihn durch einen Dritten holen +lassen, und ich haette dann keinen Aufschluss ueber die Sache gehabt. +Ich besah, indem ich so nachdachte, den Mantel naeher. Er war von +schwerem genuesischem Samt, purpurrot, mit astrachanischem Pelz +verbraemt und reich mit Gold bestickt. Der prachtvolle Anblick des +Mantels brachte mich auf einen Gedanken, den ich auszufuehren beschloss. + +Ich trug ihn in mein Gewoelbe und legte ihn zum Verkauf aus, setzte +aber auf ihn einen so hohen Preis, dass ich gewiss war, keinen Kaeufer +zu finden. Mein Zweck dabei war, jeden, der nach dem Pelz fragen +wuerde, scharf ins Auge zu fassen; denn die Gestalt des Unbekannten, +die sich mir nach Verlust des Mantels, wenn auch nur fluechtig, doch +bestimmt zeigte, wollte ich aus Tausenden erkennen. Es fanden sich +viele Kauflustige zu dem Mantel, dessen ausserordentliche Schoenheit +alle Augen auf sich zog; aber keiner glich entfernt dem Unbekannten, +keiner wollte den hohen Preis von zweihundert Zechinen dafuer bezahlen. +Auffallend war mir dabei, dass, wenn ich einen oder den anderen +fragte, ob denn sonst kein solcher Mantel in Florenz sei, alle mit +"Nein!" antworteten und versicherten, eine so kostbare und +geschmackvolle Arbeit nie gesehen zu haben. + +Es wollte schon Abend werden, da kam endlich ein junger Mann, der +schon oft bei mir gewesen war und auch heute viel auf den Mantel +geboten hatte, warf einen Beutel mit Zechinen auf den Tisch und rief: +"Bei Gott! Zaleukos, ich muss deinen Mantel haben, und sollte ich zum +Bettler darueber werden." Zugleich begann er, seine Goldstuecke +aufzuzaehlen. Ich kam in grosse Not; ich hatte den Mantel nur +ausgehaengt, um vielleicht die Blicke meines Unbekannten darauf zu +ziehen, und jetzt kam ein junger Tor, um den ungeheuren Preis zu +zahlen. Doch was blieb mir uebrig; ich gab nach, denn es tat mir auf +der anderen Seite der Gedanke wohl, fuer mein naechtliches Abenteuer so +schoen entschaedigt zu werden. Der Juengling hing sich den Mantel um +und ging; er kehrte aber auf der Schwelle wieder um, indem er ein +Papier, das am Mantel befestigt war, losmachte, mir zuwarf und sagte: +"Hier, Zaleukos, haengt etwas, das wohl nicht zu dem Mantel gehoert." + +Gleichgueltig nahm ich den Zettel; aber siehe da, dort stand +geschrieben: "Bringe heute nacht um die bewusste Stunde den Mantel auf +die Ponte vecchio, vierhundert Zechinen warten deiner." + +Ich stand wie niedergedonnert. So hatte ich also mein Glueck selbst +verscherzt und meinen Zweck gaenzlich verfehlt! Doch ich besann mich +nicht lange, raffte die zweihundert Zechinen zusammen, sprang dem, +der den Mantel gekauft hatte, nach und sprach: "Nehmt Eure Zechinen +wieder, guter Freund, und lasst mir den Mantel, ich kann ihn unmoeglich +hergeben." Dieser hielt die Sache von Anfang fuer Spass, als er aber +merkte, dass es Ernst war, geriet er in Zorn ueber meine Forderung, +schalt mich einen Narren, und so kam es endlich zu Schlaegen. Doch +ich war so gluecklich, im Handgemenge ihm den Mantel zu entreissen, und +wollte schon mit ihm davoneilen, als der junge Mann die Polizei zu +Hilfe rief und mich mit sich vor Gericht zog. Der Richter war sehr +erstaunt ueber die Anklage und sprach meinem Gegner den Mantel zu. +Ich aber bot dem Juenglinge zwanzig, fuenfzig, achtzig, ja hundert +Zechinen ueber seine zweihundert, wenn er mir den Mantel liesse. Was +meine Bitten nicht vermochten, bewirkte mein Gold. Er nahm meine +guten Zechinen, ich aber zog mit dem Mantel triumphierend ab und +musste mir gefallen lassen, dass man mich in ganz Florenz fuer einen +Wahnsinnigen hielt. Doch die Meinung der Leute war mir gleichgueltig; +ich wusste es ja besser als sie, dass ich an dem Handel noch gewann. + +Mit Ungeduld erwartete ich die Nacht. Um dieselbe Zeit wie gestern +ging ich, den Mantel unter dem Arm, auf die Ponte vecchio. Mit dem +letzten Glockenschlag kam die Gestalt aus der Nacht heraus auf mich +zu. Es war unverkennbar der Mann von gestern. "Hast du den Mantel?" +wurde ich gefragt. + +"Ja, Herr", antwortete ich, "aber er kostete mich bar hundert +Zechinen." + +"Ich weiss es", entgegnete jener. "Schau auf, hier sind vierhundert." +Er trat mit mir an das breite Gelaender der Bruecke und zaehlte die +Goldstuecke hin. Vierhundert waren es; praechtig blitzten sie im +Mondschein, ihr Glanz erfreute mein Herz, ach! Es ahnete nicht, dass +es seine letzte Freude sein werde. Ich steckte mein Geld in die +Tasche und wollte mir nun auch den guetigen Unbekannten recht +betrachten; aber er hatte eine Larve vor dem Gesicht, aus der mich +dunkle Augen furchtbar anblitzten. + +"Ich danke Euch, Herr, fuer Eure Guete", sprach ich zu ihm, "was +verlangt Ihr jetzt von mir? Das sage ich Euch aber vorher, dass es +nichts Unrechtes sein darf." + +"Unnoetige Sorge", antwortete er, indem er den Mantel um die Schultern +legte, "ich bedarf Eurer Hilfe als Arzt; doch nicht fuer einen +Lebenden, sondern fuer einen Toten." + +"Wie kann das sein?" rief ich voll Verwunderung. + +"Ich kam mit meiner Schwester aus fernen Landen", erzaehlte er und +winkte mir zugleich, ihm zu folgen. "Ich wohnte hier mit ihr bei +einem Freund meines Hauses. Meine Schwester starb gestern schnell an +einer Krankheit, und die Verwandten wollen sie morgen begraben. Nach +einer alten Sitte unserer Familie aber sollen alle in der Gruft der +Vaeter ruhen; viele, die in fremden Landen starben, ruhen dennoch dort +einbalsamiert. Meinen Verwandten goenne ich nun ihren Koerper; meinem +Vater aber muss ich wenigstens den Kopf seiner Tochter bringen, damit +er sie noch einmal sehe." Diese Sitte, die Koepfe geliebter +Anverwandten abzuschneiden, kam mir zwar etwas schrecklich vor; doch +wagte ich nichts dagegen einzuwenden aus Furcht, den Unbekannten zu +beleidigen. Ich sagte ihm daher, dass ich mit dem Einbalsamieren der +Toten wohl umgehen koenne, und bat ihn, mich zu der Verstorbenen zu +fuehren. Doch konnte ich mich nicht enthalten zu fragen, warum denn +dies alles so geheimnisvoll und in der Nacht geschehen muesse. Er +antwortete mir, dass seine Anverwandten, die seine Absicht fuer grausam +hielten, bei Tage ihn abhalten wuerden; sei aber nur erst einmal der +Kopf abgenommen, so koennten sie wenig mehr darueber sagen. Er haette +mir zwar den Kopf bringen koennen; aber ein natuerliches Gefuehl halte +ihn ab, ihn selbst abzunehmen. + +Wir waren indes bis an ein grosses, prachtvolles Haus gekommen. Mein +Begleiter zeigte es mir als das Ziel unseres naechtlichen +Spazierganges. Wir gingen an dem Haupttor des Hauses vorbei, traten +in eine kleine Pforte, die der Unbekannte sorgfaeltig hinter sich +zumachte, und stiegen nun im Finstern eine enge Wendeltreppe hinan. +Sie fuehrte in einen spaerlich erleuchteten Gang, aus welchem wir in +ein Zimmer gelangten, das eine Lampe, die an der Decke befestigt war, +erleuchtete. + +In diesem Gemach stand ein Bett, in welchem der Leichnam lag. Der +Unbekannte wandte sein Gesicht ab und schien Traenen verbergen zu +wollen. Er deutete nach dem Bett, befahl mir, mein Geschaeft gut und +schnell zu verrichten, und ging wieder zur Tuere hinaus. + +Ich packte meine Messer, die ich als Arzt immer bei mir fuehrte, aus +und naeherte mich dem Bett. Nur der Kopf war von der Leiche sichtbar; +aber dieser war so schoen, dass mich unwillkuerlich das innigste +Mitleiden ergriff. In langen Flechten hing das dunkle Haar herab, +das Gesicht war bleich, die Augen geschlossen. Ich machte zuerst +einen Einschnitt in die Haut, nach der Weise der Aerzte, wenn sie ein +Glied abschneiden. Sodann nahm ich mein schaerfstes Messer und +schnitt mit einem Zug die Kehle durch. Aber welcher Schrecken! Die +Tote schlug die Augen auf, schloss sie aber gleich wieder, und in +einem tiefen Seufzer schien sie jetzt erst ihr Leben auszuhauchen. +Zugleich schoss mir ein Strahl heissen Blutes aus der Wunde entgegen. +Ich ueberzeugte mich, dass ich erst die Arme getoetet hatte; denn dass +sie tot sei, war kein Zweifel, da es von dieser Wunde keine Rettung +gab. Ich stand einige Minuten in banger Beklommenheit ueber das, was +geschehen war. Hatte der Rotmantel mich betrogen, oder war die +Schwester vielleicht nur scheintot gewesen? Das letztere schien mir +wahrscheinlicher. Aber ich durfte dem Bruder der Verstorbenen nicht +sagen, dass vielleicht ein weniger rascher Schnitt sie erweckt haette, +ohne sie zu toeten, darum wollte ich den Kopf vollends abloesen; aber +noch einmal stoehnte die Sterbende, streckt sich in schmerzhafter +Bewegung aus und starb. Da uebermannte mich der Schrecken, und ich +stuerzte schaudernd aus dem Gemach. Aber draussen im Gang war es +finster; denn die Lampe war verloescht. Keine Spur von meinem +Begleiter war zu entdecken, und ich musste aufs ungefaehr mich im +Finstern an der Wand fortbewegen, um an die Wendeltreppe zu gelangen. +Ich fand sie endlich und kam halb fallend, halb gleitend hinab. +Auch unten war kein Mensch. Die Tuere fand ich nur angelehnt, und ich +atmete freier, als ich auf der Strasse war; denn in dem Hause war mir +ganz unheimlich geworden. Von Schrecken gespornt, rannte ich in +meine Wohnung und begrub mich in die Polster meines Lagers, um das +Schreckliche zu vergessen, das ich getan hatte. Aber der Schlaf floh +mich, und erst der Morgen ermahnte mich wieder, mich zu fassen. Es +war mir wahrscheinlich, dass der Mann, der mich zu dieser verruchten +Tat, wie sie mir jetzt erschien, verfuehrt hatte, mich nicht angeben +wuerde. Ich entschloss mich, gleich in mein Gewoelbe an mein Geschaeft +zu gehen und womoeglich eine sorglose Miene anzunehmen. Aber ach! +Ein neuer Umstand, den ich jetzt erst bemerkte, vermehrte noch meinen +Kummer. Meine Muetze und mein Guertel wie auch meine Messer fehlten +mir, und ich war ungewiss, ob ich sie in dem Zimmer der Getoeteten +gelassen oder erst auf meiner Flucht verloren hatte. Leider schien +das erste wahrscheinlicher, und man konnte mich also als Moerder +entdecken. + +Ich oeffnete zur gewoehnlichen Zeit mein Gewoelbe. Mein Nachbar trat zu +mir her, wie er alle Morgen zu tun pflegte, denn er war ein +gespraechiger Mann. "Ei, was sagt Ihr zu der schrecklichen +Geschichte", hub er an, "die heute nacht vorgefallen ist?" Ich tat, +als ob ich nichts wuesste. "Wie, solltet Ihr nicht wissen, von was die +ganze Stadt erfuellt ist? Nicht wissen, dass die schoenste Blume von +Florenz, Bianka, die Tochter des Gouverneurs, in dieser Nacht +ermordet wurde? Ach! Ich sah sie gestern noch so heiter durch die +Strassen fahren mit ihrem Braeutigam, denn heute haetten sie Hochzeit +gehabt." + +Jedes Wort des Nachbarn war mir ein Stich ins Herz. Und wie oft +kehrte meine Marter wieder; denn jeder meiner Kunden erzaehlte mir die +Geschichte, immer einer schrecklicher als der andere, und doch konnte +keiner so Schreckliches sagen, als ich selbst gesehen hatte. Um +Mittag ungefaehr trat ein Mann vom Gericht in mein Gewoelbe und bat +mich, die Leute zu entfernen. "Signore Zaleukos", sprach er, indem +er die Sachen, die ich vermisste, hervorzog, "gehoeren diese Sachen +Euch zu?" Ich besann mich, ob ich sie nicht gaenzlich ableugnen sollte; +aber als ich durch die halbgeoeffnete Tuer meinen Wirt und mehrere +Bekannte, die wohl gegen mich zeugen konnten, erblickte, beschloss ich, +die Sache nicht noch durch eine Luege zu verschlimmern, und bekannte +mich zu den vorgezeigten Dingen. Der Gerichtsmann bat mich, ihm zu +folgen, und fuehrte mich in ein grosses Gebaeude, das ich bald fuer das +Gefaengnis erkannte. Dort wies er mir bis auf weiteres ein Gemach an. + +Meine Lage war schrecklich, als ich so in der Einsamkeit darueber +nachdachte. Der Gedanke, gemordet zu haben, wenn auch ohne Willen, +kehrte immer wieder. Auch konnte ich mir nicht verhehlen, dass der +Glanz des Goldes meine Sinne befangen gehalten hatte; sonst haette ich +nicht so blindlings in die Falle gehen koennen. Zwei Stunden nach +meiner Verhaftung wurde ich aus meinem Gemach gefuehrt. Mehrere +Treppen ging es hinab, dann kam man in einen grossen Saal. Um einen +langen, schwarzbehaengten Tisch sassen dort zwoelf Maenner, meistens +Greise. An den Seiten des Saales zogen sich Baenke herab, angefuellt +mit den Vornehmsten von Florenz; auf den Galerien, die in der Hoehe +angebracht waren, standen dicht gedraengt die Zuschauer. Als ich bis +vor den schwarzen Tisch getreten war, erhob sich ein Mann mit +finsterer, trauriger Miene; es war der Gouverneur. Er sprach zu den +Versammelten, dass er als Vater in dieser Sache nicht richten koenne +und dass er seine Stelle fuer diesmal an den aeltesten der Senatoren +abtrete. Der aelteste der Senatoren war ein Greis von wenigstens +neunzig Jahren. Er stand gebueckt, und seine Schlaefen waren mit +duennem, weissem Haar umhaengt; aber feurig brannten noch seine Augen, +und seine Stimme war stark und sicher. Er hub an, mich zu fragen, ob +ich den Mord gestehe. Ich bat ihn um Gehoer und erzaehlte +unerschrocken und mit vernehmlichen Stimme, was ich getan hatte und +was ich wusste. Ich bemerkte, dass der Gouverneur waehrend meiner +Erzaehlung bald blass, bald rot wurde, und als ich geschlossen, fuhr er +wuetend auf: "Wie, Elender!" rief er mir zu, "so willst du ein +Verbrechen, das du aus Habgier begangen, noch einem anderen +aufbuerden?" + +Der Senator verwies ihm seine Unterbrechung, da er sich freiwillig +seines Rechtes begeben habe; auch sei es gar nicht so erwiesen, dass +ich aus Habgier gefrevelt; denn nach seiner eigenen Aussage sei ja +der Getoeteten nichts gestohlen worden. Ja, er ging noch weiter; er +erklaerte dem Gouverneur, dass er ueber das fruehere Leben seiner Tochter +Rechenschaft geben muesse; denn nur so koenne man schliessen, ob ich die +Wahrheit gesagt habe oder nicht. Zugleich hob er fuer heute das +Gericht auf, um sich, wie er sagte, aus den Papieren der Verstorbenen, +die ihm der Gouverneur uebergeben werde, Rat zu holen. Ich wurde +wieder in mein Gefaengnis zurueckgefuehrt, wo ich einen schaurigen Tag +verlebte, immer mit dem heissen Wunsch beschaeftigt, dass man doch +irgendeine Verbindung zwischen der Toten und dem Rotmantel entdecken +moechte. Voll Hoffnung trat ich den anderen Tag in den Gerichtssaal. +Es lagen mehrere Briefe auf dem Tisch. Der alte Senator fragte mich, +ob sie meine Handschrift seien. Ich sah sie an und fand, dass sie von +derselben Hand sein muessten wie jene beiden Zettel, die ich erhalten. +Ich aeusserte dies den Senatoren; aber man schien nicht darauf zu +achten und antwortete, dass ich beides geschrieben haben koenne und +muesse; denn der Namenszug unter den Briefen sei unverkennbar ein Z, +der Anfangsbuchstabe meines Namens. Die Briefe aber enthielten +Drohungen an die Verstorbene und Warnungen vor der Hochzeit, die sie +zu vollziehen im Begriff war. + +Der Gouverneur schien sonderbare Aufschluesse in Hinsicht auf meine +Person gegeben zu haben; denn man behandelte mich an diesem Tage +misstrauischer und strenger. Ich berief mich zu meiner Rechtfertigung +auf meine Papiere, die sich in meinem Zimmer finden muessten; aber man +sagte mir, man habe nachgesucht und nichts gefunden. So schwand mir +am Schlusse dieses Gerichts alle Hoffnung, und als ich am dritten Tag +wieder in den Saal gefuehrt wurde, las man mir das Urteil vor, dass ich, +eines vorsaetzlichen Mordes ueberwiesen, zum Tode verurteilt sei. +Dahin also war es mit mir gekommen. Verlassen von allem, was mir auf +Erden noch teuer war, fern von meiner Heimat, sollte ich unschuldig +in der Bluete meiner Jahre vom Beile sterben. + +Ich sass am Abend dieses schrecklichen Tages, der ueber mein Schicksal +entschieden hatte, in meinem einsamen Kerker; meine Hoffnungen waren +dahin, meine Gedanken ernsthaft auf den Tod gerichtet. Da tat sich +die Tuere meines Gefaengnisses auf, und ein Mann trat herein, der mich +lange schweigend betrachtete. "So finde ich dich wieder, Zaleukos?" +sagte er; ich hatte ihn bei dem matten Schein meiner Lampe nicht +erkannt, aber der Klang seiner Stimme erweckte alte Erinnerungen in +mir, es war Valetty, einer jener wenigen Freunde, die ich in der +Stadt Paris waehrend meiner Studien kannte. Er sagte, dass er zufaellig +nach Florenz gekommen sei, wo sein Vater als angesehener Mann wohne, +er habe von meiner Geschichte gehoert und sei gekommen, um mich noch +einmal zu sehen und von mir selbst zu erfahren, wie ich mich so +schwer habe verschulden koennen. Ich erzaehlte ihm die ganze +Geschichte. Er schien darueber sehr verwundert und beschwor mich, ihm, +meinem einzigen Freunde, alles zu sagen, um nicht mit einer Luege von +hinnen zu gehen. Ich schwor ihm mit dem teuersten Eid, dass ich wahr +gesprochen und dass keine andere Schuld mich druecke, als dass ich, von +dem Glanze des Goldes geblendet, das Unwahrscheinliche der Erzaehlung +des Unbekannten nicht erkannt habe. "So hast du Bianka nicht +gekannt?" fragte jener. Ich beteuerte ihm, sie nie gesehen zu haben. +Valetty erzaehlte mir nun, dass ein tiefes Geheimnis auf der Tat liege, +dass der Gouverneur meine Verurteilung sehr hastig betrieben habe, +und es sei nun ein Geruecht unter die Leute gekommen, dass ich Bianka +schon laengst gekannt und aus Rache ueber ihre Heirat mit einem anderen +sie ermordet habe. Ich bemerkte ihm, dass dies alles ganz auf den +Rotmantel passe, dass ich aber seine Teilnahme an der Tat mit nichts +beweisen koenne. Valetty umarmte mich weinend und versprach mir, +alles zu tun, um wenigstens mein Leben zu retten. Ich hatte wenig +Hoffnung; doch wusste ich, dass Valetty ein weiser und der Gesetze +kundiger Mann sei und dass er alles tun werde, mich zu retten. Zwei +lange Tage war ich in Ungewissheit: Endlich erschien auch Valetty. +"Ich bringe Trost, wenn auch einen schmerzlichen. Du wirst leben und +frei sein; aber mit Verlust einer Hand." Geruehrt dankte ich meinem +Freunde fuer mein Leben. Er sagte mir, dass der Gouverneur +unerbittlich gewesen sei, die Sache noch einmal untersuchen zu lassen; +dass er aber endlich, um nicht ungerecht zu erscheinen, bewilligt +habe, wenn man in den Buechern der florentinischen Geschichte einen +aehnlichen Fall finde, so solle meine Strafe sich nach der Strafe, die +dort ausgesprochen sei, richten. Er und sein Vater haben nun Tag und +Nacht in den alten Buechern gelesen und endlich einen ganz dem +meinigen aehnlichen Fall gefunden. Dort laute die Strafe: Es soll ihm +die linke Hand abgehauen, seine Gueter eingezogen, er selbst auf ewig +verbannt werden. So laute jetzt auch meine Strafe, und ich solle +mich jetzt bereiten zu der schmerzhaften Stunde, die meiner warte. +Ich will euch nicht diese schreckliche Stunde vor das Auge fuehren, wo +ich auf offenem Markt meine Hand auf den Block legte, wo mein eigenes +Blut in weitem Bogen mich ueberstroemte! + +Valetty nahm mich in sein Haus auf, bis ich genesen war, dann versah +er mich edelmuetig mit Reisegeld; denn alles, was ich mir so muehsam +erworben, war eine Beute des Gerichts geworden. Ich reiste von +Florenz nach Sizilien und von da mit dem ersten Schiff, das ich fand, +nach Konstantinopel. Meine Hoffnung war auf die Summe gerichtet, die +ich meinem Freunde uebergeben hatte, auch bat ich ihn, bei ihm wohnen +zu duerfen; aber wie erstaunte ich, als dieser mich fragte, warum ich +denn nicht mein Haus beziehe! Er sagte mir, dass ein fremder Mann +unter meinem Namen ein Haus in dem Quartier der Griechen gekauft habe; +derselbe habe auch den Nachbarn gesagt, dass ich bald selbst kommen +werde. Ich ging sogleich mit meinem Freunde dahin und wurde von +allen meinen Bekannten freudig empfangen. Ein alter Kaufmann gab mir +einen Brief, den der Mann, der fuer mich gekauft hatte, hiergelassen +habe. + +Ich las: "Zaleukos! Zwei Haende stehen bereit, rastlos zu schaffen, +dass Du nicht fuehlest den Verlust der einen. Das Haus, das Du siehest, +und alles, was darin ist, ist Dein, und alle Jahre wird man Dir so +viel reichen, dass Du zu den Reichen Deines Volkes gehoeren wirst. +Moegest Du dem vergeben, der ungluecklicher ist als Du." Ich konnte +ahnen, wer es geschrieben, und der Kaufmann sagte mir auf meine Frage: +Es sei ein Mann gewesen, den er fuer einen Franken gehalten, er habe +einen roten Mantel angehabt. Ich wusste genug, um mir zu gestehen, +dass der Unbekannte doch nicht ganz von aller edlen Gesinnung entbloesst +sein muesse. In meinem neuen Haus fand ich alles aufs beste +eingerichtet, auch ein Gewoelbe mit Waren, schoener als ich sie je +gehabt. Zehn Jahre sind seitdem verstrichen; mehr aus alter +Gewohnheit, als weil ich es noetig habe, setze ich meine Handelsreisen +fort; doch habe ich jenes Land, wo ich so ungluecklich wurde, nie mehr +gesehen. Jedes Jahr erhielt ich seitdem tausend Goldstuecke; aber, +wenn es mir auch Freude macht, jenen Ungluecklichen edel zu wissen, so +kann er mir doch den Kummer meiner Seele nicht abkaufen, denn ewig +lebt in mir das grauenvolle Bild der ermordeten Bianka. + +--------------------------Zaleukos, der griechische Kaufmann, hatte +seine Geschichte geendigt. Mit grosser Teilnahme hatten ihm die +uebrigen zugehoert, besonders der Fremde schien sehr davon ergriffen zu +sein; er hatte einigemal tief geseufzt, und Muley schien es sogar, +als habe er einmal Traenen in den Augen gehabt. Sie besprachen sich +noch lange Zeit ueber diese Geschichte. + +"Und hasst Ihr den Unbekannten nicht, der Euch so schnoed' um ein so +edles Glied Eures Koerpers, der selbst Euer Leben in Gefahr brachte?" +fragte der Fremde. + +"Wohl gab es in frueherer Zeit Stunden", antwortete der Grieche, "in +denen mein Herz ihn vor Gott angeklagt, dass er diesen Kummer ueber +mich gebracht und mein Leben vergiftet habe; aber ich fand Trost in +dem Glauben meiner Vaeter, und dieser befiehlt mir, meine Feinde zu +lieben; auch ist er wohl noch ungluecklicher als ich." + +"Ihr seid ein edler Mann!" rief der Fremde und drueckte geruehrt dem +Griechen die Hand. + +Der Anfuehrer der Wache unterbrach sie aber in ihrem Gespraech. Er +trat mit besorgter Miene in das Zelt und berichtete, dass man sich +nicht der Ruhe ueberlassen duerfe; denn hier sei die Stelle, wo +gewoehnlich die Karawanen angegriffen wuerden, auch glaubten seine +Wachen, in der Entfernung mehrere Reiter zu sehen. + +Die Kaufleute waren sehr bestuerzt ueber diese Nachricht; Selim, der +Fremde, aber wunderte sich ueber ihre Bestuerzung und meinte, dass sie +so gut geschaetzt waeren, dass sie einen Trupp raeuberischer Araber nicht +zu fuerchten brauchten. + +"Ja, Herr!" entgegnete ihm der Anfuehrer der Wache. "Wenn es nur +solches Gesindel waere, koennte man sich ohne Sorge zur Ruhe legen; +aber seit einiger Zeit zeigt sich der furchtbare Orbasan wieder, und +da gilt es, auf seiner Hut zu sein." + +Der Fremde fragte, wer denn dieser Orbasan sei, und Achmet, der alte +Kaufmann, antwortete ihm: "Es gehen allerlei Sagen unter dem Volke +ueber diesen wunderbaren Mann. Die einen halten ihn fuer ein +uebermenschliches Wesen, weil er oft mit fuenf bis sechs Maennern zumal +einen Kampf besteht, andere halten ihn fuer einen tapferen Franken, +den das Unglueck in diese Gegend verschlagen habe; von allem aber ist +nur so viel gewiss, dass er ein verruchter Moerder und Dieb ist." + +"Das koennt Ihr aber doch nicht behaupten", entgegnete ihm Lezah, +einer der Kaufleute. "Wenn er auch ein Raeuber ist, so ist er doch +ein edler Mann, und als solcher hat er sich an meinem Bruder bewiesen, +wie ich Euch erzaehlen koennte. Er hat seinen ganzen Stamm zu +geordneten Menschen gemacht, und so lange er die Wueste durchstreift, +darf kein anderer Stamm es wagen, sich sehen zu lassen. Auch raubt +er nicht wie andere, sondern er erhebt nur ein Schutzgeld von den +Karawanen, und wer ihm dieses willig bezahlt, der ziehet ungefaehrdet +weiter; denn Orbasan ist der Herr der Wueste." + +Also sprachen unter sich die Reisenden im Zelte; die Wachen aber, die +um den Lagerplatz ausgestellt waren, begannen unruhig zu werden. Ein +ziemlich bedeutender Haufe bewaffneter Reiter zeigte sich in der +Entfernung einer halben Stunde; sie schienen gerade auf das Lager +zuzureiten. Einer der Maenner von der Wache ging daher in das Zelt, +um zu verkuenden, dass sie wahrscheinlich angegriffen wuerden. Die +Kaufleute berieten sich untereinander, was zu tun sei, ob man ihnen +entgegengehen oder den Angriff abwarten solle. Achmet und die zwei +aelteren Kaufleute wollten das letztere, der feurige Muley aber und +Zaleukos verlangten das erstere und riefen den Fremden zu ihrem +Beistand auf. Dieser zog ruhig ein kleines, blaues Tuch mit roten +Sternen aus seinem Guertel hervor, band es an eine Lanze und befahl +einem der Sklaven, es auf das Zelt zu stecken; er setze sein Leben +zum Pfand, sagte er, die Reiter werden, wenn sie dieses Zeichen sehen, +ruhig vorueberziehen. Muley glaubte nicht an den Erfolg, der Sklave +aber steckte die Lanze auf das Zelt. Inzwischen hatten alle, die im +Lager waren, zu den Waffen gegriffen und sahen in gespannter +Erwartung den Reitern entgegen. Doch diese schienen das Zeichen auf +dem Zelte erblickt zu haben, sie wichen ploetzlich von ihrer Richtung +auf das Lager ab und zogen in einem grossen Bogen auf der Seite hin. + +Verwundert standen einige Augenblicke die Reisenden und sahen bald +auf die Reiter, bald auf den Fremden. Dieser stand ganz gleichgueltig, +wie wenn nichts vorgefallen waere, vor dem Zelte und blickte ueber die +Ebene hin. Endlich brach Muley das Stillschweigen. "Wer bist du, +maechtiger Fremdling", rief er aus, "der du die wilden Horden der +Wueste durch einen Wink bezaehmst?" + +"Ihr schlagt meine Kunst hoeher an, als sie ist", antwortete Selim +Baruch. "Ich habe mich mit diesem Zeichen versehen, als ich der +Gefangenschaft entfloh; was es zu bedeuten hat, weiss ich selbst nicht; +nur so viel weiss ich, dass, wer mit diesem Zeichen reiset, unter +maechtigem Schutze steht." + +Die Kaufleute dankten dem Fremden und nannten ihn ihren Erretter. +Wirklich war auch die Anzahl der Reiter so gross gewesen, dass wohl die +Karawane nicht lange haette Widerstand leisten koennen. + +Mit leichterem Herzen begab man sich jetzt zur Ruhe, und als die +Sonne zu sinken begann und der Abendwind ueber die Sandebene hinstrich, +brachen sie auf und zogen weiter. + +Am naechsten Tage lagerten sie ungefaehr nur noch eine Tagreise von dem +Ausgang der Wueste entfernt. Als sich die Reisenden wieder in dem +grossen Zelt versammelt hatten, nahm Lezah, der Kaufmann, das Wort: + +"Ich habe euch gestern gesagt, dass der gefuerchtete Orbasan ein edler +Mann sei, erlaubt mir, dass ich es euch heute durch die Erzaehlung der +Schicksale meines Bruders beweise. Mein Vater war Kadi in Akara. Er +hatte drei Kinder. Ich war der Aelteste, ein Bruder und eine +Schwester waren bei weitem juenger als ich. Als ich zwanzig Jahre alt +war, rief mich ein Bruder meines Vaters zu sich. Er setzte mich zum +Erben seiner Gueter ein, mit der Bedingung, dass ich bis zu seinem Tode +bei ihm bleibe. Aber er erreichte ein hohes Alter, so dass ich erst +vor zwei Jahren in meine Heimat zurueckkehrte und nichts davon wusste, +welch schreckliches Schicksal indes mein Haus betroffen und wie guetig +Allah es gewendet hatte." + + + + +Die Errettung Fatmes + +Wilhelm Hauff + + +Mein Bruder Mustapha und meine Schwester Fatme waren beinahe in +gleichem Alter; jener hatte hoechstens zwei Jahre voraus. Sie liebten +einander innig und trugen vereint alles bei, was unserem kraenklichen +Vater die Last seines Alters erleichtern konnte. An Fatmes +sechzehntem Geburtstage veranstaltete der Bruder ein Fest. Er liess +alle ihre Gespielinnen einladen, setzte ihnen in dem Garten des +Vaters ausgesuchte Speisen vor, und als es Abend wurde, lud er sie +ein, auf einer Barke, die er gemietet und festlich geschmueckt hatte, +ein wenig hinaus in die See zu fahren. Fatme und ihre Gespielinnen +willigten mit Freuden ein; denn der Abend war schoen, und die Stadt +gewaehrte besonders abends, von dem Meere aus betrachtet, einen +herrlichen Anblick. Den Maedchen aber gefiel es so gut auf der Barke, +dass sie meinen Bruder bewogen, immer weiter in die See hinauszufahren. +Mustapha gab aber ungern nach, weil sich vor einigen Tagen ein +Korsar hatte sehen lassen. Nicht weit von der Stadt zieht sich ein +Vorgebirge in das Meer. Dorthin wollten noch die Maedchen, um von da +die Sonne in das Meer sinken zu sehen. Als sie um das Vorgebirg' +herumruderten, sahen sie in geringer Entfernung eine Barke, die mit +Bewaffneten besetzt war. Nichts Gutes ahnend, befahl mein Bruder den +Ruderern, sein Schiff zu drehen und dem Lande zuzurudern. Wirklich +schien sich auch seine Besorgnis zu bestaetigen; denn jene Barke kam +der meines Bruders schnell nach, ueberholte sie, da sie mehr Ruder +hatte, und hielt sich immer zwischen dem Land, und unserer Barke. +Die Maedchen aber, als sie die Gefahr erkannten, in der sie schwebten, +sprangen auf und schrien und klagten; umsonst suchte sie Mustapha zu +beruhigen, umsonst stellte er ihnen vor, ruhig zu bleiben, weil sie +durch ihr Hin- und Herrennen die Barke in Gefahr braechten +umzuschlagen. Es half nichts, und da sie sich endlich bei Annaeherung +des anderen Bootes alle auf die hintere Seite der Barke stuerzten, +schlug diese um. Indessen aber hatte man vom Land aus die Bewegungen +des fremden Bootes beobachtet, und da man schon seit einiger Zeit +Besorgnisse wegen Korsaren hegte, hatte dieses Boot Verdacht erregt, +und mehrere Barken stiessen vom Lande, um den Unsrigen beizustehen. +Aber sie kamen nur noch zu rechter Zeit, um die Untersinkenden +aufzunehmen. In der Verwirrung war das feindliche Boot entwischt, +auf den beiden Barken aber, welche die Geretteten aufgenommen hatten, +war man ungewiss, ob alle gerettet seien. Man naeherte sich +gegenseitig, und ach! Es fand sich, dass meine Schwester und eine +ihrer Gespielinnen fehlten; zugleich entdeckte man aber einen Fremden +in einer der Barken, den niemand kannte. Auf die Drohungen Mustaphas +gestand er, dass er zu dem feindlichen Schiff, das zwei Meilen +ostwaerts vor Anker liege, gehoere, und dass ihn seine Gefaehrten auf +ihrer eiligen Flucht im Stich gelassen haetten, indem er im Begriff +gewesen sei, die Maedchen auffischen zu helfen; auch sagte er aus, dass +er gesehen habe, wie man zwei derselben in das Schiff gezogen. + +Der Schmerz meines alten Vaters war grenzenlos, aber auch Mustapha +war bis zum Tod betruebt, denn nicht nur, dass seine geliebte Schwester +verloren war und dass er sich anklagte, an ihrem Unglueck schuld zu +sein--jene Freundin Fatmes, die ihr Unglueck teilte, war von ihren +Eltern ihm zur Gattin zugesagt gewesen, und nur unserem Vater hatte +er es noch nicht zu gestehen gewagt, weil ihre Eltern arm und von +geringer Abkunft waren. Mein Vater aber war ein strenger Mann; als +sein Schmerz sich ein wenig gelegt hatte, liess er Mustapha vor sich +kommen und sprach zu ihm: "Deine Torheit hat mir den Trost meines +Alters und die Freude meiner Augen geraubt. Gehe hin, ich verbanne +dich auf ewig von meinem Angesicht, ich fluche dir und deinen +Nachkommen, aber nur, wenn du mir Fatme wiederbringst, soll dein +Haupt rein sein von dem Fluche des Vaters." + +Dies hatte mein armer Bruder nicht erwartet; schon vorher hatte er +sich entschlossen gehabt, seine Schwester und ihre Freundin +aufzusuchen, und wollte sich nur noch den Segen des Vaters dazu +erbitten, und jetzt schickte er ihn, mit dem Fluch beladen, in die +Welt. Aber hatte ihn jener Jammer vorher gebeugt, so staehlte jetzt +die Fuelle des Ungluecks, das er nicht verdient hatte, seinen Mut. + +Er ging zu dem gefangenen Seeraeuber und befragte ihn, wohin die Fahrt +seines Schiffes ginge, und erfuhr, dass sie Sklavenhandel trieben und +gewoehnlich in Balsora grossen Markt hielten. + +Als er wieder nach Hause kam, um sich zur Reise anzuschicken, schien +sich der Zorn des Vaters ein wenig gelegt zu haben, denn er sandte +ihm einen Beutel mit Gold zur Unterstuetzung auf der Reise. Mustapha +aber nahm weinend von den Eltern Zoraides, so hiess seine geliebte +Braut, Abschied und machte sich auf den Weg nach Balsora. + +Mustapha machte die Reise zu Land, weil von unserer kleinen Stadt aus +nicht gerade ein Schiff nach Balsora ging. Er musste daher sehr +starke Tagreisen machen, um nicht zu lange nach den Seeraeubern nach +Balsora zu kommen; doch da er ein gutes Ross und kein Gepaeck hatte, +konnte er hoffen, diese Stadt am Ende des sechsten Tages zu erreichen. +Aber am Abend des vierten Tages, als er ganz allein seines Weges +ritt, fielen ihn ploetzlich drei Maenner an. Da er merkte, dass sie gut +bewaffnet und stark seien und dass es mehr auf sein Geld und sein Ross +als auf sein Leben abgesehen war, so rief er ihnen zu, dass er sich +ihnen ergeben wolle. Sie stiegen von ihren Pferden ab und banden ihm +die Fuesse unter dem Bauch seines Tieres zusammen; ihn selbst aber +nahmen sie in die Mitte und trabten, indem einer den Zuegel seines +Pferdes ergriff, schnell mit ihm davon, ohne jedoch ein Wort zu +sprechen. + +Mustapha gab sich einer dumpfen Verzweiflung hin, der Fluch seines +Vaters schien schon jetzt an dem Ungluecklichen in Erfuellung zu gehen, +und wie konnte er hoffen, seine Schwester und Zoraide zu retten, wenn +er, aller Mittel beraubt, nur sein aermliches Leben zu ihrer Befreiung +aufwenden konnte. Mustapha und seine stummen Begleiter mochten wohl +eine Stunde geritten sein, als sie in ein kleines Seitental einbogen. +Das Taelchen war von hohen Baeumen eingefasst; ein weicher dunkelgruener +Rasen, ein Bach, der schnell durch seine Mitte hinrollte, luden zur +Ruhe ein. Wirklich sah er auch fuenfzehn bis zwanzig Zelte dort +aufgeschlagen; an den Pfloecken der Zelte waren Kamele und schoene +Pferde angebunden, aus einem der Zelte hervor toente die lustige Weise +einer Zither und zweier schoener Maennerstimmen. Meinem Bruder schien +es, als ob Leute, die ein so froehliches Lagerplaetzchen sich erwaehlt +hatten, nichts Boeses gegen ihn im Sinne haben koennten, und er folgte +also ohne Bangigkeit dem Ruf seiner Fuehrer, die, als sie seine Bande +geloest hatten, ihm winkten, abzusteigen. Man fuehrte ihn in ein Zelt, +das groesser als die uebrigen und im Innern huebsch, fast zierlich +aufgeputzt war. Praechtige, goldbestickte Polster, gewirkte +Fussteppiche, uebergoldete Rauchpfannen haetten anderswo Reichtum und +Wohlleben verraten; hier schienen sie nur kuehner Raub. Auf einem der +Polster sass ein alter kleiner Mann; sein Gesicht war haesslich, seine +Haut schwarzbraun und glaenzend, und ein widriger Zug von tueckischer +Schlauheit um Augen und Mund machte seinen Anblick verhasst. Obgleich +sich dieser Mann einiges Ansehen zu geben suchte, so merkte doch +Mustapha bald, dass nicht fuer ihn das Zelt so reich geschmueckt sei, +und die Unterredung seiner Fuehrer schien seine Bemerkung zu +bestaetigen. "Wo ist der Starke?" fragten sie den Kleinen. + +"Er ist auf der kleinen Jagd", antwortete jener, "aber er hat mir +aufgetragen, seine Stelle zu versehen." + +"Das hat er nicht gescheit gemacht", entgegnete einer der Raeuber, +"denn es muss sich bald entscheiden, ob dieser Hund sterben oder +zahlen soll, und das weiss der Starke besser als du." + +Der kleine Mann erhob sich im Gefuehl seiner Wuerde, streckte sich lang +aus, um mit der Spitze seiner Hand das Ohr seines Gegners zu +erreichen, denn er schien Lust zu haben, sich durch einen Schlag zu +raechen, als er aber sah, dass seine Bemuehung fruchtlos sei, fing er an +zu schimpfen (und wahrlich! Die anderen blieben ihm nichts schuldig), +dass das Zelt von ihrem Streit erdroehnte. Da tat sich auf einmal die +Tuere des Zeltes auf, und herein trat ein hoher, stattlicher Mann, +jung und schoen wie ein Perserprinz; seine Kleidung und seine Waffen +waren, ausser einem reichbesetzten Dolch und einem glaenzenden Saebel, +gering und einfach; aber sein ernstes Auge, sein ganzer Anstand gebot +Achtung, ohne Furcht einzufloessen. + +"Wer ist's, der es wagt, in meinem Zelte Streit zu beginnen?" rief er +den Erschrockenen zu. Eine Zeitlang herrschte tiefe Stille; endlich +erzaehlte einer von denen, die Mustapha hergebracht hatten, wie es +gegangen sei. Da schien sich das Gesicht "des Starken", wie sie ihn +nannten, vor Zorn zu roeten. "Wann haette ich dich je an meine Stelle +gesetzt, Hassan?" schrie er mit furchtbarer Stimme dem Kleinen zu. +Dieser zog sich vor Furcht in sich selbst zusammen, dass er noch viel +kleiner aussah als zuvor, und schlich sich der Zelttuere zu. Ein +hinlaenglicher Tritt des Starken machte, dass er in einem grossen +sonderbaren Sprung zur Zelttuere hinausflog. + +Als der Kleine verschwunden war, fuehrten die drei Maenner Mustapha vor +den Herrn des Zeltes, der sich indes auf die Polster gelegt hatte. +"Hier bringen wir den, welchen du uns zu fangen befohlen hast." + +Jener blickte den Gefangenen lange an und sprach sodann: "Bassa von +Sulieika! Dein eigenes Gewissen wird dir sagen, warum du vor Orbasan +stehst." + +Als mein Bruder dies hoerte, warf er sich nieder vor jenem und +antwortete: "O Herr! Du scheinst im Irrtum zu sein. Ich bin ein +armer Ungluecklicher, aber nicht der Bassa, den du suchst!" + +Alle im Zelt waren ueber diese Rede erstaunt. Der Herr des Zeltes +aber sprach: "Es kann dir wenig helfen, dich zu verstellen; denn ich +will die Leute vorfuehren, die dich wohl kennen." Er befahl, Zuleima +vorzufahren. Man brachte ein altes Weib in das Zelt, das auf die +Frage, ob sie in meinem Bruder nicht den Bassa von Sulieika erkenne, +antwortete: "Jawohl!" Und sie schwoere es beim Grab des Propheten, es +sei der Bassa und kein anderer. + +"Siehst du, Erbaermlicher, wie deine List zu Wasser geworden ist!" +begann zuernend der Starke. "Du bist mir zu elend, als dass ich meinen +guten Dolch mit deinem Blut besudeln sollte, aber an den Schweif +meines Rosses will ich dich binden, morgen, wenn die Sonne aufgeht, +und durch die Waelder mit dir jagen, bis sie scheidet hinter die Huegel +von Sulieika!" + +Da sank meinem armen Bruder der Mut. "Das ist der Fluch meines +harten Vaters, der mich zum schmachvollen Tode treibt", rief er +weinend, "und auch du bist verloren, suesse Schwester, auch du, Zoraide!" + +"Deine Verstellung hilft dir nichts", sprach einer der Raeuber, indem +er ihm die Haende auf den Ruecken band, "mach, dass du aus dem Zelte +kommst! Denn der Starke beisst sich in die Lippen und blickt nach +seinem Dolch. Wenn du noch eine Nacht leben willst, so komm!" + +Als die Raeuber gerade meinen Bruder aus dem Zelt fuehren wollten, +begegneten sie drei anderen, die einen Gefangenen vor sich hintrieben. +Sie traten mit ihm ein. "Hier bringen wir den Bassa, wie du uns +befohlen hast", sprachen sie und fuehrten den Gefangenen vor das +Polster des Starken. Als der Gefangene dorthin gefuehrt wurde, hatte +mein Bruder Gelegenheit, ihn zu betrachten, und ihm selbst fiel die +Aehnlichkeit auf, die dieser Mann mit ihm hatte, nur war er dunkler im +Gesicht und hatte einen schwaerzeren Bart. + +Der Starke schien sehr erstaunt ueber die Erscheinung des zweiten +Gefangenen. "Wer von euch ist denn der Rechte?" sprach er, indem er +bald meinen Bruder, bald den anderen Mann ansah. + +"Wenn du den Bassa von Sulieika meinst", antwortete in stolzem Ton +der Gefangene, "der bin ich!" Der Starke sah ihn lange mit seinem +ernsten, furchtbaren Blick an; dann winkte er schweigend, den Bassa +wegzufuehren. + +Als dies geschehen war, ging er auf meinen Bruder zu, zerschnitt +seine Bande mit dem Dolch und winkte ihm, sich zu ihm aufs Polster zu +setzen. "Es tut mir leid, Fremdling", sagte er, "dass ich dich fuer +jenes Ungeheuer hielt; schreibe es aber einer sonderbaren Fuegung des +Himmels zu, die dich gerade in der Stunde, welche dem Untergang jenes +Verruchten geweiht war, in die Haende meiner Brueder fuehrte." Mein +Bruder bat ihn um die einzige Gunst, ihn gleich wieder weiterreisen +zu lassen, weil jeder Aufschub ihm verderblich werden koenne. Der +Starke erkundigte sich nach seinen eiligen Geschaeften, und als ihm +Mustapha alles erzaehlt hatte, ueberredete ihn jener, diese Nacht in +seinem Zelt zu bleiben, er und sein Ross werden der Ruhe beduerfen; den +folgenden Tag aber wolle er ihm einen Weg zeigen, der ihn in +anderthalb Tagen nach Balsora bringe--Mein Bruder schlug ein, wurde +trefflich bewirtet und schlief sanft bis zum Morgen in dem Zelt des +Raeubers. + +Als er aufgewacht war, sah er sich ganz allein im Zelt; vor dem +Vorhang des Zeltes aber hoerte er mehrere Stimmen zusammen sprechen, +die dem Herrn des Zeltes und dem kleinen schwarzbraunen Mann +anzugehoeren schienen. Er lauschte ein wenig und hoerte zu seinem +Schrecken, dass der Kleine dringend den anderen aufforderte, den +Fremden zu toeten, weil er, wenn er freigelassen wuerde, sie alle +verraten koennte. + +Mustapha merkte gleich, dass der Kleine ihm gram sei, weil er die +Ursache war, dass er gestern so uebel behandelt wurde; der Starke +schien sich einige Augenblicke zu besinnen. "Nein", sprach er, "er +ist mein Gastfreund, und das Gastrecht ist mir heilig; auch sieht er +mir nicht aus, als ob er uns verraten wollte." + +Als er so gesprochen, schlug er den Vorhang zurueck und trat ein. +"Friede sei mit dir, Mustapha!" sprach er, "lass uns den Morgentrunk +kosten, und rueste dich dann zum Aufbruch!" Er reichte meinem Bruder +einen Becher Sorbet, und als sie getrunken hatten, zaeumten sie die +Pferde auf, und wahrlich, mit leichterem Herzen, als er gekommen war, +schwang sich Mustapha aufs Pferd. Sie hatten bald die Zelte im +Ruecken und schlugen dann einen breiten Pfad ein, der in den Wald +fuehrte. Der Starke erzaehlte meinem Bruder, dass jener Bassa, den sie +auf der Jagd gefangen haetten, ihnen versprochen habe, sie ungefaehrdet +in seinem Gebiete zu dulden; vor einigen Wochen aber habe er einen +ihrer tapfersten Maenner aufgefangen und nach den schrecklichsten +Martern aufhaengen lassen. Er habe ihm nun lange auflauern lassen, +und heute noch muesse er sterben. Mustapha wagte es nicht, etwas +dagegen einzuwenden; denn er war froh, selbst mit heiler Haut +davongekommen zu sein. + +Am Ausgang des Waldes hielt der Starke sein Pferd an, beschrieb +meinem Bruder den Weg, bot ihm die Hand zum Abschied und sprach: +"Mustapha, du bist auf sonderbare Weise der Gastfreund des Raeubers +Orbasan geworden; ich will dich nicht auffordern, nicht zu verraten, +was du gesehen und gehoert hast. Du hast ungerechterweise Todesangst +ausgestanden, und ich bin dir Verguetung schuldig. Nimm diesen Dolch +als Andenken, und so du Hilfe brauchst, so sende ihn mir zu, und ich +will eilen, dir beizustehen. Diesen Beutel aber kannst du vielleicht +zu deiner Reise brauchen." Mein Bruder dankte ihm fuer seinen Edelmut; +er nahm den Dolch, den Beutel aber schlug er aus. Doch Orbasan +drueckte ihm noch einmal die Hand, liess den Beutel auf die Erde fallen +und sprengte mit Sturmeseile in den Wald. Als Mustapha sah, dass er +ihn doch nicht mehr werde einholen koennen, stieg er ab, um den Beutel +aufzuheben, und erschrak ueber die Groesse von seines Gastfreundes +Grossmut; denn der Beutel enthielt eine Menge Gold. Er dankte Allah +fuer seine Rettung, empfahl ihm den edlen Raeuber in seine Gnade und +zog dann heiteren Mutes weiter auf seinem Wege nach Balsora. + +Lezah schwieg und sah Achmet, den alten Kaufmann, fragend an. "Nein, +wenn es so ist", sprach dieser, "so verbessere ich gern mein Urteil +von Orbasan; denn wahrlich, an deinem Bruder hat er schoen gehandelt." + +"Er hat getan wie ein braver Muselmann", rief Muley; "aber ich hoffe, +du hast deine Geschichte damit nicht geschlossen; denn wie mich +beduenkt, sind wir alle begierig, weiter zu hoeren, wie es deinem +Bruder erging und ob er Fatme, deine Schwester, und die schoene +Zoraide befreit hat." + +"Wenn ich euch nicht damit langweile, erzaehle ich gerne weiter", +entgegnete Lezah, "denn die Geschichte meines Bruders ist allerdings +abenteuerlich und wundervoll." + +Am Mittag des siebenten Tages nach seiner Abreise zog Mustapha in die +Tore von Balsora ein. Sobald er in einer Karawanserei abgestiegen +war, fragte er, wann der Sklavenmarkt, der alljaehrlich hier gehalten +werde, anfange. Aber er erhielt die Schreckensantwort, dass er zwei +Tage zu spaet komme. Man bedauerte seine Verspaetung und erzaehlte ihm, +dass er viel verloren habe; denn noch an dem letzten Tage des Marktes +seien zwei Sklavinnen angekommen, von so hoher Schoenheit, dass sie die +Augen aller Kaeufer auf sich gezogen haetten. Man habe sich ordentlich +um sie gerissen und geschlagen, und sie seien freilich auch zu einem +so hohen Preise verkauft worden, dass ihn nur ihr jetziger Herr nicht +habe scheuen koennen. Er erkundigte sich naeher nach diesen beiden, +und es blieb ihm kein Zweifel, dass es die Ungluecklichen seien, die er +suchte. Auch erfuhr er, dass der Mann, der sie beide gekauft habe, +vierzig Stunden von Balsora wohne und Thiuli-Kos heisse, ein vornehmer, +reicher, aber schon aeltlicher Mann, der frueher Kapudan-Bassa des +Grossherrn gewesen, jetzt aber sich mit seinen gesammelten Reichtuemern +zur Ruhe gesetzt habe. + +Mustapha wollte von Anfang sich gleich wieder zu Pferd setzen, um dem +Thiuli-Kos, der kaum einen Tag Vorsprung haben konnte, nachzueilen. +Als er aber bedachte, dass er als einzelner Mann dem maechtigen +Reisenden doch nichts anhaben noch weniger seine Beute ihm abjagen +konnte, sann er auf einen anderen Plan und hatte ihn auch bald +gefunden. Die Verwechslung mit dem Bassa von Sulieika, die ihm +beinahe so gefaehrlich geworden waere, brachte ihn auf den Gedanken, +unter diesem Namen in das Haus des Thiuli-Kos zu gehen und so einen +Versuch zur Rettung der beiden ungluecklichen Maedchen zu wagen. Er +mietete daher einige Diener und Pferde, wobei ihm Orbasans Geld +trefflich zustatten kam, schaffte sich und seinen Dienern praechtige +Kleider an und machte sich auf den Weg nach dem Schlosse Thiulis. +Nach fuenf Tagen war er in die Naehe dieses Schlosses gekommen. Es lag +in einer schoenen Ebene und war rings von hohen Mauern umschlossen, +die nur ganz wenig von den Gebaeuden ueberragt wurden. Als Mustapha +dort angekommen war, faerbte er Haar und Bart schwarz, sein Gesicht +aber bestrich er mit dem Saft einer Pflanze, die ihm eine braeunliche +Farbe gab, ganz wie sie jener Bassa gehabt hatte. Er schickte +hierauf einen seiner Diener in das Schloss und liess im Namen des Bassa +von Sulieika um ein Nachtlager bitten. Der Diener kam bald wieder, +und mit ihm vier schoengekleidete Sklaven, die Mustaphas Pferd am +Zuegel nahmen und in den Schlosshof fuehrten. Dort halfen sie ihm +selbst vom Pferd, und vier andere geleiteten ihn eine breite +Marmortreppe hinauf zu Thiuli. + +Dieser, ein alter, lustiger Geselle, empfing meinen Bruder +ehrerbietig und liess ihm das Beste, was sein Koch zubereiten konnte, +aufsetzen. Nach Tisch brachte Mustapha das Gespraech nach und nach +auf die neuen Sklavinnen, und Thiuli ruehmte ihre Schoenheit und +beklagte nur, dass sie immer so traurig seien; doch er glaubte, dieses +wuerde sich bald geben. Mein Bruder war sehr vergnuegt ueber diesen +Empfang und legte sich mit den schoensten Hoffnungen zur Ruhe nieder. + +Er mochte ungefaehr eine Stunde geschlafen haben, da weckte ihn der +Schein einer Lampe, der blendend auf sein Auge fiel. Als er sich +aufrichtete, glaubte er noch zu traeumen; denn vor ihm stand jener +kleine, schwarzbraune Kerl aus Orbasans Zelt, eine Lampe in der Hand, +sein breites Maul zu einem widrigen Laecheln verzogen. Mustapha +zwickte sich in den Arm, zupfte sich an der Nase, um sich zu +ueberzeugen, ob er denn wache; aber die Erscheinung blieb wie zuvor. +"Was willst du an meinem Bette?" rief Mustapha, als er sich von +seinem Erstaunen erholt hatte. + +"Bemuehet Euch doch nicht so, Herr!" sprach der Kleine. "Ich habe +wohl erraten, weswegen Ihr hierherkommt. Auch war mir Euer wertes +Gesicht noch wohl erinnerlich; doch wahrlich, wenn ich nicht den +Bassa mit eigener Hand haette erhaengen helfen, so haettet Ihr mich +vielleicht getaeuscht. Jetzt aber bin ich da, um eine Frage zu machen." + +"Vor allem sage, wie du hierherkommst", entgegnete ihm Mustapha voll +Wut, dass er verraten war. + +"Das will ich Euch sagen", antwortete jener, "ich konnte mich mit dem +Starken nicht laenger vertragen, deswegen floh ich; aber du, Mustapha, +warst eigentlich die Ursache unseres Streites, und dafuer musst du mir +deine Schwester zur Frau geben, und ich will Euch zur Flucht +behilflich sein; gibst du sie nicht, so gehe ich zu meinem neuen +Herrn und erzaehle ihm etwas von dem neuen Bassa." + +Mustapha war vor Schrecken und Wut ausser sich; jetzt, wo er sich am +sicheren Ziel seiner Wuensche glaubte, sollte dieser Elende kommen und +sie vereiteln; es war nur ein Mittel, das seinen Plan retten konnte: +Er musste das kleine Ungetuem toeten. Mit einem Sprung fuhr er daher +aus dem Bette auf den Kleinen zu; doch dieser, der etwas Solches +geahnt haben mochte, liess die Lampe fallen, dass sie verloeschte, und +entsprang im Dunkeln, indem er moerderisch um Hilfe schrie. + +Jetzt war guter Rat teuer; die Maedchen musste er fuer den Augenblick +aufgeben und nur auf die eigene Rettung denken; daher ging er an das +Fenster, um zu sehen, ob er nicht entspringen koennte. Es war eine +ziemliche Tiefe bis zum Boden, und auf der anderen Seite stand eine +hohe Mauer, die zu uebersteigen war. Sinnend stand er an dem Fenster; +da hoerte er viele Stimmen sich seinem Zimmer naehern; schon waren sie +an der Tuere; da fasste er verzweiflungsvoll seinen Dolch und seine +Kleider und schwang sich zum Fenster hinaus. Der Fall war hart; aber +er fuehlte, dass er kein Glied gebrochen hatte; drum sprang er auf und +lief der Mauer zu, die den Hof umschloss, stieg, zum Erstaunen seiner +Verfolger, hinauf und befand sich bald im Freien. Er floh, bis er an +einen kleinen Wald kam, wo er sich erschoepft niederwarf. Hier +ueberlegte er, was zu tun sei. + +Seine Pferde und seine Diener hatte er im Stiche lassen muessen; aber +sein Geld, das er in dem Guertel trug, hatte er gerettet. + +Sein erfinderischer Kopf zeigte ihm bald einen anderen Weg zur +Rettung. Er ging in dem Wald weiter, bis er an ein Dorf kam, wo er +um geringen Preis ein Pferd kaufte, das ihn in Baelde in eine Stadt +trug. Dort forschte er nach einem Arzt, und man riet ihm einen alten, +erfahrenen Mann. Diesen bewog er durch einige Goldstuecke, dass er +ihm eine Arznei mitteilte, die einen todaehnlichen Schlaf herbeifuehrte, +der durch ein anderes Mittel augenblicklich wieder gehoben werden +koennte. Als er im Besitz dieses Mittels war, kaufte er sich einen +langen falschen Bart, einen schwarzen Talar und allerlei Buechsen und +Kolben, so dass er fueglich einen reisenden Arzt vorstellen konnte, lud +seine Sachen auf einen Esel und reiste in das Schloss des Thiuli-Kos +zurueck. Er durfte gewiss sein, diesmal nicht erkannt zu werden, denn +der Bart entstellte ihn so, dass er sich selbst kaum mehr kannte. Bei +Thiuli angekommen, liess er sich als den Arzt Chakamankabudibaba +anmelden, und, wie er es gedacht hatte, geschah es; der prachtvolle +Namen empfahl ihn bei dem alten Narren ungemein, so dass er ihn gleich +zur Tafel einlud. + +Chakamankabudibaba erschien vor Thiuli, und als sie sich kaum eine +Stunde besprochen hatten, beschloss der Alte, alle seine Sklavinnen +der Kur des weisen Arztes zu unterwerfen. Dieser konnte seine Freude +kaum verbergen, dass er jetzt seine geliebte Schwester wiedersehen +solle, und folgte mit klopfendem Herzen Thiuli, der ihn ins Serail +fuehrte. Sie waren in ein Zimmer gekommen, das schoen ausgeschmueckt +war, worin sich aber niemand befand. "Chambaba oder wie du heisst, +lieber Arzt", sprach Thiuli-Kos, "betrachte einmal jenes Loch dort in +der Mauer, dort wird jede meiner Sklavinnen einen Arm herausstrecken, +und du kannst dann untersuchen, ob der Puls krank oder gesund ist." +Mustapha mochte einwenden, was er wollte, zu sehen bekam er sie nicht; +doch willigte Thiuli ein, dass er ihm allemal sagen wolle, wie sie +sich sonst gewoehnlich befaenden. Thiuli zog nun einen langen Zettel +aus dem Guertel und begann mit lauter Stimme seine Sklavinnen einzeln +beim Namen zu rufen, worauf allemal eine Hand aus der Mauer kam und +der Arzt den Puls untersuchte. Sechs waren schon abgelesen und +saemtlich fuer gesund erklaert; da las Thiuli als die siebente "Fatme" +ab, und eine kleine weisse Hand schluepfte aus der Mauer. Zitternd vor +Freude, ergreift Mustapha diese Hand und erklaert sie mit wichtiger +Miene fuer bedeutend krank. Thiuli ward sehr besorgt und befahl +seinem weisen Chakamankabudibaba, schnell eine Arznei fuer sie zu +bereiten. Der Arzt ging hinaus, schrieb auf einen kleinen Zettel: +Fatme! Ich will Dich retten, wenn Du Dich entschliessen kannst, eine +Arznei zu nehmen, die Dich auf zwei Tage tot macht; doch ich besitze +das Mittel, Dich wieder zum Leben zu bringen. Willst Du, so sage nur, +dieser Trank habe nicht geholfen, und es soll mir ein Zeichen sein, +dass Du einwilligst. + +Bald kam er in das Zimmer zurueck, wo Thiuli seiner harrte. Er +brachte ein unschaedliches Traenklein mit, fuehlte der kranken Fatme +noch einmal den Puls und schob ihr zugleich den Zettel unter ihr +Armband; das Traenklein aber reichte er ihr durch die Oeffnung in der +Mauer. Thiuli schien in grossen Sorgen wegen Fatme zu sein und schob +die Untersuchung der uebrigen bis auf eine gelegenere Zeit auf. Als +er mit Mustapha das Zimmer verlassen hatte, sprach er in traurigem +Ton: "Chadibaba, sage aufrichtig, was haeltst du von Fatmes Krankheit?" + +Chakamankabudibaba antwortete mit einem tiefen Seufzer: "Ach Herr, +moege der Prophet dir Trost verleihen! Sie hat ein schleichendes +Fieber, das ihr wohl den Garaus machen kann." Da entbrannte der Zorn +Thiulis: "Was sagst du, verfluchter Hund von einem Arzt? Sie, um die +ich zweitausend Goldstuecke gab, soll mir sterben wie eine Kuh? Wisse, +wenn du sie nicht rettest, so hau' ich dir den Kopf ab!" Da merkte +mein Bruder, dass er einen dummen Streich gemacht habe, und gab Thiuli +wieder Hoffnung. Als sie noch so sprachen, kam ein schwarzer Sklave +aus dem Serail, dem Arzt zu sagen, dass das Traenklein nicht geholfen +habe. "Biete deine ganze Kunst auf, Chakamdababelba, oder wie du +dich schreibst, ich zahle dir, was du willst", schrie Thiuli-Kos, +fast heulend vor Angst, so viel Gold zu verlieren. + +"Ich will ihr ein Saeftlein geben, das sie von aller Not befreit", +antwortete der Arzt. + +"Ja! Ja! Gib ihr ein Saeftlein", schluchzte der alte Thiuli. + +Frohen Mutes ging Mustapha, seinen Schlaftrunk zu holen, und als er +ihn dem schwarzen Sklaven gegeben und gezeigt hatte, wieviel man auf +einmal nehmen muesse, ging er zu Thiuli und sagte, er muesse noch +einige heilsame Kraeuter am See holen, und eilte zum Tor hinaus. An +dem See, der nicht weit von dem Schloss entfernt war, zog er seine +falschen Kleider aus und warf sie ins Wasser, dass sie lustig +umherschwammen; er selbst aber verbarg sich im Gestraeuch, wartete die +Nacht ab und schlich sich dann in den Begraebnisplatz an dem Schlosse +Thiulis. + +Als Mustapha kaum eine Stunde lang aus dem Schloss abwesend sein +mochte, brachte man Thiuli die schreckliche Nachricht, dass seine +Sklavin Fatme im Sterben liege. Er schickte hinaus an den See, um +schnell den Arzt zu holen; aber bald kehrten seine Boten allein +zurueck und erzaehlten ihm, dass der arme Arzt ins Wasser gefallen und +ertrunken sei; seinen schwarzen Talar sehe man im See schwimmen, und +hier und da gucke auch sein stattlicher Bart aus den Wellen hervor. +Als Thiuli keine Rettung mehr sah, verwuenschte er sich und die ganze +Welt, raufte sich den Bart aus und rannte mit dem Kopf gegen die +Mauer. Aber alles dies konnte nichts helfen; denn Fatme gab bald +unter den Haenden der uebrigen Weiber den Geist auf. Als Thiuli die +Nachricht ihres Todes hoerte, befahl er, schnell einen Sarg zu machen; +denn er konnte keinen Toten im Hause leiden und liess den Leichnam in +das Begraebnishaus tragen. Die Traeger brachten den Sarg dorthin, +setzten ihn schnell nieder und entflohen, denn sie hatten unter den +uebrigen Saergen Stoehnen und Seufzen gehoert. + +Mustapha, der sich hinter den Saergen verborgen und von dort aus die +Traeger des Sarges in die Flucht gejagt hatte, kam hervor und zuendete +sich eine Lampe an, die er zu diesem Zweck mitgebracht hatte. Dann +zog er ein Glas hervor, das die erweckende Arznei enthielt, und hob +dann den Deckel von Fatmes Sarg. Aber welches Entsetzen befiel ihn, +als sich ihm beim Scheine der Lampe ganz fremde Zuege zeigten! Weder +meine Schwester noch Zoraide, sondern eine ganz andere lag in dem +Sarg. Er brauchte lange, um sich von dem neuen Schlag des Schicksals +zu fassen; endlich ueberwog doch Mitleid seinen Zorn. Er oeffnete sein +Glas und floesste ihr die Arznei ein. Sie atmete, sie schlug die Augen +auf und schien sich lange zu besinnen, wo sie sei. Endlich erinnerte +sie sich des Vorgefallenen; sie stand auf aus dem Sarg und stuerzte zu +Mustaphas Fuessen. "Wie kann ich dir danken, guetiges Wesen", rief sie +aus, "dass du mich aus meiner schrecklichen Gefangenschaft befreitest!" +Mustapha unterbrach ihre Danksagungen mit der Frage, wie es denn +geschehen sei, dass sie und nicht Fatme, seine Schwester, gerettet +worden sei? Jene sah ihn staunend an. "Jetzt wird mir meine Rettung +erst klar, die mir vorher unbegreiflich war", antwortete sie; "wisse, +man hiess mich in jenem Schloss Fatme, und mir hast du deinen Zettel +und den Rettungstrank gegeben." Mein Bruder forderte die Gerettete +auf, ihm von seiner Schwester und Zoraide Nachricht zu geben, und +erfuhr, dass sie sich beide im Schloss befanden, aber nach der +Gewohnheit Thiulis andere Namen bekommen hatten; sie hiessen jetzt +Mirza und Nurmahal." + +Als Fatme, die gerettete Sklavin, sah, dass mein Bruder durch diesen +Fehlgriff so niedergeschlagen sei, sprach sie ihm Mut ein und +versprach, ihm ein Mittel zu sagen, wie er jene beiden Maedchen +dennoch retten koenne. Aufgeweckt durch diesen Gedanken, schoepfte +Mustapha von neuem Hoffnung und bat sie, dieses Mittel ihm zu nennen, +und sie sprach: + +"Ich bin zwar erst seit fuenf Monaten die Sklavin Thiulis, doch habe +ich gleich von Anfang auf Rettung gesonnen; aber fuer mich allein war +sie zu schwer. In dem inneren Hof des Schlosses wirst du einen +Brunnen bemerkt haben, der aus zehn Roehren Wasser speit; dieser +Brunnen fiel mir auf. Ich erinnerte mich, in dem Hause meines Vaters +einen aehnlichen gesehen zu haben, dessen Wasser durch eine geraeumige +Wasserleitung herbeistroemt; um nun zu erfahren, ob dieser Brunnen +auch so gebaut ist, ruehmte ich eines Tages vor Thiuli seine Pracht +und fragte nach seinem Baumeister. *Ich selbst habe ihn gebaut*, +antwortete er, *und das, was du hier siehst, ist noch das Geringste; +aber das Wasser dazu kommt wenigstens tausend Schritte weit von einem +Bach her und geht durch eine gewoelbte Wasserleitung, die wenigstens +mannshoch ist; und alles dies habe ich selbst angegeben.* Als ich +dies gehoert hatte, wuenschte ich mir oft, nur auf einen Augenblick die +Staerke eines Mannes zu haben, um einen Stein an der Seite des +Brunnens ausheben zu koennen; dann koennte ich fliehen, wohin ich +wollte. Die Wasserleitung nun will ich dir zeigen; durch sie kannst +du nachts in das Schloss gelangen und jene befreien. Aber du musst +wenigstens noch zwei Maenner bei dir haben, um die Sklaven, die das +Serail bei Nacht bewachen, zu ueberwaeltigen." + +So sprach sie; mein Bruder Mustapha aber, obgleich schon zweimal in +seinen Hoffnungen getaeuscht, fasste noch einmal Mut und hoffte mit +Allahs Hilfe den Plan der Sklavin auszufuehren. Er versprach ihr, fuer +ihr weiteres Fortkommen in ihre Heimat zu sorgen, wenn sie ihm +behilflich sein wollte, ins Schloss zu gelangen. Aber ein Gedanke +machte ihm noch Sorge, naemlich der, woher er zwei oder drei treue +Gehilfen bekommen koennte. Da fiel ihm Orbasans Dolch ein und das +Versprechen, das ihm jener gegeben hatte, ihm, wo er seiner beduerfe, +zu Hilfe zu eilen, und er machte sich daher mit Fatme aus dem +Begraebnis auf, um den Raeuber aufzusuchen. + +In der naemlichen Stadt, wo er sich zum Arzt umgewandelt hatte, kaufte +er um sein letztes Geld ein Ross und mietete Fatme bei einer armen +Frau in der Vorstadt ein. Er selbst aber eilte dem Gebirge zu, wo er +Orbasan zum erstenmal getroffen hatte, und gelangte in drei Tagen +dahin. Er fand bald wieder jene Zelte und trat unverhofft vor +Orbasan, der ihn freundlich bewillkommnete. Er erzaehlte ihm seine +misslungenen Versuche, wobei sich der ernsthafte Orbasan nicht +enthalten konnte, hier und da ein wenig zu lachen, besonders, wenn er +sich den Arzt Chakamankabudibaba dachte. Ueber die Verraeterei des +Kleinen aber war er wuetend; er schwur, ihn mit eigener Hand +aufzuhaengen, wo er ihn finde. Meinem Bruder aber versprach er, +sogleich zur Hilfe bereit zu sein, wenn er sich vorher von der Reise +gestaerkt haben wuerde. Mustapha blieb daher diese Nacht wieder in +Orbasans Zelt; mit dem ersten Fruehrot aber brachen sie auf, und +Orbasan nahm drei seiner tapfersten Maenner, wohl beritten und +bewaffnet, mit sich. Sie ritten stark zu und kamen nach zwei Tagen +in die kleine Stadt, wo Mustapha die gerettete Fatme zurueckgelassen +hatte. Von da aus reisten sie mit dieser weiter bis zu dem kleinen +Wald, von wo aus man das Schloss Thiulis in geringer Entfernung sehen +konnte; dort lagerten sie sich, um die Nacht abzuwarten. + +Sobald es dunkel wurde, schlichen sie sich, von Fatme gefuehrt, an den +Bach, wo die Wasserleitung anfing, und fanden diese bald. Dort +liessen sie Fatme und einen Diener mit den Rossen zurueck und schickten +sich an, hinabzusteigen; ehe sie aber hinabstiegen, wiederholte ihnen +Fatme noch einmal alles genau, naemlich: dass sie durch den Brunnen in +den inneren Schlosshof kaemen, dort seien rechts und links in der Ecke +zwei Tuerme, in der sechsten Tuere, vom Turme rechts gerechnet, +befaenden sich Fatme und Zoraide, bewacht von zwei schwarzen Sklaven. +Mit Waffen und Brecheisen wohl versehen, stiegen Mustapha, Orbasan +und zwei andere Maenner hinab in die Wasserleitung; sie sanken zwar +bis an den Guertel ins Wasser; aber nichtsdestoweniger gingen sie +ruestig vorwaerts. Nach einer halben Stunde kamen sie an den Brunnen +selbst und setzten sogleich ihre Brecheisen an. Die Mauer war dick +und fest; aber den vereinten Kraeften der vier Maenner konnte sie nicht +lange widerstehen; bald hatten sie eine Oeffnung eingebrochen, gross +genug, um bequem durchschluepfen zu koennen. Orbasan schluepfte zuerst +durch und half den anderen nach. Als sie alle im Hof waren, +betrachteten sie die Seite des Schlosses, die vor ihnen lag, um die +beschriebene Tuere zu erforschen. Aber sie waren nicht einig, welche +es sei; denn als sie von dem rechten Turm zum linken zaehlten, fanden +sie eine Tuere, die zugemauert war, und wussten nun nicht, ob Fatme +diese uebersprungen oder mitgezaehlt habe. Aber Orbasan besann sich +nicht lange. "Mein gutes Schwert wird mir jede Tuer oeffnen", rief er +aus, ging auf die sechste Tuere zu, und die anderen folgten ihm. + +Sie oeffneten die Tuere und fanden sechs schwarze Sklaven auf dem Boden +liegend und schlafend; sie wollten schon wieder leise sich +zurueckziehen, weil sie sahen, dass sie die rechte Tuere verfehlt hatten, +als eine Gestalt in der Ecke sich aufrichtete und mit wohlbekannter +Stimme um Hilfe rief. Es war der Kleine aus Orbasans Lager. Aber +ehe noch die Schwarzen recht wussten, wie ihnen geschah, stuerzte +Orbasan auf den Kleinen zu, riss seinen Guertel entzwei, verstopfte ihm +den Mund und band ihm die Haende auf den Ruecken; dann wandte er sich +an die Sklaven, wovon schon einige von Mustapha und den zwei anderen +halb gebunden waren, und half sie vollends ueberwaeltigen. Man setzte +den Sklaven den Dolch auf die Brust und fragte sie, wo Nurmahal und +Nuerza waeren, und sie gestanden, dass sie im Gemach nebenan seien. +Mustapha stuerzte in das Gemach und fand Fatme und Zoraide, die der +Laerm erweckt hatte. Schnell rafften diese ihren Schmuck und ihre +Kleider zusammen und folgten Mustapha; die beiden Raeuber schlugen +indes Orbasan vor, zu pluendern, was man faende; doch dieser verbot es +ihnen und sprach: "Man soll nicht von Orbasan sagen koennen, dass er +nachts in die Haeuser steige, um Gold zu stehlen!" Mustapha und die +Geretteten schluepften schnell in die Wasserleitung, wohin ihnen +Orbasan sogleich zu folgen versprach. Als jene in die Wasserleitung +hinabgestiegen waren, nahmen Orbasan und einer der Raeuber den Kleinen +und fuehrten ihn hinaus in den Hof; dort banden sie ihm eine seidene +Schnur, die sie deshalb mitgenommen hatten, um den Hals und hingen +ihn an der hoechsten Spitze des Brunnens auf. Nachdem sie so den +Verrat des Elenden bestraft hatten, stiegen sie selbst hinab in die +Wasserleitung und folgten Mustapha. Mit Traenen dankten die beiden +ihrem edelmuetigen Retter Orbasan; doch dieser trieb sie eilends zur +Flucht an, denn es war sehr wahrscheinlich, dass sie Thiuli-Kos nach +allen Seiten verfolgen liess. Mit tiefer Ruehrung trennten sich am +anderen Tag Mustapha und seine Geretteten von Orbasan; wahrlich, sie +werden ihn nie vergessen. Fatme aber, die befreite Sklavin, ging +verkleidet nach Balsora, um sich dort in ihre Heimat einzuschiffen. + +Nach einer kurzen und vergnuegten Reise kamen die Meinigen in die +Heimat. Meinen alten Vater toetete beinahe die Freude des +Wiedersehens; den anderen Tag nach ihrer Ankunft veranstaltete er ein +grosses Fest, an welchem die ganze Stadt teilnahm. Vor einer grossen +Versammlung von Verwandten und Freunden musste mein Bruder seine +Geschichte erzaehlen, und einstimmig priesen sie ihn und den edlen +Raeuber. + +Als aber mein Bruder geschlossen hatte, stand mein Vater auf und +fuehrte Zoraide ihm zu. "So loese ich denn", sprach er mit feierlicher +Stimme, "den Fluch von deinem Haupte; nimm diese hin als die +Belohnung, die du dir durch deinen rastlosen Eifer erkaempft hast; +nimm meinen vaeterlichen Segen, und moege es nie unserer Stadt an +Maennern fehlen, die an bruederlicher Liebe, an Klugheit und Eifer dir +gleichen!" + +Die Karawane hatte das Ende der Wueste erreicht, und froehlich +begruessten die Reisenden die gruenen Matten und die dichtbelaubten +Baeume, deren lieblichen Anblick sie viele Tage entbehrt hatten. In +einem schoenen Tale lag eine Karawanserei, die sie sich zum Nachtlager +waehlten, und obgleich sie wenig Bequemlichkeit und Erfrischung darbot, +so war doch die ganze Gesellschaft heiterer und zutraulicher als je; +denn der Gedanke, den Gefahren und Beschwerlichkeiten, die eine Reise +durch die Wueste mit sich bringt, entronnen zu sein, hatte alle Herzen +geoeffnet und die Gemueter zu Scherz und Kurzweil gestimmt. Muley, der +junge lustige Kaufmann, tanzte einen komischen Tanz und sang Lieder +dazu, die selbst dem ernsten Griechen Zaleukos ein Laecheln entlockten. +Aber nicht genug, dass er seine Gefaehrten durch Tanz und Spiel +erheitert hatte, er gab ihnen auch noch die Geschichte zum besten, +die er ihnen versprochen hatte, und hub, als er von seinen +Luftspruengen sich erholt hatte, also zu erzaehlen an: Die Geschichte +von dem kleinen Muck. + + + + +Die Geschichte von dem kleinen Muck + +Wilhelm Hauff + + +In Nicea, meiner lieben Vaterstadt, wohnte ein Mann, den man den +kleinen Muck hiess. Ich kann mir ihn, ob ich gleich damals noch sehr +jung war, noch recht wohl denken, besonders weil ich einmal von +meinem Vater wegen seiner halbtot gepruegelt wurde. Der kleine Muck +naemlich war schon ein alter Geselle, als ich ihn kannte; doch war er +nur drei bis vier Schuh hoch, dabei hatte er eine sonderbare Gestalt, +denn sein Leib, so klein und zierlich er war, musste einen Kopf tragen, +viel groesser und dicker als der Kopf anderer Leute; er wohnte ganz +allein in einem grossen Haus und kochte sich sogar selbst, auch haette +man in der Stadt nicht gewusst, ob er lebe oder gestorben sei, denn er +ging nur alle vier Wochen einmal aus, wenn nicht um die Mittagsstunde +ein maechtiger Dampf aus dem Hause aufgestiegen waere, doch sah man ihn +oft abends auf seinem Dache auf und ab gehen, von der Strasse aus +glaubte man aber, nur sein grosser Kopf allein laufe auf dem Dache +umher. Ich und meine Kameraden waren boese Buben, die jedermann gerne +neckten und belachten, daher war es uns allemal ein Festtag, wenn der +kleine Muck ausging; wir versammelten uns an dem bestimmten Tage vor +seinem Haus und warteten, bis er herauskam; wenn dann die Tuere +aufging und zuerst der grosse Kopf mit dem noch groesseren Turban +herausguckte, wenn das uebrige Koerperlein nachfolgte, angetan mit +einem abgeschabten Maentelein, weiten Beinkleidern und einem breiten +Guertel, an welchem ein langer Dolch hing, so lang, dass man nicht +wusste, ob Muck an dem Dolch, oder der Dolch an Muck stak, wenn er so +heraustrat, da ertoente die Luft von unserem Freudengeschrei, wir +warfen unsere Muetzen in die Hoehe und tanzten wie toll um ihn her. +Der kleine Muck aber gruesste uns mit ernsthaftem Kopfnicken und ging +mit langsamen Schritten die Strasse hinab. Wir Knaben liefen hinter +ihm her und schrien immer: "Kleiner Muck, kleiner Muck!" Auch hatten +wir ein lustiges Verslein, das wir ihm zu Ehren hier und da sangen; +es hiess: + +"Kleiner Muck, kleiner Muck, +Wohnst in einem grossen Haus, +Gehst nur all vier Wochen aus, +Bist ein braver, kleiner Zwerg, +Hast ein Koepflein wie ein Berg, +Schau dich einmal um und guck, +Lauf und fang uns, kleiner Muck!" + +So hatten wir schon oft unsere Kurzweil getrieben, und zu meiner +Schande muss ich es gestehen, ich trieb's am aergsten; denn ich zupfte +ihn oft am Maentelein, und einmal trat ich ihm auch von hinten auf die +grossen Pantoffeln, dass er hinfiel. Dies kam mir nun hoechst +laecherlich vor, aber das Lachen verging mir, als ich den kleinen Muck +auf meines Vaters Haus zugehen sah. Er ging richtig hinein und blieb +einige Zeit dort. Ich versteckte mich an der Haustuere und sah den +Muck wieder herauskommen, von meinem Vater begleitet, der ihn +ehrerbietig an der Hand hielt und an der Tuere unter vielen Buecklingen +sich von ihm verabschiedete. Mir war gar nicht wohl zumute; ich +blieb daher lange in meinem Versteck; endlich aber trieb mich der +Hunger, den ich aerger fuerchtete als Schlaege, heraus, und demuetig und +mit gesenktem Kopf trat ich vor meinen Vater. "Du hast, wie ich hoere, +den guten Muck beschimpft?" sprach er in sehr ernstem Tone. "Ich +will dir die Geschichte dieses Muck erzaehlen, und du wirst ihn gewiss +nicht mehr auslachen; vor- und nachher aber bekommst du das +Gewoehnliche." Das Gewoehnliche aber waren fuenfundzwanzig Hiebe, die er +nur allzu richtig aufzuzaehlen pflegte. Er nahm daher sein langes +Pfeifenrohr, schraubte die Bernsteinmundspitze ab und bearbeitete +mich aerger als je zuvor. + +Als die Fuenfundzwanzig voll waren, befahl er mir, aufzumerken, und +erzaehlte mir von dem kleinen Muck: + +Der Vater des kleinen Muck, der eigentlich Muckrah heisst, war ein +angesehener, aber armer Mann hier in Nicea. Er lebte beinahe so +einsiedlerisch wie jetzt sein Sohn. Diesen konnte er nicht wohl +leiden, weil er sich seiner Zwerggestalt schaemte, und liess ihn daher +auch in Unwissenheit aufwachsen. Der kleine Muck war noch in seinem +sechzehnten Jahr ein lustiges Kind, und der Vater, ein ernster Mann, +tadelte ihn immer, dass er, der schon laengst die Kinderschuhe +zertreten haben sollte, noch so dumm und laeppisch sei. + +Der Alte tat aber einmal einen boesen Fall, an welchem er auch starb +und den kleinen Muck arm und unwissend zurueckliess. Die harten +Verwandten, denen der Verstorbene mehr schuldig war, als er bezahlen +konnte, jagten den armen Kleinen aus dem Hause und rieten ihm, in die +Welt hinauszugehen und sein Glueck zu suchen. Der kleine Muck +antwortete, er sei schon reisefertig, bat sich aber nur noch den +Anzug seines Vaters aus, und dieser wurde ihm auch bewilligt. Sein +Vater war ein grosser, starker Mann gewesen, daher passten die Kleider +nicht. Muck aber wusste bald Rat; er schnitt ab, was zu lang war, und +zog dann die Kleider an. Er schien aber vergessen zu haben, dass er +auch in der Weite davon schneiden muesse, daher sein sonderbarer +Aufzug, wie er noch heute zu sehen ist; der grosse Turban, der breite +Guertel, die weiten Hosen, das blaue Maentelein, alles dies sind +Erbstuecke seines Vaters, die er seitdem getragen; den langen +Damaszenerdolch seines Vaters aber steckte er in den Guertel, ergriff +ein Stoecklein und wanderte zum Tor hinaus. + +Froehlich wanderte er den ganzen Tag; denn er war ja ausgezogen, um +sein Glueck zu suchen; wenn er eine Scherbe auf der Erde im +Sonnenschein glaenzen sah, so steckte er sie gewiss zu sich, im Glauben, +dass sie sich in den schoensten Diamanten verwandeln werde; sah er in +der Ferne die Kuppel einer Moschee wie Feuer strahlen, sah er einen +See wie einen Spiegel blinken, so eilte er voll Freude darauf zu; +denn er dachte, in einem Zauberland angekommen zu sein. Aber ach! +Jene Trugbilder verschwanden in der Naehe, und nur allzubald +erinnerten ihn seine Muedigkeit und sein vor Hunger knurrender Magen, +dass er noch im Lande der Sterblichen sich befinde. So war er zwei +Tage gereist unter Hunger und Kummer und verzweifelte, sein Glueck zu +finden; die Fruechte des Feldes waren seine einzige Nahrung, die harte +Erde sein Nachtlager. Am Morgen des dritten Tages erblickte er von +einer Anhoehe eine grosse Stadt. + +Hell leuchtete der Halbmond auf ihren Zinnen, bunte Fahnen +schimmerten auf den Daechern und schienen den kleinen Muck zu sich +herzuwinken. Ueberrascht stand er stille und betrachtete Stadt und +Gegend. "Ja, dort wird Klein-Muck sein Glueck finden", sprach er zu +sich und machte trotz seiner Muedigkeit einen Luftsprung, "dort oder +nirgends." Er raffte alle seine Kraefte zusammen und schritt auf die +Stadt zu. Aber obgleich sie ganz nahe schien, konnte er sie doch +erst gegen Mittag erreichen; denn seine kleinen Glieder versagten ihm +beinahe gaenzlich ihren Dienst, und er musste sich oft in den Schatten +einer Palme setzen, um auszuruhen. Endlich war er an dem Tor der +Stadt angelangt. Er legte sein Maentelein zurecht, band den Turban +schoener um, zog den Guertel noch breiter an und steckte den langen +Dolch schiefer; dann wischte er den Staub von den Schuhen, ergriff +sein Stoecklein und ging mutig zum Tor hinein. + +Er hatte schon einige Strassen durchwandert; aber nirgends oeffnete +sich ihm die Tuere, nirgends rief man, wie er sich vorgestellt hatte: +"Kleiner Muck, komm herein und iss und trink und lass deine Fuesslein +ausruhen!" + +Er schaute gerade auch wieder recht sehnsuechtig an einem grossen, +schoenen Haus hinauf; da oeffnete sich ein Fenster, eine alte Frau +schaute heraus und rief mit singender Stimme: + +"Herbei, herbei! +Gekocht ist der Brei, +Den Tisch liess ich decken, +Drum lasst es euch schmecken; +Ihr Nachbarn herbei, +Gekocht ist der Brei." + +Die Tuere des Hauses oeffnete sich, und Muck sah viele Hunde und Katzen +hineingehen. Er stand einige Augenblicke in Zweifel, ob er der +Einladung folgen sollte; endlich aber fasste er sich ein Herz und ging +in das Haus. Vor ihm her gingen ein paar junge Kaetzlein, und er +beschloss, ihnen zu folgen, weil sie vielleicht die Kueche besser +wuessten als er. + +Als Muck die Treppe hinaufgestiegen war, begegnete er jener alten +Frau, die zum Fenster herausgeschaut hatte. Sie sah ihn muerrisch an +und fragte nach seinem Begehr. "Du hast ja jedermann zu deinem Brei +eingeladen", antwortete der kleine Muck, "und weil ich so gar hungrig +bin, bin ich auch gekommen." + +Die Alte lachte und sprach: "Woher kommst du denn, wunderlicher +Gesell? Die ganze Stadt weiss, dass ich fuer niemand koche als fuer +meine lieben Katzen, und hier und da lade ich ihnen Gesellschaft aus +der Nachbarschaft ein, wie du siehst." + +Der kleine Muck erzaehlte der alten Frau, wie es ihm nach seines +Vaters Tod so hart ergangen sei, und bat sie, ihn heute mit ihren +Katzen speisen zu lassen. Die Frau, welcher die treuherzige +Erzaehlung des Kleinen wohl gefiel, erlaubte ihm, ihr Gast zu sein, +und gab ihm reichlich zu essen und zu trinken. Als er gesaettigt und +gestaerkt war, betrachtete ihn die Frau lange und sagte dann: "Kleiner +Muck, bleibe bei mir in meinem Dienste! Du hast geringe Muehe und +sollst gut gehalten sein." + +Der kleine Muck, dem der Katzenbrei geschmeckt hatte, willigte ein +und wurde also der Bedienstete der Frau Ahavzi. Er hatte einen +leichten, aber sonderbaren Dienst. Frau Ahavzi hatte naemlich zwei +Kater und vier Katzen, diesen musste der kleine Muck alle Morgen den +Pelz kaemmen und mit koestlichen Salben einreiben; wenn die Frau +ausging, musste er auf die Katzen Achtung geben, wenn sie assen, musste +er ihnen die Schuesseln vorlegen, und nachts musste er sie auf seidene +Polster legen und sie mit samtenen Decken einhuellen. Auch waren noch +einige kleine Hunde im Haus, die er bedienen musste, doch wurden mit +diesen nicht so viele Umstaende gemacht wie mit den Katzen, welche +Frau Ahavzi wie ihre eigenen Kinder hielt. Uebrigens fuehrte Muck +ein so einsames Leben wie in seines Vaters Haus, denn ausser der Frau +sah er den ganzen Tag nur Hunde und Katzen. Eine Zeitlang ging es +dem kleinen Muck ganz gut; er hatte immer zu essen und wenig zu +arbeiten, und die alte Frau schien recht zufrieden mit ihm zu sein, +aber nach und nach wurden die Katzen unartig, wenn die Alte +ausgegangen war, sprangen sie wie besessen in den Zimmern umher, +warfen alles durcheinander und zerbrachen manches schoene Geschirr, +das ihnen im Weg stand. Wenn sie aber die Frau die Treppe +heraufkommen hoerten, verkrochen sie sich auf ihre Polster und +wedelten ihr mit den Schwaenzen entgegen, wie wenn nichts geschehen +waere. Die Frau Ahavzi geriet dann in Zorn, wenn sie ihre Zimmer so +verwuestet sah, und schob alles auf Muck, er mochte seine Unschuld +beteuern, wie er wollte, sie glaubte ihren Katzen, die so unschuldig +aussahen, mehr als ihrem Diener. + +Der kleine Muck war sehr traurig, dass er also auch hier sein Glueck +nicht gefunden hatte, und beschloss bei sich, den Dienst der Frau +Ahavzi zu verlassen. Da er aber auf seiner ersten Reise erfahren +hatte, wie schlecht man ohne Geld lebt, so beschloss er, den Lohn, den +ihm seine Gebieterin immer versprochen, aber nie gegeben hatte, sich +auf irgendeine Art zu verschaffen. Es befand sich in dem Hause der +Frau Ahavzi ein Zimmer, das immer verschlossen war und dessen Inneres +er nie gesehen hatte. Doch hatte er die Frau oft darin rumoren +gehoert, und er haette oft fuer sein Leben gern gewusst, was sie dort +versteckt habe. Als er nun an sein Reisegeld dachte, fiel ihm ein, +dass dort die Schaetze der Frau versteckt sein koennten. Aber immer war +die Tuer fest verschlossen, und er konnte daher den Schaetzen nie +beikommen. + +Eines Morgens, als die Frau Ahavzi ausgegangen war, zupfte ihn eines +der Hundlein, welches von der Frau immer sehr stiefmuetterlich +behandelt wurde, dessen Gunst er sich aber durch allerlei +Liebesdienste in hohem Grade erworben hatte, an seinen weiten +Beinkleidern und gebaerdete sich dabei, wie wenn Muck ihm folgen +sollte. Muck, welcher gerne mit den Hunden spielte, folgte ihm, und +siehe da, das Hundlein fuehrte ihn in die Schlafkammer der Frau Ahavzi +vor eine kleine Tuere, die er nie zuvor dort bemerkt hatte. Die Tuere +war halb offen. Das Hundlein ging hinein, und Muck folgte ihm, und +wie freudig war er ueberrascht, als er sah, dass er sich in dem Gemach +befand, das schon lange das Ziel seiner Wuensche war. Er spaehte +ueberall umher, ob er kein Geld finden koenne, fand aber nichts. Nur +alte Kleider und wunderlich geformte Geschirre standen umher. Eines +dieser Geschirre zog seine besondere Aufmerksamkeit auf sich. Es war +von Kristall, und schoene Figuren waren darauf ausgeschnitten. Er hob +es auf und drehte es nach allen Seiten. Aber, o Schrecken! Er hatte +nicht bemerkt, dass es einen Deckel hatte, der nur leicht darauf +hingesetzt war. Der Deckel fiel herab und zerbrach in tausend Stuecke. + +Lange stand der kleine Muck vor Schrecken leblos. Jetzt war sein +Schicksal entschieden, jetzt musste er entfliehen, sonst schlug ihn +die Alte tot. Sogleich war auch seine Reise beschlossen, und nur +noch einmal wollte er sich umschauen, ob er nichts von den +Habseligkeiten der Frau Ahavzi zu seinem Marsch brauchen koennte. Da +fielen ihm ein Paar maechtig grosse Pantoffeln ins Auge; sie waren zwar +nicht schoen; aber seine eigenen konnten keine Reise mehr mitmachen; +auch zogen ihn jene wegen ihrer Groesse an; denn hatte er diese am Fuss, +so mussten ihm hoffentlich alle Leute ansehen, dass er die Kinderschuhe +vertreten habe. Er zog also schnell seine Toeffelein aus und fuhr in +die grossen hinein. Ein Spazierstoecklein mit einem schoen +geschnittenen Loewenkopf schien ihm auch hier allzu muessig in der Ecke +zu stehen; er nahm es also mit und eilte zum Zimmer hinaus. Schnell +ging er jetzt auf seine Kammer, zog sein Maentelein an, setzte den +vaeterlichen Turban auf, steckte den Dolch in den Guertel und lief, so +schnell ihn seine Fuesse trugen, zum Haus und zur Stadt hinaus. Vor +der Stadt lief er, aus Angst vor der Alten, immer weiter fort, bis er +vor Muedigkeit beinahe nicht mehr konnte. So schnell war er in seinem +Leben nicht gegangen; ja, es schien ihm, als koenne er gar nicht +aufhoeren zu rennen; denn eine unsichtbare Gewalt schien ihn +fortzureissen. Endlich bemerkte er, dass es mit den Pantoffeln eine +eigene Bewandtnis haben muesse; denn diese schossen immer fort und +fuehrten ihn mit sich. Er versuchte auf allerlei Weise stillzustehen; +aber es wollte nicht gelingen; da rief er in der hoechsten Not, wie +man den Pferden zuruft, sich selbst zu: "Oh--oh, halt, oh!" Da +hielten die Pantoffeln, und Muck warf sich erschoepft auf die Erde +nieder. + +Die Pantoffeln freuten ihn ungemein. So hatte er sich denn doch +durch seine Verdienste etwas erworben, das ihm in der Welt auf seinem +Weg das Glueck zu suchen, forthelfen konnte. Er schlief trotz seiner +Freude vor Erschoepfung ein; denn das Koerperlein des kleinen Muck, das +einen so schweren Kopf zu tragen hatte, konnte nicht viel aushalten. +Im Traum erschien ihm das Hundlein, welches ihm im Hause der Frau +Ahavzi zu den Pantoffeln verholfen hatte, und sprach zu ihm: "Lieber +Muck, du verstehst den Gebrauch der Pantoffeln noch nicht recht; +wisse, wenn du dich in ihnen dreimal auf dem Absatz herumdrehst, so +kannst du hinfliegen, wohin du nur willst, und mit dem Stoecklein +kannst du Schaetze finden, denn wo Gold vergraben ist, da wird es +dreimal auf die Erde schlagen, bei Silber zweimal." So traeumte der +kleine Muck. Als er aber aufwachte, dachte er ueber den wunderbaren +Traum nach und beschloss, alsbald einen Versuch zu machen. Er zog die +Pantoffeln an, lupfte einen Fuss und begann sich auf dem Absatz +umzudrehen. Wer es aber jemals versucht hat, in einem ungeheuer +weiten Pantoffel dieses Kunststueck dreimal hintereinander zu machen, +der wird sich nicht wundern, wenn es dem kleinen Muck nicht gleich +glueckte, besonders wenn man bedenkt, dass ihn sein schwerer Kopf bald +auf diese, bald auf jene Seite hinueberzog. + +Der arme Kleine fiel einigemal tuechtig auf die Nase; doch liess er +sich nicht abschrecken, den Versuch zu wiederholen, und endlich +glueckte es. Wie ein Rad fuhr er auf seinem Absatz herum, wuenschte +sich in die naechste grosse Stadt, und--die Pantoffeln ruderten hinauf +in die Luefte, liefen mit Windeseile durch die Wolken, und ehe sich +der kleine Muck noch besinnen konnte, wie ihm geschah, befand er sich +schon auf einem grossen Marktplatz, wo viele Buden aufgeschlagen waren +und unzaehlige Menschen geschaeftig hin und her liefen. Er ging unter +den Leuten hin und her, hielt es aber fuer ratsamer, sich in eine +einsamere Strasse zu begeben; denn auf dem Markt trat ihm bald da +einer auf die Pantoffeln, dass er beinahe umfiel, bald stiess er mit +seinem weit hinausstehenden Dolch einen oder den anderen an, dass er +mit Muehe den Schlaegen entging. + +Der kleine Muck bedachte nun ernstlich, was er wohl anfangen koennte, +um sich ein Stueck Geld zu verdienen; er hatte zwar ein Staeblein, das +ihm verborgene Schaetze anzeigte, aber wo sollte er gleich einen Platz +finden, wo Gold oder Silber vergraben waere? Auch haette er sich zur +Not fuer Geld sehen lassen koennen; aber dazu war er doch zu stolz. +Endlich fiel ihm die Schnelligkeit seiner Fuesse ein, "vielleicht", +dachte er, "koennen mir meine Pantoffeln Unterhalt gewaehren", und er +beschloss, sich als Schnellaeufer zu verdingen. Da er aber hoffen +durfte, dass der Koenig dieser Stadt solche Dienste am besten bezahle, +so erfragte er den Palast. Unter dem Tor des Palastes stand eine +Wache, die ihn fragte, was er hier zu suchen habe. Auf seine Antwort, +dass er einen Dienst suche, wies man ihn zum Aufseher der Sklaven. +Diesem trug er sein Anliegen vor und bat ihn, ihm einen Dienst unter +den koeniglichen Boten zu besorgen. Der Aufseher mass ihn mit seinen +Augen von Kopf bis zu den Fuessen und sprach: "Wie, mit deinen Fuesslein, +die kaum so lang als eine Spanne sind, willst du koeniglicher +Schnellaeufer werden? Hebe dich weg, ich bin nicht dazu da, mit jedem +Narren Kurzweil zu machen." Der kleine Muck versicherte ihm aber, dass +es ihm vollkommen ernst sei mit seinem Antrag und dass er es mit dem +Schnellsten auf eine Wette ankommen lassen wollte. Dem Aufseher kam +die Sache gar laecherlich vor; er befahl ihm, sich bis auf den Abend +zu einem Wettlauf bereitzuhalten, fuehrte ihn in die Kueche und sorgte +dafuer, dass ihm gehoerig Speis' und Trank gereicht wurde; er selbst +aber begab sich zum Koenig und erzaehlte ihm vom kleinen Muck und +seinem Anerbieten. Der Koenig war ein lustiger Herr, daher gefiel es +ihm wohl, dass der Aufseher der Sklaven den kleinen Menschen zu einem +Spass behalten habe, er befahl ihm, auf einer grossen Wiese hinter dem +Schloss Anstalten zu treffen, dass das Wettlaufen mit Bequemlichkeit +von seinem ganzen Hofstaat koennte gesehen werden, und empfahl ihm +nochmals, grosse Sorgfalt fuer den Zwerg zu haben. Der Koenig erzaehlte +seinen Prinzen und Prinzessinnen, was sie diesen Abend fuer ein +Schauspiel haben wuerden, diese erzaehlten es wieder ihren Dienern, und +als der Abend herankam, war man in gespannter Erwartung, und alles, +was Fuesse hatte, stroemte hinaus auf die Wiese, wo Gerueste +aufgeschlagen waren, um den grosssprecherischen Zwerg laufen zu sehen. + +Als der Koenig und seine Soehne und Toechter auf dem Geruest Platz +genommen hatten, trat der kleine Muck heraus auf die Wiese und machte +vor den hohen Herrschaften eine ueberaus zierliche Verbeugung. Ein +allgemeines Freudengeschrei ertoente, als man des Kleinen ansichtig +wurde; eine solche Figur hatte man dort noch nie gesehen. Das +Koerperlein mit dem maechtigen Kopf, das Maentelein und die weiten +Beinkleider, der lange Dolch in dem breiten Guertel, die kleinen +Fuesslein in den weiten Pantoffeln--nein! Es war zu drollig anzusehen, +als dass man nicht haette laut lachen sollen. Der kleine Muck liess +sich aber durch das Gelaechter nicht irremachen. Er stellte sich +stolz, auf sein Stoecklein gestuetzt, hin und erwartete seinen Gegner. +Der Aufseher der Sklaven hatte nach Mucks eigenem Wunsche den besten +Laeufer ausgesucht. Dieser trat nun heraus, stellte sich neben den +Kleinen, und beide harrten auf das Zeichen. Da winkte Prinzessin +Amarza, wie es ausgemacht war, mit ihrem Schleier, und wie zwei +Pfeile, auf dasselbe Ziel abgeschossen, flogen die beiden Wettlaeufer +ueber die Wiese hin. + +Von Anfang hatte Mucks Gegner einen bedeutenden Vorsprung, aber +dieser jagte ihm auf seinem Pantoffelfuhrwerk nach, holte ihn ein, +ueberfing ihn und stand laengst am Ziele, als jener noch, nach Luft +schnappend, daherlief. Verwunderung und Staunen fesselten einige +Augenblicke die Zuschauer, als aber der Koenig zuerst in die Haende +klatschte, da jauchzte die Menge, und alle riefen: "Hoch lebe der +kleine Muck, der Sieger im Wettlauf!" + +Man hatte indes den kleinen Muck herbeigebracht; er warf sich vor dem +Koenig nieder und sprach: "Grossmaechtigster Koenig, ich habe dir hier +nur eine kleine Probe meiner Kunst gegeben; wolle nur gestatten, dass +man mir eine Stelle unter deinen Laeufern gebe!" + +Der Koenig aber antwortete ihm: "Nein, du sollst mein Leiblaeufer und +immer um meine Person sein, lieber Muck, jaehrlich sollst du hundert +Goldstuecke erhalten als Lohn, und an der Tafel meiner ersten Diener +sollst du speisen." + +So glaubte denn Muck, endlich das Glueck gefunden zu haben, das er so +lange suchte, und war froehlich und wohlgemut in seinem Herzen. Auch +erfreute er sich der besonderen Gnade des Koenigs, denn dieser +gebrauchte ihn zu seinen schnellsten und geheimsten Sendungen, die er +dann mit der groessten Genauigkeit und mit unbegreiflicher Schnelle +besorgte. + +Aber die uebrigen Diener des Koenigs waren ihm gar nicht zugetan, weil +sie sich ungern durch einen Zwerg, der nichts verstand, als schnell +zu laufen, in der Gunst ihres Herrn zurueckgesetzt sahen. Sie +veranstalteten daher manche Verschwoerung gegen ihn, um ihn zu stuerzen; +aber alle schlugen fehl an dem grossen Zutrauen, das der Koenig in +seinen geheimen Oberleiblaeufer (denn zu dieser Wuerde hatte er es in +so kurzer Zeit gebracht) setzte. + +Muck, dem diese Bewegungen gegen ihn nicht entgingen, sann nicht auf +Rache, dazu hatte er ein zu gutes Herz, nein, auf Mittel dachte er, +sich bei seinen Feinden notwendig und beliebt zu machen. Da fiel ihm +sein Staeblein, das er in seinem Glueck ausser acht gelassen hatte, ein; +wenn er Schaetze finde, dachte er, wuerden ihm die Herren schon +geneigter werden. Er hatte schon oft gehoert, dass der Vater des +jetzigen Koenigs viele seiner Schaetze vergraben habe, als der Feind +sein Land ueberfallen; man sagte auch, er sei darueber gestorben, ohne +dass er sein Geheimnis habe seinem Sohn mitteilen koennen. Von nun an +nahm Muck immer sein Stoecklein mit, in der Hoffnung, einmal an einem +Ort vorueberzugehen, wo das Geld des alten Koenigs vergraben sei. +Eines Abends fuehrte ihn der Zufall in einen entlegenen Teil des +Schlossgartens, den er wenig besuchte, und ploetzlich fuehlte er das +Stoecklein in seiner Hand zucken, und dreimal schlug es gegen den +Boden. Nun wusste er schon, was dies zu bedeuten hatte. Er zog daher +seinen Dolch heraus, machte Zeichen in die umstellenden Baeume und +schlich sich wieder in das Schloss; dort verschaffte er sich einen +Spaten und wartete die Nacht zu seinem Unternehmen ab. + +Das Schatzgraben selbst machte uebrigens dem kleinen Muck mehr zu +schaffen, als er geglaubt hatte. + +Seine Arme waren gar zu schwach, sein Spaten aber gross und schwer; +und er mochte wohl schon zwei Stunden gearbeitet haben, ehe er ein +paar Fuss tief gegraben hatte. Endlich stiess er auf etwas Hartes, das +wie Eisen klang. Er grub jetzt emsiger, und bald hatte er einen +grossen eisernen Deckel zutage gefoerdert; er stieg selbst in die Grube +hinab, um nachzuspaehen, was wohl der Deckel koennte bedeckt haben, und +fand richtig einen grossen Topf, mit Goldstuecken angefuellt. Aber +seine schwachen Kraefte reichten nicht hin, den Topf zu heben, daher +steckte er in seine Beinkleider und seinen Guertel, so viel er zu +tragen vermochte, und auch sein Maentelein fuellte er damit, bedeckte +das uebrige wieder sorgfaeltig und lud es auf den Ruecken. Aber +wahrlich, wenn er die Pantoffeln nicht an den Fuessen gehabt haette, er +waere nicht vom Fleck gekommen, so zog ihn die Last des Goldes nieder. +Doch unbemerkt kam er auf sein Zimmer und verwahrte dort sein Gold +unter den Polstern seines Sofas. + +Als der kleine Muck sich im Besitz so vielen Goldes sah, glaubte er, +das Blatt werde sich jetzt wenden und er werde sich unter seinen +Feinden am Hofe viele Goenner und warme Anhaenger erwerben. Aber schon +daran konnte man erkennen, dass der gute Muck keine gar sorgfaeltige +Erziehung genossen haben musste, sonst haette er sich wohl nicht +einbilden koennen, durch Gold wahre Freunde zu gewinnen. Ach, dass er +damals seine Pantoffeln geschmiert und sich mit seinem Maentelein voll +Gold aus dem Staub gemacht haette! + +Das Gold, das der kleine Muck von jetzt an mit vollen Haenden +austeilte, erweckte den Neid der uebrigen Hofbediensteten. Der +Kuechenmeister Ahuli sagte: "Er ist ein Falschmuenzer." + +Der Sklavenaufseher Achmet sagte: "Er hat's dem Koenig abgeschwatzt." + +Archaz, der Schatzmeister, aber, sein aergster Feind, der selbst hier +und da einen Griff in des Koenigs Kasse tun mochte, sagte geradezu: +"Er hat's gestohlen." + +Um nun ihrer Sache gewiss zu sein, verabredeten sie sich, und der +Obermundschenk Korchuz stellte sich eines Tages recht traurig und +niedergeschlagen vor die Augen des Koenigs. Er machte seine traurigen +Gebaerden so auffallend, dass ihn der Koenig fragte, was ihm fehle. + +"Ah", antwortete er, "ich bin traurig, dass ich die Gnade meines Herrn +verloren habe." + +"Was fabelst du, Freund Korchuz?" entgegnete ihm der Koenig. "Seit +wann haette ich die Sonne meiner Gnade nicht ueber dich leuchten +lassen?" Der Obermundschenk antwortete ihm, dass er ja den geheimen +Oberleiblaeufer mit Gold belade, seinen armen, treuen Dienern aber +nichts gebe. + +Der Koenig war sehr erstaunt ueber diese Nachricht, liess sich die +Goldausteilungen des kleinen Muck erzaehlen, und die Verschworenen +brachten ihm leicht den Verdacht bei, dass Muck auf irgendeine Art das +Geld aus der Schatzkammer gestohlen habe. Sehr lieb war diese +Wendung der Sache dem Schatzmeister, der ohnehin nicht gerne Rechnung +ablegte. Der Koenig gab daher den Befehl, heimlich auf alle Schritte +des kleinen Muck achtzugeben, um ihn womoeglich auf der Tat zu +ertappen. Als nun in der Nacht, die auf diesen Unglueckstag folgte, +der kleine Muck, da er durch seine Freigebigkeit seine Kasse sehr +erschoepft sah, den Spaten nahm und in den Schlossgarten schlich, um +dort von seinem geheimen Schatze neuen Vorrat zu holen, folgten ihm +von weitem die Wachen, von dem Kuechenmeister Ahuli und Archaz, dem +Schatzmeister, angefuehrt, und in dem Augenblick, da er das Gold aus +dem Topf in sein Maentelein legen wollte, fielen sie ueber ihn her, +banden ihn und fuehrten ihn sogleich vor den Koenig. Dieser, den +ohnehin die Unterbrechung seines Schlafes muerrisch gemacht hatte, +empfing seinen armen Oberleiblaeufer sehr ungnaedig und stellte +sogleich das Verhoer ueber ihn an. Man hatte den Topf vollends aus der +Erde gegraben und mit dem Spaten und mit dem Maentelein voll Gold vor +die Fuesse des Koenigs gesetzt. Der Schatzmeister sagte aus, dass er mit +seinen Wachen den Muck ueberrascht habe, wie er diesen Topf mit Gold +gerade in die Erde gegraben habe. + +Der Koenig befragte hierauf den Angeklagten, ob es wahr sei und woher +er das Gold, das er vergraben, bekommen habe. + +Der kleine Muck, im Gefuehl seiner Unschuld, sagte aus, dass er diesen +Topf im Garten entdeckt habe, dass er ihn habe nicht ein-, sondern +ausgraben wollen. + +Alle Anwesenden lachten laut ueber diese Entschuldigung, der Koenig +aber, aufs hoechste erzuernt ueber die vermeintliche Frechheit des +Kleinen, rief aus: "Wie, Elender! Du willst deinen Koenig so dumm und +schaendlich beluegen, nachdem du ihn bestohlen hast? Schatzmeister +Archaz! Ich fordere dich auf, zu sagen, ob du diese Summe Goldes fuer +die naemliche erkennst, die in meinem Schatze fehlt." + +Der Schatzmeister aber antwortete, er sei seiner Sache ganz gewiss, so +viel und noch mehr fehle seit einiger Zeit von dem koeniglichen Schatz, +und er koenne einen Eid darauf ablegen, dass dies das Gestohlene sei. + +Da befahl der Koenig, den kleinen Muck in enge Ketten zu legen und in +den Turm zu fuehren; dem Schatzmeister aber uebergab er das Gold, um es +wieder in den Schatz zu tragen. Vergnuegt ueber den gluecklichen +Ausgang der Sache, zog dieser ab und zaehlte zu Haus die blinkenden +Goldstuecke; aber das hat dieser schlechte Mann niemals angezeigt, dass +unten in dem Topf ein Zettel lag, der sagte: "Der Feind hat mein Land +ueberschwemmt, daher verberge ich hier einen Teil meiner Schaetze; wer +es auch finden mag, den treffe der Fluch seines Koenigs, wenn er es +nicht sogleich meinem Sohne ausliefert! Koenig Sadi." + +Der kleine Muck stellte in seinem Kerker traurige Betrachtungen an; +er wusste, dass auf Diebstahl an koeniglichen Sachen der Tod gesetzt war, +und doch mochte er das Geheimnis mit dem Staebchen dem Koenig nicht +verraten, weil er mit Recht fuerchtete, dieses und seiner Pantoffeln +beraubt zu werden. Seine Pantoffeln konnten ihm leider auch keine +Hilfe bringen; denn da er in engen Ketten an die Mauer geschlossen +war, konnte er, so sehr er sich quaelte, sich nicht auf dem Absatz +umdrehen. Als ihm aber am anderen Tage sein Tod angekuendigt wurde, +da gedachte er doch, es sei besser, ohne das Zauberstaebchen zu leben +als mit ihm zu sterben, liess den Koenig um geheimes Gehoer bitten und +entdeckte ihm das Geheimnis. Der Koenig mass von Anfang an seinem +Gestaendnis keinen Glauben bei; aber der kleine Muck versprach eine +Probe, wenn ihm der Koenig zugestuende, dass er nicht getoetet werden +solle. + +Der Koenig gab ihm sein Wort darauf und liess, von Muck ungesehen, +einiges Gold in die Erde graben und befahl diesem, mit seinem +Staebchen zu suchen. In wenigen Augenblicken hatte er es gefunden; +denn das Staebchen schlug deutlich dreimal auf die Erde. Da merkte +der Koenig, dass ihn sein Schatzmeister betrogen hatte, und sandte ihm, +wie es im Morgenland gebraeuchlich ist, eine seidene Schnur, damit er +sich selbst erdrossle. Zum kleinen Muck aber sprach er: "Ich habe dir +zwar dein Leben versprochen; aber es scheint mir, als ob du nicht +allein dieses Geheimnis mit dem Staebchen besitzest; darum bleibst du +in ewiger Gefangenschaft, wenn du nicht gestehst, was fuer eine +Bewandtnis es mit deinem Schnellaufen hat." Der kleine Muck, den die +einzige Nacht im Turm alle Lust zu laengerer Gefangenschaft benommen +hatte, bekannte, dass seine ganze Kunst in den Pantoffeln liege, doch +lehrte er den Koenig nicht das Geheimnis von dem dreimaligen Umdrehen +auf dem Absatz. Der Koenig schluepfte selbst in die Pantoffeln, um die +Probe zu machen, und jagte wie unsinnig im Garten umher; oft wollte +er anhalten; aber er wusste nicht, wie man die Pantoffeln zum Stehen +brachte, und der kleine Muck, der diese kleine Rache sich nicht +versagen konnte, liess ihn laufen, bis er ohnmaechtig niederfiel. + +Als der Koenig wieder zur Besinnung zurueckgekehrt war, war er +schrecklich aufgebracht ueber den kleinen Muck, der ihn so ganz ausser +Atem hatte laufen lassen. "Ich habe dir mein Wort gegeben, dir +Freiheit und Leben zu schenken; aber innerhalb zwoelf Stunden musst du +mein Land verlassen, sonst lasse ich dich aufknoepfen!" Die Pantoffeln +und das Staebchen aber liess er in seine Schatzkammer legen. + +So arm als je wanderte der kleine Muck zum Land hinaus, seine Torheit +verwuenschend, die ihm vorgespiegelt hatte, er koenne eine bedeutende +Rolle am Hofe spielen. Das Land, aus dem er gejagt wurde, war zum +Glueck nicht gross, daher war er schon nach acht Stunden auf der Grenze, +obgleich ihn das Gehen, da er an seine lieben Pantoffeln gewoehnt war, +sehr sauer ankam. + +Als er ueber der Grenze war, verliess er die gewoehnliche Strasse, um die +dichteste Einoede der Waelder aufzusuchen und dort nur sich zu leben; +denn er war allen Menschen gram. In einem dichten Walde traf er auf +einen Platz, der ihm zu dem Entschluss, den er gefasst hatte, ganz +tauglich schien. Ein klarer Bach, von grossen, schattigen +Feigenbaeumen umgeben, ein weicher Rasen luden ihn ein; hier warf er +sich nieder mit dem Entschluss, keine Speise mehr zu sich zu nehmen, +sondern hier den Tod zu erwarten. Ueber traurigen +Todesbetrachtungen schlief er ein; als er aber wieder aufwachte und +der Hunger ihn zu quaelen anfing, bedachte er doch, dass der Hungertod +eine gefaehrliche Sache sei, und sah sich um, ob er nirgends etwas zu +essen bekommen koennte. + +Koestliche reife Feigen hingen an dem Baume, unter welchem er +geschlafen hatte; er stieg hinauf, um sich einige zu pfluecken, liess +es sich trefflich schmecken und ging dann hinunter an den Bach, um +seinen Durst zu loeschen. Aber wie gross war sein Schrecken, als ihm +das Wasser seinen Kopf mit zwei gewaltigen Ohren und einer dicken, +langen Nase geschmueckt zeigte! Bestuerzt griff er mit den Haenden nach +den Ohren, und wirklich, sie waren ueber eine halbe Elle lang. + +"Ich verdiene Eselsohren!" rief er aus; "denn ich habe mein Glueck wie +ein Esel mit Fuessen getreten." Er wanderte unter den Baeumen umher, und +als er wieder Hunger fuehlte, musste er noch einmal zu den Feigen seine +Zuflucht nehmen; denn sonst fand er nichts Essbares an den Baeumen. +Als ihm ueber der zweiten Portion Feigen einfiel, ob wohl seine Ohren +nicht unter seinem grossen Turban Platz haetten, damit er doch nicht +gar zu laecherlich aussehe, fuehlte er, dass seine Ohren verschwunden +waren. Er lief gleich an den Bach zurueck, um sich davon zu +ueberzeugen, und wirklich, es war so, seine Ohren hatten ihre vorige +Gestalt, seine lange, unfoermliche Nase war nicht mehr. Jetzt merkte +er aber, wie dies gekommen war; von dem ersten Feigenbaum hatte er +die lange Nase und Ohren bekommen, der zweite hatte ihn geheilt; +freudig erkannte er, dass sein guetiges Geschick ihm noch einmal die +Mittel in die Hand gebe, gluecklich zu sein. Er pflueckte daher von +jedem Baum so viel, wie er tragen konnte, und ging in das Land zurueck, +das er vor kurzem verlassen hatte. Dort machte er sich in dem +ersten Staedtchen durch andere Kleider ganz unkenntlich und ging dann +weiter auf die Stadt zu, die jener Koenig bewohnte, und kam auch bald +dort an. + +Es war gerade zu einer Jahreszeit, wo reife Fruechte noch ziemlich +selten waren; der kleine Muck setzte sich daher unter das Tor des +Palastes; denn ihm war von frueherer Zeit her wohl bekannt, dass hier +solche Seltenheiten von dem Kuechenmeister fuer die koenigliche Tafel +eingekauft wurden. Muck hatte noch nicht lange gesessen, als er den +Kuechenmeister ueber den Hof herueberschreiten sah. Er musterte die +Waren der Verkaeufer, die sich am Tor des Palastes eingefunden hatten; +endlich fiel sein Blick auch auf Mucks Koerbchen. "Ah, ein seltener +Bissen", sagte er, "der Ihro Majestaet gewiss behagen wird. Was willst +du fuer den ganzen Korb?" Der kleine Muck bestimmte einen maessigen +Preis, und sie waren bald des Handels einig. Der Kuechenmeister +uebergab den Korb einem Sklaven und ging weiter; der kleine Muck aber +macht sich einstweilen aus dem Staub, weil er befuerchtete, wenn sich +das Unglueck an den Koepfen des Hofes zeigte, moechte man ihn als +Verkaeufer aufsuchen und bestrafen. + +Der Koenig war ueber Tisch sehr heiter gestimmt und sagte seinem +Kuechenmeister einmal ueber das andere Lobsprueche wegen seiner guten +Kueche und der Sorgfalt, mit der er immer das Seltenste fuer ihn +aussuche; der Kuechenmeister aber, welcher wohl wusste, welchen +Leckerbissen er noch im Hintergrund habe, schmunzelte gar freundlich +und liess nur einzelne Worte fallen, als: "Es ist noch nicht aller +Tage Abend", oder "Ende gut, alles gut", so dass die Prinzessinnen +sehr neugierig wurden, was er wohl noch bringen werde. Als er aber +die schoenen, einladenden Feigen aufsetzen liess, da entfloh ein +allgemeines Ah! dem Munde der Anwesenden. + +"Wie reif, wie appetitlich!" rief der Koenig. "Kuechenmeister, du bist +ein ganzer Kerl und verdienst unsere ganz besondere Gnade!" Also +sprechend, teilte der Koenig, der mit solchen Leckerbissen sehr +sparsam zu sein pflegte, mit eigener Hand die Feigen an seiner Tafel +aus. Jeder Prinz und jede Prinzessin bekam zwei, die Hofdamen und +die Wesire und Agas eine, die uebrigen stellte er vor sich hin und +begann mit grossem Behagen sie zu verschlingen. + +"Aber, lieber Gott, wie siehst du so wunderlich aus, Vater?" rief auf +einmal die Prinzessin Amarza. Alle sahen den Koenig erstaunt an; +ungeheure Ohren hingen ihm am Kopf, eine lange Nase zog sich ueber +sein Kinn herunter; auch sich selbst betrachteten sie untereinander +mit Staunen und Schrecken; alle waren mehr oder minder mit dem +sonderbaren Kopfputz geschmeckt. + +Man denke sich den Schrecken des Hofes! Man schickte sogleich nach +allen Aerzten der Stadt; sie kamen haufenweise, verordneten Pillen und +Mixturen; aber die Ohren und die Nasen blieben. Man operierte einen +der Prinzen; aber die Ohren wuchsen nach. + +Muck hatte die ganze Geschichte in seinem Versteck, wohin er sich +zurueckgezogen hatte, gehoert und erkannte, dass es jetzt Zeit sei zu +handeln. Er hatte sich schon vorher von dem aus den Feigen geloesten +Geld einen Anzug verschafft, der ihn als Gelehrten darstellen konnte; +ein langer Bart aus Ziegenhaaren vollendete die Taeuschung. Mit einem +Saeckchen voll Feigen wanderte er in den Palast des Koenigs und bot als +fremder Arzt seine Hilfe an. Man war von Anfang sehr unglaeubig; als +aber der kleine Muck eine Feige einem der Prinzen zu essen gab und +Ohren und Nase dadurch in den alten Zustand zurueckbrachte, da wollte +alles von dem fremden Arzte geheilt sein. Aber der Koenig nahm ihn +schweigend bei der Hand und fuehrte ihn in sein Gemach; dort schloss er +eine Tuere auf, die in die Schatzkammer fuehrte, und winkte Muck, ihm +zu folgen. "Hier sind meine Schaetze", sprach der Koenig, "waehle dir, +was es auch sei, es soll dir gewaehrt werden, wenn du mich von diesem +schmachvollen Uebel befreist." + +Das war suesse Musik in des kleinen Muck Ohren; er hatte gleich beim +Eintritt seine Pantoffeln auf dem Boden stehen sehen, gleich daneben +lag auch sein Staebchen. Er ging nun umher in dem Saal, wie wenn er +die Schaetze des Koenigs bewundern wollte; kaum aber war er an seine +Pantoffeln gekommen, so schluepfte er eilends hinein, ergriff sein +Staebchen, riss seinen falschen Bart herab und zeigte dem erstaunten +Koenig das wohlbekannte Gesicht seines verstossenen Muck. "Treuloser +Koenig", sprach er, "der du treue Dienste mit Undank lohnst, nimm als +wohlverdiente Strafe die Missgestalt, die du traegst. Die Ohren lass +ich dir zurueck, damit sie dich taeglich erinnern an den kleinen Muck." +Als er so gesprochen hatte, drehte er sich schnell auf dem Absatz +herum, wuenschte sich weit hinweg, und ehe noch der Koenig um Hilfe +rufen konnte, war der kleine Muck entflohen. Seitdem lebt der kleine +Muck hier in grossem Wohlstand, aber einsam; denn er verachtet die +Menschen. Er ist durch Erfahrung ein weiser Mann geworden, welcher, +wenn auch sein Aeusseres etwas Auffallendes haben mag, deine +Bewunderung mehr als deinen Spott verdient. + +"So erzaehlte mir mein Vater; ich bezeugte ihm meine Reue ueber mein +rohes Betragen gegen den guten kleinen Mann, und mein Vater schenkte +mir die andere Haelfte der Strafe, die er mir zugedacht hatte. Ich +erzaehlte meinen Kameraden die wunderbaren Schicksale des Kleinen, und +wir gewannen ihn so lieb, dass ihn keiner mehr schimpfte. Im +Gegenteil, wir ehrten ihn, solange er lebte, und haben uns vor ihm +immer so tief wie vor Kadi und Mufti gebueckt." + +Die Reisenden beschlossen, einen Rasttag in dieser Karawanserei zu +machen, um sich und die Tiere zur weiteren Reise zu staerken. Die +gestrige Froehlichkeit ging auch auf diesen Tag ueber, und sie +ergoetzten sich in allerlei Spielen. Nach dem Essen aber riefen sie +dem fuenften Kaufmann, Ali Sizah, zu, auch seine Schuldigkeit gleich +den uebrigen zu tun und eine Geschichte zu erzaehlen. Er antwortete, +sein Leben sei zu arm an auffallenden Begebenheiten, als dass er ihnen +etwas davon mitteilen moechte, daher wolle er ihnen etwas anderes +erzaehlen, naemlich: Das Maerchen vom falschen Prinzen. + + + + +Das Maerchen vom falschen Prinzen + +Wilhelm Hauff + + +Es war einmal ein ehrsamer Schneidergeselle, namens Labakan, der bei +einem geschickten Meister in Alessandria sein Handwerk lernte. Man +konnte nicht sagen, dass Labakan ungeschickt mit der Nadel war, im +Gegenteil, er konnte recht feine Arbeit machen. Auch tat man ihm +unrecht, wenn man ihn geradezu faul schalt; aber ganz richtig war es +doch nicht mit dem Gesellen, denn er konnte oft stundenweis in einem +fort naehen, dass ihm die Nadel in der Hand gluehend ward und der Faden +rauchte, da gab es ihm dann ein Stueck wie keinem anderen; ein +andermal aber, und dies geschah leider oefters, sass er in tiefen +Gedanken, sah mit starren Augen vor sich hin und hatte dabei in +Gesicht und Wesen etwas so Eigenes, dass sein Meister und die uebrigen +Gesellen von diesem Zustand nie anders sprachen als: "Labakan hat +wieder sein vornehmes Gesicht." + +Am Freitag aber, wenn andere Leute vom Gebet ruhig nach Haus an ihre +Arbeit gingen, trat Labakan in einem schoenen Kleid, das er sich mit +vieler Muehe zusammengespart hatte, aus der Moschee, ging langsam und +stolzen Schrittes durch die Plaetze und Strassen der Stadt, und wenn +ihm einer seiner Kameraden ein "Friede sei mit dir", oder "Wie geht +es, Freund Labakan?" bot, so winkte er gnaedig mit der Hand oder +nickte, wenn es hoch kam, vornehm mit dem Kopf. Wenn dann sein +Meister im Spass zu ihm sagte: "An dir ist ein Prinz verlorengegangen, +Labakan", so freute er sich darueber und antwortete: "Habt Ihr das +auch bemerkt?" oder: "Ich habe es schon lange gedacht!" + +So trieb es der ehrsame Schneidergeselle Labakan schon eine geraume +Zeit, sein Meister aber duldete seine Narrheit, weil er sonst ein +guter Mensch und geschickter Arbeiter war. Aber eines Tages schickte +Selim, der Bruder des Sultans, der gerade durch Alessandria reiste, +ein Festkleid zu dem Meister, um einiges daran veraendern zu lassen, +und der Meister gab es Labakan, weil dieser die feinste Arbeit machte. +Als abends der Meister und die Gesellen sich hinwegbegeben hatten, +um nach des Tages Last sich zu erholen, trieb eine unwiderstehliche +Sehnsucht Labakan wieder in die Werkstatt zurueck, wo das Kleid des +kaiserlichen Bruders hing. Er stand lange sinnend davor, bald den +Glanz der Stickerei, bald die schillernden Farben des Samts und der +Seide an dem Kleide bewundernd. Er konnte nicht anders, er musste es +anziehen, und siehe da, es passte ihm so trefflich, wie wenn es fuer +ihn waere gemacht worden. "Bin ich nicht so gut ein Prinz als einer?" +fragte er sich, indem er im Zimmer auf und ab schritt. "Hat nicht +der Meister selbst schon gesagt, dass ich zum Prinzen geboren sei?" +Mit den Kleidern schien der Geselle eine ganz koenigliche Gesinnung +angezogen zu haben; er konnte sich nicht anders denken, als er sei +ein unbekannter Koenigssohn, und als solcher beschloss er, in die Welt +zu reisen und einen Ort zu verlassen, wo die Leute bisher so toericht +gewesen waren, unter der Huelle seines niederen Standes nicht seine +angebotene Wuerde zu erkennen. Das prachtvolle Kleid schien ihm von +einer guetigen Fee geschickt, er huetete sich daher wohl, ein so teures +Geschenk zu verschmaehen, steckte seine geringe Barschaft zu sich und +wanderte, beguenstigt von dem Dunkel der Nacht, aus Alessandrias Toren. + +Der neue Prinz erregte ueberall auf seiner Wanderschaft Verwunderung, +denn das prachtvolle Kleid und sein ernstes, majestaetisches Wesen +wollten gar nicht passen fuer einen Fussgaenger. Wenn man ihn darueber +befragte, pflegte er mit geheimnisvoller Miene zu antworten, dass das +seine eigenen Ursachen habe. Als er aber merkte, dass er sich durch +seine Fusswanderungen laecherlich machte, kaufte er um geringen Preis +ein altes Ross, welches sehr fuer ihn passte, da es ihn mit seiner +gesetzten Ruhe und Sanftmut nie in die Verlegenheit brachte, sich als +geschickter Reiter zeigen zu muessen, was gar nicht seine Sache war. + +Eines Tages, als er Schritt vor Schritt auf seinem Murva, so hatte er +sein Ross genannt,; seine Strasse zog, schloss sich ein Reiter an ihn an +und bat ihn, in seiner Gesellschaft reiten zu duerfen, weil ihm der +Weg viel kuerzer werde im Gespraech mit einem anderen. Der Reiter war +ein froehlicher, junger Mann, schoen und angenehm im Umgang. Er hatte +mit Labakan bald ein Gespraech angeknuepft ueber Woher und Wohin, und es +traf sich, dass auch er, wie der Schneidergeselle, ohne Plan in die +Welt hinauszog. Er sagte, er heisse Omar, sei der Neffe Elfi Beys, +des ungluecklichen Bassas von Kairo, und reise nun umher, um einen +Auftrag, den ihm sein Oheim auf dem Sterbebette erteilt habe, +auszurichten. Labakan liess sich nicht so offenherzig ueber seine +Verhaeltnisse aus, er gab ihm zu verstehen, dass er von hoher Abkunft +sei und zu seinem Vergnuegen reise. + +Die beiden jungen Herren fanden Gefallen aneinander und zogen fuerder. +Am zweiten Tage ihrer gemeinschaftlichen Reise fragte Labakan seinen +Gefaehrten Omar nach den Auftraegen, die er zu besorgen habe, und +erfuhr zu seinem Erstaunen folgendes: Elfi Bey, der Bassa von Kairo, +hatte den Omar seit seiner fruehesten Kindheit erzogen, und dieser +hatte seine Eltern nie gekannt. Als nun Elfi Bey von seinen Feinden +ueberfallen worden war und nach drei ungluecklichen Schlachten, toedlich +verwundet, fliehen musste, entdeckte er seinem Zoegling, dass er nicht +sein Neffe sei, sondern der Sohn eines maechtigen Herrschers, welcher +aus Furcht vor den Prophezeiungen seiner Sterndeuter den jungen +Prinzen von seinem Hofe entfernt habe, mit dem Schwur, ihn erst an +seinem zweiundzwanzigsten Geburtstage wiedersehen zu wollen. Elfi +Bey habe ihm den Namen seines Vaters nicht genannt, sondern ihm nur +aufs bestimmteste aufgetragen, am fuenften Tage des kommenden Monats +Ramadan, an welchem Tage er zweiundzwanzig Jahre alt werde, sich an +der beruehmten Saeule El-Serujah, vier Tagreisen oestlich von +Alessandria, einzufinden; dort soll er den Maennern, die an der Saeule +stehen wuerden, einen Dolch, den er ihm gab, ueberreichen mit den +Worten: "leer bin ich, den ihr suchet"; wenn sie antworteten: "Gelobt +sei der Prophet, der dich erhielt!", so solle er ihnen folgen, sie +wuerden ihn zu seinem Vater fuehren. + +Der Schneidergeselle Labakan war sehr erstaunt ueber diese Mitteilung, +er betrachtete von jetzt an den Prinzen Omar mit neidischen Augen, +erzuernt darueber, dass das Schicksal jenem, obgleich er schon fuer den +Neffen eines maechtigen Bassa galt, noch die Wuerde eines Fuerstensohnes +verliehen, ihm aber, den es mit allem, was einem Prinzen nottut, +ausgeruestet, gleichsam zum Hohn eine dunkle Geburt und einen +gewoehnlichen Lebensweg verliehen habe. Er stellte Vergleichungen +zwischen sich und dem Prinzen an. Er musste sich gestehen, es sei +jener ein Mann von sehr vorteilhafter Gesichtsbildung; schoene, +lebhafte Augen, eine kuehngebogene Nase, ein sanftes, zuvorkommendes +Benehmen, kurz, so viele Vorzuege des Aeusseren, die jemand empfehlen +koennen, waren jenem eigen. Aber so viele Vorzuege er auch an seinem +Begleiter fand, so gestand er sich doch bei diesen Beobachtungen, dass +ein Labakan dem fuerstlichen Vater wohl noch willkommener sein duerfte +als der wirkliche Prinz. + +Diese Betrachtungen verfolgten Labakan den ganzen Tag, mit ihnen +schlief er im naechsten Nachtlager ein, aber als er morgens aufwachte +und sein Blick auf den neben ihm schlafenden Omar fiel, der so ruhig +schlafen und von seinem gewissen Glueck traeumen konnte, da erwachte in +ihm der Gedanke, sich durch List oder Gewalt zu erstreben, was ihm +das unguenstige Schicksal versagt hatte. Der Dolch, das +Erkennungszeichen des heimkehrenden Prinzen, sah aus dem Guertel des +Schlafenden hervor, leise zog er ihn hervor, um ihn in die Brust des +Eigentuemers zu stossen. Doch vor dem Gedanken des Mordes entsetzte +sich die friedfertige Seele des Gesellen; er begnuegte sich, den Dolch +zu sich zu stecken, das schnellere Pferd des Prinzen fuer sich +aufzaeumen zu lassen, und ehe Omar aufwachte und sich aller seiner +Hoffnungen beraubt sah, hatte sein treuloser Gefaehrte schon einen +Vorsprung von mehreren Meilen. + +Es war gerade der erste Tag des heiligen Monats Ramadan, an welchem +Labakan den Raub an dem Prinzen begangen hatte, und er hatte also +noch vier Tage, um zu der Saeule El Serujah, welche ihm wohlbekannt +war, zu gelangen. Obgleich die Gegend, worin sich diese Saeule befand, +hoechstens noch zwei Tagreisen entfernt sein konnte, so beeilte er +sich doch hinzukommen, weil er immer fuerchtete, von dem wahren +Prinzen eingeholt zu werden. + +Am Ende des zweiten Tages erblickte Labakan die Saeule El-Serujah. +Sie stand auf einer kleinen Anhoehe in einer weiten Ebene und konnte +auf zwei bis drei Stunden gesehen werden. Labakans Herz pochte +lauter bei diesem Anblick; obgleich er die letzten zwei Tage hindurch +Zeit genug gehabt, ueber die Rolle, die er zu spielen hatte, +nachzudenken, so machte ihn doch das boese Gewissen etwas aengstlich, +aber der Gedanke, dass er zum Prinzen geboren sei, staerkte ihn wieder, +so dass er getroesteter seinem Ziele entgegenging. + +Die Gegend um die Saeule El-Serujah war unbewohnt und oede, und der +neue Prinz waere wegen seines Unterhalts etwas in Verlegenheit +gekommen, wenn er sich nicht auf mehrere Tage versehen haette. Er +lagerte sich also neben seinem Pferd unter einigen Palmen und +erwartete dort sein ferneres Schicksal. + +Gegen die Mitte des anderen Tages sah er einen grossen Zug von Pferden +und Kamelen ueber die Ebene her auf die Saeule El-Serujah zuziehen. +Der Zug hielt am Fusse des Huegels, auf welchem die Saeule stand, man +schlug praechtige Zelte auf, und das Ganze sah aus wie der Reisezug +eines reichen Bassa oder Scheik. Labakan ahnte, dass die vielen Leute, +welche er sah, sich seinetwegen hierher bemueht hatten, und haette +ihnen gerne schon heute ihren kuenftigen Gebieter gezeigt; aber er +maessigte seine Begierde, als Prinz aufzutreten, da ja doch der naechste +Morgen seine kuehnsten Wuensche vollkommen befriedigen musste. + +Die Morgensonne weckte den uebergluecklichen Schneider zu dem +wichtigsten Augenblick seines Lebens, welcher ihn aus einem niederen, +unbekannten Sterblichen an die Seite eines fuerstlichen Vaters erheben +sollte; zwar fiel ihm, als er sein Pferd aufzaeumte, um zu der Saeule +hinzureiten, wohl auch das Unrechtmaessige seines Schrittes ein; zwar +fuehrten ihm seine Gedanken den Schmerz des in seinen schoenen +Hoffnungen betrogenen Fuerstensohnes vor, aber--der Wuerfel war +geworfen, er konnte nicht mehr ungeschehen machen, was geschehen war, +und seine Eigenliebe fluesterte ihm zu, dass er stattlich genug aussehe, +um dem maechtigsten Koenig sich als Sohn vorzustellen; ermutigt durch +diesen Gedanken, schwang er sich auf sein Ross, nahm alle seine +Tapferkeit zusammen, um es in einen ordentlichen Galopp zu bringen, +und in weniger als einer Viertelstunde war er am Fusse des Huegels +angelangt. Er stieg ab von seinem Pferd und band es an eine Staude, +deren mehrere an dem Huegel wuchsen; hierauf zog er den Dolch des +Prinzen Omar hervor und stieg den Huegel hinan. Am Fuss der Saeule +standen sechs Maenner um einen Greis von hohem, koeniglichem Ansehen; +ein prachtvoller Kaftan von Goldstoff, mit einem weissen Kaschmirschal +umguertet, der weisse, mit blitzenden Edelsteinen geschmueckte Turban +bezeichneten ihn als einen Mann von Reichtum und Wuerde. + +Auf ihn ging Labakan zu, neigte sich tief vor ihm und sprach, indem +er den Dolch darreichte: "Hier bin ich, den Ihr suchet. " + +"Gelobt sei der Prophet, der dich erhielt!" antwortete der Greis mit +Freudentraenen. "Umarme deinen alten Vater, mein geliebter Sohn Omar!" +Der gute Schneider war sehr geruehrt durch diese feierlichen Worte +und sank mit einem Gemisch von Freude und Scham in die Arme des alten +Fuersten. + +Aber nur einen Augenblick sollte er ungetruebt die Wonne seines neuen +Standes geniessen; als er sich aus den Armen des fuerstlichen Greises +aufrichtete, sah er einen Reiter ueber die Ebene her auf den Huegel +zueilen. Der Reiter und sein Ross gewaehrten einen sonderbaren Anblick; +das Ross schien aus Eigensinn oder Muedigkeit nicht vorwaerts zu wollen, +in einem stolpernden Gang, der weder Schritt noch Trab war, zog es +daher, der Reiter aber trieb es mit Haenden und Fuessen zu schnellerem +Laufe an. Nur zu bald erkannte Labakan sein Ross Murva und den echten +Prinzen Omar, aber der boese Geist der Luege war einmal in ihn gefahren, +und er beschloss, wie es auch kommen moege, mit eiserner Stirne seine +angemassten Rechte zu behaupten. + +Schon aus der Ferne hatte man den Reiter winken gesehen; jetzt war er +trotz des schlechten Trabes des Rosses Murva am Fusse des Huegels +angekommen, warf sich vom Pferd und stuerzte den Huegel hinan. "Haltet +ein!" rief er. "Wer ihr auch sein moeget, haltet ein und lasst euch +nicht von dem schaendlichsten Betrueger taeuschen; ich heisse Omar, und +kein Sterblicher wage es, meinen Namen zu missbrauchen!" + +Auf den Gesichtern der Umstehenden malte sich tiefes Erstaunen ueber +diese Wendung der Dinge; besonders schien der Greis sehr betroffen, +indem er bald den einen, bald den anderen fragend ansah; Labakan aber +sprach mit muehsam errungener Ruhe: "Gnaedigster Herr und Vater, lasst +Euch nicht irremachen durch diesen Menschen da! Es ist, soviel ich +weiss, ein wahnsinniger Schneidergeselle aus Alessandria, Labakan +geheissen, der mehr unser Mitleid als unseren Zorn verdient." + +Bis zur Raserei aber brachten diese Worte den Prinzen; schaeumend vor +Wut wollte er auf Labakan eindringen, aber die Umstehenden warfen +sich dazwischen und hielten ihn fest, und der Fuerst sprach: +"Wahrhaftig, mein lieber Sohn, der arme Mensch ist verrueckt; man +binde ihn und setze ihn auf eines unserer Dromedare, vielleicht, dass +wir dem Ungluecklichen Hilfe schaffen koennen." + +Die Wut des Prinzen hatte sich gelegt, weinend rief er dem Fuersten zu: +"Mein Herz sagt mir, dass Ihr mein Vater seid; bei dem Andenken +meiner Mutter beschwoere ich Euch, hoert mich an!" + +"Ei, Gott bewahre uns!" antwortete dieser, "er faengt schon wieder an, +irre zu reden, wie doch der Mensch auf so tolle Gedanken kommen kann!" +Damit ergriff er Labakans Arm und liess sich von ihm den Huegel +hinuntergeleiten; sie setzten sich beide auf schoene, mit reichen +Decken behaengte Pferde und ritten an der Spitze des Zuges ueber die +Ebene hin. Dem ungluecklichen Prinzen aber fesselte man die Haende und +band ihn auf einem Dromedar fest, und zwei Reiter waren ihm immer zur +Seite, die ein wachsames Auge auf jede seiner Bewegungen hatten. + +Der fuerstliche Greis war Saaud, der Sultan der Wechabiten. Er hatte +lange ohne Kinder gelebt, endlich wurde ihm ein Prinz geboren, nach +dem er sich so lange gesehnt hatte; aber die Sterndeuter, welche er +um die Vorbedeutungen des Knaben befragte, taten den Ausspruch, "dass +er bis ins zweiundzwanzigste Jahr in Gefahr stehe, von einem Feinde +verdraengt zu werden", deswegen, um recht sicherzugehen, hatte der +Sultan den Prinzen seinem alten, erprobten Freunde Elfi-Bey zum +Erziehen gegeben und zweiundzwanzig schmerzliche Jahre auf seinen +Anblick geharrt. + +Dieses hatte der Sultan seinem (vermeintlichen) Sohne erzaehlt und +sich ihm ausserordentlich zufrieden mit seiner Gestalt und seinem +wuerdevollen Benehmen gezeigt. + +Als sie in das Land des Sultans kamen, wurden sie ueberall von den +Einwohnern mit Freudengeschrei empfangen; denn das Geruecht von der +Ankunft des Prinzen hatte sich wie ein Lauffeuer durch alle Staedte +und Doerfer verbreitet. Auf den Strassen, durch welche sie zogen, +waren Boegen von Blumen und Zweigen errichtet, glaenzende Teppiche von +allen Farben schmeckten die Haeuser, und das Volk pries laut Gott und +seinen Propheten, der ihnen einen so schoenen Prinzen gesandt habe. +Alles dies erfuellte das stolze Herz des Schneiders mit Wonne; desto +ungluecklicher musste sich aber der echte Omar fuehlen, der, noch immer +gefesselt, in stiller Verzweiflung dem Zuge folgte. Niemand kuemmerte +sich um ihn bei dem allgemeinen Jubel, der doch ihm galt; den Namen +Omar riefen tausend und wieder tausend Stimmen, aber ihn, der diesen +Namen mit Recht trug, ihn beachtete keiner; hoechstens fragte einer +oder der andere, wen man denn so fest gebunden mit fortfahre, und +schrecklich toente in das Ohr des Prinzen die Antwort seiner Begleiter, +es sei ein wahnsinniger Schneider. + +Der Zug war endlich in die Hauptstadt des Sultans gekommen, wo alles +noch glaenzender zu ihrem Empfang bereitet war als in den uebrigen +Staedten. Die Sultanin, eine aeltliche, ehrwuerdige Frau, erwartete sie +mit ihrem ganzen Hofstaat in dem prachtvollsten Saal des Schlosses. +Der Boden dieses Saales war mit einem ungeheuren Teppich bedeckt, die +Waende waren mit hellblauem Tuch geschmeckt, das in goldenen Quasten +und Schnueren an grossen, silbernen Haken hing. + +Es war schon dunkel, als der Zug anlangte, daher waren im Saale viele +kugelrunde, farbige Lampen angezuendet, welche die Nacht zum Tag +erhellten. Am klarsten und vielfarbigsten strahlten sie aber im +Hintergrund des Saales, wo die Sultanin auf einem Throne sass. Der +Thron stand auf vier Stufen und war von lauterem Golde und mit grossen +Amethysten ausgelegt. Die vier vornehmsten Emire hielten einen +Baldachin von roter Seide ueber dem Haupte der Sultanin, und der +Scheik von Medina faechelte ihr mit einer Windfuchtel von weissen +Pfauenfedern Kuehlung zu. + +So erwartete die Sultanin ihren Gemahl und ihren Sohn, auch sie hatte +ihn seit seiner Geburt nicht mehr gesehen, aber bedeutsam Traeume +hatten ihr den Ersehnten gezeigt, dass sie ihn aus Tausenden erkennen +wollte. Jetzt hoerte man das Geraeusch des nahenden Zuges, Trompeten +und Trommeln mischten sich in das Zujauchzen der Menge, der Hufschlag +der Rosse toente im Hof des Palastes, naeher und naeher rauschten die +Tritte der Kommenden, die Tueren des Saales flogen auf, und durch die +Reihen der niederfallenden Diener eilte der Sultan an der Hand seines +Sohnes vor den Thron der Mutter. + +"Hier", sprach er, "bringe ich dir den, nach welchem du dich so lange +gesehnet." + +Die Sultanin aber fiel ihm in die Rede: "Das ist mein Sohn nicht!" +rief sie aus, "das sind nicht die Zuege, die mir der Prophet im Traume +gezeigt hat!" + +Gerade, als ihr der Sultan ihren Aberglauben verweisen wollte, sprang +die Tuere des Saales auf. Prinz Omar stuerzte herein, verfolgt von +seinen Waechtern, denen er sich mit Anstrengung aller seiner Kraft +entrissen hatte, er warf sich atemlos vor dem Throne nieder: "leer +will ich sterben, lasst mich toeten, grausamer Vater; denn diese +Schmach dulde ich nicht laenger!" + +Alles war bestuerzt ueber diese Reden; man draengte sich um den +Ungluecklichen her, und schon wollten ihn die herbeieilenden Wachen +ergreifen und ihm wieder seine Bande anlegen, als die Sultanin, die +in sprachlosem Erstaunen dieses alles mit angesehen hatte, von dem +Throne aufsprang. "Haltet ein!" rief sie, "dieser und kein anderer +ist der Rechte, dieser ist's, den meine Augen nie gesehen und den +mein Herz doch gekannt hat!" + +Die Waechter hatten unwillkuerlich von Omar abgelassen, aber der Sultan, +entflammt von wuetendem Zorn, rief ihnen zu, den Wahnsinnigen zu +binden: "Ich habe hier zu entscheiden", sprach er mit gebietender +Stimme, "und hier richtet man nicht nach den Traeumen der Weiber, +sondern nach gewissen, untrueglichen Zeichen. Dieser hier (indem er +auf Labakan zeigte) ist mein Sohn; denn er hat mir das Wahrzeichen +meines Freundes Elfi, den Dolch, gebracht." + +"Gestohlen hat er ihn", schrie Omar, "mein argloses Vertrauen hat er +zum Verrat missbraucht!" Der Sultan aber hoerte nicht auf die Stimme +seines Sohnes; denn er war in allen Dingen gewohnt, eigensinnig nur +seinem Urteil zu folgen; daher liess er den ungluecklichen Omar mit +Gewalt aus dem Saal schleppen. Er selbst aber begab sich mit Labakan +in sein Gemach, voll Wut ueber die Sultanin, seine Gemahlin, mit der +er doch seit fuenfundzwanzig Jahren in Frieden gelebt hatte. + +Die Sultanin aber war voll Kummer ueber diese Begebenheiten; sie war +vollkommen ueberzeugt, dass ein Betrueger sich des Herzens des Sultans +bemaechtigt hatte, denn jenen Ungluecklichen hatten ihr so viele +bedeutsam Traeume als ihren Sohn gezeigt. + +Als sich ihr Schmerz ein wenig gelegt hatte, sann sie auf Mittel, um +ihren Gemahl von seinem Unrecht zu ueberzeugen. Es war dies +allerdings schwierig; denn jener, der sich fuer ihren Sohn ausgab, +hatte das Erkennungszeichen, den Dolch, ueberreicht und hatte auch, +wie sie erfuhr, so viel von Omars frueherem Leben von diesem selbst +sich erzaehlen lassen, dass er seine Rolle, ohne sich zu verraten, +spielte. + +Sie berief die Maenner zu sich, die den Sultan zu der Saeule El-Serujah +begleitet hatten, um sich alles genau erzaehlen zu lassen, und hielt +dann mit ihren vertrautesten Sklavinnen Rat. Sie waehlten und +verwarfen dies und jenes Mittel; endlich sprach Melechsalah, eine +alte, kluge Zierkassierin: "Wenn ich recht gehoert habe, verehrte +Gebieterin, so nannte der Ueberbringer des Dolches den, welchen du fuer +deinen Sohn haeltst, Labakan, einen verwirrten Schneider?" + +"Ja, so ist es", antwortete die Sultanin, "aber was willst du damit?" + +"Was meint Ihr", fuhr jene fort, "wenn dieser Betrueger Eurem Sohn +seinen eigenen Namen aufgeheftet haette?--Und wenn dies ist, so gibt +es ein herrliches Mittel, den Betrueger zu fangen, das ich Euch ganz +im geheimen sagen will." Die Sultanin bot ihrer Sklavin das Ohr, und +diese fluesterte ihr einen Rat zu, der ihr zu behagen schien, denn sie +schickte sich an, sogleich zum Sultan zu gehen. + +Die Sultanin war eine kluge Frau, welche wohl die schwachen Seiten +des Sultans kannte und sie zu benuetzen verstand. Sie schien daher, +ihm nachgeben und den Sohn anerkennen zu wollen, und bat sich nur +eine Bedingung aus; der Sultan, dem sein Aufbrausen gegen seine Frau +leid tat, gestand die Bedingung zu, und sie sprach: "Ich moechte gerne +den beiden eine Probe ihrer Geschicklichkeit auferlegen; eine andere +wuerde sie vielleicht reiten, fechten oder Speere werfen lassen, aber +das sind Sachen, die ein jeder kann; nein, ich will ihnen etwas geben, +wozu Scharfsinn gehoert! Es soll naemlich jeder von ihnen einen +Kaftan und ein Paar Beinkleider verfertigen, und da wollen wir einmal +sehen, wer die schoensten macht." + +Der Sultan lachte und sprach: "Ei, da hast du ja etwas recht Kluges +ausgesonnen. Mein Sohn sollte mit deinem wahnsinnigen Schneider +wetteifern, wer den besten Kaftan macht? Nein, das ist nichts." + +Die Sultanin aber berief sich darauf, dass er ihr die Bedingung zum +Voraus zugesagt habe, und der Sultan, welcher ein Mann von Wort war, +gab endlich nach, obgleich er schwor, wenn der wahnsinnige Schneider +seinen Kaftan auch noch so schoen mache, koenne er ihn doch nicht fuer +seinen Sohn erkennen. + +Der Sultan ging selbst zu seinem Sohn und bat ihn, sich in die +Grillen seiner Mutter zu schicken, die nun einmal durchaus einen +Kaftan von seiner Hand zu sehen wuensche. Dem guten Labakan lachte +das Herz vor Freude; wenn es nur an dem fehlt, dachte er bei sich, da +soll die Frau Sultanin bald Freude an mir erleben. + +Man hatte zwei Zimmer eingerichtet, eines fuer den Prinzen, das andere +fuer den Schneider; dort sollten sie ihre Kunst erproben, und man +hatte jedem nur ein hinlaengliches Stueck Seidenzeug, Schere, Nadel und +Faden gegeben. + +Der Sultan war sehr begierig, was fuer ein Ding von Kaftan wohl sein +Sohn zutage foerdern werde, aber auch der Sultanin pochte unruhig das +Herz, ob ihre List wohl gelingen werde oder nicht. Man hatte den +beiden zwei Tage zu ihrem Geschaeft ausgesetzt, am dritten liess der +Sultan seine Gemahlin rufen, und als sie erschienen war, schickte er +in jene zwei Zimmer, um die beiden Kaftane und ihre Verfertiger holen +zu lassen. Triumphierend trat Labakan ein und breitete seinen Kaftan +vor den erstaunten Blicken des Sultans aus. "Siehe her, Vater", +sprach er, "siehe her, verehrte Mutter, ob dies nicht ein +Meisterstueck von einem Kaftan ist? Da lass ich es mit dem +geschicktesten Hofschneider auf eine Wette ankommen, ob er einen +solchen herausbringt." + +Die Sultanin laechelte und wandte sich zu Omar: "Und was hast du +herausgebracht, mein Sohn?" + +Unwillig warf dieser den Seidenstoff und die Schere auf den Boden: +"Man hat mich gelehrt, ein Ross zu baendigen und einen Saebel zu +schwingen, und meine Lanze trifft auf sechzig Gaenge ihr Ziel--aber +die Kuenste der Nadel sind mir fremd, sie waeren auch unwuerdig fuer +einen Zoegling Elfi Beys, des Beherrschers von Kairo." + +"Oh, du echter Sohn meines Herrn", rief die Sultanin, "ach, dass ich +dich umarmen, dich Sohn nennen duerfte! Verzeihet, mein Gemahl und +Gebieter", sprach sie dann, indem sie sich zum Sultan wandte, "dass +ich diese List gegen Euch gebraucht habe; sehet Ihr jetzt noch nicht +ein, wer Prinz und wer Schneider ist; fuerwahr, der Kaftan ist +koestlich, den Euer Herr Sohn gemacht hat, und ich moechte ihn gerne +fragen, bei welchem Meister er gelernt habe." + +Der Sultan sass in tiefen Gedanken, misstrauisch bald seine Frau, bald +Labakan anschauend, der umsonst sein Erroeten und seine Bestuerzung, +dass er sich so dumm verraten habe, zu bekaempfen suchte. "Auch dieser +Beweis genuegt nicht", sprach er, "aber ich weiss, Allah sei es gedankt, +ein Mittel, zu erfahren, ob ich betrogen bin oder nicht." + +Er befahl, sein schnellstes Pferd vorzufahren, schwang sich auf und +ritt in einen Wald, der nicht weit von der Stadt begann. Dort wohnte +nach einer alten Sage eine guetige Fee, Adolzaide geheissen, welche oft +schon den Koenigen seines Stammes in der Stunde der Not mit ihrem Rat +beigestanden war; dorthin eilte der Sultan. + +In der Mitte des Waldes war ein freier Platz, von hohen Zedern +umgeben. Dort wohnte nach der Sage die Fee, und selten betrat ein +Sterblicher diesen Platz, denn eine gewisse Scheu davor hatte sich +aus alten Zeiten vom Vater auf den Sohn vererbt. + +Als der Sultan dort angekommen war, stieg er ab, band sein Pferd an +einen Baum, stellte sich in die Mitte des Platzes und sprach mit +lauter Stimme: "Wenn es wahr ist, dass du meinen Vaetern guetigen Rat +erteiltest in der Stunde der Not, so verschmaehe nicht die Bitte ihres +Enkels und rate mir, wo menschlicher Verstand zu kurzsichtig ist!" + +Er hatte kaum die letzten Worte gesprochen, als sich eine der Zedern +oeffnete und eine verschleierte Frau in langen, weissen Gewaendern +hervortrat. "Ich weiss, warum du zu mir kommst, Sultan Saaud, dein +Wille ist redlich; darum soll dir auch meine Hilfe werden. Nimm +diese zwei Kistchen! Lass jene beiden, welche deine Soehne sein wollen, +waehlen! Ich weiss, dass der, welcher der echte ist, das rechte nicht +verfehlen wird." So sprach die Verschleierte und reichte ihm zwei +kleine Kistchen von Elfenbein, reich mit Gold und Perlen verziert; +auf den Deckeln, die der Sultan vergebens zu oeffnen versuchte, +standen Inschriften von eingesetzten Diamanten. + +Der Sultan besann sich, als er nach Hause ritt, hin und her, was wohl +in den Kistchen sein koennte, welche er mit aller Muehe nicht zu oeffnen +vermochte. Auch die Aufschrift gab ihm kein Licht in der Sache; denn +auf dem einen stand: "Ehre und Ruhm", auf dem anderen: "Glueck und +Reichtum". Der Sultan dachte bei sich, da wuerde auch ihm die Wahl +schwer werden unter diesen beiden Dingen, die gleich anziehend, +gleich lockend seien. + +Als er in seinen Palast zurueckgekommen war, liess er die Sultanin +rufen und sagte ihr den Ausspruch der Fee, und eine wunderbare +Hoffnung erfuellte sie, dass jener, zu dem ihr Herz sie hinzog, das +Kistchen waehlen Wuerde, welches seine koenigliche Abkunft beweisen +sollte. + +Vor dem Ibrone des Sultans wurden zwei Tische aufgestellt; auf sie +setzte der Sultan mit eigener Hand die beiden Kistchen, bestieg dann +den Thron und winkte einem seiner Sklaven, die Pforte des Saales zu +oeffnen. Eine glaenzende Versammlung von Bassas und Emiren des Reiches, +die der Sultan berufen hatte, stroemte durch die geoeffnete Pforte. +Sie liessen sich auf prachtvollen Polstern nieder, welche die Waende +entlang aufgestellt waren. + +Als sie sich alle niedergelassen hatten, winkte der Koenig zum +zweitenmal, und Labakan wurde hereingefuehrt. Mit stolzem Schritte +ging er durch den Saal, warf sich vor dem Throne nieder und sprach: +"Was befiehlt mein Herr und Vater?" + +Der Sultan erhob sich auf seinem Thron und sprach: "Mein Sohn! Es +sind Zweifel an der Echtheit deiner Ansprueche auf diesen Namen +erhoben worden; eines jener Kistchen enthaelt die Bestaetigung deiner +echten Geburt, waehle! Ich zweifle nicht, du wirst das rechte waehlen!" + +Labakan erhob sich und trat vor die Kistchen, er erwog lange, was er +waehlen sollte, endlich sprach er: "Verehrter Vater! Was kann es +Hoeheres geben als das Glueck, dein Sohn zu sein, was Edleres als den +Reichtum deiner Gnade? Ich waehle das Kistchen, das die Aufschrift +"Gliick und Reichtum" zeigt." + +"Wir werden nachher erfahren, ob du recht gewaehlt hast; einstweilen +setze dich dort auf das Polster zum Bassa von Medina", sagte der +Sultan und winkte seinen Sklaven. + +Omar wurde hereingefuehrt; sein Blick war duester, seine Miene traurig, +und sein Anblick erregte allgemeine Teilnahme unter den Anwesenden. +Er warf sich vor dem Throne nieder und fragte nach dem Willen des +Sultans. + +Der Sultan deutete ihm an, dass er eines der Kistchen zu waehlen habe, +er stand auf und trat vor den Tisch. + +Er las aufmerksam beide Inschriften und sprach: "Die letzten Tage +haben mich gelehrt, wie unsicher das Glueck, wie vergaenglich der +Reichtum ist; sie haben mich aber auch gelehrt, dass ein +unzerstoerbares Gut in der Brust des Tapferen wohnt, die Ehre, und dass +der leuchtende Stern des Ruhmes nicht mit dem Glueck zugleich vergeht. +Und sollte ich einer Krone entsagen, der Wuerfel liegt--Ehre und Ruhm, +ich waehle euch!" + +Er setzte seine Hand auf das Kistchen, das er erwaehlt hatte; aber der +Sultan befahl ihm, einzuhalten; er winkte Labakan, gleichfalls vor +seinen Tisch zu treten, und auch dieser legte seine Hand auf sein +Kistchen. + +Der Sultan aber liess sich ein Becken mit Wasser von dem heiligen +Brunnen Zemzem in Mekka bringen, wusch seine Haende zum Gebet, wandte +sein Gesicht nach Osten, warf sich nieder und betete: "Gott meiner +Vaeter! Der du seit Jahrhunderten unsern Stamm rein und unverfaelscht +bewahrtest, gib nicht zu, dass ein Unwuerdiger den Namen der Abassiden +schaende, sei mit deinem Schutze meinem echten Sohne nahe in dieser +Stunde der Pruefung!" + +Der Sultan erhob sich und bestieg seinen Thron wieder; allgemeine +Erwartung fesselte die Anwesenden, man wagte kaum zu atmen, man haette +ein Maeuschen ueber den Saal gehen hoeren koennen, so still und gespannt +waren alle, die hintersten machten lange Haelse, um ueber die vorderen +nach den Kistchen sehen zu koennen. Jetzt sprach der Sultan: "Oeffnet +die Kistchen", und diese, die vorher keine Gewalt zu oeffnen vermochte, +sprangen von selbst auf. + +In dem Kistchen, das Omar gewaehlt hatte, lagen auf einem samtenen +Kissen eine kleine goldene Krone und ein Zepter; in Labakans +Kistchen--eine grosse Nadel und ein wenig Zwirn! Der Sultan befahl +den beiden, ihre Kistchen vor ihn zu bringen. Er nahm das Kroenchen +von dem Kissen in seine Hand, und wunderbar war es anzusehen, wie er +es nahm, wurde es groesser und groesser, bis es die Groesse einer rechten +Krone erreicht hatte. Er setzte die Krone seinem Sohn Omar, der vor +ihm kniete, auf das Haupt, kuesste ihn auf die Stirne und hiess ihn zu +seiner Rechten sich niedersetzen. Zu Labakan aber wandte er sich und +sprach: "Es ist ein altes Sprichwort: Der Schuster bleibe bei seinem +Leisten! Es scheint, als solltest du bei der Nadel bleiben. Zwar +hast du meine Gnade nicht verdient, aber es hat jemand fuer dich +gebeten, dem ich heute nichts abschlagen kann; drum schenke ich dir +dein armseliges Leben, aber wenn ich dir guten Rates bin, so beeile +dich, dass du aus meinem Lande kommst!" + +Beschaemt, vernichtet, wie er war, vermochte der arme Schneidergeselle +nichts zu erwidern; er warf sich vor dem Prinzen nieder, und Traenen +drangen ihm aus den Augen: "Koennt Ihr mir vergeben, Prinz?" sagte er. + +"Treue gegen den Freund, Grossmut gegen den Feind ist des Abassiden +Stolz", antwortete der Prinz, indem er ihn aufhob, "gehe hin in +Frieden!" + +"O du mein echter Sohn!" rief geruehrt der alte Sultan und sank an die +Brust des Sohnes; die Emire und Bassa und alle Grossen des Reiches +standen auf von ihren Sitzen und riefen: "Heil dem neuen Koenigssohn!" +Und unter dem allgemeinen Jubel schlich sich Labakan, sein Kistchen +unter dem Arm, aus dem Saal. + +Er ging hinunter in die Staelle des Sultans, zaeumte sein Ross Murva auf +und ritt zum Tore hinaus, Alessandria zu. Sein ganzes Prinzenleben +kam ihm wie ein Traum vor, und nur das prachtvolle Kistchen, reich +mit Perlen und Diamanten geschmueckt, erinnerte ihn, dass er doch nicht +getraeumt habe. + +Als er endlich wieder nach Alessandria kam, ritt er vor das Haus +seines alten Meisters, stieg ab, band sein Roesslein an die Tuere und +trat in die Werkstatt. Der Meister, der ihn nicht gleich kannte, +machte ein grosses Wesen und fragte, was ihm zu Dienst stehe; als er +aber den Gast naeher ansah und seinen alten Labakan erkannte, rief er +seine Gesellen und Lehrlinge herbei, und alle stuerzten sich wie +wuetend auf den armen Labakan, der keines solchen Empfangs gewaertig +war, stiessen und schlugen ihn mit Buegeleisen und Ellenmass, stachen +ihn mit Nadeln und zwickten ihn mit scharfen Scheren, bis er +erschoepft auf einen Haufen alter Kleider niedersank. + +Als er nun so dalag, hielt ihm der Meister eine Strafrede ueber das +gestohlene Kleid; vergebens versicherte Labakan, dass er nur deswegen +wiedergekommen sei, um ihm alles zu ersetzen, vergebens bot er ihm +den dreifachen Schadenersatz, der Meister und seine Gesellen fielen +wieder ueber ihn her, schlugen ihn weidlich und warfen ihn zur Tuere +hinaus; zerschlagen und zerfetzt stieg er auf das Ross Murva und ritt +in eine Karawanserei. Dort legte er sein muedes, zerschlagenes Haupt +nieder und stellte Betrachtungen an ueber die Leiden der Erde, ueber +das so oft verkannte Verdienst und ueber die Nichtigkeit und +Fluechtigkeit aller Gueter. Er schlief mit dem Entschluss ein, aller +Groesse zu entsagen und ein ehrsamer Buerger zu werden. + +Und den andere Tag gereute ihn sein Entschluss nicht; denn die +schweren Haende des Meisters und seiner Gesellen schienen alle Hoheit +aus ihm herausgepruegelt zu haben. + +Er verkaufte um einen hohen Preis sein Kistchen an einen +Juwelenhaendler, kaufte sich ein Haus und richtete sich eine Werkstatt +zu seinem Gewerbe ein. Als er alles eingerichtet und auch ein Schild +mit der Aufschrift Labakan, Kleidermacher vor sein Fenster gehaengt +hatte, setzte er sich und begann mit jener Nadel und dem Zwirn, die +er in dem Kistchen gefunden, den Rock zu flicken, welchen ihm sein +Meister so grausam zerfetzt hatte. Er wurde von seinem Geschaeft +abgerufen, und als er sich wieder an die Arbeit setzen wollte, welch +sonderbarer Anblick bot sich ihm dar! Die Nadel naehte emsig fort, +ohne von jemand gefuehrt zu werden; sie machte feine, zierliche Stiche, +wie sie selbst Labakan in seinen kunstreichsten Augenblicken nicht +gemacht hatte! + +Wahrlich, auch das geringste Geschenk einer guetigen Fee ist nuetzlich +und von grossem Wert! Noch einen andere Wert hatte aber dies Geschenk, +naemlich: Das Stueckchen Zwirn ging nie aus, die Nadel mochte so +fleissig sein, als sie wollte. + +Labakan bekam viele Kunden und war bald der beruehmteste Schneider +weit und breit; er schnitt die Gewaender zu und machte den ersten +Stich mit der Nadel daran, und flugs arbeitete diese weiter ohne +Unterlass, bis das Gewand fertig war. Meister Labakan hatte bald die +ganze Stadt zu Kunden; denn er arbeitete schoen und ausserordentlich +billig, und nur ueber eines schuettelten die Leute von Alessandria den +Kopf, naemlich: dass er ganz ohne Gesellen und bei verschlossenen Tueren +arbeitete. + +So war der Spruch des Kistchens, Glueck und Reichtum verheissend, in +Erfuellung gegangen; Glueck und Reichtum begleiteten, wenn auch in +bescheidenem Masse, die Schritte des guten Schneiders, und wenn er von +dem Ruhm des jungen Sultans Omar, der in aller Munde lebte, hoerte, +wenn er hoerte, dass dieser Tapfere der Stolz und die Liebe seines +Volkes und der Schrecken seiner Feinde sei, da dachte der ehemalige +Prinz bei sich: "Es ist doch besser, dass ich ein Schneider geblieben +bin; denn um die Ehre und den Ruhm ist es eine gar gefaehrliche Sache." +So lebte Labakan, zufrieden mit sich, geachtet von seinen +Mitbuergern, und wenn die Nadel indes nicht ihre Kraft verloren, so +naeht sie noch jetzt mit dem ewigen Zwirn der guetigen Fee Adolzaide. + +Mit Sonnenaufgang brach die Karawane auf und gelangte bald nach +Birket el Had oder dem Pilgrimsbrunnen, von wo es nur noch drei +Stunden Weges nach Kairo waren--Man hatte um diese Zeit die Karawane +erwartet, und bald hatten die Kaufleute die Freude, ihre Freunde aus +Kairo ihnen entgegenkommen zu sehen. Sie zogen in die Stadt durch +das Tor Bebel Falch; denn es wird fuer eine glueckliche Vorbedeutung +gehalten, wenn man von Mekka kommt, durch dieses Tor einzuziehen, +weil der Prophet hindurchgezogen ist. + +Auf dem Markt verabschiedeten sich die vier tuerkischen Kaufleute von +dem Fremden und dem griechischen Kaufmann Zaleukos und gingen mit +ihren Freunden nach Haus. Zaleukos aber zeigte dem Fremden eine gute +Karawanserei und lud ihn ein, mit ihm das Mittagsmahl zu nehmen. Der +Fremde sagte zu und versprach, wenn er nur vorher sich umgekleidet +habe, zu erscheinen. + +Der Grieche hatte alle Anstalten getroffen, den Fremden, welchen er +auf der Reise liebgewonnen hatte, gut zu bewirten, und als die +Speisen und Getraenke in gehoeriger Ordnung aufgestellt waren, setzte +er sich, seinen Gast zu erwarten. + +Langsam und schweren Schrittes hoerte er ihn den Gang, der zu seinem +Gemach fuehrte, heraufkommen. Er erhob sich, um ihm freundlich +entgegenzusehen und ihn an der Schwelle zu bewillkommnen; aber voll +Entsetzen fuhr er zurueck, als er die Tuere oeffnete; denn jener +schreckliche Rotmantel trat ihm entgegen; er warf noch einen Blick +auf ihn, es war keine Taeuschung; dieselbe hohe, gebietende Gestalt, +die Larve, aus welcher ihn die dunklen Augen anblitzten, der rote +Mantel mit der goldenen Stickerei waren ihm nur allzuwohl bekannt aus +den schrecklichsten Stunden seines Lebens. + +Widerstreitende Gefuehle wogten in Zaleukos Brust; er hatte sich mit +diesem Bild seiner Erinnerung laengst ausgesoehnt und ihm vergeben, und +doch riss sein Anblick alle seine Wunden wieder auf; alle jene +qualvollen Stunden der Todesangst, jener Gram, der die Bluete seines +Lebens vergiftete, zogen im Flug eines Augenblicks an seiner Seele +vorueber. + +"Was willst du, Schrecklicher?" rief der Grieche aus, als die +Erscheinung noch immer regungslos auf der Schwelle stand. "Weiche +schnell von hinnen, dass ich dir nicht fluche!" + +"Zaleukos!" sprach eine bekannte Stimme unter der Larve hervor. +"Zaleukos! So empfaengst du deinen Gastfreund?" Der Sprechende nahm +die Larve ab, schlug den Mantel zurueck; es war Selim Baruch, der +Fremde. + +Aber Zaleukos schien noch nicht beruhigt, ihm graute vor dem Fremden; +denn nur zu deutlich hatte er in ihm den Unbekannten von der Ponte +vecchio erkannt; aber die alte Gewohnheit der Gastfreundschaft siegte; +er winkte schweigend dem Fremden, sich zu ihm ans Mahl zu setzen. + +"Ich errate deine Gedanken", nahm dieser das Wort, als sie sich +gesetzt hatten. "Deine Augen sehen fragend auf mich--ich haette +schweigen und mich deinen Blicken nie mehr zeigen koennen, aber ich +bin dir Rechenschaft schuldig, und darum wagte ich es auch, auf die +Gefahr hin, dass du mir fluchtest, vor dir in meiner alten Gestalt zu +erscheinen. Du sagtest einst zu mir: Der Glaube meiner Vaeter +befiehlt mir, ihn zu lieben, auch ist er wohl ungluecklicher als ich; +glaube dieses, mein Freund, und hoere meine Rechtfertigung! + +Ich muss weit ausholen, um mich dir ganz verstaendlich zu machen. Ich +bin in Alessandria von christlichen Eltern geboren. Mein Vater, der +juengere Sohn eines alten, beruehmten franzoesischen Hauses, war Konsul +seines Landes in Alessandria. Ich wurde von meinem zehnten Jahre an +in Frankreich bei einem Bruder meiner Mutter erzogen und verliess erst +einige Jahre nach dem Ausbruch der Revolution mein Vaterland, um mit +meinem Oheim, der in dem Lande seiner Ahnen nicht mehr sicher war, +ueber dem Meer bei meinen Eltern eine Zuflucht zu suchen. Voll +Hoffnung, die Ruhe und den Frieden, den uns das empoerte Volk der +Franzosen entrissen, im elterlichen Hause wiederzufinden, landeten +wir. Aber ach! Ich fand nicht alles in meines Vaters Hause, wie es +sein sollte; die aeusseren Stuerme der bewegten Zeit waren zwar noch +nicht bis hierher gelangt, desto unerwarteter hatte das Unglueck mein +Haus im innersten Herzen heimgesucht. Mein Bruder, ein junger, +hoffnungsvoller Mann, erster Sekretaer meines Vaters, hatte sich erst +seit kurzem mit einem jungen Maedchen, der Tochter eines +florentinischen Edelmanns, der in unserer Nachbarschaft wohnte, +verheiratet; zwei Tage vor unserer Ankunft war diese auf einmal +verschwunden, ohne dass weder unsere Familie noch ihr Vater die +geringste Spur von ihr auffinden konnten. Man glaubte endlich, sie +habe sich auf einem Spaziergang zu weit gewagt und sei in Raeuberhaende +gefallen. Beinahe troestlicher waere dieser Gedanke fuer meinen armen +Bruder gewesen als die Wahrheit, die uns nur bald kund wurde. Die +Treulose hatte sich mit einem jungen Neapolitaner, den sie im Hause +ihres Vaters kennengelernt hatte, eingeschifft. Mein Bruder, aufs +aeusserste empoert ueber diesen Schritt, bot alles auf, die Schuldige zur +Strafe zu ziehen; doch vergebens; seine Versuche, die in Neapel und +Florenz Aufsehen erregt hatten, dienten nur dazu, sein und unser +aller Unglueck zu vollenden. Der florentinische Edelmann reiste in +sein Vaterland zurueck, zwar mit dem Vorgeben, meinem Bruder Recht zu +verschaffen, der Tat nach aber, um uns zu verderben. Er schlug in +Florenz alle jene Untersuchungen, welche mein Bruder angeknuepft hatte, +nieder und wusste seinen Einfluss, den er auf alle Art sich verschafft +hatte, so gut zu benuetzen, dass mein Vater und mein Bruder ihrer +Regierung verdaechtig gemacht und durch die schaendlichsten Mittel +gefangen, nach Frankreich gefuehrt und dort vom Beil des Henkers +getoetet wurden. Meine arme Mutter verfiel in Wahnsinn, und erst nach +zehn langen Monaten erloeste sie der Tod von ihrem schrecklichen +Zustand, der aber in den letzten Tagen zu vollem, klarem Bewusstsein +geworden war. So stand ich jetzt ganz allein in der Welt, aber nur +ein Gedanke beschaeftigte meine Seele, nur ein Gedanke liess mich meine +Trauer vergessen, es war jene maechtige Flamme, die meine Mutter in +ihrer letzten Stunde in mir angefacht hatte. + +In den letzten Stunden war, wie ich dir sagte, ihr Bewusstsein +zurueckgekehrt; sie liess mich rufen und sprach mit Ruhe von unserem +Schicksal und ihrem Ende. Dann aber liess sie alle aus dem Zimmer +gehen, richtete sich mit feierlicher Miene von ihrem aermlichen Lager +auf und sagte, ich koenne mir ihren Segen erwerben, wenn ich ihr +schwoere, etwas auszufahren, das sie mir auftragen wuerde--Ergriffen +von den Worten der sterbenden Mutter, gelobte ich mit einem Eide zu +tun, wie sie mir sagen werde. Sie brach nun in Verwuenschungen gegen +den Florentiner und seine Tochter aus und legte mir mit den +fuerchterlichsten Drohungen ihres Fluches auf, mein unglueckliches Haus +an ihm zu raechen. Sie starb in meinen Armen. Jener Gedanke der +Rache hatte schon lange in meiner Seele geschlummert; jetzt erwachte +er mit aller Macht. Ich sammelte den Rest meines vaeterlichen +Vermoegens und schwor mir, alles an meine Rache zu setzen oder selbst +mit unterzugehen. + +Bald war ich in Florenz, wo ich mich so geheim als moeglich aufhielt; +mein Plan war um vieles erschwert worden durch die Lage, in welcher +sich meine Feinde befanden. Der alte Florentiner war Gouverneur +geworden und hatte so alle Mittel in der Hand, sobald er das +geringste ahnte, mich zu verderben. Ein Zufall kam mir zu Hilfe. +Eines Abends sah ich einen Menschen in bekannter Livree durch die +Strassen gehen; sein unsicherer Gang, sein finsterer Blick und das +halblaut herausgestossene "Santo sacramento", "Maledetto diavolo" +liessen mich den alten Pietro, einen Diener des Florentiners, den ich +schon in Alessandria gekannt hatte, erkennen. Ich war nicht in +Zweifel, dass er ueber seinen Herrn in Zorn geraten sei, und beschloss, +seine Stimmung zu benuetzen. Er schien sehr ueberrascht, mich hier zu +sehen, klagte mir sein Leiden, dass er seinem Herrn, seit er +Gouverneur geworden, nichts mehr recht machen koenne, und mein Gold, +unterstuetzt von seinem Zorn, brachte ihn bald auf meine Seite. Das +Schwierigste war jetzt beseitigt; ich hatte einen Mann in meinem +Solde, der mir zu jeder Stunde die Tuere meines Feindes oeffnete, und +nun reifte mein Racheplan immer schneller heran. Das Leben des alten +Florentiners schien mir ein zu geringes Gewicht, dem Untergang meines +Hauses gegenueber, zu haben. Sein Liebstes musste er gemordet sehen, +und dies war Bianka, seine Tochter. Hatte ja sie so schaendlich an +meinem Bruder gefrevelt, war ja doch sie die Ursache unseres Ungluecks. +Gar erwuenscht kam sogar meinem racheduerstigen Herzen die Nachricht, +dass in dieser Zeit Bianka zum zweitenmal sich vermaehlen wollte, es +war beschlossen, sie musste sterben. Aber mir selbst graute vor der +Tat, und auch Pietro traute sich zu wenig Kraft zu; darum spaehten wir +umher nach einem Mann, der das Geschaeft vollbringen koenne. Unter den +Florentinern wagte ich keinen zu dingen, denn gegen den Gouverneur +wuerde keiner etwas Solches unternommen haben. Da fiel Pietro der +Plan ein, den ich nachher ausgefuehrt habe; zugleich schlug er dich +als Fremden und Arzt als den Tauglichsten vor. Den Verlauf der Sache +weisst du. Nur an deiner grossen Vorsicht und Ehrlichkeit schien mein +Unternehmen zu scheitern. Daher der Zufall mit dem Mantel. + +Pietro oeffnete uns das Pfoertchen an dem Palast des Gouverneurs; er +haette uns auch ebenso heimlich wieder hinausgeleitet, wenn wir nicht, +durch den schrecklichen Anblick, der sich uns durch die Tuerspalte +darbot, erschreckt, entflohen waeren. Von Schrecken und Reue gejagt, +war ich ueber zweihundert Schritte fortgerannt, bis ich auf den Stufen +einer Kirche niedersank. Dort erst sammelte ich mich wieder, und +mein erster Gedanke warst du und dein schreckliches Schicksal, wenn +man dich in dem Hause faende. Ich schlich an den Palast, aber weder +von Pietro noch von dir konnte ich eine Spur entdecken; das Pfoertchen +aber war offen, so konnte ich wenigstens hoffen, dass du die +Gelegenheit zur Flucht benuetzt haben koenntest. + +Als aber der Tag anbrach, liess mich die Angst vor der Entdeckung und +ein unabweisbares Gefuehl von Reue nicht mehr in den Mauern von +Florenz. Ich eilte nach Rom. Aber denke dir meine Bestuerzung, als +man dort nach einigen Tagen ueberall diese Geschichte erzaehlte mit dem +Beisatz, man habe den Moerder, einen griechischen Arzt, gefangen. Ich +kehrte in banger Besorgnis nach Florenz zurueck; denn schien mir meine +Rache schon vorher zu stark, so verfluchte ich sie jetzt, denn sie +war mir durch dein Leben allzu teuer erkauft. Ich kam an demselben +Tage an, der dich der Hand beraubte. Ich schweige von dem, was ich +fuehlte, als ich dich das Schafott besteigen und so heldenmuetig leiden +sah. Aber damals, als dein Blut in Stroemen aufspritzte, war der +Entschluss fest in mir, dir deine uebrigen Lebenstage zu versuessen. Was +weiter geschehen ist, weisst du, nur das bleibt mir noch zu sagen +uebrig, warum ich diese Reise mit dir machte. + +Als eine schwere Last drueckte mich der Gedanke, dass du mir noch immer +nicht vergeben habest; darum entschloss ich mich, viele Tage mit dir +zu leben und dir endlich Rechenschaft abzulegen von dem, was ich mit +dir getan." + +Schweigend hatte der Grieche seinen Gast angehoert; mit sanftem Blick +bot er ihm, als er geendet hatte, seine Rechte. "Ich wusste wohl, dass +du ungluecklicher sein muesstest als ich, denn jene grausame Tat wird +wie eine dunkle Wolke ewig deine Tage verfinstern; ich vergebe dir +von Herzen. Aber erlaube mir noch eine Frage: Wie kommst du unter +dieser Gestalt in die Wueste? Was fingst du an, nachdem du in +Konstantinopel mir das Haus gekauft hattest?" + +"Ich ging nach Alessandria zurueck", antwortete der Gefragte. "Hass +gegen alle Menschen tobte in meiner Brust, brennender Hass besonders +gegen jene Nationen, die man die gebildeten nennt. Glaube mir, unter +meinen Moslemiten war mir wohler! Kaum war ich einige Monate in +Alessandria, als jene Landung meiner Landsleute erfolgte. + +Ich sah in ihnen nur die Henker meines Vaters und meines Bruders; +darum sammelte ich einige gleichgesinnte junge Leute meiner +Bekanntschaft und schloss mich jenen tapferen Mamelucken an, die so +oft der Schrecken des franzoesischen Heeres wurden. Als der Feldzug +beendigt war, konnte ich mich nicht entschliessen, zu den Kuensten des +Friedens zurueckzukehren. Ich lebte mit einer kleinen Anzahl +gleichdenkender Freunde ein unstetes und fluechtiges, dem Kampf und +der Jagd geweihtes Leben; ich lebe zufrieden unter diesen Leuten, die +mich wie ihren Fuersten ehren; denn wenn meine Asiaten auch nicht so +gebildet sind wie Eure Europaeer, so sind sie doch weit entfernt von +Neid und Verleumdung, von Selbstsucht und Ehrgeiz." + +Zaleukos dankte dem Fremden fuer seine Mitteilung, aber er verbarg ihm +nicht, dass er es fuer seinen Stand, fuer seine Bildung angemessener +faende, wenn er in christlichen, in europaeischen Laendern leben und +wirken wuerde. Er fasste seine Hand und bat ihn, mit ihm zu ziehen, +bei ihm zu leben und zu sterben. + +Geruehrt sah ihn der Gastfreund an. "Daraus erkenne ich", sagte er, +"dass du mir ganz vergeben hast, dass du mich liebst. Nimm meinen +innigsten Dank dafuer!" Er sprang auf und stand in seiner ganzen Groesse +vor dem Griechen, dem vor dem kriegerischen Anstand, den dunkel +blitzenden Augen, der tiefen Stimme seines Gastes beinahe graute. +"Dein Vorschlag ist schoen", sprach jener weiter, "er moechte fuer jeden +andern lockend sein--ich kann ihn nicht benuetzen. Schon steht mein +Ross gesattelt, erwarten mich meine Diener; lebe wohl, Zaleukos!" Die +Freunde, die das Schicksal so wunderbar zusammengefuehrt, umarmten +sich zum Abschied. "Und wie nenne ich dich? Wie heisst mein +Gastfreund, der auf ewig in meinem Gedaechtnis leben wird?" fragte der +Grieche. + +Der Fremde sah ihn lange an, drueckte ihm noch einmal die Hand und +sprach: "Man nennt mich den Herrn der Wueste; ich bin der Raeuber +Orbasan." + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes "Maerchen-Almanach auf das Jahr +1826", von Wilhelm Hauff. + + + + + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, MAERCHEN-ALMANACH AUF DAS JAHR 1826 *** + +This file should be named 7alm110.txt or 7alm110.zip +Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7alm111.txt +VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7alm110a.txt + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + +We are now trying to release all our eBooks one year in advance +of the official release dates, leaving time for better editing. +Please be encouraged to tell us about any error or corrections, +even years after the official publication date. + +Please note neither this listing nor its contents are final til +midnight of the last day of the month of any such announcement. +The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at +Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. 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Das Projekt ist unter der +Internet-Adresse http://gutenberg2000.de erreichbar. + + + + + +Märchen-Almanach auf das Jahr 1826 + +Wilhelm Hauff + +Inhalt: + +Märchen als Almanach +Die Karawane (Rahmenerzählung) +Die Geschichte vom Kalif Storch +Die Geschichte von dem Gespensterschiff +Die Geschichte von der abgehauenen Hand +Die Errettung Fatmes +Die Geschichte von dem kleinen Muck +Das Märchen vom falschen Prinzen + + + + +Märchen als Almanach + +Wilhelm Hauff + + +In einem schönen, fernen Reiche, von welchem die Sage lebt, daß die +Sonne in seinen ewig grünen Gärten niemals untergehe, herrschte von +Anfang an bis heute die Königin Phantasie. Mit vollen Händen +spendete diese seit vielen Jahrhunderten die Fülle des Segens über +die Ihrigen und war geliebt, verehrt von allen, die sie kannten. Das +Herz der Königin war aber zu groß, als daß sie mit ihren Wohltaten +bei ihrem Lande stehen geblieben wäre; sie selbst, im königlichen +Schmuck ihrer ewigen Jugend und Schönheit, stieg herab auf die Erde; +denn sie hatte gehört, daß dort Menschen wohnen, die ihr Leben in +traurigem Ernst, unter Mühe und Arbeit hinbringen. Diesen hatte sie +die schönsten Gaben aus ihrem Reiche mitgebracht, und seit die schöne +Königin durch die Fluren der Erde gegangen war, waren die Menschen +fröhlich bei der Arbeit, heiter in ihrem Ernst. + +Auch ihre Kinder,nicht minder schön und lieblich als die königliche +Mutter, sandte sie aus, um die Menschen zu beglücken. Einst kam +Märchen, die älteste Tochter der Königin, von der Erde zurück. Die +Mutter bemerkte, daß Märchen traurig sei, ja, hier und da wollte ihr +bedünken, als ob sie verweinte Augen hätte. + +"Was hast du, liebes Märchen", sprach die Königin zu ihr, "du bist +seit deiner Reise so traurig und niedergeschlagen, willst du deiner +Mutter nicht anvertrauen, was dir fehlt?" + +"Ach, liebe Mutter", antwortete Märchen, "ich hätte gewiß nicht so +lange geschwiegen, wenn ich nicht wüßte, daß mein Kummer auch der +deinige ist." + +"Sprich immer, meine Tochter", bat die schöne Königin, "der Gram ist +ein Stein, der den einzelnen niederdrückt, aber zwei tragen ihn +leicht aus dem Wege." + +"Du willst es", antwortete Märchen, "so höre: Du weißt, wie gerne ich +mit den Menschen umgehe, wie ich freudig auch bei dem Ärmsten vor +seiner Hütte sitze, um nach der Arbeit ein Stündchen mit ihm zu +verplaudern; sie boten mir auch sonst gleich freundlich die Hand zum +Gruß, wenn ich kam, und sahen mir lächelnd und zufrieden nach, wenn +ich weiterging; aber in diesen Tagen ist es gar nicht mehr so!" + +"Armes Märchen!" sprach die Königin und streichelte ihr die Wange, +die von einer Träne feucht war, "aber du bildest dir vielleicht dies +alles nur ein?" + +"Glaube mir, ich fühle es nur zu gut", entgegnete Märchen, "sie +lieben mich nicht mehr. Überall, wo ich hinkomme, begegnen mir +kalte Blicke; nirgends bin ich mehr gern gesehen; selbst die Kinder, +die ich doch immer so lieb hatte, lachen über mich und wenden mir +altklug den Rücken zu." + +Die Königin stützte die Stirne in die Hand und schwieg sinnend. + +"Und woher soll es denn", fragte die Königin, "kommen, Märchen, daß +sich die Leute da unten so geändert haben?" + +"Sieh, die Menschen haben kluge Wächter aufgestellt, die alles, was +aus deinem Reich kommt, o Königin Phantasie, mit scharfem Blicke +mustern und prüfen. Wenn nun einer kommt, der nicht nach ihrem Sinne +ist, so erheben sie ein großes Geschrei, schlagen ihn tot oder +verleumden ihn doch so sehr bei den Menschen, die ihnen aufs Wort +glauben, daß man gar keine Liebe, kein Fünkchen Zutrauen mehr findet. +Ach, wie gut haben es meine Brüder, die Träume, fröhlich und leicht +hüpfen sie auf die Erde hinab, fragen nichts nach jenen klugen +Männern, besuchen die schlummernden Menschen und weben und malen +ihnen, was das Herz beglückt und das Auge erfreut!" + +"Deine Brüder sind Leichtfüße", sagte die Königin, "und du, mein +Liebling, hast keine Ursache, sie zu beneiden. Jene Grenzwächter +kenne ich übrigens wohl; die Menschen haben so unrecht nicht, sie +aufzustellen; es kam so mancher windige Geselle und tat, als ob er +geradewegs aus meinem Reiche käme, und doch hatte er höchstens von +einem Berge zu uns herübergeschaut." + +"Aber warum lassen sie dies mich, deine eigene Tochter, entgelten", +weinte Märchen. "Ach, wenn du wüßtest, wie sie es mit mir gemacht +haben; sie schalten mich eine alte Jungfer und drohten, mich das +nächste Mal gar nicht mehr hereinzulassen." "Wie, meine Tochter nicht +mehr einzulassen?" rief die Königin, und Zorn rötete ihre Wangen. +"Aber ich sehe schon, woher dies kommt; die böse Muhme hat uns +verleumdet!" + +"Die Mode? Nicht möglich!" rief Märchen, "sie tat ja sonst immer so +freundlich." + +"Oh! Ich kenne sie, die Falsche", antwortete die Königin, "aber +versuche es ihr zum Trotze wieder, meine Tochter, wer Gutes tun will, +darf nicht rasten." + +"Ach, Mutter! Wenn sie mich dann ganz zurückweisen, oder wenn sie +mich verleumden, daß mich die Menschen nicht ansehen oder einsam und +verachtet in der Ecke stehen lassen?" + +"Wenn die Alten, von der Mode betört, dich geringschätzen, so wende +dich an die Kleinen, wahrlich, sie sind meine Lieblinge, ihnen sende +ich meine lieblichsten Bilder durch deine Brüder, die Träume, ja, ich +bin schon oft selbst zu ihnen hinabgeschwebt, habe sie geherzt und +geküßt und schöne Spiele mit ihnen gespielt; sie kennen mich auch +wohl, sie wissen zwar meinen Namen nicht, aber ich habe schon oft +bemerkt, wie sie nachts zu meinen Sternen herauflächeln und morgens, +wenn meine glänzenden Lämmer am Himmel ziehen, vor Freuden die Hände +zusammenschlagen. Auch wenn sie größer werden, lieben sie mich noch, +ich helfe dann den lieblichen Mädchen bunte Kränze flechten, und die +wilden Knaben werden stiller, wenn ich auf hoher Felsenspitze mich zu +ihnen setze, aus der Nebelwelt der fernen, blauen Berge hohe Burgen +und glänzende Paläste auftauchen lasse und aus den rötlichen Wolken +des Abends kühne Reiterscharen und wunderliche Wallfahrtszüge bilde." + +"O die guten Kinder!" rief Märchen bewegt aus. "Ja, es sei! Mit +ihnen will ich es noch einmal versuchen." + +"Ja, du gute Tochter", sprach die Königin, "gehe zu ihnen; aber ich +will dich auch ein wenig ordentlich ankleiden, daß du den Kleinen +gefällst und die Großen dich nicht zurückstoßen; siehe, das Gewand +eines Almanachs will ich dir geben." + +"Eines Almanachs, Mutter? Ach!--Ich schäme mich, so vor den Leuten +zu prangen." + +Die Königin winkte, und die Dienerinnen brachten das zierliche Gewand +eines Almanachs. Es war von glänzenden Farben und schöne Figuren +eingewoben. + +Die Zofen flochten dem schönen Mädchen das lange Haar; sie banden ihr +goldene Sandalen unter die Füße und hingen ihr dann das Gewand um. + +Das bescheidene Märchen wagte nicht aufzublicken, die Mutter aber +betrachtete es mit Wohlgefallen und schloß es in ihre Arme. "Gehe +hin", sprach sie zu der Kleinen, "mein Segen sei mit dir. Und wenn +sie dich verachten und höhnen, so kehre zurück zu mir, vielleicht, +daß spätere Geschlechter, getreuer der Natur, ihr Herz dir wieder +zuwenden." + +Also sprach die Königin Phantasie. Märchen aber stieg hinab auf die +Erde. Mit pochendem Herzen nahte sie dem Ort, wo die klugen Wächter +hauseten; sie senkte das Köpfchen zur Erde, sie zog das schöne Gewand +enger um sich her, und mit zagendem Schritt nahte sie dem Tor. + +"Halt!" rief eine tiefe, rauhe Stimme. "Wache heraus! Da kommt ein +neuer Almanach!" + +Märchen zitterte, als sie dies hörte; viele ältliche Männer von +finsterem Aussehen stürzten hervor; sie hatten spitzige Federn in der +Faust und hielten sie dem Märchen entgegen. Einer aus der Schar +schritt auf sie zu und packte sie mit rauher Hand am Kinn. "Nur auch +den Kopf aufgerichtet, Herr Almanach", schrie er, "daß man Ihm in den +Augen ansiehet, ob er was Rechtes ist oder nicht!" + +Errötend richtete Märchen das Köpfchen in die Höhe und schlug das +dunkle Auge auf. + +"Das Märchen!" riefen die Wächter und lachten aus vollem Hals, "das +Märchen! Haben wunder gemeint, was da käme! Wie kommst du nur in +diesen Rock?" + +"Die Mutter hat ihn mir angezogen", antwortete Märchen. "So? Sie +will dich bei uns einschwärzen? Nichts da! Hebe dich weg, mach, daß +du fortkommst!" riefen die Wächter untereinander und erhoben die +scharfen Federn. + +"Aber ich will ja nur zu den Kindern", bat Märchen, "dies könnt ihr +mir ja doch erlauben." + +"Läuft nicht schon genug solches Gesindel im Land umher?" rief einer +der Wächter. "Sie schwatzen nur unseren Kindern dummes Zeug vor." + +"Laßt uns sehen, was sie diesmal weiß!" sprach ein anderer. + +"Nun ja", riefen sie, "sag an, was du weißt, aber beeile dich, denn +wir haben nicht viele Zeit für dich!" + +Märchen streckte die Hand aus und schrieb mit dem Zeigefinger viele +Zeichen in die Luft. Da sah man bunte Gestalten vorüberziehen; +Karawanen mit schönen Rossen, geschmückte Reiter, viele Zelte im Sand +der Wüste; Vögel und Schiffe auf stürmischen Meeren; stille Wälder +und volkreiche Plätze und Straßen; Schlachten und friedliche Nomaden, +sie alle schwebten in belebten Bildern, in buntem Gewimmel vorüber. + +Märchen hatte in dem Eifer, mit welchem sie die Bilder aufsteigen +ließ, nicht bemerkt, wie die Wächter des Tores nach und nach +eingeschlafen waren. Eben wollte sie neue Zeichen schreiben, als ein +freundlicher Mann auf sie zutrat und ihre Hand ergriff. "Siehe her, +gutes Märchen", sagte er, indem er auf die Schlafenden zeigte, "für +diese sind deine bunten Sachen nichts; schlüpfe schnell durch das Tor; +sie ahnen dann nicht, daß du im Lande bist, und du kannst friedlich +und unbemerkt deine Straße ziehen. Ich will dich zu meinen Kindern +führen; in meinem Hause geb' ich dir ein stilles, freundliches +Plätzchen; dort kannst du wohnen und für dich leben; wenn dann meine +Söhne und Töchter gut gelernt haben, dürfen sie mit ihren Gespielen +zu dir kommen und dir zuhören. Willst du so?" + +"Oh, wie gerne folge ich dir zu deinen lieben Kleinen; wie will ich +mich befleißen, ihnen zuweilen ein heiteres Stündchen zu machen!" + +Der gute Mann nickte ihr freundlich zu und half ihr, über die Füße +der schlafenden Wächter hinüberzusteigen. Lächelnd sah sich Märchen +um, als sie hinüber war, und schlüpfte dann schnell in das Tor. + + + + +Die Karawane + +Wilhelm Hauff + + +Es zog einmal eine große Karawane durch die Wüste. Auf der +ungeheuren Ebene, wo man nichts als Sand und Himmel sieht, hörte man +schon in weiter Ferne die Glocken der Kamele und die silbernen +Röllchen der Pferde, eine dichte Staubwolke, die ihr vorherging, +verkündete ihre Nähe, und wenn ein Luftzug die Wolke teilte, +blendeten funkelnde Waffen und helleuchtende Gewänder das Auge. So +stellte sich die Karawane einem Manne dar, welcher von der Seite her +auf sie zuritt. Er ritt ein schönes arabisches Pferd, mit einer +Tigerdecke behängt, an dem hochroten Riemenwerk hingen silberne +Glöckchen, und auf dem Kopf des Pferdes wehte ein schöner Reiherbusch. +Der Reiter sah stattlich aus, und sein Anzug entsprach der Pracht +seines Rosses; ein weißer Turban, reich mit Gold bestickt, bedeckte +das Haupt; der Rock und die weiten Beinkleider waren von brennendem +Rot, ein gekrümmtes Schwert mit reichem Griff an seiner Seite. Er +hatte den Turban tief ins Gesicht gedrückt; dies und die schwarzen +Augen, die unter buschigen Brauen hervorblitzten, der lange Bart, der +unter der gebogenen Nase herabhing, gaben ihm ein wildes, kühnes +Aussehen. + +Als der Reiter ungefähr auf fünfzig Schritt dem Vortrab der Karawane +nahe war, spornte er sein Pferd an und war in wenigen Augenblicken an +der Spitze des Zuges angelangt. Es war ein so ungewöhnliches +Ereignis, einen einzelnen Reiter durch die Wüste ziehen zu sehen, daß +die Wächter des Zuges, einen Überfall befürchtend, ihm ihre Lanzen +entgegenstreckten. + +"Was wollt ihr", rief der Reiter, als er sich so kriegerisch +empfangen sah, "glaubt ihr, ein einzelner Mann werde eure Karawane +angreifen?" + +Beschämt schwangen die Wächter ihre Lanzen wieder auf, ihr Anführer +aber ritt an den Fremden heran und fragte nach seinem Begehr. + +"Wer ist der Herr der Karawane?" fragte der Reiter. + +"Sie gehört nicht einem Herrn", antwortete der Gefragte, "sondern es +sind mehrere Kaufleute, die von Mekka in ihre Heimat ziehen und die +wir durch die Wüste geleiten, weil oft allerlei Gesindel die +Reisenden beunruhigt." + +"So führt mich zu den Kaufleuten", begehrte der Fremde. + +"Das kann jetzt nicht geschehen", antwortete der Führer, "weil wir +ohne Aufenthalt weiterziehen müssen und die Kaufleute wenigstens eine +Viertelstunde weiter hinten sind; wollt Ihr aber mit mir weiterreiten, +bis wir lagern, um Mittagsruhe zu halten, so werde ich Eurem Wunsch +willfahren." + +Der Fremde sagte hierauf nichts; er zog eine lange Pfeife, die er am +Sattel festgebunden hatte, hervor und fing an in großen Zügen zu +rauchen, indem er neben dem Anführer des Vortrabs weiterritt. Dieser +wußte nicht, was er aus dem Fremden machen sollte; er wagte es nicht, +ihn geradezu nach seinem Namen zu fragen, und so künstlich er auch +ein Gespräch anzuknüpfen suchte, der Fremde hatte auf das: "Ihr +raucht da einen guten Tabak", oder: "Euer Rapp' hat einen braven +Schritt", immer nur mit einem kurzen "Ja, ja!" geantwortet. + +Endlich waren sie auf dem Platz angekommen, wo man Mittagsruhe halten +wollte. Der Anführer hatte seine Leute als Wachen aufgestellt; er +selbst hielt mit dem Fremden, um die Karawane herankommen zu lassen. +Dreißig Kamele, schwer beladen, zogen vorüber, von bewaffneten +Führern geleitet. Nach diesen kamen auf schönen Pferden die fünf +Kaufleute, denen die Karawane gehörte. Es waren meistens Männer von +vorgerücktem Alter, ernst und gesetzt aussehend, nur einer schien +viel jünger als die übrigen, wie auch froher und lebhafter. Eine +große Anzahl Kamele und Packpferde schloß den Zug. + +Man hatte Zelte aufgeschlagen und die Kamele und Pferde rings +umhergestellt. In der Mitte war ein großes Zelt von blauem +Seidenzeug. Dorthin führte der Anführer der Wache den Fremden. Als +sie durch den Vorhang des Zeltes getreten waren, sahen sie die fünf +Kaufleute auf goldgewirkten Polstern sitzen; schwarze Sklaven +reichten ihnen Speise und Getränke. "Wen bringt Ihr uns da?" rief +der junge Kaufmann dem Führer zu. + +Ehe noch der Führer antworten konnte, sprach der Fremde: "Ich heiße +Selim Baruch und bin aus Bagdad; ich wurde auf einer Reise nach Mekka +von einer Räuberhorde gefangen und habe mich vor drei Tagen heimlich +aus der Gefangenschaft befreit. Der große Prophet ließ mich die +Glocken eurer Karawane in weiter Ferne hören, und so kam ich bei euch +an. Erlaubet mir, daß ich in eurer Gesellschaft reise! Ihr werdet +euren Schutz keinem Unwürdigen schenken, und so ihr nach Bagdad +kommet, werde ich eure Güte reichlich belohnen denn ich bin der Neffe +des Großwesirs." + +Der älteste der Kaufleute nahm das Wort: "Selim Baruch", sprach er, +"sei willkommen in unserem Schatten. Es macht uns Freude, dir +beizustehen; vor allem aber setze dich und iß und trinke mit uns." + +Selim Baruch setzte sich zu den Kaufleuten und aß und trank mit ihnen. +Nach dem Essen räumten die Sklaven die Geschirre hinweg und +brachten lange Pfeifen und türkischen Sorbet. Die Kaufleute saßen +lange schweigend, indem sie die bläulichen Rauchwolken vor sich +hinbliesen und zusahen, wie sie sich ringelten und verzogen und +endlich in die Luft verschwebten. Der junge Kaufmann brach endlich +das Stillschweigen: "So sitzen wir seit drei Tagen", sprach er, "zu +Pferd und am Tisch, ohne uns durch etwas die Zeit zu vertreiben. Ich +verspüre gewaltig Langeweile, denn ich bin gewohnt, nach Tisch Tänzer +zu sehen oder Gesang und Musik zu hören. Wißt ihr gar nichts, meine +Freunde, das uns die Zeit vertreibt?" + +Die vier älteren Kaufleute rauchten fort und schienen ernsthaft +nachzusinnen, der Fremde aber sprach: "Wenn es mir erlaubt ist, will +ich euch einen Vorschlag machen. Ich meine, auf jedem Lagerplatz +könnte einer von uns den anderen etwas erzählen. Dies könnte uns +schon die Zeit vertreiben." + +"Selim Baruch, du hast wahr gesprochen", sagte Achmet, der älteste +der Kaufleute, "laßt uns den Vorschlag annehmen." + +"Es freut mich, wenn euch der Vorschlag behagt", sprach Selim, "damit +ihr aber sehet, daß ich nichts Unbilliges verlange, so will ich den +Anfang machen." + +Vergnügt rückten die fünf Kaufleute näher zusammen und ließen den +Fremden in ihrer Mitte sitzen. Die Sklaven schenkten die Becher +wieder voll, stopften die Pfeifen ihrer Herren frisch und brachten +glühende Kohlen zum Anzünden. Selim aber erfrischte seine Stimme mit +einem tüchtigen Zuge Sorbet, strich den langen Bart über dem Mund weg +und sprach: + +"So hört denn die Geschichte vom Kalif Storch." + +Als Selim Baruch seine Geschichte beendet hatte, bezeugten sich die +Kaufleute sehr zufrieden damit. "Wahrhaftig, der Nachmittag ist uns +vergangen, ohne daß wir merkten wie!" sagte einer derselben, indem er +die Decke des Zeltes zurückschlug. "Der Abendwind wehet kühl, und +wir könnten noch eine gute Strecke Weges zurücklegen." Seine +Gefährten waren damit einverstanden, die Zelte wurden abgebrochen, +und die Karawane machte sich in der nämlichen Ordnung, in welcher sie +herangezogen war, auf den Weg. + +Sie ritten beinahe die ganze Nacht hindurch, denn es war schwül am +Tage, die Nacht aber war erquicklich und sternhell. Sie kamen +endlich an einem bequemen Lagerplatz an, schlugen die Zelte auf und +legten sich zur Ruhe. Für den Fremden aber sorgten die Kaufleute, +wie wenn er ihr wertester Gastfreund wäre. Der eine gab ihm Polster, +der andere Decken, ein dritter gab ihm Sklaven, kurz, er wurde so gut +bedient, als ob er zu Hause wäre. Die heißeren Stunden des Tages +waren schon heraufgekommen, als sie sich wieder erhoben, und sie +beschlossen einmütig, hier den Abend abzuwarten. Nachdem sie +miteinander gespeist hatten, rückten sie wieder näher zusammen, und +der junge Kaufmann wandte sich an den ältesten und sprach: "Selim +Baruch hat uns gestern einen vergnügten Nachmittag bereitet, wie wäre +es, Achmet, wenn Ihr uns auch etwas erzähltet, sei es nun aus Eurem +langen Leben, das wohl viele Abenteuer aufzuweisen hat, oder sei es +auch ein hübsches Märchen." Achmet schwieg auf diese Anrede eine +Zeitlang, wie wenn er bei sich im Zweifel wäre, ob er dies oder jenes +sagen sollte oder nicht; endlich fing er an zu sprechen: + +"Liebe Freunde! Ihr habt euch auf dieser unserer Reise als treue +Gesellen erprobt, und auch Selim verdient mein Vertrauen; daher will +ich euch etwas aus meinem Leben mitteilen, das ich sonst ungern und +nicht jedem erzähle: die Geschichte von dem Gespensterschiff." + +Die Reise der Karawane war den anderen Tag ohne Hindernis fürder +gegangen, und als man im Lagerplatz sich erholt hatte, begann Selim, +der Fremde, zu Muley, dem jüngsten der Kaufleute, also zu sprechen: + +"Ihr seid zwar der Jüngste von uns, doch seid Ihr immer fröhlich und +wißt für uns gewiß irgendeinen guten Schwank. Tischet ihn auf, daß +er uns erquicke nach der Hitze des Tages!" + +"Wohl möchte ich euch etwas erzählen", antwortete Muley, "das euch +Spaß machen könnte, doch der Jugend ziemt Bescheidenheit in allen +Dingen; darum müssen meine älteren Reisegefährten den Vorrang haben. +Zaleukos ist immer so ernst und verschlossen, sollte er uns nicht +erzählen, was sein Leben so ernst machte? Vielleicht, daß wir seinen +Kummer, wenn er solchen hat, lindern können; denn gerne dienen wir +dem Bruder, wenn er auch anderen Glaubens ist." + +Der Aufgerufene war ein griechischer Kaufmann, ein Mann in mittleren +Jahren, schön und kräftig, aber sehr ernst. Ob er gleich ein +Ungläubiger (nicht Muselmann) war, so liebten ihn doch seine +Reisegefährten, denn er hatte durch sein ganzes Wesen Achtung und +Zutrauen eingeflößt. Er hatte übrigens nur eine Hand, und einige +seiner Gefährten vermuteten, daß vielleicht dieser Verlust ihn so +ernst stimme. + +Zaleukos antwortete auf die zutrauliche Frage Muleys: "Ich bin sehr +geehrt durch euer Zutrauen; Kummer habe ich keinen, wenigstens keinen, +von welchem ihr auch mit dem besten Willen mir helfen könntet. Doch +weil Muley mir meinen Ernst vorzuwerfen scheint, so will ich euch +einiges erzählen, was mich rechtfertigen soll, wenn ich ernster bin +als andere Leute. Ihr sehet, daß ich meine linke Hand verloren habe. +Sie fehlt mir nicht von Geburt an, sondern ich habe sie in den +schrecklichsten Tagen meines Lebens eingebüßt. Ob ich die Schuld +davon trage, ob ich unrecht habe, seit jenen Tagen ernster, als es +meine Lage mit sich bringt, zu sein, möget ihr beurteilen, wenn ihr +vernommen habt die Geschichte von der abgehauenen Hand." + +Zaleukos, der griechische Kaufmann, hatte seine Geschichte geendigt. +Mit großer Teilnahme hatten ihm die übrigen zugehört, besonders der +Fremde schien sehr davon ergriffen zu sein; er hatte einigemal tief +geseufzt, und Muley schien es sogar, als habe er einmal Tränen in den +Augen gehabt. Sie besprachen sich noch lange Zeit über diese +Geschichte. + +"Und haßt Ihr den Unbekannten nicht, der Euch so schnöd' um ein so +edles Glied Eures Körpers, der selbst Euer Leben in Gefahr brachte?" +fragte der Fremde. + +"Wohl gab es in früherer Zeit Stunden", antwortete der Grieche, "in +denen mein Herz ihn vor Gott angeklagt, daß er diesen Kummer über +mich gebracht und mein Leben vergiftet habe; aber ich fand Trost in +dem Glauben meiner Väter, und dieser befiehlt mir, meine Feinde zu +lieben; auch ist er wohl noch unglücklicher als ich." + +"Ihr seid ein edler Mann!" rief der Fremde und drückte gerührt dem +Griechen die Hand. + +Der Anführer der Wache unterbrach sie aber in ihrem Gespräch. Er +trat mit besorgter Miene in das Zelt und berichtete, daß man sich +nicht der Ruhe überlassen dürfe; denn hier sei die Stelle, wo +gewöhnlich die Karawanen angegriffen würden, auch glaubten seine +Wachen, in der Entfernung mehrere Reiter zu sehen. + +Die Kaufleute waren sehr bestürzt über diese Nachricht; Selim, der +Fremde, aber wunderte sich über ihre Bestürzung und meinte, daß sie +so gut geschätzt wären, daß sie einen Trupp räuberischer Araber nicht +zu fürchten brauchten. + +"Ja, Herr!" entgegnete ihm der Anführer der Wache. "Wenn es nur +solches Gesindel wäre, könnte man sich ohne Sorge zur Ruhe legen; +aber seit einiger Zeit zeigt sich der furchtbare Orbasan wieder, und +da gilt es, auf seiner Hut zu sein." + +Der Fremde fragte, wer denn dieser Orbasan sei, und Achmet, der alte +Kaufmann, antwortete ihm: "Es gehen allerlei Sagen unter dem Volke +über diesen wunderbaren Mann. Die einen halten ihn für ein +übermenschliches Wesen, weil er oft mit fünf bis sechs Männern zumal +einen Kampf besteht, andere halten ihn für einen tapferen Franken, +den das Unglück in diese Gegend verschlagen habe; von allem aber ist +nur so viel gewiß, daß er ein verruchter Mörder und Dieb ist." + +"Das könnt Ihr aber doch nicht behaupten", entgegnete ihm Lezah, +einer der Kaufleute. "Wenn er auch ein Räuber ist, so ist er doch +ein edler Mann, und als solcher hat er sich an meinem Bruder bewiesen, +wie ich Euch erzählen könnte. Er hat seinen ganzen Stamm zu +geordneten Menschen gemacht, und so lange er die Wüste durchstreift, +darf kein anderer Stamm es wagen, sich sehen zu lassen. Auch raubt +er nicht wie andere, sondern er erhebt nur ein Schutzgeld von den +Karawanen, und wer ihm dieses willig bezahlt, der ziehet ungefährdet +weiter; denn Orbasan ist der Herr der Wüste." + +Also sprachen unter sich die Reisenden im Zelte; die Wachen aber, die +um den Lagerplatz ausgestellt waren, begannen unruhig zu werden. Ein +ziemlich bedeutender Haufe bewaffneter Reiter zeigte sich in der +Entfernung einer halben Stunde; sie schienen gerade auf das Lager +zuzureiten. Einer der Männer von der Wache ging daher in das Zelt, +um zu verkünden, daß sie wahrscheinlich angegriffen würden. Die +Kaufleute berieten sich untereinander, was zu tun sei, ob man ihnen +entgegengehen oder den Angriff abwarten solle. Achmet und die zwei +älteren Kaufleute wollten das letztere, der feurige Muley aber und +Zaleukos verlangten das erstere und riefen den Fremden zu ihrem +Beistand auf. Dieser zog ruhig ein kleines, blaues Tuch mit roten +Sternen aus seinem Gürtel hervor, band es an eine Lanze und befahl +einem der Sklaven, es auf das Zelt zu stecken; er setze sein Leben +zum Pfand, sagte er, die Reiter werden, wenn sie dieses Zeichen sehen, +ruhig vorüberziehen. Muley glaubte nicht an den Erfolg, der Sklave +aber steckte die Lanze auf das Zelt. Inzwischen hatten alle, die im +Lager waren, zu den Waffen gegriffen und sahen in gespannter +Erwartung den Reitern entgegen. Doch diese schienen das Zeichen auf +dem Zelte erblickt zu haben, sie wichen plötzlich von ihrer Richtung +auf das Lager ab und zogen in einem großen Bogen auf der Seite hin. + +Verwundert standen einige Augenblicke die Reisenden und sahen bald +auf die Reiter, bald auf den Fremden. Dieser stand ganz gleichgültig, +wie wenn nichts vorgefallen wäre, vor dem Zelte und blickte über die +Ebene hin. Endlich brach Muley das Stillschweigen. "Wer bist du, +mächtiger Fremdling", rief er aus, "der du die wilden Horden der +Wüste durch einen Wink bezähmst?" + +"Ihr schlagt meine Kunst höher an, als sie ist", antwortete Selim +Baruch. "Ich habe mich mit diesem Zeichen versehen, als ich der +Gefangenschaft entfloh; was es zu bedeuten hat, weiß ich selbst nicht; +nur so viel weiß ich, daß, wer mit diesem Zeichen reiset, unter +mächtigem Schutze steht." + +Die Kaufleute dankten dem Fremden und nannten ihn ihren Erretter. +Wirklich war auch die Anzahl der Reiter so groß gewesen, daß wohl die +Karawane nicht lange hätte Widerstand leisten können. + +Mit leichterem Herzen begab man sich jetzt zur Ruhe, und als die +Sonne zu sinken begann und der Abendwind über die Sandebene hinstrich, +brachen sie auf und zogen weiter. + +Am nächsten Tage lagerten sie ungefähr nur noch eine Tagreise von dem +Ausgang der Wüste entfernt. Als sich die Reisenden wieder in dem +großen Zelt versammelt hatten, nahm Lezah, der Kaufmann, das Wort: + +"Ich habe euch gestern gesagt, daß der gefürchtete Orbasan ein edler +Mann sei, erlaubt mir, daß ich es euch heute durch die Erzählung der +Schicksale meines Bruders beweise. Mein Vater war Kadi in Akara. Er +hatte drei Kinder. Ich war der Älteste, ein Bruder und eine +Schwester waren bei weitem jünger als ich. Als ich zwanzig Jahre alt +war, rief mich ein Bruder meines Vaters zu sich. Er setzte mich zum +Erben seiner Güter ein, mit der Bedingung, daß ich bis zu seinem Tode +bei ihm bleibe. Aber er erreichte ein hohes Alter, so daß ich erst +vor zwei Jahren in meine Heimat zurückkehrte und nichts davon wußte, +welch schreckliches Schicksal indes mein Haus betroffen und wie gütig +Allah es gewendet hatte." Die Errettung Fatmes + +Die Karawane hatte das Ende der Wüste erreicht, und fröhlich +begrüßten die Reisenden die grünen Matten und die dichtbelaubten +Bäume, deren lieblichen Anblick sie viele Tage entbehrt hatten. In +einem schönen Tale lag eine Karawanserei, die sie sich zum Nachtlager +wählten, und obgleich sie wenig Bequemlichkeit und Erfrischung darbot, +so war doch die ganze Gesellschaft heiterer und zutraulicher als je; +denn der Gedanke, den Gefahren und Beschwerlichkeiten, die eine Reise +durch die Wüste mit sich bringt, entronnen zu sein, hatte alle Herzen +geöffnet und die Gemüter zu Scherz und Kurzweil gestimmt. Muley, der +junge lustige Kaufmann, tanzte einen komischen Tanz und sang Lieder +dazu, die selbst dem ernsten Griechen Zaleukos ein Lächeln entlockten. +Aber nicht genug, daß er seine Gefährten durch Tanz und Spiel +erheitert hatte, er gab ihnen auch noch die Geschichte zum besten, +die er ihnen versprochen hatte, und hub, als er von seinen +Luftsprüngen sich erholt hatte, also zu erzählen an: Die Geschichte +von dem kleinen Muck. + +"So erzählte mir mein Vater; ich bezeugte ihm meine Reue über mein +rohes Betragen gegen den guten kleinen Mann, und mein Vater schenkte +mir die andere Hälfte der Strafe, die er mir zugedacht hatte. Ich +erzählte meinen Kameraden die wunderbaren Schicksale des Kleinen, und +wir gewannen ihn so lieb, daß ihn keiner mehr schimpfte. Im +Gegenteil, wir ehrten ihn, solange er lebte, und haben uns vor ihm +immer so tief wie vor Kadi und Mufti gebückt." + +Die Reisenden beschlossen, einen Rasttag in dieser Karawanserei zu +machen, um sich und die Tiere zur weiteren Reise zu stärken. Die +gestrige Fröhlichkeit ging auch auf diesen Tag über, und sie +ergötzten sich in allerlei Spielen. Nach dem Essen aber riefen sie +dem fünften Kaufmann, Ali Sizah, zu, auch seine Schuldigkeit gleich +den übrigen zu tun und eine Geschichte zu erzählen. Er antwortete, +sein Leben sei zu arm an auffallenden Begebenheiten, als daß er ihnen +etwas davon mitteilen möchte, daher wolle er ihnen etwas anderes +erzählen, nämlich: Das Märchen vom falschen Prinzen. + + +Mit Sonnenaufgang brach die Karawane auf und gelangte bald nach +Birket el Had oder dem Pilgrimsbrunnen, von wo es nur noch drei +Stunden Weges nach Kairo waren--Man hatte um diese Zeit die Karawane +erwartet, und bald hatten die Kaufleute die Freude, ihre Freunde aus +Kairo ihnen entgegenkommen zu sehen. Sie zogen in die Stadt durch +das Tor Bebel Falch; denn es wird für eine glückliche Vorbedeutung +gehalten, wenn man von Mekka kommt, durch dieses Tor einzuziehen, +weil der Prophet hindurchgezogen ist. + +Auf dem Markt verabschiedeten sich die vier türkischen Kaufleute von +dem Fremden und dem griechischen Kaufmann Zaleukos und gingen mit +ihren Freunden nach Haus. Zaleukos aber zeigte dem Fremden eine gute +Karawanserei und lud ihn ein, mit ihm das Mittagsmahl zu nehmen. Der +Fremde sagte zu und versprach, wenn er nur vorher sich umgekleidet +habe, zu erscheinen. + +Der Grieche hatte alle Anstalten getroffen, den Fremden, welchen er +auf der Reise liebgewonnen hatte, gut zu bewirten, und als die +Speisen und Getränke in gehöriger Ordnung aufgestellt waren, setzte +er sich, seinen Gast zu erwarten. + +Langsam und schweren Schrittes hörte er ihn den Gang, der zu seinem +Gemach führte, heraufkommen. Er erhob sich, um ihm freundlich +entgegenzusehen und ihn an der Schwelle zu bewillkommnen; aber voll +Entsetzen fuhr er zurück, als er die Türe öffnete; denn jener +schreckliche Rotmantel trat ihm entgegen; er warf noch einen Blick +auf ihn, es war keine Täuschung; dieselbe hohe, gebietende Gestalt, +die Larve, aus welcher ihn die dunklen Augen anblitzten, der rote +Mantel mit der goldenen Stickerei waren ihm nur allzuwohl bekannt aus +den schrecklichsten Stunden seines Lebens. + +Widerstreitende Gefühle wogten in Zaleukos Brust; er hatte sich mit +diesem Bild seiner Erinnerung längst ausgesöhnt und ihm vergeben, und +doch riß sein Anblick alle seine Wunden wieder auf; alle jene +qualvollen Stunden der Todesangst, jener Gram, der die Blüte seines +Lebens vergiftete, zogen im Flug eines Augenblicks an seiner Seele +vorüber. + +"Was willst du, Schrecklicher?" rief der Grieche aus, als die +Erscheinung noch immer regungslos auf der Schwelle stand. "Weiche +schnell von hinnen, daß ich dir nicht fluche!" + +"Zaleukos!" sprach eine bekannte Stimme unter der Larve hervor. +"Zaleukos! So empfängst du deinen Gastfreund?" Der Sprechende nahm +die Larve ab, schlug den Mantel zurück; es war Selim Baruch, der +Fremde. + +Aber Zaleukos schien noch nicht beruhigt, ihm graute vor dem Fremden; +denn nur zu deutlich hatte er in ihm den Unbekannten von der Ponte +vecchio erkannt; aber die alte Gewohnheit der Gastfreundschaft siegte; +er winkte schweigend dem Fremden, sich zu ihm ans Mahl zu setzen. + +"Ich errate deine Gedanken", nahm dieser das Wort, als sie sich +gesetzt hatten. "Deine Augen sehen fragend auf mich--ich hätte +schweigen und mich deinen Blicken nie mehr zeigen können, aber ich +bin dir Rechenschaft schuldig, und darum wagte ich es auch, auf die +Gefahr hin, daß du mir fluchtest, vor dir in meiner alten Gestalt zu +erscheinen. Du sagtest einst zu mir: Der Glaube meiner Väter +befiehlt mir, ihn zu lieben, auch ist er wohl unglücklicher als ich; +glaube dieses, mein Freund, und höre meine Rechtfertigung! + +Ich muß weit ausholen, um mich dir ganz verständlich zu machen. Ich +bin in Alessandria von christlichen Eltern geboren. Mein Vater, der +jüngere Sohn eines alten, berühmten französischen Hauses, war Konsul +seines Landes in Alessandria. Ich wurde von meinem zehnten Jahre an +in Frankreich bei einem Bruder meiner Mutter erzogen und verließ erst +einige Jahre nach dem Ausbruch der Revolution mein Vaterland, um mit +meinem Oheim, der in dem Lande seiner Ahnen nicht mehr sicher war, +über dem Meer bei meinen Eltern eine Zuflucht zu suchen. Voll +Hoffnung, die Ruhe und den Frieden, den uns das empörte Volk der +Franzosen entrissen, im elterlichen Hause wiederzufinden, landeten +wir. Aber ach! Ich fand nicht alles in meines Vaters Hause, wie es +sein sollte; die äußeren Stürme der bewegten Zeit waren zwar noch +nicht bis hierher gelangt, desto unerwarteter hatte das Unglück mein +Haus im innersten Herzen heimgesucht. Mein Bruder, ein junger, +hoffnungsvoller Mann, erster Sekretär meines Vaters, hatte sich erst +seit kurzem mit einem jungen Mädchen, der Tochter eines +florentinischen Edelmanns, der in unserer Nachbarschaft wohnte, +verheiratet; zwei Tage vor unserer Ankunft war diese auf einmal +verschwunden, ohne daß weder unsere Familie noch ihr Vater die +geringste Spur von ihr auffinden konnten. Man glaubte endlich, sie +habe sich auf einem Spaziergang zu weit gewagt und sei in Räuberhände +gefallen. Beinahe tröstlicher wäre dieser Gedanke für meinen armen +Bruder gewesen als die Wahrheit, die uns nur bald kund wurde. Die +Treulose hatte sich mit einem jungen Neapolitaner, den sie im Hause +ihres Vaters kennengelernt hatte, eingeschifft. Mein Bruder, aufs +äußerste empört über diesen Schritt, bot alles auf, die Schuldige zur +Strafe zu ziehen; doch vergebens; seine Versuche, die in Neapel und +Florenz Aufsehen erregt hatten, dienten nur dazu, sein und unser +aller Unglück zu vollenden. Der florentinische Edelmann reiste in +sein Vaterland zurück, zwar mit dem Vorgeben, meinem Bruder Recht zu +verschaffen, der Tat nach aber, um uns zu verderben. Er schlug in +Florenz alle jene Untersuchungen, welche mein Bruder angeknüpft hatte, +nieder und wußte seinen Einfluß, den er auf alle Art sich verschafft +hatte, so gut zu benützen, daß mein Vater und mein Bruder ihrer +Regierung verdächtig gemacht und durch die schändlichsten Mittel +gefangen, nach Frankreich geführt und dort vom Beil des Henkers +getötet wurden. Meine arme Mutter verfiel in Wahnsinn, und erst nach +zehn langen Monaten erlöste sie der Tod von ihrem schrecklichen +Zustand, der aber in den letzten Tagen zu vollem, klarem Bewußtsein +geworden war. So stand ich jetzt ganz allein in der Welt, aber nur +ein Gedanke beschäftigte meine Seele, nur ein Gedanke ließ mich meine +Trauer vergessen, es war jene mächtige Flamme, die meine Mutter in +ihrer letzten Stunde in mir angefacht hatte. + +In den letzten Stunden war, wie ich dir sagte, ihr Bewußtsein +zurückgekehrt; sie ließ mich rufen und sprach mit Ruhe von unserem +Schicksal und ihrem Ende. Dann aber ließ sie alle aus dem Zimmer +gehen, richtete sich mit feierlicher Miene von ihrem ärmlichen Lager +auf und sagte, ich könne mir ihren Segen erwerben, wenn ich ihr +schwöre, etwas auszuführen, das sie mir auftragen würde--Ergriffen +von den Worten der sterbenden Mutter, gelobte ich mit einem Eide zu +tun, wie sie mir sagen werde. Sie brach nun in Verwünschungen gegen +den Florentiner und seine Tochter aus und legte mir mit den +fürchterlichsten Drohungen ihres Fluches auf, mein unglückliches Haus +an ihm zu rächen. Sie starb in meinen Armen. Jener Gedanke der +Rache hatte schon lange in meiner Seele geschlummert; jetzt erwachte +er mit aller Macht. Ich sammelte den Rest meines väterlichen +Vermögens und schwor mir, alles an meine Rache zu setzen oder selbst +mit unterzugehen. + +Bald war ich in Florenz, wo ich mich so geheim als möglich aufhielt; +mein Plan war um vieles erschwert worden durch die Lage, in welcher +sich meine Feinde befanden. Der alte Florentiner war Gouverneur +geworden und hatte so alle Mittel in der Hand, sobald er das +geringste ahnte, mich zu verderben. Ein Zufall kam mir zu Hilfe. +Eines Abends sah ich einen Menschen in bekannter Livree durch die +Straßen gehen; sein unsicherer Gang, sein finsterer Blick und das +halblaut herausgestoßene "Santo sacramento", "Maledetto diavolo" +ließen mich den alten Pietro, einen Diener des Florentiners, den ich +schon in Alessandria gekannt hatte, erkennen. Ich war nicht in +Zweifel, daß er über seinen Herrn in Zorn geraten sei, und beschloß, +seine Stimmung zu benützen. Er schien sehr überrascht, mich hier zu +sehen, klagte mir sein Leiden, daß er seinem Herrn, seit er +Gouverneur geworden, nichts mehr recht machen könne, und mein Gold, +unterstützt von seinem Zorn, brachte ihn bald auf meine Seite. Das +Schwierigste war jetzt beseitigt; ich hatte einen Mann in meinem +Solde, der mir zu jeder Stunde die Türe meines Feindes öffnete, und +nun reifte mein Racheplan immer schneller heran. Das Leben des alten +Florentiners schien mir ein zu geringes Gewicht, dem Untergang meines +Hauses gegenüber, zu haben. Sein Liebstes mußte er gemordet sehen, +und dies war Bianka, seine Tochter. Hatte ja sie so schändlich an +meinem Bruder gefrevelt, war ja doch sie die Ursache unseres Unglücks. +Gar erwünscht kam sogar meinem rachedürstigen Herzen die Nachricht, +daß in dieser Zeit Bianka zum zweitenmal sich vermählen wollte, es +war beschlossen, sie mußte sterben. Aber mir selbst graute vor der +Tat, und auch Pietro traute sich zu wenig Kraft zu; darum spähten wir +umher nach einem Mann, der das Geschäft vollbringen könne. Unter den +Florentinern wagte ich keinen zu dingen, denn gegen den Gouverneur +würde keiner etwas Solches unternommen haben. Da fiel Pietro der +Plan ein, den ich nachher ausgeführt habe; zugleich schlug er dich +als Fremden und Arzt als den Tauglichsten vor. Den Verlauf der Sache +weißt du. Nur an deiner großen Vorsicht und Ehrlichkeit schien mein +Unternehmen zu scheitern. Daher der Zufall mit dem Mantel. + +Pietro öffnete uns das Pförtchen an dem Palast des Gouverneurs; er +hätte uns auch ebenso heimlich wieder hinausgeleitet, wenn wir nicht, +durch den schrecklichen Anblick, der sich uns durch die Türspalte +darbot, erschreckt, entflohen wären. Von Schrecken und Reue gejagt, +war ich über zweihundert Schritte fortgerannt, bis ich auf den Stufen +einer Kirche niedersank. Dort erst sammelte ich mich wieder, und +mein erster Gedanke warst du und dein schreckliches Schicksal, wenn +man dich in dem Hause fände. Ich schlich an den Palast, aber weder +von Pietro noch von dir konnte ich eine Spur entdecken; das Pförtchen +aber war offen, so konnte ich wenigstens hoffen, daß du die +Gelegenheit zur Flucht benützt haben könntest. + +Als aber der Tag anbrach, ließ mich die Angst vor der Entdeckung und +ein unabweisbares Gefühl von Reue nicht mehr in den Mauern von +Florenz. Ich eilte nach Rom. Aber denke dir meine Bestürzung, als +man dort nach einigen Tagen überall diese Geschichte erzählte mit dem +Beisatz, man habe den Mörder, einen griechischen Arzt, gefangen. Ich +kehrte in banger Besorgnis nach Florenz zurück; denn schien mir meine +Rache schon vorher zu stark, so verfluchte ich sie jetzt, denn sie +war mir durch dein Leben allzu teuer erkauft. Ich kam an demselben +Tage an, der dich der Hand beraubte. Ich schweige von dem, was ich +fühlte, als ich dich das Schafott besteigen und so heldenmütig leiden +sah. Aber damals, als dein Blut in Strömen aufspritzte, war der +Entschluß fest in mir, dir deine übrigen Lebenstage zu versüßen. Was +weiter geschehen ist, weißt du, nur das bleibt mir noch zu sagen +übrig, warum ich diese Reise mit dir machte. + +Als eine schwere Last drückte mich der Gedanke, daß du mir noch immer +nicht vergeben habest; darum entschloß ich mich, viele Tage mit dir +zu leben und dir endlich Rechenschaft abzulegen von dem, was ich mit +dir getan." + +Schweigend hatte der Grieche seinen Gast angehört; mit sanftem Blick +bot er ihm, als er geendet hatte, seine Rechte. "Ich wußte wohl, daß +du unglücklicher sein müßtest als ich, denn jene grausame Tat wird +wie eine dunkle Wolke ewig deine Tage verfinstern; ich vergebe dir +von Herzen. Aber erlaube mir noch eine Frage: Wie kommst du unter +dieser Gestalt in die Wüste? Was fingst du an, nachdem du in +Konstantinopel mir das Haus gekauft hattest?" + +"Ich ging nach Alessandria zurück", antwortete der Gefragte. "Haß +gegen alle Menschen tobte in meiner Brust, brennender Haß besonders +gegen jene Nationen, die man die gebildeten nennt. Glaube mir, unter +meinen Moslemiten war mir wohler! Kaum war ich einige Monate in +Alessandria, als jene Landung meiner Landsleute erfolgte. + +Ich sah in ihnen nur die Henker meines Vaters und meines Bruders; +darum sammelte ich einige gleichgesinnte junge Leute meiner +Bekanntschaft und schloß mich jenen tapferen Mamelucken an, die so +oft der Schrecken des französischen Heeres wurden. Als der Feldzug +beendigt war, konnte ich mich nicht entschließen, zu den Künsten des +Friedens zurückzukehren. Ich lebte mit einer kleinen Anzahl +gleichdenkender Freunde ein unstetes und flüchtiges, dem Kampf und +der Jagd geweihtes Leben; ich lebe zufrieden unter diesen Leuten, die +mich wie ihren Fürsten ehren; denn wenn meine Asiaten auch nicht so +gebildet sind wie Eure Europäer, so sind sie doch weit entfernt von +Neid und Verleumdung, von Selbstsucht und Ehrgeiz." + +Zaleukos dankte dem Fremden für seine Mitteilung, aber er verbarg ihm +nicht, daß er es für seinen Stand, für seine Bildung angemessener +fände, wenn er in christlichen, in europäischen Ländern leben und +wirken würde. Er faßte seine Hand und bat ihn, mit ihm zu ziehen, +bei ihm zu leben und zu sterben. + +Gerührt sah ihn der Gastfreund an. "Daraus erkenne ich", sagte er, +"daß du mir ganz vergeben hast, daß du mich liebst. Nimm meinen +innigsten Dank dafür!" Er sprang auf und stand in seiner ganzen Größe +vor dem Griechen, dem vor dem kriegerischen Anstand, den dunkel +blitzenden Augen, der tiefen Stimme seines Gastes beinahe graute. +"Dein Vorschlag ist schön", sprach jener weiter, "er möchte für jeden +andern lockend sein--ich kann ihn nicht benützen. Schon steht mein +Roß gesattelt, erwarten mich meine Diener; lebe wohl, Zaleukos!" Die +Freunde, die das Schicksal so wunderbar zusammengeführt, umarmten +sich zum Abschied. "Und wie nenne ich dich? Wie heißt mein +Gastfreund, der auf ewig in meinem Gedächtnis leben wird?" fragte der +Grieche. + +Der Fremde sah ihn lange an, drückte ihm noch einmal die Hand und +sprach: "Man nennt mich den Herrn der Wüste; ich bin der Räuber +Orbasan." + + + + +Kalif Storch + +Wilhelm Hauff + + +Der Kalif Chasid zu Bagdad saß einmal an einem schönen Nachmittag +behaglich auf seinem Sofa; er hatte ein wenig geschlafen, denn es war +ein heißer Tag, und sah nun nach seinem Schläfchen recht heiter aus. +Er rauchte aus einer langen Pfeife von Rosenholz, trank hier und da +ein wenig Kaffee, den ihm ein Sklave einschenkte, und strich sich +allemal vergnügt den Bart, wenn es ihm geschmeckt hatte. Kurz, man +sah dem Kalifen an, daß es ihm recht wohl war. Um diese Stunde +konnte man gar gut mit ihm reden, weil er da immer recht mild und +leutselig war, deswegen besuchte ihn auch sein Großwesir Mansor alle +Tage um diese Zeit. An diesem Nachmittage nun kam er auch, sah aber +sehr nachdenklich aus, ganz gegen seine Gewohnheit. Der Kalif tat +die Pfeife ein wenig aus dem Mund und sprach: "Warum machst du ein so +nachdenkliches Gesicht, Großwesir?" + +Der Großwesir schlug seine Arme kreuzweis über die Brust, verneigte +sich vor seinem Herrn und antwortete: "Herr, ob ich ein +nachdenkliches Gesicht mache, weiß ich nicht, aber da drunten am +Schloß steht ein Krämer, der hat so schöne Sachen, daß es mich ärgert, +nicht viel überflüssiges Geld zu haben." + +Der Kalif, der seinem Großwesir schon lange gerne eine Freude gemacht +hätte, schickte seinen schwarzen Sklaven hinunter, um den Krämer +heraufzuholen. Bald kam der Sklave mit dem Krämer zurück. Dieser +war ein kleiner, dicker Mann, schwarzbraun im Gesicht und in +zerlumptem Anzug. Er trug einen Kasten, in welchem er allerhand +Waren hatte, Perlen und Ringe, reichbeschlagene Pistolen, Becher und +Kämme. Der Kalif und sein Wesir musterten alles durch, und der Kalif +kaufte endlich für sich und Mansor schöne Pistolen, für die Frau des +Wesirs aber einen Kamm. Als der Krämer seinen Kasten schon wieder +zumachen wollte, sah der Kalif eine kleine Schublade und fragte, ob +da auch noch Waren seien. Der Krämer zog die Schublade heraus und +zeigte darin eine Dose mit schwärzlichem Pulver und ein Papier mit +sonderbarer Schrift, die weder der Kalif noch Mansor lesen konnte. +"Ich bekam einmal diese zwei Stücke von einem Kaufmanne, der sie in +Mekka auf der Straße fand", sagte der Krämer, "Ich weiß nicht, was +sie enthalten; euch stehen sie um geringen Preis zu Dienst, ich kann +doch nichts damit anfangen." + +Der Kalif, der in seiner Bibliothek gerne alte Manuskripte hatte, +wenn er sie auch nicht lesen konnte, kaufte Schrift und Dose und +entließ den Krämer. Der Kalif aber dachte, er möchte gerne wissen, +was die Schrift enthalte, und, fragte den Wesir, ob er keinen kenne, +der es entziffern könnte. + +"Gnädigster Herr und Gebieter", antwortete dieser, "an der großen +Moschee wohnt ein Mann, er heißt Selim, der Gelehrte, der versteht +alle Sprachen, laß ihn kommen, vielleicht kennt er diese +geheimnisvollen Züge." + +Der Gelehrte Selim war bald herbeigeholt. "Selim", sprach zu ihm der +Kalif, "Selim, man sagt, du seiest sehr gelehrt; guck einmal ein +wenig in diese Schrift, ob du sie lesen kannst; kannst du sie lesen, +so bekommst du ein neues Festkleid von mir, kannst du es nicht, so +bekommst du zwölf Backenstreiche und fünfundzwanzig auf die Fußsohlen, +weil man dich dann umsonst Selim, den Gelehrten, nennt." + +Selim verneigte sich und sprach: "Dein Wille geschehe, o Herr!" Lange +betrachtete er die Schrift, plötzlich aber rief er aus: "Das ist +Lateinisch, o Herr, oder ich laß mich hängen." "Sag, was drinsteht", +befahl der Kalif, "wenn es Lateinisch ist." + +Selim fing an zu übersetzen: "Mensch, der du dieses findest, preise +Allah für seine Gnade. Wer von dem Pulver in dieser Dose schnupft +und dazu spricht: mutabor, der kann sich in jedes Tier verwandeln und +versteht auch die Sprache der Tiere. + +Will er wieder in seine menschliche Gestalt zurückkehren, so neige er +sich dreimal gen Osten und spreche jenes Wort; aber hüte dich, wenn +du verwandelt bist, daß du nicht lachest, sonst verschwindet das +Zauberwort gänzlich aus deinem Gedächtnis, und du bleibst ein Tier." + +Als Selim, der Gelehrte, also gelesen hatte, war der Kalif über die +Maßen vergnügt. Er ließ den Gelehrten schwören, niemandem etwas von +dem Geheimnis zu sagen, schenkte ihm ein schönes Kleid und entließ +ihn. Zu seinem Großwesir aber sagte er: "Das heiß' ich gut einkaufen, +Mansor! Wie freue ich mich, bis ich ein Tier bin. Morgen früh +kommst du zu mir; wir gehen dann miteinander aufs Feld, schnupfen +etwas Weniges aus meiner Dose und belauschen dann, was in der Luft +und im Wasser, im Wald und Feld gesprochen wird!" + +Kaum hatte am anderen Morgen der Kalif Chasid gefrühstückt und sich +angekleidet, als schon der Großwesir erschien, ihn, wie er befohlen, +auf dem Spaziergang zu begleiten. Der Kalif steckte die Dose mit dem +Zauberpulver in den Gürtel, und nachdem er seinem Gefolge befohlen, +zurückzubleiben, machte er sich mit dem Großwesir ganz allein auf den +Weg. Sie gingen zuerst durch die weiten Gärten des Kalifen, spähten +aber vergebens nach etwas Lebendigem, um ihr Kunststück zu probieren. +Der Wesir schlug endlich vor, weiter hinaus an einen Teich zu gehen, +wo er schon oft viele Tiere, namentlich Störche, gesehen habe, die +durch ihr gravitätisches Wesen und ihr Geklapper immer seine +Aufmerksamkeit erregt hatten. + +Der Kalif billigte den Vorschlag seines Wesirs und ging mit ihm dem +Teich zu. Als sie dort angekommen waren, sahen sie einen Storch +ernsthaft auf und ab gehen, Frösche suchend und hier und da etwas vor +sich hinklappernd. Zugleich sahen sie auch weit oben in der Luft +einen anderen Storch dieser Gegend zuschweben. + +"Ich wette meinen Bart, gnädigster Herr", sagte er Großwesir, "wenn +nicht diese zwei Langfüßler ein schönes Gespräch miteinander führen +werden. Wie wäre es, wenn wir Störche würden?" + +"Wohl gesprochen!" antwortete der Kalif. "Aber vorher wollen wir +noch einmal betrachten, wie man wieder Mensch wird.--Richtig! +Dreimal gen Osten geneigt und mutabor gesagt, so bin ich wieder Kalif +und du Wesir. Aber nur um Himmels willen nicht gelacht, sonst sind +wir verloren!" + +Während der Kalif also sprach, sah er den anderen Storch über ihrem +Haupte schweben und langsam sich zur Erde lassen. Schnell zog er die +Dose aus dem Gürtel, nahm eine gute Prise, bot sie dem Großwesir dar, +der gleichfalls schnupfte, und beide riefen: mutabor! + +Da schrumpften ihre Beine ein und wurden dünn und rot, die schönen +gelben Pantoffeln des Kalifen und seines Begleiters wurden +unförmliche Storchfüße, die Arme wurden zu Flügeln, der Hals fuhr aus +den Achseln und ward eine Elle lang, der Bart war verschwunden, und +den Körper bedeckten weiche Federn. + +"Ihr habt einen hübschen Schnabel, Herr Großwesir", sprach nach +langem Erstaunen der Kalif. "Beim Bart des Propheten, so etwas habe +ich in meinem Leben nicht gesehen." "Danke untertänigst", erwiderte +der Großwesir, indem er sich bückte, "aber wenn ich es wagen darf, +möchte ich behaupten, Eure Hoheit sehen als Storch beinahe noch +hübscher aus denn als Kalif. Aber kommt, wenn es Euch gefällig ist, +daß wir unsere Kameraden dort belauschen und erfahren, ob wir +wirklich Storchisch können." + +Indem war der andere Storch auf der Erde angekommen; er putzte sich +mit dem Schnabel seine Füße, legte seine Federn zurecht und ging auf +den ersten Storch zu. Die beiden neuen Störche aber beeilten sich, +in ihre Nähe zu kommen, und vernahmen zu ihrem Erstaunen folgendes +Gespräch: + +"Guten Morgen, Frau Langbein, so früh schon auf der Wiese?" + +"Schönen Dank, liebe Klapperschnabel! Ich habe mir nur ein kleines +Frühstück geholt. Ist Euch vielleicht ein Viertelchen Eidechs +gefällig oder ein Froschschenkelein?" + +"Danke gehorsamst; habe heute gar keinen Appetit. Ich komme auch +wegen etwas ganz anderem auf die Wiese. Ich soll heute vor den +Gästen meines Vaters tanzen, und da will ich mich im stillen ein +wenig üben." + +Zugleich schritt die junge Störchin in wunderlichen Bewegungen durch +das Feld. Der Kalif und Mansor sahen ihr verwundert nach; als sie +aber in malerischer Stellung auf einem Fuß stand und mit den Flügeln +anmutig dazu wedelte, da konnten sich die beiden nicht mehr halten; +ein unaufhaltsames Gelächter brach aus ihren Schnäbeln hervor, von +dem sie sich erst nach langer Zeit erholten. Der Kalif faßte sich +zuerst wieder: "Das war einmal ein Spaß", rief er, "der nicht mit +Gold zu bezahlen ist; schade, daß die Tiere durch unser Gelächter +sich haben verscheuchen lassen, sonst hätten sie gewiß auch noch +gesungen!" + +Aber jetzt fiel es dem Großwesir ein, daß das Lachen während der +Verwandlung verboten war. Er teilte seine Angst deswegen dem Kalifen +mit. "Potz Mekka und Medina! Das wäre ein schlechter Spaß, wenn ich +ein Storch bleiben müßte! Besinne dich doch auf das dumme Wort, ich +bring' es nicht heraus." + +"Dreimal gen Osten müssen wir uns bücken und dazu sprechen: +mu--mu--mu--" + +Sie stellten sich gegen Osten und bückten sich in einem fort, daß +ihre Schnäbel beinahe die Erde berührten; aber, o Jammer! Das +Zauberwort war ihnen entfallen, und so oft sich auch der Kalif bückte, +so sehnlich auch sein Wesir mu--mu dazu rief, jede Erinnerung daran +war verschwunden, und der arme Chasid und sein Wesir waren und +blieben Störche. + +Traurig wandelten die Verzauberten durch die Felder, sie wußten gar +nicht, was sie in ihrem Elend anfangen sollten. Aus ihrer +Storchenhaut konnten sie nicht heraus, in die Stadt zurück konnten +sie auch nicht, um sich zu erkennen zu geben; denn wer hätte einem +Storch geglaubt, daß er der Kalif sei, und wenn man es auch geglaubt +hätte, würden die Einwohner von Bagdad einen Storch zum Kalif gewollt +haben? + +So schlichen sie mehrere Tage umher und ernährten sich kümmerlich von +Feldfrüchten, die sie aber wegen ihrer langen Schnäbel nicht gut +verspeisen konnten. Auf Eidechsen und Frösche hatten sie übrigens +keinen Appetit, denn sie befürchteten, mit solchen Leckerbissen sich +den Magen zu verderben. Ihr einziges Vergnügen in dieser traurigen +Lage war, daß sie fliegen konnten, und so flogen sie oft auf die +Dächer von Bagdad, um zu sehen, was darin vorging. + +In den ersten Tagen bemerkten sie große Unruhe und Trauer in den +Straßen; aber ungefähr am vierten Tag nach ihrer Verzauberung saßen +sie auf dem Palast des Kalifen, da sahen sie unten in der Straße +einen prächtigen Aufzug; Trommeln und Pfeifen ertönten, ein Mann in +einem goldbestickten Scharlachmantel saß auf einem geschmückten Pferd, +umgeben von glänzenden Dienern, halb Bagdad sprang ihm nach, und +alle schrien: "Heil Mizra, dem Herrscher von Bagdad!" + +Da sahen die beiden Störche auf dem Dache des Palastes einander an, +und der Kalif Chasid sprach: "Ahnst du jetzt, warum ich verzaubert +bin, Großwesir? Dieser Mizra ist der Sohn meines Todfeindes, des +mächtigen Zauberers Kaschnur, der mir in einer bösen Stunde Rache +schwur. Aber noch gebe ich die Hoffnung nicht auf--Komm mit mir, du +treuer Gefährte meines Elends, wir wollen zum Grabe des Propheten +wandern, vielleicht, daß an heiliger Stätte der Zauber gelöst wird." + +Sie erhoben sich vom Dach des Palastes und flogen der Gegend von +Medina zu. + +Mit dem Fliegen wollte es aber nicht gar gut gehen; denn die beiden +Störche hatten noch wenig Übung. "O Herr", ächzte nach ein paar +Stunden der Großwesir, "ich halte es mit Eurer Erlaubnis nicht mehr +lange aus; Ihr fliegt gar zu schnell! Auch ist es schon Abend, und +wir täten wohl, ein Unterkommen für die Nacht zu suchen." + +Chasid gab der Bitte seines Dieners Gehör; und da er unten im Tale +eine Ruine erblickte, die ein Obdach zu gewähren schien, so flogen +sie dahin. Der Ort, wo sie sich für diese Nacht niedergelassen +hatten, schien ehemals ein Schloß gewesen zu sein. Schöne Säulen +ragten unter den Trümmern hervor, mehrere Gemächer, die noch ziemlich +erhalten waren, zeugten von der ehemaligen Pracht des Hauses. Chasid +und sein Begleiter gingen durch die Gänge umher, um sich ein +trockenes Plätzchen zu suchen; plötzlich blieb der Storch Mansor +stehen. "Herr und Gebieter", flüsterte er leise, "wenn es nur nicht +töricht für einen Großwesir, noch mehr aber für einen Storch wäre, +sich vor Gespenstern zu fürchten! Mir ist ganz unheimlich zumute; +denn hier neben hat es ganz vernehmlich geseufzt und gestöhnt." Der +Kalif blieb nun auch stehen und hörte ganz deutlich ein leises Weinen, +das eher einem Menschen als einem Tiere anzugehören schien. Voll +Erwartung wollte er der Gegend zugehen, woher die Klagetöne kamen; +der Wesir aber packte ihn mit dem Schnabel am Flügel und bat ihn +flehentlich, sich nicht in neue, unbekannte Gefahren zu stürzen. +Doch vergebens! Der Kalif, dem auch unter dem Storchenflügel ein +tapferes Herz schlug, riß sich mit Verlust einiger Federn los und +eilte in einen finsteren Gang. Bald war er an einer Tür angelangt, +die nur angelehnt schien und woraus er deutliche Seufzer mit ein +wenig Geheul vernahm. Er stieß mit dem Schnabel die Türe auf, blieb +aber überrascht auf der Schwelle stehen. In dem verfallenen Gemach, +das nur durch ein kleines Gitterfenster spärlich erleuchtet war, sah +er eine große Nachteule am Boden sitzen. Dicke Tränen rollten ihr +aus den großen, runden Augen, und mit heiserer Stimme stieß sie ihre +Klagen zu dem krummen Schnabel heraus. Als sie aber den Kalifen und +seinen Wesir, der indes auch herbeigeschlichen war, erblickte, erhob +sie ein lautes Freudengeschrei. Zierlich wischte sie mit dem +braungefleckten Flügel die Tränen aus dem Auge, und zu dem größten +Erstaunen der beiden rief sie in gutem menschlichem Arabisch: +"Willkommen, ihr Störche! Ihr seid mir ein gutes Zeichen meiner +Errettung; denn durch Störche werde mir ein großes Glück kommen, ist +mir einst prophezeit worden!" + +Als sich der Kalif von seinem Erstaunen erholt hatte, bückte er sich +mit seinem langen Hals, brachte seine dünnen Füße in eine zierliche +Stellung und sprach: "Nachteule! Deinen Worten nach darf ich glauben, +eine Leidensgefährtin in dir zu sehen. Aber ach! Deine Hoffnung, +daß durch uns deine Rettung kommen werde, ist vergeblich. Du wirst +unsere Hilflosigkeit selbst erkennen, wenn du unsere Geschichte hörst." +Die Nachteule bat ihn zu erzählen, was der Kalif sogleich tat. + +Als der Kalif der Eule seine Geschichte vorgetragen hatte, dankte sie +ihm und sagte: "Vernimm auch meine Geschichte und höre, wie ich nicht +weniger unglücklich bin als du. Mein Vater ist der König von Indien, +ich, seine einzige unglückliche Tochter, heiße Lusa. Jener Zauberer +Kaschnur, der euch verzauberte, hat auch mich ins Unglück gestürzt. +Er kam eines Tages zu meinem Vater und begehrte mich zur Frau für +seinen Sohn Mizra. Mein Vater aber, der ein hitziger Mann ist, ließ +ihn die Treppe hinunterwerfen. Der Elende wußte sich unter einer +anderen Gestalt wieder in meine Nähe zu schleichen, und als ich einst +in meinem Garten Erfrischungen zu mir nehmen wollte, brachte er mir, +als Sklave verkleidet, einen Trank bei, der mich in diese +abscheuliche Gestalt verwandelte. Vor Schrecken ohnmächtig, brachte +er mich hierher und rief mir mit schrecklicher Stimme in die Ohren: + +'Da sollst du bleiben, häßlich, selbst von den Tieren verachtet, bis +an dein Ende, oder bis einer aus freiem Willen dich, selbst in dieser +schrecklichen Gestalt, zur Gattin begehrt. So räche ich mich an dir +und deinem stolzen Vater.' + +Seitdem sind viele Monate verflossen. Einsam und traurig lebe ich +als Einsiedlerin in diesem Gemäuer, verabscheut von der Welt, selbst +den Tieren ein Greuel; die schöne Natur ist vor mir verschlossen; +denn ich bin blind am Tage, und nur, wenn der Mond sein bleiches +Licht über dies Gemäuer ausgießt, fällt der verhüllende Schleier von +meinem Auge." + +Die Eule hatte geendet und wischte sich mit dem Flügel wieder die +Augen aus, denn die Erzählung ihrer Leiden hatte ihr Tränen entlockt. + +Der Kalif war bei der Erzählung der Prinzessin in tiefes Nachdenken +versunken. "Wenn mich nicht alles täuscht", sprach er, "so findet +zwischen unserem Unglück ein geheimer Zusammenhang statt; aber wo +finde ich den Schlüssel zu diesem Rätsel?" + +Die Eule antwortete ihm: "O Herr! Auch mir ahnet dies; denn es ist +mir einst in meiner frühesten Jugend von einer weisen Frau prophezeit +worden, daß ein Storch mir ein großes Glück bringen werde, und ich +wüßte vielleicht, wie wir uns retten könnten." Der Kalif war sehr +erstaunt und fragte, auf welchem Wege sie meine. "Der Zauberer, der +uns beide unglücklich gemacht hat", sagte sie, "kommt alle Monate +einmal in diese Ruinen. Nicht weit von diesem Gemach ist ein Saal. +Dort pflegt er dann mit vielen Genossen zu schmausen. Schon oft habe +ich sie dort belauscht. Sie erzählen dann einander ihre schändlichen +Werke; vielleicht, daß er dann das Zauberwort, das ihr vergessen habt, +ausspricht." + +"O, teuerste Prinzessin", rief der Kalif, "sag an, wann kommt er, und +wo ist der Saal?" + +Die Eule schwieg einen Augenblick und sprach dann: "Nehmet es nicht +ungütig, aber nur unter einer Bedingung kann ich Euern Wunsch +erfüllen." + +"Sprich aus! Sprich aus!" schrie Chasid. "Befiehl, es ist mir jede +recht." + +"Nämlich, ich möchte auch gern zugleich frei sein; dies kann aber nur +geschehen, wenn einer von euch mir seine Hand reicht." + +Die Störche schienen über den Antrag etwas betroffen zu sein, und der +Kalif winkte seinem Diener, ein wenig mit ihm hinauszugehen. + +"Großwesir", sprach vor der Türe der Kalif, "das ist ein dummer +Handel; aber Ihr könntet sie schon nehmen." + +"So", antwortete dieser, "daß mir meine Frau, wenn ich nach Hause +komme, die Augen auskratzt? Auch bin ich ein alter Mann, und Ihr +seid noch jung und unverheiratet und könnet eher einer jungen, +schönen Prinzessin die Hand geben." + +"Das ist es eben", seufzte der Kalif, indem er traurig die Flügel +hängen ließ, "wer sagt dir denn, daß sie jung und schön ist? Das +heißt eine Katze im Sack kaufen!" + +Sie redeten einander gegenseitig noch lange zu; endlich aber, als der +Kalif sah, daß sein Wesir lieber Storch bleiben als die Eule heiraten +wollte, entschloß er sich, die Bedingung lieber selbst zu erfüllen. +Die Eule war hocherfreut. Sie gestand ihnen, daß sie zu keiner +besseren Zeit hätten kommen können, weil wahrscheinlich in dieser +Nacht die Zauberer sich versammeln würden. + +Sie verließ mit den Störchen das Gemach, um sie in jenen Saal zu +führen; sie gingen lange in einem finsteren Gang hin; endlich +strahlte ihnen aus einer halbverfallenen Mauer ein heller Schein +entgegen. Als sie dort angelangt waren, riet ihnen die Eule, sich +ganz ruhig zu verhalten. Sie konnten von der Lücke, an welcher sie +standen, einen großen Saal übersehen. Er war ringsum mit Säulen +geschmückt und prachtvoll verziert. Viele farbige Lampen ersetzten +das Licht des Tages. In der Mitte des Saales stand ein runder Tisch, +mit vielen und ausgesuchten Speisen besetzt. Rings um den Tisch zog +sich ein Sofa, auf welchem acht Männer saßen. In einem dieser Männer +erkannten die Störche jenen Krämer wieder, der ihnen das Zauberpulver +verkauft hatte. Sein Nebensitzer forderte ihn auf, ihnen seine +neuesten Taten zu erzählen. Er erzählte unter anderen auch die +Geschichte des Kalifen und seines Wesirs. + +"Was für ein Wort hast du ihnen denn aufgegeben?" fragte ihn ein +anderer Zauberer. "Ein recht schweres lateinisches, es heißt mutabor." + +Als die Störche an der Mauerlücke dieses hörten, kamen sie vor +Freuden beinahe außer sich. Sie liefen auf ihren langen Füßen so +schnell dem Tore der Ruine zu, daß die Eule kaum folgen konnte. Dort +sprach der Kalif gerührt zu der Eule: "Retterin meines Lebens und des +Lebens meines Freundes, nimm zum ewigen Dank für das, was du an uns +getan, mich zum Gemahl an!" Dann aber wandte er sich nach Osten. +Dreimal bückten die Störche ihre langen Hälse der Sonne entgegen, die +soeben hinter dem Gebirge heraufstieg: "Mutabor!" riefen sie, im Nu +waren sie verwandelt, und in der hohen Freude des neugeschenkten +Lebens lagen Herr und Diener lachend und weinend einander in den +Armen. + +Wer beschreibt aber ihr Erstaunen, als sie sich umsahen? Eine schöne +Dame, herrlich geschmückt, stand vor ihnen. Lächelnd gab sie dem +Kalifen die Hand. "Erkennt Ihr Eure Nachteule nicht mehr?" sagte sie. +Sie war es; der Kalif war von ihrer Schönheit und Anmut entzückt. + +Die drei zogen nun miteinander auf Bagdad zu. Der Kalif fand in +seinen Kleidern nicht nur die Dose mit Zauberpulver, sondern auch +seinen Geldbeutel. Er kaufte daher im nächsten Dorfe, was zu ihrer +Reise nötig war, und so kamen sie bald an die Tore von Bagdad. Dort +aber erregte die Ankunft des Kalifen großes Erstaunen. Man hatte ihn +für tot ausgegeben, und das Volk war daher hocherfreut, seinen +geliebten Herrscher wiederzuhaben. + +Um so mehr aber entbrannte ihr Haß gegen den Betrüger Mizra. Sie +zogen in den Palast und nahmen den alten Zauberer und seinen Sohn +gefangen. Den Alten schickte der Kalif in dasselbe Gemach der Ruine, +das die Prinzessin als Eule bewohnt hatte, und ließ ihn dort +aufhängen. Dem Sohn aber, welcher nichts von den Künsten des Vaters +verstand, ließ der Kalif die Wahl, ob er sterben oder schnupfen wolle. +Als er das letztere wählte, bot ihm der Großwesir die Dose. Eine +tüchtige Prise, und das Zauberwort des Kalifen verwandelte ihn in +einen Storch. Der Kalif ließ ihn in einen eisernen Käfig sperren und +in seinem Garten aufstellen. + +Lange und vergnügt lebte Kalif Chasid mit seiner Frau, der Prinzessin; +seine vergnügtesten Stunden waren immer die, wenn ihn der Großwesir +nachmittags besuchte; da sprachen sie dann oft von ihrem +Storchabenteuer, und wenn der Kalif recht heiter war, ließ er sich +herab, den Großwesir nachzuahmen, wie er als Storch aussah. Er stieg +dann ernsthaft, mit steifen Füßen im Zimmer auf und ab, klapperte, +wedelte mit den Armen wie mit Flügeln und zeigte, wie jener sich +vergeblich nach Osten geneigt und Mu--Mu--dazu gerufen habe. Für die +Frau Kalifin und ihre Kinder war diese Vorstellung allemal eine große +Freude; wenn aber der Kalif gar zu lange klapperte und nickte und +Mu--Mu--schrie, dann drohte ihm lächelnd der Wesir: Er wolle das, was +vor der Türe der Prinzessin Nachteule verhandelt worden sei, der Frau +Kalifin mitteilen. + +Als Selim Baruch seine Geschichte beendet hatte, bezeugten sich die +Kaufleute sehr zufrieden damit. "Wahrhaftig, der Nachmittag ist uns +vergangen, ohne daß wir merkten wie!" sagte einer derselben, indem er +die Decke des Zeltes zurückschlug. "Der Abendwind wehet kühl, und +wir könnten noch eine gute Strecke Weges zurücklegen." Seine +Gefährten waren damit einverstanden, die Zelte wurden abgebrochen, +und die Karawane machte sich in der nämlichen Ordnung, in welcher sie +herangezogen war, auf den Weg. + +Sie ritten beinahe die ganze Nacht hindurch, denn es war schwül am +Tage, die Nacht aber war erquicklich und sternhell. Sie kamen +endlich an einem bequemen Lagerplatz an, schlugen die Zelte auf und +legten sich zur Ruhe. Für den Fremden aber sorgten die Kaufleute, +wie wenn er ihr wertester Gastfreund wäre. Der eine gab ihm Polster, +der andere Decken, ein dritter gab ihm Sklaven, kurz, er wurde so gut +bedient, als ob er zu Hause wäre. Die heißeren Stunden des Tages +waren schon heraufgekommen, als sie sich wieder erhoben, und sie +beschlossen einmütig, hier den Abend abzuwarten. Nachdem sie +miteinander gespeist hatten, rückten sie wieder näher zusammen, und +der junge Kaufmann wandte sich an den ältesten und sprach: "Selim +Baruch hat uns gestern einen vergnügten Nachmittag bereitet, wie wäre +es, Achmet, wenn Ihr uns auch etwas erzähltet, sei es nun aus Eurem +langen Leben, das wohl viele Abenteuer aufzuweisen hat, oder sei es +auch ein hübsches Märchen." Achmet schwieg auf diese Anrede eine +Zeitlang, wie wenn er bei sich im Zweifel wäre, ob er dies oder jenes +sagen sollte oder nicht; endlich fing er an zu sprechen: + +"Liebe Freunde! Ihr habt euch auf dieser unserer Reise als treue +Gesellen erprobt, und auch Selim verdient mein Vertrauen; daher will +ich euch etwas aus meinem Leben mitteilen, das ich sonst ungern und +nicht jedem erzähle: die Geschichte von dem Gespensterschiff." + + + + +Die Geschichte von dem Gespensterschiff + +Wilhelm Hauff + + +Mein Vater hatte einen kleinen Laden in Balsora; er war weder arm +noch reich und einer von jenen Leuten, die nicht gerne etwas wagen, +aus Furcht, das Wenige zu verlieren, das sie haben. Er erzog mich +schlicht und recht und brachte es bald so weit, daß ich ihm an die +Hand gehen konnte. Gerade als ich achtzehn Jahre alt war, als er die +erste größere Spekulation machte, starb er, wahrscheinlich aus Gram, +tausend Goldstücke dem Meere anvertraut zu haben. Ich mußte ihn bald +nachher wegen seines Todes glücklich preisen, denn wenige Wochen +hernach lief die Nachricht ein, daß das Schiff, dem mein Vater seine +Güter mitgegeben hatte, versunken sei. Meinen jugendlichen Mut +konnte aber dieser Unfall nicht beugen. Ich machte alles vollends zu +Geld, was mein Vater hinterlassen hatte, und zog aus, um in der +Fremde mein Glück zu probieren, nur von einem alten Diener meines +Vaters begleitet. + +Im Hafen von Balsora schifften wir uns mit günstigem Winde ein. Das +Schiff, auf dem ich mich eingemietet hatte, war nach Indien bestimmt. +Wir waren schon fünfzehn Tage auf der gewöhnlichen Straße gefahren, +als uns der Kapitän einen Sturm verkündete. Er machte ein +bedenkliches Gesicht, denn es schien, er kenne in dieser Gegend das +Fahrwasser nicht genug, um einem Sturm mit Ruhe begegnen zu können. +Er ließ alle Segel einziehen, und wir trieben ganz langsam hin. Die +Nacht war angebrochen, war hell und kalt, und der Kapitän glaubte +schon, sich in den Anzeichen des Sturmes getäuscht zu haben. Auf +einmal schwebte ein Schiff, das wir vorher nicht gesehen hatten, +dicht an dem unsrigen vorbei. Wildes Jauchzen und Geschrei erscholl +aus dem Verdeck herüber, worüber ich mich zu dieser angstvollen +Stunde vor einem Sturm nicht wenig wunderte. Aber der Kapitän an +meiner Seite wurde blaß wie der Tod. "Mein Schiff ist verloren", +rief er, "dort segelt der Tod!" + +Ehe ich ihn noch über diesen sonderbaren Ausruf befragen konnte, +stürzten schon heulend und schreiend die Matrosen herein. "Habt ihr +ihn gesehen?" schrien sie. "Jetzt ist's mit uns vorbei!" + +Der Kapitän aber ließ Trostsprüche aus dem Koran vorlesen und setzte +sich selbst ans Steuerruder. Aber vergebens! Zusehends brauste der +Sturm auf, und ehe eine Stunde verging, krachte das Schiff und blieb +sitzen. Die Boote wurden ausgesetzt, und kaum hatten sich die +letzten Matrosen gerettet, so versank das Schiff vor unseren Augen, +und als ein Bettler fuhr ich in die See hinaus. Aber der Jammer +hatte noch kein Ende. Fürchterlicher tobte der Sturm; das Boot war +nicht mehr zu regieren. Ich hatte meinen alten Diener fest +umschlungen, und wir versprachen uns, nie voneinander zu weichen. +Endlich brach der Tag an. Aber mit dem ersten Anblick der Morgenröte +faßte der Wind das Boot, in welchem wir saßen, und stürzte es um. +Ich habe keinen meiner Schiffsleute mehr gesehen. Der Sturz hatte +mich betäubt; und als ich aufwachte, befand ich mich in den Armen +meines alten treuen Dieners, der sich auf das umgeschlagene Boot +gerettet und mich nachgezogen hatte. Der Sturm hatte sich gelegt. +Von unserem Schiff war nichts mehr zu sehen, wohl aber entdeckten wir +nicht weit von uns ein anderes Schiff, auf das die Wellen uns +hintrieben. Als wir näher hinzukamen, erkannte ich das Schiff als +dasselbe, das in der Nacht an uns vorbeifuhr und welches den Kapitän +so sehr in Schrecken gesetzt hatte. Ich empfand ein sonderbares +Grauen vor diesem Schiffe. Die Äußerung des Kapitäns, die sich so +furchtbar bestätigt hatte, das öde Aussehen des Schiffes, auf dem +sich, so nahe wir auch herankamen, so laut wir schrien, niemand +zeigte, erschreckten mich. Doch es war unser einziges Rettungsmittel; +darum priesen wir den Propheten, der uns so wundervoll erhalten +hatte. + +Am Vorderteil des Schiffes hing ein langes Tau herab. Mit Händen und +Füßen ruderten wir darauf zu, um es zu erfassen. Endlich glückte es. +Noch einmal erhob ich meine Stimme, aber immer blieb es still auf +dem Schiff. Da klimmten wir an dem Tau hinauf, ich als der Jüngste +voran. Aber Entsetzen! Welches Schauspiel stellte sich meinem Auge +dar, als ich das Verdeck betrat! Der Boden war mit Blut gerötet, +zwanzig bis dreißig Leichname in türkischen Kleidern lagen auf dem +Boden, am mittleren Mastbaum stand ein Mann, reich gekleidet, den +Säbel in der Hand, aber das Gesicht war blaß und verzerrt, durch die +Stirn ging ein großer Nagel, der ihn an den Mastbaum heftete, auch er +war tot. Schrecken fesselte meine Schritte, ich wagte kaum zu atmen. +Endlich war auch mein Begleiter heraufgekommen. Auch ihn +überraschte der Anblick des Verdecks, das gar nichts Lebendiges, +sondern nur so viele schreckliche Tote zeigte. Wir wagten es endlich, +nachdem wir in der Seelenangst zum Propheten gefleht hatten, weiter +vorzuschreiten. Bei jedem Schritte sahen wir uns um, ob nicht etwas +Neues, noch Schrecklicheres sich darbiete; aber alles blieb, wie es +war; weit und breit nichts Lebendiges als wir und das Weltmeer. +Nicht einmal laut zu sprechen wagten wir, aus Furcht, der tote, am +Mast angespießte Kapitano möchte seine starren Augen nach uns +hindrehen oder einer der Getöteten möchte seinen Kopf umwenden. +Endlich waren wir bis an eine Treppe gekommen, die in den Schiffsraum +führte. Unwillkürlich machten wir dort halt und sahen einander an, +denn keiner wagte es recht, seine Gedanken zu äußern. + +"O Herr", sprach mein treuer Diener, "hier ist etwas Schreckliches +geschehen. Doch wenn auch das Schiff da unten voll Mörder steckt, so +will ich mich ihnen doch lieber auf Gnade und Ungnade ergeben, als +längere Zeit unter diesen Toten zubringen." Ich dachte wie er; wir +faßten uns ein Herz und stiegen voll Erwartung hinunter. Totenstille +war aber auch hier, und nur unsere Schritte hallten auf der Treppe. +Wir standen an der Türe der Kajüte. Ich legte mein Ohr an die Türe +und lauschte; es war nichts zu hören. Ich machte auf. Das Gemach +bot einen unordentlichen Anblick dar. Kleider, Waffen und andere +Geräte lagen untereinander. Nichts in Ordnung. Die Mannschaft oder +wenigstens der Kapitano mußten vor kurzem gezechet haben; denn es lag +alles noch umher. Wir gingen weiter von Raum zu Raum, von Gemach zu +Gemach, überall fanden wir herrliche Vorräte in Seide, Perlen, Zucker +usw. Ich war vor Freude über diesen Anblick außer mir, denn da +niemand auf dem Schiff war, glaubte ich, alles mir zueignen zu dürfen, +Ibrahim aber machte mich aufmerksam darauf, daß wir wahrscheinlich +noch sehr weit vom Lande seien, wohin wir allein und ohne menschliche +Hilfe nicht kommen könnten. + +Wir labten uns an den Speisen und Getränken, die wir in reichem Maß +vorfanden, und stiegen endlich wieder aufs Verdeck. Aber hier +schauderte uns immer die Haut ob dem schrecklichen Anblick der +Leichen. Wir beschlossen, uns davon zu befreien und sie über Bord zu +werfen; aber wie schauerlich ward uns zumut, als wir fanden, daß sich +keiner aus seiner Lage bewegen ließ. Wie festgebannt lagen sie am +Boden, und man hätte den Boden des Verdecks ausheben müssen, um sie +zu entfernen, und dazu gebrach es uns an Werkzeugen. Auch der +Kapitano ließ sich nicht von seinem Mast losmachen; nicht einmal +seinen Säbel konnten wir der starren Hand entwinden. Wir brachten +den Tag in trauriger Betrachtung unserer Lage zu, und als es Nacht zu +werden anfing, erlaubte ich dem alten Ibrahim, sich schlafen zu legen, +ich selbst aber wollte auf dem Verdeck wachen, um nach Rettung +auszuspähen. Als aber der Mond heraufkam und ich nach den Gestirnen +berechnete, daß es wohl um die elfte Stunde sei, überfiel mich ein so +unwiderstehlicher Schlaf, daß ich unwillkürlich hinter ein Faß, das +auf dem Verdeck stand, zurückfiel. Doch war es mehr Betäubung als +Schlaf, denn ich hörte deutlich die See an der Seite des Schiffes +anschlagen und die Segel vom Winde knarren und pfeifen. Auf einmal +glaubte ich Stimmen und Männertritte auf dem Verdeck zu hören. Ich +wollte mich aufrichten, um danach zu schauen. Aber eine unsichtbare +Gewalt hielt meine Glieder gefesselt; nicht einmal die Augen konnte +ich aufschlagen. Aber immer deutlicher wurden die Stimmen, es war +mir, als wenn ein fröhliches Schiffsvolk auf dem Verdeck sich +umhertriebe; mitunter glaubte ich, die kräftige Stimme eines +Befehlenden zu hören, auch hörte ich Taue und Segel deutlich auf- und +abziehen. Nach und nach aber schwanden mir die Sinne, ich verfiel in +einen tieferen Schlaf, in dem ich nur noch ein Geräusch von Waffen zu +hören glaubte, und erwachte erst, als die Sonne schon hoch stand und +mir aufs Gesicht brannte. Verwundert schaute ich mich um, Sturm, +Schiff, die Toten und was ich in dieser Nacht gehört hatte, kam mir +wie ein Traum vor, aber als ich aufblickte, fand ich alles wie +gestern. Unbeweglich lagen die Toten, unbeweglich war der Kapitano +an den Mastbaum geheftet. Ich lachte über meinen Traum und stand auf, +um meinen Alten zu suchen. + +Dieser saß ganz nachdenklich in der Kajüte. "O Herr!" rief er aus, +als ich zu ihm hineintrat, "ich wollte lieber im tiefsten Grund des +Meeres liegen, als in diesem verhexten Schiff noch eine Nacht +zubringen." Ich fragte ihn nach der Ursache seines Kummers, und er +antwortete mir: "Als ich einige Stunden geschlafen hatte, wachte ich +auf und vernahm, wie man über meinem Haupt hin und her lief. Ich +dachte zuerst, Ihr wäret es, aber es waren wenigstens zwanzig, die +oben umherliefen; auch hörte ich rufen und schreien. Endlich kamen +schwere Tritte die Treppe herab. Da wußte ich nichts mehr von mir, +nur hie und da kehrte auf einige Augenblicke meine Besinnung zurück, +und da sah ich dann denselben Mann, der oben am Mast angenagelt ist, +an jenem Tisch dort sitzen, singend und trinkend; aber der, der in +einem roten Scharlachkleid nicht weit von ihm am Boden liegt, saß +neben ihm und half ihm trinken." Also erzählte mir mein alter Diener. + +Ihr könnt mir es glauben, meine Freunde, daß mir gar nicht wohl +zumute war; denn es war keine Täuschung, ich hatte ja auch die Toten +gar wohl gehört. In solcher Gesellschaft zu schiffen, war mir +greulich. Mein Ibrahim aber versank wieder in tiefes Nachdenken. +"Jetzt hab' ich's!" rief er endlich aus; es fiel ihm nämlich ein +Sprüchlein ein, das ihn sein Großvater, ein erfahrener, weitgereister +Mann, gelehrt hatte und das gegen jeden Geister- und Zauberspuk +helfen sollte; auch behauptete er, jenen unnatürlichen Schlaf, der +uns befiel, in der nächsten Nacht verhindern zu können, wenn wir +nämlich recht eifrig Sprüche aus dem Koran beteten. Der Vorschlag +des alten Mannes gefiel mir wohl. In banger Erwartung sahen wir die +Nacht herankommen. Neben der Kajüte war ein kleines Kämmerchen, +dorthin beschlossen wir uns zurückzuziehen. Wir bohrten mehrere +Löcher in die Türe, hinlänglich groß, um durch sie die ganze Kajüte +zu überschauen, dann verschlossen wir die Türe, so gut es ging, von +innen, und Ibrahim schrieb den Namen des Propheten in alle vier Ecken. +So erwarteten wir die Schrecken der Nacht. Es mochte wieder +ungefähr elf Uhr sein, als es mich gewaltig zu schläfern anfing. +Mein Gefährte riet mir daher, einige Sprüche des Korans zu beten, was +mir auch half. Mit einem Male schien es oben lebhaft zu werden; die +Taue knarrten, Schritte gingen über das Verdeck, und mehrere Stimmen +waren deutlich zu unterscheiden--Mehrere Minuten hatten wir so in +gespannter Erwartung gesessen, da hörten wir etwas die Treppe der +Kajüte herabkommen. Als dies der Alte hörte, fing er an, den Spruch, +den ihn sein Großvater gegen Spuk und Zauberei gelehrt hatte, +herzusagen: + +"Kommt ihr herab aus der Luft, +Steigt ihr aus tiefem Meer, +Schlieft ihr in dunkler Gruft, +Stammt ihr vom Feuer her: +Allah ist euer Herr und Meister, +ihm sind gehorsam alle Geister." + +Ich muß gestehen, ich glaubte gar nicht recht an diesen Spruch, und +mir stieg das Haar zu Berg, als die Tür aufflog. Herein trat jener +große, stattliche Mann, den ich am Mastbaum angenagelt gesehen hatte. +Der Nagel ging ihm auch jetzt mitten durchs Hirn; das Schwert aber +hatte er in die Scheide gesteckt; hinter ihm trat noch ein anderer +herein, weniger kostbar gekleidet; auch ihn hatte ich oben liegen +sehen. Der Kapitano, denn dies war er unverkennbar, hatte ein +bleiches Gesicht, einen großen, schwarzen Bart, wildrollende Augen, +mit denen er sich im ganzen Gemach umsah. Ich konnte ihn ganz +deutlich sehen, als er an unserer Türe vorüberging; er aber schien +gar nicht auf die Türe zu achten, die uns verbarg. Beide setzten +sich an den Tisch, der in der Mitte der Kajüte stand, und sprachen +laut und fast schreiend miteinander in einer unbekannten Sprache. +Sie wurden immer lauter und eifriger, bis endlich der Kapitano mit +geballter Faust auf den Tisch hineinschlug, daß das Zimmer dröhnte. +Mit wildem Gelächter sprang der andere auf und winkte dem Kapitano, +ihm zu folgen. Dieser stand auf, riß seinen Säbel aus der Scheide, +und beide verließen das Gemach. Wir atmeten freier, als sie weg +waren; aber unsere Angst hatte noch lange kein Ende. Immer lauter +und lauter ward es auf dem Verdeck. Man hörte eilends hin und her +laufen und schreien, lachen und heulen. Endlich ging ein wahrhaft +höllischer Lärm los, so daß wir glaubten, das Verdeck mit allen +Segeln komme zu uns herab, Waffengeklirr und Geschrei--auf einmal +aber tiefe Stille. Als wir es nach vielen Stunden wagten +hinaufzugehen, trafen wir alles wie sonst; nicht einer lag anders als +früher. Alle waren steif wie Holz. + +So waren wir mehrere Tage auf dem Schiffe; es ging immer nach Osten, +wohin zu, nach meiner Berechnung, Land liegen mußte; aber wenn es +auch bei Tag viele Meilen zurückgelegt hatte, bei Nacht schien es +immer wieder zurückzukehren, denn wir befanden uns immer wieder am +nämlichen Fleck, wenn die Sonne aufging. Wir konnten uns dies nicht +anders erklären, als daß die Toten jede Nacht mit vollem Winde +zurücksegelten. Um nun dies zu verhüten, zogen wir, ehe es Nacht +wurde, alle Segel ein und wandten dasselbe Mittel an wie bei der Türe +in der Kajüte; wir schrieben den Namen des Propheten auf Pergament +und auch das Sprüchlein des Großvaters dazu und banden es um die +eingezogenen Segel. Ängstlich warteten wir in unserem Kämmerchen +den Erfolg ab. Der Spuk schien diesmal noch ärger zu toben, aber +siehe, am anderen Morgen waren die Segel noch aufgerollt, wie wir sie +verlassen hatten. Wir spannten den Tag über nur so viele Segel auf, +als nötig waren, das Schiff sanft fortzutreiben, und so legten wir in +fünf Tagen eine gute Strecke zurück. + +Endlich, am Morgen des sechsten Tages, entdeckten wir in geringer +Ferne Land, und wir dankten Allah und seinem Propheten für unsere +wunderbare Rettung. Diesen Tag und die folgende Nacht trieben wir an +einer Küste hin, und am siebenten Morgen glaubten wir in geringer +Entfernung eine Stadt zu entdecken; wir ließen mit vieler Mühe einen +Anker in die See, der alsobald Grund faßte, setzten ein kleines Boot, +das auf dem Verdeck stand, aus und ruderten mit aller Macht der Stadt +zu. Nach einer halben Stunde liefen wir in einen Fluß ein, der sich +in die See ergoß, und stiegen ans Ufer. Am Stadttor erkundigten wir +uns, wie die Stadt heiße, und erfuhren, daß es eine indische Stadt +sei, nicht weit von der Gegend, wohin ich zuerst zu schiffen willens +war. Wir begaben uns in eine Karawanserei und erfrischten uns von +unserer abenteuerlichen Reise. Ich forschte daselbst auch nach einem +weisen und verständigen Manne, indem ich dem Wirt zu verstehen gab, +daß ich einen solchen haben möchte, der sich ein wenig auf Zauberei +verstehe. Er führte mich in eine abgelegene Straße, an ein +unscheinbares Haus, pochte an, und man ließ mich eintreten mit der +Weisung, ich solle nur nach Muley fragen. + +In dem Hause kam mir ein altes Männlein mit grauem Bart und langer +Nase entgegen und fragte nach meinem Begehr. Ich sagte ihm, ich +suche den weisen Muley, und er antwortete mir, er sei es selbst. Ich +fragte ihn nun um Rat, was ich mit den Toten machen solle und wie ich +es angreifen müsse, um sie aus dem Schiff zu bringen. Er antwortete +mir, die Leute des Schiffes seien wahrscheinlich wegen irgendeines +Frevels auf das Meer verzaubert; er glaube, der Zauber werde sich +lösen, wenn man sie ans Land bringe; dies könne aber nicht geschehen, +als wenn man die Bretter, auf denen sie lägen, losmache. Mir gehöre +von Gott und Rechts wegen das Schiff samt allen Gütern, weil ich es +gleichsam gefunden habe; doch solle ich alles sehr geheimzuhalten +trachten und ihm ein kleines Geschenk von meinem Überfluß machen; er +wolle dafür mit seinen Sklaven mir behilflich sein, die Toten +wegzuschaffen. Ich versprach, ihn reichlich zu belohnen, und wir +machten uns mit fünf Sklaven, die mit Sägen und Beilen versehen waren, +auf den Weg. Unterwegs konnte der Zauberer Muley unseren glücklichen +Einfall, die Segel mit den Sprüchen des Korans zu umwinden, nicht +genug loben. Er sagte, es sei dies das einzige Mittel gewesen, uns +zu retten. + +Es war noch ziemlich früh am Tage, als wir beim Schiff ankamen. Wir +machten uns alle sogleich ans Werk, und in einer Stunde lagen schon +vier in dem Nachen. Einige der Sklaven mußten sie an Land rudern, um +sie dort zu verscharren. Sie erzählten, als sie zurückkamen, die +Toten hätten ihnen die Mühe des Begrabens erspart, indem sie, sowie +man sie auf die Erde gelegt habe, in Staub zerfallen seien. Wir +fuhren fort, die Toten abzusägen, und bis vor Abend waren alle an +Land gebracht. Es war endlich keiner mehr an Bord als der, welcher +am Mast angenagelt war. Umsonst suchten wir den Nagel aus dem Holze +zu ziehen, keine Gewalt vermochte ihn auch nur ein Haarbreit zu +verrücken. Ich wußte nicht, was anzufangen war; man konnte doch +nicht den Mastbaum abhauen, um ihn ans Land zu führen. Doch aus +dieser Verlegenheit half Muley. Er ließ schnell einen Sklaven an +Land rudern, um einen Topf mit Erde zu bringen. Als dieser +herbeigeholt war, sprach der Zauberer geheimnisvolle Worte darüber +aus und schüttete die Erde auf das Haupt des Toten. Sogleich schlug +dieser die Augen auf, holte tief Atem, und die Wunde des Nagels in +seiner Stirne fing an zu bluten. Wir zogen den Nagel jetzt leicht +heraus, und der Verwundete fiel einem Sklaven in die Arme. + +"Wer hat mich hierhergeführt?" sprach er, nachdem er sich ein wenig +erholt zu haben schien. Muley zeigte auf mich, und ich trat zu ihm. +"Dank dir, unbekannter Fremdling, du hast mich von langen Qualen +errettet. Seit fünfzig Jahren schifft mein Leib durch diese Wogen, +und mein Geist war verdammt, jede Nacht in ihn zurückzukehren. Aber +jetzt hat mein Haupt die Erde berührt, und ich kann versöhnt zu +meinen Vätern gehen." + +Ich bat ihn, uns doch zu sagen, wie er zu diesem schrecklichen +Zustand gekommen sei, und er sprach: "Vor fünfzig Jahren war ich ein +mächtiger, angesehener Mann und wohnte in Algier; die Sucht nach +Gewinn trieb mich, ein Schiff auszurüsten und Seeraub zu treiben. +Ich hatte dieses Geschäft schon einige Zeit fortgeführt, da nahm ich +einmal auf Zante einen Derwisch an Bord, der umsonst reisen wollte. +Ich und meine Gesellen waren rohe Leute und achteten nicht auf die +Heiligkeit des Mannes; vielmehr trieb ich mein Gespött mit ihm. Als +er aber einst in heiligem Eifer mir meinen sündigen Lebenswandel +verwiesen hatte, übermannte mich nachts in meiner Kajüte, als ich mit +meinem Steuermann viel getrunken hatte, der Zorn. Wütend über das, +was mir ein Derwisch gesagt hatte und was ich mir von keinem Sultan +hätte sagen lassen, stürzte ich aufs Verdeck und stieß ihm meinen +Dolch in die Brust. Sterbend verwünschte er mich und meine +Mannschaft, nicht sterben und nicht leben zu können, bis wir unser +Haupt auf die Erde legten. Der Derwisch starb, und wir warfen ihn in +die See und verlachten seine Drohungen; aber noch in derselben Nacht +erfüllten sich seine Worte. Ein Teil meiner Mannschaft empörte sich +gegen mich--Mit fürchterlicher Wut wurde gestritten, bis meine +Anhänger unterlagen und ich an den Mast genagelt wurde. Aber auch +die Empörer erlagen ihren Wunden, und bald war mein Schiff nur ein +großes Grab. Auch mir brachen die Augen, mein Atem hielt an, und ich +meinte zu sterben. Aber es war nur eine Erstarrung, die mich +gefesselt hielt; in der nächsten Nacht, zur nämlichen Stunde, da wir +den Derwisch in die See geworfen, erwachten ich und alle meine +Genossen, das Leben war zurückgekehrt, aber wir konnten nichts tun +und sprechen, als was wir in jener Nacht gesprochen und getan hatten. +So segeln wir seit fünfzig Jahren, können nicht leben, nicht sterben; +denn wie konnten wir das Land erreichen? Mit toller Freude segelten +wir allemal mit vollen Segeln in den Sturm, weil wir hofften, endlich +an einer Klippe zu zerschellen und das müde Haupt auf dem Grund des +Meeres zur Ruhe zu legen. Es ist uns nicht gelungen. Jetzt aber +werde ich sterben. Noch einmal meinen Dank, unbekannter Retter, wenn +Schätze dich lohnen können, so nimm mein Schiff als Zeichen meiner +Dankbarkeit." + +Der Kapitano ließ sein Haupt sinken, als er so gesprochen hatte, und +verschied. Sogleich zerfiel er auch, wie seine Gefährten, in Staub. +Wir sammelten diesen in ein Kästchen und begruben ihn an Land; aus +der Stadt nahm ich aber Arbeiter, die mir mein Schiff in guten +Zustand setzten. Nachdem ich die Waren, die ich an Bord hatte, gegen +andere mit großem Gewinn eingetauscht hatte, mietete ich Matrosen, +beschenkte meinen Freund Muley reichlich und schiffte mich nach +meinem Vaterlande ein. Ich machte aber einen Umweg, indem ich an +vielen Inseln und Ländern landete und meine Waren zu Markt brachte. +Der Prophet segnete mein Unternehmen. Nach dreiviertel Jahren lief +ich, noch einmal so reich, als mich der sterbende Kapitän gemacht +hatte, in Balsora ein. Meine Mitbürger waren erstaunt über meine +Reichtümer und mein Glück und glaubten nicht anders, als daß ich das +Diamantental des berühmten Reisenden Sindbad gefunden habe. Ich ließ +sie in ihrem Glauben, von nun an aber mußten die jungen Leute von +Balsora, wenn sie kaum achtzehn Jahre alt waren, in die Welt hinaus, +um gleich mir ihr Glück zu machen. Ich aber lebte ruhig und in +Frieden, und alle fünf Jahre mache ich eine Reise nach Mekka, um dem +Herrn an heiliger Stätte für seinen Segen zu danken und für den +Kapitano und seine Leute zu bitten, daß er sie in sein Paradies +aufnehme. + +--------------------------Die Reise der Karawane war den anderen Tag +ohne Hindernis fürder gegangen, und als man im Lagerplatz sich erholt +hatte, begann Selim, der Fremde, zu Muley, dem jüngsten der Kaufleute, +also zu sprechen: + +"Ihr seid zwar der Jüngste von uns, doch seid Ihr immer fröhlich und +wißt für uns gewiß irgendeinen guten Schwank. Tischet ihn auf, daß +er uns erquicke nach der Hitze des Tages!" + +"Wohl möchte ich euch etwas erzählen", antwortete Muley, "das euch +Spaß machen könnte, doch der Jugend ziemt Bescheidenheit in allen +Dingen; darum müssen meine älteren Reisegefährten den Vorrang haben. +Zaleukos ist immer so ernst und verschlossen, sollte er uns nicht +erzählen, was sein Leben so ernst machte? Vielleicht, daß wir seinen +Kummer, wenn er solchen hat, lindern können; denn gerne dienen wir +dem Bruder, wenn er auch anderen Glaubens ist." + +Der Aufgerufene war ein griechischer Kaufmann, ein Mann in mittleren +Jahren, schön und kräftig, aber sehr ernst. Ob er gleich ein +Ungläubiger (nicht Muselmann) war, so liebten ihn doch seine +Reisegefährten, denn er hatte durch sein ganzes Wesen Achtung und +Zutrauen eingeflößt. Er hatte übrigens nur eine Hand, und einige +seiner Gefährten vermuteten, daß vielleicht dieser Verlust ihn so +ernst stimme. + +Zaleukos antwortete auf die zutrauliche Frage Muleys: "Ich bin sehr +geehrt durch euer Zutrauen; Kummer habe ich keinen, wenigstens keinen, +von welchem ihr auch mit dem besten Willen mir helfen könntet. Doch +weil Muley mir meinen Ernst vorzuwerfen scheint, so will ich euch +einiges erzählen, was mich rechtfertigen soll, wenn ich ernster bin +als andere Leute. Ihr sehet, daß ich meine linke Hand verloren habe. +Sie fehlt mir nicht von Geburt an, sondern ich habe sie in den +schrecklichsten Tagen meines Lebens eingebüßt. Ob ich die Schuld +davon trage, ob ich unrecht habe, seit jenen Tagen ernster, als es +meine Lage mit sich bringt, zu sein, möget ihr beurteilen, wenn ihr +vernommen habt die Geschichte von der abgehauenen Hand." + + + + +Die Geschichte von der abgehauenen Hand + +Wilhelm Hauff + + +Ich bin in Konstantinopel geboren; mein Vater war ein Dragoman +(Dolmetscher) bei der Pforte (dem türkischen Hof) und trieb nebenbei +einen ziemlich einträglichen Handel mit wohlriechenden Essenzen und +seidenen Stoffen. Er gab mir eine gute Erziehung, indem er mich +teils selbst unterrichtete, teils von einem unserer Priester mir +Unterricht geben ließ. Er bestimmte mich anfangs, seinen Laden +einmal zu übernehmen, als ich aber größere Fähigkeiten zeigte, als er +erwartet hatte, bestimmte er mich auf das Anraten seiner Freunde zum +Arzt; weil ein Arzt, wenn er etwas mehr gelernt hat als die +gewöhnlichen Marktschreier, in Konstantinopel sein Glück machen kann. +Es kamen viele Franken in unser Haus, und einer davon überredete +meinen Vater, mich in sein Vaterland, nach der Stadt Paris, reisen zu +lassen, wo man solche Sachen unentgeltlich und am besten lernen könne. +Er selbst aber wolle mich, wenn er zurückreise, umsonst mitnehmen. +Mein Vater, der in seiner Jugend auch gereist war, schlug ein, und +der Franke sagte mir, ich könne mich in drei Monaten bereithalten. +Ich war außer mir vor Freude, fremde Länder zu sehen. + +Der Franke hatte endlich seine Geschäfte abgemacht und sich zur Reise +bereitet; am Vorabend der Reise führte mich mein Vater in sein +Schlafkämmerlein. Dort sah ich schöne Kleider und Waffen auf dem +Tische liegen. Was meine Blicke aber noch mehr anzog, war ein großer +Haufe Goldes, denn ich hatte noch nie so viel beieinander gesehen. +Mein Vater umarmte mich und sagte: "Siehe, mein Sohn, ich habe dir +Kleider zu der Reise besorgt. Jene Waffen sind dein, es sind die +nämlichen, die mir dein Großvater umhing, als ich in die Fremde +auszog. Ich weiß, du kannst sie fuhren; gebrauche sie aber nie, als +wenn du angegriffen wirst; dann aber schlage auch tüchtig drauf. +Mein Vermögen ist nicht groß; siehe, ich habe es in drei Teile +geteilt, einer davon ist dein; einer davon ist mein Unterhalt und +Notpfennig, der dritte aber sei mir ein heiliges, unantastbares Gut, +er diene dir in der Stunde der Not!" So sprach mein alter Vater, und +Tränen hingen ihm im Auge, vielleicht aus Ahnung, denn ich habe ihn +nie wiedergesehen. + +Die Reise ging gut vonstatten; wir waren bald im Lande der Franken +angelangt, und sechs Tagreisen nachher kamen wir in die große Stadt +Paris. Hier mietete mir mein fränkischer Freund ein Zimmer und riet +mir, mein Geld, das in allem zweitausend Taler betrug, vorsichtig +anzuwenden. Ich lebte drei Jahre in dieser Stadt und lernte, was ein +tüchtiger Arzt wissen muß; ich müßte aber lügen, wenn ich sagte, daß +ich gerne dort gewesen sei; denn die Sitten dieses Volkes gefielen +mir nicht; auch hatte ich nur wenige gute Freunde dort, diese aber +waren edle, junge Männer. + +Die Sehnsucht nach der Heimat wurde endlich mächtig in mir; in der +ganzen Zeit hatte ich nichts von meinem Vater gehört, und ich ergriff +daher eine günstige Gelegenheit, nach Hause zu kommen. + +Es ging nämlich eine Gesandtschaft aus Frankenland nach der Hohen +Pforte. Ich verdingte mich als Wundarzt in das Gefolge des Gesandten +und kam glücklich wieder nach Stambul. Das Haus meines Vaters aber +fand ich verschlossen, und die Nachbarn staunten, als sie mich sahen, +und sagten mir, mein Vater sei vor zwei Monaten gestorben. Jener +Priester, der mich in meiner Jugend unterrichtet hatte, brachte nur +den Schlüssel; allein und verlassen zog ich in das verödete Haus ein. +Ich fand noch alles, wie es mein Vater verlassen hatte; nur das Gold, +das er mir zu hinterlassen versprach, fehlte. Ich fragte den +Priester darüber, und dieser verneigte sich und sprach: "Euer Vater +ist als ein heiliger Mann gestorben; denn er hat sein Gold der Kirche +vermacht." Dies war und blieb mir unbegreiflich; doch was wollte ich +machen; ich hatte keine Zeugen gegen den Priester und mußte froh sein, +daß er nicht auch das Haus und die Waren meines Vaters als +Vermächtnis angesehen hatte. + +Dies war das erste Unglück, das mich traf. Von jetzt an aber kam es +Schlag auf Schlag. Mein Ruf als Arzt wollte sich gar nicht +ausbreiten, weil ich mich schämte, den Marktschreier zu machen, und +überall fehlte mir die Empfehlung meines Vaters, der mich bei den +Reichsten und Vornehmsten eingeführt hätte, die jetzt nicht mehr an +den armen Zaleukos dachten. Auch die Waren meines Vaters fanden +keinen Abgang; denn die Kunden hatten sich nach seinem Tode verlaufen, +und neue bekommt man nur langsam. Als ich einst trostlos über meine +Lage nachdachte, fiel mir ein, daß ich oft in Franken Männer meines +Volkes gesehen hatte, die das Land durchzogen und ihre Waren auf den +Märkten der Städte auslegten; ich erinnerte mich, daß man ihnen gerne +abkaufte, weil sie aus der Fremde kamen, und daß man bei solchem +Handel das Hundertfache erwerben könne. Sogleich war auch mein +Entschluß gefaßt. Ich verkaufte mein väterliches Haus, gab einen +Teil des gelösten Geldes einem bewährten Freunde zum Aufbewahren, von +dem übrigen aber kaufte ich, was man in Franken selten hat, wie +Schals, seidene Zeuge, Salben und Öle, mietete einen Platz auf einem +Schiff und trat so meine zweite Reise nach Franken an. + +Es schien, als ob das Glück, sobald ich die Schlösser der Dardanellen +im Rücken hatte, mir wieder günstig geworden wäre. Unsere Fahrt war +kurz und glücklich. Ich durchzog die großen und kleinen Städte der +Franken und fand überall willige Käufer meiner Waren. Mein Freund in +Stambul sandte mir immer wieder frische Vorräte, und ich wurde von +Tag zu Tag wohlhabender. Als ich endlich so viel erspart hatte, daß +ich glaubte, ein größeres Unternehmen wagen zu können, zog ich mit +meinen Waren nach Italien. Etwas muß ich aber noch gestehen, was mir +auch nicht wenig Geld einbrachte: ich nahm auch meine Arzneikunst zu +Hilfe. Wenn ich in eine Stadt kam, ließ ich durch Zettel verkünden, +daß ein griechischer Arzt da sei, der schon viele geheilt habe; und +wahrlich, mein Balsam und meine Arzneien haben mir manche Zechine +eingebracht. + +So war ich endlich nach der Stadt Florenz in Italien gekommen. Ich +nahm mir vor, längere Zeit in dieser Stadt zu bleiben, teils weil sie +mir so wohl gefiel, teils auch, weil ich mich von den Strapazen +meines Umherziehens erholen wollte. Ich mietete mir ein Gewölbe in +dem Stadtviertel St. Croce und nicht weit davon ein paar schöne +Zimmer, die auf einen Altan führten, in einem Wirtshaus. Sogleich +ließ ich auch meine Zettel umhertragen, die mich als Arzt und +Kaufmann ankündigten. Ich hatte kaum mein Gewölbe eröffnet, so +strömten auch die Käufer herzu, und ob ich gleich ein wenig hohe +Preise hatte, so verkaufte ich doch mehr als andere, weil ich +gefällig und freundlich gegen meine Kunden war. Ich hatte schon vier +Tage vergnügt in Florenz verlebt, als ich eines Abends, da ich schon +mein Gewölbe schließen und nur die Vorräte in meinen Salbenbüchsen +nach meiner Gewohnheit noch einmal mustern wollte, in einer kleinen +Büchse einen Zettel fand, den ich mich nicht erinnerte, hineingetan +zu haben. Ich öffnete den Zettel und fand darin eine Einladung, +diese Nacht Punkt zwölf Uhr auf der Brücke, die man Ponte vecchio +heißt, mich einzufinden. Ich sann lange darüber nach, wer es wohl +sein könnte, der mich dorthin einlud, da ich aber keine Seele in +Florenz kannte, dachte ich, man werde mich vielleicht heimlich zu +irgendeinem Kranken führen wollen, was schon öfter geschehen war. +Ich beschloß also hinzugehen, doch hing ich zur Vorsicht den Säbel um, +den mir einst mein Vater geschenkt hatte. + +Als es stark gegen Mitternacht ging, machte ich mich auf den Weg und +kam bald auf die Ponte vecchio. Ich fand die Brücke verlassen und +öde und beschloß zu warten, bis er erscheinen würde, der mich rief. +Es war eine kalte Nacht; der Mond schien hell, und ich schaute hinab +in die Wellen des Arno, die weithin im Mondlicht schimmerten. Auf +den Kirchen der Stadt schlug es jetzt zwölf Uhr; ich richtete mich +auf, und vor mir stand ein großer Mann, ganz in einen roten Mantel +gehüllt, dessen einen Zipfel er vor das Gesicht hielt. + +Ich war von Anfang etwas erschrocken, weil er so plötzlich hinter mir +stand, faßte mich aber sogleich wieder und sprach: "Wenn Ihr mich +habt hierher bestellt, so sagt an, was steht zu Eurem Befehl?" + +Der Rotmantel wandte sich um und sagte langsam: "Folge!" Da ward +mir's doch etwas unheimlich zumute, mit diesem Unbekannten allein zu +gehen; ich blieb stehen und sprach: "Nicht also, lieber Herr, wollet +mir vorerst sagen, wohin; auch könnet Ihr mir Euer Gesicht ein wenig +zeigen, daß ich sehe, ob Ihr Gutes mit mir vorhabt." + +Der Rote aber schien sich nicht darum zu kümmern. "Wenn du nicht +willst, Zaleukos, so bleibe!" antwortete er und ging weiter. + +Da entbrannte mein Zorn. "Meinet Ihr", rief ich aus, "ein Mann wie +ich lasse sich von jedem Narren foppen, und ich werde in dieser +kalten Nacht umsonst gewartet haben?" In drei Sprüngen hatte ich ihn +erreicht, packte ihn an seinem Mantel und schrie noch lauter, indem +ich die andere Hand an den Säbel legte; aber der Mantel blieb mir in +der Hand, und der Unbekannte war um die nächste Ecke verschwunden. +Mein Zorn legte sich nach und nach; ich hatte doch den Mantel, und +dieser sollte mir schon den Schlüssel zu diesem wunderlichen +Abenteuer geben. + +Ich hing ihn um und ging meinen Weg weiter nach Hause. Als ich kaum +noch hundert Schritte davon entfernt war, streifte jemand dicht an +mir vorüber und flüsterte in fränkischer Sprache: "Nehmt Euch in acht, +Graf, heute nacht ist nichts zu machen." Ehe ich mich aber umsehen +konnte, war dieser Jemand schon vorbei, und ich sah nur noch einen +Schatten an den Häusern hinschweben. Daß dieser Zuruf den Mantel und +nicht mich anging, sah ich ein; doch gab er mir kein Licht über die +Sache. Am anderen Morgen überlegte ich, was zu tun sei. Ich war von +Anfang gesonnen, den Mantel ausrufen zu lassen, als hätte ich ihn +gefunden; doch da konnte der Unbekannte ihn durch einen Dritten holen +lassen, und ich hätte dann keinen Aufschluß über die Sache gehabt. +Ich besah, indem ich so nachdachte, den Mantel näher. Er war von +schwerem genuesischem Samt, purpurrot, mit astrachanischem Pelz +verbrämt und reich mit Gold bestickt. Der prachtvolle Anblick des +Mantels brachte mich auf einen Gedanken, den ich auszuführen beschloß. + +Ich trug ihn in mein Gewölbe und legte ihn zum Verkauf aus, setzte +aber auf ihn einen so hohen Preis, daß ich gewiß war, keinen Käufer +zu finden. Mein Zweck dabei war, jeden, der nach dem Pelz fragen +würde, scharf ins Auge zu fassen; denn die Gestalt des Unbekannten, +die sich mir nach Verlust des Mantels, wenn auch nur flüchtig, doch +bestimmt zeigte, wollte ich aus Tausenden erkennen. Es fanden sich +viele Kauflustige zu dem Mantel, dessen außerordentliche Schönheit +alle Augen auf sich zog; aber keiner glich entfernt dem Unbekannten, +keiner wollte den hohen Preis von zweihundert Zechinen dafür bezahlen. +Auffallend war mir dabei, daß, wenn ich einen oder den anderen +fragte, ob denn sonst kein solcher Mantel in Florenz sei, alle mit +"Nein!" antworteten und versicherten, eine so kostbare und +geschmackvolle Arbeit nie gesehen zu haben. + +Es wollte schon Abend werden, da kam endlich ein junger Mann, der +schon oft bei mir gewesen war und auch heute viel auf den Mantel +geboten hatte, warf einen Beutel mit Zechinen auf den Tisch und rief: +"Bei Gott! Zaleukos, ich muß deinen Mantel haben, und sollte ich zum +Bettler darüber werden." Zugleich begann er, seine Goldstücke +aufzuzählen. Ich kam in große Not; ich hatte den Mantel nur +ausgehängt, um vielleicht die Blicke meines Unbekannten darauf zu +ziehen, und jetzt kam ein junger Tor, um den ungeheuren Preis zu +zahlen. Doch was blieb mir übrig; ich gab nach, denn es tat mir auf +der anderen Seite der Gedanke wohl, für mein nächtliches Abenteuer so +schön entschädigt zu werden. Der Jüngling hing sich den Mantel um +und ging; er kehrte aber auf der Schwelle wieder um, indem er ein +Papier, das am Mantel befestigt war, losmachte, mir zuwarf und sagte: +"Hier, Zaleukos, hängt etwas, das wohl nicht zu dem Mantel gehört." + +Gleichgültig nahm ich den Zettel; aber siehe da, dort stand +geschrieben: "Bringe heute nacht um die bewußte Stunde den Mantel auf +die Ponte vecchio, vierhundert Zechinen warten deiner." + +Ich stand wie niedergedonnert. So hatte ich also mein Glück selbst +verscherzt und meinen Zweck gänzlich verfehlt! Doch ich besann mich +nicht lange, raffte die zweihundert Zechinen zusammen, sprang dem, +der den Mantel gekauft hatte, nach und sprach: "Nehmt Eure Zechinen +wieder, guter Freund, und laßt mir den Mantel, ich kann ihn unmöglich +hergeben." Dieser hielt die Sache von Anfang für Spaß, als er aber +merkte, daß es Ernst war, geriet er in Zorn über meine Forderung, +schalt mich einen Narren, und so kam es endlich zu Schlägen. Doch +ich war so glücklich, im Handgemenge ihm den Mantel zu entreißen, und +wollte schon mit ihm davoneilen, als der junge Mann die Polizei zu +Hilfe rief und mich mit sich vor Gericht zog. Der Richter war sehr +erstaunt über die Anklage und sprach meinem Gegner den Mantel zu. +Ich aber bot dem Jünglinge zwanzig, fünfzig, achtzig, ja hundert +Zechinen über seine zweihundert, wenn er mir den Mantel ließe. Was +meine Bitten nicht vermochten, bewirkte mein Gold. Er nahm meine +guten Zechinen, ich aber zog mit dem Mantel triumphierend ab und +mußte mir gefallen lassen, daß man mich in ganz Florenz für einen +Wahnsinnigen hielt. Doch die Meinung der Leute war mir gleichgültig; +ich wußte es ja besser als sie, daß ich an dem Handel noch gewann. + +Mit Ungeduld erwartete ich die Nacht. Um dieselbe Zeit wie gestern +ging ich, den Mantel unter dem Arm, auf die Ponte vecchio. Mit dem +letzten Glockenschlag kam die Gestalt aus der Nacht heraus auf mich +zu. Es war unverkennbar der Mann von gestern. "Hast du den Mantel?" +wurde ich gefragt. + +"Ja, Herr", antwortete ich, "aber er kostete mich bar hundert +Zechinen." + +"Ich weiß es", entgegnete jener. "Schau auf, hier sind vierhundert." +Er trat mit mir an das breite Geländer der Brücke und zählte die +Goldstücke hin. Vierhundert waren es; prächtig blitzten sie im +Mondschein, ihr Glanz erfreute mein Herz, ach! Es ahnete nicht, daß +es seine letzte Freude sein werde. Ich steckte mein Geld in die +Tasche und wollte mir nun auch den gütigen Unbekannten recht +betrachten; aber er hatte eine Larve vor dem Gesicht, aus der mich +dunkle Augen furchtbar anblitzten. + +"Ich danke Euch, Herr, für Eure Güte", sprach ich zu ihm, "was +verlangt Ihr jetzt von mir? Das sage ich Euch aber vorher, daß es +nichts Unrechtes sein darf." + +"Unnötige Sorge", antwortete er, indem er den Mantel um die Schultern +legte, "ich bedarf Eurer Hilfe als Arzt; doch nicht für einen +Lebenden, sondern für einen Toten." + +"Wie kann das sein?" rief ich voll Verwunderung. + +"Ich kam mit meiner Schwester aus fernen Landen", erzählte er und +winkte mir zugleich, ihm zu folgen. "Ich wohnte hier mit ihr bei +einem Freund meines Hauses. Meine Schwester starb gestern schnell an +einer Krankheit, und die Verwandten wollen sie morgen begraben. Nach +einer alten Sitte unserer Familie aber sollen alle in der Gruft der +Väter ruhen; viele, die in fremden Landen starben, ruhen dennoch dort +einbalsamiert. Meinen Verwandten gönne ich nun ihren Körper; meinem +Vater aber muß ich wenigstens den Kopf seiner Tochter bringen, damit +er sie noch einmal sehe." Diese Sitte, die Köpfe geliebter +Anverwandten abzuschneiden, kam mir zwar etwas schrecklich vor; doch +wagte ich nichts dagegen einzuwenden aus Furcht, den Unbekannten zu +beleidigen. Ich sagte ihm daher, daß ich mit dem Einbalsamieren der +Toten wohl umgehen könne, und bat ihn, mich zu der Verstorbenen zu +führen. Doch konnte ich mich nicht enthalten zu fragen, warum denn +dies alles so geheimnisvoll und in der Nacht geschehen müsse. Er +antwortete mir, daß seine Anverwandten, die seine Absicht für grausam +hielten, bei Tage ihn abhalten würden; sei aber nur erst einmal der +Kopf abgenommen, so könnten sie wenig mehr darüber sagen. Er hätte +mir zwar den Kopf bringen können; aber ein natürliches Gefühl halte +ihn ab, ihn selbst abzunehmen. + +Wir waren indes bis an ein großes, prachtvolles Haus gekommen. Mein +Begleiter zeigte es mir als das Ziel unseres nächtlichen +Spazierganges. Wir gingen an dem Haupttor des Hauses vorbei, traten +in eine kleine Pforte, die der Unbekannte sorgfältig hinter sich +zumachte, und stiegen nun im Finstern eine enge Wendeltreppe hinan. +Sie führte in einen spärlich erleuchteten Gang, aus welchem wir in +ein Zimmer gelangten, das eine Lampe, die an der Decke befestigt war, +erleuchtete. + +In diesem Gemach stand ein Bett, in welchem der Leichnam lag. Der +Unbekannte wandte sein Gesicht ab und schien Tränen verbergen zu +wollen. Er deutete nach dem Bett, befahl mir, mein Geschäft gut und +schnell zu verrichten, und ging wieder zur Türe hinaus. + +Ich packte meine Messer, die ich als Arzt immer bei mir führte, aus +und näherte mich dem Bett. Nur der Kopf war von der Leiche sichtbar; +aber dieser war so schön, daß mich unwillkürlich das innigste +Mitleiden ergriff. In langen Flechten hing das dunkle Haar herab, +das Gesicht war bleich, die Augen geschlossen. Ich machte zuerst +einen Einschnitt in die Haut, nach der Weise der Ärzte, wenn sie ein +Glied abschneiden. Sodann nahm ich mein schärfstes Messer und +schnitt mit einem Zug die Kehle durch. Aber welcher Schrecken! Die +Tote schlug die Augen auf, schloß sie aber gleich wieder, und in +einem tiefen Seufzer schien sie jetzt erst ihr Leben auszuhauchen. +Zugleich schoß mir ein Strahl heißen Blutes aus der Wunde entgegen. +Ich überzeugte mich, daß ich erst die Arme getötet hatte; denn daß +sie tot sei, war kein Zweifel, da es von dieser Wunde keine Rettung +gab. Ich stand einige Minuten in banger Beklommenheit über das, was +geschehen war. Hatte der Rotmantel mich betrogen, oder war die +Schwester vielleicht nur scheintot gewesen? Das letztere schien mir +wahrscheinlicher. Aber ich durfte dem Bruder der Verstorbenen nicht +sagen, daß vielleicht ein weniger rascher Schnitt sie erweckt hätte, +ohne sie zu töten, darum wollte ich den Kopf vollends ablösen; aber +noch einmal stöhnte die Sterbende, streckt sich in schmerzhafter +Bewegung aus und starb. Da übermannte mich der Schrecken, und ich +stürzte schaudernd aus dem Gemach. Aber draußen im Gang war es +finster; denn die Lampe war verlöscht. Keine Spur von meinem +Begleiter war zu entdecken, und ich mußte aufs ungefähr mich im +Finstern an der Wand fortbewegen, um an die Wendeltreppe zu gelangen. +Ich fand sie endlich und kam halb fallend, halb gleitend hinab. +Auch unten war kein Mensch. Die Türe fand ich nur angelehnt, und ich +atmete freier, als ich auf der Straße war; denn in dem Hause war mir +ganz unheimlich geworden. Von Schrecken gespornt, rannte ich in +meine Wohnung und begrub mich in die Polster meines Lagers, um das +Schreckliche zu vergessen, das ich getan hatte. Aber der Schlaf floh +mich, und erst der Morgen ermahnte mich wieder, mich zu fassen. Es +war mir wahrscheinlich, daß der Mann, der mich zu dieser verruchten +Tat, wie sie mir jetzt erschien, verführt hatte, mich nicht angeben +würde. Ich entschloß mich, gleich in mein Gewölbe an mein Geschäft +zu gehen und womöglich eine sorglose Miene anzunehmen. Aber ach! +Ein neuer Umstand, den ich jetzt erst bemerkte, vermehrte noch meinen +Kummer. Meine Mütze und mein Gürtel wie auch meine Messer fehlten +mir, und ich war ungewiß, ob ich sie in dem Zimmer der Getöteten +gelassen oder erst auf meiner Flucht verloren hatte. Leider schien +das erste wahrscheinlicher, und man konnte mich also als Mörder +entdecken. + +Ich öffnete zur gewöhnlichen Zeit mein Gewölbe. Mein Nachbar trat zu +mir her, wie er alle Morgen zu tun pflegte, denn er war ein +gesprächiger Mann. "Ei, was sagt Ihr zu der schrecklichen +Geschichte", hub er an, "die heute nacht vorgefallen ist?" Ich tat, +als ob ich nichts wüßte. "Wie, solltet Ihr nicht wissen, von was die +ganze Stadt erfüllt ist? Nicht wissen, daß die schönste Blume von +Florenz, Bianka, die Tochter des Gouverneurs, in dieser Nacht +ermordet wurde? Ach! Ich sah sie gestern noch so heiter durch die +Straßen fahren mit ihrem Bräutigam, denn heute hätten sie Hochzeit +gehabt." + +Jedes Wort des Nachbarn war mir ein Stich ins Herz. Und wie oft +kehrte meine Marter wieder; denn jeder meiner Kunden erzählte mir die +Geschichte, immer einer schrecklicher als der andere, und doch konnte +keiner so Schreckliches sagen, als ich selbst gesehen hatte. Um +Mittag ungefähr trat ein Mann vom Gericht in mein Gewölbe und bat +mich, die Leute zu entfernen. "Signore Zaleukos", sprach er, indem +er die Sachen, die ich vermißte, hervorzog, "gehören diese Sachen +Euch zu?" Ich besann mich, ob ich sie nicht gänzlich ableugnen sollte; +aber als ich durch die halbgeöffnete Tür meinen Wirt und mehrere +Bekannte, die wohl gegen mich zeugen konnten, erblickte, beschloß ich, +die Sache nicht noch durch eine Lüge zu verschlimmern, und bekannte +mich zu den vorgezeigten Dingen. Der Gerichtsmann bat mich, ihm zu +folgen, und führte mich in ein großes Gebäude, das ich bald für das +Gefängnis erkannte. Dort wies er mir bis auf weiteres ein Gemach an. + +Meine Lage war schrecklich, als ich so in der Einsamkeit darüber +nachdachte. Der Gedanke, gemordet zu haben, wenn auch ohne Willen, +kehrte immer wieder. Auch konnte ich mir nicht verhehlen, daß der +Glanz des Goldes meine Sinne befangen gehalten hatte; sonst hätte ich +nicht so blindlings in die Falle gehen können. Zwei Stunden nach +meiner Verhaftung wurde ich aus meinem Gemach geführt. Mehrere +Treppen ging es hinab, dann kam man in einen großen Saal. Um einen +langen, schwarzbehängten Tisch saßen dort zwölf Männer, meistens +Greise. An den Seiten des Saales zogen sich Bänke herab, angefüllt +mit den Vornehmsten von Florenz; auf den Galerien, die in der Höhe +angebracht waren, standen dicht gedrängt die Zuschauer. Als ich bis +vor den schwarzen Tisch getreten war, erhob sich ein Mann mit +finsterer, trauriger Miene; es war der Gouverneur. Er sprach zu den +Versammelten, daß er als Vater in dieser Sache nicht richten könne +und daß er seine Stelle für diesmal an den ältesten der Senatoren +abtrete. Der älteste der Senatoren war ein Greis von wenigstens +neunzig Jahren. Er stand gebückt, und seine Schläfen waren mit +dünnem, weißem Haar umhängt; aber feurig brannten noch seine Augen, +und seine Stimme war stark und sicher. Er hub an, mich zu fragen, ob +ich den Mord gestehe. Ich bat ihn um Gehör und erzählte +unerschrocken und mit vernehmlichen Stimme, was ich getan hatte und +was ich wußte. Ich bemerkte, daß der Gouverneur während meiner +Erzählung bald blaß, bald rot wurde, und als ich geschlossen, fuhr er +wütend auf: "Wie, Elender!" rief er mir zu, "so willst du ein +Verbrechen, das du aus Habgier begangen, noch einem anderen +aufbürden?" + +Der Senator verwies ihm seine Unterbrechung, da er sich freiwillig +seines Rechtes begeben habe; auch sei es gar nicht so erwiesen, daß +ich aus Habgier gefrevelt; denn nach seiner eigenen Aussage sei ja +der Getöteten nichts gestohlen worden. Ja, er ging noch weiter; er +erklärte dem Gouverneur, daß er über das frühere Leben seiner Tochter +Rechenschaft geben müsse; denn nur so könne man schließen, ob ich die +Wahrheit gesagt habe oder nicht. Zugleich hob er für heute das +Gericht auf, um sich, wie er sagte, aus den Papieren der Verstorbenen, +die ihm der Gouverneur übergeben werde, Rat zu holen. Ich wurde +wieder in mein Gefängnis zurückgeführt, wo ich einen schaurigen Tag +verlebte, immer mit dem heißen Wunsch beschäftigt, daß man doch +irgendeine Verbindung zwischen der Toten und dem Rotmantel entdecken +möchte. Voll Hoffnung trat ich den anderen Tag in den Gerichtssaal. +Es lagen mehrere Briefe auf dem Tisch. Der alte Senator fragte mich, +ob sie meine Handschrift seien. Ich sah sie an und fand, daß sie von +derselben Hand sein müßten wie jene beiden Zettel, die ich erhalten. +Ich äußerte dies den Senatoren; aber man schien nicht darauf zu +achten und antwortete, daß ich beides geschrieben haben könne und +müsse; denn der Namenszug unter den Briefen sei unverkennbar ein Z, +der Anfangsbuchstabe meines Namens. Die Briefe aber enthielten +Drohungen an die Verstorbene und Warnungen vor der Hochzeit, die sie +zu vollziehen im Begriff war. + +Der Gouverneur schien sonderbare Aufschlüsse in Hinsicht auf meine +Person gegeben zu haben; denn man behandelte mich an diesem Tage +mißtrauischer und strenger. Ich berief mich zu meiner Rechtfertigung +auf meine Papiere, die sich in meinem Zimmer finden müßten; aber man +sagte mir, man habe nachgesucht und nichts gefunden. So schwand mir +am Schlusse dieses Gerichts alle Hoffnung, und als ich am dritten Tag +wieder in den Saal geführt wurde, las man mir das Urteil vor, daß ich, +eines vorsätzlichen Mordes überwiesen, zum Tode verurteilt sei. +Dahin also war es mit mir gekommen. Verlassen von allem, was mir auf +Erden noch teuer war, fern von meiner Heimat, sollte ich unschuldig +in der Blüte meiner Jahre vom Beile sterben. + +Ich saß am Abend dieses schrecklichen Tages, der über mein Schicksal +entschieden hatte, in meinem einsamen Kerker; meine Hoffnungen waren +dahin, meine Gedanken ernsthaft auf den Tod gerichtet. Da tat sich +die Türe meines Gefängnisses auf, und ein Mann trat herein, der mich +lange schweigend betrachtete. "So finde ich dich wieder, Zaleukos?" +sagte er; ich hatte ihn bei dem matten Schein meiner Lampe nicht +erkannt, aber der Klang seiner Stimme erweckte alte Erinnerungen in +mir, es war Valetty, einer jener wenigen Freunde, die ich in der +Stadt Paris während meiner Studien kannte. Er sagte, daß er zufällig +nach Florenz gekommen sei, wo sein Vater als angesehener Mann wohne, +er habe von meiner Geschichte gehört und sei gekommen, um mich noch +einmal zu sehen und von mir selbst zu erfahren, wie ich mich so +schwer habe verschulden können. Ich erzählte ihm die ganze +Geschichte. Er schien darüber sehr verwundert und beschwor mich, ihm, +meinem einzigen Freunde, alles zu sagen, um nicht mit einer Lüge von +hinnen zu gehen. Ich schwor ihm mit dem teuersten Eid, daß ich wahr +gesprochen und daß keine andere Schuld mich drücke, als daß ich, von +dem Glanze des Goldes geblendet, das Unwahrscheinliche der Erzählung +des Unbekannten nicht erkannt habe. "So hast du Bianka nicht +gekannt?" fragte jener. Ich beteuerte ihm, sie nie gesehen zu haben. +Valetty erzählte mir nun, daß ein tiefes Geheimnis auf der Tat liege, +daß der Gouverneur meine Verurteilung sehr hastig betrieben habe, +und es sei nun ein Gerücht unter die Leute gekommen, daß ich Bianka +schon längst gekannt und aus Rache über ihre Heirat mit einem anderen +sie ermordet habe. Ich bemerkte ihm, daß dies alles ganz auf den +Rotmantel passe, daß ich aber seine Teilnahme an der Tat mit nichts +beweisen könne. Valetty umarmte mich weinend und versprach mir, +alles zu tun, um wenigstens mein Leben zu retten. Ich hatte wenig +Hoffnung; doch wußte ich, daß Valetty ein weiser und der Gesetze +kundiger Mann sei und daß er alles tun werde, mich zu retten. Zwei +lange Tage war ich in Ungewißheit: Endlich erschien auch Valetty. +"Ich bringe Trost, wenn auch einen schmerzlichen. Du wirst leben und +frei sein; aber mit Verlust einer Hand." Gerührt dankte ich meinem +Freunde für mein Leben. Er sagte mir, daß der Gouverneur +unerbittlich gewesen sei, die Sache noch einmal untersuchen zu lassen; +daß er aber endlich, um nicht ungerecht zu erscheinen, bewilligt +habe, wenn man in den Büchern der florentinischen Geschichte einen +ähnlichen Fall finde, so solle meine Strafe sich nach der Strafe, die +dort ausgesprochen sei, richten. Er und sein Vater haben nun Tag und +Nacht in den alten Büchern gelesen und endlich einen ganz dem +meinigen ähnlichen Fall gefunden. Dort laute die Strafe: Es soll ihm +die linke Hand abgehauen, seine Güter eingezogen, er selbst auf ewig +verbannt werden. So laute jetzt auch meine Strafe, und ich solle +mich jetzt bereiten zu der schmerzhaften Stunde, die meiner warte. +Ich will euch nicht diese schreckliche Stunde vor das Auge führen, wo +ich auf offenem Markt meine Hand auf den Block legte, wo mein eigenes +Blut in weitem Bogen mich überströmte! + +Valetty nahm mich in sein Haus auf, bis ich genesen war, dann versah +er mich edelmütig mit Reisegeld; denn alles, was ich mir so mühsam +erworben, war eine Beute des Gerichts geworden. Ich reiste von +Florenz nach Sizilien und von da mit dem ersten Schiff, das ich fand, +nach Konstantinopel. Meine Hoffnung war auf die Summe gerichtet, die +ich meinem Freunde übergeben hatte, auch bat ich ihn, bei ihm wohnen +zu dürfen; aber wie erstaunte ich, als dieser mich fragte, warum ich +denn nicht mein Haus beziehe! Er sagte mir, daß ein fremder Mann +unter meinem Namen ein Haus in dem Quartier der Griechen gekauft habe; +derselbe habe auch den Nachbarn gesagt, daß ich bald selbst kommen +werde. Ich ging sogleich mit meinem Freunde dahin und wurde von +allen meinen Bekannten freudig empfangen. Ein alter Kaufmann gab mir +einen Brief, den der Mann, der für mich gekauft hatte, hiergelassen +habe. + +Ich las: "Zaleukos! Zwei Hände stehen bereit, rastlos zu schaffen, +daß Du nicht fühlest den Verlust der einen. Das Haus, das Du siehest, +und alles, was darin ist, ist Dein, und alle Jahre wird man Dir so +viel reichen, daß Du zu den Reichen Deines Volkes gehören wirst. +Mögest Du dem vergeben, der unglücklicher ist als Du." Ich konnte +ahnen, wer es geschrieben, und der Kaufmann sagte mir auf meine Frage: +Es sei ein Mann gewesen, den er für einen Franken gehalten, er habe +einen roten Mantel angehabt. Ich wußte genug, um mir zu gestehen, +daß der Unbekannte doch nicht ganz von aller edlen Gesinnung entblößt +sein müsse. In meinem neuen Haus fand ich alles aufs beste +eingerichtet, auch ein Gewölbe mit Waren, schöner als ich sie je +gehabt. Zehn Jahre sind seitdem verstrichen; mehr aus alter +Gewohnheit, als weil ich es nötig habe, setze ich meine Handelsreisen +fort; doch habe ich jenes Land, wo ich so unglücklich wurde, nie mehr +gesehen. Jedes Jahr erhielt ich seitdem tausend Goldstücke; aber, +wenn es mir auch Freude macht, jenen Unglücklichen edel zu wissen, so +kann er mir doch den Kummer meiner Seele nicht abkaufen, denn ewig +lebt in mir das grauenvolle Bild der ermordeten Bianka. + +--------------------------Zaleukos, der griechische Kaufmann, hatte +seine Geschichte geendigt. Mit großer Teilnahme hatten ihm die +übrigen zugehört, besonders der Fremde schien sehr davon ergriffen zu +sein; er hatte einigemal tief geseufzt, und Muley schien es sogar, +als habe er einmal Tränen in den Augen gehabt. Sie besprachen sich +noch lange Zeit über diese Geschichte. + +"Und haßt Ihr den Unbekannten nicht, der Euch so schnöd' um ein so +edles Glied Eures Körpers, der selbst Euer Leben in Gefahr brachte?" +fragte der Fremde. + +"Wohl gab es in früherer Zeit Stunden", antwortete der Grieche, "in +denen mein Herz ihn vor Gott angeklagt, daß er diesen Kummer über +mich gebracht und mein Leben vergiftet habe; aber ich fand Trost in +dem Glauben meiner Väter, und dieser befiehlt mir, meine Feinde zu +lieben; auch ist er wohl noch unglücklicher als ich." + +"Ihr seid ein edler Mann!" rief der Fremde und drückte gerührt dem +Griechen die Hand. + +Der Anführer der Wache unterbrach sie aber in ihrem Gespräch. Er +trat mit besorgter Miene in das Zelt und berichtete, daß man sich +nicht der Ruhe überlassen dürfe; denn hier sei die Stelle, wo +gewöhnlich die Karawanen angegriffen würden, auch glaubten seine +Wachen, in der Entfernung mehrere Reiter zu sehen. + +Die Kaufleute waren sehr bestürzt über diese Nachricht; Selim, der +Fremde, aber wunderte sich über ihre Bestürzung und meinte, daß sie +so gut geschätzt wären, daß sie einen Trupp räuberischer Araber nicht +zu fürchten brauchten. + +"Ja, Herr!" entgegnete ihm der Anführer der Wache. "Wenn es nur +solches Gesindel wäre, könnte man sich ohne Sorge zur Ruhe legen; +aber seit einiger Zeit zeigt sich der furchtbare Orbasan wieder, und +da gilt es, auf seiner Hut zu sein." + +Der Fremde fragte, wer denn dieser Orbasan sei, und Achmet, der alte +Kaufmann, antwortete ihm: "Es gehen allerlei Sagen unter dem Volke +über diesen wunderbaren Mann. Die einen halten ihn für ein +übermenschliches Wesen, weil er oft mit fünf bis sechs Männern zumal +einen Kampf besteht, andere halten ihn für einen tapferen Franken, +den das Unglück in diese Gegend verschlagen habe; von allem aber ist +nur so viel gewiß, daß er ein verruchter Mörder und Dieb ist." + +"Das könnt Ihr aber doch nicht behaupten", entgegnete ihm Lezah, +einer der Kaufleute. "Wenn er auch ein Räuber ist, so ist er doch +ein edler Mann, und als solcher hat er sich an meinem Bruder bewiesen, +wie ich Euch erzählen könnte. Er hat seinen ganzen Stamm zu +geordneten Menschen gemacht, und so lange er die Wüste durchstreift, +darf kein anderer Stamm es wagen, sich sehen zu lassen. Auch raubt +er nicht wie andere, sondern er erhebt nur ein Schutzgeld von den +Karawanen, und wer ihm dieses willig bezahlt, der ziehet ungefährdet +weiter; denn Orbasan ist der Herr der Wüste." + +Also sprachen unter sich die Reisenden im Zelte; die Wachen aber, die +um den Lagerplatz ausgestellt waren, begannen unruhig zu werden. Ein +ziemlich bedeutender Haufe bewaffneter Reiter zeigte sich in der +Entfernung einer halben Stunde; sie schienen gerade auf das Lager +zuzureiten. Einer der Männer von der Wache ging daher in das Zelt, +um zu verkünden, daß sie wahrscheinlich angegriffen würden. Die +Kaufleute berieten sich untereinander, was zu tun sei, ob man ihnen +entgegengehen oder den Angriff abwarten solle. Achmet und die zwei +älteren Kaufleute wollten das letztere, der feurige Muley aber und +Zaleukos verlangten das erstere und riefen den Fremden zu ihrem +Beistand auf. Dieser zog ruhig ein kleines, blaues Tuch mit roten +Sternen aus seinem Gürtel hervor, band es an eine Lanze und befahl +einem der Sklaven, es auf das Zelt zu stecken; er setze sein Leben +zum Pfand, sagte er, die Reiter werden, wenn sie dieses Zeichen sehen, +ruhig vorüberziehen. Muley glaubte nicht an den Erfolg, der Sklave +aber steckte die Lanze auf das Zelt. Inzwischen hatten alle, die im +Lager waren, zu den Waffen gegriffen und sahen in gespannter +Erwartung den Reitern entgegen. Doch diese schienen das Zeichen auf +dem Zelte erblickt zu haben, sie wichen plötzlich von ihrer Richtung +auf das Lager ab und zogen in einem großen Bogen auf der Seite hin. + +Verwundert standen einige Augenblicke die Reisenden und sahen bald +auf die Reiter, bald auf den Fremden. Dieser stand ganz gleichgültig, +wie wenn nichts vorgefallen wäre, vor dem Zelte und blickte über die +Ebene hin. Endlich brach Muley das Stillschweigen. "Wer bist du, +mächtiger Fremdling", rief er aus, "der du die wilden Horden der +Wüste durch einen Wink bezähmst?" + +"Ihr schlagt meine Kunst höher an, als sie ist", antwortete Selim +Baruch. "Ich habe mich mit diesem Zeichen versehen, als ich der +Gefangenschaft entfloh; was es zu bedeuten hat, weiß ich selbst nicht; +nur so viel weiß ich, daß, wer mit diesem Zeichen reiset, unter +mächtigem Schutze steht." + +Die Kaufleute dankten dem Fremden und nannten ihn ihren Erretter. +Wirklich war auch die Anzahl der Reiter so groß gewesen, daß wohl die +Karawane nicht lange hätte Widerstand leisten können. + +Mit leichterem Herzen begab man sich jetzt zur Ruhe, und als die +Sonne zu sinken begann und der Abendwind über die Sandebene hinstrich, +brachen sie auf und zogen weiter. + +Am nächsten Tage lagerten sie ungefähr nur noch eine Tagreise von dem +Ausgang der Wüste entfernt. Als sich die Reisenden wieder in dem +großen Zelt versammelt hatten, nahm Lezah, der Kaufmann, das Wort: + +"Ich habe euch gestern gesagt, daß der gefürchtete Orbasan ein edler +Mann sei, erlaubt mir, daß ich es euch heute durch die Erzählung der +Schicksale meines Bruders beweise. Mein Vater war Kadi in Akara. Er +hatte drei Kinder. Ich war der Älteste, ein Bruder und eine +Schwester waren bei weitem jünger als ich. Als ich zwanzig Jahre alt +war, rief mich ein Bruder meines Vaters zu sich. Er setzte mich zum +Erben seiner Güter ein, mit der Bedingung, daß ich bis zu seinem Tode +bei ihm bleibe. Aber er erreichte ein hohes Alter, so daß ich erst +vor zwei Jahren in meine Heimat zurückkehrte und nichts davon wußte, +welch schreckliches Schicksal indes mein Haus betroffen und wie gütig +Allah es gewendet hatte." + + + + +Die Errettung Fatmes + +Wilhelm Hauff + + +Mein Bruder Mustapha und meine Schwester Fatme waren beinahe in +gleichem Alter; jener hatte höchstens zwei Jahre voraus. Sie liebten +einander innig und trugen vereint alles bei, was unserem kränklichen +Vater die Last seines Alters erleichtern konnte. An Fatmes +sechzehntem Geburtstage veranstaltete der Bruder ein Fest. Er ließ +alle ihre Gespielinnen einladen, setzte ihnen in dem Garten des +Vaters ausgesuchte Speisen vor, und als es Abend wurde, lud er sie +ein, auf einer Barke, die er gemietet und festlich geschmückt hatte, +ein wenig hinaus in die See zu fahren. Fatme und ihre Gespielinnen +willigten mit Freuden ein; denn der Abend war schön, und die Stadt +gewährte besonders abends, von dem Meere aus betrachtet, einen +herrlichen Anblick. Den Mädchen aber gefiel es so gut auf der Barke, +daß sie meinen Bruder bewogen, immer weiter in die See hinauszufahren. +Mustapha gab aber ungern nach, weil sich vor einigen Tagen ein +Korsar hatte sehen lassen. Nicht weit von der Stadt zieht sich ein +Vorgebirge in das Meer. Dorthin wollten noch die Mädchen, um von da +die Sonne in das Meer sinken zu sehen. Als sie um das Vorgebirg' +herumruderten, sahen sie in geringer Entfernung eine Barke, die mit +Bewaffneten besetzt war. Nichts Gutes ahnend, befahl mein Bruder den +Ruderern, sein Schiff zu drehen und dem Lande zuzurudern. Wirklich +schien sich auch seine Besorgnis zu bestätigen; denn jene Barke kam +der meines Bruders schnell nach, überholte sie, da sie mehr Ruder +hatte, und hielt sich immer zwischen dem Land, und unserer Barke. +Die Mädchen aber, als sie die Gefahr erkannten, in der sie schwebten, +sprangen auf und schrien und klagten; umsonst suchte sie Mustapha zu +beruhigen, umsonst stellte er ihnen vor, ruhig zu bleiben, weil sie +durch ihr Hin- und Herrennen die Barke in Gefahr brächten +umzuschlagen. Es half nichts, und da sie sich endlich bei Annäherung +des anderen Bootes alle auf die hintere Seite der Barke stürzten, +schlug diese um. Indessen aber hatte man vom Land aus die Bewegungen +des fremden Bootes beobachtet, und da man schon seit einiger Zeit +Besorgnisse wegen Korsaren hegte, hatte dieses Boot Verdacht erregt, +und mehrere Barken stießen vom Lande, um den Unsrigen beizustehen. +Aber sie kamen nur noch zu rechter Zeit, um die Untersinkenden +aufzunehmen. In der Verwirrung war das feindliche Boot entwischt, +auf den beiden Barken aber, welche die Geretteten aufgenommen hatten, +war man ungewiß, ob alle gerettet seien. Man näherte sich +gegenseitig, und ach! Es fand sich, daß meine Schwester und eine +ihrer Gespielinnen fehlten; zugleich entdeckte man aber einen Fremden +in einer der Barken, den niemand kannte. Auf die Drohungen Mustaphas +gestand er, daß er zu dem feindlichen Schiff, das zwei Meilen +ostwärts vor Anker liege, gehöre, und daß ihn seine Gefährten auf +ihrer eiligen Flucht im Stich gelassen hätten, indem er im Begriff +gewesen sei, die Mädchen auffischen zu helfen; auch sagte er aus, daß +er gesehen habe, wie man zwei derselben in das Schiff gezogen. + +Der Schmerz meines alten Vaters war grenzenlos, aber auch Mustapha +war bis zum Tod betrübt, denn nicht nur, daß seine geliebte Schwester +verloren war und daß er sich anklagte, an ihrem Unglück schuld zu +sein--jene Freundin Fatmes, die ihr Unglück teilte, war von ihren +Eltern ihm zur Gattin zugesagt gewesen, und nur unserem Vater hatte +er es noch nicht zu gestehen gewagt, weil ihre Eltern arm und von +geringer Abkunft waren. Mein Vater aber war ein strenger Mann; als +sein Schmerz sich ein wenig gelegt hatte, ließ er Mustapha vor sich +kommen und sprach zu ihm: "Deine Torheit hat mir den Trost meines +Alters und die Freude meiner Augen geraubt. Gehe hin, ich verbanne +dich auf ewig von meinem Angesicht, ich fluche dir und deinen +Nachkommen, aber nur, wenn du mir Fatme wiederbringst, soll dein +Haupt rein sein von dem Fluche des Vaters." + +Dies hatte mein armer Bruder nicht erwartet; schon vorher hatte er +sich entschlossen gehabt, seine Schwester und ihre Freundin +aufzusuchen, und wollte sich nur noch den Segen des Vaters dazu +erbitten, und jetzt schickte er ihn, mit dem Fluch beladen, in die +Welt. Aber hatte ihn jener Jammer vorher gebeugt, so stählte jetzt +die Fülle des Unglücks, das er nicht verdient hatte, seinen Mut. + +Er ging zu dem gefangenen Seeräuber und befragte ihn, wohin die Fahrt +seines Schiffes ginge, und erfuhr, daß sie Sklavenhandel trieben und +gewöhnlich in Balsora großen Markt hielten. + +Als er wieder nach Hause kam, um sich zur Reise anzuschicken, schien +sich der Zorn des Vaters ein wenig gelegt zu haben, denn er sandte +ihm einen Beutel mit Gold zur Unterstützung auf der Reise. Mustapha +aber nahm weinend von den Eltern Zoraides, so hieß seine geliebte +Braut, Abschied und machte sich auf den Weg nach Balsora. + +Mustapha machte die Reise zu Land, weil von unserer kleinen Stadt aus +nicht gerade ein Schiff nach Balsora ging. Er mußte daher sehr +starke Tagreisen machen, um nicht zu lange nach den Seeräubern nach +Balsora zu kommen; doch da er ein gutes Roß und kein Gepäck hatte, +konnte er hoffen, diese Stadt am Ende des sechsten Tages zu erreichen. +Aber am Abend des vierten Tages, als er ganz allein seines Weges +ritt, fielen ihn plötzlich drei Männer an. Da er merkte, daß sie gut +bewaffnet und stark seien und daß es mehr auf sein Geld und sein Roß +als auf sein Leben abgesehen war, so rief er ihnen zu, daß er sich +ihnen ergeben wolle. Sie stiegen von ihren Pferden ab und banden ihm +die Füße unter dem Bauch seines Tieres zusammen; ihn selbst aber +nahmen sie in die Mitte und trabten, indem einer den Zügel seines +Pferdes ergriff, schnell mit ihm davon, ohne jedoch ein Wort zu +sprechen. + +Mustapha gab sich einer dumpfen Verzweiflung hin, der Fluch seines +Vaters schien schon jetzt an dem Unglücklichen in Erfüllung zu gehen, +und wie konnte er hoffen, seine Schwester und Zoraide zu retten, wenn +er, aller Mittel beraubt, nur sein ärmliches Leben zu ihrer Befreiung +aufwenden konnte. Mustapha und seine stummen Begleiter mochten wohl +eine Stunde geritten sein, als sie in ein kleines Seitental einbogen. +Das Tälchen war von hohen Bäumen eingefaßt; ein weicher dunkelgrüner +Rasen, ein Bach, der schnell durch seine Mitte hinrollte, luden zur +Ruhe ein. Wirklich sah er auch fünfzehn bis zwanzig Zelte dort +aufgeschlagen; an den Pflöcken der Zelte waren Kamele und schöne +Pferde angebunden, aus einem der Zelte hervor tönte die lustige Weise +einer Zither und zweier schöner Männerstimmen. Meinem Bruder schien +es, als ob Leute, die ein so fröhliches Lagerplätzchen sich erwählt +hatten, nichts Böses gegen ihn im Sinne haben könnten, und er folgte +also ohne Bangigkeit dem Ruf seiner Führer, die, als sie seine Bande +gelöst hatten, ihm winkten, abzusteigen. Man führte ihn in ein Zelt, +das größer als die übrigen und im Innern hübsch, fast zierlich +aufgeputzt war. Prächtige, goldbestickte Polster, gewirkte +Fußteppiche, übergoldete Rauchpfannen hätten anderswo Reichtum und +Wohlleben verraten; hier schienen sie nur kühner Raub. Auf einem der +Polster saß ein alter kleiner Mann; sein Gesicht war häßlich, seine +Haut schwarzbraun und glänzend, und ein widriger Zug von tückischer +Schlauheit um Augen und Mund machte seinen Anblick verhaßt. Obgleich +sich dieser Mann einiges Ansehen zu geben suchte, so merkte doch +Mustapha bald, daß nicht für ihn das Zelt so reich geschmückt sei, +und die Unterredung seiner Führer schien seine Bemerkung zu +bestätigen. "Wo ist der Starke?" fragten sie den Kleinen. + +"Er ist auf der kleinen Jagd", antwortete jener, "aber er hat mir +aufgetragen, seine Stelle zu versehen." + +"Das hat er nicht gescheit gemacht", entgegnete einer der Räuber, +"denn es muß sich bald entscheiden, ob dieser Hund sterben oder +zahlen soll, und das weiß der Starke besser als du." + +Der kleine Mann erhob sich im Gefühl seiner Würde, streckte sich lang +aus, um mit der Spitze seiner Hand das Ohr seines Gegners zu +erreichen, denn er schien Lust zu haben, sich durch einen Schlag zu +rächen, als er aber sah, daß seine Bemühung fruchtlos sei, fing er an +zu schimpfen (und wahrlich! Die anderen blieben ihm nichts schuldig), +daß das Zelt von ihrem Streit erdröhnte. Da tat sich auf einmal die +Türe des Zeltes auf, und herein trat ein hoher, stattlicher Mann, +jung und schön wie ein Perserprinz; seine Kleidung und seine Waffen +waren, außer einem reichbesetzten Dolch und einem glänzenden Säbel, +gering und einfach; aber sein ernstes Auge, sein ganzer Anstand gebot +Achtung, ohne Furcht einzuflößen. + +"Wer ist's, der es wagt, in meinem Zelte Streit zu beginnen?" rief er +den Erschrockenen zu. Eine Zeitlang herrschte tiefe Stille; endlich +erzählte einer von denen, die Mustapha hergebracht hatten, wie es +gegangen sei. Da schien sich das Gesicht "des Starken", wie sie ihn +nannten, vor Zorn zu röten. "Wann hätte ich dich je an meine Stelle +gesetzt, Hassan?" schrie er mit furchtbarer Stimme dem Kleinen zu. +Dieser zog sich vor Furcht in sich selbst zusammen, daß er noch viel +kleiner aussah als zuvor, und schlich sich der Zelttüre zu. Ein +hinlänglicher Tritt des Starken machte, daß er in einem großen +sonderbaren Sprung zur Zelttüre hinausflog. + +Als der Kleine verschwunden war, führten die drei Männer Mustapha vor +den Herrn des Zeltes, der sich indes auf die Polster gelegt hatte. +"Hier bringen wir den, welchen du uns zu fangen befohlen hast." + +Jener blickte den Gefangenen lange an und sprach sodann: "Bassa von +Sulieika! Dein eigenes Gewissen wird dir sagen, warum du vor Orbasan +stehst." + +Als mein Bruder dies hörte, warf er sich nieder vor jenem und +antwortete: "O Herr! Du scheinst im Irrtum zu sein. Ich bin ein +armer Unglücklicher, aber nicht der Bassa, den du suchst!" + +Alle im Zelt waren über diese Rede erstaunt. Der Herr des Zeltes +aber sprach: "Es kann dir wenig helfen, dich zu verstellen; denn ich +will die Leute vorführen, die dich wohl kennen." Er befahl, Zuleima +vorzufahren. Man brachte ein altes Weib in das Zelt, das auf die +Frage, ob sie in meinem Bruder nicht den Bassa von Sulieika erkenne, +antwortete: "Jawohl!" Und sie schwöre es beim Grab des Propheten, es +sei der Bassa und kein anderer. + +"Siehst du, Erbärmlicher, wie deine List zu Wasser geworden ist!" +begann zürnend der Starke. "Du bist mir zu elend, als daß ich meinen +guten Dolch mit deinem Blut besudeln sollte, aber an den Schweif +meines Rosses will ich dich binden, morgen, wenn die Sonne aufgeht, +und durch die Wälder mit dir jagen, bis sie scheidet hinter die Hügel +von Sulieika!" + +Da sank meinem armen Bruder der Mut. "Das ist der Fluch meines +harten Vaters, der mich zum schmachvollen Tode treibt", rief er +weinend, "und auch du bist verloren, süße Schwester, auch du, Zoraide!" + +"Deine Verstellung hilft dir nichts", sprach einer der Räuber, indem +er ihm die Hände auf den Rücken band, "mach, daß du aus dem Zelte +kommst! Denn der Starke beißt sich in die Lippen und blickt nach +seinem Dolch. Wenn du noch eine Nacht leben willst, so komm!" + +Als die Räuber gerade meinen Bruder aus dem Zelt führen wollten, +begegneten sie drei anderen, die einen Gefangenen vor sich hintrieben. +Sie traten mit ihm ein. "Hier bringen wir den Bassa, wie du uns +befohlen hast", sprachen sie und führten den Gefangenen vor das +Polster des Starken. Als der Gefangene dorthin geführt wurde, hatte +mein Bruder Gelegenheit, ihn zu betrachten, und ihm selbst fiel die +Ähnlichkeit auf, die dieser Mann mit ihm hatte, nur war er dunkler im +Gesicht und hatte einen schwärzeren Bart. + +Der Starke schien sehr erstaunt über die Erscheinung des zweiten +Gefangenen. "Wer von euch ist denn der Rechte?" sprach er, indem er +bald meinen Bruder, bald den anderen Mann ansah. + +"Wenn du den Bassa von Sulieika meinst", antwortete in stolzem Ton +der Gefangene, "der bin ich!" Der Starke sah ihn lange mit seinem +ernsten, furchtbaren Blick an; dann winkte er schweigend, den Bassa +wegzuführen. + +Als dies geschehen war, ging er auf meinen Bruder zu, zerschnitt +seine Bande mit dem Dolch und winkte ihm, sich zu ihm aufs Polster zu +setzen. "Es tut mir leid, Fremdling", sagte er, "daß ich dich für +jenes Ungeheuer hielt; schreibe es aber einer sonderbaren Fügung des +Himmels zu, die dich gerade in der Stunde, welche dem Untergang jenes +Verruchten geweiht war, in die Hände meiner Brüder führte." Mein +Bruder bat ihn um die einzige Gunst, ihn gleich wieder weiterreisen +zu lassen, weil jeder Aufschub ihm verderblich werden könne. Der +Starke erkundigte sich nach seinen eiligen Geschäften, und als ihm +Mustapha alles erzählt hatte, überredete ihn jener, diese Nacht in +seinem Zelt zu bleiben, er und sein Roß werden der Ruhe bedürfen; den +folgenden Tag aber wolle er ihm einen Weg zeigen, der ihn in +anderthalb Tagen nach Balsora bringe--Mein Bruder schlug ein, wurde +trefflich bewirtet und schlief sanft bis zum Morgen in dem Zelt des +Räubers. + +Als er aufgewacht war, sah er sich ganz allein im Zelt; vor dem +Vorhang des Zeltes aber hörte er mehrere Stimmen zusammen sprechen, +die dem Herrn des Zeltes und dem kleinen schwarzbraunen Mann +anzugehören schienen. Er lauschte ein wenig und hörte zu seinem +Schrecken, daß der Kleine dringend den anderen aufforderte, den +Fremden zu töten, weil er, wenn er freigelassen würde, sie alle +verraten könnte. + +Mustapha merkte gleich, daß der Kleine ihm gram sei, weil er die +Ursache war, daß er gestern so übel behandelt wurde; der Starke +schien sich einige Augenblicke zu besinnen. "Nein", sprach er, "er +ist mein Gastfreund, und das Gastrecht ist mir heilig; auch sieht er +mir nicht aus, als ob er uns verraten wollte." + +Als er so gesprochen, schlug er den Vorhang zurück und trat ein. +"Friede sei mit dir, Mustapha!" sprach er, "laß uns den Morgentrunk +kosten, und rüste dich dann zum Aufbruch!" Er reichte meinem Bruder +einen Becher Sorbet, und als sie getrunken hatten, zäumten sie die +Pferde auf, und wahrlich, mit leichterem Herzen, als er gekommen war, +schwang sich Mustapha aufs Pferd. Sie hatten bald die Zelte im +Rücken und schlugen dann einen breiten Pfad ein, der in den Wald +führte. Der Starke erzählte meinem Bruder, daß jener Bassa, den sie +auf der Jagd gefangen hätten, ihnen versprochen habe, sie ungefährdet +in seinem Gebiete zu dulden; vor einigen Wochen aber habe er einen +ihrer tapfersten Männer aufgefangen und nach den schrecklichsten +Martern aufhängen lassen. Er habe ihm nun lange auflauern lassen, +und heute noch müsse er sterben. Mustapha wagte es nicht, etwas +dagegen einzuwenden; denn er war froh, selbst mit heiler Haut +davongekommen zu sein. + +Am Ausgang des Waldes hielt der Starke sein Pferd an, beschrieb +meinem Bruder den Weg, bot ihm die Hand zum Abschied und sprach: +"Mustapha, du bist auf sonderbare Weise der Gastfreund des Räubers +Orbasan geworden; ich will dich nicht auffordern, nicht zu verraten, +was du gesehen und gehört hast. Du hast ungerechterweise Todesangst +ausgestanden, und ich bin dir Vergütung schuldig. Nimm diesen Dolch +als Andenken, und so du Hilfe brauchst, so sende ihn mir zu, und ich +will eilen, dir beizustehen. Diesen Beutel aber kannst du vielleicht +zu deiner Reise brauchen." Mein Bruder dankte ihm für seinen Edelmut; +er nahm den Dolch, den Beutel aber schlug er aus. Doch Orbasan +drückte ihm noch einmal die Hand, ließ den Beutel auf die Erde fallen +und sprengte mit Sturmeseile in den Wald. Als Mustapha sah, daß er +ihn doch nicht mehr werde einholen können, stieg er ab, um den Beutel +aufzuheben, und erschrak über die Größe von seines Gastfreundes +Großmut; denn der Beutel enthielt eine Menge Gold. Er dankte Allah +für seine Rettung, empfahl ihm den edlen Räuber in seine Gnade und +zog dann heiteren Mutes weiter auf seinem Wege nach Balsora. + +Lezah schwieg und sah Achmet, den alten Kaufmann, fragend an. "Nein, +wenn es so ist", sprach dieser, "so verbessere ich gern mein Urteil +von Orbasan; denn wahrlich, an deinem Bruder hat er schön gehandelt." + +"Er hat getan wie ein braver Muselmann", rief Muley; "aber ich hoffe, +du hast deine Geschichte damit nicht geschlossen; denn wie mich +bedünkt, sind wir alle begierig, weiter zu hören, wie es deinem +Bruder erging und ob er Fatme, deine Schwester, und die schöne +Zoraide befreit hat." + +"Wenn ich euch nicht damit langweile, erzähle ich gerne weiter", +entgegnete Lezah, "denn die Geschichte meines Bruders ist allerdings +abenteuerlich und wundervoll." + +Am Mittag des siebenten Tages nach seiner Abreise zog Mustapha in die +Tore von Balsora ein. Sobald er in einer Karawanserei abgestiegen +war, fragte er, wann der Sklavenmarkt, der alljährlich hier gehalten +werde, anfange. Aber er erhielt die Schreckensantwort, daß er zwei +Tage zu spät komme. Man bedauerte seine Verspätung und erzählte ihm, +daß er viel verloren habe; denn noch an dem letzten Tage des Marktes +seien zwei Sklavinnen angekommen, von so hoher Schönheit, daß sie die +Augen aller Käufer auf sich gezogen hätten. Man habe sich ordentlich +um sie gerissen und geschlagen, und sie seien freilich auch zu einem +so hohen Preise verkauft worden, daß ihn nur ihr jetziger Herr nicht +habe scheuen können. Er erkundigte sich näher nach diesen beiden, +und es blieb ihm kein Zweifel, daß es die Unglücklichen seien, die er +suchte. Auch erfuhr er, daß der Mann, der sie beide gekauft habe, +vierzig Stunden von Balsora wohne und Thiuli-Kos heiße, ein vornehmer, +reicher, aber schon ältlicher Mann, der früher Kapudan-Bassa des +Großherrn gewesen, jetzt aber sich mit seinen gesammelten Reichtümern +zur Ruhe gesetzt habe. + +Mustapha wollte von Anfang sich gleich wieder zu Pferd setzen, um dem +Thiuli-Kos, der kaum einen Tag Vorsprung haben konnte, nachzueilen. +Als er aber bedachte, daß er als einzelner Mann dem mächtigen +Reisenden doch nichts anhaben noch weniger seine Beute ihm abjagen +konnte, sann er auf einen anderen Plan und hatte ihn auch bald +gefunden. Die Verwechslung mit dem Bassa von Sulieika, die ihm +beinahe so gefährlich geworden wäre, brachte ihn auf den Gedanken, +unter diesem Namen in das Haus des Thiuli-Kos zu gehen und so einen +Versuch zur Rettung der beiden unglücklichen Mädchen zu wagen. Er +mietete daher einige Diener und Pferde, wobei ihm Orbasans Geld +trefflich zustatten kam, schaffte sich und seinen Dienern prächtige +Kleider an und machte sich auf den Weg nach dem Schlosse Thiulis. +Nach fünf Tagen war er in die Nähe dieses Schlosses gekommen. Es lag +in einer schönen Ebene und war rings von hohen Mauern umschlossen, +die nur ganz wenig von den Gebäuden überragt wurden. Als Mustapha +dort angekommen war, färbte er Haar und Bart schwarz, sein Gesicht +aber bestrich er mit dem Saft einer Pflanze, die ihm eine bräunliche +Farbe gab, ganz wie sie jener Bassa gehabt hatte. Er schickte +hierauf einen seiner Diener in das Schloß und ließ im Namen des Bassa +von Sulieika um ein Nachtlager bitten. Der Diener kam bald wieder, +und mit ihm vier schöngekleidete Sklaven, die Mustaphas Pferd am +Zügel nahmen und in den Schloßhof führten. Dort halfen sie ihm +selbst vom Pferd, und vier andere geleiteten ihn eine breite +Marmortreppe hinauf zu Thiuli. + +Dieser, ein alter, lustiger Geselle, empfing meinen Bruder +ehrerbietig und ließ ihm das Beste, was sein Koch zubereiten konnte, +aufsetzen. Nach Tisch brachte Mustapha das Gespräch nach und nach +auf die neuen Sklavinnen, und Thiuli rühmte ihre Schönheit und +beklagte nur, daß sie immer so traurig seien; doch er glaubte, dieses +würde sich bald geben. Mein Bruder war sehr vergnügt über diesen +Empfang und legte sich mit den schönsten Hoffnungen zur Ruhe nieder. + +Er mochte ungefähr eine Stunde geschlafen haben, da weckte ihn der +Schein einer Lampe, der blendend auf sein Auge fiel. Als er sich +aufrichtete, glaubte er noch zu träumen; denn vor ihm stand jener +kleine, schwarzbraune Kerl aus Orbasans Zelt, eine Lampe in der Hand, +sein breites Maul zu einem widrigen Lächeln verzogen. Mustapha +zwickte sich in den Arm, zupfte sich an der Nase, um sich zu +überzeugen, ob er denn wache; aber die Erscheinung blieb wie zuvor. +"Was willst du an meinem Bette?" rief Mustapha, als er sich von +seinem Erstaunen erholt hatte. + +"Bemühet Euch doch nicht so, Herr!" sprach der Kleine. "Ich habe +wohl erraten, weswegen Ihr hierherkommt. Auch war mir Euer wertes +Gesicht noch wohl erinnerlich; doch wahrlich, wenn ich nicht den +Bassa mit eigener Hand hätte erhängen helfen, so hättet Ihr mich +vielleicht getäuscht. Jetzt aber bin ich da, um eine Frage zu machen." + +"Vor allem sage, wie du hierherkommst", entgegnete ihm Mustapha voll +Wut, daß er verraten war. + +"Das will ich Euch sagen", antwortete jener, "ich konnte mich mit dem +Starken nicht länger vertragen, deswegen floh ich; aber du, Mustapha, +warst eigentlich die Ursache unseres Streites, und dafür mußt du mir +deine Schwester zur Frau geben, und ich will Euch zur Flucht +behilflich sein; gibst du sie nicht, so gehe ich zu meinem neuen +Herrn und erzähle ihm etwas von dem neuen Bassa." + +Mustapha war vor Schrecken und Wut außer sich; jetzt, wo er sich am +sicheren Ziel seiner Wünsche glaubte, sollte dieser Elende kommen und +sie vereiteln; es war nur ein Mittel, das seinen Plan retten konnte: +Er mußte das kleine Ungetüm töten. Mit einem Sprung fuhr er daher +aus dem Bette auf den Kleinen zu; doch dieser, der etwas Solches +geahnt haben mochte, ließ die Lampe fallen, daß sie verlöschte, und +entsprang im Dunkeln, indem er mörderisch um Hilfe schrie. + +Jetzt war guter Rat teuer; die Mädchen mußte er für den Augenblick +aufgeben und nur auf die eigene Rettung denken; daher ging er an das +Fenster, um zu sehen, ob er nicht entspringen könnte. Es war eine +ziemliche Tiefe bis zum Boden, und auf der anderen Seite stand eine +hohe Mauer, die zu übersteigen war. Sinnend stand er an dem Fenster; +da hörte er viele Stimmen sich seinem Zimmer nähern; schon waren sie +an der Türe; da faßte er verzweiflungsvoll seinen Dolch und seine +Kleider und schwang sich zum Fenster hinaus. Der Fall war hart; aber +er fühlte, daß er kein Glied gebrochen hatte; drum sprang er auf und +lief der Mauer zu, die den Hof umschloß, stieg, zum Erstaunen seiner +Verfolger, hinauf und befand sich bald im Freien. Er floh, bis er an +einen kleinen Wald kam, wo er sich erschöpft niederwarf. Hier +überlegte er, was zu tun sei. + +Seine Pferde und seine Diener hatte er im Stiche lassen müssen; aber +sein Geld, das er in dem Gürtel trug, hatte er gerettet. + +Sein erfinderischer Kopf zeigte ihm bald einen anderen Weg zur +Rettung. Er ging in dem Wald weiter, bis er an ein Dorf kam, wo er +um geringen Preis ein Pferd kaufte, das ihn in Bälde in eine Stadt +trug. Dort forschte er nach einem Arzt, und man riet ihm einen alten, +erfahrenen Mann. Diesen bewog er durch einige Goldstücke, daß er +ihm eine Arznei mitteilte, die einen todähnlichen Schlaf herbeiführte, +der durch ein anderes Mittel augenblicklich wieder gehoben werden +könnte. Als er im Besitz dieses Mittels war, kaufte er sich einen +langen falschen Bart, einen schwarzen Talar und allerlei Büchsen und +Kolben, so daß er füglich einen reisenden Arzt vorstellen konnte, lud +seine Sachen auf einen Esel und reiste in das Schloß des Thiuli-Kos +zurück. Er durfte gewiß sein, diesmal nicht erkannt zu werden, denn +der Bart entstellte ihn so, daß er sich selbst kaum mehr kannte. Bei +Thiuli angekommen, ließ er sich als den Arzt Chakamankabudibaba +anmelden, und, wie er es gedacht hatte, geschah es; der prachtvolle +Namen empfahl ihn bei dem alten Narren ungemein, so daß er ihn gleich +zur Tafel einlud. + +Chakamankabudibaba erschien vor Thiuli, und als sie sich kaum eine +Stunde besprochen hatten, beschloß der Alte, alle seine Sklavinnen +der Kur des weisen Arztes zu unterwerfen. Dieser konnte seine Freude +kaum verbergen, daß er jetzt seine geliebte Schwester wiedersehen +solle, und folgte mit klopfendem Herzen Thiuli, der ihn ins Serail +führte. Sie waren in ein Zimmer gekommen, das schön ausgeschmückt +war, worin sich aber niemand befand. "Chambaba oder wie du heißt, +lieber Arzt", sprach Thiuli-Kos, "betrachte einmal jenes Loch dort in +der Mauer, dort wird jede meiner Sklavinnen einen Arm herausstrecken, +und du kannst dann untersuchen, ob der Puls krank oder gesund ist." +Mustapha mochte einwenden, was er wollte, zu sehen bekam er sie nicht; +doch willigte Thiuli ein, daß er ihm allemal sagen wolle, wie sie +sich sonst gewöhnlich befänden. Thiuli zog nun einen langen Zettel +aus dem Gürtel und begann mit lauter Stimme seine Sklavinnen einzeln +beim Namen zu rufen, worauf allemal eine Hand aus der Mauer kam und +der Arzt den Puls untersuchte. Sechs waren schon abgelesen und +sämtlich für gesund erklärt; da las Thiuli als die siebente "Fatme" +ab, und eine kleine weiße Hand schlüpfte aus der Mauer. Zitternd vor +Freude, ergreift Mustapha diese Hand und erklärt sie mit wichtiger +Miene für bedeutend krank. Thiuli ward sehr besorgt und befahl +seinem weisen Chakamankabudibaba, schnell eine Arznei für sie zu +bereiten. Der Arzt ging hinaus, schrieb auf einen kleinen Zettel: +Fatme! Ich will Dich retten, wenn Du Dich entschließen kannst, eine +Arznei zu nehmen, die Dich auf zwei Tage tot macht; doch ich besitze +das Mittel, Dich wieder zum Leben zu bringen. Willst Du, so sage nur, +dieser Trank habe nicht geholfen, und es soll mir ein Zeichen sein, +daß Du einwilligst. + +Bald kam er in das Zimmer zurück, wo Thiuli seiner harrte. Er +brachte ein unschädliches Tränklein mit, fühlte der kranken Fatme +noch einmal den Puls und schob ihr zugleich den Zettel unter ihr +Armband; das Tränklein aber reichte er ihr durch die Öffnung in der +Mauer. Thiuli schien in großen Sorgen wegen Fatme zu sein und schob +die Untersuchung der übrigen bis auf eine gelegenere Zeit auf. Als +er mit Mustapha das Zimmer verlassen hatte, sprach er in traurigem +Ton: "Chadibaba, sage aufrichtig, was hältst du von Fatmes Krankheit?" + +Chakamankabudibaba antwortete mit einem tiefen Seufzer: "Ach Herr, +möge der Prophet dir Trost verleihen! Sie hat ein schleichendes +Fieber, das ihr wohl den Garaus machen kann." Da entbrannte der Zorn +Thiulis: "Was sagst du, verfluchter Hund von einem Arzt? Sie, um die +ich zweitausend Goldstücke gab, soll mir sterben wie eine Kuh? Wisse, +wenn du sie nicht rettest, so hau' ich dir den Kopf ab!" Da merkte +mein Bruder, daß er einen dummen Streich gemacht habe, und gab Thiuli +wieder Hoffnung. Als sie noch so sprachen, kam ein schwarzer Sklave +aus dem Serail, dem Arzt zu sagen, daß das Tränklein nicht geholfen +habe. "Biete deine ganze Kunst auf, Chakamdababelba, oder wie du +dich schreibst, ich zahle dir, was du willst", schrie Thiuli-Kos, +fast heulend vor Angst, so viel Gold zu verlieren. + +"Ich will ihr ein Säftlein geben, das sie von aller Not befreit", +antwortete der Arzt. + +"Ja! Ja! Gib ihr ein Säftlein", schluchzte der alte Thiuli. + +Frohen Mutes ging Mustapha, seinen Schlaftrunk zu holen, und als er +ihn dem schwarzen Sklaven gegeben und gezeigt hatte, wieviel man auf +einmal nehmen müsse, ging er zu Thiuli und sagte, er müsse noch +einige heilsame Kräuter am See holen, und eilte zum Tor hinaus. An +dem See, der nicht weit von dem Schloß entfernt war, zog er seine +falschen Kleider aus und warf sie ins Wasser, daß sie lustig +umherschwammen; er selbst aber verbarg sich im Gesträuch, wartete die +Nacht ab und schlich sich dann in den Begräbnisplatz an dem Schlosse +Thiulis. + +Als Mustapha kaum eine Stunde lang aus dem Schloß abwesend sein +mochte, brachte man Thiuli die schreckliche Nachricht, daß seine +Sklavin Fatme im Sterben liege. Er schickte hinaus an den See, um +schnell den Arzt zu holen; aber bald kehrten seine Boten allein +zurück und erzählten ihm, daß der arme Arzt ins Wasser gefallen und +ertrunken sei; seinen schwarzen Talar sehe man im See schwimmen, und +hier und da gucke auch sein stattlicher Bart aus den Wellen hervor. +Als Thiuli keine Rettung mehr sah, verwünschte er sich und die ganze +Welt, raufte sich den Bart aus und rannte mit dem Kopf gegen die +Mauer. Aber alles dies konnte nichts helfen; denn Fatme gab bald +unter den Händen der übrigen Weiber den Geist auf. Als Thiuli die +Nachricht ihres Todes hörte, befahl er, schnell einen Sarg zu machen; +denn er konnte keinen Toten im Hause leiden und ließ den Leichnam in +das Begräbnishaus tragen. Die Träger brachten den Sarg dorthin, +setzten ihn schnell nieder und entflohen, denn sie hatten unter den +übrigen Särgen Stöhnen und Seufzen gehört. + +Mustapha, der sich hinter den Särgen verborgen und von dort aus die +Träger des Sarges in die Flucht gejagt hatte, kam hervor und zündete +sich eine Lampe an, die er zu diesem Zweck mitgebracht hatte. Dann +zog er ein Glas hervor, das die erweckende Arznei enthielt, und hob +dann den Deckel von Fatmes Sarg. Aber welches Entsetzen befiel ihn, +als sich ihm beim Scheine der Lampe ganz fremde Züge zeigten! Weder +meine Schwester noch Zoraide, sondern eine ganz andere lag in dem +Sarg. Er brauchte lange, um sich von dem neuen Schlag des Schicksals +zu fassen; endlich überwog doch Mitleid seinen Zorn. Er öffnete sein +Glas und flößte ihr die Arznei ein. Sie atmete, sie schlug die Augen +auf und schien sich lange zu besinnen, wo sie sei. Endlich erinnerte +sie sich des Vorgefallenen; sie stand auf aus dem Sarg und stürzte zu +Mustaphas Füßen. "Wie kann ich dir danken, gütiges Wesen", rief sie +aus, "daß du mich aus meiner schrecklichen Gefangenschaft befreitest!" +Mustapha unterbrach ihre Danksagungen mit der Frage, wie es denn +geschehen sei, daß sie und nicht Fatme, seine Schwester, gerettet +worden sei? Jene sah ihn staunend an. "Jetzt wird mir meine Rettung +erst klar, die mir vorher unbegreiflich war", antwortete sie; "wisse, +man hieß mich in jenem Schloß Fatme, und mir hast du deinen Zettel +und den Rettungstrank gegeben." Mein Bruder forderte die Gerettete +auf, ihm von seiner Schwester und Zoraide Nachricht zu geben, und +erfuhr, daß sie sich beide im Schloß befanden, aber nach der +Gewohnheit Thiulis andere Namen bekommen hatten; sie hießen jetzt +Mirza und Nurmahal." + +Als Fatme, die gerettete Sklavin, sah, daß mein Bruder durch diesen +Fehlgriff so niedergeschlagen sei, sprach sie ihm Mut ein und +versprach, ihm ein Mittel zu sagen, wie er jene beiden Mädchen +dennoch retten könne. Aufgeweckt durch diesen Gedanken, schöpfte +Mustapha von neuem Hoffnung und bat sie, dieses Mittel ihm zu nennen, +und sie sprach: + +"Ich bin zwar erst seit fünf Monaten die Sklavin Thiulis, doch habe +ich gleich von Anfang auf Rettung gesonnen; aber für mich allein war +sie zu schwer. In dem inneren Hof des Schlosses wirst du einen +Brunnen bemerkt haben, der aus zehn Röhren Wasser speit; dieser +Brunnen fiel mir auf. Ich erinnerte mich, in dem Hause meines Vaters +einen ähnlichen gesehen zu haben, dessen Wasser durch eine geräumige +Wasserleitung herbeiströmt; um nun zu erfahren, ob dieser Brunnen +auch so gebaut ist, rühmte ich eines Tages vor Thiuli seine Pracht +und fragte nach seinem Baumeister. *Ich selbst habe ihn gebaut*, +antwortete er, *und das, was du hier siehst, ist noch das Geringste; +aber das Wasser dazu kommt wenigstens tausend Schritte weit von einem +Bach her und geht durch eine gewölbte Wasserleitung, die wenigstens +mannshoch ist; und alles dies habe ich selbst angegeben.* Als ich +dies gehört hatte, wünschte ich mir oft, nur auf einen Augenblick die +Stärke eines Mannes zu haben, um einen Stein an der Seite des +Brunnens ausheben zu können; dann könnte ich fliehen, wohin ich +wollte. Die Wasserleitung nun will ich dir zeigen; durch sie kannst +du nachts in das Schloß gelangen und jene befreien. Aber du mußt +wenigstens noch zwei Männer bei dir haben, um die Sklaven, die das +Serail bei Nacht bewachen, zu überwältigen." + +So sprach sie; mein Bruder Mustapha aber, obgleich schon zweimal in +seinen Hoffnungen getäuscht, faßte noch einmal Mut und hoffte mit +Allahs Hilfe den Plan der Sklavin auszuführen. Er versprach ihr, für +ihr weiteres Fortkommen in ihre Heimat zu sorgen, wenn sie ihm +behilflich sein wollte, ins Schloß zu gelangen. Aber ein Gedanke +machte ihm noch Sorge, nämlich der, woher er zwei oder drei treue +Gehilfen bekommen könnte. Da fiel ihm Orbasans Dolch ein und das +Versprechen, das ihm jener gegeben hatte, ihm, wo er seiner bedürfe, +zu Hilfe zu eilen, und er machte sich daher mit Fatme aus dem +Begräbnis auf, um den Räuber aufzusuchen. + +In der nämlichen Stadt, wo er sich zum Arzt umgewandelt hatte, kaufte +er um sein letztes Geld ein Roß und mietete Fatme bei einer armen +Frau in der Vorstadt ein. Er selbst aber eilte dem Gebirge zu, wo er +Orbasan zum erstenmal getroffen hatte, und gelangte in drei Tagen +dahin. Er fand bald wieder jene Zelte und trat unverhofft vor +Orbasan, der ihn freundlich bewillkommnete. Er erzählte ihm seine +mißlungenen Versuche, wobei sich der ernsthafte Orbasan nicht +enthalten konnte, hier und da ein wenig zu lachen, besonders, wenn er +sich den Arzt Chakamankabudibaba dachte. Über die Verräterei des +Kleinen aber war er wütend; er schwur, ihn mit eigener Hand +aufzuhängen, wo er ihn finde. Meinem Bruder aber versprach er, +sogleich zur Hilfe bereit zu sein, wenn er sich vorher von der Reise +gestärkt haben würde. Mustapha blieb daher diese Nacht wieder in +Orbasans Zelt; mit dem ersten Frührot aber brachen sie auf, und +Orbasan nahm drei seiner tapfersten Männer, wohl beritten und +bewaffnet, mit sich. Sie ritten stark zu und kamen nach zwei Tagen +in die kleine Stadt, wo Mustapha die gerettete Fatme zurückgelassen +hatte. Von da aus reisten sie mit dieser weiter bis zu dem kleinen +Wald, von wo aus man das Schloß Thiulis in geringer Entfernung sehen +konnte; dort lagerten sie sich, um die Nacht abzuwarten. + +Sobald es dunkel wurde, schlichen sie sich, von Fatme geführt, an den +Bach, wo die Wasserleitung anfing, und fanden diese bald. Dort +ließen sie Fatme und einen Diener mit den Rossen zurück und schickten +sich an, hinabzusteigen; ehe sie aber hinabstiegen, wiederholte ihnen +Fatme noch einmal alles genau, nämlich: daß sie durch den Brunnen in +den inneren Schloßhof kämen, dort seien rechts und links in der Ecke +zwei Türme, in der sechsten Türe, vom Turme rechts gerechnet, +befänden sich Fatme und Zoraide, bewacht von zwei schwarzen Sklaven. +Mit Waffen und Brecheisen wohl versehen, stiegen Mustapha, Orbasan +und zwei andere Männer hinab in die Wasserleitung; sie sanken zwar +bis an den Gürtel ins Wasser; aber nichtsdestoweniger gingen sie +rüstig vorwärts. Nach einer halben Stunde kamen sie an den Brunnen +selbst und setzten sogleich ihre Brecheisen an. Die Mauer war dick +und fest; aber den vereinten Kräften der vier Männer konnte sie nicht +lange widerstehen; bald hatten sie eine Öffnung eingebrochen, groß +genug, um bequem durchschlüpfen zu können. Orbasan schlüpfte zuerst +durch und half den anderen nach. Als sie alle im Hof waren, +betrachteten sie die Seite des Schlosses, die vor ihnen lag, um die +beschriebene Türe zu erforschen. Aber sie waren nicht einig, welche +es sei; denn als sie von dem rechten Turm zum linken zählten, fanden +sie eine Türe, die zugemauert war, und wußten nun nicht, ob Fatme +diese übersprungen oder mitgezählt habe. Aber Orbasan besann sich +nicht lange. "Mein gutes Schwert wird mir jede Tür öffnen", rief er +aus, ging auf die sechste Türe zu, und die anderen folgten ihm. + +Sie öffneten die Türe und fanden sechs schwarze Sklaven auf dem Boden +liegend und schlafend; sie wollten schon wieder leise sich +zurückziehen, weil sie sahen, daß sie die rechte Türe verfehlt hatten, +als eine Gestalt in der Ecke sich aufrichtete und mit wohlbekannter +Stimme um Hilfe rief. Es war der Kleine aus Orbasans Lager. Aber +ehe noch die Schwarzen recht wußten, wie ihnen geschah, stürzte +Orbasan auf den Kleinen zu, riß seinen Gürtel entzwei, verstopfte ihm +den Mund und band ihm die Hände auf den Rücken; dann wandte er sich +an die Sklaven, wovon schon einige von Mustapha und den zwei anderen +halb gebunden waren, und half sie vollends überwältigen. Man setzte +den Sklaven den Dolch auf die Brust und fragte sie, wo Nurmahal und +Nürza wären, und sie gestanden, daß sie im Gemach nebenan seien. +Mustapha stürzte in das Gemach und fand Fatme und Zoraide, die der +Lärm erweckt hatte. Schnell rafften diese ihren Schmuck und ihre +Kleider zusammen und folgten Mustapha; die beiden Räuber schlugen +indes Orbasan vor, zu plündern, was man fände; doch dieser verbot es +ihnen und sprach: "Man soll nicht von Orbasan sagen können, daß er +nachts in die Häuser steige, um Gold zu stehlen!" Mustapha und die +Geretteten schlüpften schnell in die Wasserleitung, wohin ihnen +Orbasan sogleich zu folgen versprach. Als jene in die Wasserleitung +hinabgestiegen waren, nahmen Orbasan und einer der Räuber den Kleinen +und führten ihn hinaus in den Hof; dort banden sie ihm eine seidene +Schnur, die sie deshalb mitgenommen hatten, um den Hals und hingen +ihn an der höchsten Spitze des Brunnens auf. Nachdem sie so den +Verrat des Elenden bestraft hatten, stiegen sie selbst hinab in die +Wasserleitung und folgten Mustapha. Mit Tränen dankten die beiden +ihrem edelmütigen Retter Orbasan; doch dieser trieb sie eilends zur +Flucht an, denn es war sehr wahrscheinlich, daß sie Thiuli-Kos nach +allen Seiten verfolgen ließ. Mit tiefer Rührung trennten sich am +anderen Tag Mustapha und seine Geretteten von Orbasan; wahrlich, sie +werden ihn nie vergessen. Fatme aber, die befreite Sklavin, ging +verkleidet nach Balsora, um sich dort in ihre Heimat einzuschiffen. + +Nach einer kurzen und vergnügten Reise kamen die Meinigen in die +Heimat. Meinen alten Vater tötete beinahe die Freude des +Wiedersehens; den anderen Tag nach ihrer Ankunft veranstaltete er ein +großes Fest, an welchem die ganze Stadt teilnahm. Vor einer großen +Versammlung von Verwandten und Freunden mußte mein Bruder seine +Geschichte erzählen, und einstimmig priesen sie ihn und den edlen +Räuber. + +Als aber mein Bruder geschlossen hatte, stand mein Vater auf und +führte Zoraide ihm zu. "So löse ich denn", sprach er mit feierlicher +Stimme, "den Fluch von deinem Haupte; nimm diese hin als die +Belohnung, die du dir durch deinen rastlosen Eifer erkämpft hast; +nimm meinen väterlichen Segen, und möge es nie unserer Stadt an +Männern fehlen, die an brüderlicher Liebe, an Klugheit und Eifer dir +gleichen!" + +Die Karawane hatte das Ende der Wüste erreicht, und fröhlich +begrüßten die Reisenden die grünen Matten und die dichtbelaubten +Bäume, deren lieblichen Anblick sie viele Tage entbehrt hatten. In +einem schönen Tale lag eine Karawanserei, die sie sich zum Nachtlager +wählten, und obgleich sie wenig Bequemlichkeit und Erfrischung darbot, +so war doch die ganze Gesellschaft heiterer und zutraulicher als je; +denn der Gedanke, den Gefahren und Beschwerlichkeiten, die eine Reise +durch die Wüste mit sich bringt, entronnen zu sein, hatte alle Herzen +geöffnet und die Gemüter zu Scherz und Kurzweil gestimmt. Muley, der +junge lustige Kaufmann, tanzte einen komischen Tanz und sang Lieder +dazu, die selbst dem ernsten Griechen Zaleukos ein Lächeln entlockten. +Aber nicht genug, daß er seine Gefährten durch Tanz und Spiel +erheitert hatte, er gab ihnen auch noch die Geschichte zum besten, +die er ihnen versprochen hatte, und hub, als er von seinen +Luftsprüngen sich erholt hatte, also zu erzählen an: Die Geschichte +von dem kleinen Muck. + + + + +Die Geschichte von dem kleinen Muck + +Wilhelm Hauff + + +In Nicea, meiner lieben Vaterstadt, wohnte ein Mann, den man den +kleinen Muck hieß. Ich kann mir ihn, ob ich gleich damals noch sehr +jung war, noch recht wohl denken, besonders weil ich einmal von +meinem Vater wegen seiner halbtot geprügelt wurde. Der kleine Muck +nämlich war schon ein alter Geselle, als ich ihn kannte; doch war er +nur drei bis vier Schuh hoch, dabei hatte er eine sonderbare Gestalt, +denn sein Leib, so klein und zierlich er war, mußte einen Kopf tragen, +viel größer und dicker als der Kopf anderer Leute; er wohnte ganz +allein in einem großen Haus und kochte sich sogar selbst, auch hätte +man in der Stadt nicht gewußt, ob er lebe oder gestorben sei, denn er +ging nur alle vier Wochen einmal aus, wenn nicht um die Mittagsstunde +ein mächtiger Dampf aus dem Hause aufgestiegen wäre, doch sah man ihn +oft abends auf seinem Dache auf und ab gehen, von der Straße aus +glaubte man aber, nur sein großer Kopf allein laufe auf dem Dache +umher. Ich und meine Kameraden waren böse Buben, die jedermann gerne +neckten und belachten, daher war es uns allemal ein Festtag, wenn der +kleine Muck ausging; wir versammelten uns an dem bestimmten Tage vor +seinem Haus und warteten, bis er herauskam; wenn dann die Türe +aufging und zuerst der große Kopf mit dem noch größeren Turban +herausguckte, wenn das übrige Körperlein nachfolgte, angetan mit +einem abgeschabten Mäntelein, weiten Beinkleidern und einem breiten +Gürtel, an welchem ein langer Dolch hing, so lang, daß man nicht +wußte, ob Muck an dem Dolch, oder der Dolch an Muck stak, wenn er so +heraustrat, da ertönte die Luft von unserem Freudengeschrei, wir +warfen unsere Mützen in die Höhe und tanzten wie toll um ihn her. +Der kleine Muck aber grüßte uns mit ernsthaftem Kopfnicken und ging +mit langsamen Schritten die Straße hinab. Wir Knaben liefen hinter +ihm her und schrien immer: "Kleiner Muck, kleiner Muck!" Auch hatten +wir ein lustiges Verslein, das wir ihm zu Ehren hier und da sangen; +es hieß: + +"Kleiner Muck, kleiner Muck, +Wohnst in einem großen Haus, +Gehst nur all vier Wochen aus, +Bist ein braver, kleiner Zwerg, +Hast ein Köpflein wie ein Berg, +Schau dich einmal um und guck, +Lauf und fang uns, kleiner Muck!" + +So hatten wir schon oft unsere Kurzweil getrieben, und zu meiner +Schande muß ich es gestehen, ich trieb's am ärgsten; denn ich zupfte +ihn oft am Mäntelein, und einmal trat ich ihm auch von hinten auf die +großen Pantoffeln, daß er hinfiel. Dies kam mir nun höchst +lächerlich vor, aber das Lachen verging mir, als ich den kleinen Muck +auf meines Vaters Haus zugehen sah. Er ging richtig hinein und blieb +einige Zeit dort. Ich versteckte mich an der Haustüre und sah den +Muck wieder herauskommen, von meinem Vater begleitet, der ihn +ehrerbietig an der Hand hielt und an der Türe unter vielen Bücklingen +sich von ihm verabschiedete. Mir war gar nicht wohl zumute; ich +blieb daher lange in meinem Versteck; endlich aber trieb mich der +Hunger, den ich ärger fürchtete als Schläge, heraus, und demütig und +mit gesenktem Kopf trat ich vor meinen Vater. "Du hast, wie ich höre, +den guten Muck beschimpft?" sprach er in sehr ernstem Tone. "Ich +will dir die Geschichte dieses Muck erzählen, und du wirst ihn gewiß +nicht mehr auslachen; vor- und nachher aber bekommst du das +Gewöhnliche." Das Gewöhnliche aber waren fünfundzwanzig Hiebe, die er +nur allzu richtig aufzuzählen pflegte. Er nahm daher sein langes +Pfeifenrohr, schraubte die Bernsteinmundspitze ab und bearbeitete +mich ärger als je zuvor. + +Als die Fünfundzwanzig voll waren, befahl er mir, aufzumerken, und +erzählte mir von dem kleinen Muck: + +Der Vater des kleinen Muck, der eigentlich Muckrah heißt, war ein +angesehener, aber armer Mann hier in Nicea. Er lebte beinahe so +einsiedlerisch wie jetzt sein Sohn. Diesen konnte er nicht wohl +leiden, weil er sich seiner Zwerggestalt schämte, und ließ ihn daher +auch in Unwissenheit aufwachsen. Der kleine Muck war noch in seinem +sechzehnten Jahr ein lustiges Kind, und der Vater, ein ernster Mann, +tadelte ihn immer, daß er, der schon längst die Kinderschuhe +zertreten haben sollte, noch so dumm und läppisch sei. + +Der Alte tat aber einmal einen bösen Fall, an welchem er auch starb +und den kleinen Muck arm und unwissend zurückließ. Die harten +Verwandten, denen der Verstorbene mehr schuldig war, als er bezahlen +konnte, jagten den armen Kleinen aus dem Hause und rieten ihm, in die +Welt hinauszugehen und sein Glück zu suchen. Der kleine Muck +antwortete, er sei schon reisefertig, bat sich aber nur noch den +Anzug seines Vaters aus, und dieser wurde ihm auch bewilligt. Sein +Vater war ein großer, starker Mann gewesen, daher paßten die Kleider +nicht. Muck aber wußte bald Rat; er schnitt ab, was zu lang war, und +zog dann die Kleider an. Er schien aber vergessen zu haben, daß er +auch in der Weite davon schneiden müsse, daher sein sonderbarer +Aufzug, wie er noch heute zu sehen ist; der große Turban, der breite +Gürtel, die weiten Hosen, das blaue Mäntelein, alles dies sind +Erbstücke seines Vaters, die er seitdem getragen; den langen +Damaszenerdolch seines Vaters aber steckte er in den Gürtel, ergriff +ein Stöcklein und wanderte zum Tor hinaus. + +Fröhlich wanderte er den ganzen Tag; denn er war ja ausgezogen, um +sein Glück zu suchen; wenn er eine Scherbe auf der Erde im +Sonnenschein glänzen sah, so steckte er sie gewiß zu sich, im Glauben, +daß sie sich in den schönsten Diamanten verwandeln werde; sah er in +der Ferne die Kuppel einer Moschee wie Feuer strahlen, sah er einen +See wie einen Spiegel blinken, so eilte er voll Freude darauf zu; +denn er dachte, in einem Zauberland angekommen zu sein. Aber ach! +Jene Trugbilder verschwanden in der Nähe, und nur allzubald +erinnerten ihn seine Müdigkeit und sein vor Hunger knurrender Magen, +daß er noch im Lande der Sterblichen sich befinde. So war er zwei +Tage gereist unter Hunger und Kummer und verzweifelte, sein Glück zu +finden; die Früchte des Feldes waren seine einzige Nahrung, die harte +Erde sein Nachtlager. Am Morgen des dritten Tages erblickte er von +einer Anhöhe eine große Stadt. + +Hell leuchtete der Halbmond auf ihren Zinnen, bunte Fahnen +schimmerten auf den Dächern und schienen den kleinen Muck zu sich +herzuwinken. Überrascht stand er stille und betrachtete Stadt und +Gegend. "Ja, dort wird Klein-Muck sein Glück finden", sprach er zu +sich und machte trotz seiner Müdigkeit einen Luftsprung, "dort oder +nirgends." Er raffte alle seine Kräfte zusammen und schritt auf die +Stadt zu. Aber obgleich sie ganz nahe schien, konnte er sie doch +erst gegen Mittag erreichen; denn seine kleinen Glieder versagten ihm +beinahe gänzlich ihren Dienst, und er mußte sich oft in den Schatten +einer Palme setzen, um auszuruhen. Endlich war er an dem Tor der +Stadt angelangt. Er legte sein Mäntelein zurecht, band den Turban +schöner um, zog den Gürtel noch breiter an und steckte den langen +Dolch schiefer; dann wischte er den Staub von den Schuhen, ergriff +sein Stöcklein und ging mutig zum Tor hinein. + +Er hatte schon einige Straßen durchwandert; aber nirgends öffnete +sich ihm die Türe, nirgends rief man, wie er sich vorgestellt hatte: +"Kleiner Muck, komm herein und iß und trink und laß deine Füßlein +ausruhen!" + +Er schaute gerade auch wieder recht sehnsüchtig an einem großen, +schönen Haus hinauf; da öffnete sich ein Fenster, eine alte Frau +schaute heraus und rief mit singender Stimme: + +"Herbei, herbei! +Gekocht ist der Brei, +Den Tisch ließ ich decken, +Drum laßt es euch schmecken; +Ihr Nachbarn herbei, +Gekocht ist der Brei." + +Die Türe des Hauses öffnete sich, und Muck sah viele Hunde und Katzen +hineingehen. Er stand einige Augenblicke in Zweifel, ob er der +Einladung folgen sollte; endlich aber faßte er sich ein Herz und ging +in das Haus. Vor ihm her gingen ein paar junge Kätzlein, und er +beschloß, ihnen zu folgen, weil sie vielleicht die Küche besser +wüßten als er. + +Als Muck die Treppe hinaufgestiegen war, begegnete er jener alten +Frau, die zum Fenster herausgeschaut hatte. Sie sah ihn mürrisch an +und fragte nach seinem Begehr. "Du hast ja jedermann zu deinem Brei +eingeladen", antwortete der kleine Muck, "und weil ich so gar hungrig +bin, bin ich auch gekommen." + +Die Alte lachte und sprach: "Woher kommst du denn, wunderlicher +Gesell? Die ganze Stadt weiß, daß ich für niemand koche als für +meine lieben Katzen, und hier und da lade ich ihnen Gesellschaft aus +der Nachbarschaft ein, wie du siehst." + +Der kleine Muck erzählte der alten Frau, wie es ihm nach seines +Vaters Tod so hart ergangen sei, und bat sie, ihn heute mit ihren +Katzen speisen zu lassen. Die Frau, welcher die treuherzige +Erzählung des Kleinen wohl gefiel, erlaubte ihm, ihr Gast zu sein, +und gab ihm reichlich zu essen und zu trinken. Als er gesättigt und +gestärkt war, betrachtete ihn die Frau lange und sagte dann: "Kleiner +Muck, bleibe bei mir in meinem Dienste! Du hast geringe Mühe und +sollst gut gehalten sein." + +Der kleine Muck, dem der Katzenbrei geschmeckt hatte, willigte ein +und wurde also der Bedienstete der Frau Ahavzi. Er hatte einen +leichten, aber sonderbaren Dienst. Frau Ahavzi hatte nämlich zwei +Kater und vier Katzen, diesen mußte der kleine Muck alle Morgen den +Pelz kämmen und mit köstlichen Salben einreiben; wenn die Frau +ausging, mußte er auf die Katzen Achtung geben, wenn sie aßen, mußte +er ihnen die Schüsseln vorlegen, und nachts mußte er sie auf seidene +Polster legen und sie mit samtenen Decken einhüllen. Auch waren noch +einige kleine Hunde im Haus, die er bedienen mußte, doch wurden mit +diesen nicht so viele Umstände gemacht wie mit den Katzen, welche +Frau Ahavzi wie ihre eigenen Kinder hielt. Übrigens führte Muck +ein so einsames Leben wie in seines Vaters Haus, denn außer der Frau +sah er den ganzen Tag nur Hunde und Katzen. Eine Zeitlang ging es +dem kleinen Muck ganz gut; er hatte immer zu essen und wenig zu +arbeiten, und die alte Frau schien recht zufrieden mit ihm zu sein, +aber nach und nach wurden die Katzen unartig, wenn die Alte +ausgegangen war, sprangen sie wie besessen in den Zimmern umher, +warfen alles durcheinander und zerbrachen manches schöne Geschirr, +das ihnen im Weg stand. Wenn sie aber die Frau die Treppe +heraufkommen hörten, verkrochen sie sich auf ihre Polster und +wedelten ihr mit den Schwänzen entgegen, wie wenn nichts geschehen +wäre. Die Frau Ahavzi geriet dann in Zorn, wenn sie ihre Zimmer so +verwüstet sah, und schob alles auf Muck, er mochte seine Unschuld +beteuern, wie er wollte, sie glaubte ihren Katzen, die so unschuldig +aussahen, mehr als ihrem Diener. + +Der kleine Muck war sehr traurig, daß er also auch hier sein Glück +nicht gefunden hatte, und beschloß bei sich, den Dienst der Frau +Ahavzi zu verlassen. Da er aber auf seiner ersten Reise erfahren +hatte, wie schlecht man ohne Geld lebt, so beschloß er, den Lohn, den +ihm seine Gebieterin immer versprochen, aber nie gegeben hatte, sich +auf irgendeine Art zu verschaffen. Es befand sich in dem Hause der +Frau Ahavzi ein Zimmer, das immer verschlossen war und dessen Inneres +er nie gesehen hatte. Doch hatte er die Frau oft darin rumoren +gehört, und er hätte oft für sein Leben gern gewußt, was sie dort +versteckt habe. Als er nun an sein Reisegeld dachte, fiel ihm ein, +daß dort die Schätze der Frau versteckt sein könnten. Aber immer war +die Tür fest verschlossen, und er konnte daher den Schätzen nie +beikommen. + +Eines Morgens, als die Frau Ahavzi ausgegangen war, zupfte ihn eines +der Hundlein, welches von der Frau immer sehr stiefmütterlich +behandelt wurde, dessen Gunst er sich aber durch allerlei +Liebesdienste in hohem Grade erworben hatte, an seinen weiten +Beinkleidern und gebärdete sich dabei, wie wenn Muck ihm folgen +sollte. Muck, welcher gerne mit den Hunden spielte, folgte ihm, und +siehe da, das Hundlein führte ihn in die Schlafkammer der Frau Ahavzi +vor eine kleine Türe, die er nie zuvor dort bemerkt hatte. Die Türe +war halb offen. Das Hundlein ging hinein, und Muck folgte ihm, und +wie freudig war er überrascht, als er sah, daß er sich in dem Gemach +befand, das schon lange das Ziel seiner Wünsche war. Er spähte +überall umher, ob er kein Geld finden könne, fand aber nichts. Nur +alte Kleider und wunderlich geformte Geschirre standen umher. Eines +dieser Geschirre zog seine besondere Aufmerksamkeit auf sich. Es war +von Kristall, und schöne Figuren waren darauf ausgeschnitten. Er hob +es auf und drehte es nach allen Seiten. Aber, o Schrecken! Er hatte +nicht bemerkt, daß es einen Deckel hatte, der nur leicht darauf +hingesetzt war. Der Deckel fiel herab und zerbrach in tausend Stücke. + +Lange stand der kleine Muck vor Schrecken leblos. Jetzt war sein +Schicksal entschieden, jetzt mußte er entfliehen, sonst schlug ihn +die Alte tot. Sogleich war auch seine Reise beschlossen, und nur +noch einmal wollte er sich umschauen, ob er nichts von den +Habseligkeiten der Frau Ahavzi zu seinem Marsch brauchen könnte. Da +fielen ihm ein Paar mächtig große Pantoffeln ins Auge; sie waren zwar +nicht schön; aber seine eigenen konnten keine Reise mehr mitmachen; +auch zogen ihn jene wegen ihrer Größe an; denn hatte er diese am Fuß, +so mußten ihm hoffentlich alle Leute ansehen, daß er die Kinderschuhe +vertreten habe. Er zog also schnell seine Töffelein aus und fuhr in +die großen hinein. Ein Spazierstöcklein mit einem schön +geschnittenen Löwenkopf schien ihm auch hier allzu müßig in der Ecke +zu stehen; er nahm es also mit und eilte zum Zimmer hinaus. Schnell +ging er jetzt auf seine Kammer, zog sein Mäntelein an, setzte den +väterlichen Turban auf, steckte den Dolch in den Gürtel und lief, so +schnell ihn seine Füße trugen, zum Haus und zur Stadt hinaus. Vor +der Stadt lief er, aus Angst vor der Alten, immer weiter fort, bis er +vor Müdigkeit beinahe nicht mehr konnte. So schnell war er in seinem +Leben nicht gegangen; ja, es schien ihm, als könne er gar nicht +aufhören zu rennen; denn eine unsichtbare Gewalt schien ihn +fortzureißen. Endlich bemerkte er, daß es mit den Pantoffeln eine +eigene Bewandtnis haben müsse; denn diese schossen immer fort und +führten ihn mit sich. Er versuchte auf allerlei Weise stillzustehen; +aber es wollte nicht gelingen; da rief er in der höchsten Not, wie +man den Pferden zuruft, sich selbst zu: "Oh--oh, halt, oh!" Da +hielten die Pantoffeln, und Muck warf sich erschöpft auf die Erde +nieder. + +Die Pantoffeln freuten ihn ungemein. So hatte er sich denn doch +durch seine Verdienste etwas erworben, das ihm in der Welt auf seinem +Weg das Glück zu suchen, forthelfen konnte. Er schlief trotz seiner +Freude vor Erschöpfung ein; denn das Körperlein des kleinen Muck, das +einen so schweren Kopf zu tragen hatte, konnte nicht viel aushalten. +Im Traum erschien ihm das Hundlein, welches ihm im Hause der Frau +Ahavzi zu den Pantoffeln verholfen hatte, und sprach zu ihm: "Lieber +Muck, du verstehst den Gebrauch der Pantoffeln noch nicht recht; +wisse, wenn du dich in ihnen dreimal auf dem Absatz herumdrehst, so +kannst du hinfliegen, wohin du nur willst, und mit dem Stöcklein +kannst du Schätze finden, denn wo Gold vergraben ist, da wird es +dreimal auf die Erde schlagen, bei Silber zweimal." So träumte der +kleine Muck. Als er aber aufwachte, dachte er über den wunderbaren +Traum nach und beschloß, alsbald einen Versuch zu machen. Er zog die +Pantoffeln an, lupfte einen Fuß und begann sich auf dem Absatz +umzudrehen. Wer es aber jemals versucht hat, in einem ungeheuer +weiten Pantoffel dieses Kunststück dreimal hintereinander zu machen, +der wird sich nicht wundern, wenn es dem kleinen Muck nicht gleich +glückte, besonders wenn man bedenkt, daß ihn sein schwerer Kopf bald +auf diese, bald auf jene Seite hinüberzog. + +Der arme Kleine fiel einigemal tüchtig auf die Nase; doch ließ er +sich nicht abschrecken, den Versuch zu wiederholen, und endlich +glückte es. Wie ein Rad fuhr er auf seinem Absatz herum, wünschte +sich in die nächste große Stadt, und--die Pantoffeln ruderten hinauf +in die Lüfte, liefen mit Windeseile durch die Wolken, und ehe sich +der kleine Muck noch besinnen konnte, wie ihm geschah, befand er sich +schon auf einem großen Marktplatz, wo viele Buden aufgeschlagen waren +und unzählige Menschen geschäftig hin und her liefen. Er ging unter +den Leuten hin und her, hielt es aber für ratsamer, sich in eine +einsamere Straße zu begeben; denn auf dem Markt trat ihm bald da +einer auf die Pantoffeln, daß er beinahe umfiel, bald stieß er mit +seinem weit hinausstehenden Dolch einen oder den anderen an, daß er +mit Mühe den Schlägen entging. + +Der kleine Muck bedachte nun ernstlich, was er wohl anfangen könnte, +um sich ein Stück Geld zu verdienen; er hatte zwar ein Stäblein, das +ihm verborgene Schätze anzeigte, aber wo sollte er gleich einen Platz +finden, wo Gold oder Silber vergraben wäre? Auch hätte er sich zur +Not für Geld sehen lassen können; aber dazu war er doch zu stolz. +Endlich fiel ihm die Schnelligkeit seiner Füße ein, "vielleicht", +dachte er, "können mir meine Pantoffeln Unterhalt gewähren", und er +beschloß, sich als Schnelläufer zu verdingen. Da er aber hoffen +durfte, daß der König dieser Stadt solche Dienste am besten bezahle, +so erfragte er den Palast. Unter dem Tor des Palastes stand eine +Wache, die ihn fragte, was er hier zu suchen habe. Auf seine Antwort, +daß er einen Dienst suche, wies man ihn zum Aufseher der Sklaven. +Diesem trug er sein Anliegen vor und bat ihn, ihm einen Dienst unter +den königlichen Boten zu besorgen. Der Aufseher maß ihn mit seinen +Augen von Kopf bis zu den Füßen und sprach: "Wie, mit deinen Füßlein, +die kaum so lang als eine Spanne sind, willst du königlicher +Schnelläufer werden? Hebe dich weg, ich bin nicht dazu da, mit jedem +Narren Kurzweil zu machen." Der kleine Muck versicherte ihm aber, daß +es ihm vollkommen ernst sei mit seinem Antrag und daß er es mit dem +Schnellsten auf eine Wette ankommen lassen wollte. Dem Aufseher kam +die Sache gar lächerlich vor; er befahl ihm, sich bis auf den Abend +zu einem Wettlauf bereitzuhalten, führte ihn in die Küche und sorgte +dafür, daß ihm gehörig Speis' und Trank gereicht wurde; er selbst +aber begab sich zum König und erzählte ihm vom kleinen Muck und +seinem Anerbieten. Der König war ein lustiger Herr, daher gefiel es +ihm wohl, daß der Aufseher der Sklaven den kleinen Menschen zu einem +Spaß behalten habe, er befahl ihm, auf einer großen Wiese hinter dem +Schloß Anstalten zu treffen, daß das Wettlaufen mit Bequemlichkeit +von seinem ganzen Hofstaat könnte gesehen werden, und empfahl ihm +nochmals, große Sorgfalt für den Zwerg zu haben. Der König erzählte +seinen Prinzen und Prinzessinnen, was sie diesen Abend für ein +Schauspiel haben würden, diese erzählten es wieder ihren Dienern, und +als der Abend herankam, war man in gespannter Erwartung, und alles, +was Füße hatte, strömte hinaus auf die Wiese, wo Gerüste +aufgeschlagen waren, um den großsprecherischen Zwerg laufen zu sehen. + +Als der König und seine Söhne und Töchter auf dem Gerüst Platz +genommen hatten, trat der kleine Muck heraus auf die Wiese und machte +vor den hohen Herrschaften eine überaus zierliche Verbeugung. Ein +allgemeines Freudengeschrei ertönte, als man des Kleinen ansichtig +wurde; eine solche Figur hatte man dort noch nie gesehen. Das +Körperlein mit dem mächtigen Kopf, das Mäntelein und die weiten +Beinkleider, der lange Dolch in dem breiten Gürtel, die kleinen +Füßlein in den weiten Pantoffeln--nein! Es war zu drollig anzusehen, +als daß man nicht hätte laut lachen sollen. Der kleine Muck ließ +sich aber durch das Gelächter nicht irremachen. Er stellte sich +stolz, auf sein Stöcklein gestützt, hin und erwartete seinen Gegner. +Der Aufseher der Sklaven hatte nach Mucks eigenem Wunsche den besten +Läufer ausgesucht. Dieser trat nun heraus, stellte sich neben den +Kleinen, und beide harrten auf das Zeichen. Da winkte Prinzessin +Amarza, wie es ausgemacht war, mit ihrem Schleier, und wie zwei +Pfeile, auf dasselbe Ziel abgeschossen, flogen die beiden Wettläufer +über die Wiese hin. + +Von Anfang hatte Mucks Gegner einen bedeutenden Vorsprung, aber +dieser jagte ihm auf seinem Pantoffelfuhrwerk nach, holte ihn ein, +überfing ihn und stand längst am Ziele, als jener noch, nach Luft +schnappend, daherlief. Verwunderung und Staunen fesselten einige +Augenblicke die Zuschauer, als aber der König zuerst in die Hände +klatschte, da jauchzte die Menge, und alle riefen: "Hoch lebe der +kleine Muck, der Sieger im Wettlauf!" + +Man hatte indes den kleinen Muck herbeigebracht; er warf sich vor dem +König nieder und sprach: "Großmächtigster König, ich habe dir hier +nur eine kleine Probe meiner Kunst gegeben; wolle nur gestatten, daß +man mir eine Stelle unter deinen Läufern gebe!" + +Der König aber antwortete ihm: "Nein, du sollst mein Leibläufer und +immer um meine Person sein, lieber Muck, jährlich sollst du hundert +Goldstücke erhalten als Lohn, und an der Tafel meiner ersten Diener +sollst du speisen." + +So glaubte denn Muck, endlich das Glück gefunden zu haben, das er so +lange suchte, und war fröhlich und wohlgemut in seinem Herzen. Auch +erfreute er sich der besonderen Gnade des Königs, denn dieser +gebrauchte ihn zu seinen schnellsten und geheimsten Sendungen, die er +dann mit der größten Genauigkeit und mit unbegreiflicher Schnelle +besorgte. + +Aber die übrigen Diener des Königs waren ihm gar nicht zugetan, weil +sie sich ungern durch einen Zwerg, der nichts verstand, als schnell +zu laufen, in der Gunst ihres Herrn zurückgesetzt sahen. Sie +veranstalteten daher manche Verschwörung gegen ihn, um ihn zu stürzen; +aber alle schlugen fehl an dem großen Zutrauen, das der König in +seinen geheimen Oberleibläufer (denn zu dieser Würde hatte er es in +so kurzer Zeit gebracht) setzte. + +Muck, dem diese Bewegungen gegen ihn nicht entgingen, sann nicht auf +Rache, dazu hatte er ein zu gutes Herz, nein, auf Mittel dachte er, +sich bei seinen Feinden notwendig und beliebt zu machen. Da fiel ihm +sein Stäblein, das er in seinem Glück außer acht gelassen hatte, ein; +wenn er Schätze finde, dachte er, würden ihm die Herren schon +geneigter werden. Er hatte schon oft gehört, daß der Vater des +jetzigen Königs viele seiner Schätze vergraben habe, als der Feind +sein Land überfallen; man sagte auch, er sei darüber gestorben, ohne +daß er sein Geheimnis habe seinem Sohn mitteilen können. Von nun an +nahm Muck immer sein Stöcklein mit, in der Hoffnung, einmal an einem +Ort vorüberzugehen, wo das Geld des alten Königs vergraben sei. +Eines Abends führte ihn der Zufall in einen entlegenen Teil des +Schloßgartens, den er wenig besuchte, und plötzlich fühlte er das +Stöcklein in seiner Hand zucken, und dreimal schlug es gegen den +Boden. Nun wußte er schon, was dies zu bedeuten hatte. Er zog daher +seinen Dolch heraus, machte Zeichen in die umstellenden Bäume und +schlich sich wieder in das Schloß; dort verschaffte er sich einen +Spaten und wartete die Nacht zu seinem Unternehmen ab. + +Das Schatzgraben selbst machte übrigens dem kleinen Muck mehr zu +schaffen, als er geglaubt hatte. + +Seine Arme waren gar zu schwach, sein Spaten aber groß und schwer; +und er mochte wohl schon zwei Stunden gearbeitet haben, ehe er ein +paar Fuß tief gegraben hatte. Endlich stieß er auf etwas Hartes, das +wie Eisen klang. Er grub jetzt emsiger, und bald hatte er einen +großen eisernen Deckel zutage gefördert; er stieg selbst in die Grube +hinab, um nachzuspähen, was wohl der Deckel könnte bedeckt haben, und +fand richtig einen großen Topf, mit Goldstücken angefüllt. Aber +seine schwachen Kräfte reichten nicht hin, den Topf zu heben, daher +steckte er in seine Beinkleider und seinen Gürtel, so viel er zu +tragen vermochte, und auch sein Mäntelein füllte er damit, bedeckte +das übrige wieder sorgfältig und lud es auf den Rücken. Aber +wahrlich, wenn er die Pantoffeln nicht an den Füßen gehabt hätte, er +wäre nicht vom Fleck gekommen, so zog ihn die Last des Goldes nieder. +Doch unbemerkt kam er auf sein Zimmer und verwahrte dort sein Gold +unter den Polstern seines Sofas. + +Als der kleine Muck sich im Besitz so vielen Goldes sah, glaubte er, +das Blatt werde sich jetzt wenden und er werde sich unter seinen +Feinden am Hofe viele Gönner und warme Anhänger erwerben. Aber schon +daran konnte man erkennen, daß der gute Muck keine gar sorgfältige +Erziehung genossen haben mußte, sonst hätte er sich wohl nicht +einbilden können, durch Gold wahre Freunde zu gewinnen. Ach, daß er +damals seine Pantoffeln geschmiert und sich mit seinem Mäntelein voll +Gold aus dem Staub gemacht hätte! + +Das Gold, das der kleine Muck von jetzt an mit vollen Händen +austeilte, erweckte den Neid der übrigen Hofbediensteten. Der +Küchenmeister Ahuli sagte: "Er ist ein Falschmünzer." + +Der Sklavenaufseher Achmet sagte: "Er hat's dem König abgeschwatzt." + +Archaz, der Schatzmeister, aber, sein ärgster Feind, der selbst hier +und da einen Griff in des Königs Kasse tun mochte, sagte geradezu: +"Er hat's gestohlen." + +Um nun ihrer Sache gewiß zu sein, verabredeten sie sich, und der +Obermundschenk Korchuz stellte sich eines Tages recht traurig und +niedergeschlagen vor die Augen des Königs. Er machte seine traurigen +Gebärden so auffallend, daß ihn der König fragte, was ihm fehle. + +"Ah", antwortete er, "ich bin traurig, daß ich die Gnade meines Herrn +verloren habe." + +"Was fabelst du, Freund Korchuz?" entgegnete ihm der König. "Seit +wann hätte ich die Sonne meiner Gnade nicht über dich leuchten +lassen?" Der Obermundschenk antwortete ihm, daß er ja den geheimen +Oberleibläufer mit Gold belade, seinen armen, treuen Dienern aber +nichts gebe. + +Der König war sehr erstaunt über diese Nachricht, ließ sich die +Goldausteilungen des kleinen Muck erzählen, und die Verschworenen +brachten ihm leicht den Verdacht bei, daß Muck auf irgendeine Art das +Geld aus der Schatzkammer gestohlen habe. Sehr lieb war diese +Wendung der Sache dem Schatzmeister, der ohnehin nicht gerne Rechnung +ablegte. Der König gab daher den Befehl, heimlich auf alle Schritte +des kleinen Muck achtzugeben, um ihn womöglich auf der Tat zu +ertappen. Als nun in der Nacht, die auf diesen Unglückstag folgte, +der kleine Muck, da er durch seine Freigebigkeit seine Kasse sehr +erschöpft sah, den Spaten nahm und in den Schloßgarten schlich, um +dort von seinem geheimen Schatze neuen Vorrat zu holen, folgten ihm +von weitem die Wachen, von dem Küchenmeister Ahuli und Archaz, dem +Schatzmeister, angeführt, und in dem Augenblick, da er das Gold aus +dem Topf in sein Mäntelein legen wollte, fielen sie über ihn her, +banden ihn und führten ihn sogleich vor den König. Dieser, den +ohnehin die Unterbrechung seines Schlafes mürrisch gemacht hatte, +empfing seinen armen Oberleibläufer sehr ungnädig und stellte +sogleich das Verhör über ihn an. Man hatte den Topf vollends aus der +Erde gegraben und mit dem Spaten und mit dem Mäntelein voll Gold vor +die Füße des Königs gesetzt. Der Schatzmeister sagte aus, daß er mit +seinen Wachen den Muck überrascht habe, wie er diesen Topf mit Gold +gerade in die Erde gegraben habe. + +Der König befragte hierauf den Angeklagten, ob es wahr sei und woher +er das Gold, das er vergraben, bekommen habe. + +Der kleine Muck, im Gefühl seiner Unschuld, sagte aus, daß er diesen +Topf im Garten entdeckt habe, daß er ihn habe nicht ein-, sondern +ausgraben wollen. + +Alle Anwesenden lachten laut über diese Entschuldigung, der König +aber, aufs höchste erzürnt über die vermeintliche Frechheit des +Kleinen, rief aus: "Wie, Elender! Du willst deinen König so dumm und +schändlich belügen, nachdem du ihn bestohlen hast? Schatzmeister +Archaz! Ich fordere dich auf, zu sagen, ob du diese Summe Goldes für +die nämliche erkennst, die in meinem Schatze fehlt." + +Der Schatzmeister aber antwortete, er sei seiner Sache ganz gewiß, so +viel und noch mehr fehle seit einiger Zeit von dem königlichen Schatz, +und er könne einen Eid darauf ablegen, daß dies das Gestohlene sei. + +Da befahl der König, den kleinen Muck in enge Ketten zu legen und in +den Turm zu führen; dem Schatzmeister aber übergab er das Gold, um es +wieder in den Schatz zu tragen. Vergnügt über den glücklichen +Ausgang der Sache, zog dieser ab und zählte zu Haus die blinkenden +Goldstücke; aber das hat dieser schlechte Mann niemals angezeigt, daß +unten in dem Topf ein Zettel lag, der sagte: "Der Feind hat mein Land +überschwemmt, daher verberge ich hier einen Teil meiner Schätze; wer +es auch finden mag, den treffe der Fluch seines Königs, wenn er es +nicht sogleich meinem Sohne ausliefert! König Sadi." + +Der kleine Muck stellte in seinem Kerker traurige Betrachtungen an; +er wußte, daß auf Diebstahl an königlichen Sachen der Tod gesetzt war, +und doch mochte er das Geheimnis mit dem Stäbchen dem König nicht +verraten, weil er mit Recht fürchtete, dieses und seiner Pantoffeln +beraubt zu werden. Seine Pantoffeln konnten ihm leider auch keine +Hilfe bringen; denn da er in engen Ketten an die Mauer geschlossen +war, konnte er, so sehr er sich quälte, sich nicht auf dem Absatz +umdrehen. Als ihm aber am anderen Tage sein Tod angekündigt wurde, +da gedachte er doch, es sei besser, ohne das Zauberstäbchen zu leben +als mit ihm zu sterben, ließ den König um geheimes Gehör bitten und +entdeckte ihm das Geheimnis. Der König maß von Anfang an seinem +Geständnis keinen Glauben bei; aber der kleine Muck versprach eine +Probe, wenn ihm der König zugestünde, daß er nicht getötet werden +solle. + +Der König gab ihm sein Wort darauf und ließ, von Muck ungesehen, +einiges Gold in die Erde graben und befahl diesem, mit seinem +Stäbchen zu suchen. In wenigen Augenblicken hatte er es gefunden; +denn das Stäbchen schlug deutlich dreimal auf die Erde. Da merkte +der König, daß ihn sein Schatzmeister betrogen hatte, und sandte ihm, +wie es im Morgenland gebräuchlich ist, eine seidene Schnur, damit er +sich selbst erdroßle. Zum kleinen Muck aber sprach er: "Ich habe dir +zwar dein Leben versprochen; aber es scheint mir, als ob du nicht +allein dieses Geheimnis mit dem Stäbchen besitzest; darum bleibst du +in ewiger Gefangenschaft, wenn du nicht gestehst, was für eine +Bewandtnis es mit deinem Schnellaufen hat." Der kleine Muck, den die +einzige Nacht im Turm alle Lust zu längerer Gefangenschaft benommen +hatte, bekannte, daß seine ganze Kunst in den Pantoffeln liege, doch +lehrte er den König nicht das Geheimnis von dem dreimaligen Umdrehen +auf dem Absatz. Der König schlüpfte selbst in die Pantoffeln, um die +Probe zu machen, und jagte wie unsinnig im Garten umher; oft wollte +er anhalten; aber er wußte nicht, wie man die Pantoffeln zum Stehen +brachte, und der kleine Muck, der diese kleine Rache sich nicht +versagen konnte, ließ ihn laufen, bis er ohnmächtig niederfiel. + +Als der König wieder zur Besinnung zurückgekehrt war, war er +schrecklich aufgebracht über den kleinen Muck, der ihn so ganz außer +Atem hatte laufen lassen. "Ich habe dir mein Wort gegeben, dir +Freiheit und Leben zu schenken; aber innerhalb zwölf Stunden mußt du +mein Land verlassen, sonst lasse ich dich aufknöpfen!" Die Pantoffeln +und das Stäbchen aber ließ er in seine Schatzkammer legen. + +So arm als je wanderte der kleine Muck zum Land hinaus, seine Torheit +verwünschend, die ihm vorgespiegelt hatte, er könne eine bedeutende +Rolle am Hofe spielen. Das Land, aus dem er gejagt wurde, war zum +Glück nicht groß, daher war er schon nach acht Stunden auf der Grenze, +obgleich ihn das Gehen, da er an seine lieben Pantoffeln gewöhnt war, +sehr sauer ankam. + +Als er über der Grenze war, verließ er die gewöhnliche Straße, um die +dichteste Einöde der Wälder aufzusuchen und dort nur sich zu leben; +denn er war allen Menschen gram. In einem dichten Walde traf er auf +einen Platz, der ihm zu dem Entschluß, den er gefaßt hatte, ganz +tauglich schien. Ein klarer Bach, von großen, schattigen +Feigenbäumen umgeben, ein weicher Rasen luden ihn ein; hier warf er +sich nieder mit dem Entschluß, keine Speise mehr zu sich zu nehmen, +sondern hier den Tod zu erwarten. Über traurigen +Todesbetrachtungen schlief er ein; als er aber wieder aufwachte und +der Hunger ihn zu quälen anfing, bedachte er doch, daß der Hungertod +eine gefährliche Sache sei, und sah sich um, ob er nirgends etwas zu +essen bekommen könnte. + +Köstliche reife Feigen hingen an dem Baume, unter welchem er +geschlafen hatte; er stieg hinauf, um sich einige zu pflücken, ließ +es sich trefflich schmecken und ging dann hinunter an den Bach, um +seinen Durst zu löschen. Aber wie groß war sein Schrecken, als ihm +das Wasser seinen Kopf mit zwei gewaltigen Ohren und einer dicken, +langen Nase geschmückt zeigte! Bestürzt griff er mit den Händen nach +den Ohren, und wirklich, sie waren über eine halbe Elle lang. + +"Ich verdiene Eselsohren!" rief er aus; "denn ich habe mein Glück wie +ein Esel mit Füßen getreten." Er wanderte unter den Bäumen umher, und +als er wieder Hunger fühlte, mußte er noch einmal zu den Feigen seine +Zuflucht nehmen; denn sonst fand er nichts Eßbares an den Bäumen. +Als ihm über der zweiten Portion Feigen einfiel, ob wohl seine Ohren +nicht unter seinem großen Turban Platz hätten, damit er doch nicht +gar zu lächerlich aussehe, fühlte er, daß seine Ohren verschwunden +waren. Er lief gleich an den Bach zurück, um sich davon zu +überzeugen, und wirklich, es war so, seine Ohren hatten ihre vorige +Gestalt, seine lange, unförmliche Nase war nicht mehr. Jetzt merkte +er aber, wie dies gekommen war; von dem ersten Feigenbaum hatte er +die lange Nase und Ohren bekommen, der zweite hatte ihn geheilt; +freudig erkannte er, daß sein gütiges Geschick ihm noch einmal die +Mittel in die Hand gebe, glücklich zu sein. Er pflückte daher von +jedem Baum so viel, wie er tragen konnte, und ging in das Land zurück, +das er vor kurzem verlassen hatte. Dort machte er sich in dem +ersten Städtchen durch andere Kleider ganz unkenntlich und ging dann +weiter auf die Stadt zu, die jener König bewohnte, und kam auch bald +dort an. + +Es war gerade zu einer Jahreszeit, wo reife Früchte noch ziemlich +selten waren; der kleine Muck setzte sich daher unter das Tor des +Palastes; denn ihm war von früherer Zeit her wohl bekannt, daß hier +solche Seltenheiten von dem Küchenmeister für die königliche Tafel +eingekauft wurden. Muck hatte noch nicht lange gesessen, als er den +Küchenmeister über den Hof herüberschreiten sah. Er musterte die +Waren der Verkäufer, die sich am Tor des Palastes eingefunden hatten; +endlich fiel sein Blick auch auf Mucks Körbchen. "Ah, ein seltener +Bissen", sagte er, "der Ihro Majestät gewiß behagen wird. Was willst +du für den ganzen Korb?" Der kleine Muck bestimmte einen mäßigen +Preis, und sie waren bald des Handels einig. Der Küchenmeister +übergab den Korb einem Sklaven und ging weiter; der kleine Muck aber +macht sich einstweilen aus dem Staub, weil er befürchtete, wenn sich +das Unglück an den Köpfen des Hofes zeigte, möchte man ihn als +Verkäufer aufsuchen und bestrafen. + +Der König war über Tisch sehr heiter gestimmt und sagte seinem +Küchenmeister einmal über das andere Lobsprüche wegen seiner guten +Küche und der Sorgfalt, mit der er immer das Seltenste für ihn +aussuche; der Küchenmeister aber, welcher wohl wußte, welchen +Leckerbissen er noch im Hintergrund habe, schmunzelte gar freundlich +und ließ nur einzelne Worte fallen, als: "Es ist noch nicht aller +Tage Abend", oder "Ende gut, alles gut", so daß die Prinzessinnen +sehr neugierig wurden, was er wohl noch bringen werde. Als er aber +die schönen, einladenden Feigen aufsetzen ließ, da entfloh ein +allgemeines Ah! dem Munde der Anwesenden. + +"Wie reif, wie appetitlich!" rief der König. "Küchenmeister, du bist +ein ganzer Kerl und verdienst unsere ganz besondere Gnade!" Also +sprechend, teilte der König, der mit solchen Leckerbissen sehr +sparsam zu sein pflegte, mit eigener Hand die Feigen an seiner Tafel +aus. Jeder Prinz und jede Prinzessin bekam zwei, die Hofdamen und +die Wesire und Agas eine, die übrigen stellte er vor sich hin und +begann mit großem Behagen sie zu verschlingen. + +"Aber, lieber Gott, wie siehst du so wunderlich aus, Vater?" rief auf +einmal die Prinzessin Amarza. Alle sahen den König erstaunt an; +ungeheure Ohren hingen ihm am Kopf, eine lange Nase zog sich über +sein Kinn herunter; auch sich selbst betrachteten sie untereinander +mit Staunen und Schrecken; alle waren mehr oder minder mit dem +sonderbaren Kopfputz geschmeckt. + +Man denke sich den Schrecken des Hofes! Man schickte sogleich nach +allen Ärzten der Stadt; sie kamen haufenweise, verordneten Pillen und +Mixturen; aber die Ohren und die Nasen blieben. Man operierte einen +der Prinzen; aber die Ohren wuchsen nach. + +Muck hatte die ganze Geschichte in seinem Versteck, wohin er sich +zurückgezogen hatte, gehört und erkannte, daß es jetzt Zeit sei zu +handeln. Er hatte sich schon vorher von dem aus den Feigen gelösten +Geld einen Anzug verschafft, der ihn als Gelehrten darstellen konnte; +ein langer Bart aus Ziegenhaaren vollendete die Täuschung. Mit einem +Säckchen voll Feigen wanderte er in den Palast des Königs und bot als +fremder Arzt seine Hilfe an. Man war von Anfang sehr ungläubig; als +aber der kleine Muck eine Feige einem der Prinzen zu essen gab und +Ohren und Nase dadurch in den alten Zustand zurückbrachte, da wollte +alles von dem fremden Arzte geheilt sein. Aber der König nahm ihn +schweigend bei der Hand und führte ihn in sein Gemach; dort schloß er +eine Türe auf, die in die Schatzkammer führte, und winkte Muck, ihm +zu folgen. "Hier sind meine Schätze", sprach der König, "wähle dir, +was es auch sei, es soll dir gewährt werden, wenn du mich von diesem +schmachvollen Übel befreist." + +Das war süße Musik in des kleinen Muck Ohren; er hatte gleich beim +Eintritt seine Pantoffeln auf dem Boden stehen sehen, gleich daneben +lag auch sein Stäbchen. Er ging nun umher in dem Saal, wie wenn er +die Schätze des Königs bewundern wollte; kaum aber war er an seine +Pantoffeln gekommen, so schlüpfte er eilends hinein, ergriff sein +Stäbchen, riß seinen falschen Bart herab und zeigte dem erstaunten +König das wohlbekannte Gesicht seines verstoßenen Muck. "Treuloser +König", sprach er, "der du treue Dienste mit Undank lohnst, nimm als +wohlverdiente Strafe die Mißgestalt, die du trägst. Die Ohren laß +ich dir zurück, damit sie dich täglich erinnern an den kleinen Muck." +Als er so gesprochen hatte, drehte er sich schnell auf dem Absatz +herum, wünschte sich weit hinweg, und ehe noch der König um Hilfe +rufen konnte, war der kleine Muck entflohen. Seitdem lebt der kleine +Muck hier in großem Wohlstand, aber einsam; denn er verachtet die +Menschen. Er ist durch Erfahrung ein weiser Mann geworden, welcher, +wenn auch sein Äußeres etwas Auffallendes haben mag, deine +Bewunderung mehr als deinen Spott verdient. + +"So erzählte mir mein Vater; ich bezeugte ihm meine Reue über mein +rohes Betragen gegen den guten kleinen Mann, und mein Vater schenkte +mir die andere Hälfte der Strafe, die er mir zugedacht hatte. Ich +erzählte meinen Kameraden die wunderbaren Schicksale des Kleinen, und +wir gewannen ihn so lieb, daß ihn keiner mehr schimpfte. Im +Gegenteil, wir ehrten ihn, solange er lebte, und haben uns vor ihm +immer so tief wie vor Kadi und Mufti gebückt." + +Die Reisenden beschlossen, einen Rasttag in dieser Karawanserei zu +machen, um sich und die Tiere zur weiteren Reise zu stärken. Die +gestrige Fröhlichkeit ging auch auf diesen Tag über, und sie +ergötzten sich in allerlei Spielen. Nach dem Essen aber riefen sie +dem fünften Kaufmann, Ali Sizah, zu, auch seine Schuldigkeit gleich +den übrigen zu tun und eine Geschichte zu erzählen. Er antwortete, +sein Leben sei zu arm an auffallenden Begebenheiten, als daß er ihnen +etwas davon mitteilen möchte, daher wolle er ihnen etwas anderes +erzählen, nämlich: Das Märchen vom falschen Prinzen. + + + + +Das Märchen vom falschen Prinzen + +Wilhelm Hauff + + +Es war einmal ein ehrsamer Schneidergeselle, namens Labakan, der bei +einem geschickten Meister in Alessandria sein Handwerk lernte. Man +konnte nicht sagen, daß Labakan ungeschickt mit der Nadel war, im +Gegenteil, er konnte recht feine Arbeit machen. Auch tat man ihm +unrecht, wenn man ihn geradezu faul schalt; aber ganz richtig war es +doch nicht mit dem Gesellen, denn er konnte oft stundenweis in einem +fort nähen, daß ihm die Nadel in der Hand glühend ward und der Faden +rauchte, da gab es ihm dann ein Stück wie keinem anderen; ein +andermal aber, und dies geschah leider öfters, saß er in tiefen +Gedanken, sah mit starren Augen vor sich hin und hatte dabei in +Gesicht und Wesen etwas so Eigenes, daß sein Meister und die übrigen +Gesellen von diesem Zustand nie anders sprachen als: "Labakan hat +wieder sein vornehmes Gesicht." + +Am Freitag aber, wenn andere Leute vom Gebet ruhig nach Haus an ihre +Arbeit gingen, trat Labakan in einem schönen Kleid, das er sich mit +vieler Mühe zusammengespart hatte, aus der Moschee, ging langsam und +stolzen Schrittes durch die Plätze und Straßen der Stadt, und wenn +ihm einer seiner Kameraden ein "Friede sei mit dir", oder "Wie geht +es, Freund Labakan?" bot, so winkte er gnädig mit der Hand oder +nickte, wenn es hoch kam, vornehm mit dem Kopf. Wenn dann sein +Meister im Spaß zu ihm sagte: "An dir ist ein Prinz verlorengegangen, +Labakan", so freute er sich darüber und antwortete: "Habt Ihr das +auch bemerkt?" oder: "Ich habe es schon lange gedacht!" + +So trieb es der ehrsame Schneidergeselle Labakan schon eine geraume +Zeit, sein Meister aber duldete seine Narrheit, weil er sonst ein +guter Mensch und geschickter Arbeiter war. Aber eines Tages schickte +Selim, der Bruder des Sultans, der gerade durch Alessandria reiste, +ein Festkleid zu dem Meister, um einiges daran verändern zu lassen, +und der Meister gab es Labakan, weil dieser die feinste Arbeit machte. +Als abends der Meister und die Gesellen sich hinwegbegeben hatten, +um nach des Tages Last sich zu erholen, trieb eine unwiderstehliche +Sehnsucht Labakan wieder in die Werkstatt zurück, wo das Kleid des +kaiserlichen Bruders hing. Er stand lange sinnend davor, bald den +Glanz der Stickerei, bald die schillernden Farben des Samts und der +Seide an dem Kleide bewundernd. Er konnte nicht anders, er mußte es +anziehen, und siehe da, es paßte ihm so trefflich, wie wenn es für +ihn wäre gemacht worden. "Bin ich nicht so gut ein Prinz als einer?" +fragte er sich, indem er im Zimmer auf und ab schritt. "Hat nicht +der Meister selbst schon gesagt, daß ich zum Prinzen geboren sei?" +Mit den Kleidern schien der Geselle eine ganz königliche Gesinnung +angezogen zu haben; er konnte sich nicht anders denken, als er sei +ein unbekannter Königssohn, und als solcher beschloß er, in die Welt +zu reisen und einen Ort zu verlassen, wo die Leute bisher so töricht +gewesen waren, unter der Hülle seines niederen Standes nicht seine +angebotene Würde zu erkennen. Das prachtvolle Kleid schien ihm von +einer gütigen Fee geschickt, er hütete sich daher wohl, ein so teures +Geschenk zu verschmähen, steckte seine geringe Barschaft zu sich und +wanderte, begünstigt von dem Dunkel der Nacht, aus Alessandrias Toren. + +Der neue Prinz erregte überall auf seiner Wanderschaft Verwunderung, +denn das prachtvolle Kleid und sein ernstes, majestätisches Wesen +wollten gar nicht passen für einen Fußgänger. Wenn man ihn darüber +befragte, pflegte er mit geheimnisvoller Miene zu antworten, daß das +seine eigenen Ursachen habe. Als er aber merkte, daß er sich durch +seine Fußwanderungen lächerlich machte, kaufte er um geringen Preis +ein altes Roß, welches sehr für ihn paßte, da es ihn mit seiner +gesetzten Ruhe und Sanftmut nie in die Verlegenheit brachte, sich als +geschickter Reiter zeigen zu müssen, was gar nicht seine Sache war. + +Eines Tages, als er Schritt vor Schritt auf seinem Murva, so hatte er +sein Roß genannt,; seine Straße zog, schloß sich ein Reiter an ihn an +und bat ihn, in seiner Gesellschaft reiten zu dürfen, weil ihm der +Weg viel kürzer werde im Gespräch mit einem anderen. Der Reiter war +ein fröhlicher, junger Mann, schön und angenehm im Umgang. Er hatte +mit Labakan bald ein Gespräch angeknüpft über Woher und Wohin, und es +traf sich, daß auch er, wie der Schneidergeselle, ohne Plan in die +Welt hinauszog. Er sagte, er heiße Omar, sei der Neffe Elfi Beys, +des unglücklichen Bassas von Kairo, und reise nun umher, um einen +Auftrag, den ihm sein Oheim auf dem Sterbebette erteilt habe, +auszurichten. Labakan ließ sich nicht so offenherzig über seine +Verhältnisse aus, er gab ihm zu verstehen, daß er von hoher Abkunft +sei und zu seinem Vergnügen reise. + +Die beiden jungen Herren fanden Gefallen aneinander und zogen fürder. +Am zweiten Tage ihrer gemeinschaftlichen Reise fragte Labakan seinen +Gefährten Omar nach den Aufträgen, die er zu besorgen habe, und +erfuhr zu seinem Erstaunen folgendes: Elfi Bey, der Bassa von Kairo, +hatte den Omar seit seiner frühesten Kindheit erzogen, und dieser +hatte seine Eltern nie gekannt. Als nun Elfi Bey von seinen Feinden +überfallen worden war und nach drei unglücklichen Schlachten, tödlich +verwundet, fliehen mußte, entdeckte er seinem Zögling, daß er nicht +sein Neffe sei, sondern der Sohn eines mächtigen Herrschers, welcher +aus Furcht vor den Prophezeiungen seiner Sterndeuter den jungen +Prinzen von seinem Hofe entfernt habe, mit dem Schwur, ihn erst an +seinem zweiundzwanzigsten Geburtstage wiedersehen zu wollen. Elfi +Bey habe ihm den Namen seines Vaters nicht genannt, sondern ihm nur +aufs bestimmteste aufgetragen, am fünften Tage des kommenden Monats +Ramadan, an welchem Tage er zweiundzwanzig Jahre alt werde, sich an +der berühmten Säule El-Serujah, vier Tagreisen östlich von +Alessandria, einzufinden; dort soll er den Männern, die an der Säule +stehen würden, einen Dolch, den er ihm gab, überreichen mit den +Worten: "leer bin ich, den ihr suchet"; wenn sie antworteten: "Gelobt +sei der Prophet, der dich erhielt!", so solle er ihnen folgen, sie +würden ihn zu seinem Vater führen. + +Der Schneidergeselle Labakan war sehr erstaunt über diese Mitteilung, +er betrachtete von jetzt an den Prinzen Omar mit neidischen Augen, +erzürnt darüber, daß das Schicksal jenem, obgleich er schon für den +Neffen eines mächtigen Bassa galt, noch die Würde eines Fürstensohnes +verliehen, ihm aber, den es mit allem, was einem Prinzen nottut, +ausgerüstet, gleichsam zum Hohn eine dunkle Geburt und einen +gewöhnlichen Lebensweg verliehen habe. Er stellte Vergleichungen +zwischen sich und dem Prinzen an. Er mußte sich gestehen, es sei +jener ein Mann von sehr vorteilhafter Gesichtsbildung; schöne, +lebhafte Augen, eine kühngebogene Nase, ein sanftes, zuvorkommendes +Benehmen, kurz, so viele Vorzüge des Äußeren, die jemand empfehlen +können, waren jenem eigen. Aber so viele Vorzüge er auch an seinem +Begleiter fand, so gestand er sich doch bei diesen Beobachtungen, daß +ein Labakan dem fürstlichen Vater wohl noch willkommener sein dürfte +als der wirkliche Prinz. + +Diese Betrachtungen verfolgten Labakan den ganzen Tag, mit ihnen +schlief er im nächsten Nachtlager ein, aber als er morgens aufwachte +und sein Blick auf den neben ihm schlafenden Omar fiel, der so ruhig +schlafen und von seinem gewissen Glück träumen konnte, da erwachte in +ihm der Gedanke, sich durch List oder Gewalt zu erstreben, was ihm +das ungünstige Schicksal versagt hatte. Der Dolch, das +Erkennungszeichen des heimkehrenden Prinzen, sah aus dem Gürtel des +Schlafenden hervor, leise zog er ihn hervor, um ihn in die Brust des +Eigentümers zu stoßen. Doch vor dem Gedanken des Mordes entsetzte +sich die friedfertige Seele des Gesellen; er begnügte sich, den Dolch +zu sich zu stecken, das schnellere Pferd des Prinzen für sich +aufzäumen zu lassen, und ehe Omar aufwachte und sich aller seiner +Hoffnungen beraubt sah, hatte sein treuloser Gefährte schon einen +Vorsprung von mehreren Meilen. + +Es war gerade der erste Tag des heiligen Monats Ramadan, an welchem +Labakan den Raub an dem Prinzen begangen hatte, und er hatte also +noch vier Tage, um zu der Säule El Serujah, welche ihm wohlbekannt +war, zu gelangen. Obgleich die Gegend, worin sich diese Säule befand, +höchstens noch zwei Tagreisen entfernt sein konnte, so beeilte er +sich doch hinzukommen, weil er immer fürchtete, von dem wahren +Prinzen eingeholt zu werden. + +Am Ende des zweiten Tages erblickte Labakan die Säule El-Serujah. +Sie stand auf einer kleinen Anhöhe in einer weiten Ebene und konnte +auf zwei bis drei Stunden gesehen werden. Labakans Herz pochte +lauter bei diesem Anblick; obgleich er die letzten zwei Tage hindurch +Zeit genug gehabt, über die Rolle, die er zu spielen hatte, +nachzudenken, so machte ihn doch das böse Gewissen etwas ängstlich, +aber der Gedanke, daß er zum Prinzen geboren sei, stärkte ihn wieder, +so daß er getrösteter seinem Ziele entgegenging. + +Die Gegend um die Säule El-Serujah war unbewohnt und öde, und der +neue Prinz wäre wegen seines Unterhalts etwas in Verlegenheit +gekommen, wenn er sich nicht auf mehrere Tage versehen hätte. Er +lagerte sich also neben seinem Pferd unter einigen Palmen und +erwartete dort sein ferneres Schicksal. + +Gegen die Mitte des anderen Tages sah er einen großen Zug von Pferden +und Kamelen über die Ebene her auf die Säule El-Serujah zuziehen. +Der Zug hielt am Fuße des Hügels, auf welchem die Säule stand, man +schlug prächtige Zelte auf, und das Ganze sah aus wie der Reisezug +eines reichen Bassa oder Scheik. Labakan ahnte, daß die vielen Leute, +welche er sah, sich seinetwegen hierher bemüht hatten, und hätte +ihnen gerne schon heute ihren künftigen Gebieter gezeigt; aber er +mäßigte seine Begierde, als Prinz aufzutreten, da ja doch der nächste +Morgen seine kühnsten Wünsche vollkommen befriedigen mußte. + +Die Morgensonne weckte den überglücklichen Schneider zu dem +wichtigsten Augenblick seines Lebens, welcher ihn aus einem niederen, +unbekannten Sterblichen an die Seite eines fürstlichen Vaters erheben +sollte; zwar fiel ihm, als er sein Pferd aufzäumte, um zu der Säule +hinzureiten, wohl auch das Unrechtmäßige seines Schrittes ein; zwar +führten ihm seine Gedanken den Schmerz des in seinen schönen +Hoffnungen betrogenen Fürstensohnes vor, aber--der Würfel war +geworfen, er konnte nicht mehr ungeschehen machen, was geschehen war, +und seine Eigenliebe flüsterte ihm zu, daß er stattlich genug aussehe, +um dem mächtigsten König sich als Sohn vorzustellen; ermutigt durch +diesen Gedanken, schwang er sich auf sein Roß, nahm alle seine +Tapferkeit zusammen, um es in einen ordentlichen Galopp zu bringen, +und in weniger als einer Viertelstunde war er am Fuße des Hügels +angelangt. Er stieg ab von seinem Pferd und band es an eine Staude, +deren mehrere an dem Hügel wuchsen; hierauf zog er den Dolch des +Prinzen Omar hervor und stieg den Hügel hinan. Am Fuß der Säule +standen sechs Männer um einen Greis von hohem, königlichem Ansehen; +ein prachtvoller Kaftan von Goldstoff, mit einem weißen Kaschmirschal +umgürtet, der weiße, mit blitzenden Edelsteinen geschmückte Turban +bezeichneten ihn als einen Mann von Reichtum und Würde. + +Auf ihn ging Labakan zu, neigte sich tief vor ihm und sprach, indem +er den Dolch darreichte: "Hier bin ich, den Ihr suchet. " + +"Gelobt sei der Prophet, der dich erhielt!" antwortete der Greis mit +Freudentränen. "Umarme deinen alten Vater, mein geliebter Sohn Omar!" +Der gute Schneider war sehr gerührt durch diese feierlichen Worte +und sank mit einem Gemisch von Freude und Scham in die Arme des alten +Fürsten. + +Aber nur einen Augenblick sollte er ungetrübt die Wonne seines neuen +Standes genießen; als er sich aus den Armen des fürstlichen Greises +aufrichtete, sah er einen Reiter über die Ebene her auf den Hügel +zueilen. Der Reiter und sein Roß gewährten einen sonderbaren Anblick; +das Roß schien aus Eigensinn oder Müdigkeit nicht vorwärts zu wollen, +in einem stolpernden Gang, der weder Schritt noch Trab war, zog es +daher, der Reiter aber trieb es mit Händen und Füßen zu schnellerem +Laufe an. Nur zu bald erkannte Labakan sein Roß Murva und den echten +Prinzen Omar, aber der böse Geist der Lüge war einmal in ihn gefahren, +und er beschloß, wie es auch kommen möge, mit eiserner Stirne seine +angemaßten Rechte zu behaupten. + +Schon aus der Ferne hatte man den Reiter winken gesehen; jetzt war er +trotz des schlechten Trabes des Rosses Murva am Fuße des Hügels +angekommen, warf sich vom Pferd und stürzte den Hügel hinan. "Haltet +ein!" rief er. "Wer ihr auch sein möget, haltet ein und laßt euch +nicht von dem schändlichsten Betrüger täuschen; ich heiße Omar, und +kein Sterblicher wage es, meinen Namen zu mißbrauchen!" + +Auf den Gesichtern der Umstehenden malte sich tiefes Erstaunen über +diese Wendung der Dinge; besonders schien der Greis sehr betroffen, +indem er bald den einen, bald den anderen fragend ansah; Labakan aber +sprach mit mühsam errungener Ruhe: "Gnädigster Herr und Vater, laßt +Euch nicht irremachen durch diesen Menschen da! Es ist, soviel ich +weiß, ein wahnsinniger Schneidergeselle aus Alessandria, Labakan +geheißen, der mehr unser Mitleid als unseren Zorn verdient." + +Bis zur Raserei aber brachten diese Worte den Prinzen; schäumend vor +Wut wollte er auf Labakan eindringen, aber die Umstehenden warfen +sich dazwischen und hielten ihn fest, und der Fürst sprach: +"Wahrhaftig, mein lieber Sohn, der arme Mensch ist verrückt; man +binde ihn und setze ihn auf eines unserer Dromedare, vielleicht, daß +wir dem Unglücklichen Hilfe schaffen können." + +Die Wut des Prinzen hatte sich gelegt, weinend rief er dem Fürsten zu: +"Mein Herz sagt mir, daß Ihr mein Vater seid; bei dem Andenken +meiner Mutter beschwöre ich Euch, hört mich an!" + +"Ei, Gott bewahre uns!" antwortete dieser, "er fängt schon wieder an, +irre zu reden, wie doch der Mensch auf so tolle Gedanken kommen kann!" +Damit ergriff er Labakans Arm und ließ sich von ihm den Hügel +hinuntergeleiten; sie setzten sich beide auf schöne, mit reichen +Decken behängte Pferde und ritten an der Spitze des Zuges über die +Ebene hin. Dem unglücklichen Prinzen aber fesselte man die Hände und +band ihn auf einem Dromedar fest, und zwei Reiter waren ihm immer zur +Seite, die ein wachsames Auge auf jede seiner Bewegungen hatten. + +Der fürstliche Greis war Saaud, der Sultan der Wechabiten. Er hatte +lange ohne Kinder gelebt, endlich wurde ihm ein Prinz geboren, nach +dem er sich so lange gesehnt hatte; aber die Sterndeuter, welche er +um die Vorbedeutungen des Knaben befragte, taten den Ausspruch, "daß +er bis ins zweiundzwanzigste Jahr in Gefahr stehe, von einem Feinde +verdrängt zu werden", deswegen, um recht sicherzugehen, hatte der +Sultan den Prinzen seinem alten, erprobten Freunde Elfi-Bey zum +Erziehen gegeben und zweiundzwanzig schmerzliche Jahre auf seinen +Anblick geharrt. + +Dieses hatte der Sultan seinem (vermeintlichen) Sohne erzählt und +sich ihm außerordentlich zufrieden mit seiner Gestalt und seinem +würdevollen Benehmen gezeigt. + +Als sie in das Land des Sultans kamen, wurden sie überall von den +Einwohnern mit Freudengeschrei empfangen; denn das Gerücht von der +Ankunft des Prinzen hatte sich wie ein Lauffeuer durch alle Städte +und Dörfer verbreitet. Auf den Straßen, durch welche sie zogen, +waren Bögen von Blumen und Zweigen errichtet, glänzende Teppiche von +allen Farben schmeckten die Häuser, und das Volk pries laut Gott und +seinen Propheten, der ihnen einen so schönen Prinzen gesandt habe. +Alles dies erfüllte das stolze Herz des Schneiders mit Wonne; desto +unglücklicher mußte sich aber der echte Omar fühlen, der, noch immer +gefesselt, in stiller Verzweiflung dem Zuge folgte. Niemand kümmerte +sich um ihn bei dem allgemeinen Jubel, der doch ihm galt; den Namen +Omar riefen tausend und wieder tausend Stimmen, aber ihn, der diesen +Namen mit Recht trug, ihn beachtete keiner; höchstens fragte einer +oder der andere, wen man denn so fest gebunden mit fortfahre, und +schrecklich tönte in das Ohr des Prinzen die Antwort seiner Begleiter, +es sei ein wahnsinniger Schneider. + +Der Zug war endlich in die Hauptstadt des Sultans gekommen, wo alles +noch glänzender zu ihrem Empfang bereitet war als in den übrigen +Städten. Die Sultanin, eine ältliche, ehrwürdige Frau, erwartete sie +mit ihrem ganzen Hofstaat in dem prachtvollsten Saal des Schlosses. +Der Boden dieses Saales war mit einem ungeheuren Teppich bedeckt, die +Wände waren mit hellblauem Tuch geschmeckt, das in goldenen Quasten +und Schnüren an großen, silbernen Haken hing. + +Es war schon dunkel, als der Zug anlangte, daher waren im Saale viele +kugelrunde, farbige Lampen angezündet, welche die Nacht zum Tag +erhellten. Am klarsten und vielfarbigsten strahlten sie aber im +Hintergrund des Saales, wo die Sultanin auf einem Throne saß. Der +Thron stand auf vier Stufen und war von lauterem Golde und mit großen +Amethysten ausgelegt. Die vier vornehmsten Emire hielten einen +Baldachin von roter Seide über dem Haupte der Sultanin, und der +Scheik von Medina fächelte ihr mit einer Windfuchtel von weißen +Pfauenfedern Kühlung zu. + +So erwartete die Sultanin ihren Gemahl und ihren Sohn, auch sie hatte +ihn seit seiner Geburt nicht mehr gesehen, aber bedeutsam Träume +hatten ihr den Ersehnten gezeigt, daß sie ihn aus Tausenden erkennen +wollte. Jetzt hörte man das Geräusch des nahenden Zuges, Trompeten +und Trommeln mischten sich in das Zujauchzen der Menge, der Hufschlag +der Rosse tönte im Hof des Palastes, näher und näher rauschten die +Tritte der Kommenden, die Türen des Saales flogen auf, und durch die +Reihen der niederfallenden Diener eilte der Sultan an der Hand seines +Sohnes vor den Thron der Mutter. + +"Hier", sprach er, "bringe ich dir den, nach welchem du dich so lange +gesehnet." + +Die Sultanin aber fiel ihm in die Rede: "Das ist mein Sohn nicht!" +rief sie aus, "das sind nicht die Züge, die mir der Prophet im Traume +gezeigt hat!" + +Gerade, als ihr der Sultan ihren Aberglauben verweisen wollte, sprang +die Türe des Saales auf. Prinz Omar stürzte herein, verfolgt von +seinen Wächtern, denen er sich mit Anstrengung aller seiner Kraft +entrissen hatte, er warf sich atemlos vor dem Throne nieder: "leer +will ich sterben, laßt mich töten, grausamer Vater; denn diese +Schmach dulde ich nicht länger!" + +Alles war bestürzt über diese Reden; man drängte sich um den +Unglücklichen her, und schon wollten ihn die herbeieilenden Wachen +ergreifen und ihm wieder seine Bande anlegen, als die Sultanin, die +in sprachlosem Erstaunen dieses alles mit angesehen hatte, von dem +Throne aufsprang. "Haltet ein!" rief sie, "dieser und kein anderer +ist der Rechte, dieser ist's, den meine Augen nie gesehen und den +mein Herz doch gekannt hat!" + +Die Wächter hatten unwillkürlich von Omar abgelassen, aber der Sultan, +entflammt von wütendem Zorn, rief ihnen zu, den Wahnsinnigen zu +binden: "Ich habe hier zu entscheiden", sprach er mit gebietender +Stimme, "und hier richtet man nicht nach den Träumen der Weiber, +sondern nach gewissen, untrüglichen Zeichen. Dieser hier (indem er +auf Labakan zeigte) ist mein Sohn; denn er hat mir das Wahrzeichen +meines Freundes Elfi, den Dolch, gebracht." + +"Gestohlen hat er ihn", schrie Omar, "mein argloses Vertrauen hat er +zum Verrat mißbraucht!" Der Sultan aber hörte nicht auf die Stimme +seines Sohnes; denn er war in allen Dingen gewohnt, eigensinnig nur +seinem Urteil zu folgen; daher ließ er den unglücklichen Omar mit +Gewalt aus dem Saal schleppen. Er selbst aber begab sich mit Labakan +in sein Gemach, voll Wut über die Sultanin, seine Gemahlin, mit der +er doch seit fünfundzwanzig Jahren in Frieden gelebt hatte. + +Die Sultanin aber war voll Kummer über diese Begebenheiten; sie war +vollkommen überzeugt, daß ein Betrüger sich des Herzens des Sultans +bemächtigt hatte, denn jenen Unglücklichen hatten ihr so viele +bedeutsam Träume als ihren Sohn gezeigt. + +Als sich ihr Schmerz ein wenig gelegt hatte, sann sie auf Mittel, um +ihren Gemahl von seinem Unrecht zu überzeugen. Es war dies +allerdings schwierig; denn jener, der sich für ihren Sohn ausgab, +hatte das Erkennungszeichen, den Dolch, überreicht und hatte auch, +wie sie erfuhr, so viel von Omars früherem Leben von diesem selbst +sich erzählen lassen, daß er seine Rolle, ohne sich zu verraten, +spielte. + +Sie berief die Männer zu sich, die den Sultan zu der Säule El-Serujah +begleitet hatten, um sich alles genau erzählen zu lassen, und hielt +dann mit ihren vertrautesten Sklavinnen Rat. Sie wählten und +verwarfen dies und jenes Mittel; endlich sprach Melechsalah, eine +alte, kluge Zierkassierin: "Wenn ich recht gehört habe, verehrte +Gebieterin, so nannte der Überbringer des Dolches den, welchen du für +deinen Sohn hältst, Labakan, einen verwirrten Schneider?" + +"Ja, so ist es", antwortete die Sultanin, "aber was willst du damit?" + +"Was meint Ihr", fuhr jene fort, "wenn dieser Betrüger Eurem Sohn +seinen eigenen Namen aufgeheftet hätte?--Und wenn dies ist, so gibt +es ein herrliches Mittel, den Betrüger zu fangen, das ich Euch ganz +im geheimen sagen will." Die Sultanin bot ihrer Sklavin das Ohr, und +diese flüsterte ihr einen Rat zu, der ihr zu behagen schien, denn sie +schickte sich an, sogleich zum Sultan zu gehen. + +Die Sultanin war eine kluge Frau, welche wohl die schwachen Seiten +des Sultans kannte und sie zu benützen verstand. Sie schien daher, +ihm nachgeben und den Sohn anerkennen zu wollen, und bat sich nur +eine Bedingung aus; der Sultan, dem sein Aufbrausen gegen seine Frau +leid tat, gestand die Bedingung zu, und sie sprach: "Ich möchte gerne +den beiden eine Probe ihrer Geschicklichkeit auferlegen; eine andere +würde sie vielleicht reiten, fechten oder Speere werfen lassen, aber +das sind Sachen, die ein jeder kann; nein, ich will ihnen etwas geben, +wozu Scharfsinn gehört! Es soll nämlich jeder von ihnen einen +Kaftan und ein Paar Beinkleider verfertigen, und da wollen wir einmal +sehen, wer die schönsten macht." + +Der Sultan lachte und sprach: "Ei, da hast du ja etwas recht Kluges +ausgesonnen. Mein Sohn sollte mit deinem wahnsinnigen Schneider +wetteifern, wer den besten Kaftan macht? Nein, das ist nichts." + +Die Sultanin aber berief sich darauf, daß er ihr die Bedingung zum +Voraus zugesagt habe, und der Sultan, welcher ein Mann von Wort war, +gab endlich nach, obgleich er schwor, wenn der wahnsinnige Schneider +seinen Kaftan auch noch so schön mache, könne er ihn doch nicht für +seinen Sohn erkennen. + +Der Sultan ging selbst zu seinem Sohn und bat ihn, sich in die +Grillen seiner Mutter zu schicken, die nun einmal durchaus einen +Kaftan von seiner Hand zu sehen wünsche. Dem guten Labakan lachte +das Herz vor Freude; wenn es nur an dem fehlt, dachte er bei sich, da +soll die Frau Sultanin bald Freude an mir erleben. + +Man hatte zwei Zimmer eingerichtet, eines für den Prinzen, das andere +für den Schneider; dort sollten sie ihre Kunst erproben, und man +hatte jedem nur ein hinlängliches Stück Seidenzeug, Schere, Nadel und +Faden gegeben. + +Der Sultan war sehr begierig, was für ein Ding von Kaftan wohl sein +Sohn zutage fördern werde, aber auch der Sultanin pochte unruhig das +Herz, ob ihre List wohl gelingen werde oder nicht. Man hatte den +beiden zwei Tage zu ihrem Geschäft ausgesetzt, am dritten ließ der +Sultan seine Gemahlin rufen, und als sie erschienen war, schickte er +in jene zwei Zimmer, um die beiden Kaftane und ihre Verfertiger holen +zu lassen. Triumphierend trat Labakan ein und breitete seinen Kaftan +vor den erstaunten Blicken des Sultans aus. "Siehe her, Vater", +sprach er, "siehe her, verehrte Mutter, ob dies nicht ein +Meisterstück von einem Kaftan ist? Da laß ich es mit dem +geschicktesten Hofschneider auf eine Wette ankommen, ob er einen +solchen herausbringt." + +Die Sultanin lächelte und wandte sich zu Omar: "Und was hast du +herausgebracht, mein Sohn?" + +Unwillig warf dieser den Seidenstoff und die Schere auf den Boden: +"Man hat mich gelehrt, ein Roß zu bändigen und einen Säbel zu +schwingen, und meine Lanze trifft auf sechzig Gänge ihr Ziel--aber +die Künste der Nadel sind mir fremd, sie wären auch unwürdig für +einen Zögling Elfi Beys, des Beherrschers von Kairo." + +"Oh, du echter Sohn meines Herrn", rief die Sultanin, "ach, daß ich +dich umarmen, dich Sohn nennen dürfte! Verzeihet, mein Gemahl und +Gebieter", sprach sie dann, indem sie sich zum Sultan wandte, "daß +ich diese List gegen Euch gebraucht habe; sehet Ihr jetzt noch nicht +ein, wer Prinz und wer Schneider ist; fürwahr, der Kaftan ist +köstlich, den Euer Herr Sohn gemacht hat, und ich möchte ihn gerne +fragen, bei welchem Meister er gelernt habe." + +Der Sultan saß in tiefen Gedanken, mißtrauisch bald seine Frau, bald +Labakan anschauend, der umsonst sein Erröten und seine Bestürzung, +daß er sich so dumm verraten habe, zu bekämpfen suchte. "Auch dieser +Beweis genügt nicht", sprach er, "aber ich weiß, Allah sei es gedankt, +ein Mittel, zu erfahren, ob ich betrogen bin oder nicht." + +Er befahl, sein schnellstes Pferd vorzufahren, schwang sich auf und +ritt in einen Wald, der nicht weit von der Stadt begann. Dort wohnte +nach einer alten Sage eine gütige Fee, Adolzaide geheißen, welche oft +schon den Königen seines Stammes in der Stunde der Not mit ihrem Rat +beigestanden war; dorthin eilte der Sultan. + +In der Mitte des Waldes war ein freier Platz, von hohen Zedern +umgeben. Dort wohnte nach der Sage die Fee, und selten betrat ein +Sterblicher diesen Platz, denn eine gewisse Scheu davor hatte sich +aus alten Zeiten vom Vater auf den Sohn vererbt. + +Als der Sultan dort angekommen war, stieg er ab, band sein Pferd an +einen Baum, stellte sich in die Mitte des Platzes und sprach mit +lauter Stimme: "Wenn es wahr ist, daß du meinen Vätern gütigen Rat +erteiltest in der Stunde der Not, so verschmähe nicht die Bitte ihres +Enkels und rate mir, wo menschlicher Verstand zu kurzsichtig ist!" + +Er hatte kaum die letzten Worte gesprochen, als sich eine der Zedern +öffnete und eine verschleierte Frau in langen, weißen Gewändern +hervortrat. "Ich weiß, warum du zu mir kommst, Sultan Saaud, dein +Wille ist redlich; darum soll dir auch meine Hilfe werden. Nimm +diese zwei Kistchen! Laß jene beiden, welche deine Söhne sein wollen, +wählen! Ich weiß, daß der, welcher der echte ist, das rechte nicht +verfehlen wird." So sprach die Verschleierte und reichte ihm zwei +kleine Kistchen von Elfenbein, reich mit Gold und Perlen verziert; +auf den Deckeln, die der Sultan vergebens zu öffnen versuchte, +standen Inschriften von eingesetzten Diamanten. + +Der Sultan besann sich, als er nach Hause ritt, hin und her, was wohl +in den Kistchen sein könnte, welche er mit aller Mühe nicht zu öffnen +vermochte. Auch die Aufschrift gab ihm kein Licht in der Sache; denn +auf dem einen stand: "Ehre und Ruhm", auf dem anderen: "Glück und +Reichtum". Der Sultan dachte bei sich, da würde auch ihm die Wahl +schwer werden unter diesen beiden Dingen, die gleich anziehend, +gleich lockend seien. + +Als er in seinen Palast zurückgekommen war, ließ er die Sultanin +rufen und sagte ihr den Ausspruch der Fee, und eine wunderbare +Hoffnung erfüllte sie, daß jener, zu dem ihr Herz sie hinzog, das +Kistchen wählen Würde, welches seine königliche Abkunft beweisen +sollte. + +Vor dem Ibrone des Sultans wurden zwei Tische aufgestellt; auf sie +setzte der Sultan mit eigener Hand die beiden Kistchen, bestieg dann +den Thron und winkte einem seiner Sklaven, die Pforte des Saales zu +öffnen. Eine glänzende Versammlung von Bassas und Emiren des Reiches, +die der Sultan berufen hatte, strömte durch die geöffnete Pforte. +Sie ließen sich auf prachtvollen Polstern nieder, welche die Wände +entlang aufgestellt waren. + +Als sie sich alle niedergelassen hatten, winkte der König zum +zweitenmal, und Labakan wurde hereingeführt. Mit stolzem Schritte +ging er durch den Saal, warf sich vor dem Throne nieder und sprach: +"Was befiehlt mein Herr und Vater?" + +Der Sultan erhob sich auf seinem Thron und sprach: "Mein Sohn! Es +sind Zweifel an der Echtheit deiner Ansprüche auf diesen Namen +erhoben worden; eines jener Kistchen enthält die Bestätigung deiner +echten Geburt, wähle! Ich zweifle nicht, du wirst das rechte wählen!" + +Labakan erhob sich und trat vor die Kistchen, er erwog lange, was er +wählen sollte, endlich sprach er: "Verehrter Vater! Was kann es +Höheres geben als das Glück, dein Sohn zu sein, was Edleres als den +Reichtum deiner Gnade? Ich wähle das Kistchen, das die Aufschrift +"Gliick und Reichtum" zeigt." + +"Wir werden nachher erfahren, ob du recht gewählt hast; einstweilen +setze dich dort auf das Polster zum Bassa von Medina", sagte der +Sultan und winkte seinen Sklaven. + +Omar wurde hereingeführt; sein Blick war düster, seine Miene traurig, +und sein Anblick erregte allgemeine Teilnahme unter den Anwesenden. +Er warf sich vor dem Throne nieder und fragte nach dem Willen des +Sultans. + +Der Sultan deutete ihm an, daß er eines der Kistchen zu wählen habe, +er stand auf und trat vor den Tisch. + +Er las aufmerksam beide Inschriften und sprach: "Die letzten Tage +haben mich gelehrt, wie unsicher das Glück, wie vergänglich der +Reichtum ist; sie haben mich aber auch gelehrt, daß ein +unzerstörbares Gut in der Brust des Tapferen wohnt, die Ehre, und daß +der leuchtende Stern des Ruhmes nicht mit dem Glück zugleich vergeht. +Und sollte ich einer Krone entsagen, der Würfel liegt--Ehre und Ruhm, +ich wähle euch!" + +Er setzte seine Hand auf das Kistchen, das er erwählt hatte; aber der +Sultan befahl ihm, einzuhalten; er winkte Labakan, gleichfalls vor +seinen Tisch zu treten, und auch dieser legte seine Hand auf sein +Kistchen. + +Der Sultan aber ließ sich ein Becken mit Wasser von dem heiligen +Brunnen Zemzem in Mekka bringen, wusch seine Hände zum Gebet, wandte +sein Gesicht nach Osten, warf sich nieder und betete: "Gott meiner +Väter! Der du seit Jahrhunderten unsern Stamm rein und unverfälscht +bewahrtest, gib nicht zu, daß ein Unwürdiger den Namen der Abassiden +schände, sei mit deinem Schutze meinem echten Sohne nahe in dieser +Stunde der Prüfung!" + +Der Sultan erhob sich und bestieg seinen Thron wieder; allgemeine +Erwartung fesselte die Anwesenden, man wagte kaum zu atmen, man hätte +ein Mäuschen über den Saal gehen hören können, so still und gespannt +waren alle, die hintersten machten lange Hälse, um über die vorderen +nach den Kistchen sehen zu können. Jetzt sprach der Sultan: "Öffnet +die Kistchen", und diese, die vorher keine Gewalt zu öffnen vermochte, +sprangen von selbst auf. + +In dem Kistchen, das Omar gewählt hatte, lagen auf einem samtenen +Kissen eine kleine goldene Krone und ein Zepter; in Labakans +Kistchen--eine große Nadel und ein wenig Zwirn! Der Sultan befahl +den beiden, ihre Kistchen vor ihn zu bringen. Er nahm das Krönchen +von dem Kissen in seine Hand, und wunderbar war es anzusehen, wie er +es nahm, wurde es größer und größer, bis es die Größe einer rechten +Krone erreicht hatte. Er setzte die Krone seinem Sohn Omar, der vor +ihm kniete, auf das Haupt, küßte ihn auf die Stirne und hieß ihn zu +seiner Rechten sich niedersetzen. Zu Labakan aber wandte er sich und +sprach: "Es ist ein altes Sprichwort: Der Schuster bleibe bei seinem +Leisten! Es scheint, als solltest du bei der Nadel bleiben. Zwar +hast du meine Gnade nicht verdient, aber es hat jemand für dich +gebeten, dem ich heute nichts abschlagen kann; drum schenke ich dir +dein armseliges Leben, aber wenn ich dir guten Rates bin, so beeile +dich, daß du aus meinem Lande kommst!" + +Beschämt, vernichtet, wie er war, vermochte der arme Schneidergeselle +nichts zu erwidern; er warf sich vor dem Prinzen nieder, und Tränen +drangen ihm aus den Augen: "Könnt Ihr mir vergeben, Prinz?" sagte er. + +"Treue gegen den Freund, Großmut gegen den Feind ist des Abassiden +Stolz", antwortete der Prinz, indem er ihn aufhob, "gehe hin in +Frieden!" + +"O du mein echter Sohn!" rief gerührt der alte Sultan und sank an die +Brust des Sohnes; die Emire und Bassa und alle Großen des Reiches +standen auf von ihren Sitzen und riefen: "Heil dem neuen Königssohn!" +Und unter dem allgemeinen Jubel schlich sich Labakan, sein Kistchen +unter dem Arm, aus dem Saal. + +Er ging hinunter in die Ställe des Sultans, zäumte sein Roß Murva auf +und ritt zum Tore hinaus, Alessandria zu. Sein ganzes Prinzenleben +kam ihm wie ein Traum vor, und nur das prachtvolle Kistchen, reich +mit Perlen und Diamanten geschmückt, erinnerte ihn, daß er doch nicht +geträumt habe. + +Als er endlich wieder nach Alessandria kam, ritt er vor das Haus +seines alten Meisters, stieg ab, band sein Rößlein an die Türe und +trat in die Werkstatt. Der Meister, der ihn nicht gleich kannte, +machte ein großes Wesen und fragte, was ihm zu Dienst stehe; als er +aber den Gast näher ansah und seinen alten Labakan erkannte, rief er +seine Gesellen und Lehrlinge herbei, und alle stürzten sich wie +wütend auf den armen Labakan, der keines solchen Empfangs gewärtig +war, stießen und schlugen ihn mit Bügeleisen und Ellenmaß, stachen +ihn mit Nadeln und zwickten ihn mit scharfen Scheren, bis er +erschöpft auf einen Haufen alter Kleider niedersank. + +Als er nun so dalag, hielt ihm der Meister eine Strafrede über das +gestohlene Kleid; vergebens versicherte Labakan, daß er nur deswegen +wiedergekommen sei, um ihm alles zu ersetzen, vergebens bot er ihm +den dreifachen Schadenersatz, der Meister und seine Gesellen fielen +wieder über ihn her, schlugen ihn weidlich und warfen ihn zur Türe +hinaus; zerschlagen und zerfetzt stieg er auf das Roß Murva und ritt +in eine Karawanserei. Dort legte er sein müdes, zerschlagenes Haupt +nieder und stellte Betrachtungen an über die Leiden der Erde, über +das so oft verkannte Verdienst und über die Nichtigkeit und +Flüchtigkeit aller Güter. Er schlief mit dem Entschluß ein, aller +Größe zu entsagen und ein ehrsamer Bürger zu werden. + +Und den andere Tag gereute ihn sein Entschluß nicht; denn die +schweren Hände des Meisters und seiner Gesellen schienen alle Hoheit +aus ihm herausgeprügelt zu haben. + +Er verkaufte um einen hohen Preis sein Kistchen an einen +Juwelenhändler, kaufte sich ein Haus und richtete sich eine Werkstatt +zu seinem Gewerbe ein. Als er alles eingerichtet und auch ein Schild +mit der Aufschrift Labakan, Kleidermacher vor sein Fenster gehängt +hatte, setzte er sich und begann mit jener Nadel und dem Zwirn, die +er in dem Kistchen gefunden, den Rock zu flicken, welchen ihm sein +Meister so grausam zerfetzt hatte. Er wurde von seinem Geschäft +abgerufen, und als er sich wieder an die Arbeit setzen wollte, welch +sonderbarer Anblick bot sich ihm dar! Die Nadel nähte emsig fort, +ohne von jemand geführt zu werden; sie machte feine, zierliche Stiche, +wie sie selbst Labakan in seinen kunstreichsten Augenblicken nicht +gemacht hatte! + +Wahrlich, auch das geringste Geschenk einer gütigen Fee ist nützlich +und von großem Wert! Noch einen andere Wert hatte aber dies Geschenk, +nämlich: Das Stückchen Zwirn ging nie aus, die Nadel mochte so +fleißig sein, als sie wollte. + +Labakan bekam viele Kunden und war bald der berühmteste Schneider +weit und breit; er schnitt die Gewänder zu und machte den ersten +Stich mit der Nadel daran, und flugs arbeitete diese weiter ohne +Unterlaß, bis das Gewand fertig war. Meister Labakan hatte bald die +ganze Stadt zu Kunden; denn er arbeitete schön und außerordentlich +billig, und nur über eines schüttelten die Leute von Alessandria den +Kopf, nämlich: daß er ganz ohne Gesellen und bei verschlossenen Türen +arbeitete. + +So war der Spruch des Kistchens, Glück und Reichtum verheißend, in +Erfüllung gegangen; Glück und Reichtum begleiteten, wenn auch in +bescheidenem Maße, die Schritte des guten Schneiders, und wenn er von +dem Ruhm des jungen Sultans Omar, der in aller Munde lebte, hörte, +wenn er hörte, daß dieser Tapfere der Stolz und die Liebe seines +Volkes und der Schrecken seiner Feinde sei, da dachte der ehemalige +Prinz bei sich: "Es ist doch besser, daß ich ein Schneider geblieben +bin; denn um die Ehre und den Ruhm ist es eine gar gefährliche Sache." +So lebte Labakan, zufrieden mit sich, geachtet von seinen +Mitbürgern, und wenn die Nadel indes nicht ihre Kraft verloren, so +näht sie noch jetzt mit dem ewigen Zwirn der gütigen Fee Adolzaide. + +Mit Sonnenaufgang brach die Karawane auf und gelangte bald nach +Birket el Had oder dem Pilgrimsbrunnen, von wo es nur noch drei +Stunden Weges nach Kairo waren--Man hatte um diese Zeit die Karawane +erwartet, und bald hatten die Kaufleute die Freude, ihre Freunde aus +Kairo ihnen entgegenkommen zu sehen. Sie zogen in die Stadt durch +das Tor Bebel Falch; denn es wird für eine glückliche Vorbedeutung +gehalten, wenn man von Mekka kommt, durch dieses Tor einzuziehen, +weil der Prophet hindurchgezogen ist. + +Auf dem Markt verabschiedeten sich die vier türkischen Kaufleute von +dem Fremden und dem griechischen Kaufmann Zaleukos und gingen mit +ihren Freunden nach Haus. Zaleukos aber zeigte dem Fremden eine gute +Karawanserei und lud ihn ein, mit ihm das Mittagsmahl zu nehmen. Der +Fremde sagte zu und versprach, wenn er nur vorher sich umgekleidet +habe, zu erscheinen. + +Der Grieche hatte alle Anstalten getroffen, den Fremden, welchen er +auf der Reise liebgewonnen hatte, gut zu bewirten, und als die +Speisen und Getränke in gehöriger Ordnung aufgestellt waren, setzte +er sich, seinen Gast zu erwarten. + +Langsam und schweren Schrittes hörte er ihn den Gang, der zu seinem +Gemach führte, heraufkommen. Er erhob sich, um ihm freundlich +entgegenzusehen und ihn an der Schwelle zu bewillkommnen; aber voll +Entsetzen fuhr er zurück, als er die Türe öffnete; denn jener +schreckliche Rotmantel trat ihm entgegen; er warf noch einen Blick +auf ihn, es war keine Täuschung; dieselbe hohe, gebietende Gestalt, +die Larve, aus welcher ihn die dunklen Augen anblitzten, der rote +Mantel mit der goldenen Stickerei waren ihm nur allzuwohl bekannt aus +den schrecklichsten Stunden seines Lebens. + +Widerstreitende Gefühle wogten in Zaleukos Brust; er hatte sich mit +diesem Bild seiner Erinnerung längst ausgesöhnt und ihm vergeben, und +doch riß sein Anblick alle seine Wunden wieder auf; alle jene +qualvollen Stunden der Todesangst, jener Gram, der die Blüte seines +Lebens vergiftete, zogen im Flug eines Augenblicks an seiner Seele +vorüber. + +"Was willst du, Schrecklicher?" rief der Grieche aus, als die +Erscheinung noch immer regungslos auf der Schwelle stand. "Weiche +schnell von hinnen, daß ich dir nicht fluche!" + +"Zaleukos!" sprach eine bekannte Stimme unter der Larve hervor. +"Zaleukos! So empfängst du deinen Gastfreund?" Der Sprechende nahm +die Larve ab, schlug den Mantel zurück; es war Selim Baruch, der +Fremde. + +Aber Zaleukos schien noch nicht beruhigt, ihm graute vor dem Fremden; +denn nur zu deutlich hatte er in ihm den Unbekannten von der Ponte +vecchio erkannt; aber die alte Gewohnheit der Gastfreundschaft siegte; +er winkte schweigend dem Fremden, sich zu ihm ans Mahl zu setzen. + +"Ich errate deine Gedanken", nahm dieser das Wort, als sie sich +gesetzt hatten. "Deine Augen sehen fragend auf mich--ich hätte +schweigen und mich deinen Blicken nie mehr zeigen können, aber ich +bin dir Rechenschaft schuldig, und darum wagte ich es auch, auf die +Gefahr hin, daß du mir fluchtest, vor dir in meiner alten Gestalt zu +erscheinen. Du sagtest einst zu mir: Der Glaube meiner Väter +befiehlt mir, ihn zu lieben, auch ist er wohl unglücklicher als ich; +glaube dieses, mein Freund, und höre meine Rechtfertigung! + +Ich muß weit ausholen, um mich dir ganz verständlich zu machen. Ich +bin in Alessandria von christlichen Eltern geboren. Mein Vater, der +jüngere Sohn eines alten, berühmten französischen Hauses, war Konsul +seines Landes in Alessandria. Ich wurde von meinem zehnten Jahre an +in Frankreich bei einem Bruder meiner Mutter erzogen und verließ erst +einige Jahre nach dem Ausbruch der Revolution mein Vaterland, um mit +meinem Oheim, der in dem Lande seiner Ahnen nicht mehr sicher war, +über dem Meer bei meinen Eltern eine Zuflucht zu suchen. Voll +Hoffnung, die Ruhe und den Frieden, den uns das empörte Volk der +Franzosen entrissen, im elterlichen Hause wiederzufinden, landeten +wir. Aber ach! Ich fand nicht alles in meines Vaters Hause, wie es +sein sollte; die äußeren Stürme der bewegten Zeit waren zwar noch +nicht bis hierher gelangt, desto unerwarteter hatte das Unglück mein +Haus im innersten Herzen heimgesucht. Mein Bruder, ein junger, +hoffnungsvoller Mann, erster Sekretär meines Vaters, hatte sich erst +seit kurzem mit einem jungen Mädchen, der Tochter eines +florentinischen Edelmanns, der in unserer Nachbarschaft wohnte, +verheiratet; zwei Tage vor unserer Ankunft war diese auf einmal +verschwunden, ohne daß weder unsere Familie noch ihr Vater die +geringste Spur von ihr auffinden konnten. Man glaubte endlich, sie +habe sich auf einem Spaziergang zu weit gewagt und sei in Räuberhände +gefallen. Beinahe tröstlicher wäre dieser Gedanke für meinen armen +Bruder gewesen als die Wahrheit, die uns nur bald kund wurde. Die +Treulose hatte sich mit einem jungen Neapolitaner, den sie im Hause +ihres Vaters kennengelernt hatte, eingeschifft. Mein Bruder, aufs +äußerste empört über diesen Schritt, bot alles auf, die Schuldige zur +Strafe zu ziehen; doch vergebens; seine Versuche, die in Neapel und +Florenz Aufsehen erregt hatten, dienten nur dazu, sein und unser +aller Unglück zu vollenden. Der florentinische Edelmann reiste in +sein Vaterland zurück, zwar mit dem Vorgeben, meinem Bruder Recht zu +verschaffen, der Tat nach aber, um uns zu verderben. Er schlug in +Florenz alle jene Untersuchungen, welche mein Bruder angeknüpft hatte, +nieder und wußte seinen Einfluß, den er auf alle Art sich verschafft +hatte, so gut zu benützen, daß mein Vater und mein Bruder ihrer +Regierung verdächtig gemacht und durch die schändlichsten Mittel +gefangen, nach Frankreich geführt und dort vom Beil des Henkers +getötet wurden. Meine arme Mutter verfiel in Wahnsinn, und erst nach +zehn langen Monaten erlöste sie der Tod von ihrem schrecklichen +Zustand, der aber in den letzten Tagen zu vollem, klarem Bewußtsein +geworden war. So stand ich jetzt ganz allein in der Welt, aber nur +ein Gedanke beschäftigte meine Seele, nur ein Gedanke ließ mich meine +Trauer vergessen, es war jene mächtige Flamme, die meine Mutter in +ihrer letzten Stunde in mir angefacht hatte. + +In den letzten Stunden war, wie ich dir sagte, ihr Bewußtsein +zurückgekehrt; sie ließ mich rufen und sprach mit Ruhe von unserem +Schicksal und ihrem Ende. Dann aber ließ sie alle aus dem Zimmer +gehen, richtete sich mit feierlicher Miene von ihrem ärmlichen Lager +auf und sagte, ich könne mir ihren Segen erwerben, wenn ich ihr +schwöre, etwas auszufahren, das sie mir auftragen würde--Ergriffen +von den Worten der sterbenden Mutter, gelobte ich mit einem Eide zu +tun, wie sie mir sagen werde. Sie brach nun in Verwünschungen gegen +den Florentiner und seine Tochter aus und legte mir mit den +fürchterlichsten Drohungen ihres Fluches auf, mein unglückliches Haus +an ihm zu rächen. Sie starb in meinen Armen. Jener Gedanke der +Rache hatte schon lange in meiner Seele geschlummert; jetzt erwachte +er mit aller Macht. Ich sammelte den Rest meines väterlichen +Vermögens und schwor mir, alles an meine Rache zu setzen oder selbst +mit unterzugehen. + +Bald war ich in Florenz, wo ich mich so geheim als möglich aufhielt; +mein Plan war um vieles erschwert worden durch die Lage, in welcher +sich meine Feinde befanden. Der alte Florentiner war Gouverneur +geworden und hatte so alle Mittel in der Hand, sobald er das +geringste ahnte, mich zu verderben. Ein Zufall kam mir zu Hilfe. +Eines Abends sah ich einen Menschen in bekannter Livree durch die +Straßen gehen; sein unsicherer Gang, sein finsterer Blick und das +halblaut herausgestoßene "Santo sacramento", "Maledetto diavolo" +ließen mich den alten Pietro, einen Diener des Florentiners, den ich +schon in Alessandria gekannt hatte, erkennen. Ich war nicht in +Zweifel, daß er über seinen Herrn in Zorn geraten sei, und beschloß, +seine Stimmung zu benützen. Er schien sehr überrascht, mich hier zu +sehen, klagte mir sein Leiden, daß er seinem Herrn, seit er +Gouverneur geworden, nichts mehr recht machen könne, und mein Gold, +unterstützt von seinem Zorn, brachte ihn bald auf meine Seite. Das +Schwierigste war jetzt beseitigt; ich hatte einen Mann in meinem +Solde, der mir zu jeder Stunde die Türe meines Feindes öffnete, und +nun reifte mein Racheplan immer schneller heran. Das Leben des alten +Florentiners schien mir ein zu geringes Gewicht, dem Untergang meines +Hauses gegenüber, zu haben. Sein Liebstes mußte er gemordet sehen, +und dies war Bianka, seine Tochter. Hatte ja sie so schändlich an +meinem Bruder gefrevelt, war ja doch sie die Ursache unseres Unglücks. +Gar erwünscht kam sogar meinem rachedürstigen Herzen die Nachricht, +daß in dieser Zeit Bianka zum zweitenmal sich vermählen wollte, es +war beschlossen, sie mußte sterben. Aber mir selbst graute vor der +Tat, und auch Pietro traute sich zu wenig Kraft zu; darum spähten wir +umher nach einem Mann, der das Geschäft vollbringen könne. Unter den +Florentinern wagte ich keinen zu dingen, denn gegen den Gouverneur +würde keiner etwas Solches unternommen haben. Da fiel Pietro der +Plan ein, den ich nachher ausgeführt habe; zugleich schlug er dich +als Fremden und Arzt als den Tauglichsten vor. Den Verlauf der Sache +weißt du. Nur an deiner großen Vorsicht und Ehrlichkeit schien mein +Unternehmen zu scheitern. Daher der Zufall mit dem Mantel. + +Pietro öffnete uns das Pförtchen an dem Palast des Gouverneurs; er +hätte uns auch ebenso heimlich wieder hinausgeleitet, wenn wir nicht, +durch den schrecklichen Anblick, der sich uns durch die Türspalte +darbot, erschreckt, entflohen wären. Von Schrecken und Reue gejagt, +war ich über zweihundert Schritte fortgerannt, bis ich auf den Stufen +einer Kirche niedersank. Dort erst sammelte ich mich wieder, und +mein erster Gedanke warst du und dein schreckliches Schicksal, wenn +man dich in dem Hause fände. Ich schlich an den Palast, aber weder +von Pietro noch von dir konnte ich eine Spur entdecken; das Pförtchen +aber war offen, so konnte ich wenigstens hoffen, daß du die +Gelegenheit zur Flucht benützt haben könntest. + +Als aber der Tag anbrach, ließ mich die Angst vor der Entdeckung und +ein unabweisbares Gefühl von Reue nicht mehr in den Mauern von +Florenz. Ich eilte nach Rom. Aber denke dir meine Bestürzung, als +man dort nach einigen Tagen überall diese Geschichte erzählte mit dem +Beisatz, man habe den Mörder, einen griechischen Arzt, gefangen. Ich +kehrte in banger Besorgnis nach Florenz zurück; denn schien mir meine +Rache schon vorher zu stark, so verfluchte ich sie jetzt, denn sie +war mir durch dein Leben allzu teuer erkauft. Ich kam an demselben +Tage an, der dich der Hand beraubte. Ich schweige von dem, was ich +fühlte, als ich dich das Schafott besteigen und so heldenmütig leiden +sah. Aber damals, als dein Blut in Strömen aufspritzte, war der +Entschluß fest in mir, dir deine übrigen Lebenstage zu versüßen. Was +weiter geschehen ist, weißt du, nur das bleibt mir noch zu sagen +übrig, warum ich diese Reise mit dir machte. + +Als eine schwere Last drückte mich der Gedanke, daß du mir noch immer +nicht vergeben habest; darum entschloß ich mich, viele Tage mit dir +zu leben und dir endlich Rechenschaft abzulegen von dem, was ich mit +dir getan." + +Schweigend hatte der Grieche seinen Gast angehört; mit sanftem Blick +bot er ihm, als er geendet hatte, seine Rechte. "Ich wußte wohl, daß +du unglücklicher sein müßtest als ich, denn jene grausame Tat wird +wie eine dunkle Wolke ewig deine Tage verfinstern; ich vergebe dir +von Herzen. Aber erlaube mir noch eine Frage: Wie kommst du unter +dieser Gestalt in die Wüste? Was fingst du an, nachdem du in +Konstantinopel mir das Haus gekauft hattest?" + +"Ich ging nach Alessandria zurück", antwortete der Gefragte. "Haß +gegen alle Menschen tobte in meiner Brust, brennender Haß besonders +gegen jene Nationen, die man die gebildeten nennt. Glaube mir, unter +meinen Moslemiten war mir wohler! Kaum war ich einige Monate in +Alessandria, als jene Landung meiner Landsleute erfolgte. + +Ich sah in ihnen nur die Henker meines Vaters und meines Bruders; +darum sammelte ich einige gleichgesinnte junge Leute meiner +Bekanntschaft und schloß mich jenen tapferen Mamelucken an, die so +oft der Schrecken des französischen Heeres wurden. Als der Feldzug +beendigt war, konnte ich mich nicht entschließen, zu den Künsten des +Friedens zurückzukehren. Ich lebte mit einer kleinen Anzahl +gleichdenkender Freunde ein unstetes und flüchtiges, dem Kampf und +der Jagd geweihtes Leben; ich lebe zufrieden unter diesen Leuten, die +mich wie ihren Fürsten ehren; denn wenn meine Asiaten auch nicht so +gebildet sind wie Eure Europäer, so sind sie doch weit entfernt von +Neid und Verleumdung, von Selbstsucht und Ehrgeiz." + +Zaleukos dankte dem Fremden für seine Mitteilung, aber er verbarg ihm +nicht, daß er es für seinen Stand, für seine Bildung angemessener +fände, wenn er in christlichen, in europäischen Ländern leben und +wirken würde. Er faßte seine Hand und bat ihn, mit ihm zu ziehen, +bei ihm zu leben und zu sterben. + +Gerührt sah ihn der Gastfreund an. "Daraus erkenne ich", sagte er, +"daß du mir ganz vergeben hast, daß du mich liebst. Nimm meinen +innigsten Dank dafür!" Er sprang auf und stand in seiner ganzen Größe +vor dem Griechen, dem vor dem kriegerischen Anstand, den dunkel +blitzenden Augen, der tiefen Stimme seines Gastes beinahe graute. +"Dein Vorschlag ist schön", sprach jener weiter, "er möchte für jeden +andern lockend sein--ich kann ihn nicht benützen. Schon steht mein +Roß gesattelt, erwarten mich meine Diener; lebe wohl, Zaleukos!" Die +Freunde, die das Schicksal so wunderbar zusammengeführt, umarmten +sich zum Abschied. "Und wie nenne ich dich? Wie heißt mein +Gastfreund, der auf ewig in meinem Gedächtnis leben wird?" fragte der +Grieche. + +Der Fremde sah ihn lange an, drückte ihm noch einmal die Hand und +sprach: "Man nennt mich den Herrn der Wüste; ich bin der Räuber +Orbasan." + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes "Märchen-Almanach auf das Jahr +1826", von Wilhelm Hauff. + + + + + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, MAERCHEN-ALMANACH AUF DAS JAHR 1826 *** + +This file should be named 8alm110.txt or 8alm110.zip +Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 8alm111.txt +VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 8alm110a.txt + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + +We are now trying to release all our eBooks one year in advance +of the official release dates, leaving time for better editing. +Please be encouraged to tell us about any error or corrections, +even years after the official publication date. + +Please note neither this listing nor its contents are final til +midnight of the last day of the month of any such announcement. +The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at +Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. A +preliminary version may often be posted for suggestion, comment +and editing by those who wish to do so. + +Most people start at our Web sites at: +http://gutenberg.net or +http://promo.net/pg + +These Web sites include award-winning information about Project +Gutenberg, including how to donate, how to help produce our new +eBooks, and how to subscribe to our email newsletter (free!). + + +Those of you who want to download any eBook before announcement +can get to them as follows, and just download by date. This is +also a good way to get them instantly upon announcement, as the +indexes our cataloguers produce obviously take a while after an +announcement goes out in the Project Gutenberg Newsletter. + +http://www.ibiblio.org/gutenberg/etext04 or +ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext04 + +Or /etext03, 02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90 + +Just search by the first five letters of the filename you want, +as it appears in our Newsletters. + + +Information about Project Gutenberg (one page) + +We produce about two million dollars for each hour we work. The +time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours +to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright +searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our +projected audience is one hundred million readers. If the value +per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2 +million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text +files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+ +We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002 +If they reach just 1-2% of the world's population then the total +will reach over half a trillion eBooks given away by year's end. + +The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks! +This is ten thousand titles each to one hundred million readers, +which is only about 4% of the present number of computer users. + +Here is the briefest record of our progress (* means estimated): + +eBooks Year Month + + 1 1971 July + 10 1991 January + 100 1994 January + 1000 1997 August + 1500 1998 October + 2000 1999 December + 2500 2000 December + 3000 2001 November + 4000 2001 October/November + 6000 2002 December* + 9000 2003 November* +10000 2004 January* + + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created +to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium. + +We need your donations more than ever! + +As of February, 2002, contributions are being solicited from people +and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut, +Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois, +Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts, +Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New +Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio, +Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South +Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West +Virginia, Wisconsin, and Wyoming. + +We have filed in all 50 states now, but these are the only ones +that have responded. + +As the requirements for other states are met, additions to this list +will be made and fund raising will begin in the additional states. +Please feel free to ask to check the status of your state. + +In answer to various questions we have received on this: + +We are constantly working on finishing the paperwork to legally +request donations in all 50 states. 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